Hexen (Michael Kotsch)

Michael Kotsch

 

Hexen

 

Historische Wurzeln

Schon immer rechneten Menschen mit der Möglichkeit eines übernatürlichen Einflusses auf ihr irdisches Leben. Einzelnen, meist ungewöhnlichen Menschen sprach man dabei eine besondere Nähe zu jenseitigen Mächten zu. Im Christentum wird der Teufel als Verursacher von Krankheit, Not, Tod und anderen Übeln angesehen. Wer mit ihm oder einem seiner Dämonen Kontakt pflegte oder ein Bündnis mit ihnen einging, wurde als Hexe, Zauberer oder Magier bezeichnet. Als Urmutter aller europäischen Hexen wird gemeinhin die antike Hekate gehandelt, die gefürchtete Herrscherin über Wind und Wetter. Auch heidnische Priesterinnen, weise Frauen und Kräuterweiber gelten als Stamm-Mütter späterer Hexen.

Der Begriff Hexe taucht im deutschsprachigen Raum zuerst in Dokumenten des 9. Jahrhunderts auf, als „hagazussa” (Zaunweib = dämonisches Wesen, das über den Zaun in den Privatbereich der Menschen vordringt). Wenig später findet sich der bis heute geläufige Begriff „hexse” (1293).  Ausgelöst durch das verstärkte Auftreten häretischer Gruppen (Katharer, Albigenser, Bogumilen) setzte zwischen 1230 und 1430 in Europa eine intensive Diskussion über Zauberei und Ketzerei ein. Tatsächlich tauchen in diesem Umfeld auch immer wieder vorchristliche keltische, antike gnostische und magische Vorstellungen auf. Ausgehend von der Realität des Teufels und seiner Dämonen sah man sich unabwägbaren okkulten Gefahren ausgesetzt. Weltliche und kirchliche Gerichte gingen gegen Menschen vor, denen man vorwarf, einen Bund mit dem Teufel geschlossen zu haben und Schadenszauber zu betreiben.

Ab dem 13. Jahrhundert galt Hexerei (im Zusammenhang mit Irrlehre) als todeswürdiges Vergehen. Im Laufe der nun intensiv einsetzenden Hexenverfolgung wurden rund 100 000 Menschen getötet, zumeist verbrannt (90% Frauen). Gelegentlich trug der Kampf gegen Magie und Zauberei deutlich frauenfeindliche Züge. Damaligen Vorstellungen entsprechend wirkt die Hexenkunst am nachhaltigsten in der Walpurgis-, Oster- oder Johannisnacht. Mit einem Hexenbesen oder auf einem Ziegenbock durch die Luft reitend, versammelten sich die Hexen zu ihren schändlichen Festen auf bestimmten Bergen (z.B. dem Blocksberg = Brocken). Bei diesen Hexensabbaten huldigten sie dem Teufel in Bocksgestalt, mit dem sie sich sexuell vereinigten. Daneben war Schadenszauber aller Art ihre Hauptbeschäftigung. Sie verhexten Tier und Mensch, waren für Unwetter und Mißernten verantwortlich (Hexenring, Hexenschuss). Hexen griffen bei ihrer Kunst auf den „bösen Blick”, magische Zaubersprüche oder geheimnisvolle Kräuterextrakte zurück.

Den historischen Hexen ist Schadenszauber, Luftflug, Wahrsagerei, Liebesmagie, Ketzerei, Verwandlung in Tiere und Teufelsbuhlerschaft vorgeworfen worden. In Prozessen erhaltene Geständnisse verurteilter Hexen können sowohl auf den Druck der Folter als auch auf echte okkulte Erfahrungen zurückgehen. Einige mittelalterliche Heilkundige u. Magier griffen für ihre Kontaktaufnahme mit der jenseitigen Welt auch auf Halluzinogene (z.B. Pilzgifte, Eisenhut, Schierling, Mohn) zurück, durch die tatsächlich Wahnzustände erreicht werden können, in denen der Betreffende meint zu fliegen, sich in ein Tier zu verwandeln oder mit der Natur sprechen zu können (vergleichbar mit Erfahrungen der Schamanen). Mangelndes Wissen über diese biochemischen Hintergründe bestärkte die Inquisitoren noch in ihrem Weltbild und erschwerte die Unterscheidung zwischen Betrug, Rausch u. echtem Okkultismus.

Neues Hexentum

Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts lässt sich eine Hexen-Renaissance in Europa beobachten. Deutschlands erster Hexenladen öffnete 1995 in München seine Türen. Zwischenzeitlich bieten zahllose Jugendzeitschriften, Ratgeber und Fachbücher, aber auch unterhaltende Medienmagazine zumeist positiv werbende Informationen über Hexerei und Zauberhilfen für den Alltag. Eine unübersehbare Szene selbstbewusster „neuer Hexen“ hat sich etabliert, die insbesondere im esoterischen Umfeld ihre Dienste als Spezialistinnen für weiße >Magie, Kräuterkunde, sexuelle Fragen, >Reinkarnation und Lebensberatung anbieten. Die „neuen Hexen” fühlen sich keiner einheitlich strukturierten Gruppe zugehörig. Manche praktizieren ihre Überzeugungen lediglich im Privatleben, andere schließen sich zu Vereinen oder Hexenzirkeln (covens) mit maximal 13 Mitgliedern zusammen, die sich wiederum auf verschiedene Traditionen zurückführen (Dianer Kult, Druiden, Gardnerer, Odinismus, welsche, piktische oder nordische).

Wenn sich die einzelnen Hexengruppen auch deutlich voneinander unterscheiden, finden sich andererseits auch einige gemeinsame Grundüberzeugungen: Heiligkeit der Natur, Verehrung der „Großen Göttin”, >Magie, >Astrologie und Wahrsagen. Historisch gesehen haben die „modernen Hexen” ihre Wurzeln im >Feminismus, dem Neuheidentum, der Esoterik und der Ökologiebewegung.

In der Frauenbewegung wurde die Selbstbezeichnung Hexe in den 70er Jahren aufgegriffen. Damit wollte man an die weibliche Macht mittelalterlicher Hexen anknüpfen, die als Gegenbild der damaligen, als patriarchal empfundenen Welt verstanden wurden. Die Hexenverfolgung wurde als Vorläufer gegenwärtiger gesellschaftlicher Auseinandersetzung zwischen Patriarchat und Matriarchat (Männer- und Frauenherrschaft) interpretiert. Hexen seien von Männern verfolgt worden, die sich durch weibliche Sexualität und vorchristliche matriarchale Glaubensformen bedroht sahen. Patriarchales Denken sei unfrei, unterdrücke Gefühle und Vielfalt und beute die Natur hemmungslos aus. Dieser Konflikt setze sich durch die Benachteiligung der Frauen in der Neuzeit fort.
 
Die stärker religiöse Komponente „moderner Hexen” zeigt sich vor allem im „Wicca Kult” (altenglisch wicce = die Weise / Hexe). Angestoßen wurde die Hexenbewegung durch ein Buch des amerikanischen Ethnologen Charles Godfrey Leland (The Gospel of the Witches, 1899), in dem er vorgeblich uralte Hexenrituale vorstellt und bewirbt. Dieses Buch diente den Wicca-Gruppen als Vorbild für ihr „Book of Shadows”. Einflussreich für die „modernen Hexen“ war auch ein Buch der Ägyptologin Margaret Alice Murray (The Witch Cult in Western Europe, 1921), in dem sie behauptet, die Hexen stünden in direkter Tradition vorchristlicher Fruchtbarkeitskulte, in der die „Große Göttin“ und der „Gehörnte Gott” verehrt würden. Dieser Matriarchatskult sei die älteste und umfassendste Religion, die erst durch das patriarchale Christentum verdrängt worden sei. Organisatorisch geht der Wicca-Kult auf G. B. Gardner (1884-1964) und A. Sanders (1916-1988) zurück. Erste Wicca- Gruppen bildeten sich nach der Aufhebung des Hexenverbots in England (1951). Zwischenzeitlich geben Hexen- Vereinigungen eigene Mitteilungsblätter heraus, den „Wicca-Brief”, das „Magazin für Hexenglauben“ oder „Abraxas“, das Organ des „Yggdrasil-Kreis e.V.“, der als gemeinnützig vom Finanzamt anerkannt ist und in Wahrsagerei, Astralwandern und „Magia Sexualis“ einführt.

Gelegentlich werden Hexenkulte auch von rechtsextremen Gruppen vereinnahmt, weil diese darin einen „arteigenen” germanisch- keltischen Glauben erkennen, den sie gegenüber Juden- und Christentum als „orientalischen Religionen” den Vorzug geben.

„Moderne Hexen” kennen keinen personalen Gott und keine übernatürliche Offenbarung. Feste Dogmen, absolute ethische Ordnungen oder Glaubensregeln lehnen sie ab. Im Hexenglauben gibt es keinen eindeutigen Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen heilig und profan (weltlich). Alles im Kosmos steht in Wechselbeziehung zueinander. Die Göttin wohnt im Menschen und in der Natur. Gleichzeitig verfügt sie über unbegrenzte kosmische Kraft, die Hexen sich mittels magischer Rituale nutzbar machen. Sie erstreben eine herrschaftsfreie Gesellschaft, in der die Menschen im Einklang mit der Natur und miteinander leben. Hexen feiern 13 Mond- und acht Sonnenfeste.

In ihren Ritualen wird die Göttin als Jungfrau, als Erwachsene und als weise Alte verehrt. Gelegentlich werden auch konkrete Göttinnen verehrt (Diana, Gaia, Mondgöttin), deren Namen meditativ gesprochen (gechantet) werden und deren Einheit man sucht. Die Welt wird vor allem aus ihrer Polarität (Mann – Frau / Geist – Materie / Hell – Dunkel usw.) gedeutet, die es zu überwinden gelte. In symbolischen Handlungen mit Kelch (weiblich) und Stab (männlich) wird diese Vereinigung symbolisch vollzogen. Andere Rituale sollen die Frauen in Einklang mit dem Kosmos bringen, Gesundheit, Glück oder Ausgeglichenheit bewirken oder negative Energien abbauen. Konkrete Verhaltenweisen, Amulette, magisch aufgeladene Substanzen (Edelsteine, Schmuck, Figuren …) und heilige Worte sollen die Gegenwart und Hilfe der göttlichen Macht fördern. Einige engagierte Hexen sind der Überzeugung, ihre Rituale bewirkten die letztliche Rettung der Menschheit und der Natur. Die Hexe könne nicht nur sich selbst, sondern auch die ganze Welt erlösen. Dazu bedarf es ausschließlich der Aktivierung der in ihr selbst ruhenden Kräfte der Erkenntnis ihres eigenen, göttlichen Wollens.

Beurteilung

Sicher kann der moderne Hexenglaube als Reaktion auf kalte Rationalität, Globalisierung und Naturbeherrschung verstanden werden. Andererseits füllt er das religiöse Vakuum, das durch den Bedeutungsverlust etablierter christlicher Kirchen entstanden ist. Kritische säkulare Auseinandersetzungen mit der „Modernen Hexerei” finden sich vor allem bei Will-Erich Peukert (1895-1969) und Johann Kruse (1889-1983). Das „Johann-Kruse-Archiv zur Bekämpfung des neuzeitlichen Hexenglaubens” hält bis heute in Hamburg regelmäßige Hexensprechstunden ab, was nicht gerade einer Warnung vor dem Hexenglauben dient. In letzter Zeit wurde das „Kruse-Archiv“ in ein Hamburger Völkerkundemuseum übernommen.

Hexenkulte stehen in deutlichem Widerspruch zu christlichen Grundüberzeugungen. Christen unterscheiden deutlich zwischen Gott und Mensch (Natur). Hexen vergöttlichen den Menschen und vermenschlichen Gott. Christen kennen Gott als personales Gegenüber. Hexen wenden sich an anonyme, kosmische Energien. Christen akzeptieren Gottes souveräne Entscheidungen und seine ethischen Regeln. Hexen geben eigene Empfindungen als Reden Gottes aus und versuchen, „göttliche“ Kraft zu eigenen Zwecken zu manipulieren. Christen wissen um die tief sitzende Schlechtigkeit des Menschen, die nur durch die liebende Erlösungstat Jesu überwunden werden kann. Hexen setzen auf eine rituelle Selbsterlösung und gehen davon aus, dass der Mensch (insbesondere die Frau) von Natur aus gut sei. Darüber hinaus verurteilt Gott in der Bibel jede Art von Hexerei und Magie (2Mo 22,17; 5Mo 18,10; 1Sam 28,9; Jes 2,6; Offb 21,8). In der Absicht, sich Gottes Macht zu vereinnahmen, stehen diese Bemühungen im deutlichen Gegensatz zum christlichen Glauben, der sich Gott vertrauensvoll ausliefert.

Wer sich mit Hexerei und Magie beschäftigt, steht nicht nur in Gefahr, von einem unbiblischen Weltbild geprägt oder von zwielichtigen Scharlatanen betrogen zu werden. Christen wissen um die Gefahr okkulter Bindungen durch die intensive Beschäftigung mit Hexerei. Menschen werden innerlich unfrei und können geistlich von übernatürlichen dämonischen Mächten in Beschlag genommen werden (>Dämonen; Lk 8,26ff; 11,24-26; Apg 8,9ff; 19,19; Gal 5,20). Das kann sich in übernatürlichem Wissen bezüglich der Zukunft, Heilungsfähigkeiten, außerordentlicher Kraft, Selbstmordgedanken, Depression in Wahnvorstellungen, Angstzuständen, aber auch in körperlichen Phänomenen und einer generellen Ablehnung christlichen Gedankenguts niederschlagen.

Lit.: D.Harmening Hrsg.: Hexen heute. Magische Traditionen und neue Zutaten, 1991 / R.Hauth: Hexen, Gurus, Seelenfänger, 1994 / J.Kruse: Hexen unter uns, 1951 / H.Sebald: Hexen damals – und heute?, 1990 / A.Schrupp: Die Neuheiden. Von neuen Heiden und alten Göttern, 1997

Michael Kotsch

www.horst-koch.de
info@horst-koch.de