Gesetzlosigkeit+New Age

Erfüllung der Prophetie im New Age?

Vortrag von Peter P. J. Beyerhaus

Unsere diesjährige Osterakademie möchte ihren Blick auf das Ende der Geschichte richten. Aber nicht um ein uns völlig verhülltes Ereignis in ferner Zukunft soll es gehen, sondern um ein Geschehen, dessen Anbruch wir in zahlreichen Entwicklungen in unserer Gegenwart bereits deutlich verspüren. Wer wollte leugnen, dass die „schlimmen Zeiten“, von denen der Apostel Paulus an Timotheus (2Tim 3,1 ff) schreibt, in allem, was sie in seiner Sicht kennzeichnen, auch uns heutige Christen beständig beunruhigen und innerlich quälen?
Es entspricht ja durchaus biblischer Sicht, dass die Eschatologie von uns nicht wie ein spekulatives Schlußkapitelchen behandelt werden darf. Die Eschata, die „letzten Dinge, bilden vielmehr einen dynamisch bewegten Prozeß, der mit dem Hereinbrechen des Neuen Äons durch die Auferstehung Jesu Christi bereits begonnen hat und darum unsere ganze christliche Existenz im Wachen, verantwortlichem Handeln, im Kämpfen und Erleiden bestimmen soll.
So sieht es auch Jesus selber, und aus diesem Grunde hat er die letzte große Rede, von der uns die drei synoptischen Evangelien in deutlicher Übereinstimmung berichten eben der Endzeit und ihren Vorzeichen gewidmet. Unter diesen nennt er auf der einen Seite eine Reihe von unheilvollen Geschehnisse , die sich im Bereich der Natur, der Weltpolitik , der Kultur und auch der Kirchengeschichte abspielen.
Sie flauen mit der Zeit nicht etwa ab; vielmehr nehmen sie an Ausmaß zu und markieren somit das letzte Aufbäumen des von Teufel, Sünde und Tod bestimmten alten Äons.

Dem gegenüber steht nun aber das positive Zeichen der Endzeit – im Grunde genommen ist es nur dieses Eine, aber um so wichtigere – nämlich die weltweite Verkündigung der Heilsbotschaft vom Reich Gottes, das in durch Christi vollbrachtes Heilswerk schon angekommen ist  und bei seiner Wiederkunft in Herrlichkeit aufgerichtet werden wird (Matth 24,14).

Nach dieser einleitenden Schau auf das eschatologische Panorama wende ich mich nun konzentrierend der Aussage in Jesu Ölbergrede (Matth 24,12) zu, den die Veranstalter unserer Tagung lapidar in das Thema meines Referates aufgenommen haben:
„Weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe in vielen erkalten“ .

I. Das Wesen der Anomia
Der negative Kernbegriff in diesem Zitat ist das im Tagungsprogramm mit „Gesetzlosigkeit“ wiedergegebene griechische Wort anomia. Es wird in den zahlreichen Bibelübersetzung unterschiedlich verdolmetscht. Luther übersetzt „Ungerechtigkeit“, die Zürcher Bibel schreibt „Gesetzesverachtung“, und die Einheitsübersetzung paraphrasiert „die Mißachtung von Gottes Gesetz“. Diese Mannigfaltigkeit liegt sicher daran, dass es im allgemeinen Wortgebrauch tatsächlich Bedeutungsunterschiede gibt, angefangen bei dem objektiven Tatbestand, dass es Situationen gibt, in denen kein verbindliches Gesetz vorliegt. In anderen Fällen ist gemeint, dass Menschen handeln, ohne auf ein ihnen mehr oder weniger bekanntes Gesetz zu achten. Liegt ein höherer Bewußtseinsgrad vor, wäre zunächst sträflicher von „Gesetzwidrigkeit“ zu sprechen. Anomia kann aber auch bedeuten, dass bestimmte Menschen sich ganz bewußt gegen das herrschende Gesetz auflehnen, und hier träfen die Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung ins Schwarze.

1. Der neutestamentliche Gebrauch des Wortes Anomia
Das Wort anomia kommt in den Schriften des NT häufig vor, und zwar niemals in einem neutralen, sonders stets im negativen, verurteilenden Sinne. Es ist eine Bezeichnung für das Verhalten von Übeltätern, die sich bewußt des Bruches sowohl des staatlichen Gesetze wie auch der göttlichen Gebote schuldig machen und deswegen Bestrafung verdienen. In einem qualifiziert geistlich-theologischen Sinn bildet Anomia ein erklärendes Pendant zu einem andern negativen Zentralbegriff, nämlich der Hamartia, der Sünde. So lesen wir in 1Jo 3,4; „Jeder, der die Hamartia, d.h. die Sünde begeht, der begeht auch die Anomia, die Übertretung des Gesetzes, und die Hamartia ist die Anomia.“
„Hamartia“ meint ja wörtlich übersetzt die „Zielverfehlung“, d. h. das Verfehlen der von Gott dem Menschen als seinem Ihm zum Ebenbild und zur Gemeinschaft mit Ihm gesetzten Lebensbestimmung. Wer bewußt die Sünde tut, trennt sich damit von Gott, lebt in einem heillosen Zustande. Er steht außerhalb des Nomos, des Gebotes, mit dem Gott das Bundesverhältnis zwischen Ihm und der Menschheit und speziell dem Volk Israel regelt.
Dabei handelt es sich nicht immer um den Zustand eines einzelnen Menschen, sondern vielmals auch um einen kollektiven Zustand, der das Verhältnis einer sich von Gott abwendenden menschlichen Gemeinschaft kennzeichnet. Paulus zeigt im 2. Korintherbrief 6,14-15 anhand einer Reihe von Gegensatzpaaren ein dualistisches Weltbild auf, das die gegenwärtige Zwischenzeit der Überlappung der beiden Äonen bestimmt: des  prinzipiell überwundenen alten Äons einerseits und des schon begonnenen neuen Äons anderseits. Sie liegen  miteinander im Streit, bis schließlich mit der glorreichen Wiederkunft Christi zum Gericht der alte Äon mit allen ihn bestimmenden Mächten überwunden und abgetan sein wird. Die Gegensätze heißen:
Gerechtigkeit – Gesetzwidrigkeit;
 Licht – Finsternis;
Christus – Belial
Gläubige – Ungläubige;
Tempel des lebendigen Gottes – Tempel der Abgötter .

Es muß im Auge behalten werden, dass nach biblischem Verständnis der eigentliche Geber des Gesetzes kein Geringer als Gott selber ist. Das gilt für alle echten Gestalten des Gesetzes:
Es betrifft erstens das allen Menschen eingepflanzte Naturgesetz (Röm 2,14-15), zweitens die durch die staatlichen Autoritäten der Völker erlassenen Gesetze (Röm 13,1. 8-10),
drittens das dem Volk Israel auf dem Sinai in Gestalt der 10 Gebote gegebene mosaische Gesetz (Exodus 19,1-17), dann
viertens im Neuen Testament das in der Bergpredigt durch Jesus geistlich vertiefte Gesetz (Matth 5,17-48)  wie schließlich
fünftens das in Römer 8 von Paulus entfaltete Gesetz des Geistes (Röm 8,2).
Dieses enthält – im Unterschied zum mosaischen Gesetz – nicht nur die ethische und religiöse Forderung, sondern auch die Kraft, sie zu erfüllen.

In dieser grundlegenden biblischen Schau richtet sich die Anomia nur vordergründig gegen das kodifizierte Gesetz, das ja in seiner konkreten Gestalt im Blick auf sich wandelnde Situationen durch regierungsamtliche Gesetzesreform von Zeit zu Zeit aktualisiert werden muß. Im tiefsten Sinne richtet sich die bewußte Anomia gegen Gott selber; sie ist prinzipielle Empörung gegen Ihn, Bestreitung Seiner Herrschaft. Das geschieht meist im Namen einer vom Menschen beanspruchten Autonomie, letztlich aber auf Inspiration des satanischen Gegenspieler Gottes, des „Fürsten dieser Welt“ (Joh 14,12.31; 14,30; Eph 2,2). Dieser stellt dem Herrschaftsanspruch Gottes hybrid seinen eigenen entgegen. Wer sich aber dieser Ursünde allen göttlichen Warnungen zum trotz bleibend und unbußfertig verschreibt und sich dem Aufruf zur Buße, zum Sinneswandel, trotzig verweigert, auf den erwartet im Endgericht, wie Jesus selber in großem Ernst sogar den äußerlich frommen und gesetzestreuen Pharisäern vorgehalten hat (Matth 7,22-23), nichts Milderes als die Verdammnis.

2. Die geschichts-theologische Schau des Neuen Testaments
Eines der auf dieser Tagung gehaltenen Referate soll sich mit einer christlichen Theologie der Geschichte, und dies in Verbindung mit der biblischen Lehre vom Antichrist beschäftigen. Ohne dem vorgreifen zu wollen, möchte ich aufgrund des mir thematisch vorgegeben Bibelverses doch schon einige Grundzüge der biblischen Geschichtsschau andeuten.

Im Gegensatz zu einer in der zeitgenössischen akademischen Theologie und leider auch der kirchlichen Verkündigung verbreiteten Überzeugung vertreten die Autoren der neutestamentlichen Schriften wie schon die eschatologischen Aussagen der alttestamentlichen Propheten keine optimistisch -monistische, sondern eine realistisch-dualistische Schau. Damit meine ich keinen zeitlosen metaphysischen Dualismus wie im Manichäismus, sondern einen zeitlich begrenzten heilsgeschichtlichen Dualismus. Dieser besteht sowohl in der weltgeschichtlichen Epoche seit der Urrebellion Luzifers mit seinen Engeln und dem ihm im irdischen Bereich folgenden Sündenfall Adams. Der alte Äon wirkt aber auch nach dem Kommen Christi fort, nämlich  in der qualifiziert heilsgeschichtlichen Zwischenzeit zwischen dem unsichtbaren Herrschaftsantritt Christi bei seiner Auferstehung (vgl. Matth 28,18) und seiner Parusie zur Aufrichtung seiner auch universal sichtbaren Herrschaft (vgl. 1Kor 15,24-28).

Noch also hat Satan, der einst neben Michael der mächtigste Fürst der Engelscharen war und es nach seinem Sturz über die mit ihm abgefallenen finsteren Engelheere blieb (Judas 6), einen beträchtlichen Teil seiner ursprünglichen Macht behalten. Das tat er auch noch nach seiner grundlegenden Entrechtung und Entmachtung durch den Sieg, den Jesus Christus am Kreuz und in seiner Auferstehung über ihn gewonnen hat. Denn immer noch nennt Jesus selbst ihn den „Fürsten dieser Welt“ (Joh 12,31; 14,30; 16,11).
Das gilt uneingeschränkt für alle Bereiche, wo sich Menschen bewußt gegen die ihnen in Christus angebotene Erlösung von der Macht der Sünde und des Teufels sträuben und es vorziehen, im dämonischen Bereich der Finsternis zurück zu bleiben. Vorläufig stehen also der alte und der neue Äon gegenüber Apg. 26,18) und liegen, angeführt von ihrem je eigenen Oberhaupt Christus oder Belial, im Widerstreit.

In diesem also noch existenten alten Äon waltet die Anomia, die Auflehnung gegen die Gebote und den göttlichen Gebieter wie auch gegen die von Ihm eingesetzten staatlichen Ordnungsmächte. Was noch beunruhigender ist: Anomia tritt als Störungsfaktor leider immer wieder auch im Bereich der Kirche ein, wie das ja schon Mose und die Propheten beim alttestamentlichen Bundesvolk beklagten. Auseinandersetzung mit solcher auch in die Gemeinden eindringende Anomia bestimmen weitgehend die Ermahnungen und Warnungen in den apostolischen Schriften.
Ein äußerst beachtlicher Wesenszug in der neutestamentlichen Geschichtsschau ist die prophetische Erwartung, dass die Anomia nicht etwa im Gefolge der weltweiten missionarischen Ausbreitung der Kirche und der christlichen Durchdringung der ethnischen Kulturen immer mehr gebändigt und zurückgedrängt werden und schließlich fast zum Verschwinden kommen wird. Ganz im Gegenteil: Jesus kündigt in seiner Ölbergrede ein Anwachsen der Anomia an, die sich bis zum Ende der Geschichte ins Unerträgliche steigern werde (Matth 24,12-13). Nur eine Minderzahl von Menschen, die Auserwählten, werden dem standhalten; ja, wenn Gott diese allerletzte antichristliche Periode nicht um ihretwillen verkürzte (Matth 24,22), würden auch sie in den Strudel des Abfalls hineingerissen werden. Nun aber bleiben sie in ihrer Geduld und Leidensbereitschaft bewahrt, bis ihr wiederkommende Herr sie aus all ihren Bedrängnissen erlösen und mit sich für ewig zu seiner Brautgemeinde vereinen wird.
Wachsende Anomia ist also ein zentrales Kennzeichen des unheilsgeschichtlichen Abfalls in der Welt und auch in der Kirche. Es markiert das endzeitliche Stadium im Vorfeld der Parusie Jesu.

Eine unheilvolle Auswirkung der in die Gemeinde Christi selbst eindringenden Anomia ist, dass die „Liebe in vielen erkalten“ wird. Abgekühlte, lauwarme und für Christus inakzeptable Liebe ist das Kennzeichen der in Offb 3,14-2 angeredeten kleinasiatischen Gemeinde Laodizäa, welcher Jesus ausrichten läßt:
„Weil du aber lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ …

Unter den Bibelexegeten wird diskutiert, ob es sich bei der zu erkalten drohenden Agape um die Nächstenliebe oder die Liebe zu Gott handele. Die meisten neigen dazu; sie auf ihre beiden Objekte zu beziehen, jedoch der Liebe zu Gott, die eine Widerspiegelung Seiner eigenen erbarmenden Liebe zu uns ist, den Vorrang zu geben. Da, wo man die Gebote Gottes zu vernachlässigen beginnt, wirkt sich diese beginnende Anomia auch im Abkühlen der Liebe zu Ihm aus, der doch schon dem Volk Israel das Grundgebot gegeben hat:
„Höre Israel: der Herr unser Gott ist  e i n  Herr, und du sollst den Herrn deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“ (Dt 6,4-5). Jesus bekräftigt dieses Grundgebot als das vornehmlichste und fügt ihm dann als gleich wichtig untrennbar an „… und deinen Nächten wie dich selbst.“ (Matth 22.36.38). Wo das nicht mehr ernst genommen wird, beginnt das Absterben der Lebensverbindung der Gemeinde und ihrer einzelnen Glieder mit Gott und droht ihnen der geistliche Tod. Das Erkalten der Liebe läßt alle Frömmigkeit und Ethik dahinschwinden, je länger, desto mehr.

Dies ist jedoch nicht einfach Ergebnis eines spontanen Verfallsprozesses, einer immanenten Müdigkeit und Erschlaffung. Vielmehr ist es gleichzeitig bewirkt durch dämonische Einflüsse, mit denen auch die Gemeinde permanent zu ringen hat. Da, wo die Gemeinde nicht wachsam ist, da, wo sie Anteil gewinnt an einer allgemeinen geistig-ethischen Orientierungslosigkeit, da wird sie empfänglich für auftretende Pseudopropheten und Pseudo-Messiasse. Schon in der Bergpredigt (Matth 7,15) warnt Jesus vor pseudo-prophetischen Verführungen. Ausdrücklich als endzeitliche Bedrohung kündigt er das Auftreten falscher Propheten und Pseudomessiasgestalten in unserm vorliegenden Textzusammenhang (Mt 24,5) an:
“Viele werden auftreten in meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und werden viele irreführen“; und wenig später (V.11): „Und viele falsche Propheten werden auftreten und werden viele irreführen.“ Unmittelbar darauf  setzt Jesus in V. 12 fort: „und weil die Anomia überhand nimmt, wird die Liebe in vielen erkalten.“
Adolf Schlatter schreibt zu dieser Stelle: „…die innere Unruhe und Glaubenslosigkeit wird viele gegen schlimme Verführer wehrlos machen. Solche Zeiten sind die günstigen Gelegenheiten, wo falsches Prophetentum entstehen und Glauben finden kann. Unter dem Druck der Not streckt sich der Mensch begierig nach Zeichen und Offenbarungen aus, die ihm Licht von oben bringen sollen.“
Und hier stehen wir auch schon mitten in der New-Age-Bewegung. Diejenigen, die sich gründlich mit ihr beschäftigt und nach den Ursachen ihrer raschen Aufnahme in alle Schichten der Gesellschaft und sogar in die Kirchen geforscht haben, kamen zu dem Schluß, dass es die gegenwärtig so weit verbreitete Sinnkrise sei, die diese Rezeptivität fördere.
Das aber bestätigt zugleich die Notwendigkeit der Geisterunterscheidung, welche die Apostel Paulus und Johannes ihren Gemeinden so dringlich ans Herz gelegt haben 1Kor12,10; 1Joh4,1-2. Denn die pseudoprophetischen Verführer kommen nicht mit Schwertgerassel, sondern auf leiden Sohlen, und sie verbergen bewußt ihre eigentlichen Zielsetzungen.
Das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt der Anomia, nämlich ihrem
Geheimnischarakter.

3. Anomia als (un)heilsgeschichtliches Mysterium
Wir haben bereits verstanden, dass wir das Überhandnehmen der Anomia in einem biblisch-heilsgeschichtlichen Zusammenhang zu verstehen haben. Die Autoren des NTs sehen die Geschichte im Paradigma eines großen sich entfaltenden und eschatologisch zuspitzenden Dramas mit letztlich kosmischen Dimensionen. Die beiden Hauptgegenspieler darin sind Gott in seinem dreigestaltigen geschichtlichen Offenbarungs- und Heilshandeln auf der einen, der Teufel auf der anderen Seite.
Gott hält jedoch seinen schon vor aller Zeit gefaßten Heilsratschluß, besonders aber die Heilsstrategie, mit der Er ihn verwirklichen will, zunächst verborgen als ein Mysterium, wie Paulus im Epheserbrief (Eph 1,9f.) erklärt. Der Inhalt des Geheimnisses soll aber nicht für immer verborgen bleiben. Vielmehr ist der Sinn des heilsgeschichtlichen Mysteriums der zu seiner Zeit offenbart und von den anfänglichen  Offenbarungsempfängern schließlich sogar weltweit verkündigt zu werden.
Nun erfahren wir von Paulus und Johannes, dass auch Gottes Widerpart, Satan, sein eigenes Mysterium bzw. seine Mysterien hat, deren Inhalte nach Zielsetzung und Verwirklichung er geheim hält, bis er den günstigen Augenblick zur Entfesselung seiner Mächte und zum Losschlagen gekommen sieht. Denn er will die Menschen ja über seine wahren Absichten und deren verhängnisvollen Folgen im Dunkeln lassen, bis sie ihm wehrlos verfallen sind und ihr Schicksal nicht mehr abwehren können. Dem satanisch Bösen haftet also etwas Unheimliches, zugleich aber auch Faszinierendes, d. h. Verzauberndes an. Darum können Menschen danach greifen, als ob es sich hier um eine Quelle des Glückes handele, und können Menschen sich Satan und seinen Geistermächten ausliefern, als ob sie es in ihm wirklich um eine Lichtgestalt 2Kor 11,14) und einen universalen Beglücker der Menschheit handele.

Es gibt drei Inhalte  der Mysterien Satans. Dem ersten begegnen wir in der Anomia, wobei Paulus vom „Mysterion der Anomia“ spricht. Dieses ist das vorbereitende Wirken auf das personale Auftreten des „Menschen der Anomia“, also des Antichrist, hin.
In der Johannesoffenbarung wird der Begriff Mysterion unheilsgeschichtlich noch auf eine dritte apokalyptische Erscheinung bezogen. In Kap 17, 3 lesen wir: „Und ich sah ein Weib auf einem scharlachroten Tier sitzen …, und sie hatte einen goldenen Becher in ihrer Hand, voll von Greueln und Unzucht, und an ihrer Stirn stand ein Name geschrieben, ein Geheimnis, das große Babylon, die Mutter der Buhlerinnen und der Greuel der Erde“.
Der Seher Johannes bezeugt: „ich verwunderte mich sehr, als ich sie sah“. Er steht hier also fassungslos vor einem Mysterium tremendum, einem Geheimnis, das Furcht und Zittern erregt. Der Angelus interpres (Gottes Deuteengel) geht darauf ein und sagt (V. 7) zu dem Seher Johannes: „Warum verwunderst du dich? Ich will dir das Geheimnis des Weibes und des Tieres zeigen, das sie trägt ….“
Die Bibelausleger rätseln bis zum heutigen Tage, wer oder was wohl mit dem babylonischen Weib gemeint sei. Viele haben dabei an eine in der Endzeit pervertierte Kirche, eine dämonisch inspirierte Antikirche, die der wahren Kirche, der Braut Christi, feindlich gegenüber steht. Es gibt aber daneben auch die Deutung, dass es sich hier um die um eine von ihren christlichen Wurzeln total losgelöste Kultur handele, die zugleich auch eine politische und wirtschaftliche Macht darstellt. Es könnte sich aber auch um eine synkretistische Weltreligion handeln, zu der sich alle bestehenden Gestalten konkreter Religion verbinden.
Wenn man davon ausgeht, dass in dieser Verbindung die Kirche, bzw. ein abgefallener Teil von ihr selber eine integrierende Rolle spielen könnte, so würden sich die drei genannten Deutungsversuche nicht widersprechen, sondern gegenseitig ergänzen.
Wir stehen also vor einer geschichtlichen Gesamtschau, in welcher Anomia als menschliche Auflehnung gegen Gott, der Mensch der Anomia als deren personale Verkörperung und eine der Sittenlosigkeit verfallene Weltkultur zu einer apokalyptischen Trias verbinden.
Dieser Tage sandte mir ein Bekannter ein diesen Zustand treffend beschreibendes Zitat unbekannter Herkunft:

„Wenn die Menschen gottlos leben, sind die Sitten zügellos,
ist die Mode schamlos, sind die Lügen grenzenlos,
die Verbrechen maßlos, die Völker friedlos,
die Schulden zahllos, die Regierungen ratlos,
ist die Politik charakterlos, sind die Beratungen ergebnislos,
die Konferenzen endlos und die Aussichten trostlos!“

Gerade eine solche Situation wird dereinst die geschichtlichen Voraussetzungen bieten, die dem zu erwartenden universalen Tyrannen der Endzeit Tore und Türen  öffnen. Denn für den Zusammenhalt jeglicher sozialpolitischer Gemeinschaft wären ja die hier angesprochenen Verhältnisse schlechthin unerträglich. Sie würden geradezu schreien nach einer durchgreifenden Ordnungsmacht, die diesem anarchischen Chaos ein Ende setzt, und sei es durch eine diktatorische Zwangsordnung

4. Der Anthropos tees Anomias, d.h. der Mensch der Widergesetzlichkeit
Da wir auf dieser Tagung noch einen eigenen Vortrag über die Bedeutung des Antichristen für eine christliche Geschichtstheologie hören werden, möchte ich als für unsere heutige Thematik wesentlich die folgenden 6 Kennzeichen nennen:

Der Antichrist ist die abschließende Verkörperung einer zuerst von Daniel (Kap. 2, 7 und 9) prophetisch geschauten weltgeschichtlichen Entwicklung, in der nacheinander ein irdisches Weltreich das vorangegangene verdrängt, um im vierten Weltreich – gemeint ist in Dan 2,40-43 offenbar das Imperium Romanum –   ihre Vollendung und im letzten Monarchen ihre personale Spitze zu finden.

• Es handelt sich um eine satanisch inspirierte Gestalt, die in Konkurrenz zum authentischen Christus und dessen Königtum steht und ihn teils subtil, teils brutal zu verdrängen sucht. Es geht also um den entscheidenden Schlussakt des uralten Kampfes des Teufels mit Gott um die Weltherrschaft.

• Seine beiden  Grundmotive sind ein maßloser Selbstverwirklichungsdrang und in Verbindung damit der Haß gegen Gott und seine Ordnungen. Er wird ihn lästern (Dan 7, 20. 25; 2Thess 2,4; Offb 13,5f.) und seine Gebote auflösen, also als großer Verführer Gottlosigkeit und Immoralität verbreiten –  soweit diese sich mit seiner eigenen Vergötterung und dem von ihm diktatorisch verfügten Verhaltenskodex vereinen lassen.

• Er tritt mit einem sich selbst vergötternden Herrschaftsanspruch auf und verlangt von allen Menschen unbedingte Gefolgschaft und Verehrung, die sich in der Anbetung seines Idols und der Aufnahme seiner Zahl 666 als Erkennungszeichen beweist.

• Er macht sich zum Haupt eines durch globale Machtzusammenballung geschaffenen politischen und ideologischen Einheitssystems, eines zentralistischen Zehnstaatenbundes Offb 17,3. 12-14). Schließlich wird seine Herrschaft in Terror umschlagen.

• Er nimmt täuschend die Stellung des wiedergekommenen Christus ein. Er imitiert dessen Werke und kommt in der ersten Phase seines insgesamt dreieinhalbjährigen Wirkens unter der Maske des die Menschheit beglückenden Wohltäters. So wird es ihm –  unterstützt durch dämonische Wundertaten (Mt 24,24; 2Thess 2,9) –  gelingen, den Großteil auch der Christenheit zum Abfall zu verführen. Er wird sich in den Tempel Gottes setzen und von der gesamten Menschheit angebeten lassen (2Thess 2,4; Offb 13,3-4).
Man könnte in ihm  die Erfüllung der in vielen Religionen vorhandenen Hoffnung auf eine das Goldene Zeitalter heraufführende Rettergestalt unter Namen wie Maitreya, Krischna oder Mahdi erblicken. Das führt uns zum zweiten und dritten Teil unseres Themas:

II. Synkretistische Religiosität im Zuge der Postmoderne

1. Die neue Spiritualität
Eine erstaunliche Beobachtung, die wir seit drei Jahrzehnten bei der Analyse unserer westlichen Kultur anstellen können, ist das Wiedererwachen eines religiösen Interesses bei vielen Zeitgenossen. Die beiden Jahrhunderte, welche der Aufklärung und der Französischen Revolution folgten, wurden allgemein als das Zeitalter der Moderne bezeichnet. Sie standen wesentlich im Zeichen eines sich naturwissenschaftlich begründenden materialistischen Rationalismus, eines atheistischen Humanismus und einer unaufhaltsamen Säkularisation des öffentlichen wie des privaten Lebens. Dietrich Bonhoeffer zog daraus den Schlußsatz, dass wir nun am Beginn eines völlig religionslosen Zeitalters stünden. Der moderne Mensch sei zu seiner vollen rationalen Mündigkeit erwacht und habe zur Erklärung und Bewältigung seines Lebens die Hypothese „Gott“ nicht mehr nötig: Einflußreiche Philosophen wie Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, sowie die Schüler von Charles Darwin und Siegmund Freud, hatten das schon lange vor ihm behauptet.
Anfang der 1970er Jahre aber geschah nun das Unwahrscheinliche: Immer mehr Menschen wollten sich mit unserm rein rationalistischen Wirklichkeitsverständnis nicht mehr zufrieden geben; denn von ihm her konnten sie auf die zentralen Fragen ihres Lebens, besonders in den Grenzsituationen von Krankheit, Leid und Tod keine Antwort gewinnen. Junge Menschen wurden der materialistischen Konsumzivilisation überdrüssig und wandten sich aus Neugier und Erlebnishunger Erfahrung mit der Transzendenz zu. Durch diese – so hofften sie – würden sich ihnen ungeahnte Dimensionen erschließen, vermittels derer sie zu „Gipfelerfahrungen“ gelangen können – z. T. ganz ähnlich den durch Drogeneinnahme ausgelösten Rauschzuständen. Das Thema „Ekstase“ begegnet schlagartig in den unterschiedlichsten Zusammenhängen: Im Rauschgiftmilieu. In Sexualorgien, in der jugendlichen Diskoszene von Beat, Rock und Psychodelik, in spiritistischen Seancen, in Experimenten mit Yoga, Zen und anderen asiatischen Meditationsformen.

2. Auf dem Wege zu einer synkretistischen Religionssynthese
Der dänische Professor für Ökumenische Theologie und Religionswissenschaft Johannes Aagaard hat die These aufgestellt, dass gegenwärtig eine neue Weltreligion im Entstehen begriffen sei oder bewußt erschaffen werde. Sie habe ihre Wurzeln in den klassischen Religionen, von denen aber keine ausschließlich zur Herrschaft gelange. Vielmehr holen sich die Anhänger diejenigen Stücke aus einzelnen Religionen heraus, die ihnen für ihre Bedürfnisse passend erscheinen: Medien, Gurus, Propheten, Unsterblichkeit, Reinkarnation, Aura, geistige Meister, Yoga, Karma, Wiedergeburt, Biorhythmus, Tarotkarten und Astrologie. Die „neue Spiritualität“ entsteht nicht durch eine Rückkehr zu einer historischen Religion, d.h. auch nicht etwa durch eine christliche Erweckungsbewegung, sondern durch eine Vermischung aus verschiedenen Weltanschauungen und Religionen, aus Esoterik, Magie und Okkultismus.
Ich glaube, dass Aagaard hier richtig beobachtet hat. Es muß allerdings eine zweite Beobachtung hinzugefügt werden: Das religionsvermengende Geschehen läuft gleichzeitig auf zwei unterschiedlichen Ebenen ab. Die eine ist die private. Auf dieser wählt sich jede einzelne interessierte Person in Selbstbedienung auf dem Jahrmarkt bzw. der Weltausstellung religiöser Möglichkeiten diejenigen Elemente aus, die dem persönlichen Geschmack entsprechen bzw. zum Erreichen eigener Zwecke nützlich erscheinen. – z. B. einer gesundheitlichen Lebensreform oder einer künstlerischen Inspiration, und sei sie noch so schockierend!

3. Modelle synkretistischer Zukunftsgestaltung
Von dem soeben beschriebenen Geschehen auf privater Ebene zu unterscheiden – wenn auch nicht zu trennen – ist die Ebene programmatischer Gestaltungsbemühungen. Auf dieser Ebene verbindet sich der religions-pluralistische Prozeß mit einer visionären Zielsetzung seiner menschlichen Betreiber. Das trifft in vollem Maße für die theosophisch inspirierte Hauptrichtung zu, die sich mit den Namen Alice Bailey, David Spangler sowie Marilyn Ferguson und ihrem Buch „Die sanfte Verschwörung“ verbindet.
Ähnliche Bemühungen gibt es jedoch auch in anderen Bewegungen; die es z: T. sogar zu offizieller Anerkennung gebracht haben. Der schwedische Theologe Folke Olofsson hat dafür den Begriff das „synkretistische Projekt“ geprägt. Dieses sei dabei, das bisherige moderne „Projekt der Säkularisierung“ abzulösen.
Der Synkretismus erscheint danach weniger als ein Vorgang der sich ungewollt aus dem Zusammenfließen verschiedener Religionen und religiöser Kulturen ergibt. Vielmehr stellt er ein von bestimmten einflußreichen Persönlichkeiten absichtsvoll entwickeltes Programm dar, in dem ein innerweltlicher Zweck verfolgt wird, wie z. B. der Zusammenhalt verschiedener Völkerschaften in einem gemeinsamen Staatswesen oder auch eine moralische Reform wie schließlich das Überleben der Menschheit angesichts bevorstehender Weltkatastrophen. Die Absicht kann also subjektiv höchst respektabel sein.
Allerdings, und das ist das Entscheidende: Ein Projekt ist stets ein Vorhaben von Menschen, die es aus ihrer jeweiligen eigenen Perspektive verfolgen. „Von sich selbst aus“, schreibt Olofsson, „projiziert der Mensch seine Gedanken, Träume, Hoffnungen, seine Ideologie hinaus in Zeit und Raum.“ Im synkretistischen Projekt bemühen sich also einzelne Visionäre, ideologische Gruppierungen oder auch politische, kulturelle und religiöse Organisationen darum, in regionaler oder internationaler Perspektive die Zukunft der Menschheit nach ihren eigenen Leitbildern in den Griff zu bekommen und zu gestalten. Ein solches Beispiel bietet die NAB.

III. Anomia in der synkretistischen Vision von New Age

1. Identitätsmystik als Grundlage der New Age-Bewegung
In meinem früheren Vortrag an dieser Stelle habe ich darauf hingewiesen, dass eine wichtige Quelle der New Age-Bewegung in der wesentlich vom Hinduismus und Buddhismus Anleihen nehmenden Theosophie der Damen Helena Blavatsky und ihrer Schülering Alice Bailey zu suchen ist. Mit diesen teilt New Age die Grundkonzeption von der apersonalen Einheit alles Seienden, von Gottheit, Kosmos und Mensch. Auch hier geht es also um Identitätsmystik. Der menschlichen Seele eignet selbst Göttlichkeit, dem Menschen steht kein personaler Gott gegenüber, vor dem er sich zu verantworten hat. Vielmehr findet er Göttlichkeit, meist „Spiritualität“ genannt, in der Tiefe seiner eigenen Seele. Sie ist die Quelle seiner religiösen Erfahrung, sie bestimmt sein religiöses und moralisches Verhalten, in ihr findet er auch die Kraft zu seiner eigenen Befreiung von den Banden stofflicher Einhüllung. Erlösung bzw. Heil, wenn man diese christlichen Begriffe aus Gründen der Analogie überhaupt gebrauchen will, ist Bewußtseinerweiterung, ist Erlangung eines göttlichen Bewußtseins im Erkennen der wesentlichen Einheit von Atman = Seele und Brahman = Göttlichem. Methoden dafür sind Entspannungs- und Meditationsübungen, wie wir sie in den mannigfaltigen Yoga-Systemen des Hinduismus kennen und wie sie im Westen von den Gurubewegungen popularisiert werden.
In dem Maße, wie der Mensch auf diesem Wege voranschreitet, kommt es zu einer Auslöschung aller Gegensätze zwischen Makrokosmos und Mirokosmos, zwischen allen Einzelwesen. Das hat zur Folge auch die Leugnung des Dualismus von Licht und Finsternis, von Gutem und Bösem, von Engeln und Dämonen.

2. Auffälliges Fehlen ethischer Maßstäbe
Der in die NAB eintretende Christ eliminiert im vermeintlichen Erkennen seiner Göttlichkeit auch seine bisherigen Schuldgefühle sowie sein Sündenbewußtsein. Denn er ist ja im Wesen gut, und Fehlverhalten ist lediglich eine Folge eines mangelhaft entwickelten kosmischen Bewußtseins.
Um dieses Bewußtsein um die Einheit mit dem All zu erreichen, darf der New-Age-Anhänger jedes Mittel benutzen, was diesem Zwecke dienlich ist. Einer dieser Wege ist das aus Tibet kommende Tantra-Yoga.  Hier werden auch sexuelle Ausschweifungen empfohlen und praktiziert, die zu einer Ekstaseerfahrung führen. Das ist auch unter den Anhängern wie auch Seelenführern geduldet und verbreitet, wie das Ehepaar Victor und Victoria Trimundi in seinem Buch „Der Schatten des Dalai Lama” ausführlich dargelegt hat. Es trägt den Untertitel: „Sexualität, Magie und Politik im tibetanischen Buddhismus“.
Hinduistische Gurus Yogis können sich auf ihrem spirituellen Streben nach Selbstvergottung zu spirituellen Egoisten entwickeln. In ihrer kontemplativen Konzentration auf ihre Einheit mit Brahman erscheinen sie in ihrer Yoga-Position wie leblose Figuren. Dabei lassen offenbar völlig gefühllos, bar jeglicher Liebesregung alle persönlichen Verbindungen sogar zu ihren nächsten Familienangehörigen absterben, sich in ihrem mystischen Hochmut von diesen aber gleichzeitig wie Götter in Menschengestalt bedienen und kultisch verehren. Das hat der nach schlimmen geistig-ethischen Verirrungen durch ein geistliches Wunder zum lebendigen Christusglauben gekommene Inder Rabindranath R. Maharaj sehr anschaulich erzählt in seinem autobiographischen Buch „Tod eines Gurus“. Darin berichtet er auch, wie es ihm zum Bewußtsein kam, dass er durch seine Yoga-Praktiken in okkulte Bindungen geraten war, aus denen  er nur durch eine völlige Lebensübergabe an Jesus Christus gelöst werden konnte. Auch nachher versuchten ihn die unsichtbaren Mächte immer wieder, ihn  in ihren Bann zurückzuziehen.

3. Die Zukunftsschau der New Age-Bewegung
Auch in der NAB geht es für jeden Einzelnen wie auch für eine ganze Gemeinschaft darum, zunächst selbst zum „Krishna-Bewußtsein“ zu gelangen und danach dieses auch anderen zu vermitteln. Der Weg dazu führt zunächst über meditative und asketische Übungen, pausenloses Chanting von Mantras und tänzerische Ekstasetechniken. Darüber hinaus gehört auf einer gehobenen Stufe dazu die Kontaktaufnahme mit transzendenten Geistern, die in der NAB als „aufgestiegene Meister“ bezeichnet werden und irgendwo in der transzendenten Überwelt (genannt wird oft die mythische Stadt Schambala) eine „Weiße Hierarchie“ bilden. Es handelt sich dabei um Parallelen zu den hinduistischen Avataras und den buddhistischen Bodhisattvas, also Menschen, welche ihre mystische Erleuchtung schon erreicht haben und dadurch in einen erhöhten spirituellen Zustand hinübergekommen sind. Sie stehen mit ihren irdischen Adepten medial in Verbindung und leiten sie dazu an, durch immer weitere Vernetzung der Menschheit nach und nach ein kosmisches Bewußtsein zu vermitteln. Dieses bildet die Grundlage für die Verwirklichung einer grandiosen Zukunftsvision.
New Age bedeutet ja Neues Zeitalter, und die NAB ist die Gemeinschaft derjenigen, die sich berufen fühlen, dazu beizutragen, das universale Kommen dieses Zeitalters zu beschleunigen. Dass es überhaupt kommen wird, steht für die Anhänger außer Frage; denn aufgrund eines kosmischen astrologischen Gesetzes ist dieses sogar bereits angebrochen. Es ist Zeitalter des Wassermanns, welches das abgelaufene Zeitalter Fische, also die Epoche des Christentums, abzulösen bestimmt ist. Die menschliche Unterstützung seitens der NAB geschieht vermittels einer „sanften („aquarischen“) Verschwörung“. Sie betreibt zunächst heimlich, dann offen eine Revolution, die nicht  mit terroristischen Methoden vorgeht, sondern vermittels medialer Einweihungen. Verlockt werden die Menschen dadurch, dass ihnen als Ziel dieser Bewegung eine friedliche Weltgemeinschaft versprochen wird, in der alle bisherigen sozialen, politischen und auch religiösen Trennmauern abgerissen und einer allgemeinen Harmonie in allen mitmenschlichen Beziehungen gewichen sein werden.
Das Aquarius-Lied im Musical Hair bringt diese New Age Vision auf ihre klassische Formel:
„Harmonie und Recht und Klarheit

Sympathie und Licht und Wahrheit
niemand will die Freiheit knebeln
niemand mehr den Geist umnebeln
Mystik wird uns Einsicht schenken
und der Mensch lernt wieder Denken
dank dem Wassermann.“
Es handelt sich also um ein großartiges utopisches Erlösungsprogramm durch spirituelle menschliche Selbstverwirklichung – jedoch ohne persönlichen Gott.

 4. Das pseudomessianische Element der New Age-Bewegung
Wir sprachen von der Rolle, welche in den Plänen der NAB die Weiße Hierarchie der aufgestiegenen Meister einnimmt. Unter diesen Meistern gibt es nun einige herausragende Große Meister, die in der Geschichte als Stifter von Weltreligionen aufgetreten sind und in der Mythologie der NAB eine wichtige Rolle spielen. Sie tun dies teils nach- und nebeneinander, teils werden sie einfach miteinander identifiziert, und ihre Namen werden austauschbar verwendet. Zu diesen Großen Meistern gehört auch Christus, meist mit dem bestimmten Artikel als „Der Christus“ angeführt. Dieser der Theosophie und der Anthroposophie Rudolf Steiners verdankte Christus ist eine überzeitliche und übergreifende Gestalt, die sich in den Gestalten verschiedener Religionsstiftern offenbart. Darunter findet sich auch Jesus. Mit ihm ist „der Christus“ jedoch nicht identisch, anders als es der biblisch-historische Jesus Christus aufgrund der bleibenden Inkarnation des göttlichen Logos ist.
Das wohl wichtigste Werk unter den im Lucis Trust (ursprünglich Lucifer Trust) erschienenen 24 Bänden der Esoterischen Philosophie von Alice Bailey’s  trägt den Titel: „The Re-Appearance of Christ“. In der Zusammenfassung wird die Rolle dieses wiederkommenden bzw. besser wieder erscheinenden Christus wie folgt beschrieben:

„Die Menschheit erlebt eine ihren Höhepunkt erreichenden Zeit des Wandels mit allen Formen von  Schmerz, Chaos und Auflösung, die diesen begleiten. …. Jedesmal in solchen Zeiten erscheint ein Lehrer, um das neue Zeitalter heraufzuführen, eine Welterlöser, ein Erleuchtender, ein Avatar, ein Vermittler von Kundgebungen, ein Christus. Auch unser Heute bildet keine Ausnahme von diesem uralten universalen Gesetz. Seit Jahrhunderten ist das Wiedererscheinen eines Avatars von den Gläubigen in aller Welt vorausgesehen worden, sowohl seitens der Christen als auch derer, die den Maitreya, den Boddhisattva, den Messias und den Imam Mahdi erwarten … Der kommende Weltlehrer wird eine Offenbarung bringen, die in unsere Gegenwart hinein spricht, indem er das internationale Kommunikationssystem benutzt , so dass „jedes Auge sehen und jedes Ohr hören wird“. Der Weltlehrer wird den Glauben an Gottes Liebe und an das Leben unserer gemeinsamen Göttlichkeit wiederherstellen, sowie in die enge unauflösliche Beziehung zwischen allen Völkern dieser Erde.“

Die gemeinsame Nennung dieser verschiedenen Namen und deren Identifizierung beweist, dass es sich hier, obwohl die christliche Wiederkunftserwartung positiv angesprochen wird, keineswegs um den biblischen Jesus Christus handelt. Vielmehr geschieht ein semantisches, synkretistisches Täuschungsmanöver. Letztlich ist dieser Maitreya-Christus nur die Verkörperung aller dem menschlichen Wesen innewohnenden spirituellen Potenzen. „Der Christus“ der NAB ist der Idealtypus der neuen Menschheit – zugleich eine korporative und eine individuelle Persönlichkeit. Bailey verrät sich durch ihr eigenes Vokabular. Wenn der Glauben an Gottes Liebe zugleich der an das Leben unserer gemeinsamen Göttlichkeit ist, so handelt es sich bei dem erwarteten und durch die sog. Große Invokation täglich von Hundertausenden von NAB-Anhängern herbeigerufenen Weltlehrer um die kollektive Selbstvergötterung der Menschheit.

Schaut man dann noch etwas näher auch in die Ausführungsbestimmungen, die wir bei David Spangler finden, so weist die vom Maitreya-Christus aufgerichtete Friedensordnung auf ein zutiefst totalitäres System hin. In ihm haben nur diejenigen Lebensraum, die den Grundvoraussetzungen der New-Age-Philosophie zustimmen, nämlich der wesentlichen Einheit aller Religionen, ihres spirituellen Ursprungs und ihrer Zielsetzung. Das erfordert inhaltliche Toleranz gegenüber allen religiösen Ausdrucksformen. Dagegen wird es für konservative Anhänger historischer Glaubenssysteme, Menschen, die sich weigern, die „Bewußtseinstransformation ins Neue Zeitalter“ mitzumachen, in der kommenden Weltgemeinschaft keinen Platz geben. Durch eine dem „Neuen Zeitalter” vorausgehende Säuberungsaktion werden sie aus dem Lebens- und Wirkensbereich der neuen Menschheit entfernt werden. Sie sollen entweder auf eine andere Ebene des Bewußtseins der Erde ausquartiert oder sogar ganz von dieser Erde genommen werden. Hauptsache ist, schreibt Spangler, dass sie „vorläufig die Fähigkeit verlieren, die Entwicklung dieser Erde zu lenken und zu beeinflussen.“
Keine Toleranz also für Bekenner des biblischen Christus und treue Glieder seiner ihm gehorsam bleibenden Kirche!

Ich behaupte keineswegs, dass es die New Age-Bewegung  ist, welche ihre bizarren Vorstellungen in historische Realität umsetzen wird; im Gegenteil: angesichts ihrer Diffusion und Verebbung schließe ich das sogar aus.
Aber der Geist, aus dem sie geboren wurde, und die Konzepte, die hier spekulativ entwickelt wurden, sind auch in anderen durchsetzungsfähigeren Bewegungen und System wirksam. Jene Glaubensunterdrückung und Verfolgung, die ich eben andeutete, wird  in der Tat dereinst das Schicksal der Gemeinde unter der Weltherrschaft des Antichrist und in dessen Einheitsideologie sein. Das können wir dem Buch der Johannesoffenbarung entnehmen, wo es in Kap. 12,17 heißt:
„Und der Drache ergrimmte über das Weib und ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer Nachkommenschaft, die das Gebot Gottes und das Zeugnis Jesu festhalten.“

Sehen wir Tendenzen in dieser Richtung nicht schon in unserer heutigen Gesellschaft walten?
Werden nicht Menschen, die sich dem Diktat der „political correctness“ bzw. auch der „clerical correctness“ nicht beugen, als Fundamentalisten und Friedensstörer verächtlich gemacht und werden ihnen die Möglichkeit öffentlicher Einflußnahme nicht systematisch entzogen?
Ich glaube, jedem von uns fallen aus seinem eigenen Horizont sofort Namen wie z. B. Eva Herman ein, von Christen mit Zivilcourage, die in unsern Tagen genau diese Erfahrung machen müssen!

Die Hervorhebungen stammen von mir. Horst Koch, Herborn.

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