Kulturrevolution (China)

Leslie T. Lyall

DER ROTE HIMMEL

– China und die Christen nach der Kulturrevolution –

– Gekürzt und die Hervorhebungen von Horst Koch, Herborn – (Obwohl inzwischen ein halbes Jahrhundert vergangen ist, lehrt uns der „Marsch durch die Instanzen“ dennoch, wie auch heute noch „Revolution geschieht“, vor unseren Augen, 2018)

DAS NEUE CHINA
Das Scheitern des »großen Sprungs«
‑ Die Kulturrevolution
– Die »Roten Garden«
‑ Der Mensch nach Maos Vorstellung
‑ Liberalisierung
– Die Verehrung Maos
‑ Die verstörte Kirche
– Die Geschichte der Gesellschaft
‑ Die Situation im veränderten China

Hat die Gemeinde in China überlebt?

Der Rote Himmel
Bringt der Kommunismus den »Himmel auf Erden«, die neue Welt? Die »Mao‑Bibel«, der Katechismus der 800 Millionen, kennt nur ein Thema: Weltrevolution. Und das Feuer dieser Revolution brennt in allen Erdteilen. Es ergreift die Jugend Europas und begeistert sie: »Wir bauen die neue Welt!«
Der religiöse Charakter der roten Revolution ist unverkennbar. Sie kann direkt als Fälschung des Christentums bezeichnet werden. Das Evangelium von Jesus Christus ist die revolutionärste Botschaft, die Menschen und Verhältnisse ändert. Hier liegt das große Versagen der Christen. Sie sind kaum diejenigen, die eine Welt auf den Kopf stellen. Aber von den Kommunisten kann man das behaupten.
Es ist notwendig, daß sich das zerfallende, etablierte Christentum, das dem des Neuen Testaments kaum entspricht, mit der Herausforderung des Kommunismus auseinandersetzt. Die chinesische Revolution ist eine kritische Frage an unser eigenes Christsein: Wo ist bei uns noch etwas zu spüren von der Dynamik des Glaubens? Wo sind die Bauleute einer neuen Welt? – Nur da, wo Jesus Christus das Fundament, der Grundstein ist.
Der totalitären Macht des Kommunismus ist keine Ideologie entgegenzusetzen. Die Lösung heißt auch nicht Antikommunismus. Es gibt nur eins, was dieser Macht gewachsen ist: die totale Nachfolge Jesu.
Die Christen sind heute gefordert wie noch nie. Dabei geht es nicht in erster Linie um eine Revolution der Verhältnisse, sondern um eine Revolution der Herzen. Es geht um den neuen Menschen, den Christus schafft. Und von diesen neuen Menschen soll etwas ausgehen in eine in Unordnung geratene Welt (Matth. 5,13‑16).

1. KAPITEL

DAS NEUE CHINA

1965 war ein Schicksalsjahr für Mao Tse‑tung.
Sieben Jahre waren vergangen, seit der »große Sprung vorwärts« mit viel Propaganda auf dem Parteikongreß im Mai 1958 angekündigt wurde. Dem waren sofort die ersten Versuchskommunen gefolgt. Sie sollten das Sprungbrett für den großen Sprung des wirtschaftlichen Fortschritts werden. Für diesen Versuch nahm das Volk alle Kräfte zusammen.
Aber der eingeschlagene Weg war nicht leicht. Der Aufstand von 1959 in Tibet, der mit dem Tod von fünfundsechzigtausend Tibetanern rücksichtslos unterdrückt wurde, wirft finstere Schatten darauf. Ein Jahr später wandten die Sowjetunion und die osteuropäisdien Länder China den Rücken und machten seine Versuche mit den Kommunen lächerlich. Rußland zog alle Berater und Experten zurück und ließ China sein eigenes »Sampan« (chinesisches Wohnboot) rudern. Das Auftauchen Chruschtschows als Führer Rußlands markierte den Wendepunkt der chinesisch‑sowjetischen Beziehungen, die sich seitdem immer mehr verschlechterten.


Das Scheitern des „großen Sprungs«
1960 sahen sich die chinesischen Führer der unleugbaren Wirklichkeit gegenübergestellt, daß sie versagt hatten. Ihre Landwirtschaftspolitik war völlig gescheltert. Schreckliche Berichte über Hungersnöte in einigen Gebieten und der bedrohliche Mangel an Lebensmitteln zerschlugen ihren früheren Optimismus. Rot orientierte Beamte, die von doppelten Getreideerträgen berichtet hatten, gaben den Betrug zu.
Im Januar 1961 erzählte Ministerpräsident Tschu En‑Lai dem amerikanischen Journalisten Edgar Snow, der lange ein Freund des Vorsitzenden Mao war, daß die Getreideproduktion, weit entfernt von den gesteckten Zielen, unter die vorausgehender Jahre abgesunken sei.
Es war ein sehr, sehr harter Winter für China. Überschwemmungen, Dürre und Insektenplagen hoben den Mißerfolg noch mehr hervor. Die eigentliche Schuld an der schrecklichen Situation trug jedoch das totale Versagen der Regierung und ihrer Wirtschaftspolitik. Freunde und Verwandte der hungernden Bevölkerung auf dem Festland halfen in großem Ausmaß. Annähernd zwölf Millionen Lebensmittelpakete wurden 1961 und fast ebenso viele im folgenden Jahr von Hongkong aus verschickt.
Die Flut der Flüchtlinge nach Hongkong schwoll an. In Schanghai äußerte sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Form von Plakaten, die die Regierung öffentlich für die wiederholten Mißernten verantwortlich machten. Um den Mangel an Lebensmitteln zu beheben, sah sich die Regierung schließlich gezwungen, große Mengen kanadischen und australischen Weizens mit ausländischer Währung, die kaum entbehrt werden konnte, zu kaufen.

Revisionismus
Die Katastrophe war vor allem ein Schlag für das persönliche Ansehen des Vorsitzenden Mao. »Er war ein Gott, der versagt hatte.« Die Mao‑Mystik war zerbrochen. Denn der «große Sprung vorwärts« war sein ureigenster Gedanke gewesen. Nun zwang ihn die öffentliche Meinung, Abwandlungen in dem streng geordneten Kommunensystem gutzuheißen und persönliche Besitztümer und Unternehmen bis zu einem gewissen Grad wiederherzustellen. Der „Ökonomismus« war gegen Mao, sobald er nach «Revisionismus« roch.
Verteidigungsminister Marschall Peng Teh‑huai der sich 1959 auf der Luschan‑Konferenz der Kommunistischen Partei gegen Mao, die Kommunen und ganz besonders gegen den »großen Sprung vorwärts« gewandt hatte und deswegen entlassen worden war, konnte jetzt sagen: »Ich habe es euch vorhergesagt!« Es wird angenommen, daß Peng damals die stillschweigende Unterstützung Liu Schao‑tschis hatte, der trotzdem Ende 1958 Nachfolger Maos als Vorsitzender der Republik, wenn auch nicht der Partei, wurde. Trotz Lius hoher Stellung blieb es aber Marschall Lin Piao, der dem Parteivorsitzenden geistig am nächsten stand.
Mao hatte den Ruf des Unfehlbaren verscherzt, und Teile der Öffentlichkeit, die ihm feindlich gesinnt waren, fuhren fort, an «revisionstischen« Ansichten festzuhalten. Der verärgerte Vorsitzende legte ganz besonders nach 1962 zunehmende Ungeduld mit diesen Intellektuellen an den Tag. Um die junge Generation vor deren Einfluß zu schützen, gründete er die Sozialistische Erziehungsbewegung und verstärkte den Druck eine Anzahl gutbekannter Schriftsteller und Geschichtschreiber in der Partei. Darunter befand sich auch Wu Han, Dramatiker und stellvertretender Bürgermeister von Peking, der die gegenwärtige Situation auf eine Art auslegte, die den Vorsitzenden in ungünstigem Licht erscheinen ließ.

Erneuerung durch Arbeit
1957 trat ein Gesetz in Kraft, das den Landaufenthalt der Intellektuellen forderte. 1960 wurden Millionen Studenten auf die ländlichen Kommunen geschickt, um bei der Überwindung der Krise in der landwirtschaftlichen Produktion zu helfen. 1963 strömten wieder Zehntausende von Beamten, Intellektuellen und Studenten in die ländlichen Gebiete, um eine persönliche Erneuerung ihrer Einstellung und Zielsetzung zu erfahren, während sie landwirtschaftliche Arbeit leisteten. 1965 waren es vierzig Millionen Jugendliche und Intellektuelle, die gegen ihren Willen in der Landwirtschaft beschäftigt wurden. Die meisten von ihnen fanden die rauhen Lebensbedingungen fast unerträglich, während sich die Bauern ihrerseits über deren Anwesenheit ärgerten und sich über die Großtuerei der jugendichen Geistesarbeiter aus der Stadt lustig machten

Verrat der Revolution
Trotz der immer neuen «Berichtigungsaktionen« hielt jedoch der Einfluß der Mao‑Gegner im Zentralkomitee der Partei an. Wiederholt mißlang es Mao, die Gesamtkontrolle über den Parteiapparat, die er so sehr anstrebte, zu gewinnen. Noch nie dagewesene, einschneidende Maßnahmen waren nötig, um die Zukunft der chinesischen Revolution zu sichern.
Darüber hinaus regte die alternde Parteiführung in der nationalen Presse eine Debatte über die notwendige Absicherung an, „daß revolutionäre Nachfolge die Revolution nicht verrät«. Deutlich zeichnete sich eine Krise ab, hauptsächlich wegen der Erhaltung von Maos Auslegung des Marxismus‑Leninismus in der Zukunft. . . .

Die Kulturrevolution
Als sich im Herbst die Bäume um sein Haus rot und golden färbten, berief Mao eine Geheimsitzung des Zentralkomitees der Partei ein, wobei er die normale Parteimaschine übersprang. In aller Eile stellte er Sonderausschüsse als Rahmen für den Beginn eines neuen, turbulenten Kapitels in der Geschichte Chinas auf, ein Kapitel voll großer Gefahren für China selbst und für die ganze Welt.
Nachdem alles andere fehlgeschlagen war, stand der Vorsitzende nun kurz vor seinem letzten Glücksspiel, der «Großen Proletarischen Kulturrevolution«. Er befürclitete, die chinesische Gesellschaft könne auf einen «Revisionismus« sowjetischer Art zuschlittern. Mao, der bei der Annäherung an das Stadium des vollkommenen Kommunismus nie wirklich auf Stalins Theorie des verstärkten Klassenkampfes verzichtet hatte, bereitete neue Klassenkämpfe und Säuberungsaktionen im Stile Stalins vor. (Praktisch jeder Militär‑ oder Staatsbeamte, der in der Volksrepublik China in den letzten elf Jahren prominent wurde, verschwand entweder aus dem öffentlichen Dienst oder war nun heftiger Kritik ausgesetzt.)
Am 10. November ließ Mao von Schanghai aus den «Aufruf zur Großen Proletarischen Kulturrevolution« ergehen, die die Menschen bis an das Innerste ihrer Seele berühren sollte«. Zur gleichen Zeit griff er Wu Han und seine «Schwarze Bande« von Schriftstellern in Peking und damit auch direkt Peng Chen, den Bürgermeister und den Parteiausschuß in Peking an. Danach verschwand Mao aus unerklärlichen Gründen für sechs Monate aus der Öffentlichkeit.
Die Mao‑Anhänger stürzten sich nun in Wortgefechte gegen die «konservativen« Beamten der alten Linie, die sich gegen jegliche Straffung und Radikallsierung der Innenpolitik stellten. Aber ihr Bemühen war umsonst. Mao war sich der Oppositionsstärke, der er gegenüberstand, voll bewußt. Er hatte daher die begeisterte, revolutionäre Jugend als Vorspann eingeplant, um die Welle des intellektuellen Revisionismus einzudämmen, die Intellektuellen von allen bürgerlichen Tendenzen zu säubern und die Gegenrevolution innerhalb der Partei zu besiegen.
Nach seiner Rückkehr nach Peking führte Mao am 16. Mai den Vorsitz bei der Zusammenkunft des Zentralkomitees und gab am 29. Mai seine Zustimmung zur Organisation der ersten Roten‑Garde‑Gruppe, die mit der Tsinghua‑Universität verbunden war. Bald folgten weitere. Am 1. Juni befestigten sieben Studenten und Funktionäre das erste «große Persönlichkeitsplakat« an den Mauern der Universität von Peking, das den Präsidenten Lu Pang und den Parteiausschuß der Universität heftig kritisierte. Zwei Tage später gewannen die Mao‑Anhänger die Kontrolle über die nationale Volkszeitung wieder zurück, säuberten das Parteikomitee von Peking von 165 Prominenten, alles ältere Mitglieder, und enthoben Peng Chen und Wu Han aller Partei‑ und Regierungsposten. Das war der erste Schritt zur Säuberung des gesamten Parteiapparats, die sich zuletzt auf die ganze Nation und auf alle Ebenen erstreckte.
Den Studenten der Universität von Peking wurde die Ehre erteilt, «die erste Gewehrsalve in der «Großen Proletarischen Kulturrevolution« abzufeuern. Die protestierenden Studenten waren fest zur Reformierung der Ausbildungsmethoden entschlossen. Sie kritisierten den Präsidenten der Universität, bis sie sich seiner Entlassung versichert hatten. Danach leiteten sie eine großangelegte Säuberungsaktion unter der Universitätsverwaltung und den Intellektuellen ein. Der neue Erziehungs- und Studienplan räumte Maos Schriften den Hauptplatz ein. Es wurden fünfunddreißig Millionen Ausgaben seiner ausgewählten Werke gedruckt, um sie an die Massen zu verteilen.
„Wir brauchen keinen Verstand. Unsere Köpfe sind bewaffnet mit den Gedanken Mao Tse‑tungs!« war ein Schlachtruf, der den antiintellektuellen Charakter der neuen, gesteigerten Aktivität kennzeichnete. Die Prawda brachte dazu folgenden Kommentar: «Die Rote Garde« hat die Lektion begriffen, daß der Hauptfeind Mao Tse‑tungs derjenige ist, der zu denken versucht! «
Am 16. Juni wurden alle Universitäten und Schulen angewiesen, für sechs Monate zu schließen, damit die Studenten an der Kulturrevolution teilnehmen konnten. ‑ Fast zwei Jahre gingen vorbei, bevor sie wieder in ihre Klassenzimmer zurückkehrten.
Am 16. Juli begab sich Mao (angeblich) mit seinem plumpen Körper in das dahineilende Wasser des Jangtse‑Flusses bei Hankow, um den großen Start der Revolution noch zu unterstreichen und um sein berühmtgewordenes Bad zu nehmen. Die Presse präsentierte einer skeptischen Welt Fotos, auf denen Maos Kopf zwischen denen seiner glühenden Bewunderer und Mitschwimmer immer wieder aus den schlammigen Fluten auftauchte. So war Mao trotz anhaltender Gerüchte kein kranker Mann, sondern ein Führer voller Lebenskraft und bereit, die tiefgreifendste Gleichschaltungskampagne, die China jemals erlebt hatte, zu dirigieren.

Kampf mit Plakaten
Ein Hauptpunkt der Revolution war von Anfang an die öffentliche Debatte in Form von großen Plakaten, die Angriffe und Gegenangriffe enthielten und die neuesten Parolen ausgaben. Riesige Mengen roten Papiers und Fluten von Tinte wurden verbraucht, um die «Revisionisten« mit beißenden Worten öffentlich anzuprangern. Das war eine Art der Kriegsführung, bei der die chinesischen Pinsel mächtiger als Waffen waren. Tag für Tag mündeten die scharfen Angriffe im Radikalismus, während ein Plakat das andere beantwortete. Die öffentliche Waschung des verschmutzten nationalen Gewandes schien für die neue Revolution notwendig, eine Revolution, die den radikalsten Umbruch der chinesischen Erziehung und Kultur, den es je gegeben hatte, hervorbrachte.
Das ganze Unternehmen war in der Tat eine umfassende ideologische Säuberungsaktion, vor der nichts und niemand sicher war. Im November wurde sogar Liu Schao‑tschi der Vorsitzende der Republik, der schon im August seiner Amtsgewalt enthoben worden war, ein Opfer der öffentlichen Angriffe. Diese «führende Parteipersönlichkeit, die den kapitalistischen Weg einschlug«, verschrie man als den »Chruschtschow der Chinesen« und klagte ihn an, den geliebten Führer und Vorsitzenden Mao unaufhörlich angegriffen zu haben. Er wurde außerdem beschuldigt, eine Reihe von schwerwiegenden Verbrechen gegen die Partei und das Volk begangen zu haben und der Anstifter der Juli/August‑Aufstände in Südchina gewesen zu sein. Auch der Generalsekretär der Partei, Marschall Teng Hsiao‑ping, wurde angeklagt. In Wirklichkeit bestanden die Verbrechen des Vorsitzenden Liu Schao‑tschi und des Marschall Peng aus wiederholten Versuchen, Mao von den überspanntesten seiner Vorhaben abzubringen.

Die »Roten Garden«
Während der drückend heißen Tage im August 1966 versetzten neun turbulente Zusammenkünfte der neu gegründeten «Roten Garden« sogar das mittlerweile schon längst gegen Massenzusammenkünfte abgestumpfte Peking in Erstaunen. Vierzehn Millionen Jugendliche marschierten am Tien‑An‑Men (Tor des himmlischen Friedens) der alten Verbotenen Stadt vorbei, in der einst die Kaiser lebten und regierten.
Jetzt stand Mao dort mit Marschall Lin Piao, seinem Gefolgsmann und offensichtlichen Thronfolger, um dem Vorbeimarsch zuzusehen. Die jungen Menschen verehrten Mao als ihren Helden. ja, für sie war er eine himmlische Gottheit, die weit über jeder Kritik stand. überall waren Standbilder von ihm aufgestellt. Sein Bild blickte milde von jedem nur erdenklichen Ort auf achthundert Millionen Menschen herab. Postkarten und Kalender ohne Maos Bild waren eine Seltenheit. In Schao‑schan, Maos Geburtsort in der Nähe von Tschangscha, zeigte ihn ein Bild in weißen Gewändern und Sandalen, umgeben von einem rosigen Schein. «Der Vorsitzende Mao ist die Rote Sonne‘ in unseren Herzen« lautete der Titel eines Dokumentarfilms, der zur 17. Wiederkehr des Gründungstags der Volksrepublik China gedreht wurde.
Maos Vergötterung war praktisch vollständig. Ehrerbietig verneigten sich alle vor seinen Bildern. «Wir lieben unsere große Partei und unseren großen Vorsitzenden Mao!« verkündeten die allgegenwärtigen Plakate. Der »Hung weiping«, der Armbinden mit Maos Unterschrift und Mao‑Knöpfe an den blauen Uniformen trug, war das neue Instrument des Vorsitzenden, uni die Revolution unter das Volk zu tragen, seine auserwählten Nachfolger, die nun Kampferfahrung in der Revolution sammeln sollten. Sie waren dazu bestimmt, den Parteiapparat zu ersetzen, zu dem Mao kein Vertrauen mehr hatte.

Das »Rote Buch«
Das »Rote Buch« mit Auszügen aus den Gedanken Mao Tse-tungs wird wie ein heiliges Buch behandelt. Man trägt es bei sich, liest es als erstes am Morgen und als letztes am Abend, entweder allein oder in Gruppen. Die Parolen werden dabei auswendig gelernt und auf jede Tätigkeit während des Tages angewandt.
«Erarbeitet euch die Werke Mao Tse‑tungs!« lautete der nationale Aufruf für das Jahr 1964, als es den Anschein hatte, Maos Einfluß sei im Schwinden. Seine Schriften, so wird behauptet, vereinigen in sich die «ursprüngliche Wahrheit des Marxismus-Leninismus und ihre richtige Anwendung in der chinesischen Revolution«. «Es leben die Gedanken Mao Tse‑tungs!« Sie sind der Prüfstein der Orthodoxie und werden, so wird geglaubt, den Propheten selbst überleben. Jeder Kader muß sie veröffentlichen. Reisende sahen sie an allen erdenklichen Stellen angebracht, sogar an Kinderwagen und am Geschirr der Lasttiere. Sie ersetzten den Reiz vergangener, abergläubischer Zeiten.
Eine Stewardeß, die Maos «Gedanken« vertraut, sieht keine Notwendigkeit, Sicherheitsgurte beim Starten und Landen zu benützen. Sportler führen gute Leistungen auf die «Gedanken« zurück. Sogar die militärische Taktik muß nach ihnen ausgerichtet sein. Und der stellvertretende Vorsitzende Lin Piao kommt gleich hinter Mao, weil er der «engste Waffenkamerad, bester Schüler unseres großen Führers, des Vorsitzenden Mao, ist. Er ist derjenige, der das Große Rote Banner der Gedanken Maos hochhält, Mao Tse‑tungs Gedanken am besten versteht und sie am besten anwendet!«

Der Bildersturm
Die Kulturrevolution richtete sich gegen »vier alte Dinge«: alte Bräuche, alte Gewohnheiten, alte Kultur und alte Denkweise. Am meisten setzten sich die Jugendlichen der »Roten Garden« mit fanatischem Eifer ein, um das neue Ziel zu verwirklichen. Sie waren vom Unterricht und vom Studium befreit und aufgehetzt worden, «Revolution zu machen«.
Jetzt herrschte der Pöbel. In Peking wurde Menschen, die westliche Kleidung trugen, befohlen, einfache Kleider anzuziehen. Mädchen, die ihr Haar im «Honkong‑Stil« trugen, wurden angeprangert und Taxis als «Wohlstandsluxus« erklärt, Privathäuser gestürmt und alle überflüssigen oder gar mondänen Möbel auf die Straße geworfen. Gewalttätigkeiten waren in der Tagesordnung und die überlieferte Ehrfurcht vor dem Alter abgeschaft. Altere Menschen mußten öffentliche Demütigungen hinnehmen. Sie wurden oftmals völlig nackt durch die Straßen getrieben. Menschen, die zur öffentlichen Schändung ausgewählt waren, ließ man mit einem Schandhut auf dem Kopf durch die Straßen marschieren.
Das war nur eine Art der Schändung. Soweit es ihnen erlaubt war, zerstörten die «Roten Garden« jedes Kunstwerk griechischer, römischer und chinesischer «Wohlstandskultur«. Museen waren für die Öffentlichkeit geschlossen. Nur die Volksbefreiungsarmee konnte die jungen Rowdies davon abhalten, die «Verbotene Stadt« und die Ming‑Grabmäler in der Nähe Pekings völlig zu zerstören, die unbezahlbare, herrliche Wahrzeichen des vergangenen Glanzes Chinas darstellen. Kirchen wurden geschlossen und die Kirchenführer mißhandelt und gedemütigt, Bibeln und religiöse Bücher beschlagnahmt und zerstört.
Bald dehnten sich die Aktionen, Beleidigungen und die Zerstörungswut der «Roten Garden« über ganz China aus. Einhundert Millionen Jugendliche stürzten sich in eine ideologische Raserei, wie eine tosende, dahinellende Welle, die über Tausende von Meilen hinwegfegt« (Rote Fahne, 24. April 1967) eine «Art Schreckgespenst eines Kinderkreuzzuges« gegen Religion, gegen Chinas kulturelles Erbe und ganz besonders gegen alle Verdächtigen einer gegen Mao gerichteten Strömung.
Grausamkeiten nahmen zu, als diese überheblichen Jugendlichen sich überall hinbegaben. Ausgerüstet mit Freifahrtscheinen und vom Reisefieber besessen, zerstörten sie sämtliche Verbindungswege und das normale Leben der Nation. Hunderttausende jener, die man zur Arbeit aufs Land geschickt hatte, nützten die Gelegenheit, um mit Freikarten in ihr bequemes Zuhause zu kommen. Zeitungen mußten zeitweise ihr Erscheinen einstellen.
Nach der öffentlichen Anprangerung des Vorsitzenden Liu Schao‑tschi im November breiteten sich die Massenaktionen gegen die Parteiführung im Dezember auf Fabriken und ländliche Kommunen aus. Sogar der Kultusminister, ein stellvertretender Präsident, wurde durch die Straßen geschleift und andere führende Persönlichkeiten der Partei eingesperrt. Die Geschichte bietet keine Parallele einer solchen offiziell unterstützten Gesetzlosigkeit und einer derart massiven Machtdemonstration der Studenten.

Der Mensch nach Maos Vorstellung
Was sollte mit der Kulturrevolution erreicht werden? In der Volkszeitung vom 8. Juni 1967 hieß es: Wir kritisieren die alte Welt … das alte Ausbeutungssystem … die Gelehrten und die Behörden der Wohlstandsgesellschaft … Als Folge der Kritik, die jetzt ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht, taucht eine neue Ära am Horizont auf, in der die siebenhundert Millionen Chinas zu einem Volk der Weisheit werden!«
Schon Karl Marx hatte von der Entstehung einer neuen Gesellschaft und einer neuen, besseren Menschheit geträumt, in der sich selbst die menschliche Natur wandelt. Das große Ziel der Kulturrevolution war daher die Umgestaltung des Menschen und der Gesellschaft durch die Schaffung eines neuartigen Menschen, das Entstehen eines kommunistischen Menschen der Zukunft«. Die alten, tiefverwurzelten, feudalen Merkmale der Nation sollten durch Eigenschaften und Ideale ersetzt werden, die sich besser zur Führung eines sozialistischen Staates auf dem Weg zum Kommunismus eigneten. Mao strebte danach, einen Geist der Nüchternheit, Selbstaufopferung und der Revolutionsbegeisterung nach dem Beispiel von Jenan wiederherzustellen in einer Gesellschaft, die sich wieder der Eigensucht und persönlichen Vorteilen zuwandte.
Sein großes Ziel bestand daher in einer neuen Volkskultur, einer neuen Ethik und einem neuen persönlichen Glauben, der auf Mao gegründet ist, kurzum in einer neuen Pseudoreligion. So war es wichtig, das System der höheren Erziehung gründlich zu überprüfen, damit das ideologische Training zukünftig zu ihrem Mittelpunkt werde.
Jetzt haben sich drei Ziele der Kulturrevolution herauskristallisiert: Sie stellte im Grunde genommen den ideologischen Kampf gegen die Wirtschaftspolitik der Revisionisten dar. Zweitens war sie der Kampf um die Führung und die Bestimmung des weiteren Verlaufs der Revolution und drittens eine Jugendbewegung mit dem puritanischen Wunsch, die menschliche Natur zu erneuern, indem man sie von allem falschen Denken, allen Wünschen und Bräuchen säubert. Aber wo lag der Fehler?

Parteigeist
Das Erstaunlichste an der chinesischen Lage nach der Kulturrevolution war das verwirrende Zunehmen des Parteigeistes. Kein Tag verging in den Anfangsmonaten des Jahres 1968 ohne verschiedene Zeitungsdiskussionen über die große politische Erscheinung des Massenparteigeistes. Ohne Zweifel war der Vorsitzende Mao selbst zutiefst erstaunt über die tiefen Risse, die die Kulturrevolution auf dem Gebilde des politischen Lebens in China hinterlassen hatte.
Mao‑Anhänger hatten 1966 die ersten «Roten Garden« gegründet. Es waren meist unzufriedene studentische Aktivisten, die es darauf angelegt hatten, an der Säuberung des Parteiapparates von maofeindlichen Funktionären teilzunehmen. Im Lauf des Jahres bildeten sich immer mehr Gruppen, bis sie nahezu alle Studenten der Hochschulen und Universitäten umfaßten.
Aber trotz des gemeinsamen Zieles kam es innerhalb der Gruppen zu Rivalitäten, die von Zeit zu Zeit in Gewalttätigkeiten ausarteten. Enttäuscht darüber, daß es ihnen mißlungen war, die ältesten Parteivertreter abzusetzen, erteilten die Mao‑Anhänger in Peking den Massen die Vollmacht, ihre direkten Vorgesetzten zu stürzen und selbst die «Macht zu ergreifen«. Das hatte eine Balgerei um die Macht innerhalb der rivalisierenden Gruppen zur Folge. Dadurch alarmiert, bildeten die bedrohten Beamten zur Selbstverteidigung neue Erwachsenenorganisatioen gegen die Terrorherrschaft der «Roten Garde«. Die Verstreitender Parteien schuf nur noch größere Verwirrung. Diese Revolutionsgruppen waren streitsüchtig, undiszipliniert und ehrgeizig. Sie nannten sich Frühlingsdonner, Wächter der Lehre, Rotes Banner, Revolutionsrebellen, Rote Eisenkämpfer, Große Rebellenarmee, Ostwind, Proletarische Revolutionäre u. ä.

Als sich die Kulturrevolution Anfang 1967 auf die Bauernhöfe und Fabriken ausdehnte, übernahmen die Revolutionsrebellen mit Gewalt die Macht in der Partei und der Stadtverwaltung während der sogenannten «Januar‑Revolution«. Arbeiter, die die Vorteile des «Ökonomisnius« genossen hatten, fürchteten um ihr Leben, wenn dieser von der Lehre Maos abgelöst würde. So formierten auch sie sich zu Gruppen, um den eigenmächtigen «Roten Garden« Widerstand leisten zu können. Die Arbeitsdisziplin brach zusammen, und große Streiks und Sabotage der Inustrie waren das Ergebnis.
In Schanghai waren der Hafen und die Eisenbahn stillgelegt. Die Dinge gerieten außer Kontrolle. Es wurde öffentlich vor der Gefahr der Gesetzlosigkeit gewarnt. In verschiedenen Gebieten brachen Kämpfe aus. In Nanking starben über fünfzig Menschen bei Zusammenstößen, und Hunderte wurden verletzt. Der normale Regierungsapparat konnte mit den zahllosen streitenden «Massenorganisationen« nicht mehr zusammenarbeiten. Kurz nach Beginn der Belagerung der Sowjetischen Botschaft am 26. Januar (war nicht Rußland die giftige Quelle des Revisionismus?) entschied sich der Vorsitzende Mao widerstrebend, die Volksbefreiungsarmee zu verpflichten. Dann gab er seine acht Punkte umfassende Vorschrift heraus.
Diese Entscheidung, die der Kulturrevolution den Anstrich einer spontanen Massenbewegung nahm, war nicht sehr populär. Vom Januar 1967 an spielte die Volksbefreiungsarmee jedoch eine zunehmend wichtige Rolle. Die «Massenorganisationen« begannen, sich jetzt nach Verbündeten unter den anderen Gruppen umzusehen.
Nach dem Zusammenschluß der kleineren Parteien blieben zwei riesige, opponierende Parteiorganisationen übrig, die nach innen immer noch geteilt waren. Die «radikale« Koalition umfaßte die «Roten Garden« und all diejenigen, die durch eine Veränderung des derzeitigen Zustandes an die Macht kommen wollten, während sich die «konservative« Koalition hauptsächlich aus Gruppen zusammensetzte, die eine Rückkehr zum Zustand vor der Kulturrevolution befürworteten. Beide Seiten bekannten sich zu Mao. Als jedoch im August 1967 ausgedehnte Kämpfe zwischen den beiden schwerbewaffneten Koalitionen ausbrachen, sah es nach einem regelrechten Bürgerkrieg aus. Die Armee verhielt sich zurückhaltend. Sie griff nur von Zeit zu Zeit ein, um übermäßige Gewalttaten der Kulturrevolutionäre zu verhindern.
Die Regierung sah sich zunehmend einem Chaos gegenüber. Die etwas vorsichtigeren Führer in Peking überredeten daher den «Steuermann« Mao, sein Schiff in ruhigere Gewässer zu lenken. Befehle ergingen, die Parteikämpfe zu unterlassen, und den «Roten Garden« wurde befohlen , in ihre Lehr‑ und Klassenzimmer zurückzukehren, um Maos Werke und die Kulturrevolution zu studieren. Aber es dauerte bis zum Frühjahr 1968, bevor die meisten Grundschüler und die Hälfte der Mittelschüler wieder an ihren Lernpulten saßen.
Vielleicht hatte Mao das Gefühl, die meisten Ziele des Feldzuges erreicht zu haben. Vor allem war der jüngeren Generation eine Gelegenheit geboten worden, eine Art der Revolution selbst mitzuerleben. Es gelang ihm jedoch nicht, alle auszuschalten, die mit seiner Politik nicht einverstanden waren.

«Drei‑Wege‑Allianzen«
Die Roten Garden« setzten sich größtenteils aus jugendlichen und unerfahrenen Mitgliedern zusammen, aber die Entfesselung ihrer Kräfte als Masse war explosiv und letzten Endes äußerst gefährlich. Ihre Gewalttätigkeiten und der anschwellende, sich gegenseitig vernichtende Kampf hatten die Wirtschaft zerrüttet und schienen eine zweite Katastrophe innerhalb des «großen Sprung vorwärts« heraufzubeschwören. Die Frühjahrsaussaat war behindert und die Ernte erneut gefährdet.
Da nahmen angesehene Persönlichkeiten in der Hauptstadt allen Mut zusammen und fingen an, den Extremismus der «Roten Garde« zu verdammen und das Land vor den Gefahren der Gesetzlosigkeit zu warnen. Diese Versuche zur Einschränkung der Ausschreitungen wurden von neuen Gruppen unternommen, die sich auf «Drei‑Wege‑Allianzen« aufbauten. Ihr gehörten die Revolutionsmassen (Rote Garde usw.), die Revolutionskader (die alten legalen Parteivertreter) und die Armee an. Sogar die Volkszeitung tadelte übereifrige Mao‑Anhänger ihrer «linksorientierten Irrtümer« wegen.
Um die Ordnung wiederherzustellen und die Ausschreitungen der Revolutionäre zu zügeln, sah sich Mao gezwungen, sich wieder der Volksbefreiungsarmee, der einzigen zusammenhaltenden Kraft, die im Lande noch übrig war, zuzuwenden. Die neue, aktive Rolle der Armee war unpopulär und löste viele Spannungen und große Kritik aus. Die lange Belagerung der Sowjetischen Botschaft wurde aufgehoben. Tschu En‑lai, der Mann zwischen der extremen Linken und der extremen Rechten, trat mächtiger denn je als Hauptfigur in dem Versuch auf, zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln und die Wirtschaft wieder funktionsfähig zu machen.

Die Ernüchterung
Es war jedoch leichter gewesen, die Flammen zu entzünden, als sie wieder zu ersticken. Der «antiimperialistische« Kampf dehnte sich im Mai bis nach Hongkong aus, begleitet von Gewalttätigkeiten und Provokationen. Im August 1967 wurde die Britische Gesandtschaft in Peking niedergebrannt. In ganz China gingen die bewaffneten Zusammenstöße weiter.
Das zwang Mao im September zu einer Reise durch das ganze Land, um das Ende der Parteikämpfe zu sichern. Die Studenten kümmerten sich nicht um die früheren Anweisungen, und die meisten Universitäten und Schulen blieben geschlossen. Es war eine zu große Demütigung für sie, ihre wiedereingestellten Lehrer und Lektoren, die sie als Revisionisten verschrien hatten, zu akzeptieren.
Der tote Punkt war da. Entmutigt durch ihre Unfähigkeit, die revolutionären Ziele durchzuführen, enttäuscht über den Erfolg gemäßigter Gruppen in Peking und verärgert, weil sie allmählich zur Seite gedrängt wurden, verspürten die «Roten Garden« keine Lust, in ihre Unterrichtsräume zurückzukehren. Parteigeist und der Zusammenbruch der Ordnung durch das Gesetz hatten in Verbrechen, Sittenlosigkeit und Wuchergeschäfte ausgeartet. Der Schwarzhandel blühte, wie es seit 1949 nicht mehr der Fall gewesen war. Es wird gesagt, Ministerpräsident Tschu En‑Iai habe sich beklagt, daß sich viele Studenten vom Kampf abwendeten, sich dem «Nichtstun und dem Pokerspiel widmeten und ein liederliches Leben führten«. Das sind die Gammler und «Hippies« Chinas: teilnahmslos, ernüchtert und mit zerstörter Hoffnung, jemals ein höheres Amt zu erreichen. Die große Disziplin und die öffentliche Sittenstrenge früherer Jahre befanden sich im Schwinden.

Ausländische Gäste
Inmitten des Tumults gelang es den Drei‑Wege‑Allianzen« des Vorsitzenden Mao im Verlauf des Jahres 1967, in neun Provinzen neue Revolutionsausschüsse zu bilden. Das war immerhin ein gewisser Sieg für den ziemlich ernüchterten Führer. Dank des Einflusses gemäßigter Gruppen, die ihre Macht vereinigten, hatte es den Anschein, als erhebe sich China wieder aus dem Chaos und den Wirren der Kulturrevolution.
Einen Eindruck über das Leben in China vermitteln die Erfahrungen einer Gruppe von 57 Australiern und Neuseeländern, die Kanton, Schanghai, Peking, Hankow, Wuchang und Tschangscha bereisten. Ihr Reiseführer war aktiver Christ. Für diese Menschen war die Reise das anstrengendste, ergreifendste und belastendste Erlebnis ihres Lebens. In Kanton, ihrem ersten Aufenthaltsort, machten sie eine nerventötende Erfahrung mit, als sie stundenlang die Gedanken Maos hören mußten. Bei ihren Besuchen in Schulen, Fabriken und Kommunen mußten sie die berühmtesten «Auszüge« immer wieder über sich ergehen lassen. Ihre «Roten Bücher« hatten schon Eselsohren, bevor sie noch ihre Reise fortsetzten.
Zu dieser Zeit herrschte ein solches Durcheinander, daß die Behörden über die Anwesenheit von Touristen nicht gerade erfreut waren. Das Ergebnis des antirevisionistischen Kampfes war noch immer nicht abzusehen. Nach den äußeren Anzeichen und den Truppenbewegungen auf den Straßen zu schließen, war die Lage vermutlich an ihrem schlimmsten Punkt angekommen, als sie sich in Wuhan aufhielten. Dort war gerade ein Revolutionskomitee errichtet worden. Es war daher sehr schwer, im voraus zu bestimmen, welche Städte ohne Zwischenfälle besucht werden konnten. Es fehlte auch die übliche Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit des fünfzehn Mann zählenden Teams, das vom chinesischen Reisedienst gestellt worden war.

Einige der Gesellschaft hatten schon 1967 an einer Reise teilgenommen, doch die damalige Begeisterung war erloschen. Die «Roten Garden« fielen in der Öffentlichkeit nicht mehr auf, und die einst so stolz getragene Armbinde war im Gegensatz zu früher eine Seltenheit. Doch die australischen und neuseeländischen Besucher, die sich bei den «Roten Garden« an den Universitäten von Futan und Tungschi in Schanghai aufhielten, stellten fest, daß die Gruppe der Futan‑Universität immer noch sehr kriegerisch eingestellt war.
In Schanghai nahm die Reise beinahe ein vorzeitiges Ende, als einer der Australier eine harmlose Karikatur nachzeichnete, in der ein Hund dauernd in die Luft sprang, und auf der zu lesen war: Lang lebe der Vorsitzende Mao!« Die «Rote Garde«, die das sah, untersuchte den Vorfall eingehend, und bevor die Reise weitergehen konnte, fand eine hitzige Sitzung mit Kritik und Selbstkritik statt. Zu einem späteren Zeitpunkt der Reise wurde in Tschangscha in einem Papierkorb eine Bildpostkarte von Mao und ein Mao‑Knopf mit einem eingebrannten Loch gefunden. Garden und Hotelangestellte versammelten sich sofort in dem Zimmer, und ein zorniger Streit erhob sich. ‑
Trotz ihrer Bestürzung über den Personenkult um Mao und die großen Einschränkungen der persönlichen Freiheit, zeigten sich die Studenten sehr vom Experiment der Massenpolitik, der „massiven Einübung der politischen Erziehung« beeindruckt. Aber der Gruppe wurde keine Gelegenheit gegeben, auch nur mit einem einzigen Christen oder mit irgend jemand von der Stelle für Religiöse Angelegenheiten zusammenzutreffen.

Revolutionskomitees
In den ersten vier Monaten des Jahres 1968 bildeten vierzehn andere Provinzen Revolutionskomitees. Doch fehlte diesen in Wirklichkeit jegliche Übereinstimmung untereinander, und auch die früher gegründeten Revolutionskomitees arbeiteten nicht reibungslos. Ende März wurde der Führungsstab der Armee «gesäubert«, als sich der Parteigeist auf die Armee ausdehnte. Im Frühjahr loderte das schwelende Feuer von neuem auf, und Gewalttätigkeiten, die weit über die des Jahres 1967 hinausgingen, brachen im ganzen Land aus.
Die verblichenen Plakate wurden abgerissen und von anderen mit alten und neuen Angriffszielen der Beschimpfung und Kritik abgelöst. Sie brachten neue «Teufel«, «Scheusale«, «Ungeheuer«, «Gespenster« und «Geister« ans Tageslicht und betonten wiederum die Loyalität zu Mao, seinen Gedanken und seiner politischen Linie. Die Extremisten hatten wieder die Kontrolle erlangt, und das Chaos wurde als eine Tugend gepriesen, ohne die die verborgenen Mao‑Gegner nicht entlarvt werden konnten.
Von Mao wurde indessen berichtet, er habe bei einer fünfstündigen Zusammenkunft in seiner Residenz in Peking geweint, als er über die großen Schwierigkeiten der Nation berichtete. Dabei drohte er der extremen «Roten Garde« der Universität von Peking an, daß alle höheren Schulen unter Militärkontrolle gestellt würden, falls sie sich nicht besserten.
Diese Gegenüberstellung hilft das Problem zu beleuchten, das Mao sich selbst und der Nation mit der Mobilmachung der studentischen Kräfte geschaffen hatte, die «Revolution machen« sollten. Alarmiert von den Folgen seiner eigenen Maßnahmen, versuchte er, die Studenten ihrer Macht zu berauben und sie in ihre Schulräume zurückzuzwingen. Dabei mußte er feststellen, daß sich viele von ihnen gegen ihn und seine Politik stellten. Deshalb appellierte Mao schließlich wieder an die Arbeiter. Während Hunderttausende von Intellektuellen der «Roten Garde« auf das Land geschickt wurden, sandte man «Arbeiter- und Bauernpropagandatrupps« an die Universitäten, um die jugendlichen Revolutionäre in ihre Schranken zu verweisen und «die Unordnung der Kulturrevolution zu beseitigen« mit Hilfe der «Kampf‑Kritik‑Umwandlungskampagne«. «Die große Armee der Arbeiterklasse« (so Yao Wen‑yan in seiner Grabschrift für die Kulturrevolution mit dem Titel: «Die Arbeiterklasse muß die Führung in allen Dingen innehaben«) marschiert in alle Ausbildungsstätten, muß sie besetzen und für immer anführen.« Chinas Jugendliche, von denen sich dreihundert Millionen im Studentenalter befinden, sind im Endeffekt die Opfer der Tumulte der letzten drei Jahre.
Szechwan mit seiner siebzig Millionen umfassenden Bevölkerung und seinen reichen Bodenschätzen war, was die Tradition betrifft, die widerspenstigste aller Provinzen. Ihr einflußreicher Gouverneur, der von Anfang an gegen den Extremismus der Kulturrevolution gewesen war, wurde im Mai 1968 abgesetzt und war bei den Massenzusammenkünften oft ein Opfer der Anprangerung, wo er «bleich und zitternd« vorbeimarschieren mußte. Der blutige Kampf zwischen den gegnerischen Gruppen nahm kein Ende, und auch der Einfluß des Gouverneurs konnte ihn nicht verhindern. Alle größeren Städte waren in Mitleidenschaft gezogen. Am 31. Mai wurde schließlich ein Provinzrevolutionskomitee aufgestellt und als großer Sieg gepriesen. Nur fünf der neunundzwanzig Provinzen blieben ohne Revolutionskomitees. Dies waren Fukien (Ostchina), Kwangsi (Südchina), Jünnan (Südwestchina), Tibet und die Nord‑West‑Provinz und Zentrum der Atomindustrie Sinkiang, alles strategisch wichtige Grenzbezirke.
Im Mai brachen im ganzen Land ernsthafte Gewalttätigkeiten der Parteien aus mit den grausamsten Zügen in Kwangsi. Wuchow wurde von einem Großbrand zerstört, und das Blutvergießen nahm erschreckende Ausmaße an. Grausiger Beweis für die ganze Welt waren Tausende von gefesselten und verstümmelten Körpern, die den Perlfluß hinuntertrieben und von denen einige in Hongkong herausgefischt wurden.
Die allgemeine Unterbrechung der Zugverbindungen wirkte sich in Linchow am schlimmsten aus. Dort stapelten sich die Lieferungen nach Vietnam. Überall traten große Verzögerungen beim Transport von Kohle und anderen wichtigen Gütern für die Industrie auf. Die chinesische Wirtschaft wies zunehmende Zeichen der Überbelastung auf als Folge der Zerrüttung des normalen Lebens, zu der noch die schlimmsten Überschwemmungen des Jahrhunderts im Süden Chinas kamen.
Unfähig, das Problem der Gründung von Revolutionskomitees mit Hilfe der örtlichen Massen zu lösen, trafen Vertreter aus Fukien, Kwangsi, Jünnan, Tibet und Sinkiang im August in Peking zusammen, um über eine Regelung der Angelegenheit zu verhandeln. Am 13. August akzeptierte Jünnan ein Revolutionskomitee. Zwei Tage später versammelte man Männer, Frauen und Kinder, um mit einem Marsch durch die Straßen der Hauptstadt einen weiteren großen Sieg des Führers Mao zu feiern. Trotz heftiger Gegenwehr der heimatlichen Bevölkerung folgte Fukien am 19. August diesem Beispiel. Am 26. rief Kwangsi sein eigenes Revolutionskomitee ins Leben, und am 6, September wurden Revolutionskomitees in den beiden letzten Provinzen Tibet und Sinkiang gebildet. Peking feierte wieder, und der Rundfunk rühmte das Ereignis als «endgültigen Sieg der Kulturrevolution«. Der «Sieg« kam noch rechtzeitig zu Chinas Nationalfeiertag am 1. Oktober und verbesserte die Aussichten auf das Zustandekommen eines neunten Parteikongresses vor Ende des Jahres 1968.
Trotzdem ging der Parteikampf unvermindert weiter. Diesmal wurde jedoch nicht mehr um Politik, sondern um Macht gekämpft. Politische Angriffe von außen und Streitigkeiten von innen hinderten die Revolutionskomitees, sich Ansehen und Autorität zu verschaffen. Der Vorsitzende Mao sah sich gezwungen, seinen Wunschtraum von Massenaktivisten zu verschieben und sich mit der starken Unterstützung der Volksbefreiungsarmee der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu widmen.
Mit Hilfe der Kulturrevolution mag es ihm zwar gelungen sein, die Hauptelemente innerhalb der Parteihierarchie, die er für seine Ziele für äußerst gefährlich hielt, auszusondern und zu vernichten. Aber die grundlegenden Unterschiede zwischen der Gedankenschulung der «Roten« und der «Experten« bleiben bestehen. Soll politischen Theorien oder praktischer Politik und technischer Leistungsfähigkeit der Vorrang gegeben werden? Diese Debatte wird noch lange Zeit anhalten und gewiß Anlaß für neue Streitigkeiten und endlose Säuberungsaktionen geben. In der Zwischenzeit fehlt jede Erklärung für das Geheimnis um Liu Schao‑tschi, den «Chruschtschow Chinas«, das verleumdete, aber unabgesetzte Staatsoberhaupt.

Liberalisierung
Nach fünfzigjähriger kommunistischer Tyrannisierung brodelt es in der ganzen kommunistischen Welt vor Unzufriedenheit. Chruschtschow führte den Kampf gegen den Stalinismus und vermittelte Rußland das Gefühl einer gewissen Milderung der unmenschlichen Gesetze und Vorschriften. Jugoslawien war schon mit gutem Beispiel vorausgegangen. Das Fieber erwies sich als ansteckend. Im Januar 1968 entstieg die Tschechoslowakei den Jahren der Dunkelheit. Presse, Rundfunk, Fernsehen und die Kirchen nutzten plötzlich ihre Freiheit. Die jüngere Generation Rumäniens erklärte sich solidarisch mit dieser erregenden Entwicklung. Polen, Bulgarien, Ungarn und Ostdeutschland zeigten ebenfalls Anzeichen für die «Infektion«. Aller Hoffnung richtete sich auf einen «Sozialismus der Humanität«.
Aber Rußlands alte Dogmatiker waren aufmerksam geworden. Ihre Art, den Kommunismus auszulegen, führt die UdSSR einen weiten Weg zum Stalinismus zurück. Kann man «Revisionisten« und «liberalisierende Politik« dulden, ohne die endgültige Zerstörung des Kommunismus selbst zu riskieren? Aus Furcht vor den Kräften der Veränderung und mit Hilfe des «Konterrevolutionsgespenstes« setzte sich Rußland mit der verräterischen Invasion und Besetzung der Tschechoslowakei über die Charta der Vereinten Nationen und die Weltmeinung hinweg.
Die Maske ist gefallen und das wahre Gesicht des Kommunismus offenbar geworden. Wo aber werden die Kommunisten bei ihrem Vormarsch zur Weltherrschaft als nächstes zuschlagen? In Europa oder im Vorderen Orient?
Doch die Gezeiten wechseln. Achtundsechzig russische Schriftsteller und Intellektuelle verdammten heimlich den Verrat ihres eigenen Landes. Für die junge Weltgeneration heißt es: «Demokratischer Sozialismus ‑ ja! Tyrannischer Kommunismus nein!« Die Männer im Kreml sind Männer, die sich fürchten.
Der sechsundsiebzigjährige Vorsitzende Mao verliert ganz offensichtlich an Einfluß nach seinen beiden spektakulären Mißerfolgen und seinem Pyrrhussieg in der Kulturrevolution. Im April beschuldigte ihn die russische Presse mit harten Worten, er zerstöre die kommunistische Bewegung in China. Als Rußland die Tschechoslowakei besetzte, antwortete China darauf mit der Verurteilung der Invasion, obwohl es gleichzeitig auch die neue tschechische Führung angriff. Diese Ereignisse werden zweifellos Maos Entschlossenheit stärken, jeglicher Liberalisierung in seinem eigenen Land entgegenzutreten, Die Frage, ob die «Revolution« sich langsam einem Wendepunkt nähert, steht sicherlich noch weit offen. Es hat nicht den Anschein, daß sein Nachfolger Lin Piao von der Statur Maos ist, der seine Position nach seinem Tod einnehmen kann. Während nun die Mao‑Ära ihrem Ende zugeht, steht China vor einer neuen Übergangsperiode. Die Führer der chinesischen Kommunisten sind in großen Nöten.
Der Psalmist beschreibt sehr anschaulich (Psalm 2) die letzte Erhebung des Menschen gegen Gott: Die Herrscher beraten miteinander gegen den Herrn, um sich seiner göttlichen Herrschaft zu entledigen. Aber der alleinige Herrscher der Welt blickt von seinem Thron auf die lächerliche und doch so tragische Haltung des rebellierenden Menschen herab und vereitelt seine Pläne. Denn Gott hat dem auferstandenen Herrn das Gericht über die Völker und die Königsherrschaft über die Welt gegeben.
China, das in sich selbst geteilte Reich, kann auf die Dauer nicht bestehen bleiben. Seines militanten Atheismus wegen birgt der Kommunismus den Samen seines eigenen Verfalls in sich und ist zur endgültigen Vernichtung verdammt. Denn Gott herrscht, und selig sind alle, die ihr Vertrauen auf ihn setzen«!

2. Kapitel

EINE KIRCHE GEHT IN DEN SCHATTEN
1967 blieben in ganz China die Weihnachtsglocken stumm. Es war kein Platz für das Christuskind in irgendeiner kommunistischen Herberge. Kirchengebäude, aus denen einst Choräle und «Der Messias« schallten, waren mit Brettern vernagelt oder dienten den «Roten Garden« als Schulen und Hallen. Scharlachrote Plakate schmückten die Wände. Das war das Werk von Jugendlichen, die nie einen christlichen Missionar aus Übersee zu Gesicht bekommen hatten und glaubten, Christus sei nur irgendein berühmter Jude. Die «Jesus‑Religion« wie die «Buddha-Religion«, «Tao‑Religion«, «Konfuzius‑Religion« und «Hui-Religion« (Islam) waren eines der vier alten Dinge«, die verschwinden mußten. So hatte es der Vorsitzende Mao Tse‑tung angeordnet. Daraufhin wurden die Kirchen geschlossen, religiöse Symbole entfernt und die Häuser der Christen systematisch nach Bibeln und christlicher Literatur durchwühlt, einige sogar mehrere Male. Was man dabei fand, wurde verbrannt.
«Wenn die Grundfesten zerstört werden«, fragte David, «was kann der Gerechte dann tun?« David gibt dazu selbst die Antwort: «Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, der Thron des Herrn ist im Himmel!«

Die Verehrung Maos
Der Thron des Vorsitzenden Mao steht in Peking. Seine Worte ersetzen die Heilige Schrift. Lin Piao, Maos Nachfolger, drückt sich in seinem Vorwort zum «Roten Buch« so aus: «Wenn die Massen einmal Mao Tse‑tungs Gedanken begriffen haben, werden sie zu einer unerschöpflichen Kraftquelle und zu einer geistigen Atombombe von unbegrenzter Macht.«
Die Militärmusik schmettert die Botschaft der gegenwärtigen Nationalhymne «Der Osten erglüht« mehrmals am Tage aus jedem Radio:
«Vom Osten her erstrahlt die Sonne,
in China erscheint Mao Tse‑tung.
Er wirkt für die Wohlfahrt des Volkes.
Er ist des Volkes großer Erlöser.
Die Kommunistische Partei ist gleich der Sonne.
Wo immer ihr Schein, da ist Licht.
Wohin die Kommunistische Partei auch geht,
da wird befreites Volk.«
Die Städte waren mit roten Plakaten überschwemmt, die frisch geschriebene Schlachtrufe zur Erstickung der traditionellen Fröhlichkeit am Mond‑Neujahrsfest enthielten. China wurde das ganze Jahr über zu einem roten Meer. Tag für Tag übertönten der unermüdliche Rhythmus der Trommeln, das Singen und die lauten Rufe: «Lang lebe der Vorsitzende Mao!« den Verkehrslärm, als Gruppen von «Roten Garden« und Jugendlichen mit dem Bild ihres Heldengottes und ihren Bannern durch die Straßen marschierten.
Michael Browne, ein christlichen Journalist, der sich dort aufhielt, beschreibt das tiefe Feuer in den Herzen der Jugendlichen für «unsern großen Führer, Lehrer, Oberkommandierenden und Steuermann« mit folgenden Worten: «Es war eine Atmosphäre, als ob alte Zeiten neu erstanden wären. ‑ Musik, Leidenschaft, Bekehrungszeugnisse, Hingabe und Opfer. Mit dem Herrn Jesus Christus als Ziel der Verehrung würde China eine Massenbewegung der Umkehr erleben!«  . . .

Die verstörte Kirche
Schon über zwanzig Jahre sind seit der Machtergreifung des Kommunismus vergangen. Die ersten zehn Jahre waren für die Kirche ein Schock. Zunächst unvorbereitet, furchtsam, umworben und verwirrt von einem noch nie dagewesenen gönnerhaften Benehmen der Regierung, sah sich die christliche Kirche nun völlig durcheinandergebracht der ausgeklügelten Taktik der kommunistischen Regierung gegenübergestellt.
Einige führende Männer der Kirche benutzten das Wort der Bibel: «Seid untertan aller Obrigkeit, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott!«, um ihre Haltung zu rechtfertigen; denn , «die Obrigkeiten sind von Gott eingesetzt!« Andere rechtfertigten mit der Schrift ihre Haltung des passiven Widerstandes und bekannten sich mit den Worten: «Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen!« zur Einstellung der verfolgten ersten Gemeinde. Einige wählten aus Gewissensgründen das Gefängnis oder den Tod. Andere anerkannten reinen Gewissens die Zuständigkeit der Regierung und setzten den Dienst in ihren Kirchen mit Einschränkungen fort. Männer aller theologischen Richtungen fanden sich plötzlich auf beiden Seiten des Zaunes. Katholiken mußten für ihre Überzeugung zweifellos mehr leiden als ihre protestantischen Mitbürger.

Die gefesselte Kirche
Bei der Gründung der ersten Kommune 1958 war die christliche Kirche schon eine Kirche in Fesseln, obwohl ihre Führer nicht aufhörten, gegen die neu gefundene «Freiheit« zu protestieren. Befreit von aller missionarischen «Kontrolle« aus dem Ausland, befand sie sich nun um so fester in der Hand des Staates. Bekannten Christen immer noch ihre Liebe zur Kirche, so wurden sie aufgefordert, die Vaterlandsliebe an die erste Stelle zu setzen: «Liebe das Vaterland, so liebst du die Kirche!« lautete die Parole. Wo die Christen einst gejubelt hatten: «Übergebt euer Herz Christus!«, nötigte man sie jetzt, «ihr Herz der Partei zu ergeben«. Vorher bestanden sie auf der Wirklichkeit der sichtbaren Dinge. Nun war diese Welt alles, was zählte. Soziale Verbesserungen ersetzten die geistliche Erneuerung. Materialismus trat an die Stelle des Idealismus. Marxistischer Realismus verdrängte das Wissen, aus einer anderen Welt zu sein. Der gegenwärtige Himmel versprach mehr als der zukünftige.
Die machtvolle Propagandamaschine mit ihrer großen Überzeugungskraft faßte die Sache des Kommunismus in glaubwürdige Worte. Den Kindern erklärte man in der Schule alles in rosigen Bildern. Populäre Lieder gaben dem Kommunismus einen anziehenden Charakter. Theater, Kino und Ballett hoben die Helden der Revolution in den Himmel. Der Rundfunk trug den Imperialistenhaß, wobei ganz besonders die USA gemeint waren, in jedes Haus. 1959 schlossen sich die Fernsehsender in Peking, Schanghai, Kanton und Hankow der Kampagne an. Selbst Eisenbahnreisen brachten keine Befreiung von Marschmusik und endlosen Propagandareden, die unaufhörlich aus den Lautsprechern eines jeden Zuges tönten. Von Zeit zu Zeit gingen unendliche Propagandisten singend, tanzend und den Vorsitzenden Mao preisend durch die Wagen.

Die schwindende Kirche
Zwar überlebte die christliche Kirche, aber nur unter großen Einschränkungen. Die Zahl der Gemeinden in größeren Städten ging drastisch zurück, und es blieben nur wenige andere Städte die mehr als eine Gemeinde haben durften. Die übermäßigen Kirchengebäude wurden für andere Zwecke verwendet. Das mußte zwangsläufig zu einem gewissen Maß an Vereinigung unter den protestantischen Kirchen führen, was auch bezweckt werden sollte.
Soziale und politische Tätigkeiten, die auf Sonntage angesetzt wurden, machten den regelmäßigen Kirchenbesuche für die Mehrzahl der Christen und ganz besonders die Jugendlichen unter ihnen fast unmöglich. Volle achtzig Prozent der ordinierten Pfarrer waren überflüssig. Man schickte sie daher in Fabriken und auf Bauernhöfe zur Arbeit. Die öffentliche Brandmarkung, bestimmter Pfarrer als «Rechtsler« und «Reaktionäre« durch andere Pfarrer in der einzigen Kirchenzeitschrift «Tien Feng« führte bei vielen zum Selbstmord.
Sechs australische kirchliche Vertreter bereisten China im Juli 1959, dem ersten Jahr des «großen Sprung vorwärts«. Im Gegensatz zu der wahren Situation gaben sie einen begeisterten Bericht über das, was ihnen zu sehen erlaubt worden war und was sie von gutinstruierten Kirchensprechern zu hören bekommen hatten. Andere ausländische Besucher täuschte man auf ähnliche Weise. Offene Opposition gegen die «Patriotische Drei-Selbst‑Bewegung« gab es nicht mehr, und die verschiedenen Zweige der christlichen Kirche waren unter einen Hut gebracht.
Die protestantische Organisation, die vom Büro für Religiöse Angelegenheiten unterstützt wird, heißt «Drei‑Selbst‑Bewegung«. «Drei‑Selbst« bedeutet, daß sich diese Kirche selbst verwaltet, selbst gestaltet und selbst entfaltet. Damit hatte man das Ziel ausländischer Missionare für die chinesische Kirche neu verdreht. Dieses Schlagwort bedeutete nun den Bruch aller Finanz‑ und Verwaltungsverbindungen zur Missionsbewegung und den fremden «imperialistischen« Ländern.

Die politische Kirche
Y. T. Wu, der frühere CVJM‑Generalsekretär und Hauptfigur der neuen Bewegung, gab einen begeisterten Bericht über den Fortschritt der Kirche im ersten «großen Jahrzehnt« der kommunistischen Herrschaft nach der Entledigung der imperialistischen Fesseln. Auf dem zweiten Nationalen Volkskongreß 1960 sprach er über die Notwendigkeit der Selbstreform unter den Christen. Die christliche Presse folgte dem Beispiel der nationalen Presse, indem sie die Hölle des früheren Regimes mit dem Himmel der neuen Gesellschaft verglich. Und auch die heftige Verleumdung der Missionare als Agenten des Imperialismus ging weiter.
Fräulein Gerde Büge hatte Gelegenheit, Westchina noch einmal zu besuchen und mit ein paar alten Freunden zusammenzutreffen. Was sie vorfand, war eine erschreckende Minderheit der Christen. Sie war erstaunt, daß die Arbeit der Kirchen inmitten der großangelegten nationalen Bemühungen, dem Wirtschaftsstandard der Welt durch den «großen Sprung vorwärts« gleichzukommen, überhaupt überlebt hatte. Sie hörte von Pastoren, die in Gurkenfabriken, in der Milchwirtschaft, in Ziegeleien und in der Landwirtschaft beschäftigt waren. Einige von ihnen waren jedoch von der Bevölkerung zu ihren örtlichen Vertretern ernannt worden.
Eine frühere Missionarin, Frau Esther Nystrom, kehrte 1960 ebenfalls besuchsweise mit einer Kulturgruppe aus Schweden nach China zurück. Sie nahm in jeder Stadt an Gottesdiensten teil und besuchte die Theologischen Fakultäten von Peking und Nanking. Bischof K. H. Ting, ein Vizepräsident der «Drei-Selbst‑Bewegung«, war dort Rektor. Im neuen China begegnete sie keinen Bettlern, keiner Prostitution, keiner Trunksucht und keinem Verbrechertum. Frau Nystrom erfuhr auch, daß eine Kommission, die 1956 von der «Patriotischen Drei‑Selbst‑Bewegung« gegründet worden war, an einer neuen Bibelübersetzung arbeite.
Im Januar 1960 berief die «Drei‑Selbst‑Bewegung« die zweite nationale Konferenz nach Schanghai ein. Dreihundertneunzehn Delegierte aus allen Teilen Chinas nahmen daran teil und wählten ein neues Nationalkomitee von hundertfünfundvierzig Mitgliedern.
Der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Wu Yi‑fang, berichtete, daß mit der Sprengung des «gegenrevolutionären Rings«, angeführt von Wang Ming‑tao und Watchman Nee, die meisten reaktionären Kräfte aus der Kirche vertrieben wurden. Obwohl jede Ausübung der Religion umgestaltet wurde, um die sozialistische Produktion nicht zu beeinträchtigen, bezeichnete Dr. Wu die Behauptung, daß die christliche Kirche als Ergebnis des «Großen Sprung vorwärts« einen schweren Schlag erlitten habe, als imperialistische Verleumdung. Die Christen und das andere chinesische Volk atmeten dieselbe Luft. Nicht die Kirche, sondern der Imperialismus habe einen tödlichen Schlag erhalten.
Der Ton der Konferenz ließ klar erkennen, daß sie sich nicht so sehr damit befaßte, wie die Kirche ihr Zeugnis in eine kommunistische Gesellschaft hineintragen sollte. Es lag ihr vielmehr daran, sich mit ihrer Funktion als politische Einrichtung zu beschäftigen. Im Blick auf die Universitäten meinte Dr. Wu, «sie hätten einige Änderungen vorgenommen, wobei die Betonung auf politische Angelegenheiten verlagert worden sei« Die folgenden regionalen Konferenzen hackten immer wieder auf dem altbekannten Thema des «Antiimperialismus« und den Gefahren, die der Kirche immer noch von seiten der imperialistischen Aggression drohten, herum.
Kurze Zeit danach wurde das Theologische Seminar von Peking geschlossen und die Studenten an das Nanking‑Seminar versetzt. Zurück blieb ein akademischer Untersuchungsausschuß.
Die Verunglimpfung von Missionaren dauerte auch 1961 noch an. Dabei lag die besondere Betonung auf der Art und Weise, wie de Missionare Sonntagsschulen mißbraucht hätten, um die Gedanken der Kinder mit dem Imperialismus zu vergiften. Christen wurden warnend darauf hingewiesen, daß der missionarische Imperialismus immer noch verbrecherische Sabotage gegen das neue China sei. Bei einer Sitzung des Unionsseminars von Nanking, auf der die theologische Ausbildung in China zur Debatte stand, betonte das Direktorium die Notwendigkeit, den imperialistischen Gebrauch der Religion genau zu untersuchen.

Die übrigbleibende Kirche
Die Kritik der Kirchenzeitung «Tien Feng« an gewissen Landgemeinden in Schantung und Tschekiang läßt vermuten, daß sie ein sehr lebendiges Zeugnis aufrecht erhielten. Folgender Brief von 1961 beschreibt das Gemeindeleben in einigen nördlichen Provinzen zu diesem Zeitpunkt:
«Es ist unmöglich, all meine Erlebnisse in einem kurzen Brief zusammenzufassen. Aber Gott wirkt immer noch auf wunderbare Weise im Leben vieler gläubiger Christen. Wir müssen Gott preisen und ihm für seine gnädige Fürsorge und Bewahrung danken. In früheren Zeiten baute die Gemeinde auf Sand, jetzt ist sie auf Fels, den alleinigen Fels, gegründet. Gott macht keine Fehler. Ich war dankbar, Brüder zu finden, die fest im Glauben stehen. Und es waren hauptsächlich junge Menschen.«
In Schanghai wurde die China‑Bibel‑Gesellschaft aus ihren Räumen vertrieben. Sie setzte ihre Arbeit trotzdem in der Moore‑Gedächtniskirche fort. Der Verkauf und die Verbreitung von Bibelstellen ging stark zurück. Alle fühlten den enormen Verbrauch von Zeit und Kraft bei der Bewältigung materieller Angelegenheiten, aber am meisten bekamen ihn die Christen zu spüren. In einer Gesellschaft, die sämtliche geistlichen Werte ablehnt und jede religiöse Tätigkeit mißbilligt, ist es ein brennendes Problem, das geistliche Leben zu erhalten.
Mädchen, die in der Landwirtschaft arbeiteten, hatten nur eine Möglichkeit zu beten. Sie mußten morgens um drei Uhr aufstehen. Um eine stille Zeit zu haben, ließen die jungen an der Universität ihr Frühstück ausfallen, oder sie lasen ihre Bibel nachts im Schein einer Straßenlaterne.
Sitzungsberichte des «Drei‑Selbst‑Bewegung«‑Ausschusses vom August 1962 lassen deutlich erkennen, daß die Kirche als Beweis für ihre Solidarität mit dem chinesischen Volk immer mehr in politische Aktivität verwickelt wurde. Kirchenabgeordnete, die man zu verschiedenen Konferenzen ins Ausland geschickt hatte, nutzten die Gelegenheit, um die chinesische Regierung zu rühmen. Andere jedoch, wie Markus Cheng und Francis Wei, mußten die übelsten Verleumdungen über sich ergehen lassen, sie die Regierung angriffen. Edgar Snows Buch Red China Today (1962) verweist oft auf die revolutionäre Feindseligkeit, der Religion allgemein und den historischen Kirchen und der Missionsbewegung gegenüber.
1962 erreichten die Welt immer weniger zuverlässige Nachrichten über die chinesische Kirche. Aber ein chinesischer Reporter, der am 3. Dezember 1962 einen Bericht in der «Hongkong Tiger Standard« veröffentlichte, der auf Aussagen von Flüchtlingen beruhte, schrieb von einem Rückgang des Gottesdienstbesuchs. Da der Gottesdienst so formell und voreingenommen ist, treffen sich Christen, laut Bericht, privat in kleinen Hauskreisen. Sie riskieren damit, wegen Verstoßes gegen ein Gesetz, das Privatversammlungen verbot, eingesperrt zu werden. 1958 waren alle Zusammenkünfte außer Sonntagmorgengottesdienste verboten worden; also auch Kindergottesdienst, Frauen- und Bibelstunden.
Aber es gelang nicht, das Licht christlichen Zeugnisses zu ersticken. Aus Tschangscha, Maos eigener Heimat, kam dieser Brief vom Juni 1962:
«Ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut. Wie gut ist es doch, wenn einer an den anderen denkt, auch wenn man über zehn Jahre nichts mehr voneinander gehört hat! Ich hoffe, daß Deine Arbeit gut geht und Deine Familie wohlauf ist. Wenn wir auch voneinander getrennt sind, vergessen wir doch unsere Gemeinschaft im Heiligen Geist nicht.
Meine Gemeindearbeit habe ich in den letzten zehn Jahren ununterbrochen fortgesetzt. Die Verhältnisse an anderen Orten sind geblieben, wie sie waren, und die Gottesdienste nehmen ihren normalen Verlauf. Ich bin jetzt siebenundsiebzig Jahre alt, kann aber noch alle möglichen Arbeiten tun … Ich kann Überfluß haben und niedrig sein. Überall und in allen Dingen habe ich gelernt satt und hungrig zu sein, beides, Überfluß und Mangel zu haben. Ich danke Gott von ganzem Herzen, daß ich zufrieden sein kann, gleichgültig, in welchem Zustand ich mich befinde. Wahrlich, das Mehl in der Tonne ging nie aus, noch mangelte dem Ölkrug etwas, und in Christus ist jeder Mangel voll gedeckt. Möge Gottes Gnade bei Euch allen sein!«

Die verurteilte Kirche
Ein Artikel in der «Tien Feng« vom März 1963 war überschrieben: «Haltet das Banner des Antiimperialismus und Patriotismus hoch und erfüllt unsere jetzigen Aufgaben!« Diesem Bericht zufolge hinkten die Christen in ihrem politischen Denken nach. Außerdem sei es die Aufgabe der Kirche, einen christlichen Antiimperialismus durch das Studium des Sozialismus zu entwickeln und energische Bemühungen in der Selbstreform und der historischen Forschung zu unternehmen.
Ein Jahr später begann die Presse, umfassende Angriffe gegen sämtliche Religionen zu veröffentlichen. Menschen in kirchlichen Diensten wurden angeklagt, ihre Opposition gegen die Regierung unter dem Mantel der Religion zu verbergen, eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit darzustellen, kein Vertrauen zur Politik und den Plänen der Regierung zu haben, dem Einfluß des Imperialismus zu erliegen und eine Machtentfaltung der Religion zu beabsichtigen. «Die Religion ist unser Feind!« «Die Religion ist schuldig! « «Bildet eine geschlossene Front gegen die Religion!« (Rote Flagge.)
Fräulein Gerde Büge besuchte 1965 noch einmal China. Diesmal war ihre Reise auf Peking, Schanghai und Nanking begrenzt. Dort verbrachte sie einige Tage am Theologischen Seminar. Sie war sehr daran interessiert, die dokumentarischen «Beweise der missionarischen Beteiligung an der imperialistischen Aggression« zu sehen, die dort in der Bibliothek in Glaskisten ausgestellt waren. Die Zahl von achtzig anwesenden Studenten war viel zu klein, um den Mangel an Gemeindearbeitern in der Zukunft decken zu können. Man erzählte ihr, die Kirchengemeinden außerhalb der größeren Städte seien sehr klein. Ausländische Besucher wurden jedesmal in dieselbe Kirche geführt und trafen mit denselben christlichen Sprechern zusammen. Für gewöhnlich waren es Li Chu‑wen von der Gemeinschaftskirche in Schanghai, der Generalsekretär der Drei‑Selbst‑Bewegung, Bischof K. H. Ting, Präsident des Theologischen Unionsseminars von Nanking und Vizepräsident der Drei‑Selbst‑Bewegung, und Dr. Y. T. Wu, Vorsitzender der Drei‑Selbst‑Bewegung. Die Kommentare dieser Männer neigten dazu, die Tatsache zu verschleiern, daß die Kirche kaum geduldet war, auch wenn sie ihre Funktionen und Zeremonien noch ausübte. Ihr Tätigkeitsbereich war streng abgegrenzt und ihre Mitgliedschaft nahm nicht mehr zu.
Rev. Li Chu‑wen erzählte einem zu Besuch weilenden schwedischen Angehörigen einer Pfingstgemeinde. Wir sind überzeugt, daß uns die derzeitigen Gegebenheiten dem Kern des Evangeliums nähergebracht haben. Die evangelische Christenheit in China wird ihre innere Lebendigkeit bewahren und ihre Botschaft auf eine Art und Weise verkündigen, die den geistlichen Bedürfnissen des Menschen völlig genügt.
Dagegen boten sich einem indischen Christen, der an den Sportfestspielen teilnahm, die im September 1965 in Peking stattfanden, ganz andere Eindrücke. Nach einem Gottesdienst in einer schlechtbesuchten Kirche sagte er: «Die Kirche des kommunistischen China scheint keine Zukunft zu haben.«

Die verfolgte Kirche
1966 kam der große Schlag: Der Großangriff gegen die Religion hatte schließlich begonnen. Mit ungeheurer Energie fiel die Kulturrevolution über die alten Kulturen her. Alle Religionen mußten ohne Ausnahme die Schändung ihrer Gottesdienstorte, ihrer Tempel, Altäre, Moscheen, Heiligtümer und Kirchen über sich ergehen lassen.
In Lhasa tobte die Zerstörungswut, und auch der historische Tempel des Konfuzius in Schantung wurde erheblich beschädigt. Die Lage aller Christen war zum erstenmal seit 1949 wieder bedrohlich. Im August wurde die römisch‑katholische Südkathedrale in Peking beschlagnahmt und ihre religiösen Symbole durch rote Fahnen, Banner, Statuen oder Bilder von Mao und durch die unvermeidlichen roten Plakate ersetzt. Acht Nonnen des Heiligen‑Herz‑Klosters vertrieb man aus China. Eine von ihnen starb an den Folgen ihrer Behandlung. Alle Statuen von Christus und der Jungfrau Maria wurden zerschlagen. Römisch-katholische und protestantische Kirchen wurden geschlossen und Bibeln, Meßbücher und Gebetbücher auf den Straßen verbrannt.
Der Haß der Roten Garden« gegen die Bibel kam immer zum Vorschein. Sie verbrannten alle, die sie finden konnten, vor Kirchentoren oder in öffentlichen Parks.
Pastor Wongs Geschichte ist nur eine von vielen. Er versah den Dienst in einer glaubensstarken Gemeinde, als die Roten Garden« in seine Stadt kamen. Nachdem sie sich den Pastor und die Gemeinde als «Volksfeinde« ausgesucht hatten, tobten sie rücksichtslos durch das Kirchengebäude und verwandelten es in ein Schlachtfeld. Danach befahlen sie dem Pastor und seiner Frau, alle Bibeln und Gesangbücher auf die Straße zu tragen. Sie mußten niederknien und alles verbrennen. Dann trieb man sie aus ihrem Haus. Jeder, der versuchte, ihnen zu helfen, wurde als «feindlicher Hund« gebrandmarkt.
Herr und Frau Wong nahmen schließlich Stellungen als Arbeiter an, die ihnen kaum das Notwendigste zum Leben einbrachten. War Pastor Wong auch das Predigen verboten, so pries er doch mit seinem Leben unaufhörlich den Herrn Christus.
Gewalttätigkeiten gegen die Kirchen setzten sich auch im April fort. Kaum ein Pfarrer blieb verschont. Die Kirchen in Kanton, Swatow und Schanghai wurden bis Mitte Sommer gesäubert. Darauf folgten Nanking, Peking und andere Großstädte. Die «Drei‑Selbst‑Bewegung« wich den «Roten Garden« aus.
Säuberungsaktionen und fanatische Christenverfolgung gingen Hand in Hand. Viele von ihnen mußten in der Gosse niederknien, wo sie verhöhnt und angespuckt wurden. Anderen schnitt man so die Haare, daß nur noch ein Kreuz als «schmachvolle Kennzeichnung« übrigblieb. Wieder andere zwang man, durch die Stadt zu marschieren als «religiöse, schlechte Elemente«, und die Menge verspottete sie. Einem Pfarrer, der in einer Fabrik arbeitete, hängte man ein Plakat um, auf dem zu lesen war: «Ich bin ein Lügner und Verräter!« Er wurde gezwungen, diese Worte zum Vergnügen seiner Arbeitsgenossen immer wieder herzusagen. Eine Frau, die im Gemeindedienst stand, erhielt brutale Schläge ins Gesicht. Das Haus einer achtzigjährigen Frau wurde durchstöbert und ihre Bibel zerrissen. Uni sie zu verspotten, versuchte man sie zu der Aussage zu zwingen: Es gibt weder Gott noch Christus!« Darauf antwortete sie: «Wie könnte ich so etwas sagen, nachdem ich seit vierzig Jahren an ihn glaube!«
Viele Pastoren brachen zusammen und nahmen sich das Leben. Ein christliches Ehepaar aus Schanghai brandmarkte man als Kapitalisten, vermutlich ihrer früheren Universitätsausbildung wegen, und trieb sie dazu, Gift zu nehmen. In Peking nahmen sich zwei Arzte während der Terrorherrschaft das Leben.
Bischof K. H. Ting von Tschekiang, ein loyaler Regierungsanhänger, verschwand im September aus dem öffentlichen Leben. Bischof Michael Tschang aus Fukien und seine beiden Weihbischöfe steckte man in ein Schulungslager. Auch Dr. James Ting, der Methodistenführer, wurde nach öffentlichen Demütigungen dorthin gebracht.
So war 1966 das erste Jahr seit dem Einzug des Christentums China, in dem Weihnachten außer in der Britischen Botschaft in Peking und den Büros des britischen Geschäftsträgers in Shanghai nirgends gefeiert wurde. Beide Gebäude waren 1967 das Angriffsziel der «Roten Garden«. Dabei verletzte der Pöbel den Geschäftsträger in Schanghai (P. M. Hewitt) ernsthaft.
Herr und Frau Liu haben sechs Kinder. 1961 gelang es Frau Liu, China mit den Kindern zu verlassen, aber Herr Liu erhielt keine Ausreiseerlaubnis. Seine Frau hatte ihn schon mehrmals besucht. Als sie aber das letztemal kam, war ihm seine hübsche Wohnung von den «Roten Garden« weggenommen worden. Er bewohnte ein einziges Zimmer, in dem sie flüstern mußten, damit man sie nicht belauschen konnte. Es war ihm gelungen, seine Bibel im Feuerholz versteckt zu halten, aber sie hatten keine Möglichkeit, laut darin zu lesen oder miteinander zu beten. Um allein zu sein, ging das Ehepaar im Park spazieren. Dieser war aber so überfüllt mit Leuten, daß sie keinen ungestörten Platz zum Beten finden konnten ‑ bis es zu regnen anfing. Bald lag der Park verlassen da, und die Lius waren, wenn auch durchnäßt, allein. Im Regenguß hielten sich die beiden an den Händen und sangen ein altes Lied, das sie einmal auswendig gelernt hatten:
«Trotz aller Trübsal, die ich habe,
trotz aller Dornen, die meine Füße zerstechen,
bleibt der Gedanke überaus lieblich:
Du denkst ja, Herr, an mich.«

Die aufgelöste Kirche
An Ostern 1967 war die Liquidierung der organisierten Kirche in China vollzogen, wie folgende Auszüge andeuten:
Schreiben eines Christen aus Kanton vom November 1967:
«Nun gibt es in Kanton weder Gott noch Buddha. Im letzten Jahr nahm ich gelegentlich an einigen Gottesdiensten teil, aber was ich dort hörte, war alles andere als christliche Botschaft. Jetzt sind alle Kirchen in der Stadt geschlossen. Alle, die im Gemeindedienst standen, hat man eingesperrt, kahlgeschoren und durch die Stadt getrieben. An den Kirchen kleben große Schriftrollen, auf denen geschrieben steht: ,Hängt Gott!‘
Bibelworte kann man hier nicht hören. Es ist deshalb natürlich sehr schwer, vom Heiligen Geist geführt zu werden. Wie ich Euch beneide! Ihr könnt Eure Bibel oft lesen, zusammenkommen und das Wort hören.
Meine Lage ist wirklich entmutigend. Wenn man keine Arbeit hat, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, hat das Leben seine Bedeutung verloren. Die Umstände hier halten mich in ihrer Knechtschaft und machen es mir unmöglich, die Wirklichkeit des Herrn zu kosten. Betet, daß der Herr mir gnädig sei, und hofft, daß Ihr mir helfen könnt, auf dem Weg des Kreuzes weiterzugehen.«
Einige Zeit vorher schrieb eine Mutter von vier Kindern:
«Das Geld, das Ihr schicktet, kam pünktlich an. Ich danke Gott, der das Gebet erhörte, und Euch danke ich für Eure Liebe. Gott hat nicht versprochen, daß der Himmel immer unbewölkt sein werde. Es mag sein, daß die Schatten die Erde für einige Zeit bedecken, aber sie werden bald verschwinden. Dann ist der Himmel wieder klar, und die Sonne wärmt unsere Herzen wieder.
Was für einen wahrhaftigen und liebenden Gott wir haben! Wie kurz sind doch ein paar Monate im Vergleich zum Leben! Einmal mehr läßt er uns eine Glaubenslektion erfahren und von neuem die Schwierigkeiten des Lebens kosten. Obwohl man kein Großes Buch mehr lesen kann, ist es doch herrlich, daß der Heilige Geist in uns selbst ist.
Bruder (ihr Mann) kam letztes Jahr einmal zurück. Es war die Gelegenheit aus der Hand Gottes, so daß er seinen besagten Vater noch einmal sehen konnte. Gott sei Dank! Wir dachten, er käme nie mehr nach Hause. Wie konnten wir wissen, daß ihn Gottes allmächtige Hand noch einmal nach Hause bringen würde! Er war tot und doch lebendig, verloren und doch wiedergefunden. Ihm sei zweifacher Dank gesagt! Wir leben durch und durch von der Gnade Gottes. Vergeßt niemals, für uns zu beten. Schreibt aber nur, wenn es wirklich notwendig ist!«
Später schrieb sie:
«Gott ist treu und voll Liebe. Er kann die dunklen Wolken vertreiben, damit das Licht auf uns scheinen kann. Aber oft läßt er zum Wohl seiner Kinder ein paar Kanaaniter für uns übrig, damit wir das Kämpfen nicht verlernen. Das ist ein Geheimnis der geistlichen Welt ‑ und das Bild unseres Lebens. Wenn wir Mangel am Brot des Lebens haben, fühlen wir uns oft bekümmert und murren wie Habakuk: Warum? Mit dem Glauben als Schild verschwinden jedoch alle diese Sorgen. Um uns herum, sogar innerhalb der Familie, verspüren wir oft die Angriffe des Satans. Möge Gott sich über uns erbarmen! Bitte, vergeßt nicht, für uns zu beten. Möge die Gemeinschaft des Heiligen Geistes immer bei uns sein!«
Aber das Leiden hat auch oft eine reinigende und läuternde Wirkung. Ein chinesischer Pastor in Hongkong erhielt 1968 diesen Brief aus dem Norden Chinas:
«Da ich Experte im Ingenieurwesen bin, hatte ich einen gehobenen Posten und bezog ein hohes Gehalt. Dieses Leben gefiel mir ganz gut. Aber als Ergebnis der Kulturrevolution habe ich jetzt meinen gehobenen Posten, mein hohes Gehalt und alles andere verloren. Ich arbeite nun als ganz gewöhnlicher Arbeiter. Aber ich bin glücklich, daß ich die völlige Freude des Christus wiedergefunden habe. Und ich weiß, daß es anderen Freunden genauso erging.«

Die hoffnungsvolle Kirche
Wie sieht die Zukunft der Religion in China aus? Mitglieder einer japanischen Gesandtschaft nach Peking Mitte des Jahres 1967 mußten die Zitate Maos mindestens fünfmal am Tage lesen. Bei dieser Gruppe waren vier Christen. Sie bestätigten, daß alle Kirchen vorläufig geschlossen seien. Aber Frau Anna Louisa Strong, eine alte Autorin und langjährige Bekannte des Vorsitzenden Mao, die in Peking wohnt, äußerte ihnen gegenüber die Meinung, daß die Tore der religiösen Einrichtungen nach der Kulturrevolution wieder geöffnet würden.
Rev. Jan Thomson, der einmal in China gelebt hatte, verbrachte im August 1967 drei Wochen dort. Er hatte aber sehr wenig Bewegungsfreiheit. In jedem Zug und jedem Flugzeug traf er auf die Propaganda der «Roten Garde« und mußte am Studium der Zitate Maos teilnehmen. Die Kirchen, die er sah, waren alle geschlossen; einige waren verlassen, und andere wurden als Schulen benützt. Thomson schließt seinen Bericht mit den Worten: «Zusammenfassend möchte ich sagen. Man kann sich heute nicht in China aufhalten, ohne von diesen glücklichen, wogenden Massen der Millionen Chinesen beeindruckt zu sein. Sie glauben, meiner Meinung nach, wie kein anderes Volk auf dieser Welt, daß sie wissen, wohin sie gehen, und sie sind über diese Aussichten begeistert … Nach vorne getragen auf den Flügeln des Glaubens an Mao und in ihrem ewigen Morgenlicht, erzeugen sie ein Gefühl der Kraft und Hoffnung, das man nur bewundern kann.«
Thomson hatte aber keinen Kontakt mit denen in dieser Gesellschaft, die «in der Welt, aber nicht von der Welt« sind. Für die Christen sieht die Zukunft weniger rosig aus, obwohl auch sie «durch Hoffnung gerettet sind« ‑ eine Hoffnung auf bessere Zeiten, aber letztlich doch eine Hoffnung auf die Wiederkunft Christi. In der Zwischenzeit hängt das überleben des Christentums in China von der «zellenartigen« Kirche ab, in der Christen zu festgesetzten Zeiten in Gruppen von nicht mehr als zehn Personen, oft sogar noch weniger, zusammenkommen.
Man weiß von diesen Gruppen, daß sie sich vermehren und daß ihr Zeugnis wirksam ist. ‑«Erzählt uns vom Christentum«, bat eine Gruppe von Dorfbewohnern, «damit wir den Frieden bekommen, den ihr habt!« ‑«Sage uns, wie man eine solche Freude bekommen kann, wie du sie in so schwerer Trübsal besitzt!« forderte ein Lehrer von einem christlichen Mädchen an einer Pädagogischen Hochschule.
Jemand, der Verbindung zu Christen in China hat, schrieb: «Die Kirche ist stärker als vor zehn Jahren, wenn auch nicht nach außen hin und in sichtbaren Organisationen, sondern im Glauben und in seiner Ausübung . . .«
Wie können wir unseren christlichen Brüdern in China helfen. Ein offensichtlicher Weg sind Rundfunksendungen, die nach China ausgestrahlt werden. Auszüge aus Briefen im Anhang des Buches zeigen die Wirksamkeit dieser Verbindungsmittel.
Der Zerfall zentraler Behörden und die Nachlässigkeit seitens der Polizei machen es den Christen offenbar verhältnismäßig leicht, ausländische Sender zu hören‘ und miteinander Gemeinschaft zu haben. Die Heilige Schrift wird z. B. in Diktiergeschwindigkeit gelesen, um den Christen eine Möglichkeit zu geben, ihre verlorengegangenen Bibeln durch eine Anzahl handgeschriebener Schriftteile zu ersetzen. Andere Möglichkeiten stehen zur Zeit nicht offen. Es bleibt nur noch die Fürbitte, die große Macht, die die «Kirche im Schatten« trägt, bis die Sonne eines neuen Tages wieder scheinen wird.

3. KAPITEL

BITTERE LEKTIONEN

Die Verfassung Chinas enthält wie die der Sowjetunion eine Klausel, die dem Volk Glaubensfreiheit zusichert. Die chinesischen Kommunisten machten mit dieser Zusicherung Propaganda, als sie 1949 die Macht an sich rissen. Christen und Andersgläubigen wurde versichert, sie hätten für die Freiheit ihrer Religionsausübung nichts zu befürchten. Die Bestätigung dafür schien 1950 zu kommen, als eine Gruppe von Kirchenführern für drei Tage als Gäste der Regierung nach Peking eingeladen wurde ‑ eine Ehre, die niemals zuvor gewährt worden war, auch nicht unter dem christlichen Staatsoberhaupt des vorhergehenden Regimes.
Ministerpräsident Tschu En‑Lai erklärte, daß die Volksregierung keinen Streit mit der Kirche als solche habe. Die Kritik beziehe sich nur auf die Art und Weise, in der die Kirche von imperialistischen Missionaren ausgebeutet und die Christen von imperialistischen Denkweisen vergiftet worden seien. Wenn sich die Kirche ihrer konstitutionellen Freiheit erfreuen wolle, müsse sie zuerst einmal «das Haus säubern«, d. h., sich der Missionare und ihres schädlichen Einflusses entledigen und die Führung der Partei anerkennen. Das Manifest, das die Annahme dieser Forderungen enthielt, brachte die Kirche in ein Dilemma, aber sie hatte keine andere Wahl, als ihre missionarischen Mitarbeiter aufzufordern, zu gehen.
Als die Missionare China verließen, blieb die Kirche verwirrt und ihre Führung in sich gespalten zurück. Das Manifest verkörperte die offizielle Haltung und enthielt die Politik der neu gegründeten Patriotischen Drei‑Selbst‑Bewegung«. Seinem Wortlaut zufolge gehorchte die chinesische Kirche der Partei, unterstützte die Regierung bei allen sozialen und wirtschaftlichen Reformen als Gegengabe für die Freiheit, ihren eigenen Glauben und ihren Dienst auszuüben. Ein solcher Handel schien der einzige Ausweg zur Erhaltung der Kirche zu sein. Auch konnte man die Bibel zitieren, um diese Aktion zu verteidigen. Die große Mehrheit der Führer schlug daher die offizielle Richtung ein.
Aber es gab auch einige wie Watchman Nee und Wang Mingtao, die nicht bereit waren, den Köder zu schlucken.
Wang Ming‑tao, Pastor der größten Gemeinde in Peking und ein einflußreicher Mann im ganzen Land, unterzog das als «imperialistische Gift« bezeichnete Denken einer genauen Prüfung. Dabei fand er heraus, daß es einige wichtige und grundlegende Wahrheiten des christlichen Glaubens waren, und er äußerte dies auch in der Öffentlichkeit. Seine eigene Gemeinde hatte nie unter missionarischen Einfluß aus dem Ausland gestanden. Obwohl er auf anderen Gebieten nicht frei von jeder Kritik an ausländischen Missionaren war, ließ er die These, sie seien Agenten des Imperialismus gewesen, nicht gelten. Auf der anderen Seite waren die Führer der «Drei‑Selbst‑Bewegung« Männer, die er schon oft wegen ihrer liberalen Theologie angegriffen hatte, und mit deren neuen Aktionen er nicht einverstanden war.

Es war für ihn daher unmöglich, mit diesen Männern am gleichen Joch zu ziehen. Wang glaubte an die Autorität der Heiligen Schrift und daran, daß sich die Politik jener Männer mit der Zeit als verkehrt herausstellen würde. Deshalb weigerte er sich, sich auf Gedeih und Verderb mit der Drei‑Selbst‑Bewegung« zu verbinden, und nahm außerdem eine entschlossene Haltung gegen die Zusammenarbeit mit der Regierung ein, zu der sich die meisten Kirchenführer des Landes bekannt hatten.

Wer behielt recht? Wang Ming‑tao wurde 1955 ins Gefängnis gesperrt, um lebenslänglich für das Festhalten an seinen Grundsätzen zu büßen. Seine Gemeinde wurde aufgelöst. (Nach zwölfjährigem Aufenthalt in einem Pekinger Gefängnis, brachte man den 68jährigen Pastor 1968 in ein Arbeitslager nach Tatung, Nordschansi.) Viele, die Wangs Ansichten teilten, verschwanden wie er im Gefängnis. Die Kirche der Drei‑Selbst-Bewegung« funktionierte jedoch noch weitere zehn Jahre, wenn die Zahl ihrer Mitglieder auch sehr zurückging. Patriotismus wurde zu ihrem Hauptanliegen. Um ihn unter den Christen zu fördern, stellte die Regierung Gelder für die Schulung der Geistlichen zur Verfügung. Die Predigten waren in ihrem Ton immer politischer gehalten, während biblische Lehren über das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi nicht berührt wurden. Diese Atmosphäre führte bei vielen Christen zur Ernüchterung, und sie begannen, frohe wahre Gemeinschaft in nichtöffentlichen Hauszusammenkünften zu suchen.

Es blieb der Kulturrevolution überlassen, die Maske des Kommunismus abzureißen und ihn als erbitterten Gegner der Religion zu entlarven. Alle Kirchen, ungeachtet welcher Zugehörigkeit, wurden geschlossen. Auch die sklavisch ergebenen Anhänger der Regierung fanden sich zu ihrer Enttäuschung im Gefängnis oder in Arbeitslagern.
Diese tragische Geschichte von Männern, die leiden mußten wegen ihrer ablehnenden Haltung der Drei‑Selbst‑Bewegung« gegenüber, aber auch trotz ihres untergebenen Festhaltens an der Parteilinie und der Führung der Drei‑Selbst‑Bewegung«, fordert eine gründliche Durchleuchtung. Sie enthält wichtige Lektionen für die übrige Welt.
Was war die Drei‑Selbst‑Bewegung« wirklich? Eine echte, christliche Kirche oder eine Verzerrung wahren Christentums? Ein spontaner Ausdruck christlicher Überzeugung oder eine von den Kommunisten verpaßte Zwangsjacke? Waren ihre Führer freie Vertreter oder Strohmänner? Was brachte sie in den zehn erkauften Jahren nach der Gefangenschaft Watchman Nees und Wang Ming‑taos zustande?

Von Anfang an gingen die Meinungen ausländischer Beobachter darüber auseinander. Die vierteljährlich erscheinende Zeitung der Anglikaner »East‑West Review« (1960) vertrat die Meinung, die Entwicklungen in der chinesischen Kirche seien das Ergebnis echter christlicher Überzeugung und kein kommunistischer Zwang. Die führenden Persönlichkeiten der Kirche seien, laut dieser Zeitung, entschlossene Männer und keine Strohmänner. Ein früherer Chinamissionar legte dagegen den biblisch‑historischen Maßstab an: das gläubige Predigen des Wortes Gottes und die wahre Handhabung der Sakramente für die Wahrhaftigkeit einer Kirche. Da die Drei‑Selbst‑Bewegung einen wichtigen Teil des Christentums verwische, um den Forderungen des Staates nachzukommen, könne man sie nicht länger als Kirche betrachten.
Diese Meinungen vertreten zwei gegensätzliche Standpunkte. Man muß zugeben, daß es für Außenstehende schwierig ist, ein »gerechtes Urteil« abzugeben, wie es der Apostel Paulus von uns gefordert hätte. Aber im Interesse der Wahrheit müssen wir dies Verständnis für Mitchristen in einer außergewöhnlich schwierigen Lage mit der Beurteilung der Tatsachen, soweit sie uns bekannt sind, abwägen.

Die Drei‑Selbst‑Bewegung erhob große Ansprüche für sich selbst. Ein Artikel in der Kirchenzeitung »Tien Feng« vom 10. Oktober 1959 feiert den »zehnjährigen Kampf gegen den Imperialismus und für die Liebe zu unserem Land«. Er schildert die Kirche von 1947 als Werkzeug der Missionare für private und imperialistische Zwecke. Dann gibt er einen Überblick über die Leistungen der Kirche seit dieser Zeit. Die Ablehnung des Manifestes durch die Missionare und seine Begrüßung durch vierhunderttausend Christen. Die Bloßstellung der Religionsmanipulationen des Imperialismus durch die allgemeine Anklagepraxis im Jahre 1951. Der Versuch Wang Ming‑taos und Watchman Nees samt ihren gegenrevolutionären Organisationen, 1953 die Drei‑Selbst‑Bewegung zu zerstören, und wie ihr verrückter Widerstand 1955 gebrochen wurde. Die Entlarvung der »Rechtsler« durch die »Läuterungskampagne« von 1956/57 und der Beginn der Zusammenarbeit »halbkolonialer« Konfessionen.
Die »Sozialistische Erziehungsbewegung« habe sich als wirksam herausgestellt bei der Umformung der christlichen Denkweise und der Vorbereitung auf den großen Sprung vorwärts«. So war die Drei‑Selbst‑Bewegung innerhalb von zehn Jahren .unter der Führung der Partei« zur Reife gelangt und grundlegende Veränderungen in der Kirche vollzogen worden. Es war gelungen, den fremden Imperialismus einzudämmen, rechtsgerichtete Elemente auszuschließen, das Drei‑Selbst‑Programm« für die völlige Selbständigkeit zu erfüllen und die Solidarität mit dem ganzen chinesischen Volk bei seinem Marsch zum Sozialismus zu erreichen.

Christliche Paraden schlossen in vielen Städten als Teil der Feierlichkeiten das «Große Jahrzehnt« ab. Immer wieder hoben Sprecher der Kirche ihre «neugewonnene Freiheit« von der imperialistischen Herrschaft hervor. Sie wiederholten solche Phrasen wie »nackte imperialistische Aggression«, »imperialistische Anwendung der Missionsarbeit« und »Gift des imperialistischen Denkens«, wobei sie sich auf die Mission allgemein bezogen. Missionare bezeichneten sie als »bibellesende Wölfe«. Das Boxer‑Massaker an Christen und ausländischen Missionaren von 1900 rechtfertigten sie als »unvermeidlichen Kampf gegen die Imperialisten, die im größten Teil Chinas Mißbrauch trieben und verbrecherische Tätigkeiten ausgeübt hätten«.
1960 gab Y. T. Wu, der Generalsekretär der Bewegung, die anhaltende Notwendigkeit der Selbstreform unter den Christen zu und forderte die unaufhörliche Wachsamkeit gegen die anhaltenden Gefahren, die der Kirche von seiten der imperialistischen Aggression drohten. Zwei Jahre später beklagte sich die »Tien Feng« immer noch, daß die Christen in ihrem politischen Denken hinterherhinkten und dringend einen «christlichen Antiimperialismus« entwickeln müßten.

Inwieweit sprachen die Kirchenführer wirklich für sich selbst, oder bis zu welchem Grad waren sie Marionetten? Warum sie wirklich für sich selbst sprachen, so hatten sie nichts über die Pflicht der Kirche, das Evangelium von Christus in ihrem Land zu verkünden, wenig wirklich Christliches, aber eine Menge über missionarische Verbrechen und sehr viel über den Sozialismus vorzubringen. Ihr Reden und Schreiben ist der Beweis für einen bemerkenswerten Erfolg des Schulungsprogrammes. Aber sprachen sie wirklich ihre eigenen Gedanken aus?

Ein Überläufer zur freien Welt, Edward C. M. Chen, war zehn Jahre lang Beamter des «Büros für Religiöse Angelegenheiten« gewesen. Das ist eine Regierungsstelle, die für religiöse Einrichtungen zuständig ist und für jede Religion eigene Vertreter und Komitees ernennt. Genosse Chen, der einem Kader angehörte, war schon sehr früh wegen seiner politischen Verläßlichkeit mit der alleinigen Verantwortung für die Handhabung religiöser Angelegenheiten betraut worden. Seine zehnjährige «religiöse Frontarbeit« bot ihm genügend Möglichkeiten, sich ein einmaliges Verständnis der Beziehungen der chinesischen Kommunistischen Partei zur christlichen Kirche anzueignen.
In seinen schriftlichen Äußerungen besteht Chen darauf, die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Christen und Kommunisten seien nicht politischer, sondern philosophischer und sozialer Art gewesen. Der Kampf gegen christliche Ziele würde daher nicht offen und formell ausgetragen, er trage vielmehr den Charakter einer »unsichtbaren Schlacht«. Die offizielle Politik suche nicht die völlige Ausrottung, sondern Einschränkungen, Reformen und die Ausnutzung mit dem Ziel der totalen Kontrolle. «Unter dieser Politik«, sagte Chen, »gingen die religiösen Organisationen einen schweren unnormalen Weg und schwanden langsam dahin.«

Mit diesem klaren Ziel vor Augen war die »Drei‑Selbst‑Bewegung« ins Leben gerufen worden. Nur diejenigen, die «politische Kenntnisse« besaßen, erhielten die Erlaubnis, 1950 in den «Vorbereitungsausschüssen« ihren Dienst zu tun. Widerstand von seiten der Katholiken und einiger protestantischer Bewegungen «gegen das Wort »Reform« führte zu dem Namenszusatz «patriotisch«.
Die «Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung« sollte mit der «Religiösen Unionsfront« zusammenarbeiten. Die offiziellen Richtlinien unterschieden zwischen Katholiken und Protestanten, und bei den Protestanten zwischen der »sozialen« Evangeliumsgruppe (aufgeklärt) und der »geistlichen« Gruppe (konservativ, eigensinnig und Gegner der Drei‑Selbst‑Bewegung.

Genosse Chen wußte zunächst nichts über Religion. Er erhielt den Auftrag, sich über religiöse Organisationen zu informieren. Dabei sollte er ihre Führer befragen, deren Arbeit und Tätigkeiten kontrollieren, Katholiken und Protestanten in die Drei-Selbst‑Bewegung bringen, religiöse Führer über die Regierungspolitik auf dem laufenden halten und dadurch ihr politisches Bewußtsein wecken, die Gläubigen soziale Tätigkeit verwickeln, versteckte Reaktionäre aufspüren, ausländische religiöse Gäste unterhalten und den Einfluß der Religion dämpfen. Im Hinblick auf die »Freiheit des religiösen Glaubens« erklärte man Genosse Chen, alle religiösen Tätigkeiten seien strikt auf öffentliche Gebäude zu beschränken, damit sie nicht mit den Ansichten anderer in Konflikt gerieten. Aus diesem Grund waren alle religiösen Tätigkeiten im Freien und in Privathäusern verboten.
Im Namen der Religionsfreiheit war allen, die einen religiösen Dienst ausübten, jegliche Art der Kirchenzucht oder des sozialen Einflusses auf ihre Anhänger untersagt, eine Einschränkung, die zu häufigen Zusammenstößen und Meinungsverschiedenheiten führte.
Chen beschreibt auch die Methoden, sich in die Kirchen einzuschmuggeln. Man benutzte entweder Spione oder legte Schriftabschnitte ganz offen vom marxistischen Standpunkt her aus. Es war das ausdrückliche Ziel der Regierung, soviele Prediger und Evangelisten wie möglich auf ihre Seite zu ziehen, indem man die Bibel im marxistischen Sinne auslegte. Zu diesem Zweck wurden riesige Summen flüssig gemacht und der Drei‑Selbst-Bewegung zur Verfügung gestellt. Damit sollten die Führer umgeschult und der Glaube dazu gebracht werden, der Politik zu dienen.
Dieses aufschlußreiche Dokument zeigt deutlich, daß sogar Helen Willis in ihrem packenden Buch «Through Encouragement of the Scriptures« (Durch die Ermunterung der Schrift) unrecht hatte, als sie schrieb: »Diese Bewegung war von positiv zur Regierung eingestellten, modernen Intellektuellen der Kirche geplant und wird von ihnen kontrolliert.« Die Kirche hat sie weder geplant noch kontrolliert! Sie war eine Schöpfung der kommunistischen Regierung und von Anfang bis Ende von ihr kontrolliert durch die Beamten des »Büros für Religiöse Angelegenheiten«.
Die »Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung« war ganz offensichtlich keine spontane Schöpfung der Kirchen selbst. Waren ihre Führer zu blind, um dies zu erkennen, völlig überrumpelt von der durchdachten Überredungskunst und den ausgeklügelten Methoden der Kommunisten, oder einfach eingeschüchtert? Strohmänner waren sie unverkennbar. Wurden sie es aber bewußt oder unbewußt, freiwillig oder unfreiwillig?
Wang Ming‑tao war es trotz seines großen Leidens wenigstens erspart geblieben, an der Demütigung der letzten Enttäuschung und dem Mißerfolg der fünfzehnjährigen Bemühungen, die Kirche durch zweifelhafte Kompromisse zu erhalten, beteiligt zu sein.
Dieses bittere Kapitel der Kirchengeschichte lehrt uns zwei Dinge: Erstens, daß es immer richtig ist, fest auf den biblischen Grundsätzen zu beharren, ungeachtet der persönlichen Kosten. Es ist für einen Christen niemals richtig, seine Taten von reiner Zweckmäßigkeit bestimmen zu lassen. Gott wurde sicher mehr verehrt durch Wangs tapfere Haltung und die Gefangenschaft Nees und vieler anderer als durch die Einwilligung in angeblich notwendige Schritte, mit dem Ziel, die Kirche überhaupt funktionsfähig erhalten zu wollen.
Zweitens, daß es falsch ist, den kommunistischen Erklärungen und der Propaganda über Religionsfreiheit Glauben zu schenken. Die kommunistische Auslegung der «Freiheit des religiösen Glaubens« ist folgende: Diejenigen, die einer Religion glauben, haben ihre Freiheit, und die, die sie ablehnen, besitzen ihre religiöse Freiheit ebenso. «Du hast die Freiheit, das zu glauben, was dir gefällt, und wir haben die Freiheit, deinen Glauben anzugreifen«, sagen sie.
Mit diesem Grundsatz wurden Sonderschulungskurse für Pastoren eingerichtet, die ihre christliche Überzeugung erschüttern sollten. Wenn die Freiheit des religiösen Glaubens aber nicht die Freiheit einschließt, diesen Glauben gegen Angriffe zu schütz,‑n und ihn öffentlich zu bekennen, so ist sie bedeutungslos. Aber es ist ein unumstößlicher kommunistischer Grundsatz, daß ‑religiöse Tätigkeiten in die Kirche zurückkehren müssen«. Mit anderen Worten: Die Öffentlichkeit muß, koste es, was es wolle, vor jeder Art christlichen Bekehrungseifers geschützt werden. Das war die unaufhörliche Politik der Kommunisten in China und auch während der letzten zwanzig Jahre in Europa.
Es ist der Welt schon lange, ganz besonders aber seit der Kulturrevolution, klargeworden, daß die Freiheit des religiösen Glaubens« in den orthodoxen kommunistischen Ländern nicht das ist, was wir im Westen darunter verstehen. In China war sie nur ein Stück Schaufensterdekoration, um andere asiatische Nationen zu beeindrucken. Aber es war zu keiner Zeit beabsichtigt, die Ausübung der vollen Religionsfreiheit zu gestatten. Wo in der ganzen kommunistischen Welt gab es jemals eine echte, intellektuelle oder religiöse Freiheit?
Aber vielleicht nähert sich die Nacht ihrem Ende. In Europa, vor allem in der Tschechoslowakei, verspürten die Menschen, auch die Christen, für kurze Zeit die Befreiung von der stalinistischen Tyrannei. Mit der Zeit wird es auch russischen Panzern nicht mehr gelingen, die anschwellende Flut gegen die Gewaltherrschaft aufzuhalten. In China konnte selbst das Ungestüm der Kulturrevolution diejenigen nicht ausrotten, die für eine menschlichere Art des Sozialismus eintreten. Revisionisten und Liberalisierende sind immer noch stark vertreten. Vielleicht ist nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern auch in anderen kommunistischen Ländern, einschließlich China, der Tag der größeren Freiheit näher, als wir denken.

4. KAPITEL

KLEINE ANALYSE DES KOMMUNISMUS

Es ist äußerst wichtig, daß jeder ganz klar und objektiv darüber informiert ist, was Kommunismus oder Marxismus überhaupt ist. Es ist viel leichter, sich gefühlsmäßig von Geschichten über kommunistische Greueltaten und über das Leiden unter dem Kommunismus beeinflussen zu lassen, als sich eine objektive Einschätzung dieses mächtigen Systems anzueignen. So wahr solche Geschichten auch sein mögen, helfen sie uns kaum, die kommunistische Philosophie zu verstehen und das Verhalten der Kommunisten zu begreifen. Auch erklären sensationelle Geschichten nicht, weshalb so viele Millionen Menschen heute ihre Hoffnung auf ein besseres Leben mit den Versprechungen des Kommunismus verbinden. Wir stellten daher ein kleines Lexikon des Kommunismus zusammen. Es soll das Interesse am Lesen der umfassenden Literatur anregen, die es über dieses Thema gibt.

Karl Marx (1818 ‑ 1883)
war deutscher Jude und entstammte einer langen Ahnenreihe von Rabbinern, von denen er auch seine Klugheit erbte. Sein Vater verließ mit seiner Familie die Synagoge, um einer lutherischen Kirche beizutreten. In seinen Jugendjahren schrieb Karl, ein sehr aufgeweckter Junge, eine Broschüre über die Gemeinschaft mit Gott. An der Universität in Bonn verbrachte er ein stürmisches Jahr, gab seinen Glauben an Gott auf und erntete die Mißbilligung seines Vaters, der ihn als Egoist bezeichnete.
An der Berliner Universität verarbeitete er die dialektische These Professor Georg Hegels für seine eigenen Zwecke, indem er «Idee« durch «Materie« ersetzte. Wenn einer These eine Antithese gegenübergestellt wird, so endet diese Auseinandersetzung mit der Entdeckung einer Synthese. Und das ist nach Marx auch das Gesetz des sozialen Fortschritts des Menschen.
Nachdem er seinen Dr. phil. erhalten hatte, zog Marx nach Köln und später nach Paris. Dort heiratete er seine Jugendfreundin. In Paris wurde er Friedrich Engels vorgestellt, der sein lebenslanger Freund und Mitarbeiter wurde. Er studierte Wirtschaftslehre und kam zu dem historischen Schluß, die Wirtschaft sei die einzige Macht hinter dem dialektischen Fortschritt der Gesellschaft. Dieses Gesetz, das er wirtschaftlichen Determinismus (Vorherbestimmung) oder wissenschaftlichen Sozialismus nannte, beinhaltete für ihn die Vorstellung eines unvermeidlichen Fortschritts zu einer endgültigen, vollkommenen menschlichen Gesellschaft. Als er aus Frankreich ausgewiesen wurde, zog er nach Brüssel. Dort wurde sein «Kommunistisches Manifest« veröffentlicht und 1848 die erste Kommunistische Partei gegründet. Marx verlegte seinen Wohnsitz nach London und verbrachte dort den Rest seines Lebens. In persönlicher Hinsicht war sein Leben tragisch, doch schrieb und veröffentlichte er in London sein Hauptwerk: «Das Kapital«.

Wladimir Lenin (1870 ‑ 1924),
ein Russe, war der Mann, der die marxistischen Theorien in die Praxis umsetzte und dem vierunddreißig Jahre nach dem Tode von Marx die erste erfolgreiche Revolution glückte, die Oktoberrevolution von 1917.
Lenin hatte seit 1900 im Exil gelebt. Er und Trotzki waren verschiedener Meinung über Parteidisziplin und die Anwendung von Gewalt in der Revolution. Sie trennten sich schließlich 1912. Als Rußland dann vor einer Niederlage im Krieg gegen Deutschland stand, kehrte Lenin nach Rußland zurück. Trotzki versuchte dort schon, seine Art der Revolution durchzusetzen. Lenin wurde erster Präsident der neuen Republik, mit Trotzki als Außenminister.
Von 1918 bis 1921 tobte der Bürgerkrieg in Rußland, in dem die Kommunisten ausländische Truppen, die den Zar unterstützten, abwehrten. 1922 gründete Lenin die UdSSR.
Sein Beitrag zur kommunistischen Lehre bildet seine Untersuchung des Imperialismus als letzte Stufe des Kapitalismus vor dem Sieg des Sozialismus und den revolutionären Aussichten, die sich aus dieser Situation ergeben. Er starb 1924 an den Folgen der Verletzungen, die ihm bei einem Mordanschlag zugefügt worden waren.

Joseph Stalin (1879‑1953)
wurde vor der Revolution im Jahre 1917 sechsmal des Landes verwiesen. Auch er war sehr selbstherrlich und führte das Werk Lenins fort. Er verwirklichte den ersten Fünfjahresplan, führte die erste Landwirtschaftsrevolution 1922‑33 durch und führte die Kollektivierung der Landwirtschaft ein. Vom Ausland aus dirigierte er die neugegründete Kommunistische Partei Chinas seit ihrer Gründung im Jahre 1921, hatte dabei aber wenig Erfolg.
Die gelungene Verteidigung Rußlands gegen das nazistische Deutschland und die Siege von Leningrad und Stalingrad verhalfen ihm zu großem Ansehen, das die territoriale Ausdehnung Rußlands in der Nachkriegszeit erleichterte. Außerdem sicherte es ihm einen Schutzring kommunistischer Satellitenstaaten, dazu Ostdeutschland und Berlin.
,Stalinismus« wurde der Name für brutale Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Zehntausende wurden ohne Verhandlung nach Sibirien geschickt oder durch die Befehle Stalins zum Tode verurteilt, dessen übertriebener Stolz den Personenkult um seine Person förderte. In China gilt er heute noch als Held.

Nikita Chruschtschow (geboren 1894)
war derjenige, der 1956 Stalin anprangerte, seine Verbrechen aufdeckte, an die Macht kam und die Entstalinisierungspolitik einführte. Dafür erntete er den Haß der Chinesen. Er griff die christliche Kirche in Rußland heftig an. 1964 wurde er aus seinem Amt gedrängt.

Mao Tse‑tung (geboren 1893)
stammt aus Hunan in China. 1911 war er von einem Hügel aus Zeuge der Nationalistischen Revolution in Tschangscha und verschrieb sein Leben der Revolution.
Nach fünfjähriger guter Ausbildung wurde er Bibliothekarsassistent an der Universität von Peking. Er begann, sich für den Marxismus zu interessieren. Während er in Hunan Studentenzeitschriften herausgab, wurde er überzeugter Marxist. Bald nach der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas, 1921, erhielt Mao die Vollmacht, die Bauern seiner Heimatprovinz zu organisieren. Er unterstützte den Nord‑Marsch zum Jangtse-Fluß im Jahre 1926/27 und war in Tschangscha dabei, als es zum Bruch zwischen den Kommunisten und Tschiangkaischek und den Nationalisten kam.
Er führte den Herbstaufstand in Hunan an, erntete aber nur Kritik für seinen Mißerfolg. 1931 war er in den blutigen, erbarmungslosen Machtkampf verwickelt. Dabei begann er auch, seine Partisanenkriegstheorien vorzubringen, die sich auf die Taktiken von Sun Tsu (500 v. Chr) gründeten. Während der Einkreisung der Kuomintang in Kiangsi büßte er einen Teil seiner Autorität wieder ein, war aber einer der Helden des «Langen Marsches« von Kiangsi in Südchina nach Jenan, Schensi, im Norden Chinas im Jahre 1934/35.

Im folgenden Jahr gewann er die Kontrolle über den kommunistischen Parteiapparat und gab Ende desselben Jahres seine Zustimmung zur Entführung Tschiangkaischeks. Daraus folgte eine antijapanische Koalition mit den Kuomintang, die im September 1937 zum Ausbruch des Chinesisch‑Japanischen Krieges führte.
In den Jahren 1938 ‑ 1940 gelangen Mao seine größten literarischen Leistungen. Zur selben Zeit hatten auch seine Partisanenkriegstheorien Erfolg gegen die japanische Armee. 1942‑44 erreichte es Mao, die marxistischen Theorien und Praktiken in einer der ersten Säuberungsaktionen Chinas durchzusetzen. Dadurch erlangte er die Unabhängigkeit der Chinesen von Moskau.
1945 wurden die Gedanken Maos beim siebten Kongreß der Kommunistischen Partei Chinas zur offiziellen Richtlinie der Partei in den Nachkriegsjahren erklärt. Der Mao‑Kult begann zu blühen. In der Zwischenzeit trafen Mao Tse‑tung und Stalin ein Abkommen über ihre Politik. Als sich die japanische Armee dann ergab, fühlten sich die kommunistischen Armeen stark genug, die Kapitulation anzunehmen. Die nationalistischen Streitkräfte befanden sich ja weit weg von diesem Schauplatz im Westen Chinas.
Mao traf nun mit Tschiangkaischek in Tschungking zusammen, um mit ihm die weitere Entwicklung zu besprechen. Diese Gespräche verliefen jedoch erfolglos und führten zum erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges. In dessen Verlauf errangen die schwächeren, aber besser organisierten, idealistischen Streitkräfte der Kommunisten den Sieg über die zahlenmäßig überlegene Armee der anderen mit ihrer schwachen Kampfmoral und ihrer unzulänglichen Führung.
Nach der Besetzung ganz Chinas und dem Rückzug der nationalchinesischen Regierung nach Formosa hielten die Kommunisten im September 1949 die erste Zusammenkunft ihres «Politisch‑Konsultativen Volksrats« ab. Am 1. Oktober rief der Vorsitzende Mao Tse‑tung vom Tien‑An‑Tor« der Verbotenen Stadt in Peking die Gründung der Volksrepublik China aus. Im Dezember desselben Jahres traf Mao mit Stalin zusammen, um einen Freundschaftspakt abzuschließen.
Als Stalin 1953 starb, trat Mao dessen geistige Nachfolge an. Er kritisierte erbittert die «Entstalinisierungspolitik« Chruschtschows. Besonders heftig griff Mao die öffentlich erklärte Bereitschaft Rußlands an, die Revolution durch Gewalt zugunsten der friedlichen Koexistenz aufzugeben. Die Gewaltanwendung zur Erlangung des kommunistischen Zieles ist ein wichtiger marxistischer Lehrsatz, an dem China zäh festhält. Maos berühmter Ausspruch verdient es, in vollem Wortlaut wiedergegeben zu werden:
«Politische Macht kommt aus Gewehrläufen. Die zentrale Aufgabe und die höchste Form der Revolution ist die bewaffnete Machtergreifung, ist die Lösung des Problems durch den Krieg. Nur mit Waffengewalt kann die ganze Welt umgewandelt werden!«
Und so bewundert China auch weiterhin den in Mißkredit geratenen Stalin, dessen Ansehen Mao so stolz hochhielt. Das hatte Spannungen zwischen China und der UdSSR zur Folge, in denen Chruschtschow der Stein des Anstoßes war. 1958 kündigte Mao die Gründung der Kommunen und den großen Sprung vorwärts« an. Zwei Jahre später gab China das Scheitern des Planes zu. 1960 wurde China von der UdSSR und seinen osteuropäischen Satellitenstaaten öffentlich angegriffen. Der diplomatische Bruch zwischen China und Rußland hatte den Abzug aller russischen Berater und Techniker zur Folge. 1960 und 1961 waren für China harte Jahre des Hungers und der Versuche, Ersatz für den fatalen Verlust der technischen Hilfe der Sowjets zu finden. 1963 wurde der Abbruch der diplomatischen Beziehungen endgültig.
Um dem Schwinden seiner Autorität entgegenzuwirken, plante Mao 1965 die Große Sozialistische Kulturrevolution~. Ein Jahr später ließ er dann den revolutionären Kräften der Jugend Chinas, den Roten Garden«, freien Lauf. 1967 und 1968 waren Jahre des Aufruhrs, da sich China in zahlreiche rivalisierende Gruppen aufsplitterte, die nach Macht strebten und sich gegenseitig bekämpften. Obwohl sich alle zu Mao bekennen, gibt es auch eine starke Opposition.
Nachdem sich Mao von seinen extremistischen Freunden abgewandt und der Armee zugewandt hatte, gründete er Drei-Wege‑Allianzen, die ihrerseits Revolutionskomitees« aufstellten, um den alten Parteiapparat zu ersetzen.

Materialismus
bedeutet in der kommunistischen Sprache nicht die Liebe zu materiellen Dingen oder Weltlichkeit, sondern vielmehr die Philosophie, die erklärt, die materielle Welt, der wir angehören, ist die einzige Wirklichkeit« (Marx). Die Materie ist ewig, und der Verstand ist der höchste Ausdruck der Materie, nicht etwas von ihr Getrenntes. Das Universum kann nur durch wissenschaftliche Beobachtungen untersucht und verstanden werden. Deshalb schließt der Kommunismus die Wirklichkeit Gottes und des übernatürlichen aus und leugnet auch die Gottheit Christi. Er schließt jede Möglichkeit der Existenz einer Seele im Menschen, eines Weiterlebens nach dem Tode und eines zukünftigen Gerichts aus. Ebenso lehnt er das Bestehen irgendeines ewig geltenden moralischen Gesetzes ab. Der Atheismus ist daher die Grundlehre des Kommunismus, die seine eigenen umfassenden Ansichten über Universum, Mensch, Leben, Tod, Gesellschaft, Wirtschaft, Religion, Ethik und Kultur ersetzt.

Dialektischer Materialismus
ist die Grundlehre des Kommunismus. Sie sorgt als vorausgesetzte wissenschaftliche Erklärung der Geschichte für einen kommunistischen Ersatz des alleinigen Schöpfers und Herrschers der Menschheit. Der dialektische Materialismus setzt ein materielles Universum voraus, in dem für das übernatürliche kein Platz ist. Marx akzeptierte die ursprüngliche Annahme des deutschen Philosophen Georg Hegel (1770 ‑ 1831) an der Berliner Universität, der die natürliche Entwicklung der Idee als eine Art Debatte oder Argument betrachtete.
Ein allgemeiner Vorschlag oder eine Behauptung wird angefochten und gibt Anlaß zu einer Gegenbehauptung oder Antithese. Eine weitere Debatte vereinigt die Gegensätze in einer Synthese, die sofort zu einer neuen These wird. Dann wiederholt sich der ganze Prozeß von neuem. Marx macht diese Theorie zum Hauptpunkt der inneren Bedeutung der Geschichte. Sein eigener Beitrag war die Entdeckung, daß die Wirtschaft die Kraft ist, die dieses Gesetz der Bewegung in Gang bringt. Da der Grundfaktor der Existenz die Notwendigkeit ist, daß der Mensch, um zu leben, essen muß, dreht sich das ganze Leben um die Lebensmittelproduktion oder um die Herstellung solcher Güter, die gegen Nahrungsmittel ausgetauscht werden können.
Marx fuhr fort mit dem Beweis, daß die Geschichte immer eine Anzahl von Revolutionen hervorgerufen hat, die von Konflikten und Spannungen zweier Klassen herrührten, ‑ derjenigen, denen die Produktionsmittel gehören, und derjenigen, die dafür arbeiten müssen, sie aber nicht besitzen. Diese Tatsache ruft den historischen Fortschritt hervor« (de Koster). Graphisch dargestellt, verläuft der soziale Fortschritt in einer Vor‑ und Aufwärtsbewegung, aber nicht geradlinig, sondern in einem vorherbestimmten Zickzackkurs. Das ist der Rhythmus der Geschichte. Der Fortschritt endet in einer klassenlosen Gesellschaft, wenn der Staat verschwindet und der Mensch schließlich unter utopischen Bedingungen lebt.
Dieses Gesetz der Bewegung, von dem manchmal als wissenschaftlicher Sozialismus« gesprochen wird, soll so unantastbar sein wie die physikalischen oder astronomischen Gesetze. Wenn wir dieses Gesetz der Geschichte verstehen, können wir nicht nur die ganze Vergangenheit der Geschichte auslegen, sondern den zukünftigen Verlauf mit vollkommener Genauigkeit voraussagen.
Aber die Philosophie war für Marx nur ein reiner Wegweiser zur Tat. Indem der Mensch seine Taten mit diesem Gesetz in Einklang bringt, kann er das Entstehen einer vollkommenen, gerechten menschlichen Gesellschaft beschleunigen.

Die Geschichte der Gesellschaft
Der Marxist sieht sie als dialektischen Fortschritt von einer primitiven Stammesgesellschaft (kommunistisch) zu einer Sklavengesellschaft, von einer Sklavengesellschaft zum Feudalsystem (Lehnwesen), vom Feudalsystem zum Kapitalismus, vom Kapitalismus zum Sozialismus und schließlich vom Sozialismus zum Kommunismus. Dieser Verlauf war von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt: von der Entwicklung der Produktionsmittel und dem Kampf um ihre Kontrolle.
Der Mensch erhob sich vom Affenstadium dadurch, daß er Werkzeuge herstellte. Der Fortschritt war dann bestimmt von der sich entwickelnden Erfahrung in der Anwendung der Werkzeuge bei der Produktion und im Kampf, diese Werkzeuge zu besitzen und zu kontrollieren. Die Arbeit des Menschen schuf daher unsere Welt. Diese Geschichtsphilosophie, die auf dem dialektischen Materialismus aufgebaut ist, nennt man historischen Materialismus. Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus und das weltweite Wachstum des Sozialismus ermutigen die Kommunisten in ihrem Vertrauen zur Verläßlichkeit ihrer Prophezeiungen.

Klassenkampf
«Klassen« sind Bevölkerungsteile, die ihren Lebensunterhalt auf dieselbe Art verdienen. Zur Zeit von Karl Marx gab es grundsätzlich zwei Klassen: diejenigen, die Produktionswerkzeuge und Maschinen besaßen, die aber nicht an ihnen arbeiteten (die Kapitalisten), und diejenigen, die an ihnen arbeiteten, sie aber nicht besaßen (Arbeiter oder Proletarier). In der heutigen Zeit ist die Idee der zwei Klassen nicht so leicht zu rechtfertigen.
Das Entstehen von privatem Besitz führte zunächst zu Klassenkämpfen. Folglich bestand die Geschichte aus Klassenkämpfen, und der Höhepunkt der Klassenkämpfe, der Krieg, wird den gewaltsamen Sturz des kapitalistischen Systems zur Folge haben, damit die Arbeiterklasse herrschende Klasse werden kann und eine neue sozialistische Gesellschaft gründen wird: die Diktatur des Proletariats.
Beide, Marx und Lenin, bestanden darauf, daß eine Revolution immer mit Gewalt durchgeführt werden müsse. Den Höhepunkt bildet dann die klassenlose Gesellschaft und das Ende des dialektischen Fortschritts. Dann wird die wahre Geschichte erst beginnen. Die Spannung zwischen den Klassen erzeugt Dynamik, die einen weiteren Fortschritt auslöst. Dasselbe gilt auch für die Widersprüche innerhalb des Kommunismus, Auseinandersetzungen über Politik und die Konflikte zwischen Konservativen und Progressiven innerhalb eines Landes. Es ist wichtig, den Kampf« aufrechtzuerhalten, wenn der Fortschritt anhalten soll.

Sozialismus
Der Aufbau der Gesellschaft nach dem Fall des Kapitalismus als Folge der Revolution wird Sozialismus genannt. Er beinhaltet die totale Nationalisierung aller Produktionsmittel und eine geplante Produktion auf nationaler Basis. In diesem Stadium lautet der Grundsatz des Arbeitsentgelts: Von jedem nach seinen Kräften ‑ für jeden nach seiner Arbeit!«
Es ist klar, daß das Anspornungsmotiv im Sozialismus in den ersten Stadien noch vorherrscht. Aber wenn sich die Produktion steigert und für alle Überfluß da ist, so wird ein neuer Grundsatz eingeführt: «Von jedem nach seinem Können ‑ für jeden nach seinem Bedarf!« Das ist das Stadium des vollkommenen Kommunismus. Dann wird das Anspornungsmotiv nicht mehr benötigt.
Gegenwärtig befindet sich die Welt noch im sozialistischen Stadium, aber sie bewegt sich auf das Ziel des Kommunismus zu. China mit seinen Kommunen hat versucht, den Fortschritt zu beschleunigen, aber Mao hat sich vom Ökonomismus« abgewandt, weil dieser das Anspornungsmotiv in sich schließt, ein Schritt rückwärts in Richtung Kapitalismus ist «und dem kapitalistischen Weg folgt«.

«Das Kapital«
ist das Hauptwerk von Karl Marx und die Bibel des Kommunismus. Es wurde in drei Auflagen nach seinem Tode gedruckt: 1867, 1885 und 1894. In diesem Werk bestätigt Marx noch einmal den Inhalt des Manifests« (1848) und benutzt wirtschaftliche Argumente, um zu beweisen, daß der Kapitalismus unvermeidlich die Minderheit bereichert und die Mehrheit ausbeutet.
Die Hauptthese des Mehrwerts« macht geltend, daß der Wert jeder Ware in der menschlichen Arbeitszeit besteht, die zu ihrer Herstellung benötigt wird. Der Wert wird nur in der Arbeit gefunden.« Um einen Gewinn zu erzielen ‑ das ist der Grund, eine Fabrik zu besitzen ‑, bezahlt der Eigentümer (Kapitalist) den Arbeitern weniger, als ihre Arbeit wert ist. Der Überschuß aus dem Verkauf stellt dann seinen Profit dar. Da die Mechanisierung immer mehr um sich greift, werden weniger menschliche Arbeitskräfte eingestellt, und der Gewinn geht zurück. Um sich selbst zu entschädigen, muß der Eigentümer seine restlichen Arbeitskräfte noch mehr ausbeuten.
Die Umstände werden die Kapitalisten dazu zwingen, sich auf Zusammenschlüsse einzulassen, damit sich das Kapital in den Händen einiger weniger Monopolbesitzer konzentriert. So wird der Arbeiter durch die Wirkung des Arbeitsmarktes bis zum puren Existenzminimum ausgebeutet, während sich der Eigentümer auf Kosten der Arbeiter bereichert. Die zum Feind gemachten Arbeiter (oder Proletarier) beginnen einen zunehmenden Kampf gegen die Eigentümer (oder Bourgeoisie), bis der Zeitpunkt gekommen ist, an dem sie sich erheben und die Kapitalisten in einer gewaltsamen Revolution stürzen. Dann errichten sie die Diktatur des Proletariats, die wiederum den Weg zur endgültigen Beseitigung der Klassen und der Klassengesellschaft vorbereitet.
Marx macht in seinem Buch den Fehler, von isolierten Berichten aus zu verallgemeinern und objektive Wahrheiten durch subjektive Mythen zu ersetzen. Obwohl einige Theorien und Vorhersagen seines Buches nachweislich falsch sind, ist es trotzdem eines der einflußreichsten Bücher, die jemals geschrieben wurden.

Ethik
Da der Mensch nur ein soziales Produkt ist, betrachtet der Marxist die Kultur, Moral, Philosophie und Religion als das Produkt des wirtschaftlichen Stadiums, das die Gesellschaft zu irgendeinem Zeitpunkt erreicht hat«. Die Formen wirtschaftlicher Produktion bestimmen die soziale Existenz. Das ist ,wirtschaftlicher Determinismus« (Vorherbestimmung). Wir weisen daher jeden Versuch zurück uns ein moralisches Dogma irgendeiner Art als ewiges, endgültiges und für alle Zeiten unabänderliches Gesetz aufzubürden« (Manifest).
Der Mensch ist das Produkt wirtschaftlicher Kräfte. Was er glaubt, denkt und gern hat, seine religiösen Ideen, seine Philosophie und seine Ethik sind Ergebnisse der gegenwärtigen wirtschaftlichen Ara. Folglich sind alle moralischen Werte nur relativ. Sie entwickeln sich aus materiellen Bedingungen und befinden sich in einem Zustand anhaltender Wandlungen. Es gibt keine dauerhaften und unveränderlichen Grundsätze für das menschliche Verhalten. Und der Mensch trägt auch nicht die letzte Verantwortung für sein Verhalten. Das Klasseninteresse ist die Mutter der Ethik.~
Das Böse ist daher nicht im Menschen, sondern in einem fehlerhaften wirtschaftlichen System zu suchen. Darum braucht der Mensch als Individuum keine Erlösung. Religion, die ein Produkt der wirtschaftlichen Gegebenheiten ist, stellt ebenfalls eine Widerspiegelung des Klassenkampfes dar. In Revolutionszeiten besteht der einzige ethische Grundsatz in der Überlegung: Dient das, was ich tue, dem Klassenkampf? Fördert es die Sache des Kommunismus? Wenn ja, ist es richtig, wenn nein, so ist es ein Verbrechen gegen die Menschheit. Unser moralisches Verhalten ist den Interessen des Klassenkampfes völlig untergeordnet« (Lenin). Der Zweck heiligt immer die Mittel.
Das erklärt auch die Anwendung von Gewalt und Grausamkeit während des Kampfes um die Macht. Ist diese Macht gewonnen, so läßt ihr Gebrauch gewöhnlich wieder nach. Daraus erklärt sich auch die Rücksichtslosigkeit, mit der jedes Hindernis beseitigt wird, das sich dem Vordringen des Kommunismus in den Weg stellt. Gleichzeitig werden die Kommunisten aber aufgefordert, die Eigensucht einer Klassengesellschaft zu überwinden, ein beispielhaftes Leben zu führen, hart zu arbeiten und dem allgemeinen Wohl zu dienen.
Wenn Christen den Kommunismus ablehnen, sollten sie auch wissen, weshalb. Sie sollten sich zum Beispiel ganz darüber im klaren sein, daß das Christentum weder mit dem Kapitalismus noch mit irgendeiner Art von sozialer oder wirtschaftlicher Theorie verbunden ist. Christentum muß nicht unbedingt gegen soziale Experimente sein, die viel Lobenswertes an sich haben, was vor allem in unterentwickelten Ländern zum Ausdruck kommt. Chinas Leistungen auf diesem Gebiet sind bemerkenswert. Der Kommunismus war in wirtschaftlicher Hinsicht in Rußland und China zum Teil sehr erfolgreich, auch wenn einige westliche Wirtschaftsexperten mit diesen Wirtschaftstheorien nicht übereinstimmen mögen und schnell dabei sind, auf ihre Fehler hinzuweisen. Aber in diesen Punkten, in denen der Westen noch vor seiner eigenen Tür zu kehren hat, wird von Christen keine Verurteilung gefordert. Christen, die in Ländern mit kommunistischen Regierungen leben, müssen sich auf jeden Fall den bestehenden sozialen Anordnungen fügen und loyal unter dem vorherrschenden wirtschaftlichen System leben.
Auch in unseren westlichen Demokratien muß die Nation als Ganzes die Politik der regierenden Partei akzeptieren, auch wenn viele persönlich nicht mit dieser Politik einverstanden sind.
Der Christ wird nicht aufgefordert, Revolutionär im politischen Sinne zu werden, sondern das Salz der Gesellschaft zu sein, in der er lebt. Das Christentum kommt mit dem Kommunismus hauptsächlich wegen seiner nicht zu vereinbarenden Grund-Philosophie in Konflikt. Der Christ lehnt den Kommunismus als eine Lebensart auf ideologischer oder theologischer Basis ab. Er kann seinen Atheismus, Materialismus und auch die falschen Theorien, die er daraus ableitet, nicht akzeptieren.
Die kommunistische Leugnung des alleinigen Anspruches Jesu Christi auf den Menschen würde schon genügen, den Kommunismus aus diesem Grund abzulehnen. Außerdem sind die Rücksichtslosigkeit, der Haß, die unvermeidliche Tyrannei und die‘, Einschränkung der persönlichen Freiheit die Hauptbestandteile der orthodoxen kommunistischen Praxis ‑für einen Christen verabscheuungswürdig.
Um den Kommunismus bekämpfen zu können, muß ein Christ den Glauben und die Praktiken seines kommunistischen Nachbarn oder Mitarbeiters kennen und außerdem wissen, was er selbst glaubt.
Die vorhergehende Zusammenfassung des orthodoxen kommunistischen Glaubens mag als Einführung in dieses wichtige Studium dienen.

5. KAPITEL
CHRISTENTUM UND KOMMUNISMUS UNVEREINBAR?

Es gibt in der ganzen Welt naive Menschen, die die guten Seiten des Christentums und des Kommunismus sehen und die Frage stellen: Kann ein Christ zugleich Kommunist sein?«
Die Antwort dazu muß lauten: Unmöglich! Man könnte ebensogut fragen: Kann man zugleich schwarz und weiß sein?«
«Aber der Dekan von Canterbury war beides, nicht wahr?«
«Bei allem Respekt vor ihm, der Dekan war ein irregeführter Mann und ein allzu williges Werkzeug seiner chinesisch‑kommunistischen Bekanntschaften.«
Aber es gab auch andere, die behaupteten, der Kommunismus sei das wahre Christentum mit seinem Drang nach sozialer Gerechtigkeit und den Rechten des Menschen, mit seinem intensiven Streben nach einer vollkommenen sozialen Ordnung, dauerhaftem Frieden und einer Welt, in der wir das Leben voll auskosten können. Sie behaupten sogar, die kommunistischen Länder besäßen eine höhere Moral als die christlichen Länder. Sie beseitigten alle organisierten Laster, das Glücksspiel und die Scheidung: Dinge, die ein schlechtes Licht auf die meisten westlichen Länder werfen. Was sagen Sie dazu?«
Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß der Kommunismus in seinen Anfangsstadien tatsächlich auf eine sehr straffe öffentliche Moral eingestellt ist, und das, was Sie nannten, trifft in China noch zum großen Teil zu. Aber in anderen kommunistischen Ländern wird es damit allem Anschein nach nicht mehr so genau genommen. Ich weiß, daß sie unsere gesunkene, Bourgeoistische Moral‘ verachten. Aber es ist falsch, das Christentum mit bestimmten ethisdien Regeln oder einer bestimmten Art der sozialen Ordnung gleichzusetzen, obwohl es ganz eindeutig eine soziale und moralische Anwendung christlicher Wahrheiten gibt. Diese sind von höchster Wichtigkeit. Aber das Hauptanliegen des Christentums besteht nicht in sozialen Ordnungen oder sozialen Reformen.«
«Was ist dann das Hauptanliegen des Christentums?«
,Der lebendige Gott, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat, und die Beziehungen des Menschen zu Gott. Dem Kommunismus liegt natürlich daran, Gottes Existenz und folglich auch die geistliche Natur des Menschen zu leugnen. Statt dessen besitzt der Kommunismus eine Philosophie des Materialismus, die alles Übernatürliche wie Gott, Geist, Seele, das Leben nach dem Tode, Himmel und Hölle völlig ausschließt.«
«So kann man Christentum und Kommunismus nicht vereinbaren?«
«Genau das. Und die Kommunisten sind selbst die ersten, die darauf bestehen. Kommen wir doch einmal auf die Propheten des Kommunismus zu sprechen: Karl Marx erklärte, daß die materielle Welt, der wir angehören, die einzige Wirklichkeit ist‘. Auf das Argument, z. B. der Verstand sei von der Materie getrennt, antwortete Marx: Nein! Der Verstand ist nur das höchste Produkt der Materie, und er leugnet gleichzeitig die Möglichkeit eines allerhöchsten Verstandes‘, der die Welt geschaffen hat und regiert. Daraus folgt, daß es keinen Gott gibt.
Friedrich Engels, sein bester Freund und Mitarbeiter, drückt seine Meinung so aus: jede Religion ist eine unaussprechliche Anmaßung!‘
Douglas Hyde, ein ehemaliger Kommunist und zeitweise Nachrichtenredakteur des Daily Worker, sagte: Der Kommunismus behauptet nicht nur: Es gibt keinen Gott.‘ Und fährt mit den Worten fort: Der Mensch muß in der ganzen Welt dazu gebracht werden, seinen Glauben an Gott aufzugeben!‘
,Religion‘, so argumentierte Marx, ist Opium für das Volk, weil sie wie Opium das Gefühl für gegenwärtige Schmerzen und soziale Mißstände betäubt. Außerdem schafft sie eine nicht existierende Traumwelt eines kommenden Himmels. Deshalb ist sie ein eindeutiges Hindernis für soziale Veränderungen, da sie die Menschen dazu verführt, den derzeitigen Zustand stillschweigend hinzunehmen.«
«So glauben Sie, es sei nicht möglich, sowohl Christ als auch Kommunist zu sein?«
«Ja, denn das ist ganz offensichtlich. Beide Auffassungen wirken einander entgegen. Die eine schließt die andere aus. Dr. Fred Schwartz sagte: Kommunismus ohne Atheismus wäre wie ein bösartiges Geschwür ohne Bösartigkeit, was sich widerspricht.‘ Entweder ist die eine richtig oder die andere. Beide können es nicht sein. Der Christ kann in seiner Denkweise keinen Platz für den militanten Atheismus von Marx und Mao finden, und auch der Kommunismus hat im Materialismus keinen Platz für den Idealismus ‑ die höchste Stufe der Idee und auch nicht für die Vorstellung eines allerhöchsten Verstandes‘ und die Wirklichkeit Gottes als Schöpfer. Auch wenn man nur die Möglichkeit ins Auge faßt, ein praktizierender Kommunist zu werden und trotzdem überzeugter Christ zu sein, fordert dies entweder äußerste Selbsttäuschung oder eine grenzenlose Unkenntnis des Christentums oder des Kommunismus.«
Als die Roten Garden« ihre Plakate mit dem Schlachtruf «Hängt Gott!« in Schanghai verteilten, erklärten sie eindeutig, was die chinesischen Kommunisten, ebenso wie die Marxisten, immer glaubten: Alle Religion ist Aberglaube und muß im Interesse der Wahrheit ausgerottet werden.
Ihre frühere Toleranz den christlichen Kirchen Chinas gegenüber war nur eine ausgeklügelte Taktik, um ihre endgültige Zerstörung zu erreichen. Die Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung’« stellte nur einen Galgen dar, an dem nicht nur Gott, sondern auch die gesamte christliche Kirche Chinas aufgehängt werden sollte. Sie war ein kommunistisches Komplott zur Versklavung der Kirche, zur Untergrabung des christlichen Glaubens und zur Vorbeugung gegen ein wirksames Zeugnis von Christus innerhalb der chinesischen Gesellschaft.
Diese Wahrheit kam ans Licht, als die Kulturrevolution schließlich die Kirchentüren versperrte und die Führer der Drei-Selbst‑Bewegung« ins Gefängnis oder in Arbeitslager brachte. Auch wenn die Bewegung zeitweise wieder ins Leben gerufen würde, könnte niemand mehr im Zweifel über die eigentliche Absicht des Kommunismus sein. Die Worte Religion« und ,Aberglaube« verschwanden nie aus den Schlagzeilen der chinesischen Presse. Der energische Angriff gegen beide wurde von sehr befähigten Schreibern geführt.
Es gab aber auch andere Gründe für die vorübergehende Bildung der Drei‑Selbst‑Bewegung«. Sie sollte den Haß gegen die Missionare ausdrücken, indem sie alle Beziehungen zu ihnen abbrach. Außerdem diente sie dem Zweck, Patriotismus über jede andere Loyalität zu stellen, ganz gleich ob familiärer oder religiöser Art. Darüber hinaus sollte sie das übrige Asien in bezug auf religiöse Dinge in eine falsche Sicherheit wiegen.
Die asiatischen Länder leiden im allgemeinen unter schwachen, korrupten Regierungen. Deshalb kann die Bevölkerung auch nicht den Lebensstandard erreichen, der möglich wäre. Verspricht Chinas Beispiel des wirtschaftlichen Fortschritts nicht, daß der Kommunismus die Antwort auf dieses Problem ist? Die asiatischen Länder würden die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile begrüßen, deren China sich zu erfreuen beginnt. Aber Hindus, Buddhisten und Moslems hegen alle denselben Argwohn gegenüber dem bekannten Atheismus des Kommunismus. Würden sie diese Pille als Preis für den Fortschritt schlucken müssen?
Das ist genau das Problem und das Haupthindernis für den chinesischen Kommunismus im Ausland. Auf der Afro‑Asiatischen Konferenz 1955 in Bandung versicherten die Delegierten noch einmal, eines der grundlegenden Prinzipien zur friedlichen Zusammenarbeit unter den Völkern sei der Glaube an einen Gott.
So begannen die kommunistischen Führer Chinas, Asien zu überzeugen, der Kommunismus sei allen Religionen gegenüber tolerant. Die Propaganda erzählte den Moslems überall, ihre Glaubensgenossen in China seien frei und die Moscheen unbelästigt. Im Mai 1961 wurde der Staatsbesuch einer buddhistischen Delegation nach China publik gemacht, die gekommen war, um eine heilige Reliquie nach Ceylon zu begleiten. Bei ihrer Rückkehr nach China sollte sie in einer neuen Pagode untergebracht werden.
Solche kommunistischen Täuschungsmanöver sollten Moslems und Buddhisten glauben machen, ihre Glaubensgenossen in China erfreuten sich völliger Freiheit. Auch die christlichen Kirchen in Peking, Schanghai und Nanking dienten dazu, Besuchern vorzuspiegeln, es gäbe die Glaubensfreiheit der Christen in China tatsächlich. Die diesbezügliche Propaganda verleitete 1960 viele chinesische Christen zur Rückkehr nach China, als sich in Indonesien für sie Schwierigkeiten ergaben. Sobald sie jedoch in China angekommen waren, bereuten sie ihre Entscheidung. Ein junge schrieb: Gerade bin ich angekommen, aber es gibt hier keinen Ort für einen Gottesdienst, der außerdem auch gar nicht möglich wäre. Mein geistliches Leben ist nun sehr schwach … betet, daß wir wieder an einen Ort zurückkehren können, an dem es eine Kirche gibt!«
Ministerpräsident Tschu En‑lai besucht auf seinen Auslandsreisen häufig Tempel und Moscheen, um den Eindruck zu erwecken, che Kommunisten respektierten die Religion und könnten schließlich gar nicht so antireligiös eingestellt sein. Sorgfältig ausgewählte, verläßliche christliche Führer wurden zu ähnlichen Missionen in europäische und asiatische Länder geschickt. Diese vorsätzliche Bagatellisierung der kommunistischen, atheistischen und antireligiösen Politik für den Auslandsgebrauch ist nur ein Teil des großen Verrats, eine Taktik im Kampf um die Weltherrschaft und die große Lüge, die vielfach wirklich geglaubt wird.
«Würden Sie sagen, daß die Ereignisse die schlimmsten Befürchtungen der chinesischen Christen bestätigten und die unumstößliche Haltung der Männer von der Art eines Wang Ming‑tao rechtfertigten?«
,Zweifellos! Sie verliehen auch den vielen Vorstößen ausländischer Einzelpersonen und Gruppen vieler konfessioneller, nationaler und politischer Schattierungen bestenfalls einen naiven und schlimmstenfalls einen lächerlichen Beigeschmack. So wie die Dinge liegen, konnte durch einen Dialog zwischen Mitgliedern einer von Kommunisten geschaffenen und kommunistisch dirigierten religiösen Organisation wie die Patriotische Drei-Selbst‑Bewegung und einzelnen oder Gruppen aus anderen Ländern, die völlig freie Kirchen und Organisationen repräsentierten, überhaupt nichts erreicht werden.
Es ist tragisch, daß die chinesischen und russischen Kommunisten Christen nicht als gute und loyale Bürger betrachten und sie bei der Ausübung ihrer Religion hindern. Für die Kommunisten sind sie Konterrevolutionäre, die man nicht in Frieden lassen darf. Orthodoxe Kommunisten betrachten alle Religionen, und ganz besonders die christliche Religion, als erbitterte Feinde und als Haupthindernis auf dem Weg zu ihrem Ziel. Man denke nur an die jüngsten Geschehnisse in Tibet, wo sich der kommunistische Religionshaß in der bisher scheußlichsten bekannten Form an einem ganzen Volk demonstriert. ‑ Ihre grundlegende Unvereinbarkeit ist trotz vieler Gemeinsamkeiten total.«
, «Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß ein Christ nicht Kommunist sein kann. Aber ein Christ verurteilt den Kommunismus doch bestimmt nicht Im ganzen?«
«Darauf möchte ich antworten, daß man sowohl den christlichen Glauben als auch den Kommunismus als Ganzes betrachten und dann ein Urteil darüber abgeben muß. Es geht nicht, nur bestimmte Teile des Glaubens anzunehmen und andere abzulehnen. Denn der christliche Glaube ist eine zusammenhängende Einheit, und als solche steht oder fällt er auch. Mit dem Kommunismus ist es nicht anders. Er hat sein eigenes Dogmensystem, und niemand besitzt die Freiheit, einige Punkte anzuerkennen und die anderen abzulehnen. Das war vielleicht der Fehler des Dekans von Canterbury. Er dachte, es sei möglich, die sozialen und wirtschaftlichen Theorien des Kommunismus anzuerkennen, den zugrundeliegenden Materialismus zu umgehen und sich einen Kommunisten zu nennen. Das war natürlich eine Täuschung.«
«Würden Sie dann die sozialen und wirtschaftlichen Theorien des Kommunismus überhaupt gelten lassen?«
«Meiner Meinung nach kommen wir hier auf einen wichtigen Punkt zu sprechen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, was für einen Christen am Kommunismus abzulehnen ist und was an ihm ein Urteil über die nichtkommunistische Welt und eine Herausforderung an die Kirche darstellt.«
«So sehen Sie doch etwas Gutes am Kommunismus?« ‑ «Ja! Wirklich! Denn ich betrachte den Kommunismus als eine Fälschung des Christentums!«
«Das ist ja interessant. Und inwiefern?«
«Nun, als erstes haben Christentum und Kommunismus ein vergleichbares Ziel. Der Kommunismus wie das Christentum treten für die Armen und Geringen ein und sind der gleichen Meinung, ihr Glaube sei für alle da. Die Propheten des Alten Testaments sagten eine Zeit in der Weltgeschichte voraus, in der die Menschen keine Kriege mehr führen, ihre Schwerter in Pflugscharen‘ verwandeln, in der jedermann in seinem eigenen Weinberg‘ und unter seinem eigenen Feigenbaum‘ wohnt und in der ein König in Gerechtigkeit‘ regiert: eine Vision des zukünftigen Königreichs Christi. Später lehrte jesus Christus seine jünger zu beten: Dein Reich komme! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!‘ Und die Apostel wußten um den auf Erden regierenden Christus.
Die Kommunisten versuchten seit der prophetischen Vision von Karl Marx, auf dieser Erde eine Welt mit einer gerechten Gesellschaft, frei von aller menschlichen gegenseitigen Ausbeutung zu gründen. Es sollte eine Welt sein, in der der Krieg verboten ist und der Mensch die Freiheit hat, sein Vermögen und seinen Verstand dafür einzusetzen, daß die Kräfte der Natur zum Wohl des Menschen nutzbar gemacht werden. Der Unterschied besteht darin, daß die Kommunisten ein Reich des Menschen und kein Reich Gottes erreichen wollen. Aber der Kommunismus ist ein Glaube, der dem lebensüberdrüssigen Menschen in einer Welt des Krieges, Hungers, der Feindschaft und der Furcht aussichtsreiche Versprechungen macht.«
«Das erklärt das große soziale Interesse aller Marxisten, ob sie nun sozialistisch oder kommunistisch sind.«
«Ja. Soweit die Kommunisten aufrichtig um soziale Gerechtigkeit, angemessene Verteilung des Wohlstandes und um die Verteidigung der Benachteiligten bemüht sind, müssen die Christen die deutliche Übereinstimmung fühlen, auch wenn sie die unehrenhaften, gewalttätigen Methoden ebenso deutlich ablehnen, die die orthodoxen Marxisten zur Veränderung der Gesellschaft für notwendig halten.«
«Was ist der andere Vergleichspunkt?«
«Ich glaube, daß die beiden Systeme auch in historischer Hinsicht vergleichbar sind. Die Propheten des Alten Testaments brachten das Zeitgeschehen mit der Absicht und dem Willen Gottes in Verbindung. Sie betrachteten Gott als aktiv in der Geschichte. Die Eschatologie des Neuen Testaments unterstreicht nur die Tatsache, daß der alleinherrschende Gott einen ewigen Plan hat, den er jetzt in der Zeit auf diesem Planeten durchführt. Dieser Plan wird mit der Rückkehr Christi und einem neuen Himmel und einer neuen Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt, enden. Und der dialektische Materialismus wird als eingebautes Gesetz betrachtet, das das Vorwärtsschreiten einer Gesellschaft auf einem dialektischen Pfad, der auf eine zukünftige diesseitige Welt zugeht, bestimmt.«
«Jetzt ist mir klar, wie diese beiden Begriffe parallel zueinander verlaufen.« – «Außerdem wenden die beiden Systeme vergleichbare Methoden an.«
«Das stimmt aber nicht. Nach allem, was ich über Gehirnwäsche, Folterung, Mord und Gewalttätigkeiten von den Kommunisten gehört habe, kann man diese Methoden überhaupt nicht mit denen des Christentums vergleichen!«
«Sind Sie da sicher? Denken Sie doch einmal an die Kreuzzüge mit ihrem Blutvergießen, die Inquisition und die grausamen Folterungen, an das Martyrium der Katholiken und Protestanten in Großbritannien während der Reformation und Gegenreformation. Außerdem gab es noch den Dreißigjährigen Krieg und andere Religionskriege, die die Seiten der Geschichte beflecken. Christen sollten vorsichtig sein, wenn sie mit dem Finger auf die Kommunisten zeigen. Das soll aber keine Entschuldigung für die erwiesenen kommunistischen Greueltaten sein. Ihre Begründung dafür lautete, daß vor dem Paradies auf Erden Trübsal kommen muß‘. Diesen Ausspruch entnahmen sie aber nicht dem christlichen Sprachgebrauch. Sie behaupten, bevor die vollkommene menschliche Gesellschaft entstehen kann, muß die alte Gesellschaft mit Gewalt und Trübsal zerstört werden. ‑ Aber das meinte ich nicht, als ich von Methoden sprach.
Zu Beginn des kommunistischen Regimes in China wandten die Kommunisten Methoden an, die sich fast mit denen decken, die Christen bei Evangelisationen unter einzelnen und bei großen Versammlungen anwenden. Sie hatten ihre eingegebenen Schriften in den Werken von Marx und Lenin. Diese verkündeten sie bei öffentlichen Zusammenkünften und in privaten Studiengruppen. Ihr Ziel war, ein Schuldgefühl über die Dinge der Vergangenheit zu erzeugen und Selbstkritik‘ zu erwecken. Daraus sollte eine Säuberung des Geistes von allen falschen Ideen, vgl. Gehirnwäsche, folgen, um den Weg für neue Ideen freizumachen.
Das Wort Buße, Umdenken, hat eine ähnliche Bedeutung. Daraus sollte wiederum eine Veränderung entstehen, die sowohl einzelne als auch Kirchen erfahren könnten. Daran sieht man, wie die Kommunisten den christlichen Ausdruck Wiedergeburt‘ entlehnten. Danach sollte der Bekehrte aktiver Propagandist (Zeugnis) für seinen neuen Glauben werden.
Ein katholischer Priester in China berichtete von den erstaunten Worten einer Nonne: Vater, sie benützen unser Unterweisungssystem zur Lehre des Kommunismus!‘ Beichte und Buße werden in der Tat eifrig von allen praktiziert.«
«Das ist ja erstaunlich! Gibt es noch andere Ähnlichkeiten?«
«Ja, vielleicht die bemerkenswerteste von allen: Die beiden Glaubensrichtungen erheben dieselben Ansprüche für sich. Ebenso wie das Christentum eine revolutionäre Religion darstellt, da es die Macht hat, Menschen radikal zu verändern und damit auch das häusliche Leben und die Gesellschaft als Ganzes; so behaupten auch die Kommunisten, sie könnten die menschliche Natur verändern. Was am Kommunismus dynamisch ist, weist deutliche christliche Nebentöne auf.
Während der Christ glaubt, daß die Änderung des Menschen die Änderung der Gesellschaft hervorruft, ist der Kommunist davon überzeugt, daß man den Menschen erst durch die Änderung der Gesellschaft ändert. Seiner Meinung nach liegt das Böse nicht im Menschen, sondern im System. Um seine Ansicht zu beweisen, führt er an, daß Dinge wie Prostitution, Diebstahl, Korruption u. ä. ausgerottet wurden, indem man sie wirtschaftlich überflüssig machte. Und er glaubt, daß eine neue Menschenrasse aus der Asche der verdorbenen, kapitalistischen Zivilisation entstehen wird.«
«Das ist ohne Zweifel eine außergewöhnliche Behauptung. Und ich verstehe jetzt auch, was Sie mit der Behauptung meinten, der
Kommunismus sei eine Fälschung des Christentums.«
«Ja, in meinen Augen ist der Kommunismus ein Meisterstück teuflischer Täuschung. Ein Mitarbeiter des Spectator‘ drückte es einmal so aus: Die gefährlichsten Widersacher des Christentums waren immer diejenigen, die Ähnlichkeiten oder Geistesverwandtschaft mit ihm hatten … Dasselbe trifft vielleicht auch auf die Kraft und die Herausforderung des Kommunismus zu.«
Ich bin deshalb völlig anderer Meinung als die, die behaupten, der Heilige Geist arbeite im Kommunismus. Ganz im Gegenteil kann man durch die ganze Geschichte der Bibel hindurch die Spur der Irreführung Satans bei den Menschen verfolgen, weniger durch das, was ausgesprochen böse ist, als durch das, was gut zu sein scheint. Die allererste Versuchung war nicht, eine unmoralische Handlung zu vollziehen, sondern das zu probieren, was gut anzusehen war, gut im Geschmack und vielleicht Weisheit spendend.
Wenn man so darüber nachdenkt, ist da vielleicht der Grund zu suchen, weshalb die unzulänglich regierten, hungernden Menschen in Lateinamerika, Afrika und Asien den Kommunismus so anziehend finden. Er bietet so viel Gutes. Die jungen bewundern seinen Realismus und sein Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Sein Erfolg beim Überwinden von politischer Korruption ist beeindruckend. Die völlige Hingabe seiner Anhänger, um das Ziel der Weltherrschaft zu erreichen, und ihre Selbstaufopferung finden keine Parallele. Auch seine praktischen wirtschaftlichen Erfolge sind beachtlich. Ist es daher verwunderlich, wenn sogar die Christen in Asien und Afrika sowie in Lateinamerika enttäuscht und verwirrt sind, wenn Missionare am Kommunismus Kritik üben?
Aber es bringt ohne Zweifel Unheil, wenn man von der verbotenen Frucht ißt. Die Gefahr liegt in der allgemeinen Unkenntnis der Folgen, die sich für den Christen praktisch aus dem Kommunismus ergeben. Für Länder wie Südafrika z. B., in denen die Furcht vor dem Kommunismus unter der weißen Bevölkerung nahezu hysterische Formen annimmt, ist es wichtig, das Ganze auf objektive und ausgeglichene Art zu betrachten. «
«Ja, das stimmt!«
«Ich möchte dem noch hinzufügen, daß die Leistungen Chinas auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet innerhalb der letzten zwanzig Jahre erstaunlich sind. Aus dem Nichts und zuletzt ohne russische Hilfe wurde China Atommacht. Es hatte auch genügend Mittel, um überall, sogar bis in die hügeligsten und verlassensten Gegenden im Südwesten und Nordwesten, ein Eisenbahnnetz aufzubauen, ein ausgedehntes Wasserversorgungsnetz zu konstruieren und eine moderne Industrie zu schaffen. Schon immer waren die Chinesen hervorragende Bauern. Die modernen, wissenschaftlichen Methoden ließen die Produktion sehr schnell ansteigen und sicherten allen einen annehmbaren Lebensstandard. Und das trotz der Rückschläge von 1950‑1960 und dem Terror der Kulturrevolution.
Nicht Indien, sondern viel eher China ist Gegenstand des Neides der anderen asiatischen und vielleicht auch der afrikanischen Länder. Es ist deshalb für Asiaten und Afrikaner äußerst notwendig, ihre Augen offen zu halten, damit sie nicht nur die materiellen Vorzüge, sondern auch die Nachteile sehen, die der Kommunismus mit sich bringt.
Etwas wäre noch zu erwähnen. Wir machen leicht aus der Demokratie in den USA und Europa einen Fetisch. Dasselbe gilt auch für das westliche «Ein Mann ‑ eine Stimme«‑System und die auf diese Weise gebildeten Regierungen, die als Allheilmittel für alle Mißstände und als Grundrecht für alle Völker betrachtet werden. Aber in Wirklichkeit ist die westliche Art der Demokratie für Afrika oder Asien vielleicht gänzlich ungeeignet. Dort ist die väterliche Herrschaft Tradition und eine autoritäre Regierung wie der Kommunismus für die Bevölkerung ganz annehmbar. Eine derartige Regierung wurde in Afrika gewöhnlich nach Erreichung der Unabhängigkeit eingeführt. Und sie herrscht auch in Asien vor.
Wir kritisieren den Kommunismus daher nicht deshalb, weil sich seine spezielle Art der Regierungsform von der unsrigen unterscheidet.«
,Sie sehen also den Kommunismus als eine sehr geschickte teuflische Täuschung. Aber ist er nicht gleichzeitig eine Herausforderung ungeheuren Ausmaßes an die christliche Kirche?«
«Ja, gewiß! Paul Lehmann sagte in der siebten jährlichen John Knox Lecture: Der Kommunismus ist eine christliche Irrlehre im fortgeschrittenen Stadium der Säkularisierung. Bestimmte Ziele, Werte und Gedanken, die den Kern des Christentums bilden, wurden von den Kommunisten übernommen und in Ziele, Werte und Gedanken umgewandelt, die den Kern des Strebens nach voller Humanisierung, allein aus menschlicher Kraft, bilden.‘
Und das ist die größte Herausforderung des Kommunismus!«

6. KAPITEL
KOMMUNISMUS KONTRA CHRISTUS
Auch ein Marxist ist ein Mensch, für den Christus starb. Er ist das Opfer dessen, «der die ganze Welt betrügt«. Wenn wir Christus kennen, haben wir deshalb die Pflicht, auch dem Marxisten Christus als Antwort auf das menschliche Dilemma zu bringen. Die Ablehnung des Systems, das er vertritt, sollte keinen Haß gegen den Mensdien aufkommen lassen auf Kosten der drängenden Liebe Christi zu allen Menschen.
Kommunisten, die sich von ihrer Lehre ab‑ und Gott zuwandten, sdirieben dies für gewöhnlich der Liebe Gottes zu, die sich im Leben seines Volkes äußerte. Sehr selten wurden sie durch Beweisgründe dazu gebracht. Trotzdem muß der Christ darauf vorbereitet sein, «jedem eine Antwort über die Hoffnung zu geben, die in ihm ist«. Das gilt vor allem den Marxisten gegenüber, deren Behauptungen so einleuchtend sind. Missionare, die in Ländern arbeiten, für die der Kommunismus eine Bedrohung darstellt, müssen beim Unterrichten der Bevölkerung in diesem Punkt völlig sicher sein. Diese Mensdien sind oft benachteiligt, nicht zuletzt durch eine schlechte Regierung. Daher fühlen sie sich von den Versprechungen des Kommunismus besonders angezogen.
Es wäre unsinnig, zu leugnen, daß wir uns in einem Zeitalter der Revolution befinden. Das 20. Jahrhundert wird sicherlich als das Jahrhundert der Revolution in die Geschichte eingehen. Offensichtlich ist mit der mensdilidien Gemeinschaft etwas von Grund auf nicht in Ordnung. Und die jungen Menschen sind mit dieser Lage nicht zufrieden. Studenten in der ganzen Welt lehnen sidi gegen die derzeitigen Zustände auf. Die mensdilichen Beziehungen können das Gleidigewicht zu den spektakulären Fortsdiritten in der Wissenschaft nicht halten. Familiäre, rassische und internationale Beziehungen sind tragischer und schwieriger als je zuvor. Die Christen teilen daher mit den Kommunisten die große Sorge um die Zukunft der Mensdiheit. Wir sehnen uns alle nach einer Lösung. Aber das ist auch das einzige, was wir gemeinsam haben.

Der Kommunismus kann das Leben nicbt gänzlich ausfüllen
Professor Arnold Toynbee sagt: Der Kommunismus ist die Verehrung der kollektiven Madit der Mensdien, die die Verehrung Gottes ersetzt.« Als Christen halten wir daher die kommunistische Lösung des Weltproblems hauptsächlich aus dem Grund für falsch, weil sie von den falsdien Voraussetzungen ausgeht und ein falsches Vertrauen in die geistigen Kräfte des Menschen setzt. Die Behauptung, der Mensch brauche als erstes Nahrung, und der Kampf, den unmittelbaren Hunger des Menschen zu stillen, sei der Sinn der Geschichte, geht daher von einer verkehrten Annahme aus.
Gerade diesen rohen Materialismus und die Verneinung jedes geistlidien Wertes lehnt der Christ ab. Nach fünfzig Jahren findet selbst die kommunistische Welt heraus, daß die Revolution nicht der einzige Schlüssel zur Zukunft ist. Professor j. L. Hromadka aus der Tschechoslowakei sagte in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution: «Soziale Erneuerung genügt nicht, um das Leben gänzlich auszufüllen … Die soziale, wirtschaftliche oder politische Erneuerung allein garantiert nidit automatisdi die Geburt eines sozialistisdien Mensdien, sein Wachstum oder die Fülle des Lebens. Es ist interessant zu beobachten, daß sich intelligente, verantwortungsvolle Kommunisten heute zum großen Teil mit dieser Frage beschäftigten.«
Ilja Ehrenburg, der 1944 den Lenin‑Preis verliehen bekam, schrieb in seinen Memoiren «Menschen, Jahre, Leben«, Band II: «Der Mensch (das ist meine theologische überzeugung) kann nidit nur in soziale, wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche oder technische Gruppen eingeteilt werden. Er ist ein gewisses Geheimnis, das alles übertrifft, was wir Menschen in unseren Händen haben und über das wir nach unserem eigenen Willen verfügen können.« Der Christ antwortet darauf, daß wir zuerst Gott voraussetzen müssen, wenn wir den Menschen verstehen wollen.
Der idealistische russische Philosoph Nikolaus Berdjajew schreibt in «Der Gott unsrer Zeit«: Wo kein Gott ist, ist auch kein Mensch!«
Die heutige Welt hungert nach Gott, nach einem Lebeii, das wirklich, persönlich und zufriedenstellend ist. Der Mensc‘,l ist eine göttliche Schöpfung, nach dem Bilde Gottes gemacht. Er besteht sowohl aus Körper als auch aus Seele. Hier passen Augustliis Worte: «Du hast mich für dich gemacht. Mein Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir!« In jedem Menschen befindet sich ein «gottförmiger« Hohlraum, den nur Gott ausfüllen kann. Der Mensch lebt nicht vorn Brot allein. Sein wirkliches Lebeii stammt von Gott und muß darum von Gott eriiährt werden. Während der Marxismus von einer rein rationalistisdien Hypothese abgeleitet wird, gründet sich das Christentum auf die Offenb‑.trung eines persönlichen Gottes.

Der einzelne ‑ nur ein Mittel zum Zweck
Der marxistische Irrtum, Gott zu verneinen, hat ein falsches Verständnis des Menschen zur Folge. Für den Marxisten ist er nur ein soziales Produkt, das in der Natur verwurzelt ist. Die Gesellschaft, nicht der Mensch, ist die wirkliche Einheit, in der der einzelne nur ein Element darstellt. Der Mensch wird zum Rädcl‑len der riesigen, seelenlosen Maschine. Der einzelne ist daher entbehrlich ‑ und nur Mittel zum Zweck. Das ist Ausbeutung in ihrer schlimmsten Form. Im Gegensatz dazu verleiht ihm die Vorstellung des Menschen als göttliche Schöpfung die Würde, die der Marxist leugnet.
Der Mensch verkörpert kein Produkt materieller Kräfte, sondern er stammt von Gott. Die Natur ist für den Menschen geschaffen und nicht der Mensch für die Natur. Dabei leugnet das Christentum nicht, daß der Mensch ein soziales Wesen ist. Denn das Neue Testament lehrt, daß der Mensch in der Gesellschaft, vor allem in der christlichen Gesellschaft, der Gemeinde, zui‑ri vollen Menschentum gelangt. Im Christentum wird das Materielle durch das Geistliche nicht ausgeschlossen, während der Kommunismus das Geistliche streicht und nur das Materielle übrigläßt.
Willlam Temple sagte einmal: «Das Christentum ist die niateriellste Religion«, weil Gottes Sohn Mensch wurde. Christus würdigte das Menschentuni, indem er selbst Mensch wurde und damit eine neue Rasse christusähnliclier Menschei schuf: die erlöste menschliche Gesellschaft. Was ist der Mensch~ Dies keiii,.zeichnet die wahren Grenzen der Welt.

Die Schuldfrage wird übergangen
Als Karl Marx die Religion seiner jüdischen Vorfahren und die später angenommene christliche Religion ablehnt,‑, suclite er ini dialektischen Materialismus ein Gegenstück zur göttlichen Herrsch.tft in der Geschichte. Er suchte eine pantheistische Vorstellung des Universums und eine mechanische Theorie der Sozialentwicklung. Doch kann sie nicht bewiesen werden. Er wählte nur solche Belege, die seinem Zweck zu dienen schienen. Seine Beispiele stammten aus \Xlest‑Europa, aber die altei‑i Zivillsationcii aus dem Mittleren Osten überging er. Kurzum, sell‑i Geschichtsstandpunkt war zu oberflächlich und zu gesucht. Seine Besdireibung der primitiven menschlichen Gesellschaft wird von Anthropologen nicht unterstützt. Das Dialektische wird nicht überall bestätigt, und es wird auch keine Antwort auf die Frage gegeben, warum der d‘ alektische Fortschritt aufhören soll, wenn das kommunistische Zukunftsideal einmal erreicht ist. Logischerweise müßte eine neue Verwerfung, eine neue Antithese folgen. «Wenn die Kommunisten Gott aus dem Himmel nehmen«, sagt Geoffrey Bull, «nehmen sie jeder moralischen Verpflichtung den Schöpfer gegenüber den Sinn.«
Professor Butterfield von der Universität Cambridge sagte, die eigentliche Auswirkung auf ihn beim Lesen der Geschichte sei die Erkenntnis, daß «alle Menschen Sünder sind«.
Die Sünde ist der große, menschliche Faktor, den man nidit ungestraft übergehen kann. Sie allein ist der Grund für soziale und persönliche Unordnung. Die Probleme der Welt sind nur eine Erweiterung unserer eigenen, persönlichen Probleme. Marx und Freud irrten in der Annahme der alten dilnesisdien Vorstellung, der Mensch sei von Natur aus eine Gottheit. Im Innersten des Menschen liegt eine tiefe Widernatürlichkeit. Der Mensch ist daher hilflos und allein und braucht Erlösung.
Der Marxist schiebt die Schuld am Bösen den Folgen einer ungerechten sozialen Ordnung und der Existenz von Privatbesitz zu und übergeht den wahren Ursprung des Bösen im sündigen iiienschlichen Herzen. Einem Arzt, der eine so tragische Fehldiagnose stellt, kann man nicht vertrauen. Nur Christus, der große Arzt, deckt die sdimerzhafte Wahrheit über uns selbst auf und bietet in der Wiedergeburt Heilung und die Schaffung eines neuen Menschen an. Eine Gesellschaft kann nur durch errettete Mensdien erlöst werden. Der Aussprudi: Der Kommunismus ist das Wunder unserer Generation, ein schneller Weg zum Paradies auf Erden!«, ist nur die neue Formulierung für den alten Unsinn.

Eine Prophetie, die nicht eingetroffen ist
Karl Marxs «Manifest« und sein darauf folgendes Hauptwerk «Das Kapital« mögen vielleicht die Armen der Arbeiterklasse seiner Zeit geblendet haben. Beide demonstrieren jedoch die Grenzen des hilflosen menschlidien Verstandes, der die einzige Autorität des Kommunismus ist.
Die Zeit hat die Unriditigkeit seiner «Mehrwerttheorie«, die er lin «Kapital« darlegt, bewiesen. Unter dem Kapitalismus erfreute sich der Arbeiter in Europa und Amerika eines stetig steigenden Lebensstandards, anstatt immer ärmer zu werden. Der Arbeitslohn sank nicht, wie vorausgesagt, auf die Ebene der reinen Existenzmöglichkeit ab. Auch ließ die Mechanisierung der Industrie den Gewinn der Kapitalisten nicht zurückgehen. Statt zwei sidi gegenüberstehender Klassen der Zeit von Karl Marx, lassen sich heute mindestens sechs Klassen mit unterschiedlichen Interessen erkennen, die sich nicht unbedingt widerspredien. Somit ist seine Theorie des Klassenkampfes als überholt erwiesen.
Am wichtigsten ist jedoch die Tatsache, daß Marxs Erklärungen über die Zusammenhänge von Religion, Philosophie und Ethik und der sich entwickelnden produktiven Kraft der Industrie falsch sind. Die Angriffe gegen das Christentum auf dieser Basis waren nidit richtig begründet. Denn das Christentum blühte zweitausend Jahre hindurch in jedem Zeitalter, in verschiedenen Kulturen und in vielen sozialen Umgebungen.
Obwohl die Religion von der herrschenden Klasse oft als Waffe gegen die Arbeiterklasse benützt wurde, so kann man das kaum vom Christentum behaupten. Ebensowenig gibt es heute viele Beweise dafür, das Christentum mit Redit als Rauschmittel zu bezeichnen. Viele Tatsadien beweisen das Gegenteil. Die Kirche in Afrika und Asien z. B. lag ebenso wie die Kirche Europas an der Spitze der sozialen Veränderungen.
So hat sich Marx als ein Prophet erwiesen, der weit von der Unfehlbarkeit entfernt und als Führer nicht verläßlich ist. Seine Argumente stellten sidi als falsdi heraus, seine Wirtschaftsanalysen waren ungenügend, und seine Gesdilchtsanalyse bietet keinen Beweis der geschichtlichen Notwendigkeit und keine solide Grundlage für den Anspruch, die Zukunft voraussagen zu können. So ist der Marxismus einseitil‑, unzulänglich und sdilleßlich unlogisch. «Marx enthüllte unwissentlich und ohne es zu beabsichtigen den letzten Zusammenbruch des rein humanistischen Denkens in seiner besten Form« (D. R. Davies).
Im Leben und Lehren Christi, vor allem aber in seinem Sterben und Auferstehen und in den erfüllten Prophezeiungen des Alten und Neuen Testaments erhalten wir verläßlichere Richtlinien für die Geschichte und deren letzte Vollendung im Reich Gottes. Nur Christus allein ist es wert, daß man ihm vertraut. Die Bibel hat die Prüfung im Verlauf von Jahrhunderten bestanden. Sie ist der Fels, der allen Stürmen widerstanden und alle Kritik überlebt hat.

Eine heile Welt nur für die überlebenden
Obwohl die berühmte marxistische Vision einer Welt ohne Krieg, Armut, Klasse oder Rasse ungeheuerlich ist, so muß man sie doch als unmenschlich bezeichnen. Denn all das können nur diejenigen genießen, die zu dieser Zeit zufällig am Leben sind. Sie allein erfreuen sich an den Frücliten der Arbeit, Sorge, Kämpfe, Opfer und Qualen derer, die für die marxistische Revolution kämpften. Was könnte gefühlloser und ungeheuerlicher sein als der Gedanke einer endgültigen Zukunft für eine begünstigte Minderheit der gesamten menschlichen Rasse?« (D. R. Davies.)
Wie anders ist doch die christliche Hoffnung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in der Gerechtigkeit herrscht ‑ ein himmlischer Staat, an dem sich eine große Menge, die niemand zählen kann« aus allen Generationen erfreuen kann, nämlich alle, die das freie Angebot der Erlösung von Christus angenommen haben! Der Tod ist kein Hindernis. Denn alle Gerechten und alle, die gelitten haben und gestorben sind, werden züm Leben erweckt. Die Erfüllung des erlösten Menschseins liegt nicht in der Weltzeit, sondern jenseits in der großen Auferste.bung der Toten. Doch in jeder Generation hatte der Christ das Vorredit, mit Gott zusammenzuarbeiten, indem er seinen Willeii tat. Und alle werden an dem endgültigen Triumph der Pläne Gottes teilhaben.
Mit diesen revolutionierenden Hoffnungen ist das Christentum nicht kraftlos dem Kommunismus ausgeliefert. Wir sollten in unserem Gespräch mit den Marxisten in einigen Dingen mit ihnen übereinstimmen ‑ ganz besonders in der Notwendigkeit der Gerechtigkeit, des Friedens und einer guten Regierung, um damit ein gutes erstes Verständnis aufzubauen. Jede negative oder feindliche Haltung ist hier nidit angebracht. Dann müssen wir das gemeinsame Problem klar definieren; denn ein gut vorgebrachtes Problem ist schon die halbe Lösung«. Und indem wir die Notwendigkeit grundlegender historischer Voraussetzungen zugeben, müssen wir schließlich auch die Notwendigkeit betonen, zwischen Tatsachen und deren Auslegungen zu unterscheiden.
Sind wir soweit gegangen, so müssen wir immer unsere Grundvoraussetzung verteidigen, d. h.‑ den Ursprung des Universums und des Menschen, die Tatsache des historischen Christus und die wichtige Unterscheidung zwischen falsch und richtig. Unseren Standpunkt können wir gut durch Fragen unterstreichen wie: «können Sie beweisen, daß Krieg und Gewalt jemals Frieden erzeugen werden?« «Woher wissen Sie, daß der dialektisdie Fortschritt absolut ist?« «Was läßt Sie glauben, der Mensch könne sein eigenes Schicksal kontrollieren?« «Können Sie beweisen, daß das Gute sich selbst verneint?«
Kurzum, «die von den Kommunisten aufgeworfenen Probleme sind letztlich religiös. Die praktischen Probleme sind moralischer und die theoretischen Probleme theologischer Art« («Ein christlicher Kommentar zum Kommunismus« von Edward Rogers). Das Christentum ist realistisch. Es steht vor dem Problem der ursprün«lichen Sünde, auf das die einzige Antwort das Alleinrecht Christi ist, Sünden zu vergeben und durch seine Macht die menschliche Natur zu ändern. Erfüllt von der Liebe Christi, müssen wir bereit sein, den Marxisten überall die Hilfe Gottes zu verkünden ‑ ob es nun an unseren eigenen Universitäten und in unseren Kreisen oder unter den glühenden Anhängern des Kommunismus in Europa, China oder Rußland selber ist.

7. KAPITEL
KOMMUNISTISCHER STAAT UND GEWISSEN KONFLIKT DER CHRISTEN UNTER MAO

Ein Jahr nachdem Mao die Gründung der Volksrepublik ausgerufen hatte, lud Ministerpräsident Tschu En‑Ial die Kirchenführer nach Peking ein, um die Bedingungen der Partei für das überleben der Kirche zu diktieren.
Er bestand darauf, daß sie sich von allen Spuren des Imperialismus befreien müsse. Damit meinte er hauptsächlich die Missionare und das Geld, das die Kirchen von «imperialistischen« Ländern erhielten. Ebenso wurde die Kirche aufgefordert, die Führung der Kommunistischen Partei anzuerkennen. Obwohl die kirchliche Abordnung nicht alle Kirchen vertrat, stimmte sie den Forderungen zu. Damit stellte sich die christliche Kirche unter staatliche Kontrolle. Diese Kontrolle übte das «Büro für Religiöse Angelegenheiten« aus, das die Angelegenheiten aller Religionen Chinas überprüfte. Um die Handhabung protestantischer Angelegenheiten zu erleichtern, gründete diese Stelle die ,Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung«. Schließlich blieb auch den widerstrebendsten christlichen Gruppen keine andere Wahl, als sich der Organisation anzuschließen.
Die christliche Presse begann nun, die Leistungen der Volksregierung lobend anzuerkennen. Marx, Lenin und Mao wurden mit den Propheten des Alten Testaments, und die neue Gesellschaft Chinas mit dem Reich Gottes verglichen. Die Tien Feng« wurde das offizielle Organ der kommunistischen Kirchenpolitik und all der Kampagnen gegen Christen, die sich weigerten, der Parteilinie zu folgen. Bis zur vorläufigen Auflösung der Kirche im Jahre 1966 durch die Kulturrevolution hörten die Sprecher und Schreiber nicht auf, ihre loyale Unterstützung der Regierung und ihre Freiheit unter der Volksregierung zu beteuern. Auch erklärten sie ununterbrochen den aufrichtigen Patriotismus der Bewegung und ganz besonders ihre Opposition gegen die amerikanischen Imperialisten. Und trotzdem schlossen die «Roten Garden« die Kirchen, beschimpften und mißhandelten zahlreiche Christen, verschleppten viele Kirchenführer und lösten die Drei‑Selbst‑Bewegung« auf.
Diese Erfahrungen fordern eine neue Überprüfung von Pflicht und Verantwortung. Nämlich der Verpflichtungen der Christen zur Loyalität, die entweder ihren Wunsch nach Befreiung wahrnehmen können oder weiterhin unter einer autoritären, antichristlichen, kommunistischen Regierung leben müssen. Ein paar Führern und Mitgliedern mag es gelingen, das Land vor oder nach einer kommunistischen Machtübernahme zu verlassen, aber die Mehrheit der Christen wird immer notgedrungenermaßen dableiben und die Suppe auslöffeln müssen.
Im Jahre 64 n. Chr., kurz vor Ausbruch der reichsumfassenden Christenverfolgungen unter Kaiser Nero, schrieb der Apostel Petrus seinen ersten Brief. Darin betonte er zuerst die großen Grundwahrheiten des Evangeliums. Dann unterstrich er, daß die letzte christliche Antwort auf Verfolgung, Verleumdung und Kritik ein unsträfliches Leben sei, ein Leben ohne Tadel in guter Bürgerschaft. «Und wer ist, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?« (l. Petr. 3, 13.) «Habt ein gutes Gewissen (l. Petr. 3, 16). «Niemand unter euch leide als ein Übeltäter … « (1. Petr. 4, 15). Insbesondere gibt Petrus jedoch viermal und in vier verschiedenen Zusammenhängen den Befehl: «Seid untertan!« In der Gemeinde (l. Petr. 5, 5), in der Familie (l. Petr. 3, 1), in der Gesellschaft (l. Petr. 2, 18) und im Staat (l. Petr. 2, 13). Unterordnung ist christliche Tugend,
Wenn wir uns vor Augen halten, daß viele Christen tatsächlich Sklaven waren, so ist es sehr bemerkenswert, daß weder Petrus noch Paulus irgendwie aufforderten, sie sollten Befreiung durch politische Tätigkeit suchen (1. Petr. 2, 18‑25). Petrus rät den Sklaven sogar, auch schlechten, grausamen und ungerechten Herren untertan zu sein, und nennt als Beispiel das ungerechte Leiden Christi. Er unterstützt damit nicht die Sklaverei, aber er nennt die richtige Einstellung des Christen auch in einer ungerechten, ungleichen Gesellschaft beim Namen.
Im Zusammenhang mit dem Staat schreibt Petrus: Seid untertan jeder menschlichen Ordnung um des Herrn willen, sei es dem Kaiser (Nero) als dem obersten Herrn oder seinen Beamten … Denn es ist Gottes Wille, daß ihr mit guten Taten die Unwissenheit der törichten Menschen zum Schweigen bringt … fürchtet Gott! Ehrt den Kaiser« (l. Petrus. 2, 13 – 17).
Ein solcher Rat muß für die Christen hart gewesen sein, die wegen der bösartigen, falschen Anklagen Neros, sie hätten Rom angezündet, leiden mußten. Aber das Prinzip kommt klar zum Ausdruck. Die Christen sollen nicht gegen irgendeine Regierung rebellieren, nur weil sie diktatorisch, autoritär oder korrupt ist. Sie müssen die Regierungsvertreter nicht nur als diejenigen achten, die das Gesetz vertreten (Vers 14), sondern sich auch den Gesetzen und Erlassen dieser Regierung unterordnen, um so als „Knechte Gottes zu leben« (Vers 16).
Im Römerbrief wendet sich der Apostel Paulus nach elf Kapiteln der Abhandlung über Dinge des Evangeliums in Kapitel 12 der praktischen Anwendung dieser Wahrheiten zu. Er beschreibt das christliche Leben in der Gemeinde (Vers 3‑8), seine persönliche Haltung (Vers 9‑13), sein Verhalten in Verfolgung (Vers 14‑21), und in Kapitel 13 bringt er die schwierige Angelegenheit des Christen und des Staates zur Sprache.
Seine Aussagen sind denen des Petrus sehr ähnlich, nur noch beträchtlich erweitert. Während Petrus über die von Gott eingesetzte Funktion der Regierung spricht, betont Paulus den göttlichen Ursprung des Staates. Die Aussage lautet in beiden Fällen gleich: «Ordnet euch der Obrigkeit unter, die Gewalt über euch hat« (Vers 1) als die Vertretung des Gesetzes (Vers 3‑4). Dann folgen die Gründe.
1. Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre (Vers 1).
2. Der Christ sündigt, wenn er sich dieser Obrigkeit widersetzt (Vers 2).
3. Unterordnung muß eine Sache des Gewissens und nicht der Furcht vor göttlicher Bestrafung sein. Der christliche Bürger ist ganz besonders dazu verpflichtet, seine Steuern, Abgaben und Zölle zu entrichten und die verantwortlichen Beamten zu respektieren und zu ehren. Damit wird der Christ erstens der Pflicht des bürgerlichen Gehorsams, zweitens dem Grund des bürgerlichen Gehorsams und drittens dem Geist des bürgerlichen Gehorsams gegenübergestellt.
Betrachtet man dies im Zusammenhang mit dem Römischen Reich ‑ der fremden Macht, die oft übermäßige Steuern verlangte und ungerechte Forderungen stellte ‑, so muß diese eingehende Anweisung bei der ersten Gemeinde viel Erforschung des Herzens hervorgerufen haben.
Aber sowohl die Anweisungen des Paulus als auch die des Petrus für die richtige Einstellung und das Verhalten der Christen im Staat beruhen auf der Antwort Jesu Christi, die er denen gab, die ihn des Verrats an der römischen Regierung bezichtigen wollten (Lukas 20, 20). Seine Antwort war so unerwartet, daß die Schriftgelehrten nur staunen konnten (Vers 25): «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!« Auch wenn alles unter der schweren Steuerlast des Kaisers Tiberius stöhnte.
Das umfaßt das allgemeine Prinzip, «daß die Regierung ihren Bürgern gegenüber rechtliche, aber keine letztlichen Ansprüche hat. Diese kann nur Gott stellen. Die Probleme, die diese Forderungen zum Konflikt werden lassen, sind von Land zu Land und von Zeit zu Zeit verschieden. So waren es z. B. die Konzentrationslager in Deutschland während der Hitlerzeit und ist es das Bürgerrechtsproblem in Nordamerika. Sie verändern sich sogar von Christ zu Christ. Der eine spürt diese Auseinandersetzung über einem Problem und der andere nicht. Jesus gibt keine genauen Anweisungen zur Lösung jeder Loyalitätsfrage. Aber der Christ muß alles tun, um die Probleme und ihre Umstände zu erkennen, seine Loyalität zu finden und Gott mit gutem Gewissen zu dienen. Gerät er dabei mit dem Staat oder der öffentlichen Meinung in Konflikt, kann er schließlich seine Rechte, seinen Besitz oder sogar sein Leben verlieren. Wie Petrus auch tatsächlich sagt: «Aber selbst wenn ihr leidet um der Gerechtigkeit willen, werdet ihr gesegnet sein . . .«
Gott ist ein Gott der Ordnung und nicht der Unordnung, Er hat deshalb weltliche Regierung zum allgemeinen Wohl der Menschen eingesetzt. Sie ist in der Tat eine Obrigkeit von Gott (Römer 13, 1). Was könnte einleuchtender sein als die Überzeugung des Petrus, daß nach Gottes Willen die Gesellschaft den Eindruck göttlicher Ordnung auf ihrem Gesicht tragen soll!
Zur Zeit des Neuen Testaments waren die Regierungen nicht «christlich« in dem Sinne, wie wir es im Westen verstehen. Sie waren undemokratisch und heidnisch. Trotzdem rückten sie durch Gottes schicksalhaften Umgang mit den Menschen in die Stellung der Obrigkeiten vor (vgl. Psalm 75, 6. 7), aus der heraus sie Gehorsam und Loyalität fordern konnten. Vielleicht sind sie Diktatoren. Aber selbst dann ist eine solche Regelung besser als die Gesetzlosigkeit. Sollte allerdings eine Regierung Ansprüche stellen, die Gottes Forderungen widersprechen, so sind Christen von der Gehorsamspflicht entbunden. So wie ein Kind, das lasterhafte Eltern hat, ihnen nicht zu gehorchen braucht, auch wenn es dies normalerweise tun muß.
Trotz all ihrer Fehler und Unzulänglichkeiten sind wenige Regierungen von Grund auf schlecht. Man kann an den meisten etwas Gutes finden. Aber ob gut oder böse, die Schreiber des Neuen Testaments bestanden darauf, der bürgerliche Gehorsam sei eine christliche Pflicht, wenn er sich mit einem guten Gewissen vereinen ließe. Er wird den Christen als das eingeschärft, was dem Willen Gottes entspricht. Zu allen Zeiten wurden Christen beschuldigt, sie hätten sich gegen den Staat aufgelehnt. Eines der verbreitetsten Vorurteile gegen wahre Religion, das die Welt hegt, besagt, die Religion sei der Feind des Staates.
Es ist daher eine eindeutige christliche Pflicht, unter jedem Regime, sei es nun buddhistisch, hinduistisch, mohammedanisch, kommunistisch oder christlich, in allen zivilen Angelegenheiten gute, gehorsame Bürger zu sein. Mag ein Christ nun völlig mit der Politik und den Gesetzen seiner Regierung übereinstimmen oder auch nicht, so muß er doch der Obrigkeit in allem gehorchen, was seine religiöse Überzeugung nicht betrifft und was nicht im Widerspruch zu Gottes Willen steht.
Christen leben heute in der ganzen Welt unter schlechten, korrupten, unzulänglichen Regierungen oder auch unter zulänglichen aber autoritären und diktatorischen Regierungen. Und trotzdem: Es kann nicht mit der Beugung unter den Willen Gottes vereinbart werden, den ungesetzlichen gewaltsamen Sturz einer Regierung vorzubereiten oder an irgendeiner Art des bürgerlichen Ungehorsams teilzunehmen.
Die Taiping‑Rebellion, die von den Kommunisten als Bauernaufstand bezeichnet wurde, ging von Christen aus. Aber diese Rebellion war ein Zerrbild wahren Christentums und ist durch nichts zu rechtfertigen. Das Neue Testament schildert Christus oder die Gemeinde nie als Staatsfeinde, obwohl es das Paradoxe anerkennt, daß der Christ zwar in der Welt, aber nicht von der Welt ist. Er besitzt eine zweifache Bürgerschaft: in einem irdischen und in einem himmlischen Staat. Christus, Paulus und Petrus stimmen alle darin überein, daß sie sich der Obrigkeit unterordnen müssen und sie nicht außer acht lassen dürfen.
Der Herr selbst gibt vor Pilatus ein Beispiel des Untertanseins zur Nachahmung durch seine jünger. Das muß das Vorbild in China, Rußland, Osteuropa, Kuba oder auch in den Vereinigten Staaten sein, in denen die christlichen Neger schwerwiegenden Problemen gegenüberstehen.
Die einzige legale Tätigkeit, die im Neuen Testament vorgeschlagen wird, ist die, daß der Christ für die Obrigkeit betet, wenn er ein ruhiges, friedliches Leben in Gottesfurcht und Ehrbarkeit führen will. Es wäre schwierig, für diese Obrigkeit zu beten und gleichzeitig gegen sie zu rebellieren.
So weit, so gut. Wie steht es aber mit den religiösen Angelegenheiten? Ober dieses Thema erhoben sich in der ersten Gemeinde die größten Spannungen. Zu dieser Zeit war der Staat die höchste Macht. Somit mußte sich alles, auch die Religion, ihm unterordnen. Und doch weigerten sich die Christen ausnahmslos und in gemeinsamer Übereinstimmung, den Kaiser anzubeten. Sie weigerten sich ebenso, den örtlichen religiösen Behörden in Jerusalem zu gehorchen und das Predigen des Evangeliums aufzugeben (Apg. 5, 29). Aber es bestand hier doch ein Unterschied, denn hier lag kein Ungehorsam gegen bürgerliche Obrigkeiten vor.
Die Lage wurde durch die römischen Gesetze erschwert, die die Ausübung neuer Religionen und geheime Zusammenschlüsse verboten. «Diese Menschen bringen unsere Stadt in Aufruhr; sie sind Juden und verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen noch zu tun, weil wir Römer sind« (Apg. 16, 20, 21). Die Geheimhaltung von Zusammenkünften wie z. B. das Abendmahl, führte zur offenen Verdächtigung der Christen. Außerdem hatte ihre religiöse Überzeugung und der Wunsch nach einem hohen moralischen Niveau zur Folge, daß sie sich aus sozialen, geschäftlichen und politischen Gruppen zurückzogen, die auf irgendeine Art mit heidnischen Bräuchen zu tun hatten. Die Absage an das Böse und die Weigerung bei der Heirat oder im Geschäftsleben am gleichen Joch mit den Ungläubigen zu ziehen, bereitete den ersten Christen oft eine not.
Eines war jedoch klar: Der Christ kann zwar »Cäsar« seinen Körper unterordnen, jedoch nicht sein Gewissen und seinen Glauben. Unter gewissen Umständen kann der Ungehorsam gegen den Befehl des Staates nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht sein.
Die Schreiber des Neuen Testaments, besonders Petrus, lassen klar erkennen, daß das treue Festhalten an Christus den Christen unausweichlich Schwierigkeiten, Verfolgung und sogar den Tod bringen wird. Darum sagt Petrus: »Wappnet auch euch mit derselben Gesinnung wie Christus, der bereit war zu sterben« (l. Petr. 4, 1); d. h. sei darauf vorbereitet, für deinen Glauben, wenn nötig, auch zu sterben.
Audi während der zaristischen Zeiten übte der Staat in Rußland eine gewisse Kontrolle über die Kirche aus. Unter Lenin waren Kirche und Staat getrennt. Unter Stalin war die Kirche so lange geduldet, wie sie ihre Knie vor der Obrigkeit beugte. In den Jahren nach Stalins Tod war zuerst keine klare Religionspolitik zu erkennen. Aber sobald Chruschtschow 1959/60 seine Machtposition gefestigt hatte, begannen die örtlichen kommunistischen Behörden mit höheren Befugnissen, die sichtbare Struktur der Kirche durch Gewalt und unter Mißachtung des Gesetzes niederzureißen.
1961 (so Michael Bourdeaux in Church Times vom 22. März 1969) berief der Patriarch Alexeis innerhalb weniger als vierundzwanzig Stunden ein Bischofskonzil zu einer formellen Synode ein, die aufgefordert werden sollte, einer neuen Liste von Bestimmungen fast ohne jegliche formelle Diskussion zuzustimmen. Die Entscheidungen wurden der Kirche dann aufgehalst, ohne daß sie Zeit zum überlegen hatte. Man entzog ihr gewaltsam die Kontrolle über das Gemeindeleben und übergab sie einem Laienausschuß von vierundzwanzig Männern, die der Partei genehm waren. So trat eine von Grund auf atheistische Kontrolle an die Stelle der Selbstkontrolle der Kirche, und ihre Zerstörung schritt weiter. Mindestens 50 Prozent der zwanzigtausend orthodoxen Kirchen Rußlands wurden geschlossen.
In einer Diözese, in der des Erzbischofs Yermogen, wurden sie jedoch nicht geschlossen. Er weigerte sich, auch nur eine einzige Kirche zu schließen. Dafür verschwand er ein Jahr. 1965 führte er eine Delegation von acht Bischöfen an, die den Patriarchen aufsuchen wollte, wurde aber abgewiesen. Außerdem «überredete« der Ratsvorsitzende für Religiöse Angelegenheiten« den «Rat der Geistlichen der UdSSR«, Erzbischof Yermogen aus dem Amt zu entfernen. Ein Jahr später veröffentlichten zwei Priester einen Protestbrief und schickten jedem Bischof eine Abschrift. Sie erhielten zwar eine beachtliche Zustimmung, wurden jedoch beide aus dem Amt entlassen. Aber Erzbischof Yermogen hatte sich nicht einschüchtern lassen. Er verweigerte seine Distanzierung von der Haltung der beiden Priester und forderte weiterhin, der Patriarch solle sein Versprechen erfüllen und ihm eine Diözese geben, sobald eine frei werde. Im November 1967 appellierte Erzbischof Yermogen an den Patriarchen, auf dem legalen getrennten Status der Kirche zu bestehen und sich auf die Gesetze von 1929 zu berufen.
Der Patriarch ist neunzig Jahre alt, und die Frage seiner Nachfolge muß alle orthodoxen Christen Rußlands, das sind dreißig Millionen, beschäftigen. Der Staat wird zweifellos seinen eigenen Kandidaten aufstellen wollen, der sich der Regierung fügen würde. Aber eine sehr starke Gruppe unter Führung des Erzbischofs Yermogen fordert eine neue Zusammenkunft des Hauses der Bischöfe, um die Kirche wieder in Ordnung zu bringen.
Erzbischof Yermogen ist durch das Beispiel der russischen Baptisten ermutigt, die von der Regierung das Recht erhielten, alle drei Jahre einen Unionskongreß abhalten zu dürfen. So fordern Baptisten und Orthodoxe eine Rückkehr zur Herrschaft des Gesetzes. Die Stimme Erzbischof Yermogens ist eine Warnung an die ganze Kirche und besonders auch an die sowjetische Regierung.« Große Fragen der religiösen Freiheit stehen auf dem Spiel.
Aber was ist mit China? Bestimmte Tatsachen sind klar. Im Gegensatz zur ersten Gemeinde fehlte der chinesischen Kirche eine starke, geeinigte Führung. Als die kommunistische Regierung gebildet wurde, konnte sie nicht als eine Stimme auftreten um die «Kaiser‑ (oder Staats‑) Verehrung« zu verweigern. Sie war zu keiner Übereinstimmung über die Konsequenzen der Worte des Herrn gelangt: «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!«
Deshalb hatte es das «Büro für Religiöse Angelegenheiten« nicht schwer, den protestantischen Kirchen seinen Willen aufzuzwingen, obwohl es bei der katholischen Kirche auf größeren Widerstand stieß, weil sie eine entschlossenere Führung und gutformulierte Grundsätze hatte. Es war daher verhältnismäßig leicht, seine Politik, die protestantischen Kirchen unwirksam zu machen, durchzusetzen. Denn sie waren offenbar durch die ausgeklügelten Machenschaften der Patriotischen Drei‑Selbst‑Bewegung hilflos und bedeutungslos geworden.
Zu Beginn des Jahres 1968 führte die Liberalisierungspolitik Alexander Dubceks in der Tschechoslowakei zur Freude der Christen zu einer Freiheit von Kontrollen, die sie zwanzig Jahre hatten spüren müssen. Die Zukunft war voller Hoffnung. In Rumänien wünschten die Menschen eine ähnliche Liberalisierung, und die Regierung schien darauf einzugehen. Am 5. April 1968 prophezeite der Daily Telegraph« in der Tschechoslowakei, obwohl noch unter der Führung einer kommunistischen Partei, ein Erwachen geistiger Freiheit, das Nachlassen der Polizeikontrollen, eine freiere Presse und ein gewisses Recht, öffentlich zu protestieren.
Aber in Rußland wurde die sogenannte Liberalisierung« als Konterrevolution verleumdet, die eine Herausforderung an die orthodoxe marxistische Lehre, eine Bedrohung des Warschauer Pakts und eine Waffe gegen die UdSSR selbst darstellte. Und am 21. August besetzten die Staaten des Warschauer Pakts unter Anweisung Rußlands verräterisch die Tschechoslowakei. Kommunistische Parteien in der ganzen Welt verurteilten die Invasion und gaben ihrem Mitgefühl für die Menschen und die Kommunistische Partei in der Tschechoslowakei und deren Liberalisierungspläne Ausdruck. Das kommunistische China verurteilte zwar die Invasion, aber auch die ketzerische«, liberalisierende« und revisionistische« Politik Dubceks, die die Tschechoslowakei ‑ so behauptete China ‑ von den Russen gelernt habe.
Professor Hromadka, der tschechische Führer der Christen, protestierte bei der Sowjetischen Botschaft aufs heftigste gegen die Aktion Rußlands. Gleichzeitig appellierte er an alle Christen, in der neuen, veränderten Lage christliche Würde und Solidarität zu bewahren. Und doch sehen die Tschechen seit der Besetzung ihres Landes durch fremde Truppen der Zukunft mit bösen Ahnungen entgegen, wenn die Russen ihre Haltung nicht grundlegend ändern.
Die kommunistische Welt ist uneins. Die ausbrechende Revolte gegen die stalinistische Gewaltherrschaft ist mächtig. Sollte die Zeit kommen, in der sich in China eine liberale Politik durchsetzt und die Kirche ihre konstitutionelle Freiheit wiedererlangt, so möchte man innig hoffen und beten, daß das Beispiel der russischen und tschechischen Kirchen zur Kenntnis genommen wird, daß die chinesischen Christen ihre von der Regierung aufgezwungene Zwangsjacke ablehnen, in echter Freiheit ihre kirchlichen Angelegenheiten versehen und ihr religiöses Leben ohne Einmischung des Staates führen können.

8. KAPITEL
MISSIONARISCHE ARBEIT IN DEN AUGEN DES KOMMUNISMUS

1950 holten die chinesischen Kommunisten zu ihrem Schlag gegen christliche Missionen und Missionare aus. Achtzehn Jahre dauerte die Verleumdungskampagne, die das Ziel hatte, die missionarische Tätigkeit von Grund auf in Mißkredit zu bringen. Der Missionsbewegung wurden alle Arten von Verbrechen vorgeworfen, und das mit einer solchen Beharrlichkeit, daß manchmal sogar die chinesische Kirche von der Wahrheit überzeugt werden mußte. Tatsächlich brachten Y. T. Wu und andere führende Christen diese Verleumdungen in der nationalen Presse und in öffentlichen Verlautbarungen eindeutig zum Ausdruck.
Was werfen die Kommunisten den Christen, besonders den Missionaren, vor? Es ist nötig, uns mit dieser Kritik auseinanderzusetzen, sie genau zu untersuchen, um herauszufinden, wieweit sie zutrifft, anstatt diese Vorwürfe nur abzustreiten. Ehrlichkeit ist das mindeste, das von uns verlangt wird, und Selbstkritik ist kein kommunistisches Monopol.
Die Kritik kann unter sieben Punkten zusammengefaßt werden:
1. Das missionariscbe Unternehmen war von Anfang an ein Werkzeug der kolonialen Ausdehnung im Ausland und unzertrennlich mit der imperialistischen Politik und Aggression verbunden.
2. Missionare standen im Dienst imperialistischer Regierungen und sollten diese in ihrer Aggression unterstützen.
3. Missionare benutzten das Geld, um chinesische Christen zu bestechen und sie zu zwingen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Folglich war die Kirche ein Werkzeug des Imperialismus.
4. Missionare verbreiteten Lehren, die nichts anderes als imperialistisches Gift in den Gedanken derjenigen waren, die sie annahmen.
5. Missionare gebrauchten Schulen und Sonntagsschulen, um die Gedanken der Jugend mit dem Imperialismus zu verderben.
6. Missionare beherrschten und kontrollierten die Kirchen auf imperialistische Art.
7. Missionare benützten konfessionelle Unterschiede als Plan zur Spaltung und Herrschaft.
Wir sollten auf jeden dieser Punkte der Reihe nach verständnisvoll und ehrlich eingehen.

1. Das missionarische Unternehmen war vor Anfang an ein Werkzeug der kolonialen Ausdehnung im Ausland und unzertrennlich mit der imperialistischen Politik und Aggression verbunden.
Wenn man dies vom Standpunkt eines nichtchristlichen Afrikaners oder Asiaten betrachtet, so trifft es zu. Geschichtlich gesehen verlief die Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt parallel zur imperialistischen und kolonialen Ausdehnung des Westens. Im Falle Afrikas erforschte der Missionar David Livingstone das riesige Innere des Landes, und es folgten koloniale Regierungen. China wurde als Folge der Opiumkriege eine Abmachung aufgezwungen, die ausländische Kaufleute berechtigte, in China zu wohnen und Handel zu treiben. Dadurch wurde der Weg für Missionare frei, um allen Menschen die Frohe Botschaft von Christus zu bringen.
Vom christlichen Standpunkt aus gesehen, war das Vordringen des Evangeliums nach China im ganzen gesehen etwas Gutes, auch wenn es den Kaufleuten auf dem Fuße folgte. Es ist jedoch leicht zu erkennen, daß dieses Zusammentreffen von Sun Yat-sen bis Mao Tse‑tung falsch ausgelegt wurde, als wären die christliche Mission und ihre Missionare ein Bestandteil des imperialistischen Expansionsprogrammes. Dieses zeitliche Zusammentreffen ist zwar unglücklich, aber es wurde von den Feinden des Christentums völlig falsch ausgelegt. Die Geschichte Chinas wurde neu geschrieben, um die Missionsbewegung darin in das möglichst schlechteste Licht zu stellen.

2. Missionare standen im Dienst imperialistischer Regierungen und sollten diese in ihrer Aggression unterstützen.
Die meisten chinesischen Christen konnten es kaum verstehen, daß die Missionare nicht direkt von ihren Regierungen angestellt und bezahlt wurden. Alle Versuche, sie vom Gegenteil zu überzeugen, schlugen fehl. Die Folge war, daß man glaubte, die Missionare seien alle in politische und kulturelle Tätigkeiten für den Imperialismus verwickelt.
Das ist jedoch völlig falsch. In Wirklichkeit waren Missionare in der ersten Zeit von ihren Regierungsvertretern überhaupt nicht gern gesehen, und das Britische Unterhaus protestierte sogar gegen ihre Anwesenheit in China. Keiner von ihnen erhielt jemals direkte oder indirekte Bezahlung von Regierungen, sondern sie wurden vom freiwilligen Opfer der Christen in aller Welt unterstützt. Die Anklage wurde manchmal aus Unwissenheit und manchmal aus Bosheit erhoben.
Einige der Tätigkeiten und Einstellungen, die damals vollkommen harmlos waren, können im Licht des heutigen Nationalismus als verdächtig, wenn nicht sogar als staatsgefährdend angesehen werden. Aber es ist ungerecht, heutige Kriterien auf Dinge anzuwenden, die fünfzig oder mehr Jahre zurückliegen.
Es ist als unwahr erwiesen, daß Missionare dem amerikanischen Geheimdienst angehörten, auch wenn einige ihrer Berufung untreu wurden und andere zum Kommunismus überwechselten.

3. Missionare benutzten das Geld, um chinesische Christen zu bestechen und sie zu zwingen, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Folglich war die Kirche ein Werkzeug des Imperialismus.
Ohne Zweifel verwandten Missionare große Geldsummen auf die Schulung und Unterstützung der chinesischen Christen als Pfarrer, Evangelisten, Gemeindehelfer, Lehrer, Ärzte, Zeitschriftenhändler, Verwalter usw. Damit brachten sie diese Menschen unabsichtlich in die Lage, von den antichristlichen Nationalisten und Kommunisten nach dem ersten Weltkrieg als „laufende Hunde der Imperialisten“ angesehen zu werden.
Die Missionsgelder dienten zu nichts anderem; ihr alleiniger Zweck war, die Kirche aufzubauen und das Evangelium zu verbreiten. Aber es ist auch ganz natürlich, daß die Missionare durch die Kontrolle der Gelder auch die Kontrolle über andere Dinge erhielten. Sie haben hoffentlich ihre Lektion in der dornigen Angelegenheit der Verwaltung von Missionsgeldern gelernt. Geld von ausländischen Quellen, das nationalen Kirchen geschenkt wird, bedeutet fast immer einen Mühlstein um den Hals der Kirche und ein großes Hindernis auf dem Wege des Fortschritts.

4. Missionare verbreiteten Lehren, die nichts anderes als imperialistisches Gift in den Gedanken derjenigen waren, die sie annahmen.
Eine genaue Überprüfung der sog. „giftigen Lehren“ ergab, daß sie von einer Art waren, die nicht in die kommunistische Ideologie paßte. Z. B.: Alle Menschen sind Sünder; der Mensch kann sich nicht selbst erretten; der Zustand der Gesellschaft wird immer schlimmer; die Zeiten verfinstern sich; Christus kommt wieder, um seine Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens zu bringen.
Als man erkannte, daß diese Gedanken im Gegensatz zur kommunistischen Lehre standen, wurden sie schnell als „Gift“ abgestempelt. Aber christliche Gedanken, die zufällig nicht mit dem Marxismus‑Leninismus übereinstimmen, sind nur Gift für Kommunisten. Für andere sind sie das Wasser und Brot des Lebens.

5. Missionare gebrauchten Schulen und Sonntagsschulen, um die Gedanken der Jugend mit dem Imperialismus zu verderben.
Die Missionare gebrauchten zweifellos die Schulen, um für eine gute Erziel‑iung der Kinder aus christlichen und auch aus niditchristlidien Familien zu sorgen, wenn diese es wollten. Man lehrte sie die Wahrheiten des Christentums, und nach der Nationalistischen Revolution von 1911 wurde ein Lehrplan eingeführt, der sich an den des Westens anlehnte. Das geschah auf die allgemeine Forderung des chinesischenVolkes hin.
Die Missionare schämen sich des großen Beitrags zur modernen Erziehung Chinas nicht, deren Pioniere sie waren. Wenn zeitweise die Versuchung nahe lag, zu glauben, die Verbreitung der westlichen Kulturen und der westlichen Lebensart bildeten einen Teil der missionarischen Ziele, so handelten sie manchmal fälschlicherweise in dem Glauben, dies sei für das chinesische Volk am besten. Die Sonntagsschulen waren bestimmt kein „unehrenhaftes System zum Schaden der Kinder“, und ihr Lehrplan umfaßte keinen politischen Unterricht, obwohl natürlich vieles, was die Kinder hörten, nicht mit der kommunistischen Ideologie übereinstimmte.

6. Missionare beherrschten und kontrollierten die Kirchen auf imperialistische Art.
Hier würden nur wenige die Richtigkeit der Anklage abstreiten. Am Anfang brachten die Missionare größeres Wissen, Erfahrung und Charakterstärke mit sich nach China und übernahmen deshalb automatisch die Führung innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Im allgemeinen nahmen die Chinesen die Lage als selbstverständlich hin. Aber man sieht jetzt deutlich, und gibt es auch ohne Umschweife zu, daß die Missionare viel zu lange an ihrem Recht festhielten und versäumten, geeignete Männer der chinesischen Kirche mit der Führung und der Verantwortung zu betrauen.

7. Missionare benützten konfessionelle Unterschiede als Plan zur Spaltung und Herrschaft.
Trotz früherer Versuche der London Missionary Society, Missionsgesellschaften ohne konfessionelle Vorurteile zu gründen, war vor hundert Jahren das Gewissen über „unsere Spaltungssünden“ nicht so empfindsam wie heute. Es schien ziemlich natürlich, ja sogar unvermeidlich, den Grundsatz der Konfessionen zusammen mit dem Evangelium ins Ausland zu tragen. Im Lichte der Geschichte ist es nun leicht, die Verwirrung zu sehen, die dieses Unternehmen anrichtete und noch anrichtet. Aber die Behauptung, Missionare hätten die Konfessionen ausgenützt, um ihre Kontrolle über die Kirche zu erhalten, ist offenkundig falsch.
Um noch einmal zusammenzufassen: Während es Tatsachen gibt, die es Menschen mit bösen Absichten und Feinden des Evangeliums ermöglichen, die Anklage zu rechtfertigen, die Missionare seien imperialistische Agenten gewesen und bildeten immer noch einen Teil eines imperialistischen Anschlags auf die chinesische Kirche, so hätte doch ein unparteiischer Richter alle Tatsachen erörtert und diese Anschuldigung für völlig unwahrhaftig erklärt, soweit es sich um China handelt. Daß die Missionare die Gedanken und kulturellen Bräuche des „imperialistischen“ Westens und besonders der viktorianischen Zeit mit sich brachten, war unvermeidbar. Aber in keiner Weise verbreiteten sie absichtlich den Imperialismus. Und in den letzten Jahrzehnten vollzog sich ein stetiger Umschwung der früheren Tendenzen.

9. KAPITEL
DIE ENTWICKLUNG CHINAS – UNSERE ZUKUNFT

China ist eine Nation und seine Bevölkerung eine Rasse, die man nicht übergehen kann. Es wird eine zunehmend bedeutende Rolle in der Welt spielen. Im Guten oder im Bösen werden die Ereignisse in China unsere Zukunft und besonders die unserer Kinder und Kindeskinder bestimmen. Die alte Kultur, die hervorragenden Fähigkeiten, die verschiedenen Geschicklichkeiten, die Industrie, die riesigen Bodenschätze, die Anpassungsfähigkeit und die rein zahlenmäßige Bedeutung des chinesischen Volkes machen es vielleicht zur größten Rasse der Erde. Seine überlieferte, tolerante Menschlichkeit könnte vielleicht einen Einfluß darstellen, der zur Harmonie und zum Wohl der Welt beitragen könnte. Anderseits sind der geschürte Haß, die sklavische Unterwerfung und die verantwortungslose kommunistische Führung eine ernste Bedrohung für die übrige Welt, ganz besonders, seit China Atommacht ist.

Verschiedene Meinungen
Chinakenner in Hongkong sind verschiedener Meinung über die Zukunft der Kirche Jesu Christi in China. Einige befürchten, sie werde ähnlich wie die Gemeinde in Nordafrika und Kleinasien im ersten Jahrhundert allmählich zerstört, wozu auch starke Gemeinden wie Ephesus, Smyrna und Philadelphia gehörten. Andere sehen die Zukunft der chinesischen Kirche etwas optimistischer und erwarten eine Zeit, in der eine beschränkte Rückkehr nach China für Chinesen und andere Asiaten möglich wird. Eine dritte Gruppe ist jedoch der Meinung, daß nur Chinesen, die die Revolution miterlebten, in der Lage sein werden, ihrem Volk zu dienen, und daß die Zeit für Angehörige des Westens, ja sogar für die im Westen geschulten und westlich orientierten Chinesen endgültig vorüber ist. Dann gilt es noch diejenigen, die glauben, daß wir uns auf jede Möglichkeit vorbereiten müssen, auch auf die Möglichkeit der Rückkehr westlicher Christen nach China.
China ist mit einem Viertel der Weltbevölkerung das größte nichtevangelisierte Gebiet der Welt. Aber jetzt sind die Tore nach China fest verschlossen, und die chinesische Kirche ist von anderen Kirchen völlig, getrennt. Gegenwärtig liegt die Aussicht, der chinesischen Kirche Hilfe zu bringen, nach menschlichem Ermessen in weiter Ferne. Wenn auch die Tumulte in China, die zeitweise in Bürgerkriege ausarteten, die Hoffnung des „Freien China“ oder Taiwans schürten, daß der Zusammenbruch und eine nationalistische Rückkehr auf das Festland in Sicht komme, so übersehen doch diese Wunschgedanken die Tatsache, daß der gegenwärtige Kampf kein Kampf zwischen Kommunisten und deren Gegnern ist, sondern ein ideologischer Kampf zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Kommunistischen Partei. Kampf ist ein Teil der kommunistischen Ideologie, und es ist Vorsicht geboten, wenn man die Ergebnisse des gegenwärtigen Durcheinanders voraussagen will. Und doch ist bei Gott kein Ding unmöglich!

Ist eine Liberalisierung möglich?
Man kann die zukünftige Entwicklung nur sehr vorsichtig abschätzen. Wenn die Ereignisse den traditionellen chinesischen Weg einschlagen, so wird zuletzt der gemäßigte, praktische Menschenverstand der Chinesen über die Dogmatik siegen. Mao Tse‑tungs Nachfolger wird mit großer Wahrscheinlichkeit die intellektuelle, gemäßigtere Gruppe des chinesischen Kommunismus vertreten. Diese wünscht eine beschleunigte Mechanisierung der Wirtschaft und der Streitkräfte, vielleicht sogar mit russischer Hilfe. Wäre es denkbar, daß ein derartiges neues Regime die konstitutionelle Freiheit der religiösen Einrichtungen Chinas wiederherstellt, wie wir es auch nach der Liberallsierung in der Tschechoslowakei sahen, oder wäre eine neue kommunistische Staatsform kaum liberaler als in Rußland, wo heute an eine Missionierung nicht zu denken ist? Vielleicht erhalten die Christen ihre Kirchengebäude zurück und können ihre Gemeinden neu sammeln, wie von mancher Seite vermutet wird. Möglicherweise ist es von Bedeutung, daß die „Drei‑Selbst‑Bewegung“ auf dem Papier noch besteht. Sie könnte wiederbelebt werden, klüger vielleicht und unter einer anderen Führung, befreit von aller Vorherrschaft der Regierung und mit einem evangeliumsgemäßeren Programm als vorher. Die Zukunft könnte damit ungeheure Möglichkeiten für die Kirche Christi mit sich bringen. Wenn sich das bewahrheitet, wird die Kirche der größten evangelistischen Herausforderung aller Zeiten gegenüberstehen.

Wer könnte zurückkehren?
Sollte sich diese Hoffnung erfüllen, so wird die chinesische Kirche jede Hilfe benötigen, die ihre Schwesterkirchen im Ausland aufbringen können. Sie wird zweifellos die Hunderte von chinesischen Christen aus Hongkong, Taiwan und von anderen Gebieten auf dem Festland willkommen heißen, die sich auf diese Möglichkeit vorbereitet haben. Kann nicht die Existenz so vieler Mensdien mit derselben Vision ein Anzeichen dafür sein, daß Gott ihre Gebete erhören wird und die Tore zum Festland wieder öffnet? Außer den Chinesen würde das Willkommen gewiß audi anderen Asiaten gelten wie z. B. Koreanern, Japanern, Indonesiern oder Indern. Seit 1950 machte sich das chinesische Volk mit dem Kommen und Gehen großer Mengen »ausländischer Gäste« aus aller Welt vertraut. Und auch die »christlichen« Gäste aus anderen asiatischen Ländern waren im neuen China nicht verdächtig.
Jedoch muß ein Willkommen für Amerikaner von seiten des chinesischen Volkes als eine weit entfernte Möglichkeit betrachtet werden. Zwanzig Jahre eingeimpften Hasses gegen die sog. „US‑Imperialisten“, die Bitterkeit über den Vietnamkrieg, der US‑Schutz Taiwans und der Rassenkampf in den USA entfremdeten die Amerikaner und das chinesische Volk völlig. Kanada und Großbritannien hielten die diplomatischen Beziehungen zu China aufrecht. Australien und Neuseeland werden von Peking etwas wohlwollender als andere westliche Nationen betrachtet. Aber das Willkommen für Angehörige des britischen Commonwealth würde in China bestimmt nicht überschwenglich ausfallen.
Auf jeden Fall sollten wir uns folgende Fragen stellen:
Ist die christliche Kirche darauf vorbereitet, wenn sich die Tore Chinas plötzlich öffnen sollten? Haben wir eine gut durchdachte Strategie oder einen Plan? Was für eine Kampftruppe wird ausgebildet? In welcher Lage würden wir uns befinden? Wie würden wir das Evangelium in einem von Grund auf veränderten China vortragen? Welche Fehler der Vergangenheit würden wir zu vermeiden suchen?
Dies sind Fragen von mehr als akademischem Interesse. Sie sind von größter Bedeutung, wenn wir glauben, daß Gott die über eine Milliarde Menschen in China nicht verworfen hat. Solche Fragen müssen betend erörtert und von entsprechenden Taten gefolgt sein. Es wäre verbrecherisch, wieder so unvorbereitet eine Arbeit aufzunehmen, wie es bei der christlichen Kirche z. B. nach dem letzten Krieg in Japan der Fall war. Und wie tragisch wäre es, eine bunte Horde schlecht vorbereiteter und schlecht ausgerüsteter, ungeordneter und unbesonnener, wenn auch begeisterter „Missionare“, Asiaten, Amerikaner oder Europäer, auf eine argwöhnische, ja feindlich eingestellte Bevölkerung loszulassen! Der Gedanke an Hunderte von Gesellschaften unter verschiedenen Fahnen und verschiedenen Erkennungszeichen auf dem Marsch in die Höhle des kommunistischen Löwen läßt den Verstand stutzen. Wie gut ist die Kirche wirklich vorbereitet?

Die Situation im veränderten China
Können wir uns zunächst einmal ein Bild über das China machen, das wir vorfinden werden, wenn die gegenwärtigen Unruhen als Folge der Kulturrevolution aufhören? Es wäre ein China, das sich so vom China unterscheidet, das die Missionare 1951 verließen, wie sich Deutschland heute von dem vor hundert Jahren unterscheidet. Fortschritte, die im Westen einige Generationen andauerten, bewältigte China in einer einzigen Generation. Die Fortschritte der Industrie, der Landwirtschaft, im Verkehrswesen, in der Technik, im Gesundheits‑ und Sozialwesen sind überwältigend. Das nette China ist in vieler Hinsicht fast nicht mehr wiederzuerkennen. Während der letzten Jahre wurden in Europa und Asien Zentren zum Studium des Kornmunismus errichtet. Die Christen können es sich nicht leisten, im Studium der chinesischen Gesellschaft, Wirtschaft und der Auslandsbeziehungen hinter den anderen zurückzustehen, wenn sie begreifen wollen, was mit den Christen auf dem chinesischen Festland geschieht, und wenn sie die Bedingungen erfüllen wollen, die sie bei ihrer Rückkehr nach China vorfinden werden.

Tatsachen zum Nachdenken
1. Wir sollten uns mehr Zucht und Ordnung, Reinheit und Disziplin zu eigen machen. Alle Besucher Chinas, ob Geschäftsleute, Wissenschaftler oder Angehörige einer Kirche, sind von dem Unterschied zwischen dem heutigen China und dem alten China mit seinen Mängeln und der tatenlosen Regierung beeindruckt. Staatserziehung, Gesundheits‑ und Wohlfahrtsorganisationen übernahmen oder ersetzten die missionarischen Einrichtungen, für die kein Platz mehr vorhanden ist.
Was auch immer die Christen nach China bringen wollen, es wird bestimmt nicht nur Menschenliebe, soziale Wohlfahrt oder Wohltätigkeit sein können. Diese institutionelle Art des Beitrags ist für immer vorbei.
2. Die zwanzigjährige, gründliche Umschulung hat das Denken des ganzen Volkes, auch der Christen, weitgehend beeinflußt. Ihre politischen und internationalen Ansichten werden sehr eng sein, da ihnen objektive Informationen und freie Diskussionen verweigert wurden. In der Industrie des neuen China war die Propaganda am wirkungsvollsten.
3. Wir würden auf abgrundtiefen Haß gegen die Amerikaner und andere „imperialistische Länder“ stoßen, die beschuldigt werden, hinter den Mißständen dieser Welt zu stehen und das Haupthindernis der neuen, sozialen Ordnung auf der Grundlage der Gerechtigkeit zu sein. Als Imperialisten“ würden auch unsere Beweggründe zu einer Rückkehr nach China höchst verdächtig erscheinen.
4. Die meisten von uns würden sich noch schwerer tun, die Zeitungen zu verstehen. Einmal führten die Chinesen eine neue, vereinfachte Schrift ein, die nicht sehr leicht ohne Studium zu lesen ist. Aber was die Dinge noch erschwert, ist, daß die Ausdrücke des täglichen Lebens, die Redewendungen und der Wortschatz große Veränderungen durchmachten. Es wird allgemein eine kommunistische Umgangssprache verwendet. Die Sprache der einfachen Menschen wurde so anders, daß eine normale Verständigung am Anfang äußerst schwierig wäre. Ein gemeinsamer Punkt der Verständigung könnte nur sehr schwer erreicht werden.
5. Bei den Kindern würden die „großen“ Nasen der Menschen aus dem Westen dieselben alten Kommentare hervorrufen. Aber auch in anderen Beziehungen erscheinen wir ihnen wie Leute von einem anderen Planeten. Die jüngeren Chinesen wurden schon fast von der Wiege an vom dialektischen Materialismus bestimmt. Sie kennen keine andere Philosophie als den Materialismus. Wir fänden also zum größten Teil Atheisten vor, die die Christen als Dummköpfe und unwissenschaflliche „rückständige Elemente“ verachten. Der Unterschied zwischen den Generationen käme viel deutlicher als im Westen zum Ausdruck, und es wäre so gut wie unmöglich, die Kluft zu überbrücken.
6. Aber wir könnten auch sehen, daß Dingen wie Aberglauben, Ahnenverehrung und Götzendienst, die einst das große Hindernis auf dem Wege des Evangeliums darstellten, ein tödlicher Schlag erteilt wurde. Wir stünden daher in sozialer, intellektueller, religiöser und psychologischer Hinsicht einer Situation gegenüber, die wir nur mit der Weisheit und Kraft Gottes, die er seinen Knechten gewährt, bewältigen könnten. Jeder, der ungenügend vorbereitet wäre, erhielte vor Ablauf einiger Wochen einen ernsthaften »Kulturschock«. Diese Aufgabe ist ungeheuer. Aber unter der Führung des Geistes Gottes, der für jede Situation ausreicht, würden die Christen von den sich anhäufenden Schwierigkeiten nicht erdrückt. Evangelische Christen sollten zusammen beten, zusammen planen und eine gründlich ausgerüstete, internationale Truppe ausbilden, die bereit ist, wenn die Zeit kommt, einzurücken.

Strategie einer Verkündigung für Kommunisten
1. Die Rückkehr nach China sollte sich nicht auf eine Missionsgesellschaft gründen, sondern ein Unternehmen auf Kirchenbasis sein. Keine ausländische Missionsgesellschaft, kein Missionskomitee sollte als solches versuchen, auf einer Gesellschaftsgrundlage zurückzukehren. Es darf keine Wiederholung der vielschichtigen Gesellschaftssituation mehr geben. Es wäre daher ratsam, die evangelischen Kirchen Hongkongs zu vereinen, damit sie für Christen der Kanal nach China werden können. Ihr Gegenüber in China bildeten dann die sie willkommen heißenden Kirchen auf dem Festland. Ist dies zu idealistisch gedacht, so bestände vielleicht folgende Möglichkeit:
2. Ein gemeinsamer Annäherungsversuch an die Kirche Chinas könnte von einer repräsentativen Einrichtung im Ausland vorgenommen werden, die die Rückkehr ausgewählter Missionsarbeiter einleitet. In diesem Falle müßte jedoch eine chinesische Kirchenorganisation die gesamte Kirche Chinas vertreten können und die Verhandlungsgruppe genauso alle Organisationen mit dem größten Interesse an China repräsentieren.
Nicht jeder wird die Vorschläge akzeptieren, die ein katholischer Priester in den USA während einer Vorlesung machte. Aber er hat im Grunde genommen recht, wenn er sagt: »Ich bin der Meinung, wenn der Tag der Wiederaufnahme der Kontakte zur chinesischen Kirche wirklich kommt, so sollten diese nicht über einen Missionsausschuß oder durch nationale Missionsgesellschaften hergestellt werden. Meine Hoffnung richtet sich auf eine internationale, neutrale Gruppe von nichtnationalem Charakter. Es wäre auch zu wünschen, daß die ökumenische Bewegung bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Festland der missionarischen Tätigkeit wieder offensteht, einen solchen Entwicklungsstand erreicht hat, daß das Wort Gottes ohne Wiederholung der Bemühungen und ohne den Konkurrenzkampf, der heute in vielen Ländern auftritt, gepredigt wird.«
Es liegt Weisheit in diesen Worten, aber sie weisen auch auf eines der heikelsten Probleme hin, das die Rückkehr nach China erschwert. Ganz besonders für die voraussichtlichen Missionare, und das ist die Mehrheit, die dem Weltkirchenrat nicht angegliedert sind. Trotzdem ist etwas Derartiges gewiß wichtig, um eine so unglückliche Verwirrung wie vor der kommunistischen Ära zu verhindern. Auch wenn es Evangelischen schwerfällt, mit denen zusammenzuarbeiten, die ein »anderes Evangelium« predigen, so sollte es wenigstens nicht zu schwierig sein, sich untereinander auf eine gemeinsame Politik zu einigen.
3. Bevor ein endgültiges Programm festgelegt wird, müßte als erster Schritt die Gemeinschaft mit den Kirchen Chinas gesucht werden.
Die trennende Kluft ist breit und tief. Es wird viel Zeit brauchen, die enge Gemeinschaft in Christus zu erneuern. Mißverständnisse müssen gefunden und die Kritik anerkannt werden. Demut ist auf beiden Seiten wichtig. Wir, die wir keine Verfolgung durch den Kommunismus erlitten, werden uns zu Füßen der chinesischen Christen setzen müssen und die Lektionen mit ihnen teilen, die sie Gott im Leiden gelehrt hat. Sie wiederum werden nach dem Trost des Wortes hungern, nachdem sie so lange ohne Bibeln und ohne biblische Seelsorge auskommen mußten. Wir wären außerdem auf ihren Rat angewiesen, wie wir sieben‑ bis achthundert Millionen Menschen mit dem Evangelium erreichen und die neue Lage in China erfassen können. Stürzten wir uns mit unseren eigenen Plänen darauflos und übergingen dabei den zutiefst verwundeten Körper Christi in China, so hieße das, den Mißerfolg heraufbeschwören.
4. Im Austausch mit der Kirche würde uns bald klar, daß kein Gedanke daran sein kann, einfach zur Lage vor 1948 zurückzukehren.
Das Evangelium veränderte sich nicht, aber einige Formen, die früher in der Verkündigung angewandt wurden, wären höchstwahrscheinlich nicht mehr annehmbar. Die übliche Verfahrensweise und die evangelistische Umgangssprache würden das Eis bei einer Generation, die nur Marx und Mao kennt, nicht auftauen. Ein paar Methoden könnte man vom Kommunismus borgen, der sie ja ursprünglich vom Christentum entlehnte und für sich anwandte.
Man müßte auch ein Bibelverständnis übermitteln in der Art, wie Kommunisten die Gedanken Maos einimpfen.
Bei einem Zusammentreffen mit einigen Führern der China-Inland‑Mission in Schanghai im Jahre 1951 wurde Watchman Nee, der von einigen Kollegen begleitet wurde, gefragt, in welcher Funktion wir nach China zurückkehren sollten, falls sich die Tore jemals wieder öffneten. Darauf antwortete er: „Als lehrende Alteste in unseren Kirchen!“ Er erklärte, die Evangelisierung würde am besten von den Chinesen selbst unternomrnen. Aber das Lehren der Bibel in den Kirchen sei ein Amt, für das uns unsere Erfahrung und jüngerschaft ausgerüstet habe. Die Beschaffung von Literatur und Rundfunkseiiduti“cn wäre von großer Bedeutung, soweit sie erlaubt würden, aber auch sie müßten den Bedürfnissen und dem Charakter des neuen China entsprechen.
5. Es ist wichtig, die kommunistische Ideologie zu verstehen, damit wir das Evangelium entsprechend kraftvoll verkündigen können. Evangellsten sind manchmal der Meinung, das Predigen des Evangeliums bestehe nur in der Wiederholung bestimmter Lehren über Gott, Mensch, Sünde, Kreuz, Glaube, Himmel und Hölle (und das für gewöhnlich in der abendländischen Denkweise). Für Moslems, Buddhisten oder Hindus scheinen wir dasselbe Thema zu haben wie sie, nur daß sie es in östlicher Form tun. Oder sie empfinden es als seltsames Märchen einer fremden Religion: interessant, aber nicht annähernd so befriedigend wie die ihrige. Eine Verkündigung unter dem Kommunismus wäre mit ähnlichen Problemen verbunden. Er befaßt sich mit dieser Welt, nicht mit der zukünftigen, mit Armut, Hunger und Ungerechtigkeit, nicht mit der Sünde, mit dem Körper und nicht mit der Seele.
Bei einer Konferenz, die vor einiger Zeit in Malaya stattfand, enthüllte die Gruppendiskussion unter jungen chinesischen Christen, wie wenig sie über das Zeugnis gegenüber Andersgläubigen in ihrem eigenen Land wußten. Es ist daher ein viel eingehenderes Studium des Kommunismus notwendig als nur über die Grundzüge, die im 4. und 5. Kapitel dieses Buches beschrieben sind. Erst dann kann man die Fehler und wunden Punkte des Marxismus richtig einschätzen.
Der Christ muß auf Debatten, Zwiegespräche und Diskussionen vorbereitet sein, wenn er diejenigen überzeugen will, die der christlichen Wahrheit gegenüber voreingenommen sind. Aber sind wir auf all diese Anforderungen verstandesmäßig und geistlich vorbereitet? Eine rein negative antikommunistische Einstellung würde nur Widerspruch hervorrufen und das Ziel verfehlen, die harten Herzen und verfinsterten Gedanken dem Evangelium zugänglich zu machen.
Mitglieder des Kampftrupps müssen nicht nur in der christlichen Apologetik und der marxistischen Dialektik Bescheid wissen, sondern es müssen auch vom Geist Gottes erfüllte Männer und Frauen sein, wenn sie es mit den chinesischen Massen, deren Gedanken vom Kommunismus erfüllt sind, aufnehmen wollen.
6. Es ist wichtig, nicht nur halbe Wahrheiten und zweifelhafte Behauptungen zu verbreiten, wie es in der Vergangenheit verschiedentlich der Fall war, sondern die positive Gewißheit des christlichen Glaubens zu verkünden.
Es wäre verheerend, brächten wir die theologischen Zweifel und gegenwärtigen verschleierten Theorien, die unsere westlichen Kirchen plagen und sowohl die Kirchenstühle als auch die Kanzeln leerfegen.
Um gegen die eindeutigen Behauptungen und die tiefe überzeugung der Marxisten anzukommen, müssen die Christen eine eindeutige, maßgebende, kompromißlose biblische Botschaft verkündigen. Christlicher Liberalismus bietet der Welt, ganz besonders der kommunistischen, eine völlig unzulängliche Botschaft. Wir müssen zeigen, daß Gott lebendig und nicht tot ist. Christus muß als der Herr der Welt und als einziger Retter der Menschheit verkündet werden.
7. Unter Jugendlichen wäre es ratsam, kleine Gruppen oder zellenartige Zusammenkünfte zu bilden, wie es ihnen von den Kommunisten her vertraut ist.
Schon bevor der Kommunismus in China an die Macht kam, übten christliche Studenten in Peking eine seiner Verfahrensweisen. Einige ihrer Führer pflegten Zusammenkünfte, in denen von allen eine aufriditige selbstkritische Beteiligung gefordert wurde. Solange man die Gefahren kennt, kann man diese typische kommunistische Übung mit Gewinn praktizieren, um eine enge Gemeinschaft unter den Christen zu schaffen.
Christliche Gemeinschaft muß mehr sein als nur ein Gegenstück zu der glühenden Kameradschaft innerhalb der kommunistische Gesellschaft. Sie sollte den Charakter der Gemeinschaft haben, die an vielen Universitäten in der Nachkriegszeit unter christlichen Studenten zu finden war, bevor sich der Kommunismus durchsetzte.
8. Wir müßten einen einfachen Lebensstil annehmen und jede Selbstgefälligkeit meiden.
Es ist eigentlich überflüssig zu betonen, daß Missionsausschüsse nicht versuchen sollten, ihre früheren Grundstücke, Häuser oder Finrichtuiigen zurück zu bekommen. Es wäre in einer sozialistischen Gesellschaft untragbar, eine Ausnahmestellung und größereii Reichtum zur Schau zu tragen oder sich gar dem Luxus hinzugeben und auf Erleichterungen zu bestehen. Die)’enigen, die hlissionsarbeit in kommunistischen Ländern tun wollen, inüßten darauf vorbereitet sein, die Unterkunft und die Bedingungen anzunehmen, für die die einheimischen Kirchen gesorgt haben.Es istnötig,daß siemitspartanischereinfachheitzufriedell sind und ein enges Verhältnis zu der Bevölkerung suchen.
9. Es wäre ratsam, daß Missionare so wie der Apostel Paulus ihren Unterhalt selbst verdienen würden.
Die bisherige Vorstellung der Eingeborenen über Missionare ist oft nicht gerade schmeichelhaft: wohlhabend, verhältnismäßig müßig, ziemlich überlegen und zurückhaltend und nicht gewillt, ihre Hände an Dingen schmutzig zu machen, für die Diener angestellt waren.
Diejenigen, die nach China zurückkehrten, müßten das Predigen des Evangeliums mit einem praktischen Ausdruck des sozialen Interesses an der Entwicklung einer Gesellschaft verbinden. Missionskrankenhäuser gehören der Vergangenheit an, aber Arzte und Schwestern könnten in China in staatlichen Einrichtungen arbeiten. Missionsschulen oder Universitäten gibt es nicht mehr, aber Lehrer, Landwirtschaftsexperten, Ingenieure, Sozialarbeiter und Universitätslektoren könnten in Regierungsinst‑»tutionen willkommen sein.
Eines ist sicher: Christen der Zukunft müssen klüger als Schlangen und argloser als Tauben sein.
10. Diejenigen, die auf eine Rückkehr nach China hoffen, müssen nicht nur auf ihre Arbeit vorbereitet sein, sondern auch auf jedes Opfer.
Ein Aufsatz von Herbert Kane, »Der Konflikt ist unvermeidlich«, besagt unter anderem: Die christliche Kirche muß darauf vorbereitet sein, die Kommunisten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, sie zu übertreffen, noch wagemutiger zu sein, sie zu überleben und wenn nötig auch noch zu übersterben‘!“
Am 150. Jahrestag der Bibelgesellschaft hielt Professor James Stewart von Edinburgh vor der Königin und Prinz Philipp in der Westminster Abbey den Festgottesdienst. Sein Thema anläßlich dieses großen Ereignisses war, daß in Anbetracht der gegenwärtigen heidnischen Bedrohung der Welt das entkräftete, formelle, traditionelle heutige Christentum nutzlos sei. Man könne den antichristlichen Kräften nur durch die Macht des Wortes Gottes begegnen und durch Christen, die an seine Wahrheit glaubten. Diese müßten davon völlig überzeugt sein und bere‘ t, notfalls für ihren Glauben zu sterben.
Solche Männer und Frauen brauchen wir, um dem Kommunismus die Botschaft von Christus wirkungsvoll entgegenzusetzen. Sie könnten auch nadi China zurückkehren, in ein China, das seine alten Fundamente zerstörte und dann herausfand, daß der atheistische Kommunismus nichts bieten kann. Nichts, das die leeren Herzen der Menschen befriedigen und den Hohlraum ausfüllen könnte, den der Kommunismus selbst geschaffen hat. Die Chinesen sind wie wir von Gott geschaffen und auf Gott angelegt. Wenn sie das wüßten, so würden sie in den Ruf ausbrechen:
Du, o Christus, bist alles, was ich will;
mehr als alles finde ich in dir!

10. KAPITEL
DER KOMMUNISMUS ‑ HERAUSFORDERUNG AN DIE CHRISTENHEIT

In einem der vorausgehenden Kapitel versuchten wir zu beweisen, daß der Kommunismus eine Pseudoreligion, eine ausgeklügelte Fälschung des Christentums ist. Er trägt viele Grundzüge der ersten Gemeinde, die längst aus dem modernen Christentum verschwunden sind. Vielleicht ist das Ausmaß des Erfolgs der kommunistischen Bewegung während der letzten fünfzig Jahre der Maßstab für das Versagen der Kirche. Trotz des Risikos, einiges zu wiederholen, könnte eine Betrachtung der verschiedenen Arten, auf die der Kommunismus eine Herausforderung an die Christenheit darstellt, dazu dienen, das Thema zusammenzufassen.

Die Herausforderung seines Idealismus
Die treibende Kraft des Kommunismus ist der brennende Haß gegen die derzeitigen Verhältnisse der Welt und der große Glaube, die vollkommene Gesellschaft sei ein erreichbares Ideal. Der wahre Kommunismus tritt leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit ein. Und er wird in seiner Gewißheit durch seinen Glauben an ein natürliches Gesetz bestärkt, das den Menschen unausweichlich auf sein utopisches Ziel zutreibt. Es ist das Gesetz des dialektischen Materialismus oder des wirtschaftlichen Determinismus.
Von dieser utopischen Ära erwartet er vollkommene Gerechtigkeit, das Ende des aufreibenden Klassenkampfes, die Ausschaltung des Krieges, volle Genüge für alle, die Enthüllung der letzten Naturgeheimnisse, den endgültigen Sieg über Zerfallserscheinungen, die Vervollkommnung der menschlichen Natur und den Verzicht auf Polizei und jede Art des Zwangs. Dieser Plan wirkt besonders anziehend auf Menschen, die unter schlechten Regierungen, korrupten Beamten und ungerechten wirtschaftlichen Systemen leiden.
Aber weshalb hat die Welt nichts vom christlichen Ziel, von der Herrschaft Christi auf Erden erfahren? Weil die Christen nur zur Hälfte daran glauben? Warum ließen wir es zu, daß uns die Zeugen Jehovas den Wind aus den Segeln nahmen? Jesaja und die anderen Propheten schilderten das Nahen des Reiches Gottes in glühenden Worten. Der Apostel Paulus sah einen »neuen Himmel und eine neue Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt«. Und unser Herr lehrte uns zu beten: »Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!«
Fordert uns nicht der Kommunismus dazu heraus, klarer über die persönliche Rückkehr Christi und über das Reich zu sprechen, das er auf Erden errichten wird?

Die Herausforderung seiner Dynamik
Ein Vertreter eines bekannten britischen Chemiebetriebs, der Christ ist, gehörte einer Gruppe an, die Peking 1966 geschäftlich besuchte. Er war zutiefst beeindruckt, ja fast erschrocken über diese Nation, die vor ungeheurer Aktivität und starkem Orientierungsvermögen überschäumte. Die Leute arbeiteten mit Begeisterung, weil sie zu wissen glaubten, wohin sie gehen. Es gelang China, der früheren Schmach der Rückständigkeit ein Ende zu setzen, und es machte innerhalb von zwanzig Jahren riesige materielle Fortschritte.
Trotz häufiger Fehler und schwerwiegender Rückschläge kam der Fortschritt nicht zum Stillstand, und wir alle können die Beweise dafür sehen. Unter einer dynamischen Führung mit erstaunlichen organisatorischen Fähigkeiten krempelt das chinesische Volk sein eigenes Land in jeder Hinsicht um. Wirtschaftlich gesehen holt es den übrigen Ländern gegenüber rapide auf. Ein Ziel, das es sich gesetzt hat, ist, bis 1975 die Stahlproduktion Großbritanniens übertroffen zu haben. Experten sind der Ansicht, daß China mit seiner riesigen Bevölkerung, seiner großen Geschicklichkeit und seinen ungeheuren Bodenschätzen lange vor Ende des Jahrhunderts der größte Exporteur der Welt sein wird.
Die heutigen Christen sind kaum diejenigen, die die Welt auf den Kopf stellen. Von den Kommunisten kann man das wohl behaupten. Nicht als könnten wir unsere Hingabe an Christi Sache am Eifer der Kommunisten entzünden. Der Christ muß vom Kommunismus nichts lernen. Aber das verfallene, orthodoxe Christentum, das dem Christentum des Neuen Testaments kaum ähnelt, muß sich mit der Herausforderung des kriegerischen Kommunismus auseinandersetzen. Und das Christentum tut wohl daran, dieser Herausforderung zu begegnen und sie anzunehmen.

Die Herausforderung seines Materialismus
Diese Welt ist die einzige, die existiert, behauptet der Marxist. Der Mensch ist ein Körper ohne Seele. Der Tod ist das Ende. Daher sind die Bedürfnisse des Menschen auf seine körperlichen, sozialen und kulturellen Erfordernisse begrenzt, auf Nahrung, Geschlechtlichkeit, ein Haus, Arbeit und lohnende Freizeit. Stille diese Bedürfnisse, so stillst du alle Forderungen des Menschen. Der Mensch lebt allein vom Brot.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was es für einen Christen bedeutet, in einer solchen Atmosphäre zu leben und zu wissen, daß der Mensch doch nicht vom Brot allein lebt, daß er und alle seine Mitmenschen unsterbliche Seelen haben, für deren Errettung Christus gestorben ist. Andere um ihn her vertrauen auf das Sichtbare. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf die unsichtbaren, ewigen Dinge. Es ist daher äußerst schwierig, in einer materiellen, atheistischen Gesellschaft am christlichen Glauben festzuhalten.
In Deutschland scheint die größte Herausforderung die zu sein, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung, wenn auch nicht aus theoretischen oder philosophischen, so doch aus praktischen Materialisten besteht. Gott ist keine Wirklichkeit. Die Seele zählt anscheinend nicht. Das Wichtigste ist für uns Nahrung, Sex, ein Haus, Arbeit und Freizeit, mit der jeder anfangen kann, was er will.
Die Gefahr liegt darin, daß wir unsere erste Verteidigungslinie gegen den Kommunismus preisgaben, als wir den Materialismus als Lebensweise annahmen. Wenn sich nun herausstellt, daß eine sozialistische (kommunistische) Regierung unser materielles Leben besser in die Hand nehmen kann als jedes andere System, warum lassen wir es dann nicht zu? Im Gegensatz zu den Christen haben die Humanisten keine Bedenken gegen den Kommunismus, was Religion betrifft, auch wenn sie sich vor seiner Tyrannei fürchten.
Die Herausforderung an die Christen ist deshalb, in ihrem Leben deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß ihr Hauptanliegen nicht wie das ihrer Nachbarn und Kollegen der materielle Wohlstand ist. Die Liebe ihres Herzens richtet sich fest auf himmlische und nicht auf weltliche Dinge.

Die Herausforderung seines Atheismus
Während der letzten Zeit des nationalistischen Regimes in Peking war ich in eine Diskussion mit einer Studentengruppe der Universität Peking verwickelt. Es ging um das Thema »Die letzte Wirklichkeit«. Für einen Christen ist es naheliegend, mit der Antwort schnell bei der Hand zu sein, daß Gott die letzte Wirklichkeit ist. Aber einen Kommunisten, der im materialistischen Erklären der Welt geschult ist, überzeugt diese Antwort nicht.
Marx und die ersten kommunistischen Propheten lehnten Gott als eine Voraussetzung ab und bauten eine Philosophie auf seinem Nichtsein auf. Religion und Glaube wurden sogar als eindeutiges Hindernis auf dem Weg zum kommunistischen Ziel bezeichnet. »Die Religion ist das Opium des Volkes«, sagte Marx, das sie so betäubt, daß man sie dazu überreden kann, den sozialen Ungerechtigkeiten völlig gleichgültig gegenüberzustehen und nichts zur Anderung der Lage beizutragen.
Kommunisten tolerieren die Religion daher niemals. Genauer gesagt, sie sind militante Atheisten. Daher liegt ihre »letzte Wirklichkeit« nicht in der Religion und noch viel weniger bei Gott, sondern im dialektischen Fortschritt, der das menschliche Vorrücken in Richtung der vollkommenen Gesellschaft zusichert. Nach dieser Theorie ist der Mittelpunkt des Universums nicht Gott, sondern der Mensch selbst.
Wie begegnet ein Christ dieser Herausforderung? Er sollte diesem philosophischen Argument ein eigenes entgegensetzen können. In 1. Petr. 3, 15 wird uns gesagt, wir sollten immer bereit sein, jedem, der uns fragt, eine Antwort zu geben über die Hoffnung, die in uns ist. Aber letztlich ist diese Frage nicht geistig, sondern experimentell. Wie wirklich ist Gott für mich? Welcher Erfahrungen Gottes erfreue ich mich? Habe ich seine Macht in Zeiten der Not ausprobiert: im Leiden und in Schwierigkeiten? Ist mein religiöser Glaube mehr als eine lindernde Arznei für mich? Erweckt mein Glaube an Gott in mir ein praktisches Interesse an meiner Umwelt und ihren Problemen?

Die Herausforderung seines Evangeliums
Die tiefe Überzeugung, kühne Zusicherung und der brennende Haß der Kommunisten gegen soziale und politische Mißstände und gegen die dafür verantwortlichen Personen machen sie zu begeisterten Missionaren. Die »Roten Garden« gaben ein Beispiel für die ungeheure Glut, deren die junge Generation fähig ist, wenn sie den Wert einer Sache spürt. Michael Brownes Eindrücke über seinen Kantonbesuch 1967 sind es wert, wiedergegeben zu werden:
»Mao ist Gott, die Partei die Kirche und die Kreuzzugsevangelisten diese jugendlichen »Roten Garden«. Die »Auszüge« ersetzen die eingegebenen Schriften, und der Ruhm der Weltrevolution und des Weltkommunismus stellen ihren »Himmel« dar. Ungläubige sind Revisionisten und Klassenfeinde, die normalerweise als Ungeheuer oder Geister bezeichnet werden. Propagandamethoden haben Ähnlichkeit mit christlichen Kampagnen: Straßenversammlungen, Hausdienst, Traktatvertellung, Zeugnisse und sogar Gesangblätter …
Im Lichte dessen, was wir in China sahen, kommen wir zu dem Schluß, daß nichts in dem gegenwärtigen luxusliebenden, evangelischen Christentum im Westen auch nur entfernt an den furchterregenden Eifer herankommt, wie man ihn bei der politisch inspirierten Jugend Chinas findet. Wenn wir Christen nicht wenigstens eine annähernde Hingabe und Überzeugung für das Evangelium aufbringen können, zu dem wir uns bekennen, so wird unsere Botschaft wenig Eindruck bei einer Generation hinterlassen, die sich so leidenschaftlich ihrer glühenden Bestimmung hingibt.«
Das sind harte Worte, aber wer könnte ihre Richtigkeit anfechten?

Die Herausforderung seiner Sittenstrenge
Die kommunistische Ethik ist sachlich. Der Kommunist glaubt nicht an ein ewiges, unveränderliches moralisches Gesetz. Seine Vorstellungen von falsch und richtig sind völlig relativ. Da die Ethik einer bestimmten Ära die Widerspiegelung eines Stadiums des wirtschaftlichen Fortschritts darstellt, folgt daraus, daß sich der ethische Standard von Zeitalter zu Zeitalter verändert.
Im wesentlichen ist das richtig, was die Sache der kommunistischen Revolution fördert, und alles andere ist falsch. Das mag in manchen Fällen die Anwendung von Täuschung, Lüge, Grausamkeit, Mord und Quälerei rechtfertigen, aber nur, soweit dies dem angestrebten Ziel dient. Unter anderen Umständen werden diese Dinge als böse betrachtet, vor allem, wenn sie den Fortschritt des Sozialismus in Richtung auf sein Ziel behindern.
Die Kommunisten können in Wirklichkeit in ihren Ansichten sehr puritanisch sein, und sie sind es auch. Prostitution, Glücksspiel und leichter Diebstahl waren z. B. die ersten Angriffsziele des neuen Regimes. In erstaunlich kurzer Zeit verschwanden das berüchtigte organisierte Verbrechertum und das Glücksspielgewerbe aus Schanghai. Derartige „bourgeoisistischen“ Mißstände wie sexueller Partneraustausch, Scheidung und Jugendkriminalität werden mit Verachtung betrachtet.
1967 stellte Rev. Jan Thomson fest »Im Verlauf der drei ausgefüllten Wochen unter Tausenden von Menschen und unter verschiedenen Umständen erlebte ich keinen einzigen Vorfall von Unanständigkeit oder etwas, das einen in Verlegenheit hätte bringen können. In dieser Hinsicht ist China eine gesund eingestellte moralische Gesellschaft. Die Jugend ist mit der Revolution beschäftigt und ihr einziger, brennender Wunsch, dem Volke zu dienen, steht in bemerkenswertem Kontrast zu den Schlagzeilen der Zeitungen über Love‑in in England und Miniröcke in Moskau, was beides die Chinesen in ihrer Annahme über den Zerfall der Zielbewußtheit des Westens bestätigt haben würde.«
Die Kulturrevolution zielte darauf ab, die Gesellschaft von schlechten Angewohnheiten und von falschen Denkweisen zu säubern. Die alte marxistisclie Theorie argumentierte immer, es sei möglich, die menschliche Natur zu verändern, indem man die Umgebung des Menschen ändert, da das Böse einer falsch geordneten Gesellschaft entspringt. Und weil der Kapitalismus die Wurzel alles menschlichen Übels ist, wird dieses Übel mit der Zerstörung des kapitalistischen Systems verschwinden. Eine kapitalistische Gesellschaft, so behaupten sie, ermutigt den Egoismus, wohingegen eine sozialistische Gesellschaft (einer für alle und alle für einen) zur Selbstlosigkeit erzieht. In der endgültigen, vollkommenen sozialistischen Welt wird der Mensch seine Ichbezogenheit ablegen, und der vollkommene sozialistische Mensch wird schließlich die ideale, glückliche Gesellschaft zur Wirklichkeit machen.
Ein Traum, aber auch eine ungeheure Herausforderung an die christliche Gesellschaft, die revolutionäre Macht der selbstlosen Liebe Christi in allen menschlichen Beziehungen und in praktischen Versuchen, die menschlichen Probleme in Angriff zu nehmen, die die Sünde aufgeworfen hat, zu beweisen. Nur dann wird sich ein Kommunist überzeugen lassen, daß das Christentum tatsächlich funktioniert. »Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt« (Joh. 13, 35).

Die Herausforderung seines Nationalismus
Ein Student des Polytechnikums Woolwich forderte mich vor einiger Zeit im Verlauf einer Vorlesung über »Das China heute« heraus, die Unrichtigkeit der Vorwürfe zu beweisen, das Christentum und der Imperialismus steckten unter einer Decke.
Es ist unmöglich, das Gegenteil dessen zu beweisen, was in Afrika so offenkundig der Fall war. Dort waren die Missionen sehr oft Handlanger der Kolonialregierungen, deren großzügige Unterstützung von Anfang an Missionsschulen und Krankenhäuser unterhielt. Für die Missionen in China ließen sich bessere Argumente vorbringen, weil dort keine Regierungen aus dem Ausland christliche Einrichtungen finanzierten. Aber der Schmutz klebt den Missionen immer noch an, und vieles muß noch überwunden werden.
Die Herausforderung an die Missionen lautet hier eindeutig, die einheimischen Kirchen völlig unbeeinflußt zu lassen; sowohl in Verwaltungs‑ als auch in Finanzangelegenheiten eine frühere, väterlich herablassende Haltung zu meiden und eine neue Annäherung an die nationalen Kirchen der Welt zu suchen, indem wir ihnen unsere Kenntnis und Erfahrung und unseren demütigen Dienst anbieten.
In China wird sich die Kirche nie wieder vom Ausland kontrollieren lassen. In Afrika ist es höchste Zeit, darauf zu bestehen, daß die ausländische Kontrolle sofort aufhören muß, wenn in diesem Land das wahre Christentum überleben soll. Westliche Muster und Traditionen müssen verschwinden. Indien und Japan sollten sehr wohl in der Lage sein, ihre eigene biblische und doch asiatische Form der Theologie zu finden.
Die chinesische Kirche hat vielleicht damit begonnen, eine neue Ausdrucksweise des unveränderlichen Evangeliums zu prägen, die der dynamischen sozialistischen Gesellschaft entspricht. Könnten andere Chinesen, Asiaten und Angehörige des Westens, wenn sie das Vorrecht bekämen, die chinesische Kirche in ihrem Vorhaben, das Evangelium zu verbreiten, zu unterstützen, sich selbst von der traditionellen, westlich‑orientierten Form des Christentums befreien, die an eine fremde Kultur gebunden ist? Könnten sie die Kirche in China wiederaufbauen helfen, die nicht länger eine »fremde Religion« vertreten soll, sondern tief im Leben, dem Boden und der Kultur Chinas verwurzelt Ist und dem chinesischen Volk die tiefe Befriedigung anbietet, die es in den materialistischen Antworten des Kommunismus nicht finden kann?

11. KAPITEL

KONFRONTATION

Präsident Sukarno aus Indonesien mag zwar das „Konfrontasi“ geprägt haben, um seine ablehnende Haltung gegenüber dem neuen Staat Malaysia auszudrücken, aber der Gedanke stammte nicht von ihm.
In Offenbarung 12 verfolgt Satan eine Konfrontationspolltik der Kirche Jesu Christi gegenüber. Dies ist das Thema der ganzen Offenbarung, ja sogar der ganzen menschlichen Geschichte seit dem Sündenfall. Aber hier werden die beiden Wunder beschrieben: die Frau, die ein Kind gebiert, und der Drache, der seine Vernichtung sucht. Das Kind ist Christus, der eines Tages die Völker regieren wird (Vers 5), aber das Kind ist auch die Kirche. Ebenso wie Satan das Kind Jesus kurz nach seiner Geburt vernichten wollte, so versuchte er auch ‑ wie es die Apostelgeschichte beschreibt ‑, die Gemeinde kurz nach ihrer Geburt an Pfingsten durch heftige Verfolgung zu zerstören.
In der ganzen heutigen Welt ‑ und am deutlichsten in China – steht der große rote Drache der Kirche Christi feindlich gegenüber. Der anhaltende Krieg eilt seinem Höhepunkt zu (Vers 7). Satan, der Betrüger, der die Menschen mit seinen trügerischen Ideologien und attraktiven Kulten verwirrte, wurde auf die Erde geworfen als ein besiegter Widersacher (Vers 9‑10). Er ist von tiefem Haß erfüllt, weil er weiß, daß ihm nur noch kurze Zeit bleibt (Vers 12), und er dehnt seine Verfolgung aus (Vers 13).
Zeiten zunehmender Bedrängnisse nahen. ‑ »Wehe den Bewohnern der Erde …« (Vers 12). Aber dies ist die Stunde des Sieges für die Gemeinde: »Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus« (Vers 10). Das Blut des Lammes und das Wort unseres Zeugnisses werden uns den Sieg bringen unter der Bedingung: » …sie haben ihr Leben nicht geliebt bis in den Tod« (Vers 11). 
In dem, was sich als Schicksalsstunde der Weltgeschichte herausstellen mag, sieht Gott nach denen, die bereit sind, wenn nötig das höchste Opfer darzubringen, nach Männern und Frauen, die frei von jeder Selbstliebe und voller Liebe zu Jesus Christus darauf vorbereitet sind, ihm zu gehorchen, koste es, was es wolle.

Hat die Gemeinde in China überlebt?
1950 gab es in China 11470 örtliche Gemeinden, mehr als 7500 evangelistische Zentren, über eine Million getaufter, protestantischer Christen, mehr als zweitausend ordinierte chinesische Pastoren und über 10500 Evangelisten. Achtundvierzig theologische Universitäten und einundzwanzig Bibelschulen unterrichteten Tausende von Studenten. Außerdem gab es noch achtzehn christliche Universitäten und Hochschulen und über siebzig christliche Krankenhäuser.
Ist heute noch etwas davon übrig? Besaß die Kirche irgendwelche dauerhaften Eigenschaften? Wie überall in der bekennenden Kirche, ist dies verschieden zu beantworten. Es gab einerseits viel Formales. Und der Nominalismus war allzusehr verbreitet. Liberalismus und moderne Theologie hatten das Fundament weitgehend untergraben. Aber dort, wo die Kirche fest auf eine biblische Theologie gegründet war, zeichnete sie sich aus durch aufrichtige Hingabe, den Geist des Gebets, die Liebe zur Bibel, den Willen, ein aufopferungsvolles Leben zu führen, den Evangelisationseifer, durch die herzliche christliche Gemeinschaft, durch eine auf den Geist ausgerichtete Führung, durch die ungewöhnliche Fähigkeit, die Schrift auszulegen, und die leidenschaftliche Hingabe an Jesus Christus.
Ich werde die wenigen Jahre in Peking, die ich mit Studenten vor der kommunistischen Übernahme verbrachte, niemals vergessen. Die angeführten Eigenschaften kamen am deutlichsten unter diesen begeisterten jungen Leuten zum Ausdruck. Es waren ungefähr zweihundert, die gut wußten, was ihnen die Zukunft brachte.
Charles C. West vom ökumenischen Institut Bossey, Schweiz, verglich sie mit anderen Studentenorganisationen in seinem Buch Das christliche Zeugnis im kommunistischen China: »Der christliche Liberalismus verwandelte sich allzuleicht in einen christlich‑kommunistischen Liberalismus in China. Der christliche Liberalismus versäumte es, die Tiefe der Sünde und daher die Notwendigkeit der persönlichen Errettung, der Demut und der Grenzen der sozialen Macht zu erkennen.
Heute ist das kraftvollste christliche Leben in Peking nicht in den Kirchen, sondern in den von Universitäten organisierten Studentengruppen und Religionsgemeinschaften zu finden.«
Die gesamte Kirche Chinas konnte in groben Zügen wie folgt unterteilt werden: Liberalismus mit einer fast fehlenden Botschaft der Erlösung und Evangelismus mit Bibeltheologie und einer mächtigen, klaren Botschaft über Sünde und Gottes Antwort darauf in der Erlösung Christi.
Hat die »geistliche Partei« (der beleidigende Beiname, der den Evangelischen gegeben wird) überlebt, trotz Gefangenschaft, Verfolgung (nicht zuletzt durch ihre Mitchristen), Verbannung in Arbeitslager, Arbeitsverlust, Zerstörung der Bibeln, Schließung der Gotteshäuser und systematischer Umschulung, die ihren Glauben untergraben und zerstören sollte? Gegenwärtig kann auf diese Frage keine vollständige Antwort gegeben werden. Aber aus dem dünnen Strom der Briefe, die die Außenwelt erreichten, bietet sich uns der Eindruck, daß es in China einen Überrest gibt mit einem starken Glauben, der bis ans Ende beharren wird und geläutert aus dem Feuer kommen und seine wichtige Rolle übernehmen wird in der zukünftigen Geschichte der Kirche.

Briefe aus China
1960 zog es eine große Anzahl Chinesen, die in Indonesien unterdrückt wurde, vor, nach China zurückzukehren. Einige schrieben über ihre Erfahrungen:
Hainan 1961
„Geliebte Brüder und Schwestern in dem Herrn!
Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Gerade bin ich aus Indonesien angekommen, aber hier gibt es keinen Ort, um Gott zu verehren und seinen Namen zu rühmen. Mein geistliches Leben ist sehr schwach. Betet für uns, daß wir einen Weg finden, um an einen Ort zurückzukehren, an dem sich eine Kirche befindet, in der die Botschaft des teuren Blutes Christi verkündet wird und wir wieder hören können, daß der Mensch vom Tode zum Leben erlöst wurde, und daß wir sehen, daß Gott sich um uns kümmert … Das ist meine Hoffnung. Emmanuel!“
Peking 1961
Lieber Pastor!
Obwohl ich in Indonesien ein guter Student war, fiel ich bei der Aufnahmeprüfung für die Universität hier durch, weil ich nicht genügend »fortschrittlich« bin und immer noch religiöse Gedanken habe. Jetzt weiß ich, daß Sie recht hatten, als Sie mich warnten, nach China zu gehen, aber jetzt kann ich nicht mehr fort. Als wir in Tientsin in die Kirche gingen, weinte der Pfarrer, als er uns hereinkommen sah. Es waren außer uns nur ein paar alte Frauen anwesend.“
Peking 1964
»Lieber Bruder Te‑hsing!
Ich war vor Freude überwältigt, als ich Deinen Brief erhielt. Es sind nun schon fast vier Jahre her, seit ich Indonesien verließ. Ich kenne jedoch ein wenig Deine Lage und weiß, daß wir durch die große Liebe des Herrn und ein geistliches Leben verbunden sind. Aus der Ferne wünsche ich Dir seinen ewigen Frieden, geistlichen Segen und Erneuerung und eine größere Liebe zum Herrn.
Diejenigen, die in dieses Land zurückkehrten, haben sich sehr verändert. Einige wandten sogar dem Herrn und seiner Wahrheit den Rücken. Darüber bin ich zutiefst traurig. Aber es gibt auch eine kleine Gruppe in meiner Umgebung, die immer noch stark und tapfer für den Herrn eintritt und ihm weiter nachfolgt. Durch ihren Glauben sind sie siegreich.
Letzten Sommer war ich in Schanghai und besuchte drei Kirchen. Die Lage in den Kirchen ist dort zufriedenstellender als in den Kirchen von Peking. Die Internationale Kirche hatte einen Chor von zwanzig Leuten. Es ist möglich, daß im ganzen Land nur noch zwei Kirchenchöre existieren. Ja, wir liebten es, den Chor singen zu hören, und wir lauschten mit tiefer Ergriffenheit.
Was meine Schule anbetrifft, bin ich sehr zufrieden mit den Bedingungen hier. Obwohl mein Studium viel Zeit benötigt, kann ich doch jeden Tag beten und meine Bibel lesen und manchmal auch zur Kirche gehen. Ich gehe fröhlich und willig auf der Straße nach Golgatha und trage mein Kreuz für ihn. Nur diese Art des Lebens ist völlig befriedigend und nicht vergeblich. Ich danke Gott auch für seine Macht und seinen Schutz, als er mich davor bewahrte, dem Kommunistischen-Jugend‑Korps beizutreten. Ich kenne den Grund dafür. Denn wäre ich beigetreten, so hätte das bedeutet, daß ich öffentlich meinen Herrn vor den anderen hätte verleugnen müssen. – Bitte bete für diesen schwachen Bruder. Emmanuel!«

Briefe aus der Zeit der Sozialistischen Erziehungsbewegung
Nanking 1965
»Neulich schaltete ich ein Radiogerät ein. Eines Tages hörte ich zufällig eine Predigtsendung … Aus bestimmten Gründen nahm ich seit einigen Jahren an keinen Versammlungen mehr teil. Ich sehne mich aber nach der Botschaft und der Predigt des Evangeliums, wie ich sie im Rundfunk hören kann. Für gewöhnlich lese ich nur die Bibel und bete zu Hause. Ich gehöre aktiv keiner Gruppe an. Aber in meinem Herzen ist ein großes Bedürfnis nach Gemeinschaft mit anderen Brüdern und Schwestern.«
Yunnan 1965
»Zuerst möchte ich Dich grüßen. Ich danke Gott für seine treuen Diener, die täglich durch das rettende Evangelium die Nachricht der großen Liebe Gottes, seiner Gnade, Macht und Tat für die verlorenen Menschen senden. In diesei Zeit der sich verdunkelnden Nacht und des nahenden Tages, in der die Herzen der Menschen von Sünde und Schmerzen erfüllt sind, ist es erfrischend, Gottes Wort und Evangeliumslieder hören zu können. Wie tröstend das doch ist! Ich hoffe, daß das Wort Gottes immer in die Welt ausgestrahlt werden kann und wie ein Regen auf das ausgedorrte Leben der Menschen wirkt, damit sie beständig den Berg Zion im Auge behalten. Amen!«

Briefe aus der Zeit der Kulturrevolution
Yunnan 1966
»Liebe Tante!
Vater schrieb in seinem Brief, daß Du ein paar Weihnachtskarten an mich geschrieben hättest, die er aber nicht abzuschicken wagte, da die vom letzten Jahr beschlagnahmt wurden. Das macht nichts. Gottes Wort ist in unseren Herzen, und niemand kann es beschlagnahmen. Wir werden ihm immer in seinen Fußtapfen folgen. Bitte, liebe Tante, sei nicht traurig darüber.
Hattest Du ein schönes Weihnachtsfest? Ich feierte in meinem Herzen. Einen Tag vorher ging ich in die Berge und pflückte etwas Löwengras. Damit schmückte ich meine kleine Wohnung. Und ich sang die Weihnachtslieder, die wir zu singen pflegten, als ich noch klein war, und rief mir alle Weihnachten, die Du mit uns feiertest, ins Gedächtnis zurück.
Nun habe ich noch eine gute Nachricht für Dich. Als ich einmal das Radio einschaltete, hörte ich zufällig eine Evangeliumssendung aus dem Ausland: Gesang, Gebet und Schriftlesung … Nur konnte ich nicht lange zuhören, und ich verstand auch die fremde Sprache nicht. In der Stadt, in der ich lebe, wohnt eine Frau, die wirklich gläubig ist und in ihrem Haus Zeugnis gibt. Ich gehe immer dorthin, und sie ermutigt mich sehr. Jedesmal wenn wir uns sehen, halten wir zusammen eine kurze Andacht. Ihre ganze Familie ist gläubig. Möge der Herr dieser winzigen Kirche seinen Segen geben und sie ein kleines Licht in dieser Welt sein lassen! Friede sei mir dir … «

Aus einem Arbeitslager 1966
»Schwester in S. geht es gar nicht gut. Sie hat große Schwierigkeiten, die schwere Last der ganzen Familie auf ihren Schultern zu tragen. Das Gefühl, daß ihr Mann von zu Hause fort ist, plagt sie am allermeisten. Sie sind wie Waisen und Witwen vor Gott. Wir sollten viel für sie beten, daß ihnen Kraft gegeben wird, standhaft zu sein. Aber schreibe ihr bitte nicht. Es könnte ihr Leiden nur noch vertiefen. Ich weiß nicht, wann ich wieder mit meiner Familie vereint sein werde. Alles liegt in Gottes Hand.«
Aus einem Gefängnis 1967
»Es geht mir gut, und ich bin glücklich. Bitte, seid guten Mutes. Meine Gefühle sind dieselben wie die Deinigen. Du mußt sehr froh sein, das zu hören. Alle Dinge greifen ineinander zum Guten. Sei guten Mutes! Ich bin mehr wert als die Spatzen.«
Kanton Januar 1968
»Vielen Dank für Ihren Brief und den Kalender. Darf ich Sie etwas fragen? Ich wurde 1966 getauft und wurde Christ. Aber ich war in keiner Kirche mehr, seit ich Indonesien verließ, weil alle Kirchen geschlossen sind. Stimmt das, daß mich Christus verlassen hat? Diese Frage ängstigt mich, denn die gegenwärtigen Umstände treiben mich immer wieder dazu, zu sündigen.«
Januar 1968
»Ihr Brief und der schöne, bedeutungsvolle Kalender kamen sicher an. Nachdem wir beides angeschaut hatten, empfanden wir Freude und Trost wie beim Hören des Wortes Gottes. Dieser Brief brachte tiefe Gemeinschaft, traurige Erinnerungen und herzliche Gefühle. Ich kann Ihnen nicht genug danken für die Hinweise. Ich kam erst 1962 zum wahren Glauben an den Herrn, nachdem mich die Wahrheit dazu bewegt hatte. Ich bin noch jung und weiß nur wenig über den Weg und die Wahrheit . . . Ich brachte 1966 die Mittelschule hinter mich, aber die Schule wurde für ein Jahr geschlossen. Ich fühle mich traurig und bedrückt.«
April 1968
»Wenn immer ich sehr bedrückt bin und mein Herz verwirrt ist, erquicken mich die Stimme und der Ruf Gottes immer wieder. Er hilft mir, die Grundsätze zu verstehen, die mir nicht klar sind, und gibt mir auch ein besseres Verständnis der Welt um mich her. Ich glaube, es gibt auf der Welt zu viel Sünde, und Gott warnt uns …«
Mai 1968
»Ich sammle Weihnachtsbriefmarken. Bitte schicke mir den neuesten neuseeländischen Satz. Immer, wenn ich an all unsere Brüder und Schwestern denke, fühle ich mich sehr froh. Seit 1964 konnten wir keine Bibel mehr lesen. Die meisten Bibeln wurden verbrannt. Denkst Du nicht auch, daß dies ein Jammer ist? Die Zeit ist vorbei. Ich bete immer. Ein Student.«
Mai 1968
»Der Brief kam schon vor langer Zeit an. Aus verschiedenen Gründen habe ich bis heute nicht geantwortet. Viele Grüße an Deine Familie. Bitte erzähle den Leuten von unserer Lage und bitte sie, zu dem Einen zu beten, der unsere Nöte kennt. Dankt auch dafür, daß der Herr mir meinen Glauben, meine Liebe und meine Hoffnung erhalten und uns bewahrt hat, als wir in großen Schwierigkeiten waren. Er führte auch ein paar verlorene Schafe zu sich zurück, denn er hatte sie erwählt.
Was mich aber bedrückt, ist, daß es in letzter Zeit an der Harmonie fehlte. Christen verleumdeten einander auch innerhalb der Familien, und es mangelte an objektiver Haltung, an der Großzügigkeit und der Liebe, die der Sünden Menge bedeckt. Auch ich falle oft und begehe in meiner Schwachheit Sünden. Ich möchte ’Ägypten’, den Ort der bitteren Niederlage, verlassen.
In den letzten Monaten war es tatsächlich etwas besser. Dem Herrn sei Dank, der mich in diesen Monaten der Schwierigkeiten bewahrte. Um ehrlich zu sein, gibt es auch unter den Christen viele, die unvorstellbar tief gesunken sind. Aber ohne die Liebe Gottes wären sie hoffnungslos verloren.
Selbst kann ich, wenn ich meine Schwachheit sehe, nur auf den Einen trauen, der durch das dunkle Tal dieser Welt ging, und ihm vertrauen, daß er mich durch das Tor seiner Verheißung und Errettung bringen wird. Und ich hoffe, daß er am letzten Ende meine Seele aufnehmen wird.
Lieber Bruder, ich verbrachte sechsundzwanzig Jahre, und ich mußte viel bitteren Wein trinken. Aber jetzt verstehe ich die Bedeutung des Wortes: ’Stellt euch nicht dieser Welt gleich!’ Tief in meinem Herzen halte ich viel wichtige Lehren verborgen, und deshalb ist mein Herz nicht zu enttäuscht. Ich wünschte, ich könnte mit Paulus sagen: Ich habe den guten Kampf gekämpft. Ich habe den Lauf vollendet Alles liegt in der Hand des Herrn.
Unglücklicherweise mußte ich mein geliehenes Radio wieder zurückgeben. Aber ich kann immer noch die Bibel lesen und in meinem Herzen Lieder singen. Bitte verzeih die Länge dieses Briefes. Ich hoffe, daß ich Dir eines Tages persönlich die Hand geben kann. Emmanuel!«
Mai 1968
»Am 28. dieses Monats freute ich mich sehr, Deinen Brief zu erhalten. Er machte mich wirklich sehr glücklich. Ich glaube, daß Gott dafür die Ehre gegeben werden sollte. Es war seine Macht und sein Wille, der uns zusammenbrachte. Niemand kann ihn an seiner Macht und an seinem Willen hindern. Laßt uns hier den Herrn mit Ernst preisen, der uns zu Bekannten gemacht hat, auch wenn wir uns noch nie trafen. Möge unsere Freundschaft immer tiefer und stärker werden.
Du hast recht, wenn Du sagst, daß die Macht des Bösen, die uns umgibt, die endlosen Trübsale, der steinige Pfad alles Versuchungen sind, die der Herr zuläßt, damit unser Glaube und unsere Entschlossenheit um so größer werden. In unserem Leben erlebten wir viele Gefahren und viele Hindernisse. In der Vergangenheit verlor ich ein paarmal fast meinen Glauben und meine Hoffnung für die Zukunft. Dies konnte geschehen, weil mein Geist zu schwach war. Und trotzdem bin ich darauf vorbereitet, noch größere Versuchungen über mich ergehen zu lassen. Denn mein Leiden kann überhaupt nicht mit dem des Herrn Jesus Christus verglichen werden. Und außerdem muß sich mein schwacher Geist in ausgeprägte Stärke verwandeln.
Mein Freund, vor kurzem war mein Geist sehr bedrückt. Denn ich sah, wie im angrenzenden Fluß eine Anzahl Leichen aus der Provinz Kwangsi hinuntertrieben. Diese Menschen, junge und alte, Frauen und Kinder, die vom Satan irregeführt wurden und ihr Leben verloren, sind in eine verlorene Ewigkeit eingegangen. Was könnten wir tun? Wer hat jemals für sie gebetet, daß sie errettet werden mögen? – Freude sei mir Dir von Gott!«
Sie stiegen den steilen Weg zum Himmel empor,
durch Gefahr, Plage und Schmerzen.
Möge uns, o Gott, die Kraft gegeben werden,
ihrem Vorbild zu folgen!

Die Hervorhebungen im Text habe ich vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Januar 2009

Weitere Beiträge auf meiner Internetseite zum Thema Kommunismus und Christentum:
1. Atheismus – ein Weg? – von Pfr. Richard Wurmbrand
2. Das blutbeschmutzte Evangelium – R. Wurmbrand
3. Warum bin ich Revolutionär? – R. Wurmbrand
4. Christus wird siegen, was immer geschieht – R. Wurmbrand
5. Zerstörte Jahre (China) –
6. Der Weltkommunismus – Kurt E. Koch

www.horst-koch.de
info@horst-koch.de