Pos. Denken u. NLP (Hemminger)

 Hansjörg Hemminger

„Denk‘ Dich gesund“ – die Überschätzung mentaler Glaubenssätze:

Positives Denken und NLP

Positives Denken
Neurolinguistisches Programmieren
Schnell Helfer werden, schnell Erfolg haben?
Mentale Magie – eine Kritik

Positives Denken: Der amerikanische Traum als Weltanschauung
Kern des Positiven Denkens ist die Idee, daß Gedanken Macht über die Dinge haben, und daß sich das, was der Mensch sich zum Guten und Bösen vorstellt, in der Praxis verwirklicht. Daher zielt das Positive Denken auf die Kontrolle von Bewußtseinsinhalten.

„Aus der Pflege glücklicher Gedanken und Gewohnheiten entsteht auch ein glückhaftes Leben. Glückliche Gewohnheiten entspringen einem befreiten und glücklichen Denken. Machen wir uns eine Erinnerungsliste glückbringender Gedanken und werfen wir täglich mehrmals einen Blick darauf. Wenn unzufriedene und düstere Gedanken Einlaß begehren, müssen wir sie augenblicklich und mit Entschiedenheit abweisen und – das ist wichtig – durch einen guten, glücklichen und zufriedenen Gedanken ersetzen.“

Positives Denken bezeichnet also nicht eine optimistische Lebenseinstellung. Vielmehr geht es um einen “kosmischen Mechanismus”. Der Mensch bzw. sein Unterbewußtsein bzw. sein höheres Selbst werden mit positiven Gedanken programmiert, von denen man glaubt, daß sie die Realität nach sich ziehen. Es handelt sich um ein Glaubenssystem, dessen Wurzeln im Idealismus und Okkultismus des 19. Jahrhunderts liegen, das sich aber im Jahr 2000 immer noch als erstaunlich vital erweist. Ein Beispiel dafür sind die Bücher des bereits 1970 verstorbenen Napoleon Hill, der altmodischste und amerikanischste unter den Autoren des Positiven Denkens. Reichtum, Macht und Ruhm, soziales Ansehen und privates Glück sind für ihn verschiedene Seiten des “amerikanischen Traums”, die sich aufgrund derselben Geistesmagie ergeben, die er als magischen Schlüssel bezeichnet. Der Begriff Glaube, der bei den religiöseren Vertretern (z.B. Dale Carnegie, s.u.) anders besetzt ist, bedeutet bei Napoleon Hill einen kraftvollen Zustand des menschlichen Geistes, der Reichtum garantiert. Um dem Kosmos den einem zustehenden Reichtum abzuringen, muß man mit Disziplin und Ausdauer einfache Regeln befolgen:
“Entfalten Sie Ihre ganze Willenskraft und ergreifen Sie die uneingeschränkte Herrschaft über Ihren Geist! Es ist Ihr Geist! Er wurde Ihnen geschenkt als ein Diener, der Ihre Wünsche zu erfüllen hat. Niemand darf in Ihren Geist eindringen oder ihn auch nur im geringsten beeinflussen, ohne daß Sie zustimmen…”

Als weitere klassische Vertreter wären beispielhaft zu nennen: Joseph Murphy und Dale Carnegie („Sorge dich nicht – lebe!“), als moderne Epigonen Og Mandino und Nikolaus B. Enkelmann sowie Roland Arndt. Die Wirkungsgeschichte des Positiven Denkens geht reicht jedoch weit darüber hinaus. Der gegenwärtige Erfolgsglaube, der sich in „Motivationstagen“ und „Reichtumsanleitungen“ manifestiert, verdankt sich zu einem erheblichen Teil dieser Tradition (s. das folgende Kapitel).

Der Gedankenmagie des Positiven Denkens entspricht ein idealistisches Menschenbild. Von Enkelmann und Arndt wird in typischer Argumentation festgestellt:
“Bei unserer Geburt waren wir eine für diesen Zustand vollkommene Persönlichkeit und erst später bekamen wir unsere Macken, Ecken und Kanten. Aber nicht nur durch unsere Eltern, sondern durch Nachbarn, Bekannte, Verwandte, Arbeitskollegen und Fremde”. Die beiden Autoren verstehen deshalb wie viele andere ihre Lehre als einen Weg aus der Entfremdung vom eigentlichen, erfolgreichen Selbst: “Wir haben dieses Erfolgssystem für Menschen entwickelt, die Veränderungen einleiten und durchsetzen wollen….. Es ist ein System für Menschen mit einer positiven Einstellung zum Leben und zur Welt. Mit der Fähigkeit, so vorzugehen wie es beschrieben steht, werden Sie alles erreichen, was ein Mensch hier auf Erden erreichen kann”.

Positives Denken ist deshalb sowohl ein “Lernen am Modell”, nämlich am Beispiel erfolgreicher Personen, als auch eine Anleitung zur suggestiven Fremd- und Selbstbeeinflussung. Die Programmierung des Denkens soll einerseits auf dem Weg der Selbsthilfe möglich sein, indem Regeln oder Gesetze gelernt und im Leben umgesetzt werden. Die Gültigkeit dieser Regeln wiederum wird von Personen verbürgt, die Erfolg hatten (oder dies glaubwürdig behaupten). Die tägliche Praxis wird durch Hilfsmittel unterstützt. Es gibt Kalender für Manager mit dem täglichen positiven Sinnspruch. Über Telefon ist es möglich, einen positiven Impuls für den Tag zu bekommen; Subliminaltonträger sind im Angebot, deren unterschwellig aufzunehmenden Botschaften Erfolge bringen sollen (z.B: „Mehr erledigen in weniger Zeit“), Audio- und Videokassetten dienen der Suggestion mit technischen Mitteln usw.

Es ist kaum notwendig zu betonen, dass das Positive Denkens weder in der Fachpsychologie noch in anderen Humanwissenschaften einen Anhalt besitzt. Trotzdem hat es einige günstige Auswirkungen, allerdings nicht aus geistesmagischen Gründen. Wichtigster Grund ist der Mechanismus der “self-fulfilling prophecy”. Was man erwartet, hat die Tendenz einzutreten, da man sich häufig so verhält, daß man das erhoffte oder gefürchtete Ereignis fördert. Daher hat es günstige Auswirkungen, wenn man – auf welchen Wegen auch immer – Zuversicht vermittelt und die Willenskraft stärkt. Zukunftsorientierung ist hilfreicher als ein Grübeln über die Vergangenheit usw. Hinzu kommt der Stressabbau durch die kontemplativen Übungen, die mit dem Positivem Denken verbunden sind. Dabei kommt es jedoch nicht auf die Inhalte an, sondern auf die Ruhepausen, die Stille und die Aufmerksamkeit für das eigene Innere. Sven Tönnies meint sogar:
„Die konstruktiven Änderungen, die durch das positive Denken zu erreichen sind, können demnach nicht auf die affirmativen Selbstsuggestionen zurückgeführt werden. Die treten auch ohne diese, allein infolge der Entspannung ein.“

Die günstigen Effekte erklären den – subjektiv meist ehrlichen – Eindruck vieler Anhänger, Positives Denken habe ihnen geholfen. Allerdings handelt es sich um kurzfristige und alltägliche Effekte, die sich verlieren, besonders wenn man sie zu häufig in Anspruch nimmt. Daher berichten viele ehemalige Anhänger von einer anfänglichen Euphorie, die später der Ernüchterung oder sogar einem deprimierenden Absturz wich.

Die Risiken des Positiven Denkens kann man mit dem Stichwort Realitätsverlust zusammenfassen. Zum einem tritt dann Realitätsverlust ein, wenn man die Ziele so hoch ansetzt, daß sie unerreichbar sind. Dann werden Lebensentscheidungen gefällt, die in die Verschuldung führen, menschliche Beziehungen belasten usw. Die Gründe brauchen hier nur angedeutet zu werden: Das Positive Denken berücksichtigt weder die unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen, noch ihre unterschiedliche Persönlichkeitsstruktur noch die Wechselwirkung zwischen der individuellen Psyche und deren sozialer Umgebung. Außerdem gibt es für das Positive Denken angeblich keine unlösbaren Probleme, nichts was auszuhalten oder als unabänderlich anzunehmen wäre. Damit wird ein Teil der Kompetenz, mit Problemen umzugehen, gerade nicht entwickelt. Krankmachend wirkt es, wenn Versagen, Unglück und Leid als vom Menschen selbstverschuldet gesehen werden. Dann hat man als erfolgloser oder leidender Mensch die Methode falsch angewandt, man war nicht eifrig genug, nicht konsequent genug usw. – jedenfalls war man selbst an allem schuld. Besonders Günther Scheich beschreibt solche Fälle aus seiner psychologischen Praxis.

Neurolinguistisches Programmieren: Unsinn ausmerzen?

Das Neurolinguistische Programmieren entstand in den siebziger Jahren in den USA. Soweit es sich um eine fachlich vertretbare Form handelt, gehört es zu den kognitiven Psychotherapien. Im Zentrum steht eine konstruktivistische Theorie des Denkens: Danach baut sich aus den Sinneserfahrungen, eine “Innenwelt” auf, an der sich unser Denken – und damit unser Handeln – orientiert. Um die Sinneseindrücke zu einer inneren Repräsentation der Welt verarbeiten zu können, müssen sie “gefiltert” werden. Biologische Mechanismen, aber auch soziale Erwartungen, wirken deshalb auf die Entwicklung der Innenwelt ein. Ihre Struktur kann man wahrnehmen, nämlich als innere Bilder, als einen inneren Dialog usw.

Alle Denkvorgänge lassen sich laut NLP als eine Abfolge innerer Repräsentationen beschreiben, wobei verschiedene Menschen Eindrücke bevorzugt visuell, auditiv, kinästhetisch usw. repräsentieren. Jede dieser inneren Konstruktionen kann jedoch auch defizitär sein. Dann bewirkt sie problematisches Denken und Handeln bzw. Fehlanpassungen. Der Kern der NLP-Methode liegt in der Annahme, man könne die innere Konstruktion des Selbst- und Weltbilds mit Hilfe der Sprache, auch durch einige Übungen, in Richtung besseren Problemlösens, besserer Anpassung, besserer Effizienz usw. verändern.

Nach Bandler und Grinder (1984) entstand das NLP, indem sie erfolgreiche Therapeuten verschiedener Schulen beobachteten, nämlich Fritz Perls (Gestalttherapie), Virginia Satir (Familientherapie) und Milton H. Erickson (Hypnosetherapie). Daraus ergab sich das NLP angeblich in einem jahrelangen Forschungsprozess, der von Walker (1998) nacherzählt wird. Diese Ursprungslegende ist jedoch nicht plausibel, da ihre angebliche Analyse therapeutischer Interaktionen von Bandler und Grinder nirgends dokumentiert wurde. Wahrscheinlich war es eher so, daß Bandler und Grinder, inspiriert von den eindrucksvollen Arbeiten von Satir und Erickson, eine eigene Interpretation therapeutischer Prozesse entwickelten. Die Vermutung einer Legendenbildung liegt auch deshalb nahe, weil das Werk Bandlers und Grinders von Behauptungen wimmelt, man habe Sachverhalte (zum Beispiel neurophysiologische) festgestellt, für die es in Wirklichkeit keine empirische Grundlage gibt (s.u.). Die Stärke des NLP liegt eindeutig nicht in der Theorie, sondern in der Praxis.

„Ich bin sehr gut darin, Unsinn auszumerzen…“ behauptet Richard Bandler (Amsler 1999). Die vom NLP bewirkte Veränderung wird als Umprogrammierung neuronaler Verknüpfungen verstanden. “Wenn jemand meint, in einer verfahrenen Situation zu sein, und keinen Ausweg sieht, so könnte das an seinem inneren Atlas liegen, mit dem er sich selbst den Weg verstellt.” (Winiarski 1997 S. 9) Man meint also durch sprachliche Interventionen den “inneren Atlas” vervollständigen zu können: “Ziel ist dabei, die ‚krankmachende‘ Sprache, die Veränderungen verhindert, zu erkennen und damit zusammenhängende negative Grundüberzeugungen umzuwandeln.” (S. 12)
Entscheidend ist folglich die Analyse der kognitiven Strukturen, die mit dem Problem des Klienten zu tun haben. Dies geschieht durch eine Analyse sprachlicher Äußerungen und anderer Verhaltensweisen, zum Beispiel der Augenbewegungen. Eine nach oben weisende Augenposition zeigt danach an, daß wir uns mit inneren Bildern beschäftigen (visuelles Repräsentationssystem), eine mittlere steht in Zusammenhang mit auditiven Repräsentationen. Eine untere Blickrichtung soll meist unten rechts mit Gefühlen, auch mit Geruchs- und Geschmacksrepräsentationen zu tun haben, während wir angeblich nach unten links blicken, wenn wir mit einem inneren Dialog beschäftigt sind. Diese Zusammenhänge können zum “Umprogrammieren” benutzt werden: Man unterstützt zum Beispiel lebhafte Vorstellungsbilder zukünftiger Situationen, wenn man nach rechts oben blickt. (Rechts wird angeblich die Zukunft, links die Vergangenheit repräsentiert.)

Eine Persönlichkeitsdiagnostik oder eine Störungsdiagnostik gibt es beim NLP jedoch nicht. Alle Probleme lassen sich durch Einwirkungen auf die kognitive Repräsentation von Selbst und Welt lösen. Das NLP bietet dafür eine Reihe von Interventionen an, die schnell zu erlernen sind. Praktisch vielleicht am wichtigsten ist eine dialogische Fragetechnik, mit der versucht wird, die “innere Repräsentation der Wirklichkeit” im Denken eines Klienten konstruktiv zu erweitern. Ein Beispiel:
“Man ist immer gegen mich.”

Die Betrachtungsweise solcher Aussagen als „Unsinn“ (Bandler) führt zu Rückfragen, durch die (in diesem Fall) Generalisierungen und Tilgungen im Denken revidiert werden sollen:
“Wer ist man…? Wann und wo genau war jemand gegen Sie? Warum gegen Sie und nicht gegen andere?” usw.
Andere Methoden würden evt. ähnliche Rückfragen nahelegen wie “Das sollten Sie mir näher erklären. Können Sie ein Beispiel geben?”

Ebenso sinnvoll könnte es aber sein, auf die nonverbale “Botschaft” zu reagieren.
“Das klingt resigniert. Fühlen Sie sich wirklich so?”

Diese Möglichkeit eröffnet das NLP von der Theorie her kaum. Von daher entgehen den NLP-Anwendern leicht die emotionalen Unterströmungen einer Aussage, und sie haben ihre eigene Emotionalität zu wenig im Blick. Ansonsten ist diese Fragetechnik in der Psychotherapie alles andere als originell, kann aber helfen, gezielt zum Kern eines Problems zu kommen. Ebenfalls schon lange bekannt ist das “Reframing”, das Umdeuten eines Sachverhalts in positive Richtung. Man versucht, aus einer unangenehmen Situation günstige Möglichkeiten herauszulesen und Schwächen auch als Stärken zu interpretieren. Zum Beispiel ist es denkbar, eine Neigung zum Flunkern als lebhafte Phantasie zu deuten. Man nimmt das “Reframing” zum Anlaß um zu überlegen, wie die guten Seiten einer Sache besser zum Tragen kommen können, während Nachteile vermieden werden sollen.
Zwei Kommunikationstricks des NLP heißen “Pacing” und “Leading”. Beim “Pacing” nimmt der Helfer dieselbe Körperhaltung ein wie der Klient, bewegt sich im selben Rhythmus usw. Dadurch spiegelt er dem Klienten dessen innere Haltung zurück und kann sie selbst besser wahrnehmen. Wenn der Helfer die Körpersignale verändert, um über ein “modeling” eine andere Haltung zu vermitteln, spricht man von “Leading”. Diese Vorgänge, die in Beratungsgesprächen usw. ständig ablaufen, werden im NLP bewußt wahrnehmbar. Andere Schulen, zum Beispiel fast alle Körpertherapien, lehren solche Vorgehensweisen ebenfalls.

Unter “Ankern” versteht man das Verknüpfen von Stimmungen und Haltungen mit bestimmten Signalen, mit denen man sie angeblich auslösen kann. Zum Beispiel soll man Prüfungsangst dadurch bekämpfen können, daß man sich ein angenehmes, erfolgreiches Prüfungsgespräch vorstellt und dabei seine Stirn berührt. Wenn man dann vor der Prüfung nervös wird, soll das Berühren der Stirn die gute Stimmung wieder wachrufen. Andere Methoden, wie das “Chunking”, das “Kalibrieren” usw. seien nur erwähnt. Sie sind ähnlich nützlich wie das “Pacing” usw., allerdings auch (unter anderen Namen) ähnlich allgemein verbreitet. Ebenso nützlich ist die Regel, daß jeder NLP-Arbeit eine Zielbestimmung vorangehen sollte. Auch dieser Punkt (zum Beispiel die Klärung des “Auftrags” in einer Beratungsbeziehung) gehört zum Standard-Repertoire fachlicher Methoden.

Das soziale Umfeld eines Menschen und seine Beziehungsstruktur kommen im NLP nur am Rand vor. Zum Beispiel wird angestrebt, in jeder menschlichen Beziehung eine win-win-Situation zu erzeugen, d.h. eine Situation, in der beide Seiten profitieren können. Daß eine solche Situation in den meisten Fällen erreichbar sei, wird schlicht behauptet. Weiterhin gibt es den sog. Öko-Check im Rahmen der Zielfestlegung einer NLP- Arbeit. Das heißt, es wird geprüft, ob das angestrebte Ziel in das Umfeld des Klienten paßt oder nicht, und wie es sich auswirken wird. Doch das ist nicht viel. Der fast vollständige Verzicht auf Diagnostik und Sozialpsychologie führt dazu, daß menschliches Fühlen, Denken und Verhalten nur soweit erfaßt wird, als es den Regeln der kognitiven Informationsverarbeitung folgt. Es ist ein Verdienst dieser Methode -aber auch anderer, z.B. der Kurztherapie – demonstriert zu haben, wieviel selbst auf dieser Basis erreicht werden kann. Andererseits gibt es Problem- und Konfliktlagen, in denen ohne Psychopathologie, ohne Persönlichkeitsdiagnostik oder ohne eine Analyse von Beziehungssystemen nicht auszukommen ist.

Schnell Helfer werden, schnell Erfolg haben?

Die NLP-Ausbildung stellt sich als ein international organisiertes Unternehmen mit standardisierter Zertifikationspraxis dar. Die erste Stufe bildet der “Practitioner”, den man an 9 Wochenenden erwerben kann. Die nächste Stufe ist der “Master”, die letzte der “NLP-Trainer”, beide erfordern einen drei- bis vierwöchigen Intensivkurs. Richard Bandler beansprucht ein Urheberrecht für das NLP, das er jedoch außerhalb der USA nicht durchsetzen kann. Seit einiger Zeit existiert eine deutsche Dachorganisation, die “German Association for NLP” (GANLP), die Bandler kritisch gegenübersteht. Auch sonst gibt es unter NLP-Anwendern eine kritische Diskussion (z.B. Henes-Karnahl 1999, Zillich-Limmer 1997, Winiarski 1997, Weerth 1992). Kritische Eindrücke von außen wurden von Bremerich-Vos 1997, der Stiftung Warentest 1997, Saum-Aldehoff 1997, Geyer 1996, Federspiel/Lackinger-Karger 1996, Möller 1995 und Trenkler 1989 publiziert. Allerdings überwiegen die unkritischen Darstellungen bei weitem. Lehrbücher finden sich v.a. im Programm des Junfermann-Verlags Paderborn, daneben ist z.B. hinzuweisen auf Birker/Birker (1997), Grinder (1995), Köster (1995).

Nimmt man die publizierte Kritik als Grundlage, kann festgestellt werden, daß die neurophysiologischen Vorstellungen des NLP falsch sind. Der kognitive Verarbeitung von Sinneserfahrungen ist viel komplizierter, als das NLP annimmt. Der Zusammenhang zwischen Denken und Sprache ist ebenfalls viel komplizierter, als es die NLP-Theorie will. Zum Beispiel gibt es für die angebliche Bedeutung von Augenbewegungen keinen empirischen Beweis. Dem Schluß von Weerth (1992) ist nichts hinzuzufügen:

“1. Die NLP-Theorie ist lückenhaft und z.T. wissenschaftlich nicht haltbar…
2. Die NLP-Techniken sind zum großen Teil anderen Therapie-Methoden entnommen und in der angewendeten Form anfechtbar, die behauptete durchgreifende Wirkung ist nicht genügend belegt…
3. Das NLP-Modell weist Widersprüche auf und beinhaltet Gefahren…”

Da das NLP oft von Personen benutzt wird, die sonst keine therapeutischen Kenntnisse besitzen, besteht die Gefahr der Selbst- und Methoden-überschätzung. Gegen Machbarkeits- und Größenideen ist das NLP seiner theoretischen Schwäche wegen nur unzureichend abgesichert, wie Bremerich-Vos (1997) mit Recht feststellt. Da es sich um eine ausgesprochen direktive Methode handelt, entstehen dadurch Gefahren für die Klienten.

Eine Ideologiehaltigkeit des NLP wird von Befürwortern dagegen heftig bestritten, man bevorzugt das Bild eines “neutralen Werkzeugs”. Aber unbefangenen Betrachtern – und sogar internen Kritikern (Ulsamer 1994) – fallen Ideologieelemente auf: Zum einen wird NLP für sämtliche Probleme des menschlichen Lebens empfohlen, so daß der Eindruck eines Allheilmittels entsteht. Kein NLP-Vertreter informiert darüber, wann man statt mit NLP besser mit einem tiefenpsychologischen Ansatz, mit einem klassisch seelsorgerlichen Ansatz, mit einer Persönlichkeitsdiagnostik usw. operieren sollte. Dieser Tendenz zum Allheilmittel entspricht ein optimistisches Menschenbild, nach dem der Mensch an sich immer gut und kompetent sei, auch wenn seine “Ergebnisse” derzeit nicht gut sein sollten. Kürzlich betonte Richard Bandler: „Das Stärkste am NLP ist eine geistige Haltung, die sagt, daß alles besser werden kann.“ (Amsler 1999) In der Tat spielen sogenannte starke Glaubenssätze eine wichtige Rolle:
“Jedes Verhalten hat eine positive Absicht.”

“Jeder hat alle Fähigkeiten, die er braucht, in sich.”

Solche positiven “beliefs” sind wohl christlich noch einholbar. Die Vorstellung, daß es für jeden menschlichen Konflikt eine win-win-Situation gebe, ist dagegen falsch. Von daher muß ein realistisches Menschenbild auf jeden Fall über das NLP hinausgehen. Das gilt noch mehr für die in der Werbung vorherrschende, mehr oder weniger schrille Glücks- und Erfolgsideologie.

“Wir alle glauben etwas. Was wir glauben, beeinflußt unseren Erlebnis- und Handlungsspielraum. Erleben Sie, welche Horizonte sich öffnen, wenn Sie einschränkende Glaubenssätze über sich selbst ablegen”, hieß es in der Werbung für einen NLP – Kompaktkurs. Weiter las man: ”Der höchste Glückswert aus Ihrer Quelle soll Ihnen zur Verfügung stehen, wann immer sie ihn brauchen. Lernen Sie diesen Zustand abrufen, damit Sie ihn auch bei einem Geschäftstermin oder in der überfüllten U-Bahn aufrechterhalten können.” Die Schlußfolgerung, daß Glück eine Frage der richtigen Psychotechnik sei, läßt sich kaum vermeiden. Erst im Kurs erfährt man, daß ein simpler Psychotrick wie das Anchoring gemeint war, und daß Glück nur „gute Laune“ bedeutet.

Viele NLP-Anbieter entwerfen ein äußerst erfolgsgläubiges Bild vom “guten Leben”, das auch ihre Praxis bestimmt, wie Erfahrungsberichte belegen (Möller 1995). Wer das besonders hemmungslos tut, wie der Superstar der Management-Trainings in den USA, Anthony Robbins, ruft sogar Unbehagen in den eigenen Reihen hervor (Walker 1998). Nun kann man eine Figur wie Anthony Robbins nicht dem NLP insgesamt anlasten. Trotzdem kommt es in der Praxis zur Konkurrenz zwischen einer christlichen Lebensorientierung und einer, die im NLP-Umfeld überwiegende Geltung besitzt. Die Tatsache, daß solche Lebensorientierungen meist nicht als ausformuliertes Glaubenssystem auftreten, sondern als praktische Entwürfe für den Alltag, ändert daran nichts. In einer individualistischen und erlebnisorientierten Gesellschaft wirken praktische Beispiele und charismatische Präsentationen stärker als intellektuelle Argumente.

Unbestreitbar gilt: Das NLP hat wie jede andere psychotherapeutische Methode nicht nur psychologische Effekte, sondern führt zum Ideen- und Ideologietransfer: Deutungen für Probleme, Werte, Lebensziele, Lebensentwürfe werden vermittelt. Diese können sich als unrealistisch herausstellen und zu einem Wirklichkeitsverlust beitragen. Die Gefahren sind zwar im Fall des NLP nicht so stark wie im Positiven Denkens. Doch sie sind dann gegeben, wenn die Glückszusagen der NLP-Ideologie einen zu hohen Stellenwert erhalten: Unrealistische Glücks- und Erfolgshoffnungen werden verfolgt, man überschätzt sich selbst, alte Beziehungen werden auf der Jagd nach dem neuen, besseren Leben geopfert usw. Immer wieder beobachtet man nahezu klassische Konversionsmuster, die zeigen, wie sehr die Ideen und Erfahrungen des NLP existentielle Hoffnungen an sich binden können. Auch ein beruflich und persönlich problematischer “Missionseifer” kann dann auftreten.

Mentale Magie – eine Kritik

Aus christlicher Sicht ist dem Positiven Denken ebenso wie dem ideologisierten NLP ein realistisches Menschenbild entgegenzuhalten. Der menschliche Geist hat keine kosmische Schöpferkraft, er ist und bleibt Teil der Schöpfung und damit an die Bedingungen biologischen, sozialen und geschichtlichen Lebens gebunden. Die Vorstellung, der Kosmos schulde dem (richtig instruierten) Menschen Glück, ist absurd und kann nur als eine weltanschauliche Überhöhung einer – in sich legitimen – politischen Idee verstanden werden, nämlich dem in der amerikanischen Verfassung verankerten Recht, das eigene Glück zu suchen („pursuit of happiness“). Doch ein bürgerliches Recht ist kein kosmisches Gesetz. Was der freiheitliche Verfassungsstaat zu ermöglichen (nicht einzulösen) verpflichtet ist, bindet weder Gott noch die Naturgesetze. Daher reduziert sich das Schicksal des Menschen nicht auf Auswirkungen seines Denkens, wie das NLP tendenziell behauptet. Allerdings muß gesagt werden, daß diese Idee im NLP nicht annähernd so sehr im Mittelpunkt steht wie im Positiven Denken.

Eine christliche Anthropologie orientiert sich demgegenüber an den drei miteinander verschränkten Bezügen menschlicher Existenz: Gottesliebe, Nächsten- und Selbstliebe. Diese gilt es in allen Lebenssituationen auszubalancieren. Obwohl im Positiven Denken häufig biblische Begriffe angesprochen werden, bleibt deren Deutung an der Oberfläche oder ist irreführend. Gott wird als Erfüllungshelfer für eigene Wünsche, Visionen und Ziele verstanden. In Wirklichkeit bewirkt die Gottesbeziehung keinesfalls Erfolg im Sinn des Positiven Denkens. Vielmehr wird zugesagt, dass Gott den Menschen durch Höhen und Tiefen begleitet. Er erbarmt sich des Menschen und will seine Erlösung. Darin liegt auch ein Versprechen der Heilung von Beziehungen, sei es die zum Mitmenschen, sei es die zu sich selbst. Wenn und wo eine therapeutische Methode dem dient, widerspricht sie dem Glauben nicht – auch durch NLP und selbst durch Positives Denken sind heilende Anstöße möglich.

Doch menschlicher Selbstüberschätzung widersteht der Glaube. Seines eigenen Glückes Schmied zu sein, ist nur begrenzt möglich. Wir sind nicht nur auf uns selbst, sondern auf die Gemeinschaft mit anderen Menschen angewiesen. Der geradezu besessene Individualismus, der Positives Denken und NLP-Ideologie verbindet, steht in krassem Widerspruch zum christlichen Menschenbild. Versuche, Positives Denken und Christentum bruchlos zu einer Lebensorientierung zu verbinden, überzeugen deshalb nicht. Zwischen der Einübung in den christlichen Glauben und einem Erfolgsdenken, das vor allem an sich selbst glauben will, bleiben tiefe Unterschiede.

Hansjörg Hemminger

Literatur
Amsler, R.: Unsinn mit Unsinn kurieren. Manager-Seminare 38/1999 85-87 (Interview mit Richard Bandler)
Arndt, R.: Das neue Zeitbewußtsein – Wie Sie mit der richtigen Strategie und Motivation jedes Ziel erreichen. 2. Auflage 1992 Verlag Norman Rentrop Bonn
Birker, G., Birker, K.: Was ist NLP? Grundlagen und Begriffe des Neurolinguistischen Programmierens. Rowohlt Verlag Reinbek 1997
Bremerich-Vos, A.: Neurolinguistisches Programmieren – eine Kritik. FoRuM Supervision 5 (9) 1997 36-57
Carnegie, D.: Durch Menschenführung zum Erfolg. Verlag Norman Rentrop Bonn 1993; dsb.: Sorge dich nicht – lebe! Scherz München 1949 (amerikanische Originalausgabe 1944)
Enkelmann, N., Arndt, R.: Der erfolgreiche Weg. Begleitbuch zu Video- und Audiokassetten, Rentrop Verlag Bonn 1996 (1. Aufl. 1992)
Federspiel, K., Lackinger-Karger, I.: Kursbuch Seele. Kiepenheuer und Witsch Köln 1996
Geyer, C.: Der zerbröselte Mensch – Sprache als Droge: Psychoabenteuer NLP. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.10.1996
Grinder, M.: NLP für Lehrer – ein praxisorientiertes Arbeitsbuch. Verlag für angewandte Kinesiologie Freiburg 1995
Gruschka, A.: Pädagogisches Sonnenstudio – Über den Siegeszug der neurolinguistischen Programmierung. Pädagogische Korrespondenz 5-21 15/1995
Hemminger, H.; Keden, J.: Seele aus zweiter Hand. Quell Stuttgart 1998
Henes-Karnahl, B.: Wundermittel NLP? Neurolinguistisches Programmieren. ManagerSeminare 38/1999 76-84
Hill, Napoleon: Die Philosophie des Erfolgs. Bonn 1993 (amerikanische Erstausgabe New York 1965, Titel: The master key to riches); dsb.: Think & Grow Rich. New York 1983 (first ed. 1960)
Köster, S.: Fähigkeiten erkennen, entfalten, nutzen – Lebensqualität und Erfolg mit NLP. Jünger Verlag Offenbach 1995
Krugmann, M. et al.: Neuro-Linguistic programming treatment for anxiety: magic or myth? Journal of Consulting Psychology 53 526-530 1985
Ludwig, M.; Plaum, E.: „Glaubensüberzeugungen“ bei Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten. Zeitschrift für Klinische Pychologie, Psychiatrie und Psychotherapie ZKPP 46 Heft 1 1998 58-83
Mandino, Og: Das Geheimnis des Erfolgs. 5. Auflage Bonn 1992 (amerikanische Originalausgabe 1977); dsb.: Der beste Verkäufer der Welt. Bonn 1993 (amerikanische Originalausgabe 1988); dsb: Besser leben. Bonn 1992 (amerikanische Originalausgabe 1990)
Möller, B.: NLP: Ein Erlebnisbericht. EZW-Texte Impuls Nr. 40 Stuttgart 1995
Saum-Aldehoff, T.: Die “neurolinguistischen Programmierer” versprechen das schnelle Glück und den Geist Albert Einsteins. Frankfurter Rundschau 27.9.1997
Stiftung Warentest: Persönlichkeitstraining. O.A. test 8/1997 93-97
Struwe, G.: Neurolinguistisches Programmieren (NLP) – lebendige Anwendung in der Schule. Pädagogik 11/1995 26-29
Theis-Scholz, M., Thümmel, I.: Wundertüte oder Mogelpackung? Das Neurolinguistische Programmieren in der Sonderschule. Zeitschrift für Heilpädagogik 46 Heft 10 485-489 1995
Trenkler, T.: Auf gleicher Welle. Wochenpresse Nr. 8 24.2.1989
Ulsamer, B.: NLP in Seminaren. Offenbach 1994
Zillich-Limmer, S.: Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten – oder: Kirche und NLP. NLP aktuell 24-29 1/1997
Walker, W.: Eine kurze Geschichte des NLP. MultiMind 1/1998 6-11
Weerth, R.: NLP & Imagination – Grundannahmen, Methoden, Möglichkeiten und Grenzen. Junfermann Paderborn 1992
Winiarski, R.: Stichwort NLP. Heyne München 1997