ENGEL UND DÄMONEN
– in biblischer und kirchlicher Sicht
von Horst W. Beck
I. Das Wirklichkeitsbild des Alten und Neuen Testaments
Altes und Neues Testament haben so selbstverständlich ein Wirklichkeitsbild von Engeln und Dämonen, dass es die Wirklichkeitsauffassung aller jüdischen und christlichen Gemeinden bis zum heutigen Tage prägen konnte. Der entmythologisierende Widerspruch ist aufs Ganze gesehen eine Randattacke im Banne säkularistisch atheistischer Ansprüche. So selbstverständlich indessen Engel und Dämonen im Auftrage oder im Widerspruch zu Gott auf menschliches Leben einwirken, so schwer ist es doch, aus den vielen Stellen sehr unterschiedlicher Zeugniszusammenhänge eine Lehre auszubilden. Es ist erst die kirchliche Tradition, die in Engel- und Dämonenwelten systematische Ordnung bringen will. Hier gilt bis zum heutigen Tage, dass allein der biblische Kontrollraum Maßstab sein muß.
Engel- und Dämonen-Manifestationen stehen im Zeichen des echten Geheimnisses. Deshalb ist es dem zergliedernden Verstande verwehrt, zu viel wissen zu wollen. Dies gilt freilich auch gegenüber allen berechtigten Fragen, welche gemeinsamen bzw. auch unterschiedlichen Vorstellungen zwischen den Israel und die neutestamentlichen Gemeinden umrahmenden heidnischen Vorstellungen bestehen. Auch die in der Religionswissenschaft betonte Leitfrage nach den Ursprüngen bestimmter Vorstellungen sind im Zeichen des echten Geheimnisses letztlich irrelevant.
Zunächst ist festzuhalten, dass vom Pentateuch (5 Mosebücher) bis zur Johanneischen Offenbarung das Rechnen mit der vermittelnden Macht von Engeln und Dämonen das Schriftzeugnis charakterisiert. Ein letzter Maßstab ist die Stellung Jesu, die belegt ist. Jesus spricht in Gethsemane von den zwölf Legionen Engeln, ein Bild für die unbegrenzte Zahl, die ihm als Macht zu Gebote stünden (Mt 26,53).
II. Jesus und die Engel
In der Versuchungsgeschichte treten die Engel zu ihm und dienten ihm. Jesus kündigt an, dass er mit seinen Engeln zum letzten Gericht erscheinen wird (Mt 4,11 par.). Im Gleichnis vom verlorenen Schaf warnt Jesus, die Kleinen, die Gefährdeten oder Verirrten der Gemeinde zu verachten. Denn: „Ihre Engel in den Himmeln schauen allezeit das Angesicht meines Vaters in den Himmeln“ (Mt 18,10.). Engel, die das Antlitz Gottes sehen, sind zur Zeit Jesu geläufig als besonders hervorgehobene Engel. Die großen Engel bringen die kleinen Angelegenheiten der Kleinen und Verachteten unmittelbar vor Gott. Wie unangemessen ist es damit, Wert und Größe des Menschen aus den vordergründig-irdischen Vorstellungen zu bemessen! Von der Aussage Jesu her hat sich zu Recht in der kirchlichen Überlieferung und in der Vorstellung der trotz aller Aufklärungsansprüche biblisch orientierten Christen diese Sicht bis zum heutigen Tage gehalten. Die Engel sind für Jesus Boten und Mittlerwesen, die nicht kraft ihrer Wesensstellung im himmlischen Bereich die letzten Einsichten in Heilsplan und Heilswerk Gottes haben. Über den von Gott gesetzten letzten Tag wissen auch die Engel in den Himmeln nicht Bescheid (Mt 24,36; Mk 13,32). Die Engel bedürfen somit der göttlichen offenbarenden Mitteilung und sind deutlich wie der Mensch in ihrem geistigen und wissenden Vermögen begrenzte Geschöpfe. Auch die Engel sind wie die Menschen auf Hoffnung gestimmte Wesen. „Sogar die Engel wären glücklich, könnten sie einen Blick in sie hinein erhaschen“ (1 Petr 1,12).
Was auch die Engel zu schauen gelüstet, ist die Verheißung der Vollendung der Schöpfung im Zeichen der Wiederkunft Jesu Christi. Am Jüngsten Tage wird der Sohn des Menschen seine Engel aussenden in die große Ernte. Sie sind die Schnitter. Die Engel sind dem Sohn untertan (Mt 13,39 41.49; 24,31). In seiner irdischen Verhüllung nimmt er diese Macht nicht in Anspruch (Mt 26,53).
Nachdem Jesus in der Versuchungsgeschichte den Kampf mit dem Versucher allein durchgestanden hat, treten die Engel zu ihm und dienen ihm (Mt 24,11). Im letzten Gebetsringen in Gethsemane, das Jesus wieder alleine durchkosten muß, erscheint ein Engel und stärkt Jesus wohl im leiblichen Durchhaltevermögen. Auch in der Versuchungsgeschichte dienen die Engel dem Ermatteten mit Nahrung.
Im Lukasevangelium ist, als von Jesus erzähltes Gleichnis, die Bildrede vom reichen Mann und armen Lazarus überliefert. Die Bildzüge erhellen durchaus neben der Hauptabsicht der Erzählung Zusammenhänge im verhüllten Reich der Verstorbenen. Engel geleiten den verstorbenen Armen mit Namen Lazarus in den himmlischen Bereich Abrahams. Dieser Bereich wird durch eine unüberbrückbare Kluft von dem Aufenthaltsort der unselig gestorbenen Toten geschieden. Offenbar durchmessen die Engel in ihrer Botenfunktion auch diese Klüfte.
Im Streitgespräch mit den Sadduzäern um die Frage nach der Auferstehung vergleicht Jesus die wieder auferstandenen Toten in der neuen Seinsweise mit der Existenzweise der Engel (Mk 12,18 27; Lk 20,27 40). Die Tragweite dieses Vergleiches ist nicht leicht zu ermessen. Im Zusammenhang des Streitgespräches geht es nur um die Aussage einer transzendenten Existenzweise, die die irdisch notwendige geschlechtliche Existenzweise nicht kennt. Die Engel sind Geschöpfe, die sich nicht vermehren. Eine geist leibliche Seinsweise in den himmlischen Sphären lässt den Gedanken von Geschlechtlichkeit, Zeugung und Vermehrung nicht zu. Die Aussagen Jesu über die Engel sind nicht zahlreich und nie vom Interesse geprägt, über Engel und ihre Seinsweise zu belehren. Auffällig ist vielmehr die problemlose Selbstverständlichkeit mit der Jesus im Gespräch mit den Zeitgenossen die Engel erwähnt. Jesus hat nichts gesagt, was den Juden nicht geläufig gewesen wäre. Die Herausforderung im Gesamtanspruch seiner Vollmacht liegt allenfalls darin, dass er von seinen Engeln spricht und dass sie ihm zu willen sind.
Die Realität des Teufels und seiner Engel ist für Jesus nüchterne Gegebenheit, die er zunächst in der Versuchungsgeschichte durchsteht und in seiner Verkündigung und seinem Heilungshandeln voraussetzt. Jesu Heilungshandeln ist ein Widerspruch zu der Bindungs- und Zerstörungsmacht des Satanisch – Dämonischen. Die Dämonen und Teufel müssen vor der Macht Jesu zurückweichen. Die Dämonen, die Menschen besessen halten, proklamieren Jesus als den Sohn Gottes, der auch Macht über sie hat (Mt 8,28 34 par).
Bei der Begegnung mit dem besessenen Gadarener fragt Jesus den Besessenen nach seinem Namen. Überraschend antwortet der Dämonsgeist: Legion, denn wir sind viele. Nach den Evangelienberichten des Markus und Lukas (Mk 5,9; Lk 8,30). tritt der Besessenheitsgeist in die Vielheit auseinander und fährt in die Schweineherde. Legion ist ein Begriff für die Vielzahl. So wie Jesus Legionen von Engeln zu Gebote stünden, so steht ihm das Teuflische in seinen Legionen gegenüber. Nach den neutestamentlichen Berichten und den verwendeten Begriffen ist eine Unterscheidung zwischen Dämonen, unreinen Geistern, Teufeln oder Engeln des Teufels kaum möglich. „Dazu aber ist der Sohn Gottes erschienen: um die Werke des Teufels zunichte zu machen“ (1Joh 3,8). Das Heilswerk Jesu ist unbegreiflich ohne den Kampf gegen die diabolische Gegenmacht.
In den Endzeitreden des Matthäus (Mt 25,41) spricht Jesus von dem ewigen Feuer, das sein Vater dem Teufel und seinen Engeln bereitet hat. Das Heilswerk Jesu zur Wiederherstellung der gefallenen Schöpfung endet also mit der Ausgrenzung der teuflischen Herrschaft in der unsichtbaren und sichtbaren Schöpfung. Zum Welt und Wirklichkeitsbild Jesu gehören somit die geschaffenen bzw. aus der ursprünglichen Schöpfungsbestimmung gefallenen geistigen Herrschaftshierarchien wesentlich hinzu. Inkarnation und Heilswerk Jesu sind somit nicht allein in der Relation zum Menschen zu fassen, sondern beziehen sich auf die Totalität Schöpfung, die wir nur in der heilsgeschichtlich-sphärischen Gliederung begreifen. In diesem Zusammenhang: Urgestalt; gefallene Gestalt; vollendete Gestalt.
III. Die Inkarnation des Gottessohnes als Erschließung der Schöpfungsdimensionen
Der Mensch sowie der Eingeborene Gottessohn können abgesehen von den Legionen von willenszentrierten Geistern, d.h. ohne Bezug zu dem Totalraum der Schöpfung, nicht in Lehre gefasst werden: Christologie und Anthropologie. Die Eingeburt des Gottessohnes wird proklamiert durch den Verkündigungsengel Gabriel und die Geburt in Bethlehem durch die den Hirten erschienenen Engelchöre (Lk 2,8 15). Auferstehung und Himmelfahrt werden begleitet durch Engelerscheinungen. An den irdisch-zeitlichen Rändern der Inkarnation überschneiden sich himmlischer Wesensraum und irdischer Wesensraum: Himmel und Erde vereinen sich beide. Es ist eine auffällige Transparenz, die das Menschsein des Gottessohnes als Geheimnis umrahmt. Jesus spricht bei der Berufung zu Nathanael: „Amen, Amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes auf und niedersteigen auf den Menschensohn“ (Joh 1,51).
Der innerste Kontroll- und Kriterienraum, um über Engel, Geister und Dämonen Aussagen zu riskieren, ist der maßgebliche Kern aller Schriftoffenbarung: Die Inkarnation des Gottessohnes. Das Eigenzeugnis des Mensch gewordenen Christus sowie die bezeugten Begleitumstände der Trans-Phanien (Erscheinungen aus dem Jenseits) der himmlischen Welt. Zu respektieren haben wir zunächst die Zurückhaltung Jesu, belehrende Offenbarung über das echte Geheimnis der verhüllten Geist-Macht-Konstellationen zu geben. Andererseits hat sich Inkarnation und der Umgang Jesu mit den vordergründigen und hintergründigen Realitäten, sowie seiner Aussagen so ungebrochen in das Schriftzeugnis und Glaubensgut der von Jesus akzeptierten ersten Gottes- und Bundesgemeinde eingefügt, dass es nach Jesus auch keinerlei Vorbehalt gibt, das gesamte Schriftzeugnis Alten und Neuen Testamentes ins Blickfeld zu rücken, um den angemessenen Kontrollraum zu haben. Nun verhält es sich im Gesamtbereich des Schriftzeugnisses analog wie im Umkreis Jesu selbst, dass mit der Realität von Engeln, Geistern, dämonisch-teuflischen Mächten so selbstverständlich gerechnet wird, dass eine lehrhafte Reflexion über diese selbstverständliche Realität nicht geboten wird.
Als locus classicus (klassiche Schriftstelle), der in knappster Form alles Wesentliche über die Engel aussagt, gilt Hebräer 1, 14: „Sind sie nicht alle dienstbare Geister, zum Dienst ausgesandt um derer Willen, die das Heil ererben sollen?“. Sollte man sich nicht in Zurückhaltung und Keuschheit im Respekt vor dem echten Geheimnis mit dem Dienebild begnügen? Wir haben die spekulative Denkkraft im Kontrollraum des biblischen Offenbarungszeugnisses einerseits, und im Kontrollraum der gesicherten Erkenntnis der Erfahrungswissenschaften andererseits, als berechtigt angesehen. Aber könnten wir die Schöpfung und den Menschen im Wesen überhaupt verstehen, wollten wir das Fragen und Antwortversuchen zu schnell abwürgen? Der Mensch hat die Fülle der im Sichtbaren auftretenden Kreaturen des Pflanzen- und Tiereiches sozusagen unter sich. Hat er nicht auch ein Reich von Geist-Kreaturen über sich? Diese Sichtweite ist nicht identisch mit der Frage nach der verhüllten räumlichen und zeitlichen Sphäre der Verstorbenen. Zunächst versuchen wir uns deshalb an die Fragen heranzutasten, die das biblische Material selbst nahelegt.
IV. Die Frage nach dem Ursprung der Engel
Die erste Frage, die sich nach dem biblischen Material aufdrängt, ist die Frage nach dem Ursprung der Engel: Im Alten und Neuen Testament bekommen wir auf die Ursprungsfrage die eindeutige Antwort: „Du hast die Himmel gemacht, der Himmel Himmel und all ihr Heer“ (Neh 9,6).
Im Christushymnus des Kolosserbriefes haben wir die zentrale neutestamentliche Stelle (Kol 1,16): „Denn in ihm ist alles in den Himmeln und auf der Erde geschaffen worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne, oder Herrschaften, oder Fürstentümer, oder Gewalten: alles ist durch Ihn und für Ihn geschaffen“.
Die Schöpfungswoche umfaßt nach der Offenbarung am Sinai, der göttlichen Begründung des Sabbat Gebotes, die Erschaffung von Himmel und Erde (Ex 20,10f). Nach Hiob 38,4 7 „jubelten die Morgensterne miteinander und jauchzten alle Söhne Gottes“, als er den Eckstein der Erde gelegt hat. Danach könnte man die Erschaffung der himmlischen Geist-Kreaturen vor die Erde stellen.
Die zweite sich aufdrängende Frage ist die Frage nach der durch das gesamte Schriftzeugnis vorausgesetzten Existenz des teuflischen Gegenengels mit seinem Anhang. Diese Basisfrage ist verquickt mit der Frage nach dem Ursprung des Bösen überhaupt. Unde malum? – woher stammt das Böse? – ist eine der schwerwiegendsten Fragen, die der Mensch überhaupt aufwerfen kann. Auch eine philosophische Anthropologie kann sich dieser Frage nicht entwinden. Die Frage weitet sich in kosmische Dimension: Ist die jetzige Gestalt des sichtbaren Kosmos ursprünglich oder ist sie nur im Zeichen des Sündenfalles zu begreifen? Der Ursprung des Bösen steht im Zeichen des echten Geheimnisses. Wir können das echte Geheimnis nicht rational lüften und damit trivialisieren. Wir sind gerade hier auf Offenbarung angewiesen. Die Schrift hat bezeichnenderweise über eine der schwersten anthropologischen und kosmischen Grundfragen keine Lehre.
V. Keine Lehre über die Engel, doch unterscheidbare Wesenseinsichten werden deutlich
Wenn auch keine faßbare Lehre aus den die Engel, Geister und Dämonen tangierenden Stellen erschließbar ist, gibt es doch einige Wesensbestimmungen:
a) Das Böse als wissensgebundene personalzentrierte geistige Macht ist nicht zu reduzieren auf den Sinnraum des Menschen. Das Himmelreich ist existent als Kosmos von willensgebundenen Geistwesen. Der Himmelsbereich, d.h. die Geister-Hierarchien sind GOTT näher als das Mensch-Erdreich.
Gott der Heerscharen. Nach dem Genesis-Zeugnis waren alle erschaffenen Wesen gut. Andererseits sind die Schriftstellen zahlreich genug, die von bösen Engeln, dem Teufel und seinen Engeln sprechen. Dieser Dualismus ist auch Komponente des Wirklichkeits Zeugnisses Jesu (Ps 78,49; Mt 25,41; Apk 9,11; 12,7 9).
Also ist für den auf die Schrift hörenden und nachdenkenden Menschen die Frage unabweisbar: wie kam es zu einem Fall gut geschaffener Geist-Kreaturen? Dies ist zweifellos eine im biblischen Kontrollraum notwendig zu stellende und Beantwortungsversuche erheischende legitime Frage. 2 Petr 2,4 spricht von den Engeln, die gesündigt haben und die aus ihrem Ursprungsraum wohl in der Nähe Gottes in einen Grenzraum der Gottesferne verbannt wurden.
Der Judas Brief spricht von den Engeln, „die ihre Würde nicht bewahrten, sondern ihre eigene Wohnung verliessen“ und deshalb unten in der Finsternis verwahrt werden bis zum Jüngsten Gericht (Jud 6). Wenn wir die Schöpfung Himmels und der Erde als den einheitlichen Initialakt des Daseins der Totalität der Schöpfung verstehen, vor allem begründet in der durch die Sinaioffenbarung bestätigten Zeiteinheit der Schöpfungswoche, die sich in ihrem Maß als wesentlich erweisen wird, können wir keinen ungebrochenen Zustand eines Ur-Himmels und einer Ur-Erde vor dem Fall denken. Freilich ist eines deutlich: das kosmisch-himmlisch Böse geht dem Fall des paradiesischen Menschenpaares voraus. Die versucherische Macht ist gegenüber dem ersten Adam so wirksam wie in der Versuchungsgeschichte gegenüber dem zweiten Adam.
Unter dem Anspruch, des „im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (1Mo 1,1) sowie bestätigt durch das Schlüsselwort zum Zeitraum der Erschaffung nach 2Mo 20,11: „denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht…“ und weiter unter der Selbstprädikation „und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1Mo 1,31), drängt sich hinsichtlich der eindeutig bezeugten gefallenen Engel und ihrer Herrschaftshierarchie auf, dass ein Teil der Engel nach ihrem in ihrer Schöpfungswesenheit zugeordneten freien Willen die von Gott gewollte Wesensbestimmung zur Diene-Natur als ersten freien Willensakt verwarf.
Schriftgemäß dürfte sein, dass die simultan und gut geschaffenen Engelwesen nach ihrem freien Willen für die Existenz im Gott hingegebenen Dienebild mit der Konsequenz ewiger Seligkeit oder für den Aufruhr in der Sünde mit der Bestimmung zum Widerspruch und ihrer destruktiv dämonischen Funktion sich entscheiden. Da das Himmelreich, die unsichtbaren und unverhüllten Sphären der Totalität Schöpfung durch die Reiche und Hierarchien der geschaffenen Wesen sich repräsentieren, kommt es zu einer Differenzierung des Himmelreiches durch die entsprechenden Repräsentationsorte der Geister-Heere.
Gegenüber dem sog. Ur-Fall im himmlischen Kosmos der Geister-Hierarchien gilt es im übrigen Keuschheit der Einzelaussage zu wahren, damit auch hier das echte Geheimnis stehen bleibt. Freilich darf man auch sehen, dass die Lehre des Ur-Falles in den Engelwelten nicht nur in der jüdischen Lehrwelt und Schriftauslegung zur Zeit Jesu ihre Heimat hatte, sondern auch in vielfältigen ausgeführten Gestalten in der Kirchengeschichte über den Thomismus bis in die protestantische Orthodoxie überliefert wurde. Die moderne Wissenschaft, auch die religionsgeschichtlichen Erkenntnisse, geben keinen Anlass, dieses echte und bleibende Geheimnis zu entmythologisieren.
Der Ur-Fall ist also vor der Erschaffung des Menschen anzunehmen. Theosophische Traditionen von der spätjüdischen Kabbalah (Jüdische Philosophie) über Jakob Böhme bis hin zu Michael Hahn, meinen, dass die Sphäre des sichtbaren oder irdisch materiellen Kosmosbereiches schon mit dem Ur-Fall zu tun hat. Gott hat das Böse nicht erschaffen. Im aufrührerischen und widerstrebenden gefallenen Geschöpf wirkt Gottes Grimm und Zorneshandeln.
Der böse und gefallene Engel, der im luziferischen Kollektiv existiert, kann unter dem Zorne Gottes nur durch Gewährung gesonderten Lebensraumes Existenz bewahren. So ist auch die himmlische Herrschaftswelt geschieden: Finsterniswelt und Lichtwelt.
Die Lichtwelt ist erfüllt und repräsentiert durch die unabzählbaren Engel im Dienebild. Die Finsterniswelt ist erfüllt und repräsentiert durch die unabzählbare Zahl selbstischer Engel im Bilde des Zerstörungswahnes. Die Engel repräsentieren sich in lichter Leiblichkeit, welche irdische Raum Zeit Vorstellungen sprengen. Luzifer, wörtlich der Lichtträger, im Neuen Testament dann mit Satanas oder Diabolos charakterisiert, hat die Herrschaftsmacht über diesen Äon. In der Versuchungsgeschichte bietet er Jesus, dem in Menschenbegrenzung eingetretenen Gottessohn in diesen Herrschaftsraum, Teilhabe an seiner Herrschaft an. Von daher sind Spekulationen verständlich, die das luziferische Reich im Besonderen mit der sinnlich-materiellen Sphäre der Schöpfung in Verbindung brachten. Hat schon das luziferische Schöpfungsreich der im geistigen Widerheer manifesten Finsterniswelt, die ur-anfängliche Schöpfung verdorben? Die Tragweite des Gedankens reicht so weit, dass nicht wenige Ausleger, die 1Mo 1,2 mit wüst und leer beschriebene Früh-Erdgestalt als Ausdruck einer chaotischen Wirkung des Finsternisreiches interpretieren. Die dann in der Genesis geschilderten Gestaltungswerke wären eine Wiederherstellung oder zumindest eine Einschränkung der erzeugten chaotischen Konsequenz des Urfalles.
b) Die himmlisch unsichtbare Schöpfungssphäre – diese Bestimmung immer gewonnen von der Perspektive des reflektierenden Menschen her – besteht aus der unsichtbaren Lichtwelt und der unsichtbaren Finsterniswelt. Die unsichtbare Lichtwelt wird repräsentiert durch die Hierarchien der geist-leiblich geschaffenen Engelwesen. Geist-Leiblichkeit ist eine Chiffre für einen Existenz-Kosmos mit einer übertragenen Raum-Zeitlichkeit. Freilich ist ein irdisches Raum-Zeit-Kontinuum begrifflich nicht auf das eben Unsichtbare anwendbar. Die unsichtbare Finsterniswelt wird repräsentiert durch die Hierarchie der luziferisch-diabolischen Engel. Die Existenz dieser unsichtbaren Gegenwelt kann mit Worten der Böhme-Schule bezeichnet werden als Offenbarung des Zornes Gottes. Der Zorn Gottes ist somit auch eine manifeste Realität. Das Heer der Widerengel steht nicht im guten Dienebild, aber im Funktionsbild des Zornes Gottes. Die wesenhafte Manifestation des Widerreiches und funktionsmäßig des Zornes Gottes ist keine unmittelbare Schöpfung, vielmehr Folge des Falles des Fürstenengels Luzifer mit seiner Heeresmacht.
Wir fragen, was das Zeugnis von der Vertreibung aus dem Paradies konkret für das Verständnis der Grundverfasstheit dieses Äons bis hin zu den physikalischen Gesetzen bedeutet. Wir wollen im Augenblick an dieser Stelle nur festhalten, dass der Ur-Fall im himmlischen Wesensreich der Erschaffung des Menschen vorangeht und dann die Urgestalt in ihrem Vollkommensein, ihrem Gut-Sein, ihrer Paradieses-Art bedroht und gefährdet. Die Finsternismacht wird manifest in der Eden-Mensch-Schöpfung durch die Sünde des ersten Menschenpaares und die Verfluchung, der Konsequenz der Vertreibung aus dem Paradies. Die heutige Scheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Sphäre der Totalität des Schöpfungskosmos ist bedingt durch die Stufen des Falles, die später erörtert werden. Die ursprüngliche Paradiesesgestalt der Eden-Schöpfung ist nach unserer jetzt aufgezwungenen Trennungsmetapher sichtbar/unsichtbar jenseits der heutigen Sichtbarkeitsschranke. Aber auch die Eden-Schöpfung ist in analoger Differenz den Engelssphären transzendent. Als Problemanzeige sei hier nur so viel gesagt, dass die Aufgabe einer feinen Differenzierung der Stufen des Falles und auch damit zusammenhängend eines gegliederten Begriffes der Transzendenz notwendig ist in einer hier intendierten heilsgeschichtlichen Differenzierung.
c) Es wäre von uns im jetzigen Äon in unserer irdisch sterblichen Existenzweise mit der Einschränkung unserer Vernunft vermessen, rational Auskunft über die Ursache des Urfalles näher zu gewinnen. Man muß es bei Andeutungen belassen: Hesekiel 28 könnte in der Gestalt des Königs von Tyrus sinnbildlich Luzifer Satan darstellen. So wäre in dem Bildwort davon die Rede, dass er ursprünglich außergewöhnliche Schönheit (Hes 28,12) und großen Wohlstand (Hes 28,16) besaß. Er ist wegen eines Aufstandes aus ungebührlichem Hochmut und dem Wunsche, Gott zu übertreffen, gefallen. Auch Jesaja 14,13 14 könnte man in der Bildrede vom König von Babylon als Anspielung auf die Überheblichkeit des Engelsfürsten erkennen, der deshalb zu Fall kommt.
d) Zu den Auswirkungen des Falles gehört die schon genannte notwendige Scheidung der himmlischen Schöpfungssphären in Grenzbereiche der satanischen Herrschaftsmacht und den Nahbereich zu Gottes Thron, den Raum der Lichtengel. Im Zusammenhang der gefallenen Engel wird nach dem Zeugnis des 2. Petrus-Briefes von der Verbannung eines Teiles an besonderem Orte der unsichtbaren Welt, sozusagen an ihrer Grenze (finstere Höhlen der Unterwelt) gesprochen. Zur Auswirkung des Falles gehört die Freigabe der Einwirkung der teuflischen Engel– und Dämonenheere in die verfluchte Mensch-Erd-Welt (1Mo 3,17-19). Der Apostel Paulus spricht wörtlich davon, dass bis zum heutigen Tag die sichtbare Schöpfung seufzt und stöhnt über die Last dieses Fluches und Falles (Römer 8, 19-22). So ist die gefallene Erdgestalt als Schnittmenge der Wirkmacht der verborgenen Lichtwelt und der unsichtbaren Finsterniswelt gar nicht verständlich ohne die Dualität der himmlischen Hintergrundswelt. Konsequent ist es deshalb, dass die der Gemeinde des neuen Bundes verheißene Vollendung der Schöpfung im Zeichen der Enderscheinung ihres Herrn die absolute Beendigung der Wirkmacht der Finsterniswelt beinhaltet. Die Finsternis Heere werden an einem zukünftigen Tage auf die Erde (Apk 12,8 9) und nach Vollzug ihres Gerichtes (1 Kor 6,3) in den Feuersee (Mt 25,41) geworfen.
e) Die biblischen Andeutungen lassen auf Gliederungen der Engelreiche schließen. Nach der eigenen Wesensbestimmung im Rahmen des freien Entscheidungsvermögens haben wir die zwei großen Gruppen: Die Engel Gottes und die von Gott abgefallenen Engel Satans. Andeutungsweise zeigt die Schrift wiederum Unterschiede und Untergruppierungen. Das biblische Material läßt es aber kaum zu, hier spekulativ eindeutige Klassifikationen zu vollziehen. Für die Zahl der Engel haben wir nur die symbolischen Hinweise, dass sie für uns unzählig sind: „Tausend mal Tausende dienten Ihm und Zehntausend mal Zehntausende standen vor Ihm“ (Daniel 7,10); ebenso Offb 5,11: „Und ihre Zahl war Zehntausend mal Zehntausend und Tausend mal Tausend“. Im Hebräerbrief lesen wir von Myriaden von Engeln, Symbol für die unabzählbare Vielfalt. Jesus selbst spricht von den Legionen Engeln, die der Vater ihm zur Verfügung stellen könnte (Hebr 12,22; Mt 26,53).
Wir haben einerseits die unfasslich große Zahl und andererseits die Nennung von Namen herausgehobener Engel. Die exemplarische Namensnennung verweist auf die Individualität und Personalität. Im christlichen Schriftenkanon haben wir den Engel Gabriel hervorgehoben: Er wird im Daniel Buch (Dan 8,16.21 22) erwähnt und kündigt im Neuen Testament sowohl die Geburt Johannes des Täufers, wie des Gottes Sohnes Jesus an (Lk 1,13 19.26ff). Im Neuen Testament findet sich zweimal der in der zeitgenössischen jüdischen Engellehre gebräuchliche Begriff Erzengel (1 Thess 4,16; Jud 9). In Judas 9 wird der Erzengel Michael mit Namen erwähnt. Der Begriff Erzengel (Offb 12,7) . bezeichnet einen Engelfürsten der wiederum seine Engel unter sich hat. Bei Daniel wird er als der Fürst des Volkes Israel erwähnt. Keinen Zweifel daran läßt die biblische Überlieferung, dass auch das abgefallene Engelreich seinen Erzfürsten hat: Luzifer, später Satanas oder Diabolos. Standen die Engel bei der Erschaffung wirklich im liberum arbitrium, d.h. sich in der Willensfreiheit Gott botmäßig oder selbstisch zu bestimmen, dürfen wir sie als individuelle verantwortliche Persönlichkeiten verstehen, die dann auch mit Namen als Zeichen ihrer Personwürde und Willensfreiheit angeredet werden können.
f) Als besondere Gruppen werden die Cherubim und die Seraphim genannt. Die Cherubim haben wohl ein besonderes Wächteramt. Sie bewachen nach 1Mo 3,24 mit gezücktem Schwert den Rückweg in die Edenwelt, das Paradies. Dann sind sie als Thronengel genannt Ps 18,11; 80,2; 99,1; Hes 1/10/11; Apk 5,6ff ). Nach dem Seher Johannes stehen sie um den Thron Gottes. Symbolisch waren zwei Cherubim auf dem Deckel der Bundeslade angebracht: Thronengel, Wächterengel. Nur in Jesaja 6,2.4 werden die Seraphim erwähnt. Nach der Berufungsvision des Jesaja schweben sie über dem Thron. Sie sind so wohl Symbol der Anbetung und Heiligung.
g) Im Christus-Hymnus Kolosser 1,16ff nennt Paulus als Schöpfungsinhalt des Unsichtbaren Throne, Herrschaften, Fundamental-Gewalten und Mächte.
Paulus fügt hinzu, dass diese Machtkollektive durch Ihn und zu Ihm erschaffen seien. Es ist freilich fraglich, ob Paulus hier irgendeine Klassifizierung der himmlischen Wesen vollziehen will. Mit der Ballung der Worte soll vor allem die uneinge¬schränkte Herrschaft des Christus in dem Hymnus proklamiert werden.
Die Throne könnten ein Hinweis auf Thronengel sein. Die Herrschaften mögen einen Hinweis enthalten für eine Engelgruppe, die über weitere Hierarchien besondere Befehlsgewalt hat. Die Fürstentümer weisen möglicherweise auf die Fürsten verschiedener Völker oder Nationen hin. So wie Michael der Fürst Israels genannt wird (1 Thess 4,16; Jud 9). Die Mächte sollen möglicherweise den Hinweis auf die ausführenden Botengruppen enthalten. Eine solche Gliederung kann aber nur mit Zurückhaltung angedeutet werden.
h) Nach den dezenten Aussagen des biblischen Zeugnisses dieser Manifestationen von göttlich orientierten oder widergöttlich orientierten Geistwesen aus der verborgenen Welt, erscheint es als unkeusch und unangemessen, eine Ontologie der Engel- und Dämonenwelten aufzustellen. Legitim scheint hingegen die Frage nach Aufgabe und Wirken. Die guten Engel stehen im Dienebild; das Dienebild ist wohl die umfassendste Wesenskategorie, die uns Menschen möglich ist. Karl Barth widmet in seiner Schöpfungslehre unter dem Thema „Das Himmelreich, Gottes Botschafter und ihre Widersacher“ den Engeln und Widersachern einen umfangreichen Paragraphen.
Die umfangreiche Auseinandersetzung mit der Tradition bis hin zur Gegenwart dient aber im wesentlichen dazu, Grenzen einer Angelologie (Lehre über die Engel) aufzuweisen. In der notwendigen Grenzbestimmung wird der Aussageform indessen nur die Gattung der Sage oder Legende eingeräumt. Diese Konsequenz halten wir für unbegründet. In der angemessenen Zurückhaltung sind durchaus Wirklichkeit kennzeichnende Bestimmungen aus dem biblischen Material möglich. Barth sieht hingegen richtig, dass auch bei all den noch möglichen Wirklichkeitsbestimmungen der Begriff des Handelns Gottes die Primärkategorie sein muß. Engel sind Botenwesen. Für uns erscheinen sie fast verströmend in ihrer Funktion. Die aus den biblischen Stellen erschließbaren Tätigkeiten der Engel lassen sich wiederum nicht zu scharf systematisieren. Auch hier darf man den vielfach in der Schwebe bleibenden außerirdischen Erscheinungen nicht Gewalt antun. Unsere Bestimmungsversuche müssen das echte Geheimnis zu wahren versuchen. Wir haben schon angedeutet, wie die Inkarnation selbst durch besondere Transparenz zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren gerahmt ist. Für Jesus selbst war diese Transparenz selbstverständlicher Wirklichkeitsgrund. Wir erkennen die Engelsdienste in zwei Richtungen: In Richtung zu Gottes Thron ist Anbetung. Die Engel sind also primär auch zur Anbetung mitbestimmt (Offb 5,11; Ps 148,2; Hebr 1,6 u.a). Manche Tätigkeiten sind schon angesprochen.
Hier nur noch einmal zusammenfassend die Hauptlinien: In Richtung zum Erd-Menschen-Raum treten sie wohl als Beschützer des Gottesvolkes, sowohl im persönlichen, als auch im kollektiven Bereich ein. In ihrer speziellen Beschützungsfunktion durchbrechen und beseitigen sie Hemmendes und Widerwärtiges der irdischen Raum-Zeit-Welt. So nüchtern konkret kann ihr Eingreifen sein, dass während der Nacht die Türen des Gefängnisses aufgetan werden und Apostel gegen alle Gefängnismacht von Menschen frei kommen (Apg 5,19; 12,11). In der Apostelgeschichte bezeugte Erfahrungen der ersten Christen könnte man durchaus bei genügender Aufmerksamkeit sammeln und sichten bis zum heutigen Tage. Auch hier bestätigt sich die immer wieder neu auszuschöpfende Einsicht begnadeter Seher, dass alles Geschöpfliche, das sich körperlich verleiblicht und in der irdischen Raum-Zeit-Welt und im physikalischen Gesetzesrahmen sich geordnet manifestiert, letztendlich Resultante der Akte der geistigen Hintergrundswelt ist.
Dann sind die Stellen zahlreich, in dem erscheinende Engel eine hörbare und verstehbare Botschaft haben. Oft beginnt die Anrede: „Fürchtet Euch nicht.. “ (Mt 28,5), dann folgen konkrete Weisungen und Botschaften. Auch hier muß ein Geheimnis stehen gelassen werden. Entweder gehört zur sichtbaren Manifestationsmöglichkeit erscheinender Botenwesen die Ausdrucksmächtigkeit in der je verstehbaren geschichtlichen Sprache; oder die menschliche Seele versteht nicht über das Ohr, sondern über das Herz die himmlische Sprache. Zur Zeit des Neuen Testamentes war man davon überzeugt, dass es eine himmlische Sprache gebe, an der je und dann Menschen gewürdigt würden, teilzuhaben.
Weiter sind Engel in vielfältiger Weise als Vollstrecker des Gerichtes bezeugt (Apg 12,23; Gen 19,12f; 2 Sam 24,16; Hes 9,1.5.7). Vor allem sind die Engel bei der Vollstreckung des Endgerichtes beteiligt (Offb 16). Wir werden auch darüber nicht im Zweifel gelassen, dass im weiteren Gang des Schöpfungskosmos, den wir als Gesamttotalität sphärisch und heilsgeschichtlich gegliedert eingeführt haben, das Mitwirken der Engel entscheidend sein wird. Die erlösten Menschen und die nicht gefallenen Engel werden unter der unmittelbaren Herrschaft des Kyrios die neue Schöpfung bauen und vollenden. Sie wird dadurch charakterisiert sein, dass die unseligen Menschen und satanisch orientierten Engel zum Handeln und Wirken völlig entmachtet sind. Ihr Grenz- und Finsternisraum, die Hölle, ist durch die Pein der Ausgeschlossenheit am aufbauenden Wirken der neuen Schöpfung gekennzeichnet.
Bis zur letzten Scheidung im Endgericht haben die gefallenen Widerengel unter der Fürstenautorität Satans, oder Luzifers, oder des Diabolos Verführungs- und Zerstörungsmacht. Ihr Wirkspielraum ist eingeräumte Macht.
Die Verfluchung der Erde um der Sünde des ersten Menschenpaares willen können wir konkret so verstehen: Über die Gestalt des Erd-Menschen-Raumes wird dem Heer der Widerengel Macht eingeräumt. Diese Macht ist ebenso konkret wie die Funktionsmacht der guten Engel. Sie reicht bis in Manifestationsmöglichkeiten in seelisch-körperliche Potenz. Teufels- und Dämonen-Erscheinungen sind real. Wir würden das Böse nicht verstehen, wenn wir die kosmisch-reale Dimension entmythologisieren wollten.
i) Eine Frage, die sich an der Bibel orientierende Christen, sowie Exegeten und systematische Theologen gleichermaßen beschäftigt, ist die Zuordnung der Dämonen, oder allgemein des Dämonischen zu dem Herrschaftsbereich der gefallenen Engel. Über die Erschaffung von Geistwesen der unsichtbaren Schöp¬fungshemissphäre, die man als Dämonen charakterisieren kann, weiß die Schrift nichts. Da darüber kein Zweifel bestehen kann, dass die Totalität des Schöpfungskosmos, differenziert nach heilsgeschichtlichen und sphärisch dimensionalen Bestimmungen, eben Schöpfung ist und es keine Wesen, noch ein Raum Zeit Gefüge gibt, das nicht creatio, d.h. eben Schöpfung ist, ist diese immer wieder aufgeworfene Frage unseres Erachtens nach wohl nur in einer Richtung lösbar: Die Worte Geist, bzw. Geister sind biblisch Sammelbezeichnung für alle Wesen des Unsichtbaren.
Der Dreieinige Gott, dem alle geschaffenen Geister untergeordnet sind, ist ausgenommen. Diese zusammenfassende Bezeichnung erstreckt sich über die abgeschiedenen Seelen im Totenreich, über das, was als böse oder unsaubere Geister genannt wird, bis über die Dämonen, die Widerengel zu den Engeln Gottes, die als dienstbare Geister vorgestellt werden und möglicherweise entsprechende Ränge einnehmen.
Da wir ausschließen, dass die Seelengeister unselig Verstorbener unkontrolliert herumgeistern – sind sie doch beherrscht im Totenreiche in Ordnungsverwahrung, – bleibt wohl doch nur der Schluß, dass die bösen Geister, die Dämonen-Geister, zum Heer der gefallenen Engel unter der Herrschermacht des dämonischen Fürsten Satanas gehören.
Es gibt einen einsichtigen Grund, warum man zunächst zögert, dämonische Manifestationsweisen auch im Zeichen des gefallenen Engels der Engelwelt überhaupt gleichzustellen: Die dämonischen Geister nehmen Besitz von Menschen und wohnen im Menschen ein. Das charakteristische Wort ist Besessenheit, Obsedienz. Sind dies nicht nur quasi Subjekte, abgespaltene Teilgeister, die nur in der Fremdsymbiose einer vollen Geist-Person existieren können?
Hat vielleicht der Diabolos mit seinen Engelheeren solche Wirkmacht auch in der sichtbaren Schöpfung, dass seelische Energieballungen koboldartig destruktiv zu wirken vermögen, indem sie sozusagen Sprengsätze in die Tiefenschichten des Unbewußten einbringen? Man kann sich auch von Engeln, so wie sie uns aus den biblischen Erscheinungsweisen bekannt werden, nicht denken, dass sie in irgendeiner Form in den seelisch geistigen Eigenraum eines Menschen eindringen.
Haben nicht die berichteten Engelerscheinungen gerade das Dezent Vornehme an sich, dass sie in ihrer Erscheinung und Anrede den Menschen immer voll und ganz als Person respektieren? Beim ersten Wort wird der angeredete Mensch in den Schutzraum gestellt: Fürchte dich nicht.
Anders bei den Dämonenerscheinungen. Aber könnte dies nicht gerade ein Charakteristikum sein des bösen Engels in der luziferischen Botmäßigkeit, dass er in seiner Unruhe der Gottgelöstheit gewaltsam da einzudringen versucht, wo Menschen nicht unter dem besonderen Schutzschild der guten Engel stehen?
Da, wie gesagt, das biblische Zeugnis über die Erschaffung besonderer dämonischer Geist-Wesenheiten nichts aussagt, ist es die schlichteste Anschauung, dass die Dämonen-Geister, die so brutal und ungeschminkt einzudringen versuchen in den Geist-Person-Raum auch des Menschen, doch die bösen Engel sind.
Das Kobold-Dämonenhafte ist Ausdruck ihres Wesens. Hier dürfen auch Fragen offen bleiben. Eine letzte dogmatische Festlegung muss nicht sein. Auch die himmlische Finsterniswelt steht im Zeichen des echten Geheimnisses. Spricht doch der wissende Person-Geist des Dämons in der Begegnung mit Jesus deutlich aus, dass er den Sohn Gottes erkennt. Er ist also doch bewusstes Wesen, das um seine Verdammnis- und Gerichtsbestimmtheit weiß.
Vielleicht dürfen wir noch folgende Unterscheidung wagen: Die guten Engel im Dienebild sind Gott näher. Zumindest haben besondere von ihnen unmittelbaren Zugang zu Gottes Thron und stehen in der unmittelbaren wissenden Beauftragung. Die unmittelbare Manifestation in den Erdraum ist Besonderes und Seltenes. Beachtliche, visionär theosophi¬sche Traditionen vom Spätjudentum über die Böhme Schule bis Michael Hahn haben immer wieder den Erdraum, den durch physikalische Trägheit geprägten Raum überhaupt, also Erde + Sternenwelt, als besonderen Heimat und Manifestationsraum des luziferischen Reiches angesehen. Diese Auffassung hat zumindest Nähe zu der klaren neutestamentlichen Bezeugung, dass der Teufel Herr dieses Äons ist, so dass er den inkarnierten Gottessohn versuchen kann, indem er ihm Herrschaftsbeteiligung unter seiner Ägide anbietet. Diese Versuchung weist Christus ab. Nur Gott kann angebetet werden. Kein Geschöpf! Dieser Gedankenbereich wird hier nicht weiter entfaltet, da er später aufgegriffen wird. In der Böhme Schule versteht man die träge Materiegestalt, manifest in unserer feststellbaren physikalischen Gesetzlichkeit, als ein sog. drittes Prinzip. Die geistleibliche Ur-Gestalt auch der Mensch-Erd-Raum-Schöpfung im Anfang schuf Gott Himmel und Erde wurde durch den luziferischen Abfall in die Form des dritten Prinzips gerissen: Sie ist Resultante des dahinter liegenden Kampfes der himmlischen Lichtwelt und der transzendenten Finsterniswelt. Das Resultat ist das Schema dieser Welt (1 Kor 7,31).
So wäre die bleibende Bindung des luziferischen Reiches an die materiell träge Sphäre des totalen Schöpfungskosmos verständlich. Die Existenzbindung des gefallenen luziferischen Reiches wäre somit im Gegensatz zu den botmäßigen Gottesengeln im übertragenen Sinne in Erdnähe. Die Finsterniswelt, ja die befestigten Örter oder Höhlen, in die nach dem Zeugnis des zweiten Petrus und Judas Briefes ein Teil der gefallenen Engel schon gebannt sind, hätte wohl irgendetwas auch mit der strukturellen Festigkeit des Materieraumes zu tun. In der leib geistigen Schöpfung ist nicht an Trägheit und Raum-Zeit-Struktur gebundene unmittelbare Bewegung denkbar. So wird es auch von den guten Boten Engeln angenommen. Da sie Individuen sind, willenszentrierte und abgegrenzte eigenständige Person Wesen, eignet ihnen im übertragenen Sinne auch Räumlichkeit, d.h. Leiblichkeit. Es ist himmlische Leiblichkeit, von der wir aus dem Auferstehungszeugnis Ahnungen haben dürfen. Die dämonische Verfasstheit der Widerengel hinge damit zusammen, dass ihre Bindung an die Trägheitswelt des irdischen, einschließlich des astrophysikalischen Dimensionenraumes eine stärkere ist. Deshalb auch möglicherweise das koboldhafte Auftreten dämonischer Manifestationen, das sich bei Okkult-Phänomenen bis hinein ins Körperliche, ja bis in physikalisch registrierbare Dimensionen erweist.
Gott der Vater ist in der Dreifaltigkeits-Relation dem ungeschaffenen Sohn als Schöpfungsmittler, sowie dem Geiste als der Form der Geist-Vermitteltheit transzendent. Die Dreifaltigkeitstranszendenz ist das tiefste Geheimnis, an dem Vorstellen durch Krücken von Wortmetaphern scheitert. Die Dreifaltigkeit ist wiederum den geschaffenen himmlischen Wesen transzendent im Sinne der Unterscheidung des nicht geschaffen Ewigen und des geschaffen Ewigen. Die geschaffenen himmlischen Dienewesen, hier nicht ausgenommen die Widerwilligen, die noch im Funktionsbild bleiben, sind den sichtbaren Geschöpfen transzendent im Sinne der dimensionalen Struktur.
Das Handeln Gottes dürfen wir als im wesentlichen vermittelt durch die Myriaden von Botenwesen begreifen. Es ist Heilshandeln von der Ur-Tat der Schöpfung bis zur Vollendung im Zeichen der neuen Schöpfung. Auch der neuen Schöpfung wird in qualifiziertem Sinne Zeit gehören. Zeit ist ein Maß des Kosmos und ein Gegenbegriff gegen Chaos. Die heilsgeschichtliche Schöpfungstotalität ist Kosmos und nicht Chaos. Denn Gott ist ein Gott der Ordnung, des Kosmos und des Friedens.
VI. Ordnungsversuche und Urteile der Kirchlichen Tradition und Theologie
In der frühkirchlichen und mittelalterlich katholischen Lehrüberlieferung finden wir Systemspekulationen über die metaphysischen Schöpfungsreiche, vor allem repräsentiert durch die Engel- und Dämonenwelten. Unter der Autorität des von Paulus bekehrten Dionysus Areopagita (Apg 17,34), der nach kirchlicher Tradition erster Bischof von Athen war, wurden in der frühen Kirche eine Sammlung von Schriften tradiert mit großem Einfluß, die nahezu apostolische Autorität gewannen. In diesen Schriften wurde eine Synthese zwischen frühchristlicher Lehrtradition und Platonismus geboten. Insbesondere enthalten diese Schriften eine bis in einzelne gehende klassifizierende Engellehre, die in der weiteren Tradition über Origenes, Augustin bis hin zu Thomas von Aquin grundlegend geworden ist. Die in der christlichen Tradition bis zum heutigen Tage einflussreichste Wirklichkeitsmetaphysik (Ontologie, Seinslehre) entwickelte der Aquinate in seiner Lehre von der Schöpfung. Diese enthält in fünfzehn Qaestiones eine ausgebaute Engellehre.
Die protestantische Theologie in ihren Hauptrichtungen, vor allem der dialektischen Theologie in der Barth- und Bultmann-Schule, hat geradezu einen horror alienis (Schreck vor dem Irrationalen) gegenüber einer metaphysischen Seinslehre, wie sie in der katholischen Tradition von Origenes bis Thomas in Blüte stand, entwickelt. Die metaphysische Verobjektivierung im Sinne einer heilsgeschichtlichen Ontologie gilt bei Rudolf Bultmann als zentrale Sünde der Theologie. Karl Barth anerkennt in seiner Reflexion über das Himmelreich die Aufmerksamkeit des Kirchenlehrers Thomas für diesen Wirklichkeitsbereich durchaus an. Ist doch die Engellehre ein Teil der Kosmoslehre. Doch auch Barth wehrt sich gegen eine scholastisch objektive, katholische Lösung. Bei Barth zeigt sich, wenn auch in geschwächter Form, wie in der Bultmann Schule, der sog. horror alienis (Angst vor dem Fremden) vor aller Metaphysik und Wirklichkeitsphilosophie. Immerhin läßt Barth für die systematische Erkenntnisaufgabe den Zentralsatz des von ihm geschätzten Kirchenlehrers Anselm von Canterbury gelten: credo ut intelligam. (Ich glaube, damit ich verstehe). Zu Recht mahnt Barth als Kriterium das Zeugnis der Heiligen Schrift ein.
VII. Der Kosmos als Heimstatt aller geschaffenen Wesen
Wir können in dieser aufgezeigten Hemmung nicht stehen bleiben und versuchen im Kontrollraum der Zuordnung von Offenbarung und Vernunft durchaus eine ganzheitliche Wirklichkeitsbestimmung, auch unter der Anstrengung des metaphysischen spekulativen Begriffes. Auffällig ist, dass im protestantischen deutschsprachigen Bereich die Thematik einer ganzheitlichen Wirklichkeitsreflexion im Wesentlichen in der theosophischen Linie der Böhme Schule über Ch. F. Oetinger, M. Hahn bis zu Karl Heim angemessenes Gewicht behalten hat. Der himmlisch unsichtbare Schöpfungskosmos, die Himmel, haben schon durch die Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten irgendwelche sphärischen Gliederungen. Unsere Raumvorstellungen sind freilich unangemessen. Wir können nur Aussagen riskieren unter Beachtung der analogen Differenz, dem Unterscheid zwischen Sprachbild und angezeigtem Geheimnis. Was die Existenzdimensionen der Geisterheere im Unsichtbaren anbelangt, bekommen wir wohl absichtlich keine Informationen aus dem Schriftzeugnis. Eine Ausnahme bildet der Hinweis auf die an finsteren Orten Gebannten und Widerengel.
Eine etwas dringlichere Frage taucht auf im Blickpunkt nach der Bleibstätte der Verstorbenen. Frage und Antwort gehören eher in die Anthropologie. Der Evangelist Johannes spricht von den vielen Wohnungen im Hause Gottes, die für die Jesus Jünger bereitet sind. Zum Begriff des Menschen gehört notwendig der Begriff des möglichen Lebensortes oder der Wohnung. Wenn der Begriff des Menschen eine eschatologische Dimension hat, hat somit auch die Frage nach einem angemessenen Daseinsraum ihren Sinn. Die Johanneische Apokalypse beschreibt im Bilde die neue Stadt Jerusalem
VIII. Brücke zum 21. Jahrhundert
Das Thema „Engel und Dämonen“ ist im 21. Jahrhundert in auffällig verweltlichter Weise auf der Tagesordnung. „Avatare“ (indisch „Geistwesen“) oder auch direkt „Engel“ nennt man ungeschminkt die virtuellen Agenten, die als „künstliche Intelligenz“ ins Internetmanagement programmiert werden. Die virtuelle wie technische Robotik macht vehemente Fortschritte. Zukunftsforscher sehen die künftige Menschheit im strittigen Verbund mit relativ autonomen Agentenkollektiven. Wobei Ängste um destruktiv programmierte Agenten (malicious agents) als Steigerung der willentlichen Virenverseuchung des Internets nicht grundlos sind. So hat auch das Dämonische im kriminellen Potential seine herausfordernde Analogie. Ist die Schöpfung nicht in der Mikroebene ein digitales Web mit Agentenprogrammierung? – fragen heute Physiker, Informationswissenschaftler und Naturphilosophen. Kurz: Mit dem Bedenken von „Engeln und Dämonen“ müssen Christen im Heute ankommen.
Deshalb folgen in einer späteren Ausgabe als Teil B Erwägungen des Autors „Über Engel und Dämonen im Zeitalter künstlicher Intelligenz und Informationskosmologie“.
Horst Koch, Herborn, im Januar 2008
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