Wer ist Anselm Grün? (A.Seibel)

 

WER IST ANSELM GRÜN?


Anselm Grün ist ein Benediktinermönch und leitet die Verwaltung der Benediktinerabtei Münsterschwarzach.
Gemäß den Angaben zum Autor heißt es: Geistlicher Berater und Kursleiter – für Meditation, tiefenpsychologische Auslegung von Träumen, Fasten und Kontemplation. („Herzensruhe“- „Im Einklang mit sich selber sein“, Herder-Verlag, 1998). Seine Bücher finden immer mehr Resonanz, stehen auf der Bestsellerliste der evangelikalen Buchläden, z.B. „50 Engel für das Jahr“,  und vor allem die Zeitschrift „Aufatmen“ wirbt für Anselm Grün und empfiehlt wärmstens seine Betrachtungen. Sein mildes Konterfei lächelt vom Titelbild der letzten Ausgabe (Nr. 2/2000).

Unter der Überschrift „Meditation“ heißt es in „Herzensruhe“: Die christliche Meditation, die seit dem 3. Jahrhundert geübt wird, verbindet den Atemrhythmus mit einem Wort. Schon das Achten auf den Atem lenkt das Bewußtsein nach innen und erzeugt Ruhe (S. 112).

Zunächst erfährt man hier, wie diese Meditation der urchristlichen Gemeinde unbekannt war. Man wird deswegen auch schwerlich Hinweise im Neuen Testament finden. Doch das Heidentum begann in die Kirche einzubrechen. Das überrascht auch nicht besonders, denn die obige Erklärung der christlichen Meditation und die damit verbundene besondere Atemweise erinnert eher an Yoga oder östliche Meditation, denn an biblisches Christentum. So hat beispielsweise der Bhagwan Rajneesh, unrühmlich als der Sex-Guru von Puna bekannt geworden, diese besondere Atemmeditation empfohlen, wobei er spezielle Energie mit gewissen gesprochenen Worten verband.

Wem dieser Vergleich zu scharf erscheint, möge die weiteren Ausführungen von Anselm Grün zur Kenntnis nehmen. Im Ausatmen können wir uns vorstellen, wie wir all die Gedanken, die immer wieder hochkommen, einfach abfließen lassen. Wenn wir das eine Zeitlang tun, werden wir innerlich ruhig. Dann können wir den Atem mit einem Wort verbinden. Wir können z.B. beim Einatmen still sagen: „Siehe“ und beim Ausatmen „Ich bin bei dir“…Ich muß mich bei dieser Meditation gar nicht konzentrieren („Herzensruhe“, ebd.). Hier aber befinden wir uns voll im Trend der New-Age-Mystik. Gott ist nicht mehr eine Person, der der Mensch im Anruf gegenübersteht, sondern eine Art kosmische Energie, die durch Atemtechniken, die noch dazu die ideale Voraussetzung für Passivität sind, einen angeblich immer mehr erfüllen kann.

Daß Anselm Grün diese Methoden von den Mystikern gelernt hat, verschweigt er keineswegs, sondern er beruft sich eher stolz auf sie: Die Mystiker sind davon überzeugt, daß in uns ein Raum des Schweigens ist, in dem Gott wohnt. Dorthin haben die Gedanken und Gefühle, die Pläne und Überlegungen, die Leidenschaften und die Verletzungen keinen Zutritt…Die Meditation will mich wieder in Berührung bringen  mit diesem inneren Ort…Aber tief unten ist es still. Da kann ich mich fallen lassen…Meditation ist das Eintauchen in die innere Ruhe, die auf dem Grund unseres Herzens in uns verborgen ist (ebd., S. 113).

Dies aber ist die schon bald klassische Definition der Gnosis, die von dem göttlichen Funken ausgeht, der angeblich in allen Menschen wohnen soll, besonders im Gläubigen und da vor allem im christlichen Mystiker. Die Benediktiner möchte diesen Funken Gottes im Menschen zur Flamme anblasen (Aufatmen, 2/2000, S. 43). Von daher ist es verständlich, daß in den ersten Jahrhunderten nichts von alledem in der Christenheit zu finden ist, was für jeden Gläubigen, für den die Bibel Autorität ist, schon genug aussagen sollte (2. Joh. 8-9, Judas 3). Wir glauben nicht, im Gegensatz zum Katholizismus, der Mystik und den schwarmgeistigen Bewegungen, an neue Erkenntnisse und Offenbarungen. Mit sola scriptura steht oder fällt die wahre Kirche.

Während Paulus noch deutlich feststellte, „denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes“ (Röm. 7,18), erklärt die dann später einbrechende Gnosis, die heute in Form von New-Age eine Renaissance auf allen Gebieten erlebt, daß in uns solch ein innerer Ruheort vorhanden ist. Dort findet Anselm Grün seinen Gott. „Gott im Innersten seines Herzens suchen, das ist der Weg auch zum wahren Selbst, zum eigenen unverfälschten Wesen.“ (Aufatmen 2/2000 S. 42). Nur wenn wir uns der eigenen Seele zuwenden, wird Begegnung mit Gott möglich.  (ebd. S. 43).

Dieses oben erwähnte „Sich Fallen-lassen“ („Herzensruhe“, S. 113) ist ganz typisch für die Annahme eines passiven Zustandes, wodurch der Mensch, auch der Gläubige, schneller zu einem Medium umfunktioniert werden kann, als er es meint. Jedenfalls ist diese Haltung das Gegenteil der von Jesus so oft betonten Ermahnung zur Wachsamkeit, die er besonders mit der endzeitlichen Verführung ausspricht (Mk. 13,33-37).

Über all diese Vorschläge kann man das Wort Jesu aus Luk. 11,35 setzen: „Siehe zu, daß das Licht in dir nicht Finsternis ist“. Dies wird noch deutlicher durch Grüns weitere Vorschläge. Aber wenn wir sie nicht beachten (gemeint sind die Gedanken, Anm.), wenn wir durch Wort und Atem immer tiefer in den eigenen Seelengrund gelangen, dann kann es sein, daß es für einen Augenblick ganz still ist in uns. Ich spüre dann: jetzt berühre ich das Eigentliche. Jetzt bin ich ganz da, ganz bei mir, ganz bei Gott („Herzensruhe“ S. 114). Das ist die klassische Unio mystica, wie sie die Gnostiker und Schwärmer seit Jahrtausenden praktizieren. Sie finden Gott angeblich in ihrem Seelengrund, jenem göttlichen Funken der Seele.

Um zur Ruhe zu kommen wird folgendes vorgeschlagen: Ein anderer Weg, über den Leib zur Ruhe zu kommen, sind autogenes Training oder Eutonie. …Das autogene Training arbeitet mit der Methode der Autosuggestion. Ich stelle mir z.B. vor, wie mein rechter Arm warm und schwer wird. …Indem ich den Atem an die verspannten Stellen meines Leibes hinfließen lasse, können sich die Spannungen auflösen…Manchmal bin ich beim Sitzen zu unruhig. Auch wenn ich mich auf den Atem konzentriere und mich vom Atem in die Ruhe führen lassen möchte, weicht die Unruhe nicht. Dann hilft es mir, die Hände zu einer Schale zu formen und mit meinem ganzen Bewußtsein in den Händen zu sein. Die Gebärde bringt mich zur Ruhe…In den Hände ist ja mein ganzes Sein versammelt (ebd., S. 116-117). Dies aber sind Techniken, wie sie die Zauberpriester und Schamanen praktizieren.  Es sind die typischen  Methoden, um einen veränderten Bewußtseinszustand hervorzurufen.

Die Auswirkungen dieser Unio mystica werden auch von Anselm Grün folgerichtig ungeschminkt positiv beschrieben. Da ist die Gebärde des Kreuzes. …, dann stelle ich mich manchmal in dieser Kreuzgebärde in die Sonne und die frische Luft des Morgens. Dann fühle ich mich ganz eins, eins mit der Schöpfung, eins mit Gott, eins mit mir selbst, eins mit allen Menschen. Da ist dann keine Spaltung mehr in mir zwischen Himmel und Erde, zwischen Geist und Trieb, zwischen Spiritualität und Sexualität. Da ist alles eins…Aber in dem ich die Arme weit ausbreite, erahne ich manchmal, wie das ist, mit allem eins zu sein, all-eins zu sein (S.117). Es wird leider Psyche mit Pneuma, Agape mit Eros, Licht mit Finsternis, Christus mit Belial verwechselt. Man findet diese Phänomene nur zu oft bei den Mystikern und  Schwärmern.

Amseln Grün ist ein typischer Repräsentant katholischer Frömmigkeit. So schreibt er z.B. Mir hilft das Rosenkranzbeten, um einzuschlafen („Herzensruhe“ S. 128). Auch in der Aussage, Es ist gut und sinnvoll, für die Verstorbenen zu beten („Wenn ich in Gott hineinhorche“, Matthias-Grünewald-Verlag – Mainz, 2. Auflage 1997, S. 42) wird offensichtlich, wessen Geistes Kind er ist. Aber soll einer nach 20 Jahren noch dafür beten, daß sein verstorbener Vater aus dem Fegefeuer in dem Himmel kommen möge? …Das Beten für die Verstorbenen hat natürlich immer Sinn. Aber es verwandelt sich. Zu Beginn ist das Beten Fürbitte, daß der Verstorbene sich für Gott entscheidet, daß er den Sprung in die Liebe Gottes schafft. Dann wird es zu einem Gebet, das mich mit dem Verstorbenen verbindet, zu einem Gebet, in dem mich der Verstorbene auf das eigentliche Ziel meines Lebens hinweist. Und es wird dann oft auch zu einem Gespräch mit dem Verstorbenen und zu einer Bitte an ihn, mich zu begleiten und mich zu bewahren vor einem Verfehlen meines Lebens (ebd.).

Hier ist unzweideutig erkennbar, wie der Mystiker bewußt unbewußt, hier ganz bewußt, statt unter dem Heiligen Geist unter der Leitung eines Totengeistes steht. Es bestätigt auch, daß die Kehrseite der Gnosis der Spiritismus ist und Rom wegen seines starken Bezugs zu den Verstorbenen, von Heiligen bis Fegefeuer, hier besonders anfällig ist. Man muß schon sehr verblendet sein, wenn man aus solch einer Quelle noch Brauchbares für die Gläubigen schöpfen möchte.

Dieser offenkundige Bezug zu den Verstorbenen erklärt auch, warum dieser Benediktinermönch so sehr von C. G. Jung angetan ist. So erfährt man durch Arne Völkel, dem Autor des Artikels über Anselm Grün in Aufatmen: Die Bibelauslegung Grüns ist teilweise stark durch die Einflüsse von C. G. Jung geprägt. Dieser betrachtete „archetypische Bilder“ als Hinweis auf das menschliche Phänomen der Gottessuche… Für Grün bietet die Sprache und das Gedankensystem C. G. Jungs beste Voraussetzungen, das im christlichen Glauben auf dem Weg der Selbsterforschung Angestrebte in eine für Nichtchristen verständliche Sprache zu kleiden (Aufatmen 2/2000 S. 43). Es würde auch folgendes erklären: …wenngleich auch Grün (ähnlich wie Drewermann) faszinierend griechische Mythen auslegt – ganz so, wie er das auch mit biblischen Texten tun kann (ebd., S. 44).

Kaum jemand hat so intensiv von spiritistischen Quellen getrunken, wie dieser Vater der Tiefenpsychologie. Seine ganze Karriere begann mit spiritistischen Sitzungen. C. G. Jungs Kontrollgeist Philemon war für ihn so real wie ein Wesen aus Fleisch und Blut. Er berichtet in seiner Selbstbiographie, wie ihn eigene Traumerfahrungen und visionäre Erlebnisse auf das Studium visionärer und spiritistischer Literatur führten, und wie er gerade in der spiritistischen Literatur überraschende Hinweise auf eine systematische Erfassung und Kontrolle seelischer Vorgänge fand, die ihm für die Entwicklung seiner eigenen Psychologie und seine Archetypenlehre wegweisend waren (Ernst Benz, „Die Vision“, Ernst Klett Verlag, S. 11). C.G. Jung ist eigentlich das Paradigma für Erleuchtung aus der Finsternis.

Daß solche Bücher von evangelikalen Verlagen verkauft und Evangelikalen empfohlen werden, zeigt, wie sehr die von der Bibel vorausgesagten Dämonenlehren am Ende der Tage um sich greifen (1. Tim. 4,1). Die Texte klagen nicht an und sie fordern nicht. Aber sie fördern ungemein, weil der Pater Gutes für seine Leser will…Er begleitet, indem er lehrt, leitet, tröstet und aufbaut. Nach einem Buch von Anselm ist man ein Stück reicher.  Aufatmen 2/2000 S. 40-41. Die eingehende Bildersprache Grüns fasziniert in seinen Büchern (ebd., S. 44). In derselben Nummer von „Aufatmen“ heißt es in dem Zeugnis von Birgit Schilling, wo sie ihren vom pietistischen Erbe zur „charismatischen Bereicherung“ schildert und zur Versöhnung von „Vielfalt und Unterschiedlichkeit“ kommt: Autoren wie Anselm Grün, Joyce Huggett und Henri Nouwen begleiteten uns in den kommenden Jahren (ebd. S. 64).

Es ist die typische Mischung unsrer Tage:
Etwas Psychologie, bevorzugt Tiefenpsychologie, etwas Mystizismus, etwas charismatische und ökumenische Frömmigkeit, gemäßigte Bibelkritik, New-Age in homöopathischer Verdünnung und das Ganze mit so viel Bibelsprüchen garniert, daß es unsere Neoevangelikalen unter dem Deckmantel einer seelischen Liebe anstandslos schlucken. Mit diesem Cocktail versucht man heute eine „Erweckung“ zu bewirken. Leider handelt es sich oft genug um Pseudo-Erweckungen. So sagte A.W. Tozer schon 1959 über die westliche Christenheit in „Keys to Deeper Life“: Wenn wir mit der Theologie, die wir heute haben, eine Erweckung bekommen, bedeutete es für die Christenheit eine moralische Tragödie, von der sie sich in hundert Jahren noch nicht erholt hat.

Wir sind tatsächlich heute Augenzeugen eines Aufbruchs wie Einbruchs falscher und verführerischer Geister (2. Thess. 2,9-11). Es ist der Einbruch des Totenreiches (Offb. 6,8) und nicht des Gottesreiches, obwohl es als solches buchstäblich verkauft wird. „Christus ist das Licht der Welt, das Mönchtum ist die Nacht“. So hat es Pater Chiniquy formuliert, jener ehemalige katholische Priester im 19. Jhdt., der dann die Kirche Roms verlassen hat.

Man möge mir die deutlichen Worte nachsehen, aber ich kenne diese Frömmigkeit nur zu gut. Ich bin selber im katholischen  Kindergarten aufgewachsen und halbintern in der Klosterschule erzogen worden. Für mich ist es ein doppelter Schock, nun all das im frommen Gewand zurückkehren zu sehen, aus dem mich die Gnade Gottes herausgeführt hat. Es muß leider auch so deutlich gesagt werden, daß, wer immer solche Bücher verbreitet bzw. diesen Autor empfiehlt, nicht vom Heiligen Geist, sondern von einem mystischen Geist geleitet wird. Man wird damit zum Werkzeug der endzeitlichen Verführung bzw. zum blinden Blindenleiter, es sei, wer er wolle.

Anselm Grün stellt auch Betrachtungen über Joh 17 an, ein in unseren Tagen sehr oft zitierter Bibelabschnitt, wo von dem Einssein die Rede ist. Hier finden sich einige ansprechende Gedanken, die zum Teil so fromm und einleuchtend formuliert sind, daß mancher ahnungslose Christ dies für empfehlenswert halten kann. Allerdings sollte sich spätestens dann die Ernüchterung einstellen, wenn man einige Zeilen danach erfährt, wodurch diese Einheit bewirkt werden soll. Der Ort, an dem wir bei Christus sind, ist das Gebet. Für die Ostkirche ist es das Jesusgebet, das sie mehr und mehr mit dem Geist Jesu Christi erfüllt. Die  Ostkirche versteht das Jesusgebet als Zusammenfassung das ganzen Evangeliums. Für sie ist es der Weg, den Geist an Christus zu binden und durch Christus eins zu werden mit dem Vater. Für mich persönlich ist das Jesusgebet seit etwa dreißig Jahren mein Meditationsweg geworden. Ich übe es nicht nur bei der morgendlichen Meditation, sondern es begleitet mich auch tagsüber immer wieder, wenn ich durch die Gänge gehe, wenn ich irgendwo warte, wenn eine kleine Pause entsteht. Das Jesusgebet bringt mich immer und überall mit mir selbst in Berührung und läßt mich die Einheit mit Gott mitten in der Unruhe des Alltags erfahren. Wenn ich mit dem Einatmen die Worte spreche „Herr Jesus Christus“ und beim Ausatmen „Sohn Gottes, erbarme dich meiner“ dann bin ich dort, wo Christus ist. Dann erlebe ich, daß Christus hinabsteigt in alle Abgründe meiner Seele,.. („Herzensruhe“, S. 145-146).

Dieses so genannte Jesusgebet ist allerdings nichts Neues. Vor ca. 30 Jahren hat es Wilhard Becker praktiziert und propagiert. Damals kam es allerdings noch aus der offiziellen evangelischen Freikirche. Heute ist das ökumenische Gefälle so groß, daß es keinen „Alarm“ mehr auslöst, wenn wir uns nun unverblümt zu Füßen eines Benediktinermönches setzen und andächtig seinen Aus-führungen lauschen. Ähnlich wie es in der evangelischen Kirche auch keinen Aufstand mehr gibt, wenn ein Moslem seine Weisheiten oder Meditationen dem „christlichen“ Publikum präsentiert. In der postmodernen Generation gibt es so gut wie keinen Berührungsängste mehr.

Gottes Geist wohnt also nicht durch den Glauben in uns (Eph. 3,17), sondern durch Atemtechniken. Nun, dies gilt auch für Yogis, Gurus, Medizinmänner und Schamanen. Es hat dies mit der Bibel sehr wenig, mit dem Zeitgeist aber sehr viel zu tun. Nicht im Wort, wie die Reformatoren noch darlegten, sondern im eigenen Seelengrund begegnet man angeblich Christus.

Man fragt sich wie es möglich ist, daß solche ungeschminkten Irrlehren auf so breite evangelikale Akzeptanz stoßen. So erwähnt auch Arne Völkel im offensichtlich positiven Kontext diese Gebetsform in seinem Bericht über Anselm Grün: Doch auch bei der Arbeit, in Pausen, beim Essen bleibt Gott durch das Jesusgebet gegenwärtig: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“ (Aufatmen, 2/2000 S. 43). Ähnlich harmlos heißt es von seiner persönlichen Meditation: Dabei hilft ihm die Ikonenbetrachtung (ebd.)
 
Zwar setzt der Autor bei anderen Passagen ein paar sachte Fragezeichen, doch der Gesamtartikel ist ein Lobeshymnus auf Anselm Grün im besonderen und das benediktinische Mönchtum im allgemeinen. Irgendwie hat man den Eindruck, daß die Unterscheidungsgabe zur Mangelware geworden ist. Die Klage des Apostels Paulus, daß „man einen anderen Jesus, einen anderen Geist und ein anders Evangelium gerne annimmt“ (2. Kor. 11,4), ist – man verzeihe die deutliche Aussprache – bald zum Markenzeichen, um nicht zu sagen Credo, dieser auch evangelikalen, postmodernen Generation geworden. Das Gericht beginnt bekanntlich am Haus Gottes (1. Petr. 4,17).

Und das ist nun die tragische Folgerung, die man ziehen muß. Wir haben es hier nicht mit einem erwecklichen Aufbruch zu tun, wie die Schwärmer verschiedenen Couleurs meinen, sondern mit einer okkulten Invasion. Wir sind heute Augenzeugen eines esoterischen Dammbruches, der so ziemlich alle Bereiche erfaßt hat. Mit „Aufatmen“ als Flaggschiff dringt dieser mystische Zeitgeist zum Teil gut getarnt, zum Teil kaum versteckt, in die Reihen einer evangelikalen Generation ein, die es leider immer mehr verlernt hat, vom Wort her zu leben (Mt. 4,4). Der dadurch vorhandene Mangel wird nur allzu gerne durch solche Techniken gefüllt.

Es soll hier nicht über die Motive von Ulrich Eggers gerichtet werden. Sicherlich sehnt er sich nach einer Erweckung, beseelt von dem großen Wunsch, Evangelikale und Charismatiker endlich zusammenzuführen. Daß er aber von dem christlichen New-Ager Anselm Grün sehr angetan ist, kommt nicht völlig überraschend. Schon vor etlichen  Jahren hat unter seiner Ägide Ulrich Schaffer im damaligen „Punkt“ eine einflußreiche Plattform erhalten, dessen mystische Betrachtungen den Ausführungen eines Anselm Grün nicht unähnlich sind. Übrigens findet man ähnliche bis  identische Meditationstechniken bei Roger Schütz, dem Gründer von Taizé.

Im Prinzip können sich über diesen Geist alle Religionen und Kulte finden und vereinen. Die Mystik kann sich mit jeder Irrlehre oder falschen Religion verbinden. Dies zeigt auch Grüns Aussage: Jeder Weg, der mich tiefer in die Gemeinschaft mit Gott führt, führt mich auch in die Ruhe. Für den einen ist es die Meditation, für einen anderen die Eucharistie, für einen dritten ein Spaziergang („Herzensruhe“, S. 147). Auch dies entspricht dem heutigen Pluralismus.

Der Absolutheitsanspruch Jesu Christi wird offen oder verdeckt preisgegeben. Gott ist für alle Religionen immer auch der erlösende Gott. Glaube ist in allen Religionen wesentlich der Glaube an das rettende und befreiende Wirken Gottes. Jesus Christus ist Gipfel und Vollendung der Erlösung. Aber wir dürfen nicht so tun, als ob Erlösung erst mit Jesus Christus anfange. Gott ist schon immer der erlösende Gott. Und er wirkt Erlösung auch in anderen Religionen („Mit Herz und allen Sinnen“, Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1999, S. 200).

Im Buch der Offenbarung wird uns für das Ende der Tage eine große Einheitsbewegung bzw. falsche Ökumene vorausgesagt. Leider bricht dieser Sog auch in das evangelikale Lager ein. zum Teil durch Leute, die meinen, sie erweisen mit der Verbreitung solcher Bücher und Empfehlung solcher Autoren Gott einen Dienst. Wie dieser Sog dann alle Aspekte er- und umfassen kann, zeigt auch die folgende Feststellung: Das Einssein ist auch die Bedingung für die wahre Ruhe. Wenn die Gegensätze in mir sich nicht mehr bekämpfen, wenn alles in mir eins ist, wenn Gott und Mensch, Geist und Trieb, Licht und Dunkelheit, Stärke und Schwäche, animus und anima miteinander eins werden, dann bin ich tief in meiner Seele ruhig geworden („Herzensruhe“, S. 144-145).

Diese „universelle Liebe“ umfaßt schließlich auch alles und jedes, einfach weil man seine eigene Abgründe nicht kennt und sie luziferisch erleuchtet mit Licht verwechselt. So kommt dieser Benediktinermönch zu dem Ergebnis: Aber zugleich dürfen wir hoffen, daß die Hölle leer ist. Wir dürfen der Liebe Gottes vertrauen, daß sie stärker ist als der Haß und die Selbstverschließung der Menschen („Wenn ich in Gott hineinhorche“, S. 40-41).

Man lädt sich buchstäblich Lehrer auf, wonach einem die Ohren jucken (2. Tim. 4,4). Natürlich sagt Anselm Grün wie auch andere Mystiker manch Richtiges und zu Beherzigendes, doch ein Gift wird nicht dadurch besser, daß es gut, nahrhaft und schmackhaft verpackt ist. Ganz im Gegenteil, es wird dadurch nur viel gefährlicher. Anselm Grün ist eine bald wörtliche Erfüllung von Röm. 16,18b, wo es heißt: „…und durch süße Worte und prächtige Reden verführen sie die Herzen der Arglosen.“ Diese Leute gleichen Doppelagenten, die nach außen hin Treueschwüre für Volk und Vaterland abgeben, andererseits durch ihre privaten Schreiben verraten, daß sie im Dienste eines fremden Staates stehen.

Die Reformation begann nicht damit, daß ein Mann ins Kloster ging, sondern aus dem Kloster ging.
Heute drängt man immer mehr in die Klöster zurück. Es ist eine ebenso unheimliche wie massive Gegenreformation, die mit der Charismatik und ihren vielen Schattierungen als Brückenkopf in immer mehr christliche Kreise eindringt. Vor unseren Augen bahnt sich eine zunehmende Verbrüderung mit Rom an.

Die Tatsache, daß christliche Verlage, wie z. B. die Alpha-Buchhandlung, die Bücher von Anselm Grün wärmstens empfehlen und am Laufmeter verkaufen, zeigt, wie sehr Verführung und Abfall schon in den eigenen Reihen um sich gegriffen haben. Anstatt zur Wachsamkeit aufzurufen, wird immer mehr die seelische Liebe und (mystische) Einheit betont, die uns letztlich befähigen soll, solche Irrlehren und falsche Geister zu tolerieren. Dies soll keineswegs so verstanden werden, als ob man gegen Liebe und Einheit wäre, ganz im Gegenteil. Doch die Christenheit ist streckenweise in einen erschreckenden Sog des Zeitgeistes hineingeraten, zum Teil durch Leute, die von Erweckung und Einheit reden, in Wirklichkeit aber Abfall und Spaltung bewirken. „Auch aus eurer Mitte werden Männer aufstehen, die Verkehrtes lehren, um die Jünger an sich zu ziehen“ (Apg. 20,30).

Diese Stellungnahme war nicht geplant, entstand aber aus großer Betroffenheit. Man möge mir verzeihen, falls etwas zu scharf oder lieblos formuliert worden ist. Doch das folgende Zitat von Anselm Grün sollte auch dem begeistertsten Anhänger wenigstens nachdenklich stimmen bzw. ernüchtern: In manchen Köpfen schwirrt noch immer die Idee herum, dass Gott seinen Sohn sterben lässt, um unsere Sünden zu vergeben. Doch was ist das für ein Gott, der den Tod seines Sohnes nötig hat, um uns vergeben zu können? („Erlösung“, Kreuz-Verlag 2004).                                                                                                                              Alexander Seibel

info@horst-koch.de
www.horst-koch.de