Corrie ten Boom

Bereit für die kommende Trübsal


Ein Brief von Corrie ten Boom, 1974

Vorbemerkung

Im Jahre 1974 schrieb Corrie ten Boom (1892-1983) einen bemerkenswerten Brief über Christenverfolgung. Dabei geht sie auch auf die so genannte Vorentrückungslehre ein, die seit etwa 150 Jahren unter ansonsten bibeltreuen Christen immer weitere Verbreitung findet, und verurteilt sie als höchst gefährlich – weil sie schläfrig und unvorbereitet macht (wichtige Kernaussagen wurden fett hervorgehoben, siehe unten).

Der Theologie-Dozent Peter Uhlmann hat den Brief erfreulicherweise ins Deutsche übersetzt. Corrie ten Boom hatte gewisse Frömmigkeitsstile von den Pfingstlern übernommen, was am Ende des Briefes leicht zum Ausdruck kommt. Wenn man ihre Aussagen über die Geistestaufe und das Erfülltsein mit dem Heiligen Geist aber biblisch versteht und nicht im pfingstlerischen Sinne als zweite, höhere Erfahrung, sind sie durchaus richtig und wichtig.

In seiner Vorbemerkung schreibt Peter Uhlmann:
Angesichts der weltweit zunehmenden Christenverfolgungen, die ein noch nie dagewesenes Ausmaß angenommen haben, hat der folgende Brief von Corrie ten Boom eine ungeahnte Aktualität bekommen. Seit den ersten Jahrhunderten wurden Hunderttausende von Christen brutal verfolgt und unzählige wurden wegen ihres Glaubens getötet. Wenn wir in eine große Bedrängnis kommen werden, sollten wir auf jeden Fall bereit sein, für Christus Verfolgung auf uns zu nehmen und auch im Tod unserem Erlöser treu zu bleiben.

Jesus sagte: „Sei treu bis in den Tod, und ich werde dir die Krone des Lebens geben (Offb 2,10).

Christen, die an die Vorentrückungslehre glauben, die John N. Darby um 1833 von Edward Irving und seiner apostolisch-katholischen Kirche übernommen hatte, möchte ich in besonderem Maß bitten, diesen Brief aufmerksam zu lesen. Selbst wenn Sie bei ihrer Meinung verharren, sollten Sie sich bewusst sein, dass Millionen von erweckten Christen diese Lehre von Darby nicht für richtig halten. Es kann sein, dass die Bedrängnis, die viele Christen heute im Nahen Osten, im Norden Nigerias, in China, Nordindien, Nordkorea und zahlreichen weiteren Ländern erleben, auch vor den Toren Mitteleuropas nicht Halt macht.

Jesus betete: „Ich bitte nicht, dass du sie (seine Nachfolger) aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“ (Joh 17,15). Jesus hatte allen wahren Nachfolgern Verfolgung vorausgesagt; folglich kann es auch uns treffen. Seit dem 1. Jh. bis ins unsere Zeit wurde die Erde in Europa mit dem Blut der Märtyrer getränkt. Glücklich zu preisen sind diejenigen, die mit dem Schlimmsten rechnen, damit sie vorbereitet sind, wenn es eintreffen sollte.

Der Brief:

„Die Welt ist todkrank. Sie liegt im Sterben. Der große Arzt hat bereits den Totenschein ausgestellt. Doch es gibt für die Christen noch ein großes Werk zu tun. Sie sollen Ströme von lebendigem Wasser sein, Kanäle der Barmherzigkeit für diejenigen, die noch in der Welt sind. Sie können dies tun, weil sie Überwinder sind. Christen sind Botschafter für Christus. Sie sind Vertreter vom Himmel her für diese sterbende Welt. Durch unsere Präsenz auf dieser Welt werden sich die Verhältnisse verändern.

Meine Schwester Betsy und ich waren im NS-Konzentrationslager Ravensbrück, weil wir das Verbrechen begangen hatten, Juden zu lieben. Siebenhundert von uns aus Holland, Frankreich, Russland, Polen und Belgien wurden in einem Raum zusammengepfercht, der für zweihundert gebaut war. Soweit ich weiß, waren Betsy und ich die einzigen beiden Vertreter des Himmels in diesem Raum.
Wir waren vielleicht die einzigen Vertreter des Herrn an diesem Ort des Hasses, aber wegen unserer Präsenz änderten sich dort die Dinge. Jesus sagte: „In der Welt habt ihr Bedrängnis, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden” (Joh 16,33). Auch wir sollen Überwinder sein, die das Licht Jesu in eine Welt bringen, die von Finsternis und Hass erfüllt ist.

Manchmal wird mir bange, wenn ich die Bibel lese und in der Welt sehe, wie all die Bedrängnis und die Verfolgungen wahr werden, wie es von der Bibel vorausgesagt wurde. Aber ich kann Ihnen sagen, wenn auch Sie Angst haben, dass ich gerade die letzten Seiten [der Bibel] gelesen habe. Ich kann jetzt laut rufen: „Halleluja! Halleluja!“, denn ich habe gefunden, wo geschrieben steht, dass Jesus sagte: „Wer überwindet, wird alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein“ (Offb 21,7).

Das ist die Zukunft und Hoffnung für diese Welt. Nicht, dass die Welt überleben wird, sondern dass wir inmitten einer sterbenden Welt Überwinder sein werden.
Im Konzentrationslager beteten Betsy und ich, dass Gott Betsy heilen würde, die so schwach und krank war. „Ja, der Herr wird mich heilen”, sagte Betsy voller Zuversicht. Sie starb am nächsten Tag und ich konnte das nicht verstehen. Sie legten ihren dünnen Körper auf den Betonboden, zusammen mit all den anderen Leichen der Frauen, die an diesem Tag gestorben waren.

Es war schwer für mich zu akzeptieren, dass Gott eine Absicht für all das hatte, was geschehen war. Doch aufgrund von Betsys Tod bin ich heute auf der ganzen Welt unterwegs, um den Menschen von Jesus zu erzählen.

Es gibt einige unter uns, die lehren, es gäbe keine Trübsal und die Christen wären in der Lage, all dem zu entkommen. Das sind die falschen Lehrer, vor denen Jesus uns warnte, dass sie in den letzten Tagen auftreten werden. Die meisten von ihnen wissen nur wenig von dem, was sich bereits auf der ganzen Welt ereignet. Ich war in Ländern, in denen die Heiligen schon furchtbare Verfolgungen erleiden.

In China wurde den Christen gesagt: „Seid nicht besorgt. Bevor die Trübsal kommt, werdet ihr verwandelt und entrückt.” Dann kam eine schreckliche Verfolgung. Millionen von Christen wurden zu Tode gefoltert. Später hörte ich einen Bischof aus China traurig sagen: „Wir haben versagt. Wir hätten die Menschen für die Verfolgung stark machen sollen, anstatt ihnen zu sagen, Jesus würde vorher kommen. Sagen Sie den Menschen, wie man in Zeiten der Verfolgung stark bleibt, wie man widersteht, wenn die Bedrängnis kommt, wie man besteht und nicht gefügig gemacht wird.”

Ich glaube, ich habe einen göttlichen Auftrag hinzugehen, um den Menschen dieser Welt zu sagen, dass es möglich ist, in dem Herrn Jesus Christus stark zu sein. Wir sind im Training für die Trübsal, aber mehr als sechzig Prozent des Leibes Christi auf der ganzen Welt ist bereits in die Trübsal eingetreten. Es gibt keinen Weg, ihr zu entfliehen. Wir sind die nächsten.

Seitdem ich um Jesu willen inhaftiert war und seit ich den Bischof in China getroffen habe, denke ich jetzt jedes Mal, wenn ich einen guten Bibeltext lese: „Hey, das kann ich für die Trübsalszeit Bedrängnis gebrauchen.“ Dann schreibe ich den Text nieder und lerne ihn auswendig.

Als ich im Konzentrationslager war, in einem Lager, in dem nur zwanzig Prozent der Frauen überlebten, haben wir versucht, uns gegenseitig mit den Worten zu ermutigen: „Nichts kann schlimmer sein als heute.” Aber der nächste Tag war noch schlimmer.
Während dieser Zeit hat mir ein Bibelvers, den ich auswendig kannte, große Hoffnung und Freude gegeben:
„Wenn ihr wegen des Namens Christi beschimpft werdet, seid ihr glücklich zu preisen; denn der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes, ruht auf euch. Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der sich in fremde Angelegenheiten einmischt. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen.” (1Petrus 4,14-16)

Ich hörte mich selbst sagten: „Halleluja! Weil ich leide, wird Jesus verherrlicht!”

In Amerika singen die Kirchen: „Lasst die Gemeinde der Bedrängnis entkommen“ („Let thy congregation escape tribulation“), aber in China und Afrika ist die Trübsal bereits angekommen. Im letzten Jahr allein erlitten mehr als zweihunderttausend Christen in Afrika den Märtyrertod. Nun ja, von solchen Ereignissen liest man nichts in den Zeitungen, weil sie zu schlechten politischen Beziehungen führen. Aber ich weiß davon. Ich bin dort gewesen. Wir müssen uns bewusst sein: Während wir in unseren schönen Häusern mit unseren schönen Kleidern sitzen und Steak zu Abend essen, werden viele, viele Glieder des Leibes Christi in diesem Augenblick zu Tode gefoltert. Und doch leben wir so weiter, als ob wir alle der Bedrängnis entkommen würden.

Vor einigen Jahren war ich in Afrika in einem Land, in welchem eine neue Regierung an die Macht gekommen war. Die erste Nacht in der ich da war, wurde einigen Christen befohlen, auf die Polizeiwache zu kommen, um sich dort registrieren zu lassen. Als sie ankamen, wurden sie verhaftet und in der gleichen Nacht hingerichtet. Am nächsten Tag geschah dasselbe mit anderen Christen. Den dritten Tag passierte das gleiche. Alle Christen im Bezirk wurden systematisch ermordet.

Am vierten Tag sollte ich in einer kleinen Kirche sprechen. Die Leute kamen, aber sie waren mit Angst und Spannung erfüllt. Während des Gottesdienstes sahen sie sich ständig mit fragenden Augen an: „Wird mein Sitznachbar der Nächste sein, der getötet wird? Werde ich der Nächste sein?”
Das Zimmer war heiß, stickig und voll von Insekten, die durch die offenen Fenster kamen und um die unverdeckten Glühbirnen über den kahlen Holzbänken herumschwirrten. Ich erzählte ihnen eine Geschichte aus meiner Kindheit:
„Als kleines Mädchen ging ich zu meinem Vater und sagte: ›Papa, ich fürchte, dass ich nie stark genug sein werde, um als Märtyrer für Jesus Christus zu sterben.‹ – ›Sag mir‹, sagte der Vater, ›Wenn du mit dem Zug nach Amsterdam fährst, wann gebe ich dir das Geld für die Fahrkarte? Drei Wochen vorher?‹ – ›Nein, Papa, du gibst mir das Geld für die Fahrkarte, kurz bevor wir in den Zug steigen.‹ – ›Das ist richtig,‹ sagte mein Vater, ›und so ist es mit der Kraft Gottes. Unser Vater im Himmel weiß, wann du die Kraft brauchst, um als Märtyrer für Jesus Christus zu sterben. Er wird dir alles zur rechten Zeit zur Verfügung stellen, was du brauchst.‹“

Meine afrikanischen Freunde nickten und lächelten. Plötzlich senkte sich ein Geist der Freude über diese Kirche und die Menschen begannen zu singen: „In dem Lieblichen, nach und nach werden wir uns an diesem schönen Ufer wieder begegnen.”
Im Verlauf dieser Woche wurde die Hälfte der Menschen dieser Gemeinde hingerichtet. Später erfuhr ich, dass die andere Hälfte vor einigen Monaten getötet wurde.

Aber ich muss Ihnen etwas sagen. Ich war so glücklich, dass mich der Herr gebraucht hat, um diese Menschen zu ermutigen, denn im Unterschied zu vielen ihrer Leiter hatte ich das Wort Gottes. Ich las und entdeckte in der Bibel, dass Jesus sagte, er habe nicht nur die Welt überwunden, sondern allen, die ihm bis zum Ende treu bleiben, werde er die Krone des Lebens geben (vgl. Offb 2,10)

Wie können wir uns auf die Verfolgung vorbereiten?

Erstens müssen wir uns vom Wort Gottes ernähren, es verdauen und es zu einem Teil unseres Wesens machen. Das bedeutet diszipliniertes Bibelstudium jeden Tag, wo wir nicht nur Passagen der Schrift auswendig lernen, sondern ihre Prinzipien in unserem Leben umsetzen.

Außerdem müssen wir eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus entwickeln. Nicht nur den Jesus von gestern, den Jesus der Geschichte, sondern den lebensverändernden Jesus von heute, der lebt und zur Rechten Gottes sitzt.
Wir müssen mit dem Heiligen Geist erfüllt sein. Dieser Befehl der Bibel ist keine Option, sondern absolut notwendig. Die irdisch gesinnten Jünger hätten nie der Verfolgung der Juden und Römer standhalten können, wenn sie nicht auf Pfingsten gewartet hätten. Jeder von uns braucht ein persönliches Pfingsten, die Taufe des Heiligen Geistes. Wir werden niemals ohne sie in der Bedrängnis bestehen können.

In der kommenden Verfolgung müssen wir bereit sein, einander zu helfen und uns gegenseitig zu ermutigen. Wir dürfen nicht damit warten, bis die Trübsal beginnt. Die Frucht des Geistes sollte die bestimmende Kraft des Lebens jedes Christen sein.

Viele haben vor der kommenden Trübsal Angst. Sie wollen fliehen. Ich habe auch ein bisschen Angst, wenn ich daran denke, dass nach all den achtzig Jahren, einschließlich der schrecklichen Zeit im Konzentrationslager, ich auch noch durch die Trübsal gehen müsste. Aber dann las ich die Bibel und ich wurde froh.

Wenn ich schwach bin, dann werde ich stark sein, sagt die Bibel. Betsy und ich waren Gefangene für den Herrn, wir waren so schwach, aber wir bekamen Kraft, weil der Heilige Geist auf uns war. Diese mächtige innere Stärkung des Heiligen Geistes half uns durch. Nein, du wirst nicht stark in dir selbst sein, wenn die Bedrängnis kommt. Vielmehr wirst du stark sein in der Kraft dessen, der dich nicht verlässt. Ich kenne den Herrn Jesus nun sechsundsiebzig Jahre und nicht ein einziges Mal hat er mich verlassen oder mich enttäuscht.

„Obwohl er (Gott) mich schlägt, hoffe ich auf ihn” (Hiob 13,15). Ich weiß, dass Er allen, die überwinden, die Krone des Lebens geben wird. Halleluja!
Corrie ten Boom – 1974

Übersetzung von Peter Uhlmann, Schweiz
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