Selbstliebe (E.Nannen)

Selbstliebe und Selbstannahme?

– 
Kritische Betrachtungen anhand der Bibel,
von Els Nannen –

 

I. Erich Fromm und die Selbstliebe

Einleitung
In den letzten Jahren breitet sich die humanistische Ideologie der Selbstliebe gewaltig aus, auch unter Christen und vor allem unter der christlichen Jugend. Sie ist wie eine Epidemie und übt einen starken Einfluß aus auf solche Ausbildungsrichtungen, die mit Menschen zu tun haben, sowohl im beruflichen wie auch im christlichen Bereich, z. B. in (Heil)Pädagogik, Psychologie, Psychiatrie, Sozialarbeit oder Seelsorgeausbildung und Mitarbeiterschulung.
Von ihren Befürwortern und Verbreitern wird allerdings die Selbstliebe nicht als „ansteckende Krankheit“ angesehen, sondern gerade als Heilmittel gegen so mancherlei „psychische Krankheiten“ wie Frustration, Depression, Süchte, Arbeitsunlust und Feindseligkeit.

Was ist nun die Ursache der bereitwilligen Aufnahme dieser weltweiten Botschaft der Selbstliebe?

Bevor wir Gottes Wort zu Rate ziehen, möchten wir uns kurz mit zwei der bekanntesten Vertreter der Selbstliebe befassen: Mit Erich Fromm und Walter Trobisch.

Es war vor allem Erich Fromm, der die humanistische Ideologie der Selbstliebe populär machte, in die Psychoanalyse integrierte und damit pseudowissenschaftlich legitimierte. Schon 1939 befaßte er sich mit diesem Thema in einem Aufsatz: „Selbstsucht und Selbstliebe“ in der Zeitschrift „Psychiatry“. Die gleichen Gedanken arbeitete dann Fromm näher aus in „Furcht vor der Freiheit“ (1941), „Psychoanalyse und Ethik“ (1947), „Wege aus einer kranken Gesellschaft“ (1955) und „Die Kunst des Liebens“ (1971).

1. Wer war Erich Fromm?

Erich Fromm (1900-1980) studierte Psychologie, Philosophie und Soziologie. 1926-1929 absolvierte er sein psychoanalytisches Training in München und war anschließend Schüler von Hans Sachs und Theodor Reik am Institut für Psychoanalyse in Berlin. Nicht nur Freuds Psychoanalyse, sondern auch Ideen von Johann Jakob Bachofen (1815-1887) in „Das Mutterrecht“ prägten Fromms Denken.

1930 war er Mitbegründer des Süddeutschen Instituts für Psychoanalyse in Frankfurt am Main und außerdem bis 1932 Mitglied und Dozent am Institut für Sozialforschung, aus dem die sog. „Frankfurter Schule“ hervorgegangen ist, zu der Horkheimer, Adorno, Habermas, Bloch und Marcuse gerechnet werden. Sie alle standen unter dem Einfluß von Hegel, Marx und Freud. Der größte Teil von ihnen stammte aus jüdischen Familien.

Als 1933 das Institut für Sozialforschung von der nationalsozialistischen Regierung aufgelöst wurde, wanderten die einflußreichsten Mitarbeiter, darunter Fromm, nach Amerika aus. Dort wurde die Einrichtung 1934 der Columbia-University angeschlossen.
1934-1938 hielt Fromm Vorlesungen an verschiedenen amerikanischen Instituten. 1951-1965 war er dann Professor an der National Autonomous University of Mexico, wo er den Lehrstuhl für Psychoanalyse leitete. Neben seiner Lehrtätigkeit war er auch Supervisor und unterhielt außerdem eine psychoanalytische Praxis. 1980 starb Fromm im Tessin in der Schweiz, wo er seine letzten Lebensjahre verbracht hatte.

Wie viele Psychoanalytiker stammte auch Fromm aus jüdischem Elternhaus. Seine Eltern waren fromme, orthodoxe Juden, was ihn prägte. Bis zu seinem 26. Lebensjahr war Fromm selbst praktizierender Jude, der sich auch intensiv mit dem Alten Testament beschäftigte. Besonders faszinierten ihn die Verheißungen eines weltweiten Friedens bei den Propheten Jesaja, Hosea und Amos.

„Als Jugendlicher lernte er bei Rabbi J. Horowitz den Talmud kennen. Während seines Studiums war er Schüler von Schneur Rabinkov in Heidelberg sowie von Nehemia Nobel und Ludwig Kraus in Frankfurt. Der Einfluß dieser Lehrer auf ihn ist insofern von weittragender Bedeutung, als sich die sozialistische Ausrichtung von Rabinkov und die mystische von Nobel thematisch in den Schriften und Interessengebieten von Fromm niedergeschlagen haben“ (3).

Als Fromm später die Werke von Karl Marx kennenlernte, versuchte er, eine Synthese zwischen Marx und Freud zu konstruieren, aus der seine Sozialpsychologie entstand. Vor ihm hatte schon Wilhelm Reich versucht, Marx mit psychoanalytischen Theorien zu ergänzen, wenn auch vergeblich.
Als etwa 26jähriger kam Fromm mit dem Buddhismus in Berührung. Später beschäftigte er sich auch mit dem Zenbuddhismus, wie wir es auch bei Fritz Perls (1893-1970), einem anderen Psychologen und Psychiater jüdischer Herkunft sehen.

„Erich Fromms Weg der Religion, seine Kritik an jedem Verweis auf irrationale Offenbarung und Autorität und seine Vorliebe für die Verbindung von Vernunfterkenntnis und Mystik haben hier eine wesentliche Prägung erhalten“.
Fromms Abneigung gegen die übernatürliche Offenbarung, d. h. gegen diejenige in Gottes Wort und gegen die Autorität mag aber viel mehr zu tun haben mit dem wesentlichen Einfluß von Siegmund Freud bzw. mit dessen Haß gegen Gott, Gottes Wort, Autorität und jegliche Normen. Freud hat Fromms Psychoanalyse entscheidend geprägt. Das Studium dieser anti-theistischen Psychoanalyse und vor allem die eigene Lehranalyse sind nicht wertneutral.
Die religiösen Voraussetzungen seines Denkens beschrieb Fromm am ausführlichsten in seinem Buch „Ihr werdet sein wie Gott“.

Wie des öfteren bei Psychologen jüdischer Herkunft zu beobachten ist, z.B. auch bei Abraham Maslow, dem Begründer der Humanistischen Psychologie, bleibt auch Fromm nicht beim Glauben seiner Väter stehen, sondern wird Humanist, und zwar im Sinne eines radikalen Humanismus. Außerdem muß man sich beim Lesen von Fromms Deutungen und Lösungsversuchen ständig vor Augen halten, daß er durch und durch Evolutionist mit einem unwirklichen Entwicklungsoptimismus war, wie es z. B. in seinem Buch „Haben oder Sein“ zum Ausdruck kommt.

Weil Fromms Bücher so durchtränkt sind von seinem marxistisch-freudianischen, humanistisch-evolutionistischen Ansatz, ist es nicht recht verständlich, wenn man heute von „vielen wegweisenden Analysen“ spricht, oder davon, daß Fromm „funktional die Veränderung des Menschen so sieht, wie sie auch in der Bibel beschrieben wird“ und daß Fromms „Seinsmensch in Analogie zu dem neuen Menschen aus Gott“ stehen würde.
Wenn bibeltreue Christen aufgefordert werden, bei Fromms Entwurf des neuen Menschen „das Kind nicht mit dem Badewasser“ auszuschütten, so kommt einem die Frage, was wohl „das Kind“ sein soll in der Analyse und im Entwurf eines Menschen, der die Offenbarung des Wortes Gottes nicht nur verwirft, sondern auch zum Teil verfälscht (z.B. 1.Mose 3), und der Gott und Christus, den totalen Sündenfall und Christi Sühneopfer leugnet?

Daß Gedanken des (evolutionistischen, humanistischen) Fromm „in der Analyse meist hilfreich und zum Teil brauchbar für den nach Wahrheit und echtem Leben suchenden Menschen“ sein sollen, erinnert uns an den Standpunkt des Psychoanalytikers Paul Tournier. Viele Christen, die sich an Tournier orientieren, denken ebenso, daß zwar die Hilfe von oben kommen muß, wir aber in bezug auf die Analyse und Diagnose so manches von der (durch und durch atheistischen, evolutionistischen) Psychoanalyse lernen könnten.

Wir sollten nicht vergessen, daß viele uns bekannte Worte wie Gott, Liebe, Ehrfurcht, Selbsterkenntnis, Freiheit usw. bei Fromm einen ganz anderen, d. h. humanistischen Inhalt haben. Dazu gehört auch sein Begriff der Selbstliebe.
Gemäß seiner Orientierung am Buddhismus versteht es sich, daß das erste Zitat des Humanisten Fromm in seinem Buch „Psychoanalyse und Ethik“ eines von Buddha ist. Es steht sogar vor dem Vorwort und heißt:
„Seid euer eigenes Licht,
Seid eure eigene Zuversicht.
Haltet euch an die Wahrheit in euch selbst
als das einzige Licht.“
Auch von dem römisch-katholischen Mystiker und Gnostiker Meister Eckehart (1250-1327) zitiert Fromm das, was in sein humanistisches Konzept paßt. Er meint, es sei nur konsequent, daß Gott für Meister Eckehart „das absolute Nichts“ ist, genau so wie Er für die Kabbala „En Sof“ (göttliche Energie im Universum) ist (6,94). Er scheint sich mit der Kabbala (jüdische, mystisch-theosophische Geheimlehre) beschäftigt zu haben.

2. „Psychoanalyse und Ethik“ von Fromm

Am Anfang dieses Buches „Man For Himself“ (1947) weist Fromm darauf hin, daß die Psychologie bzw. die Psychoanalyse nicht zu trennen ist von der Philosophie und Ethik. Die Trennung, die nach seiner Meinung aber bestand, führt Fromm auf Freud zurück, der nicht über die Kritik an falschen ethischen Normen hinaus kam und außerdem versuchte, die Psychoanalyse in eine Naturwissenschaft umzuwandeln (6, 19).

Fromm sieht für die Psychoanalyse die Dringlichkeit, „objektive, gültige Normen der Lebensführung“ aufzustellen, darin, daß „die moderne Psychologie zum Relativismus neigt“. Die Aufklärung hatte gelehrt, daß der Mensch seiner eigenen Vernunft und ihrer Führung vertrauen kann und soll, auch im Blick auf die Aufstellung gültiger ethischer Normen.

Um zu wissen, was gut oder böse ist, bedürfe es „keiner Offenbarung und keiner kirchlichen Autorität“. Die Antwort auf die Aufklärung aber war der sog. Realismus, der nach Fromm „nur ein anderer Ausdruck für das Fehlen jeglichen Glaubens an den Menschen ist … Der wachsende Zweifel an der menschlichen Vernunft und Autonomie schuf einen Zustand moralischer Verworrenheit. Der Mensch sieht sich sowohl der Führung durch die Offenbarung als auch der Führung durch die Vernunft beraubt. Das Ergebnis ist die Annahme eines relativistischen Standpunkts“ (6, 17).

Fromm wehrt sich nun gegen die Vorstellung, als gäbe es nur eine einzige Wahl zwischen Religion und Relativismus. Er möchte eine andere Alternative anbieten:
„Gültige ethische Normen können von der menschlichen Vernunft. und zwar von ihr allein, aufgestellt werden. Der Mensch hat die Fähigkeit, zu unterscheiden und Werturteile zu bilden… Die große Tradition des humanistischen Denkens hat die Grundlage für die Wertsysteme geschaffen, die auf der menschlichen Autonomie und Vernunft beruhen. Alle diese Systeme gingen von der Voraussetzung aus, man müsse das Wesen des Menschen kennen, um zu wissen, was für ihn gut oder schlecht sei … Der Fortschritt der Psychologie ist … in der Rückkehr zu der großen Tradition der humanistischen Ethik. Diese…vertrat die Auffassung, daß es die Bestimmung des Menschen sei, er selbst zu werden. Die Voraussetzung dafür ist, daß der Mensch Selbstzweck sein kann“ (6,18-19).

Mit diesem Buch, das so wichtig ist zum Verständnis der Selbstliebe-Ideologie, will Fromm „die Gültigkeit der humanistischen Ethik erneut unter Beweis stellen, indem ich zeige, daß unsere Kenntnis vom Wesen des Menschen nicht zum ethischen Relativismus führt, sondern ganz im Gegenteil zu der Überzeugung, daß die Normen einer sittlichen Lebensführung in der menschlichen Natur selbst begründet sind. Ethische Normen beruhen auf Eigenschaften, die dem Menschen inhärent (innewohnend) sind …

Ferner werde ich zu zeigen versuchen, daß die charakterliche Struktur der zu sich selbst gelangten Persönlichkeit, der produktive Charakter also, Ursprung und Grundlage der Tugend ist. Im Gegensatz hierzu ist Laster nichts anderes als Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Ich, also Selbstverstümmelung. Die höchsten Werte der humanistischen Ethik sind weder Preisgabe des eigenen Ich noch Selbstsucht, sondern Bejahung des eigentlich Menschlichen. Soll der Mensch Vertrauen in Werte haben, dann muß er sich selbst und seine guten und kreativen Eigenschaften kennen“ (20).

Im nächsten Kapitel des genannten Buches behandelt Fromm die humanistische Ethik. Sie kann mittels formaler und materieller Kriterien erfaßt werden. Formal beruht sie auf dem Prinzip, daß nur der Mensch selbst das Kriterium für Gut und Böse bestimmen kann, „niemals aber eine Autorität, die ihn transzendiert“. Das materiale Kriterium beruht auf dem Prinzip: „gut“ ist das, was für den Menschen gut ist, und „böse“ was ihm schadet.

„Das Wohl des Menschen ist also „das einzige Kriterium für ethische Werte … Humanistische Ethik ist anthropozentrisch … so zu verstehen, daß seine Werturteile, wie alle seine Urteile und auch sein Wahrnehmungsvermögen, in der Besonderheit seiner Existenz ihren Ursprung haben …“ Der Mensch ist tatsächlich „das Maß aller Dinge“. Vom humanistischen Standpunkt aus gibt es nichts Höheres und nichts Erhabeneres als die menschliche Existenz“ (6, 26-27).
Als Gegensatz zu dieser humanistischen Ethik mit ihrer „rationalen“ Autorität sieht Fromm die autoritäre „Ethik mit ihrer irrationalen“ Autorität, die „hilflos, abhängig und ängstlich“ mache. In der autoritären Ethik bestimmt eine Autorität, was für den Menschen gut ist.
Nach einem ausführlichen Kapitel über die Natur und den Charakter des Menschen kommt Fromm nun zu dem für das Thema „Selbstliebe“ wichtigsten Kapitel, nämlich zu dem vierten.

3. Das Menschenbild Erich Fromms
Schon aus den obengenannten Zitaten wird deutlich, daß Fromm in seinem Denken, Deuten und Bestreben völlig humanistisch ausgerichtet ist. Aber auch schon der ursprüngliche Titel des Buches „Man For Himself“ spricht für sich. Der „Mensch für sich selbst“ ist der Mensch in seiner Beziehung zu sich selbst, der Mensch „pour-soi“ des Existentialismus. Er ist der Mensch, der sich selbst bestimmen will und sich autonom wähnt, der meint, er könne erst „er selbst sein“, wenn (und solange) er keine „irrationale Autorität“ und keine „autoritäre Ethik“ anerkennt. Deshalb wettert Fromm auch gegen „die Doktrin, Selbstsucht sei ein Grundübel“ und sagt dazu:
„„Sei nicht selbstsüchtig“ schließt ein: tue nicht, was du selbst möchtest, gib deinen eigenen Willen zugunsten einer Autorität auf …Von seinem offenkundigen Sinn abgesehen, bedeutet es „liebe dich nicht“, „sei nicht du selbst“, sondern unterwirf dich einem Etwas, das wichtiger ist als du selbst, unterwirf dich einer außer dir liegenden Macht oder ihrem inneren Gegenstück, der „Pflicht“ …“.
Es handelt sich hier um den in sich genügsamen und auf sich angewiesenen Menschen mit seinen schlummernden Fähigkeiten und ungeahnten menschlichen Möglichkeiten und Kräften. Als humanistische „Variante“ zu Ps. 87, 7 könnte ein solcher Mensch sagen: „Alle meine Quellen sind in mir“. Er hat z.B. in sich selbst „die Fähigkeit zum Guten“, d.h. die Fähigkeit, „zu erkennen, was gut ist“, und zu handeln „gemäß seiner natürlichen Fähigkeiten und seiner Vernunft“. Allerdings begreift Fromm, der die Bibel kennt, gut:
„Dieser Standpunkt der humanistischen Ethik würde unhaltbar, wenn das Dogma von der angeborenen natürlichen Schlechtigkeit des Menschen richtig wäre“ …

Um die humanistische Ethik zu retten, muß darum der biblische Bericht über den historischen Sündenfall verfälscht werden. Darüber später mehr. Dieser humanistische Mensch hat die Fähigkeit, zu lieben. Die Liebe ist „eine ihm eigene Kraft“ (6,27) – und die Fähigkeit, „zu werden, was man potentiell ist“ (Spinoza; 6,41). Ob diese oder andere der menschlichen Natur inhärenten (innewohnenden) Eigenschaften und Fähigkeiten, der Mensch findet einfach Gefallen an sich selbst und liebt sich selbst.

Es ist der Mensch, der Sinn und Ziel seines Lebens in sich selbst hat und darum in sich selbst suchen und finden muß. Dieser Mensch ist „Selbstzweck“ (6,19). Er ist der sich frei wähnende Mensch der „sich selbst treu“ sein will und „sich selbst verantwortlich“ fühlt. Das äußert sich z.B. darin, daß er zu seiner Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung bzw. zum Wachstum und zur vollkommenen Entfaltung und Verwirklichung seiner Persönlichkeit mit seinen dem menschlichen Wesen eigenen Möglichkeiten kommt. Bei Fromm sind das u.a. die (humanistischen) Möglichkeiten der Vernunft, Liebe und Produktivität, wobei „der Begriff Produktivität eine Erweiterung des Begriffs der Spontaneität“ (d.h. des gefühlsmäßigen Handelns und Reagierens) darstellt. Bedingung dazu sind (humanistische) Selbsterkenntnis, Selbstliebe und Selbstinteresse, d.h. „Interesse an der Verwirklichung der eigenen Möglichkeiten“. Nach Fromm ist „das humanistische Gewissen ein Ausdruck der Interessiertheit des Menschen an sich und an seiner Integrität“ (6,174). „Handlungen, Gedanken und Gefühle, die ein richtiges Funktionieren und die Entfaltung unserer Gesamtpersönlichkeit fördern, rufen ein Gefühl der inneren Zustimmung der Richtigkeit hervor … Gewissen ist also die Re-Aktion unseres Selbst auf uns selbst“ (6,173). Und „um die Stimme unseres Gewissens zu hören, müssen wir auf uns selbst hören …“ (6, 175).
Der Mensch ist auch darüber hinaus seinem Wesen nach der gute Mensch, der Mensch „mit seinen Fähigkeiten zum Guten“.
„Wir haben dargelegt, daß der Mensch nicht zwangsläufig böse ist, sondern nur dann böse wird, wenn die für sein Wachstum geeigneten Bedingungen fehlen. Das Böse führt kein unabhängiges Eigenleben; es ist … das Scheitern eines Verwirklichungsversuches“ (6,236).

So kann Fromm nicht anders als durch seine humanistische „Brille“ sehen. Durch seinen humanistischen und vor allem evolutionistischen Ansatz mit seinem Entwicklungsoptimismus kommt er letztlich zur Verfälschung des Wortes Gottes in Bezug auf den Sündenfall des Menschen und natürlich zur dementsprechenden Leugnung der Tatsache, daß der Mensch ein gefallener Mensch ist. „Erich Fromm polemisierte leidenschaftlich gegen die angeborene Sündhaftigkeit des Menschen“.

Die Bemerkung „Erich Fromms Bild vom Christentum ist eine Karikatur“ ist berechtigt. Diese Karikatur des Christentums bzw. die Verachtung des Christen, der sich an Gottes Wort hält, sich seiner Sündhaftigkeit und Ohnmacht bewußt ist, sich darum aus Gnade von Jesus Christus erretten ließ und nun dankbar und freiwillig dem Herrn gehorsam ist und dient, diese Verachtung hängt wohl eng mit der traurigen Tatsache zusammen, daß Fromm sich von seinem orthodox-jüdischen Hintergrund absetzte und dafür einen .radikalen Humanismus wählte. Besonders Calvin und Luther bekommen das zu spüren. Die „Theologie, für die der Mensch von Grund auf ein böses und machtloses Wesen“ ist, irritierte Fromm maßlos. Er meinte: Selbstverachtung und Selbsthaß sind die Wurzeln einer solchen Doktrin“.

Dieses humanistische Menschenbild Fromms kann in einem humanistischen „Glaubensbekenntnis“ zusammengefaßt werden: Ich glaube an den Menschen, an seine Würde, Integrität, Tugend, Macht usw. Oder: Ich glaube an mich selbst!
Die Entthronung Gottes, die bewußte Abweisung seiner Autorität und Normen einerseits und die Vergottung des Menschen sowie des Menschlichen andererseits sind die Schlüssel zum Verständnis der Selbstliebe-Ideologie. Wenn man die Grundlage, nämlich die humanistische Anthropologie des sich von Gott und Gottes Wort emanzipierten, gefallenen Menschen, nicht (genug) kennt oder sie nicht ernst nimmt, steht man unweigerlich in der Gefahr, sich von der humanistischen Ideologie der Selbstliebe faszinieren und mitreißen zu lassen, so daß man meint, es stecke „etwas Wahres“ darin, „etwas Hilfreiches“ und „Brauchbares“. Wir aber wollen uns das biblische Zeugnis nicht nehmen lassen, das da lautet: „Ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt“ (Röm. 7, 18); „Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin …, nicht aber ich, sondern Gottes Gnade ! (1.Kor. 15.10).

4. Fromms humanistische Problemanalyse

Es sind vor allem V. Frankl, Professor der Neurologie und Psychiatrie in Wien und Vater der humanistischen Logotherapie, und E. Fromm, die sich mit dem Gefühl der „Selbstentfremdung“ und der Sinnlosigkeit beschäftigt haben. Beide betrachten das menschliche Verhalten als ein Suchen nach der eigenen Identität und nach dem Sinn des Lebens.

Nebenbei sei bemerkt: Wenn man meint, daß „die Identitätsfrage das Zentralproblem der heutigen Studentengeneration“ sei, so ist man, vielleicht unbewußt, beeinflußt von humanistischer Psychologie. Die Leitgedanken sind dann folgende: Wenn man nicht mehr weiß, wer „der Mensch in sich selbst“ ist, dann soll das seine Rückwirkung auf den Respekt vor der Würde und Integrität des Menschen und auf die Nächstenliebe haben. Denn „die in der Liebe enthaltene Bejahung gilt dem geliebten Menschen als einer Inkarnation wesentlich menschlicher Eigenschaften. Die Liebe zu einem einzigen bedeutet Liebe zum Menschen an sich“.

Ebenso schlimm ist es nach Fromm, wenn der Mensch nicht mehr weiß, wer „er in sich selbst“ ist und „wie er die in ihm schlummernden gewaltigen Kräfte freilegen könnte. Ebensowenig weiß er, wie diese Kräfte produktiv eingesetzt werden könnten“. Und Mangel an (humanistischer) Selbsterkenntnis hat Mangel an Selbstrespekt und Selbstliebe, an „Liebe zum eigenen Ich“ zur Folge, was wiederum der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung im Wege steht.

„Das Versagen unserer Kultur liegt nicht im Individualismus …, nicht darin, daß sich die Menschen zu sehr mit ihren Interessen beschäftigen, sondern daß sie sich nicht genug mit den Interessen ihres wahren Ich beschäftigen; nicht darin, daß sie zu selbstsüchtig sind, sondern daß sie sich selbst nicht genug lieben“ (6, 153) . . .

Ferner habe der Mensch „bei seiner zunehmenden Macht über die Materie den Blick auf das Ziel verloren, das allein all dem einen Sinn zu geben vermag. Das ist der Mensch selbst“ (6, 16). Darüber hinaus habe die „von Calvin und Luther vertretene Auffassung“, die Selbstliebe ist identisch mit Selbstsucht und schließt die Nächstenliebe aus, „einen ungeheuren Einfluß … Sie (die beiden Reformatoren) gaben damit die Grundlagen für eine Verhaltensweise, die das Glück des Menschen nicht als Lebenszweck betrachtete; er wurde zum Mittel von Zwecken, die jenseits seiner selbst liegen: eines allmächtigen Gottes oder nicht weniger mächtiger verweltlichter Autoritäten und Normen …“.
Fromm schätzte dagegen z.B. Nietzsche und Max Stirner, die „radikalsten Verfechter“ des Rechts des Einzelnen auf Glück. Diese richteten sich gegen die Auffassung der christlichen Theologie, die fordern würde, „der Einzelne habe sich einer Macht oder einem Prinzip außerhalb seines Ich zu beugen und dort sein Zentrum zu finden“ (6,138).

5. Fromms humanistische Problemlösung

Logischerweise bestimmt Fromms vorwissenschaftliche Vorentscheidung eines humanistischen Menschenbildes nicht nur seine Deutung, sondern auch seine Lösung der Probleme der Menschen. Das Problem der (humanistischen) Selbstentfremdung und Identitätskrise soll sich durch (humanistische) Selbsterkenntnis und Selbstfindung lösen lassen, die dann zum Selbstrespekt und zur Selbstliebe führen. Das Problem der Sinnlosigkeit löse sich durch das Erkennen des (humanistischen) Sinnes des Lebens, d.h. Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung in autonomer Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.
„Der Mensch muß die Verantwortung für sich selbst übernehmen und sich damit abfinden, daß er seinem Leben nur durch die Entfaltung seiner eigenen Kräfte Sinn geben kann … Sieht er der Wahrheit furchtlos ins Auge. dann erfaßt er, daß sein Leben nur den Sinn hat, den er selbst ihm gibt, indem er seine Kräfte entfaltet: indem er produktiv lebt … Nur wenn er die menschliche Situation, die seiner Existenz innewohnenden Widersprüche und seine Fähigkeit der Entfaltung erfaßt, kann er seine Aufgabe lösen: er selbst und um seiner selbst willen zu sein und glücklich zu werden durch die volle Verwirklichung der ihm eigenen Möglichkeiten – der Vernunft, der Liebe und der produktiven Arbeit“ (6,60).
Als Hilfe zur Erreichung dieser Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung führt Fromm nun die humanistische Ethik ein und plädiert für ihre Integration in die Psychoanalyse. Das ist das Ziel des obengenannten Buches:
„… so erörtere ich hier das Problem der Ethik, der Normen und jener Werte. die dem Menschen zur Verwirklichung seines Wesens und der in ihm schlummernden Möglichkeiten verhelfen sollen“ (6,7).

Fromms humanistische Deutung der Selbstliebe
Das (humanistische) Selbst, das zu verwirklichen ist. d.h. das, was man als Mensch in sich selbst ist und hat, gilt es, zu lieben. Wo der Mensch an sich, d.h. das Ich mit seiner Würde und seinen Möglichkeiten, Kräften und Eigenschaften, sowohl in mir als im anderen, Gegenstand der Liebe ist, gibt es, nach Fromm, keinen Gegensatz zwischen Selbstliebe und Nächstenliebe. Bei diesem Gedankengang, der prinzipiell den Sündenfall und damit die sündige Natur des Menschen leugnet, ist die Aussage Fromms so zu verstehen, als sei es ein „logischer Fehlschluß“, zu meinen, Selbstliebe und Nächstenliebe würden einander ausschließen. Im Gegenteil, Selbstliebe schließe immer Nächstenliebe und Nächstenliebe immer Selbstliebe ein. Das (humanistische) Menschliche ist ja unteilbar, in mir und im Nächsten. Darum, so Fromm, kann man überhaupt nicht lieben, wenn man nur andere lieben kann bzw. nur das Menschliche im anderen und nicht in sich selbst.

Auch die Liebe zum menschlichen Ich ist nach Fromm unteilbar:
„Ist es eine Tugend, wenn ich meinen Nächsten als ein menschliches Wesen liebe, so muß es auch eine Tugend, nicht aber ein Laster sein, wenn ich mich selbst liebe, da auch ich ein menschliches Wesen bin. Es gibt keinen Begriff des „Menschen“, der mich selbst nicht einschlösse. Eine Doktrin, die mich ausschließen würde, enthielte einen Widerspruch. Der Gedanke Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, wie er in der Bibel steht. bedeutet nichts anderes, als daß Achtung vor der eigenen Unantastbarkeit und Einmaligkeit, Liebe zum eigenen Ich und ein Begreifen des eigenen Ichs nicht trennbar ist von der Achtung vor dem anderen, der Liebe zum andern und dem Begreifen des andern. Die Liebe zu meinem Ich ist untrennbar mit der Liebe zu jedem anderen Ich verbunden.

Somit sind wir zu der grundlegenden psychologischen Voraussetzung gekommen, auf der die Schlußfolgerung unserer Beweisführung aufgebaut ist. Ganz allgemein handelt es sich um folgende Voraussetzung: Nicht nur die andern, sondern auch wir selbst sind das „Objekt“ unserer Gefühle und Verhaltensweisen. Zwischen dem Verhalten zu uns selbst und dem Verhalten anderen gegenüber besteht kein Widerspruch …, sondern ein fundamentaler Zusammenhang … Im Prinzip ist Liebe unteilbar, soweit es den Zusammenhang zwischen anderen Objekten und dem eigenen Ich betrifft. Liebe ist Ausdruck der eigenen Liebesfähigkeit. Die Liebe zu einem einzigen Menschen bedeutet Liebe zum Menschen an sich … Daraus folgt, daß mein eigenes Ich prinzipiell ebenso Gegenstand meiner Liebe sein muß wie ein anderer Mensch. Die Bejahung des eigenen Lebens, des Glücks, der Entfaltung und der Freiheit wurzelt in meiner eigenen Lebensfähigkeit … Ein Mensch, der produktiv lieben will, liebt auch sich selbst. Kann er nur andere lieben, so kann er überhaupt nicht lieben“ (6,143-144).
Damit beantwortet Fromm die Frage, die er vorher stellte, ob die psychologische Beobachtung die These bestätigt, daß Selbstliebe und Nächstenliebe einander ausschließen. Er übersieht dabei, daß seine, wie auch jede „psychologische“ Beobachtung nicht wertneutral ist, sondern geprägt wird von dem zugrundeliegenden Menschenbild.

Im übrigen ist die Nächstenliebe nach Fromm nicht nur „ein Gedanke in der Bibel“. Entsprechend der humanistischen Ethik „besteht eines der Charakteristika des Menschseins darin, daß der Mensch Erfüllung und Glück nur in bezug auf seine Mitmenschen und auf die Solidarität mit ihnen findet“ (6, 27). So scheint diese Nächstenliebe doch wieder Mittel zum Zweck zu sein. Außerdem sei die Nächstenliebe „auch ein Gebot der humanistischen Ethik, aus dem Verantwortungsbewußtsein seiner selbst gegenüber“ (6, 182).

Fromms humanistische Deutung der Selbstsucht
Im Rahmen seines humanistischen Menschenbildes macht Fromm einen Unterschied zwischen „echter“ Selbstliebe und Selbstsucht. Für ihn sind Selbstliebe und Selbstsucht nicht identisch, sondern Gegensätze. Wohl gäbe es einen Zusammenhang zwischen beiden. Mangel an echter Selbstliebe sei die eigentliche Ursache der Selbstsucht.

„Der Selbstsüchtige ist nur an sich selbst interessiert, will alles für sich und hat nur am Nehmen Freude, nicht aber am Geben. Seine Umwelt betrachtet er nur daraufhin, was sich aus ihr herausholen läßt. Die Bedürfnisse der anderen interessieren ihn nicht, es fehlt ihm an Respekt vor der Würde des Menschen und seiner Integrität … Sich selbst liebt der Selbstsüchtige nicht etwa zu sehr, sondern zu wenig; tatsächlich haßt er sich selber. Dieser Mangel an Liebe für sich selbst… macht ihn leer und unbefriedigt …“ (6,145).

Seine Theorie über die Natur, das Wesen der Selbstsucht, sieht Fromm „deutlich bestätigt durch die psychoanalytischen Erfahrungen in bezug auf neurotische „Selbstlosigkeit““ (6, 146), z. B. die Selbstlosigkeit der Mutter ihren Kindern gegenüber, gegen die Fromm wettert. Wohl dem Kind, das eine Mutter voller Selbstliebe hat:
„Wer die Wirkung einer von echter Selbstliebe erfüllten Mutter beobachten kann, wird feststellen, daß es für ein Kind keine günstigeren Bedingungen gibt, um zu erfahren, was Liebe, Freude und Glück ist, als wenn es von einer Mutter geliebt wird, die sich selbst liebt“ (6,147).

Diese Aussage ist ein Beispiel voreingenommener „Beobachtung“ eines humanistischen Psychologen (Psychoanalytikers). Es erinnert uns an die gefärbte „Beobachtung“ eines anderen jüdischen Humanisten, der der Begründer der Humanistischen Psychologie wurde: Abraham Maslow (1908-1970). Er war von Fromm beeinflußt und fühlte sich besonders zu dessen politischer Orientierung hingezogen. Maslow schrieb 1965, es sei „eine empirische Aussage“, daß der Mensch bzw. die menschliche Natur „gut“ ist (9). Für Fromm bedeuten Selbstlosigkeit und Selbstaufopferung wie Pflicht, Gehorsam oder eines anderen Werkzeug zu sein, soviel wie „Selbstverkrüppelung“ und „Selbstverstümmelung“.
Selbstsucht bedeutet nach Fromm, wenn es nicht mehr heißt: Ich bin, was ich denke, sondern: Ich bin, was ich habe (Besitz) oder wonach ich strebe (Geld, Erfolg). Er weist dann auf Ibsens „Peer Gynt“ hin, der allen Reichtümern nachjagte, aber dabei seine Seele oder – wie ich es ausdrucken würde – sein Ich verlor“ (6, 152). Denn das Ich, das Selbst mit seinen wichtigsten eigenen Möglichkeiten blieb „unverwirklicht“ …

Hier sehen wir, wie gefährlich eine humanistische Umdeutung einer biblischen Aussage ist. Geht es dem Herrn Jesus um die ewige Errettung des Menschen (Matth. 16,26), so handelt es sich bei Fromm um die zeitliche und vergängliche Verwirklichung des (humanistischen) Selbst.

6. „Die Kunst des Liebens“

Das Buch „The Art of Loving“ (1956) ist ebenfalls ganz und gar geprägt von Fromms humanistisch-evolutionistischem Menschenbild und nur von diesem Ansatz her zu betrachten. Liebe ist bei Fromm eine Kunst, genauso wie Musik, Malerei, Medizin oder Technik (10,15).

Liebe ist eine dem Menschen inhärente „Fähigkeit, die voll entwickelt werden muß“ (10 ,9). Die eigene Liebesfähigkeit entwickeln bedeutet, seine Persönlichkeit entwickeln und umgekehrt.

Die Liebe ist nach Fromm „eine aktive Kraft im Menschen“ (10, 31). Sie ist
„eine Aktivität und kein passives Gefühl. Sie ist etwas, was man in sich selbst entwickelt … Sie ist in erster Linie ein Geben und nicht ein Empfangen … Für den produktiven Charakter ist das Geben der höchste Ausdruck seines Vermögens. Gerade im Akt des Schenkens erlebe ich meine Stärke, meinen Reichtum, meine Macht … Dieses Erlebnis meiner gesteigerten Vitalität und Potenz erfüllt mich mit Freude. Ich erlebe mich selbst als überströmend, hergebend, lebendig und voll Freude“ (10, 33).

So wie man etwas tun muß, um z.B. die eigene musikalische Fähigkeit zu entwickeln und Klavierspielen zu lernen, so muß man „etwas tun, wenn man lernen will, zu lieben“. Als drei notwendige Schritte nennt Fromm a) die (humanistische) Theorie und b) die Praxis der Liebe beherrschen (lernen), während „die Meisterschaft uns mehr als alles am Herzen liegen muß; nichts auf der Welt darf uns wichtiger sein als diese Kunst“ (10,16). Und „wenn sich in mir die Fähigkeit zu lieben entwickelt hat, kann ich gar nicht umhin, meinen Nächsten zu lieben“, so meint Fromm.

Er ist auch der Überzeugung, „daß Liebe Antwort auf das Problem der menschlichen Existenz“ ist. Das klingt alles sehr schön, fast wie eine säkulare Variation auf 1.Kor. 13, vor allem, wenn man diese Aussage aus seinem (humanistischevolutionistischen) Zusammenhang löst, sie isoliert zitiert und kommentiert, Es folgen einige Erwägungen zu Fromms Aussage:

a) Welche Liebe ist es eigentlich, die Antwort auf das Problem der menschlichen Existenz sein soll? Das ist die Kernfrage eines Christen. Wir dürfen nie aus dem Auge verlieren, daß Fromms Begriff „Liebe“ humanistisch gefüllt ist. Diese sog. Liebe stammt aus den eigenen Möglichkeiten des (gefallenen) Menschen und führt zur stolzen Freude über den eigenen Reichtum . Ich brauche dabei nicht in erster Linie Liebe zu empfangen, um sie weitergeben zu können, sondern ich habe in mir selbst etwas, was ich zu geben imstande bin. Außerdem dient die Entwicklung der eigenen Liebesfähigkeit der eigenen Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung, also mir selbst!

So steht Fromms „Liebe“ der Liebe in Röm. 14,8-10 oder 1. Kor.13 diametral entgegen. Die biblische Liebe hat eine völlig andere Quelle, führt zu einem ganz anderen Ergebnis und dient einem anderen Zweck. Ihre Quelle liegt außerhalb des (gefallenen) Menschen. Sie stammt aus Gott (1. Joh. 4,8-10; Joh. 3,16). Nur nach der biblischen Bekehrung und Wiedergeburt wird die göttliche, die echte Liebe ins Herz ausgegossen (Röm. 5, 1 und 5). Man muß also erst Gottes Liebe in Jesus Christus empfangen haben, um Liebe weitergeben zu können. Jedes Kind Gottes, das zur biblischen Selbsterkenntnis kommt, weiß: „In mir … nichts Gutes“, auch keine „eigene Fähigkeit“ zu lieben (Röm. 7,18). Die erfahrene und empfangene Liebe Gottes führt zur demütigen Freude an Jesus Christus, den Erretter, und zur Hingabe des Lebens, damit auch andere gerettet werden (1 .Kor. 5, 14.15 und 20). Sie dient zur Ehre Gottes, zum Lob seiner herrlichen Gnade (Eph. 1,5.6).

b) Wie wichtig auch die (biblische) Liebe ist, sie darf niemals von der Person des dreieinigen Gottes losgelöst und verselbständigt werden. Liebe darf kein säkularer oder frommer Ersatz für den Herrn werden! Was der (gefallene) Mensch in erster Linie braucht, ist eine Person, ist der, der von Gottes Gericht rettet: Jesus Christus. „Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht“ und „der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (1. Joh. 5,12; Joh. 3,36). Nur mit und in Jesus Christus hat Gott alles geschenkt (Eph. 1,3).
c) Welches ist „das Problem der menschlichen Existenz“, auf das die Liebe die Antwort sein soll? Fromm meint: „Jede Theorie der Liebe muß mit einer Theorie des Menschen beginnen.“ Und dann entfaltet er, zusammen mit einer massiven Verfälschung der biblischen Offenbarung über die Schöpfung und den Sündenfall des Menschen, eine haarsträubende evolutionistische Deutung der „Quelle von Angst, Scham und Schuldgefühl“ und des dem entsprechenden „stärksten Strebens des Menschen, der Wunsch nach zwischenmenschlicher Vereinigung“.

Fromm philosophiert also: Der Mensch ist ein Teil der Natur. Darauf beruht die Gleichheit aller Menschen. „Alle Menschen sind gleich, weil sie alle Kinder der Mutter Erde sind“ (10, 77) Im sog. Paradies gab es ursprünglich das Einssein des Menschen mit der Natur, das Kindheitsstadium bzw. die infantile Periode der menschlichen Rasse.
Dann kam die notwendige Durchgangsphase in der Evolution, die Vertreibung aus dem Paradies.
Nach ihrer Geburt als menschliche Wesen (1. Mose 3, 7) erkannten die Menschen, daß sie nackt waren, und schämten sich. Das heißt:
„Sie wurden sich selber und ihres Partners bewußt und damit ihrer Getrenntheit und Unterschiedlichkeit. Sie … bleiben sich fremd, weil sie noch nicht gelernt haben, sich zu lieben … Das tiefste Bedürfnis der Menschen ist demnach, ihre Abgetrenntheit zu überwinden und aus dem Gefängnis der Einsamkeit herauszukommen. Der Mensch sieht sich vor das Problem der Lösung der einen Frage gestellt, wie er sein Abgetrenntsein überwinden …, wie er das Einswerden erreichen kann“ (10, 19).

In diesem Evolutionsprozeß „kann der Mensch nur vorwärtsschreiten, indem er seine Vernunft entwickelt, indem er eine neue, eine menschliche Harmonie findet anstelle der vormenschlichen Harmonie“ (10, 17).

Solange die Menschen im „vormenschlichen Stadium „eins mit der Natur“ waren, waren sie auch untereinander eins. Die Ursache der menschlichen Trennung liegt also in der evolutionären Abtrennung von der „Mutter Erde“. begründet. In diesem besonderen Kontext muß wohl die Aussage gelesen werden:
„Die Nächstenliebe enthält die Erfahrung der Einheit mit allen Menschen, der menschlichen Solidarität, des menschlichen Einswerdens. Die Nächstenliebe gründet sich auf die Erfahrung, daß wir alle eins sind“ (10,58).

Und diese „Liebe“ soll also, nach Fromm, Antwort sein auf „das Problem“ der Trennung des Menschen von der Natur bzw. von der Mutter Erde und ihren Folgen. Als ehemaliger orthodoxer Jude weiß Fromm nur zu gut, daß es sich im 1. Mose 3 um den Sündenfall des Menschen seinem Gott und Schöpfer gegenüber handelt. Er weiß nur zu gut, daß das Hauptproblem des Menschen seine Trennung von Gott ist, aus der dann Angst, Scham, Schuldbewußtsein und zwischenmenschliche Trennung resultieren. Welch eine Torheit, wenn man die Wahrheit Gottes uminterpretiert und die unverdiente Liebe Gottes und sein Heil in Jesus Christus, die einzige Antwort auf das einzige Hauptproblem des Menschen, abweist und durch Selbsterlösung ersetzt! „Der Mensch kann sich selbst finden und sich durch seine eigene Anstrengung, und ohne Akt der Gnade von Gott, erlösen“ (vgl. aber Hebr. 2,1-3).

Welch eine Verantwortung, wenn man die Rebellion des eigenen Herzens in ein pseudowissenschaftliches Gewand steckt, und damit viele irreführt! Welch eine Verantwortung auch, wenn man sich an Fromm, an dessen „Selbstliebe“ und „Nächstenliebe“ orientiert!

Auch dieses Buch, in welchem Fromm bewußt Gott, den Schöpfer, durch die Schöpfung (Natur) wie auch Gottes Liebe durch die menschliche „Liebe“ ersetzt und den Menschen mit seinen sog. menschlichen Möglichkeiten vergottet, ist eine Illustration der Wahrheit aus Röm. 1,21-28: „Gott hat sie dahingegeben in einen verworfenen Sinn …“. Das kommt auch zum Ausdruck in dem Kapitel „Liebe zu Gott“ (10, 75-94). In einem Selbstzeugnis sagt Fromm:
„Im Zusammenhang mit der Liebe zu Gott möchte ich klarstellen, daß meine Auffassung keine theistische ist. Ich halte die Gottesvorstellung für historisch bedingt“ (10, 84).

Unter „historisch“ versteht Fromm aber nicht die wirkliche, sondern eine evolutionistische Geschichte. Dabei muß sogar Gott evolvieren (sich entwickeln), von einem despotischen Stammeshäuptling über die Gestalt eines liebenden Vaters bis hin zu einem Prinzip der Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit im Menschen.

„In einem nicht-theistischen System gibt es einen solchen spirituellen, jenseits des Menschen existierenden oder ihn transzendierenden Bereich nicht. Der Bereich der Liebe, Vernunft und Gerechtigkeit existiert als Realität nur deshalb und insofern, als der Mensch es vermochte, während des gesamten Evolutionsprozesses diese Kräfte in sich zu entwickeln. Nach dieser Auffassung besitzt das Leben keinen Sinn, außer dem, den der Mensch ihm gibt; die Menschen sind völlig allein und können ihre Einsamkeit nur überwinden, indem sie einander helfen“ (10,84) …“Gott wird Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit. Gott, das bin ich, insofern ich menschlich bin“ (10,82).

Dementsprechend muß sich auch die „Liebe zu Gott“ entwickeln: von einer hilflosen Bindung an eine Muttergottheit über die Gehorsamsbindung an einen Vatergott bis zu einem „reifen“ Stadium, „wo Gott aufhört, eine äußere Macht zu sein, wo der Mensch die Prinzipien der Liebe und Gerechtigkeit in sein eigenes Inneres hineingenommen hat, wo er mit Gott so eins geworden ist, daß er schließlich von ihm nur noch in einem poetischen, symbolischen Sinne spricht“.
In bezug auf das Thema „Selbstliebe“ und „Selbstsucht“ ist das genannte Buch zum größten Teil eine Wiederholung der Ausführungen in den genannten Büchern auf S. 386. Fromm schreibt, daß man seine Gedanken über die Selbstliebe „nicht besser zusammenfassen kann“ als mit einem Zitat von Meister Eckehart:
„Hast du dich selbst lieb, so hast du alle Menschen lieb wie dich selbst. Solange du einen einzigen Menschen weniger lieb hast als dich selbst, so hast du dich selbst nie wahrhaft liebgewonnen –, wenn du nicht alle Menschen so lieb hast wie dich selbst, in einem Menschen alle Menschen, und dieser Mensch ist Gott und Mensch.
So steht es recht mit einem solchen Menschen, der sich selbst liebhat und alle Menschen so lieb wie sich selbst, und mit dem ist es gar recht bestellt“ (12).

7. Zusammenfassung

Aus den obengenannten Ausführungen mag deutlich geworden sein, daß Fromms Ideologie der Selbstliebe ein Aspekt des einen Paradigmas (Musterbeispiels) ist: des humanistisch-evolutionistischen Menschenbildes. Es dreht sich alles um den Menschen ohne Bezug zu Gott und ohne innewohnende Sünde, um das sog. Menschliche, das Ich, das Selbst im humanistischen, evolutionistischen Sinne. Ob es sich um Selbsterkenntnis (Erkenntnis dessen, was ich angeblich in mir selbst bin und habe, aus mir selbst heraus weiß und kann) und Selbstfindung handelt, um Selbstbejahung, Selbstrespekt, Selbstgefallen und Selbstliebe in Verbindung mit den sog. eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und positiven Eigenschaften als Mensch, um dementsprechendes Selbstvertrauen, um Selbstinteresse, daß es in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zur höchsten Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung kommt –, es sind alles Früchte der gleichen Wurzel: einer antibiblischen, humanistischen Anthropologie (Lehre vom Menschen), die unzertrennlich damit verbunden ist. Wie die Wurzel – so die Frucht! Diese Selbstliebe-Ideologie ist also nicht wertneutral. Sie ist weder zu neutralisieren noch zu „christianisieren“. Selbstliebe stammt aus der gefallenen Natur und ist Sünde. Die neue Natur liebt Gott, den Bruder und den Nächsten (1. Joh. 4,19; 5,1.2; 2. Petr. 1,7; Röm. 13,8-10; Matth.5,44).

II. Walter Trobisch und die Selbstliebe

In einem warnenden Artikel bemerkt Dr. John Stott, daß „ein vielstimmiger Chor heute einstimmig singt, ich müsse mich um jeden Preis lieben, daß Selbstliebe ein Gebot ist, das am meisten vernachlässigt wird, und der die Liebe zu Gott und zum Nächsten hinzugefügt werden muß. Wenn ich mich hierzu verweigere, werden mich schreckliche Folgen überfallen: Frustration, Depression, Feindschaft, Trägheit und vieles andere mehr. Eine ganz neue Literatur ist um dieses Thema entstanden“ (13, 24). Und dann weist Stott hin auf Bücher von Cecil G. Osborne (1976), Ray Ashford, Bryan Jay Cannon und Walter Trobisch (1977). Wir wollen uns nunmehr mit dem Buch von Trobisch „Liebe dich selbst“ auseinandersetzen (14).

So wie für Fromms Buch „Man For Himself“ das Anfangszitat von Buddha kennzeichnend ist, wird in diesem Büchlein von Trobisch zu Anfang bezeichnenderweise der ungläubige Hermann Hesse zitiert (Aus „Steppenwolf“):
„… denn das „Liebe deinen Nächsten“ war ihm so tief eingebleut wie das Hassen seiner selbst, und so war sein ganzes Leben ein Beispiel dafür, dass ohne Liebe zu sich selbst auch die Nächstenliebe unmöglich ist, daß der Selbsthaß genau dasselbe ist und am Ende genau dieselbe grausige Isoliertheit und Verzweiflung erzeugt wie der grelle Egoismus …“

Hermann Hesse war der Sohn gläubiger Eltern, bei dem aber der große Okkultist und Illuminat Johann Wolfgang von Goethe und nicht Jesus Christus eine zentrale Stellung einnahm, und der die hinduistische Religion „weit verlockender“ fand als die frohe Botschaft Jesu Christi. Einige Hinweise auf seine innere Ausrichtung kann man bei G. Meskemper finden (15).

Und so wie Erich Fromm Spinoza, Max Stirner, Nietzsche und ein in sein Konzept passendes Zitat von Meister Eckehart als Kronzeugen für seine Selbstliebe-Ideologie heranzieht, beruft sich W. Trobisch auf den Psychoanalytiker Dr. Guido Groeger, auf den römisch-katholischen Humanisten und Philosophen Romano Guardini und auf Josef Piper, um seine Ideen über Selbstliebe und Selbstannahme zu untermauern.

Es ist schon traurig, wenn ein orthodoxer Jude, wie Fromm, Gott und Gottes Wort den Rücken kehrt und sich am Humanismus bzw. an Humanisten orientiert. Noch trauriger ist es aber, wenn sich einer, der sich Christ nennt, in der Frage der Selbstliebe an der atheistischen, evolutionistischen Tiefenpsychologie und an einem römisch-katholischen Humanisten orientiert. Am bedenklichsten dabei ist, daß Trobisch die Idee aus atheistischer, humanistischer Quelle zu christianisieren versucht und diese Mischung in die Gemeinde Jesu Christi bewußt hineintragen will.   „Liebe dich selbst“ (14)

Trobischs Sicht auf die Selbstliebe ist eine Variante der humanistischen Selbstliebe-Ideologie.
1. Im ersten Kapitel geht der Verfasser von folgenden Thesen aus:
daß keiner sich selbst liebt bzw. die Selbstliebe nicht angeboren ist,
daß „die Selbstliebe Bedingung für die Liebe zu anderen ist“, und
daß die Selbstannahme „Grundlage alles Existierens“ (Guardini) ist.
Indem sich Trobisch auf Groeger und Guardini beruft, behauptet er, es sei „eine bewiesene Tatsache, daß niemand mit der Fähigkeit zur Selbstliebe geboren wird“ (14, 8), und daß darum die Selbstliebe „erworben“ werden muß …
Er meint weiter, daß dieses „Erkenntnis der modernen Tiefenpsychologie ist“, und benutzt als Grundlage ein Zitat aus einem „unveröffentlichten Brief“ von Groeger. – Wir aber müssen vom biblischen Menschenbild ausgehen. Danach gehört die Selbstliebe zur alten Natur des gefallenen Menschen und ist damit angeboren.
Groeger meint weiter, daß, „wer die Selbstliebe nicht (genügend) erwirbt, ist auch nicht (genügend) zur Liebe anderen wie auch Gott gegenüber fähig“. Ist nach biblischem Verständnis die erfahrene und empfangene Liebe Gottes in Christo Jesu durch den Heiligen Geist die Grundlage unserer Liebe zu Gott und den Mitmenschen (1. Joh. 4; Röm. 5,5), so ist demgegenüber für den Tiefenpsychologen Groeger und mit ihm auch für Trobisch die sog. erworbene Selbstliebe die grundlegende Basis!

Trobisch stellt die Selbstliebe der Selbstannahme gleich. Dagegen assoziiert der Psychiater Dr. Erwin Scharrer (Hohe Mark) die Selbstliebe mehr mit „Selbstversöhnung“ („Wie bekomme ich ein gnädiges Selbst?“). Die Bibel sagt jedoch das Gegenteil: Die Annahme des Gnadenangebotes Gottes, des Herrn Jesus Christus, ist die Grundlage „alles Existierens“, (Joh. 1,12; 1.Kor. 3,11), niemals aber eine (humanistische) Selbstannahme.

2. Der erste Satz des zweiten Kapitels ist ein Schlüssel zum Verständnis des Irrweges von W. Trobisch. Nachdem er die Zitate von Groeger und Guardini bejaht hat, schreibt er weiter:
„Von hier aus fällt nun ein ganz neues Licht auf das Gebot Jesu, Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matth. 22, 39ft.).

Für einen bibeltreuen Christen gilt genau das Gegenteil: Gottes Wort ist die einzige Wahrheit, Autorität und Norm und gibt uns Licht und Klarheit in den menschlichen Vorstellungen und Meinungen. Das tun nicht die Hypothesen der gängigen Psychologie und Philosophie. Die prinzipiell atheistische Psychoanalyse und der Humanismus, die den Bezug auf Gott und die sündige Natur des Menschen leugnen, können tatsächlich „ein ganz neues Licht“ auf das alttestamentliche Gebot der Nächstenliebe werfen. Das kann aber immer nur ein Irrlicht sein. Genau dieses beweist gerade das Büchlein von W. Trobisch.

Als nächstes ist aufschlußreich, daß Trobisch nur diejenigen drei Bibelstellen in den neutestamentlichen Briefen erwähnt, die das Gebot der Nächstenliebe aus dem Alten Testament zitieren: Gal.5,14; Jak.2,8; Röm.13,9.
Dabei läßt er den unmittelbaren Kontext weg, z. B. „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“ (Röm.13, 10) und „Seid niemand irgend etwas schuldig, als nur einander zu lieben; denn wer den anderen … liebt, hat das Gesetz erfüllt“ (Röm. 13,8).
Darin ist kein Hinweis und erst recht kein Befehl zur Selbstliebe zu entdecken. Das Gegenteil ist der Fall. Da die kontextuelle Bedeutung dieser drei Bibelstellen nicht in das Konzept der Selbstliebe-Ideologie hineinpaßt, läßt Trobisch sie dann auch außer acht. Wenn dort auch das ganze alttestamentliche Gebot zitiert wird, geht es nun gerade um den Nächsten oder den Bruder, den es zu lieben gilt, und nicht, wie Trobisch es meint, um „den schwerwiegenden Zusatz: wie dich selbst“. Im übrigen gilt schon das Gleiche für die erste alttestamentliche Stelle über die Nächstenliebe in 3. Mose 19,18 im Zusammenhang mit den Versen 11-18.

Daß in den obengenannten drei neutestamentlichen Bibelstellen dieser angeblich „schwerwiegende Zusatz bei der Aufforderung zur Nächstenliebe nie fehlt“, ist logisch, weil diese Stellen ja eine alttestamentliche Bibelstelle zitieren. Daß der Zusatz „wie dich selbst“ ein schwerwiegender sein soll, ist also hineininterpretiert. Außerdem gibt es viele andere Bibelstellen über die Liebe, in denen dieser alttestamentliche Zusatz fehlt. Diese Bibelstellen passen nicht in Trobischs Konzept der Selbstliebe. Er läßt sie einfach weg. Das ist schuldhafte Unterlassung.

Man muß immer Schrift mit Schrift vergleichen. Nur ein gründliches Bibelstudium wirft „ein ganz neues Licht“ auf das Thema der sog. Selbstliebe. Nehmen wir z. B. Joh. 13,34, wo der Herr Jesus den Vergleich aus dem alten Testament „wie (griechisch „hoos“) dich selbst“ durch ein neues Kriterium ersetzt: „gleichwie („kathoos“) ich euch geliebt habe“. Deshalb spricht der Herr hier von einem neuen Gebot. Das ist ein Gebot Jesu (Joh. 13,34a), während Er in Matth. 22,36 „das größte Gebot im Gesetz“ zitiert.
Rienecker schreibt zum griechischen Wort „kathoos“ gleichwie): Es hat „begründende und vergleichende Bedeutung: der vergleichende Hinweis auf Christus enthält für christliches Handeln stets eine Begründung und ist damit von verpflichtender Bedeutung“ (16, 453-454). Dieses Wort „kathoos“ hat eine stärkere Bedeutung als die Vergleichspartikel „hoosc“ aus Matth. 22,39. Es ist so „schwerwiegend“, daß es immer dort gebraucht wird, wo Jesus Christus als Beispiel und Maßstab vor Augen gemalt wird (Vgl. Joh. 13,34; 15,12; Eph. 5,2.25.29; Kol. 3,13). Der einfache unbetonte Vergleich „„wie dich selbst“ dagegen fängt nie mit „kathoos“ an.
Andere Bibelstellen, welche die biblische Liebe betreffen, stehen in 1.Kor. 13. 1.Joh. 3,16; 1.Joh. 4; Gal. 5,22; 1 Tim.1,5; 1.Petr. 4,8; 2.Petr. 1,7 usw. Dort ist von Selbstliebe nie die Rede. Auch von daher ist Trobischs Folgerung aus dem alttestamentlichen Gebot, es gäbe „keine Nächstenliebe ohne Selbstliebe“ grundfalsch. Diese aus dem Humanismus stammende Selbstliebetheorie ist nun einmal nicht zu christianisieren.

Gerade das alttestamentliche Kriterium „wie dich selbst“ macht deutlich, daß die Heilige Schrift die Selbstliebe als eine jedem Menschen angeborene Tatsache voraussetzt. Sie entlarvt und widerlegt damit die Hypothese der nicht angeborenen Selbstliebe und zeigt auf, daß gerade die Bruder- und Nächstenliebe keine angeborene Sache ist. Sie ist ein Geschenk von oben (Röm. 5,5), eine Frucht des Geistes (Gal. 5,22). Von daher heißt das neutestamentliche Gebot: „Liebet einander“ (Joh. 13,34; 15,12 usw.) und „Strebet nach der Liebe“ (1. Kor. 14,1; 1. Tim. 6,11). Statt nun fremde und eigene falsche Vorstellungen „unter den Gehorsam Christi gefangen“ zu nehmen (2. Kor. 10,5.6), versucht Trobisch sie durch Hineininterpretieren zu retten (14, 13). Er macht die gefährliche Aussage, daß das Kriterium „wie dich selbst“ auch „einen zweiten Befehl enthält“ (14, 14). Wir kommen in Kapitel III noch darauf zu sprechen.


3. An Hand von 1. Sam. 18,1 und Eph. 5, 21-33 versucht Trobisch ebenfalls zu beweisen, daß die Selbstliebe die Voraussetzung für die Nächstenliebe ist. So macht er aus einem Vergleich eine Bedingung. Was steht aber in 1. Sam. 18,1 geschrieben? „Und es geschah, als er (David) aufgehört hatte, mit Saul zu reden, verband sich die Seele Jonathans mit der Seele Davids.“ Den gleichen Ausdruck „verknüpfen, verbinden, fesseln, anhängen“ (kaschar) finden wir in 1. Mose 44,30 hinsichtlich der Seele des Vaters Jakob zur Seele seines jüngsten Sohnes Benjamin. Bei David und Jonathan heißt es dann weiter: „Und Jonathan liebte ihn (David) wie seine Seele“ (1. Sam. 18,1; vgl. auch 19,1; 20,17). Wenn wir Trobisch richtig verstehen, so meint er nun folgendes: „Jonathan liebte sein Herz, und das machte ihn fähig zu einer tiefen Freundschaft.“ Er liest also: Jonathan liebte David, weil er seine eigene Seele liebte. Die Bibel aber sagt: „Jonathan liebte David wie seine eigene Seele“. „Wie“ bedeutet bekanntlich nicht „weil“.
Als Beispiel und Maßstab für die Liebe, die der Ehemann seiner Ehefrau gegenüber hegen sollte, führt die Bibel in Eph. 5,25-38 die Liebe Christi zu seiner Gemeinde an. In Vers 25 heißt es „gleichwie Christus“ und in Vers 28 „also die Männer“. Das Wesen und Kennzeichen dieser Liebe ist die sich verleugnende Selbsthingabe (zu Vers 25 vgl. Eph. 5,2 und 1.Joh. 3,16). So ist auch die Ehe eine Dauerschule sich verleugnender, selbstloser Selbsthingabe. Der neue Maßstab „gleichwie Christus“, den der Herr Jesus schon in Joh. 13, 34 für die Liebe zu den geistlichen Geschwistern gebraucht, wird in Eph. 5,25.26.28.29 auch auf das besondere Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe übertragen. Das Wesentliche dieses Abschnitts ist auch hier der verstärkte Ausdruck „gleichwie (griechisch „kathoos“) Christus“.

Entsprechend seinem Vorverständnis betont Trobisch dagegen, daß in Eph.5 „nicht weniger als dreimal auf die Selbstliebe hingewiesen wird“ (14, 14). Das nimmt er als Aufforderung. Er meint auch, es sei „interessant“, daß „Paulus ausdrücklich auf die leibliche Dimension der Selbstannahme hinweist. Ich frage mich (so Trobisch): Liebe ich meinen eigenen Leib?“, (14, 16).

Von Selbstannahme ist aber weder in Eph. 5 noch sonstwo in der Bibel die Rede. Die „leibliche Dimension“ in den Versen 28 und 29 hat wohl mit Vers 31 zu tun. Das ist ein Vers, den Trobisch zum Schaden der Auslegung außer acht läßt. Vers 31 ist ein Zitat aus 1. Mose 2,24. Dieser Text beginnt mit „Deswegen“. Das heißt also, daß er im Zusammenhang mit den vorangegangenen Versen (2,21-23) steht. Die Ehefrau ist von Gott erschaffen, aber nicht wie Adam aus der Erde, sondern aus dem Leib ihres Mannes. Darum sagte Adam: „Diese ist Fleisch von meinem Fleisch.“ Und in der Ehe sind Mann und Frau zu einem Fleisch zusammengefügt. Darum sollen Ehemänner ihre Ehefrauen lieben „wie ihre eigenen Leiber“, (auch „als“). Weil Mann und Frau in der Ehe ein Fleisch sind, ist es logisch, daß der Mann, der seine Ehefrau liebt, „sich selbst liebt“ (Vers 28b), d. h. „sein eigenes Fleisch“ (Vers 29: „Denn“).

Die Feststellung „Wer sein Weib liebt, liebt sich selbst. Denn …“ (Vers 28) bedeutet weder einen Befehl noch eine Bedingung noch einen Erweis, abgesehen davon, daß es hier nicht um („Selbst-)Liebe“ im allgemeinen Sinne geht, sondern um das spezifische Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe. Wenn Selbstliebe eine Bedingung wäre, müßte Vers 28 gerade umgekehrt lauten „Wer sich selbst liebt, liebt seine Frau“. Trobisch verwendet nämlich diesen Abschnitt im Zusammenhang mit seiner These: „Nur wer sich selbst liebt, kann den anderen lieben.“

Es ist also eine Deutung, die nicht zulässig ist, wenn der Autor zu Vers 28 schreibt: „Wer seine Frau liebt, erbringt damit den Erweis, daß er die Fähigkeiten erlernt hat, sich selbst zu lieben“ (14, 16). Die Frage: „Liebe ich meinen eigenen Leib?“ ist hier wohl nicht am Platze. Es geht hier gar nicht im allgemeinen um das Verhältnis eines Menschen zu seinem Körper. Paulus beschreibt nur die Beziehung Christi zu seiner Gemeinde, die sein Leib ist (Eph. 1,22.23; 5,23), und zwar als Beispiel und Maßstab für das spezifische Verhältnis des Ehemanns zu seiner Ehefrau, mit der dieser ein Fleisch ist. Vers 33 beginnt mit den Worten „Jedenfalls“ (griechisch plen). Dieser Ausdruck bedeutet „die Erörterung abschließend und das Wesentliche hervorhebend“ (17). Der Vers steht somit in engem Zusammenhang mit den vorangehenden Versen (25-32) und hat mit der Selbstliebe-Ideologie nichts zu tun.
Der Ansporn, die Ehefrau (5, 25 und 33) nach dem Vorbild Christi zu lieben, zeigt, daß diese Liebe nicht selbstverständlich ist. Die Liebe zur Ehefrau wird als eine heilige Pflicht dargestellt, die Selbstliebe aber niemals.


4. In Kapitel 3 macht Trobisch den gleichen unbiblischen Unterschied zwischen „Selbstliebe“ und „Selbstsucht“ wie Erich Fromm. Was Fromm „echte“ Selbstliebe nennt, heißt bei Trobisch „selbstlose Selbstliebe“. Einerseits weiß Trobisch um Jesu eigene Worte in Joh. 12,25; Luk. 14,26 und Matth. 16,24, die er am Anfang dieses Kapitels zitiert. Andererseits wagt er anschließend gewissermaßen verächtlich zu schreiben: „Wir sind so auf Selbstaufgabe, Selbstaufopferung, Selbstverleugnung getrimmt, die Angst vor jeglicher vermeintlichen „egoistischen“ Regung ist uns so eingeimpft“. Die gleiche Gesinnung gegen Selbstverleugnung und Selbstaufopferung finden wir beim Humanisten Erich Fromm.

Trobisch macht hier den gleichen verheerenden Fehler, der ihm bei seiner Deutung von Matth. 22 auf Grund des „neuen Lichtes“ durch einen Psychoanalytiker und Humanisten unterlaufen ist: Er orientiert sich an Josef Piper, der in seiner Schrift „Zucht und Maß“ eine „selbstlose“ und eine „selbstische“ Selbstliebe unterscheidet. Der Ausdruck „selbstlose Selbstliebe“ ist jedoch ein Widerspruch in sich selbst. Er hängt mit der Ideologie der Selbstfindung (Identitätsfindung) und Selbstannahme eng zusammen. Trobisch unterscheidet also auch die Selbstliebe, die „erworben“ werden muß („ich liebe mich selbst“ und bin fähig, von mir wegzusehen) von dem Auto-Erotismus, der angeboren ist („ich liebe nur mein Ich“ und blicke ständig auf mich selbst zurück). Eine solche Unterscheidung ist jedoch unzutreffend. Selbstliebe ist immer auf sich selbst konzentriert. Im Humanismus meint man, daß es eine „Liebe zum eigenen Ich“ zum (humanistischen) Selbst gäbe, welches imstande wäre, von all dem wegzusehen, was der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung im Wege steht. Nach der Bibel aber ist das eigene Ich rechtmäßig mit Christus mitgekreuzigt (Röm. 6,6), und bei Paulus auch im praktischen Leben (Gal. 2,20).

Nachdem Trobisch über die Selbstfindung und die Selbstannahme ähnliches wie Erich Fromm aussagt, kommt er auch offensichtlich zu der gleichen falschen Analyse: „Unsere Zeit ist so süchtig, so selbstsüchtig, weil es so wenig Selbstliebe; Selbstfindung, Selbstannahme gibt“ (14,19). Die Heilige Schrift nennt aber dagegen andere Gründe: weil es an Liebe zu Gott und zur gesunden Lehre fehlt, und weil man nur äußerlich religiös ist (2. Tim. 3,1-4; 4, 3-4). Trobisch wiederholt dagegen Fromms These, daß Selbstliebe und Selbstsucht „einander ausschließen“ (14,19). Gefährlicher aber noch ist seine Uminterpretierung von 1. Kor. 13,5, womit er seine These biblisch zu untermauern versucht: „Denn die Liebe sucht nicht das Ihre. Sie hat es gefunden. Darum kann sie es verschenken …“
5. In Kapitel 4 meint Trobisch dann, daß „die Verklammerung von Selbstliebe und Selbstlosigkeit, von Selbstannahme und Selbstentäußerung“ besonders deutlich bei Jesus Christus zu beobachten ist (14, 23). In Joh. 13,1 handelte es sich, nach Trobisch, um die „totale Selbstannahme“ und dann sagt er: „Auf diesem Hintergrund … erfolgt die Beschreibung seiner (Jesu) Selbsterniedrigung und Selbstentäußerung“. Noch schlimmer ist die Umdeutung des Abschnitts aus Phil. 2,6.7! Für einen bibeltreuen Christen ist dieses eine Gotteslästerung, die man eigentlich nicht wiederzugeben wagt.
Andererseits ist es vielleicht gut, einmal zu sehen, wohin man (auch als Christ) kommen kann, wenn man Gottes Wort seinen eigenen Ideen unterordnen und anpassen möchte:
„Jesus wußte, wer er war, und war einverstanden mit sich selbst. Er hatte die „Annahme seiner selbst“ vollzogen. Darum konnte er sein Selbst loslassen und der Selbstlose schlechthin werden.
Darum brauchte er auch sein Selbst, seine Identität, sein Gleichsein mit Gott nicht krampfhaft festzuhalten wie einen Raub … Pointiert könnte man es so sagen: Weil Jesus sich selbst liebte, war er selbstlos und konnte uns lieben ‚wie sich selbst’“ (14,24.25).

Durch seine eigenmächtige Deutung dieser Bibelstelle, in die er eine „Selbstliebe“ und „Selbstannahme“ hineinliest, kommt Trobisch zu der Folgerung:
„Durch diese enge Verklammerung (Selbstannahme und Selbstlosigkeit Jesu) sagt die Bibel aus: Es gibt keine Nächstenliebe ohne Selbstliebe.“

Biblische Tatsache ist aber, daß uns in dem einmaligen, wunderbaren Abschnitt von Phil 2,5-8 die innere Gesinnung Jesu Gott gegenüber zum Vorbild und als Maßstab vor Augen geführt wird. Von einer Selbstliebe und Selbstannahme Jesu ist weder hier noch sonstwo in der Bibel die Rede, geschweige denn, daß beides die Grundlage und Bedingung für seine Retterliebe zu uns Sündern war. Wer so etwas denkt, hat wohl weder von dem Herrn Jesus Christus noch von seinem Gehorsam dem Vater gegenüber noch von seiner Liebe zu uns etwas verstanden.

Das humanistische Vorverständnis von Trobisch führt nicht nur zur falschen Deutung des Wortes in Phil. 2, sondern auch zu weiteren falschen Folgerungen, daß Phil. 2,5 eine Aufforderung sowohl zur ,.Selbstannahme“ als auch zur Selbstverleugnung enthalten würde, ja, daß Nachfolge Jesu nicht ohne Selbstliebe bzw. Selbstannahme möglich sei:
„Ist Jesus aber unser Leben, dann bedeutet das, daß die Selbstannahme tatsächlich in einem, letzten und tiefsten Sinn, „die Grundlage alles Existierens“ ist. Nachfolge ist ohne sie nicht möglich. Der Gehorsam der Selbstverleugnung setzt den Gehorsam der Selbstannahme voraus“ (14, 25).

Hinsichtlich der Nachfolge eines Jüngers Jesu redet aber der Herr von Selbstverleugnung und vom Kreuz, das jeder täglich auf sich nehmen soll (Luk. 9,24.25; 14,26.27 und 33; vgl. auch Gal. 2,20). Allerdings ist die Selbstverleugnung eines Jüngers Jesu dem Wesen nach etwas grundlegend anderes als die Selbstentäußerung Jesu. Gott möge in uns die Gesinnung Jesu bewirken! Er bewahre uns jedoch vor der humanistischen Gesinnung der Selbstliebe und der Selbstannahme!


6. In den folgenden Kapiteln versucht Trobisch nun die für ihn so „bedrängende“ Frage zu beantworten: Wie kann ich lernen, mich selbst zu lieben? Seine Antwort lautet: „Indem ich lerne, mich lieben zu lassen. Ich kann mich nur annehmen, wenn ich angenommen bin, mich nur lieben, wenn ich geliebt werde und mich selbst lieben lasse“ (14,26.27).

Man fragt sich dann, wie nach Deutung durch Trobisch unser Herr Jesus zur Selbstannahme kommen konnte, denn er kam in das Seinige, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh. 1,11). Und wie soll der Herr Jesus Selbstliebe lernen, wo er doch von vielen gehaßt, von Judas verraten und von den Jüngern verlassen wurde, während er sein ganzes Leben „einen so großen Widerspruch gegen sich“ erdulden mußte (Joh. 15,20-25; Matth. 26,56; Hebr. 12,3; siehe auch Jes. 52,13.14; Jes. 53)?

Das Bedenkliche ist außerdem, daß für Trobisch das „Sich lieben lassen“ oft das Gleiche ist wie „Sich loben lassen“, also lieben, das Gleiche wie loben Er meint sogar, ein Mensch könne nicht leben, wenn er von Menschen „nie gelobt wird“, (14,32). Wäre das nicht furchtbar, wenn unser Leben vom Lob der Menschen abhängig wäre? Gottes Wort sagt in Kol. 3,17 und 23.24 etwas ganz anderes! Trobisch dagegen geht sogar so weit, daß er sagt, wir alle brauchen Anerkennung „wie das tägliche Brot“. Das wäre dann eine Umdeutung von Matth. 4,4. Weiterhin behauptet er in bezug auf Luther, der eine schwere, lieblose Kindheit erlebt hatte: „Deshalb rang er sein Leben lang mit der Selbstannahme“ (14, 32). Auch wird Trobisch hier wieder einmal von seinem humanistischen Vorverständnis bestimmt, wenn er mancherlei Sünden wie Süchte, Abtreibung, Freßsucht etc. als „Folgen mangelnder Selbstliebe“ deutet (Kap. 8). Der Herr Jesus dagegen sagt: „Aus dem Herzen kommen …“.(Mark. 7,20-23). W. Trobisch behauptet: Aus mangelnder Selbstliebe kommen. …


7. In Kapitel 7 bringt dann Trobisch eine „Korrektur“ an. In den ersten sechs Kapiteln wurden die Worte „Liebe“ und „Annahme“ „bewußt im Austausch verwendet und miteinander gleichgesetzt“ (14, 35). Aber „wen Christus annimmt, der wird verändert“. Von daher ist dem Autor der wichtige Vers Joh. 1,12 „ganz neu aufgegangen“:
„Ich will diesen Vers hier umschrieben wiedergeben: Wer Christus aufnimmt, wer langsam lernt, ihm immer mehr sein Leben zu überlassen, sich von ihm lieben zu lassen, der erhält Macht, geschenkte Kraft, an sich zu arbeiten, um ein Gotteskind zu werden, um in das Bild hineinzuwachsen, das Gott mit ihm gemeint hat.“

Das ist aber keine Umschreibung mehr, sondern Bibelkritik! Der Startpunkt für die Selbstveränderung ist nach Trobisch „Selbstannahme“.
„Darum ist die Selbstannahme nur der erste Schritt, der Startpunkt, der notwendige, ein Not wendender Ansatzpunkt. Sie entbindet mich aber nicht von der Arbeit an mir selbst. Im Gegenteil: Sie beauftragt mich damit und macht sie mir möglich“ (14,36).

Zur Bekräftigung seiner „Selbsterlösungsvorstellung“ zitiert Trobisch Dr. Theodor Bovet:
„Wenn ich mich richtig selbst liebe, dann ist es mir unmöglich, stehen zu bleiben, sondern ich will mich ändern, bis ich der bin, den Gott haben will.“
Nach dem biblischen Verständnis aber ist biblische Bekehrung und Wiedergeburt der Anfang des neuen Lebens. Das ist der „Startpunkt“ und „Ansatzpunkt“ für Veränderung und Heiligung des Lebens. Was für einen humanistisch orientierten Christen die „Selbstannahme“ und „Selbstveränderung“ ist, ist für einen an der Bibel orientierten Christen die Person und das Werk Jesu Christi. Gottes Wort sagt, daß Jesus Christus uns von Gott geworden ist zur Rechtfertigung, Erlösung und Heiligung (1. Kor. 1,30).
Am Rande sei bemerkt, daß die Handauflegung zum Segnen, die Walter und Ingrid Trobisch „als einen wesentlichen Bestandteil im Beratungsvorgang“ ansehen und ausüben, nicht unproblematisch ist (14, 70-71), auch deshalb schon nicht, weil Frau Trobisch als Rednerin im Programm des ökumenisch-charismatischen Zentrums Schloß Craheim zu sehen war. Es ist eine Frage, ob sich ein Berater als Mittler zwischen Gottes Segen und den Ratsuchenden ausgeben darf oder ob er nur auf Jesus Christus, den einzigen Mittler, hinweisen soll. In Jesus hat uns Gott mit jeder geistlichen Segnung gesegnet (Eph. 1,3)! Außerdem haben wir uns die Warnung aus 1. Tim. 5,22 zu Herzen zu nehmen.
Das Thema Selbstliebe und Selbstannahme scheint wie ein roter Faden durch fast alle Bücher von Walter und Ingrid Trobisch zu gehen. Wenn auch manches Richtige darin stehen mag, die Gefahr ist groß, daß unbemerkt die Mentalität und das Denken unter den Einfluß des Zeitgeistes bzw. des humanistischen Ansatzes geraten. Gottes Wort aber sagt, daß wir uns in unserem Denken, Streben, Reden usw. nicht dieser Welt anpassen, sondern von Gottes Wort her korrigieren und erneuern lassen sollen (Röm. 12,2; 2. Kor. 10,4-6). Falls wir uns von der Selbstliebe-Ideologie (vielleicht unbewußt) haben faszinieren lassen, sagt uns Gottes Wort:
„Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so laßt uns reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, die Heiligung vollendend in der Furcht Gottes“ (2. Kor. 6,14 – 7, 1).

III. Selbstliebe – das Gebot der Stunde?

Beim Durchdenken der Selbstliebe-Ideologie, die im deutschsprachigen Raum vor allem durch Walter Trobischs Büchlein „Liebe dich selbst“ in christlichen Kreisen verbreitet wurde, hat mir der Kommentar von Dr. John Statt hilfreiche Hinweise gegeben (13). Obwohl schon manches in den vorangegangenen Kapiteln I und II über die Selbstliebe-Theorie ausgesagt worden ist, soll im folgenden zusammenfassend noch einiges ergänzt werden.
Die Äußerung über die Selbstliebe in Matth. 22,29 ist kein Gebot der Bibel

1.1. Der grammatikalische Aspekt
Das alttestamentliche Gebot lautet nicht: Liebe sowohl deinen Nächsten als auch dich selbst. Sondern es heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Trobisch und andere Vertreter der Selbstliebe machen praktisch aus den zwei Geboten drei:
Liebe Gott, liebe deinen Nächsten und liebe dich selbst. Der Herr Jesus sagt dagegen in Vers 39: „Das Zweite aber, ihm gleich“ und nicht: „Das zweite und dritte, ihm gleich“. Und in Vers 40 heißt es: „An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz“, nicht: „An diesen drei Geboten“. Es gab im Alten Testament ja auch nur zwei Tafeln des Gesetzes, eine für unser Verhältnis zu Gott und eine für das Verhältnis zu unserem Nächsten. Es gab nicht drei Tafeln.
Der linguistische Aspekt
Das griechische Wort, das hier für „lieben“ gebraucht wird, heißt bekanntlich „agapáo“ und ist bedeutsam. Agapáo schließt immer Opfer und Dienst in Selbstverleugnung ein. Das Substantiv „Agápe“ bedeutet: Totaler Einsatz, Hingabe des Selbst im Dienst an anderen (Vgl. 1. Joh. 3,16; Eph. 5,2 und 25; Gal. 2.20; Joh. 15,13). Stott sagt, daß Agápe nie auf sich selbst gerichtet sein kann: Wie kann ich mich selbst dahingeben im Dienst an mir selbst?! Die Agápe schließt die Selbstliebe aus! Selbstliebe ist niemals Selbsthingabe im Dienst für Gott und den Nächsten. Selbstliebe ist Selbstdienst in Selbstgefallen und Selbstverehrung.

Der historische Aspekt
Matth. 22, 37-40 steht in direktem Zusammenhang mit den Versen 34-36, mit denen der Text eine Einheit bildet. Der Herr zitiert 5. Mose 6,5 als Antwort auf die Fangfrage eines Pharisäers nach dem Verhältnis Jesu zum Gesetz.
Den weiteren Kontext bilden die Streitgespräche der Hohenpriester, Ältesten, Pharisäer, Herodianer und Sadduzäer mit Jesus im Tempel (Matth. 22,23 – 24,1). Der Herr entlarvt die Hohenpriester und Ältesten in drei Gleichnissen. Daraufhin halten die Pharisäer Rat, wie sie Jesus in eine Falle locken können (22,15). Auf die dreimalige Entlarvung durch den Herrn folgt ein dreimaliger Angriff der Pharisäer und Sadduzäer auf ihn.
Die Frage nach dem Hauptgebot ist eine bewußt versucherische Frage (22,35).
Wie in Matth. 4 kämpft hier der Herr Jesus mit der geistlichen Waffe des Wortes Gottes: Es steht geschrieben, und zwar in 5. Mose 6,5. Jesu Antwort ist also weder eine Lehre, eine Predigt noch ein Gebot, sondern eine Antwort auf eine Versuchung von seiten der Frommen! Es stimmt also nicht. was Trobisch aussagt, die Selbstliebe sei „ein Gebot Jesu“. Abgesehen davon, daß auch in 5. Mose 6,5 keine Rede von einem Gebot der Selbstliebe ist, handelt es sich doch nur um ein Zitat aus dem Alten Testament. Jesu Gebot lesen wir dagegen in Joh. 14,34; 15,12.
Im übrigen ist Jesu Antwort auf die konkrete Frage sehr aufschlußreich. Es gab viele Gebote und die Pharisäer taten noch weit mehr hinzu. Man konnte unmöglich alle Gebote halten. So hatte man die vielen Gebote in wichtige und weniger wichtige eingestuft. Aber welcher Maßstab war nun der absolute und feste, um zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden? Im Alten Testament heißt es ja: „Wer das Gesetz tut, wird leben“ (3. Mose 18, 5). Andererseits steht da: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buche des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun“ (5. Mose 27,26; Gal. 3,10). Jesu Antwort auf die versucherische Frage war nun ausgerechnet das Gebot der Liebe, d. h. der Maßstab soll die Agápe sein, die Gesinnung der sich selbst verleugnenden, dienenden, sich opfernden Liebe! Die verborgene, innere Einstellung der Liebe zu Gott und zum Nächsten ist wichtiger als das bloße äußere Tun. Alles sollte von der dankbaren Liebe zum Herrn und von der barmherzigen Liebe zum Nächsten (damals in erster Linie Zugehörige zum Volke Israel nach 3. Mose 19,18, dann auch „der Fremdling“, der in Israel weilt nach 19,34) durchdrungen und getragen sein. Und dieses Agápe-Kriterium ist von bleibender Art (vgl.Röm.13,10; 1. Kor. 16,14;Gal.5,13;Phil.2,1.2).

Der theologische Aspekt
„… wie dich selbst“ ist Maßstab des Gesetzes (Matth. 22,36). Dazu kommt Matth. 7,12: Wie wir möchten, daß man mit uns umgeht, sollen wir mit ihnen tun. Ein Gebot „Liebe dich selbst“ ist überflüssig, denn die Selbstliebe gehört ja zur alten Natur des gefallenen Menschen. Sie ist angeboren. Auch ist die Selbstliebe Ungehorsam gegen Gott und Gottes Wort; denn das Gebot lautet ja gerade: Liebe Gott und deinen Nächsten! Die Selbstliebe ist somit in doppelter Hinsicht Sünde vor Gott. Sie ist Abgötterei des (humanistischen) Selbst und im Grunde Selbstvergottung. Selbstliebe ist Götzendienst. Die in Jesus Christus erfahrene und empfangene Liebe Gottes führt dagegen zum Gottesdienst (Röm. 12,1.2; 1. Kor. 6, 19.20; 1. Thess.1,9.10).

Selbstliebe ist nach 2. Tim. 3,2 das erste Kennzeichen des Menschen der Endzeit! Warum wird die Endzeit eine schwere, gefahrvolle Zeit sein? Weil die Menschen „eigenliebig“ (philautoi) sein werden, geldliebend (philarguroi) … Vergnügen liebend (philedonoi) … anstatt vielmehr Gott zu lieben (philotheoi). Das griechische Wort für „anstatt vielmehr“ heißt „mallone“. Es „schließt das andere ganz aus, betont aber, daß es (d. h. die Gottesliebe) eigentlich sein sollte; Gott liebend tritt nachdrucksvoll am Schluß, sich selbst liebend an der Spitze gegenüber“ (16, 504). Das heißt also, daß Selbstliebe und Liebe zu Gott einander ausschließen.

In der Reihe der endzeitlichen Kennzeichen steht neben Selbst-, Geld- und Vergnügungsliebe (eigentlich: die Lust liebend, nach dem Lustprinzip lebend) noch etwas anderes, das man nicht liebt: das Gute (aphilagatos bedeutet „dem Guten feind“). Selbstliebe macht intolerant sowohl gegenüber dem „Guten“ (nach biblischem Maßstab) als auch gegenüber „der gesunden Lehre“ der Bibel, ob das nun im bibelkritischen, psychologischen oder charismatischen Sinne geschieht (2. Tim. 4,2-4). Die Liebe zu Gott aber ist eng verbunden mit der Liebe zu seinem Wort und mit dem Gehorsam (Joh. 14,15 und 21;15, 10;1. Joh. 5,2.3). Es ist bezeichnend, daß alle diese Eigenschaften des Menschen der Endzeit zwischen den beiden sich ausschließenden Fakten stehen: Zwischen Selbstliebe und Gottesliebe. Es ist ein Entweder-Oder! Daß wir uns ja nicht am Abfall von Gott und Gottes Wort mitschuldig machen, indem wir die Selbstliebe tolerieren, propagieren und praktizieren!

2. Selbstliebe ist niemals Voraussetzung zur Nächstenliebe und Gottesliebe
Die Basis ist nicht meine Liebe zu mir selbst, sondern Gottes unverdiente Liebe in Jesus Christus zu mir, die er auf Golgatha bewiesen hat (Röm. 5, 8;1. Joh. 4,9-11.16.19; 3.16). Erst aber, wenn wir das Gnadenangebot Gottes in Jesus Christus annehmen und aus Gott geboren werden, können wir im biblischen Sinne lieben. Die Agape kommt ja aus der neuen Natur und ist eine Frucht des Geistes (1. Joh. 4,7b; Röm. 5,5; Gal. 5,22). Die Liebe ist aus Gott, darum laßt uns einander lieben (1. Joh. 4,7a). Es heißt nicht: Die Liebe aus mir selbst zu mir selbst macht mich fähig, dich zu lieben; sondern es heißt: Christus hat mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben. Darum kann ich dich lieben (Gal. 2,20; 2. Kor. 5,14.15). Die Voraussetzung und die Quelle liegen also völlig außerhalb von mir und meinen sog. menschlichen Möglichkeiten.
Süchte, Feindschaft usw. sind also nicht Folgen einer „mangelnden Selbstliebe“, sondern Werke des Fleisches und Folgen der sündigen Natur (Gal. 5,19.21). Aus dem sündigen Herzen, nicht aus mangelnder Selbstliebe, kommen sie (Mark. 7. 20-23).

3. Es gibt nicht zwei Arten von Selbstliebe

„Selbstlose Selbstliebe“, ist, wie bereits erwähnt, ein Widerspruch in sich. Selbstliebe ist immer selbstsüchtig. Zwar kann die alte Natur in uns verschiedene Formen annehmen. Sie kann einmal selbstsüchtig und ein anderes Mal scheinbar selbstlos sein. Aber es gibt nur einen alten Menschen. Und dieser alte Adam ist von Gott gerichtet, mit Christus mitgekreuzigt (Röm. 6)
4. Die Ideologie der Selbstliebe
steht in engem Zusammenhang mit dem humanistischen Welt-, Menschen- und Selbstbild mit der Irrlehre des autonomen Menschen mit seinen eigenen Möglichkeiten und positiven Eigenschaften und mit der Selbstverwirklichung, die ohne Selbstliebe nicht möglich ist. Die Selbstliebe-Theorie ist nicht zu trennen von ihrer humanistischen Wurzel! Und dieses unbiblische Menschenbild ist, wie bereits erwähnt, weder neutral noch zu neutralisieren, geschweige denn zu christianisieren.

IV. Über die Selbstannahme

Im Vokabularium des Humanismus gibt es viele Wörter mit der Anfangssilbe „selbst“, z.B. Selbstentfremdung, Selbstfindung, Selbst(wert)gefühl, Selbstbejahung, Selbstbestätigung, Selbstbewahrung, Selbstinteresse, Selbstgefallen, Selbstliebe, Selbstrespekt, Selbstvertrauen, Selbstbestimmung, Selbstentfaltung. Selbstverwirklichung, Selbstwert, Selbstzweck, Sich-selbst-werden bzw. Sich-selbst-sein.

Biblische Begriffe wie Selbstverleugnung um Jesu und des Evangeliums willen (Luk. 9, 23-25; 14,26.27.33), Selbsthingabe (1.Joh. 3,16; Apg. 20,24; 21,13; Phil. 2,17) und Selbstbeherrschung als Frucht des Heiligen Geistes (Gal. 5,22; 2. Petr. 1,6) fehlen verständlicherweise in jener Reihe. Denn das biblische Menschenbild geht von der Offenbarung Gottes über den Menschen in Gottes Wort aus: Der Mensch wurde von Gott zu Gott hin geschaffen. Er fiel jedoch von Gott ab und wurde so ein durch und durch sündiger Mensch. Bei der biblischen Bekehrung und Wiedergeburt eines Menschen bekommt dieser aber eine neue Natur und wird Teilhaber der göttlichen Natur (2. Petr. 1,4). Diese ist auf Gott und Gottes Sohn, auf Gottes Wort und Gottes Willen hin ausgerichtet, im Gegensatz zur alten Natur, die auch noch in einem Kind Gottes steckt. Die Letztere ist immer auf sich selbst konzentriert, an sich interessiert und orientiert.

Zu der humanistischen Begriffswelt gehört auch die sog. Selbstannahme, d.h. die Annahme des humanistischen Selbst mit seiner vermeintlichen Würde und Würdigkeit, Autonomie und Freiheit, mit seinen eigenen ungeahnten Möglichkeiten und Fähigkeiten (sittlichen) Kräften und positiven, kreativen Eigenschaften, um das Beste und Höchste aus seinem Leben zu machen, an sich zu arbeiten und mit den Problemen fertig zu werden.

Die Idee der „Selbstannahme“ ist wie diejenige der „Selbstliebe“ untrennbar mit dem humanistischen Menschenbild verbunden, das der von Gott getrennte, sich „selbständig“ und „mündig“ wähnende Mensch erfunden hat. Dieser emanzipierte Mensch meint in seiner Verblendung, in sich als Mensch alles zu sein, zu haben, zu wissen und zu können. Er ist es, der mit Erich Fromm in Selbstüberhebung und Selbstvergottung behauptet, daß es „nichts Höheres und Erhabeneres als die menschliche Existenz“ gibt (6). Ja, er spricht es sogar aus: „Gott, das bin ich, insofern ich menschlich bin …“ (10).

Bei Erich Fromm wie auch bei anderen Humanisten, auch unter Juden und Christen, steht die Selbstannahme im Dienst der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung und schließlich der Vervollkommnung der menschlichen Art im humanistisch-evolutionistischen Sinne. Hierfür ist die Selbstannahme zusammen mit Selbstrespekt, Selbstliebe, Selbstvertrauen usw. Grundlage und Bedingung. Fehlende bzw. mangelnde Selbstannahme soll die Ursache vieler, wenn nicht aller Probleme sein.

Eine weltweite, alarmierende Tendenz unter den „Evangelikalen“ ist, daß man sich in zunehmendem Maße an der Psychologie mit ihrem atheistischen, evolutionistischen und humanistischen Menschenbild orientiert. Noch problematischer wird es, wenn Christen versuchen, Begriffe aus diesem antibiblischen Menschenbild biblisch zu legitimieren und zu integrieren, womit sie notwendigerweise Bibelstellen uminterpretieren und biblische Verkündigung und Seelsorge umfunktionieren müssen. Diese Begriffe sind aber nicht wertneutral, auch nicht der humanistische Begriff „Selbstannahme“. Sein ihm zugrundeliegendes Menschenbild ist nicht zu harmonisieren und nicht zu vereinen mit dem biblischen Menschenbild (2. Kor. 6,14; 10,3-6). Merken wir überhaupt noch, wie sehr sich heute schon die Schlagworte wie Selbstliebe und Selbstannahme in Ausbildung und Zurüstung, in Kinder- und Jugendarbeit, in Verkündigung und Seelsorge eingebürgert haben? Können wir noch darüber erschrecken?

1. Walter Trobisch und die „Selbstannahme“
Walter Trobisch orientiert sich u. a. an dem römisch-katholischen Priester und humanistischen Kulturphilosophen Prof. Romano Guardini und dessen Schrift: „Die Annahme seiner selbst“ (1969). Trobisch bejaht dessen Aussage, daß die „Selbstannahme die Grundlage alles Existierens ist“ (14, 10). Für Trobisch ist Selbstannahme eine Voraussetzung, ja sogar eine Bedingung:

„Wir können den anderen nicht annehmen, wie er ist, wenn wir uns nicht selbst angenommen haben, wie wir sind“ (14, 11). Und „nur wenn ich mein Selbst angenommen habe, kann ich es auch loslassen, kann ich selbstlos werden. Habe ich mein Selbst aber nicht gefunden, bin ich nicht zu meiner „Identität“ gelangt, dann muß ich ständig suchen und werde … selbst-süchtig, ich-süchtig“ (14, 18).

Dagegen heißt es nach biblischem Verständnis: Nur wenn ich das Gnadenangebot Gottes in seinem Sohne Jesus Christus als Heiland und Herrn mir zu eigen mache und bejahe, daß mein Ich mit Christus mitgekreuzigt ist, kann ich selbstlos werden (Joh. 3,16; 1,12; Gal. 2,20). Wenn ich mich aber nicht vom guten Hirten finden lasse und dadurch vom Leben aus Gott entfremdet bleibe, bleibe ich in meinem alten Wesen, das selbstsüchtig ist (Luk. 19,10; Eph. 4,17-18). Nur wenn ich ständig aus der Gnade und Vergebung Jesu und nach Gal, 2,20 lebe, kann ich den anderen in seiner alten Natur tragen und ertragen, allerdings auch mit dem stillen Gebet zum Herrn, daß er am anderen arbeite. Dann kann ich ihn auch in Liebe und Weisheit ermahnen.

Als Vorbild der „Selbstannahme“ nennt Trobisch Jesus Christus, den „einzig Selbstlosen“, der „sich selbst voll annahm“. Das „ldentitätsbewußtsein Jesu“, das der Autor aus Joh. 5,58 und Joh. 10,30 herausliest, wird, wie auch die „totale Selbstannahme Jesu“, die er in den Bericht des Apostels Johannes in Joh. 13,3 und in den des Apostels Paulus in Phil. 2,6a hineinliest, uns zur Nachahmung hingestellt. Beides soll die Voraussetzung der „Selbstverleugnung Jesu“ sein (14, 23-25).

Von seinem Vorverständnis geprägt, verwechselt offensichtlich Trobisch Jesu Selbstoffenbarung mit der humanistischen Selbstannahme. Ebenso interpretiert er in nahezu blasphemischer Art, daß Jesus „einverstanden mit sich selbst“ war (14,24), anstatt eins mit Gottes Willen (Joh. 4,34; 5,30; Hebr. 10,7) und Gottes Gebot, sein Leben für uns zu lassen (Joh.10, 18; 18,11).

Trobisch versucht auch, diesen humanistischen Begriff der „Selbstannahme“, den er integrieren möchte, mit Röm. 15,7 biblisch zu belegen und schreibt:
„Christus ist derjenige, der uns annimmt, wie wir sind, brutto, mit Verpackung, und der es uns dadurch ermöglicht, uns selbst anzunehmen und auch einander anzunehmen“ (14,32).

Auf diese Falschinterpretation von Röm. 15, 7 als Vorverständnis der humanistischen Selbstannahme-Theorie komme ich in Abschnitt IV, 3 zurück. Trobisch schreckt auch bei dem Kapitel über Gottes Liebe zu uns nicht davor zurück, einen Vers seinem Vorverständnis entsprechend zu verfälschen, nämlich in die Umdeutung: „Laßt uns ihn annehmen, denn er hat uns zuerst angenommen“.
Dieser Vers in 1. Joh. 4,19, der für Kinder Gottes geschrieben ist, besagt, daß sie Gott lieben sollen, weil er sie zuerst geliebt hat. Kinder Gottes haben schon längst den Herrn Jesus als ihren Heiland und Herrn in ihrem Herzen und können nicht noch einmal (durch Trobisch) dazu angespornt werden, Ihn anzunehmen. Darüberhinaus ist es unbiblisch, zu verkünden, daß man Gott annehmen soll.

Zu solchen und anderen Umdeutungen und willkürlichen „Korrekturen“ von Bibelstellen kommt man, wenn man Gottes Wort seinem Vorverständnis unterordnen und anpassen will anstatt sich unter Gottes Wort zu beugen und sich von diesem korrigieren zu lassen.
Das „Angenommensein durch Gott“ versteht allerdings Trobisch nicht so, daß man so bleiben muß oder kann, wie man ist, sondern:
„Ich nehme dich an, wie du bist, aber nun beginnt die Arbeit der Liebe, die allerdings auch deine Mitarbeit erfordert, deine Selbstliebe“ (14, 36).
Jedoch nach welchem Maßstab und zu welchem Ziel man verändert werden muß bzw. „sich ändern“ soll, wird nicht erwähnt.

Daß die angepriesene „Selbstliebe“ im Dienst der Heiligung stehen soll ist eigentlich eine „christliche Variante“,. zu dem Thema Selbstliebe als Bedingung für Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung. Wir sind als Kinder Gottes zwar kein toter, sondern ein lebendiger Ton in der Hand des himmlischen Töpfers und können die Umgestaltung in Jesu Bild bewußt bejahen oder erschweren, ja sogar verhindern. Es ist aber Gott, der sowohl das Wollen als auch das Vollbringen in uns wirkt, und es ist Christus, der das Werk in uns, das er anfing, auch vollenden wird (Phil. 2,13; 1,6). Unsere „Mitarbeit“ besteht lediglich darin, daß wir uns täglich in dankbarer Liebe und im Glaubensgehorsam dem Herrn Jesus Christus übergeben, d.h. ja sagen zu seinem Willen und Weg und nein sagen zu unserer, alten Natur und zur Welt. Und das ist gerade das Gegenteil von Selbstliebe!

Es fällt auf, daß die Theorie „Gott hat dich angenommen“, und „Nimm dich selbst an“ verbunden ist mit einer Verharmlosung der Heiligkeit Gottes, der Sündhaftigkeit des Menschen und des Ernstes des Opfertodes Jesu am Kreuz. Von der Heiligkeit Gottes und dem hohen Preis, den Gott in Christus bezahlte, um uns rechtfertigen, vergeben, heiligen und vollenden zu können. lesen wir im Trobisch Büchlein überhaupt nichts. Der Satz „Gott hat uns (dich) angenommen“ wird nur einfach als gegeben hingestellt. Auch wird nie darauf hingewiesen, welche Folgen es hat, wenn wir das teure Heil in Christus vernachlässigen oder abweisen (Hebr.2,3; Joh. 3, 36). Die Bibel sagt aber: „Furchtbar ist es. in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr. 10, 31). Der Ausdruck „Gott hat uns angenommen“ ist ein allzu billiges, verkürztes „Evangelium“.

Kann die These „Gott hat uns angenommen“ überhaupt richtig sein?
Das Wesen des gefallenen Menschen ist Rebellion, Emanzipation, Feindschaft gegen Gott und sein Wort. Christus starb stellvertretend für uns, „als wir noch Feinde waren“, nicht, als wir an mangelnder Selbstliebe und fehlender Selbstannahme litten. Wo Feindschaft ist, muß Versöhnung geschehen. Am schrecklichen Fluchholz von Golgatha hat Gott uns mit sich selbst versöhnt. Darum lautet die ernste biblische Botschaft: „ …als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi statt: Laßt euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor. 5,11 und 18-21). Das ist weit mehr, ja, etwas ganz anderes als der Satz: „Gott hat uns angenommen – laßt uns nun ihn annehmen“. Nein, Gott hat uns mit sich selbst versöhnt uns gerechtfertigt, erlöst, gereinigt, geheiligt usw. In Christo Jesu. Welch ein Reichtum!

Auch von einem anderen Standpunkt aus ist. es fraglich, ob wir sagen dürfen: „Gott hat uns angenommen.“ Die Bibel bezeugt nämlich: Gott hat uns „durch das lebendige und bleibende Wort Gottes wiedergezeugt, und zwar wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung (1. Petr. 1, 3 und 23; Jak. 1, 18; vgl. auch 1. Kor. 4,15). Wir sind „aus Gott geboren“ (Joh. 1,13; 3,3.5.7; Tit. 3,5). Wir heißen nicht nur Gottes Kinder, sondern sind es auch (1. Joh. 3,1.2). „Gott hat uns den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater!“ (Gal. 4, 6). Und dieser „Geist selbst zeugt mit unserem Geiste, daß wir Gottes Kinder sind“ (Röm. 8,16). Das alles sagt weit mehr aus als das Schlagwort „Gott hat uns angenommen“. Das Letztere würde heißen, wir wären lediglich „angenommene“ Kinder Gottes.

Hat Gott uns angenommen, „wie wir sind“?
Gottes Wort sagt, daß wir durch die Erbsünde von Natur aus Sünder, Gottlose, Feinde Gottes, tot in Sünden und Kinder des Zornes Gottes sind, wandelnd nach dem Geiste und Willen der Finsternis und nach der Lust unseres alten Menschen in uns usw. (Röm. 5, Eph. 2). Die Sünde, die alte Natur in uns, ist Gott so ein Greuel, daß er sie in Christo Jesu am Kreuz gerichtet und verurteilt hat (Röm 8,3). Es ist nicht so, daß Gott uns einfach „annimmt samt unserer Verpackung“ (nach Trobisch), d.h. samt unserem alten Wesen, mit unseren Sünden, sündigen Gewohnheiten und Gebundenheiten, mit allen Irrlehren usw.

Denn erstens dürfen wir nur in und durch Christus zu Gott kommen. Auch verlangt der heilige Gott Buße, aufrichtige Bekehrung, das Bekennen und das Lassen unserer Sünden und gleichzeitig die gläubige Aufnahme des Herrn Jesus in uns. Und dann sieht Gott uns nur in Christus an. Wer etwas von der Heiligkeit Gottes, von der totalen Verdorbenheit des Menschen und vom Kreuzopfer Jesu erkannt hat, wird nicht anders als beim biblischen Sprachgebrauch bleiben können, d.h. bei der frohen und ernsten Botschaft von Buße, Bekehrung, Wiedergeburt, Rechtfertigung, Heiligung usw. (Vgl. auch Matth. 3,8-10). Man ist dann einfach nicht in der Lage, das verwässerte „Evangelium“ mit seinem Satz „Nimm Gott an, denn Er hat dich angenommen“ anzuerkennen. Dieser Satz ist falsch.

2. Dr. Erwin Scharrer und die Selbstannahme
In einer grundlegenden Andacht meinte der Psychiater Dr. E. Scharrer, Hohe Mark, daß Röm.15,7 eine „dreifache Aufforderung“ enthielte:
„Paulus weist auf die vollbrachte Tatsache hin: Christus hat uns angenommen. Daraus folgt: Wir dürfen einander annehmen, zu Gottes Lob“.
Die erste Aufforderung sei dann „Selbstannahme durch Christusannahme“

„Christusannahme“ – die vollbrachte Tatsache?
Nach biblischem Verständnis ist es eine vollbrachte Tatsache: Christus hat an unserer Statt Gottes Strafe für unsere Sünden getragen (Jes. 53). Christus hat uns durch seinen Tod mit Gott versöhnt und durch sein Blut uns vor Gott gerechtfertigt und geheiligt. Christus hat sich selbst für unsere Sünden dahingegeben, um uns aus der bösen Welt herauszunehmen (Gal. 1,4), und hat einmal für unsere Sünden gelitten, auf daß er uns zu Gott führe (1. Petr. 3,18). Abgesehen davon nahm der Herr Jesus die Sünder schon vor Golgatha auf.
Jesus Christus ist nicht für uns gestorben, um uns mit sich selbst zu versöhnen und uns anzunehmen. Er ist der Mittler zu Gott, versöhnte uns mit Gott und ermöglichte, daß wir ihn, Jesus Christus als Heiland und Herrn in unser Herz aufnehmen und Gotteskinder werden können.

Nimmt Jesus Christus die Sünder an?
In Luk. 15 lesen wir, daß „alle Zöllner und Sünder“. sich zu dem Herrn Jesus zu nahen pflegten. Was tut der Sünderheiland? Im Gegensatz zu den Pharisäern und Schriftgelehrten schickte er sie nicht fort. Er nimmt sie bei sich auf, so daß sie weiterhin ihn hören (V. 1) können. Das heißt aber nicht, daß unser Herr die Zöllner und Sünder „samt ihrer sündigen Verpackung“ angenommen, akzeptiert und bejaht hat. Das Wort „aufnehmen“. in Luk. 15 hat mit dem humanistischen Begriff „annehmen“ oder „akzeptieren“ nicht das Geringste zu tun. Aufnehmen steht hier im Gegensatz zum Fortschicken: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6.37). Rienecker schreibt zum griechischen Wort ekballo (herauswerfen):
Es „gibt die Vorstellung eines geschlossenen Raumes, aus welchem einer hinausgewiesen oder – geworfen wird; hier die Nähe oder die jeweilige Umgebung Jesu“.

Übrigens auch moralisch hochstehende, gesetzestreue Menschen wurden von dem Herrn Jesus aufgenommen. Auch der reiche Jüngling wurde nicht fortgeschickt. Aber gerade Jesu Umgang mit dem reichen Jüngling zeigt, daß er nicht einfach jemanden „annimmt samt Verpackung, brutto“. Der Herr hat den reichen Jüngling nicht „inklusive“ seiner Besitzbindung „akzeptiert“ und „bejaht“. Im Gegenteil, der Herr verlangte eine konkrete, klare Bekehrung, einen Bruch mit der konkreten Gebundenheit und eine sofortige Nachfolge.
Jesus hatte also den reichen Jüngling aufgenommen. Dennoch ging dieser wieder fort, und zwar „sehr betrübt“, heute würde man sagen: „schwer depressiv“. Warum? – Etwa weil er „sich selbst nicht annehmen“ konnte? Nein, er wollte seine Bindung nicht aufgeben und dem Herrn Jesus nicht nachfolgen. Er wollte ihm nicht gehorchen.

In Luk. 5,32 lesen wir, weshalb Jesus die Zöllner und Sünder bei sich aufnahm und Tischgemeinschaft mit ihnen hatte: „Ich bin gekommen Sünder zur Buße zu rufen.“ Wer von dem Herrn aufgenommen war, ihn aber nicht als seinen Heiland und Herrn anerkannte, starb trotzdem in seinen Sünden. Judas ist ein erschreckendes Beispiel. Er war sogar von dem Herrn in den Jüngerkreis aufgenommen worden. Dennoch ging er verloren. Er war selbstsüchtig, habsüchtig und geldgierig. Nach der humanistischen Theorie von E. Fromm und W. Trobisch wäre das eine „Folge mangelnder Selbstannahme“. Würde Judas heute leben, hätte er in psychiatrischer Behandlung oder in der Beratung wahrscheinlich den Rat bekommen: Nimm dich selbst an, liebe dich selbst, dann kannst du loslassen! Die Bibel aber sagt, Judas war ein Dieb. Und er blieb ein Dieb obwohl er oft den Bußruf Jesu und wahrscheinlich vorher schon die Bußpredigt von Johannes dem Täufer gehört hatte und von ihm getauft worden war. Er hörte vom Herrn, daß niemand zwei Herren dienen kann. Und er wählte den Herrn Mammon. Welch eine Warnung für jeden, der das Geld bzw. sich selbst liebt und damit die Tür seines Herzens für den Herrn Jesus verschlossen hält.

Wir dürfen zu Jesus kommen, wie wir sind
Eine ganz andere Sache ist es, daß wir zum Herrn kommen dürfen, ja kommen müssen, wie wir sind, und zwar „brutto“. In den Augen Gottes ist es ja eine Sünde, wenn wir versuchen, unsere eigene Gerechtigkeit zu bewirken, in eigener Kraft mit Sünden und Gebundenheiten oder überhaupt mit dem Leben fertig zu werden. Wir dürfen kommen, wie wir sind, aber aufrichtig, bußfertig und demütig, dem Eigenleben und der Sünde den Rücken kehrend und mit ganzer Übergabe des Lebens, inklusive. Zu Jesus kommen, ist die eine Sache, zu Jesus kommen, die andere!

3. „Selbstannahme durch Christusannahme“?
Dr. E. Scharrer überschreibt seine Andacht zu Röm. 15,7 mit „Selbstannahme durch Christusannahme“. Er behandelt dieses Thema auf dem Hintergrund „der beschwerten Vergangenheit“, d.h. vor allem der Erziehung, die in der Anstalt „Hohe Mark“ das Hauptthema der Einzel- und Gruppengespräche ist.
„Aus diesem … Erfahrungshintergrund fragen wir nach dem Versöhnungsangebot des Neuen Testaments: Christus hat uns angenommen“.
Und die sogenannte Christusannahme soll dann zur Aufforderung führen, sowohl sich selbst als auch andere anzunehmen, was dann „neue lebendige Beziehungen“ zwischen Kindern, Müttern, Vätern und Mitmenschen schafft. Betrachten wir noch einmal, was Röm. 15,7 in Wirklichkeit aussagt.

3.1. Der grammatikalische Aspekt
Gottes Wort aber sagt nicht: Nimm dich selbst an, gleichwie Christus dich angenommen hat, sondern: „Nehmet einander auf, gleichwie“ …
„Einander“ hat nun einmal nicht die gleiche Bedeutung wie „dich selbst“. Das Wort „einander“ kommt in den Briefen des Neuen Testaments des öfteren vor (z.B. Eph.4,32; 5,21; Kol. 3,9 und 13; Jak. 4,11; 1. Petr. 4,9-10; 5,5). Diese und andere Bibelstellen mit dem Wort „einander“ dürfen wir nicht eigenmächtig abändern in „dich selbst“. Außerdem wäre z.B. der Ausdruck „Sei dir selbst untertan“ oder „sei gastfrei gegen dich selbst“ ein Nonsens, während sogar „diene dir selbst“ dem biblischen Zeugnis zuwiderläuft. „Einander“ in Röm. 15,7 und in allen anderen Bibelstellen im Neuen Testament betrifft also innerhalb der Gemeinde immer das Verhältnis der Glieder untereinander, nie das eines Gliedes zu sich selbst.

Der linguistische Aspekt
Das griechische Wort für „aufnehmen“ in Röm. 14, 1 und 3 sowie 15,7 (proslambano) bedeutet:
a) zu sich nehmen. Vgl. hier Apg. 8, 26. Das Ehepaar Aquila und Priscilla erkannte aus der Verkündigung des Apollos, daß dieser nur von der Taufe des Johannes wußte. Darum nahmen sie ihn auf bzw. mit nach Hause, um ihn näher über Jesus Christus und sein schon vollbrachtes Werk zu unterweisen. Es handelt sich hier gerade nicht um ein „Annehmen“ bzw. „Akzeptieren“ des Apollos nach Trobisch, „inklusive“ seiner mangelnden Erkenntnisse in seiner Verkündigung.
b) in seine Gemeinschaft nehmen (17). Vgl. auch Philemon 17, wo Paulus den Philemon bittet. Onesimus, den weggelaufenen Sklaven, den Paulus zurücksendet (Vers 12), wieder aufzunehmen. nun aber „als einen geliebten Bruder“ (Verse 16-17).

Ähnlich ist es auch mit Röm. 14,3. Vers 4, der zu Vers 3 gehört, wirft Licht auf die Frage, wie Gott den Christen aus dem Heidentum bzw. den sog. „Glaubensstarken“, der „alles ißt“, Wein trinkt und „jeden Tag gleich hält“, aufgenommen hat, nämlich als Hausknecht. Er ist (griechisch) der oikétes, was nach Rienecker „die Hausgenossenschaft hervorhebt“. Bauer schreibt, daß oikétes eigentlich Hausgenosse bedeutet. dann aber speziell Haussklave. Worum es hier geht, ist folgendes: Wo Gott den Gläubigen aus den Heiden als seinen Hausknecht aufgenommen hat und sein Herr und Richter ist, darf ihm der Gläubige aus den Juden die Gemeinschaft nicht verweigern und ihn nicht richten. Umgekehrt sollen die Glaubensstarken den glaubensschwachen Judenchristen in ihre Gemeinschaft aufnehmen und ihn davon nicht ausschließen (Röm. 14.1). Die Stelle in Röm. 14.3 bedeutet also nicht:
– „Gott nimmt den Sünder (mich) an.“ Es handelt sich in dem Vers um Gläubige.
– Gott akzeptiert mich „brutto, mit Verpackung“. Demgegenüber haßt Gott die Sünde(n)
– „Gott nimmt den Glaubensstarken an samt seiner Sünde, seinen Bruder verachtet zu haben“. Das Gegenteil ist der Fall: Im Namen seines Herrn mußte Paulus zurechtweisen.
– “Gott hat uns angenommen, nun kannst du dich selbst annehmen“. Von Selbstannahme ist hier überhaupt keine Rede. Wie könnte ich mich auch selbst als Haussklave bei mir selbst annehmen?

In Röm. 15, 7 geht es nun hinsichtlich des Begriffes „Aufnehmen“ in die Gemeinde Jesu zu Rom um die gleichen Kinder Gottes, also einerseits um die Glaubensstarken. Das sind die Christen aus dem Heidentum. Aber auch Paulus zählt sich zu ihnen (Vers 1). Darum sagt er in Vers 7 „uns aufgenommen““. Es geht andererseits um die Glaubensschwachen, um solche Judenchristen, die zum Teil noch am Gesetz Mose festhielten.

Christus hat somit die Christen aus Heiden und Juden gleicherweise und gleichermaßen in seine Gemeinschaft und als gleichwertige Glieder in seinen Leib aufgenommen. So sollen auch beide Gruppen von Gläubigen einander in ihre Gemeinschaft aufnehmen, keine Sondergruppen für sich dulden oder sogar bilden. In der Gemeinde des Herrn gibt es keine „Exklusiven“, wohl aber Unterschiede in geistlicher Erkenntnis über Nebensachen und in der geistlichen Reife.
Auch Röm. 15,7 hat nichts zu tun mit einem Annehmen, Akzeptieren, Bejahen, geschweige denn „samt und sonders“ (wie u.a. bei Trobisch). Niemals kann der Herr Jesus eine Sünde „akzeptieren“, z.B. die Sünde, den Bruder oder die Schwester zu verachten oder zu richten. Er mußte ja für die Sünde am Kreuz sterben!
Das griechische Wort für „aufnehmen“, proslambano, hat also nichts zu tun mit dem Begriff „akzeptieren inklusiv“ bzw. „bejahen“, der aus der humanistischen Psychologie stammt, vor allem aus der des Extrem-Humanisten Carl Rogers mit seiner auf den Klienten bezogenen, nicht direktiven Gesprächshaltung und Gesprächstechnik.

3.3. Der historische Aspekt
Die Gemeinde in Rom wurde nicht von einem Apostel gegründet, sondern entstand durch das judenchristliche Zeugnis von Mann zu Mann. Vielleicht waren einige damals zu Pfingsten in Jerusalem gewesen und haben sich bekehrt (Apg. 2,10). Die römische Gemeinde bestand aus Gläubigen aus den Heiden und aus den Juden, die sich damals in Hausgemeinden versammelten (Röm. 16). Judenchristen hatten einen gesetzlichen Hintergrund, die Heidenchristen nicht. Im Jahre 49 nach Christus befahl Kaiser Claudius, daß alle Juden Rom verlassen mußten, somit auch die Judenchristen (Apg. 18,2). Etwa 5 Jahre lang, bis zum Tode des Kaisers Claudius im Jahre 54, war die Gemeinde in Rom ohne Leitung der Judenchristen und damit auch ohne deren oft judaisierenden, moralisierenden und formalisierenden Einfluß. Nach ihrer Rückkehr versuchten gewisse Judenchristen, ihre alte Führungsrolle wieder einzunehmen. Auch waren sie in bezug auf das Gesetz Mose noch nicht zur ganzen Freiheit in Christus im Sinne von Gal. 5,1 durchgedrungen. So gab es Spannungen und Konflikte und zwar nur hinsichtlich einiger Punkte des Gesetzes Mose, d.h. in bezug auf die Fleischspeise (Röm. 14, 2 und 21), den Genuß von Wein (Röm. 14,21) und auf das Halten besonderer jüdischer Festtage (Röm. 14,5; Gal. 4,10). Da drohte nun Parteibildung, ja Spaltung in der Gemeinde. Man verweigerte sich schon gegenseitig die Gemeinschaft.

3.4. Der theologische Aspekt
Auf diesem Hintergrund der Spannung und möglichen Spaltung zwischen gesetzestreuen Judenchristen und „glaubensstarken“ Heidenchristen in Rom ermahnt Paulus beide Gruppen: Nehmet einander auf, laßt es wegen der Meinungsverschiedenheiten über nicht wesentliche Dinge zu keiner Trennung kommen, „denn das Reich Gottes besteht nicht aus Essen und Trinken“. (Röm. 14,17).

Die größte Gefahr war aber keineswegs die äußere Spannung, sondern die innere Einstellung der Gotteskinder gegeneinander. Bei den gesetzesorientierten Judenchristen hatte sich das Richten der Geschwister aus den Heiden eingeschlichen, und zwar nach dem Maßstab des Gesetzes: „wenn ihr nicht .., dann seid ihr weder echte noch ganze Christen.“ Oder: „Wenn ihr ganz gehorsam sein wollt, müßt ihr noch …“ (Röm. 14, 3 und 10). Die Mentalität des Richtens ließ keinen Raum im Herzen und somit keinen Raum in der Gemeinde für Heidenchristen übrig. So mußte Paulus die Judenchristen ermahnen: Richtet nicht den Heidenchristen, denn Gott ist sein Richter (Röm. 14, 4). Schließe ihn nicht aus, denn Gott hat ihn als Seinen Haussklaven aufgenommen. Auch ist der Maßstab für den richtigen und vollwertigen Glauben nicht, was wir essen oder trinken, denn „nichts ist unrein“ und „alles ist rein“ (Röm. 14, 14 und 20), sondern wie wir das tun, ob wir es dem Herrn tun und Gott danksagen (Röm. 14,6).

Die Anfechtung der Heidenchristen bestand darin, daß sie ihrerseits die gesetzestreuen Judenchristen verachteten (Röm. 14,2 und 10b). Sie fühlten sich erhaben über diese „Glaubensschwachen“, die noch nicht zur ganzen Freiheit in Christus durchgedrungen waren. Sie selbst ließen sich aber ihre Freiheit in Christus nicht nehmen, aßen darum weiterhin Fleisch und tranken Wein. So aber wurden sie zum Kummer und zum Anstoß für ihre Mitchristen aus dem Judentum (Röm. 14, 15 und 20), ja sogar zu Verführern, so daß auch Judenchristen anfingen, Fleisch zu essen und Wein zu trinken, zwar nicht aus innerer Überzeugung, sondern mit Zweifel im Herzen, ob dieses dem Herrn wohlgefällig sei. Und der Zweifel wurde einem solchen Judenchristen zur Sünde, denn „alles, was nicht aus Glauben ist, ist Sünde“ (Röm. 14,23). Diese überhebliche und herablassende Einstellung versperrte die Tür des Herzens und der Gemeinschaft für gesetzestreue Judenchristen. So mußte Paulus auch besonders die „Glaubensstarken“ ermahnen: Verachtet den nicht, der nicht ißt, d.h. der um des jüdischen Gesetzes willen kein Fleisch ißt.

Weiter sagt Paulus: Den Schwachen im Glauben nehmet auf, allerdings nicht, um mit ihm zu diskutieren (Röm. 14,1). Betrübt und verderbt nicht mit eurer Speise den judenchristlichen Bruder, für den Christus gestorben ist (Röm. 14,15). Im Gegenteil, wandelt in der Liebe, die mehr als Erkenntnis ist. Die Liebe kann verzichten (Röm. 14, 15 und 21). Die Liebe ist tragfähig und möchte dem Bruder zum Guten und zur Förderung seines Glaubens gefallen. Und das ist gerade das Gegenteil von Selbstgefallen (Röm.15,1.2).

Immer wieder stellt Paulus den gemeinsamen Herrn Jesus Christus als Beispiel und Maßstab für das Verhalten untereinander hin. So auch hier: Die Glaubensstarken sollen nicht selbstgefällig sein, weil der Herr Jesus nicht sich selbst gefallen hat, sondern die Schwachheiten der Schwachen und darüberhinaus sogar die Schmähungen gegen Gott ertragen und getragen hat. Als rechte Jünger ihres Herrn sollen sie die gleiche innere Gesinnung wie er haben (Röm. 15,3-5). Das Ziel ist, daß Gott durch die Gesinnung seines Sohnes in seinen Kindern verherrlicht wird. Und dann kommt die Aufforderung:
„Deshalb … nehmet einander auf, gleichwie auch Christus uns aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit“ (Röm. 15,7).
Beachtenswert ist das Wort „Deshalb“, mit welchem Vers 7 beginnt. Es bedeutet, daß Römer 15,7 im unzertrennlichen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden steht, mit Röm. 14,1 – 15,6. Und das Wort „Denn“ in Vers 8 zeigt auf, daß Vers 7 auch zum folgenden gehört.
Ein Kennzeichen einer Irrlehre ist unter anderem, daß ein Satz aus dem Zusammenhang gerissen und verselbständigt wird, auf den man dann eine ganze Theorie aufbaut. So ergeht es auch Röm. 15, 7, wobei denn bezeichnenderweise, wie hier von Dr. Scharrer, das Wort „deshalb“ weggelassen wird.


4. Zusammenfassung
a) Röm. 15. 7 müssen wir immer auf dem historischen Hintergrund der Spannungen zwischen den gesetzestreuen Judenchristen und den Heidenchristen in Rom sehen. Der Vers hat nichts mit einem persönlichen Hintergrund zu tun, z. B. mit einer schweren Kindheit und Jugendzeit, einer sündigen Vergangenheit, einer schweren Lebensführung und einem schwachen oder gebrechlichen Körper.

b) Die These „Christus hat uns angenommen“ ist nicht nur ein verdünntes, sondern ein abgeändertes „Evangelium“ (2. Kor. 5.18-21).

c) Durch das Wort „Denn“ in Röm. 15, 8 und das Wort „Deshalb“ in Röm. 15,7 verstehen wir, daß es sich hier nicht um eine allgemeine Christusannahme handelt. Röm. 15,7 bedeutet nicht „Christus nimmt die Sünder (mich) an“ und noch weniger, er tut das „inklusive meiner schwachen Punkte“ und „Unvollkommenheiten“ (d.h. meiner alten Natur), meiner Sünden, Irrlehren usw. Hier sind nur Kinder Gottes mit einem unterschiedlichen religiösen Hintergrund gemeint. Röm. 15,7 bedeutet gerade nicht, daß Jesus die Gotteskinder in Rom mit ihren Sünden des Richtens und Verachtens „angenommen“ bzw. „akzeptiert“ hat. Er hat sie als Kinder Gottes in seine Gemeinschaft aufgenommen.

d) Die These: Christus hat uns angenommen ist weder Basis noch Aufruf zur sog. Selbstannahme. Erstens ist hier weder von Christusannahme noch von Selbstannahme die Rede. Und dann: Wie kann ich mich selbst in meine eigene Gemeinschaft aufnehmen? Abgesehen von Röm. 15,7 muß ich mich nicht annehmen, wie ich bin, sondern mich Jesus ausliefern, wie ich bin. Dann bekleidet er mich mit seinem Kleid der Gerechtigkeit (2. Kor. 5,21). Welch ein Tausch! Selbstannahme ist dagegen Ungehorsam, denn die Bibel ruft dazu auf, Jesus Christus als Heiland und Herrn in sein Herz aufzunehmen. Also: Entweder-Oder.
Uns Kindern Gottes sagt die Bibel, daß wir uns Gott unterwerfen sollen (Jak. 4,7). Das heißt, daß ich mich unter Gottes Wort, Gottes Willen und Gottes Wege beugen soll und „Ja“ dazu sagen lerne. Nicht „Ja“ zu mir selbst, sondern „Ja“ zum Herrn und „Ja“ zu der Tatsache, daß ich mit Christus gekreuzigt bin (Luk. 14, 26-27 und 33; Gal. 2. 20; 6. 10).

e) Die „Selbstannahme“ ist keine Voraussetzung zur „Annahme“ anderer.
Nicht meine Selbstannahme, sondern das Wunder, daß Christus mich und alle anderen Gotteskinder in seine Gemeinschaft aufnahm, ist die Grundlage für das offene Herz und die offene Tür für glaubensschwache und glaubensstarke Geschwister.

f) „Nehmet einander auf bedeutet nicht: Nehmet jeden Menschen an.“
Röm. 15,7 hat nichts zu tun mit neuen Beziehungen zwischen Kindern, Müttern, Vätern und sonstigen Mitmenschen, wie Dr. Scharrer behauptet. Für das Verhältnis von Mann und Frau bzw. Eltern und Kindern gelten andere Bibelstellen.
Soweit andere uns gegenüber schuldig geworden sind, haben wir zu vergeben und vergessen zu lernen. Verharren sie aber in Sünde, Welt oder Irrlehre, so dürfen wir nicht nur nicht mitmachen, sondern müssen auch die Gemeinschaft mit solchen Menschen meiden (Eph. 5,7-11 ; 2. Kor. 6,14-16). Auch für solche Situationen gilt Röm. 15, 7 nicht.

g) „Nehmet einander auf“, bedeutet ebensowenig: Akzeptiert und bejaht jeden Christen samt seinem fleischlichen Wesen, seinen falschen Wegen und Praktiken, samt seiner modernen, religiösen, moralischen und politischen Auffassung oder Erfahrung oder mit „einem anderen Geist“ usw. – Im Gegenteil, die Bibel fordert auf: „Ermahnet einander. Feget den alten Sauerteig aus. Nehmet ihn nicht ins Haus auf“ usw. (2. Joh. 7-11).

h) Das griechische Wort für „aufnehmen“ heißt proslambano. Es hat nichts zu tun mit dem humanistischen Begriff „annehmen“, „akzeptieren“ bzw. „bejahen“.

5. Das humanistische Menschenbild ist mit dem biblischen nicht vereinbar
Die Ideologie der Selbstannahme hängt, wie wir schon zu Anfang sahen, unzertrennlich mit dem atheistischen, humanistisch-evolutionistischen Welt-, Menschen- und Selbstbild zusammen. Hier bin ich als Mensch „das höchste Wesen und auf kein höheres Wesen angewiesen bzw. keinem höheren Wesen verantwortlich.“ Als „autonomer“ Mensch bin ich „Selbstzweck“ und für meine „Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung mir selbst verantwortlich.“ Nach dieser Ideologie muß ich „mich selbst, mein Ich, meine Identität sowohl mit ihren „schwachen Seiten“ („Fehlern“, „Unvollkommenheiten“ und Mangel an bestimmten Gaben usw.) als auch mit ihren „starken Seiten“ (ungeahnten menschlichen Möglichkeiten, positiven Eigenschaften und Kräften), also mich so, wie ich bin, akzeptieren und in eigener Kraft und „Selbstbestimmung“ an mir arbeiten. In diesem Zusammenhang bedeutet dann das Gegenteil von Selbstannahme: Selbstverkrüppelung, sobald ich eine Autorität, eine Norm und einen Zweck außerhalb von mir anerkenne, und Selbstverwerfung, wenn ich annehme, daß ich in mir selbst sündig und ohnmächtig bin.

Aus dieser Wurzel stammt also die Idee der „Selbstannahme“. Sie ist davon nicht zu trennen und kann nicht in das biblische Menschenbild hineingepflanzt werden.
Die Bibel sieht immer und überall den Menschen in der Beziehung zu Gott, von dem und zu dem hin er geschaffen und in Christus erlöst ist. Deshalb sagt ein Mensch entweder ja oder nein zu Gott, zu Gottes Willen und Wegen und zu Gottes Wort, nicht aber ja oder nein zu sich selbst. Es gibt kein geschlossenes Weltsystem, in dem er als selbständiger Mensch existiert. Wer also seinen Körper, seine Begrenzung, sein Elternhaus, seine Situation oder Lebensführung usw. ablehnt, sagt nur scheinbar nein zu sich selbst. Nach dem Verständnis der Bibel sagt er aber nein zu Gott. Er ist kein „Neurotiker“, der unter dem „Mangel an Selbstannahme leidet“. Nein, er ist ein Rebell gegen Gott, der mit ihm hadert, ihn kritisiert und gewissermaßen mit geballter Faust anklagt. „Warum „ ist seine Frage. „Warum gerade ich? Wenn du, Gott, die Liebe wärest …, dann …“

Die einzige Botschaft und Hilfe ist dann für ihn: Buße, Beugung, Schuldbekenntnis, Ganzhingabe mit einem „Ja, Vater“, wenn auch unter Tränen. Gott sieht das zerbrochene und zerschlagene Herz an (Ps. 51,17). Er macht einen solchen Menschen zu seinem Kind und stellt die Gemeinschaft wieder her. Wir sind „Geliebte Gottes“, „begnadigt in dem Geliebten“ (d.i. Christus) (Röm. 1,7; Eph.1.6). Welch ein Gott! Welch ein Evangelium! Darum laßt uns: Ihn lieben (1. Joh. 4,19).
Dr. Scharrer behauptet jedoch in seiner Andacht: „Das Evangelium, (ist) Selbstannahme durch Christusannahme. Weil Christus mich annimmt, kann ich mich selbst annehmen. Weil Christus mich liebt, kann ich mich selbst lieben“. Es mag sich hier um ein christianisiertes, humanistisches „Evangelium“ handeln, aber es ist ein anderes Evangelium als das biblische (Gal. 1, 6-10). Unabhängig davon, was andere forderten, suchten oder verkündigten, bezeugte Paulus:

„Wir aber verkündigen den gekreuzigten Christus … Gottes Kraft und Gottes Weisheit … Nur Jesus Christus …“ (1.Kor. 1,23-24; 2,2).

Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. (2. Kor. 5, 15)

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