Ökumene der Religionen (K.Hoppenworth)

Die Ökumene der Weltreligionen

 

Der einzige Weg zum Weltfrieden?

Prof. Dr. Klaus Hoppenworth  

 

1. Das Selbstverständnis der Weltreligionen des Hinduismus, Buddhismus und Islam von ihren ethischen Grundwerten her

A. Der Hinduismus und Buddhismus mit ihren ethischen Grundwerten

Der Mensch kann nach der Lehre des Hinduismus nicht wesenhaft böse sein. Denn wenn es so wäre, dann stünde er im Gegensatz zu seinem Atman, dem guten Seelenkern. Vielmehr ist der Mensch an sich gut. Das Böse wird im Hinduismus nicht geleugnet, aber es wird als eine Macht ausserhalb des Menschen bezeichnet, die ausserhalb der Brahman-Atman Wirklichkeit, der Weltseele, Einzelseele, Wirklichkeit, in der Scheinwelt, dem Lebensbereich des Menschen existiert. Die böse Macht, auch Maya genannt, will zwar in den Menschen eindringen und ihn zur bösen Tat verleiten, aber da das Böse nur scheinwirklich ist, kann der Mensch, der die Brahman Atman Wirklichkeit für sich erfahren hat, das Böse erkennen und für sich unwirksam machen. Das Böse ist deshalb im Hinduismus ein noetisches, erkenntnismässiges Problem und niemals ein ontisches, seinsgemässes Problem. Das Böse ist deshalb für den Menschen eine Frage der Erkenntnis und nicht eine Frage des Seins, da das Sein des Menschen gut ist dank seinem Atman, seiner ewigen Seele, die Bestandteil ist des Brahman, der ewigen Weltseele.

B. Zu den ethischen Grundwerten des Hinduismus

Der Hinduismus gibt vor, eine Religion mit hohen sittlichen Grundsätzen zu sein, die der Lehre des Karma unterworfen sind, nach der gutes und schlechtes Handeln in Tat, Wort und Gedanken auf dem Weg zur Erlösung einen Menschen entweder voranbringt oder zurückwirft.

Das sittliche Verhalten des Christen dagegen ist kein Selbstzweck und schon gar nicht die Voraussetzung seiner Erlösung, sondern vielmehr eine Seinsweise, eine Lebenshaltung, die sich aus dem Glauben an Jesus als den Herrn seines Lebens erst ergibt und gleichzeitig auch den Christen in die sittliche Verantwortung seines Lebens gegenüber seinem Schöpfer und Erhalter und Erlöser ruft.

Der Hinduismus hat sich zum Ziel gesetzt, den autonomen, göttlichen Menschen zu erlösen, Gott aber will den sündigen Menschen retten. Der Hindu soll sich frei fühlen von Gott und auf seine Unabhängigkeit stolz sein, und da er deshalb ja nicht gegen Gott gesündigt haben kann, ist er im Grunde ein guter Mensch, und damit hat er auch Selbsterlösungsgaben.

Die Bibel jedoch weiss um die Sündhaftigkeit des Menschen, und dass er im Grunde seines Wesens ein böser Mensch ist, der zu seiner eigenen Erlösung nichts tun kann, sondern sich die Erlösung nur schenken lassen kann durch den Glauben an den Erlöser, den Gott, der sich selbst in Jesus Christus offenbart hat (vgl. Eph 2, 8).

Das macht doch ganz deutlich, dass es zwischen der hinduistischen Erlösungsreligion und dem christlichen Erlösungsglauben niemals eine gemeinsame Grundlage geben kann, und damit auch keinen Konsens im Sinne eines Weltethos aller Religionen.

C. Zu den ethischen Grundwerten des Buddhismus

Da der Mensch im Buddhismus, wie im Hinduismus auch, von seinem Wesen her gut und selbsterlösungsfähig ist, hat für den Buddhisten die fundamentale Ethik der Hindus ebenfalls Gültigkeit, die aber von Buddha noch weiter radikalisiert worden ist.

Denn Buddha (560-490 v. Chr.) hat eine moralische Selbsterlösungslehre vertreten, die er auf Grund seiner religiösen Selbsterfahrung gefunden hat. Deshalb lehrt auch der Buddhismus eine höchste moralische Vollkommenheit, welche schon in diesem Leben auf dieser Erde erreichbar sei. Dazu dient ja auch der edle, achtteilige Pfad als der Erlösungsweg ins Nirvana, in einen Zustand der Leidenserlöstheit jenseits von Sein und Nichtsein im transkosmischen Bereich. Dieser Pfad ist verbunden mit der ethischen Verpflichtung zur rechten Anschauung der vier edlen Wahrheiten, zur rechten Gesinnung, rechtem Reden, rechtem Tun, rechtem Leben, rechtem Streben, rechtem Überdenken seiner selbst und zum rechten Sichversenken als dem meditativen Erlösungserlebnis.

Ein sittlich so hochstehender Buddhist ist ein so guter Mensch, dass ihm das Böse in dieser Welt nichts mehr anhaben kann. Das Böse hat zwar keine Wurzeln im Menschen, liegt vielmehr ausserhalb des Menschen, versucht jedoch in ihn einzudringen; aber ein sittlich gereifter Buddhist ist immun gegen alles Böse.

Die Bibel aber weiss um die Sündhaftigkeit des Menschen und auch um die dämonischen Mächte, denen er ausgesetzt ist. Das bedeutet, das Böse ist eben nicht nur eine Macht ausserhalb des Menschen, sondern er selbst ist von seinem Wesen her böse (vgl. Gen 8, 21; 6, 5; Röm 3, 23-24).

D. Der Islam mit seinen ethischen Grundwerten

Aus der Verkündigung Mohammeds ergibt sich als ein Wesenszug des Islam, dass er sich als eine Gesetzes- und Leistungsreligion versteht.

Es geht also im Islam um die Erfüllung des Gesetzes, um eine religiöse Leistung. Dazu ist zu sagen: Der Weg zum Heil, zur Erlösung, führt über die Erfüllung von Gesetzen, also über die Werkgerechtigkeit.

Da der Islam eine ausgesprochene Gesetzesreligion ist, legt er in der Hauptsache Wert auf die äusserliche Regelung des Lebens. Er kann deshalb auch als eine Religion der Öffentlichkeit bezeichnet werden.

Jeder Moslem muss sich täglich unter dem Gesetz Allahs wissen, weil er nach der Überzeugung Mohammeds nur unter diesem gesetzlichen Zwang zu der von ihm geforderten totalen Hingabe an Allah finden kann. Dass es Mohammed um die Hingabe an Allah geht, ist daran zu erkennen, dass er selbst für die von ihm verkündete Religion den Ausdruck «Islam» wählte, der gerade diese besagt: die totale Hingabe des Menschen an Allah.


E. Das Gottes- und Menschenbild im Islam und seine Auswirkungen auf die ethischen Grundwerte

In der Schriftenreihe des Islamischen Zentrums München Nr. 2 von 1976 findet sich der Artikel «Islam in unserer Zeit» von Achmed Schmiede, einem Moslem, in dem es S. 17 ff. heisst: «Allah ist existent, Er ist einig und einzig, Sein Dasein hat keinen Anfang und kein Ende, weder ähnelt er einem seiner Geschöpfe noch ist irgendein Geschöpf ihm ähnlich.»

Der Islam leugnet also die Ebenbildlichkeit Gottes bei der Erschaffung des Menschen durch Gott den Schöpfer (vgl. Gen 1, 26). Weiter heisst es in dem Artikel: «Zum Glauben an den einen (einzigen) Gott, (der nicht seinesgleichen hat [Sure 112]), sind ausnahmslos alle vernünftigen Menschen verpflichtet.»

Das bedeutet für den Moslem ein Glaubensmuss, Glaube als ein intellektuelles Wissen, Glaube als ein Fürwahrhalten, dass es diesen Allah gibt.

Der durch eine unermessliche Distanz von Allah getrennte Mensch darf sich nicht als ein Kind Gottes verstehen, sondern muss sich so verhalten, wie es sich für einen Sklaven seinem Herrn gegenüber gebührt (vgl. Sure 19,93).

Diese Vorstellung von Allah, die den Menschen vor Allah zu einem willenlosen Sklaven macht, ist von Mohammed für den Moslem dahingehend gemildert worden, dass dem Menschen doch noch ein gewisser Spielraum gelassen ist, der es ihm ermöglicht, auch noch aus eigenem Willen frei entscheiden und handeln zu können.
Von Seiten des Islam wird das Sklave Herr Verhältnis des Moslem so erklärt: «Der Mensch besitzt etwas, das man im Islam mit ‘Teilvermögen’ bezeichnet. Er hat die Möglichkeit, sich für eine Handlung zu entscheiden. Er kann das im Sinne des Gebotes Gute, er kann aber auch das Böse tun.»

Von dem Menschen in islamischer Sicht kann nicht behauptet werden, er sei gut an sich, sondern er ist ein Geschöpf, das von Allah immer wieder in die Pflicht genommen werden muss, und zwar durch den Koran und die isiamische Tradition, in denen aufgezeichnet ist, was für den Menschen nötig ist, um sich Allah total ausliefern zu können. Der Mensch ist gut und böse von seinem Wesen her. Er muss seine gute Seite entwickeln, und das kann er nur durch die Religion des Islam.

 

2. Die Inklusivität bzw. Exklusivität der Weltreligionen als Erlösungsreligionen

A. Die Inklusivität des Hinduismus bzw. Buddhismus

Charakteristisch für den Hinduismus bzw. Buddhismus ist, dass sie sich vom Grunde ihres Wesens her als inklusivistisch verstehen.

Was Inklusivität bedeutet, kann anschaulich gemacht werden mit dem Bild konzentrischer Kreise.

Angewandt auf den Hinduismus bedeutet das: In der Mitte steht der Hinduismus. Um diese Mitte kreist in näherer Entfernung der Buddhismus und in grösserer Entfernung der Islam und das Christentum.

Was die Erlösung des Menschen betrifft, nimmt der Hinduismus für sich in Anspruch, die Erlösungsreligion schlechthin zu sein, da nur durch ihn der Mensch nach vielen irdischen Existenzen schliesslich vollkommen erlöst werden kann hinein in das Brahman, das heisst, aufgelöst zu sein in das kosmische Sein als eine kosmische Kraft.

Die Inklusivität des Hinduismus zeigt sich nun darin, dass den anderen Religionen auch Erlösungswerte zugebilligt werden, die den Menschen auf seinem langen Weg des Erlösungsprozesses auf sein Erlösungsziel hin voranbringen können.

Der Hinduismus kann also die anderen Religionen mit einschliessen, sich inklusivistisch geben, da sie mitbeteiligt sein können am Erlösungsprozess des Menschen.

Der Hinduismus ist deshalb eine tolerante Religion. Er toleriert die anderen Religionen, weil in ihnen teilweise auch das Göttliche, Brahman genannt, manifest, offenbar ist.

Der Hinduismus deutet die Erlösungspraxis so: gutes Buddhistsein, Moslemsein, Christsein ermöglicht einem Menschen dank dem Karmagesetz, dem Vergeltungsgesetz, eine bessere religiöse Existenz im nächsten irdischen Dasein, das dann für die weiteren irdischen Existenzen einen religiösen Fortschritt bringt auf dem Erlösungsweg bis hin zu einer irdischen Existenz als Hindu, in der dann die endgültige Erlösung verwirklicht werden kann.

Der Buddhismus nimmt in gleicher Weise wie der Hinduismus die Inklusivität in Anspruch, indem er sich in die Mitte der konzentrischen Kreise stellt, um im Bild zu bleiben. Der Hinduismus folgt dann in der näheren Entfernung, Christentum und Islam in der grösseren Entfernung.

Auch für den Buddhismus gilt, dass er schliesslich den Menschen nach vielen irdischen Existenzen, die auch als guter Hindu, Christ oder Moslem durchlaufen werden können, in einer buddhistischen Existenz die vollkommene Erlösung ermöglicht, Nirvana genannt, einen Zustand der Leidenslosigkeit, transkosmisch, jenseits von Sein und Nichtsein.

Vom Hinduismus bzw. Buddhismus werden also die anderen Religionen nicht ausgeschlossen, sondern eingeschlossen, da sie den Menschen auf seinem Erlösungsweg ein Stück weit dem Erlösungsziel näherbringen können.

B. Die Exklusivität des Islam

Charakteristisch für den Islam ist, dass er sich vom Grunde seines Wesens her als exklusivistisch versteht.

Exklusivität bedeutet: Nur der Islam ist wahr und führt zur Erlösung!

Was die Erlösung des Menschen betrifft, nimmt der Islam für sich in Anspruch, die einzige wahre Erlösungsreligion zu sein, da nur durch ihn der Mensch, der nur ein Leben hat, vollkommen erlöst werden kann hinein in ein Paradies, in dem dauernder Wohlstand und alle sinnlichen Freuden in vollen Zügen genossen werden können.

Dass der Islam die einzig wahre Erlösungsreligion für den Menschen ist, wird bestätigt durch den Koran, die «Heilige Schrift» der Moslems, das unverfälschte Wort ihres Gottes Allah, in dem es heisst in Sure 3, 19a: «Siehe, die (einzige wahre) Religion bei Allah ist der Islam … » Oder: Sure 17, 81: «… Gekommen ist die Wahrheit (der Islam) und vergangen das Falsche (die Unwahrheit der anderen Religionen) … »

Auch werden die Moslems im Koran gelobt als solche, die der besten Religion angehören, und die in ihrer Art einzigartig ist, vgl. Sure 3, 11 Oa: « Ihr seid die beste Gemeinschaft, die für die Menschen erstand … » Oder Sure 21, 92 und 23, 52: «… diese eure Gemeinschaft ist eine einzige (einzigartige) Gemeinschaft … »

Die Exklusivität des Islam zeigt sich nun darin, dass den anderen Religionen keine Erlösungswerte zugebilligt werden, da sie gar nichts enthalten, was nur irgendeinen Wert für die Erlösung des Menschen haben könnte, vgl. Sure 48, 28: «Er (Allah) ist es, der seinen Gesandten (Mohammed) mit der Rechtleitung (der exklusiven Rechtleitung) und der Religion der (einzigen) Wahrheit geschickt hat, um sie über jede andere Religion zu erheben (um jede andere Religion für die Erlösung des Menschen auszuschliessen) … »

Alle anderen Religionen werden also vom Islam ausgeschlossen. Er gibt sich exklusivistisch, indem er die Angehörigen der anderen Religionen als Ungläubige, Scheinheilige und Heuchler in die Hölle verdammt, vgl. Sure 9, 73 b: «… Die Hölle ist ihre Herberge (die Hölle ist die Herberge der Ungläubigen und Scheinheiligen) und schlimm ist die Fahrt (dorthin).» Oder Sure 66, 9b: «… ihre Wohnung ist die Hölle (die Hölle ist die Wohnung der Ungläubigen und Heuchler) und schlimm ist die Fahrt (dorthin).»

Der Islam ist deshalb eine intolerante Religion. Er toleriert die anderen Religionen nicht und fordert die gläubigen Moslems auf, auf dem Weg Allahs zu kämpfen für die einzig wahre Religion gegen die Ungläubigen, die als Satans Freunde auf dem Wege Satans wandeln, vgl. Sure 4, 76: «Wer das glaubt, kämpft auf Allahs Weg, und wer das nicht glaubt, kämpft auf dem Weg des Bösen (Satans). So bekämpft Satans Freunde. Siehe, Satans List ist schwach.»

Da die Weitreligionen des Hinduismus, Buddhismus und des Islam keine pluralistischen Religionen, sondern inklusivistisch bzw. exklusivistisch, sind, können sie von ihrem Wesen her auch gar kein pluralistisches Weltethos in sich tragen.
Obwohl also diese Weltreligionen von ihrem Wesen her nicht ethisch vereinheitlicht werden können, haben sich liberale Vertreter vor allem des Hinduismus, Buddhismus, Islam und auch des Christentums zu einer Ökumene der Religionen zusammengeschlossen und ein Weltparlament der Religionen abgehalten, das von christlichen Liberalen veranstaltet worden ist.

 

3. Die Ökumene der Religionen

A. Das Weltparlament der Religionen von 1893 –  Entstehung und Entwicklung

Dieses Parlament war der erste neuzeitliche Versuch, ein Forum für die weltweite Begegnung aller Religionen zu schaffen. Es wurde anlässlich der Weltausstellung 1893 in Chicago von christlichen Liberalen veranstaltet.

Das Religionsparlament war vom damals noch ungebrochenen Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts geprägt. Moderner Evolutionismus und Fortschrittsglaube haben im 19. Jahrhundert den religiösen Optimismus gefördert.

Es ist mit Recht festgestellt worden, dass der Kurs des Weltparlaments uneingestandenermassen protestantisch war. Religiöse Wahrheiten und moralische Vorstellungen, die im nordamerikanischen Gesamtprotestantismus allgemeine Geltung besassen, wurden unbemerkt zum gemeinsamen Nenner aller Religionen erklärt.

In Chicago hat sich der moderne Protestantismus zum erstenmal für die Religionen geöffnet, aber zu seinen eigenen Bedingungen und immer noch im Gefühl seiner Überlegenheit. Das entsprach dem damaligen Kräfteverhältnis zwischen den Religionen. Islam, Hinduismus und Buddhismus fingen erst an, ein neues Selbst- und Sendungsbewusstsein zu entwickeln. Dasjenige des Christentums war noch nicht in eine Krise geraten. Übrigens entsprach auch die Idee, die Religionen in Form eines «Parlaments» zusammenzubringen und Englisch zur einzigen Konferenzsprache zu erklären, dem Geist des amerikanischen Protestantismus. Vieles davon prägt bis heute die interreligiöse Arbeit.

Liberale Katholiken sahen im Religionsparlament eine Gelegenheit, sich als patriotisch und als progressiv zu zeigen. Schon 1894 verdammte freilich der Kölner Katholikentag die liberalen Tendenzen des amerikanischen Katholizismus mit ausdrücklichem Verweis auf das Parlament. Diese Haltung sollte sich erst etwa 70 Jahre später, mit dem 2. Vatikanischen Konzil, ändern. Einer der führenden Persönlichkeiten des Weltparlamentes war der Hindumönch Swami Vivekananda (1863-1902), der schnell zum populärsten Sprecher der Versammlung avancierte.

Wer war dieser so faszinierend wirkende Vivekananda? Er war der prominenteste Schüler Ramakrishnas, eines Hindupriesters, der aus einer Brahmanenfamilie stammte. Dieser Ramakrishna (1836-

1886) hatte von Jugend an tranceartige Erlebnisse und Visionen, Ausdruck einer starken religiösen Sehnsucht nach dem Göttlichen. Er verkündigte: Der Hinduismus kann wieder neu eine unerschöpfliche Quelle spiritueller Erneuerung werden.

Im Jahr nach dem Tode Ramakrishnas wurde Vivekananda Mönch und studierte intensiv die hinduistische heilige Sanskrit Literatur.

Vivekananda konnte am Weltparlament der Religionen teilnehmen, das im September 1893 in Chicago tagte. Er blieb die wirkungsvollste Persönlichkeit in diesem Parlament, wo sich zum erstenmal in aller Form Christentum und östliche Religionen getroffen haben. Vivekananda forderte statt der bisherigen Konflikte und Konfrontationen eine Harmonie der Religionen von Ost und West.

Vivekananda hat bei dem Weltparlament der Religionen in Chicago alles daran gesetzt, den Teilnehmern das einzig wahre Menschenbild zu vermitteln, indem er ganz radikal die Sündigkeit der menschlichen Natur verworfen hat mit den markanten Worten: «Hört, ihr Kinder der unsterblichen Glückseligkeit! … erlaubt mir, euch, ihr Brüder, mit diesem süssen Namen anzureden … der Hindu weigert sich, euch Sünder zu nennen. Ihr seid Kinder Gottes, Teilhaber unsterblicher Glückseligkeit, heilige und vollkommene Lebewesen. Ihr seid Gottheiten auf der Erde, – Sünder? Es ist eine Sünde, einen Menschen so zu nennen, es ist eine bleibende Entehrung der menschlichen Natur … »

Diese Haltung Vivekanandas, nach der der Mensch seinem Wesen nach gut an sich, ja geradezu Gott Mensch ist, bestimmte nun auch seine Einstellung zu den anderen Religionen: «Ich bin stolz darauf, zu einer Religion zu gehören», erklärte Vivekananda dem Weltparlament, «welche die Welt Toleranz und allumfassende Annahme gelehrt hat. Wir glauben nicht nur an die universale Toleranz, sondern wir nehmen an, dass alle Religionen wahr sind.»

Das heisst für ihn: Wahrheit enthalten, mehr oder weniger, alle Religionen, wobei der Hinduismus den grössten Anteil beanspruchen könne.

Vivekananda nutzte das Parlament, um im Anschluss daran in den USA zu bleiben, Anhänger zu sammeln und eine Ramakrishna Mission zu gründen.

Das Weltparlament der Religionen in Chicago war für die asiatischen Religionen das Signal, im Westen eine organisierte Missionsarbeit zu starten.

Das Weltparlament der Religionen von 1893 stellt den Beginn dessen dar, was heute als «interreligiöse Bewegung» bezeichnet wird.

B. Die interreligiöse Bewegung

Zwischen dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago und seiner Hundertjahrfeier 1993 sind verschiedene interreligiöse Organisationen entstanden, die miteinander kooperieren, und sich als Teile einer «interreligiösen Bewegung» verstehen.

Die wichtigsten von ihnen sind

1. Weltbund für religiöse Freiheit (International Association for Religious Freedom; IARF)
2. Weltbund der Religionen (World Congress of Faiths; WCF)
3. Tempel der Verständigung (Temple of Understanding)
4. Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (World Conference on Religion and Peace; WCRP)
Ihnen allen geht es um die Einheit der Religionen sowie den Frieden zwischen ihnen, aber mit unterschiedlichen Akzenten, ausgerichtet auf das Ziel gemeinsamer «interreligiöser Spiritualität».

Diese vier interreligiösen Organisationen einigten sich 1988 darauf, dass die Hundertjahrfeier des Weltparlaments der Religionen von Chicago gemeinsam im Jahr 1993 begangen werden sollte. Sie konnte dann auch vom 28. August bis 5. September 1993 in Chicago stattfinden mit über 6000 Vertretern von mehr als 200 Religionsgemeinschaften.

C. Das 1993 von dem Weltparlament der Religionen deklarierte pluralistische Weltethos

Bei dieser Hundertjahrfeier verabschiedeten die Delegierten der Weltreligionen zwar nicht eine Erklärung zu einer universalen Idealreligion für alle Menschen, aber eine Erklärung zu einem Weltethos, einem gemeinsamen pluralistischen Menschheitsethos für die Menschen aller Religionen.

Die Frage nach einem «Weltethos» geht zurück auf die Programmschrift  «Projekt Weltethos», die Prof. Hans Küng 1990 vorgelegt hat.

In dieser genannten Programmschrift «Projekt Weltethos» wird programmatisch die Idee entwickelt, dass die Religionen der Weit nur dann einen Beitrag zum Frieden der Menschheit leisten können, wenn sie sich auf das ihnen jetzt schon Gemeinsame im Ethos besinnen: auf einen Grundkonsens bezüglich bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Massstäbe und persönlicher Grundhaltungen.

Das «Projekt Weltethos» wird von der Grundüberzeugung getragen: Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen.

Es geht also nicht um die Einheit aller Religionen. Es geht um den Frieden zwischen den Religionen, der eine wesentliche Voraussetzung sei für den Frieden unter den Nationen.

Um nun diesen Frieden unter den Religionen zu gewährleisten, sollen sogenannte pluralistische ethische Imperative von grundsätzlicher Bedeutung sein, an die sich die Menschen zu halten hätten, die in all diesen Religionen im wesentlichen die gleichen seien.

Aus der Erklärung zum pluralistischen Weltethos, die am 4. September 1993 vom Weltparlament der Religionen verabschiedet worden ist, deren Entwurf unter Federführung von Hans Küng im Institut für ökumenische Forschung der Universität Tübingen entstanden ist, zitiere ich die entscheidenden, wesentlichen und grundlegenden Prinzipien dieses Weltethos:

Wir sind Frauen und Männer, welche sich zu den Geboten und Praktiken der Religionen der Welt bekennen:

Wir bekräftigen, dass sich in den Lehren der Religionen ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und dass diese die Grundlage für ein Weitethos bilden.

Wir bekräftigen, dass diese Wahrheit bereits bekannt ist, aber noch mit Herz und Tat gelebt werden muss.

Wir bekräftigen, dass es eine unwiderrufbare, unbedingte Norm für alle Bereiche des Lebens gibt, für Familien und Gemeinden, für Rassen, Nationen und Religionen.

Es gibt bereits uralte Richtlinien für menschliches Verhalten, die in den Lehren der Religionen der Welt gefunden werden können und welche die Bedingung für eine dauerhafte Weltordnung sind.

Wir erklären: Wir müssen andere behandeln, wie wir von anderen behandelt werden wollen.

Wir verpflichten uns auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit, des Respekts, der Gerechtigkeit und des Friedens.

Wir dürfen nicht stehlen. Wir müssen vielmehr die Herrschaft der Sucht nach Macht, Prestige, Geld und Konsum überwinden, um eine gerechte und friedvolle Welt zu schaffen.

Die Erde kann nicht zum Besseren verändert werden, wenn sich nicht das Bewusstsein der Einzelnen zuerst ändert. Wir versprechen, unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu erweitern, indem wir unseren Geist disziplinieren durch Meditation, Gebet oder positives Denken. Ohne Risiko und ohne Opferbereitschaft kann es keine grundlegende Veränderung in unserer Situation geben. Deshalb verpflichten wir uns auf dieses Weltethos, auf Verständnis füreinander und auf sozialverträgliche, friedensfördernde und naturfreundliche Lebensformen.

Wir laden alle Menschen, ob religiös oder nicht, dazu ein, dasselbe zu tun.

Wir Männer und Frauen aus verschiedenen Religionen und Regionen dieser Erde wenden uns deshalb an alle Menschen, religiöse und nichtreligiöse. Wir wollen unserer gemeinsamen Überzeugung Ausdruck verleihen:

• Wir alle haben eine Verantwortung für eine bessere Weltordnung.
• Unser Einsatz für die Menschenrechte, für Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Erde ist unbedingt geboten.
• Unsere sehr verschiedenen religiösen und kulturellen Traditionen dürfen uns nicht hindern, uns gemeinsam aktiv einzusetzen gegen alle Formen der Unmenschlichkeit und für mehr Menschlichkeit.
• Die in dieser Erklärung ausgesprochenen Prinzipien können von allen Menschen mit ethischen Überzeugungen, religiös begründet oder nicht, mitgetragen werden.
• Wir aber als religiöse und spirituell orientierte Menschen, die ihr Leben auf eine Letzte Wirklichkeit gründen und aus ihr in Vertrauen, in Gebet oder Meditation, in Wort oder Schweigen spirituelle Kraft und Hoffnung schöpfen, haben eine ganz besondere Verpflichtung für das Wohl der gesamten Menschheit und die Sorge um den Planeten Erde. Wir halten uns nicht für besser als andere Menschen, aber wir vertrauen darauf, dass uns die uralte Weisheit unserer Religionen Wege auch für die Zukunft zu weisen vermag.
• Die Menschheit bedarf einer Vision des friedlichen Zusammenlebens der Völker, der ethnischen und ethischen Gruppierungen und der Religionen in gemeinsamer Verantwortung für unseren Planeten Erde.

(Anmerkung: Zu den ersten Unterzeichnern dieser Erklärung des «Weltparlaments der Religionen» zum pluralistischen Weltethos 1993 gehörte der zur Zeit berühmteste Buddhist, der tibetisch-buddhistische Dalai Lama.)

D. Die Einflüsse durch das pluralistische Weltethos auf die Weltreligionen bis in unsere Zeit

Das pluralistische Weltethos hat seine Entstehungsgeschichte. Es sind verschiedene Entwicklungen massgebend bis hin zu seiner Begründung.

Entscheident für seine Entwicklung hin zu einem pluralistischen Weltethos ist die Haltung der katholischen Kirche, die ihre traditionelle Position aufgegeben hat.
Die traditionelle katholische Position   schon in den frühen christlichen Jahrhunderten verbreitet durch Origenes, Cyprian und Augustin   ist allgemein bekannt: Extra ecclesiam nulla salus = ausserhalb der Kirche kein Heil! Unzweideutig hatte das ökumenische Konzil von Florenz 1442 definiert: «Die heilige römische Kirche … glaubt fest, bekennt und verkündet, dass niemand ausserhalb der katholischen Kirche, weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Kirche Getrennter, des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod der katholischen Kirche anschliesst.»

Diese Erklärung beinhaltet doch auch, dass die allein seligmachende katholische Kirche für sich ein singuläres christliches Ethos beansprucht und ein pluralistisches Weltethos ablehnt.

Die katholische Theologie hat jedoch in den letzten Jahrzehnten versucht, jenes kompromisslose «Extra-Dogma» (Ausserhalb der Kirche kein Heil) neu zu verstehen, und das hiess meistens: umzuinterpretieren, ja in sein Gegenteil zu kehren.

Das Zweite Vatikanische Konzil erklärte in seiner Konstitution über die Kirche (1964) ganz unzweideutig: «Diejenigen Menschen, die das Evangelium Christi und seiner Kirche ohne ihre Schuld nicht kennen, Gott jedoch aufrichtigen Herzens suchen und seinen im Gewissensgebot erkannten Willen in Taten unter dem Wirken seiner Gnade zu erfüllen trachten, können das ewige Heil erlangen.» (Artikel 16)

Auch die Moslems (oder Hindus und Buddhisten) brauchen also demgemäss nicht mehr «dem ewigen Feuer zu verfallen, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist»; sie «können das ewige Heil erlangen»! Das heisst: Auch der Islam (bzw. Hinduismus oder Buddhismus) können Wege zum Heil sein, Heilswege: vielleicht nicht die normalen, gewissermassen «ordentlichen», aber vielleicht die «ausserordentlichen».

In der Tat unterscheidet man in der heutigen katholischen Theologie aufgrund dieser Kehrtwendung zwischen dem «ordentlichen» = christlichen Heilsweg und den «ausserordentlichen» = nichtchristlichen Heilswegen.

Wenn die katholische Theologie auch hierbei noch etwas differenziert zwischen «ordentlichem» = christlichem Heilsweg und «ausserordentlichen» = nichtchristlichen Heilswegen, ist doch implizit schon das die Heilswege umgreifende Band eines Weltethos vorhanden.

Von da ausgehend ist es auch verständlich, wenn von der «Theologie der Religionen» die Rede ist, nach der Gott sein Heil auch in nichtchristlichen Religionen anbietet. Diese «Theologie der Religionen» beherrscht aber nicht nur die römisch katholische Kirche, sondern auch den ökumenischen Weltkirchenrat. Wer so denkt, landet aber unwillkürlich im Synkretismus, einer Vermischung verschiedener Religionen und deren jeweiliger Ethik. Diese Theologie der Religionen hat ja ihre «Weihe» von Papst Johannes Paul II. beim Friedensgebet der Weltreligionen im Herbst 1986 im italienischen Assisi erhalten.

Wie sich diese synkretistische Theologie der Religionen in der Praxis auswirkt, ist zu beobachten an einer schleichenden Hinduisierung des christlichen Glaubens. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn es bereits viele Christen in unserer Zeit gibt, für die es inzwischen selbstverständlich ist, den hinduistischen Glauben an Karma und Reinkarnation neben die christliche Auferstehungshoffnung zu stellen und hinduistische Meditationstechniken anzuwenden.

Oder ich denke an einen evangelischen Gottesdienst, der am 27. Oktober 1996 in Stuttgart stattgefunden hat. Dieser evangelische Gottesdienst hatte zum Thema «Hoffnung in verschiedenen Religionen». Aus diesem Grunde wirkten bei dem Gottesdienst der Münchner moslemische Imam Mustafa Fadai und der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Buddhistischen Union, Karl Schmied aus München, mit. Von einer ev. Pfarrvikarin wurden die Ausführungen des Moslems und des Buddhisten zu dem Thema «Hoffnung in verschiedenen Religionen» so erläutert, dass sie helfen sollten, «den eigenen Glauben vor dem Hintergrund anderer Religionen zu vertiefen und auf das zu hören, was andere Religionen uns zu sagen haben». Ihre Predigt dauerte vier Minuten. Anschliessend liess der Buddhist die rund 300 Gottesdienstbesucher eine halbe Stunde lang «an seiner täglichen Meditationsübung teilnehmen».

Aufs Ganze gesehen ist mit dem Eindringen fremdreligiöser Einflüsse in alle Lebensbereiche zu rechnen. Es ist schon so, dass sich zunehmend ein «synkretistisches Klima» ausbreitet. Besorgt macht «die Gleichgültigkeit, ja sogar Sympathie, mit welcher auch Verantwortungsträger der Kirchen – unter irreführender Berufung auf das Toleranzgebot- dem Eindringen nichtchristlicher Religionen in alle Lebensbereiche gegenüberstehen».

Somit besteht auch die Gefahr einer synkretistischen Unterwanderung christlicher Gemeinden. Solche Wirkung haben auch interreligiöse Gebetsgottesdienste auf Kirchentagen, in Evangelischen Akademien und Gemeinden.
Das synkretistische Klima unserer Zeit hat dann auch dazu beigetragen, dass es zu der «Stiftung Weltethos» gekommen ist.

Diese «Stiftung Weltethos» verdankt ihre Gründung Graf K. K. von der Groeben, der im Jahr 1995 das Buch «Projekt Weltethos» von Hans Küng las und sich unter dem Eindruck der Lektüre entschloss, für die Verbreitung der Gedanken eines «Weltethos» eine namhafte Summe bereitzustellen. Nach den Worten des Gründers soll die Stiftung «den Menschen zeigen, dass es befriedigendere Werte gibt als den materiellen Genuss und dass es Freude macht, sich für ein hohes Ziel einzusetzen. Wir müssen den Menschen klar machen, dass wir zum gemeinsamen Leben in Frieden und Freiheit hohe ethische Normen brauchen. Vielleicht schliessen sich noch mehr Menschen unserer Initiative an. An Arbeit und Aufgabe wird es nicht fehlen!»

Aus den Zinserträgen des Stiftungskapitals wird die Arbeit eines kleinen Forschungsteams unter der Leitung von Hans Küng im Dienste eines Weltethos langfristig gesichert.

Prof. Hans Küng, Dogmatiker und Ökumeniker, Konzilberater und Kritiker vatikanischer Autorität, Streiter wider das Zölibat und Anwalt des Frauenpriestertums sowie populärer Erfolgsautor, vor allem mit seinen beiden Hauptwerken «Christ sein» (1974) und «Existiert Gott?» (1978), weiss sich jetzt vor allem dem konzentrierten Engagement für eine Weltökumene aller Religionen verpflichtet, deren Grundlage das «Weltethos» ist. Der Begriff «Weltethos» geht zurück auf die Programmschrift «Projekt Weltethos», die Prof. Hans Küng 1990 vorgelegt hat und die kurz zusammengefasst beinhaltet: Ohne eine Verständigung zwischen den Religionen keine Verständigung zwischen den Nationen, ohne Religionsfrieden keinen Weltfrieden.

Damit dieses Motto nicht nur eine theoretische Erkenntnis bleibt, hat sich die «Stiftung Weltethos» zum Ziel gesetzt, interkulturelle und interreligiöse Bildungsarbeit anzuregen und durchzuführen. Dieses Anliegen wird verwirklicht insbesondere durch:

• Lehr  und Vortragstätigkeit zur Verbreitung der Ideen eines grundlegenden, allen Menschen gemeinsamen Ethos, eines Weltethos, in Gemeinden, Volkshochschulen, Akademien, Schulen, Hochschulen, Verbänden, Parteien, Interessengruppen aller Art, national und international.
• Fortbildung Interessierter durch Tagungen, Vorträge, Gastvorträge, Seminare oder Workshops zur Vertiefung der Thematik eines Weltethos. …

Sehr häufig wird bei Vorträgen auch Küngs Standardwerk zu den Religionen «Spurensuche – Die Weitreligionen auf dem Weg» zugrunde gelegt. Dieses Küngsche Werk gibt seine eigene, die Religionen relativierende Meinung, wieder, die aber objektiven Kriterien nicht standhalten kann. …

Dass die «Ökumene der Religionen» sich weiter spektakulär in Szene setzt, ist daran zu erkennen, dass ein Gipfeltreffen der Religionen im Jahr 2000 bei der UNO einberufen worden ist. Der «Millenium-Welt-Friedensgipfel», wie das Treffen genannt wurde, fand vom 28. bis 31. August in New York statt. UN Generalsekretär Kofi Annan hiess die rund 1000 Repräsentanten von Christen, Moslems, Buddhisten, Hindus, Juden und anderen Religionen willkommen. Im Vorfeld dieses Treffens wurde die Überzeugung geäussert, dass die religiösen Gemeinschaften eine wichtige Rolle im Friedensprozess spielen könnten. Der «Millenium-Welt-Friedensgipfel» des Parlaments der Weltreligionen fand wenige Tage vor dem politischen Weltfriedensgipfel statt, zu dem politische Führer ebenfalls zur UNO in New York gekommen sind. Das beweist wiederum, dass die religiösen Gemeinschaften in Gestalt der Ökumene der Religionen und die politischen Völkergemeinschaften in Gestalt der UNO nicht nur noch enger kooperieren sollen, sondern ihr Harmoniebedürfnis noch weiter intensivieren wollen, um zu dokumentieren, es könne nur auf diese Weise der durch das pluralistische Weltethos der Religionen zu erreichende Weltfrieden im Zusammenwirken mit der UNO Politik garantiert bleiben.

Wie sehr auch in der Bundesrepublik Deutschland das pluralistische Weltethos der Religionen für die Politik an Bedeutung gewonnen hat, zeigt ein Ausspruch des Vorsitzenden der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, in dem er zu verstehen gibt: «Die Mitarbeit an einem Menschen und Völker verbindenden Weltethos ist eine Aufgabe nicht nur der Kirchen, sondern auch der CDU.»

4. Ist das durch das Weltparlament der Religionen deklarierte Weltethos der einzige Weg zum Weltfrieden?

A. Der Weg zum Weltfrieden durch das pluralistische Weltethos oder der Friede des Menschen durch den Gott der Bibel?

Wenn die Weltreligionen des Hinduismus, Buddhismus und des Islam auf ein pluralistisches Weltethos festgelegt werden, bedeutet das letztlich nichts anderes, als dass sie sich synkretistischen Tendenzen aussetzen, die ihren Charakter als spezifische Erlösungsreligionen in Frage stellen.

Hierbei findet doch eine deutliche Akzentverschiebung statt, insofern als das auf das Jenseits orientierte Thema «Das Leben des Menschen nach dem Tode» verdrängt wird durch das auf das Diesseits orientierte Thema «Das Leben des Menschen in einer Welt des Friedens».

Das heisst doch konkret, dass die Weltreligionen aufgefordert sind, die zwischenmenschlichen Beziehungen unter dem Siegel einer Ökumene der Religionen human ethisch so weit zu verbessern, dass der Weg zum Weltfrieden vom Menschen nicht nur beschritten wird, sondern sich auch als der einzig gangbare erweist.

Frage: Nimmt hierbei nicht die Ökumene der Religionen für sich in Anspruch, den Weltfrieden mit der Zeit herbeiführen zu können, den die Politik, z. B. in Gestalt der UNO, allein nicht zu erreichen vermag? Mit diesem Anspruchsdenken verlieren die Weltreligionen mit der Zeit immer mehr ihre missionarischen Aktivitäten zur Erlösung des Menschen, da sie ein innerweltliches Ziel verfolgen, das «Weltfrieden» heisst.

Die Weltreligionen werden dadurch säkularisiert, nehmen humanistische Züge an, machen sich attraktiv für eine pazifistische Gesellschaft mit einer religiös fundamentierten allgemeinen Verhaltensethik, die zum Frieden unter den Menschen und in der Welt führen soll.

Die Weltreligionen, einschliesslich des Christentums, sollen, nach dem katholischen Theologen Hans Küng, dem Vordenker einer Ökumene der Religionen, zum Dialog miteinander finden nach den Grundsätzen eines VVeltethos, da nur so der Weltfrieden erreicht werden könne und das Überleben der Menschheit gesichert sei.

Das Weltethos besteht nach Küng aus fünf grossen Geboten der Menschlichkeit, die in allen grossen Weltreligionen gelten:

1 . nicht töten (nicht anderen Schaden zufügen)
2. nicht lügen (nicht betrügen, Verträge brechen)
3. nicht stehlen (nicht Rechte anderer verletzen)
4. nicht Unzucht treiben (nicht Ehe brechen)
5. die Eltern achten (Bedürftigen und Schwachen helfen).

In seinem Buch «Spurensuche – Die Weltreligionen auf dem Weg» (S. 9) fasst Küng das gemeinsame Menschheitsethos, das sog. Weltethos, das zu einer weltweiten Verständigung zwischen den Religionen führen soll, so zusammen:

«Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne globale Massstäbe. Kein überleben unseres Globus ohne ein globales Ethos, ein Weltethos.»

Kann, so fragen wir, der Weltfrieden durch das Weltethos der Religionen in einer ökumenischen Gemeinschaft verwirklicht werden, ohne den Gott der Bibel zu befragen, wie er dazu steht?

Was sagt die Bibel zum Frieden des Menschen durch Gott? In Lev 26, 6a verheisst Gott den Menschen Frieden im Lande. Er knüpft allerdings diese Verheissung an eine Bedingung, Vers 3 desselben Kapitels, die fordert: in seinen Ordnungen zu leben, seine Gebote zu halten und sie zu tun.

Gott schenkt den Menschen, die sein Gesetz lieben, Frieden (Ps 119). Und wer fest in Gott gegründet ist, dem bewahrt Gott Frieden, weil er auf ihn vertraut (Jes 26, 3).
In diesen Bibeistellen kommt klar zum Ausdruck, dass Gott der Friedensbringer für den Menschen ist, wenn er in seinen Ordnungen lebt, seine Gebote hält und tut, sein Gesetz liebt, fest in ihm gegründet ist und auf ihn vertraut.

Es kommt also auf die rechte Beziehung des Menschen zu Gott an, wie es schon vom ersten Gebot her gefordert ist: «Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.» Das bedeutet ja nichts anderes, als dass wir Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen sollen.

Dieses Gott Mensch Verhältnis dient dem Frieden des Menschen. Wenn wir nun das Weltethos der Religionen betrachten, fällt sofort auf, dass von einer Beziehung des Menschen zu Gott oder einer göttlichen Macht keine Rede ist. Das Gott Mensch Verhältnis wird ausgeklammert und statt dessen appelliert an das ethische Verhalten des Menschen zum Mitmenschen, das die Forderungen erhebt: nicht zu töten, nicht zu lügen, nicht zu stehlen, nicht Unzucht zu treiben und die Eltern zu achten.

Durch dieses pluralistische Weltethos, dem sich alle Religionen stets verpflichtet fühlen sollen, will die Ökumene der Religionen allmählich den Weltfrieden herbeiführen.

So werde also der Weltfriede von Menschen machbar, wenn er nur weltethisch entwickelt werde durch die Ökumene der Religionen, und auch das Überleben der Menschheit könne damit gesichert werden.

Dazu eine Anmerkung: Gott muss wohl damit zufrieden sein, dass der sich ethisch so hoch entwickelte Mensch sich ein solches Friedensreich schafft, zu dem Gott dann nur noch seinen Segen geben kann.

B. Jesus Christus – der einzige Weg zum Frieden für die Menschen mit Gott und die Menschen untereinander

Jesus Christus sagt ja von sich selbst: «Ich bin der Weg», genauer noch: «Ich allein nur, niemand sonst, bin der Weg». Jesus Christus als der Weg nimmt dann auch noch für sich in Anspruch, die Wahrheit zu verkörpern, und zwar ganz konkret in seiner Person, entgegen allen Vorstellungen eines abstrakten philosophischen Wahrheitsverständnisses.

Darüber hinaus ist Jesus Christus nicht nur der Weg und die Wahrheit schlechthin, sondern das Leben im Vollsinn des Wortes, in ganzer Fülle, so dass ein Leben ohne ihn für den Menschen nur ein Scheinleben bedeuten kann. Jesus Christus, der durch sein Offenbarwerden unter den Menschen gezeigt hat, dass er als der Weg, die Wahrheit und das Leben einzigartig ist, ist damit zum einzigen und alleinigen Erlöser für den Menschen geworden, aus seiner Zeit in der Welt in die Ewigkeit des seligen himmlischen Reiches.

Wir alle kennen ja ganz gut die entscheidende Belegstelle im Neuen Testament für dieses Selbstverständnis Jesu Christi, Joh 14, 6: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater als nur durch mich.»

Jesus Christus als der Weg, die Wahrheit und das Leben ist auch der Herr des Friedens, der dem Menschen, der mit ihm im Glauben verbunden ist, den Frieden schenkt, so dass er Frieden mit anderen Menschen halten kann. Ich denke hierbei vor allem an Röm 5,1: «Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.»

Des weiteren sind massgebend 2. Thess 3, 16, wo Jesus Christus als der Herr des Friedens angerufen wird, und Joh 14, 27, wo Jesus verheisst: «Ich lasse euch Frieden, ich gebe euch meinen Frieden.»

Das bedeutet auch, dass Jesus Christus, als der Herr des Friedens, den gläubigen Menschen in seinem Wesen so verändern kann, dass er friedfertig wird und mit anderen Menschen auskommen kann. Dieser Sachverhalt findet seine Bestätigung in 2. Kor 5, 17: «Wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.»

Da nun das Weltethos, das die zwischenmenschlichen Beziehungen so regeln soll, dass die Menschen miteinander in Frieden leben und zum Weltfrieden beitragen können, dies ohne Bezug auf Jesus Christus, den Herrn des Friedens, erreichen will, ist es letztlich nichts anderes als ein anthropologisches Element der Ökumene der Religionen, ohne dass Jesus Christus am Menschen verändernd wirken könnte.

Die Ökumene der Religionen, die Jesus Christus in seinem Herrsein über alles nicht beachtet, muss es sich gefallen lassen, dass ihre Zielsetzung verfehlt und utopisch ist.

Wir erinnern uns: Die Zielsetzung lautet: «Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne globale ethische Massstäbe. Kein Überleben unseres Globus ohne ein globales Ethos, ein Weltethos.»

Wir als gläubige Christen sollten, und das ist die richtige Antwort auf die Ökumene der Religionen, uns ganz fest binden an Jesus Christus, den Herrn aller Herren, der nach Heb 13, 8 gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit ist. Das hat Bestand und Garantie und nicht das Weltethos einer Ökumene der Religionen.
Ausserdem sollten wir noch beherzigen, was uns im folgenden Vers (Heb 13, 9a) zu tun empfohlen ist: «Lasst euch niemals durch mancherlei und fremde Lehren fortreissen, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade … »

Der Autor:

Prof. Dr. Klaus Hoppenworth studierte Vergleichende Religionswissenschaft in Tübingen, wo er 1970 auch promovierte. Als Dozent war er 1964-1972 am Missionseminar der ev. luth. Hermannsburger Mission und von 1975-1985 an der Universität Tübingen tätig. Seit 1972 lehrt er am Theologischen Seminar der Liebenzeller Mission neutestamentliches Griechisch sowie Philosophie und Religionsgeschichte, besonders auch in Auseinandersetzung mit neureligiösen Strömungen mit hinduistisch-buddhistischem Hintergrund. Ausserdem unterrichtet er als Gastdozent seit 1978 an der heutigen Akademie für Weltmission (ehemals FHM), Korntal.

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