Geisteswirken (Eva von Tiele-Winckler)

Eva von Tiele-Winckler

Geisteswirken im täglichen Leben

 

Inhalt


Das Leben im Geist

Der Wandel im Geist

Die Gemeinschaft des Geistes

Die Fülle des Geistes

Die Kraft des Geistes

Die Gaben des Geistes
Die Salbung des Geistes

Die Freiheit des Geistes

Die Verklärung des Geistes

Die Frucht des Geistes

Vorwort
„Haben Sie den Heiligen Geist empfangen?“ Diese überraschende Frage richtete Pastor H. vor mehr als vierzig Jahren in einer Bibelstunde an die Schar der Schwestern und Helferinnen in der Kinderheilstätte Salzuflen. Noch deutlich erinnere ich mich unserer Verlegenheit. Allgemeines Schweigen. Niemand wagte aufzusehen. Ein Ja wäre uns als Anmaßung erschienen, ein Nein war auch bedenklich, also schwiegen wir.

Geht es nicht auch heute vielen Christen so, daß sie ängstlich verstummen, wenn ihre persönliche Stellung zum Heiligen Geist in Frage kommt? Gott den Vater kennen sie und bekennen ihn als Schöpfer und Erhalter, als Versorger und Erbarmer. Er ist ihnen der Vater Jesu Christi, sie sehen in ihm den Gott der Allmacht und der Liebe.

Auf die Frage: „Was ist dir Jesus Christus?“ würden sie freudig bezeugen, daß er ihr Versöhner und Erlöser sei und vieles mehr. Wenn man aber auf ihr persönliches Verhältnis zum Heiligen Geist kommt, so wird eine gewisse Unklarheit und Unbestimmtheit fühlbar, obgleich sie alles wissen und zugeben, was von ihm in der Bibel und im Katechismus steht.

Die folgenden Blätter sollen selbstverständlich keine theoretische, lehrhafte Abhandlung über das Wesen des Heiligen Geistes sein. Diesem höchsten und heiligsten Geheimnis gegenüber gebührt schweigende Anbetung. Der Heilige Geist ist zu heilig, zu unerforschlich, zu groß, um Gegenstand menschlicher Untersuchungen zu sein. Er beansprucht als Anerkennung seiner Majestät unbedingten Gehorsam. Von seinem Verhältnis zu uns im persönlichen Lebendes einzelnen Christen, auch von seinen Mitteilungen, Wirkungen und Früchten in der praktischen Erfahrung soll dieses kleine Buch zeugen. Betend schreibe ich mit dem einen Verlangen, daß es eine Hilfe sein möchte für Anfänger und Fortschreitende auf dem Wege des Glaubens. Unser Verhältnis zum Heiligen Geist ist von allergrößter Wichtigkeit und Bedeutung für unser geistliches Leben und seine Entwicklung. Es ist ein heiliges Land. Nicht Neugierde, sondern heilige Ernst im Streben nach dem höchsten Ziel möge uns beim Schreiben und Lesen dieser Zeilen erfüllen. Betend geschrieben, betend gelesen, unter der Leitung dessen, der uns als der Geist der Wahrheit selbst in alle Wahrheit führen will, wird der Segen Gottes, an dem alles gelegen ist, nicht ausbleiben.


Das Leben des Geistes

Jedes Leben in zeitlicher Erscheinung muß seinen Anfang haben und ist an bestimmte Vorbedingungen geknüpft. So auch das Leben des Geistes in uns.
Nach Gottes Ebenbild geschaffen und von dem Hauch seines Geistes erfüllt, ward der Mensch eine lebendige Seele. Leuchtend, freudevoll, in Freiheit und Herrschergewalt durchwandelte er sein Gebiet, selig gebunden an den heiligen Liebeswillen Gottes, bis er durch den Fall aus der Gottesgemeinschaft heraus in die Abhängigkeit von der Finsterniswelt geriet und seine erste Herrlichkeit verlor.
Seitdem lebte der Mensch in der Verbannung, das göttliche Urbild war zerstört, die Trennung von Gott vollzogen, Finsternis und Tod herrschten als Lohn der Sünde von Geschlecht zu Geschlecht.
Aber Gottes Heils- und Liebesgedanken begleiteten den Menschen in sein Exil. Sternen gleich, erhellten die Verheißungen kommender Erlösung den Himmel, der sich über dem gefallenen und entthronten Menschengeschlecht wölbte. Jahrtausende gingen hin unter Suchen und Sehnen, Sünde und Sorge, Last und Leid. Da kam der Verheißene, der Versöhner und Erlöser, der Wiederhersteller und Zurechtbringen Christus Jesus, der Gottes- und Menschensohn.

Er kam, er lebte, er litt, er starb, er stand auf und fuhr gen Himmel, um nach vollbrachtem Erlösungswerk die Verheißung des Vaters, den Heiligen Geist, herabzusenden in die Herzen der versammelten Jünger. Dadurch sollte die Wiederherstellung des Menschengeschlechts, die Erneuerung zu Gottes heiligem Bilde bewirkt und die Gemeinschaft mit Gott wiedergeschenkt werden, die durch den Sündenfall von Geschlecht zu Geschlecht unterbrochen, ja aufgehoben war.
Auch wir sind Glieder in dieser unabsehbaren Kette, die unser kleines Dasein in seinen Uranfängen an das Schicksal unserer Stammeltern im Paradiese band. Von ihnen haben wir unser physisches Leben geerbt, auch unser intellektuelles Geistesleben, das durch jenen Gotteshauch dem ersten Menschenpaar eingeblasen wurde und das ihm auch als Erbgut in der Verbannung blieb.

Dieser Geistesbesitz ist es, der jeden, auch den tiefstehenden Menschen vom Tier unterscheidet und ihm heute noch das hohe Übergewicht des Willens und des Verstandes über die Naturkräfte und über alle Tiergattungen, auch die edelsten und stärksten gibt. Wenn wir nun auch die Überlegenheit des Menschengeistes über das Tier und die ganze Schöpferwelt feststellen müssen, so ist hiermit noch nicht das Leben des Geistes gemeint, von dem in diesem Buch die rede sein soll. Unser Menschengeist ist gewissermaßen nur das Gefäß, das Organ, in das Gott der Herr den Heiligen Geist zu unserer Wiedergeburt und Neuschöpfung hineinlegen kann. Hätten wir keinen Geist, so könnte nie der Heilige Geist sich uns offenbaren, sich uns mitteilen.

Um uns diesen großen, gewaltigen Vorgang klarzumachen, wenden wir uns zu der altbekannten und doch immer wieder neuen Geschichte von Nikodemus, der zu Jesus kam, um die Sehnsucht seines Herzens zu stillen (Joh. 3, 1-15). Dieser Schriftgelehrte war einer der frömmsten und edelsten Söhne seines Volkes, ein Mann voller Wissen und Schrifterkenntnis, voller Selbstzucht und guter Werke. Von früher Jugend an in der strengen Sekte der Pharisäer erzogen, hatte er es auf diesem Wege anscheinend zu der größtmöglichen Vollkommenheit gebracht. Er war ein Oberster der Pharisäer. Man sah in ihm das Ideal seiner Richtung, die Verkörperung menschlicher Vortrefflichkeit und Gottesgelehrtheit. Und doch war dieser Mann trotz allem, was er erreicht hatte und geworden war, im tiefsten Grunde unbefriedigt. Das Beste fehlte ihm noch.

Wir kommen hier zu einem sehr wichtigen Punkt, nämlich zu der Vorarbeit des Heiligen Geistes, die seiner Mitteilung vorangeht. Das erste Werk des Geistes in einem Menschenherzen ist: die Erkenntnis der Unzulänglichkeit und eigenen Sündhaftigkeit zu erwecken und das Sehnen und Suchen nach etwas Neuem, Gottgeschenktem anzubahnen. Dieses vorlaufende Wirken des Heiligen Geistes führt Nikodemus zu Jesus. Wahrscheinlich erwartete der fromme und gelehrte Mann aus dem Munde des Nazareners Ratschläge zur Erreichung noch höherer Vollkommenheit zu vernehmen. Gern hätte er seine Anstrengungen vermehrt, seine guten Werke verdoppelt, seiner Gotteserkenntnis höhere Erleuchtung hinzugefügt, um die Unruhe seines Gewissens zu beschwichtigen und endlich Frieden zu finden. Was tut aber Jesus? Mit einem Wort sch lägt er ganze mühsam errichtete Gebäude diese ausgereiften Lebens zusammen. In Staub und Asche sinkt die ganze Herrlichkeit dahin unter dem Wort: „Ihr müsset von neuem geboren werden.“ Es war, als wollte er sagen: Nikodemus, alle deine Werke, deine Erkenntnis, deine Gebete und geistlichen Anstrengungen helfen dir nichts! Es muß ein grundlegendes neues Werk geschehen – du mußt von neuem geboren werden!

Das zeigt uns mit einem Schlage, worauf es ankommt. Manche Richtungen in- und außerhalb der Christenheit meinen, alles Erforderliche sei in einem Menschen bereits vorhanden. Man müsse nur das Gute in sich heben, entfalten, verbessern, entwickeln, und dann würde man so ganz allmählich ein Geistesmensch werden. Der Herr verneint das. Es muß eben etwas ganz Neues geschehen, eine neue Schöpfung, ein neuer Anfang.

Ich habe im Jahre 1885 in dem kleinen Bergkirchlein in St. Moritz einen französischen Prediger über dies Wort (Joh. 3, 7) reden hören. Noch heute, nach 40 Jahren, habe ich die Wirkung nicht vergessen. Es war eine gewaltige Predigt. Der alte Mann mit dem weißen Bart rief wieder und wieder in die dichtgedrängte Kirche hinein: „Ihr müsset von neuem geboren werden!“ Tränenüberströmt sah ich viele der reichen, vornehmen, mit Spitzen und Juwelen beladenen Frauen dieses eleganten Weltbades hinausgehen – das Wort hatte eingeschlagen! In jedem Herzen hallte es wieder: Ihr müsset von neuem geboren werden!

Eine neue Kreatur! Es genügt nicht, daß wir die alte Natur allmählich verbessern, das Gute in uns pflegen und stärken, nein – nein, es muß etwas ganz Neues werden! Mit Nikodemus möchte man fragen: „Wie soll das zugehen?“ Jesus führt am Schluß der Unterredung diesen Mann im Geist hinaus nach Golgatha. Im Bilde der in der Wüste erhöhten Schlange deutet er auf den Opfertod des Menschensohnes, der sterben muß, „auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben“. Er zeigt dem staunenden Greise das Geheimnis der Erlösung.

Das Kreuz ist unsere Geburtsstätte. Wer findet den Weg dorthin? Wer versteht das Geheimnis der Versöhnung?
Nur der, der an sich selbst zuschanden geworden ist im Bewußtsein seiner Unzulänglichkeit und Sünde. Wer Bankrott gemacht hat mit seiner eigenen Gerechtigkeit, kommt zu der großen Zahlungsstelle, wo Christus, der Erlöser, mit seinem vergossenen Blut die ganze Schuld der Menschheit getilgt und die Rechnung ausgeglichen hat.

Das allererste was der Heiligen Geist tun muß, ehe er sich uns als der lebenerweckende Geist Gottes mitteilen kann, ist, daß er uns Licht über uns selbst gibt, über unseren eigenen verlorenen Zustand, über unser tiefes Verderben und unsere Sündhaftigkeit. Je tiefer das Licht eindringt, je gründlicher die Erleuchtung des Heiligen Geistes geschieht, je völliger sich Gottes Gericht an uns vollzieht, desto tiefer wird auch unsere Buße sein (die Sinnesänderung) und das Verlangen, am Kreuze von Golgatha sich erneuern und umgestalten zu lassen zu einem Kind Gottes.

Zunächst muß also die Erleuchtung dasein, die zu der inneren Gerichtsvollstreckung führt: Sünde – Sünder – sündig. Dann eilen wir mit dieser Sünde hin zum Kreuz, zu dem Mittler, der für uns als Stellvertreter unsere Strafe trug, unseren Fluch auf sich nahm, auf daß wir Frieden hätten, in dessen Wunden wir geheilt sind. Wir sehen also hier, daß auch das Geistesleben seine Vorbedingungen hat. Ist der Sünder erst am Kreuze angelangt und hat dort das Wort der Vergebung hören dürfen, so wird ihm der Frieden der Rechtfertigung mitgeteilt und die Zusicherung der Gotteskindschaft gegeben.

Als dankbare Gegengabe für dieses größte Gottesgeschenk gibt der Begnadigte sich selbst mit seinem Leben, seinem freien Willen Gott zurück. Die durch die Sünde ehemals vollzogene Trennung wird aufgehoben, das Kind darf dem Vater nahen und bringt aus Dank und Liebe für die erfahrene Gnade sich ihm selbst dar. In diesem Augenblick kann Gott die Versiegelung des Geistes vornehmen, von der wir Eph. 1, 13 lesen: „Durch welchen auch ihr gehört habt das Wort der Wahrheit, das Evangelium von eurer Seligkeit; durch welchen ihn auch, da ihr gläubig wurdet, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung.“
Der Apostel legt also hier die Versiegelung des Geistes, von der öfters im Neuen Testament die Rede ist, in den ersten Anfang unseres Glaubenszustandes. In dem Augenblick, wo der Glaube zufaßt und das Heil ergreift, ist die Versiegelung da. Die Versiegelung ist eigentlich die Eigentumserklärung Gottes. Wir können einen Gegenstand nur dann versiegeln oder mit unserem Stempel und Namen versehen, wenn er uns gehört. So kann Gott die Versiegelung des Geistes auch nur dann vornehmen, wenn wir uns ihm in freiwilliger Tat dankbarer Hingabe übereignen. Sobald wir uns ihm übergeben, ausgehändigt und sein Eigentumsrecht über uns anerkannt haben, drückt der Vater sein Geistessiegel in uns ein, teilt uns den Geist der Kindschaft mit und erklärt uns als sein Eigentum. Wir haben so die „Erstlinge des Geistes“ empfangen (Röm. 8, 23).
Schon im Alten Bunde gibt uns Gott durch den Propheten Hesekiel (Hes. 36, 26) die größte Verheißung: „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleische wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Hier handelt es sich nicht um eine allgemein menschliche Geistesbegabung, sondern um den neuen Geist, den Geist Gottes, der in der Fülle der Zeiten in den Herzen Wohnung machen und ganz von ihnen Besitz nehmen sollte.
Außer dieser Versiegelung ergibt sich dann auch das Zeugnis des Geistes in unserem Innern, daß wir Gottes Kinder sind. (Röm. 8, 16). „Derselbe Geist (der Heilige Geist) gibt Zeugnis unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind.“ Wir können und dürfen das ganz genau wissen. Ist es nicht etwas überaus Trauriges, wenn in der Welt ein Kind umherläuft, das seinen Vater nicht kennt? Wir haben aber das Recht zu sagen: Ich kenne meinen Vater. „Unser Vater, der du bist in dem Himmel!“

Dieser Kindesstand treibt uns, zu rufen: „Abba, lieber Vater!“ Und wir können mit dem Apostel Johannes jubeln: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir Gottes Kinder heißen sollen, und wir sind es!“
Wir dürfen uns der großen Gnade bewußt werden, Wiedergeborene zu sein durch den Heiligen Geist, solche, die nicht in dem natürlichen Leben Adams steckenbleiben als Dieseitsmenschen, sondern die aus Gott heraus Lebenskräfte empfangen haben, die uns zu Ewigkeitsmenschen stempeln und uns hineinführen in eine neue, innere Lebensverbindung mit Christus


Der Wandel im Geist

Aus dem Geistesleben ergibt sich nun auch als weitere Folge der Wandel im Geist.
Wenn der Heilige Geist uns als Erstlingsgabe mitgeteilt wurde, so haben wir es alle gespürt, daß etwas Neues in uns hineingekommen ist: ein neuer Trieb, eine neue Gesinnung, eine neue Neigung, ein neues Streben. Wir denken neue Gedanken, wir sprechen sozusagen eine neue Sprache. Manches von dem Alten, an dem wir so gehangen haben, ist einfach von uns abgefallen. Die Geschmacksrichtung hat sich verändert, die Ziele sind andere geworden. Während wir früher hier auf Erden unser Lebenselement und den Sitz unserer Neigungen hatten, bekommen wir nun eine lebendige Ewigkeitshoffnung, und das Verlangen des Herzens steigt aufwärts zu dem, was unvergänglich ist. Neu ist auch die große Freude, die zuerst das begnadigte Menschenherz erfüllt, das Bewußtsein des Friedens, die selige Harmonie, die uns innerlich durchflutet. Man spürt es, wir sind von neuem geboren, und über allen Zweifel erhaben ist die Gewißheit, in eine andere Lebenssphäre eingegangen zu sein.

Aber nach dieser ersten großen Freude und ihren Wirkungen auf unser inneres Leben und Verhalten werden wir gar bald auch etwas anderes merken. Vieles ist neu geworden, aber nicht alles. Wohl ist neues Leben da, der Heilige Geist ist uns als Erstlingsgabe mitgeteilt und hat Besitz von uns genommen, doch etwas anderes ist auch noch da – das alte Leben. Das ist noch nicht mit einem Schlage tot. Was wir früher gar nicht kannten und wußten, mit einem male spüren wir es: zwei Gewalten sind in uns, die gegeneinander kämpfen. Vor unserer Wiedergeburt hatten wir verhältnismäßig Ruhe. Wir folgten einfach dem trieb unseres alten Lebens und hatte keine höheren Ziele als die, nach denen unser natürliches Herz verlangte. Konnten wir unsere Wünsche einigermaßen befriedigen, so waren wir auch zufrieden und waren uns keines Zwiespalts und keines Kampfes bewußt. Jetzt aber ist ein zwiespältiges Leben da. „Den Geist gelüstet wider das Fleisch, und das Fleisch gelüstet wider den Geist.“ Der Heilige Geist, der nun in uns wohnt, will die Herrschaft gewinnen, und das Fleisch, das noch in uns lebet, will die Herrschaft nicht abgeben. Wer von uns hat sie nicht kennengelernt, diese furchtbaren, manchmal bis zur Verzweiflung führenden Kämpfe zwischen Fleisch und Geist! In uns streitet zwei reiche um die Obergewalt: das Licht und die Finsternis, der Geist und das Fleisch, das Leben und der Tod.

Jetzt kommt alles darauf an, daß wir unseren Willen auf die Seite des Geistes Gottes stellen und ihm gewissermaßen ein Gebiet nach dem andern ausliefern, so daß er seine Herrschaft in uns gewinnen und befestigen kann, während das Fleischesleben und –wesen sich immer weiter zurückziehen muß, bis ihm endlich das Todesurteil gesprochen wird und es dorthin kommt, wo es hingehört, ans Kreuz.
Manches Gotteskind hat eine Wiedergeburt erlebt, eine innere Lebensmitteilung Gottes erfahren, aber es fehlt der Wandel im Geist. Durch den Propheten Hesekiel 8, 36, 27) spricht Gott: „Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln, meine Rechte halten und darnach tun.“ Das ist also unseres Gottes großes Ziel. Er gibt uns seinen Heiligen Geist zu dem Zweck, daß wir in seinen Geboten wandeln und ihm die Herrschaft einräumen über unser inneres Leben, damit alles in Übereinstimmung kommt mit der Gesinnung des Geistes, der uns gegeben ist. „Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen.“ Und: „So wir im Geist leben, so lasset uns auch im Geist wandeln!“ mahnt der Galaterbrief.

Was ist nun eigentlich der Wandel? Wenn man das Tätigkeitswort „wandeln“ in seiner einfachen Bedeutung nimmt, so ist es ein Hindurchgehen und Weiterschreiten. Man wandelt durch den Garten, durch einen Wald. Indem wir wandeln, verändert sich ununterbrochen die Umgebung. So ist es auch in der geistlichen Übertragung mit dem Wandel im täglichen Leben. Der Wandel ist eigentlich nichts anderes als unser Verhältnis zur Umwelt, das uns im Laufe der Stunden und Minuten beständig in andere Beziehungen bringt. Wir sind einem immerwährenden Wechsel unterworfen. Sowohl was die äußeren Umstände betrifft, wie auch unsere Aufgaben und inneren Gemütsbewegungen. Dieser Wandel oder Verkehr mit der Außenwelt soll ein Geisteswandel sein, ein Wandel im Geist.
Es gibt Menschen, die nicht nur ein hervorragendes Maß von Erkenntnis, sondern auch eine bestimmte persönliche Heilserfahrung haben. Und doch, wenn sie durch den Tag hindurchgehen mit seinen mannigfaltigen Aufgaben, Geschäften und Gelegenheiten, so sieht man nichts von dem „Wandel im Geist“. Man sieht nur die eigene Ich-Natur, die sich immer wieder durchsetzt und in tausend Kleinigkeiten beweist, in scharfen Worten, in unfreundlichen Gebärden, in lieblosen Bemerkungen, in Verdrossenheit, übler Laune, Nieder-geschlagenheit, Untreue oder Unzuverlässigkeit und dergleichen mehr. Solch ein Wandel im Fleisch ist etwas sehr verhängnisvolles für einen wiedergeborenen Christen.

Man könnte fragen: Warum sind viele sogenannte Kinder Gottes keine Empfehlungsbriefe an die Welt, keine Zeugen der Frohen Botschaft?, und die Antwort muß lauten: Es fehlt an dem Wandel im Geist! Sie haben wohl inwendig die Kraft der Versiegelung erfahren, aber sie haben sie nicht an sich auswirken lassen in der Veränderung und Erneuerung des Lebens. Sie haben sich nicht voll und ganz auf die Seite des Geistes gestellt mit ihrem Willen und mit ihrem Seelenleben. In diesen gebieten herrschen noch alle die Triebe des eigenen, natürlichen Adamswesens, die sie unbeschnitten und uneingeschränkt schalten und walten lassen.
Wollen wir uns da nicht alle einmal ehrlich fragen: Wie stehet es mit meinem Geisteswandel? Habe auch ich dem Herrn, der mich erlöst und der mich mit dem Geist der Kindschaft begnadigt hat, Schande gemacht und der Welt und auch den Gotteskindern Anlaß gegeben, sich an meinem Wesen, an meiner Art zu stoßen und ärgern?
Die Mitteilung göttlicher Geisteskräfte wird uns nur gegeben, damit wir ein Leben führen können in Übereinstimmung mit Gottes Willen, nach Gottes heiligen Geboten, die ja schließlich, wenn wir sie im Lichte des Neuen Testamentes betrachten, alle in einem einzigen Gebot aufgehen, nämlich in dem Gebot der Liebe.

Jede Bewegung wird durch Kraft erzeugt. Wenn nun unser Wandel eine Bewegung ist, die uns durch das Leben hindurchbringt, so kommt es darauf an, welche Kraft hinter dieser Bewegung steht. Man spricht im technischen Leben von einer Triebkraft. Sie kann durch Dampf, durch Wasser, durch Elektrizität erzeugt werden. Ins Geistliche übertragen, könnten wir auch von einer treibenden Kraft sprechen, von einem Motiv oder Beweggrund. Hinter jeder Betätigung unseres Lebens steht ein Beweggrund, ein Motiv. Es ist wichtig, daß wir uns fragen: Aus welchem Beweggrund entstehen meine Entschlüsse, meine Betätigungen, meine Worte und Taten? Der Beweggrund wird allemal den Wert oder Unwert vor Gott entscheiden. Manches anscheinend vortreffliche Werk kann aus einem unlauteren Beweggrund heraus getan werden Selbst hinter glänzenden Taten der Liebe und heldenhaften Aufopferungen können falsche Motive stehen: Ehrgeiz, Eitelkeit kann der Beweggrund zu solchem Tun sein.
Wieviel in unserem Leben mag da vor dem Richterstuhl Gottes als verwerflich und verdammlich erscheinen, was bei den Menschen Bewunderung und Anerkennung hervorbringt! Der Beweggrund entscheidet.

Zwei große Einflüsse machen sich in unserem Leben geltend. Der eine verheerend und verwirrend, nach unten ziehend, dringt von außen durch die Sinne und Organe unseres Leibes in unser Seelenleben ein, hervorgerufen durch die Verführungskünste des Fürsten dieser Welt, der uns beständig umlauert und Eingang zu finden sucht. Der andere heiligend, befreiend, erlösend, nach oben ziehend, kommt durch den in uns wohnenden Heiligen Geist, der von unserem Menschengeist Besitz genommen hat in der Wiedergeburt, und der nun darauf ausgeht, von unserem Seelenleben mit seinen Kräften und verschiedenartigen Gebieten Besitz zu nehmen. Die Seele liegt in der Mitte zwischen dem Höchsten und Innersten, dem Geist und der äußeren Umkleidung, dem Leib. Der Menschengeist ist der Sitz des Gottesbewußtseins; denn nur im Geist können wir Gott erfassen. Die Seele ist der Sitz des Ichbewußtseins, in dem unsere natürliche Persönlichkeit, unser eigenes Selbst, sein Betätigungsgebiet hat. Der Leib ist die Stätte des Weltbewußtseins, weil seine Organe, Augen, Ohren, Glieder, Sinne, die Einflüsse der Außenwelt nach innen vermitteln.

Nun gilt es, die verschiedenen Seelenkräfte: das Denkvermögen, das Gefühlsleben, die Erinnerung, die Vorstellungskraft, die Neigung und Abneigung und – schließlich als entscheidenden Faktor – den Willen dem Einfluß des Weltgeistes zu entziehen und ganz unter die Herrschaft und die Beeinflussung des Heiligen Geistes zu stellen.
Die drei unterschiedlichen Personen der Heiligen Dreieinigkeit wirken in diesem Heiligungswerk mit. Durch den Heiligen Geist wird die Innewohnung Jesu uns mitgeteilt, und mit dem Sohn macht auch der Vater Wohnung in dem ihm geweihten Menschenherzen, so daß von innen heraus Geist, Seele und Leib von Gott in Besitz genommen, durchwohnt und geheiligt werden (Eph.3, 17; 1. Thess. 5, 23; Joh. 14, 23).
Wenn diese Gottesherrschaft sich im Heiligen Geist mehr und mehr über alle Gebiete des Lebens erstreckt, kann es zu einem wahren Wandel im Geist kommen. Er wird zu einer Realität. Neue Hoffnungen erfüllen den nach einem geheiligten Leben Verlangenden. Der Sieg der Gnade über die natur wird zur Lebenserfahrung, und die Schriftworte, die vom geheiligten Wandel handeln (1. Petr.1, 14-16 und 1. Petri 2), treten in den Bereich der Möglichkeiten, während sie vorher, solange wir mit den Naturkräften und der Beeinflussung des Feindes rechnen mußten, unerreichbar schienen.
Konnte schon im Alten Bunde ein Henoch mit Gott wandeln, so sollten die Kinder des Neuen Bundes Christus als ihre Heiligung im Glauben annehmen und durch den Heiligen Geist ihr Leben nach seinen göttlichen Grundsätzen gestalten lassen, so daß er selbst in ihnen seinen Jesuswandel auf Erden fortsetzen kann.

Die Gemeinschaft des Geistes
Wo Geisteswandel ist, wird auch die Gemeinschaft des Geistes nicht fehlen. Sie wird eine Gemeinschaft des Lebens, des Lichtes und der Liebe sein. Des Lebens, denn das innewohnende Geistesleben des einen teilt sich naturnotwendig auch dem anderen mit, und wo es schon vorhanden ist, entsteht eine heilige und beseligende Wechselwirkung, ein Kontakt des Geistes, der das Leben der Geistesträger untereinander verbindet und harmonisch gestaltet.
Solch eine Lebensgemeinschaft im Geist wird dann auch eine Gemeinschaft des Lichtes. „So wir im Lichte wandeln, wie er im Lichte ist, haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde“ (1. Joh. 1, 7). Nur die im Licht Wandelnden können Gemeinschaft des Geistes miteinander haben. Jedes Dulden von Finsternis, verborgenen Sünden, unlauteren Beweggründen und unaufrichtigem Wesen hindert und hemmt sofort die Geistesgemeinschaft.
Aus der Lebens- und Lichtesgemeinschaft erblüht dann als selige Folge die Liebesgemeinschaft. Alle Hindernisse der Liebe sind beseitigt, und so kann die Liebe Gottes, die ausgegossen ist in unser Herz durch den Heiligen Geist, nun auch die einzelnen Glieder des Leibes miteinander zu einer wahren und innigen Liebesgemeinschaft verbinden, in der Liebe, von der 1. Kor 13 uns so ein lichtes Bild entwirft, und die uns in dem Leben der ersten Christengemeinden deutlich vor Augen gestellt wird (Apg. 2, 44 und 4, 32).

Nächst der höchsten Seligkeit, deren wir hier auf Erden teilhaftig werden können, der persönlichen Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott, ist die Gemeinschaft des Geistes mit seinen Kindern, das Schönste und Beste, was uns geschenkt werden kann. Kein irdisches Band der Blutsverwandtschaft und der auf rein natürlicher Grundlage beruhenden Freundschaftzsbeziehungen kann mit der wahren, geheiligten Lebens-. Lichtes- und Liebesgemeinschaft im Geist verglichen werden. Sie ist ein Vorgeschmack der Gemeinschaft der Heiligen und fangt hier schon an, um in allen Ewigkeiten der Ewigkeiten in immer wachsendem Maß und seliger Erfahrung fortgesetzt zu werden.

Diese Gemeinschaft im Geist wird auch nach einer Betätigung verlangen. Der einzelne Christ wird sich als Glied des anderen in den großen Organismus des Leibes Christi eingeordnet wissen und als solches sich zu gegenseitigem Dienst verpflichtet fühlen. Der Epheserbrief gibt uns im 4 Kapitel eine eingehende Schilderung von dem Verhältnis der einzelnen Glieder zueinander und zum Haupt. Konnte der erste Adamssohn Kain auf die Frage Gottes: „Wo ist dein Bruder Abel?“ trotzig antworten: „Soll ich meines Bruder Hüter sein?“ – so weiß sich der wiedergeborene Christ, der zu der Genealogie des neuen Adams gehört, in der Gemeinschaft des Geistes verantwortlich für alle anderen Glieder des Leibes Christi und besonders für diejenigen, die mit ihm in direkter Wechselbeziehung des Lebens stehen.
Die Schönheit des Menschenleibes, wie auch insbesondere die der Züge des Menschenantlitzes, liegt in der Ebenmäßigkeit und Harmonie der einzelnen Teile zueinander. Es ist eine Verkennung der Ziele und Liebesabsichten Gottes, wenn der einzelne Christ einseitig nur seine eigene Ausgestaltung und Vervollkommnung im Auge hat. Der Apostel Paulus, der von sich bezeugen konnte, daß er mit ganzer Energie sich ausstreckte nach dem höchsten Ziel, rang und kämpfte, arbeite und flehte, damit alle Glieder des Leibes heranwachsen möchten zur einheitlichen Größe des Mannesalters Christi. Wer in wahrer Geistesgemeinschaft zu den anderen steht, dem wird an der Ausgestaltung und Entfaltung der anderen Glieder ebensoviel liegen müssen wie an der eigenen Ausreifung und Vollendung.

Die Gemeinschaft des Geistes treibt auch zur Pflege der gemeinsamen Beziehungen untereinander. So sehr man die stillen Stunden des Alleinseins mit Gott und das Herzensgebet des Kämmerleins liebt und übt, so wird man doch auch die Gelegenheiten wahrnehmen und treu auskaufen, die der gemeinsamen Betrachtung des göttlichen Wortes und dem vereinigten Lobe Gottes und der Fürbitte gewidmet ist. Die Gemeinschaft des Geistes drängt zu lebendigem Austausch und gegenseitiger Mitteilung empfangenen Lichts und erfahrener Gnade: 1. Joh. 1, 3; Ps. 34, 3.4 und Ps. 66, 16: „Ich will erzählen, was er an meiner Seele getan hat…“


Die Fülle des Geistes

Brauchen wir denn noch mehr? Wenn wir das Leben des Geistes haben, den Wandel im Geist führen und die Gemeinschaft des Geistes mit anderen genießen, ist uns dann nicht schon alles mitgeteilt, was wir nur wünschen und erwarten können?
Für uns selbst und unser eigenes Bedürfnis möchte das bisher Gesagte schon genügen. Wir brauchen aber die uns verheißene Fülle des Geistes ganz notwendig, um unseren Zeugenberuf auf Erden erfüllen und unseren Dienst an anderen in wirksamer Weise ausrichten zu können.
Wir sollen nicht nur Leben haben, sondern überfließendes Leben (Joh. 10, 11). Wir bedürfen einer Kraft, die über uns hinausgeht und uns zu Werkzeugen des Heiligen Geistes macht in der Welt. Schon Johannes spricht davon (Luk. 3, 16), daß der kommende Messias mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen wird. Nicht nur die Apostel in ihrer festgesetzten Zwölfzahl, sondern die 120 mit ihnen, unter welchen sich auch Frauen befanden, und schließlich die 3000 und 5000 – sie wurden alle mit dem Heiligen Geist und mit Feuer getauft und konnten es dann nicht lassen, zu reden und zu zeugen von dem, was sie erlebt und gesehen hatten.
Die Mitteilung der Geistesfülle war aber nicht auf die einmalige Pfingstausgießung des Geistes beschräkt, sondern die Apostel und ihre Nachfolger durften sie immer dann, wenn ein bestimmter Auftrag eine vermehrte Geistesmitteilung und Ausrüstung nötig machte, neu empfangen (Apg. 4, 31).
Daß diese Geistesfülle nicht nur solchen Gottesmännern verheißen ist, die in einem besonderen Amt und Dienst des Herrn stehen, sondern daß die Geistesfülle Erbrecht und unentbehrliche Gnadenmitteilung aller Christen ist, geht aus dem Wort Eph. 5, 18 hervor. Paulus schreibt den Epheserbrief der ganzen Gemeinde, und zwar, wie man heute annimmt, nicht nur den Christen von Ephesus, sondern wohl auch als Zirkularbrief den anderen damals von ihm bedienten Gemeinden Kleinasiens. Er hat gewarnt vor dem unordentlichen Wesen der Unnüchternheit durch irdischen Rauschtrank und stellte dem nun gegenüber die Notwendigkeit, voll Geistes zu werden. Die folgenden Verse weisen darauf hin, wie diese Geistesfülle ihren Ausdruck findet im Lobe Gottes und in Ermahnungen und Ermunterungen zu einem geheiligten, gottgeweihten Leben.
Es kann jemand wahres Geistesleben haben, einen Geisteswandel führen und in Geistesgemeinschaft mit Gleichgesinnten stehen, ohne sich getrieben und ermächtigt zu fühlen, den Draußenstehenden und den „Kindlein in Christo“ von der Herrlichkeit und Seligkeit dessen zu zeugen, was der Herr durch seinen Tod und seine Auferstehung uns alles erworben hat. Man kann ein Gefäß mit Flüssigkeit füllen, dann ist die Flüssigkeit im Gefäß, teilt sich aber nicht der Umgebung mit. Stellt man einen Krug unter das fließende Wasser eines Brunnens, so wird nicht nur der Krug bis zum Rande gefüllt, sondern der Inhalt wird überlaufen und wird auch die Umgebung fruchtbar machen durch das immer weiter fließende. Lebenerweckende Wasser.
In der Schweiz haben wir oft an solchen Brunnen gestanden. Der steinerne oder hölzerne Trog war nicht nur bis zum Rande gefüllt, so daß er Menschen und Tieren das erquickende Wasser bot, sondern er floß über, hinein in die Wiesen und Bächlein zu immer erweiterter Mitteilung fruchtbringender Segnungen. Das sollte so recht das Bild eines Menschen sein, der die Fülle des Geistes empfangen hat, nicht nur genug für den eigenen Bedarf, sondern auch die Möglichkeit, all denen zu dienen und abzugeben, die Anspruch darauf machen, an seinen Segnungen teilzunehmen.
So manches begnadigte Gotteskind klagt über Mangel an Kraft und Zeugenmut. Es fühlt sich nicht imstande, die Aufgaben zu erfüllen, die in der Darbietung der Frohen Botschaft für den anvertrauten Verein, Jugendbund oder sogar für die häusliche Gemeinschaft der Familienmitglieder liegt. Eine Stunde, eine Andacht zu halten, wird zur Qual, unter dem Bewußtsein inneren Unvermögens. Mit größter Mühe arbeitet man sich unter vielem Nachdenken und Durchforsten von Kommentaren eine Bibelstunde oder Ansprache aus. Mit zitternder Angst wird sie gehalten und mit dem schmerzlichen Bewußtsein geschlossen, daß die sorgfältig vorbereitete Rede ohne Zeugenkraft war und deshalb wenig oder gar keinen Eindruck auf die Zuhörenden machte. Woran mag es da liegen? Das Wort Gottes wurde in rechter Weise angewendet, die Gedanken waren an und für sich gut und klar, aber die Geistesfülle fehlte, das lebendig Zeugnis des lebenwirkenden Geistes, der aus dem überfließenden Gefäß sich den anderen mitteilen muß.
Was ist wohl die Ursache, daß die Fülle des Geistes, die doch allen Gotteskindern verheißen ist, von der die Apostel Zeugnis ablegten und die sich zu aller Zeit hier und da, mal an einzelnen, mal an vielen offenbarte, doch so manchen aufrichtig verlangenden Christen vorenthalten bleibt? Es liegen da fast immer bestimmte Hindernisse vor, die hinweggeräumt werden müssen, wenn wir die Fülle des Geistes empfangen wollen.
Ein Grund kann sein, daß man die Geistesfülle aus selbstsüchtigen Gründen begehrt, zu eigener Ehre und eigener Verherrlichung. Wer so steht, dem kann und darf diese Gandengabe nicht zuteil werden; denn sie würde dem Träger zum Verderben gereichen und Unheil anrichten (Zauberer Simon, Apg. 8).
Ein anderer Grund kann sein, daß wir über die Geistesfülle verfügen möchten, statt daß wir den Heiligen Geist über uns verfügen lassen. Es kommt nicht darauf an, daß wir den Heiligen Geist haben, sondern daß der Heiligen Geist uns hat. Nach 1. Kor. 3, 16 und 1. Kor. 6, 19 soll unser Leib ein Tempel des Heiligen Geistes sein, bewohnt, in Besitz genommen von ihm, um einzig ihm zur Verfügung zu stehen.
Ein weiteres Hindernis kann sein, daß das eigene Ich sich noch in unserem Seelenleben behauptet, seine Ansprüche geltend macht und eine Rolle spielen will. Ist es so, dann findet der Heilige Geist keinen Raum für seine Fülle. Das alte, unter dem Fluche Gottes stehende Adamsleben, das Ich in seiner selbstischen Bedeutung muß dem Tode geweiht sein und seiner Rechtsansprüche verlustig gehen. „Hinweg mit diesem!“ – mit diesen Worten darf der neue Wille den langjährigen Insurgenten, das eigene Ich, hinauswerfen und ihm seinen Platz am Kreuz und im Grabe Christi anweisen. Dann erst wird die Fülle des Geistes Raum finden.
Ein weiterer Grund ist auch häufig das Dämpfen und Betrüben des Heiligen Geistes (1. Thess. 5, 19 und Eph. 4, 30). Wenn man die leise mahnende Stimme überhört, ignoriert, ihn, diesen höchsten Gast, mißachtet, ihm die schuldige Ehrfurcht und Rücksicht verweigert, so dämpft man den Geist, und aus dem beständigen Dämpfen wird schließlich das Betrüben. Nicht, daß der Heilige Geist den wiedergeborenen Menschen dann ganz verläßt, aber er zieht sich zurück in das Allerinnerste des Menschengeistes, wo er, gewissermaßen wie ein Gefangener außer Kraft gesetzt, seinen Einfluß auf das Leben und Wirken des betreffenden Gotteskindes kaum zur Geltung bringen kann. Die Fortnahme des Heiligen Geistes würde den geistlichen Tod bedeuten und das furchtbare Gericht, von dem Hebr. 6 redet. Dazu kommt es nur dann, wenn der Mensch mit klarer Willensentscheidung dem Heiligen Geist die Tür weist, die Gnade Gottes mit Füßen tritt und sich lossagt von dem, dem er sein Leben und seine Rettung verdankt. In den meisten Fällen bleibt der Heiligen Geist trotz anhaltenden Dämpfens und Betrübens doch im Herzen der Gläubigen wohnen, aber seine Nachwirkungen sind beschränkt und gelähmt, so lange, bis durch eine gründliche und tiefere Anerkenntnis seiner Herrscherrechte dem Heiligen Geist Raum gemacht und das Leben seinem Einfluß untergeordnet wird.
Gedämpft kann der Heiligen Geist werden durch lieblose Gesinnung, durch richtende, verurteilende Worte, durch nachteiliges Reden über andere, durch Nachtragen und Unversöhnlichkeit. Letztere führt dann schon zu ernstem Betrüben des Geistes und hindert jede Mitteilung göttlicher Gnade. Aber auch Oberflächlichkeit, gedankenloses, saft- und kraftloses Schwätzen, leichtfertige Scherze, Untreue und Unregelmäßigkeit im Gebetsleben, das alles kann je nach seinem Grad betrüben und dadurch ein ernstes Hindernis sein für die Fülle des Geistes. Ein aufrichtiges, nach dem Höchsten verlangendes Herz wird jedes derartige Hindernis hinwegräumen und dadurch der Geistesfülle den Weg öffne.

Ein Beispiel aus dem eigenen Erleben mag als Illustration dienen.
In einer einsamen Hütte im Klöntal wohnend, holte ich mir meinen täglichen Wasserbedarf aus dem Tag und Nacht sprudelnden Brunnen, dessen Reichtum über den hölzernen Trog hinaus auf die blühende Wiese floß. Nach einigen Tagen hörte das muntere Plätschern auf, der Wasserstrahl wurde schwächer und schwächer, und mein Krug mußte oft lange unter der Röhre stehen, bis er endlich gefüllt war. In meiner Sorge ging ich zum Wirt, der einige Minuten entfernt in einem Bauernhaus wohnte. „Das Wasser versiegt“ sagte ich, „ist etwa die Quelle leer?“ Der Bauer lachte: „Dort oben ist Wasser genug! Das muß an etwas anderem liegen!“ Schnell kam er mit faßte mit seiner kräftigen Hand unter die Grasdecke des Bodens und zog nach einem Weilchen einen dichtverwachsenen Büschel von Graswurzeln aus der Leitung heraus. Lachend zeigte er ihn mir und sagte: „Das ist die Ursache!“ – und schon plätscherte aufs neue das Brünnlein, gespeist aus dem unermeßlichen Reichtum der hochgelegenen Bergquelle.

Werdet voll Geistes! Geistesfülle ist ein Leben der Fruchtbarkeit. Seelen werden erweckt, Sünder kommen zur Erkenntnis ihres Elends und suchen das Heil, Friedelose finden Frieden, geistlich Tote wachen auf.
Erfüllen wir die Bedingungen, so wird auch Gott nicht zögern, seine Verheißung an uns wahrzumachen, und das Wort Jesu wird auch uns gelten: „Wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“


Die Kraft des Geistes

Geistesfülle beweist sich allenthalben in der Kraft des Geistes, die schon Apg. 1, 8 den Jüngern verheißen wurde.
Die Kraft aus der Höhe, die Macht des Geistes zeigt sich in den Wirkungen der Botschaft, wie wir es in ganz besonderer Weise in dem Leben des Paulus sehen. Er spricht in 1. Kor. 2, 4 davon, daß sein Wort und seine Predigt nicht bestand in vernünftigen reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft.
Geistesfülle und Geistesmacht sind wohl vereinbar mit dem Bewußtsein äußerster persönlicher Schwachheit und Kraftlosigkeit. Je schwächer das Werkzeug, je widerstandsloser und hingegebener, desto größer und gewaltiger kann die Gottesmacht sein, die sich seiner bedient (2. Kor. 12, 9.10). In irdenen Gefäßen tragen Kinder Gottes im Bewußtsein ihres Elends diesen Schatz und wissen, daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht ihrer selbst (2. Kor. 4, 7).
„Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft“ (1. Kor. 4, 20). So kommt es auch nicht auf die Länge der Rede, auf die Menge der Worte an, ja selbst das heilige Schweigen eines in der Kraft des Geistes stehenden Kindes Gottes kann lauter reden und tieferen Eindruck machen als eine Fülle von Worten in eigener Kraft.

Eine junge Dame zur Zeit Ludwigs XIV. wollte Mme. Guyon, die gotterleuchtete Zeugin, besuchen um von ihr innerlich gesegnet zu werden. Sie fand in ihrer Wohnung eine Frau, die im Ruf großer Frömmigkeit und Geistlichkeit stand. Jene Dame redete fast die ganze Zeit ununterbrochen, während Mme. Guyon schwieg. Das junge Mädchen äußerte später, das Schweigen der Mme. Guyon hätte ihr mehr Eindruck gemacht als die vielen frommen Worte jener anderen Frau.
Die Kraft des Geistes ist nicht abhängig von natürlichen Kräften, Begabungen oder von dem, was man durch Erziehung und Studium gewinnen kann. Es war wohl Gottes weiser Ratschluß, daß unter den ersten geisterfüllten Zeugen fast lauter ungelehrte, einfache Männer aus dem Volke waren, darunter gewiß manche von mittelmäßiger Naturbegabung, aber völlig hingegebnen an die göttliche Kraftmitteilung – und deshalb geeignete Organe zum Empfang und zur Entfaltung der Wirkungen des Geistes.
Manche entschuldigen sich: „Ich habe keine Gaben zum Reden und Zeugen – es ist mir nicht gegeben – ich bin zu schüchtern – ich habe eine schwere Zunge, keine Redegewandtheit.“ Wo mit der Fülle des Geistes auch die Kraft von oben, die Macht des Geistes sich in einem Menschen mitteilt, da kann das stammelnde Wort, das einfachste Zeugnis, die kürzeste Rede wie ein Feuerbrand andere Herzen entflammen, Sünder zu Boden werfen und geängstigte Seelen zur Annahme des Heils verhelfen.
Die Mitteilung der Kraft aus der Höhe ist nicht wie bei den Aposteln an eine zehntägige Wartezeit gebunden. Jahre der Vorbereitung können vorangehen oder auch Wochen, Tage, Stunden anhaltenden Gebets. In anderen Fällen kommt, wie bei Finney, die Kraftmitteilung unerwartet, unmittelbar in einem Augenblick, wenn die inneren Bedingungen erfüllt sind.
Die Kraft des Geistes wird auch nicht ein für allemal mitgeteilt, sondern sie kann, wie wir es im Leben der Apostel sehen, je nach Bedürfnis unter besonderen Voraussetzungen und Anlässen immer wieder gegeben werden.
Es gibt Wasserbehälter mit einer Art Schwimmverschluß. Läßt man unten durch den Kran das Wasser ab, so öffnet sich oben der Verschluß, und eine neue Fülle strömt in den Behälter zu. So ist es auch im Dienstleben des geisterfüllten Gotteskindes. Steht es im Bewußtsein eigenen Mangels arm und elend vor heilsbedürftigen, dürstenden Menschen, so wird als Antwort auf das Gebet des Glaubens ihm im selben Augenblick die Ausrüstung gegeben, die Kraftfülle Gottes anvertraut werden, und das Wort wird nicht leer zurückkommen, sondern ausrichten, wozu Gott es sendet.

Die Gaben des Geistes
Vor Jahren stand ich am Trümmelbachfall bei Lauterbrunnen und sah dem seltensten Schauspiel zu. Rings von Felsen eingeschlossen, schoß wie aus einer Kanone heraus unter ohrenbetäubendem Brausen ein gewaltiger Wasserstrom durch die engen Spalten. Es war komprimierte Wasserkraft, die man sich stärker kaum vorstellen kann. Nachdem dieser Kraftstrom die Talsohle erreicht hatte, wurde er, so nehme ich an, in verschiedene Röhren und Kanäle verzweigt, um allerhand Dienste zu verrichten. Hier galt es eine Mühle zu treiben, dort eine elektrische Kraftanlage zu speisen, Felder und Wieder mußten bewässert, das Vieh getränkt und die Haushaltungen der Menschen versorgt werden. Die einheitliche Kraft dort drinnen im Felsen, hier unten im Tal die vielfache Verzweigung und mannigfaltige Verteilung der Gaben nach dem Bedürfnis der Bevölkerung.
Ist es nicht so auch mit den Gaben des Geistes? Der Apostel zeigt uns diese Gaben in ihrer einfachsten, alltäglichsten, schlichtesten Auswirkung im 12. Kapitel des Römerbriefes: „Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“
Da wird zunächst die Weissagung genannt, die geisterfüllte Rede, die dem Glauben gemäß sein soll; dann das Amt, was immer es auch sei, die Lehre, die Ermahnung, die Mitteilung von Almosen, die Aufgabe der Leitung und der Dienst der Barmherzigkeit. Für alle diese Aufgaben wird die entsprechende Gabe dargereicht. Dazu kommen noch die charismatischen Gaben (1. Kor. 12 und 14) die derselbe Geist in verschiedenartiger Weise, zu verschiedenen Zeiten verleiht und gibt, wem er will. Nicht allen dasselbe, nicht allen das gleiche, sondern wie er in seiner souveränen Befugnis sie auszuteilen für gut hält. Da hat niemand ein Recht, von anderen zu verlangen, daß er gerade diese oder jene Gabe haben müsse, wie auch keiner ein Recht hat, echte Gaben des Geistes da anzuzweifeln oder zu verwerfen, wo ihre Empfänger und Träger durch die Früchte des Geistes in einem geheiligten Leben legitimiert werden.
Die Gaben sollten nicht überschätzt und nicht unterschätzt werden. In ihnen ist der Geber zu sehen und zu ehren, der alle Gaben gibt zur Auferbauung des Leibes, daß die Heiligen zugerichtet werden zum, Werk des Dienstes, „bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden, der da sei nach dem Maße des vollkommenen Alters Christi“.
Der Mißbrauch der Gaben zur eigenen Verherrlichung rächt sich schwer. Sie werden nur gegeben zu gemeinsamem Nutzen und zur Verherrlichung des Herrn. Geistesgaben müssen von der Geistesgesinnung begleitet sein, die sich besonders in Aufrichtigkeit, Demut und Liebe zeigen wird. Wo diese grundlegenden drei Tugenden vorhanden sind, dürfte man auch den gaben in ihrer Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit mit Vertrauen begegnen und sich auch dann freuen, wenn der Herr anderen Gaben mitteilt, die er uns versagt hat, weil ja im Geben und Versagen seine Weisheit und seine Liebe sich zeigen.

Die Salbung des Geistes
Aus derselben Quelle fließend, ganz anders aber in Charakter und Wirkungen wie die Geistesfülle mit ihren außerordentlich in Erscheinung tretenden Wirkungen der Geistesmacht und Geistesgaben, ist die Geistessalbung. Sie ist wie ein stiller, verborgener Zufluß ununterbrochener Art, äußerlich kaum wahrnehmbar und doch von unermeßlichem Wert und unentbehrlich für ein geheiligtes Geistesleben im Dienst des Herrn.
Wir lesen 1. Joh. 2, 20 und 27 von der Geistessalbung. „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen Geist und wisset alles.“ „Die Salbung, die ihr empfangen habt, bleibt in euch, und ihr bedürft nicht, daß euch jemand lehre, sondern so wie euch seine Salbung über alles belehrt, so ist es wahr und keine Lüge, und wie er euch gelehrt hat, so bleibt darin!“

Geistessalbung und Geistesleitung sind eng miteinander verbunden. Die Geistessalbung ist das stille, innere Licht, die führende, leitende Hand, die das gehorsame Kind vor Irr- und Umwegen bewahrt und in den Linien der Wahrheit erhält.
Wird die Geistesfülle zu gewissen Zeiten mit fortreißender Gewalt, uns selbst und anderen spürbar, mitgeteilt, so wird die Geistessalbung oft dann erst recht empfunden, wenn sie durch eine Untreue im Wandel unterbrochen und ihr Fehlen schmerzlich offenbar wird. Ich möchte diese Geistesmitteilung vergleichen mit dem Öl der Maschine. In jedem größeren Betriebe sind an den Zentralstellen der Maschine größere Ölbehälter angebracht, die ununterbrochen jede Sekunde ein Tröpflein hineinsinken lassen in die Gewinde, von denen aus sie allen einzelnen Teilen und Gliedern der Maschine durch die beständige Bewegung zugeführt werden. Hört der Ölvorrat auf, so wird der verantwortliche Maschinist es bald merken an dem entsprechenden Geräusch. Die einzelnen Teile fangen an, sich zu reiben, ein Kreischen und Knarren bekundet den Mangel, die Räder und Walzen laufen sich heiß, und wird nicht rechtzeitig Abhilfe geschaffen, so entstehen verhängnisvolle Brüche und Schädigungen des ganzen Werkes. Ähnlich ist es mit der Salbung des Geistes. Augenblick für Augenblick wird der Gesalbte ein Tröpflein dieses heiligen Öles empfangen, das, Licht und Weisung gebend, jeder Unruhe wehrt und Wandel und Wesen in Harmonie hält. Wird aber durch das Eintreten einer inneren Trennung von dem ewigen Lebensquell die Salbung unterbrochen, so entsteht sogleich eine innere Verfinsterung, eine Unsicherheit, ein Tasten und Suchen, eine quälende Unruhe, und wenn nicht bald der Schaden geheilt wird und der Kontakt wiedergewannen wird, kommt es dann auch leicht zwischen den einzelnen Gliedern des Leibes Christi zu Reibungen. Man wird erhitzt, gereizt, geärgert; ärgert, reizt und erhitzt andere, und schließlich kommt es zu schmerzlichen Katastrophen, die eine schwere Schädigung des Leibes Christi bedeuten.
Je mehr sich ein Herz dem Herzen Jesu öffnet, je mehr es sich dem stillen, heiligenden Einfluß des Geistes beständig erschließt, desto ununterbrochener und desto reicher wird diese Salbung sein. Der Heiland sagt: „Der Tröster bleibt bei euch und wird in euch sein.“ Er kommt nicht nur wie ein gewaltiger Sturmwind mit Brausen und Feuer, er will auch in dem stillen, sanften Sausen als Tröpflein Öl sich uns mitteilen in der Salbung und uns beständig unter seinen heiligenden Einfluß bringen.
Die Salbung ist so überaus nötig. Sie lehrt uns, sie unterweist uns, sie leitet uns. Manche Gotteskinder befinden sich beständig in Verwirrung, in einer Kollision der Pflichten; ihnen fehlt die Salbung. Wer unter der Salbung steht, der wird ganz leise vom Geist geleitet. Das geschieht nicht in besonderen Offenbarungen und Gesichten, Stimmen und Worten. Die Salbung lehrt uns, solange wir gehorsam sind. „Der Heilige Geist wird gegeben denen, die ihm gehorchen.“ Fürchten wir uns vor nichts so sehr wie vor dem Ungehorsam gegen den Heiligen Geist! Der Ungehorsam ist es, der uns am meisten hindert und uns in die größte Gefahr des Stillstandes und des Rückgangs bringt. Bleiben wir unter der Salbung, so kann uns der Geist Gottes durch seine zarte, liebevolle, stille Leitung beständig das Licht geben, das wir für den Augenblick brauchen, und die Gnade schenken, die wir gerade nötig haben. So gehen wir ganz selig und ruhig durchs Leben und können unter dieser Salbung ihm auch vertrauen, daß er uns nicht zuschanden werden lassen wird, sondern daß er sich verherrlichen wird durch sein schwaches, ihm geheiligtes Kind. Durch die Salbung wird er uns all das geben, was wir für unser täglichen Dienst, für unser inneres Leben und unseren Verkehr mit den Menschen brauchen.

Aber auch für unser Gebetsleben ist die Salbung unerläßlich nötig. Paulus sagt im Römerbrief; „Wisset ihr nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, aber der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“ Geistessalbung lehrt beten. Sie führt uns hinein in das wunderbare Heiligtum eines immerwährenden Gebetslebens, das nicht beschränkt ist auf das ordnungsmäßige Morgen-, Mittags- und Abendgebet, nicht gebunden an eine bestimmte stille Stunde. Gleich einem stillen, fast unmerklichen Strom soll das Gebet ohne Unterlaß den ganzen Tag durchfluten, in jede Arbeit uns hinein- und hindurchbegleiten, in jeder Unterhaltung uns bewahren und leiten. Durch das stille, ununterbrochene Geistesgebet werden wir die Kraft empfangen, auch unsere kleinen täglichen Pflichten treu zu erfüllen und alles, auch die äußeren Arbeiten und Aufgaben des Lebens, zur Ehre des Herrn zu verrichten. Die Geistessalbung treibt ins Gebet. Das Gebet aber wird uns immer wieder neue Geistessalbung zuführen, weil es den beständigen Kontakt mit dem Gott der Liebe unterhält, so daß der Geist der Gnade und des Gebets uns Augenblick für Augenblick mitgeteilt werden kann.


Die Freiheit des Geistes

Der Geist der Knechtschaft und der Furcht wird überwunden, wenn wir uns dem Heiligen Geist hingeben, der uns in „die Freiheit der Kinder Gottes“ führen will (Röm. 8, 21).
Nach dem, was wir vorher gesagt haben von der Beeinflussung und Leitung des Geistes, könnte man meinen, daß jede persönliche Freiheit drangegeben werden müßte und man in eine gesetzliche, ängstliche Zwangsstellung hineingebracht würde, wenn man sich dieser Macht unterwirft. Dem ist aber nicht so, im Gegenteil: der Heilige Geist erzieht und bereitet uns zur wahren Freiheit. Er macht uns zu freien Persönlichkeiten, indem er uns von den Hemmungen, Ketten und Banden des Fleisches und der Finsternis löst und uns unter die Siegesherrschaft des Christus stellt, der es ausdrücklich gesagt hat. „So euch der Sohn frei macht, seid ihr in Wahrheit frei“ (Joh. 8, 36).

Der Weg zu dieser Freiheit geht, wie zu jeder anderen Gnadenerfahrung, über Golgatha. Dort zeigt und der Heilige Geist, indem er uns Christum offenbart und verklärt, das Lamm Gottes, das uns befreit von dem Fluch der Schuld und der Macht der Sünde und damit auch von dem bösen Gewissen und von der knechtischen Furcht. Indem uns der Heilige Geist die Tiefen der Erlösung offenbart, führt er uns in das Bewußtsein unserer Befreiung von der Obrigkeit der Finsternis, löst uns von der Liebe zur Welt, befreit uns von der ängstlichen Sorge um irdische Dinge und schließlich auch von der Liebe zu uns selbst. An Stelle der Selbstvergötterung und Ichliebe treten Selbstverleugnung und Haß des eigenen Lebens. Christus wird durch die Wirkungen des Geistes unser neues Ich, und dadurch werden wir frei zum Dienst. Erlöst von allen Hemmungen und Banden, die uns bisher untauglich machten, sind wir nun „befreit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ und dürfen in solcher mit allen uns verliehenen Kräften, Gaben und Gnaden ihm dienen, der uns erlöst hat durch sein Blut. So wird alle scheinbare Beschränkung und Hemmung des natürlichen Fleischeslebens nur ein Weg in die wahre Freiheit, wie der Dichter sagt:

Freiheit ist der Zweck des Zwanges,
wie ich meine Rebe binde,
daß sie, statt im Staub zu kriechen,
frei sich in die Lüfte winde.
(Aus „Dreizehnlinden“ von Weber)
Das ganze 8. Kapitel des Römerbriefes ist eigentlich ein Triumphgesang der Freiheit, die uns in Christo erworben und durch den Heiligen Geist zugeeignet wird. Wir brauchen nicht mehr Knechte der Sünde zu sein, sondern dürfen uns der Freiheit in Christo freuen. Unter dem Gesetz der Sünde sind wir arme, geknechtete, gebundene, beengte, gedrückte und gefesselte Menschen. Unter der Gnade, im Machtbereich des Heiligen Geistes, in seiner befreienden Kraft fallen die Fesseln. Wir haben die Möglichkeit, ein geheiligtes Leben zu führen und dürfen uns dieser Befreiung von dem Zwang der Sündenherrschaft freuen und getrösten. Zinzendorf sagt: „Es ist unser Privilegium, daß wir nicht sündigen müssen.“ Nicht, daß wir nicht sündigen könnten! – Aber wir brauchen nicht, wir müssen nicht! Wir können überwinden in ihm, dem großen Überwinder, der uns heiligen will, wenn wir in der uns geschenkten Freiheit wandeln und sie nicht wieder verlieren und verkaufen um irgend etwas, was uns der Feind anbietet.
Ein wunderbares Licht über die Freiheit des Geistes gibt uns 2. Kor. 3, 17 nach einer etwas anderen Übersetzung: „Denn Herr ist der Geist; wo aber der Geist Herr ist, da ist Freiheit.“

Der Geist will herrschen, der Geist will in uns der Herr sein, und wo der Geist Herr ist, da ist Freiheit. Solange wir den Geist zurückdrängen, ihn dämpfen, ihn betrüben, ihn einengen und ihm nicht Raum lassen, sind wir unter einem Zwang und stehen unter tausend anderen Einflüssen. Wir seufzen, weinen und quälen uns. „Ich möchte wohl, aber ich kann nicht!“ Wir haben anderen Mächten die Herrschaft über uns eingeräumt.
Wenn aber der Heilige Geist Macht über uns bekommt, dann sind wir frei. Gerade weil der Heilige Geist uns unter seine königliche, heilige und göttliche Zucht nimmt, führt er uns in die Freiheit.
Überläßt man ein Kind seinen Stimmungen und Launen, seinem Eigenwillen und seinen Begierden, so ist es unglücklich und unzufrieden. Steht das Kind aber unter der Zucht eines höheren, weisen Willens, so fühlt es sich frei und froh und ist im Gehorchen glücklich. Dasselbe gilt auch von den Kindern Gottes. Beugen wir uns unter die Zucht des Heiligen Geistes in kindlichem Gehorsam und lassen uns von ihm leiten, dann sind wir königlich und frei.


Die Verklärung des Geistes

Es ist die Aufgabe und das Ziel des Heiligen Geistes, uns durch einen allmählichen Prozeß der Erneuerung und Verwandlung zur Verklärung in Jesus Bild zu führen. Empfangen können wir die Erstlingsgabe des Heiligen Geistes in einem Augenblick. Die Fülle des Geistes kann uns in einem gewaltigen Offenbarwerden der Macht und Kraft plötzlich mitgeteilt werden; aber die Verklärungsarbeit ist eine ganz allmählich fortschreitende.
Es ist ein Irrtum zu meinen, daß dieses Ziel, die Verklärung, im Handumdrehen zu erreichen wäre. Der Apostel sagt 2. Kor. 4, 1: „Darum, dieweil wir einen solchen Dienst haben, nachdem uns Barmherzigkeit widerfahren ist, werden wir nicht entmutigt (müde).“ Es ist der Dienst des Gehorsams, den wir nach dem Zusammenhang der Majestät des Geistes zu leisten schuldig sind. Überlassen wir uns gehorsam und dienstfertig dieser Geistesherrschaft, so wird von Stufe zu Stufe, von Grad zu Grad die Verklärungsarbeit des Geistes in uns vollbracht, und wir können ohne Entmutigung seinem Wirken stillhalten und uns ihm völlig überlassen, auch wenn es nicht so schnell geht, wie wir in unserer Ungeduld oft möchten. Es kommt nur darauf an, daß wir ihn nicht hindern. Er wird das große Werk allein vollbringen, wenn wir es ohne Widerstreben an uns geschehen lassen.
Vor Jahren erzählte uns unsere Schwester Margarete aus ihrer Tätigkeit in der Diamantenschleiferei vor ihrem Eintritt in den Dienst des Herrn. Der Diamant wird von Meisterhand in Blei gefaßt und dann auf einer zubereiteten Stahlplatte geschliffen. Bleibt er in seiner Fassung und läßt er still das Schleifen an sich geschehen, so kommt der Meister eher zu seinem Ziel, und der Edelstein wird fähig, einen Platz in einem wertvollen Schmuckstück einzunehmen. Es kommt aber nicht selten vor, daß ein solcher Diamant sich gegen das Schleifen sträubt. Er schreit und kreischt laut auf, springt wohl gar aus der Bleifassung heraus und muß dann erst mühsam im Staub und Kehricht gesucht werden, um aufs neue die Schleifarbeit an sich zu erdulden.

Erschweren nicht auch wir oft die Verklärungsarbeit des Heiligen Geistes durch nutzloses Sträuben, Seufzen und Weinen, ja vielleicht auch dadurch, daß wir „aus der Fassung kommen“ um unsere vermeintliche Freiheit und Selbstherrschaft wiederzugewinnen? Das ist dann ein großes Elend, und viele unnütze Kämpfe und Zeitverlust sind die Folge solch unverständigen Sträubens. Das einzige, was von uns verlangt wird, ist, daß wir dem Werk der Verklärung des Geistes stillhalten. Mit eigener Gewalt läßt es sich nicht erzwingen.
„Göttliche und inn’re Dinge
lassen’s vollends gar nicht zu,
daß man sie im Sturm erzwinge,
sondern weisen uns zur Ruh’.“

Es gibt Zeiten und Gelegenheiten im inneren Leben, da gilt es, das Himmelreich mit Gewalt zu nehmen. Wenn wir hindurchdringen durch die enge Pforte der Buße ins neue Leben, so geht das nicht anders als mit einem Ruck. Hier aber heißt es einfach dem Wirken des Geistes Gottes Raum geben und ohne Widerstreben seine Heiligungs- und Verklärungsarbeit an uns geschehen lassen. Es ist die feine Ziselierarbeit der tieferen, inneren Durchheiligung des Geistes. Diese Verklärung geht von Klarheit zu Klarheit, und er allein weiß, wieviel Zeit er dazu braucht, bis er sein Ziel erreicht hat.
Die Verklärung des Geistes geht nun von innen nach außen, vom Zentrum zur Peripherie. In dem bekannten Spruch 1. Thess. 5, 23 wird uns diese Linie klar gezeigt: „Er aber, der Gott des Friedens heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz, samt Seele und Leib, müsse bewahrt werden unsträflich auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi. Getreu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.“
Von innen, von dem Allerheiligsten des Geistes ausgehend, durch das vielverzweigte Gebiet der Seele, muß auch der Vorhof, der Leib, von der Verklärungsarbeit des Geistes durchdrungen und durchheiligt werden. Dieser Leib von Fleisch und Blut mit seinem Knochengerüst und seinem Nervensystem und all den wunderbaren, geheimnisvollen Organen und Gliedern soll ja ein Tempel des Heiligen Geistes sein. Innerhalb dieser äußeren Umhüllung baut sich der Herr schon jetzt seinen Verklärungsleib, und dies äußere Baugerüst muß so lange halten, bis das innere Bauwerk vollendet ist.

Der Heilige Geist, der uns gegeben ist, ist das Unterpfand (2. Kor. 1, 22), daß Gott mit seiner Verklärungsarbeit fertig werden wird, wenn wir ihn nicht hindern und ihm nicht im Wege stehen durch unsere Ungeduld und mangelnde Ehrfurcht. Durch widerstrebendes, ungeziemendes Wesen kann man es ihm, dem großen Werkmeister, schließlich unmöglich machen, so daß er uns beiseite liegen lassen muß.
Es zielt alles darauf hin, daß wir zur Überkleidung, zur Verwandlung kommen möchten; gleichviel, ob er uns rufen wird mit dem Ton der Posaune oder durch den Mund eines Engels, ob uns das Häuflein Erde bedeckt oder ob es graden Weges hinaufgeht in der Entrückung bei seinem Kommen (1.Thess. 4, 17), wir dürfen, wir sollen Wartende sein. Die Erwartung einer klugen Jungfrau dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Das Öl des Geistes muß unser Gefäß füllen, damit uns die Lampe im Sturm nicht auslöscht. Wir wollen uns auch der Verklärungsarbeit des Heiligen Geistes anvertrauen bis in unser Leibesleben hinein, damit die „Verwandlung“ (2. Kor.5, 4; 1. Kor. 15, 50-57) einmal möglich ist. Sie wird nicht bei allen möglich sein. Wer noch fleischlich gesinnt ist und das eigene Leben nicht drangeben will, es festhält und pflegt, der wird schwerlich am Tage des Herrn zur Verwandlung gelangen. Er kann wohl errettet werden und in die Seligkeit eingehen (1.Kor. 3, 11-15), aber zur Herrlichkeit berufen zu sein ist noch etwas anderes. Die Herrlichkeit ist an Bedingungen geknüpft, und diese Bedingungen heißen: mit Christus gekreuzigt, mit Christus auferstanden, trachten nach dem, was droben ist, da Christus ist. Es geht von Lösung zu Lösung. Geist, Seele und Leib ganz, nicht stückweise! Manche möchten wohl einen groben Fehler ablegen, der sie immer wieder in Schwierigkeiten bringt und ihnen Schande macht (Heftigkeit, Sichgehenlassen, Untreue und dergleichen), aber das ist nicht ausschlaggebend. Es kommt einzig darauf an, daß wir etwas werden zum Lobe seiner Herrlichkeit, daß seine Gnade einen Triumph aus uns machen kann und wir ihn nicht enttäuschen. Wir wollen ihm stillhalten, daß es dies große Werk an uns tun kann bis zur Vollendung.

Der Herr gibt uns in Lukas 11, 36 ein wunderbares Licht über das, was er als höchstes Ziel der Verklärung für die Seinen sich vorgesetzt hat: „Wenn nun dein Leib ganz licht ist, daß er kein Stück von Finsternis hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn ein Licht mit hellem Blitz dich erleuchtet.“

Das ist ein Gegenstand zu heiliger Prüfung. Stellen wir uns vor sein göttliches Angesicht, fragen wir uns ehrlich: Ist da noch irgendwo ein Rest von Finsternis, durch die das Licht noch nicht hindurchdringen konnte? Zeigt er uns dann etwas, so wollen wir es ihm ausliefern, damit wir ganz und völlig licht werden.
Kommt einst der Herr in den Bereich unserer Luftatmosphäre, so eilen nur die ihm entgegen, die gelöst sind und die durch Verklärung das Schwergewicht der Erdgebundenheit verloren haben. Die anderen müssen nach dem Worte Gottes noch durch schwere, harte Proben hindurchgehen, die sie sich ersparen könnten, wenn sie sich jetzt schon dem Verklärungswerk des Heiligen Geistes völlig überlassen würden.


Die Frucht des Geistes

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ hat der Herr einst zu seinen Jüngern gesagt. Die Frucht entscheidet. Geistesfülle, Geistesmacht und Geistesgaben wären nicht nur wertlos, sondern sogar verhängnisvoll, wenn die Frucht des Geistes fehlte, die erst die Echtheit und Göttlichkeit der Geisteswirkungen beweist.
Diese Frucht aber des Geistes ist in ihrer Zusammenfassung mit einem Wort zu nennen – es ist die Liebe. Die Liebe ist göttlichen Ursprungs, das Wesen der Gottheit selbst. Gott ist Liebe, und Mitteilungen, durch seine Salbung, Befreiung und Verklärung die Gottähnlichkeit im Menschen wiederherstellt, da kann es ja auch gar nicht anders sein, als daß Frucht und Folge dieser Geistesarbeit die Liebe ist. „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“
Paulus spricht in 1. Kor. 13 davon, wie selbst die höchste Offenbarungen, die größte Erkenntnis, ja sogar der Heroismus, der sich in den Flammentod gibt, und die Mildtätigkeit, die die letzten Güter opfert, keinen Wert hat ohne die Liebe. Sie ist die Frucht, die nicht fehlen darf und die uns im Brief an die Galater (5, 22) in Gestalt einer Traube vor Augen geführt wird, deren einzelne Beeren die Ausstrahlungen und Ausgestaltungen der Liebe darstellen.
Hat der Heilige Geist die Liebe Gottes ausgegossen in unser Herz (Röm. 5, 5), so wird sich auch die Frucht des Geistes in ihrer vielgestaltigen Weise finden, und das neue Gebot Christi, das einzige, was er uns hinterlassen hat, als Erfüllung des ganzen Gesetzes, die Liebe, wird wesenhaft in Erscheinung treten.
Was ist eigentlich das Wesen der Frucht? Es ist die Verkörperung des Lebenssaftes, der im Baum oder in der Traube durch Stamm, Äste und Zweige bis in die letzten Triebe hineinsteigt. Dort bildet er, weil er sich nicht in den weiten Luftraum ergießen darf, die Frucht in dem kleinen, verborgenen Fruchtknötchen, das die Blüte in den Frühlingstagen so zart verbarg und umhüllte. So bringt bauch der Heilige Geist als der wahre Lebenssaft naturnotwendig die Frucht in dem Leben der Gotteskinder hervor.
Wenn wir nun unter der Gestalt einer Traube die einzelnen Teile der Geistesfrucht vergleichen, so finden wir zunächst die Freude. Freude ist die jubelnde Liebe. Wo Liebe ist, erweckt sie Freude. Das ist schon im Irdischen so. Ist die Gottesliebe ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, so kann und darf die Freude nicht fehlen. Es wird dann aus der Gottesliebe die Gottesfreude geboren. Die ersten Christen trugen in besonderer Weise den Stempel heiliger Gottesfreude an sich. Wenn sie einander begegneten, riefen sie sich als Gruß zu. „Freuet euch!“ oder auch „Freude!“

So wird auch in unserem Leben die erste Frucht Freude sein, wenn wir in der Liebe des Heiligen Geistes stehen. Die Welt hat so oft Anstoß genommen an den sogenannten Christen, hat gespottet und gelästert über die Kopfhänger, weil so wenig Freude zu sehen war. Wenn ein Christ mühselig und trübe und in sich selbst vergrübelt einhergeht, dann ist er eine schlechte Empfehlung für das Christentum vor der Welt. Sie verlangt ja nach Freude und versucht auf alle mögliche Weise sich solche zu verschaffen. Ist die Freude der Welt auch eine künstliche, schnell vorübergehende, so bildet sie sich doch im Moment wenigstens ein, Freude zu genießen. Die Weltfreude gleicht dem Feuerwerk, das in schillernden Farben und flackernden Lichtergüssen die Dunkelheit der nacht für Augenblicke erleuchtet, wenn auch die Finsternis nachher um so dunkler erscheint.

In unserer Natur liegt das tief eingewurzelte Bewußtsein, daß Gott den Menschen zur Freude erschaffen hat. Halbherzige Christen, die nie mit ihrem alten Adamsleben und der Sünde völlig gebrochen haben, kennen keine wahre Freude. Sie gehen friedlos und freudlos durch das leben und sind jämmerliche, bedauernswerte Kreaturen.

Teerstegen sagt:
„Wer sich nicht ganz will Gott ergeben,

der führt ein wahres Jammerleben.

Brich durch! Es koste, was es will,

sonst wird das arme Herz nicht still!“

Wehe uns, wenn wir mit halbem Herzen, mit halbem Leben, mit halber Hingabe zu Gott kommen und ihm so dienen wollen! Dann haben wir nichts von Gott und haben auch nichts von der Welt. Wenn aber die Liebe Gottes das Herz erfüllt und wir den wiederlieben dürfen, der uns zuerst geliebt hat, dann wird auch diese Liebe aufquellen wie ein seliger Brunnen der Freude und zu einer jubelnden Liebe werden.
Diese zweite Beere der Traube, die die Frucht des Geistes darstellt, ist der Friede. Kann auch die Welt unsere geistliche Freude nicht verstehen, so beneidet sie uns doch um den Frieden. Der Friede ist die ruhende Liebe. Jeder wahre Christ sollte den Frieden Gottes im Herzen tragen und in der Kraft dieses Friedens den Kindern der Welt begegnen.
Wir können von einem dreifachen Frieden reden. Der erste Fundamentalfriede ist der Rechtfertigungsfriede, der uns von Christus am Kreuz erworben ist. Auf Golgatha wurde er ohne unser Zutun für uns geschlossen. „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Kor. 5, 19).

Dieser Friede ist ein uns zugerechneter, sozusagen juristischer Friede, der uns, wenn wir ihn einmal im Glauben angenommen haben, nicht wieder genommen werden darf, selbst dann nicht, wenn wir uns durch Unachtsamkeit oder Überlistung des Feindes in irgendeine Sünde verstrickt haben. Der Friede der Rechtfertigung muß uns als heiliges Erbgut bleiben, wenn wir einmal mit Gott versöhnt sind. Es ist ganz verkehrt, wenn Kinder Gottes meinen, daß sie jedesmal, wenn sie in eine Sünde geraten sind, ihre Rechtfertigung und ihre Kindesstellung in Christo dadurch verlieren. Auch ein unartiges Kind bleibt Kind seines Vaters. Die auf Golgatha vollbrachte Versöhnungstat behält ihre Kraft, auch wenn wir gesündigt haben. Auf dem Fundament dieses Rechtfertigungsfriedens erwächst der andere, der Friede der Heiligung: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft“ (1. Thess. 5, 23 und Phil. 4, 7). Jesus sagt in seiner Abschiedsstunde: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ Er hinterließ seinen Rechtfertigungsfrieden. Er gibt durch den Heiligen Geist den Frieden der Heiligung, der in der wiederhergestellten Harmonie mit dem Willen Gottes liegt. Dieser Friede ist als eine Frucht des Geistes abhängig von unserem Wandel und dem Gehorsam in einem geheiligten Leben. Gott spricht durch den Propheten Jesaja 48, 18: „O daß du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen.“

Der zarte Friede des Heiligen Geistes kann sehr leicht betrübt werden. Geben wir uns einer unfreundlichen Stimmung hin, verharren wir in einer Untreue, einem Ungehorsam oder dem Gefühl des Neides, der Eifersucht, der Lieblosigkeit, so ist der Friede gestört. Nach Gottes Willen soll der Friede unsere herzen und Sinne bewahren in Christo Jesu. Er gleicht einer Festung, die uns schützt, so daß die feurigen Pfeile des Bösewichts nicht in unser Inneres eindringen dürfen.
Umschließ mich ganz mit deinem Frieden,
o du mein Heiland Jesu Christ;
halt mich von allem abgeschieden,
was dich nicht meint, was du nicht bist!
Ich wünsche mir kein andres Leben,
als das dein Sterben mir gegeben
und du am Kreuz erworben hast.
Drum beug all meinen Eigenwillen,
daß er sich göttlich möge stillen
bei deines Kreuzes leichter Last!

Mein König laß mich nichts vertreiben
aus dieser Burg, die Friede heißt!

O laß mir’s ewig teuer bleiben,

daß du stets bei den Deinen seist!

Kein Heil ist hiermit zu erreichen,

weil’s über alles Denken ist.

Nur durch des Geistes sanftes Wehen

kann ich etwas davon verstehen,

der du mein ew’ger Friede bist.

(Clemens)

Der Friede Gottes, der als Frucht des Heiligen Geistes unser ganzes Wesen unter seine Friedensmacht bringt, wird sich dann auch auswirken in dem Frieden untereinander.
Als Friedenskinder werden wir durch die friedelose Welt gehen. Im Zusammenleben mit den verschiedensten Menschen werden wir still, ruhig und friedevoll bleiben können. „Glückselig die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ (Matth. 5, 9). Überall bereit, Frieden zu stiften, Frieden zu vermitteln, den Frieden zu bewahren, auch auf Kosten eigener Rechte, gehen solche Friedenskinder durch das Leben hin, und will der Friede einmal fliehen, gleich einer scheuen Taube, so jagen sie ihm nach. Soviel an ihnen ist, halten sie Frieden mit allen Menschen. Der Friede ist wohl eines Opfers wert, und soweit nicht das Gewissen in Betracht kommt, dürfen wir manchen Preis für den Frieden bezahlen: unsere Anschauungen, unsere Ansichten, unsere Bequemlichkeit, unsere Ehre, unsere Wünsche, unsere zeit, unseren Eigenwillen, unser Recht. Es gilt die Hand zuerst auszustrecken auch da, wo andere uns gekränkt und beleidigt haben (Matth. 5, 39-44). Das ist die Friedensgesinnung Jesu.
Auch die Geduld gehört zu der Frucht des Geistes. Sie ist die tragende Liebe. Geduld tut uns not! Geduld im Zusammenleben untereinander, um das Tragen, Vertragen und Ertragen recht zu üben; Geduld, um unter der aufgelegten Last zu bleiben ohne sie abzuschütteln und klagend zu murren; Geduld auch in Krankheitsleiden, in schweren Führungen, in innerlichen und äußerlichen Trübsalen und schließlich auch Geduld mit uns selbst, wenn es nicht so schnell vorwärts geht, wie wir wünschen. Ungeduld bringt uns nicht zum Ziel. Die Geduld als Frucht des Geistes kann warten, bis Gott selbst sein Werk getan hat an uns und anderen.
Die Freundlichkeit ist die leuchtende Liebe – eine ganz besonders liebliche Frucht des Heiligen Geistes. Sie ist keine heroische Tugend, die sich nur in seltenen großen Augenblicken und Gelegenheiten erweist, sondern eine Geistesfrucht, die gerade den Alltag verklärt und jedes Verhältnis den Menschen gegenüber durchleuchtet und heiligt. Es ist kaum etwas so schwer zu ertragen wie ein unfreundlicher Mensch mit einem unfreundlichen Wesen. Manche entschuldigen sich damit, daß sie es ja nicht so schlimm meinen – sie empfänden wohl auch Liebe, könnten es aber nicht nach außen zeigen. Das ist eine schlimme Ausrede. Keiner glaubt es uns, daß wir im Herzen eine liebevolle Gesinnung haben, wenn wir nach außen ein unfreundliches, düsteres und unliebenswürdiges Gesicht machen. Vater Bodelschwingh sagte einst einer jungen Schwester in Sarepta: „Kind, weißt du nicht, daß man sich auch ein freundliches Angesicht erbitten kann?“ Die Schwester hat sich das Wort gemerkt, und ihre Bitte wurde ihr erhört.
Wenn die Freundlichkeit als Frucht des Geistes drinnen im Herzen wohnt, wird sie auch die schlichtesten, ja die unschönen Züge licht und sonnig machen und einen Verklärungsschimmer auf das ganze Wesen und den Wandel des Menschen ausstrahlen. Die schönste Gegend ist reizlos ohne den leuchtenden Glanz der Sonne. So darf auch die Freundlichkeit als Frucht des Heiligen Geistes unserem Leben und Wesen nicht fehlen, wenn wir wohltuend und herzerquickend auf unsere Umgebung wirken wollen.

Es war nur ein sonniges Lächeln,

es war nur ein freundliches Wort; 

doch scheuchte es lastende Wolken

und schwere Gedanken fort.

Es war nur ein warmes Grüßen;

der tröstende Druck einer Hand;

doch schien’s wie die leuchtende Brücke,

die Himmel und Erde verband.

Ein Lächeln kann Schmerzen lindern,
ein Wort kann von Sorge befrein;

ein Händedruck Sünde verhindern

und Liebe und Glauben erneun.
Es kostet dich wenig, zu geben

Wort, Lächeln und helfende Hand;

doch arm und kalt ist dein Leben,

wenn keiner solch Trösten empfand.

H. von R.

Verwandt mit der Freundlichkeit, der leuchtenden Liebe, ist die Gütigkeit, die mitteilende Liebe.
Kann die Freundlichkeit schon mit einem sonnigen Lächeln, einem Gruß, einem Wort, einem Druck der Hand viel ausrichten, so wird die Gütigkeit noch mehr tun. Sie muß geben, sie muß sich mitteilen, sie sinnt ununterbrochen darauf, wie sie andere in ihrer Liebesfülle teilnehmen lassen kann. Ach, laßt uns auch gütige Menschen sein! Die wahre Liebe denkt nicht daran, etwas für sich zusammenzuraffen und zu behalten, sondern ihr Verlangen und Streben geht darauf aus, andere zu beglücken und ihnen helfend und gebend ihr Los zu erleichtern. Die Gütigkeit ist erfinderisch in ihren Opfern. Sie findet immer wieder Mittel und Wege, anderen zu helfen und wohlzutun. „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ – die Wort gilt besonders für die Träger dieser Geistesfrucht.
Nun kommt eine Doppelfrucht, die wir sowohl mit Treue als mit Glauben übersetzen dürfen, da für beide der griechische Urtext nur ein Wort hat.
Die Treue ist die ausharrende Liebe – der Glaube die vertrauende Liebe – beide Ausgestaltungen der Geistesfrucht sind unentbehrlich in einem wahren Christenleben. Die ausharrende Liebe, die treu bleibt bis ans Ende, empfängt Krone und Lohn. Die vertrauende Liebe wird nicht zuschanden, und durch alles Dunkel der zeit, durch Kampf und Not, ja selbst im Tode bewährt sie sich als wahre Frucht des Heiligen Geistes, der der Siegespreis zuteil wird.
Die Sanftmut ist die wehrlose Liebe. Sie verteidigt sich nicht selbst. Sie sucht nicht Recht. Sie hat sich von dem Lamme Gottes die Lammesnatur schenken lassen. Sie kann leiden und schweigen, dulden und lieben. „Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen“, sagt der Herr. Die Verheißung mag wohl in erster Linie auf jene Vollendungszeit hindeuten, wo die Überwinder, die hier erduldet, Schmach getragen und gelitten haben, dann teilhaben dürfen an dem Herrschertum Christi und mit ihm und für ihn regieren über die Erde. Aber schon jetzt über die Sanftmütigen eine Macht aus, die weit größer und sieghafter ist als aller Aufwand natürlicher Energie im Kampf um das eigene Recht. Wie manchmal hat schon die Sanftmut einer duldenden, im Leiden bewährten Gattin des Mannes Zornmütigkeit überwunden; wie oft hat eine sanftmütige Tochter, die in der Liebe Christi bereit war, alles auf sich zu nehmen und schweigend und leuchtend die Schmach des Kreuzes zu tragen, nacheinander alle widerstrebenden Glieder der Familie besiegt und zu Jesu Füßen bebracht!
Sanftmut ist heilige Wehrlosigkeit und zugleich sieghafte Kraft. Möchte der Herr sie uns allen schenken können. Dann wird er auch als der Advokat und Rechtsbeistand der Seinen für uns eintreten und seine Sache zum Siege führen.
Als die letzte Frucht wird die Keuschheit genannt, die reine Liebe. In geistlicher Beziehung ist die Keuschheit nach biblischem Sprachgebrauch das ganz auf Gott gerichtet herz und Auge. Jedes Hinschielen und Buhölen mit der Gunst und Lust dieser Welt wird im Alten Testament mit der furchtbaren Sünde der Treulosigkeit (des Ehebruchs) verglichen.

Oft wendete sich das auserwählte Volk, das Brautvolk Jehovas, von ihm ab und suchte Schutz und Hilfe, Freude und Genuß bei den Mächtigen der Erde und unter den heidnischen Naturvölkern.
Die keusche Liebe zu Christus ist die reine Brautliebe, die nichts anderes daneben dulden kann. Wahres bräutliches Verhältnis gestattet schon im irdischen Sinne keine Teilung der Interessen. Jungfrauen, die dem Lamme nachfolgen, wo es hingeht (Offb. 14, 4), haben nur ein Ziel, eine Liebe, ein Herzensverlangen und können und dürfen sich nicht verweilen, zersplittern oder ihre Liebe hin und her verschenken. Aus dieser inneren Herzenskeuschheit wird dann auch die rechte Stellung zur Umwelt und zu den Mitmenschen erwachsen.

Nie ist es nötiger gewesen als heute, behutsam und vorsichtig zu wandeln durch diese Welt voller Unreinheit, die von allen Seiten die Keuschheit des Herzens bedroht und ihre Netze ausstellt, um unbewachte Sinne zu fangen. Die wahre Keuschheit als Frucht des Geistes wird sich frei und rein halten von allem, was Geist, Seele und Leib beflecken kann. Sie wird kein Buch lesen, kein Blatt zur Hand nehmen, das unnütze, schändliche, aufreizende Gedanken erweckt. Sie wird die Augen abwenden von Bildern und Schaustellungen, die die innere Keuschheit verletzen. Sie wird in Gedanken, Worten und Taten nichts an sich und anderen dulden, was nicht in Übereinstimmung ist mit wahrer Herzensreinheit. Die reine, keusche Liebe wird sich in der Zucht des Heiligen Geistes zu bewahren wissen vor dem Giftrausch der Welt, vor den Anfechtungen des unreinen Geistes und wird mit heiligem Verlangen darauf bedacht sein, in der wahren Brautgesinnung dem Himmelsbräutigam unverletzt entgegenzugehen.

Die Frucht des Geistes in ihrer siebenfachen Ausstrahlung ist die göttliche Legitimierung echten Geisteslebens, wahren Geisteswandels. Wo diese Geistesfrucht in ihrer Vielgestaltigkeit vorhanden ist, da wird auch die Geistesfülle mit ihrer Kraft und Mannigfaltigkeit der gaben das göttliche Siegel tragen. Unter der Salbung des Geistes, in heiliger Freiheit und innerer Gebundenheit, wird die Verklärung des Geistes fortschreitend die Frucht des Geistes hervorbringen und das Wirken des Heiligen Geistes im täglichen Leben seinen vollen Zweck erreichen.