Imre Kertész:
Der wissenschaftliche Geist als Inspirator des Totalitarismus
Autor: Vera Lengsfeld; Veröffentlicht am 8. Januar 2021
Imre Kertész, der ungarische Schriftsteller, wurde erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weltberühmt. Genauer gesagt, in der westlichen Welt, zu der nach dem Zusammenbruch des so genannten sozialistischen Lagers auch Osteuropa zählt. Sein bekanntestes Buch „Roman eines Schicksallosen“, war in Ungarn bereits 1975 veröffentlicht worden, blieb aber weitgehend unbeachtet. Erst nachdem sein Werk 1996 in Deutschland erschien, trat es seinen Siegeszug an, der in der Verleihung des Literaturnobelpreises seinen Höhepunkt fand.
Kertész bemerkte mit Verwunderung, dass er in Deutschland besonders geliebt wurde. Er lebte sogar viele Jahre in Berlin, bevor er schwer krank nach Budapest zurückkehrte. Allenfalls wurde kritisch angemerkt, dass er mit den Deutschen zu nachsichtig umgegangen wäre. Denn Kertész sieht Auschwitz nicht als Deutsches, nicht einmal als Antisemitisches, sondern als Problem des Totalitarismus, von dem er ganz Europa befallen sieht. Für ihn wirkt der totalitäre Geist bis heute fort. Man muss ihm unbedingt zustimmen, wenn man die Corona-Politik betrachtet, die in für den Westen bisher unvorstellbaren Maße die mühsam erkämpften emanzipatorischen Grundrechte außer Kraft setzt und die Freiheit abschafft.
Eines der letzten Bücher von Kertész, „Der Betrachter – Aufzeichnungen von 1991 bis 2001“, wurde in Deutschland überschwenglich gelobt. Wenn man die Notizen liest, fragt man sich, ob die Rezensenten das Bändchen wirklich gelesen haben. Denn es enthält geistigen Dynamit, der die selbstgerechte Verblendung des Westens, dessen Intellektuelle ihm den Boden unter den Füßen entziehen, anscheinend ohne es zu bemerken, oder schlimmer noch, gewollt, um eine „neue Normalität“, die diesmal ultimativ gerechte, ökologische und inklusive Gesellschaft zu erschaffen.
Kertész geht so weit, Nationalsozialismus und Kommunismus als die „kleinen Totalitarismen“ zu sehen, die er der „immer dynamischeren Totalität“ gegenüberstellt, die sich weltweit entwickelt. Hitler und Stalin scheiterten noch mit ihren Weltherrschaftsplänen, weil sie gegeneinander kämpften, statt sich zu verbünden. Für Kertész ist es offensichtlich, dass der Kommunismus „eine Art Irrsinn“ war, der nur eine andere Abart von Irrsinn folgen kann, da keine Heilung stattfand. Heilend wäre die Anerkennung des Individuums, das keiner „pyramidenbauenden Sklavenmentalität“ unterworfen ist und die Anerkennung der Freiheit. Freiheit kann aber nicht erlangt werden, indem man sich einem Zeitgeist oder einer gesellschaftlichen Norm anpasst.
Bereits Nietzsche hätte die Spannungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem künstlerischen Geist erkannt. Seitdem hätte sich die Kluft zwischen beiden derart vergrößert, dass der wissenschaftliche Geist zum Inspirator des Totalitarismus geworden sei, der künstlerische Geist sich in die Subkultur zurückgezogen hätte, ebenso das individuelle Sein, der Geist, der außerhalb der Institutionen wirkt. Unser Problem sei das „Schicksal des Individuums, die Chancen für sein Fortbestehen die große Frage“.
Entgegen der Darwinschen Lehre, dass in der Natur die Befähigsten überleben, herrscht in der modernen Gesellschaft die Kontraselektion:
Nicht die Besten, sondern die „Schlechtesten“, kommen an die Spitze.
Auschwitz wurde nicht wegen seines Seins abgeschafft, sondern lediglich, weil sich die Machtzustände geändert haben. Darum lässt sich die „conditio humana“ der gegenwärtigen Welt darin zum Ausdruck bringen, dass „seit Auschwitz keine moralische, ökonomische oder die Macht betreffende Wende stattfand, die wir als Widerlegung von Auschwitz hätten erleben können…“
„Was die Seele der Freiheit ausmacht, ist im System gesellschaftlichen Funktionierens nicht zu finden, höchstens im Inneren einzelner Existenzen, dort, wo diese sich gegen jene Ordnung wenden, in der sich unser Leben nicht nur abspielt, sondern die diesem Leben auch Legitimität gibt… Auschwitz… wird so lange abwendbar sein, solange der Mensch als einzelner, als Seele und als gebildetes moralisches Wesen seiner Daseinsweise Widerstand zu leisten vermag.“
Der (moderne) Mensch habe nicht nur seinen Glauben verloren, nicht nur an sein jenseitiges, sondern auch an sein diesseitiges Leben.
Zweiteres ist besonders verhängnisvoll, „denn das Verhältnis von Mensch zu Mensch ist zu einem feindseligen geworden, zum Verhältnis des Mörders zum Opfer“.
Wer diese Aussage zu radikal findet, der sei daran erinnert, dass aktuell alle Maskenträger und Abstandhalter ihre Mitmenschen als Virenschleudern, also potentiell tödliche Gefahr sehen. Dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung das akzeptiert, ist ein trauriger Beweis für die Hellsichtigkeit von Kertész.
Seine Schlussfolgerung: “Nazi“, das ist „keine Ideologie, sondern eine Lebensform: folglich ist heute jeder Nazi, sofern er nicht die nötigen Anstrengungen macht, sich fernzuhalten – oder geradewegs aus der Zeit auszutreten“.
Diese Sätze möchte man der Antifa und allen Mitläufern ins Stammbuch schreiben. Mit der „Zeit“, um das noch einmal zu verdeutlichen, meint Kertész „das mit dem Bedürfnis nach öffentlicher Sicherheit bemäntelte Lagerwesen, die unter dem Vorwand sozialer Sicherheit stattfindende soziale Stümperei, die Verwahrlosung des Gesundheitswesens . . . “
Conclusio: „Ich fürchte, die Demokratie ist die prägnanteste Form der Dekadenz – noch manifester kann nur die Diktatur, die moderne Massendiktatur sein. (Die oft im Gewand der Demokratie auftritt).
Kaum zu glauben, dass diese Feststellung lange vor der Corona-Krise getroffen wurde. – Vera Längsfeld
Die Betonungen im Text sind von mir. Horst Koch, im Januar 2021