Die Vertreibung der Salzburger im Jahre 1731.
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„Ma thuat mi aus dem Vaterland um Gottes Wort vatreiba“ lautet eine Strophe aus dem >Lied der Salzburger Emigranten<, in dem sie das Unrecht beklagen, das ihnen widerfuhr.
Sie waren eines der vielen Opfer jenes Konfessionsstreits, der seit dem Aufkommen des lutherischen Glaubens im Heiligen Römischen Reich schwelgte. Die Konfessionszugehörigkeit blieb bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts eine heiß diskutierte Frage. Erst der Augsburger Religionsfriede von 1555 brachte eine vorläufige Lösung.
Mit der Formel >cuius regio, eius religio< – >wessen Herrschaftsgebiet, dessen Glaube< – wurde der regionalen Obrigkeit eines jeden deutschen Staates das letzte Wort in Sachen Religion überlassen.
Wer sich dem Bekenntnis des Landesherrn nicht unterordnen wollte, hätte das Land zu verlassen. Wie die Ausreise genau vonstattenzugehen hatte, das wurde 1648 im Westfälischen Frieden reichsweit per Gesetz geregelt.
Demnach hatten Emigranten drei Jahre Zeit, um ihren Besitz zu veräußern und sich einen neuen Wohnsitz zu suchen. Doch nicht alle Landesfürsten hielten sich an die Reichsstatuten. Einer, der mit der Ausweisung ganz schnell bei der Hand war, war der Salzburger Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian (1679-1744). Unter ihm erreichte die Gegenreformation im Erzstift Salzburg ihren Höhepunkt. Für den Jesuitenzögling aus Südtirol waren alle Protestanten „böse und verdammenswerte Ketzer“.
Der Hardliner ging rigoros gegen die religiöse Minderheit vor. Firmian, in geistlicher Hinsicht nur dem Papst in Rom und in weltlicher Hinsicht dem Kaiser in Wien untergeordnet, regierte einen recht heterogenen Kleinstaat. Da war zum einen die große Stadt Salzburg, bischöfliche Residenz mit einer recht selbstbewussten Bürgerschaft,zum anderen gab es die ländliche Bevölkerung in den Gebirgstälern des Pongaus und des Pinzgaus , deren Bewohner vornehmlich protestantisch gesinnt waren.
Gegen diese protestantischen Bevölkerungsinseln war bereits 1594 sein Vorgänger Wolf-Dietrich von Raitenau im Zuge der Rekatholisierung vorgegangen. Damals versuchte der Landesherr, durch jesuitische Missionare Einfluss auf die religiöse Erziehung der Kinder zu nehmen, was am Widerstand der reformierten Eltern scheiterte.
Nachdem alle Bekehrungsversuche vergebens waren, wollte Firmian dem Protestantismus in seinem Land endgültig den Garaus machen. Er ließ Soldaten aufmarschieren, um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. In seinem Hofkanzler Hieronymus Cristiani von Rall (1692-1751) fand der Salzburger Erzbischof einen fanatischen Helfer.
Für ihn galt das beharrliche Festhalten am Protestantismus als offener Aufruhr gegen den katholischen Landesfürsten.
Im Emigrationspatent von 1731 erklärte er die Abweichler zu „Rebellen, politischen Verschwörern und Sektierern“. Damit hatte er eine Handhabe, die unliebsamen Protestanten schneller außer Lande zu schaffen. Denn für Landesverräter – so seine Auslegung – gelte die im Westfälischen Frieden garantierte gesetzliche Dreijahresfrist für die Emigration nicht.
Unterstützung kam vom Heiligen Vater in Rom, der seinen Segen zu diesem himmelschreienden Unrecht erteilte. Die Konsequenzen für die Betroffenen waren äußerst hart, weil sie ihre angestammte Heimat fluchtartig verlassen mussten: „Unangemessene“ (Besitzlose), Arbeiter, Knechte, Mägde, hatten das Land binnen acht Tagen mit Kind und Kegel zu verlassen, bei winterlicher Kälte, nur mit dem, was sie auf dem Leib trugen oder auf einer Karre hinter sich herziehen konnten. „Angemessen“, das heißt, Bauern mit Landbesitz, wurde eine Frist von drei Monaten eingeräumt, um Haus und Hof zu verlassen und ihren Besitz zu veräußern.
Cristianis Eile war erklärlich: Der Kaiser in Wien hatte einen Hofrat nach Salzburg entsandt, der nach dem Rechten sehen sollte. Das „Corpus Evangelicorum“ in Regensburg, eine Art Kontrollinstanz für die Einhaltung der Beschlüsse des Westfälischen Friedens, verlangte Beweise für das angebliche Rebellentum der Verfolgten,die Salzburg natürlich nicht liefern konnte.
Inzwischen waren bis Ende November schon über 1000 Menschen „wie Vieh aus ihren Häusern fortgetrieben und über die verschneiten Gebirgspässe gezwungen worden“, wie es in einem Bericht aus Sankt Johann vom 24.
November des Jahres 1731 heißt.
Die ersten Züge des Flüchtlingstrecks verliefen planlos, weil mit den angrenzenden Ländern keine Absprachen für die Durchreise erfolgt waren. Vor allem das erzkatholische Bayern sträubte sich anfangs, seine Grenzen für Andersdenkende zu öffnen.
Letztlich waren es dann die freien Reichsstädte Memmingen, Augsburg und Ulm, in denen die Salzburger Exulanten kurzfristig Aufnahme fanden. Das Ziel der meisten Flüchtlinge war Preußen. Dorthin war im Vorfeld eine Delegation der bedrohten Salzburger Minderheit unterwegs gewesen. Sie baten bei Friedrich Wilhelm I. dem protestantischen König von Preußen, um Zuflucht.
Der war schließlich bereit, die Glaubensbrüder nach eingehender Examination mit offenen Armen aufzunehmen. Der Soldatenkönig handelte als Christ, als er den um Asyl suchenden Glaubensflüchtlingen die Grenzen seines Landes öffnete. Aber auch als Herrscher, der das Wohl seines Landes im Blick hatte und die Zuwanderung als Chance betrachtete, fachkundige Arbeitskräfte zu gewinnen. Am 2. Februar 1732 erließ Friedrich Wilhelm I.sein Preußisches Einladungspatent, das den Salzburgern die Einreise ins Hohenzollernreich gewährte.
Von den rund 20.000 Menschen, die im Winter 1731/32 ihren Wohnsitz im Salzburger Land verloren, fanden 17.000 in Preußen eine neue Heimat. Auch Holland und andere Länder erklärten sich bereit, Vertriebene aufzunehmen und anzusiedeln. Einige Hundert wanderten nach Amerika aus, wo sie in der Nähe der Stadt Savannah im Bundesstaat Georgia die Siedlung Ebenezer gründeten. Andere hatten weniger Glück: mehr als ein Fünftel der Vertriebenen starben während der anstrengenden Märsche. Sie waren die Opfer religiöser Intoleranz, die im christlichen Abendland bis heute virulent ist.
Horst Koch, Herborn, im April 2025