Steinigung im Islam (D.Hecker)

Daniel Hecker

Steinigung im Islam

 

Vorgehensweise

In einem Infoblatt des „Internationalen Komitees gegen Steinigung“ wird die Steinigung wie folgt beschrieben: „Die Frau bis zu den Schultern in die Erde eingraben und sie solange mit Steinen bewerfen, bis sie einen schmerzhaften Tod erleidet.“

Allerdings ist dieser Ablauf im Islam nicht vorgeschrieben und nicht die einzig mögliche Steinigungsform. Es gibt keinen einzigen Koranvers, der die Steinigung für bestimmte Verbrechen androht oder die Steinigung als Bestrafung für bestimmte Verbrechen festlegt. Diese Lücke füllt die islamische Überlieferung, die die Steinigung z.B. für Ehebruch anordnet und auch die frühislamische Praxis der Steinigung in bestimmten Fällen beschreibt. Da die Überlieferung im Islam in rechtlichen Fragen als ebenso verbindlich betrachtet wird wie der Koran, sind die Überlieferungstexte von großer Bedeutung.

Die Steinigung ist eine Hinrichtungsart, die nicht nur auf Frauen beschränkt ist. Die meisten Steinigungsopfer sind wahrscheinlich Männer. Auch die Art und Weise der Steinigung ist nicht immer gleich. Die von Muslimen als echt („gesund“) anerkannten Überlieferungen beschreiben verschiedene Methoden der Steinigung.

Eine Frau muss für ihre Hinrichtung nicht unbedingt bis zu den Schultern in die Erde eingegraben werden, sie kann auch nur bis zu den Hüften oder bis zur Brust eingegraben und dann mit Steinen beworfen werden. Bei einer schwangeren Frau verlangt das islamische Gesetz, dass abgewartet wird, bis sie das Kind geboren hat. Nach Auffassung einiger Rechtsgelehrter darf man sie unmittelbar nach der Geburt steinigen, nach anderer Meinung muss solange gewartet werden, bis sie ihr Neugeborenes entwöhnt hat, bevor sie hingerichtet wird.

Wenn es sich bei dem Opfer um einen Mann handelt, darf der Steinigungskandidat sich frei bewegen, ja, er kann sogar versuchen, fortzulaufen. In diesem Fall müssen diejenigen, die ihn hinrichten, ihn solange verfolgen und steinigen, bis er stirbt.

Steinigung – für wen?

Die islamische Überlieferung nennt folgende Personen, an denen die Steinigung vollzogen werden soll:

• Verheiratete (Mann oder Frau), die Ehebruch begangen haben.
• Homosexuelle.
• Diejenigen, die Verkehr mit einer Person haben, mit denen es ungesetzlich wäre, einen Ehevertrag zu schließen (arab. mahram), denn dies würde als Inzest bewertet.
• Diejenigen, die geschlechtlichen Umgang mit Tieren haben. Sie müssen zusammen mit den Tieren getötet werden.
• Ein Muslim, der im Krieg desertiert.

Geschichtlich gesehen ist die Steinigung viel älter als der Islam. Schon im alttestamentlichen Gesetz war die Steinigung für bestimmte Delikte vorgesehen: Für Gotteslästerung (3. Mose 24,16), Götzendienst (5. Mose 17,5), Ehebruch (5. Mose 21,21). Allerdings war der Ablauf der Steinigung nach dem alttestament-lichen Gesetz anders als er später im Islam praktiziert wurde: „Man stürzte den Verurteilten von einer Mauer oder einem Felsen herab und ließ, wenn er nicht auf der Stelle tot war oder im Sterben lag, schwere Steine auf ihn niederfallen“10.

Im Neuen Testament gibt es keine Berechtigung zur Steinigung mehr, noch zu irgendeiner anderen Hin-richtungsart. Jesus selbst verwarf die Steinigung (Johannes 8,7), als er einer Gruppe von Juden verbot, eine Ehebrecherin zu steinigen, um sie zu lehren, dass das Böse nicht nur in der zu bestrafenden Ehefrau lag, sondern auch in ihnen selbst. Das war eine Wende in der Einstellung Schuldigen gegenüber. Es war ein Ruf zur Gnade und zur Selbsterkenntnis.

Strafen ohne Begnadigung

In einer ähnlichen Situation entschied Muhammad sich anders als Jesus. Er empfahl einer Gruppe von Juden, eine Ehebrecherin nach Moses Gesetz zu steinigen (angedeutet in Sure 5,43). Die islamische Überlieferung berichtet, dass sich diese Koranstelle auf folgendes Ereignis bezieht: Eine Jüdin war des Ehebruchs verdächtigt worden. Ihr Volk wollte sie bestrafen und bat Muhammad um ein Gottesurteil in diesem Fall. Da Muhammad Teilkenntnisse des Alten Testaments besaß, empfahl er den Juden, die Ehebrecherin nach dem alttestamentlichen Gesetz zu steinigen. Die Juden folgten seiner Empfehlung jedoch nicht. Das beschreibt der Koran: „Wie aber wollen sie ( die Juden) Dich (Muhammad) zum Richter beru-fen, während sie doch die Thora in ihrem Besitz haben, worin Allahs Richtspruch ist? Hierauf, und trotz alledem, kehren sie (Muhammad) den Rücken; und sie sind nicht als Gläubige zu bezeichnen“ (5,43).

Menschenunwürdige, brutale Strafen wie Hexenverbrennung, Enthauptung, Häutung, Kreuzigung u.ä. sind heutzutage in vielen Ländern nicht mehr denkbar. Der christlich geprägte Westen hat solche Strafen ab dem Mittelalter nach und nach abgeschafft. Ähnlich verhielt es sich in vielen anderen Ländern, in de-nen demokratische Systeme herrschen. Selbst in kommunistischen und vielen islamischen Ländern hört man Rufe zur Abschaffung der Folter und brutalen Hinrichtungsarten. So haben z.B. elf weibliche Abgeordnete im Dezember 2002 im iranischen Parlament eine Kampagne gestartet, um auf eine Abschaffung der Todesstrafe durch Steinigung im Iran hinzuwirken.

Eines der größten Hindernisse, die solche Initiativen überwinden müssen, ist das buchstabengetreue Fest-halten an der Scharia als dem ewiggültigen Gesetz Gottes. Während das Christentum Staat und Religion trennt (und schon im Alten Testament getrennt hat), verbindet der Islam beides miteinander (arab. Din ua Dunia). Ein Muslim lebt nach den Vorschriften des Korans und den Anweisungen der Überlieferungen, die sein geistliches, soziales und juristisches Denken und Leben prägen. Hand- und Fußamputation sieht der Koran z.B. für „Krieg gegen den Gesandten Gottes (Muhammads)“ und „Verderben im Land“ vor, sowie für Diebstahl: „Der Lohn derer, die gegen Allah und seinen Gesandten Krieg führen und Verder-ben im Lande zu erregen trachten, soll sein, dass sie getötet oder gekreuzigt werden oder dass ihnen Hände und Füße wechselweise abgeschlagen werden oder dass sie aus dem Lande vertrieben werden“ (5,33). Und: „Dem Dieb und der Diebin schneidet Ihr die Hände ab, als Vergeltung für das, was sie begangen haben und als abschreckende Strafe von Allah“ (5,38).

Islamische Praxis

Der Koran fordert für Ehebrecher hundert Peitschenhiebe als Strafe für Ehebruch, nicht die Steinigung: „Peitscht die Unzüchtige und den Unzüchtigen gegebenenfalls jeweils mit hundert Peitschenhieben aus; und lasset Euch angesichts dieser Vorschrift Allahs nicht von Mitleid mit den beiden ergreifen“ (24,2). Trotzdem stimmen konservative Muslime darin überein, dass Steinigung die von Gott verordnete, gerech-te Strafe für Ehebruch sei. Diese Einstellung beruht hauptsächlich auf Aussagen der islamischen Überlie-ferung und den Berichten über Urteile und die Vorgehensweise Muhammads in dieser Frage.

Umar ibn al-Khattab – ein früher Anhänger, enger Freund und Verwandter Muhammads – orientierte sich nicht an den Vorschriften des Korans, wo es um die Bestrafung des Ehebruchs ging. Da der Korantext selbst nicht die einzige Quelle für die Rechtsfindung im Islam ist, war Umar der Meinung, dass Muhammads Verhalten in diesem Fall maßgebend und richtungweisend sei und größere Autorität als der Koran habe. Steinigung war für Umar die gerechte Strafe Allahs, deshalb hat er sie weiter vollstreckt. Umar soll nach Berichten aus der Überlieferung der Auffassung gewesen sein, dass der Koran einstmals eine An-weisung zur Steinigung enthalten habe, dieser aber später ausgetilgt worden sei (al-Bukhari, Muslim und an-Nisa’i).

Muhammads wiederholte Vollstreckung der Steinigung wird von allen Überlieferern übereinstimmend berichtet, die Überlieferungen sind in ihrer Autorität unbestritten 11. Muslime, die sich für die Abschaf-fung dieser Strafe einsetzen möchten, werden häufig mit der Frage konfrontiert: „Inwieweit dürfen Muslims Allahs Gesetze ändern, ohne dadurch Abtrünnige zu werden?“ In den islamischen Ländern herrscht keine einheitliche Meinung zu diesen Fragen. In einigen Ländern werden Steinigung, Handamputation und Auspeitschung öffentlich praktiziert, in anderen Ländern werden sie nie vollstreckt.

Immer wieder bezeichnen islamistische Bewegungen die westlich-demokratische Justiz als irregeleitet und gottlos. Sie fordern die Einsetzung der islamischen Scharia. Das erste Opfer der Welle der blutigen Gewalt, die Syrien von 1974 bis 1982 überrollte, war kein Militäroffizier, sondern Dr. al-Fadel, Dozent der Juristischen Fakultät der Universität Damaskus. Als ein Attentat von der Partei der „Muslimbruder-schaft“ auf ihn verübt wurde, war das ein klares Signal an die westlich geprägte syrische Justiz.

Die in manchen islamischen Ländern vollstreckten Handamputationen und öffentlichen Auspeitschungen werden von der Weltöffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Dagegen ruft die Steinigung in nichtislamischen Ländern immer noch große internationale Resonanz hervor, insbesondere, wenn es sich um eine Frau handelt. Wer den Begriff „Steinigung“ in eine Internet-Suchmaschine eingibt, landet nicht selten auf Webseiten von Menschenrechtsorganisationen, die an die Regierungen islamischer Länder appellieren, in denen sich Steinigungsverfahren in der Schwebe befinden. Diese Organisationen versuchen, geplante Steinigungen in andere, leichtere Strafen umzuwandeln. So wurden im Jahr 2002 für Abok Alfa Akok aus dem Sudan und Amina Lawal aus Nigeria solche Initiativen ergriffen. Menschenrechtsorganisationen beklagen jedes Jahr Steinigungsfälle in islamischen Ländern. Im Westen beschäftigen sich Organisationen vorwiegend oder ausschließlich mit diesem Thema, wie z.B. das oben genannte „Internationale Komitee gegen Steinigung“.

Islamische Denker, die den Islam in der Moderne modifizieren wollen, werden in der Regel von theologisch konservativ ausgerichteten Muslimen als Abtrünnige betrachtet, weil sie ihrer Auffassung nach mit ihren „westlichen Denkmodellen“ gegen grundsätzliche Lehren des Islams verstoßen. Immer wieder ver-teidigen islamische Autoritäten die Unverzichtbarkeit der Scharia. Hani Ramadan z.B., Französischlehrer an einer staatlichen Sekundarschule und Direktor des Islamischen Zentrums in Genf, ist schon seit langem für seine Propaganda für den Djihad und die Anwendung der Scharia im Westen bekannt. Nach ei-nem Bericht aus dem Internet hat er erst kürzlich in einem Artikel in „Le Monde“ „… die konsequente Anwendung der Scharia, insbesondere die Steinigung bei Ehebruch, verteidigt.

Ramadans letzte Äußerung blieb allerdings nicht ohne Folgen. Da zwei vorherige Verweise seine Einstel-lung nicht geändert hatten, strengte das Genfer Erziehungsdepartment gegen Ramadan eine interne Untersuchung an und suspendierte ihn mit sofortiger Wirkung vom Schuldienst. Ramadans Äußerungen sollen auch „… in der Romandie eine Grundsatzdebatte ausgelöst haben über die Grenzen der Glaubensfreiheit, über die Grenzen der Toleranz gegenüber extremistischen Gruppierungen, aber auch über die Rolle, die der Staat gegenüber Muslimen einnehmen sollte“.

 

 

Der Autor:

Daniel Hecker wurde in einer traditionellen islamischen Familie geboren: Weder seine Familie noch die islamischen Geistlichen konnten seine Fragen über Gott überzeugend beantworten. Obwohl er sich zum Atheisten entwickelte, verrichtete er lange Jahre alle Pflichten des Islam. Er empfand tiefen Hass gegen alle Religionen und Gläubigen. Dennoch fing er an, die Bibel zu lesen – die Lehre Jesu Christi schien ihm humaner als alles, was er in seinem Leben kannte. Dazu zeigte Jesus sich ihm deutlich durch mehrere Gebetserhöhrungen.
Daniel Hecker promoviert z.Z. im Fach Anglistik.

www.horst-koch.de

info@horst-koch.de