Bibel-Buch d. Heilsgeschichte (E.Sauer)

Erich Sauer


DIE BIBEL – DAS BUCH DER HEILSGESCHICHTE

 


Gott ‑ der Herr der Geschichte

Als der Überzeitliche durchschaut Gott alle Zeit. Als der Schöpfer des Geschichtsverlaufs und als Weltregent von Himmel und Erde durchwaltet er den ganzen Werdegang. Als der Herr der Geschichte kann er darum auch als einziger die Deu­tung der Geschichte geben.

Dies tut er durch seine Offenbarung in Wort und Geschichte. Bei aller Selbstverhüllung Gottes im Ablauf der Entwicklung bezeugt er sich durch den Mund seiner Propheten, durch sein Walten in Gericht und Gnade im Einzel‑ und Völkerleben, durch die Verknüpfung der Ereignisse nach dem Gesetz von Saat und Ernte.

Urkunde hiervon ist die Bibel. Darum ist die Bibel »das Buch der Menschheit«, der Schlüssel zum Weltgeschehen. Von der Stellung zu ihr hängt somit alles Verständnis des menschheitlichen Gesamtwerdegangs ab.
Dieses sein Buch hat Gott wunderbar geordnet.

«Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist« (2. Petr. 1,21).

«Alle Schrift ist von Gott eingegeben« (2. Tim. 3, 16).

«Heilige sie in deiner Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit« (Joh. 17, 17).

»Wort Gottes« und »Buch Gottes«
»Wort Gottes« und »Buch Gottes« sind ‑ was den Begriffs­umfang betrifft ‑ nicht ohne weiteres dasselbe. Vielmehr ragt der Ausdruck »Wort Gottes« über den Ausdruck »Buch Got­tes« hinaus. Er schließt ihn dabei aber zugleich in sich ein. Vom »Wort« Gottes haben wir in dreifachem Sinn zu reden.

1. Christus ist das personhafte »Wort«, der »Logos«, der von Ewigkeit her anfangslos und wesensgleich als Gott in Gott und bei Gott ist und der dann, bei und seit Erschaffung der Welt, das »Wort« ist, das Gott spricht, der Offenbarer des We­sens, der Gedanken und Taten Gottes, der Mittler der Welt­schöpfung, der Welterhaltung, der Welterlösung und der Herr des Weltgerichts.

2. Von Ihm zeugt das verkündete »Wort«, das »Wort Gottes« als allgemeine Botschaft, als Inbegriff der biblischen Heilswahr­heit, als Verkündigung schlechthin, als Gesamtheit alles des­sen, was Gott spricht. In diesem Sinne soll alle mündliche Ver­kündigung der Zeugen Jesu nicht Menschenwort, sondern »Got­teswort« sein (1. Thess. 2, 13) , sowohl das Evangeliumszeug­nis als auch der Dienst am Wort in der Gemeinde (1. Petr. 4, 11) . Dies ist der Sinn fast aller Stellen des Neuen Testaments, in denen der Ausdruck »Wort Gottes« gebraucht wird.

3. Aus diesem verkündeten Wort ist dann, unter der Leitung und im Namen des personhaften Wortes, durch die Inspiration des Heiligen Geistes das schriftliche »Wort Gottes«, das Buch Gottes, die Bibel, hervorgegangen. Aber obwohl dies ‑ seinem Begriffsumfang nach ‑ also einen engeren Kreis umschließt, hat es doch, seit dem Aufhören der unmittelbaren, prophetisch-­apostolischen Offenbarung geradezu einzigartige, denkbar al­lerhöchste Bedeutung. Von nun an ist alle mündliche »Gotteswort«‑Verkündigung schlechthin Ausschöpfung, Auslegung und Anwendung des schriftlichen Gotteswortes, und das schriftliche ist richtung‑ und maßgebend (normativ und korrektiv) für jede rechte Verkündigung des mündlichen Gotteswortes. Darum ist das urkundliche, biblische Schriftwort vollgültige, gottgegebene, unausweichliche Autorität.

Sieben Hauptgründe veranlassen uns zu dieser Glaubens­haltung. Hierbei können wir ‑ im beschränkten Raum unserer Darlegungen ‑ nur das Grundsätzliche nennen. Einzelheiten würden den Rahmen unserer Arbeit sprengen. Nicht Darstellung einer Lehre von der biblischen Inspiration, nicht wissen­schaftliche Einzelbegründung oder Glaubensverteidigung ist hier unser Ziel, sondern persönliches Glaubenszeugnis.

1. Wir glauben an eine notwendige, volle Inspiration um der absoluten Unzulänglichkeit des gefallenen Menschen willen.

Denn wie sollten wir sonst überhaupt in der Lage sein, eine gottgegebene Schau zu gewinnen? Wenn die Bibel eine Mischung von Wahrheit und Irrtum wäre, würden wir selbst ja erst die Entscheidung zu treffen haben, was in ihr als von Gott gekommen anzuerkennen sei und was wir, als von Menschen irrtümlich beigemischt, zu verneinen hätten. Wie aber will Menschengeist unterscheiden können, was göttlich und was menschlich ist, wenn er nicht einen ihm von Gott selbst gegebenen, eindeutigen Maßstab hat? Wie könnte unser Geist sich erküh­nen, Gottes Buch zu analysieren oder gar zu sezieren und ‑ meist nach stark subjektiven »Eindrücken« und Empfindungen oder auf Grund unzulänglicher Geschichtskenntnisse ‑ dar­über zu Gericht zu sitzen, welches Bibelwort Glaube und wel­ches Nichtglaube verdient? Wir, die Gefallenen! Wir, die nicht nur sittlich, sondern auch geistig und erkenntnismäßig durch die Sünde in Verfinsterung und Nebel hineingestoßen sind!
»In ihrem Denken verfinstert, dem Leben Gottes entfremdet in­folge der Unwissenheit, die in ihnen . . . wohnt« (Eph. 4, 18) .
»Ein natürlicher Mensch nimmt nicht an, was vom Geiste Got­tes kommt; . . . er ist nicht imstande, es zu verstehen« (1. Kor. 2, 14).

Die notwendige Folge eines solchen Zustandes ist, daß nun alle göttlichen Dinge durch Offenbarung von oben her kund­getan werden müssen, daß eine objektive Erkenntnisgrundlage vom Himmel her gegeben werden muß.

Darum liegt hier auch zugleich der entscheidende Ausgangs­punkt für die Lehre von der biblischen Inspiration. Das, was der gefallene Mensch über Gott denkt, ist unzuverlässig und meist irrig, ist »Religion«.
Was er erkennen muß, ist, was der Höchste über ihn denkt und was er über sich selbst und seinen Heilsweg bezeugt.
Diese objektive Heilswirklichkeit ist, ihrem Wesen nach, nicht ein Buch, sondern eine Person. Es ist der gekreuzigte, auf­erstandene und zur Rechten Gottes erhöhte Christus, mit dem uns der Heilige Geist organisch verbindet. Christus ist die le­bendige »Wahrheit«, das personhafte »Licht«, der Quell aller Erkenntnis und als Lichtspender zugleich auch der Retter, der aus der Finsternis befreit und uns zu Lichteskindern macht.

Von ihm zeugte die erste Generation. Augen‑ und Ohren­zeugen der heiligen Geschichte Jesu (2.Petr.1,16), Geistoffenbarungen in den Versammlungen der ersten Christen (Apg.11,27), genaue Berichterstat­tung der heilsgeschichtlichen Ereignisse durch gläubige Men­schen, die dabei gewesen waren oder ihre Kenntnisse aus aller­erster Quelle erhalten hatten: Durch dies alles hatte die erste Generation ‑ obwohl sie, was das heilige Buch betrifft, nur erst das Alte Testament, nicht aber schon das Neue Testament in seiner jetzigen Vollständigkeit besaß ‑ dennoch eine klare Kenntnis dieser objektiven Heils‑ und Erkenntnisgrundlage.

Dann aber traten, mit der Abberufung der ersten Generation, diese direkten Botschaften und Bezeugungen immer mehr zurück. Darum mußte ‑ gleichsam als Fortsetzung dieses aposto­lischen Zeugnisses, den kommenden Geschlechtern die Substanz dieser objektiven, voll zuverlässigen, geschichts‑ und lehrmäßi­gen Erkenntnisgrundlage erhalten bleiben. Nur so konnten die kommenden Generationen vor allmählichen Verdunkelungen bewahrt und im Erkennen, Glauben und Leben klar, frisch und gesund erhalten werden.

Darum fügte Gott zu dem schon vorhandenen Alten Testa­ment ‑ und zwar schon in der apostolischen Zeit selbst ‑ das Neue Testament hinzu. Fortan ist diese ganze Heilige Schrift die uns von oben gegebene, voll zuverlässige, prophetisch‑apo­stolische Botschaft von der Heilswirklichkeit Gottes in Christus Jesus.

Ausschlaggebend für die kanonische Gültigkeit einer solchen, zum Alten Testament neu hinzutretenden Schrift war nicht letztlich die unmittelbare oder mittelbare apostolische Verfas­serschrift. Denn es hat apostolische Briefe gegeben, die wir heute nicht mehr besitzen, die also im Neuen Testament keine Aufnahme gefunden haben (1. Kor. 5, 9; 2. Kor. 2, 4; Kol. 4, 16).
Vielmehr war die Tatsache entscheidend, daß solche Schrif­ten von den Aposteln und ihren Bevollmächtigten und engeren Mitarbeitern den urchristlichen Gemeinden mit apostolischer Autorität als glaubensverbindlich übergeben worden waren. Wie Paulus schreibt:
»Wenn jemand unserm Wort durch den Brief nicht gehorcht, den bezeichnet und habt keinen Umgang mit ihm« (2. Thess. 2, 14) .
Wie die alttestamentlichen, sind nun auch die neutestamentlichen Schriften ein Gnadengeschenk des Herrn an seine Gemeinde, und als solches erleuchtend und verpflichtend, beschenkend und heilig fordernd, bestimmend und bindend.

So ist die Bibel das Buch der Wahrheit, lebenbezeugend und lebenvermittelnd, vom Heiligen Geist geschenkt und vom Heiligen Geist begleitet.
Ohne sie wäre die Gemeinde Jesu hoff­nungslos allmählicher Verwirrung und Verflachung anheim­gegeben. Statt Licht und Glauben käme religiöses Zwielicht, statt Nüchternheit Schwarmgeist, statt Klarheit nebelhafte Verhüllung, und immer mehr würde die Stimme des Unterbewusstseins, das dann noch dazu oft missverstandene »innere Licht«, mit Gottes Zuspruch verwechselt werden, und die objektive Gottesbezeugung würde sich im Lauf der Jahrhunderte allmäh­lich subjektiv verflüchtigen.

Nein, genauso wie wir in bezug auf unser sittliches Vermö­gen die Gnade benötigen, so brauchen wir im Hinblick auf un­ser Erkenntnisvermögen ‑ besonders seit dem Verstummen der unmittelbaren, prophetisch‑apostolischen Gottesbezeugung ‑ eine absolut zuverlässige Offenbarungsurkunde, eine volle, biblische Inspiration!

Ohne den Glauben an eine volle Inspiration öffnen wir der Willkür des Subjektivismus Tür und Tor. Der Rationalismus steigt auf den Thron, und letzten Endes steht unser unvollkom­mener, durch den Sündenfall verdunkelter Menschenverstand als der Richter über Gottes Buch und Gottes Wort da. Das aber sei ferne!
Der auf der Anklagebank sitzende Sünder kann nim­mermehr die Fähigkeit und das Recht haben, selber auf dem Richterstuhl Platz zu nehmen, um zu entscheiden, was Gott ge­sagt haben könnte und was nicht. Dies bezieht sich auf den Gesamtorganismus der göttlichen Offenbarung und Heilsur­kunde bis hinein in ihre kleinsten Bestandteile.

Dies alles gilt zunächst und in erster Linie im Hinblick auf die Heilslehre der Schrift. Da aber die Offenbarung zugleich Heilsgeschichte ist, kann ihr lehrhafter Inhalt von dem ge­schichtlichen Element einfach nicht losgelöst werden. Manche Lehren der Schrift hängen schlechthin davon ab, ob der biblische Geschichtsbericht überhaupt richtig ist, daß Jesus z. B. diesen oder jenen Ausspruch getan hat, also diese oder jene Lehre überhaupt verkündigt hat. Mit einer Unsicherheit geschicht­licher Berichte würde sich zugleich auch eine Unsicherheit ge­wisser Heilslehren verbinden.
Zweifellos ist die Bibel kein Lehrbuch der Geschichte ‑ wie sie ebensowenig ein Lehrbuch der Naturwissenschaft ist ‑; aber bei der unzerreißbaren Verkettung von Lehre und Ge­schichtsbericht muß ebenso stark betont werden, daß auch die biblischen Geschichtsmitteilungen zuverlässig sein müssen.

2. Wir glauben an eine folgerichtige, volle Inspiration um der inneren Beziehung zwischen Wort und Gedanke willen.

In jeder klaren Aussage gehört zum unmissverständlichen Aus­druck des Gedankens eine sorgfältige Wahl der entsprechenden Worte. Wohl sind die Worte der menschlichen Sprache zu­nächst nur lautliche Symbole und Zeichen für gemeinte Gedan­ken; denn der Mensch denkt nicht in Worten, sondern in Vor­stellungen. Dies widerlegt aber nicht die Tatsache, daß alles Geistige, wenn es zu klarer Entfaltung gelangen soll, sich im Wort offenbart. Ein Gedanke wird erst dann recht eigentlich zum oberbewußten Gedanken, wenn aus dem Unterbewußt­sein des Empfindens und dem unbestimmten Eindruck des Wol­lens und Fühlens das Wort herausgeboren wird. Wie eben erst durch die Geburt das keimende Leben zum Menschen oder Tier wird, so wird auch erst durch das Wort die geistige Mög­lichkeit und die geistige Urempfindung zur klar geistigen Voll-­Wirklichkeit. Das Wort ist gleichsam der »Leib« des Gedan­kens, die Sichtbarkeit und Form des Geistes. Wankt darum das Wort, so wankt auch der Sinn, und alles wird in Nebel verflüchtigt. Die Parole »Geist ohne Wort« ist darum ein »Wort ohne Geist« !

Das aber bedeutet im Hinblick auf die biblische Inspiration: Sind die Gedanken inspiriert, dann müssen es auch die Worte sein. Ohne Inspiration der biblischen Worte wären auch die biblischen Gedanken ohne feste Gestalt. Eine gewisse Abände­rung (Variierung) der Worte schließt in einer großen Anzahl von Fällen auch eine mehr oder weniger starke Abwandlung der Gedanken oder Gefühlswerte in sich ein.
Unklar und unbefriedigend ist darum der Satz, die biblische Inspiration sei wohl eine Inspiration des Wortes, nicht aber auch der Wörter gewesen, das heißt, eine Inspiration der Heilsbotschaft allgemein, nicht aber zugleich auch all ihrer sprachlichen Einzelausdrucksformen, geschichtlichen und son­stigen Einzelangaben.

Tatsache ist, daß gerade die Feinheiten und Nuancen der biblischen Ausdrucksformen ‑ also gerade der »Wörter« ‑ oft ganz besondere Schönheiten des biblischen »Wortes« ausmachen. Mit Recht sagt Johann Albrecht Bengel:
»Den Propheten wurden alle Worte genau vorgeschrieben, die sie reden und schreiben sollten … Gott hat ihnen mit den Ideen zugleich auch die Worte gegeben«.
 »Wir kämpfen«, er­klärt Spurgeon, der König unter den Predigern, »um jedes Wort der Bibel . . . Wenn uns die Wörter genommen werde so geht uns damit der klare Sinn ganz von selbst verloren«.  – »Die Bibel ist der Himmel in Worten« (Monod).

Unzureichend wäre auch die Überzeugung von einer bloß Personal ‑ Inspiration. Es geht um die heiligen Texte selbst. Denn Paulus erklärt ausdrücklich ‑ und er spricht in dieser seiner Feststellung nicht von den Schreibern der heiligen Schriften, sondern von den heiligen Schriften selbst ‑, daß sie inspiriert und gotteingegeben seien. Er sagt nicht: »Jeder Prophet ist von Gott inspiriert«, sondern: »Alle Schrift ist von Gott eingegeben« (2. Tim. 3, 16).

Daß auch die Schreiber bei der Abfassung ihrer Schriften unter der Leitung und Inspiration des Heiligen Geistes gestand haben, ist damit nicht verneint, ja ist geradezu Voraussetzung hierfür. Wie Petrus bezeugt: 
»Noch nie ist eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist« (2. Petr. 1, 21).
Die Tatsache, daß die neutestamentlichen Schreiber bei Anführungen aus dem Alten Testament den hebräischen Text nicht immer wörtlich wiedergeben, ist durchaus nicht als Ungenauigkeit oder gar als Widerlegung des Inspirationscharakters der Heiligen Schrift zu bewerten. Denn der eigentliche und einheitliche Verfasser der ganzen Bibel ist der Heilige Geist. Ein Verfasser hat aber das Recht, seine eigenen Äußerungen auch in freier Weise zu wiederholen, ohne sich genau an einen bestimmten Wortlaut binden zu müssen. Auch hat er ein Recht eine Aussage zu machen, die sich zwar eng an den Inhalt einer seiner früheren Aussprüche anschließt, aber ‑ der besonderen neuen Lage angepaßt ‑ leichte Variationen enthält. Christus und der Heilige Geist aber haben die Worte, die sie aus dem Alten Testament anführten, ihrem eigenen Buche entnommen.

Man mißverstehe uns nicht. Wir reden nicht einer starr mechanischen Diktatinspiration das Wort! Eine solche wäre der göttlichen Offenbarung durchaus unwürdig. Eine mechanische Inspiration (»automatisches Diktat«) gibt es auf dem Boden des Okkulten, Spiritistischen, also Dämonischen. Dort wirkt der böse, inspirierende Geist unter Beiseitesetzung (»Substitution«) und Ausschaltung der menschlichen Individualität.
Die göttliche Offenbarung aber hat mit solcher Herabsetzung des menschlichen Eigen‑Ichs nichts zu tun. Sie will nicht Aufhebung der sonstigen Gesetze des menschlichen Bewußtseins, nicht Ver­wandlung von Menschen in Automaten, nicht Ausschaltung, sondern eher Steigerung der menschlichen Vorstellungswelt.
Gottes Offenbarung will Gemeinschaft des menschlichen Geistes mit dem göttlichen Geist. Sie will Heiligung, Verklärung und In‑Dienst‑Stellung der Persönlich­keit. Sie will nicht passive »Medien«, sondern aktive »Men­schen« Gottes (2. Petr. 1,21), nicht tote Werkzeuge, sondern lebendig geheiligte Mitarbeiter Gottes, nicht »Sklaven«, son­dern »Freunde« (Joh. 15, 15).

Darum ist ihre Inspiration nicht mechanisch, sondern orga­nisch, nicht magisch, sondern göttlich‑natürlich, nicht totes Dik­tat, sondern lebendiges Geisteswort. Nur so kann Gotteswort Menschenwort und Menschenwort Gotteswort sein. Nur so konnte Gotteswort als Menschenwort ‑ im Gewande der menschlichen (hebräischen, aramäischen und griechischen) Sprache ‑ an uns herantreten. In einer geheimnisvollen, uner­klärbaren Weise ‑ wie sie überhaupt dem Mysterium der Gottmenschheit des gesamten Reiches Gottes entspricht ‑ wer­den in der Heiligen Schrift die Verschiedenheiten der Schreiber nach Charakterveranlagung, Schreibweise, geistiger Arbeit, ja auch die Verschiedenheit ihrer zeitgenössischen Kultur­umgebung und persönlichen Lebensgeschichte von dem inspi­rierenden Gottesgeist überwaltet und dabei voll gewahrt.

Man vergleiche nur den Donner‑ bzw. Kraftstil eines Amos und Jesaja und den Klageton des melancholischen Jeremia!
Wie unterschiedlich sind Gedankenaufbau und Schreibweise eines Paulus oder Johannes!
Was die zeitgenössische Kulturumgebung betrifft, so ist das Alte Testament, besonders die alttestamentlichen Gottesdienst­bestimmungen, geradezu voll von Beziehungen und Parallelen zu den religiösen und kulturellen Verhältnissen des Alten Ori­ents, während das Neue Testament ‑ abgesehen von den Evan­gelien ‑ kulturgeschichtlich betrachtet dann ein durchaus »hel­lenistisches« Buch ist mit Hunderten von Parallelen und Bezug­nahmen auf die Denkart der griechisch ‑ römischen Mittelmeer­welt. Besonders Paulus, der Großstadtmissionar, hat eine aus­gesprochen hellenistische Großstadtbildersprache. Vgl. seine zahlreichen Bilder und Bezugnahmen auf das griechisch‑römi­sche Militär‑, Sport‑, Amphitheater‑ und Rechtsleben.

Die persönliche Lebensgeschichte der Schreiber spiegelt sich wider z. B. in der ländlichen Bildersprache des Hirten Amos (Amos 7, 14; vgl. 2,13; 3, 4‑6), den Völkerprophetien des Mi­nisters Daniel, den Schilderungen des zukünftigen Priesterdien­stes durch den Priester Hesekiel (Hes. 1, 3; vgl. Kap. 40‑48) , der Aufforderung zum Tempelbau ebenfalls durch einen Prie­ster (Sacharia).
Es gibt also in der Tat ganz unverkennbar einen »mensch­lichen Faktor« in der Bibel. Nur muß hierbei dem Glauben be­wußt sein, daß dieser »menschliche« Faktor nicht in einer ori­ginaltextlichen Fehlerhaftigkeit, d. h. in einer Beimischung von persönlichen oder zeitgenössischen, geschichtlichen oder natur­wissenschaftlichen Irrtümern in den heiligen Text, besteht, son­dern eben in diesem Verwobensein des Göttlichen mit der ir­dischen Geschichte.

Daß die heiligen Schreiber dabei selber nicht fehlerfrei wa­ren und als Kinder ihrer Zeit auch an zahlreichen, namentlich naturwissenschaftlichen Irrtümern ihrer Zeitgenossen teilnah­men, ist selbstverständlich. Die Heilige Schrift lehrt ja auch nirgends eine absolut sittliche Vollkommenheit oder wissen­schaftliche Irrtumslosigkeit ihrer Schreiber als Personen (vgl. z. B. Petrus in Gal. 2, 11 ff.). Das Entscheidende ist, daß die persönlichen Irrtümer der Werkzeuge der Inspiration nicht in den heiligen Text selbst eingedrungen sind.
Mit Recht ist gesagt worden, daß sich die Heilige Schrift in astronomischer, geologischer und überhaupt in naturwissen­schaftlicher Hinsicht volkstümlicher Ausdrucksweise bedient (wie dies ja übrigens unsere modernen Gelehrten im Alltags­verkehr auch heute noch meist ebenso tun).

Aber genauso ist zu sagen, daß die Inspiration des Geistes die biblischen Schrei­ber davor bewahrt hat, etwas für wirklich geschichtlich oder naturwissenschaftlich richtig zu erklären, was tatsächlich falsch ist. »Mose war in aller Weisheit Ägyptens unterrichtet.
 Was be­wahrte ihn davor, daß er in die fünf Bücher Mose nicht die alt­ägyptische Chronologie aufnahm, welche später Manetho schriftlich festlegte und die 30.000 Jahre vor Christi Geburt be­gann?
 Was veranlaßte den Daniel, der in chaldäischer Wissen­schaft bewandert war, den ungeheuerlichen chaldäischen Fabeln von der Entstehung der Welt sein Ohr zu verschließen?


Paulus kannte die beste Wissenschaft seiner Zeit. Warum fin­den wir in seinen Reden und Briefen nichts, was an Augustins zornige Verwerfung der Lehre von den Antipoden oder an die Meinung des Ambrosius erinnert, daß die Sonne Wasser an sich zieht, damit sie sich bei ihrer außerordentlichen Hitze kühle und erfrische?«
Das ist eben das Geheimnis der biblischen Inspiration, daß sie ihre menschlichen Werkzeuge durchaus aktiv sein läßt, dabei aber dennoch jeden Gedanken und jedes Wort überwacht und bewahrt, so daß das Ergebnis im Originaltext ein irrtumsfreies, vom Geist voll durchdrungenes, absolut zuverlässiges Gotteswort ist.
»Der Gott«, sagt Dr. Saphir, »ohne den kein Sperling vom Dach fällt und dessen Weisheit auch das kleinste seiner Werke verkündigt, vermochte sicherlich auch über dem Schriftausdruck zu wachen, und die Wunder seines Wortes mikroskopisch zu untersuchen, ist weniger Zeichen eines kleinlichen als vielmehr eines denkenden Geistes.«

In diesem allen müssen wir klar unterscheiden zwischen Offenbarung, Erleuchtung und Inspiration.

»Offenbarung« ist die Enthüllung göttlicher Geheimnisse, zu deren Verständnis die »Erleuchtung« führt. »Geoffenbart« brauchte den heiligen Schreibern nicht zu werden, was sie selbst mit Augen und Ohren miterlebt hatten oder was sie durch Erkundigung in Erfahrung bringen konnten (Luk. 1, 1‑3) . Hier benutzt später der Geist Gottes ihr Wissen und reinigt es von allem Irrtum.

»Biblische Inspiration« ist dann hinterher (!) diejenige Tätigkeit des Heiligen Geistes, durch die er den aktiven (!) menschlichen Geist des biblischen Schreibers geheimnisvoll erfüllt, lenkt und überwaltet, so daß eine untrügliche, geistdurchwirkte Niederschrift entsteht, eine heilige Urkunde, ein Buch Gottes, mit dem sich der Geist Gottes auch weiterhin organisch verbindet.
Selbstverständlich beziehen sich diese Darlegungen auf die biblischen Originaltexte. Die Zahl der voneinander abweichenden Lesarten in der späteren Textüberlieferung ist zwar nicht gering. Dennoch braucht niemand zu erschrecken.
Besonders die Genauigkeit der jüdischen »Massoreten« (Abschreiber, von hebr. massora = Überlieferung) beweist, daß das heilige Buch der Juden das am allersorgfältigsten überlieferte Schrifttum des ganzen Altertums ist. So stellten jene Abschreiber zur Wahrung des richtigen (Konsonanten‑) Textes unter anderem folgende Regeln auf: Man zählte genau, wie oft ein und dasselbe Wort im ganzen Alten Testament oder in Teilen desselben vorkommt. Man notierte, wie ähnlich lautende Stellen voneinander abweichen. Man zählte, wie oft ein und dasselbe Wort in Versanfang, Versmitte und Versende vorkommt. Man stellte den mittelsten Buchstaben der Thora (des Gesetzes) fest, ja, man gab am Ende des Alten Testaments geradezu an, wie oft jeder Buchstabe im ganzen vorkomme.
Die hohe Qualität des von den jüdischen Abschreibern überlieferten (»massoretischen«) Textes hat auch neuerdings der Vergleich mit der 1947 in einer Höhle am Toten Meer gefundenen Jesaja‑Handschrift bestätigt. Diese stammt aus dem zweiten oder ersten vorchristlichen Jahrhundert. Sie ist also ungefähr 1000 Jahre älter als die ältesten, uns bisher bekannten alttestamentlichen Manuskripte. Letztere stammen aus der Zeit um 900 und 1000 nach Christi Geburt. Die Arbeit der Massoreten selbst geschah seit ungefähr 600 nach Chr., besonders von Tiberias aus. Hierbei waren sie Erben älterer Texte.
Dr. Hort erklärt in seiner auf dem Gebiet der neutestamentlichen Textforschung epochemachenden »Einleitung zum griechischen Neuen Testament«:
»Was man in irgendeinem Sinn wirklich inhaltliche Lesart‑Verschiedenheit nennen könnte, ist ein so kleiner Bruchteil, daß er kaum mehr als ein Tausendstel des Gesamttextes ausmacht.«
In diesem Sinne spricht Bischof Dr. Westcott, Horts Mitarbeiter, von dem «Bewußtsein der Ruhe und des Vertrauens, das mit zunehmender Erkenntnis immer fester wird«, eben in dem Maße, wie ihre Forscherarbeit »immer tiefer und tiefer grub, um die Schätze zu gewinnen, die in den Worten, Rede‑ und Schriftteilen und Sätzen verborgen sind.«
So sagt auch Sir Frederic G. Kenyon, eine der höchsten Autoritäten auf dem Gebiet der neutestamentlichen Textforschung:
»Sowohl die Glaubwürdigkeit als auch die Echtheit der Bücher des neuen Testaments können als erwiesen angesehen werden… Der Christ kann die ganze Bibel in die Hand nehmen und ohne Furcht und Zögern erklären, daß er damit das wahre Wort Gottes in Händen hat, so wie es uns ohne wesenhaften Verlust von Generation zu Generation durch die Jahrhunderte hindurch übergeben worden ist.«

Trotzdem ist wahr: Gott hat ein gewisses Eindringen von Abschreibefehlern in den heiligen Text nun einmal doch zugelassen. Dies beweist die Geschichte der alt‑ und neutestamentlichen Textgestalt unwiderleglich. Wir weisen nur auf den kleinen, textkritischen Apparat in den Fußnoten der Elberfelder Bibel hin, wie ebenfalls auf die Einleitung in die 7. und 8. Ausgabe dieser selben Übersetzung. Ebenso verweisen wir auf den Nachtrag zum Alten Testament in der Miniatur‑Bibel, wo desgleichen eine Anzahl verschiedenartiger Lesarten mitgeteilt wird. Vor allem natürlich ist hier der textkritische Apparat des griechischen Nestle‑Testaments zu nennen, wie überhaupt die entsprechenden Hinweise aller wissenschaftlichen Kommentare und Textausgaben des Neuen Testaments in der Ursprache. Aus diesem allen heraus ist ein weitverbreiteter Einwand gegen den Glauben an die volle Inspiration gefolgert worden.
Man hat gesagt: Ist demnach die ganze Frage nach einer vollen Inspiration nicht von vornherein eine mehr oder weniger unfruchtbare, eine mehr historische, nicht aber eigentlich praktische, mehr eine Frage der Vergangenheit als der Gegenwart?
Die biblischen Originaltexte liegen heute doch nun einmal nicht mehr vor! Auch wird niemand, dessen Urteil hier in irgendeiner Weise ernst zu nehmen ist, zu behaupten wagen, die von ihm benutzte Übersetzung, so sorgfältig und ausgezeichnet sie auch sein mag ‑ ganz gleich in welcher Sprache ‑, sei bis in alle Texteinzelheiten hinein fehlerfrei, absolut vollkommen und restlos klar. Ja, nicht einmal von den allerbesten, uns heute noch vorliegenden hebräischen und griechischen, also ursprachlichen Texten kann dies ohne Einschränkung ausgesagt werden. Nur offensichtliche Unkenntnis der textgeschichtlichen Tatbestände könnte etwas anderes behaupten.



Liegt darum nicht, so fragt man, in Anbetracht alles dessen, eigentlich gar kein Unterschied vor, ob wir nun an eine volle Inspiration der Originaltexte glauben oder nicht, vorausgesetzt nur, daß wir überhaupt die Heilige Schrift grundsätzlich als Gotteswort anerkennen, auch wenn sie, unter Umständen, schon von vornherein verbunden gewesen wäre mit mancher menschlichen Unvollkommenheit und »Knechtsgestalt«? Den eigentlichen Originaltext hat heute ja schließlich doch keiner!

Unsere Antwort lautet: Wir unterschätzen durchaus nicht das Gewicht dieses Einwandes. Ein mathematischer Gegenbeweis ist nicht möglich, aber auch gar nicht erforderlich. Wir befinden uns eben ‑ wie in unserer Beziehung zum »lebendigen« Wort »Christus«, so auch hier in unserer Beziehung zum geschriebenen Wort der Bibel ‑ durchaus auf persönlichem Glaubensboden. Dennoch stehen diesem Einwand ganz bestimmte, klare Glaubenspostulate gegenüber. Wir verweisen nur auf die sieben Hauptgesichtspunkte dieser unserer Darlegungen über den Inspirationscharakter der Bibel als des Buches der Heilsgeschichte.
Wir müssen aber trotzdem mit Nachdruck hervorheben: Der Unterschied ist gewaltig!

Es ist doch etwas durchaus anderes, wenn jemand erklärt: Gott hat uns in der Entstehung der Heiligen Schrift eine ursprünglich fehlerfreie, voll inspirierte Heilsurkunde gegeben, die nun ‑ in Verbindung mit Christus, dem lebendigen Wort, und dem beständigen Wirken des Heiligen Geistes ‑ für unser Glaubensleben Felsenfundament ist, und der wir durch sorgfältigste Textforschung, wissenschaftliche, geistgemäße Übersetzungsarbeit und christusgebundene Schriftauslegung so nahe wie nur möglich zu kommen bestrebt sein sollen.
Oder ob jemand erklärt: Ein solches, voll inspiriertes Gottesbuch hat Gott niemals gegeben, und darum kann auch gewissenhafteste Textforschung und geisterfüllte, denkbar beste Übersetzung und Auslegung niemals zu einer solchen letzten, restlos verbindlichen, fundamentalen Gottesurkunde durchstoßen, und zwar einfach deshalb nicht, weil ein solches Gottesbuch als Felsenfundament in dieser Form niemals existiert hat.

Der Unterschied ist also von höchster Bedeutung, und zwar gerade auch in bezug auf unsere heutige Stellung zur Bibel! Darum wird gerade der, welcher an die volle Inspiration der Originaldokumente glaubt, die wissenschaftliche Arbeit an der Textgeschichte und der Textforschung doppelt bejahen. Ja, je mehr wir die biblische Sachkritik verneinen, desto mehr werden wir die biblische Textkritik (Textforschung) bejahen. Wir möchten doch eben, gerade aus einer solchen Glaubenshaltung heraus, möglichst genau wissen, was Gott in Seinem vollkommenen, geschriebenen Wort nun einmal gesagt hat.

3. Wir glauben an eine gotteswürdige, volle Inspiration um der Genauigkeit der göttlichen Naturoffenbarung willen, die auch das Winzigste in der Schöpfung sorgfältig ordnet.

Die Natur ist von ihren größten Vertretern in der Sternenwelt an bis hin zu den winzigsten Tierchen und Pflänzlein, ja bis zu den Molekülen, Atomen und Elektronen des Stoffs unfaßbar genau nach gewaltigen, feinen und allerfeinsten Gesetzen aufgebaut.
Sollte da der Höchste, wenn er schon die niedere Form seiner Selbstbekundung, die Naturoffenbarung, so wunderbar geordnet hat, etwa weniger Sorgfalt auf seine unendlich viel höhere und edlere Offenbarung, sein Zeugnis im geschriebenen Wort, verwandt haben?

Jeder Schmetterlingsflügel mit seinen hunderttausend Häutchen, jedes Fliegenauge mit seinen 6000 bis 7000 Linsen, jeder Spinnfaden mit seinen 300 Einzelfäden können uns dafür ein Zeugnis sein. Und die 306 Panzerplatten eines Käfers, die 8000 Paar Muskeln einer Seidenraupe, die 700 Schwingungen des Flügelschlages einer Schnake je Sekunde, die Samen sämtlicher 300 000  Pilzarten, die so winzig sind, daß sie alle ‑ von jeder Art einer ‑ in weniger als einem einzigen Fingerhut Platz hätten: Sind sie nicht alle ein geradezu unwiderleglicher Beweis dafür, nicht nur daß es Gottes nicht etwa unwürdig ist, sondern im Gegenteil, wie es gerade seine Größe offenbart, wenn er, der Allergrößte, auch das Allerkleinste durchwaltet?

Oder wir denken an den Wunderbau des Bienenkörpers. 31 000 Sinneshärchen sitzen an den Fühlern der Drohnen. Ganz genau sechseckig sind die 5000 Facetten (Linsen), aus denen jedes einzelne Bienenauge zusammengesetzt ist, und mit ihrem Flügelschlag von 440 Schwingungen erreichen sie eine Stundengeschwindigkeit von 65 Kilometern, eine Geschwindigkeit also, die fast der Durchschnittsgeschwindigkeit eines modernen Zuges entspricht!
Ganz zu schweigen von der Wunderkraft jenes Zehntausendstel Gramms Materie, das wir Ameisengehirn nennen, oder von den völlig unbegreifbaren Atomplanetensystemen in den Grundbestandteilen der Materie und all den anderen Millionen und aber Millionen von Wundern in der Mikrowelt des Allerkleinsten…
Wenn nach den Worten Jesu selbst die Haare auf unserem Haupte gezählt sind (Matth. 10, 30) , wird Gott etwa da die Einzelbestandteile seines Wortes weniger beachten, durch das er doch Millionen unsterblicher Menschenseelen zur Errettung führen will und zur Seligkeit und Herrlichkeit in allen Äonen der Ewigkeit?
Und welch ein Wunderbau ist doch in der Tat sein Wort und sein Buch!


4. Wir glauben an eine harmonische, volle Inspiration um des Zusammenklangs aller Einzelbestandteile des biblischen Gesamtzeugnisses willen.

In drei verschiedenen Sprachen ist das Gottesbuch geschrieben (Hebräisch, Aramäisch, Griechisch). Das Neue Testament ist von neun, das Alte von mindestens dreißig verschiedenen Schreibern verfaßt. Verschieden waren die Bildungsgrade, Klassen, Lebensalter und Berufsstände dieser Männer ‑ Propheten, Könige, Hofbeamte, Minister, Hirten, Zöllner, Priester, Fischer, Theologen, Richter.

Verschieden waren die Plätze und Ursprungsländer ‑ in Babylon und Ephesus; im Geräusch des Häusermeeres des heidnischen Doppelhafens Korinth (Römer-Brief), in der stillen Sternennacht unter freiem Himmel im Heiligen Lande (Ps. 8) ; in Rom, der Zentrale des Weltreiches, in Jerusalem, dem Mittelpunkt des auserwählten Gottesvolkes; in den wilden, zackigen Bergeinöden, die Davids Zufluchtsstätte waren, wie in den kunstgeschmückten Städten der Griechen, in denen Paulus predigte; in der fruchtleeren, sandtrockenen Wüste des Sinai, wie in dem Land, das von Milch und Honig fließt.
Und obwohl es schließlich von Moses Zeiten an bis zu Johannes, dem Seher von Patmos, über anderthalb Jahrtau­sende gewesen sind, in deren Verlauf Gott an der Fertigstellung dieses edelsten aller Bücher arbeiten ließ, obwohl also eine Mannigfaltigkeit die andere geradezu drängt, so ist dennoch eine Harmonie, die selbst unter dem kritischsten Seziermesser des Unglaubens sich immer wieder neu zu behaupten weiß.

Als Gegenbeweis hat man auf die vermeintlichen, zahlrei­chen »Widersprüche« in der Bibel hingewiesen, besonders in den Evangelienberichten, z. B. bei den Wundern Jesu und in der Auferstehungsgeschichte. Aber wie oft ist doch schon in ge­radezu überraschendster Form nachgewiesen worden, daß sol­che »Widersprüche« sich bei genauer Kenntnis der Zeitlage, der Einzelumstände und auch der sprachlichen Ausdrucksweise des biblischen Berichterstatters ohne Künsteleien harmonisch auflösen!
Darum hat der Glaube durchaus fest erprobten, viel­fach unter Beweis gestellten, sicheren Grund zu froher Zuver­sichtlichkeit, daß auch da, wo wir heute vielleicht noch nicht restlos die volle Erklärung haben, sie dennoch schon jetzt ir­gendwie besteht: Entweder hat ein anderer sie anderswo schon heute, oder aber sie wird in kürzerer oder längerer Zeit von an­deren oder möglicherweise auch von uns selbst noch gefunden werden. In jedem Fall wird sie in der Vollendung von uns allen klar geschaut werden.
Wenn wir glauben, Widersprüche zu erkennen, so ist es dar­um durchaus nicht unsere Aufgabe, sie alle erst miteinander auszugleichen, bevor wir dem Wort der Schrift glauben kön­nen. Wenn wir sie gar nur durch erzwungene oder künstliche Exegese zu harmonisieren vermögen, ist es besser, sie einfach unerklärt und unausgeglichen zu belassen.
Andererseits dürfen wir aber auch nicht meinen, daß sie nun deshalb überhaupt nicht ausgleichbar seien, eben weil wir noch nicht imstande sind, sie zu harmonisieren. Unsere eigene, persönliche Fähig­keit in Schriftauslegung und geistlicher Einsicht ist noch lange nicht der Maßstab der Wahrheit. Was wir nicht können, mögen andere imstande sein zu tun. Und wenn wir alle zusammen es noch nicht können, dann wird sich die Wahrheit zu ihrer Zeit schon selbst offenbaren und rechtfertigen. In jedem Fall glau­ben wir, daß die Harmonie möglich und wirklich ist.
Wäre es wohl möglich, heute einen Kranken nach einem Me­dizinbuch zu heilen, das von 40 verschiedenen Ärzten zusam­mengestellt wäre, die in den Zeiten des Alten Orients und des klassischen Altertums gelebt haben, von Männern in Vorder­asien, von Fachärzten und »Laien«, von Akademikern und Handwerkern, wobei dann noch dazu Rezepte dargeboten würden, die während des Zeitlaufs von 1500 Jahren je und je angewandt worden sind, also von der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus bis zum Abschluß des ersten Jahrhunderts nach der Zeitenwende? Die Bibel aber ist gerade das Heilmittel für alle Welt, das Heilmittel für unsere Seele! Millionen und aber Millionen aller Zeiten und Länder haben ihre Heilkraft erfahren, und obwohl ihre ältesten Bestandteile schon über 3300 Jahre alt sind, ist ihre Heilkraft doch auch heute noch so stark und ihr Heilswort so wirksam und lebendig, als wenn das Ganze gerade soeben entstanden wäre.

Die gesamte Heilige Schrift treibt eine Lehre und zeigt einen Heilsweg für unser Inneres. Mögen auch die Offenbarungswege Gottes in den verschiedenen Heilszeiten recht mannigfaltig gewesen sein, so ist es doch ein gemeinsames Lebensprinzip, das das Ganze durchdringt. Damit aber beweist gerade diese Einheit des Vielgestaltigen seine göttliche Planung. 

5. Wir glauben an eine organisch sich entfaltende, volle Inspiration, um der   
     Geschichtseinheit der von der Bibel bezeugten Heilsoffenbarung willen.
Das ist das Wundersame an der Bibel: Sie ist, trotz ihrer erstaunlichen Mannigfaltigkeit, ein einheitlicher Organismus, ein lebensvolles, von einem Geist beseeltes, harmonisches System.

Da die Heilsoffenbarung Gottes ein zusammenhängender, geschichtlicher Werdegang ist, muß auch ihre Urkunde ein zusammenhängendes, geschichtlich planmäßiges Ganzes sein, ein wohlgeordnetes, prophetisch historisches System. Wie Gott in der Heilsentwicklung selbst, so bringt auch sein Buch die erlösende Wahrheit nicht in abstrakt begrifflicher, philosophischer Form, sondern in konkret faßlicher, lebendig natürlicher Anschauung und in stufenmäßig fortschreitender, geschichtlicher Entfaltung. Mit Recht haben darum in der evangelischen Kirche schon Männer wie Bengel, Oetinger, Beck und Blumhardt und vor ihnen, als ihre gemeinsame Wurzel, der deutsch-niederländische Bibelerklärer Johannes Coccejus in Leiden die Heilige Schrift als ein kunstreiches Gebäude aufgefaßt, zu dem der Grundriß schon vorher entworfen war, als ein auf Christus abzielendes Ganzes, ein System mit Gleichmaß und Zusammenklang, in das jedes einzelne als ein Teil des Ganzen organisch eingegliedert ist. »In weisester Anordnung, ohne jede Verwirrung, erstrahlt alles. Die Harmonie aller Teile macht die Durchsichtigkeit und Klarheit des Ganzen aus.«
Darum treiben alle Bücher eine Wahrheit und eine Lehre, weshalb sie sich auch gegenseitig auslegen, und Schriftwort erklärt sich durch Schriftwort. Das Thema vom Reiche Gottes und seinen planmäßigen Haushaltungen ist die leitende Melodie dieser gewaltigen göttlichen Gesamtsymphonie. Wir aber haben uns »schauend und lauschend niederzubeugen, um die Harmonie des Gegebenen zu erfassen«, und in dem Maße, wie dies in Demut, Glauben und Gehorsam geschieht, wird uns die göttliche Herrlichkeit der Bibel stets neu aufgehen und von Fall zu Fall, von Einzelheit zu Einzelheit, lebendig bestätigt werden, und die heilsgeschichtliche Einheit und die bis ins Kleinste gehende Großartigkeit der Heiligen Schrift wird uns ihren Inspirationscharakter stets neu beweisen.
Besonders tut dies ‑ abgesehen von vielen, kleinen und großen Einzelheiten in der Übereinstimmung von Weissagung und Erfüllung ‑ der innere Aufbau und die folgerichtige Struktur des Ganzen in der Aufeinanderfolge der Heilszeiten mit ihren jeweiligen Zielen. Kann denn die alttestamentliche Heilsvorbereitung zielklarer aufgebaut sein als sie ist?

Zuerst sind ‑ in der biblischen Urgeschichte, als dem Geschichtsfundament des Gesamtverlaufs ‑ zwei Hauptoffenbarungsperioden gegensätzlicher Harmonie (Polarität). Da gilt, nach der Austreibung aus dem Paradiese, zunächst Jahrhunderte hindurch der Grundsatz der menschlichen Selbstbestimmung, ohne göttliche Gesetzesoffenbarung und ohne von Gott angeordnete, menschliche Obrigkeit (von Adam bis Noah).
Dann als dieser Grundsatz das menschliche Versagen gezeigt hatte ‑ wird sein harmonischer Gegensatz eingeführt: der Grundsatz der Kontrollgewalt (»Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden«, 1. Mose 9, 6), und es folgt nunmehr Menschheitsgeschichte mit menschlicher Obrigkeit und Aufbau von Staatsgebilden (vgl.1. Mose 10). (Näheres siehe Das babylonische Menschheitsgericht, unter Antichrist, bei www.horst-koch.de )

Und welche Harmonie, welche innere Logik zeigt die sich daran anschließende Weiterführung der Heilsvorbereitung von Abraham auf Christus! Wie ist gerade hier absolut klarste, völlig unübertreffbare Zielausrichtung auf den Erlöser und sein Werk!
Zwei Hauptbundesschließungen (Abraham und Mose) in polarer Harmonie! Eine zweitausend Jahre lang währende Erziehung zum Glauben (Abrahamsbund) ; dann, als Ergänzung hinzutretend, eine anderthalb Jahrtausend lang währende Erziehung zur Buße (durch Weckung von Sündenerkenntnis im Mosaischen Gesetz).

Kann die neutestamentliche Heilsentfaltung passender vorbereitet sein? Handelt es sich nicht darum, daß der Sünder errettet werden soll, daß er aber nur dann das volle Heil durch das Stellvertretungswerk Christi empfangen kann, wenn er sich zu Christus, als dem Sünderheiland, »bekehrt«? Und ist nicht »Bekehrung« schlechthin die Summe von Abkehr und Hinkehr, von Nein zu sich selbst und von Ja zum Herrn, also von Buße und Glauben? Ist damit nicht die Bekehrung, als diese Einheit von Buße und Glaube, das subjektive, erzieherische Kernziel der Gesamtoffenbarung des ganzen Alten Testaments? Ist hier überhaupt durchsichtigere Planmäßigkeit denkbar als in dieser Anordnung gerade zweier, solcher Hauptvorbereitungsperioden (Abraham und Mose) mit gerade diesen, ihnen innewohnenden, bei aller Unterschiedlichkeit klar zusammenhängenden, zentralen Hauptzielen?

Und ist nicht das ganze Alte Testament ‑ gerade in dieser seiner Zweigipfligkeit zugleich wunderbar planmäßig auch auf das objektive Heilswerk des Erlösers selbst ausgerichtet?
Da ist der Glaube an die Lebens‑ und Auferweckungskraft Gottes geradezu der Höhepunkt bei Abraham (vgl. Isaaks Geburt und Isaaks Opferung).
Da ist das Todesurteil Gottes über den Sünder geradezu der Tiefpunkt von Gericht und Verdammung im Mosaischen Gesetz.


Da ist also letzteres ganz klar ausgerichtet auf Karfreitag, ersteres auf Christi Auferstehung. So sind sie denn alle beide (Abraham und Mose) in ihrer gegensätzlichen Einheit ‑ ganz durchsichtig und erkennbar zielbestimmt hinweisend auf die beiden Hauptseiten im Heilswerk des Erlösers, und es wird offensichtlich, daß das ganze Alte Testament nicht nur auf das subjektive Ziel der »Bekehrung« des Sünders (Buße und Glaube), sondern auch auf das objektive Ziel des Heilswerkes des Sünderheilands (Tod und Auferstehung), also auf das menschliche Zentralheilserlebnis und das gottgewirkte Zentralsheilsereignis ausgerichtet ist.

Man müßte blind sein, hinter diesem allen nicht einen von vornherein festliegenden, zielsicher vorgesehenen, großzügig und folgerichtig durchgeführten Gottesplan zu erkennen!

Und wie organisch und innerlich zusammenhängend ist dann auch der Aufbau der neutestamentlichen Heilsentfaltung!
Zuerst steht ‑ im Zeugnis von Wort und Geist ‑ der gen Himmel gefahrene, abwesende Christus im Mittelpunkt (in der Zeit zwischen seinem ersten und seinem zweiten Erscheinen).
Dann ‑ seit der Parusie (Ankunft, Wiederkunft) ‑ regiert Christus als der in Herrlichkeit offenbar gewordene, anwesende Gottkönig.


Erst Verborgenheit mit besonderem Rückblick auf die Erniedrigung, dann Offenbarung mit dem Triumph königlicher Erhöhung.
Erst Dornenkrone, dann Königskrone.
Erst Heilserleben durch Glauben, dann Heilserleben im Schauen.
Zuerst Sammlung der Gemeinde, dann Segnung der Völkerwelt, zuletzt neuer Himmel und neue Erde, ein verklärtes Universum. (Ausführlicher in DER TRIUMPH DES GEKREUZIGTEN, bei www.horst-koch.de)

Also auch hier wieder völlig klare, wachstümliche Entfaltung eines großartigen Planes!

Klarer, harmonischer, großartiger kann es überhaupt keinen Geschichtsplan geben. Gerade aber diese Zielklarheit und Einheitlichkeit des Ganzen macht die Heilsgeschichte zu einem universal historischen Selbstbeweis ihres göttlichen Charakters.
Da aber die Bibel die Urkunde dieser Offenbarungsgeschichte ist, wird durch diese Harmonie des Gesamten auch ihre eigene Geschichtseinheit und ihr göttlicher Inspirationscharakter erwiesen.
Wir verkennen durchaus nicht die sich aus solcher Glaubenshaltung ergebenden Probleme, besonders geologischer und chronologischer Art.
Aber ungelöste Fragen sind für den Glauben kein Hindernis für seine Grundhaltung zu Christus und dem Zeugnis seiner Propheten und Apostel.
Schwierigkeiten stellen sich auch sonst dem denkenden Glauben entgegen. Niemand bezweifelt, daß die biblische Lehre von der göttlichen Dreieinheit dem menschlichen Denken eine »Schwierigkeit« darbietet.
Es ist eine »Schwierigkeit«, zu erkennen, daß Gott zugleich Einer und Drei sein kann, daß Christus gleichzeitig göttlich und menschlich, wahrer Gott und wahrer Mensch ist.
Es ist eine »Schwierigkeit«, zu erkennen, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist, der in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten.
Es ist »schwierig«, einzusehen, daß das stellvertretende Leiden eines Unschuldigen einem Schuldigen rechtlich zugerechnet werden kann.
Es ist »schwierig« zu begreifen, daß der Mensch gleichzeitig unfähig und doch verantwortlich ist, daß ein Glaubender, obwohl oft noch sündigend, dennoch vor Gott heilig und gerecht ist.
Aber sollen wir warten, bis wir alle diese »Schwierigkeiten« geklärt haben, bevor wir glauben können?
Zweifellos würde dann kein Mensch errettet werden! Nein, wir müssen die Lehren der Heiligen Schrift im Glauben einfach annehmen, und zwar schlechthin deshalb, weil sie von den Propheten und Aposteln des Alten und Neuen Testaments und vor allem von dem Herrn selbst geglaubt und gelehrt worden sind. In diesem Sinne ist auch der Glaube an die biblische Inspiration unzertrennbar verbunden mit der Anerkennung der Autorität und der Zuverlässigkeit der heiligen Schreiber.
Übrigens, schon oft sind scheinbar unlösbare Fragen plötzlich aufgehellt worden, und die Bibel, die man naturwissenschaftlicher oder geschichtlicher Irrtümer bezichtigt hatte, stand gerechtfertigt da. Mit Recht erklärt Augustinus in einem Brief an Hieronymus: »Wenn ich hier oder da auf etwas stoße, was mit der Wahrheit nicht übereinzustimmen scheint, so zweifle ich keinen Augenblick, daß entweder die Abschrift fehlerhaft sei oder daß der Übersetzer den Gedanken des Originals nicht genau ausgedrückt hat, oder daß ich die Sache nicht verstanden habe«.
In dem gewaltigen Entwicklungsgang der Heilsgeschichte und Bibeloffenbarung ist Christus der Mittelpunkt. Er ist die Zentralsonne der ganzen Bibel. Alle Bücher der Heiligen Schrift »treiben Christus« (Joh. 5, 39) . Gerade oft auch an solchen Stellen, wo es zunächst gar nicht so scheint ‑ wie z. B. im Auftreten Melchisedeks (1. Mos. 14, 17‑24) oder dem Zeugnis des Hosea über Israel, daß Gott aus Ägypten seinen Sohn gerufen habe (Hos. 11, 1) und vielen anderen mehr ‑ zeigt uns die Belehrung des Heiligen Geistes im Neuen Testament, daß auch dort zugleich von Christus die Rede gewesen war (Hebr. 7; Matth. 2, 15).
Auch hier sind es oft gerade die Feinheiten und Einzelheiten des Textes, die nicht nur eine allgemeine, sondern geradezu eine genau spezialisierte Inspiration offenbaren, die sich sogar auf die einzelnen Wörter, Sätze und Satzverbindungen bezieht.
Nur dieser Inspirationsglaube kann es Paulus ermöglichen, seinen Schriftbeweis im Galaterbrief in der Form durchzuführen, wie er es tut (Gal. 3, 16). Er sagt:
«Nun aber sind die göttlichen Verheißungen dem Abraham und seinem Samen gegeben. Es heißt nicht: ,und deinen Samen` in der Mehrzahl, sondern in bezug auf einen einzelnen: ,und deinem Samen`, und das ist Christus«.
So sieht Paulus die Messiasprophetie des Alten Bundes als bis in die kleinsten Einzelheiten des Textes, ja bis in die Einzahl‑ und Mehrzahl-Endungen der Wörter genau göttlich geordnet an. Ja, der Hebräerbrief geht sogar so weit, daß er nicht nur das Reden, sondern auch das Schweigen des Alten Testaments für göttlich inspiriert ansieht. Denn gerade seinen Hauptschriftbeweis für die Ewigkeit der Melchisedekschen Hohenpriesterordnung leitet er von dem ab, was im heiligen Text nicht steht, eben von der Tatsache, daß der alttestamentliche Geschichtsbericht über den Melchisedek der Abrahamszeit weder seinen Vater noch seine Mutter, weder den Anfang noch das Ende seines Lebens erwähnt, so daß also der Priester‑König von Salem in der biblischen Urkunde gleichsam »ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlechtsregister« auftritt, »weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens habend«, und gerade in dieser Hinsicht darum dem Sohn Gottes »verglichen« und (typologisch) »vollkommen gleichgemacht« sei.
Das einer solchen Beweisführung zugrunde liegende Schriftprinzip ist aber durchaus das einer vollen Inspiration. »Des Verfassers Anschauung geht offenbar dahin, daß der Geist Gottes nicht nur die tatsächlichen Gestaltungen der Heilsgeschichte, sondern auch die urkundlichen Gestaltungen der heiligen Geschichtsschreibung derartig beseelt und geordnet hat, daß nicht nur ihr positives Reden, sondern auch ihr tatsächliches Schweigen typisch‑messianische Geltung hat« (Prof. J. H. Kurtz).

Ferner ist auch dies ein Zeugnis von der wunderbaren Ordnung des heiligen Textes, daß die Propheten zuweilen über Dinge geweissagt haben, die sie selber nicht voll verstanden, so daß sie geradezu »nachgesonnen« haben, »indem sie nachforschten, welche oder was für eine Zeit es sei, auf die der in ihnen wirkende Geist Christi hinweise«. Und da sie offenbar über ihre eigenen Botschaften und deren Bedeutung nicht recht zur Ruhe gelangten, wurde ihnen von Gott als allgemeine Erklärung geoffenbart, »daß sie durch ihren Dienst nicht sich selbst, sondern euch dasjenige vermitteln, was … euch jetzt verkündigt worden ist« (1. Petr. 1, 11; 12). Diese Tatsache erhebt es über allen Zweifel, daß, nach dem Zeugnis des Neuen Testaments, die biblisch‑prophetische Inspiration über den Begriff einer bloßen »Gedanken«- ­oder »Personal«‑ Inspiration hinausgeht, ja sich zu einer von Gottes Geist geleiteten Auswahl der Worte gesteigert hat. Denn wenn die Propheten Botschaften erhielten, die sie zuweilen selber nicht voll verstanden, wenn also in ihren Worten, in die sich doch ihre Botschaften kleiden mußten, mehr enthalten war, als sie es selber erfaßten, so ist dies eben nur dadurch möglich, daß auch die Worte selber und nicht nur die Gedanken oder Botschaften vom Geist Gottes eingegeben und angeordnet waren.
So geht aus der praktischen Stellungnahme des Neuen Testaments zum alttestamentlichen Schriftwort hervor, daß der Glaube an eine volle Inspiration für die Apostel Jesu Christi geradezu stillschweigende Voraussetzung gewesen ist. Der Glaube an eine volle Inspiration findet sich im Neuen Testament zwar nicht als dogmatisch theologische Formel, wohl aber als praktisches, geistliches Glaubensgut.


6. Wir glauben an eine zuverlässige, volle Inspiration um der Autorität  Jesu und seiner Apostel willen

Hunderte Male bezeugt das Alte Testament »So spricht der Herr!«
Christus selbst hat erklärt: »Die Schrift kann nicht aufgelöst werden.« (Joh. 10,35).

Hierbei bezieht er sich auf ein alttestamentliches Bibelwort, welches nur ein einziges Mal im ganzen Alten Testament vorkommt. Wer also dies eine Wort, das sich nur einmal in einem Psalm findet (Ps. 82, 6), auflöst, löst, nach dem Zeugnis Jesu, den Gesamtorganismus der »Schrift« auf! 
Die Bibel gleicht sozusagen dem ungenähten Rock Jesu, gleichsam einem Hause, aus dem man nur durch eine Tür hinauszugehen hat, um damit zugleich außerhalb des ganzen Hauses zu sein. So stark glaubt Jesus an den Organismuscharakter der «Schrift«!
Zu den Emmausjüngern sagt er: »Es muß alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Moses, in den Propheten und in den Psalmen . . . Also ist’s geschrieben, und also mußte Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tage« (Luk. 24, 44‑47).
Und in der Bergpredigt bezeugt er: »Wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird vom Gesetz nicht der kleinste Buchstabe und kein Strichlein vergehen, bis alles in Erfüllung gegangen ist« (Matth. 5, 18) .
Für Christus, das personhaft lebendige »Wort« (Joh. 1, 1; 14), war schon ein »Tüttel« oder »Jota« des geschriebenen (!) Wortes mehr wert als alle Sternenwelten und Sonnensysteme des gesamten Universums. Hier haben wir den Autoritätsbeweis in besonders wuchtiger Form.
Und Paulus, sein größter Apostel, bekennt: »Ich glaube an alles, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht« (Apg. 24, 14).
Der Glaube an den Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift und ihre unzerstörbare Autorität ist darum keine geistlose Vergötterung des Buchstabens, sondern hat die größten Geister der Heilsgeschichte, ja Christus, den Sohn Gottes selber, auf seiner Seite.
Die Ausdrücke: »Es steht geschrieben«, »Die Heilige Schrift sagt« waren bei den neutestamentlichen Schreibern dasselbe wie »Gott sagt«. Immer wieder finden wir im Neuen Testament einen geradezu wechselseitigen Austausch, ja eine unmittelbare Gleichsetzung dieser Ausdrücke.
Natürlich hatte es weder in den Tagen Abrahams (1900 v. Chr.) noch Pharaos vor dem Auszug aus Ägypten (1500 v. Chr.) eine alttestamentliche, heilige »Schrift« gegeben, und Paulus und der Schreiber des Hebräerbriefes haben dies genau so gut gewußt wie wir.
Gott hatte zu Abraham gesagt: »In dir werden gesegnet werden alle Nationen« (1. Mose 12, 1; 3). Paulus aber erklärt: »Die Schrift verkündete dem Abraham: »In dir werden gesegnet werden alle Nationen« (Gal. 3, 8).
Gott hatte zu Pharao gesagt: »Ich habe dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige« (2. Mose 9, 16; vgl. V. 13) . Paulus aber schreibt: »Die Schrift sagt zum Pharao« (Röm. 9, 17).
David, der Psalmist, hatte gesagt: »Heute, wenn ihr seine (des Herrn) Stimme höret, so verhärtet eure Herzen nicht« (Ps. 95, 7; Hebr. 4, 7) . Der Schreiber des Hebräerbriefes aber erklärt: »Der Heilige Geist sagt: ,Heute . . . verhärtet eure Herzen nicht!«` (Hebr. 3, 7).
Diese doppelte Gleichsetzung »Gott = Schrift«, »Schrift = Gott = Heiliger Geist« entspringt eben der tiefen Überzeugung, daß das Wort der »Schrift« zugleich Wort »Gottes« ist. Für die Schreiber des Neuen Testaments und darum auch für uns und alle Zeiten ist die heilige Urkunde Stimme Gottes.
Aus diesem allen ergibt sich unsere persönliche Stellungnahme: Wir glauben an die volle, biblische Inspiration in erster Linie um dieser Gesamthaltung des Neuen Testaments willen, eben deshalb, weil sie Glaubensgut Christi und seiner Apostel gewesen ist.
Darum: Wer die Lehre von der vollen Inspiration leugnet, muß entweder beweisen, daß dies nicht ein Glaubensgut ist, das im Neuen Testament selbst bezeugt ist und in ihm lebt, oder er muß beweisen, daß das Neue Testament in Fragen der Glaubenshaltung nicht absolut zuverlässig und maßgebend ist. Wenn dies erstere nicht möglich ist, bleibt bei folgerichtigem Denken nichts anderes übrig, als mit der Verneinung einer vollen Inspiration zugleich auch das absolute Vertrauen auf die Urkunde alles Heilsglaubens, d. h. das Neue Testament, zu erschüttern.
So glauben wir gleichsam zuerst an die allgemeine Zuverlässigkeit der Bibel in Glaubensfragen, und dadurch nehmen wir auch in gleicher Weise ihre Lehre und ihr Glaubensgut über die Inspiration an.
Wir lösen die Frage der Bibel zentral, das heißt vom Mittelpunkt, von Jesus Christus, aus. Wir glauben an die Bibel um Jesu willen. Durch den Glauben an Christus kommen wir auch zum vollen Glauben an sein Wort. In Christus, dem Zentrum der Heilsoffenbarung Gottes, haben wir auch das Zentrum einer gottgemäßen Bibelanschauung.
Dies ist auch glaubensmäßig das allein Folgerichtige. Denn Christus selbst ist der »Logos«, die Urform des Wortes, das personhaft lebendige »Wort«, der treue und wahrhaftige Zeuge (Joh.1,1), der Mund der ewigen Wahrheit, ja die Wahrheit selbst (Joh. 14, 6) . Sein Geist aber, der Geist Christi, hat die Propheten inspiriert (l. Petr. 1, I1), und  das Zeugnis Jesu  ist der Geist der Weissagung (Offb. 19, 10) .
Zweifellos gibt es Schwierigkeiten im Hinblick auf die biblische Inspiration. Aber ist es nicht noch schwieriger, zu glauben, daß die ganze Gemeinde Gottes, von ihren allerersten Anfängen an, sich nun schon fast 2000 Jahre hindurch getäuscht haben soll in ihrer Wertschätzung der heiligen Schriften?
Und ist es nicht noch viel schwieriger, zu glauben, daß die ganze Gruppe der Apostel, mit Jesus Christus selbst an ihrer Spitze, sich geirrt haben soll im Hinblick auf die Natur der heiligen Schriften, die sie vom Alten Bund her übernommen hatten? Nein, wir bekennen uns zur Haltung des Herrn und seiner Apostel auch im Hinblick auf die biblische Inspiration.

Wir glauben an die volle Inspiration nicht auf der Grundlage rein gefühlsmäßiger Erwägungen, auch nicht bloßer Glaubenspostulate, die wir aus allgemeinen Gedankengängen heraus von vornherein für notwendig erachten. Die entscheidende Grundhaltung ist:

Wir glauben an die volle Inspiration, weil dies das Glaubensgut Jesu, seiner Apostel und überhaupt aller Schreiber des Neuen Testaments ist. Unser Glaube an die volle Inspiration ist ein Ausfluß unseres Glaubens an die Zuverlässigkeit Christi und seiner Apostel als Verkündiger der Heilslehre überhaupt. Glaube an die Inspiration ist unzertrennbar verbunden mit der vollen Anerkennung der Autorität der neutestamentlichen Schreiber. Wenn wir die anderen Lehren des Neuen Testaments, trotz mancher Geheimnisse und Schwierigkeiten, annehmen, und zwar auf keiner anderen Grundlage als der, daß wir die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Bibel als Führer der Wahrheit grundsätzlich und praktisch bejahen, so nehmen wir auch diese Lehre ‑ das Glaubensgut der vollen Inspiration ‑ auf derselben Grundlage an. Mit Recht ist gesagt worden: Wenn wir das Zeugnis der Bibel über sich selbst nicht annehmen, warum sollten wir dann ihr Zeugnis annehmen, das sie über andere Dinge aussagt?
Hier aber stehen wir auf Glaubensboden. Autorität ist auch schon im rein menschlichen Leben ‑ stets etwas, das nicht »bewiesen«, sondern erlebt werden muß. Alles geistig Lebendige erkennt man durch Intuition (unmittelbare, innere Schau). Die Gottheit Jesu von Nazareth und damit seine unbedingte Autorität in allen Fragen des Glaubens und Lebens ist zwar nicht mathematisch beweisbar; aber Wahrheit beweist sich selbst. Hier setzt das Christuserlebnis, die Herzenserfahrung, ein.

7. Wir glauben an eine lebendige, volle Inspiration um der auch die kleinsten 
    Bestandteile der Bibel durchwaltenden Geisteskraft willen.

Oft ist die Frage gestellt worden, wie wohl die Abgrenzung der biblischen Bücher als »kanonisch« von allem anderen Schrifttum begründet werden könne (Kanon = Richtschnur, Maßstab). Die Antwort liegt ‑ abgesehen von dem Hinweis auf ihre inhaltliche Harmonie und ihre heilsgeschichtliche Einheit ‑ besonders in dem »Zeugnis des Heiligen Geistes« (lat. testimonium Spiritus Sancti).
Man lese nur einmal die doch so überaus wertvollen Schriften der sogenannten »Apostolischen Väter«, also der führenden Männer des Urchristentums, die unmittelbar auf die Generationen der Apostel und neutestamentlichen Schreiber folgten, d. h. die Briefe eines Clemens, eines Ignatius, eines Barnabas, eines Polykarp oder die Zwölfapostellehre (Didache), den Hirten des Hermas, den Brief an Diognet!
Man vergleiche einmal z. B. den Römer‑ oder Epheserbrief des Ignatius mit den an dieselben Gemeinden gerichteten, neutestamentlichen Briefen des Paulus, den Korintherbrief des Clemens mit dem des großen Heidenapostels oder den Philipperbrief des Polykarp mit dem uns bekannten Philipperbrief des Neuen Testaments! Welch gewaltiger Abstand macht sich doch hier ‑ trotz höchster Wertschätzung all des vielen wahrhaft Geistlichen, Edlen und Schönen ‑ schon in diesem Schrifttum des zweiten Jahrhunderts im Vergleich zum Neuen Testament bemerkbar! Oder man vergleiche die alttestamentlichen Apokryphen mit den Schriften des hebräischen Kanons! Hier steht überall das Zeugnis des Heiligen Geistes durchaus auf der Seite der biblischen Schriften!
Niemand sage, daß wir damit in den Fehler eines willkürlichen Subjektivismus verfielen! Das Zeugnis des Heiligen Geistes wird in der Schrift deutlich von dem Zeugnis unseres eigenen, auch des in Christus erlösten Menschengeistes unterschieden. »Dieser Geist selbst zeugt mit unserem Geist (d. h. in Übereinstimmung mit unserem Geist, der also vom Heiligen Geist unterschieden wird), daß wir Kinder Gottes sind« (Röm. 8, 16). Der in der Gemeinde waltende göttliche Geist ist es, der seine eigenen Erzeugnisse anerkennt. Die Autorität der Heiligen Schrift ist eine inwendige, geistgewirkte, unmittelbar sich selbst bezeugende. Sie ist keine bloße Buchautorität, sondern durchaus Geistautorität. Die Heilige Schrift ist, wie Paulus es einmal in bezug auf das Alte Testament ausdrückt, »gottgegeistet«.
Nur so entsteht die Fähigkeit der Bibel, Übernatürliches und Himmlisches hervorzurufen. Nur so kommt es zur inwendigen Wirkungskraft des Bibelwortes und zur Selbstbezeugung des Heiligen Geistes in den Herzen der Gläubigen, welche in und durch die Bibel geschieht.
»Das Herz spricht: Das ist wahr, und sollte ich hundert Tode darum leiden« (Luther). Mit Recht sagt Calvin: Die Schrift trägt in sich selbst den Beweis der Wahrheit, gerade wie Schwarz und Weiß den seiner Farbe, Süß und Bitter den seines Geschmacks.«
Die Autorität der Heiligen Schrift ist in der Person ihres göttlichen Autors begründet. Ihre Autorität wurzelt geschichtlich in ihrer Inspiration. Sie ist eine innerliche, objektive und bleibende. Die Bibel hat ihre Autorität in sich selbst.
Das subjektive Erleben dieser Autorität wird dann durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes vermittelt, der sich mit dem geschriebenen Wort lebendig und dauernd wirksam verbindet.
Inspiration des Heiligen Geistes und Zeugnis des Heiligen Geistes sind darum hier zu unterscheiden.
Die biblische Inspiration des Heiligen Geistes ist ein Werk Gottes der Vergangenheit. Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes geschieht ‑ in Verbindung mit diesem Wort ‑ in aller Folgezeit bis in unsere Gegenwart und Zukunft.
Die Inspiration des Heiligen Geistes bezieht sich auf die Bibel selbst. Das Zeugnis des Heiligen Geistes bezieht sich auf ihre Leser und Hörer. Diese sollen durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes zur Überzeugung von der Inspiration und der Autorität der Heiligen Schrift und damit zum Glaubensgehorsam geführt werden.
Darum war auch der Kanon der Heiligen Schrift ‑ von Gott aus, also ideell und tatsächlich in sich selbst ‑ schon im ersten Augenblick der fertigen Abfassung der zuletzt entstandenen, neutestamentlichen Schrift abgeschlossen und vollständig vorhanden. Was noch zu geschehen hatte, war nur die tatsächliche Zusammenfassung dieser Schriften in einem einzigen Buch und die allgemeine Anerkennung ihrer göttlichen Autorität in der christlichen Gemeinde.
Dies Ziel wurde ‑ nach Überwindung mancher Schwankungen ‑ im Verlauf der folgenden zwei Jahrhunderte erreicht. Hierbei war das Entscheidende nicht menschliche Übereinkunft ‑ Gemeindebeschlüsse oder Konzilien ‑, sondern die eigene, geistgewirkte Autorität der Heiligen Schrift, ihre durch die Inspiration des Heiligen Geistes von vornherein innewohnende, göttliche Vollmacht.
Zugleich stand das Ganze unter der Überwaltung und Führung durch das erhöhte, göttliche Haupt der Gemeinde. Die Gemeinde selbst hatte also keineswegs den biblischen Kanon erst »abzuschließen« oder gar zu »schaffen«, sondern lediglich ihn anzuerkennen.

Der Geist Gottes hat das geschriebene Wort nicht nur »eingehaucht« (inspiriert) und »gegeben«, sondern ist bei ihm geblieben. Er begleitet es und macht es wirksam. Er macht die bloße »Urkunde« zu einer Himmelsbrücke. Gott »kommt« nun durch sein Wort zu uns, und das Jahrhunderte alte Wort bleibt frisch und ewig jung. Es ist, als sei es gestern, ja gerade soeben erst geschrieben, »als sei die Tinte noch nicht trocken«. So nimmermehr alternd, so zeitüberlegen, so gegenwartsnahe!
Dabei aber sind es oft ganz winzige Ausdrücke, an denen der Leser vielleicht hundertmal vorbeigelesen hat, die ihm urplötzlich strahlend aufleuchten und zu Gottesbotschaften werden, die sein Leben beeinflussen, ja es grundlegend umgestalten können. Welch großer Unterschied, ob Gott sagt, daß er uns »nach« seinem Reichtum oder nur »aus« seinem Reichtum segnen wolle (Eph. 3, 16) ! Wieviel zuversichtliches Hoffen für irrende Seelen liegt doch in den beiden kleinen Wörtchen »bis jetzt«: »Wer da sagt, daß er in dem Lichte sei und haßt seinen Bruder, ist in der Finsternis bis jetzt« (1. Joh. 2,9). Wieviel seelsorgerliche Weisheit offenbart das kleine Wort »teilweise«: »Ich höre, es seien Spaltungen unter euch, und teilweise glaube ich es!« (1. Kor. 11, 18) .
Und überhaupt: Wie stärkt es doch den Glauben, wenn er die Verheißungen Gottes beim Wort nehmen kann! Hat nicht gerade dieses Sichstützen auf das ganze Wort immer wieder in der Geschichte des Reiches Gottes Glaubensmut geweckt, frohe Zuversicht beflügelt, Taten gewirkt, ja Geschichte gemacht? War diese Glaubenshaltung nicht die Kraft eines Georg Müller, eines Hudson Taylor, eines August Hermann Francke, eines Charles Haddon Spurgeon und so vieler anderer Männer Gottes, von deren Leben und Werk Ströme des Segens in die Welt und in die Gemeinde Gottes ausgegangen sind?
Und vor allem: War dies nicht die Siegeswaffe Jesu selbst, als er in der Versuchung in der Wüste den Feind bezwang? »Es steht geschrieben!« (Matth. 4, 4; 7; 10.)

Mit dieser wunderbaren inneren Geisteskraft der Bibel verbindet sich ihre äußere Unüberwindbarkeit und Siegeskraft. Auch dies ist ein Erfahrungsbeweis und ein Zeugnis ihrer göttlichen Inspiration.
Die Bibel ist ein Hochgebirge, das alle anderen Bücher der Welt gleichsam wie Hügel oder Niederungen überragt. An die Verbreitung, die Lebensdauer und Lebenskraft der Bibel kommt kein Schriftstudium der ganzen Erde heran.
Die Bibel hat die größte Lebensdauer bewiesen. Denn sie ist in ihren ältesten Teilen über 3300 Jahre alt, und doch ist alles in ihr taufrisch und jugendneu, eben »ewig neues Altes Testament« und »ewig neues Neues Testament«!

So hat das Wort der Schrift immer wieder seine Gotteskraft bewiesen. Wie Christus, das personhafte »Wort«, ist allerdings auch das geschriebene Wort ‑ und zwar oft ‑ gleichsam ans Kreuz geschlagen, begraben und totgesagt worden. Aber stets ist es auch ‑ so wie er, das »lebendige« Wort ‑ am dritten Tage wieder auferstanden und lebt! Wie die Boten Jesu Christi allgemein, so können es auch die Bücher und Worte der Bibel mit Paulus bezeugen: »Durch Ehre und Unehre, durch böses Gerücht und gutes Gerücht . . ., als Sterbende, und siehe, wir leben! (2. Kor. 6, 8; 9) .«
So ist die Bibel wie die Sonne: uralt und doch immer wieder neu, stets die Nacht überwindend, Licht und Leben verbreitend, alles andere Licht überstrahlend, kurz, die Königin im Reich des Geistes, die Zentralquelle aller bleibenden, wahren Erleuchtung.

 »An deiner Rede will ich bleiben,

Drauf läßt sich’s bauen felsenfest.

Ich weiß ja, daß von deinen Worten

Du keins zur Erde fallen läßt.

Eh’ sollen Berg und Hügel weichen,

Eh’ stürzt der ganze Weltkreis ein,

Eh’ auch das kleinste deiner Worte,

Herr Jesu, unerfüllt wird sein.«  –  (Dr. Adolf Morath)
 
Vorliegender Text ist – stark gekürzt – entnommen:

Erich Sauer, GOTT, MENSCHHEIT UND EWIGKEIT, 2. Auflage 1955.

Horst Koch, im Dezember 2005.

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