Christen als Fremde in der Welt (Baumgärtner)

Christen sind Fremdkörper in dieser Welt

Von Pfarrer i.R. Willi Baumgärtner, Helmsheim

Ein Fremdkörper, so sagt das Lexikon, ist „ein einem Organismus fremder Gegenstand“. Eine gute Beschreibung. Etwas, was nicht zur Konstruktion, zum Wesen oder zur Art eines bestimmten Organismus passt. So passen Christen in ihrer Art, ihrer Ausrichtung und ihrem Handeln auch nicht in diese Welt hinein.
Vorbilder gibt es bereits im Alten Testament genügend. Abraham war nach seiner Berufung aus Haran ein Fremdling. Die Israeliten lebten als Fremdlinge in Ägypten und sind überhaupt Fremdlinge in dieser Welt mit ihrer ganz anderen Form des bilderlosen Gottesdienstes.
Schon Haman hat dem König Ahasveros das Volk Israel gut beschrieben (Esther 3,8): „Es gibt ein Volk, zerstreut und abgesondert unter allen Völkern in allen Ländern deines Königreichs. Ihr Gesetz ist anders als das aller Völker. Sie tun nicht nach des Königs Gesetzen…“
Eine gute Beschreibung auch für uns Christen in dieser Welt. Es gibt mehrere Gründe dafür, warum das so ist.

Diese Welt hat eine Richtung

Die Welt ist nicht nur einfach neutrales Gebiet. Sie liegt im Argen. Sie wird vom Bösen beherrscht. Ihre Erkennungsmerkmale sind nach 1. Johannes 2,16 „Des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffärtiges Wesen.“
Der Teufel legte in der Versuchungsgeschichte dem Herrn sogar alle Reiche dieser Welt zu Füßen. Wir müssen wissen, dass wir als vom Sündenfall her verfluchte Menschen auf einer seither ebenfalls verfluchten Erde geboren werden. Nach Epheser 6,12 herrschen in der Luft böse Geister.
In dieser Welt gilt die Richtung: weg von Gott. Der natürliche Mensch will unbewusst weg von Gott – aus der Hand des liebenden und schützenden Gottes heraus. Der moderne Mensch spricht in diesem Zusammenhang von „Emanzipation“.
Treffender wird dieses Aufbegehren des Menschen von Immanuel Kant beschrieben, wenn er den Begriff „Aufklärung“ definiert: „Aufklärung ist das Heraustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes zu bedienen.“
Von dieser Sicht aus konnte Kant konsequenterweise selbst dem Sündenfall noch etwas Positives abgewinnen und seine Abhandlung „Lob des Sündenfalles“ schreiben. Damit beginnt eine Denkweise, die in der 68er Bewegung und dem heutigen Zeitgeist furchtbare Früchte trägt. Diese Art der Welt finden wir schon beim Turmbau von Babel (1. Mose 11). Sie wächst sich darin zu schrecklichem Wahn aus.
Der Apostel Johannes beschreibt in seinem Brief die Art und das Wesen dieser Welt mit dem oben schon zitierten Vers besonders treffend: „Der Augen Lust und des Fleisches Lust und hoffärtiges Wesen“ (1. Joh. 2,16). Anders gesagt:
► Es ist die Orientierung in Richtung auf das Sichtbare und Materielle, auf Geld und Gut und äußere Dinge. Auf Essen und Trinken und Haus und Hof und Kleidung
► Es ist die Orientierung auf das, „was uns gut tut, was bequem ist“, was ich jetzt sofort um jeden Preis haben möchte, wie Esau. Was mich keine Anstrengung kostet und dem Alten Menschen in mir zugutekommt (Ich-Bezogenheit). Dieses „Ich will aber …“ beherrschen schon ganz kleine Kinder als allererstes.
► Es ist der Ehrgeiz und Hochmut, der sich immer mit Anderen vergleicht und besser sein will als sie. Der sich einen Namen machen will, nicht wissend, dass gläubige Menschen als Kinder Gottes und im Namen ihres Erretters Jesus Christus volle Genüge haben können.

Diese Welt ist geistlich tot und kann nur Totes hervorbringen

Gläubige Menschen wissen darum und beteiligen sich deshalb nicht an jeder verrückten und aus der Not einer Situation heraus geborenen Weltverbesserungsstrategie der Philosophen, Politiker, Wissenschaftler, Religionsführer und Wirtschaftsmanager.
Diese alle wollen angeblich das Beste. Sie wollen das, was scheinbar aus der Sicht der menschlichen Vernunft geboten ist. Wir wissen aber aus dem Wort Gottes, dass beispielsweise die Strategie der Globalisierung (die eigentlich die bessere Zusammenarbeit und friedliche Koexistenz von Völkern und Religionen sichern soll) letztlich religiös, politisch und wirtschaftlich in der großen antichristlichen Hure Babylon enden wird. Wir haben das prophetische Wort, damit es uns dazu hilft, dieses System heute schon zu durchschauen.
Sicher ergeben sich manchmal da und dort auch gewisse Schnittmengen zwischen dem Glauben und der Welt. Dennoch gelten die in der Schrift vielfach vorgetragenen Mahnungen, nicht die Welt lieb zu haben (Jak. 4,4; Röm. 12,2; 1. Joh. 2, 12-17) Das heißt nicht, die Welt zu hassen oder zu verachten. Schließlich leben wir in ihr. Aber wir lieben sie nicht als Welt.

Gläubige haben eine andere Richtung

1. Sie sind nicht mehr von dieser Welt geprägt.
Gläubige Menschen gehörten einmal zu dieser Welt. Es gibt bei ihnen dieses „Einst“ und „Jetzt“. Vielleicht dachten sie weltlich oder religiös wie die Welt.
Den Korinthern zählt der Apostel Paulus alle möglichen Sünden auf. Er fasst das zusammen in der Aussage: „Solcher sind euer etliche gewesen. Aber ihr seid reingewaschen …“ (1. Kor. 6,11)
Jetzt sind sie „versetzt“ (Kol. 1,13) hinein in das Reich des Sohnes seiner Liebe. Durch den Glauben an Christus haben sie den Heiligen Geist bekommen. Sie sind Wiedergeborene. Von neuem oder von oben geboren.
Mit dem Glauben bekommen sie eine neue Sichtweise, eine neue Orientierung. Denn sie sehen jetzt nicht mehr allein auf Äußerlichkeiten wie die Gesundheit, das Haus, die gesellschaftlichen Nöte … Sie leben nicht mehr in der Abhängigkeit von dem, was das unpersönliche „man“ tut. Sie müssen sich nicht mehr anstrengen, um „in“ zu sein.
Selbst die Bindungen des Blutes, der Familie und Verwandtschaft treten gegenüber der Bruderliebe und geistlichen Bindungen in den Hintergrund. Das meint Jesus, wenn er so harte Nachfolgeworte spricht wie: „Wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlässt um meines Namens willen, der wird’s hundertfach empfangen und das ewige Leben ererben“ (Matthäus 19,29). Der Apostel Petrus schreibt von dem „eitlen und von den Vätern her überliefertem Wandel“, von dem uns Christus erlöst hat (1. Petrus 1,18)
Es ist manchmal schon merkwürdig, wenn Glaubensgeschwister da und dort mehr zu ihrer eigenen Verwandtschaft halten, selbst, wenn diese arge Fehler machen, als zu den eigenen Glaubensgeschwistern. Ich habe das immer wieder erlebt. Da hielt man mehr zu seinen nicht gläubigen Kindern, wenn sie jemand aus dem Geschwisterkreis kritisiert hat und war dem Kritiker noch gram.
Nein, wir haben im Glauben eine andere Richtung bekommen. So wie die Satellitenschüssel auf den Sender ausgerichtet sein muss, wenn man das Programm empfangen will, so müssen Gläubige auf Christus ausgerichtet sein. Alle sollten in die gleiche Richtung gehen. Das meinen die Begriffe „einmütig“ und „einhellig“, die der Apostel Paulus immer wieder verwendet. Im Unterschied zur Welt gehören gläubige Menschen nicht mehr Satan. Christus hat sie losgekauft. Er hat sie freigemacht durch sein Sterben und sein Blut, und sie haben das im Glauben in Anspruch genommen. Darum sind sie Fremdkörper in dieser Welt.
Von dem Zeitpunkt der geistlichen Bekehrung und Neugeburt an müssen sie mit Anfeindungen rechnen. Das ist für echte Christen etwas völlig Normales. Wir alle wehren uns, wenn uns jemand etwas wegnehmen will. Auch der Teufel macht das so. Dies sind die tiefsten Hintergründe für viele Kämpfe in Familie, Beruf und Nachbarschaft, die wir als Christen zu beste- hen haben.

2. Sie leben noch in dieser Welt, sind aber innerlich der Welt mit ihren Sünden gestorben

Äußerlich gehören wir wohl noch in diese Welt. Wir arbeiten in ihr, wir sind Staatsbürger, wir nehmen gesetzliche Möglichkeiten in Anspruch, die uns geboten werden. Wir brauchen wie alle anderen Geld, um leben und unsere Unkosten bezahlen zu können. Das ist nichts Schlechtes.
Wir unterscheiden uns auch äußerlich nicht wesentlich von anderen Menschen. Auch wir werden alt und verlieren im Alter Haare und Zähne oder brauchen ärztliche Hilfe. Als jemand, der schon das ganze Leben mit den Hüften Not hat, bin ich dankbar für meine Operationen und Reha-Maßnahmen, die es heute gibt.
In einem alten Lied mit dem Titel „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ wird diese Spannung, die Christen in dieser Welt erleben, ausgezeichnet beschrieben, wenn es dort heißt:

„Sonst sind sie wohl Adams natürliche Kinder

und tragen das Bildnis des Irdischen auch;

sie leiden im Fleische wie andere Sünder,

sie essen und trinken nach nötigem Brauch;

in leiblichen Sachen, in Schlafen und Wachen

sieht man sie vor andern nichts Sonderlichs machen,

nur dass sie die Torheit der Weltlust verlachen.“

Es sei den Lesern empfohlen, einmal dieses Lied von Christian Friedrich Richter aus dem Jahre 1704 als Ganzes zu lesen. Ihm ist es gut gelungen, die Spannung zwischen äußerem und innerem Leben, zwischen Leib und Geist, Natur und Glauben darzustellen und zu zeigen, wo Christen mit der Welt nicht mitkönnen und wo es keine Unterschiede gibt.

3. Sie bekommen die Reaktion der Welt zu spüren.

Menschen, die nicht gläubig und damit noch Teil dieser Welt sind, spüren auf der einen Seite, dass bei gläubigen Menschen etwas anders ist. Auch wenn sie das nicht konkret beschreiben oder benennen können.
Mir sagten manchmal Schüler oder auch Leute, mit denen ich irgendwie geschäftlich oder sonstwie zu tun habe: „Du strahlst so einen Frieden aus.“ Ich weiß zwar, das stimmt nicht immer, denn ein Christ kennt auch sein eigenes Herz, aber es wird von Mitmenschen mitunter so empfunden.
Oft spüren sie intuitiv: Da ist etwas, was sie selbst nicht haben. Manchmal hängen sich solche Leute an uns, wie im Alten Testament sich „Leute mit Schulden“ an David gehängt haben. Sie merken, wie wir nicht vom Denken der Masse geprägt sind und anders über das urteilen, was uns begegnet. Sie haben eine andere Sicht des Geschäftslebens, des Staates, des Geldes, des Familienlebens und anderer Lebensbereiche, wie aus den Brie- fen des Paulus deutlich wird.
Da ist aber auf der anderen Seite auch der Hass der Welt. Unser Anders- sein ruft Neid und Vorbehalte hervor und kann zum Ärgernis werden. Der natürliche Mensch in der Welt möchte zwar so sein wie ein Christ, er spürt unbewusst den Unterschied zwischen Gut und Böse, selbst, wenn es heute kaum mehr in den Elternhäusern und Schulen gelehrt wird. Aber er merkt andererseits, dass er aus sich heraus gar nicht so leben kann. Genau hier liegt der Fehler aller ideologischen Reformprogramme dieser Welt: Dass viel verkehrt läuft, merken sie. Und dann beginnen sie, die Verhältnisse zu ändern. Da mögen manche guten Ansätze sein, aber eines können sie nicht: das menschliche Herz ändern. Das kann kein Mensch!
Wenn wir den Leuten sagen, dass nur Jesus diese Änderung zu Stande bringt und wir deshalb diesen Programmen nicht zustimmen können, dann setzen Ärger, Hass und sogar Verfolgung ein. Das geht dem einzelnen Christen ebenso wie ganzen Gruppen. Insbesondere bibeltreue Gruppierungen, die gern als „Fundamentalisten“ bezeichnet werden, stehen schnell im Brennpunkt der Kritik.
Das erleben Christen heute besonders bei Aktivitäten in Richtung Lebensschutz: bei ihrem Engagement gegen den Kindesmord der Abtreibung und den vom Gesetzgeber freigegebenen assistierten Selbstmord. Oder an den Hindernissen, die ihnen in den Weg gelegt werden, wenn sie in manchen Städten freie christliche Privatschulen gründen wollen. Da braucht nur ein Attentäter wie neulich für eine kurze Zeit seines Lebens mit christlichen Kreisen Kontakt gehabt zu haben, schon werden bibeltreue Christen mit diesem in einen Topf geworfen.
Auch auf vielen anderen Gebieten werden die Christen für die Welt zum Ärgernis – so etwa, wenn sie auf Missstände der Gesellschaft hinweisen, die mit der Bibel nicht zu vereinbaren sind. Gegendemonstrationen bei christlichen Kundgebungen, mitunter sogar schon gegen Evangelisationen, sprechen eine deutliche Sprache.
Der Gegenwind wird zunehmen, je näher die Wiederkunft des Herrn Jesus kommt. Dennoch gilt in dem allen auch ein Wort, das der Herr den Jüngern zum Abschied mitgab: „In der Welt habt ihr Angst. (Bedrängnis) Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16, 33). Sowohl dieses Wort als auch das, was Petrus schreibt, daß uns „die Hitze, die uns begegnet, nicht befremdet“ (Wörtlich „nicht wie ein Gast ist“) wollen uns auf realistische Weise diese Spannung deutlich machen. Und nur, wo wir anders sind als die Welt, werden wir sie spüren.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Januar 2024

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