Gesetzlosigkeit+New Age

Erfüllung der Prophetie im New Age?

Vortrag von Peter P. J. Beyerhaus

Unsere diesjährige Osterakademie möchte ihren Blick auf das Ende der Geschichte richten. Aber nicht um ein uns völlig verhülltes Ereignis in ferner Zukunft soll es gehen, sondern um ein Geschehen, dessen Anbruch wir in zahlreichen Entwicklungen in unserer Gegenwart bereits deutlich verspüren. Wer wollte leugnen, dass die „schlimmen Zeiten“, von denen der Apostel Paulus an Timotheus (2Tim 3,1 ff) schreibt, in allem, was sie in seiner Sicht kennzeichnen, auch uns heutige Christen beständig beunruhigen und innerlich quälen?
Es entspricht ja durchaus biblischer Sicht, dass die Eschatologie von uns nicht wie ein spekulatives Schlußkapitelchen behandelt werden darf. Die Eschata, die „letzten Dinge, bilden vielmehr einen dynamisch bewegten Prozeß, der mit dem Hereinbrechen des Neuen Äons durch die Auferstehung Jesu Christi bereits begonnen hat und darum unsere ganze christliche Existenz im Wachen, verantwortlichem Handeln, im Kämpfen und Erleiden bestimmen soll.
So sieht es auch Jesus selber, und aus diesem Grunde hat er die letzte große Rede, von der uns die drei synoptischen Evangelien in deutlicher Übereinstimmung berichten eben der Endzeit und ihren Vorzeichen gewidmet. Unter diesen nennt er auf der einen Seite eine Reihe von unheilvollen Geschehnisse , die sich im Bereich der Natur, der Weltpolitik , der Kultur und auch der Kirchengeschichte abspielen.
Sie flauen mit der Zeit nicht etwa ab; vielmehr nehmen sie an Ausmaß zu und markieren somit das letzte Aufbäumen des von Teufel, Sünde und Tod bestimmten alten Äons.

Dem gegenüber steht nun aber das positive Zeichen der Endzeit – im Grunde genommen ist es nur dieses Eine, aber um so wichtigere – nämlich die weltweite Verkündigung der Heilsbotschaft vom Reich Gottes, das in durch Christi vollbrachtes Heilswerk schon angekommen ist  und bei seiner Wiederkunft in Herrlichkeit aufgerichtet werden wird (Matth 24,14).

Nach dieser einleitenden Schau auf das eschatologische Panorama wende ich mich nun konzentrierend der Aussage in Jesu Ölbergrede (Matth 24,12) zu, den die Veranstalter unserer Tagung lapidar in das Thema meines Referates aufgenommen haben:
„Weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe in vielen erkalten“ .

I. Das Wesen der Anomia
Der negative Kernbegriff in diesem Zitat ist das im Tagungsprogramm mit „Gesetzlosigkeit“ wiedergegebene griechische Wort anomia. Es wird in den zahlreichen Bibelübersetzung unterschiedlich verdolmetscht. Luther übersetzt „Ungerechtigkeit“, die Zürcher Bibel schreibt „Gesetzesverachtung“, und die Einheitsübersetzung paraphrasiert „die Mißachtung von Gottes Gesetz“. Diese Mannigfaltigkeit liegt sicher daran, dass es im allgemeinen Wortgebrauch tatsächlich Bedeutungsunterschiede gibt, angefangen bei dem objektiven Tatbestand, dass es Situationen gibt, in denen kein verbindliches Gesetz vorliegt. In anderen Fällen ist gemeint, dass Menschen handeln, ohne auf ein ihnen mehr oder weniger bekanntes Gesetz zu achten. Liegt ein höherer Bewußtseinsgrad vor, wäre zunächst sträflicher von „Gesetzwidrigkeit“ zu sprechen. Anomia kann aber auch bedeuten, dass bestimmte Menschen sich ganz bewußt gegen das herrschende Gesetz auflehnen, und hier träfen die Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung ins Schwarze.

1. Der neutestamentliche Gebrauch des Wortes Anomia
Das Wort anomia kommt in den Schriften des NT häufig vor, und zwar niemals in einem neutralen, sonders stets im negativen, verurteilenden Sinne. Es ist eine Bezeichnung für das Verhalten von Übeltätern, die sich bewußt des Bruches sowohl des staatlichen Gesetze wie auch der göttlichen Gebote schuldig machen und deswegen Bestrafung verdienen. In einem qualifiziert geistlich-theologischen Sinn bildet Anomia ein erklärendes Pendant zu einem andern negativen Zentralbegriff, nämlich der Hamartia, der Sünde. So lesen wir in 1Jo 3,4; „Jeder, der die Hamartia, d.h. die Sünde begeht, der begeht auch die Anomia, die Übertretung des Gesetzes, und die Hamartia ist die Anomia.“
„Hamartia“ meint ja wörtlich übersetzt die „Zielverfehlung“, d. h. das Verfehlen der von Gott dem Menschen als seinem Ihm zum Ebenbild und zur Gemeinschaft mit Ihm gesetzten Lebensbestimmung. Wer bewußt die Sünde tut, trennt sich damit von Gott, lebt in einem heillosen Zustande. Er steht außerhalb des Nomos, des Gebotes, mit dem Gott das Bundesverhältnis zwischen Ihm und der Menschheit und speziell dem Volk Israel regelt.
Dabei handelt es sich nicht immer um den Zustand eines einzelnen Menschen, sondern vielmals auch um einen kollektiven Zustand, der das Verhältnis einer sich von Gott abwendenden menschlichen Gemeinschaft kennzeichnet. Paulus zeigt im 2. Korintherbrief 6,14-15 anhand einer Reihe von Gegensatzpaaren ein dualistisches Weltbild auf, das die gegenwärtige Zwischenzeit der Überlappung der beiden Äonen bestimmt: des  prinzipiell überwundenen alten Äons einerseits und des schon begonnenen neuen Äons anderseits. Sie liegen  miteinander im Streit, bis schließlich mit der glorreichen Wiederkunft Christi zum Gericht der alte Äon mit allen ihn bestimmenden Mächten überwunden und abgetan sein wird. Die Gegensätze heißen:
Gerechtigkeit – Gesetzwidrigkeit;
 Licht – Finsternis;
Christus – Belial
Gläubige – Ungläubige;
Tempel des lebendigen Gottes – Tempel der Abgötter .

Es muß im Auge behalten werden, dass nach biblischem Verständnis der eigentliche Geber des Gesetzes kein Geringer als Gott selber ist. Das gilt für alle echten Gestalten des Gesetzes:
Es betrifft erstens das allen Menschen eingepflanzte Naturgesetz (Röm 2,14-15), zweitens die durch die staatlichen Autoritäten der Völker erlassenen Gesetze (Röm 13,1. 8-10),
drittens das dem Volk Israel auf dem Sinai in Gestalt der 10 Gebote gegebene mosaische Gesetz (Exodus 19,1-17), dann
viertens im Neuen Testament das in der Bergpredigt durch Jesus geistlich vertiefte Gesetz (Matth 5,17-48)  wie schließlich
fünftens das in Römer 8 von Paulus entfaltete Gesetz des Geistes (Röm 8,2).
Dieses enthält – im Unterschied zum mosaischen Gesetz – nicht nur die ethische und religiöse Forderung, sondern auch die Kraft, sie zu erfüllen.

In dieser grundlegenden biblischen Schau richtet sich die Anomia nur vordergründig gegen das kodifizierte Gesetz, das ja in seiner konkreten Gestalt im Blick auf sich wandelnde Situationen durch regierungsamtliche Gesetzesreform von Zeit zu Zeit aktualisiert werden muß. Im tiefsten Sinne richtet sich die bewußte Anomia gegen Gott selber; sie ist prinzipielle Empörung gegen Ihn, Bestreitung Seiner Herrschaft. Das geschieht meist im Namen einer vom Menschen beanspruchten Autonomie, letztlich aber auf Inspiration des satanischen Gegenspieler Gottes, des „Fürsten dieser Welt“ (Joh 14,12.31; 14,30; Eph 2,2). Dieser stellt dem Herrschaftsanspruch Gottes hybrid seinen eigenen entgegen. Wer sich aber dieser Ursünde allen göttlichen Warnungen zum trotz bleibend und unbußfertig verschreibt und sich dem Aufruf zur Buße, zum Sinneswandel, trotzig verweigert, auf den erwartet im Endgericht, wie Jesus selber in großem Ernst sogar den äußerlich frommen und gesetzestreuen Pharisäern vorgehalten hat (Matth 7,22-23), nichts Milderes als die Verdammnis.

2. Die geschichts-theologische Schau des Neuen Testaments
Eines der auf dieser Tagung gehaltenen Referate soll sich mit einer christlichen Theologie der Geschichte, und dies in Verbindung mit der biblischen Lehre vom Antichrist beschäftigen. Ohne dem vorgreifen zu wollen, möchte ich aufgrund des mir thematisch vorgegeben Bibelverses doch schon einige Grundzüge der biblischen Geschichtsschau andeuten.

Im Gegensatz zu einer in der zeitgenössischen akademischen Theologie und leider auch der kirchlichen Verkündigung verbreiteten Überzeugung vertreten die Autoren der neutestamentlichen Schriften wie schon die eschatologischen Aussagen der alttestamentlichen Propheten keine optimistisch -monistische, sondern eine realistisch-dualistische Schau. Damit meine ich keinen zeitlosen metaphysischen Dualismus wie im Manichäismus, sondern einen zeitlich begrenzten heilsgeschichtlichen Dualismus. Dieser besteht sowohl in der weltgeschichtlichen Epoche seit der Urrebellion Luzifers mit seinen Engeln und dem ihm im irdischen Bereich folgenden Sündenfall Adams. Der alte Äon wirkt aber auch nach dem Kommen Christi fort, nämlich  in der qualifiziert heilsgeschichtlichen Zwischenzeit zwischen dem unsichtbaren Herrschaftsantritt Christi bei seiner Auferstehung (vgl. Matth 28,18) und seiner Parusie zur Aufrichtung seiner auch universal sichtbaren Herrschaft (vgl. 1Kor 15,24-28).

Noch also hat Satan, der einst neben Michael der mächtigste Fürst der Engelscharen war und es nach seinem Sturz über die mit ihm abgefallenen finsteren Engelheere blieb (Judas 6), einen beträchtlichen Teil seiner ursprünglichen Macht behalten. Das tat er auch noch nach seiner grundlegenden Entrechtung und Entmachtung durch den Sieg, den Jesus Christus am Kreuz und in seiner Auferstehung über ihn gewonnen hat. Denn immer noch nennt Jesus selbst ihn den „Fürsten dieser Welt“ (Joh 12,31; 14,30; 16,11).
Das gilt uneingeschränkt für alle Bereiche, wo sich Menschen bewußt gegen die ihnen in Christus angebotene Erlösung von der Macht der Sünde und des Teufels sträuben und es vorziehen, im dämonischen Bereich der Finsternis zurück zu bleiben. Vorläufig stehen also der alte und der neue Äon gegenüber Apg. 26,18) und liegen, angeführt von ihrem je eigenen Oberhaupt Christus oder Belial, im Widerstreit.

In diesem also noch existenten alten Äon waltet die Anomia, die Auflehnung gegen die Gebote und den göttlichen Gebieter wie auch gegen die von Ihm eingesetzten staatlichen Ordnungsmächte. Was noch beunruhigender ist: Anomia tritt als Störungsfaktor leider immer wieder auch im Bereich der Kirche ein, wie das ja schon Mose und die Propheten beim alttestamentlichen Bundesvolk beklagten. Auseinandersetzung mit solcher auch in die Gemeinden eindringende Anomia bestimmen weitgehend die Ermahnungen und Warnungen in den apostolischen Schriften.
Ein äußerst beachtlicher Wesenszug in der neutestamentlichen Geschichtsschau ist die prophetische Erwartung, dass die Anomia nicht etwa im Gefolge der weltweiten missionarischen Ausbreitung der Kirche und der christlichen Durchdringung der ethnischen Kulturen immer mehr gebändigt und zurückgedrängt werden und schließlich fast zum Verschwinden kommen wird. Ganz im Gegenteil: Jesus kündigt in seiner Ölbergrede ein Anwachsen der Anomia an, die sich bis zum Ende der Geschichte ins Unerträgliche steigern werde (Matth 24,12-13). Nur eine Minderzahl von Menschen, die Auserwählten, werden dem standhalten; ja, wenn Gott diese allerletzte antichristliche Periode nicht um ihretwillen verkürzte (Matth 24,22), würden auch sie in den Strudel des Abfalls hineingerissen werden. Nun aber bleiben sie in ihrer Geduld und Leidensbereitschaft bewahrt, bis ihr wiederkommende Herr sie aus all ihren Bedrängnissen erlösen und mit sich für ewig zu seiner Brautgemeinde vereinen wird.
Wachsende Anomia ist also ein zentrales Kennzeichen des unheilsgeschichtlichen Abfalls in der Welt und auch in der Kirche. Es markiert das endzeitliche Stadium im Vorfeld der Parusie Jesu.

Eine unheilvolle Auswirkung der in die Gemeinde Christi selbst eindringenden Anomia ist, dass die „Liebe in vielen erkalten“ wird. Abgekühlte, lauwarme und für Christus inakzeptable Liebe ist das Kennzeichen der in Offb 3,14-2 angeredeten kleinasiatischen Gemeinde Laodizäa, welcher Jesus ausrichten läßt:
„Weil du aber lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ …

Unter den Bibelexegeten wird diskutiert, ob es sich bei der zu erkalten drohenden Agape um die Nächstenliebe oder die Liebe zu Gott handele. Die meisten neigen dazu; sie auf ihre beiden Objekte zu beziehen, jedoch der Liebe zu Gott, die eine Widerspiegelung Seiner eigenen erbarmenden Liebe zu uns ist, den Vorrang zu geben. Da, wo man die Gebote Gottes zu vernachlässigen beginnt, wirkt sich diese beginnende Anomia auch im Abkühlen der Liebe zu Ihm aus, der doch schon dem Volk Israel das Grundgebot gegeben hat:
„Höre Israel: der Herr unser Gott ist  e i n  Herr, und du sollst den Herrn deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“ (Dt 6,4-5). Jesus bekräftigt dieses Grundgebot als das vornehmlichste und fügt ihm dann als gleich wichtig untrennbar an „… und deinen Nächten wie dich selbst.“ (Matth 22.36.38). Wo das nicht mehr ernst genommen wird, beginnt das Absterben der Lebensverbindung der Gemeinde und ihrer einzelnen Glieder mit Gott und droht ihnen der geistliche Tod. Das Erkalten der Liebe läßt alle Frömmigkeit und Ethik dahinschwinden, je länger, desto mehr.

Dies ist jedoch nicht einfach Ergebnis eines spontanen Verfallsprozesses, einer immanenten Müdigkeit und Erschlaffung. Vielmehr ist es gleichzeitig bewirkt durch dämonische Einflüsse, mit denen auch die Gemeinde permanent zu ringen hat. Da, wo die Gemeinde nicht wachsam ist, da, wo sie Anteil gewinnt an einer allgemeinen geistig-ethischen Orientierungslosigkeit, da wird sie empfänglich für auftretende Pseudopropheten und Pseudo-Messiasse. Schon in der Bergpredigt (Matth 7,15) warnt Jesus vor pseudo-prophetischen Verführungen. Ausdrücklich als endzeitliche Bedrohung kündigt er das Auftreten falscher Propheten und Pseudomessiasgestalten in unserm vorliegenden Textzusammenhang (Mt 24,5) an:
“Viele werden auftreten in meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und werden viele irreführen“; und wenig später (V.11): „Und viele falsche Propheten werden auftreten und werden viele irreführen.“ Unmittelbar darauf  setzt Jesus in V. 12 fort: „und weil die Anomia überhand nimmt, wird die Liebe in vielen erkalten.“
Adolf Schlatter schreibt zu dieser Stelle: „…die innere Unruhe und Glaubenslosigkeit wird viele gegen schlimme Verführer wehrlos machen. Solche Zeiten sind die günstigen Gelegenheiten, wo falsches Prophetentum entstehen und Glauben finden kann. Unter dem Druck der Not streckt sich der Mensch begierig nach Zeichen und Offenbarungen aus, die ihm Licht von oben bringen sollen.“
Und hier stehen wir auch schon mitten in der New-Age-Bewegung. Diejenigen, die sich gründlich mit ihr beschäftigt und nach den Ursachen ihrer raschen Aufnahme in alle Schichten der Gesellschaft und sogar in die Kirchen geforscht haben, kamen zu dem Schluß, dass es die gegenwärtig so weit verbreitete Sinnkrise sei, die diese Rezeptivität fördere.
Das aber bestätigt zugleich die Notwendigkeit der Geisterunterscheidung, welche die Apostel Paulus und Johannes ihren Gemeinden so dringlich ans Herz gelegt haben 1Kor12,10; 1Joh4,1-2. Denn die pseudoprophetischen Verführer kommen nicht mit Schwertgerassel, sondern auf leiden Sohlen, und sie verbergen bewußt ihre eigentlichen Zielsetzungen.
Das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt der Anomia, nämlich ihrem
Geheimnischarakter.

3. Anomia als (un)heilsgeschichtliches Mysterium
Wir haben bereits verstanden, dass wir das Überhandnehmen der Anomia in einem biblisch-heilsgeschichtlichen Zusammenhang zu verstehen haben. Die Autoren des NTs sehen die Geschichte im Paradigma eines großen sich entfaltenden und eschatologisch zuspitzenden Dramas mit letztlich kosmischen Dimensionen. Die beiden Hauptgegenspieler darin sind Gott in seinem dreigestaltigen geschichtlichen Offenbarungs- und Heilshandeln auf der einen, der Teufel auf der anderen Seite.
Gott hält jedoch seinen schon vor aller Zeit gefaßten Heilsratschluß, besonders aber die Heilsstrategie, mit der Er ihn verwirklichen will, zunächst verborgen als ein Mysterium, wie Paulus im Epheserbrief (Eph 1,9f.) erklärt. Der Inhalt des Geheimnisses soll aber nicht für immer verborgen bleiben. Vielmehr ist der Sinn des heilsgeschichtlichen Mysteriums der zu seiner Zeit offenbart und von den anfänglichen  Offenbarungsempfängern schließlich sogar weltweit verkündigt zu werden.
Nun erfahren wir von Paulus und Johannes, dass auch Gottes Widerpart, Satan, sein eigenes Mysterium bzw. seine Mysterien hat, deren Inhalte nach Zielsetzung und Verwirklichung er geheim hält, bis er den günstigen Augenblick zur Entfesselung seiner Mächte und zum Losschlagen gekommen sieht. Denn er will die Menschen ja über seine wahren Absichten und deren verhängnisvollen Folgen im Dunkeln lassen, bis sie ihm wehrlos verfallen sind und ihr Schicksal nicht mehr abwehren können. Dem satanisch Bösen haftet also etwas Unheimliches, zugleich aber auch Faszinierendes, d. h. Verzauberndes an. Darum können Menschen danach greifen, als ob es sich hier um eine Quelle des Glückes handele, und können Menschen sich Satan und seinen Geistermächten ausliefern, als ob sie es in ihm wirklich um eine Lichtgestalt 2Kor 11,14) und einen universalen Beglücker der Menschheit handele.

Es gibt drei Inhalte  der Mysterien Satans. Dem ersten begegnen wir in der Anomia, wobei Paulus vom „Mysterion der Anomia“ spricht. Dieses ist das vorbereitende Wirken auf das personale Auftreten des „Menschen der Anomia“, also des Antichrist, hin.
In der Johannesoffenbarung wird der Begriff Mysterion unheilsgeschichtlich noch auf eine dritte apokalyptische Erscheinung bezogen. In Kap 17, 3 lesen wir: „Und ich sah ein Weib auf einem scharlachroten Tier sitzen …, und sie hatte einen goldenen Becher in ihrer Hand, voll von Greueln und Unzucht, und an ihrer Stirn stand ein Name geschrieben, ein Geheimnis, das große Babylon, die Mutter der Buhlerinnen und der Greuel der Erde“.
Der Seher Johannes bezeugt: „ich verwunderte mich sehr, als ich sie sah“. Er steht hier also fassungslos vor einem Mysterium tremendum, einem Geheimnis, das Furcht und Zittern erregt. Der Angelus interpres (Gottes Deuteengel) geht darauf ein und sagt (V. 7) zu dem Seher Johannes: „Warum verwunderst du dich? Ich will dir das Geheimnis des Weibes und des Tieres zeigen, das sie trägt ….“
Die Bibelausleger rätseln bis zum heutigen Tage, wer oder was wohl mit dem babylonischen Weib gemeint sei. Viele haben dabei an eine in der Endzeit pervertierte Kirche, eine dämonisch inspirierte Antikirche, die der wahren Kirche, der Braut Christi, feindlich gegenüber steht. Es gibt aber daneben auch die Deutung, dass es sich hier um die um eine von ihren christlichen Wurzeln total losgelöste Kultur handele, die zugleich auch eine politische und wirtschaftliche Macht darstellt. Es könnte sich aber auch um eine synkretistische Weltreligion handeln, zu der sich alle bestehenden Gestalten konkreter Religion verbinden.
Wenn man davon ausgeht, dass in dieser Verbindung die Kirche, bzw. ein abgefallener Teil von ihr selber eine integrierende Rolle spielen könnte, so würden sich die drei genannten Deutungsversuche nicht widersprechen, sondern gegenseitig ergänzen.
Wir stehen also vor einer geschichtlichen Gesamtschau, in welcher Anomia als menschliche Auflehnung gegen Gott, der Mensch der Anomia als deren personale Verkörperung und eine der Sittenlosigkeit verfallene Weltkultur zu einer apokalyptischen Trias verbinden.
Dieser Tage sandte mir ein Bekannter ein diesen Zustand treffend beschreibendes Zitat unbekannter Herkunft:

„Wenn die Menschen gottlos leben, sind die Sitten zügellos,
ist die Mode schamlos, sind die Lügen grenzenlos,
die Verbrechen maßlos, die Völker friedlos,
die Schulden zahllos, die Regierungen ratlos,
ist die Politik charakterlos, sind die Beratungen ergebnislos,
die Konferenzen endlos und die Aussichten trostlos!“

Gerade eine solche Situation wird dereinst die geschichtlichen Voraussetzungen bieten, die dem zu erwartenden universalen Tyrannen der Endzeit Tore und Türen  öffnen. Denn für den Zusammenhalt jeglicher sozialpolitischer Gemeinschaft wären ja die hier angesprochenen Verhältnisse schlechthin unerträglich. Sie würden geradezu schreien nach einer durchgreifenden Ordnungsmacht, die diesem anarchischen Chaos ein Ende setzt, und sei es durch eine diktatorische Zwangsordnung

4. Der Anthropos tees Anomias, d.h. der Mensch der Widergesetzlichkeit
Da wir auf dieser Tagung noch einen eigenen Vortrag über die Bedeutung des Antichristen für eine christliche Geschichtstheologie hören werden, möchte ich als für unsere heutige Thematik wesentlich die folgenden 6 Kennzeichen nennen:

Der Antichrist ist die abschließende Verkörperung einer zuerst von Daniel (Kap. 2, 7 und 9) prophetisch geschauten weltgeschichtlichen Entwicklung, in der nacheinander ein irdisches Weltreich das vorangegangene verdrängt, um im vierten Weltreich – gemeint ist in Dan 2,40-43 offenbar das Imperium Romanum –   ihre Vollendung und im letzten Monarchen ihre personale Spitze zu finden.

• Es handelt sich um eine satanisch inspirierte Gestalt, die in Konkurrenz zum authentischen Christus und dessen Königtum steht und ihn teils subtil, teils brutal zu verdrängen sucht. Es geht also um den entscheidenden Schlussakt des uralten Kampfes des Teufels mit Gott um die Weltherrschaft.

• Seine beiden  Grundmotive sind ein maßloser Selbstverwirklichungsdrang und in Verbindung damit der Haß gegen Gott und seine Ordnungen. Er wird ihn lästern (Dan 7, 20. 25; 2Thess 2,4; Offb 13,5f.) und seine Gebote auflösen, also als großer Verführer Gottlosigkeit und Immoralität verbreiten –  soweit diese sich mit seiner eigenen Vergötterung und dem von ihm diktatorisch verfügten Verhaltenskodex vereinen lassen.

• Er tritt mit einem sich selbst vergötternden Herrschaftsanspruch auf und verlangt von allen Menschen unbedingte Gefolgschaft und Verehrung, die sich in der Anbetung seines Idols und der Aufnahme seiner Zahl 666 als Erkennungszeichen beweist.

• Er macht sich zum Haupt eines durch globale Machtzusammenballung geschaffenen politischen und ideologischen Einheitssystems, eines zentralistischen Zehnstaatenbundes Offb 17,3. 12-14). Schließlich wird seine Herrschaft in Terror umschlagen.

• Er nimmt täuschend die Stellung des wiedergekommenen Christus ein. Er imitiert dessen Werke und kommt in der ersten Phase seines insgesamt dreieinhalbjährigen Wirkens unter der Maske des die Menschheit beglückenden Wohltäters. So wird es ihm –  unterstützt durch dämonische Wundertaten (Mt 24,24; 2Thess 2,9) –  gelingen, den Großteil auch der Christenheit zum Abfall zu verführen. Er wird sich in den Tempel Gottes setzen und von der gesamten Menschheit angebeten lassen (2Thess 2,4; Offb 13,3-4).
Man könnte in ihm  die Erfüllung der in vielen Religionen vorhandenen Hoffnung auf eine das Goldene Zeitalter heraufführende Rettergestalt unter Namen wie Maitreya, Krischna oder Mahdi erblicken. Das führt uns zum zweiten und dritten Teil unseres Themas:

II. Synkretistische Religiosität im Zuge der Postmoderne

1. Die neue Spiritualität
Eine erstaunliche Beobachtung, die wir seit drei Jahrzehnten bei der Analyse unserer westlichen Kultur anstellen können, ist das Wiedererwachen eines religiösen Interesses bei vielen Zeitgenossen. Die beiden Jahrhunderte, welche der Aufklärung und der Französischen Revolution folgten, wurden allgemein als das Zeitalter der Moderne bezeichnet. Sie standen wesentlich im Zeichen eines sich naturwissenschaftlich begründenden materialistischen Rationalismus, eines atheistischen Humanismus und einer unaufhaltsamen Säkularisation des öffentlichen wie des privaten Lebens. Dietrich Bonhoeffer zog daraus den Schlußsatz, dass wir nun am Beginn eines völlig religionslosen Zeitalters stünden. Der moderne Mensch sei zu seiner vollen rationalen Mündigkeit erwacht und habe zur Erklärung und Bewältigung seines Lebens die Hypothese „Gott“ nicht mehr nötig: Einflußreiche Philosophen wie Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, sowie die Schüler von Charles Darwin und Siegmund Freud, hatten das schon lange vor ihm behauptet.
Anfang der 1970er Jahre aber geschah nun das Unwahrscheinliche: Immer mehr Menschen wollten sich mit unserm rein rationalistischen Wirklichkeitsverständnis nicht mehr zufrieden geben; denn von ihm her konnten sie auf die zentralen Fragen ihres Lebens, besonders in den Grenzsituationen von Krankheit, Leid und Tod keine Antwort gewinnen. Junge Menschen wurden der materialistischen Konsumzivilisation überdrüssig und wandten sich aus Neugier und Erlebnishunger Erfahrung mit der Transzendenz zu. Durch diese – so hofften sie – würden sich ihnen ungeahnte Dimensionen erschließen, vermittels derer sie zu „Gipfelerfahrungen“ gelangen können – z. T. ganz ähnlich den durch Drogeneinnahme ausgelösten Rauschzuständen. Das Thema „Ekstase“ begegnet schlagartig in den unterschiedlichsten Zusammenhängen: Im Rauschgiftmilieu. In Sexualorgien, in der jugendlichen Diskoszene von Beat, Rock und Psychodelik, in spiritistischen Seancen, in Experimenten mit Yoga, Zen und anderen asiatischen Meditationsformen.

2. Auf dem Wege zu einer synkretistischen Religionssynthese
Der dänische Professor für Ökumenische Theologie und Religionswissenschaft Johannes Aagaard hat die These aufgestellt, dass gegenwärtig eine neue Weltreligion im Entstehen begriffen sei oder bewußt erschaffen werde. Sie habe ihre Wurzeln in den klassischen Religionen, von denen aber keine ausschließlich zur Herrschaft gelange. Vielmehr holen sich die Anhänger diejenigen Stücke aus einzelnen Religionen heraus, die ihnen für ihre Bedürfnisse passend erscheinen: Medien, Gurus, Propheten, Unsterblichkeit, Reinkarnation, Aura, geistige Meister, Yoga, Karma, Wiedergeburt, Biorhythmus, Tarotkarten und Astrologie. Die „neue Spiritualität“ entsteht nicht durch eine Rückkehr zu einer historischen Religion, d.h. auch nicht etwa durch eine christliche Erweckungsbewegung, sondern durch eine Vermischung aus verschiedenen Weltanschauungen und Religionen, aus Esoterik, Magie und Okkultismus.
Ich glaube, dass Aagaard hier richtig beobachtet hat. Es muß allerdings eine zweite Beobachtung hinzugefügt werden: Das religionsvermengende Geschehen läuft gleichzeitig auf zwei unterschiedlichen Ebenen ab. Die eine ist die private. Auf dieser wählt sich jede einzelne interessierte Person in Selbstbedienung auf dem Jahrmarkt bzw. der Weltausstellung religiöser Möglichkeiten diejenigen Elemente aus, die dem persönlichen Geschmack entsprechen bzw. zum Erreichen eigener Zwecke nützlich erscheinen. – z. B. einer gesundheitlichen Lebensreform oder einer künstlerischen Inspiration, und sei sie noch so schockierend!

3. Modelle synkretistischer Zukunftsgestaltung
Von dem soeben beschriebenen Geschehen auf privater Ebene zu unterscheiden – wenn auch nicht zu trennen – ist die Ebene programmatischer Gestaltungsbemühungen. Auf dieser Ebene verbindet sich der religions-pluralistische Prozeß mit einer visionären Zielsetzung seiner menschlichen Betreiber. Das trifft in vollem Maße für die theosophisch inspirierte Hauptrichtung zu, die sich mit den Namen Alice Bailey, David Spangler sowie Marilyn Ferguson und ihrem Buch „Die sanfte Verschwörung“ verbindet.
Ähnliche Bemühungen gibt es jedoch auch in anderen Bewegungen; die es z: T. sogar zu offizieller Anerkennung gebracht haben. Der schwedische Theologe Folke Olofsson hat dafür den Begriff das „synkretistische Projekt“ geprägt. Dieses sei dabei, das bisherige moderne „Projekt der Säkularisierung“ abzulösen.
Der Synkretismus erscheint danach weniger als ein Vorgang der sich ungewollt aus dem Zusammenfließen verschiedener Religionen und religiöser Kulturen ergibt. Vielmehr stellt er ein von bestimmten einflußreichen Persönlichkeiten absichtsvoll entwickeltes Programm dar, in dem ein innerweltlicher Zweck verfolgt wird, wie z. B. der Zusammenhalt verschiedener Völkerschaften in einem gemeinsamen Staatswesen oder auch eine moralische Reform wie schließlich das Überleben der Menschheit angesichts bevorstehender Weltkatastrophen. Die Absicht kann also subjektiv höchst respektabel sein.
Allerdings, und das ist das Entscheidende: Ein Projekt ist stets ein Vorhaben von Menschen, die es aus ihrer jeweiligen eigenen Perspektive verfolgen. „Von sich selbst aus“, schreibt Olofsson, „projiziert der Mensch seine Gedanken, Träume, Hoffnungen, seine Ideologie hinaus in Zeit und Raum.“ Im synkretistischen Projekt bemühen sich also einzelne Visionäre, ideologische Gruppierungen oder auch politische, kulturelle und religiöse Organisationen darum, in regionaler oder internationaler Perspektive die Zukunft der Menschheit nach ihren eigenen Leitbildern in den Griff zu bekommen und zu gestalten. Ein solches Beispiel bietet die NAB.

III. Anomia in der synkretistischen Vision von New Age

1. Identitätsmystik als Grundlage der New Age-Bewegung
In meinem früheren Vortrag an dieser Stelle habe ich darauf hingewiesen, dass eine wichtige Quelle der New Age-Bewegung in der wesentlich vom Hinduismus und Buddhismus Anleihen nehmenden Theosophie der Damen Helena Blavatsky und ihrer Schülering Alice Bailey zu suchen ist. Mit diesen teilt New Age die Grundkonzeption von der apersonalen Einheit alles Seienden, von Gottheit, Kosmos und Mensch. Auch hier geht es also um Identitätsmystik. Der menschlichen Seele eignet selbst Göttlichkeit, dem Menschen steht kein personaler Gott gegenüber, vor dem er sich zu verantworten hat. Vielmehr findet er Göttlichkeit, meist „Spiritualität“ genannt, in der Tiefe seiner eigenen Seele. Sie ist die Quelle seiner religiösen Erfahrung, sie bestimmt sein religiöses und moralisches Verhalten, in ihr findet er auch die Kraft zu seiner eigenen Befreiung von den Banden stofflicher Einhüllung. Erlösung bzw. Heil, wenn man diese christlichen Begriffe aus Gründen der Analogie überhaupt gebrauchen will, ist Bewußtseinerweiterung, ist Erlangung eines göttlichen Bewußtseins im Erkennen der wesentlichen Einheit von Atman = Seele und Brahman = Göttlichem. Methoden dafür sind Entspannungs- und Meditationsübungen, wie wir sie in den mannigfaltigen Yoga-Systemen des Hinduismus kennen und wie sie im Westen von den Gurubewegungen popularisiert werden.
In dem Maße, wie der Mensch auf diesem Wege voranschreitet, kommt es zu einer Auslöschung aller Gegensätze zwischen Makrokosmos und Mirokosmos, zwischen allen Einzelwesen. Das hat zur Folge auch die Leugnung des Dualismus von Licht und Finsternis, von Gutem und Bösem, von Engeln und Dämonen.

2. Auffälliges Fehlen ethischer Maßstäbe
Der in die NAB eintretende Christ eliminiert im vermeintlichen Erkennen seiner Göttlichkeit auch seine bisherigen Schuldgefühle sowie sein Sündenbewußtsein. Denn er ist ja im Wesen gut, und Fehlverhalten ist lediglich eine Folge eines mangelhaft entwickelten kosmischen Bewußtseins.
Um dieses Bewußtsein um die Einheit mit dem All zu erreichen, darf der New-Age-Anhänger jedes Mittel benutzen, was diesem Zwecke dienlich ist. Einer dieser Wege ist das aus Tibet kommende Tantra-Yoga.  Hier werden auch sexuelle Ausschweifungen empfohlen und praktiziert, die zu einer Ekstaseerfahrung führen. Das ist auch unter den Anhängern wie auch Seelenführern geduldet und verbreitet, wie das Ehepaar Victor und Victoria Trimundi in seinem Buch „Der Schatten des Dalai Lama” ausführlich dargelegt hat. Es trägt den Untertitel: „Sexualität, Magie und Politik im tibetanischen Buddhismus“.
Hinduistische Gurus Yogis können sich auf ihrem spirituellen Streben nach Selbstvergottung zu spirituellen Egoisten entwickeln. In ihrer kontemplativen Konzentration auf ihre Einheit mit Brahman erscheinen sie in ihrer Yoga-Position wie leblose Figuren. Dabei lassen offenbar völlig gefühllos, bar jeglicher Liebesregung alle persönlichen Verbindungen sogar zu ihren nächsten Familienangehörigen absterben, sich in ihrem mystischen Hochmut von diesen aber gleichzeitig wie Götter in Menschengestalt bedienen und kultisch verehren. Das hat der nach schlimmen geistig-ethischen Verirrungen durch ein geistliches Wunder zum lebendigen Christusglauben gekommene Inder Rabindranath R. Maharaj sehr anschaulich erzählt in seinem autobiographischen Buch „Tod eines Gurus“. Darin berichtet er auch, wie es ihm zum Bewußtsein kam, dass er durch seine Yoga-Praktiken in okkulte Bindungen geraten war, aus denen  er nur durch eine völlige Lebensübergabe an Jesus Christus gelöst werden konnte. Auch nachher versuchten ihn die unsichtbaren Mächte immer wieder, ihn  in ihren Bann zurückzuziehen.

3. Die Zukunftsschau der New Age-Bewegung
Auch in der NAB geht es für jeden Einzelnen wie auch für eine ganze Gemeinschaft darum, zunächst selbst zum „Krishna-Bewußtsein“ zu gelangen und danach dieses auch anderen zu vermitteln. Der Weg dazu führt zunächst über meditative und asketische Übungen, pausenloses Chanting von Mantras und tänzerische Ekstasetechniken. Darüber hinaus gehört auf einer gehobenen Stufe dazu die Kontaktaufnahme mit transzendenten Geistern, die in der NAB als „aufgestiegene Meister“ bezeichnet werden und irgendwo in der transzendenten Überwelt (genannt wird oft die mythische Stadt Schambala) eine „Weiße Hierarchie“ bilden. Es handelt sich dabei um Parallelen zu den hinduistischen Avataras und den buddhistischen Bodhisattvas, also Menschen, welche ihre mystische Erleuchtung schon erreicht haben und dadurch in einen erhöhten spirituellen Zustand hinübergekommen sind. Sie stehen mit ihren irdischen Adepten medial in Verbindung und leiten sie dazu an, durch immer weitere Vernetzung der Menschheit nach und nach ein kosmisches Bewußtsein zu vermitteln. Dieses bildet die Grundlage für die Verwirklichung einer grandiosen Zukunftsvision.
New Age bedeutet ja Neues Zeitalter, und die NAB ist die Gemeinschaft derjenigen, die sich berufen fühlen, dazu beizutragen, das universale Kommen dieses Zeitalters zu beschleunigen. Dass es überhaupt kommen wird, steht für die Anhänger außer Frage; denn aufgrund eines kosmischen astrologischen Gesetzes ist dieses sogar bereits angebrochen. Es ist Zeitalter des Wassermanns, welches das abgelaufene Zeitalter Fische, also die Epoche des Christentums, abzulösen bestimmt ist. Die menschliche Unterstützung seitens der NAB geschieht vermittels einer „sanften („aquarischen“) Verschwörung“. Sie betreibt zunächst heimlich, dann offen eine Revolution, die nicht  mit terroristischen Methoden vorgeht, sondern vermittels medialer Einweihungen. Verlockt werden die Menschen dadurch, dass ihnen als Ziel dieser Bewegung eine friedliche Weltgemeinschaft versprochen wird, in der alle bisherigen sozialen, politischen und auch religiösen Trennmauern abgerissen und einer allgemeinen Harmonie in allen mitmenschlichen Beziehungen gewichen sein werden.
Das Aquarius-Lied im Musical Hair bringt diese New Age Vision auf ihre klassische Formel:
„Harmonie und Recht und Klarheit

Sympathie und Licht und Wahrheit
niemand will die Freiheit knebeln
niemand mehr den Geist umnebeln
Mystik wird uns Einsicht schenken
und der Mensch lernt wieder Denken
dank dem Wassermann.“
Es handelt sich also um ein großartiges utopisches Erlösungsprogramm durch spirituelle menschliche Selbstverwirklichung – jedoch ohne persönlichen Gott.

 4. Das pseudomessianische Element der New Age-Bewegung
Wir sprachen von der Rolle, welche in den Plänen der NAB die Weiße Hierarchie der aufgestiegenen Meister einnimmt. Unter diesen Meistern gibt es nun einige herausragende Große Meister, die in der Geschichte als Stifter von Weltreligionen aufgetreten sind und in der Mythologie der NAB eine wichtige Rolle spielen. Sie tun dies teils nach- und nebeneinander, teils werden sie einfach miteinander identifiziert, und ihre Namen werden austauschbar verwendet. Zu diesen Großen Meistern gehört auch Christus, meist mit dem bestimmten Artikel als „Der Christus“ angeführt. Dieser der Theosophie und der Anthroposophie Rudolf Steiners verdankte Christus ist eine überzeitliche und übergreifende Gestalt, die sich in den Gestalten verschiedener Religionsstiftern offenbart. Darunter findet sich auch Jesus. Mit ihm ist „der Christus“ jedoch nicht identisch, anders als es der biblisch-historische Jesus Christus aufgrund der bleibenden Inkarnation des göttlichen Logos ist.
Das wohl wichtigste Werk unter den im Lucis Trust (ursprünglich Lucifer Trust) erschienenen 24 Bänden der Esoterischen Philosophie von Alice Bailey’s  trägt den Titel: „The Re-Appearance of Christ“. In der Zusammenfassung wird die Rolle dieses wiederkommenden bzw. besser wieder erscheinenden Christus wie folgt beschrieben:

„Die Menschheit erlebt eine ihren Höhepunkt erreichenden Zeit des Wandels mit allen Formen von  Schmerz, Chaos und Auflösung, die diesen begleiten. …. Jedesmal in solchen Zeiten erscheint ein Lehrer, um das neue Zeitalter heraufzuführen, eine Welterlöser, ein Erleuchtender, ein Avatar, ein Vermittler von Kundgebungen, ein Christus. Auch unser Heute bildet keine Ausnahme von diesem uralten universalen Gesetz. Seit Jahrhunderten ist das Wiedererscheinen eines Avatars von den Gläubigen in aller Welt vorausgesehen worden, sowohl seitens der Christen als auch derer, die den Maitreya, den Boddhisattva, den Messias und den Imam Mahdi erwarten … Der kommende Weltlehrer wird eine Offenbarung bringen, die in unsere Gegenwart hinein spricht, indem er das internationale Kommunikationssystem benutzt , so dass „jedes Auge sehen und jedes Ohr hören wird“. Der Weltlehrer wird den Glauben an Gottes Liebe und an das Leben unserer gemeinsamen Göttlichkeit wiederherstellen, sowie in die enge unauflösliche Beziehung zwischen allen Völkern dieser Erde.“

Die gemeinsame Nennung dieser verschiedenen Namen und deren Identifizierung beweist, dass es sich hier, obwohl die christliche Wiederkunftserwartung positiv angesprochen wird, keineswegs um den biblischen Jesus Christus handelt. Vielmehr geschieht ein semantisches, synkretistisches Täuschungsmanöver. Letztlich ist dieser Maitreya-Christus nur die Verkörperung aller dem menschlichen Wesen innewohnenden spirituellen Potenzen. „Der Christus“ der NAB ist der Idealtypus der neuen Menschheit – zugleich eine korporative und eine individuelle Persönlichkeit. Bailey verrät sich durch ihr eigenes Vokabular. Wenn der Glauben an Gottes Liebe zugleich der an das Leben unserer gemeinsamen Göttlichkeit ist, so handelt es sich bei dem erwarteten und durch die sog. Große Invokation täglich von Hundertausenden von NAB-Anhängern herbeigerufenen Weltlehrer um die kollektive Selbstvergötterung der Menschheit.

Schaut man dann noch etwas näher auch in die Ausführungsbestimmungen, die wir bei David Spangler finden, so weist die vom Maitreya-Christus aufgerichtete Friedensordnung auf ein zutiefst totalitäres System hin. In ihm haben nur diejenigen Lebensraum, die den Grundvoraussetzungen der New-Age-Philosophie zustimmen, nämlich der wesentlichen Einheit aller Religionen, ihres spirituellen Ursprungs und ihrer Zielsetzung. Das erfordert inhaltliche Toleranz gegenüber allen religiösen Ausdrucksformen. Dagegen wird es für konservative Anhänger historischer Glaubenssysteme, Menschen, die sich weigern, die „Bewußtseinstransformation ins Neue Zeitalter“ mitzumachen, in der kommenden Weltgemeinschaft keinen Platz geben. Durch eine dem „Neuen Zeitalter” vorausgehende Säuberungsaktion werden sie aus dem Lebens- und Wirkensbereich der neuen Menschheit entfernt werden. Sie sollen entweder auf eine andere Ebene des Bewußtseins der Erde ausquartiert oder sogar ganz von dieser Erde genommen werden. Hauptsache ist, schreibt Spangler, dass sie „vorläufig die Fähigkeit verlieren, die Entwicklung dieser Erde zu lenken und zu beeinflussen.“
Keine Toleranz also für Bekenner des biblischen Christus und treue Glieder seiner ihm gehorsam bleibenden Kirche!

Ich behaupte keineswegs, dass es die New Age-Bewegung  ist, welche ihre bizarren Vorstellungen in historische Realität umsetzen wird; im Gegenteil: angesichts ihrer Diffusion und Verebbung schließe ich das sogar aus.
Aber der Geist, aus dem sie geboren wurde, und die Konzepte, die hier spekulativ entwickelt wurden, sind auch in anderen durchsetzungsfähigeren Bewegungen und System wirksam. Jene Glaubensunterdrückung und Verfolgung, die ich eben andeutete, wird  in der Tat dereinst das Schicksal der Gemeinde unter der Weltherrschaft des Antichrist und in dessen Einheitsideologie sein. Das können wir dem Buch der Johannesoffenbarung entnehmen, wo es in Kap. 12,17 heißt:
„Und der Drache ergrimmte über das Weib und ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer Nachkommenschaft, die das Gebot Gottes und das Zeugnis Jesu festhalten.“

Sehen wir Tendenzen in dieser Richtung nicht schon in unserer heutigen Gesellschaft walten?
Werden nicht Menschen, die sich dem Diktat der „political correctness“ bzw. auch der „clerical correctness“ nicht beugen, als Fundamentalisten und Friedensstörer verächtlich gemacht und werden ihnen die Möglichkeit öffentlicher Einflußnahme nicht systematisch entzogen?
Ich glaube, jedem von uns fallen aus seinem eigenen Horizont sofort Namen wie z. B. Eva Herman ein, von Christen mit Zivilcourage, die in unsern Tagen genau diese Erfahrung machen müssen!

Die Hervorhebungen stammen von mir. Horst Koch, Herborn.

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Genderismus-Slenczka

 

 Gutachten zu der Frage:

Mit welchen Gründen von Vernunft und Recht wird die Ideologie des Genderismus in Politik, Kirche und Schule eingeführt und aufgezwungen?

Von Professor Dr. theol. Reinhard Slenczka, D.D., Erlangen

  • I – Was ist Genderismus?

Gender“ ist im Englischen die Bezeichnung für das grammatische Geschlecht, unterschieden von „sex“, dem biologischen Geschlecht. Unter „Genderismus“ als Ideologie ist zu verstehen das Bestreben sowohl im Bereich der Sprache wie auch im biologischen Bereich vorliegende Unterscheidungen und Unterschiede radikal zu bekämpfen und zu beseitigen.

Nach Form und Ziel handelt es sich um eine revolutionäre Bewegung zur Veränderung der Gesellschaft und ihrer Grundlagen.

Sprachlich geschieht dies durch die gleichzeitige Verwendung von weiblichen und männlichen Bezeichnungen. Das wird als inklusive Sprache bezeichnet, die jedoch faktisch exklusiv ist, insofern das männliche Genus nicht auf Weibliches angewandt werden sollte. Das scheitert im Deutschen jedoch bereits an dem Wort der Mensch. Das maskuline Genus schließt jedenfalls nicht aus, dass Frauen auch Menschen sind.

Biologisch wird im Genderismus das Geschlecht nicht nach Mann und Frau mit ihren jeweiligen geschaffenen Geschlechtsmerkmalen definiert, sondern nach verschiedenen Formen des Gebrauchs der Geschlechtsorgane zur Befriedigung des Sexualtriebs. Da es zu allen Zeiten auf diesem biologisch, physisch und psychisch unveränderbarem Gebiet Brauch und Missbrauch gibt, haben wir es hier nicht mit neuen Erkenntnissen zu tun, sondern mit der Forderung interessierter Gruppen, bisher als widernatürlich beurteilte, weil schädliche Verhaltensweisen als natürliche anzuerkennen[1]: Nicht die organische Beschaffenheit, sondern die Befriedigung des Geschlechtstriebs in beliebiger Weise wird als beherrschende Norm durchgesetzt. Das statistisch erhobene Verhalten von Menschen wird als normativ angesehen. Es wird nicht gefragt, was qualitativ gut und recht, falsch oder schädlich ist, sondern was quantitativ praktiziert, behauptet und gefordert wird. Der Fachausdruck ist „Behaviorismus“, also die Orientierung am faktischen Verhalten von Menschen oder auch einfach an der öffentlichen oder herrschenden Meinung.

Um es mit gebotener Klarheit zu formulieren: Humanität im Sinne von rationaler Triebbeherrschung wird durch Willkür im Sinne von animalischer Triebbefriedung ersetzt.

Was mit dem Begriff Genderismus oder auch Gender Mainstreaming bezeichnet wird, ist eine in Amerika und Europa um sich greifende Bewegung, an der sich viele interessierte Gruppen beteiligen, der sich jedoch noch mehr Individuen und Organisationen, insbesondere protestantische Kirchenverwaltungen, anschließen in der blinden Überzeugung, dass es sich um etwas handele, was als neuzeitliche Entwicklung menschlicher Verhaltensweisen zu respektieren wäre.

Dafür gibt es jedoch keinerlei theologische, keine wissenschaftliche oder auch rechtlich-politische Begründung. Man kann es daher nur als einen Wahn bezeichnen.

Wohl aber gibt es Widerspruch, oft genug hilflos, gegenüber den Zwangsmaßnahmen, mit denen diese Ideologie durchgesetzt wird. Einen scharfen Gegensatz gibt es jedoch in und mit den Ländern, die von der Zwangsideologie des Marxismus-Leninismus[2] befreit sind, sowie aus islamischen Ländern. Hier kommt es unübersehbar zu einem scharfen Zusammenstoß von Zivilisationen (Samuel P. Huntington 1927-2008). Das ist ein gesellschaftspolitisches Problem, das gerade in einer multikulturellen Gesellschaft nicht übersehen werden kann noch verdrängt werden sollte. Zumal in den Schulen kommt es hier zu scharfen Konflikten, die nicht mit Zwangsmaßnahmen beseitigt werden sollten.

  • II – Theologische Beurteilung
  1. Der Gegensatz: Es geht um die unaufhebbare Unterscheidung von Gott und Mensch:
    Nach Gottes Wort der Heiligen Schrift gilt: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, „männlich und weiblich schuf er sie“ (1 Mose 1, 27)

Von der Ideologie des Genderismus wird gefordert: Der Mensch schafft sich Gott nach seinem Bild, „weiblich und männlich schafft er sich ihn.

In Theologie und Kirche hat sich die Ideologie des Genderismus sehr weit verbreitet. Das begegnet immer wieder in Gottesdiensten, selbst nach amtlichen Formularen, dass die Gottesnamen männlich und weiblich modifiziert werden und vor allem die Anrede Herr als „patriarchalisch“ vermieden wird. Ein bekanntes Beispiel ist die „Bibel in gerechter Sprache“ [3]. in der die Gesetze der Philologie durch die Forderungen der Ideologie ersetzt werden.

Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift (1 Mos 1, 27) gilt: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie männlich und weiblich“.[4] Dies bedeutet: Der geschlechtliche, biologische Unterschied von Mann und Frau ist umfasst von der Würde der für beide geltenden Gottebenbildlichkeit. Diese Gleichheit ist in der Schöpfung vorgegeben; sie muss also nicht durch die Beseitigung von biologischen Unterschieden erkämpft werden, wohl aber ist sie zu respektieren und zu schützen.

Die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf ist eine bleibende Anfechtung des Volkes Gottes im Alten wie im Neuen Bund. Die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf wird allein dadurch begründet, dass der wahre Gott seinem Volk im Wort Gottes, nicht im Bild des Geschaffenen begegnet (5 Mose 4!!).

Wo jedoch der wahre Gott nicht angebetet und verehrt wird, verfällt die Vernunft unter die Macht des von Gott Geschaffenen und damit zugleich unter das Zorn- und Strafgericht Gottes. Die Verehrung und Befriedigung des Sexualtriebs wird zur herrschenden Macht; sie tritt an die Stelle Gottes, und damit vollzieht sich das Strafgericht Gottes (Röm 1, 18-32!!).

Man macht sich, wie es leider auch in der theologischen Fachsprache heißt, seine Gottesbilder, männlich / weiblich. Im Alten Bund kam die ständige Versuchung von den fremden Göttern anderer Völker, vor allem die Fruchtbarkeits- und Sexualkulte von Baal und Astarte: „Die Priester fragten nicht: Wo ist der HERR?, und die Hüter des Gesetzes achteten meiner nicht, und die Hirten des Volks wurden mir untreu, und die Propheten weissagten im Namen des Baal und hingen den Götzen an, die nicht helfen können“ (Jer 2, 8)...

Beim Propheten Jeremia wird ein bei Frauen beliebter feministischer Kult der „Himmelskönigin“ (Jer 7, 18; 44) erwähnt, für die man Kuchen backt und Trankopfer spendet. Der Warnung des Propheten vor den Strafen Gottes erwidert man: „Den Worten, die du im Namen des HERRN uns sagst, wollen wir nicht gehorchen…“ (Jer 44, 16). Ist das heute etwa anders?

  1. Die Durchsetzung der Genderideologie in Theologie und Kirche.

Am 7. April 2014 wurde das „Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie“ in Hannover eröffnet, das aus einer Reihe von früheren Einrichtungen hervorgegangen ist, die sich ebenfalls mit entsprechenden gesellschaftspolitischen ideologischen Fragen befasst hatten. In der der Aufgabenbeschreibung dieser Einrichtung heißt es: „Das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie will zur Gestaltung einer Kirche beitragen, in der die Vielfalt menschlicher Begabungen auf allen Ebenen unabhängig von Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentitäten zum Tragen kommt (Zitat aus der Ansprache des Ratsvorsitzenden bei der Eröffnung). Ziel und Aufgabe ist es nach der Bezeichnung des Instituts, „Kirche geschlechtergerecht zu gestalten“. Hört nicht ein jeder, der die deutsche Kirchengeschichte kennt, bei dieser Bezeichnung die Forderung von 1933 nach einem : „Artgerechten Christentum“?

Im Studienzentrum sollen, wie es in der Selbstdarstellung der Leiterin heißt, Genderforschungsansätze verschiedener Fach- und Forschungsgebiete für die verschiedenen Handlungsfelder der Kirche exemplarisch ausgewertet und aufbereitet werden. Die Integration von Genderaspekten in das kirchliche Handeln soll auf diese Weise unterstützt werden. Inhaltlich gehe es um feministische Perspektiven sowie „Rassismus-Diskurse, ökumenische und interreligöse Dialoge, insbesondere den christlich-jüdischen Dialog, um queer-Theologien.[5]

Es ist nicht zu übersehen noch zu bestreiten, dass im heutigen Protestantismus die Ideologie des Genderismus nicht nur eine Plattform gefunden hat, sondern eine beherrschende Rolle einnimmt. Wo die Heilige Schrift nicht mehr als Wort Gottes anerkannt wird und in Geltung ist, treten unweigerlich Meinungen und Forderungen von Menschen als Autorität in der Kirche auf. Dafür ist der Protestantismus auch in unserer Zeit besonders anfällig.

 

So wird die Durchsetzung der Ordination von Frauen zu gemeindeleitenden Ämtern, wie es weithin geschieht, als Rechtsanspruch gefordert, selbst wenn dadurch bestehende Kirchengemeinschaft mit anderen Kirchen gebrochen wird (Osteuropa, Orthodoxie, Römisch-Katholisch). Schwesterkirchen werden mit moralischem Zwang und wirtschaftlichen Druck zur Einführung der Frauenordination und Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gezwungen. Indes: Weder für Männer noch für Frauen kann die Ordination ein Rechtsanspruch sein, da es sich dabei nicht um Herrschaft, sondern um Sklavendienst handelt (Röm 1, 1 u. ö.)

Die Einsetzung der Ehe durch Gott (1 Mose 1, 27-30; 2 Mose 2 18-25) und ihr Schutz nach dem Sündenfall durch das 6. Gebot Gottes (2 Mose 20, 14; 5. Mose 5, 18; Mat 5, 17-32 wird in kirchenamtlichen Erklärungen mit der göttliche Autorität sich anmaßenden Behauptung aufgehoben, diese Grundlagen seien durch die gesellschaftspolitische Entwicklung überholt, und daher sei auch die Ehe anders aufzufassen als das nach Gottes Schöpfung und Gebot der Fall ist[6].

Es ist eindeutig, dass hier Gottes Wort durch Menschenwort ersetzt wird, und das geschieht sogar mit dem Anspruch, dass kirchenamtlich gesegnet wird, worauf kein Segen Gottes, sondern die Strafe Gottes liegt.

  • III – Rechtspolitische Grundlagen
  1. Es gibt keinerlei theologische, rechtliche und politische Berechtigung, die Forderungen der Gender-Ideologie in Staat, Kirche und vor allem in der Schule durchzusetzen und auf diese Weise die bestehende Gesellschafts- und Rechtsordnung tiefgreifend zu verändern, ja zu zerstören. Das ist Diktatur!

Vielmehr handelt sich um eine ideologische Bewegung, die aus dem Anspruch erwächst, die seit Jahrhunderten geltende Wertordnung mit ihren sittlichen und rechtlichen Normen den heutigen Verhältnissen und dem Verhalten des heutigen Menschen anzupassen. Dies bedeutet, dass das Recht der Politik folgen soll, und das steht im Widerspruch zu dem von Immanuel Kant eingeschärften Prinzip der Aufklärung: „Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepasst werden“[7].

Wenn dieser Grundsatz nicht mehr gelten sollte, wird der Willkür von Interessengruppen Tor und Tür geöffnet. Dies aber ist das Kennzeichen aller Diktaturen, die nach dem Prinzip verfahren: „Wer die Macht hat, hat das Recht, selbst wenn er Unrecht hätte“[8].

  1. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG. Kurz „Antidiskriminierungsgesetz“) vom 14. 8. 2006.

Dieses Gesetz gehört in das Arbeitsrecht, wo es bestimmte Benachteiligungen bei einer Stellenvergabe ausschließen soll. So heißt es in der deutschen Fassung: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“.

Damit wird deutlich, dass die in der Verfassung garantierten Grundrechte durch die Hintertür des Arbeitsrechts ergänzt werden durch die „sexuelle Identität“. Außerdem ist zu bemerken: Dieses Gesetz hat ausdrücklich nicht nur eine präventive Funktion, die darin besteht, Straftaten zu verhindern. Es hat vielmehr eine produktive Funktion, Unterschiede zu „verhindern oder zu beseitigen“. Im Klartext: Gesellschaft soll durch dieses Gesetz verändert werden.

Der Inhalt dieses Gesetzes bezieht sich lediglich auf das Arbeitsrecht. Dabei gibt es nach § 8 sowie § 20, 4 eine „zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion und Weltanschauung“. Das heißt: Es ist keine Übernahme von den Kirchen gefordert. Eine Ordination von Frauen zum geistlichen Amt kann also nicht nach staatlichem Recht erzwungen werden. Dazu ist auch zu beachten: Das kirchliche Amt ist kein Rechts- und Versorgungsanspruch, etwa noch mit Stellenteilung und Teilzeit, sondern Dienst, ja Sklavendienst. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind unvereinbar mit Ämtern in einer christlichen Gemeinde. Ebenso kann eine Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder deren Zusammenleben im Pfarrhaus nach diesem Gesetz nicht gefordert werden.

 

Wo jedoch solche Bestimmungen in kirchliches Recht aufgenommen und durchgesetzt werden, erliegt man in kirchlichen Gremien und Leitungsämtern ohne gesetzlichen Zwang, jedoch unter dem starken Druck und Einfluss der öffentlichen Meinung und den auch in den kirchlichen Organen vertretenen Interessengruppen dem Ruf der Stunde, den Forderungen der Zeit. Seit jeher sind die Kirchen eine gesuchte Plattform, um in der Öffentlichkeit Einfluss zu gewinnen.

  1. Zur Durchsetzung der Genderideologie in Schulen.

    Was durch die sog. 68.-Bewegung nicht nur gefordert, sondern nachweislich auch praktiziert wurde, nämlich eine möglichst frühe Aktivierung des Sexualtriebs, wird heute durch interessierte Gruppen in Lehrpläne zur Sexualerziehung eingebracht. Ziel dieser Projekte ist es, die Befriedigung des Sexualtriebs in beliebiger Form nicht nur orientierend zur Wahl zu stellen, sondern ihn aufzuwecken und sogar auszuprobieren. Hierzu ist in aller Schärfe zu sagen: Das ist Kindesmissbrauch! Die Kinder werden um das gebracht, was nach dem Wesen der Ehe und dem göttlichen Gebot die schützende Scham und der notwendige Respekt in der Begegnung und Gemeinschaft von Mann und Frau ist[9].

Die sich ergebenden Folgen sind täglich in den Zeitungen zu lesen mit den Straffällen, bei denen der Sexualtrieb Schutz und Respekt vor anderen zerbricht.

Für derartige Lehrpläne gibt es keinerlei Rechtsgrundlage, sondern nur die gesellschaftspolitischen Machtinteressen bestimmter Gruppen, die sich seit Jahrzehnten um Einfluss bemühen und denen offenbar niemand argumentativ widersprechen kann, solange man die Normativität des Faktischen als moralisches, politisches und sogar rechtlich bindendes Prinzip annimmt.

  • IV – Beantwortung der gestellten Frage:

Mit welchen Gründen von Vernunft und Recht wird die Ideologie des Genderismus in Politik, Kirche und Schule eingeführt und aufgezwungen?

Es gibt weder aus menschlicher Vernunft, also Wissenschaft, noch aus geltendem Recht und letztlich nach Gottes Schöpfungsordnung und Geboten einen Grund für eine ethisch und rechtlich verbindliche Einführung und Durchsetzung der Gender-Ideologie. Vielmehr ist das, was hier unter dem Zwang interessierter Gruppen geschieht, ein tiefes Unrecht, durch das tragende Grundlagen einer Gesellschaft zerstört werden. Die physischen und psychischen Folgen sind durchaus, etwa bei verlassenen Frauen und verhaltensgestörten Kindern, erkennbar, auch wenn sie beschönigt oder verdrängt werden.

Hier ist die praktische Verantwortung von Kirche und Politik dringend gefordert.

Erlangen, am 18. Februar 2017     gez. Prof. Dr. Reinhard Slenczka.

[1] Was auf diesem Gebiet als wissenschaftliche Erkenntnis behauptet und verbreitet wird, ist bei genauem Zusehen in der Regel eine Selbstrechtfertigung von eigenen Formen der Triebbefriedigung, z. B.: Der Arzt Magnus Hirschfeld (1868-1935) mit der statistisch begründeten These vom „dritten Geschlecht“. – Der Arzt und Psychologe Wilhelm Reich, (1897-1957), der im Gegensatz zur Sublimationstheorie seines Lehrers Sigmund Freud eine „Orgasmustheorie“ stellte mit der Begründung, dass sexuelle Verdrängung zu Neurosen führe. – Der Zoologe (!!) Alfred C. Kinsey, (1894-1956), der mit seinen empirisch-statistischen Untersuchungen über das „sexuelle Verhalten“ einen enormen Einfluss hat mit der Behauptung, dass alles, was auf diesem Gebiet geschieht, auch zu akzeptieren sei. Diese und viele ihnen sich anschließende „wissenschaftliche“ Untersuchungen folgen dem Prinzip, dass statistische Häufigkeit zur ethischen Norm erhoben wird.

[2] Es ist nicht zu übersehen, dass wesentliche Anregungen zu der sog. sexuellen Revolution und einer Auflösung der Familie aus dem Sozialismus stammen. Z. B. das Buch des französischen Frühsozialisten Charles Fourier (1772-1837), Le nouveaux monde amoureux“; es wurde 1820 verfasst, erschien jedoch erst 1967 französisch und 1977 deutsch, „Die neue Liebeswelt“. Entsprechende Experimente mit einer sozialistischen Auflösung der Familie sind in Sowjetrussland in den 20ger Jahren sehr bald gescheitert und weitgehend rückgängig gemacht worden. In den früheren sozialistischen Staaten hat man jedenfalls als bittere Erfahrung hinter sich, was jetzt in westlichen Staaten aufgezwungen wird.

[3] Dazu ausführlich: R. Slenczka, Die Anbetung der Weiblichkeit Gottes und das Bilderverbot. Dogmatische Beurteilung der „Bibel in gerechter Sprache“. Verbreitet über Internet und von hier aus sehr oft auf Websites und in mehreren Zeitschriften. U. A.: Deutsches Pfarrerblatt 107, H. 7. 2007.356-263; R. Slenczka, Neues und Altes Band 4. Reformation gegen Deformation in der Kirche. Hg. Von Reiner Andreas Neuschäfer und Harald Seubert. Neuendettelsau 2016. S. 353-374

[4] So die genaue Übersetzung des hebräischen wie des griechischen Textes. Es ist immerhin beachtenswert, dass die „Bibel in gerechter Sprache“ genau diese Stelle philologisch richtig übersetzt.

[5] Claudia Janssen, Pressestatement zur Eröffnung des Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie in Hannover (ekd.de/vortraege 2014/201404407_pressestatement_studienzentrum_statement_janssen.html).

[6] Dazu ausführlich: R. Slenczka, Aufklärung zur Ehe: Theologische Stellungnahme zur Orientierungshilfe des Rates der EKD ‚Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken‘ (Gütersloh 2013). In: Ders., Neues und Altes. Bd. 4. Neuendettelsau 2016. 375-399.

[7] Immanuel Kant, Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen. Werke, Hg. W. Weischedel. Darmstadt 1956. Bd. IV. 637-643. 642.

[8] Mit dieser aus dem römischen Recht stammenden Formulierung hat der Staats- und Völkerrechtler Carl Schmitt (1888-1983) in seiner „Politischen Theologie“ die Machtergreifung Adolf Hitlers begründet.

[9] Kann man eigentlich noch übersehen, dass in unserer Gesellschaft ein Zustand eingetreten ist, wovor Papst Paul VI.in seiner (Pillen-) Enzyklika „Humanae Vitae“ vom 25. Juli 1968 gewarnt hat: „Man kann die Befürchtung haben, dass der Mann, wenn er sich an die Anwendung empfängnisverhütender Mittel gewöhnt, damit endet, dass er die Achtung vor der Frau verliert und, ohne sich weiter um ihr physisches und psychologisches Gleichgewicht Sorge zu machen, dahin verirrt, sie einfach als Werkzeug selbstsüchtiger Befriedigung und nicht mehr als eine Gefährtin zu betrachten, der er Achtung und Liebe schuldet“.

 

ANGST

Olaf Kornmannshaus

Warum ANGST Macht hat

1. Was mir Angst macht
Angst gehört zum Leben. Als Existenz- oder Zukunftsangst. Als Angst vor Schuld, Erkrankung, Verarmung oder Versagen, so benannte Kurt Schneider die vier Urängste des Menschen. Er war im Übrigen der Meinung, dass es viel erklärungsbedürftiger sei, wenn ein Mensch keine Angst hat, als dass er manchmal Angst kennt. Fast zum Allgemeinwissen gehört auch die Unterscheidung der vier „Grundformen der Angst”, die Fritz Riemann in dem gleichnamigen Buch vorgenommen hat: Angst vor Nähe, Distanz, Veränderung oder Festlegung. Sehr zugenommen haben in letzter Zeit die Panik- und Angststörungen, die auch als neue Variante von Stressreaktionen gesehen werden. „In der Welt habt Ihr Angst”, sagt Jesus, um dann zu betonen, dass er die Welt überwunden hat (Johannes 16, 33). Dass er alle Angst wegnimmt, hat er uns nicht zugesagt. Dieser Unterschied ist sehr wichtig.

Keine Angst?
„Keine Angst” nannte sich die 1995 gegründete „Erste Zeitschrift speziell für Angstbetroffene”. Herausgegeben wurde sie von Menschen, die sich mit Angst auskennen, von dem Projekt Deutsche Angst-Störungen-Hilfe und Selbsthilfe in München. Ein Jahr später änderten die Herausgeber den Titel, er erinnerte zu sehr an die gut gemeinten Sätze von Eltern und Verwandten, die Kinder beruhigen wollen: „Du brauchst doch keine Angst zu haben!” Angst aber gehört zum Leben und will darum ernst genommen werden. Das kommt auch in dem neu gewählten Titel zum Ausdruck. Als „Deutsche Angst-Zeitschrift” (DAZ) informiert sie jetzt über Angststörungen aller Art, lässt Betroffene zu Wort kommen und stellt therapeutische Hilfen vor.
Ängste aller Art
Zunächst gilt es zwischen sinnvoller Angst und einengenden Angststörungen zu unterscheiden. Angst schützt. Einem Autofahrer, der keinerlei Angst kennt, würde ich mich nicht anvertrauen. Die Angst der Eltern, dass ihrem Kind etwas zustoßen könnte, leitet sie zur notwendigen Vorsicht und Achtsamkeit an. Angst kann die Aufmerksamkeit bei gefährlichen Verrichtungen erhöhen und die Häufigkeit von -Arbeitsunfällen senken. Angst in mildem Ausmaß kann höchst genüsslich sein, wie jeder Krimi-Leser bestätigen wird. Selbst Todesangst kann lustvoll sein, wenn man den Bungee-Springern glaubt. Angst vor einer Prüfung kann zu Ehrgeiz anspornen oder den Prüfling total blockieren. Angst in mittlerem Ausmaß erhöht die Leistungsfähigkeit eines Menschen; wird die Angst jedoch zu stark, dann sinkt die Leistung gegen Null. Angstgefühle sind biologische, psychologische und soziale Warnsysteme; Angststörungen dagegen sind unsinnige und qualvolle Überreaktionen dieser Warnsysteme.
Angst macht einsam
15 Prozent der Deutschen kennen spontane Angstanfälle, 6 Prozent haben Angst-, 1 Prozent Panikstörungen, 3-4 Prozent leiden unter Agoraphobie (Frauen doppelt so häufig wie Männer). Viele Betroffene geben den Beruf auf, verlassen nicht mehr das Haus, nehmen nicht mehr am kulturellen Leben teil. Oft wissen selbst Freunde nicht von der Erkrankung, weil sie schambesetzt ist. Einsamkeit verstärkt die Angststörungen noch, die unbehandelt meist einen schlechteren Verlauf nehmen als Depressionen. Auch Alkohol und Medikamente verstärken die Angst. Erst nach durchschnittlich sieben Jahren Leidenszeit nimmt ein Betroffener Therapie in Anspruch.
Unterscheidungen
Panikattacken sind plötzliche, meist unvorhersehbar auftretende Zustände starker Angst, verbunden mit Atemnot, Schwindel, Herzrasen, Schwitzen, Erstickungsgefühlen, Schmerzen oder Unwohlsein in der Brust, Angst zu sterben oder verrückt zu werden. 5-10 Minuten, maximal eine halbe Stunde dauert eine Attacke, die so heftig sein kann, dass schließlich die Angst vor der Angst ins Zentrum des Denkens rückt. Die körperlichen Symptome werden vom vegetativen Nervensystem gesteuert, mit dem Willen oder dem Verstand sind sie kaum zu beeinflussen.
Agoraphobie nennt man die Angst vor Situationen, die nicht wirklich gefährlich sind. Ursprünglich bezeichnete man mit diesem Begriff die Angst vor großen freien Plätzen, daher der Name „Platzangst”. Im Volksmund spricht man auch von Platzangst, wenn eine ganz andere Situation, z. B. die Enge eines Fahrstuhls, großes Unbehagen auslöst. Inzwischen hat der wissenschaftliche Sprachgebrauch kapituliert und den Begriff der „Platzangst” auf andere nicht wirklich gefährliche Situationen ausgeweitet. Über 200 unterschiedliche Phobien werden beschrieben, darunter Angst vor öffentlichen Plätzen, vor Kaufhäusern, Restaurants, Wartezimmern, vor besonderen Gegenständen u.v.m. 80% der allerersten Angstanfälle treten außerhalb der eigenen Wohnung an öffentlichen Orten auf – die man deshalb künftig meidet. Der Weg in die Isolation beginnt.
Generalisierte Angsterkrankung nennt man Formen, die nicht so „spektakulär” wie die vorher genannten sind und doch die Lebensführung eines Menschen erheblich einschränken. Ängste, die nicht durch eine konkrete Situation ausgelöst werden, die sich als unrealistische, übertriebene Ängste vor der Zukunft auf die Alltagsbereiche legen: Ehe, Kinder, Arbeit, Gesundheit, finanzielle Absicherung. Bis zu 60% des Tages verbringen Menschen mit solchen Sorgen. Körperliche Anzeichen verstärken die Angst. Spannungen im Körper, Übererregbarkeit, Überwachheit, Konzentrations- und Schlafstörungen, Atemnot, Beklemmungsgefühle, Herzrasen machen das Leben so unerträglich, dass jeder vierte Betroffene arbeitsunfähig wird und jeder sechste versucht, sein Leben zu beenden. Drei Millionen Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an dieser Form, welche die Ängste noch schwerer fassbar macht als die Furcht vor konkret beschreibbaren Situationen.

2. Was Angst mit mir macht
Die drei Ebenen
Angst erleben wir auf drei Ebenen, denn sie ist mehr als ein Gefühl. Auf die körperliche Ebene weisen die schon genannten Symptome hin. Sie alle werden subjektiv als besonders alarmierend erlebt, stellen jedoch ungefährliche Reaktionen des so genannten autonomen oder vegetativen Nervensystems dar. Dieses steuert weitgehend automatisch die vielfältigen Abläufe der inneren Organe und sorgt im Zusammenspiel von Sympathicus und Parasympathicus für einen ausgeglichenen Zustand von Anspannung und Erregung. Angstsituationen aktivieren zunächst den Sympathicus, eine Art „Notfallmanager”. Er sorgt u.a. dafür, dass Stresshormone ausgeschüttet werden, um dem Organismus genug Energie zur Bewältigung der Gefahr zur Verfügung zu stellen. Durch eine Erhöhung des Blutdrucks sorgt er auch für ausreichende Sauerstoffzufuhr. Man kann sich diese Vorgänge als eine Art Mobilmachung des Körpers denken, der sich blitzschnell auf eine äußere (!) Bedrohung einstellt: Die Blutgefäße verengen sich, das Herz pumpt das Blut fünfmal schneller durch den Körper, um es mit Sauerstoff und Zucker anzureichern, die Muskelanspannung nimmt zu, die Bronchien erweitern sich, die Atmung wird schneller. Der Körper bereitet sich in einer halben bis einer Minute auf Flucht oder Angriff vor. Dann sorgt der Parasympathicus für die entgegengesetzte Anpassungsreaktion des Organismus: Die Verdauungsorgane werden angeregt; Übelkeit, Erbrechen, Durchfall stellen sich ein, mit all den unangenehmen Körpergefühlen, die sprichwörtlich geworden sind: Jemand macht sich vor Angst in die Hose; er hat Schiss; es dreht sich ihm der Magen rum. Die Gefahr ist inzwischen vorbei, aber die Körperreaktion dauert an. Tiefe Erschöpfung folgt.

So unangenehm diese Empfindungen sind – es sind harmlose Vorgänge, die nach bestimmten Gesetzen ablaufen. Allerdings sind die meisten der Körperreaktionen auf die Bewältigung äußerer Gefahren durch Flucht oder Angriff abgestimmt. Wenn die Situation nicht wirklich gefährlich ist, helfen sie nicht. Doch das Verstehen dessen, was im Körper geschieht, kann ein erster wichtiger Schlüssel zur Bewältigung der Angst werden.
Auf einer zweiten Ebene sind kognitive Prozesse beim Erleben und Entstehen von Angst beteiligt, also Gedanken, Erwartungen, Phantasien, Bewertungen, Vorstellungen. Sie verstärken oft die vagen Befürchtungen. Manche Menschen malen sich Katastrophen in den schlimmsten Bildern aus. Bei ihnen kann allein das Martinshorn eines Krankenwagens zu einer Angstattacke führen. Wie unmittelbar beteiligt die kognitiven Prozesse bei der Entstehung von Ängsten sein können, zeigt die berüchtigte „Angst vor der Angst”, die das Denken und Erleben eines Menschen total besetzen kann. Schon der Gedanke ans U-Bahnfahren führt zu Schweißausbrüchen, Sehstörungen und Atemnot. Die Vorstellung, vor einer Gruppe von Kollegen eine Rede zu halten, verursacht Herzrasen und Schweißausbrüche. Dabei ist die Erwartungsangst oft stärker als die Angst in der Situation selbst.
Zum Angsterleben gehört auch eine Verhaltensebene. Die Angst wird von Zittern, einer unsicheren Stimme, unruhigem Hin-und Herlaufen oder dem Gefühl, die Beine seien gelähmt oder zumindest sehr schwer, begleitet. Zugleich löst sie Fluchtgedanken aus: Nichts wie weg hier!
Eine Panikreaktion kann auf jeder Ebene beginnen und sich auf die beiden anderen auswirken. Sie kann durch die Vorstellung von Angst ausgelöst werden oder durch die Wahrnehmung körperlicher Symptome wie Schwindel oder Atemnot. Oft beruhen diese auf harmlosen Ereignissen: Jemand hat die Treppe zu schnell erklommen oder ungewöhnlich viel Kaffee getrunken, die Räume sind überhitzt o.Ä. Die Erfahrung, Angst nicht zu bewältigen, vermindert das Selbstvertrauen, ein verhängnisvoller Kreislauf beginnt oder setzt sich fort.

Wodurch entsteht eine Angsterkrankung?
Es gibt nicht eine Ursache für die bedrohliche Zunahme von Angsterkrankungen. Viele Faktoren tragen dazu bei, und nicht immer sind ursächliche Zusammenhänge überhaupt aufzeigbar. Oft verstärken sich verschiedene Erfahrungen, Gedanken und Verhaltensmuster in einem komplexen Geflecht verschiedener Faktoren. Sie können hier nur stichwortartig genannt werden:

* eine angeborene psychische Erregbarkeit begünstigt die Entwicklung von  
   Angststörungen
*eine überbehütete Erziehung behindert Selbständigkeit und Selbstvertrauen
* Hektik nimmt zu und der Betroffene kann ihr nichts entgegensetzen
* chronischer Stress kann zu Erschöpfung führen, ein erschöpfter Organismus ist
   anfälliger für Angsterkrankungen
* Rückenbeschwerden im Halswirbelbereich können zu Schwindelgefühlen und
   Gleichgewichtsstörungen führen
* Muskelverspannungen des oberen Rückens können zu Schmerzen unterhalb
   des Herzens führen
* Blutdruckschwankungen können als dramatisch erlebt werden
* eine Überfunktion der Schilddrüse kann zu Herzbeschleunigung,
   Schweiß-ausbrüchen, körperlicher und psychischer Unruhe, u.a. führen.
* eine ungesunde Lebensweise beeinflusst den Kreislauf negativ (Alkohol,
   Nikotin, Medikamente, mangelnde Bewegung)
* Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch erhöhen die Neigung zur
   Angst
* unterschiedliche „Stressoren” wirken
 zusammen:
– psychische Belastungen: Probleme, Arbeitslosigkeit, Tod eines nahen
   Angehörigen, Scheidung
– körperliche   Stressoren:   Krankheiten, Operationen, Schwangerschaft
– ökologische Stressoren: Schadstoffe
– soziale  Veränderungen:  Arbeitsplatzwechsel, Umzug, Glaubensverlust
Auch Allergien kommt wohl besondere Bedeutung zu: 50% aller ersten Panikanfälle sind möglicherweise Kreislauf- und Unverträglichkeitsreaktionen auf Pollen, Nahrungsmittel- oder Medikamentenzusätze. Dem Erkrankten ist dies nicht bekannt. Die Angst erscheint deshalb „sinnlos”, der Betroffene fühlt sich ihr hilflos ausgeliefert, der Kreislauf der Angst nimmt seinen unheilvollen Lauf. Insgesamt kann man sagen: Das psychische Erleben, die gedanklichen Muster (auch Glaubensüberzeugungen), das Hormonsystem und das Immunsystem eines Menschen spielen in besonderer Weise zusammen und beeinflussen sich gegenseitig – zur Stärkung oder auch zur Schwächung des Organismus.
Vermutlich sind Panikattacken nichts anderes als dramatisch ablaufende Alarmreaktionen auf solchen Stress, die sich durch die Gedanken und das eigene Erleben während der Attacken („Was ist mit mir los? Ich kenne mich nicht wieder!”) schnell verselbständigen.

Angsterkrankungen im Überblick
Spezielle Phobien. Menschen vermeiden bestimmte Objekte oder Situationen, weil diese sehr stark angstbesetzt sind. Das können z. B. Tierphobien sein (Spinnen, Schlangen, Hunde usw.), Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie), Höhenangst, Flugangst oder Angst vor Blut.
Agoraphobie. Früher war damit die Angst gemeint, über freie Plätze zu gehen, heute ist sie als Öffentlichkeitsangst definiert. Die größte Angst entsteht unter vielen und unbekannten Menschen (also z.B. im Warenhaus).
Panikstörung. Hier steht das Auftreten von Panikattacken (Anfällen schlimmster Angst, die nicht selten zur Aufnahme auf die Intensivstation mit Herzinfarktverdacht führen) im Vordergrund, die aus heiterem Himmel auftreten. Bei genauem Hinsehen finden sich allerdings in der Regel doch minimale Auslöser, die sich jedoch schnell aufschaukeln.
Soziale Phobie. Die Furcht, einer prüfenden Betrachtung durch bekannte Personen ausgesetzt zu sein, ist hier das Hauptsymptom. Das kann sich auf das Reden in beruflichen Konferenzen richten, auf Kontakte zum anderen Geschlecht oder auf das Essen in der Öffentlichkeit. Oft verselbstständigen sich sekundäre Auswirkungen wie Erröten oder Händezittern, was Betroffene dann für das Hauptsystem halten.
Generalisierte Angststörung. Betroffene machen ihre Angst immer wieder an wechselnden Situationen oder Objekten fest, haben aber anhaltend mehr oder weniger Angst (dass den Kindern etwas passieren könnte, dass das Geld nicht reichen könnte, dass sie von Krankheit bedroht sind u.v.m.). Verbunden damit sind körperliche Anspannung und vegetativ bedingte Symptome wie Schwitzen, Schwindel, Oberbauchbeschwerden usw.

3. Warum Angst Macht hat
Vermeidung verstärkt die Angst
Wer Angst vor dem Supermarkt hat, meidet ihn. Die nette Nachbarin kauft ein – gut gemeint und doch verhängnisvoll. Dem Erkrankten bestätigt sich so fortdauernd, dass er krank ist und nicht unter die Leute gehen kann. Die Angst nimmt immer mehr Raum in den Gedanken und im Verhalten ein. Er lernt auch nicht, dass das Schlimme, das er befürchtet (Ohnmacht, Herzstillstand), gar nicht eintritt, sondern dass die Angst nach sehr schlimmen zehn Minuten schwindet. Nur das Aushalten der Angst und die Erfahrung „Es ist schlimm” und „Es geht vorbei” könnte zur Einsicht helfen: „Ich bin der Angst gewachsen.”
In diesem Zusammenhang muss man zwischen kurz- und langfristigen Folgen einer Handlung unterscheiden. Zunächst ist jemand erleichtert, wenn er einen unangenehmen Ort nicht aufzusuchen braucht, weil ein anderer ihm dies abnimmt. Dieses (kurze) gute Gefühl verstärkt aber das Vermeidungsverhalten. Ein Blick auf lerntheoretische Modelle hilft zum Verstehen: Jemand hat Angst davor, mit vielen Leuten im Supermarkt in der Schlange zu stehen. Lange grübelt er, wie er diese Situation bewältigen kann. Die Angst wird immer stärker. Nun kommt die nette Nachbarin oder die freundliche Schwester aus dem diakonischen Arbeitskreis der Gemeinde. Ehrensache, dass sie dem Angst geplagten Menschen den unangenehmen Einkauf abnimmt. Tatsächlich ist die „Hilfe” aber ein „verstärkendes Verhalten”. Der Patient vermeidet die unangenehme Situation und wird dafür mit dem Verschwinden der Angst und dem Gefühl einer großen Erleichterung „belohnt”. Das problematische Verhalten, also die Angststörung und die Vermeidung, wird auf diesem Weg verstärkt.
Zur gleichen Zeit macht diese Person die Erfahrung, was sie alles nicht mehr kann. Abends, beim Rückblick auf den Tag, wird sie denken: So schlimm ist das mit meiner Angst, dass ich auch heute nicht das Haus verlassen konnte. Auch der Seelsorger, der hier seinem Bedürfnis folgt und dem Angstkranken schwierige Situationen abnimmt, trägt entgegen seiner Absicht dazu bei, den problematischen Kreislauf von Angst und Vermeidung aufrecht zu erhalten.

Begegnung mit der Angst
Appelle von außen helfen nicht. Umdenken von innen ist nötig: Nicht vermeiden, sondern auf die Angst mutig zugehen! Dieser Grundsatz gilt für die seelsorgerliche Begleitung wie für die verhaltenstherapeutische Hilfe. Alles, was hilft, sich der angstauslösenden Situation zu stellen, ist gut. Man unterscheidet dabei zwei entgegengesetzte Vorgehensweisen.
Das Prinzip der kleinen Schritte: Der Betroffene sucht möglichst alleine täglich kleine Angstsituationen auf, die er noch bewältigen kann. Nicht gleich zum Supermarkt, sondern lieber zum Briefkasten oder zum Kiosk an der Ecke. Es geht um die Stärkung der eigenen Aktivität, um Ermutigung durch gelungene kleine Schritte statt Entmutigung durch überfordernde große. Der Radius wird ständig etwas vergrößert, außer an sehr schlechten Tagen, an denen lediglich der Schritt vom Vortag wiederholt wird.
Angstüberflutung: Der Betroffene sucht allein oder mit Hilfe eines Therapeuten jede Angstsituation bewusst auf, verstärkt sie und hält sie so lange aus, bis die Angst schwindet. Wenn keine organische Erkrankung vorliegt, kann nichts Negatives passieren.

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Pokémon

Hans-Werner Deppe

Was sollen Christen vom Hype um Pokémon Go halten?

Seit Mitte Juli 2016 ist das Smartphone-Spiel Pokémon Go der absolute Renner. Der Aktienkurs der Firma Nintendo verdoppelte sich nach Veröffentlichung des Spiels von unter 15.000 Yen Anfang Juli auf 31.770 Yen am 19. Juli. Apple meldet, dass noch nie zuvor eine App so oft innerhalb einer Woche heruntergeladen wurde wie Pokémon Go. Allein in den USA haben sich bisher über 21 Millionen Nutzer Pokémon Go installiert – innerhalb von nicht einmal einem Monat!

Wie haben wir als Christen diesen Hype zu beurteilen und als Eltern damit umzugehen, wenn unsere Kinder bei diesem Spiel mitmachen wollen? In den 1990er Jahren war den meisten bibeltreuen Christen sofort klar, dass Pokémon einen okkulten Hintergrund hat und Christen die Finger davon lassen sollten. Heute wird Pokémon von den meisten Christen als harmlos beurteilt oder sogar als evangelistisch nützlich bewertet.

Der Begriff „Pokémon“ steht für „Pocket Monster“ oder „Taschendämonen“ – wobei das engl. Wort Poké auch eine sexuelle Konnotation hat wie etwa „bumsen“.  Dieses diabolophile Phänomen begann Mitte der 90er Jahre in Japan, zunächst als Sammelkartenspiel und später auf Spielekonsolen (Gameboy, Nintendo DS). Die Karten bildeten verschiedene Typen von Monstern ab, die gefangen, trainiert und im Kampf gegen andere Monster eingesetzt werden sollten. Herausgeber war die Firma „Wizards of the Coast“ („Zauberer der Küste“), die auch andere magisch-okkult geprägte Spiele veröffentlichte wie „Magic: die Zusammenkunft“ und diverse Rollenspiele. Sie kaufte auch die Firma TSR auf, die das populäre okkulte Rollenspiel Dungeons & Dragons („Verliese und Drachen“) herausgab.

Der Pokémon-Erfinder Satoshi Tajir war u.a. inspiriert vom Animismus – dem heidnischen Glauben an eine von Geistern bewohnte Natur. Der japanische Shintoismus lehrt, die Welt sei von tausenden „Kami“ (Götter-Geistern) bewohnt. Wenn Menschen diesen Geistern Aufmerksamkeit, Nahrung und Weihrauch darbringt, verleihen die Kami Glück und Erfolg, im anderen Fall hat man mit Rache und Feindseligkeit zu rechnen.

Die überaus populäre japanische Kawaii- („Niedlichkeits“-) Kultur beruht auf dieser animistischen Vorstellung, dass sich in den Dingen der materiellen Welt überall Geister verbergen. Ein aktuelles deutsches Beispiel für diese Kultur ist die deutsche European-Song-Contest-Vertreterin Jamie-Lee Kriewitz mit ihrem japanischen Kawaii-Outfit und ihrem dazu passenden Lied „Ghost“ (Geist).

Das animistisch-magische Denken hinter Pokémon kommt auch in dem Pokémon-Titelsong zum Ausdruck: „Ich werde durch das Land reisen / überall suchen / um jeden Pokémon zu verstehen / und ihre innere Kraft / Pokémon! – Schnapp’ sie dir alle …“ Wegen dieser Vorstellung der innewohnenden Kraft wurden die Sammelkarten auch „Energie-Karten“ genannt. Die Kämpfe, die beim Spiel ausgetragen werden, sind nichts anderes als das Messen okkulter Kräfte. Nun, es ist ein Spiel – aber was für Vorstellungen und Vorlieben werden hierbei vermittelt und in die Seele eingeprägt? Wie fragwürdig das alles für Christen ist, wird auch an den Namen und Charakteren der über 700 verschiedenen Pokémons (151 bei Pokémon Go) deutlich. Zwei heißen z.B. Abra und Kadabra. Abra soll die Fähigkeit des Gedankenlesens vermitteln. Kadabra trägt das Satanszeichen Pentagramm auf der Stirn.

Sehr beunruhigend ist es auch, dass es in den 1990er Jahren im Zusammenhang von Pokémon in Japan zu einer Welle von Selbstmorden unter Kindern kam und einer starken Verbreitung von Angstzuständen, Depressionen und Kopfschmerzen. Dies wird als Lavandia-Syndrom bezeichnet, benannt nach der virtuellen Stadt Lavandia, die Pokémon-Spieler bei einem bestimmten Level erreichten, wobei dann eine raffiniert dissonante und unheimlich depressiv stimmende Musik abgespielt wurde.

Bei Pokémon Go gehen nun spielfreudige – also insbesondere junge – Leute auf die Suche nach diesen virtuellen Geistwesen, die aus dem japanischen Shintoismus entwickelt wurden – in einer „augmented reality“, in einer computergenerierten „erweiterten Realität“. Ihre Handykameras zeigen ihnen auf dem Display nicht nur die reale Welt, auf die sie die Kamera richten, sondern blenden darauf – am entsprechenden Ort – auch die versteckten Geister ein. Haben sie diese Geistwesen gefunden und für sich gewonnen, sollen sie sich deren übernatürlichen Fähigkeiten zunutze machen und weiterentwickeln (trainieren), um andere zu besiegen.

Manche sehen eine missionarische Chance im aktuellen Pokémon-Go-Hype. Christliche Gemeinden sollen als Suchorte („Pokéstops“) oder Kampfstätten („Arenen“) für das Spiel dienen und dadurch sollen Menschen bewegt werden, die Gemeinde oder Kirche aufzusuchen. Die soziale Komponente des Spiels soll beim Kontakteknüpfen helfen oder Kirchen sich als Aufladestationen für Handys anbieten. Doch angesichts des bedenklichen Hintergrunds von Pokémon klingt das etwa so, als wolle man mithilfe von Tarot-Karten evangelisieren.

Schon die früheren Pokémon-Versionen auf Gameboy und Spielekonsolen wurden als „Techno-Animismus“ bezeichnet, der moderne Technik mit archaisch-heidnischer Spiritualität verbindet. Durch die Weiterentwicklung auf „Pokémon Go“ kann nun die ganze reale Welt in diesen spirituellen Zirkus miteinbezogen werden – bzw. der realen Welt wird eine technisch-spirituelle Scheinrealität übergestülpt.

Bemerkenswerterweise hat die Technik die Welt nicht entzaubert – wie es der Soziologe Max Weber prognostizierte und postulierte –, sondern die Technik verzaubert die Welt neu mit einer magischen Religiosität und verhilft diesem Techno-Spiritismus erst zu einer rasanten Verbreitung und Entwicklung – in Synthese mit dem eiskalt kalkulierenden Kapitalismus milliardenschwerer Weltunternehmen, die letztlich davon profitieren (und nebenbei noch viel mehr Daten über die Nutzer sammeln können).

Pokémon Go missionarisch nutzen zu wollen, entspricht natürlich voll und ganz der Philosophie des „die Kultur Umarmens“, die die Emerging-Church-Bewegung so vehement als „missionalen“ Lebensstil für Christen propagiert. Christen sollen sich demnach in unserer modernen Kultur nicht ausgrenzen, sondern überall mitmischen. Diese Denkweise ist zutiefst unbiblisch, denn schon im 1. Jahrhundert musste Paulus die Christen auffordern, eine klare Grenzlinie zu den sündigen und verdorbenen Praktiken der damaligen römisch-hellenistischen Kultur zu ziehen. Er nennt sie „unfruchtbare Werke der Finsternis“, mit denen wir „nichts gemein“ haben, „sondern sie vielmehr bloßstellen“ sollen (Eph 5,11). Die Korinther lebten mitten in einem kulturellen Sündenpfuhl, und Paulus schrieb ihnen:

Geht nicht unter fremdartigem Joch mit Ungläubigen! Denn welche Verbindung haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn wir sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie Gott gesagt hat: «Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.» Darum geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab! spricht der Herr. Und rührt Unreines nicht an! Und ich werde euch annehmen und werde euch Vater sein, und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Allmächtige. (2Kor 6,4-18)

Dass die Pokémon-Go Entwickler die Pokémons in ihrer virtuellen, der realen Welt übergestülpten Welt oft an Kirchen positionieren und dort Pokéstops einrichten, bedeutet nicht, dass sie dem Christentum gegenüber freundlich eingestellt sind. Könnte es nicht vielmehr sein, dass sie gerade christliche Jugendliche für ihr okkult-magisches Denken gewinnen wollen? Lassen wir uns nicht täuschen.   Hans-Werner Deppe  25.07. 2016

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