RICHARD WURMBRAND
Vorbereitung auf die Untergrundkirche
INHALTSVERZEICHNIS
1. Bereiten Sie sich auf das Leiden vor
2. Die Wahrheit über die Wahrheit
3. Geistliche Übungen
4. Zweifel macht Verräter
5. Folterprüfung
6. Der Augenblick der Krise
7. Höchste Liebe
8. Schweigen lernen
9. Zulässige List
10. Verräterische Streiterei
11. Der Gehirnwäsche widerstehen
12. Das Überwinden der Einsamkeit
13. Wahre Identität
– Neu eingestellt im Mai 2020 wegen der Coronakrise, die auch eine Ankündigung von kommenden antichristlichen Zeiten ist. Ob Zeiten der Verfolgung für bibeltreue Christen? – wir werden sehen.
Geringe Kürzungen und die Betonungen sind von mir.
Horst Koch, Herborn –
VORWORT
Dies ist der Ausblick eines Mannes in die Zukunft der Kirche, dessen geistliches Leben, Gefängniserfahrung und weitreichende Predigertätigkeit schon viel zur Warnung der Welt vor der Gefahr des atheistischen Kommunismus beigetragen haben.
Richard Wurmbrands Schriften reden offen und lassen den Leser selten gleichgültig gegenüber der Botschaft, die sie beinhalten. Einige der darin gebrauchten Ausdrücke sind charakteristisch für den Mann, der wie ein Jude denkt, wie ein Linguist liest, der wie ein Apostel betet und wie ein Prophet schreibt. Die Botschaft ist kristallklar.
Wenn es, wie die meisten Kirchenführer der Welt sagen, wahr ist, daß die Kirche früher oder später vor zwei Alternativen gestellt sein wird – dem sozial-politischen Kompromiß mit dem Atheismus oder dem Zorn einer kontrollierten politisch‑religiösen Hierarchie ‑, dann hat Wurmbrand recht:
WIR MÜSSEN UNS JETZT VORBEREITEN.
Viele Teile der Welt sind bereits vor diese Alternative gestellt worden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß unsere Generation in Westeuropa und Amerika vor ihr verschont bleibt.
Wir Christen wollen uns darum jetzt vorbereiten und dafür sorgen, daß unsere Kinder ein klares Beispiel vor Augen haben, wenn die Reihe an sie kommt.
HMK, Uhldingen/ Bodensee (Hilfsaktion Märtyrer – Kirche)
BEREITEN SIE SICH JETZT AUF DIE UNTERGRUNDKIRCHE VOR
»Ananias antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wieviel Übles er deinen Heiligen getan hat. Der Herr sprach zu ihm: Gehe hin; denn dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug . . . Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muß um meines Namens willen.« Apostelgeschichte 9, Verse 13f.
Soviel ich weiß, gibt es auf der ganzen Welt kein einziges theologisches Seminar welche das Fach »Untergrundkirche« lehrt. In Seminaren mögen Sie über Sabellianismus und Apollinaranismus unterrichtet werden, doch fünf Minuten nach Abschluß des Seminars haben Sie dies alles schon vergessen. Wahrscheinlich werden Sie nie einen Sabellianisten oder einen Apollinarianisten treffen. . . . Die Untergrundkirche ist die Kirche, der weltweit ein Drittel ihrer Glieder angehört.
. . . Während Amerika mit Watergate beschäftigt war, nahmen die Kommunisten fünfzehn Länder ein. Christliche Pastoren müssen wissen, wie eine Untergrundkirche aussieht, und was sie tut.
Ich sprach in England ungefähr eine Stunde mit einem Bischof über die Arbeit der Untergrundkirche. Endlich sagte er: »Entschuldigen Sie, aber ich habe ein Steckenpferd: ich interessiere mich sehr für Kirchenarchitektur. Würden Sie mir bitte sagen, ob Untergrundkirchen im gotischen Stil erbaut werden?« – Wenn ich Ihnen verriete, wer dieser Bischof ist, könnten Sie sich schlecht vorstellen, wie ein Mann mit einem so großen Namen eine solche Frage stellen kann.
Die Untergrundkirche ist verhältnismäßig wenig bekannt. Sie besteht in unserer nächsten Nähe, aber wir sind nicht bereit, uns mit ihr zu befassen, und wir sind nicht vorbereitet. Jeder christliche Pastor sollte die Gemeinde weltweit im Auge haben, und er muß uns auch über die Untergrundkirche unterrichten können. . . .
In Rumänien, in Rußland, in Rotchina usw. wurden viele Gläubige Opfer des Regimes. Viele kamen ins Gefängnis, und viele starben im Gefängnis. . . .
Bereiten Sie sich auf das Leiden vor
Leiden kann in der Untergrundkirche auch bei den bestmöglichen Vorsichtsmaßnahmen nicht vollkommen verhindert, sollte aber auf ein Minimum beschränkt werden.
Es ist unmöglich, in einer kleinen Broschüre einen Kurs über die Untergrundkirche zu geben. . . .
Was geschieht mit einem Land, das von den Kommunisten überrollt wird? In einigen Ländern beginnt der Terror sofort, wie in Rußland und Kambodscha. Andernorts folgt eine religiöse Freiheit wie nie zuvor.
Die Kommunisten kommen gewöhnlich an die Macht, ohne die Macht wirklich zu haben. Sie haben die Leute nicht auf ihrer Seite. Sie haben noch keine eigene Polizei, Armee usw.
In Rußland gaben die Kommunisten am Anfang den Protestanten sofort große Freiheit mit der Absicht, die orthodoxe Kirche zu zerstören. Als sie die orthodoxe Kirche zerstört hatten, kam die Reihe an die protestantische.
Die anfängliche Situation dauert nicht lange. Während dieser Zeit unterwandern die Kommunisten die Kirchen, indem sie ihre Leute in Führungsstellungen setzen. Diese finden die Schwachheiten der Pastoren heraus: Einige sind vielleicht ehrgeizig, andere sind in einer starken Liebe zum Geld befangen. Wiederum ein anderer mag eine verborgene Sünde im Leben haben, mit der er erpresst werden kann. Die Kommunisten erklären, sie würden diese Sache bekannt machen. So setzen sie ihre Männer in Führungspositionen.
Dann, in einem gewissen Moment, beginnt die große Verfolgung. In Rumänien vollzog sich dieser Einschnitt in einem Tag. Alle katholischen Bischöfe wurden inhaftiert, dazu unzählige Priester, Mönche und Nonnen; ebenso viele protestantische Pastoren aller Denominationen, Rabbiner und unzählige Laien. Viele starben im Gefängnis.
Jesus, unser Herr, sprach zu Ananias: »Suche Saulus von Tarsus auf. Er wird mein Untergrundpastor sein.« Und das war Paulus auch ‑ ein Pastor einer Untergrundkirche. Jesus leitete einen Schnellkurs für diesen Untergrundpastoren ein. Er begann mit den Worten: »Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muß um meines Namens willen.«
Die Vorbereitung auf die Untergrundarbeit beginnt mit dem Studium des Leidens, der Martyrologie.
Solschenizyn sagt in seinem Buch »Archipel GULAG«, daß in der Sowjetunion die Polizisten einen Kurs über Arrestologie besuchen müssen ‑ einer Wissenschaft der unbemerkten Arrestierung von Leuten. Wie sie den neuen Ausdruck »Arrestologie« geschaffen haben, schaffen wir den Ausdruck »Leidologie«.
Später werden wir die technische Seite der Untergrundarbeit betrachten, doch zuerst kommt die geistliche Vorbereitung darauf. In einem freien Land braucht es für die Mitgliedschaft in einer Kirche nicht mehr, als zu glauben und getauft zu sein. Bei der Untergrundkirche genügt dies nicht, um ein Mitglied zu sein. Sie mögen getauft sein und glauben, aber Sie werden noch kein Mitglied der Untergrundkirche sein, wenn Sie nicht leiden können. Sie mögen den mächtigsten Glauben der Welt haben, aber wenn Sie nicht darauf vorbereitet sind zu leiden, werden Sie von der Polizei gefaßt werden; Sie werden zwei Hiebe bekommen und alle Geheimnisse der Untergrundkirche preisgeben.
Vorbereitung auf das Leiden ist einer der Hauptbestandteile der Vorbereitung auf die Untergrundarbeit.
Ein Christ gerät nicht in Panik, wenn er ins Gefängnis geworfen wird. Für die meisten Gläubigen ist das Gefängnis ein neuer Platz für das Zeugnis Christi. Für einen Pastoren ist es eine neue Gemeinde. Es ist eine Gemeinde, die kein großes Einkommen, dafür aber große Gelegenheiten zur Arbeit bietet. Darüber schreibe ich in meinem Buch »Stärker als Kerkermauern«.
In anderen Büchern erwähne ich den Morse‑Code, der auch ein Teil des Trainings für die Untergrundkirche ist. Sie wissen ja, was ein Code ist, mit Hilfe dessen Botschaften übermittelt werden. Durch diesen Code können Sie, auch wenn Sie in Einzelhaft sind, denen zu Ihrer Rechten und Linken das Evangelium predigen. Die Gefangenen wechseln ständig. Die Kommunisten nehmen einen aus einer Zelle und bringen einen anderen hinein. Gott gab vielen Christen, die im Gefängnis waren, das Vorrecht, durch den Morse‑Code Menschen zu Christus zu führen, die sie nie gesehen haben. Andere trafen Jahre später jene Leute, die sie durch Morsen zum Glauben gebracht hatten.
Nach Jahren der Einzelhaft verbrachte ich meine Zeit in verschiedenen Gemeinschaftszellen. In der freien Welt läuten am Sonntagmorgen die Kirchenglocken. Wer will, geht zur Kirche, wer nicht will, der kommt nicht. Wenn jemandem an diesem Sonntag die Predigt nicht zusagt, bleibt er am nächsten Sonntag fern. Wenn es regnet, kommt er sowieso nicht. Aber wenn die Gefängniszelle Ihr Versammlungsort ist, haben Sie die Kirchgänger den ganzen Tag um sich.
Freie Kirchgänger schauen auf ihre Uhr: »Er predigt schon seit einer halben Stunde; will er denn nie aufhören?« Bei der Verhaftung wird Ihnen die Uhr abgenommen; Sie haben die Predigtgänger die ganze Woche um sich, und Sie können ihnen vom Morgen bis zum Abend predigen. Die Zuhörer haben keine Wahl.
In der Geschichte der rumänischen oder der russischen Kirche gab es nie so viele Bekehrungen wie im Gefängnis. Fürchten Sie also das Gefängnis nicht. Betrachten Sie es ganz einfach als eine neue, von Gott gegebene Stelle, für Christus Zeugnis abzulegen.
Aber was ist mit den schrecklichen Foltern, die die Kommunisten bei den Gefangenen anwenden? Was werden wir angesichts dieser Foltern tun? Werden wir fähig sein, sie zu ertragen? Wenn ich sie nicht ertrage, bringe ich fünfzig oder sechzig weitere Menschen, die ich kenne, ins Gefängnis; die Kommunisten wollen von mir, daß ich diejenigen verrate, die um mich herum leben. Darum ist es so sehr notwendig, sich jetzt auf das Leiden vorzubereiten. Es ist zu schwierig, sich darauf vorzubereiten, wenn die Kommunisten Sie schon ins Gefängnis geworfen haben.
Ich erinnere mich an einen Fall in Rumänien, wo ein Pastor mit einer Frau gesündigt hatte. Die Pastoren besprachen diese Frage ‑ er war schon seit zwanzig Jahren Prediger. Es wurde gesagt: »Seine Sünde war nicht, was er an jenem Abend tat; die Umstände waren so, daß er der Versuchung nicht widerstehen konnte. Das aber war seine große Sünde, daß er vor zwanzig Jahren, als er nicht auf diese Weise versucht war, nicht zu sich sagte: ‚Während meines Lebens als Pastor werden mir verschiedene Dinge zustoßen. Unter anderen Dingen wird es geschehen, daß ich zu einer sexuellen Sünde versucht werde. Ich werde sie dann nicht begehen‘.« Sie müssen sich im voraus auf alle Möglichkeiten vorbereiten. Wir müssen uns auf das Leiden vorbereiten.
2. Die Wahrheit über die Wahrheit
Wieviel jeder einzelne von uns erleiden kann, hängt davon ab, wie eng wir mit einer Sache verbunden sind; wie lieb uns diese Sache ist, und wieviel sie uns bedeutet.
In dieser Hinsicht erlebten wir in kommunistischen Ländern große Überraschungen. Es gab begabte Prediger und Schriftsteller christlicher Bücher, die Verräter wurden. Der Komponist des besten Gesangbuches von Rumänien wurde zum Komponisten des besten kommunistischen Gesangbuches. Alles hängt davon ab, ob wir im Bereich der Worte verblieben sind, oder ob wir mit den göttlichen Realitäten verschmolzen sind.
Gott ist die Wahrheit. Die Bibel ist die Wahrheit über die Wahrheit. Theologie ist die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahrheit. Eine gute Predigt ist die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahrheit über die Wahrheit. Es ist nicht die Wahrheit.
Die Wahrheit ist Gott allein. Rund um diese Wahrheit gibt es ein Gerüst von Worten, Theologien und Auslegungen. In Zeiten des Leidens ist aber nichts von dem allem nütze. Nur die Wahrheit selbst kann uns behilflich sein, und wir müssen durch all die Predigten, die theologischen Bücher, durch alles Geschriebene hindurchdringen und uns mit der Realität von Gott selbst verschmelzen.
Ich erzählte im Westen, wie Christen bei uns vier Tage und vier Nächte an Kreuze gebunden wurden. Die Kreuze wurden auf den Boden gelegt, und andere Gefangene wurden durch Folter gezwungen , ihre Notdurft über den Gesichtern und Körpern der Gekreuzigten zu verrichten. Ich wurde seither gefragt: »Welcher Bibelvers half Ihnen und stärkte Sie in solchen Umständen?«
Meine Antwort ist: »KEIN Bibelvers brachte da Hilfe«. Es sind scheinheilige Phrasen und religiöse Heuchelei zu sagen: »Dieser Bibelvers stärkte mich, oder jener Bibelvers hilft mir.« Bibelverse allein sind nicht zur Hilfe gedacht.
Wir kannten den 23. Psalm. ‑ »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln… und ob ich schon wanderte im finsteren Tal … «. Wenn Sie durch Leiden gehen, stellen Sie fest, daß es nie Gottes Absicht war, Psalm 23 sollte Sie stärken. Es ist der Herr, der Sie stärken kann, nicht der Psalm, der sagt, daß Er es tut. Es genügt nicht, den Psalm zu haben. Sie müssen Den haben, von Dem der Psalm spricht.
Wir kannten auch den Vers: »Laß dir an meiner Gnade genügen.« Aber der Vers allein ist nicht ausreichend. Es ist die Gnade, die ausreicht und nicht der Vers.
Pastoren und treue Zeugen, die mit dem Wort als mit einer Berufung Gottes umgehen, stehen in der Gefahr, heiligen Worten mehr Wert zu geben, als sie wirklich haben. Heilige Worte sind lediglich das Mittel, um die durch sie ausgedrückte Realität zu erfassen. Wenn Sie mit der Wirklichkeit, dem allmächtigen HErrn, vereint sind, verliert der Kommunismus seine Macht über Sie; er kann den allmächtigen HErrn nicht überrunden. Wenn Sie nur die Worte des allmächtigen HErrn haben, können Sie sehr leicht überwältigt werden.
3. Geistliche Übungen
Die Vorbereitung auf die Untergrundarbeit ist tiefe Vergeistlichung. So wie eine Zwiebel zur Vorbereitung auf den Gebrauch geschält werden muß, so muß Gott von uns »abschälen«, was bloße Worte, Gefühlsregungen und Ergötzung an der Religion sind, um bei der Wirklichkeit unseres Glaubens anzulangen. Jesus sagte uns: »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich«, und Er zeigte uns selber, wie schwer dieses Kreuz sein kann. Wir müssen darauf vorbereitet sein.
Betrachten Sie das Vorgehen der Welt. Ein pornographisches Heft oder eine Reklame entzünden die Vorstellungskraft. Genau auf dieselbe Weise müssen wir die Vorstellungskraft entzünden, indem wir uns geistliche Wirklichkeiten vor Augen halten. Wir müssen geistliche Übungen machen. Es tut mir sehr leid, daß geistliche Übungen im Protestantismus beinahe unbekannt sind. In der Untergrundkirche müssen wir sie neu erwecken. Geistliche Übungen mögen von einigen Katholiken mißbraucht worden sein; dann kam die Reformation. Wir kennen die Bewegung des Pendels: Wenn der eine in ein Extrem gefallen ist, fällt der andere in das entgegengesetzte. Weil einige den Gebrauch der geistlichen Übungen mißbrauchten, ließen andere die geistlichen Übungen überhaupt weg.
Wir sollten nicht nur unsere Zeit des Gebets haben, in der wir sprechen, sondern wir sollten auch eine Zeit der Meditation und der Betrachtung haben.
In Hebräer 11 können wir die lange Liste derjenigen lesen, die zersägt, an Pfählen verbrannt und von Löwen zerrissen wurden, aber wir müssen uns diese Dinge auch ausmalen. Jetzt stehe ICH vor Löwen, ICH werde geschlagen, ICH bin in Gefahr, verbrannt zu werden, usw. Wie verhalte ich mich?
Ich erinnere mich, daß ich, anläßlich meiner letzten Sonntagsschulstunde vor meiner Ausreise aus Rumänien, eine Gruppe von zehn bis fünfzehn Jungen und Mädchen nicht in eine Kirche, sondern in den Zoo führte. Vor dem Löwenkäfig sagte ich ihnen:
»Eure Vorväter im Glauben wurden um ihres Glaubens willen solchen Biestern vorgeworfen. Ihr sollt wissen, daß auch ihr leiden werdet. Ihr werdet nicht den Löwen vorgeworfen werden, aber ihr werdet mit Menschen zu tun haben, die viel ärger sind als Löwen. Entscheidet euch jetzt und hier, ob ihr Christus die Treue halten wollt.« Mit Tränen in den Augen sagten sie »Ja«.
Wir müssen uns vorbereiten, bevor wir im Gefängnis sind. Im Gefängnis verlieren Sie alles. Sie werden ausgezogen und erhalten einen Sträflingsanzug. Sie haben keine Möbel, keine schönen Teppiche oder Vorhänge mehr. Sie haben keine Frau und keine Kinder mehr. Sie haben Ihre Bibliothek nicht mehr, und Sie werden nie eine Blume sehen.
Nichts von dem, was das Leben erfreut, bleibt ihnen. Niemand widersteht, der nicht vorher den Vergnügungen der Welt entsagt hat.
Im Kolosserbrief steht: »So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind.« Unwissende und treue Katholiken auferlegten sich manchmal übermäßige Bußtaten. Die Protestanten dagegen gaben das Abtöten der Glieder ganz auf. Aber es gibt ein christliches Abtöten der Glieder ‑ das Aufgeben der weltlichen Freuden. Der Christ, der sich jetzt entsprechend vorbereitet, wird sie im Gefängnis nicht vermissen. Sie müssen die Dinge der Welt gebrauchen, ohne sich gefühlsmäßig daran zu binden.
Ich persönlich mache eine geistliche Übung. Ich lebe in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie können sich vorstellen, wie ein amerikanischer Supermarkt aussieht. Sie finden dort viel Schönes und manche Köstlichkeit. Ich schaue mir alles an und sage mir:
»Ich kann auch ohne diese Sachen leben; und jenes Ding ist sehr nett, aber nicht unbedingt notwendig. Die dritte Sache brauche ich ebenfalls nicht.« Ich gehe durch den ganzen Supermarkt, ohne einen Dollar auszugeben. Ich hatte die Freude, viele schöne Dinge zu sehen, und die zweite Freude war zu wissen, daß ich nicht an sie gebunden bin.
Wir hatten auch liberale Theologen. Keiner von ihnen widerstand der geringsten Folter. »Warum sollte ich für einen toten Gott und eine problematische Bibel sterben? Wenn die Geschichte von Adam und Eva nicht wahr ist, wenn die Prophezeiungen viele Jahre nach ihrer Erfüllung geschrieben wurden, wenn Jesus nicht von einer Jungfrau geboren wurde und Er nicht leiblich vom Tode auferstand ‑ dann stehen mehr Lügen in der Bibel als in der »Prawda«. Warum sollte ich in den Tod gehen für etwas, das nicht wahr ist oder wenigstens immer problematisch bleiben wird?«
4. Zweifel macht Verräter
Ich bin Jude. Im Hebräischen, der Sprache, die Jesus sprach und in der die erste Offenbarung gegeben wurde, existiert das Wort »Zweifel« nicht. Wenn ein Mensch zweifelt, ist das ebenso unnatürlich, wie wenn er auf vier Füssen gehen würde ‑ er ist nicht dazu bestimmt, auf vier Füssen zu gehen. Ein Mensch geht aufrecht, er ist kein Tier. Zweifeln ist untermenschlich.
Jedem von uns kommen Zweifel, aber lassen Sie nicht zu, daß sich Zweifel an wesentlichen Lehrsätzen der Bibel, z.B. über die Existenz Gottes, die Auferstehung Jesu Christi, die Tatsache des ewigen Lebens, in Ihrem Geist niederlassen. Jeder theologische oder philosophische Zweifel macht Sie zum potentiellen Verräter. Sie können sich Zweifel erlauben, wenn Sie, in einem bequemen Lehnstuhl sitzend, eine Predigt vorbereiten. Wenn Sie gut gegessen haben, können Sie sich jede Art von verwegenen Ideen und Zweifeln erlauben. Wenn Sie gefoltert werden, leiten diese Zweifel in Verrat, weil Sie sich entscheiden müssen, zu leben oder für diesen Glauben zu sterben.
Eines der wichtigsten Dinge in der geistlichen Vorbereitung auf die Untergrundarbeit ist die Lösung der Zweifel. Wenn bei Ihnen in der Mathematik eine Rechnung nicht stimmt, haben Sie sicher irgendwo einen Fehler gemacht, und Sie rechnen weiter, bis Sie ihn finden. Leben Sie nicht mit Zweifeln, sondern suchen Sie ihre Lösung.
5. Folterprüfung
Kommen wir jetzt zur Folter selbst. Folter ist etwas sehr Schmerzhaftes. Es werden dazu rotglühende Eisen verwendet. Manchmal ist es ein gewöhnliches Geschlagenwerden. Als Kinder wurden wir alle gestraft; einfache Prügel sind sehr leicht zu ertragen. Jesus sagte, wir sollen zu Ihm kommen wie Kinder, was ungefähr heißt, wie Kandidaten für die Züchtigung.
Eine Ärztin kam zu mir und sagte: »Was soll ich tun? Ich denke daran, mich aus dem Fenster zu stürzen. Die Polizei ruft mich wieder und wieder und will aus mir einen Informanten über die Untergrundkirche machen und so ihre Geheimnisse verraten. Sie drohen mir mit Schlägen, wenn ich das nicht annehme. Was soll ich tun? Es ist schrecklich zu denken, daß sie mich schlagen werden. Ich kann es nicht ertragen. Ich habe die Alternative, ein Informant zu werden oder mich aus dem Fenster zu werfen.«
Ich sagte: »Sie haben eine andere Lösung. Geben Sie Ihrem Ehemann einen Stock in die Hand, und bitten Sie ihn, Ihnen eine Tracht Prügel zu verabreichen. Sie werden sehen, Sie können es ertragen. Fürchten Sie sich nicht vor Schlägen.«
Die Kommunisten hören jedoch bei den Schlägen nicht auf; sie gebrauchen sehr raffinierte Foltermethoden.
Aber Sie müssen wissen, daß Folter auf zwei Arten wirken kann. Sie kann Sie abhärten und Ihren Entschluß, der Polizei nichts zu sagen, stärken. Es gibt Diebe, die jeder Folter widerstehen und ihre Komplizen nicht verraten. Je mehr sie geschlagen werden, desto hartnäckiger werden sie. Andererseits kann die Folter Ihren Willen brechen.
Ich erzähle Ihnen einen sehr interessanten Fall, der von der tschechischen kommunistischen Presse veröffentlicht wurde. (Unter Dubcek gab es eine Zeit der Entspannung. In dieser Periode konnten in der Tschechoslowakei gewisse Dinge veröffentlicht werden. Zu jener Zeit erschien ein Artikel, den ich nun anführe.)
Nowotny, der Vorgänger Dubceks, ein kommunistischer Diktator, hatte einen seiner engsten Genossen, einen kommunistischen Führer, überzeugten Atheisten und Mitglied des Zentralkomitees der kommunistischen Partei inhaftiert. (Nicht nur Christen, Juden oder Patrioten sind im Gefängnis. Ein Kommunist verhaftet den andern und foltert ihn wie jeden anderen.)
Sie verhafteten diesen kommunistischen Führer und sperrten ihn allein in eine Gefängniszelle. Elektromagnetische Strahlen, die den Verstand verwirren, durchkreuzten diese Zelle. Ein Lautsprecher wiederholte Tag und Nacht: »Ist dein Name Joseph oder nicht?« Sein Name war nicht Joseph. »Denk gut darüber nach. Bist du Joseph oder bist du nicht Joseph? Der größte Verbrecher Amerikas war Dillinger, aber du bist ein größerer Verbrecher als er. Wie ist dein Vorname? Ist er Joseph, oder ist er nicht Joseph? Du bist ein Konterrevolutionär, du bist ein Spion, aber bist du Joseph oder nicht Joseph?«
Sie versuchten, ihn verrückt zu machen ‑ Tag und Nacht. Er fühlte, daß er den Verstand verlieren würde. An einem gewissen Punkt hatte er eine Erleuchtung: »Ich habe jetzt das vollkommene Böse getroffen. Wenn die Kommunisten einen Christen foltern, ist das nicht absolut böse, denn die Kommunisten glauben, daß sie ein irdisches Paradies errichten werden. Die Christen hindern sie daran. Also ist es richtig, sie zu foltern. Aber wenn ein Kommunist einen Kommunisten foltert, ist es Folter um der Folter willen. Dafür gibt es absolut keine Rechtfertigung. Aber warte ein bißchen. Jede Münze hat zwei Seiten; Elektrizität hat zwei Pole. Wenn es eine vollkommene Bosheit gibt, gegen wen kämpft diese vollkommene Bosheit? Es muß ein vollkommenes Gutes geben. Das ist Gott, und gegen Ihn kämpfen sie.«
Als er zum Verhör gerufen wurde, trat er mit einem Lächeln ein und sagte dem Beamten, er könne den Lautsprecher nun ausschalten, weil er sein Ziel erreicht habe. »Ich bin ein Christ geworden.«
Der Beamte fragte ihn: »Wie ist es geschehen?« Er erzählte ihm die ganze Geschichte. Der Beamte sagte: »Warte ein bißchen.« Er rief einige seiner Genossen und sagte: »Bitte wiederhole die Geschichte vor meinen Genossen.« Er wiederholte sie und der Hauptmann sagte zu den anderen Polizeibeamten: »Ich warnte euch, daß diese Methode nicht funktioniert. Ihr habt es übertrieben.«
Der Teufel ist nicht allmächtig und allwissend wie Gott. Er macht Fehler. Kommunistische Folter ist eine Angelegenheit, die sehr gut zu geistlichem Nutzen verwendet werden kann.
6. Der Augenblick der Krise
Die Folter hat einen entscheidenden Moment, und der Folterer wartet auf diesen kritischen Augenblick. Lernen Sie den Zweifel besiegen und gründlich zu denken. Es kommt immer ein Moment der Krise, wo Sie bereit sind, den Namen Ihres Helfershelfers in der Untergrundarbeit zu nennen oder zu sagen, wo die geheime Druckerei ist oder ähnliches. Sie wurden zu sehr gefoltert; nichts zählt mehr.
Wenn nichts mehr zählt, zählt auch die Tatsache, daß ich nicht Schmerzen haben sollte, nicht mehr. Ziehen Sie diese letzte Schlußfolgerung in dem Stadium, das Sie erreicht haben, und Sie werden sehen, daß Sie diesen Moment der Krise überwinden werden. Wenn Sie diesen einen Moment der Krise überwunden haben, gibt er Ihnen eine intensive innere Freude. Sie fühlen, daß Christus in diesem entscheidenden Augenblick mit Ihnen war. Die Kommunisten sind jetzt geübt und raffiniert ‑ sie sind sich bewußt, daß es diesen Moment der Krise gibt. Wenn sie in diesem Moment nichts aus Ihnen herausbringen, lassen sie von der Folter ab; sie wissen, daß ihre Fortsetzung sinnlos ist.
Mir wurde schon als junger Christ gesagt, ich solle jeden Tag eine Seite der Bibel und die Lebensgeschichte eines Heiligen oder Märtyrers lesen, und das sagte ich auch meinem Sohn. Seit seinem dritten oder vierten Lebensjahr las ich ihm dies vor. Ich las das Buch von John Fox über Märtyrer. Lesen Sie es Ihren Kindern vor. Lehren Sie sie, wie Märtyrer den Moment der Krise überwanden.
Im Zusammenhang mit Folter gibt es noch einige weitere Punkte. Es ist sehr wichtig, zu verstehen, was Jesus sagte: »Sorget nicht für den anderen Morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.«
Ich war vierzehn Jahre lang im Gefängnis; Bruder Chrapow 26, Wang‑Min‑Dao 28. Es scheint unmöglich, lange Jahre kommunistischen Gefängnisses zu ertragen. Aber Sie müssen nicht alles auf einmal ertragen. Tragen Sie nicht einmal einen ganzen Tag auf einmal ‑ tragen Sie je eine Stunde. Jedermann kann eine Stunde der Pein ertragen. Einige von uns hatten schreckliches Zahnweh, einen Autounfall ‑ wir gingen vielleicht durch unsägliche Pein. Sie brauchen Schmerzen nicht mehr als diese gegenwärtige Minute zu ertragen. Die Erinnerung daran, daß ich so oft geschlagen und gefoltert wurde und daß sie mich morgen wieder holen werden und auch übermorgen, vergrößert die Qual. Morgen könnte ich nicht mehr am Leben sein ‑ oder die Folterer könnten nicht mehr leben. Morgen kann es einen Umsturz geben. Die Schläge von gestern sind vorbei; die Folter von morgen ist noch nicht gekommen.
Wir müssen Torturologie kennen. Am Anfang ist die Folter ein entsetzlicher Schock und eine schreckliche Pein. Kardinal Mindszenty durfte 29 Tage und Nächte lang nicht schlafen. Danach erklärte er alles, was sie von ihm wissen wollten.
Nach wenigen Tagen und Nächten des Schlafmangels oder nach wenigen Tagen intensiver physischer Folter kommt ein Augenblick, wo für Sie nichts mehr zählt. Sie vergessen Ihre Pflicht gegenüber Ihrer Frau, Ihren Kindern, gegenüber Ihrem eigenen guten Namen und gegenüber Gott. Sie werden allem gegenüber völlig gleichgültig. Dies ist der kritische Moment, wo die Notwendigkeit, richtig zu atmen, zur Realität wird. Üben Sie richtiges Atmen.
Die Kunst des Atmens bedeutet in den Yoga-Übungen der hinduistischen und buddhistischen Religion viel. Lesen Sie nun über die verschiedenen Arten des Atmens in der Bibel.
Jesus »hauchte« die Apostel an. Es wird gesagt, Jesus habe ihnen den Heiligen Geist eingehaucht. Es gibt also eine bestimmte Art des Atmens, die den Heiligen Geist vermittelt. In der orthodoxen Kirche hauchen der Priester und die Paten bei der Taufe das Kind dreimal an. Wenn Jesus hauchte, hauchte er den Heiligen Geist. In der Apostelgeschichte 9 steht geschrieben, daß Saulus »schnaubte mit Drohen und Morden«. Es gibt Mörder, die Verbrechen atmen. Im Buch Jeremia steht von solchen, die »nach ihres nächsten Weib wiehern«. Es ist das Atmen eines Ehebrechers. Es gibt ein Atmen in großer Emotion. Versuchen Sie einmal, während eines Streites mit jemandem ruhig, gleichmäßig und tief zu atmen. Sie werden bemerken, daß Sie nicht streiten können.
Richtiges Atmen ist eines der Mittel, der Folter zu widerstehen.
Verrat bedeutet den Bruch mit der ganzen Kirche. Sie sind ein Christ, dem Gott und so viele Menschen vertrauen. Sie waren mit den Geheimnissen der Untergrundkirche vertraut. Verrat wäre eine mächtige Gefühlsbewegung. Sie können nicht mit jemandem streiten und schreien und dabei gleichmäßig und tief atmen. So können Sie auch nicht durch die tiefe Gefühlserregung des Verrats gehen, wenn Sie so atmen. Atmen Sie während der Folter gleichmäßig, ruhig ‑ sehr tief. Ein Verräter kann es nicht tun. Die Sauerstoffzufuhr gibt Ihrem ganzen Körper Widerstand, der Ihre Reaktionen ausgleicht und Ihnen eine beherrschte Haltung gibt.
Noch etwas anderes muß ein Untergrundarbeiter wissen, nicht nur in seinem Kopf, sondern in seinen Fingerspitzen: daß er zum Leib Christi gehört. Sie gehören zu einem Leib, der seit nahezu 2000 Jahren gemartert wird. Er wurde immer geschlagen, nicht nur auf Golgatha, sondern unter der römischen Herrschaft und durch so viele Verfolgungen. Er wurde unter den Nazis geprügelt und in Rußland seit über sechzig Jahren. Als ich mich bekehrte, wurde ich bewußt ein Teil eines geschlagenen Leibes, eines verhöhnten Leibes, eines Leibes, auf dem herumgehackt wird, der mit einer Dornenkrone gekrönt ist und durch dessen Hände und Füße Nägel getrieben sind. Ich akzeptierte dies als mein mögliches zukünftiges Schicksal. Ich denke nie an Jesus Christus als an den vor 2000 Jahren Gekreuzigten. Jesu Leiden in Seinem mystischen Leib muß mir zur Realität werden.
7. Höchste Liebe
Die Bibel lehrt einige sehr schwer zu fassende Worte: »Wer nicht haßt seinen Vater, Mutter, Kind, Bruder, Schwester, der kann nicht mein Jünger sein.« Diese Worte bedeuten in einem freien Land beinahe nichts.
Sie wissen wahrscheinlich aus der Literatur der Hilfsaktion Märtyrerkirche, daß Tausende von Kindern in der Sowjetunion ihren Eltern weggenommen wurden, weil jene sie über Christus unterrichteten. Sie müssen Christus mehr lieben als Ihre Familie.
Sie stehen vor Gericht, und der Richter sagt Ihnen, daß Sie Ihre Kinder behalten können, wenn Sie Christus verleugnen. Wenn nicht, wird dies das letzte Mal gewesen sein, daß Sie sie sahen. Ihr Herz mag brechen, aber Ihre Antwort sollte sein: »Ich liebe Gott.«
Nadja Sloboda verließ ihr Heim für vier Jahre Gefängnis. Ihre Kinder waren ihr weggenommen worden, aber sie verließ ihr Haus singend. Die Kinder, auf die die Polizei schon mit einem Lastwagen wartete, als sie ging, sagten zu ihrer singenden Mutter: »Mach dir keine Sorgen um uns. Wo immer sie uns hinbringen mögen, wir werden unseren Glauben nicht aufgeben.« Und das taten sie auch nicht.
Als Jesus am Kreuz hing, litt Er nicht nur physisch: Seine Mutter stand leidend vor Ihm. Seine Mutter hatte einen leidenden Sohn. Sie liebten einander, aber Gottes Ehre stand auf dem Spiel und da muß jedes menschliche Gefühl zweitrangig sein. Nur wenn wir ein für allemal diese Haltung einnehmen, können wir auf die Untergrundkirchenarbeit vorbereitet werden.
Nur Christus, der große Leidensträger, der Mann der Sorgen, darf in uns leben.
In kommunistischen Ländern gab es Fälle, wo Folterer ihre Gummiknüppel, mit denen sie Christen schlagen, wegwarfen und fragten: »Was ist das für ein Schein, den du um den Kopf hast? Wie ist es möglich, daß dein Gesicht leuchtet? Ich kann dich nicht mehr schlagen.« Von Stephanus wird in der Bibel gesagt, daß »sein Gesicht leuchtete«. Wir wissen um Fälle, wo kommunistische Folterer zu ihrem Gefangenen sagten: »Schrei laut, schrei so laut, als ob ich dich schlagen würde, damit meine Genossen wissen, daß ich dich foltere. Aber ich kann dich nicht schlagen.«
Es gibt andere Fälle, wo Gefangene wirklich gefoltert werden, manchmal zu Tode. Sie müssen zwischen dem Tod mit Christus und für Christus oder dem Verrätertum wählen. Welchen Wert hat ein Weiterleben, wenn Sie sich vor Ihrem Spiegelbild schämen müssen, weil es das Gesicht eines Verräters ist?
Diese Denkweise ist das erste Erfordernis für den Untergrundarbeiter, besonders für den Untergrundpastor, und noch wichtiger für die Frau eines Untergrundpastors. Sie spielt eine außerordentliche Rolle. Sie muß ihn stärken; sie muß ihm Mut machen, alles zu tun. Wenn sie ihn um Kinobesuche und um gelegentliche Vergnügungen bittet, kann er nicht ein Untergrundkämpfer sein. Sie muß ihn zur Arbeit, zum Kampf und zur Selbstaufopferung drängen.
8. Schweigen lernen
Etwas weiteres, das wir in der Untergrundkirche lernen müssen, ist zu schweigen. Pastoren sind schon allein durch ihren Beruf versucht, geschwätzig zu werden. Sie sind Leute, die sprechen. Es ist aber nicht so, daß ein Pastor dauernd reden soll. Niemand kann gut predigen, ohne gut zuzuhören.
Wenn ich auf meine Seelsorgetätigkeit zurückschaue, finde ich, ich habe mehr Seelen durch Zuhören als durch Sprechen gewonnen. Die Menschen haben so viele Lasten auf ihren Herzen, und da ist niemand, der die Geduld hat, ihnen zuzuhören. Nicht einmal Ihr eigener Ehemann hat Geduld, oder Ihre Frau, Ihre Kinder. Die letzteren sind jung und wollen irgendwohin gehen. Niemand will Ihnen zuhören. Wenn jemand einen Menschen findet, der ihm zuhört, ist er schon gewonnen ‑ ohne viel Gerede.
In der Untergrundkirche ist das Schweigen eine der ersten Regeln. Jedes überflüssige Wort, das Sie sprechen, kann jemanden ins Gefängnis bringen. Einer meiner Freunde, ein großer christlicher Komponist, kam ins Gefängnis, weil die Christen die Gewohnheit hatten zu sagen: »Wie schön hat doch Bruder N. dieses Lied komponiert.« Sie rühmten ihn, und dafür bekam er fünfzehn Jahre Gefängnis. In der Untergrundkirche soll man singen, aber den Namen des Schreibers nicht erwähnen.
Sie können nicht erst lernen zu schweigen, wenn das Land von den Kommunisten überrollt wird. Sie müssen vom Moment Ihrer Bekehrung an schweigen lernen. Ein Christ ist ein Mensch, der wenig, aber mit großem Gewicht spricht. Wenn er ein Wort sagen will, überlegt er, ob es Schaden anrichten kann oder nicht. Jedes überflüssige Wort kann in der Untergrundkirche Schaden anrichten.
Solschenizyn, der Nobelpreisträger, sagte in einem Interview, daß sein größter Verfolger ‑ die Person, die ihn verriet ‑ seine eigene frühere Frau war. Im Buch des Predigers Salomo steht, daß man die Geheimnisse des Herzens nicht einmal der eigenen Frau verraten soll. Das ist Wort Gottes. Gott wußte, daß es eine Untergrundkirche geben würde, und Er wußte, daß Ihre Frau in einem bestimmten Augenblick über Sie zornig werden könnte. Solschenizyns Sekretärin wurde von den Kommunisten unter solchen Druck gesetzt (Solschenizyns Frau hatte sie verraten), daß sie sich schließlich erhängte.
Wenn Solschenizyn geschwiegen hätte, wäre dies nie geschehen.
Eine andere, sehr wichtige Frage: Ich danke Gott für die Jahre, die ich in Einzelhaft verbrachte. Drei Jahre lang war ich zehn Meter unter der Erde. Ich hörte nie ein Wort, ich sprach nie ein Wort. Es gab dort keine Bücher. Die Stimmen von draußen waren verstummt. Die Wächter trugen Schuhe mit Filzsohlen; man konnte nicht hören, wenn sie sich näherten. Dann, mit der Zeit, verstummten auch die inneren Stimmen. Wir wurden drogiert, wir wurden geschlagen. Ich vergaß meine ganze Theologie. Ich vergaß die ganze Bibel. Eines Tages bemerkte ich, daß ich das »Vaterunser« vergessen hatte; ich konnte es nicht nicht mehr beten. Ich wußte, daß es mit »Vater unser…« begann. Ich wußte die Fortsetzung nicht mehr. Ich blieb ruhig darüber und sagte:
»Vater unser, ich habe das Gebet vergessen, aber Du kennst es sicher auswendig. Du hörst es täglich so viele tausend Mal. Soll es doch ein Engel für mich sagen, Und ich werde stille sein.«
Eine Zeitlang war mein Gebet: »Jesus, ich liebe Dich!« Und nach einer kurzen Weile: »Jesus, ich liebe Dich!« Und dann, nach einer kleinen Weile wieder: »Jesus, ich liebe Dich! Jesus, ich liebe Dich!«
Dann wurde es zu schwierig, sogar dies zu sagen, denn wir wurden mit Drogen betäubt, die unseren Verstand zerstören sollten. Wir waren sehr hungrig. Es gab Zeiten, wo wir in einer Woche eine Schnitte Brot bekamen. Es gab Schläge, Folter, Mangel an Licht und andere Dinge. Es war mir nicht möglich, meine Sinne dermaßen zu konzentrieren, daß ich »Jesus, ich liebe Dich« hätte sagen können. Ich gab es auf, weil ich wußte, daß es nötig war. Die höchste Form des Gebets, die ich kenne, ist das ruhige Schlagen eines Herzens, das Ihn liebt. Jesus wußte, daß jeder Herzschlag für Ihn ist.
Als ich aus der Einzelhaft entlassen und mit anderen Gefangenen zusammen war und ich sie reden hörte, fragte ich mich, warum sie sprachen! So viel Gerede ist nutzlos. Menschen werden miteinander bekannt, und sie pflegen zu sagen: »Wie geht es Ihnen?« und der andere antwortet: »Danke, und wie geht es Ihnen?«
Wozu dient das? Dann wird einer sagen: »Ist das Wetter nicht schön?« und der andere denkt nach und sagt: »Ja, sehr schön.« Warum müssen wir darüber reden, ob das Wetter schön ist? Wir nehmen die Worte Jesu nicht ernst, der sagt, daß nicht jedes schlechte, sondern jedes unnütze Wort gerichtet wird. So steht es in der Bibel. In einem kommunistischen Land bedeutet unnützes Gerede Gefängnis und Tod Ihres Bruders. Ein lobendes Wort über Ihren Bruder kann, wenn es nicht notwendig war, eine Katastrophe auslösen. Es kommt Sie zum Beispiel jemand besuchen, und Sie sagen: »Oh, schade, daß du nicht vorher hier warst ‑ Bruder W. ist soeben weggegangen.« Der Besucher könnte ein Informant des Geheimdienstes sein. Nun wird er wissen, daß Bruder W. in der Stadt ist! Halten Sie Ihren Mund. Lernen Sie das jetzt.
9. Zulässige List
Sie können Untergrundarbeit nicht ohne Anwendung von List tun. Ich weiß um einen Fall in Rußland. Die Kommunisten vermuteten, daß die Christen sich irgendwo versammelt hatten, und überwachten die Straße. Sie wußten, daß die Versammlung dort in der Nähe sein mußte. Sie sahen einen jungen Mann auf das fragliche Haus zugehen. Sie stoppten den Jungen und fragten ihn: »Wohin gehst du?« Er sagte mit trauriger Miene: »Mein ältester Bruder ist gestorben, und jetzt trifft sich die ganze Familie zur Verlesung seines Testamentes.« Der Polizeioffizier war so beeindruckt, daß er dem Jungen auf die Schulter klopfte und sagte: »Geh nur.« Der Junge hatte nicht gelogen.
Ein Bruder wurde zur Polizei gebracht und gefragt: »Trefft ihr euch immer noch zu Gebetsversammlungen?« Er antwortete: »Genosse Hauptmann, Gebetsversammlungen sind jetzt verboten.« ‑ »Nun, es ist gut, daß du dich danach richtest. Du kannst gehen.« Er hatte nicht gesagt, er richte sich danach, er hatte auch nicht gesagt, er ginge nicht zu Versammlungen.
Ein Kurier der Hilfsaktion Märtyrerkirche ging in ein kommunistisches Land. An der Grenze wurde er angehalten und gefragt: »Was für Bücher führen Sie mit sich?« Er sagte: »Ich habe die Werke Shakespeares und Jehovas.« Der Polizeibeamte wollte nicht zeigen, daß er unwissend war. Jehova könnte ein anderer großer britischer Dichter sein, und zu sagen, er habe nie von Jehova gehört, konnte beschämend sein. Er sagte: »O.K., O.K., Sie können passieren.« Es gibt zulässige Listen.
Wenn Engel nur in Kindermärchen existieren, brauche ich sie nicht. Engel sind eine Realität. Jeder von uns hat einen Schutzengel. Wo Christen zusammenkommen, sind Engel beisammen, aber auch immer Teufel. Wir müssen uns auf Engel und auf den Heiligen Geist verlassen. Wir sind nicht verpflichtet, einem atheistischen Tyrannen die Wahrheit zu sagen. Wir sind nicht verpflichtet, ihm zu sagen, was wir tun. Es ist ungehörig von ihm, mir Fragen zu stellen, eine Unverschämtheit.
Wenn ich Ihnen einfach die Frage stellen würde: »Wieviel Geld haben Sie auf der Bank?« oder: »Wieviel verdienen Sie im Monat?« wäre das nicht unverschämt? Solche Fragen sollten nicht gestellt werden. . . . So hat auch niemand das Recht, mich über meine religiöse Tätigkeit auszufragen, wenn ich es ihm nicht erzählen will. Das ist eine Einmischung in meine privaten Angelegenheiten. Der atheistische Staat ist nicht berechtigt, solche Fragen zu stellen, und wir brauchen nicht darauf zu antworten.
Im Verhör werden alle möglichen Fragen gestellt. Die Kommunisten sagten mir: »Du bist ein Christ und ein Pastor. Es ist deine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. So sage uns nun, wer die Leiter der Untergrundkirche sind. Wo trefft ihr euch? Wen triffst du? Wer sind die Leiter in den verschiedenen Städten?«
Wenn ich die Wahrheit gesagt hätte, wären unzählige Menschen verhaftet worden, die ihrerseits die Wahrheit geredet hätten, usw. Dem muß widerstanden werden. Wo das Resultat des Widerstandes Schläge und Folter ist, müssen Sie es auf sich nehmen, selbst wenn Sie dafür sterben. . . .
Einmal hielt ein Bettler vor dem Haus eines reichen Mannes an und sagte: »Könnte ich bitte eine Nacht hier schlafen?« Der reiche Mann sagte: »Geh weg von hier, Bettler. Das ist kein Hotel.« Der arme Mann sagte: »Entschuldigen Sie. Ich werde weitergehen. Aber würden Sie mir zuerst bitte eine Frage beantworten? Ich betrachtete dieses Haus. Ich fand es so schön. Wer hat dieses Haus gemacht?« Nun fühlte sich der reiche Mann geschmeichelt und sagte: »Das ist das Haus, das mein Großvater baute.« ‑ »Und wo ist Ihr Großvater jetzt?« ‑ »Er starb vor langer Zeit.« ‑ »Wer lebte nach Ihrem Großvater in dem Haus?« – »Nun, mein Vater.« ‑ »Lebt er noch?« ‑ »Nein, er starb ebenfalls.« ‑ »Und wer lebt jetzt im Haus?« ‑ »Ich.« ‑ »Und werden auch Sie sterben?« ‑ »Ja.« ‑ »Und wer wird nach Ihrem Tod in dem Haus wohnen?« ‑ »Ich hoffe, meine Kinder.« Da sagte der Bettler: »Warum schrien Sie mich an? Sie sagten, dies sei kein Hotel. Es ist ein Hotel. Es wechselt dauernd die Bewohner, genau wie ein Hotelzimmer. Sie packen Ihre Dinge, und jemand anders kommt.«
Ihre Sterblichkeit ist offensichtlich; nehmen Sie sie ganz allgemein als Ihre Lebensanschauung. Wenn Gott will, daß ich heute sterbe, braucht Er dazu keinen kommunistischen Folterer. Der Folterer kann mein Leben auch nicht um einen einzigen Tag verkürzen. Ebensowenig kann das beste Restaurant mit den feinsten Leckerbissen mein Leben im geringsten verlängern. Ich sterbe, wenn Gott mich ruft.
10. Verräterische Streiterei
In der Untergrundkirche ist nicht der geringste Streit erlaubt. Jeder Streit in der Untergrundkirche bedeutet Verhaftungen, Schläge und vielleicht Tod. Die Kommunisten beobachten und hören.
Sie haben ihre Informanten in der Untergrundkirche. Wo immer ein Streit ist, gibt es gegenseitige Anklagen. Der eine sagt zum anderen: »Als du mit Bruder Schmidt zusammen warst, tatest du dies, usw.« Auf diese Weise erwischt die Polizei Schmidt.
Zänkereien bringen immer Namen und Fakten hervor. Deshalb steht in der Bibel: »Zanket nicht auf dem Wege.« In einer rumänischen Stadt gab es einen schlimmen Streit zwischen zwei Gemeinden. Die eine war eine Baptisten‑ und die andere eine Brüdergemeinde. Ihr Streit war erbittert und endete mit der Verhaftung der Leiter beider Gemeinden.
Ich weiß, daß ich den Himmel nur ererben kann, wenn ich heilig bin. Dann wäre es besser, ich finge heute an, ein Heiliger zu sein. Es wird zu spät sein, den heiligen Wandel anzufangen, wenn wir in den Himmel kommen! Wir werden nicht wissen, wie beginnen. Sie müssen ihn jetzt antreten. Wenn es im Falle einer kommunistischen Machtübernahme besser ist, nicht zu streiten ‑ streiten Sie am besten jetzt auch nicht.
Leider gibt es in den Organisationen, die hinter dem Eisernen Vorhang arbeiten, Streitereien. Sie führten schon zu dramatischen Ergebnissen. Sie sollten so weit wie möglich vermieden werden. Sogar ein Famillenstreit kann in einem kommunistischen Land den Tod bedeuten.
Ich war mit einem Mann, der eine Freundin hatte, in der Zelle. Wie es in jungen Jahren geschehen kann, traf er ein anderes Mädchen, das er dem ersten vorzog. Er hatte aber dem ersten Mädchen verschiedene Geheimnisse anvertraut, und das Mädchen informierte die Geheimpolizei darüber. Er wurde zu lebenslanger Gefangenschaft verurteilt. Er wurde im Gefängnis verrückt.
Die Vorbereitung auf die Untergrundarbeit ist grundlegend für die Vorbereitung eines normalen christlichen Arbeiters, sie muß geistlich tief und lebensnah sein. Ich kenne Länder, in denen viele Kirchen durch Streitereien zwischen zwei Pastoren oder zwei Ältesten zerstört werden. Es geschieht überall, aber in einem kommunistischen Land bedeutet es Gefängnis und vielleicht Tod.
11. Der Gehirnwäsche widerstehen
Kommunisten gebrauchen nicht nur physische Folter, sondern auch Gehirnwäsche. Wir müssen wissen, wie man der Gehirnwäsche widersteht.
Gehirnwäsche existiert auch in der freien Welt. Die Presse, das Radio und das Fernsehen üben sie an uns aus. Es gibt keinen Beweggrund, Coca‑Cola zu trinken. Sie trinken es, weil Sie unter dem Einfluß der Gehirnwäsche stehen. Wasser ist sicherlich besser als Coca‑Cola. Aber niemand schlägt vor: »Trink Wasser, trink Wasser.« Wenn für Wasser Reklame gemacht würde, würden wir Wasser trinken.
Die Kommunisten trieben die Technik der Gehirnwäsche auf die Spitze. Die Methoden sind unterschiedlich, aber die Gehirnwäsche in kommunistischen Gefängnissen besteht hauptsächlich darin, daß Sie siebzehn Stunden lang auf einer Bank ohne Lehne sitzen müssen und die Augen nicht schließen dürfen.
Siebzehn Stunden im Tag müssen Sie hören: »Kommunismus ist gut, Kommunismus ist gut, Kommunismus ist gut« usw. »Christentum ist tot, Christentum ist tot, Christentum ist tot« usw. »Gib auf, gib auf« usw.
Nach einer Minute langweilt es Sie, aber Sie müssen es die ganzen siebzehn Stunden lang hören, und das wochen‑, monate‑, sogar jahrelang ohne Unterbrechung. Ich kann Ihnen versichern, es ist nicht leicht. Es ist eine der schlimmsten Foltern, viel schlimmer als physische Folter.
Aber Christus sah alle Dinge voraus, denn für Ihn gibt es keine Zeit. Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart sind bei Ihm ein und dasselbe: Er weiß alles von Anfang an. Die Kommunisten erfanden die Gehirnwäsche zu spät! Christus hatte schon das Gegenteil der Gehirnwäsche erfunden ‑ die Herzenswäsche. Er hat gesagt: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott sehen.«
Stephanus, der erste christliche Märtyrer, hatte Hunderte von Leuten um sich, die Steine in der Hand hielten, mit denen sie ihn töten wollten. Er sagte
»Ich sehe«.
Stephanus‘ Frau dachte wahrscheinlich, er sehe die Gefahr, in der er sich befand, und werde weglaufen. Aber er sagte:
»Ich sehe JESUS zur Rechten Gottes stehen.«
Vielleicht sagte sie (es ist nicht aufgezeichnet): »Siehst du nicht, daß die Leute um dich bereit sind, dich zu steinigen?« ‑ »O ja! Ich sehe einige kleine Ameisen dort unten, die der Erwähnung nicht wert sind. Ich schaue auf JESUS.« Er schaute nicht auf die, die ihn umbringen wollten. Selig sind, die reinen Herzens sind.
Ich ging mehr als zwei Jahre durch Gehirnwäsche. Die Kommunisten würden sagen, mein Gehirn sei noch immer schmutzig. Im selben Rhythmus, in dem sie sagten »Christentum ist tot«, wiederholten ich und andere leise: »Christus war auch tot, Christus war auch tot.« Aber wir wußten, daß Er vom Tode auferstand. Wir erinnerten uns daran, daß wir in der Gemeinschaft der Heiligen lebten.
Während der Gehirnwäsche dachte ich: »Was sagen sie mir, das Christentum sei tot? . . . Wenn die ganze Gemeinde ihren Glauben verloren hat, ist das für mich kein Grund, den meinen zu verlieren.«
Wir müssen eine Sicherheit des Glaubens erreichen. Ich sagte Ihnen bereits, daß das Wort »zweifeln« im Hebräischen nicht existiert.
Darf ich Sie auf ein anderes Wort hinweisen, das im Hebräischen nicht existiert? Ich werde sehr oft von Führern des Weltkirchenrates angeklagt. Sie schrieben gegen mich: »Wurmbrand malt die Situation hinter dem Eisernen Vorhang schwarz-weiß. Das ist nicht so. Es gibt auch das Grau.« Ich antworte, daß ich das nur annehme, wenn sie mir im Neuen Testament das Wort »grau« zeigen. Im Neuen Testament kommen viele Farben vor – »grau«, eine Mischung, kommt nicht vor. Eine Sache ist wahr oder unwahr; sie ist richtig oder falsch. Sie ist weiß oder schwarz. Sie müssen mit der Welt gehen, oder Sie müssen mit Christus gehen.
Ebenso existiert im Alten Testament das Wort »zweifeln« nicht. Wir müssen in diesen Glaubensproblemen ebenso sicher sein wie in der Additions‑ oder Multiplikationstabelle. Zwei und zwei sind vier. Das ist wahr. Ob meine Familie lebt oder ermordet wurde, ob ich genug habe oder ob ich Mangel leide, ob ich frei bin oder im Gefängnis, ob ich geschlagen oder geliebkost werde ‑ die Wahrheit der Mathematik ändert sich nicht. Zwei und zwei Zärtlichkeiten sind vier Zärtlichkeiten, und zwei und zwei Schläge sind vier Schläge.
Die Sicherheit der Wahrheit und einer Liebe, wie sie Maria Magdalena hatte, befähigt einen, der Gehirnwäsche zu widerstehen.
Ich wünsche nicht, als Held dazustehen. Ich bin ein Mann, und wie jeder Mann habe ich meine Stärken und meine Schwächen. Wir leben als eine Gemeinde, damit wir einander in Augenblicken der Schwachheit ermutigen können. Unter entsetzlichem Druck flüsterte ich in einem gewissen Augenblick einem Bruder ins Ohr: »Ich denke, ich habe meinen Glauben verloren. Ich bin kein Gläubiger mehr.«
Er fragte mich mit einem Lächeln, das ihn nie verließ: »Aber glaubtest du jemals?« Ich sagte: »Ja, bestimmt.« Er sagte: »Dann erinnere dich an einen Vers der Bibel. Als die Jungfrau Maria zu Elisabeth kam, sagte Elisabeth zu ihr:
‚Selig bist du, die du geglaubt hast.‘ Das Zeitwort steht in der Vergangenheit. Wenn du in der Vergangenheit geglaubt hast, bist du selig. Lebe von dieser Seligkeit.«
Ich kann Ihnen nicht sagen, was mir diese Worte unter den damaligen Umständen bedeuteten. Ich weiß nicht, wie gesund die Theologie ist, aber wir lebten zu jener Zeit nicht von Theologie. Wir lebten von früheren Erinnerungen. Deshalb lehrt uns die Bibel, den HErrn zu segnen und Seine vorigen Segnungen nicht zu vergessen. Erinnern Sie sich an vergangene Segnungen, auch wenn Sie durch eine dunkle Seelennacht gehen.
12. Das Überwinden der Einsamkeit
Eines der größten Probleme eines Untergrundkämpfers ist zu wissen, wie er seine Einsamkeit ausfüllen soll. Wir hatten keine Bücher, kein Stückchen Papier und keinen Bleistift. Wir hörten nie ein Geräusch, und es gab absolut nichts, das unsere Aufmerksamkeit hätte auf sich ziehen können. Wir schauten die Wände an, das war alles. Normalerweise wird man unter solchen Umständen verrückt. Ich kann Ihnen sagen, wie ich es vermied, verrückt zu werden; aber dies hilft nur, wenn Sie sich zuvor durch ein Leben der geistlichen Übungen vorbereitet haben.
Wie lange können Sie ohne die Bibel allein sein? Wie lange können Sie die Einsamkeit ohne Radio oder Plattenspieler ertragen, usw.?
Ich und viele andere Gefangene machten es so: Wir schliefen nie während der Nacht. Wir schliefen am Tag. Die ganze Nacht über blieben wir wach. Sie wissen, daß ein Psalm sagt: » … Lobet den Herren, . . . die ihr stehet des Nachts im Hause des Herrn.« Ein Gebet während der Nacht ist soviel wert wie zehn Gebete während des Tages.
Alle großen Sünden und Verbrechen werden in der Nacht begangen. Große Raubüberfälle, Trunkenheit, Zecherei, Ehebruch ‑ dieses ganze Leben der Sünde ist eher ein Nachtleben. Am Tag muß jedermann arbeiten, in einer Fabrik, einer Schule oder sonstwo. Die dämonischen Kräfte sind Kräfte der Nacht, und deshalb ist es so wichtig, ihnen während der Nacht entgegenzustehen. Nächtliche Andachten sind sehr wichtig.
In der freien Welt sind nächtliche Andachten weitgehend unbekannt. In meinem Land hatten wir schon vor der kommunistischen Machtübernahme nächtliche Andachten. Als mein Sohn Mihal drei oder vier Jahre alt war, wußte er bereits um nächtliche Andachten. Wir verbrachten die ganze Nacht im Gebet.
In der Einzelhaft erwachten wir, wenn die anderen Gefangenen zu Bett gingen. Wir begannen mit einem Gebet, in dem wir durch die ganze Welt reisten. Es brauchte eine gute Stunde oder zwei, bis wir zurück waren. Wir beteten für Piloten und für Seeleute und für Gefangene. Die Bibel spricht von einer der großen Freuden, die wir sogar in einer kommunistischen Zelle haben können: »Freuet euch mit den Fröhlichen.«
Ich freute mich, daß es irgendwo Familien gab, die mit ihren Kindern zusammen waren, zusammen die Bibel lasen, die sich Scherze erzählten und miteinander glücklich waren. Dort ist ein junger Mann, der ein junges Mädchen liebt und sich mit ihr verabredet; ich kann über sie glücklich sein. Dort wird eine Gebetsversammlung abgehalten, und dort ist jemand, der studiert, der sich am guten Essen freut usw. Wir konnten uns mit den Fröhlichen freuen.
Nachdem ich durch die ganze Welt gereist war, las ich aus meinem Gedächtnis die Bibel. Für einen Untergrundarbeiter ist es sehr wichtig, die Bibel auswendig zu lernen.
Einmal, als ich auf den wenigen Brettern, die mein Bett waren, lag, las ich im Gedächtnis die Bergpredigt nach Lukas. Ich kam an die Stelle, wo es heißt: » … so euch die Menschen hassen… um des Menschensohnes willen, freuet euch alsdann und hüpfet.« Sie werden sich erinnern, daß es so geschrieben steht. Ich sagte: »Wie könnte ich eine solche Unterlassungssünde begehen? Christus sagte, wir sollten zwei verschiedene Dinge tun: Erstens, uns freuen. Das habe ich getan. Zweitens, ,vor Freude hüpfen‘. Das habe ich nicht getan.« So hüpfte ich. Ich stand von meinem Bett auf und begann herumzuspringen. Die Gefängnistür hat ein Guckloch, durch das der Wärter in die Zelle blicken kann. Er schaute eben herein, als ich herumhüpfte. Er glaubte, ich sei verrückt geworden. Sie hatten Befehl, verrückte Gefangene sehr gut zu behandeln, damit ihr Geschrei und ihre Schläge gegen die Tür die Gefängnisordnung nicht störten. Der Wärter trat sofort ein, beruhigte mich und sagte: »Du wirst entlassen werden; du kannst sehen, alles wird in Ordnung sein. Bleib nur schön still. Ich werde dir etwas bringen.« Er brachte mir einen großen Laib Brot. Unsere Portion war eine Scheibe Brot in der Woche, und jetzt hatte ich einen ganzen Laib ‑ und Käse. Er war weiß. Essen Sie nie einfach Käse, bewundern Sie zuerst seine weiße Farbe. Er ist schön anzusehen. Der Wärter brachte mir auch Zucker. Er sprach wiederum ein paar nette Worte, schloß die Tür ab und ging.
Ich sagte: »Ich werde diese Dinge essen, wenn ich mein Kapitel von Lukas beendet habe.« Ich legte mich wieder hin und versuchte mich zu erinnern, wo ich verblieben war. Ja, beim Vers ‚Selig seid ihr, so euch die Menschen hassen… um des Menschensohnes willen. Freuet euch alsdann und hüpfet, denn siehe, euer Lohn ist groß«. Ich betrachtete den Brotlaib und den Käse. Wirklich, der Lohn war groß.
Als nächstes vertieften wir uns in die Bibel. Jede Nacht stellte ich eine Predigt zusammen, die ich mit »Liebe Brüder und Schwestern« begann, und mit »Amen« beendete. Nachdem ich sie zusammengestellt hatte, sprach ich sie. Danach setzte ich sie in sehr kurze Reime um, damit ich mich daran erinnern konnte. Mein Buch »STÄRKER ALS KERKERMAUERN« enthält einige dieser Predigten. Ich prägte mir 350 solche Predigten ein. Als ich aus dem Gefängnis kam, schrieb ich einige davon auf. Fünfzig wurden veröffentlicht. Engel haben Flügel, und sie tragen die Gedanken zu einem anderen Menschen. Die Predigten wurden in vielen Sprachen veröffentlicht und werden verwendet. So füllten wir unsere Zeit aus. Ich schuf Bücher und Gedichte. Ich dachte über meine Frau und meine Kinder nach. Jede Nacht erzählte ich mir Witze, aber immer neue, die ich vorher nicht gekannt hatte; alle waren optimistisch.
Einer der Witze z. B. war: Eine Frau sagt zu ihrem Mann: »Peter, was soll ich tun? Ich setzte mich auf meine falschen Zähne und ich zerbrach sie.« Der Ehemann sagt: »Sei froh, stell dir vor, wie es gewesen wäre, wenn du dich auf deine natürlichen Zähne gesetzt hättest.« So sah ich die gute Seite der Dinge.
Aus Brot machte ich Schachfiguren. Mit Kalk von der Wand übertünchte ich einige weiß; die anderen waren grau. Ich spielte mit mir selber Schach. Ich verlor in drei Jahren kein Spiel; ich gewann immer, ob mit den weißen oder den grauen Figuren!
Sorgen Sie dafür, daß ihr Sinn niemals betrübt sein wird, weil die Kommunisten Sie dann ganz in ihren Händen haben. Sie müssen fortlaufend Übungen machen und Sie müssen denken. Jedermann muß je nach seinen Fähigkeiten, etwas tun.
13. Wahre Identität
Die Untergrundkirche ist nichts Neues. Nachdem ich in der Untergrundkirche gearbeitet hatte, las ich das Neue Testament mit anderen Augen. Ich las in der Apostelgeschichte Beispiele, wo Apostel und Jünger andere Namen trugen als früher, und es gibt viele ähnliche Beispiele durch das ganze Neue Testament (Offenbarung 2,17 ist ein Beispiel dafür).
Weitere Beispiele:
BARNABAS: »Joseph aber, von den Aposteln genannt mit dem Zunamen Barnabas, …« (Apg. 4,36)
JUSTUS‑ »und Jesus, der da heißt Justus.« (Kol. 4,11)
SIMON: »und Simon, genannt Niger« (Apg. 13, )
JOSEPH: »Und sie stellten zwei auf: Joseph, genannt Barsabas, mit dem Zunamen Justus« (Apg. 1,23)
Warum sollten Jakobus und Johannes »Söhne des Donners« und Simon »Petrus« genannt werden? Ich hatte nie eine Erklärung dafür gehabt. Wir finden sehr viele abgeänderte Namen im Neuen Testament. Und das ist genau, was in der Untergrundkirche geschieht. Untergrundarbeiter haben viele Namen. Sie arbeiten unter Decknamen.
Ich glaube an die wörtliche Inspiration der Bibel, nicht nur an die mündliche. Warum enthält sie dann scheinbar »überflüssige« Worte? Im Lukasevangelium steht: »Er war an einem Ort und betete.« Niemand sieht einen Sinn in diesen Worten. Man kann nicht anderswo beten, als »an einem Ort«. Irgendwo muß man sein, wenn man betet. Warum also diese Worte ‑ »an einem Ort«? Es steht geschrieben: »Er kam in eine Stadt«. Dieser Satz sagt nicht viel aus. Aber dies ist genau die Sprache der Untergrundkirche. Wenn ein Prediger von einer Reise zurückkam, sagte er: »Ich war in einer bestimmten Stadt, an einem bestimmten Ort, wo ich einen bestimmten Bruder traf. Wir beschlossen, uns zu einer bestimmten Stunde in einem bestimmten Haus zu treffen.« Er gab keinen Namen der Stadt und keine Adresse.
Jesus wollte mit Seinen Jüngern das Abendbrot nehmen (Luk. 22, 7‑13). Es wäre normal gewesen, wenn Er gesagt hätte: »Geht zu dieser und dieser Straße, zum Haus Nummer soundso und fragt nach Herrn XYZ, und bereitet dort ein Essen«. Statt dessen sagte Er: »Wenn ihr hineinkommt in die Stadt, wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Wasserkrug; folget ihm nach in das Haus, da er hineingeht.« (Zu jener Zeit war es selten, daß ein Mann einen Wasserkrug trug, da die Frauen zum Brunnen gingen.) Genauso taten auch wir es; wenn wir eine Gebetsversammlung hatten, gaben wir keine Adresse an, weil wir nicht wußten, wer der Informant war. Wir sagten: »Steh an der Ecke ‚jener‘ Straße, oder setz dich dort in einen Park, und du wirst einen Mann mit blauer Krawatte (oder einem anderen Merkmal) vorbeigehen sehen. Folge ihm.« Wenn einer den anderen fragt: »Wie heißt du?«, dann wissen wir, daß er ein Informant der Geheimpolizei ist.
Die Untergrundkirche bestand bereits zur Zeit der Niederschrift des Neuen Testaments.
Wir kennen Kritiker, die sagen, daß unsere Art von Arbeit vor Gott ungesetzlich sei, weil eine Gemeinde nicht im Untergrund arbeiten solle. Wir müßten der Obrigkeit gehorchen. Der Weltkirchenrat klagt uns an, aber er gibt den Guerillas Geld, die der Obrigkeit nicht gehorchen.
In der Bibel steht geschrieben, daß derjenige eine Autorität ist, der das Böse bestraft und das Gute belohnt.
Eine Obrigkeit, die das Wort Gottes verbietet, stellt sich selbst außerhalb jeder menschlichen Sphäre; kein Bibelvers läßt sich darauf anwenden. Jede Obrigkeit hat ihre Ungerechtigkeiten und Missbräuche, weil keine Regierung aus Heiligen besteht. Sie besteht aus Sündern. Jede Obrigkeit tut richtige und falsche Dinge. Hauptsache ist, daß sie eine Puppe nicht daran hindern sollte, sich zu einem Schmetterling zu entwickeln. Sie sollte eine Knospe nicht daran hindern, eine Blume zu werden; sie sollte einen Sünder nicht daran hindern, ein Heiliger zu werden. Solange Obrigkeiten mir dies erlauben, erwarte ich nicht, daß sie Heilige sein sollen, die vom Himmel gefallen sind. Ich stoße mich nicht daran, daß sie manchmal falsche Gesetze erlassen, die sie nach zwei oder drei Jahren ändern können. Ich werde sie als Autoritäten anerkennen. Aber wenn sie mir den Sinn meines Lebens wegnehmen, der meine Vorbereitung auf ein schöneres Dasein im Himmel ist, bin ich diesen Obrigkeiten nicht mehr verpflichtet.
Unsere Mission führt ihre Untergrundarbeit weiter, um dieser UNTERGRUNDKIRCHE in kommunistischen und islamischen Ländern zu helfen. Ich gab Ihnen nur einen kleinen Einblick in die Probleme dieser UNTERGRUNDKIRCHE, so daß Sie doch wenigstens eine Vorstellung haben, wie sie aussieht. Gott segne Sie.
Richard Wurmbrand – Im Jahre 1980
Die Hervorhebungen im Text wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, den 8. November 2007. Neu eingestellt im Mai 2020
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1. Atheismus-ein Weg?
2. Karl Marx und Satan (auch in Englisch)
3. Warum bin ich Revolutionär?
4. Christus wird siegen – Biographie
5. Gefoltert für Christus
6. Prophezeiungen über Israel
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