Spiritismus ( Aus Seelsorge u. Okk., von Dr. Koch)

Kurt E. Koch

Seelsorge und Okkultismus

Eine systematische Untersuchung unter Berücksichtigung der medizinischen und psychologischen Grenzwissenschaften.

Auszug aus: SEELSORGE UND OKKULTISMUS, Seiten 30 bis 78.

II. Der Einblick in die seelische Not der okkulten Fälle

1. Die außersinnliche Wahrnehmung (ASW)

Der Spiritismus

Als erstes Teilgebiet soll der Spiritismus durch seelsorgerliche Beispiele beleuchtet werden. … Der Spiritismus stellt eine geistige Bewegung dar, begründet auf der Überzeugung, dass die Menschen über bestimmte Personen, die ,Medien‘, mit den Verstorbenen in Verbindung treten und so Offenbarungen aus dem Jenseits erhalten können.
Damit ist zugleich das Hauptmotiv für die Beteiligung an spiritistischen Sitzungen gekennzeichnet. Viele Menschen wünschen etwas über das Jenseits zu erfahren oder mit ihren verstorbenen Angehörigen oder Freunden in Verbindung zu treten. Wie die Verwirklichung dieses Zieles im einzelnen gesucht wird, soll an fünf Arten spiritistischer Praxis gezeigt werden.

a. Die Totenerscheinung

B 1 Bei einer Evangelisation kommt eine siebzigjährige Frau zur seelsorgerlichen Aussprache. Sie ist eine treue Kirchgängerin und seit 40 Jahren Mitglied einer lebendigen Gemeinschaft. Wie von anderer Seite bezeugt wurde, hat sie sich als Christin bewährt. Sie klagt über Schwermut, Selbstmordgedanken, Unlust zum Beten und Bibellesen. Sie fügt hinzu, sie habe das früher nie gehabt, auch nicht nach dem Tode ihres Mannes. Es drängen sich ihr ungewollt Gedanken auf, deren sie sich schäme. Die Frau bietet ihrer Konstitution nach das Bild einer kräftigen, gesunden Bauersfrau. Nur der etwas bekümmerte Gesichtsausdruck lässt auf seelische Konflikte schließen. Zunächst wird durch Fragen festgestellt, ob die Hilfesuchende nicht an Alterserscheinungen, etwa an Arteriosklerose oder sonst einer organischen oder nervösen Erkrankung leidet. Nach negativem Bescheid wird noch nach Erbkrankheiten und Todesursachen der Eltern geforscht. Auch hier ergeben sich keine besonderen Anhaltspunkte. Es folgt nun die Anamnese okkulter Betätigung. Auf eine diesbezügliche Frage gesteht die Frau, dass sie nicht wisse, was das sei. Nach einigen Erläuterungen kommt doch eine typisch okkulte Geschichte ans Licht, die in das Gebiet des Spiritismus gehört. Die Frau erzählt, dass ihr Gatte ein Trinker und unchristlicher Mann gewesen sei. Da sie ihn aber trotzdem liebgehabt habe, sei sie nach seinem Tode um sein Ergehen in der Ewigkeit besorgt gewesen. Im Gebet habe sie daher Gott oft angefleht, Er möchte ihr im Traum ihren Mann erscheinen lassen. Da erklärt ihr eines Tages eine fremde Frau, sie könne ihren Wunsch erfüllen. Sie möge sich abends bei ihr einfinden. Die Siebzigjährige kommt dieser Aufforderung nach. Nach verschiedenen frommen Zeremonien – so hat es wenigstens den Anschein – wird eine Wand des Zimmers hell erleuchtet. Im Lichtkreis kommt der verstorbene Mann mit einem fürchterlichen Gesichtsausdruck auf einem Ziegenbock reitend ihr entgegen. Die Frau erschrickt und verzichtet von da an auf den Wunsch, jemals wieder ihren Mann zu sehen. Auf die Frage, ob ihre Schwermut vor oder nach diesem Erlebnis eingesetzt habe, bejaht die Patientin, dass kurz nach diesem seltsamen Erlebnis die Selbstmordgedanken und der Widerwille gegen das Wort Gottes eingesetzt haben. Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, dass es sich bei jener fremden Frau, welche die Totenerscheinung „inszenierte“, um die berüchtigte Leiterin eines spiritistischen Zirkels handelt. Sie ist mit ihrer unheilvollen Tätigkeit dem Autor seit 22 Jahren gut bekannt.

Dieses Beispiel wird an dieser Stelle noch nicht voll ausgewertet. Es werden lediglich die Probleme angedeutet, um die es hier geht.
Den Mediziner interessieren hier im wesentlichen vier Fragen: Haben die psychischen Störungen der Frau eine organische Erkrankung als Ursache? Oder handelt es sich um eine reaktive, psychogene Depression mit dem schweren Erlebnis bei der Spiritistin als Anstoß? Könnte nicht die Totenerscheinung einfach eine Halluzination sein? Ist die Koinzidenz (Zusammentreffen zweier Ereignisse) der seelischen Erkrankung mit jener Totenerscheinung real oder imaginär?
Den Parapsychologen wiederum interessieren im wesentlichen drei Fragen: Ist auf die Totenerscheinung die Betrugshypothese anzuwenden? Ist dieses Phänomen die Auswirkung einer Hypnose oder Suggestion? Gilt hier vielleicht sogar die spiritistische Hypothese?

Den Seelsorger interessieren neben den medizinischen und parapsychologischen Problemen die Fragen nach den Folgen okkulter Betätigung und nach dem Weg seelsorgerlicher Hilfe.

Bei diesem Kreis der verschiedenen Fragen muss in diesem Kapitel folgendes festgehalten werden: Die Siebzigjährige nahm nach erfolglosem Beten die Hilfe einer Spiritistin in Anspruch, ohne zu ahnen, dass sie „die Geister, die sie rief, nicht mehr loswerden“ sollte. Als Folgen dieses okkulten Erlebnisses stellten sich hinterher Störungen des seelischen Lebens und ihrer religiösen Haltung ein. Die anderen hier auftauchenden Probleme werden in späteren Kapiteln gesondert untersucht.

b. Das Glasrücken

B 2 Bei einer Bibelwoche berichtete ein Reichgottesarbeiter, ein Akademiker, folgendes Erlebnis: Der Wunsch nach der Erforschung der spiritistischen Phänomene führte ihn zur Teilnahme an Séance. Die Glieder des Zirkels saßen um einen Tisch, auf dem ein großes Alphabet auslag. Die Buchstaben waren mit einer Glasplatte abgedeckt, auf der ein Likörgläschen stand. Nach der Eröffnung der Sitzung mit einem philosophisch-religiösen Gebetswunsch wurde ein Geist zitiert. Die Anwesenden richteten dann an den unsichtbar gegenwärtigen Geist Fragen, die damit beantwortet wurden, dass das Likörgläschen auf dem Alphabet tanzte und auf einzelnen Buchstaben stehen blieb. Die zusammengeschriebenen Buchstaben ergaben die Antwort auf die gestellten Fragen. Der Berichterstatter mühte sich zunächst um die Feststellung, welche Energiequelle hinter den einzelnen Bewegungen des Gläschens stand. Seine Untersuchung führte in vielen Sitzungen zu keinem Erfolg. Er befand sich zuletzt vor der Alternative, entweder mit der Geisterhypothese oder mit dem wesentlich verständlicheren Phänomen der Telekinese zu rechnen.

Die Teilnahme an diesen spiritistischen Sitzungen, die lediglich dem Studium der okkulten Phänomene dienen sollte, hatte bei dem Experimentator schwerwiegende Folgen. Das Interesse für das Wort Gottes schwand. Wenn er am Sonntag den Gottesdienst halten sollte, stellten sich merkwürdige seelische Anfechtungen ein. Es galt immer, einen furchtbaren inneren Widerstand niederzuringen, wenn er den Altar oder die Kanzel betreten wollte. Diese Anfechtungen steigerten sich so sehr, dass diesem Mann zuletzt nichts mehr anderes übrig blieb, als bei der Kirchenbehörde um seine Entlassung zu bitten, die ihm ungern gewährt wurde.

Nach der medizinischen Seite hin ergab sich bei diesem Akademiker kein Anhaltspunkt für seine seelischen Störungen. Er war in seinem Leben selten krank. Nerven- oder Gemütskrankheiten lagen nicht vor. Nach seiner Entlassung aus dem Kirchendienst ergriff er einen anderen Beruf, dem er jetzt noch ohne Hemmungen nachgehen kann.
In parapsychologischer Hinsicht treten vier Fragen in den Vordergrund: Befanden sich die Teilnehmer bei der Beobachtung des tänzelnden Gläschens in Hypnose? Waren die Sitzer Opfer eines Tricks? Gilt die Geisterhypothese, oder lässt sich der Vorgang animistisch als Psychokinese erklären? In der Richtung der letzten Andeutungen bewegt sich die Erklärung des Psychologen Prof. Bender in seinem Buch „Psychische Automatismen“. Er spricht (S. 8) von einer gemeinsamen intellektuellen Leistung eines Zirkels und von der Abhängigkeit automatischer Produktionen, von einer Personenganzheit im Sinne eines Polypsychismus.
In seelsorgerlicher Hinsicht interessiert jene rätselhafte Energiequelle nur sekundär. Dagegen geht es in erster Linie um die Auswirkungen der okkulten Betätigung in der seelischen Verfassung des Experimentators: die totale Abstumpfung gegen das Wort Gottes und die unerklärlichen Anfälle, wenn er in der Kirche seines Amtes walten wollte.

B 3 Eine zweite Art von Glasrücken bringt neue Momente in die Diskussion. Eine junge Frau pflegte privatim das „Gläseln“ auf einer mit Buchstaben versehenen kreisrunden Scheibe. Sie wollte damit für alle Entscheidungen und Fragen, ganz gleich welcher Art sie sein mochten, Klarheit schaffen. Diese private Praxis entwickelte sie aus den in spiritistischen Sitzungen gesammelten Erfahrungen. Das Besondere war, dass die junge Frau der Meinung war, sie könne sogar große Persönlichkeiten wie Luther, ja sogar Paulus und Christus aus dem Jenseits rufen. Sie pflegte das Glasrücken mit Gebet einzuleiten und war von der Religiosität ihres Treibens überzeugt. Im Dorf galt sie als treue Kirchgängerin und fromme Frau. Gelegentlich beriet sie auch Bekannte und Freunde mit Hilfe ihrer magischen Scheibe. Sie benutzte dabei als geläufige Redewendung die Formel: „Warte, ich will mal den Heiland fragen.“
Dieser Spiritistin war eine nur kurze Lebensdauer beschert. Im besten Alter wurde sie unerwartet krank. Sie ahnte ihr bevorstehendes Ende und redete davon, dass der Heiland sie holen würde. Eine im Sterbezimmer anwesende Hausgenossin berichtete von den letzten Augenblicken der Hinscheidenden. Die Sterbende äußerte in der Agonie plötzlich: „Jetzt holt mich der Heiland.“ Sie blickte gespannt zum Fenster hin. Die Augenstellung verriet das Näherkommen eines Unsichtbaren. Da veränderte sich schlagartig der Gesichtsausdruck zu einer angsterfüllten Grimasse, und mit einem Angstruf verschied sie. Es war nach dem Bericht der Augenzeugin eine Szene, als ob die Sterbende im Augenblick des Abscheidens von einem Wahn zu einer schrecklichen Wirklichkeit erwacht wäre.

In seelsorgerlicher Hinsicht treten hier Momente hervor, die sich bei sehr vielen okkulten Fällen wiederholen: Die Frau übte unter christlichem Gewand eine spiritistische Praxis aus. Vermutlich war sie sogar selbst von der „Christlichkeit“ ihres Handelns überzeugt. Erst vor dem Tor der Ewigkeit zerriss dieser Schleier frommen Irrwahns.
Der Mediziner wird einwenden, dass der plötzliche Umschwung im Gesichtsausdruck und der Wehruf nicht auf die religiöse Einstellung oder auf die okkulte Betätigung zurückzuführen sei, sondern auf die Agonie, auf das letzte Aufbäumen körperlicher Funktionen. Der Parapsychologe ist desinteressiert an der ethischen Bewertung okkulter Phänomene. Ihn beschäftigt lediglich das Experiment des Glasrückens, ob hier das Phänomen der Kryptomnesie oder der Hypermnesie, des Hellsehens, des „Geisterverkehrs“ oder sonst eine Form der außersinnlichen Wahrnehmung in Frage kommt, abgesehen davon, dass es auch genug Fälle groben Schwindels und Geldmacherei gibt.
Wenn auch hier die verschiedenen Probleme nicht zur Darstellung kommen, so muss doch der doppelte Befund festgehalten werden: Die spiritistischen Manipulationen geschahen unter frommem Deckmantel. Die Ausübende erlebte einen sehr schweren, unheimlichen Todeskampf, ein Symptom, das sich bei okkulter Betätigung in allen mir bekannten Fällen einstellte. Beachtet darf werden, dass Prof. Bender, ein Fachmann auf dem Gebiet des Glasrückens, vor diesem psychischen Automatismus ausdrücklich warnt.

c. Das Tischrücken

Die okkulte Literatur ist voll von Beispielen über das Tischrücken. Diese Form spiritistischer Praxis hat heftige Kritiker und überzeugte Verfechter gefunden. Zu den Dokumenten kritischer Ablehnung gehören die Untersuchungen des Mediziners Dr. Gullat-Wellenburg, der durch ein Blitzlichtfoto zeigt, wie das Medium Kathleen Goligher mit einer zwischen die Knie geklemmten Stange ein Tischchen hebt. Zu den besten Echtheitsbeweisen gehören die Sitzungen des Physikers Prof. Zöllner mit dem amerikanischen Spiritisten Dr. med. Slade. Slades Levitationsphänomene und Apporte erregten größtes Erstaunen und konnten trotz bester Kontrollierungsmaßregeln nicht als Schwindel entlarvt oder rational erklärt werden. Wie bei allen Beispielen dieser Untersuchung geht es hier nicht darum, das Phänomen der Levitation zu untersuchen, sondern nur die psychischen Verwirrungen aufzuzeigen, die sich im Gefolge okkulter Betätigung einstellten.

B 4 Eine gebildete Dame aus gutem, christlichem Hause berichtete in der Aussprache folgendes Erlebnis: Sie erhielt eines Tages von dem Rektor der städtischen Schule eine Einladung zu einem gesellschaftlichen Abend. Ahnungslos nahm sie die Einladung an. Es war ein Kreis von etwa sieben Personen im Hause des Rektors zusammen. Nach dem Essen schlug der Hausherr ein unterhaltendes Gesellschaftsspiel vor. Die Gäste wurden aufgefordert, mit den gespreizten Fingern eine Kette zu bilden und die Hände etwa 15 cm über die Tischplatte zu halten. Nachdem dieser Aufforderung nachgekommen war und die Sitzenden gespannt warteten, was kommen sollte, äußerte der Rektor: „Es ist ein Nichtleiter dabei.“ Eine Person wurde ausgeschieden, die sich neben die Gruppe der Teilnehmer setzte und alles mit ansehen durfte. Nach der Ausscheidung dieses Nichtleiters spürten die Teilnehmer ein prickelndes Gefühl in den Fingern, wie wenn ein Schwachstrom durch die Kette der Hände liefe. Dem Experiment stand jetzt nichts mehr im Wege. Es wurde den Teilnehmern erklärt, dass ein Verstorbener zitiert würde, der ihre Fragen beantworten sollte. Das Erscheinen des Verstorbenen gab sich durch Klopfzeichen kund. Und nun setzte ein Frage-und-Antwort-Spiel ein. Schließlich bat einer der Anwesenden, der Geist möchte doch seinen Namen klopfen. Die Antwort folgte unverzüglich. Da rief einer der Teilnehmer aus: „Den habe ich gekannt, der hat sich vor 20 Jahren aufgehängt!“
So verlief der Abend bei diesem seltsamen Gesellschaftsspiel. Die Berichterstatterin ging mit merkwürdigen Eindrücken nach Hause. Bevor sie sich zur Ruhe begab, griff sie, wie seit langen Jahren gewohnt, nach ihrer Bibel, um das Wort Gottes zu lesen und zu beten. Im gleichen Augenblick spürte sie einen heftigen Widerstand gegen die Bibel und empfand an der Kehle einen unerklärlichen Druck, so dass sie kein Gebet über die Lippen brachte. Bei einer seitlichen Kopfbewegung sah sie gleichzeitig zwei weiße Gestalten mit einem dämonischen Blick am Kopfende ihres Bettes stehen. Sie stieß einen Angstschrei aus, auf den sofort ihre Schwester herbeieilte. Ihre Furcht war so groß, dass die Schwester bei brennendem Licht in ihrem Zimmer schlafen musste. Diese Anfechtung dauerte viele Nächte. Erst nach einem halben Jahr waren die Auswirkungen jenes spiritistischen Abends verschwunden, und sie konnte wieder wie früher ihre Bibel lesen und beten. Auf Befragen ergab sich, dass sowohl im Leben der Berichterstatterin als auch ihrer Vorfahren keine medizinischen Besonderheiten vorliegen, die auf die im Bericht wiedergegebenen akuten psychischen Störungen hinweisen.

Zunächst soll nun der Mediziner zu diesem Bericht zu Wort kommen. Den Druck am Halse wird er vielleicht mit dem Hinweis auf das Alpdrücken erklären wollen. Unter Umständen kommen auch das Druckempfinden und die krampfartigen Schmerzgefühle bei Angina pectoris in Frage, die sich von der Mitte des Sternums bis zur linken Halsseite und den Kieferwinkeln ausbreiten können. Auch die Atemnot bei einem akuten Anfall von Asthma bronchiale oder cardiale wäre zu beachten. Ferner sind auch die Zustände der Beklemmungsgefühle seelischer Art einiger Formen der Hyperthyreosen wie bei Morbus Basedow und beim idiopathischen Myxödem zu berücksichtigen. Auch bei paroxysmalen Tachykardien treten schmerzhafte Gefühle in der oberen Brust- und Halsgegend auf, die gleichzeitig mit starker psychischer Erregung gepaart sind. Ausgeprägt findet sich das depressive Teilsymptom der Beklemmung als die Präkordialangst der Kreislaufkranken.

Über die Diagnose der inneren Medizin hinaus hat der Psychiater eine Menge Möglichkeiten, die Beobachtung der beiden weißen Gestalten als Halluzination auf Grund seelischer Erregung oder verschiedener medizinischer Bedingtheiten zu erklären. In einem späteren Abschnitt wird noch davon die Rede sein.
Der Psychologe würde vielleicht die Hemmungen der Berichterstatterin der Bibel gegenüber als die Reaktion eines Schuldgefühls ansehen, weil nach christlicher Auffassung die Teilnahme an okkulten Dingen abgelehnt wird. Die betreffende Dame ist ja durch ihre klare christliche Einstellung bekannt. In der Vision der beiden unheimlichen Gestalten würde er vermutlich die personifizierte Projektion des beunruhigten oder strafenden Gewissens erblicken. Alpdrücken und Vision sind auf der Basis der starken psychischen Emotion leicht zu verstehen.

Der Tiefenpsychologe wird vielleicht die Erscheinung der beiden Gestalten, welche die Berichterstatterin sah, als einen visuellen Reflex eines unverarbeiteten psychischen Erlebnisses deuten. Er wird darauf hinweisen, dass diese Vision die gesunde Reaktion des Unterbewusstseins darstelle, das damit den drohenden Konflikt erledigte, der unweigerlich entstanden wäre, wenn die seelische Erschütterung jenes spiritistischen Abends unverarbeitet in das Unterbewusstsein abgedrängt worden wäre und dort eine konstante causa movens für spätere Kollisionen zwischen dem Unterbewusstsein und Bewusstsein geblieben wäre. Eine noch einfachere Deutung wäre der Hinweis, dass es sich bei der Vision der weißen Gestalten um eine Sinnestäuschung handelt, die im Gefolge nachhypnotischer Wirkungen als aktive Leistungen des angerufenen Unterbewusstseins auftreten. Wenn hier und in der Folge vom Unterbewusstsein gesprochen wird, so wird auf folgendes hingewiesen. In der jüngeren Schule: Freud, Adler, Jung hat sich der Terminus „das Unbewusste“ durchgesetzt. Die ältere Schule: Moll, Dessoir, Janet verwandte den Terminus „das Unterbewusstsein“. In dieser Untersuchung wird die Ausdrucksweise der alten Schule beibehalten.

Der Parapsychologe untersucht gern neben dem Phänomen der Levitation die Frage des sogenannten „Leiters“ oder „Nichtleiters“ für den zirkulierenden „Schwachstrom“. Handelt es sich hier um eine Hypnose durch den Rektor, oder existiert tatsächlich ein menschlicher Magnetismus, der sich vom Träger auf verschiedene sensitive Leiter fortpflanzen kann? Oder ist diese Leitfähigkeit nichts anderes als eine mediale Veranlagung? Diese Fragen werden noch behandelt in dem Abschnitt über Heilmagnetismus. Hier sei nur vermerkt, dass das Phänomen des durch die Händekette der Sitzenden pulsierenden „Schwachstroms“ bei Séancen selten auftaucht.

Der Seelsorger hat trotz der Kenntnis der medizinischen und psychologischen Fragen, die hier auftauchen, noch ein entscheidendes Wort mitzureden. Das Problem, ob die Levitation des Tisches und die Klopfzeichen Betrug oder Psychokinese oder ein spiritistisches Phänomen darstellen, interessiert ihn zunächst wenig, wenn er den empirischen Befund einer notvollen seelischen Anfechtung vor Augen hat. Da die berichtende Dame vor jener verhängnisvollen Séance körperlich und seelisch gesund war und auch ein halbes Jahr nach jenem Erlebnis ihre seelische Stabilität wiedererlangte und seither – seit 18 Jahren – nicht mehr verlor, so liegt für den Seelsorger der Schluss sehr nahe, dass jene spiritistische Sitzung diese psychischen Störungen hervorrief. Dem Seelsorger genügen solche Erfahrungen – zumal, wenn sie in Hunderten von Fällen vorliegen -, um vor jeder Teilnahme an spiritistischen Sitzungen zu warnen. Ferner weist die sich in allen Fällen wiederholende und akut eintretende Resistenz gegen das Wort Gottes und Gebet – soweit die Teilnehmer überzeugte Christen sind – noch auf einen anderen als nur psychischen Sachverhalt hin. Ein weiteres Beispiel soll die Auswirkungen des Tischrückens unterstreichen und ein neues Moment spiritistischer Praxis beleuchten.

B 5 Eine ältere Hausangestellte kommt zur Aussprache. Sie klagt über verschiedene seelische Nöte, wie Schwermut, Lebensüberdruss, Selbstmordgedanken, Lästergedanken gegen Gott und Jesus Christus. Sie bekommt Anwandlungen zu Jähzorn und Neigung zu Tobsuchtsanfällen. Wenn sie beten hört, möchte sie davonlaufen, oder sie hält sich die Ohren zu und schließt die Augen. In der Gegenwart von gläubigen Christen ekelt sie alles an. Sie fühlt sich vom Wort Gottes abgestoßen. Sie spürt den Trieb in sich, alles zu zerschlagen und zu zerreißen. – Äußerlich geht es ihr gut. Sie lebt im Ausland bei einer Herrschaft in wohlhabenden Verhältnissen. Sie hat die Möglichkeit, sich gut zu verheiraten. Doch sie weiß nicht, ob sie den Bewerber mit ihrer schwermütigen Art unglücklich machen soll. Die erste Frage, ob die Entscheidung der Verheiratung die seelischen Konflikte bei ihr ausgelöst habe, verneint sie. Einige Fragen nach bisher durchstandenen Krankheiten fördert außer geringfügigen Katarrhen nichts zutage. Das Klimakterium ist noch nicht eingetreten. Nun folgt die Anamnese okkulter Beziehungen. Zunächst zeigt sie sich bei der Frage nach okkulter Betätigung unwissend. Es bleibt nichts anderes übrig, als ihr den ganzen okkulten Katalog aufzuzählen. Sie staunt, als das Stichwort „Tischrücken“ fällt.
Sie erzählt, dass sie das jahrelang geübt und für nichts Schlimmes angesehen habe. Die Dame ihres Hauses habe sie oft zu einer Gesellschaft mitgenommen, in der unter frommen Zeremonien das Tischrücken gepflegt worden sei. Eines Tages, als sie vor einer schweren Entscheidung gestanden habe, sei ihr in den Sinn gekommen, das Tischrücken privatim zu probieren. Es entwickelte sich dann nach diesem Erlebnisbericht folgendes Experiment: Das Mädchen stellt ein Ziertischchen vor sich hin, gebraucht den gleichen frommen Spruch, den sie in der Gesellschaft gehört hat; nur der zweite Spruch ist ihr nicht mehr in Erinnerung. Das Tischchen rührt sich nicht. Da flucht sie: „Wenn nicht in Gottes Namen, dann eben in des Teufels Namen!“ Daraufhin fängt das Tischchen zu klopfen an.
Dieses Erlebnis ist für das Mädchen der Start zu der jahrelangen Gepflogenheit des Tischrückens. Auf entsprechende Fragen wird noch einmal folgendes klargestellt: Sie pflegte jahrelang das Tischrücken ganz privatim für sich. Andere Menschen beriet sie mit ihrem Tischchen nicht. Sie ließ sich in allen wichtigen Fragen und Entscheidungen vom Tischchen beraten, das bei der Antwort „Ja“ sich vor ihr verbeugte und bei „Nein“ sich seitwärts neigte. Das Zimmer wurde bei dieser Praxis nie verdunkelt.
Den Parapsychologen wird dieses Phänomen privaten Tischrückens interessieren. Die Hypothese des Betrugs schaltet aus, da die Hausangestellte gar nie weitere Personen zu ihrem Experiment zuzog. Es kann höchstens angenommen werden, dass sie bei der Aussprache die Unwahrheit gesagt hat. In dem vorliegenden Fall scheidet das aber auch aus, da die Hilfesuchende nur um ihrer seelischen Anfechtungen willen zur Aussprache gekommen ist und nicht etwa mit dem Vorsatz, sich mit ihren okkulten Experimenten und Erfolgen wichtig zu machen. Die Frage ist nun, was für eine Energie hinter der Levitation des Tischchens steht. Hat die Berichterstatterin durch Psychokinese die Antwort ihres Unterbewusstseins herausgeklopft? Gehört dieses Phänomen also zu den „motorischen Automatismen“, die lediglich „Steigrohre des Unterbewusstseins“ darstellen? Oder hat die Experimentierende gar unter Fernbeeinflussung des Leiters jenes spiritistischen Zirkels gestanden, in dem sie das Tischrücken miterlebt hat? Taucht hier also das Problem der Mentalsuggestion auf? Haben gar die Spiritisten recht, die von der Dienstbarkeit jenseitiger „Operatoren“ reden?

Mit welcher Hypothese man dieses Phänomen der Levitation auch erklären will, eines steht für den Seelsorger bei einer Häufung derartiger Beispiele fest, dass die aktive oder passive Teilnahme an spiritistischen Experimenten in der seelischen Struktur des Teilnehmers Spaltungen und Verkrampfungen produziert und die religiöse Haltung des Menschen antichristlich fixiert. Diese letzte These wird bei den Spiritisten viel Widerspruch hervorrufen; es muss daher in einem späteren Abschnitt darauf zurückgekommen werden.

E 1 In der Frage des Tischrückens darf aus der Literatur ein Beispiel eingefügt werden, da in der spiritistischen Praxis nicht nur die Levitation – das einfache Hochheben – des Tisches und das Klopfen bekannt sind, sondern auch das Wegrücken, das Hüpfen und Fliegen des Tisches beobachtet wurde.
Martensen Larsen berichtet von dem Physiker Barret, der dem Phänomen der Telekinese mit Skepsis gegenüberstand. Um so mehr ist zu bewerten, dass er seine Zweifel durch eine Reihe von Erlebnissen überwand. Eines schilderte der Physiker mit folgenden Worten: „Ich hatte Gelegenheit, eine Sitzung … abzuhalten. Das Zimmer war ganz erhellt, und nachdem verschiedene Klopflaute eine Mitteilung hervorbuchstabiert hatten, kam ein kleiner Tisch, den niemand berührte, über den Fußboden auf mich zugehüpft, bis er mich ganz in meinen Lehnstuhl einschloss. Es fanden sich keine Drähte oder Leitungen oder sonst Gründe für die Bewegung des Tisches vor.“

E 2 Die letzte Überspitzung dieses Phänomens des Tischrückens wurde in mündlichen Berichten von Forschern und Missionaren aus Tibet berichtet, die einstimmig bezeugen, dass viele Priester des Taschi Lama über enorme okkulte Fähigkeiten verfügen und kleine Tischchen bis zu 30 m durch die Luft fliegen lassen können. Vor allem sind die sogenannten Rotmützenmönche Experten der Telekinese, Levitation, Materialisation und der Schwarzen Magie. Eine Kontrolle dieser phantastisch anmutenden Berichte, die von den Forschern aus Tibet wiedergegeben werden, ist nicht möglich. Als Argument für die Wahrscheinlichkeit und Echtheit spricht lediglich die Tatsache, dass diese Berichte in das weltanschauliche Gesamtbild Tibets passen, das nach der Meinung der Forschungsreisenden und der Missionare unter allen Völkern und Ländern der Erde die erste Hochburg des Okkultismus ist.

Wenn sich bei diesen Beispielen aus der Literatur und der geokulturellen Sicht auch keine psychologische oder einzelseelsorgerliche Untersuchung durchführen lässt, so ist das Tibetbeispiel doch nicht ganz ohne Ausbeute. Tatsache ist, dass Tibet allen christlichen Missionierungsversuchen am längsten von allen Ländern getrotzt hat. Die Missionare wurden bis in die jüngste Vergangenheit getötet; so wahrscheinlich auch der indische Missionar Sadhu Sundar Singh. Erst 1934 haben christliche chinesische Flüchtlinge das Evangelium nach Tibet hineingetragen. Und erst 1946 bekam Tibet die Bibel – die Übersetzung von Yoseb Gergan – in seiner Heimatsprache.
Es ergibt sich hier also religionsgeschichtlich die interessante Perspektive, dass die okkulte Betätigung und der Fortschritt der christlichen Mission sich umgekehrt proportional verhalten. Selbstverständlich ist diese Feststellung durch ein Beispiel nicht genügend erhärtet. Sie passt aber doch in das System der in den übrigen Beispielen entwickelten Gedanken. Vor allem wird diese These durch die Berichte der Missionare von China und Indien bestätigt.

d. Das Trancereden

Unter diesem Phänomen versteht man einen somnambulen Zustand, in den die Medien durch Autohypnose oder Fremdhypnose versetzt werden. Die Spiritisten sind der Meinung, dass sie mit Hilfe dieser Sprechmedien Botschaften von Verstorbenen erhalten können. Um die Auswirkungen des Tranceredens zu zeigen, sollen hier drei Beispiele aus der seelsorgerlichen Praxis folgen.

B 6 Bei einem Fahrradhändler wurde ein Einbruch verübt und viel Fahrradzubehör entwendet. Der geschädigte Geschäftsmann meldete den Diebstahl der Polizei. Darüber hinaus beauftragte er den Leiter eines spiritistischen Zirkels, in dem betroffenen Geschäft eine Séance abzuhalten, um durch ein Sprechmedium mit Hilfe der „Geister“ den Täter beschreiben zu lassen. Die Sitzung fand im Beisein von sechs Personen statt. Das Medium beschrieb den Täter, und man bekam dadurch auf einen verschuldeten Arbeiter starken Verdacht. Zur vollen Entdeckung des Täters führte diese Sitzung nicht; denn bei der Sitzung waren zwei Verwandte des Verdächtigten anwesend.
Ganz abgesehen von dem zweifelhaften und höchst anfechtbaren Charakter eines solchen Fahndungsdienstes hatte diese Sitzung ein merkwürdiges seelsorgerliches Nachspiel. Zwei beteiligte, christliche Personen dieser Sitzung, ein Mann und eine Frau, kamen zur Aussprache und klagten wieder wie bei allen anderen Fällen über Schwermut, Lebensüberdruss und Beobachtung von Spukerscheinungen. Es soll hier nicht die Problematik des Beispiels aufgerollt werden. Sie ist ähnlich wie bei den vorangegangenen Fällen. Es muss hier nur festgehalten werden, dass als neues Moment die Beobachtung von Spukerscheinungen hinzutritt.

B 7 Ein Pfarrer berichtete mir von einem Sterbebett folgendes Erlebnis: Der Leiter einer kirchlichen Gemeinschaft lag im Sterben. Der angesehene Mann erlebte einen furchtbaren Todeskampf. Im Haus und im Garten rumorte, rasselte und krachte es so unheimlich, als ob die Hölle los wäre. Der Ortsgeistliche, der zur Stärkung des Angefochtenen geholt wurde, erzählte nach dem Tod des Mannes: „Da sieht man, dass auch gläubige Menschen auf dem Sterbebett schwer angefochten werden können.“ Diese Aussage und Anschauung des Pfarrers soll keineswegs bestritten werden. Nur muss zur Vervollständigung hinzugefügt werden, dass mir seit 20 Jahren bekannt ist, dass in dem Hause des Gemeinschaftsleiters mit einem Sprechmedium spiritistische Sitzungen abgehalten wurden. Von dieser Tatsache hat der herbeigerufene Ortsgeistliche nichts gewusst.
In der Problematik gehört dieser Fall zu B 4.

Der Tiefenpsychologe wird die Mobilisierung der seltsamen Kräfte bei der Agonie, also das Krachen, Kratzen, Scharren, Rasseln, Poltern, Fauchen, so erklären, dass beim Erlöschen des Bewusstseins die Kräfte des Unterbewusstseins frei werden und sich vielleicht zur Sonderexistenz abspalten. Dieser Anschauung müsste im Rahmen dieser Untersuchung die Frage entgegengestellt werden, warum treten nach seelsorgerlicher Erfahrung solche Abspaltungen häufig bei den Menschen auf, die sich okkult betätigt haben oder in okkulter Tradition ihrer Vorfahren stehen?
Der Parapsychologe sieht die „Poltergeister“ in der Sterbestunde unter dem Kapitel der paraphysischen Erscheinungen. Von „gewissen Menschen“ geht „Energie-Materie“ aus, die „seelisch gelenkt wird und zielvolle Leistungen vollbringt“ .Es wird etwas ek tēs psychēs exponiert, was vorher en tē psychē existierte.
Im Gegensatz zu dem Parapsychologen, dem es um das Phänomen und um das Experiment geht, sieht der Seelsorger in erster Linie den Menschen, der Hilfe braucht. Deshalb fragt der Seelsorger hier:
Wer sind die „gewissen“ Menschen, die eine solche Revolution und Abspaltung der seelischen Kräfte erleben? Eine Antwort wird im Verlauf dieser Untersuchung gegeben werden. Sie ist aber innerhalb dieses Beispiels in Form einer Frage bereits angedeutet. In dem vorliegenden Fall muss in seelsorgerlicher Hinsicht noch erwähnt werden, dass die Wortverkündigung des betreffenden Gemeinschaftsmannes vielfach abgelehnt und als nicht ansprechend angesehen wurde. Der Grund lag nicht in mangelhaften Fähigkeiten, sondern in seiner okkulten Behaftung. Spiritismus und Christentum scheiden sich wie Feuer und Wasser. Der Spiritismus macht immun gegen das Pneuma!

B 8 Ein für die Untersuchung ergiebiges Beispiel, das durch ergänzende Berichte von drei Personen, die mir alle drei gut bekannt sind, bezeugt ist, soll neue Gesichtspunkte deutlich machen. In dem zweiten Stockwerk eines Hauses fanden regelmäßig spiritistische Sitzungen mit einem Sprechmedium statt. Die Hausgenossin des 1. Stockwerkes, eine christliche Frau, wurde bald auf dieses Treiben aufmerksam. Es war ihr an den betreffenden Abenden immer so unheimlich zumute. Als diese Spiritisten wieder einmal zusammen waren, ging diese Frau in ihrem Zimmer auf die Knie und betete, Gott möchte doch diesen Männern Einhalt gebieten. Während sie im Gebet verharrte, hörte sie, wie oben ein Tumult entstand, Stühle umgeworfen wurden und ein Mann die Treppe herunterstürmte. Sie vernahm, wie er sich auf sein Motorrad setzte und lossauste. Nach etwa 30 Minuten kam der Motorradfahrer mit einem Soziusfahrer zurück. Wie hinterher durch Mitglieder der Sitzung bekannt wurde, hörte das Medium, während die Frau betete, mit dem Trancereden auf und blieb in tiefer Bewusstlosigkeit. Dem leitenden Spiritisten gelang es nicht, das Medium aus dem Trancezustand zu erwecken. Darum fuhr er in ein Nachbardorf und holte einen zweiten spiritistischen Leiter. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen dann, das Medium ins Bewusstsein zurückzurufen.

Als Ergänzung folgt nun der Bericht über den Organisator dieser Sitzung. Im besten Mannesalter von nur 40 Jahren wurde er schwer krank und starb einen qualvollen Tod. Einige Tage vor seinem Hinscheiden schrie er laut vor Schmerzen, dass die Nachbarschaft es hörte. Weiteren Einblick in diesen Zirkel erhielt ich durch Angaben des leitenden Spiritisten selbst. Nach dem Tode seiner Frau war er so erschüttert, dass er eine Zeitlang für das Wort Gottes aufgeschlossen war und ein neues Leben beginnen wollte. Er gestand in dieser Zeit, dass seine Frau, die er oft als Medium benutzt hatte, durch sein Experimentieren erblindete. Er wusste um die Dämonie seines Treibens. Tagelang rang er mit seelsorgerlicher Hilfe um einen Durchbruch aus dem spiritistischen Irrgarten. Aber er war wie mit ehernen Ketten gebunden und fiel bald in sein früheres Leben zurück.

Das vorliegende Beispiel tiefenpsychologisch und parapsychologisch zu untersuchen bringt wenig Klärung in den Vorgang. Es sollen lediglich die Gesichtspunkte der seelsorgerlichen Arbeit deutlich gemacht werden: Der Christ kann mit Gebet und Glauben wirksam dem okkulten Treiben entgegentreten. Das ist eine Erfahrungstatsache der Reichgottesarbeit. Das furchtbare Ende des spiritistischen Managers ist nicht der Ausdruck einer naiven, mystischen Schwarzweißmalerei, sondern eine stets beobachtete Erfahrung. Das vorliegende Beispiel passt in dieser Hinsicht in den Rahmen von B3 (S. 22) und B7 (S. 26). Die Erblindung des Mediums ist in der okkulten Praxis kein seltenes Phänomen. In seelsorgerlichen Aussprachen mit Okkulten tritt das gelegentlich immer wieder in den Vordergrund. Der ergebnislose Kampf um einen religiösen Durchbruch des Spiritisten zeigt, wie okkulte Betätigung eine seelische Hörigkeit schafft. Menschen mit solcher Behaftung können sich nur sehr schwer für Jesus Christus entscheiden.

e. Das automatische Schreiben

Medial Veranlagte können im Wachzustand oder in Trance unter Ausschaltung bewusster Überlegung Sätze, Worte oder Buchstaben niederschreiben, die von den Spiritisten für Botschaften aus dem jenseits gehalten, von vielen Parapsychologen aber als motorischer Automatismus angesehen werden. Da mir aus der Seelsorge kein markantes Beispiel zur Verfügung steht, soll eines aus der Literatur genommen werden. Tischner, der als Parapsychologe nur die okkulten Phänomene untersucht, ohne im geringsten an der seelsorgerlichen Fragestellung interessiert zu sein, bringt in seinem 1950 herausgekommenen Werk Beispiele, die dem Seelsorger von großer Wichtigkeit sind. Eines davon soll hier wiedergegeben werden. Er schreibt:

E 3 „Es ist davor zu warnen, sich dieser reizvollen Beschäftigung (automatisches Schreiben) rückhaltlos hinzugeben! Am besten ist es, sich durch einen Fachmann beraten zu lassen, der darauf dringen wird, von vornherein die Angelegenheit mit Maß zu betreiben und nicht jedem Wunsch und Drängen nachzugeben, andernfalls kann es bald dazu kommen, dass man selbst nicht mehr der Herr im eigenen Körper ist, sondern Diener, ja Sklave, der gehorchen muss, wenn nicht Unangenehmes geschehen soll. So erlebte ich es einmal, dass eine Dame, die viel automatisch schrieb, in einem Kaffeehaus den Trieb dazu verspürte und dann, als ihr Mann sagte, das gehe hier nicht, die Hand automatisch auf dem Marmortisch laut zu trommeln anfing, so dass die Umgebung aufmerksam wurde und wir fluchtartig den Raum verlassen mussten.

Tischner ist also selbst Zeuge dafür, dass der Mensch durch okkulte Betätigung in Gefahr kommt, die Herrschaft über sich zu verlieren. Hier muss also der religiös uninteressierte Fachmann in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler dem Seelsorger bestätigen, dass okkulte Betätigung die geschlossene seelische Struktur des Menschen aufspaltet. Okkulte Betätigung bedeutet eine Energieaufladung, welche die Stabilität der psychischen Verfassung des Menschen sprengt. Tischner’s Beobachtung wird von dem Psychiater Albert Moll bestätigt. Moll schreibt: „Etwas wesentlich anderes stellen die gesundheitlichen Gefahren des Okkultismus dar. Ich weise auf die Tatsache hin, dass schon beim automatischen Schreiben, wenn es bei krankhaften Personen geübt und ausgebildet wird, schwere Persönlichkeitsspaltungen beobachtet werden. Auch ich habe Fälle dieser Art gesehen, wo die anfangs ganz schwache Persönlichkeitsspaltung durch das automatische Schreiben so gesteigert wurde, dass schließlich geradezu eine Krankheit der Persönlichkeit auftrat … Ich habe wiederholt starke krankhafte Beeinflussung als Folge gesehen.“

Auch der Tiefenpsychologe erhält durch Tischners Bericht „Wasser auf die Mühle“. Ihm wird durch dieses spontane Erlebnis demonstriert, wie die gewöhnlich latenten Beziehungen zwischen Unterbewusstsein und Oberbewusstsein sichtbar werden. Unter Zurückdrängung des Oberbewusstseins erzielt das Unterbewusstsein nicht nur sensorische, sondern auch motorische Effekte. Okkulte Betätigung ist also das Zyklotron, das die Energie des Unterbewusstseins beschleunigt und erhöht. Nach der Darstellung dieser fünffachen spiritistischen Praxis müsste nun als das interessanteste Gebiet das Phänomen der Materialisation behandelt werden. Dieses Gebiet soll aber im Zusammenhang mit der Schwarzen Magie zur Besprechung kommen, weil sich in der Seelsorge viele Materialisationsbeispiele boten, die eine aktive Beeinflussung bestimmter Menschen darstellen und somit unter dem Abschnitt der ASB zu rubrizieren sind. Ferner soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass die Frage der Mediumität und das Phänomen der Klopfgeister noch in anderem Zusammenhang erörtert werden. In diesem ersten Abschnitt, der die seelsorgerliche Problematik der spiritistischen Phänomene untersucht, ging es nur darum, den Fragenkreis anzudeuten, den der Seelsorger in Einzelaussprachen mit seelisch Angefochtenen antrifft.

Die Hyperästhesie

Die Überempfindlichkeit der Sinne ist ein Phänomen, dem neuere Psychologen und Parapsychologen weitgehend Beachtung schenken. Vor allem ist es Richard Baerwald, der in seinen Büchern Die intellektuellen Phänomene und Okkultismus, Spiritismus und unterbewusste Seelenzustände dieses Problem untersucht. Neuerdings ist es der amerikanische Forscher Rhine, der das Gebiet der außersinnlichen Wahrnehmung in seinem Buch The Reach of the Mind behandelt. Diese Forscher führen die Hyperästhesie auf eine dem Menschen a priori innewohnende erhöhte Sensibilität der Sinne zurück. In der Seelsorge interessiert neben der psychologischen und parapsychologischen Fragestellung in erster Linie das Bild der psychischen Verfassung des mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestatteten Menschen. Die in der Seelsorge mir zugegangenen Beispiele werden unter vier Gruppen besprochen.

a. Der Wahrtraum

In der Wertbemessung der Träume gehen in der medizinischen Wissenschaft die Meinungen auseinander. Viele Psychologen und Mediziner sehen in den Erwachsenenträumen nur eine Summe von ungereimten Bildern und verworrenen Bruchstücken von Begebenheiten. Andere dagegen – eine Reihe von Psychotherapeuten und Vertreter der Tiefenpsychologie – sehen in den Träumen wertvolle Brücken zur Entschlüsselung der unterbewussten Vorgänge des Seelenlebens. Diese Schule sieht in dem Erwachsenentraum eine Kombination von „Tagesrest“ und „Kindheitswünschen“. Unter „Tagesrest“ versteht man die Eindrücke, belastende Erlebnisse, unerledigte Konflikte, unbefriedigte Triebregungen, die vom Tageserleben in den Schlafzustand mit hinübergenommen werden. Mit „Kindheitswünschen“ werden die in der Entwicklung des Kindes auftretenden, unbefriedigten, libidinösen (die sexuelle Lust betreffend ) und egoistischen Wünsche bezeichnet. „Tagesrest“ und „Kindheitswünsche“ sollen nach Auffassung dieser Schule der latente Traumhintergrund des manifesten Trauminhaltes sein.
Im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Untersuchung tritt das Problem der Traumdeutung zugunsten der Behandlung eines seelsorgerlichen Anliegens zurück: Gibt es eine spezielle notvolle Beziehung zwischen der Hyperästhesie und der psychischen Verfassung des Menschen? Zur Erhellung dieser Frage werden hier Beispiele von Wachträumen angeführt.

B 9 Eine Schweizerin erzählt in der Aussprache, wie sie eines Nachts im Traum einen Großbrand sieht. Sie kann sich viele Einzelheiten des Brandplatzes einprägen. Nach der Brandnacht bringen die Tageszeitungen Bildberichte über das Großfeuer, die mit den in dem Wahrtraum gemachten Beobachtungen haargenau übereinstimmen. Wohnort des Mädchens und Brandort liegen fast 200 km auseinander.

Den Parapsychologen interessiert die Frage, wie diese außersinnliche Übermittlung des aktuellen Ereignisses funktioniert. Die sonst übliche Erklärung mit dem Hinweis, dass ein telepathischer Vorgang vorliege, ist ebenfalls noch umstritten. Dem Mädchen war am Brandort niemand bekannt, der als Gedankensender in Frage kam. Es sei denn, dass unseren Parapsychologen eines Tages noch der Nachweis gelingt, dass irgendein unbekannter Beobachter, der am entfernten Ort das Ereignis miterlebt, als allgemeiner Gedankensender funktioniert, dessen Ausstrahlungen von telepathisch veranlagten Empfängern aufgenommen werden können. Dieser Nachweis fehlt aber bis heute noch.
Den Seelsorger beschäftigt die Frage, ob das Mädchen im Zusammenhang mit dem Wahrtraum irgendwelche psychischen Störungen erlebt hat. Der vorliegende Fall ist in dieser Hinsicht ohne Befund.

B 10 Eine christliche Frau erlebt eines Tages im Traum, wie ein Verwandter, der 250 km entfernt wohnt, erkrankt. Sie beobachtet im Traum, wie sich die Finger des Patienten merkwürdig verkrümmen. Einige Zeit später kommt die Nachricht, dass dieser Verwandte von einem Arzt eröffnet bekam, dass er die Dupuytrensche Krankheit hätte.

Der Parapsychologe wird diesen Traum als Telepathie erklären, wobei aber der Vorgang der Telepathie ja auch noch ein Geheimnis darstellt.
In medizinischer Hinsicht ist bei dieser Frau zu bemerken, dass sie seit Jahren an einer Psychoneurose, und zwar in der Form einer sich wiederholenden reaktiven Depression, leidet.

In der seelsorgerlichen Situation sind einige Besonderheiten zu verzeichnen. Die Frau beschäftigte sich von Jugend auf mit abergläubischen Traumdeutungen. Mit zunehmendem Alter vermehrten sich die Wahrträume und die telepathischen Fähigkeiten. Es zeigt sich hier, dass sich die Fähigkeit der außersinnlichen Wahrnehmung entwickeln lässt. Im Glaubensleben fehlen die charakteristischen Folgen okkulter Betätigung, wie sie in dem Abschnitt über Spiritismus behandelt wurden.

B 11 Ein Fall, der den Wahrtraum noch in einer anderen Sicht zeigt, sei hier wiedergegeben. Ein junger Mann, der mir von Kind auf bekannt ist, wurde in das Krankenhaus zur Operation eingeliefert. In der Nacht nach der Operation schrie er plötzlich so laut, dass alle Kranken im gleichen Zimmer aufwachten. Er stöhnte laut und rief mehrmals: „Ich will nicht sterben!“ Am Morgen fragte ihn ein Zimmergenosse nach der Ursache seines Rufens. Der Angeredete erzählte, wie er träumte, vier schwarze Männer hätten ihn in einen Sarg legen wollen. Nach seinem heftigen Widerstand wäre plötzlich eine weiße Gestalt erschienen, die ihm eröffnete, dass er noch ein halbes Jahr zu leben hätte. Er sollte sich besinnen und umkehren. Daraufhin wären die vier unheimlichen Männer verschwunden. Soweit geht der eigene Bericht des Betroffenen. Den zweiten Teil des Erlebnisses berichtete seine Schwester. Ganz überraschend schnell heilte die Operationsnarbe. Das schwere Traumerlebnis blieb nicht ohne Wirkung. Dem jungen Mann wurde es geschenkt, ein neues Leben in der Gottesfurcht anzufangen. Nach einem halben Jahr musste die Operation wiederholt werden. Der Chefarzt sagte dem Patienten: „Sie werden es gewiss wieder überstehen. Es sind keine Komplikationen zu befürchten.“ Der Patient widersprach und erwiderte: „Ich sterbe heute nacht.“ Der Arzt lachte ihn aus. In der Nacht verlangte der Patient seinen gläubigen Schwiegervater, der mit ihm betete. In der gleichen Nacht starb der Mann, genau ein halbes Jahr nach jener Traumankündigung.

Der Psychologe wird diesen Traum als Resultante aus den beiden Komponenten Todesangst und Schuldbewusstsein darstellen. Der bedrohliche Zustand der Erkrankung nährte die Angst vor dem Sterben, versinnbildlicht durch den Sarg. Das angesichts des ungewissen Ausgangs der Operation aufgewachte Gewissen vergegenwärtigte die dunklen Punkte im vergangenen Leben, versinnbildlicht durch die vier schwarzen Gestalten. Die Angst vor der Vergeltung vor dem Gericht Gottes führte zur Revision des Verhältnisses zu Gott, versinnbildlicht durch die weiße Gestalt. So lässt sich nach psychologischer Arbeitsweise der manifeste Trauminhalt leicht auf den latenten Traumhintergrund zurückführen.
Schwieriger wird dann die Deutung der religiösen Wandlung des Mannes und der Erfüllung des Traumes sechs Monate danach, wenn nur psychologische Maßstäbe angelegt werden sollen. Wenn der Psychologe die Wandlung nach jenem Traumerlebnis als eine Angstbekehrung ansehen will, so geht es bei der Deutung der Traumerfüllung nicht ohne Gewaltexegese ab. Es könnte ein Psychoanalytiker, der eine Psychologie kat’exochén treiben will, höchstens noch auf die Idee verfallen, den Tod als Auswirkung einer Autosuggestion verstehen zu wollen mit dem Hinweis, dass der Mann ein halbes Jahr von der Vorstellung begleitet war, dass er sechs Monate nach jener Traumnacht sterben müsse. Es sind ja solche Todesfälle durch Suggestion hinreichend bekannt.
Der Seelsorger wird trotz der Wissenschaftlichkeit einer solchen psychologischen Explikation seine starken Bedenken anmelden. Bei dieser Auflösung des Traumgeschehens nach der psychoanalytischen Methode sind wir auf dem besten Weg, in das Fahrwasser Sigmund Freuds zu geraten und alle Glaubensinhalte des Christentums als eine Funktion des Unterbewusstseins darzustellen. Der Christ weiß neben den immanenten Beziehungen des psychischen Lebens auch um das transzendente Geschehen. Der Seelsorger kennt neben der im Bereich der Psychotherapie bekannten Wandlung, die das sokratische gnōthi sautón als Wurzel hat, noch die anakaínosis toū bioū, und er weiß bei längerer Beobachtung und Beratung des Beichtkindes die Wandlung von einer Lebenserneuerung so gut zu unterscheiden, wie der Arzt zum Beispiel eine organische Erkrankung und eine Organneurose differentialdiagnostisch erfassen kann. In dem vorliegenden Fall wird man mit psychologischen Kategorien dem Traumgeschehen und der religiösen Erneuerung des Mannes nicht gerecht. Das kurze halbe Jahr offenbarte den Charakter einer tiefgehenden Wendung, so dass auch die Familienangehörigen durch ihn gesegnet und zur Nachfolge Jesu Christi angespornt wurden. Diese drei Beispiele, die sich um viele vermehren ließen, zeigen, dass solche Spontanerlebnisse keine Spuren okkulter Behaftung im Seelenleben zurücklassen.

b. Die Telepathie

Mit Telepathie wird das Phänomen bezeichnet, dass „Wissen ohne die Zuhilfenahme der Sinne erlangt werden kann“. Man unterscheidet Gedankensenden, Gedankenlesen, Mischtelepathie, bei der sich Telepathie und Hellsehen mischen, ferner Dreieckstelepathie, bei der Sender, Übermittler und Empfänger zusammenwirken, weiter die psychometrische Telepathie, bei der medial begabte Personen an Hand eines Gegenstandes paranormale Angaben über seinen Besitzer machen. Wie bei allen parapsychologischen Phänomenen interessieren hier nicht die telepathischen Experimente, sondern die Personen mit telepathischen Fähigkeiten. Wenn hierin nach seelsorgerlichen Gesichtspunkten gegliedert werden soll, so sollen die Spontanerlebnisse und die telepathischen Experimente unterschieden werden. Zunächst folgt eine Reihe von Spontanerlebnissen.

B 12 Ein evangelischer Pfarrer sah während des Krieges plötzlich seinen Sohn, der an der Ostfront kämpfte, in seinem Blute vor sich liegen. Der Vater dachte sofort, dass dem Sohn etwas passiert wäre. Nach drei Wochen kam dann die Todesnachricht. Todestag und Stunde stimmten mit der visionellen Erscheinung überein.

B 13 Ein katholischer Priester sah nachts seinen Vater, der ihm erklärte, er wäre soeben gestorben. Der Priester schaute auf die Uhr und merkte sich die Zeit. Am nächsten Tag kam das Todestelegramm. Die Todesstunde stimmte zeitlich mit dem nächtlichen Erlebnis überein.

B 14 Eine Missionsschwester war in ihrem Zimmer im Gebet versunken. Da ging die Tür auf, und ihr Bruder, der an der Westfront weilte, trat ein. Die Schwester rief ihn an: „Na, Herrmann, hast du Urlaub?“ Bei dieser Frage verschwand die Gestalt. Einige Zeit später kam die Todesnachricht. Todestag und Stunde stimmten mit dem Erlebnis überein.

B 15 Ein evangelischer Pfarrer ging zu Dienstgeschäften weg. Zehn Minuten vom Haus entfernt packte ihn eine große Unruhe. Er kehrte um und strebte seiner Wohnung zu. Da bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass sein fünfjähriger Sohn auf dem Dach des hohen Hauses herumturnte. Der junge wollte da oben Kaminfeger spielen. Der Vater konnte das Kind aus seiner gefahrvollen Lage retten.
B 16 Eine seltsame und sehr prägnante Form von Telepathie wurde mir in der Schweiz bei einer Aussprache berichtet. Eine Missionarsfrau wohnte in dem Vorort einer Großstadt. Ein ihr befreundeter christlicher Mann besorgte ihr in der Stadt oft die Einkäufe, ohne dass er die Missionarsfrau vorher fragte, was sie benötigte. Sie war jedesmal überrascht, wie er alle Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände brachte, an die sie beim Hantieren in der Küche gedacht hatte. Dieser Mann und die Missionarsfrau haben beide eine mediale Veranlagung. Sie gaben auch sonst Beweise für übersinnliche Fähigkeiten.

E 4 Ein charakteristisches, historisches Beispiel steht in Jung-Stillings Geisterkunde. König August II. von Polen war mit König Friedrich Wilhelm I. von Preußen und seinem Feldmarschall von Grumbkow befreundet. Am 1. Febr. 1733 um 3 Uhr bemerkte von Grumbkow plötzlich bei dem Schein der Nachtlampe, dass die Gestalt König Augusts sein Schlafzimmer betrat und die Bettvorhänge öffnete. König August sagte dem erstaunten Grumbkow: „Mon cher Grumbkow! Je viens de mourir ce moment à Varsovie“. Der Feldmarschall schrieb den Vorfall sofort nieder und sorgte für die Verständigung des preußischen Königs. 46 Stunden später kam der Meldereiter von Warschau, der die Nachricht vom Tode des polnischen Königs überbrachte. Das nächtliche Erlebnis und die Todesstunde stimmten genau überein.

Wenn die fünf eigenen Beispiele nun kurz zusammengefasst untersucht werden, so könnte man B 12 – B 14 unter die Rubrik Gedankensenden nehmen. Die sterbenden Menschen haben in der Todesstunde an ihre Lieben gedacht und ihnen einen letzten Gruß gesandt. B15 wäre zur Not ein Beispiel von Gedankenlesen. Der Vater erfasst die gefahrvolle Situation des Sohnes. B16 ist ein Beispiel für den zusammenwirkenden Akt des Gedankensendens und Gedankenlesens.

Bei der Rubrizierung dieser Beispiele darf nicht vergessen werden, dass mit diesen Benennungen keineswegs das Wesen der Erscheinungen gekennzeichnet oder gar erklärt ist. Der psychisch technische Vorgang der außersinnlichen Gedankenübermittlung ist bis heute nicht erforscht. Es sind schon eine Reihe von Hypothesen aufgestellt worden, die sich aber nicht durchgesetzt haben. Als die hauptsächlichsten seien erwähnt:
die Wellen- und atomistische Theorie Demokrits (460 v. Chr.),
die Theorie vom Ausströmen der Gehirnstrahlen (Kotik: „Die Emanation der psychophysischen Energie“, Wiesbaden 1908),
die Gehirnwellentheorie des Physikers Crookes (bekannt durch die Crookessche Röhre, gest. 1919),
die Theorie einer psychischen Energie des Chemikers Ostwald (gest. 1932 in Leipzig),
die Elektronen-Übertragungstheorie des Psychiaters Forel (gest. 1913),
die Theorie der elektrischen Eigenschwingungen des Körpers (Prof. Rohracher vom psychologischen Institut der Universität in Wien).
Als ein nur mangelhaftes Gleichnis für das Phänomen der Telepathie innerhalb des Familienverbandes kann die Funktechnik herangezogen werden: Die Trägerwelle der psychischen Verbundenheit der Familienangehörigen wird durch die gegenseitige Liebe moduliert. Es muss aber hier noch einmal der Bildcharakter des Vergleichs betont werden.

In seelsorgerlicher Hinsicht sind diese Spontanfälle ohne Befund im Blick auf unsere Untersuchung. Anders steht es bei bewusst durchgeführten telepathischen Experimenten. Langjährige Versuche auf diesem Gebiet können psychische Störungen hervorrufen, wie das folgende Beispiel zeigt.

B 17 Ein 20jähriges Mädchen war mit einem Seemann verlobt. Abends war sie mit ihren Gedanken bei dem jungen Freund, mit dem sie sich seelisch aufs innigste verbunden wusste. Eines Nachts wachte sie mit einer furchtbaren Angst um den Verlobten auf. Sie betete, Gott möchte ihn auf dem Meer in der Gefahr bewahren. Einige Zeit später erhielt sie einen Brief, in dem der Verlobte ihr mitteilte, sie hätten auf der Nordsee einen furchtbaren Sturm erlebt, den sie nicht zu überstehen glaubten. In der höchsten Gefahr hätte er nach dem Bild der Verlobten gegriffen und lebhaft an sie gedacht.

Das war bei den jungen Leuten der Anfang eines regen telepathischen Austausches. Sie konnten im Lauf der Zeit ihre Empfindungen und Gedanken telepathisch einander übertragen. Es entstand trotz der großen Entfernung eine starke seelische Hörigkeit, in deren Gefolge das Mädchen in krankhafter Weise alles mitempfand, was der Verlobte durchmachte. Wurde der Bräutigam krank, wurde sie es durch Fernübertragung auch. Litt der Verlobte Schmerzen, empfand sie den gleichen Schmerz. Nahm der Verlobte Medikamente ein, hatte sie die gleiche Geruchs- und Geschmacksempfindung. War am Anfang die Übertragung der seelischen Situation des Verlobten dem Mädchen eine Freude, so wurde ihr diese telepathische Verbindung allmählich zur Last, ja zur großen Not. Aus dem ursprünglich amüsanten Spiel wurde ein psychisches Verhaftetsein, deren sich das Mädchen nicht mehr erwehren konnte. Sie suchte einen Nervenarzt auf, der ihr durch Hypnose zu helfen suchte. Nach der Behandlung erklärte mir das Mädchen in der seelsorgerlichen Aussprache, sie wäre aus dem Regen in die Traufe gekommen. Von der seelischen Hörigkeit und dem telepathischen Austausch mit dem Verlobten wäre sie frei geworden. Sie würde aber jetzt unter dem Einfluss des Arztes stehen, an den sie immer denken müsste, obwohl sie an dem Arzt kein Interesse hätte.

Den Parapsychologen interessiert das nicht alltägliche Phänomen der Übertragung von Geruchs-, Geschmacks-, Schmerz- und Freudeempfindungen. Zunächst ist dieser Fall eine Bestätigung der oft beobachteten Tatsache, dass Telepathie zwischen Menschen, die sich sehr lieb haben, am leichtesten funktioniert. Prof. Bender bestätigt diesen Sachverhalt. Er schreibt dazu: „Hier schaffen bekanntlich affektive Beziehungen eine besonders günstige Voraussetzung.“ Auch Driesch vertritt die These, dass das von zwei aufeinander abgestimmten Personen gewonnene Material gewöhnlich reicher ist als das experimentell gewonnene. Man könnte tatsächlich von einer Fernwirkung der Liebe, von einem seelischen Konnex der Liebenden reden. Der Übertragungsmodus ist allerdings noch ein Geheimnis. Ferner ist dieses Beispiel ein Beleg dafür, dass bei der Telepathie die Entfernung der Partner voneinander keine Rolle spielt. Ob das junge Paar nur 100 km oder 1000 km voneinander entfernt war, so funktionierte doch der Empfang mit gleicher Intensität. Nach den Kategorien der Hochfrequenztechnik ist das ein unverständlicher technischer Vorgang.

Vielleicht darf hier ein kleiner Exkurs eingefügt werden. Der telepathische Empfänger braucht nie wie der „Kollege“ von der Funktechnik am Funkgerät dem sendenden Funker durchgeben: qsa 1 qso ? = „Ich empfange Sie nur schwach mit Lautstärke 1, können Sie nicht Ihre Sendestärke erhöhen?“ Bei diesem Vergleich zwischen psychischer und technischer Übermittlung wird deutlich, dass wir bei dem Phänomen der Telepathie vor einem Wunder der Schöpfung stehen. Was der Mensch mit einer komplizierten Apparatur von Sender und Empfänger und unter Aufwendung großer Energien nur mangelhaft fertig bringt, das bewerkstelligen zwei aufeinander abgestimmte Menschen mühelos. Wird hier nicht wieder sichtbar, wie das Geschöpf aus der Werkstatt Gottes das technische Gemächte aus der Werkstatt des Menschen weit überragt?

Aus der parapsychologischen Literatur sind zu dem obigen Beispiel eine Reihe guter Parallelen vorhanden. Eines der besten wird von Tischner (Seite 73) erwähnt. Dr. von Wasielewski pflegte mit einem Mädchen über die Entfernung von Thüringen nach der Riviera (1000 km) telepathischen Austausch. Die angestellten Versuche können als gut gelungen angesehen werden.

Der Mediziner wird zunächst an der Tatsache hängen bleiben, dass das Mädchen durch die Hypnose des Nervenarztes von der telepathischen Hörigkeit dem Verlobten gegenüber frei wurde, doch in Zukunft mit dem Arzt seelisch verbunden war. Es ist zum Beispiel bei einer analytischen Kur eines Nervenarztes eine gewöhnlich eintretende Zwischenstufe der Therapie, dass der Patient je nach Geschlecht eine verliebte Bindung oder hasserfüllte Ablehnung zum behandelnden Arzt erlebt.
Diesen Vorgang nennt man in der Psychotherapie Übertragung. Diese Übertragung, die zuerst den Arzt in die Lage setzt, die mancherlei Komplexe des Patienten abzubauen, muss bei Beendigung der Kur aufgelöst sein. Bei dem Vorgang der Hypnose handelt es sich um einen ähnlichen Prozess. Wird durch Suggestion ein seelischer Konnex gelöst, so darf nicht ein neuer dadurch entstehen. Das wäre keine Heilung, sondern nur eine psychische Verlagerung. Wenn dem Nervenarzt die Abreaktion der Übertragung nicht gelang, so deutet dieser Endeffekt der hypnotischen Behandlung vermutlich auf eine psychische Komplikation beim Patienten hin. Die Möglichkeit einer Psychose, etwa einer Schizophrenie, in deren Verlauf zum Beispiel Geruchs- und Geschmackshalluzinationen auftreten, entfällt, da die Patientin von einem Psychiater ohne Befund auf diesem Gebiet untersucht wurde. Einen endgültigen medizinischen Befund zu erarbeiten, geht über den Rahmen dieser Untersuchung hinaus. Außerdem bleibt das dem Facharzt vorbehalten.

Dem Seelsorger genügt bei diesem Beispiel die Feststellung, dass langjähriges Experimentieren mit telepathischen Versuchen den Experimentator aus dem seelischen Gleichgewicht bringen kann. Das zeigt sich an dem Mädchen, das durch jahrelange Übung regelrecht eine mediale Fähigkeit für Telepathie erwarb. Ferner wurde mir das durch einen Arzt bestätigt, der 18 Monate lang auf diesem Gebiet experimentierte und die ungünstigen Auswirkungen auf das Seelenleben an sich selbst beobachtete.

c. Das Hellsehen

„Unter Hellsehen verstehen wir die außersinnliche Erfahrung von objektiven Tatbeständen, von denen jeweils kein Mensch Kenntnis hat, unter Ausschluss der bekannten Sinne.“ So charakterisiert Tischner die eigentümliche Gabe einzelner Menschen, in Spontanerlebnissen Verborgenes in der Vergangenheit (Retroskopie), der Gegenwart (Kryptoskopie, Teleskopie) und der Zukunft (profane oder religiöse Prophetie) hellsichtig zu erfassen.
Wie bisher interessiert das eigentliche Phänomen des Hellsehens nur sekundär, dagegen die Person des Hellsehers primär. Nicht das parapsychologische, sondern das seelsorgerliche Problem steht hier im Brennpunkt der Erörterung. In der Seelsorge sind in Aussprachen Hellsehphänomene auf dreifacher Basis aufgetaucht. Es sind Spontanerlebnisse auf religiöser, profaner und okkulter Ebene.
Dr. Schmeïng fasst in seinem Buch alle Hellsehphänomene, ganz gleich, welchen Charakters, unter dem Begriff der Eidetik (Fähigkeit, sich Objekte od. Situationen so anschaulich vorzustellen, als ob sie realen Wahrnehmungscharakter hätten) zusammen. Unter seelsorgerlichem Aspekt ist diese Vereinheitlichung unmöglich, da die psychischen Auswirkungen dieser Hellsehphänomene völlig konträr sind. Durch einige Beispiele soll das deutlich gemacht werden.

B 18 Einer meiner Freunde ging in einer Großstadt eine große Verkehrsstraße entlang. Plötzlich mitten im Menschengewühl verlor er die Umgebung um sich her aus den Augen, aus dem Bewusstsein. Stattdessen sah er sich auf einem ihm unbekannten Friedhof. Er sah vor sich eine große Trauergemeinde, einen Geistlichen, ein offenes Grab, einen Sarg und sich selbst am Grab stehen. Nach der Grabrede des Geistlichen, die seinem verstorbenen Freund galt, sagte er auf Wunsch dessen Angehörigen ein Bibelwort und sprach einige Minuten darüber. –

Das war die Vision am hellen Tage mitten im Gewühl der Straßenpassanten. Wie lange ihm das normale Bewusstsein geschwunden war, wusste er nicht. Er sah sich nur besorgt um, ob die Passanten ihm diese Geistesabwesenheit angemerkt hatten. Er konnte nichts dergleichen feststellen. Er musste wohl während der Vision automatisch mit der Sicherheit eines Traumwandlers mit offenen Augen weitergegangen sein. Am gleichen Tage noch folgte des Rätsels Lösung. Es kam eine telegraphische Todesnachricht mit der Bitte der Angehörigen, am Grabe ihres Sohnes zu sprechen. Mein Freund reiste hin und erlebte am Grabe die gleiche Situation, die gleiche Aufstellung der Trauergemeinde, die gleiche Anordnung der Kranzspenden, den gleichen Verlauf der Grabfeier, wie er es zwei Tage zuvor 160 km davon entfernt in der Großstadt in der hellseherischen Vision gesehen hatte. Natürlich sprach er über den Bibeltext, der ihm in der visionären Schau mitgeteilt worden war.

Zur Vermeidung von falschen Schlüssen muss gesagt werden, dass mein Freund von der Erkrankung des Bekannten keine Ahnung hatte und nie vorher in seinem Leben den betreffenden Friedhof betreten hatte. Ferner ist er ein überzeugter Christ und ein bekannter Reichgottesarbeiter.

Der Parapsychologe wird bei dem vorliegenden Bericht zuerst auf zwei Fragen zu sprechen kommen. Erkrankung und Tod des Bekannten konnte telepathisch übermittelt worden sein. Das Absenden des Telegramms hatte vielleicht einen psychischen Impuls ausgelöst. Die Anlage des Friedhofs konnte z. B. von den Angehörigen des Verstorbenen als Bildtelepathie durchgegeben worden sein. Soweit reichen diese Grundbegriffe. Für die genaue Vorankündigung der Aufstellung von Trauergemeinde, Pfarrer, Sargträger, Art und Aussehen der abgelegten Kränze ist aber der Begriff der Telepathie nicht ausreichend. Da trifft also das Phänomen der zeitlichen Vorschau zu. Im zweiten Gang der Diskussion steht also dieses Phänomen des Hellsehens, die Telästhesie. Es geht hier nicht darum, die verschiedenen Hypothesen zur Erklärung der Telästhesie zu behandeln. Es genügt, sie anzudeuten. Hans Driesch meint, es könnte das Weltsubjekt oder die höhere Sicht der Verstorbenen angezapft werden. E. von Hartmann spricht vom „Telefonanschluß im Absoluten“. Der Psychologe Dr. Karl Schmeïng redet von einer feinfühligen, teleologischen Tiefenschau. Er meint, das Unterbewusstsein des Menschen könnte mit einem instinktsicheren Fingerspitzengefühl die geringfügigsten Ansatzpunkte durch „Blitzdenken“ oder „Kurzschlussdenken“ rapide zu einem Gesamtbild entwickeln oder abrunden. Mit dem Hinweis, dass es sich im Vorgesicht wohl allgemein um ein Eventual- und Ergebnisdenken handle, will er unter Ausscheidung metaphysischer und metapsychischer Möglichkeiten nur den subjektiven Charakter dieser Phänomene betont wissen. Trotz dieser streng sachlichen Basis gibt Schmeïng aber zu, dass ein ungeklärter Rest, ein unerforschtes oder vielleicht unerforschbares Faktum bestehen bleibt. Dieses Zugeständnis vom unerforschbaren, letzten Rest genügt dem Theologen.
Dieser Telos ist der Ausgangspunkt für eine theologische Betrachtungsweise des Hellsehphänomens. Dem Theologen ist bei dem vorliegenden Beispiel klar, dass die Lehre von der Eidetik den letzten Sachverhalten, wie z. B. der Vorschau prägnanter Einzelheiten, nicht gerecht wird. Das Vorgesicht von der Aufstellung der Trauergemeinde, Anordnung der Kränze, Aufstellung der Sargträger, des Geistlichen, der Leidtragenden usw. konnte nicht durch eine „Kombination auf den ersten Blick“ oder eine „seelische Momentaufnahme“produziert werden, da der spezielle Sachverhalt zwei Tage zuvor exakt in der Vision gegenwärtig war.

Dem Seelsorger ist bei dem vorliegenden Beispiel klar, dass bei solchen visionären Erlebnissen auf religiöser Basis keine psychischen Störungen eintreten, es sei denn die Anfechtung zum geistlichen Hochmut. Schmeïng schreibt dazu: „Im allgemeinen haben die Seher, deren Visionen religiösen Charakter tragen, ein Gefühl der Begnadung und Auserwähltheit, das unter Umständen maßlose Formen annehmen kann, ohne sachlich berechtigt zu sein.“ Diese Auswirkung liegt aber auf der ethischen Linie, die hier nicht zur Diskussion steht. –
Es sei hier zur Vermeidung von Missverständnissen ausdrücklich am Rande vermerkt, dass nicht jedes Hellsehphänomen, das einen religiösen Inhalt hat, auch auf religiöser, christlicher Basis entstanden ist. Es gibt unzählige Hellsehphänomene mit religiöser Tendenz, die auf okkulter oder eidetischer Basis entstanden sind. Ja, sie stehen in einem Mehrheitsverhältnis von 50 zu 1, d. h., auf eine echte christliche Vision kommen vielleicht 50 oder noch mehr okkulte oder eidetische Gesichte. Das ist eine merkwürdige Erfahrungstatsache der Seelsorge, die davon Zeugnis gibt, dass die Gegenwart mit den unübersehbaren Maria-, Christus- und Heiligenvisionen kein pneumatisches Geschehen, sondern eine okkulte, wenn nicht gar dämonische Überrumpelung erfährt. Diese seelsorgerliche Beobachtung wird von dem Psychologen Schmeïng wenigstens im Vordersatz bestätigt. Er schreibt: „Es ist offensichtlich, dass eine große Anzahl religiöser Erscheinungen auf eidetischer oder synästhetischer Grundlage deutbar sind.“ Hier gibt der Psychologe dem Theologen in seinem Kampf gegen die Wundersucht und gegen einen eidetisch oder magisch bedingten Mystizismus wertvolle Hilfestellung.

Neben den Hellsehphänomenen auf religiöser Basis ist das profane Vorschau-Erlebnis viel häufiger. Oft handelt es sich bei diesen Phänomenen um vage Zukunftsprophezeiungen, oft überrascht solche profane Prophetie durch ihre große Treffsicherheit und präzise Genauigkeit oder Erfüllung. Im allgemeinen darf wohl gesagt werden, dass in der Volkspsyche viele Versager neben einem Treffer nicht ins Gewicht fallen. Es wird aus diesem Grunde dem Vorschau-Erlebnis viel zu große Bedeutung beigemessen. Andererseits haben die profanen Prophezeiungen oft so zweideutigen Charakter, dass sich die Erfüllung immer aus den doppelsinnigen Angaben herauslesen lässt. Einige Beispiele sollen die Charakteristik des Vorschau- und Nachschau-Erlebnisses deutlich machen.

B 19 1934 veröffentlichte ein Mann per Rundbrief, der mir damals im gleichen Jahr noch in die Hände kam, hellseherische und wahrsagerische Erlebnisse. Er schrieb in einem visionären Stil, dass das deutsche Heer in einem atemberaubenden Tempo Polen und Frankreich überrennen werde. Fünf und sechs Jahre später ist diese „Vorschau“ eingetroffen.
Bei der Erklärung dieser Telästhesie könnte Schmeïng mit seiner Deutung recht haben. Vielleicht hatte jener wahrsagende Mann ein feines politisches Fingerspitzengefühl besessen, das er im „Blitzdenken“ weiterentwickelt hatte. Es muss hier keineswegs ein außersinnlicher Wahrnehmungsakt vorliegen.

E 5 Noch interessanter ist ein Fall der Literatur. Ein Hauptmann hatte 1914 eine Vorschau. Er sah die Entwicklung des 1. Weltkrieges richtig. Vor allem erkannte er schon vier Jahre zuvor den Zusammenbruch Deutschlands auf das Jahr 1918 und die Abdankung des Kaisers. Das Wichtigste an dem Gesicht ist der Satz: „Russland erwacht und streitet mit Amerika um den Besitz der Zukunft.“ Da das Buch, in dem diese Wahrsagung steht, bereits 1923 erschienen ist, handelt es sich bei dieser politischen Voraussage nicht um ein Vaticinium ex eventu. Abgesehen davon ist die Niederschrift des Gesichtes 1915 vom Prinzen Friedrich Wilhelm gelesen worden. Im Atlas der deutschen Volkskunde ist übrigens eine ähnliche Prophezeiung zu lesen.

E 6 Neben diesen Spontanerlebnissen, die keine psychischen Störungen hervorrufen, gibt es Menschen mit dem „zweiten Gesicht“, die diese Fähigkeit oft unter Beweis stellen. Bekannt ist der deutsche Dichter Heinrich Zschokke, der oft im Leben eines ihm fremden Menschen wie in einem Buch lesen konnte. Bei ihm handelt es sich nur um Nachschau-Erlebnisse, die sich durch Telepathie erklären lassen.
Unter den Trägern dieser Fähigkeit des „zweiten Gesichts“ gibt es solche, die ihre Gabe interessant und als eine gewisse Begnadung ansehen und keineswegs darunter leiden. Es gibt aber auch solche – und es sind nach dem Bild der seelsorgerlichen Aussprachen die meisten -, deren Nervensystem stark dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. Schmeïng berichtet z. B. von einem Bauern, der noch im Jahr 1933 eine erhebliche Geldsumme dafür zahlte, dass ihm das Vorschauen von Todesfällen abgenommen wurde.

Wenn die Erlebnisse der Vorschauer unter parapsychologischen und psychologischen Gesichtspunkten beurteilt werden, so lässt sich dieses Phänomen abgesehen von dem „unerforschbaren Rest“ mit der Telepathie und Eidetik erklären. In seelsorgerlicher Hinsicht sind die vereinzelten Spontanerlebnisse meistens ohne psychische Auswirkung. Nur die typischen Vertreter des „zweiten Gesichts“ empfinden oft nach ihren Gesichten eine körperliche Erschlaffung und nervöse Erschöpfung. In den Fällen, bei denen die Eidetik mit magischer Praxis gekoppelt ist – eine sehr häufige Erscheinung -, treten schwere psychische Störungen auf. Das führt schon hinüber zu dem Phänomen des Hellsehens auf okkulter Grundlage. Dazu einige Erlebnisse aus der Seelsorge:

B 20 Ein typischer Fall von der Koppelung von Eidetik und Magie bot sich in der okkulten Praxis eines bekannten Schäfers. In einer Reihe von seelsorgerlichen Aussprachen wurde dieser Mann mir als Vorschauer, Vorbrandbanner, Viehbesprecher, Krankheitsbanner und Wahrsager bekannt. Er hat um seiner okkulten Fähigkeiten willen einen großen Zulauf. Weil er seine verhängnisvolle, okkulte Tätigkeit mit Bibelsprüchen verbrämt, gilt er teilweise als frommer Mann. Das ist immer der Höhepunkt der dunklen Geschäfte, dass die Leichtgläubigen durch die christliche Fassade getäuscht werden. Ein Beispiel soll in die Praxis des Mannes einführen.

Auf der Weide sah der Schäfer plötzlich in großer Wirklichkeitstreue den Hof eines Dorfbewohners in Flammen stehen. Das Vorgesicht war so lebhaft, so drastisch, dass der Schäfer dem betreffenden Hofbesitzer erklärte: „Innerhalb von vier Jahren brennt dein Haus ab. Wenn du aber das Feuer bannen willst, dann gib mir ein abgetragenes Hemd von dir, in das ich das Feuer wegbannen werde.“ Der Angeredete lachte über dieses Gesicht und die angebotene magische Abwehr. Er lehnte ab. Vier Jahre später brannte sein Hof tatsächlich ab, ohne dass etwa die Polizei die Täterschaft des Schäfers feststellen konnte. Es wäre ja immerhin möglich gewesen, dass er sich durch Brandstiftung in seinem Ruf als Vorschauer hätte festigen wollen. Schmeïng berichtete ja auch von solchen Zwecknutzungen der Vorgesichte. Ein Gutsbesitzer z. B. brannte unter Ausnützung eines Vorbrandgesichtes sein Gehöft selber nieder, um dessen finanzielle Lage zu verbessern.

Der Parapsychologe erkennt in diesem Beispiel zwei Phänomene: Erstens die Telästhesie = die Schau des kommenden Brandes, zweitens das Angebot der magischen Abwehr. Hier wird das Gebiet der sogenannten Weißen Magie berührt, das noch behandelt werden wird.

Der Psychologe Schmeïng sieht hier einen der typischen eidetischen Fälle. Er schildert in seinem Buch, wie solche Vorbrandgesichte das Bannen des Feuers, das sogenannte „Wegversetzen“ in einen Teich oder einen Baum oder einen Stein auslöst. Es gibt in dem von ihm erforschten Gebiet eine Menge „Brandsteine“, „Brandbäume“ oder „Vorbrandseen“.Das „Wegversetzen“ soll das durch das Gesicht gefährdete Objekt vor dem Feuer feien.

Aus der Seelsorge sind mir ähnliche Geschichten bekannt, wie sie Schmeïng in seinem Buch berichtet. Im süddeutschen Raum nimmt man als Bannobjekt nicht Bäume und Steine, sondern ein abgetragenes Hemd des durch das Vorgesicht bedrohten Mannes. Der Feuerbanner trägt dieses Hemd, oder er gräbt es in das Erdreich ein. Ferner werden als Bannobjekte sogenannte „Brandbriefe“ gebraucht, die auf den obersten Balken des Hauses gelegt werden. In seelsorgerlicher Hinsicht erhielt ich durch den oben erwähnten Schäfer bedeutsame Aufschlüsse. Seit 15 Jahren bekomme ich immer wieder Menschen zur Aussprache, die sich von dem Schäfer okkult beraten oder behandeln ließen. Im einzelnen ergab sich für die vorliegende Untersuchung folgende wichtige Ausbeute:

B 21 Eine Frau, die sich von dem Schäfer besprechen ließ, geriet von diesem Tag an in schwere seelische Anfechtungen. Sie fühlte sich wie von Furien gehetzt. Nie vorher in ihrem Leben hatte sie solche Empfindungen.

B 22 Ein junger Mann wurde von dem Schäfer besprochen und tatsächlich dadurch von einer organischen Erkrankung geheilt. Von dieser Zeit an aber hatte er Tobsuchtsanfälle, Lästergedanken gegen Gott und Jesus Christus und eine abnorme sexuelle Verwilderung.

B 23 Eine Familie ließ sich von dem Schäfer einen Diebstahl aufdecken und sonst noch das Vieh besprechen. Von dem Tag der okkulten Beratung und Hilfe beobachteten die Hausbewohner seltsame Spukerscheinungen in ihrem Haus.
So könnte die Reihe dieser Schäferaktionen fortgesetzt werden. In allen Fällen, die mir in den letzten 15 Jahren in der Seelsorge durch die Beichte der Betroffenen bekannt wurden, löste die okkulte Behandlung durch den Schäfer ganz schwere seelische Störungen aus. Das Merkwürdigste bei der okkulten Praxis dieses Mannes ist, dass ein Teil der von ihm behandelten Menschen plötzlich selbst hellsichtig werden und gewisse Spukerscheinungen sehen.
Das lässt sich psychologisch leicht dadurch erklären, dass der Schäfer mit seiner okkulten Heilbehandlung das Unterbewusstsein des Hilfesuchenden anspricht und dort selbst die Kräfte des Unterbewusstseins weckt und mobil macht. Es taucht hier das in der Seelsorge an okkult Behafteten oft beobachtete Phänomen auf, dass okkult Besprochene selbst hellsehend werden. Es handelt sich bei dieser Art von okkult bedingtem Hellsehen nicht um einen metaphysischen Vorgang, sondern um eine Aktivierung und Manifestierung der vorher latenten Kräfte des Unterbewusstseins. Diese Mobilisierung der unterbewussten Kräfte durch einen Besprechungsakt wirkt sich auf das Seelenleben des Betroffenen lähmend, störend und deprimierend aus. Ja, es entstehen in vielen Fällen sogar Abspaltungen, die dann als Spukerscheinungen beobachtet werden. Die seelsorgerlich fast immer zutage tretende Tatsache von der Kombination von Eidetik und Magie soll nun in einem geradezu klassischen Fall dokumentiert werden.

B 24 Ein Mann, der Konstitution nach ein nordischer Typ, hochwüchsig, blond, mit blauen Augen, herb und verschlossen, bekam Jahre hindurch immer Nachschaugesichte. Er konnte am hellen Tag auf der Straße plötzlich seinen Schritt hemmen, wurde ganz geistesabwesend, das Gesicht bleich, das Mienenspiel erstarrt, und sah dann einen Leichenzug die Straße daherkommen. Oft waren es Gestalten mit der Kleidung der Gegenwart, manchmal auch mit Trachten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Autos und Wagen fuhren durch die Leichenzüge hindurch, ohne dass der Geisterzug auswich. Die Gestalten warfen keinen Schatten. Es waren keine starren Bilder ähnlich den Fotografien, sondern bewegliche, lebensnahe Gestalten. Wurde der Schauer im Augenblick der Erstarrung mit Namen angerufen, dann verschwand der kataleptiforme Zustand, und er konnte dann von seinem Gesicht berichten.

Diese Nachschau- oder Vorschaugesichte waren für den Mann stets ein nervenaufreibendes Erlebnis. Hinterher stellte sich eine seelisch- leibliche Erschlaffung ein. Neben der Schau der Leichenzüge sah er auch oft sogenannte „Wiedergänger“. Er geriet dabei ebenfalls in Erstarrung, sah z. B. einen guten Bekannten, der Jahre zuvor gestorben war. Redete der Schauer den Verstorbenen an, dann verschwand das Phantom. Gelegentlich beobachtete er auch Wiedergänger bei einer zu ihren Lebzeiten typischen Beschäftigung. Er konnte z. B. einen ehemals geizigen Bauern beobachten, wie er seine Holzscheite vor dem Haus zählte, so wie es der Betreffende zu Lebzeiten immer getan hatte, um sich gegen Diebstahl zu sichern. Die meisten dieser Gesichte traten nicht in der Dämmerung auf, sondern am hellen Tage. Als eines seiner interessantesten Erlebnisse sei folgendes mit ausdrücklicher Veröffentlichungsgenehmigung hier wiedergegeben.
Eines Morgens stand der Schauer in seinem Arbeitsraum. Da ging die Tür auf, und ein ehemaliger Kriegskamerad trat ein. Der Schauer begrüßte ihn sehr herzlich. Da der Angeredete aber mit fahlem Gesichtsausdruck die Antwort schuldig blieb, erschrak der Schauer, und es fiel ihm ein, dass dieser Kamerad 22 Jahre zuvor im Kriege gefallen war. Da fing dieser Wiedergänger sogar zu reden an und sagte zu ihm: „Du bist mit schuld daran, dass ich bei den Unseligen am Ort der Qual bin. Du hättest mich warnen können. Damit es aber meiner Frau nicht geradeso geht wie mir, suche sie auf und sage ihr, sie solle sich bekehren. Sie kommt sonst auch an den Ort der Qual.“
Mit dieser Aufforderung verschwand der Wiedergänger. Der Schauer war sich nun bewusst, dass es sich um eines der üblichen Gesichte, nur mit besonders starker Ausprägung handelte. Er ging daraufhin zu seinem Ortspfarrer und fragte ihn, was er mit dieser Aufforderung machen sollte. Der Geistliche riet ihm, den Auftrag auszuführen. Die Frau war von dieser Erscheinung ihres Mannes sehr bewegt. Sie ging in sich und wurde von da an eine eifrige Bibelleserin und treue Besucherin der Gottesdienste.

Die Auswertung dieses Beispiels liefert uns im Rahmen unserer Untersuchung wertvolles Material. Darum folgt hier eine etwas eingehendere Besprechung dieser Geschichte. Die Grundlage für diese Besprechung ist eine für diesen Fall gründlich durchgeführte Familienforschung durch vier Generationen hindurch.
Nachdem eine kleine Charakteristik der äußeren Konstitution des Schauers bereits gegeben ist, folgt hier die medizinische Anamnese. Bei dem Schauer liegen seit der Kindheit keine organischen oder nervösen Leiden vor. Im Alter wechselnd rheumatische Beschwerden.
In psychischer Hinsicht ist eine gewisse depressive Veranlagung festzustellen. In der Jugend neigte der Schauer zur Schwermut und zu Selbstmordgedanken. Diese Stimmung der Lebensüberdrüssigkeit schwand, als der Schauer sich dem Christentum zuwandte. Diese depressive Stimmung hatte ihre Wurzel nicht in einer nachweisbaren Psychoneurose, Organneurose oder organischen Erkrankung, sondern in einer okkulten Behaftung, wie wir noch hören werden.

Die okkulte Anamnese ist in diesem Fall bedeutsam. Die Großmutter des Schauers hat mit Hilfe des 6. und 7. Buches Moses Vieh besprochen, Krankheiten gebannt, Schwarze und Weiße Magie betrieben und anderes mehr. Diese Frau hat ihr ganzes Geschlecht durch vier Generationen magisch infiziert. Kinder, Enkel und Urenkel hatten alle mit Lebensüberdruss, Selbstmordgedanken, mit seltsamen Hellsehphänomenen und mit der Fähigkeit des „zweiten Gesichts“ zu tun. Ferner ist die Charakteristik dieses Geschlechtes die Verbiegung des Charakters, die Retroversion aller seelischen Beziehungen. Die Abkömmlinge dieses Geschlechtes sind zum großen Teil abgekapselte, egozentrische, ungesellige, gefühllose, harte Naturen.

Wenn nun das Erlebnis mit dem Auftrag des Wiedergängers kritisch unter die Lupe genommen werden soll, so mag erst der Parapsychologe zu Wort kommen. Der Anhänger des Spiritismus wird in der Erscheinung des Kriegskameraden die Bestätigung der spiritistischen Hypothese sehen. Diese Annahme ist aber nicht erforderlich. Solange noch rationales Verstehen möglich ist, braucht keine Flucht ins Suprarationale erfolgen. Die animistische Erklärung genügt hier vollauf zum Verständnis des Vorgangs. Bei dem Schauer können in das Unterbewusstsein abgedrängte Schuldgefühle, die er dem Kameraden gegenüber empfunden hat, plötzlich durch die Hypermnesie (abnorm gesteigerte Gedächtnisleistung (z. B. in Hypnose), die als das bekannte Steigrohr des Unterbewusstseins fungiert, wieder ins Bewusstsein aufgestiegen sein. Dieser vom Unterbewusstsein kommende Schuldkomplex gibt dem Gehirn einen Impuls, der zu einer vom Gehirn aus rücklaufenden Energie den Anstoß gibt. Diese rückwärtslaufende Energie erzeugt außerhalb der Person etwas Sehbares, Hörbares, Tastbares, Riechbares, Schmeckbares. Es liegt hier also eine Umkehrung der entsprechenden Sinnesempfindungen vor. Diese sogenannte Reversibilitätstheorie ist von L. Staudemeier, der Professor der Chemie an der philosophisch-theologischen Hochschule in Freising war, entwickelt worden. Auch ohne diese Theorie ist bekannt, wie Menschen mit lebhafter Vorstellungsgabe wie Maler, Künstler, Bildhauer ihre intuitiv erfassten Ideen plötzlich als wirklichkeitstreue Materie vor sich sehen. Sie brauchen dann die „Materialisationen“ ihrer eigenen Ideen nur nachzubilden. Solche Fähigkeit, eine geistige Vorstellung nach außen zu projizieren und sie wieder als Objekte zu sehen, wird von dem Dichter Otto Ludwig, dem Schriftsteller Gustav Frenssen, dem englischen Maler William Blake und anderen berichtet.

Noch mehr wird dieser genuine Fall des „zweiten Gesichts“ den Psychologen interessieren. Die Erlebnisse dieses Schauers tragen die echten Merkmale der Eidetik. Die Lehre des sogenannten eidetischen Sehens ist von Prof. Jaensch (Universität Marburg) entwickelt worden. Unter Eidetik versteht man die Fähigkeit, Gesehenes als Nachbilder wieder physisch vor sich zu sehen. Um es in einem Beispiel deutlich zu machen: Wer einen Gegenstand 1 Minute lang fixiert und dann nach dem Wegsehen oder Ausschalten der Lichtquelle das fixierte Objekt weiter als Nachbild vor sich sieht, der ist ein Eidetiker. Bei vielen jugendlichen ist das eidetische Sehen eine normale Erscheinung. Bei Erwachsenen ist diese Fähigkeit selten. Dr. Schmeïng will nun auf das Forschungsergebnis von Jaensch aufbauend den Nachweis führen, dass auch die Vorgesichte, d. h. Hellsehphänomene, und die Gesichte der „Spökenkieker“ eidetischer Natur sind. Er unterscheidet wie Jaensch einen basedowoiden B-Typus und einen tetanoiden T-Typus. Der B-Typus ist gekennzeichnet durch große, glänzende Augen; er ist lebendig, aufgeschlossen, gesprächig, zutraulich. Er ist der integrierte Typus mit einem guten Zusammenspiel aller körperlich-seelischen Funktionen. Der B-Typus entwirft bewegliche, lebhafte, urbildmäßige Nachbilder, die er auch lange später noch willkürlich wieder erzeugen kann. Der B-Typus kann also einmal im Leben Gesehenes reproduzieren, aus sich heraus projizieren und wieder formentreu, beweglich und plastisch vor sich sehen.
Der T-Typus ist gekennzeichnet durch ein glanzloses, zurückliegendes Auge und einen verkniffenen Gesichtsausdruck. Seine Bewegungen sind eckig, kantig, linkisch. Er ist verschlossen, misstrauisch, ängstlich, unsicher, ungesellig. Er ist ein desintegrierter Typus mit schlecht abgestimmtem Zusammenwirken der psychosomatischen Funktionen. Seine eidetischen Bilder sind unbeweglich, starr, flächenhaft wie Fotografien und erscheinen nur in den Komplementärfarben. Die Gesichte werden als lästig und bedrückend empfunden und überfallen oft den Schauer spontan ohne und gegen dessen Wollen und ohne jegliche vorherige seelische Einstimmung.

Die beiden Typen kommen selten rein vor. Jugendliche und mitunter Künstler gehören vorwiegend dem B-Typus an. Erwachsene Vorschauer sind gewöhnlich T-Typen. Der Vorschauer, dessen Erlebnisse hier zur Diskussion stehen, ist ebenfalls der starre depressive T-Typus, aber mit B-Einschlag, da seine Gesichte bewegliche, urbildmäßige Bilder aufweisen. Im übrigen treten bei diesem Schauer ganz typische eidetische Züge auf: Die Erstarrung im Moment des Gesichtes, die Spontaneität der Gesichte bei der Arbeit am hellen Tage, die Lösung aus der kataleptiformen Starre bei Namensanruf, das bedrückende Gefühl nach dem Erlebnis, die charakteristische Beobachtung der Wiedergänger bei einer für sie typischen Beschäftigung. Schmeïng berichtet ähnliches von zwei Wiedergängern. Ein alter Mann erscheint regelmäßig und holt sich ein Buch vom Regal. Ein Müller zählt nachts in seiner Mühle die Säcke. Die Söhne des Verstorbenen beobachten diesen Vorgang und stören sich nicht mehr dabei. – Ein besonderes Merkmal für die Intensität der Gesichte des Sehers in unserem Fall ist das Gespräch mit dem gefallenen Kriegskameraden. Wir haben hier ein gutes Beispiel für die rückläufige Energieumsetzung auf visuellem und akustischem Gebiet. Der Schauer sieht und hört, was sein eigenes Unterbewusstsein ihm inszeniert. Der Eidetiker besitzt also die Fähigkeit, Komplexe des Unterbewusstseins nach außen zu projizieren und dann die Projektion mit sinnlicher Schärfe und Bestimmtheit unter Ausschaltung des Willens passiv zu erleben. Allerdings kann auf diesem Weg nur das Phänomen der Retroskopie erklärt werden. Die rationale und psychologische Auflösung der profanen Prophetie bereitet erheblich mehr Schwierigkeiten. Schmeïng musste auf diesem Gebiet ja den bereits bekannten Kompromiss vom unerforschbaren Rest eingehen.

Die Seelsorge hat zu dem Fall dieses Schauers einen gewichtigen Beitrag zu liefern. Bedeutsam ist wie in B21 die okkulte Wurzel des „zweiten Gesichts“. Die Großmutter des Schauers hatte eine magische Praxis. Ihre Nachkommen entwickelten bei ähnlicher okkulter Beschäftigung immer deutlicher das Phänomen des „zweiten Gesichts“. Die Tochter hatte noch keine ausgesprochene eidetische Prägung, aber sonst Merkmale einer okkulten Behaftung. Der Enkel war bereits Seher, aber einer, der nur Nachschaubilder und keine Vorgesichte hatte. Eine Urenkelin hatte dann auch Vorschaugesichte. Sie sah einmal den Tod ihres Kindes voraus, der bald darnach eintrat. Ein anderer Urenkel hatte auch eine sehr lebhafte eidetische Veranlagung, der er aber mit Macht entgegenstrebte. Der vorliegende Fall ist eines von den vielen Beispielen, die zeigen, wie das Besprechen in der Nachkommenschaft Hellseher und Eidetiker hervorbringt. Schmeïng hat selbst in seinem Buch viele Beispiele erzählt, in denen das „zweite Gesicht“ mit dem Brauch des Bannens gekoppelt ist, ohne in dieser Kombination tiefere Zusammenhänge zu sehen.

Das zweite seelsorgerliche Anliegen dieses Falles ist die Frage: War der Rat jenes Pfarrers richtig? Vermutlich ließ sich doch jener Pfarrer durch den religiösen Inhalt des Gesichtes dazu verleiten, dem Seher den Rat zu geben, diesen seltsamen Auftrag des Wiedergängers auszuführen. Der Psychotherapeut wird unter Umständen vielleicht diese Entscheidung bejahen, weil er damit die Auflösung des Schuldkomplexes gewährleistet sieht. Es geht ja in der Psychotherapie immer darum, Komplexe aufzudecken, zu entwirren und abzubauen. Ich möchte trotzdem aus drei Gründen diese Entscheidung in Frage stellen. Zunächst wird vom Neuen Bund her abgelehnt, dass Verstorbene als Boten Gottes gesandt werden. Auf eine derartige Bitte erhielt der reiche Mann in Lukas 16 die Antwort: „Sie haben Mose und die Propheten; auf diese sollen sie hören!“ Das NT lehnt also Botschaften durch Verstorbene mit dem Hinweis ab, dass die Lebenden das Wort Gottes haben. Da können sie sich orientieren. Zweitens bin ich gegen die Annahme solcher Aufträge, da ich aus vielen ähnlichen Beispielen den Fortgang solcher rätselhaften Geschichten kenne. Der erste Auftrag ist vernünftig. Der zweite Auftrag ist weniger vernünftig. Der dritte ist unvernünftig. Der vierte ist widersinnig usw.. So steigern sich die Aufträge, bis der geplagte Seher in einer Zwangsneurose steckt und die unsinnigsten Befehle ausführen muss. Ich habe die Entwicklung von solchen Anankasten (jemand, der unter Zwangsvorstellungen leidet) von ihrem Anfangsstadium an verfolgt und bin der Meinung, dass solche Aufträge von Anfang an nicht anzunehmen sind, wenn sie auch noch so sehr mit einem bekannten religiösen Inhalt übereinstimmen. Der dritte Grund für die Ablehnung derartiger Aufträge ist die Tatsache, dass der Christ nicht den Auftrag eines Wiedergängers braucht, um seine Schuldgefühle abzureagieren. Dazu gibt es biblisch einen ganz anderen Weg, den Weg zu Jesus Christus.

Das dritte seelsorgerliche Anliegen bei diesem Beispiel ist die Frage, ob der Seher von seinen Gesichten, die immer mit einer gewissen depressiven Stimmung und nervösen Erschöpfung einhergehen, befreit sein will. Bekannt ist, dass die Gabe des „zweiten Gesichts“ abnimmt oder zunimmt, je nachdem sich der Seher seiner Fähigkeit überlässt oder ihr entgegenwirkt. Ferner wird auch dauernd beobachtet, dass mit zunehmendem Alter die Gabe langsam verschwindet. Allerdings gibt es Seher, die ihre Gabe bis ins hohe Alter erhalten haben. Schmeïng berichtet auch von einem solchen 86jährigen Vorschauer. In unserem Fall war es so, dass die Gesichte des Schauers dauernd zunahmen, obwohl er ihnen widerstrebte und niemandem etwas davon erzählte. Nur die eigene Frau und der Ortspfarrer in dem einen bekannten Fall wussten von seiner Gabe. Der Schauer war mit seinen Gesichten übel geplagt. Er sah nicht nur die Leichenzüge auf der Straße, nein, in allen Häusern und Winkeln, auf Bäumen, Äckern und Wiesen, überall, wo er stand und ging, sah er Geister der Abgeschiedenen. Der Schauer kam dadurch in eine Angststimmung. In diesem Zustand hatte er eine seelsorgerliche Aussprache mit mir. Nachdem sowohl er als auch seine Frau durch verschiedene Aussprachen den Weg zu Jesus Christus gefunden hatten, stellte ich die Frage, ob er wirklich von seiner hellseherischen Gabe frei werden wollte. Nach bejahender Antwort verwies ich auf den Bibelvers Matthäus 18, 19: „Wenn zwei von euch auf Erden übereinkommen über irgend eine Sache, für die sie bitten wollen, so soll sie ihnen zuteil werden von meinem Vater im Himmel.“ Wir vereinigten uns zusammen mit der Ehefrau im Gebet, dass Gott ihn von der Gabe der Geisterseherei befreien möchte, weil das Nervensystem des Mannes sehr darunter litte. Wir wurden erhört! Seit jenem gemeinsamen Gebet im Jahr 1938 hatte der Mann nie mehr Gesichte gehabt. Er war von seiner hellseherischen Fähigkeit, die gewiss keine Begnadung, sondern der Fluch und der Bann des Besprecherunwesens seines Geschlechtes war, endgültig befreit.

d. Das Hellfühlen

Ein weiterer Fall der Hyperästhesie ist das Hellfühlen. Es handelt sich bei den in der Seelsorge bekannt gewordenen Beispielen um eine irrationale Diagnose von Krankheiten. Verschiedene Typen sind in der Seelsorge in Erscheinung getreten. Einige Beispiele sollen in die Problemlage einführen.

B 25 Ein Mann in einer ostdeutschen Universitätsstadt der Vorkriegszeit wurde durch seine verblüffende Sicherheit in der Stellung von Krankheitsdiagnosen bekannt. Er bediente sich bei seinen Diagnosen keiner medizinischen Hilfsmittel wie Perkussion, Auskultation, Harn- und Stuhluntersuchung, Bestimmung des Blutbildes, röntgenologische Untersuchung, EKG-Bestimmung usw., sondern legte nur seine Hand auf die Hand des Kranken, konzentrierte sich auf ihn und sagte dann die Diagnose, die in allen nachkontrollierten Fällen mit der Diagnose der Universitätsklinik übereinstimmte. Manchmal wollten Ärzte, um seine Fähigkeit zu überprüfen, ihn täuschen. Es gelang aber nicht.

B 26 Eine weitere parapsychologische Diagnosestellung ist die Ermittlung der Krankheiten durch das „Kristallsehen“. Ein Schwarzwälder Bauer ist mir bekannt, der auf diese Weise seine Patienten berät. Die Diagnosen dieses Hellsehers sind im Gegensatz zu B 25 nicht immer zutreffend.
B 27 Seit 20 Jahren ist mir die unheilvolle Praxis von zwei Brüdern bekannt, die ohne Berührung mit den Patienten durch einfache Konzentration mit großer Sicherheit Diagnosen stellen und dann homöopathische Heilmittel verordnen.
B28 Eine vierte Art der Diagnosestellung wurde mir in der Praxis von Pendlern und Rutlern (= Rutengänger) bekannt. Mehrmals ließ ich mir diesen Vorgang der Ruten- oder Pendeldiagnose von einem Pendler erklären. Die Rute oder der Pendel wird gegen den Körper des Patienten gehalten. An der Stelle des kranken Organs schlägt die Rute oder der Pendel aus.
B 29 Eine fünfte Art der parapsychologischen Diagnose ist das Herauspendeln der Medikamente. Hier verzichtet der Pendler auf die Feststellung der Krankheiten, es geht nur um die Bestimmung des richtigen Medikaments. Ein mir bekannter, angesehener Pendler, der zugleich Spiritist, Heilpraktiker, Magnetopath ist, also eine Reihe von okkulten Funktionen ausübt, besitzt eine quadratische Medikamentenkiste mit 225 (15 x 15) Fächern und Medikamenten. Über den Fächern ist ein Pendel angebracht. Der hilfesuchende Patient bringt mit seiner Hand den Pendel in Schwingung. Nach dem Ausschlag erhält er das für seine Krankheit geeignete Medikament.
B 30 Eine sechste Art der Krankheitsfeststellung ist das Abpendeln von Abbildungen des menschlichen Körpers und der einzelnen Organe. Während die linke Hand des Pendlers auf der Hand des Patienten liegt, führt die rechte Hand des Pendlers den Pendel. Über dem kranken Organ macht der Pendel Kreisbewegungen. Dieser Vorgang entspricht im Prinzip dem Fotopendeln, das noch besprochen werden wird.
In parapsychologischer Sicht tauchen hier verschiedene Phänomene auf, die nicht alle unter die Rubrik des Hellfühlens gehören. Sie wurden hier nur zusammengefasst, weil sie sich alle auf die Diagnose von Krankheiten konzentrieren. – Ein merkwürdiges Phänomen ist ohne Zweifel B 25. Handelt es sich bei diesem Hellfühlen um einen psychometrischen Vorgang in Analogie zum psychometrischen Hellsehen, da der Hellfühler zuerst durch Berühren der Hand des Patienten einen Kontakt herstellt und dann sich in die Situation der Erkrankung einfühlt? Oder gilt hier Baerwalds Hypothese, dass es sich bei jeder Form von Psychometrie um „verkappte“ Telepathie handelt? Es soll hier noch keine Antwort erfolgen, sondern nur die Fragestellung angedeutet werden. – Auf eine andere Ebene führt die Diagnosestellung durch das Kristallsehen. Tischner behandelt dieses Phänomen als einen sensorischen Automatismus. Er nennt die Produkte des Kristallsehens bedeutungslose Phantasien. Er gesteht aber zu, dass daneben auf diese Weise auch echt übernormale Tatsachen ans Licht kommen. Außer der üblichen Erklärung als Steigrohre des Unterbewusstseins weiß er bei diesem Phänomen nichts hinzuzufügen. – Noch einen Schritt weiter in dieser Untersuchung führt B 27. In der seelsorgerlichen Praxis haben mir diese beiden Brüder schon viel Not verursacht. Diese beiden Hellfühler wurden seit vielen Jahren von Tausenden von Patienten konsultiert. Wie kommt diese treffsichere Diagnose dieser beiden Nichtmediziner zustande? Mit dem Hinweis auf Scharlatanerie oder auf ein allgemeines, gutes Einfühlungsvermögen oder eine überdurchschnittliche Menschenkenntnis kommen wir hier nur ein Stück weit vorwärts, aber nicht zum letzten Ziel. Nach Beobachtung vieler seelsorgerlicher Fälle kann diese Hellfühligkeit als eine mediale Veranlagung dieser Laienheilkundigen angesehen werden. Der Hellfühler ist genau wie ein Medium imstande, das Unterbewusstsein einer anwesenden Person anzuzapfen. Das nächste Problem, das bei dieser Deutung entsteht, ist die Frage, ob aus dem Unterbewusstsein eines Menschen seine Krankheit überhaupt abgelesen werden kann.
Um eine Antwort zu finden, lassen wir zuerst einen Mediziner, Prof. Dr. med. Brauchle, zu Wort kommen. Der Mensch ist seiner psychischen Struktur nach eine dreigestaffelte Einheit von Oberbewusstsein (OB), Unterbewusstsein (UB) und Organisch Unbewusstem (OU). Dem Oberbewusstsein, dem Gipfel dieser Kräftepyramide, fällt vor allem die Kraft der willensmäßigen Betätigung zu. Das OB hat auf das UB und OU keinen direkten Einfluss. Das UB ist ein seelischer Kräftespeicher. Es ist vor allem als der Motor der Phantasietätigkeit gekennzeichnet. Die tiefste Schicht, die älteste Kraft, die Basis dieser Kräftepyramide ist das OU. Unter diesem Terminus werden alle eigengesetzlichen Körperfunktionen wie Herzschlag, Drüsentätigkeit, das Gefäßspiel, die innere Verbrennung, Ausscheidung und Entgiftung zusammengefasst. „So wie zwischen OB und UB ein wechselseitiger Austausch besteht, in dem Sinne, dass vergessene oder abgedrängte Erlebnisse im UB bewahrt oder von hier aus Erinnerungen und Einfälle dem Bewusstsein zur Verfügung gestellt werden, bestehen auch gegenseitige Beziehungen zwischen dem seelisch Unterbewussten und dem OU.“ Diese Beziehung zwischen dem UB und OU wird sichtbar in der Suggestion. Wenn z. B. in der Hypnose ein Stigma suggeriert wird, so ist im UB nur die Vorstellung des Stigmas vorhanden. Das OU nimmt dann diesen Impuls des UB auf und bringt durch eine Änderung in der Blutversorgung an einer bestimmten Hautstelle als Sekundäreffekt der Suggestion das blutige Stigma zustande. Dieser Sekundäreffekt ist sowohl als Fremdsuggestion als auch Autosuggestion möglich. – Wenn hier in Parenthese eine Randglosse vermerkt werden darf, so ist zu sagen, dass die Stigmata als religiöses Phänomen durchaus medizinisch zu erklären sind und nicht als Wunder Gottes angesehen werden müssen. – Brauchles Lehre von den Beziehungen der einzelnen Stufen der Kräftepyramide ist im Blick auf das Verständnis von seelischen Erkrankungen, vor allem aber in der Seelsorge an okkult Behafteten, eine Schlüsselposition ersten Ranges. Wir wissen dadurch erneut, dass rationale Vorstellungen über das UB organische Reaktionen auslösen können. Diese Feststellung, die in der Hypnose seit vielen Jahren experimental bewiesen ist und neuerdings von der psychosomatischen Schule noch weiter wissenschaftlich erforscht wurde, ermöglicht uns im Rahmen unserer Untersuchung das Verständnis der Laiensuggestion, wie sie von einem Heer von Laienbesprechern geübt wird. Dieses Besprecherunwesen wird in einem späteren Kapitel abgehandelt. Hier in diesem Abschnitt geht es um die Frage, ob der medial veranlagte Hellfühler eine zuverlässige Krankheitsdiagnose stellen kann. Diese Frage ist nur dann zu bejahen, wenn außer dem parapsychologischen Problem der Mediumität der Beweis erbracht werden kann, dass das Organisch-Unbewusste auch rückwärts dem UB Impulse übermittelt. Die erste Frage, dass das UB auf das OU reagiert, hat der Mediziner bejaht. Die zweite Frage, dass das OU auf das UB wirkt, ist bereits damit von der Medizin zugestanden, dass bei einer Reihe von seelischen Erkrankungen organische Veränderungen als Ursache angesehen werden. Die Medizin erkennt damit die vorwärts und rückwärts laufenden Beziehungen in der Kräftepyramide an. Durch zwei medizinische Beispiele soll dieser Vorgang beleuchtet werden. Zunächst ein Fall für organische Störungen auf Grund psychogener Ursachen. Bei der zweckgerichteten hysterischen Reaktion kommt es im Zusammenhang mit motorischen Funktionsstörungen zu psychogenen Lähmungen. Es fehlen bei diesen hysterischen Lähmungen natürlich Tonus- und Reflexveränderungen, fibrilläre Zuckungen und Atrophien. Allerdings tritt bei langem Nichtgebrauch der gelähmten Glieder eine Inaktivitätsatrophie auf. Ein Beispiel aus der Seelsorge kann diesen Vorgang deutlich machen.
B 31 Ein Teilnehmer des Ersten Weltkrieges erlebte während des Krieges eine unbedeutende Verschüttung, aus der er schnell befreit wurde. Der Wunsch, felddienstunfähig geschrieben zu werden und eine Rente zu erlangen, führte zu einer „Rentenneurose“ mit Lähmungserscheinungen an einem Bein. Sein doppelter Wunsch ging in Erfüllung. In der Nachkriegszeit besserte sich das Befinden des Beines rasch. Doch jedes mal beim Besuch des Vertrauensarztes hinkte der Rentner bedeutend mehr als sonst im Alltag. Die Lähmung durfte ja nicht zurückgehen, sonst würde er seine Rente verlieren. Tatsächlich hat heute das Bein durch einen 35jährigen Nichtgebrauch deutlich das Merkmal einer Inaktivitätsatrophie.
Es sind also hier die vorwärts laufenden Beziehungen vom Rentenwunsch über das UB zum OU sichtbar. Der Rentenwunsch wird von der Pyramidenspitze nach unten zur Pyramidenbasis durchgegeben. Der Endeffekt ist ein verkümmertes, zurückgebliebenes Bein. – Beispiele für den umgekehrten Weg gibt es genug in der inneren Medizin. Ein Fall soll zur Demonstration angeführt werden. Unter den Gefäßerkrankungen gibt es eine Form der Zerebralsklerose, die sich hauptsächlich in seelischen Störungen zeigt. Unter den psychischen Symptomen ist besonders die Melancholie zu nennen. Wir haben hier also eine organisch bedingte Gefäßerkrankung, die über den Weg des OU und UB psychische Störungen hervorruft, die im OB als seelische Verstimmung registriert werden. Es besteht hier ein psychischer Impuls von der Basis der Kräftepyramide zur Spitze.
Diese absteigenden und aufsteigenden Wechselbeziehungen in der seelischen Kräftepyramide bilden demnach einen Kreislauf psychoorganischer Korrespondenz (circulus relationis psychoorganicae). Damit ist die Eingangspforte für das Verständnis der Phänomene des Hellfühlens und des Besprechens gegeben. Das Besprechen, die aktive Beeinflussung dieses Kreislaufes, wird unter dem Kapitel der ASB abgehandelt. Das Hellfühlen, das passive Anzapfen dieses Kreislaufes, steht hier in diesem Abschnitt zur Diskussion. Der Hellfühler nimmt auf Grund seiner medialen Sensibilität die Impulse auf, die von dem erkrankten Organ über das OU zum UB aufsteigen. Medizinisch ist der circulus relationis psychoorganicae die Voraussetzung dieses Anzapfens. Es bleibt bei dem Phänomen des Hellfühlens nur noch der parapsychologische Vorgang des Anzapfens zu klären.
Wir kennen in der Parapsychologie das Anzapfen des OB in dem Phänomen der Telepathie, das in der Wissenschaft anerkannt ist. Wir kennen ferner das Anzapfen des UB in dem Phänomen der Mediumität, das in den letzten acht Jahrzehnten durch Hunderttausende von wissenschaftlich geprüften oder von fachkundigen Laien durchgeführten Experimenten bestätigt ist. In der Seelsorge an okkult Behafteten wird die Tatsache der Mediumität in vielen Fällen erkannt.
Auf Grund dieser Vorarbeit kann vielleicht das Phänomen des Hellfühlens in B 26 und B 27 als ein mediumistisches Anzapfen des UB der Patienten verstanden werden. Vermutlich liegt das Phänomen der Rhabdomantie (das Wahrsagen mit geworfenen Stäben od. mit der Wünschelrute) und Pendeldiagnose von B28 auf der gleichen Ebene. Die im UB des Patienten angezapften Impulse werden lediglich im UB des Pendeldiagnosten in der Art eines motorischen Automatismu in die Ausschläge des Pendels oder der Rute kinetisch umgesetzt. B 29 liegt sehr nahe an einer verantwortungslosen Scharlatanerie. Wenn man da ein parapsychologisches Phänomen herauslesen wollte, müsste eine Reihe von metaphysischen Vorgängen gekoppelt werden wie mediumistisches Anzapfen, Psychokinese oder Suggestion und ein hellseherisches Erfassen der richtigen Arznei. Dieses Konglomerat magischer Vorgänge ist selbst für den Parapsychologen bis jetzt noch indiskutabel. B 30 liegt wieder auf der Ebene der Kurpfuscherei. Nicht erwähnt ist in diesem Abschnitt die spiritistische Hellfühlerpraxis, bei der neben der astralen Spaltung des Hellfühlens noch die Intelligenz der Verstorbenen – wie vorgegeben wird – bemüht wird, um die richtige Diagnose zu stellen und das richtige Medikament zu ermitteln.
Wenn über den Grad der Richtigkeit der Diagnose noch ein Urteil aus der Empirie gegeben werden soll, so muss gesagt werden, dass die Diagnose nur bei starker medialer Veranlagung des Hellfühlers medizinisch zutreffend ist. Je geringer die Mediumität ist, desto weniger zuverlässig sind die Diagnosen bis hin zu einem Tohuwabohu großer Fehlentscheidungen. In unserer Hellfühlerreihe ist erfahrungsmäßig nur B 25 ein zuverlässiger Diagnostiker. Auch B 27 brachte jahrelang erstaunliche Diagnosen zustande. Alle übrigen Beispiele sinken in der Treffsicherheit stark ab. Da diese Hellfühlerdiagnostik nicht auf einer exakten, medizinisch wissenschaftlichen Basis aufgebaut, sondern in ihrer Richtigkeit vom Grad der Mediumität abhängig ist, ist sie vom medizinischen Standpunkt aus abzulehnen. Diese okkulten Heilmethoden sind der Volksgesundheit gegenüber nicht zu verantworten. Es ist immer wieder unerklärlich, warum von staatlichen Gesundheitsämtern okkult arbeitenden Naturheilkundigen, Magnetopathen, Heilpraktikern, Pendeldiagnosten, Wunderdoktoren usw. so viel Raum zur Betätigung gelassen wird. Es wäre anzustreben, dass das Heilpraktikergesetz eine Revision erfährt.
Von der seelsorgerlichen Perspektive aus ergeben sich bei der ganzen Reihe B 25 bis B 30 fast immer die gleichen psychischen Auswirkungen: Schwermut, Lebensüberdruss, Beklemmungsgefühle, Abneigung gegen das Wort Gottes, Hemmungen beim Beten, keine Fähigkeit zu einer Glaubensentscheidung, mit einem Begriff zusammengefasst, eine Erstarrung der seelischen und geistlichen Funktionen. Ein seelsorgerliches Beispiel mag das unterstreichen.
B 32 Bei einer Bibelwoche kam ein 19jähriges Mädchen zur Aussprache. Sie klagte über Melancholie, Freudlosigkeit, seltsame Anfechtungen in der Nacht, als wollte ihr jemand die Luft abschnüren, Unlust zum Beten, obwohl sie Christus nachfolgen möchte, Ekel an jeder geistlichen Betätigung. Sie begriff sich selbst nicht, da sie einerseits einen Zug zur Nachfolge Jesu hatte und andererseits einen Widerwillen davor.
Eine medizinische Anamnese förderte nichts Besonderes zutage. Das Mädchen war außer den seelischen Verstimmungen gesund. Es lagen weder organische noch neurotische Störungen vor. Sie hatte auch keinerlei aufwühlende Erlebnisse wie z. B. eine enttäuschte Liebe hinter sich. Die Schwermut setzte schon im schulpflichtigen Alter bei ihr ein. Die Eltern und Geschwister sind gesund. Bei keinem Familienglied ist je eine ähnliche Melancholie aufgetreten. Das Mädchen ist ein Einzelfall in ihrer Familie. – Auf die medizinische Anamnese folgte die Anamnese okkulter Beziehungen. Viele Fragen in dieser Richtung wurden verneint. Schließlich stießen wir auf einen entscheidenden Punkt. Als Schulkind litt sie an Appetitlosigkeit. Sie wurde von der Mutter daraufhin mehrmals zu einem „Wunderdoktor“ gebracht, der mit seinem Pendel die kranke Stelle ihres Körpers suchte. Das Mädchen erinnert sich, dass nach dieser Behandlung ihre Melancholie einsetzte.
Dieses Beispiel ist nur ein Einzelfall aus einer großen Sammlung auf diesem Gebiet. Die seelsorgerliche Praxis zeigt, dass bei allen Behandlungsarten der Laienheilkundigen, bei denen das UB der Patienten aktiv beeinflusst oder passiv angezapft wird, einschneidende Veränderungen in der seelischen Verfassung der Patienten eintraten. Es entsteht eine seelische Erstarrung, die sich nicht nur in melancholischen Verstimmungen äußert, sondern vor allem auch die Entschlussfreudigkeit in alltäglichen, kleinen Entscheidungen lähmt und auf religiösem Gebiet Glaubensentscheidungen fast nicht zustande kommen lässt. Diese seit Jahren in großer Zahl gesammelten Beispiele und Beobachtungen vermitteln ein erschütterndes Bild für die seelischen Verheerungen, die durch okkult arbeitende Laienheilkundige in allen Abarten dieser verhängnisvollen Berufsgruppe entstehen.

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