Der Ernstfall (Dr. Fr. Lux)

Dr. Friedemann Lux

DER ERNSTFALL IST DA

KIRCHEN NACH EINEM JAHR CORONA

Einleitung 

Jetzt ist es fast ein Jahr her, dass die Corona-Pandemie die Gemüter beschäftigt. Und ein halbes Jahr, dass bei sommerlichem Wetter die große Erleichterung an ng: Jetzt haben wir es doch wohl bald geschafft . . . Wir wissen, dass es ganz anders gekommen ist. Die „zweite Welle“ hat die Welt im Griff. Neue Mutationen des Virus könnten seine Bekämpfung zu einem Fall des klassischen Wettlaufs zwischen Hase und Igel machen: Was die Medizin auch anstellt, das Biest ist schneller. Statt „Lockerungen“ erleben wir einen neuen, ungleich härteren Lockdown, der schon bald bis an den Rand des faktischen Hausarrests für fast alle gehen kann. Juristisch ist er in Deutschland mittlerweile abgesichert durch die am 18. November 2020 im Bundestag durchgepeitschte „Reform des Infektionsschutzgesetzes“, von manchen als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet. 

Was für Versprechen, Erklärungen und Prognosen kann man zurzeit noch glauben? 

„Unsere Mediziner haben die Lage im Griff.“ Stimmt nicht. Sie wollen sie zwar in den Griff bekommen, sind schier besessen von dem Willen, die Pandemie mit den Mitteln menschlicher Medizintechnologie zu meistern. Doch in Wirklichkeit erleben wir den nächsten Turmbau zu Babel (bereits den dritten in der neueren Zeit, zählt man die „Energiewende“ und die „Klimarettung“ dazu). Und ein gigantisches Gericht Gottes über die „Halbgötter in Weiß“. Sie geben selber zu, dass keiner so genau weiß, wie das mit den Impfungen werden wird, und jederzeit können die Meldungen über eine neue Mutation kommen, die nicht nur im Ansteckungspotenzial, sondern auch in der Schwere des Krankheitsverlaufs wesentlich aggressiver ist als das Virus, das wir bisher kennen. 

„Die Maßnahmen wirken, wir müssen nur ein bisschen nachbessern.“ Tatsache ist: Regierende und Mediziner in aller Welt können offenbar machen was sie wollen, die Pandemie rast weiter. 

„Das sind doch nur vorübergehende Einschränkungen.“ Das hören wir jetzt seit einem Dreivierteljahr, und je länger wir es hören, umso unglaubwürdiger wird es. 

„Einen Lockdown wie im Frühjahr 2020 wird es nie mehr geben.“ Tönten die Regierenden in Deutschland Anfang September. Wie kurz „nie mehr“ doch sein kann . . . Oder stimmt der Satz vielleicht doch? Der jetzige Lockdown ist ja in der Tat nicht so wie der im Frühjahr, sondern schlimmer. 

„Wir wollen die Bevölkerung schützen. Der Schutz des Lebens ist unser höchstes Gut.“ Wer sich klarmacht, dass in diesem Land jedes Jahr über 100.000 Kinder im Mutterleib fachgerecht getötet werden, der weiß, wie hohl dieser Satz ist. 

„Das machen die da oben doch nie.“ – „Das dürfen die doch gar nicht.“ – „Das trauen die sich doch gar nicht.“ – „Wir leben doch in einer Demokratie.“
Wir wissen inzwischen, was sie alles machen und sich sehr wohl trauen. Seit dem Gesetz vom 18. November 2020 dürfen sie es sogar. Fundamentale Grundrechte der Demokratie sind ausgesetzt oder beschnitten.
Meinungsfreiheit? Wird zügig reduziert; die „elektronische Bücherverbrennung“ (Abschaltung von Beiträgen im Internet) boomt.
Demonstrationsfreiheit? Ist, wenn es um die Corona-Maßnahmen geht, an die Leine genommen worden.
Eine glaubwürdige Opposition in den Parlamenten? Gibt es höchstens auf Sparflamme.
Bewegungs- und Reisefreiheit? Bleiben eingeschränkt.
Freiheit der Religionsausübung? Selbst hier kriselt es, aber mehr dazu unten in Abschnitt 4 und 5. 

Und es ist ja nicht nur in Deutschland so, sondern in weiten Teilen der Welt. Und was dem nachdenklichen Beobachter auffällt, ist nicht nur das, was alles gesagt wird, sondern auch das, worüber nicht gesprochen wird – GOTT. Die Medizin, die Wissenschaft, die Politik, die richtige Strategie soll es richten. Gott kommt in der öffentlichen Debatte nicht vor. 

Das ist unsere Situation. Die erste große Frage lautet hier: Wie konnte es zu dieser Reaktion auf Corona kommen? Die zweite Frage lautet: Wozu hat das geführt? Wie ist die derzeitige Lage speziell in Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften? Was lässt diese Lage für die Zukunft ahnen? Und die dritte Frage ist: Wie können Christen und Gemeinden sich auf diese Zukunft vorbereiten? Ich werde diese Fragen bewusst aus der geistlich-christlichen Perspektive heraus stellen. Es ist die alles entscheidende Perspektive, denn die fundamentale Realität unseres Kosmos heißt nicht „Wissenschaft“, nicht „Politik“, noch nicht einmal „Demokratie“, sondern „Gott“. Fangen wir an. 

1. Die vergessene Realität: Ein Weltbild ohne Gott 

Das klassische jüdisch-christliche Weltbild basiert darauf, dass es eine Welt der Immanenz und eine Welt der Transzendenz gibt. Das Nizäische Glaubensbekenntnis formuliert es so: „Wir glauben an den einen Gott, . . . der alles geschaffen hat, . . . die sichtbare und die unsichtbare Welt.“ Die sichtbare Welt ist der Kosmos, wie er den Sinnesorganen sowie den diversen Beobachtungs- und Messinstrumenten des Menschen zugänglich ist. Sie ist das, was physikalisch erfassbar und beschreibbar ist. Die unsichtbare Welt ist die Welt Gottes und der Engel sowie des Teufels und der Dämonen – eine Welt, die physikalisch nicht erfassbar und keinem Fernrohr, Teleskop oder Mikroskop zugänglich ist. Diese Welt liegt nicht etwa „ganz weit draußen“, hinter x Galaxien, sondern sie ist mit der sichtbaren Welt verwoben und verschränkt. Für den Menschen, der den wahren Gott liebt, kann sie sich augenblicksweise schon in diesem Leben öffnen – etwa im Gebet, beim Hören der Matthäuspassion, beim Lesen der Bibel, in der Gottesdienstliturgie oder bei der Feier des Abendmahls. Der Wissenschaft ist sie hermetisch verschlossen. 

Es ist die übereinstimmende Aussage sowohl der Bibel als auch der Kirchen- und Missionsgeschichte, dass die Transzendenz in die Immanenz hineinwirkt. Die Zahl der Bibelstellen, die Kriege, Naturkatastrophen und politische Erschütterungen, aber auch wunderbare Errettungen und Krankenheilungen Gottes Wirken zuschreiben, ist Legion. Es ist für die Bibel eine absolute 

Selbstverständlichkeit, dass Gott ein Akteur, ja in gewissem Sinne der Akteur der Weltgeschichte ist. Und genauso selbstverständlich ist, dass auch das Böse in die Welt hineinwirken kann – dass Menschen von Dämonen besessen sein können und dass hinter Kriegen, Revolutionen, falschen Ideologien und unterdrückerischen Regimes Mächte der Finsternis stecken. 

Diese ganze Dimension der Transzendenz ist zuerst von der philosophischen Aufklärung und danach von der bibelkritischen Theologie für das Denken abgeschafft worden. Aus dem „Darüber können wir nichts aussagen“ wurde schnell ein „Das existiert nicht, das kann man einem denkenden Menschen nicht zumuten.“ Das Weltbild der Moderne kennt keine „unsichtbare Welt“ mehr; diese Welt zählt nicht mehr für Erklärungen und Forschungen. 

Mit das Heimtückischste an dieser Entwicklung ist, dass sie auch bei den „Frommen“, die eigentlich Bibel und christliche Tradition hochhalten, Spuren hinterlassen hat. Dafür zwei Beispiele, die erst ein paar Jahrzehnte zurückliegen. 

Beispiel Nr. 1: In Markus 9,14ff. nden wir die Heilung eines besessenen Knaben durch Jesus. In einer frühen modernen Bibelübersetzung fügte die Redaktion vor dieser Episode folgende Zwischenüberschrift ein: „Jesus heilt ein epileptisches Kind.“ Die geschilderten Symptome „passen“ zum Teil durchaus zu einem epileptischen Anfall. Aber der Text redet eindeutig von einem „unreinen Geist“. Was ist hier geschehen? Der redaktionelle Bearbeiter war im Weltbild der Moderne gefangen, die keine Dämonen mehr kennt; also musste Epilepsie als Erklärung herhalten. 

Beispiel Nr. 2: In den 1980er Jahren schrieb der Leiter eines christlichen Sanatoriums ein Buch, in welchem er u.a. auf das Gebet für die Kranken nach Jakobus 5,14-15 zu sprechen kam. Er schrieb, dass das moderne Gegenstück des Salbens mit Öl die Verabreichung moderner Medikamente sei: Früher haben sie die Kranken mit Öl gesalbt, heute machen wir das anders . . . Aber das „anders machen“ ist in Jakobus 5 gar nicht vorgesehen. Medikamente gab es auch damals schon, aber Jakobus fordert nicht dazu auf, dem Kranken z.B. Heilkräuter zu geben, sondern ihn mit Öl zu salben (als Symbol des Heiligen Geistes) und für ihn zu beten; der Ansatz ist überhaupt nicht medizinisch, sondern seelsorgerlich. Doch das moderne Weltbild war im Hinterkopf dieses Autors so stark, dass er Jakobus‘ Anweisung gleichsam nur durch die Brille dieses Weltbildes sehen konnte. 

Ein Riesenproblem der Christenheit in der Moderne und Postmoderne ist, dass sie zwar in Gottesdienst und Bibelstunde das biblische Weltbild der sichtbaren und der unsichtbaren Welt glaubt, aber im Alltag (fast möchte man sagen: „im richtigen Leben“) oft zurückfällt in das moderne Weltbild, das nur noch die sichtbare Welt kennt. Welcher Christ rechnet z.B. noch damit, dass die an Krebs erkrankte Freundin durch ein Eingreifen Gottes geheilt werden könnte? Stattdessen wird gleich darum gebetet, dass sie die Chemotherapie möglichst gut übersteht . . . 

Jesus hat in der Bergpredigt gesagt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Genauso kann man als Christ nicht zwei Weltbilder haben – das eine für die Kirche, das andere für das „wirkliche“ Leben. Wir müssen uns entscheiden. Und da lautet die wichtigste Erkenntnis, die es zu Corona gibt, so: Diese Pandemie hat zentral mit Gott zu tun. Wir haben sie als Gericht bzw. Sich-zu-Wort-Melden Gottes zu verstehen. Wer dies nicht begreift bzw. als „unwissenschaftlich“ beiseiteschiebt, wirft den Schlüssel zum Verständnis – und zur Beendigung – der Pandemie von vornherein weg. 

Eine Regierung, die die Dimension Gottes ernst nimmt, würde die Bürger zum Beten und zu Bitt- und Bußgottesdiensten aufrufen, anstatt ihre religiöse Versammlungsfreiheit einzuschränken. Können wir im Ernst erwarten, dass Corona aufhört und alles wieder gut wird, solange wir es nicht als Reden Gottes begreifen und darauf antworten? Wie realitätsfremd kann man werden? Noch einmal: Man kann nicht zwei Weltbilder haben. 

2. Die vergessene Realität: Gesundheit statt Seelenheil 

Parallel zur Abschaffung der Dimension der Transzendenz hat sich eine massive Störung der Gewichtsverteilung zwischen dem Körper und der Seele des Menschen vollzogen. Hier ist nicht der Ort für eine philosophische oder theologische Analyse des Leib-Seele-Dualismus, aber halten wir fest: Überall, wo im Neuen Testament von Bekehrungen die Rede ist, geht es zentral um das Seelenheil, genauer: um das ewige Heil, das nach dem Tod fortbesteht und dann erst seine ganze Erfüllung findet. Es war die Sorge um das Seelenheil, die Luther zum Reformator werden ließ, und viele Jahrhunderte lang ging es in Mission und Evangelisation zuvörderst darum, „Seelen zu retten“; dass die geretteten Seelen dann auch vernünftiger mit ihrem Leib umgingen, war sozusagen eine positive Nebenwirkung. 

Der Einbruch der heidnischen Gnosis in die alte Kirche hat die Balance zwischen Seele und Leib zeitweise bedenklich weit zugunsten der Seele verschoben. Manche spätantiken Eremiten lebten nach dem Motto: „Wir waschen uns nie“. Der Leib, das war das Böse. Doch das ist heute Schnee von vorgestern. Längst ist das Pendel weit in das andere Extrem hineingeschwungen. Heute geben die Bürger der Wohlstandsländer (darunter auch Christen) jährlich Unsummen aus, um ihren Körper möglichst lange schön, frisch und gesund zu erhalten. Gesundheit und ein langes Leben sind für viele eine Religion geworden. Ewige Seligkeit bzw. „in den Himmel kommen“ spielt für die Menschen, die an keinen Gott glauben, keine Rolle mehr; von Wohlfühlchristen wird es als Selbstverständlichkeit abgehakt. 

Man muss um diese Verschiebung der zentralen Sorge des Menschen vom ewigen Seelenheil zur körperlichen Gesundheit wissen, um die irrationale Angst der Menschen in unserem Land vor einer Ansteckung mit COVID 19 verstehen zu können. Die Medizin, die Medien und die Mächtigen brauchen gar nicht viel zu unternehmen, um dieses Feuer zu schüren; die Flamme ist schon so stark genug. Menschen, für die das ewige Seelenheil entweder nicht mehr existiert oder billig geworden sind, sind bereit, fast jeden Preis zu zahlen, um nur ja nicht vorzeitig sterben zu müssen. Masken tragen, keine Geburtstagsfeiern mehr, die Oma im Altenheim nicht mehr besuchen, auf den Urlaub verzichten, der sicheren Arbeitslosigkeit und dem sicheren Staatsbankrott ins Auge sehen – alles geht. 

Folgende Fragen sind hilfreich, um zu bestimmen, wo man bezüglich des Themas „Gesundheit und Seelenheil“ steht. Fragen wir uns einmal ganz einfach: 

• Was ist mir wichtiger: regelmäßiger Ausgleichssport oder regelmäßig das Heilige Abendmahl feiern? 

• Was ist mir wichtiger: der Arztbesuch oder die Beichte? Gesundheit oder Vergebung der Sünden? 

• Wovor habe ich mehr Angst: Krebs (oder Corona!) zu bekommen oder in Gottes Gericht verdammt zu werden? 

• Wenn ich wüsste, dass ich in einer Stunde sterben werde, wüsste ich dann ganz genau, dass es anschließend weitergehen und Gott mich gnädig annehmen wird? 

3. Die vergessene Realität: Menschen mehr gehorchen als Gott 

Zu der absoluten Realität Gottes gehört es auch, dass Gott derjenige ist, dem ich am meisten Gehorsam und Loyalität schuldig bin. Der Satz „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5,29) ist eines der zentralsten Prinzipien in der Bibel. Im Kontext eines Predigtverbots durch den Sanhedrin in Jerusalem ausgesprochen, zieht er sowohl in der Bibel (dort bereits im Alten Testament) als auch in der Kirchengeschichte weite Kreise. Im Gegensatz zu dem, was heute durch manche evangelikalen Köpfe geistert, wird er durch die bekannte Stelle Römer 13,1–7 („jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat . . .“) mitnichten aufgehoben.
Von den ägyptischen Hebammen und Mose im Buch Exodus bis zu „modernen“ Glaubenszeugen wie Dietrich Bonhoeffer und den Christen bei den Montagsdemonstrationen 1989 in der ehemaligen DDR reicht die Palette von gottesfürchtigen Menschen, die staatlichen Obrigkeiten und Verordnungen trotzten, weil Gottes Gebote und Gerechtigkeit etwas anderes nicht zuließen. 

Aber Gott gehorchen – auch dies ist dem modernen (und erst recht dem postmodernen) Menschen abhandengekommen. Dies gilt selbst für viele fromme Kreise, wo das unbiblische, dem Zeitgeist angepasste Gotteszerrbild des lieben Gottes, der ein Züchtigungsverbot bekommen hat, den Gedanken, dass man Gott so etwas wie Gehorsam schuldig sein könnte, weithin verdrängt hat. Dann lieber dem Staat gehorchen, denn der – vgl. den riesigen Bußgeldkatalog für „Verstöße“ gegen die Corona-Regeln – hat kein Züchtigungsverbot, sondern bestraft einen munter. Traurig, aber wahr: Viele Christen fürchten heute die Vertreter des Staates mehr als Gott – und das (es ist eigentlich nicht zu fassen) in einem demokratischen System, wo ja der Bürger der Souverän sein sollte! 

Abschließen möchte ich diesen Abschnitt mit einer (manchen vielleicht schon bekannten) Szene aus einer Bibelstunde vor vielleicht 50 Jahren. Das Thema des Abends sind Gottes Gebote, und um den Teilnehmern etwas zu geben, worin sie sich festbeißen können, erzählt der Leiter eine wahre Geschichte aus der Hitlerzeit: 

Man schreibt das Jahr 1943, die „Endlösung der Judenfrage“ rollt. Eine gläubige Familie hat im Keller ihres Hauses einen Juden versteckt. Eines Abends – man sitzt in der Küche beim Abendessen – klingelt es an der Tür. Der Hausherr geht hin und öffnet. Draußen stehen zwei Gestapo-Beamte: „Wir machen gerade eine Umfrage für die öffentliche Sicherheit. Wohnen in Ihrem Haus Juden?“ Der Hausherr erwidert mit der ruhigsten Miene der Welt: „Nein, wie kommen Sie auf so was? Bei uns gibt’s keine Juden!“ Man tauscht noch ein paar Höflichkeiten aus, dann gehen die Männer wieder. 

Kommentar mehrerer Teilnehmer der Bibelstunde: „Wie konnte der Hausherr so was sagen? Christen dürfen doch nicht lügen!“ Ob diese von Freiheit verwöhnten Frommen schon einmal von den hebräischen Hebammen aus 2. Mose 1 gehört hatten? 

4. Wie haben die Kirchen auf Corona reagiert? 

Zurück zur aktuellen Lage. Stellen wir uns, C.S. Lewis‘ geniale Idee mit seiner fiktiven „Dienstanweisung an einen Unterteufel“ aufgreifend, einen Augenblick lang vor, beim Satan und seinen Dämonen gäbe es Neujahrsansprachen. Dann hätte die Ansprache des für Deutschland zuständigen Oberteufels am 1. Januar 2021 vielleicht die Überschrift „Sie singen nicht mehr“ gehabt, und der höllische Funktionär hätte schadenfroh über ausgefallene Christmetten referiert, über Präsenzgottesdienste mit absoluter Maskenpflicht, über Ordner, die einen maskenlosen Gottesdienstbesucher rüde anfahren, über verbitterte Gemeindeglieder, die nicht mehr kommen, und über Pastoren, die einem Sterbenden im Altenheim aus Hygienegründen das letzte Abendmahl verweigern. Und als Nächstes hätte er vielleicht süffisant hervorgehoben, dass, wenn die „Maßnahmen“ und „Auflagen“ noch wenige Monate weitergehen, die Christen in Deutschland, aber auch anderswo ein ganzes Kirchenjahr nicht in der gewohnten und gebotenen Weise begehen konnten. 

Viele Eltern und Lehrer sorgen sich heute, dass, wenn die Lockdowns weitergehen, die Schüler bald ein ganzes Schuljahr verloren bzw. nur als Notbetrieb erlebt haben werden, und fragen sich, was das mit der Bildung, aber auch den Seelen der Kinder macht. Bei Christen sollte der „Ausfall“ von demnächst einem ganzen normalen Kirchenjahr die Alarmglocken noch viel lauter klingen lassen. Diese Sache hat eine geistliche Bedeutung, über die viele vielleicht noch gar nicht nachgedacht haben. Nicht ins Ausland oder ins Fitnesscenter fahren zu können, ist lästig; aber kein normales Abendmahl mehr und nicht mehr singen dürfen – das zeigt, dass wir es bei Corona mit mehr als einem medizinischen Problem und menschlichen Bevormundungsspielen zu tun haben, nämlich mit den Mächten der Finsternis (vgl. Epheser 6,12). Corona ist eindeutig mehr als ein Angriff auf die Gesundheit der Menschheit; letztlich zielt es auf die Zerstörung von Freiheit und Demokratie, von Bildung und sozialem Leben, aber auch auf die Zerstörung der Gemeinde Jesu und ihrer konkreten Kirchen vor Ort. 

Leider ist das Bewusstsein für diese geistliche Tiefendimension bis jetzt noch nicht in den Chefetagen von Kirchen und kirchlichen Verbänden angekommen. Was sich im März 2020 noch als Überrumpelungseffekt erklären ließ, ist inzwischen zur eisernen Normalität geworden: Christen haben den staatlichen Aussagen Folge zu leisten, basta. Wenn in diesem Zusammenhang die Bibel zitiert wird, dann meist nur Römer 13. Wagt eine Gemeinde es, einen „normalen“ Gottesdienst abzuhalten, droht ihr die Auflösung der Veranstaltung durch die Polizei; es ist schon mehrfach passiert. Kommt es infolge dieses Gottesdienstes zu Corona-Ansteckungen, ist diesen Christen die Häme und Wut der Gesellschaft sicher. Und der Tadel selbst frommer Christen, wie man nur so „verantwortungslos“ sein kann . . . 

Der gläubige Christ, der angesichts der Mischung aus Panik und Härte, mit der die Oberen auf Corona reagieren, feststellt, dass hier Dinge fundamental schieflaufen, und sich ein mahnendes Wort von evangelikalen Organisationen und Repräsentanten erhofft, wird bisher weitgehend enttäuscht. Selbst Institutionen wie die Evangelische Allianz und diverse Gemeinschaftsverbände fahren die Linie des strikten Befolgens der staatlichen Maßnahmen. Die Bezeichnungen „Verschwörungstheoretiker“ und „Coronaleugner“ sind längst auch in Kirchen und Gemeinschaften zu verbalen Keulen geworden, mit denen selbstständig Denkende in „die rechte Ecke“ gestellt werden. Wer sich besorgt fragt, was die „Corona-Maßnahmen“ mit uns machen, findet hilfreiche Informationen und Analysen oft eher bei säkularen Autoren und Journalisten als bei kirchlichen Stellen. Diese Autoren kommen ohne Bibelzitate daher, dafür aber mit einem wachen gesunden Menschenverstand, von dem viele Fromme sich eine dicke Scheibe abschneiden könnten.

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Zum einen erleben wir hier die Folgen einer jahrzehntelangen und zunehmenden Anpassung von Kirchen und Gemeinschaften an den Zeitgeist.
Zum Zweiten haben Jesus und die Apostel uns im Neuen Testament unmissverständlich vorhergesagt, dass in der Endzeit kräftige Verführungen über die Gemeinden hereinbrechen und viele vom Glauben abfallen werden (vgl. Matthäus 24,10; Lukas 21,16).
Und drittens gibt es historische Präzedenzfälle dafür, wie ganze Kirchenverbände und ihre Repräsentanten in Situationen, wo sie ihre Stimme hätten erheben sollen, von Blindheit geschlagen waren. Man denke nur an die Reaktion der Mehrheit der Christen und Kirchen in Deutschland auf Hitlers Diktatur. Oder an die willig angepassten Kirchen im Ostblock in den Jahren 1945– 1990. Die Verführung, sich mit den Mächtigen gutzustehen, ist schon immer stark gewesen, und die innere Widerstandskraft der heutigen Christen und Kirchen im so lange verwöhnten Westen ist definitiv nicht hoch. 

5. Christenverfolgung? 

In dem Hin und Her der Stimmen, Meinungen und Warnungen zu Corona ist auch das Stichwort „Verfolgung“ aufgekommen. Die einen sehen die Corona-Maßnahmen als Beginn einer Christenverfolgung, die anderen kontern, dass es eine Unverschämtheit sei, wenn Christen, die unter den Maßnahmen leiden, sich mit den Bürgerrechtlern in der DDR verglichen; sie wüssten doch gar nicht, was Christenverfolgung ist. Hier ist dringend Versachlichung geboten, und ich möchte sie mit zwei Punkten versuchen: mit einem historischen Rückblick und mit einigen Gedanken über gekochte Frösche. 

5.1 Wie es in den Ostblockländern war 

Als 1945 der Kommunismus Osteuropa überrollte, standen die Kirchen alsbald vor dem Problem, wie sie sich zu der neuen Obrigkeit und ihrer Ideologie verhalten sollten. Die Strategie der neuen Machthaber war – anders als anfangs in China oder in der Frühphase der russischen Revolution – nicht der Frontalangriff auf die christliche Religion als solche; vielmehr wurde systematisch versucht, die Kirche als Institution bestehen zu lassen, sie aber mit der Parteiideologie gleichzuschalten. Es ist (möglicherweise mit der Ausnahme Albaniens) in den Ostblockstaaten wie auch in der nachstalinistischen Sowjetunion nie „verboten“ gewesen, Christ zu sein; die Verfassungen enthielten selbstverständlich einen Religionsfreiheits-Paragrafen. Aber es wurde, in geschickter Ausnutzung von Römer 13, von den Kirchen erwartet, dass sie sich „an die Gesetze hielten.“ Die Devise lautete: „Ihr könnt selbstverständlich als Christen leben und zur Kirche gehen – ihr müsst euch nur an die Regeln halten.“ 

Was für Regeln waren das? Zum Beispiel, dass religiöse Unterweisung für Kinder verboten war; also bitte keine Kinderkirche oder Jungschar für Kinder unter beispielsweise 10 Jahren. Begründet wurde dies mit dem Kindeswohl (Schutz Minderjähriger vor Indoktrination). Bald darauf wurde die Altersgrenze zum Beispiel auf 12 Jahre angehoben, dann auf 14, schließlich auf 18.
Oder: Das Verteilen von Bibeln und anderen religiösen Schriften im öffentlichen Raum war verboten.
Oder: Keine religiösen Gespräche mit Kollegen während der Mittagspause.
Oder: Die Sonntagspredigt bitte vorher dem örtlichen Religionsbeauftragen vorlegen, damit etwaige missverständliche oder nicht sozialismuskonforme Formulierungen bereinigt werden können. Und muss die geplante Bibelstundenserie über die Johannesoffenbarung wirklich statt finden in diesen Zeiten, wo der Weltfriede gefährdet ist? 

Wir sehen das Prinzip. Es hat damals nicht sehr lange gedauert, und den ersten Christen wurde klar:
„So geht das nicht weiter; wenn wir da mitmachen, verraten wir unseren Herrn, das Seelenheil unserer Kinder, das Heil unserer Kollegen und, und, und . . .“
Und es bildeten sich die ersten illegalen Gemeinden (später „Untergrundkirchen“ genannt), die sich in privaten Örtlichkeiten, aber auch zum Beispiel nachts im Wald trafen, um heimlich Gottesdienst zu feiern, Gelegenheit zu Abendmahl und Beichte zu gehen, zu taufen und vieles mehr. Es dauerte wiederum nicht lange, und der Staat begann, die Untergrundkirche gnadenlos zu verfolgen. Gottesdienste wurden polizeilich aufgelöst, Pastoren inhaftiert. Und warum die Verfolgung? Weil diese Menschen Christen waren? Aber nicht doch, sondern weil sie die Regeln nicht eingehalten hatten . . . 

Es war die Untergrundkirche, die die Flamme des christlichen Glaubens in den langen Jahren der kommunistischen Unrechtsherrschaft in Europa am Brennen gehalten hat. Ohne sie wäre der Glaube in diesen Ländern rückstandslos verschwunden. Nicht alle in den westlichen Kirchen haben das begriffen. Als die Bücher des rumänischen Pastors und Dissidenten Richard Wurmbrand, den westliche Christen aus der Haft freigekauft hatten, im Westen bekannt wurden, haben viele ihm nicht geglaubt; hätte es das Wort damals schon gegeben, sie hätten ihn glatt als „Verschwörungstheoretiker“ tituliert.

5.2 Wie man einen Frosch kocht 

Viele kennen das Beispiel schon: Wenn man einen Frosch nimmt und in einen Topf mit siedend heißem Wasser wirft, wird er instinktiv versuchen, aus dem Topf herauszuspringen; selbst sein kleines Hirn hat begriffen, dass man ihn umbringen will. Tut man ihn dagegen in einen Topf mit kaltem Wasser und steigert im Folgenden die Temperatur ganz allmählich, hat man am Schluss einen perfekt gekochten Frosch, denn zu keinem Zeitpunkt hat er das dringende Bedürfnis verspürt, in die Freiheit zu springen: Es ist doch nur ein kleines bisschen wärmer geworden, das werde ich auch noch schaffen . . . 

Die osteuropäischen Machthaber nach 1945 haben diese Taktik der allmählichen Temperatursteigerung geschickt eingesetzt. Die „Untergrundkirchenfrösche“ waren diejenigen, die rechtzeitig erkannten, was mit ihnen gespielt wurde; die anderen ließen sich fertiggaren. 

Was uns zurück zu der Debatte führt, ob man die Corona-Maßnahmen als Beginn einer Christenverfolgung sehen kann. Das hängt ganz davon ab, welchem Frosch-Koch-Modell man folgt – dem mit dem siedend heißen Wasser oder dem mit der allmählichen Temperatursteigerung. Niemand kann heute im Ernst versuchen, die Lage der Christen in Deutschland mit der ihrer Glaubensgeschwister in Nordkorea, Pakistan oder dem Iran gleichzusetzen; dort ist der Boden für Christen wirklich siedend heiß. Und wo heutigen Querdenker-Demos der Wasserwerfer droht, mussten die Teilnehmer der Montagsdemonstrationen in Leipzig damit rechnen, mit Maschinengewehrsalven niedergemäht zu werden. Insofern Bejahung der einschlägigen Stellungnahmen christlicher Organisationen. 

Aber . . . Das Bild ändert sich, sobald wir in die Perspektive der zweiten Methode, Frösche zu kochen, überwechseln. Bereits seit geraumer Zeit erleben wir in den westlichen Ländern eine fortschreitende Einengung der Spielräume von Christen in Beruf, Alltag und selbst in den Kirchen. Da ist die schwedische Krankenschwester, die sich weigerte, bei Abtreibungen mitzuwirken, und daraufhin die (inzwischen von den Gerichten bestätigte) Kündigung bekam.
Da ist der Pastor in Deutschland, dem seine eigene Kirchenleitung ein totales Verbot der Ausübung seines Berufes als Pfarrer seiner Gemeinde erteilt hat, weil er angeblich „homophob“ ist.
Da ist der Schüler, der in der Abiturarbeit im Leistungsfach Biologie eine schlechtere Note bekommt, weil er sich kritisch zur Evolutionslehre geäußert hat.
Da ist die Studentin, die für ihre Semesterarbeit vorgeschrieben bekommt, alles zu „gendern“. Die Liste der Dinge, die man bei uns als Christ vorsichtshalber nicht mehr sagen sollte, wird länger und länger. Sogenannte „Hate-Speech“-Gesetze machen das Internet für den, der es wagt, seine Meinung frei zu äußern, zunehmend zu vermintem Gelände. 
Die Parallele zu dem Frosch, der ganz allmählich totgekocht wird, ist offensichtlich, und wer hier tapfer tönt: „Aber das werden die doch nie machen, und so weit wird es doch nie kommen“, beweist nur, dass er immer noch nichts begriffen hat. Was sich heute im „christlichen Abendland“ anbahnt, ist schlicht die allmähliche Erdrosselung des Christentums. 

In diese Erdrosselung passen die Corona-„Regeln“ perfekt hinein. Vor siebzig Jahren mussten Christen in Rumänien, Ungarn, Bulgarien usw. sich entscheiden, ob es „denn wirklich so schlimm“ war, wenn die Kinderstunde nicht mehr stattfand. Heute müssen Christen bei uns sich entscheiden, wie schlimm oder wie harmlos sie es finden, wenn in ihrer Gemeinde Abendmahlsfeiern nicht mehr möglich sind, Lieder und Liturgie (die ja Bekenntnisse zu Gott sind) nicht mehr von der Gemeinde gesungen werden dürfen oder die Beichte nur noch an Telefon oder Computer stattfinden kann. 

Nein, ich behaupte nicht, dass staatliche Stellen im vergangenen Februar urplötzlich in einer finsteren Verschwörung die Liquidierung der Kirchen beschlossen. Aber die Corona-„Regeln“, die sie beschlossen haben und für deren Bruch sie mit empfindlichen Strafen drohen, laufen objektiv auf eine Erdrosselung kirchlichen und christlichen Lebens hinaus. 

Was mag dem sterbenden Frosch in seinen letzten Minuten durch den Kopf gehen? Ein Satz, wieder und wieder: „Wäre ich doch gesprungen!“ Damals, als das noch ging, auch wenn es eine große Anstrengung erfordert hätte. Wäre ich doch gesprungen . . . 

• als die Redaktion des Gemeindebriefes beschloss, die Sprache im Gemeindebrief künftig konsequent zu „gendern“. 

• als die Erzieherinnen im Kindergarten der Kirche die Vorgabe bekamen, die Kinder andere Geschlechterrollen ausprobieren zu lassen. 

• als das Abendmahl in meiner Gemeinde „bis auf Weiteres“ abgeschafft wurde, um „die amtlichen Vorgaben zu erfüllen“. 

• als das Singen im Gottesdienst eingestellt wurde, „um unserer Verantwortung während der Pandemie Rechnung zu tragen“. 

• als die Gemeindeleitung beschloss, künftig freitags die Kirchenräume muslimischen Migranten als Moschee zur Verfügung zu stellen, „um unsere christliche Nächstenliebe zu zeigen“. 

• als das Presbyterium per Mehrheitsbeschluss die Gemeinde zur „Regenbogengemeinde“ erklärte, die gerne auch gleichgeschlechtliche Paare traut, und die biblische Position zur praktizierten Homosexualität für „menschenverachtend“ erklärte. 

• als der Pastor die Hauskreisleiter anwies, die Hauskreise so lange ruhen zu lassen, bis wieder mehr als drei Personen aus zwei Haushalten sich privat treffen dürfen.  Wann springen die Frösche endlich? 

6. Kirche der Zukunft: In Verfolgung leben 

Kann man in der Lage, in der die Christenheit sich in der Welt allgemein und im Mutterland der Reformation im Besonderen heute befindet, überhaupt noch etwas Positives sehen? Ja, durchaus. Jeder mündige Christ kann aus dem, was um ihn her geschieht, lernen. Jeder mündige Christ kann sich an die Fundamente seines Glaubens erinnern. Und jede mündige Gemeinde kann ihre Strukturen und Strategien ändern und das tun, was nötig ist. 

6.1 Was wir gelernt haben sollten 

Wir leben nicht mehr in einem „christlichen“ Land. Das „christliche Abendland“ ist vorbei. Wir leben nicht mehr in einem Staatswesen, dem die freie Religionsausübung – nach den Regeln, die die Religion und nicht der Staat vorgibt – heilig ist. Christen in Deutschland können nicht mehr davon ausgehen, dass die Rechte und Freiheiten, die ihnen das Grundgesetz garantiert, durch Dick und Dünn von den Regierenden respektiert werden und dass der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes noch gilt. Das alles ist vorbei. 

Der „große Reset“ für die schöne neue Welt nach Corona, den globale Kräfte in Politik, Finanzwelt und digitalen Tech-Konzernen anstreben, wird keinen Platz für Gott und das Christentum haben. Das hatten schon die bisherigen Reset-Versuche in der Geschichte der Menschheit (französische Revolution, Marxismus-Leninismus, Hitler u.a.) nicht, und wir können von Klimarettung, neuer Zivilgesellschaft, Gender und Co. nichts Besseres erwarten. Was Jesus seinen Jüngern in seinen Endzeitreden vorhersagte, beginnt sehr konkret, Realität zu werden: die weltweite Christenverfolgung. 

Wir können dabei nicht erwarten, dass die Leitungen der klassischen Kirchen und Freikirchen schon rechtzeitig den nötigen Widerstand leisten werden. Corona hat demonstriert, dass es dem Staat in kürzester Zeit gelingen kann, auf den Kirchen zu spielen wie auf einer Klaviatur, ohne dass die Kirchen aufmucken. Diese Lehre aus der Corona-Krise werden heutige und kommende Obrigkeiten, aber auch die Kräfte, die schon lange auf eine antichristliche Gesellschaft hinarbeiten, nicht vergessen. 

Angesichts dieser Realität muss auch festgestellt werden: Das Modell der „Wohlfühl-Kirche“, das in den vergangenen Jahrzehnten für viele (gerade auch evangelikale) Gemeinden prägend wurde, hat ausgedient. Es wird bereits den Rest der Corona-Zeit nicht überstehen, geschweige denn das, was danach kommen wird. 

6.2 An was wir uns neu erinnern müssen 

Schon seit längerem hört man im kirchlichen Raum den Ruf nach einer „neuen Reformation“. Es sind die Kirchen, die tatsächlich einen „Reset“ brauchen. Reformation – das größte historische Beispiel war bekanntlich Martin Luther – bedeutet immer Erinnerung an das, wie Gott Christsein und Kirche eigentlich gemeint hat. Es bedeutet entschlossene, tabulose Rückkehr zu den Aussagen und Lehren der Bibel. In der aktuellen Lage bedeutet dies, dass Einzelchristen und kirchliche Amtsträger sich wieder über die folgenden Dinge klarwerden: 

• Christen haben keinen Anspruch darauf, in diesem irdischen Leben „glücklich“ zu werden. Das Ziel christlicher Existenz ist die ewige Seligkeit nach dem Tod, nicht ein „gelungenes Leben“ hier auf der Erde. 

• Gott ist immer beides: heilig und gnädig, Erlöser und Richter. Es gibt keinen „nur lieben“ Gott. Alle Menschen werden sich einmal vor Gottes Richterthron verantworten müssen. Auch wir (vgl. z.B. Römer 14,10; 1. Korinther 3,12-15). 

• Christen ist ausdrücklich befohlen, nicht Menschenfurcht, sondern Gottesfurcht zu haben (vgl. Matthäus 10,28-33). Alles, was Menschen ihnen antun können, endet spätestens mit dem Tod. Das eigentliche Leben kommt aber erst nach dem Tod. Damit ist alles, was staatliche und gesellschaftliche Machthaber oder ideologische Meinungsmafias Christen antun können, entscheidend relativiert und verliert seine lähmende Kraft. 

• Es gibt einen Plan Gottes für den Ausgang der Menschheitsgeschichte. Gott ist stärker als alle Mächte des Bösen. „Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht; sein wird die ganze Welt“ (Johann Christoph Blumhardt). 

• Vor dem Triumph Gottes kommt der Generalaufstand des Bösen. Es gibt in der gesamten Bibel kein Endzeit-Szenario, das so aussieht, dass die Christen die Welt immer „christlicher“ machen, bis sie dem wiederkommenden Christus nur noch die Schlüssel übergeben müssen. 

• Verfolgung ist etwas Normales im Leben der Christen und Kirchen. „Haben sie mich verfolgt“, sagte Jesus seinen Jüngern, „so werden sie auch euch verfolgen“ (Johannes 15,20). Märtyrer sind nicht dazu da, um sie zu bemitleiden, sondern um sich mit ihnen zu solidarisieren und von ihnen zu lernen. Das Schlimmste, was Christen passieren kann, ist nicht Verfolgung, sondern Abfall, nicht das Martyrium, sondern die Anpassung an die antichristliche Welt (vgl. Matthäus 10,33). 

• Christen haben nicht die Welt zu verbessern, sondern Seelen zu retten. Ihr höchstes Gut ist nicht die Freundschaft der Welt, sondern die Liebe Gottes. 

• Christen ist von Christus selber befohlen, in Gemeinden zu leben, den Gottesdienst und das Heilige Abendmahl zu feiern sowie Seelsorge und Mission zu betreiben. 

6.3 Was wir in den Gemeinden ändern müssen, um den kommenden Sturm zu überstehen und bereit zu sein für den wiederkommenden Herrn 

Die Kirche von morgen wird eine Kirche sein, die auf die Wiederkunft Jesu Christi wartet und dabei mit zunehmend gottlosen Gesellschaften und autoritären bis totalitären Regierungen konfrontiert ist. Die Herrschenden werden Christen diskriminieren, oft offen verfolgen. Diese Situation erfordert von den Kirchen im ehemaligen Abendland andere Strukturen und Strategien als die bisherigen. 

a) Die Kirche von morgen wird aus Christen bestehen, die ihre Bibel kennen. Sie kennen nicht nur ein paar Goldene Worte, sondern die roten Fäden und großen Linien. Sie kennen die biblische Historie, von Schöpfung und Sündenfall bis zur Wiederkunft Christi. Sie wissen, wer Noah und wer Abraham war, was beim Exodus passierte und wie Israel überhaupt nach Ägypten gekommen war. Sie kennen sich aus mit der israelitischen Monarchie und den Gründen für ihren Untergang. Man muss ihnen nicht erklären, wozu der Tempel gut war. Sie können begründen, warum es nicht richtig ist, wenn zwei Frauen heiraten und Kinder adoptieren. Sie wissen, dass Paulus nicht nur gewaltige Begegnungen mit Gott, sondern auch gewaltige Leiden erlebte. 

Und nicht zuletzt haben sie das aus der Bibel Gelernte verinnerlicht. Sie können vielleicht nicht alle Bibelstellen über den Zehnten nennen, aber sie sind freigebig, wo es um Gottes Sache geht oder Menschen in Not sind. Sie wissen vielleicht nicht, was „Vergebung“ auf Hebräisch heißt, aber sie praktizieren Vergebung. Sie spekulieren nicht, wann Jesus wiederkommen wird, aber ihr Leben ist von dem Wissen geprägt, dass er wiederkommt. 

b) Die Gemeinden von morgen werden aus mündigen Christen bestehen, die Aufgaben erledigen können, die heute nur der Pastor „darf“. Es wird in jeder Gemeinde genügend Glieder geben, die berechtigt (sozusagen ordiniert) sind, der Feier des Abendmahls vorzustehen. Oder Gottesdienste durchzuführen und Predigten zu halten. Oder zu taufen, zu konfirmieren, kirchlich zu trauen oder zu beerdigen. Wenn dann der Pastor wegen „Hassrede“ oder „Islamophobie“ ins Gefängnis kommt, läuft das Gemeindeleben ohne Unterbrechung weiter. 

c) Die Kirche von morgen wird „privater“ sein als heute. Es ist schwieriger, zwanzig Hauskreise aufzuspüren und zu schließen, als ein Kirchengebäude dichtzumachen. Die Gemeinden werden sich den Strukturen der „Untergrundkirchen“, aber auch der Kirche der ersten drei Jahrhunderte der Kirchengeschichte annähern. Vor etwa zehn Jahren merkte in Süddeutschland ein scheidender Pfarrer in seinem letzten Mitarbeitergottesdienst an, „dass dann, wenn Jesus wiederkommt, die einzige Organisationsform der (Jesus-treuen) Kirche womöglich die Hausgemeinde sein wird“. Er könnte recht haben. 

d) Die Kirche von morgen wird auch vorsichtiger sein als heute. (Das waren die Katakombenkirchen und die Untergrundkirchen auch.) Sie weiß darum, dass es Verräter in den eigenen Reihen geben kann. Ihre Abendmahlsfeiern sind nicht zum „Reinschnuppern“ gedacht. Wer in ihr Mitglied werden will, muss glaubhaft machen können, dass er sich zu Jesus Christus bekehrt hat. Ämter und Aufgaben werden nicht leichtfertig vergeben. 

e) Die Gemeinden von morgen werden vom Hightech-Fieber geheilt sein. Sie wissen nach wie vor um die Möglichkeiten von Internet, Videokonferenzen, Blogs und E-Mail-Aktionen. Sie wissen aber auch, wie leicht diese Dinge überwacht und abgehört werden können. Und wie leicht sie zensiert und abgeschaltet werden können. Die Gemeinden von morgen werden sich daran erinnern, dass das stürmische Wachstum der frühen Kirche in einer Zeit ohne Computer und Smartphone stattfand, dass Paulus seine Missionsreisen zum Großteil zu Fuß erledigte und dass noch John Wesley sich auf dem Pferd zum nächsten Evangelisationseinsatz begab, wo er dann selbstverständlich ohne Mikrofonanlage sprechen musste. 

Die Christen von morgen werden wieder von Hand schreiben und Mitteilungen persönlich abgeben. Wo nötig, benutzen sie statt E-Mail Kuriere, und die Cloud werden sie meiden wie die Pest. Sie werden das allererste Speichermedium der Kulturgeschichte neu schätzen lernen: unser Gedächtnis. Sie werden inhaltsreiche Kirchenlieder, von Paul Gerhardt bis zu modernen Liederma-chern, auswendig können, ebenso eine Auswahl besonders wichtiger Psalmen und Kernstellen im Alten und Neuen Testament. Sie werden die Gleichnisse Jesu aus dem Gedächtnis nacherzählen können und brauchen keine Vorlage, um das Vaterunser oder das Apostolische Glaubensbekenntnis sprechen zu können. Sie kennen die Abendmahlsliturgie und den typischen Ablauf eines Gottesdienstes aus dem Effeff. 

f) Die Kirche von morgen wird eine missionierende Kirche sein. Sie weiß, dass der Glaube an Jesus Christus alleinseligmachend ist. Sie weiß, dass er das Einzige in der Welt ist, was wirklich „alternativlos“ ist. Ihr Motto lautet: „Jeder Christ ein Missionar, jeder Nichtchrist ein Missionsfeld.“ 

g) Die Kirche von morgen wird eine wartende Kirche sein. Sie nimmt das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen in Matthäus 25 ernst. Sie ist vorbereitet sowohl auf das „große“ Ende (die Wiederkunft Jesu) als auch auf das „kleine“ Ende, das jeder von uns bei seinem Tod erlebt. Sie betrachtet dieses Ende nicht mit Heiden-Ängsten, aber mit dem größten Respekt und Ansporn. Sie rechnet fest damit, ja weiß darum, dass Gott der Sieger sein wird. Sie weiß, dass alles, auch alles Böse, dann aufgedeckt und gerichtet werden wird. Sie weiß, dass der gerechte Richter alles aufrollen wird, dass alle verbrannten Schriften und alle gelöschten Blogs wieder da sein werden. Und sie weiß, dass dieser Richter sie liebt und sich am Kreuz für sie geopfert hat. Ihr Einsatz wird nicht umsonst gewesen sein. 

Die Kirche von morgen, die so ist, wird den Stürmen standhalten. Sie steht unter der Verheißung ihres Herrn: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Sind wir bereit, in ihr mitzuarbeiten? 

 

Quellenhinweise: 

1 Genaueres dazu in meinem Artikel: „Corona Zweite Welle: Aufruf zum Umdenken in ernster Lage“, www. nbc-pfalz.de, dort der Abschnitt „Corona und die Obrigkeit“. Inzwischen gedruckt erschienen als Sonderdruck AG7001 der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e.V. 

2 Ich möchte als Beispiele zwei besonders empfehlenswerte Bücher nennen. Die Vorgeschichte der CoronaKrise wird beleuchtet in: Paul Schreyer, Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte (Frankfurt/M Westend Verlag, 2020, bereits mehrere Aussagen). Eine Zwischenbilanz der Maßnahmen zieht: Gertrud Höhler, Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Corona-Bilanz (München: Heyne, November 2020). 

3 Wer sich über R. Wurmbrand informieren will, sei auf seine Biographie verwiesen, die 2019 die Hilfsaktion Märtyrerkirche herausbrachte: Hilfsaktion Märtyrerkirche (Hg.), Ungebrochen die Kraft der Hoffnung. Die Geschichte von Richard und Sabina Wurmbrand (Gießen: Brunnen, 2019). 

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Der Autor, Dr. Friedemann Lux, ist Mitglied im Netzwerk bekennender Christen Pfalz und im Gemeindehilfsbund sowie Übersetzer zahlreicher christlicher Bücher.  –  Kontakt: Internet: www.agwelt.de 

Eingestellt von Horst Koch, im März 2021 Auch die Hervorhebungen im Text sind von mir

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