Zungen- oder Sprachenreden? (Ebertshäuser)
Das charismatische „Zungenreden“ und das biblische Sprachenreden
Von Rudolf Ebertshäuser
A. Das charismatische „Zungenreden“ aus der Sicht seiner Anhänger
Das „Zungenreden“ oder Sprachenreden ist wohl das auffälligste und am meisten betonte äußere Zeichen der Pfingst- und Charismatischen Bewegung; es gehört so wesentlich zu dieser Bewegung, daß zahlreiche Pfingstströmungen die Aussage, das Zungenreden sei das Zeichen der „Geistestaufe“, als unverzichtbaren Bestandteil ihres Glaubensbekenntnisses betrachten.
An dieser Gabe scheiden sich buchstäblich die Geister. Die Anhänger der Pfingst- und Charismatischen Bewegung sind fest davon überzeugt, daß das bei ihnen praktizierte Zungenreden mit dem in der Bibel bezeugten Sprachenreden identisch ist; Gegner der Bewegung bestreiten dies entschieden. Hier soll der Versuch gemacht werden, im Hören auf die Schrift zu klären, was Wesen und Sinn des biblischen Sprachenredens war und inwiefern das charismatische Zungenreden wirklich eine biblische Gnadengabe ist.
In der pfingstlich-charismatischen Lehre nimmt das „Zungenreden“ aus drei Gründen einen bedeutenden Platz ein:
1. Weil es zum Zeichen für den Empfang der „Geistestaufe“ erklärt wird. Wer „geistgetauft“ ist, erkennt das daran, daß er in Zungen redet; wer nicht in Zungen redet, hat den Heiligen Geist nicht empfangen – so lautet das klassische Dogma der Pfingstbewegung. Viele Charismatiker haben es übernommen, während andere das Zungenreden nicht als notwendiges Zeichen der „Geistestaufe“ ansehen.
2. Weil es als besonders wirksame Form des Gebets verstanden wird. Das „Sprachengebet“ ist aus charismatischer Sicht ein Mittel zur Selbstauferbauung wie auch zur effektiven Fürbitte und „geistlichen Kriegsführung“.
3. Weil es in Verbindung mit der „Auslegung“ als eine Form prophetischer Offenbarung verstanden wird, durch die Gott angeblich Botschaften an Sein Volk richtet.
Dementsprechend treten dort auch drei Formen bzw. Bereiche der Zungen- oder Sprachenrede auf:
* Das persönliche „Sprachengebet“ zur „Selbstauferbauung“ bzw. als Teil der Fürbitte; es nimmt je nachdem einen großen, bisweilen überwiegenden Teil der persönlichen Gebetszeit eines Charismatikers in Anspruch, weil es in seiner Wirkung und „Durchschlagskraft“ so hoch geschätzt wird.
* Das gemeinsame „Sprachengebet“ in Gebetskreisen und Gemeindeversammlungen; hierbei beten viele oder alle Versammelten laut oder halblaut gleichzeitig in Sprachen; es dient dazu, die „geistliche Atmosphäre“ für größeres „Geisteswirken“ vorzubereiten, oder aber im Kampfgebet gegen Finsternismächte „Durchbrüche“ zu erzielen (etwa auch bei Dämonenaustreibungen); ein Sonderfall sind die Sprachengesänge, die aus ähnlichen Gründen in die „Lobpreis- und Anbetungszeiten“ eingeflochten werden.
* das öffentliche Sprachenreden in der Gemeinde, das in Verbindung mit Auslegung prophetische Offenbarungen an die Gemeinde weitergibt.
Die angeblichen Wunderwirkungen des charismatischen Sprachenredens
Die „auferbauenden“ Auswirkungen des „Zungenredens“ werden von charismatischen Autoren in den leuchtendsten Farben geschildert (die angeführten Zitate stammen vor allem aus den Büchern D. u. R. Bennett, Der Heilige Geist und Du, A. Bittlinger, … und sie beten in anderen Sprachen, sowie O. Hainebach, Betet im Geist. Wesen und Sinn des Sprachenredens; vgl. den Nachweis in dem Buch: Rudolf Ebertshäuser, Die Charismatische Bewegung im Licht der Bibel, Kapitel V, S. 149-181):
* Das Sprachenreden habe „eine tiefe, oft umwandelnde Wirkung“ auf das geistliche Leben der Sprachenredner. Ein Mann wird zitiert: „Das Sprachenreden war für mich ein geistlicher Durchbruch.“
* „Die erhöhte Wahrnehmung der Gegenwart Gottes ist eine der größten Segnungen, die einem bei diesem Erlebnis zuteil werden.“ Ein Pfarrer wird zitiert: „Christus war nie zuvor für mich so real!“
* Sprachenreden wird als Mittel zur Heiligung angepriesen: „Gestaute Spannungen, Zorn, Groll, Bitterkeit, Rachegefühle, Angst, Neid, Ärger, Launen, böse Begierden, Eifersucht, Depressionen, Sorgen, seelische Qualen und Belastungen, überhaupt alles Negative kann im ruhig fließenden Strom des Sprachengebets gelöst, ausgeschüttet und weggeschwemmt werden, wie irgendwelcher Unrat von fließendem Wasser weggeschwemmt wird.“
* Das „Sprachengebet“ wird als besondere Kraftquelle angesehen: Es könne „die Kraft der Liebe Gottes“ übertragen; Agnes Sanford redet von der „Energie, die durch die Gabe des Sprachenredens in uns frei wird“.
* Es ist angeblich auch eine Kraft zur „inneren Heilung“ der Seele. Laut Agnes Sanford könne es „eine wunderbar heilende Wirkung auf unsere Seelen ausüben“, und Otfried Hainebach behauptet: „Ich könnte jedoch kaum einen besseren Weg nennen als den des Sprachengebets“, um „ungute Stauungen und Verkrampfungen im Inneren loszuwerden“.
* Es bewirkt angeblich mehr Vollmacht und Kraft in der Wortverkündigung und im Zeugnis. Arnold Bittlinger behauptet, „daß nach einem solchen Gebet die Worte, die mit dem Verstand gesagt werden, wesentlich mehr geisterfüllt und durchschlagskräftig sind“.
* Das „Sprachengebet“ wird als das „vollkommene Gebet“ bezeichnet: „Das Gebet ist dann so, wie der Heilige Geist wünscht, daß es sein soll. Deshalb ist es [das Sprachengebet] das vollkommene Gebet, welches aus der Vollkommenheit unserer neuen Kreatur kommt und vollkommen inspiriert ist von dem Geist. Deshalb ist es auch ein wirksames Gebet. Der Vater kann es völlig annehmen, denn es kommt nicht aus unserer immer noch irdisch beeinflußten Seele, sondern vom Heiligen Geist durch unseren Geist (…)“. Es wird argumentiert, daß wir ja ohnehin in der verständlichen Sprache nicht recht beten könnten, und es deshalb besser sei, in Sprachen zu beten, in denen der Geist sich vollkommen ausdrücken könne. Daher sei „die Anbetung wohl in keiner anderen Gebetsart so gut möglich wie im Sprachengebet“. Ihm werden geradezu mystische Qualitäten zugesprochen: „Der aller ‚Ratio’ weit überlegene Gott schenkt eine Ihm entsprechende Gabe: Leben von Geist zu Geist, von Energie zu Energie; die ‚Ratio’ ruht aus (1. Kor. 14,14). (…) ‚Er redet zu Gott Geheimnisse’, so sagt es der Apostel Paulus (1. Kor. 14,2.15). Erfüllt sich hier nicht die eigentliche Bestimmung des Menschen, den Gott geschaffen hat als Sein persönliches Gegenüber, als Sein Ebenbild? Das übernatürliche Gespräch zwischen Gott und Mensch, zwischen Braut und Bräutigam, das Geheimnis der Liebe!“
* Das „Sprachengebet“ wird auch als wirksame Waffe in der Fürbitte und im Kampf gegen Dämonen betrachtet. Sein Vorzug sei, daß der Heilige Geist durch den Gläubigen Anliegen vor Gott bringen könne, die nur Er wisse. Ebenso sei es erwiesen, daß das Sprachengebet zur Abwehr dämonischer Angriffe dienen könne, aber auch als Instrument zur „Austreibung“ von Dämonen. In vielen Kreisen der Charismatischen Bewegung wird zunehmend das laute, „gebieterische Sprachengebet“ in der Gruppe oder Gemeinde als „Waffe im geistlichen Kampf“ praktiziert, um die Herrschaft finsterer Fürsten ins Wanken zu bringen oder „geistliche Durchbrüche“ in der „unsichtbaren Welt“ zu erreichen.
Solche Lehren lassen das „Sprachengebet“ als das wahre vollmächtige und „geistliche“ Gebet erscheinen – auf Kosten des Betens mit dem Verstand, dessen Wirksamkeit indirekt abgewertet wird. Für viele Christen klingen solche Aussagen durchaus biblisch und faszinierend. Wie verlockend, in Zeiten der Anfechtung und geistlichen Dürre solch ein „Wundermittel“ zu besitzen, das die Schwierigkeiten beseitigt und die Nähe Gottes herstellt! Kein Wunder, daß immer mehr Gläubige sich nach dieser Gabe ausstrecken. Aber ist diese charismatische Wundergabe zur Auferbauung tatsächlich das Sprachenreden, das die Bibel meint? Oder handelt es sich hier um eine raffinierte religiöse Verführung? Jeder Gläubige sollte diese Frage ernsthaft anhand der Schrift prüfen, bevor er sich leichtfertig für die „Sprachengabe“ der Pfingst- und Charismatischen Bewegung öffnet.
B. Die Aussagen der Bibel über Wesen und Sinn des Sprachenredens
Im Gegensatz zu dem hohen und umfassenden geistlichen Wert, der dem Sprachenreden in der Charismatischen Bewegung zugesprochen wird, erwähnt die Heilige Schrift diese Gnadengabe nur am Rande. Der Herr Jesus Christus verheißt sie in Mk 16,17; in der Apostelgeschichte wird sie bei zentralen Ereignissen des Geistempfangs beschrieben (Apg 2,1-13; Apg 10,44-48; Apg 19,1-7); im 1. Korintherbrief gibt Paulus eine Belehrung über ihr Wesen und ihren Gebrauch (1. Korinther 12 – 14). Das Sprachenreden wird in den späteren Briefen nicht mehr erwähnt, obwohl dort ständig von der geistlichen Auferbauung und dem Wachstum der Gemeinden die Rede ist und man die Erwähnung einer anscheinend so bedeutenden Gabe durchaus erwarten müßte. Es fehlt auch in der Aufzählung der Gnadengaben in Röm 12,6-8 und spielte offenkundig in den apostolischen Gemeinden eine eher untergeordnete Rolle.
Weil die Schrift über das Wesen der Sprachen keine ausführliche Lehre enthält und manche ihrer Aussagen zu diesem Thema bei oberflächlichem Lesen mißverstanden werden können, müssen wir desto genauer zu verstehen suchen, was das Wort uns sagt. Viele Ausleger bringen alle möglichen außerbiblischen Spekulationen in ihre Definition des Sprachenredens ein; es ist von „ekstatischem Reden“, von „Stammeln“, von „Verzückung“ und „Engelssprachen“ die Rede. Damit wird dem Sprachenreden ein mystischer Zug zugeschrieben, z.T. in Anlehnung an heidnische Mysterienkulte, die tatsächlich ekstatisches Sprachenreden kannten. Dagegen sollte eine verantwortliche Auslegung sich auf das stützen, was das Wort Gottes selbst dazu sagt: Schrift soll durch Schrift ausgelegt und erklärt werden! Wenn wir diesem einfachen und biblischen Grundsatz folgen, finden wir auch eine klare Antwort auf die wesentlichen Fragen, auch wenn einige Aspekte des biblischen Sprachenredens sicherlich unterschiedlich gedeutet werden können.
1. Das biblische Sprachenreden war ein Reden in menschlichen Fremdsprachen
Zunächst stellt sich die Frage: welchen Charakter hatten eigentlich die in der Bibel erwähnten „Sprachen“? Das griechische Wort glossa bezeichnet die Zunge als Körperorgan und daraus abgeleitet eine menschliche Sprache. Der Ausdruck „Zungenreden“ ist also irreführend und unzutreffend; richtigerweise sollte es „Sprachenreden“ heißen.
Eine Veranschaulichung des biblischen Sprachenredens finden wir nur in Apg 2,4-13. Hier haben wir sozusagen das Modell des Sprachenredens, auf das auch andere Schriftstellen bezogen werden müssen, wenn wir anerkennen, daß die Schrift sich selbst auslegt. „Und sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu reden [gr. lalein heterais glossais], wie der Geist es ihnen auszusprechen [od. auszurufen, zu verkünden] gab“ (Apg 2,4).
Aus der Reaktion der Zuhörer (V. 6-11) wird ersichtlich, das es sich beim Reden in anderen Sprachen um real existierende menschliche Fremdsprachen handelte, und zwar um Sprachen der Heidenvölker, von denen sich die Juden abgesondert hielten. Sie wurden nun aufgrund übernatürlicher Eingebung durch den Geist Gottes von Menschen gesprochen, die diese Sprachen nicht beherrschten. Der Inhalt dieser Sprachenrede wird uns ebenfalls in dieser Schriftstelle gezeigt: Es wurden die großen Taten Gottes verkündet. Das in V. 4b verwendete Verb deutet ein Proklamieren, ein kräftiges, entschlossenes Verkündigen an (vgl. Apg 2,14; 26,25).
Es ist offensichtlich, daß das Sprachenreden von Apostelgeschichte 2 eine Erfüllung der Verheißung Jesu Christi in Mk 16,17 darstellt. Der Herr verheißt dort, daß die Apostel in „neuen Sprachen“ sprechen würden. Aus dem Sinnzusammenhang ergibt sich, daß damit nicht etwa außerirdische Engelssprachen, sondern ungewohnte, den Jüngern unbekannte Menschensprachen der Heidenvölker gemeint waren. Auch die Fälle von Sprachenreden, die später in der Apostelgeschichte erwähnt werden, folgen dem Modell von Apostelgeschichte 2. So bezeugt Petrus, daß das Sprachenreden der gläubigen Heiden im Haus des Kornelius mit dem zu Pfingsten identisch war: „Als ich aber zu reden anfing, fiel der Heilige Geist auf sie, gleichwie [od. ganz wie] auf uns am Anfang“ (Apg 11,15).
Wenn nun die in 1. Korinther 12 – 14 erwähnte Gnadengabe des Redens in Sprachen etwas anderes wäre als das Sprachenreden aus Apostelgeschichte 2, wie manche Ausleger vermuten, hätte uns die Bibel dies mitgeteilt. Nichts in der Erläuterung der Sprachengabe bei Paulus deutet darauf hin, daß er etwas anderes meint als die in Markus 16 und Apostelgeschichte 2 geschilderte Sprachengabe. Der Ausdruck „verschiedene Arten von Sprachen“ in 1Kor 12,10 u. 28 deutet an, daß es sich um verschiedene Arten oder „Familien“ von Fremdsprachen handelt (vgl. z.B. indogermanische Sprachfamilie). In dem Jesajazitat in 1Kor 14,21, das ja die Gnadengabe des Sprachenredens erklärt, erscheint das Wort „mit fremden Sprachen“ (gr. heteroglossois = „durch Leute mit fremder Sprache“), das den Bezug zu Apg 2,4 bestätigt.
Oft wird 1Kor 13,1 angeführt, wo Paulus sagt: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und der Engel redete (…)“, um zu begründen, daß das „Sprachenreden“ auch himmlische Engelssprachen umfaßt habe. Paulus führt jedoch in diesem Abschnitt lauter angenommene Fälle an, absichtliche Übertreibungen, um den höheren Wert der Liebe umso deutlicher werden zu lassen. Er sprach ebensowenig in den Sprachen der Engel, wie er alle Geheimnisse wußte oder allen Glauben hatte oder seinen Leib zur Verbrennung hingab. Eine solche beispielhafte Annahme ist in jedem Fall kein solider Schriftgrund, um eine Lehraussage darauf aufzubauen, die dem klaren Zeugnis von Apostelgeschichte 2 widerspricht.
Zudem ist es eher unwahrscheinlich, daß die heiligen Engel im Himmel wirklich verschiedene Sprachen sprechen; die Sprachenverwirrung ist ja eigentlich ein göttliches Gericht über die sündige Menschheit. Wir können also festhalten: Nach dem Zeugnis der Bibel ist die Gabe der Sprachenrede die übernatürliche Befähigung, menschliche Fremdsprachen zu sprechen, die der Sprecher natürlicherweise nicht beherrscht.
2. Das biblische Sprachenreden war ein Zeichen des heilsgeschichtlichen Übergangs
Wenn wir von allen Spekulationen, Erfahrungen und menschlichen Lehren absehen und einfach die Bibel befragen, wozu Gott die Sprachengabe eigentlich der Gemeinde gegeben hat, stoßen wir auf eine verblüffend einfache und klare Antwort, die dennoch für viele ungewohnt sein dürfte.
a) Die Zeichenfunktion der Sprachengabe
Den Schlüssel zum lehrmäßigen Verständnis des neutestamentlichen Sprachenredens können wir nicht in der Apostelgeschichte finden, wo uns lediglich Beispiele seines Gebrauchs gezeigt werden. Die Lehre des Wortes Gottes für die Gemeinde finden wir in den Briefen der Apostel und Propheten! Ganz folgerichtig wird uns der von Gott gewollte Sinn und Zweck des echten Sprachenredens in den Lehraussagen von 1. Korinther 14 erklärt. Paulus rügt in dem ganzen Kapitel den falschen Gebrauch der Sprachenrede in den Gemeindeversammlungen der Korinther und weist dann auf den eigentlichen Sinn dieser Gabe hin:
„Im Gesetz steht geschrieben: ‚Ich will mit fremden Sprachen und mit fremden Lippen zu diesem Volk reden. Aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.’ Darum dienen die Sprachen als ein Zeichen, und zwar nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen (…)“ (1Kor 14,21-22)
In dieser wichtigen, von vielen nicht richtig beachteten Lehraussage der Schrift werden uns drei grundlegende Tatsachen über das biblische Sprachenreden geoffenbart:
1. Es dient als ein Zeichen.
2. Es richtet sich nicht an Gläubige, sondern an Ungläubige.
3. Es richtet sich nicht an Heidenchristen, sondern an Juden.
1. Sprachen sind ein Zeichen: Die erste wesentliche Aussage ist: Die Sprachenrede ist ein Zeichen. Die Zeichen, die der Herr Jesus selbst samt Seinen Beauftragten in Israel tat, sollten die göttliche Botschaft des herbeigekommenen Reiches und den einen höchsten Propheten, den König selbst, ausweisen (vgl. Hebr 2,3-4). Durch die messianischen Zeichen bestätigte Gott den ungläubigen Juden, daß Jesus von Nazareth der Messias war – doch sie nahmen Sein Zeugnis nicht an. Dabei ist es wichtig, festzuhalten, daß das Zeichen der Sprachenrede erst mit dem Pfingsttag auftritt; weder hat der Herr Jesus Christus selbst in Sprachen geredet noch die Apostel vor Pfingsten. Wir werden noch sehen, weshalb dies so sein mußte.
Die Verkündigung der Apostel nach Pfingsten wurde ebenfalls durch Zeichen bekräftigt. In Mk 16,17-20 finden wir die Verheißung für die Evangeliumsverkündigung der Apostel; sie sollte durch Wunderzeichen bestätigt werden, die bis auf eines alle in der Apostelgeschichte berichtet werden, u.a. das Reden in neuen Sprachen. In V. 20 wird die Erfüllung der Verheißung im Dienst der Apostel ausdrücklich bestätigt. Auch die Zeichengaben, die der Urgemeinde zur Zeit der apostolischen Verkündigung gegeben wurden (1. Korinther 12), sollten nicht die Gemeinde ansprechen, sondern Gott wandte sich in der apostolischen Zeit durch Zeichen an die Ungläubigen, um die Botschaft des Evangeliums zu bestätigen (vgl. Hebr 2,4; Mk 16,20).
Das Reden in anderen Sprachen ist also nach der klaren Lehre der Schrift nicht etwa eine Art des Gebets; wie wir sehen werden, gibt es nicht nur keinerlei Gebot in der Bibel, in Sprachen zu beten, sondern Paulus erklärt dies sogar für verkehrt. Es ist auch keine Offenbarungsgabe, durch die Gott der Gemeinde Geheimnisse oder Botschaften mitteilen wollte – dazu gab Er die Gabe der Prophetie und der Erkenntnis. Es ist ein Zeichen und keine mystische Kraftquelle. Auch in Mk 16,17 werden die neuen Sprachen ein Zeichen genannt.
2. Die Sprachenrede richtet sich an Ungläubige. Durch die Zeichen, d.h. übernatürliche Wunderwirkungen Gottes, redete Gott in bildhafter Weise zu Ungläubigen, um ihnen die göttliche Autorität Seiner Heilsbotschaft zu bezeugen. Die echten, biblischen Zeichen richten sich grundsätzlich nicht an wiedergeborene Gläubige, denn diese haben das innere Zeugnis des Heiligen Geistes; ihr Glaube braucht nicht das Schauen von Wundern. Die echten biblischen Sprachen sind wesentlich für die Ungläubigen bestimmt – das steht in krassem Gegensatz zu den charismatischen „Zungenreden“. Auch wo das Sprachenreden unter gläubigen Juden noch eine begrenzte Aufgabe hatte, war es deshalb, weil sie in einem bestimmten Punkt noch „ungläubig“ waren – sie konnten nicht recht glauben, daß Gott die Heiden nur aufgrund von Gnade, ohne Beschneidung und Gesetz rettet.
3. Die Sprachenrede ist ein Zeichen für Israel: Die dritte grundlegende Aussage dieser Stelle ist: Die Sprachen sind ein Zeichen, das sich speziell an Israel richtet, nicht an die Heiden! Es gab aus der Sicht der Gemeinde damals (und heute) zwei Arten von Ungläubigen: ungläubige Juden und ungläubige Heiden. Das Zeichen der Sprachen ist nun, wie das von Paulus angeführte Wort aus Jes 28,11-12 unmißverständlich zeigt, wesensmäßig für die ungläubigen Juden bestimmt: „Ich will mit fremden Sprachen und mit fremden Lippen zu diesem Volk reden“. Wenn wir den Gebrauch des Sprachenredens in der Apostelgeschichte untersuchen, so zeigt sich, daß in jedem Fall von Sprachenreden Juden die „Zielgruppe“ für dieses Zeichen waren.
b) Das Sprachenreden als Zeichen des Gerichts für das verstockte Israel
Die Jesajastelle macht auch deutlich, daß das Zeichen des Sprachenredens für das ungläubige Israel ein Gerichtszeichen war. Hier kommen wir zu einem ganz wesentlichen Gesichtspunkt, der heute oft mißverstanden wird. Von seinem ganzen Wesen her ist Christus der logos Gottes, das sich offenbarende WORT. Er ist es, der als Jehovah/Jahwe schon zu den Vätern und zu Israel redete, von dessen Wort Mose bezeugte: „Denn es ist nicht ein leeres Wort für euch, sondern es ist euer Leben“ (5Mo 32,47). Zu allen Zeiten leben die Gläubigen von dem lebendigen und kräftigen Wort Gottes, das Ihn offenbart und die Menschen unterweist, ihnen Erkenntnis und Weisheit verleiht. Von dem Reden Gottes im WORT bezeugt Ps 119,130: „Die Eröffnung deiner Worte erleuchtet und gibt den Unverständigen Einsicht“.
Das Wort Gottes zielt auf das Herz der Menschen; es ist wesensmäßig Offenbarung, nicht Verhüllung. Gott trachtet danach, durch Sein Wort die Menschen zur Erkenntnis Seiner Wahrheit zu bringen. Wie bewegend ist die Selbstoffenbarung der göttlichen Weisheit in Spr 8,8-10, wo es heißt: „Alle Reden meines Mundes sind gerecht; es ist nichts Verkehrtes noch Verdrehtes darin. Den Verständigen sind sie alle klar, und wer Erkenntnis sucht, findet sie richtig“. Deshalb ist alles Reden Gottes durchweg ein Reden in verständlicher Menschensprache, in der Sprache, die die Menschen hören und aufnehmen können. Es ist daher ein erschütterndes Zeichen der Verstockung Israels und des kommenden Gerichts, wenn Gott in Jes 28,7-13 sagen muß:
„Priester und Prophet sind vom Rauschtrank berauscht, vom Wein benebelt, sie taumeln vom Rauschtrank; sie sehen nicht mehr klar, urteilen unsicher. (…) Wem soll er [Gott] Erkenntnis beibringen, wem die Botschaft erläutern? (…) so wird auch Er zu diesem Volk durch stammelnde Lippen und durch eine fremde Sprache reden, er, der zu ihnen gesagt hatte: ‚Das ist die Ruhe! Erquickt den Müden! Und das ist die Erquickung’, aber sie wollten nicht hören. Und so soll auch ihnen das Wort des HERRN werden: ‚Vorschrift auf Vorschrift, Vorschrift auf Vorschrift; Satzung auf Satzung, Satzung auf Satzung; hier ein wenig, da ein wenig’ – damit sie hingehen und rückwärts hinstürzen, zerbrochen, verstrickt und gefangen werden.“
Weil Israel das verständliche Reden Gottes über Jahrhunderte nicht hören wollte, beschloß Gott, zum Gericht mit unverständlichen Sprachen zu ihm zu reden. Wenn Gott nicht mehr klar und verständlich redet, sondern verhüllt und unverständlich, dann bedeutet das Gericht! Das zeigte sich schon in der gleichnishaften Verkündigung des Herrn an Israel (vgl. Mt 13,10-15: „Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehen und doch nicht sehen und hören und doch nicht hören und nicht verstehen“). Das gilt erst recht für das Reden mit heidnischen Fremdsprachen zu diesem Volk.
In der konkreten Situation der Jesaja-Prophetie wie auch in der Situation nach Pfingsten war das Reden mit unverständlichen Heidensprachen die Androhung von Gericht und Zerstörung durch heidnische Heere. Auf die Prophetie des Jesaja folgte damals der Überfall der Assyrer auf Israel; auf das Sprachenzeichen zu Pfingsten in Jerusalem folgte rund 40 Jahre später die Invasion der Söldner des Titus, die in der Folgezeit Jerusalem dem Erdboden gleichmachten und den Tempel niederrissen. Dabei können wir davon ausgehen, daß die Jerusalemer aus dem Mund der aus allen Teilen des römischen Reiches angeworbenen Söldner genau dieselben Heidensprachen hörten wie damals zu Pfingsten aus dem Mund der Jünger!
Nun wird auch verständlich, weshalb weder der Herr selbst noch Seine Gesandten vor der Kreuzigung und Auferstehung Israel gegenüber das Zeichen der Sprachen gegeben hatten. Erst nachdem Israel das Angebot des Reiches durch seinen Messias verworfen und Ihn gekreuzigt hatte, offenbarte Gott durch die Sprachen die bevorstehende Verwerfung Israels, verbunden mit einem letzten Appell zur Umkehr. So verstehen wir das Sprachenreden der Jünger in Apostelgeschichte 2 als ein zeichenhaftes Reden Gottes zu den ungläubigen Juden. Es sollte ihnen zeigen: Wenn ihr nicht Buße tut, dann wird das Reden Gottes für euch unverständlich werden. Gott wird euch nicht mehr Sein Heil anbieten, das ihr immer wieder verworfen habt, sondern Er wird durch heidnische Soldaten zu euch reden und euch in alle Winde zerstreuen.
c) Das Sprachenreden als Zeichen für den Übergang des Heils zu den Heiden
Das Sprachenreden war seinem Wesen nach ein heilsgeschichtliches Zeichen. Es kündigte nicht nur das bevorstehende Gericht für Israel an, sondern auch den Übergang des Heils zu den Heidenvölkern, die bis dahin ja von der Errettung und der Gemeinschaft mit Gott grundsätzlich ausgeschlossen waren. Es war ein Signal von heilsgeschichtlicher Bedeutung, daß nun die großen Taten Gottes in den Sprachen der Heidenvölker verkündet wurden. Bisher war ja die Botschaft des Heils fast ausschließlich in Hebräisch dem Volk Israel verkündigt worden.
Die heilsgeschichtliche Botschaft des Sprachenredens war: Gott wird das Heil von Israel wegnehmen und Sein altes Bundesvolk beiseitesetzen, während die Heidenvölker erstmals Zugang zu diesem Heil erhalten und Heiden die großen Taten Gottes erfahren und verkünden werden (vgl. dazu Römer 11). Es war damit auch eine symbolische Andeutung des Geheimnisses des Christus, in dem die Scheidewand zwischen Juden und Heiden hinweggetan wird und aus beiden ein Leib gebildet wird, wie Eph 2,18-19 offenbart: „Denn durch ihn [Christus] haben wir beide den Zutritt zum Vater durch einen Geist. So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge ohne Bürgerrecht und Gäste, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“.
Diese heilsgeschichtliche Zeichenfunktion macht nochmals deutlich, weshalb die biblischen „Sprachen“ kein ekstatisches Stammeln und keine himmlischen Engelssprachen waren, sondern real existierende heidnische Fremdsprachen. Wie klar und logisch ist Gottes Wirken! Zweck und Mittel stimmen vollkommen überein. Nach der angeführten Stelle in Jesaja 28 muß es sich beim Sprachenreden ja um heidnische Fremdsprachen gehandelt haben, sonst hätte dieses Zeichen gar keinen Sinn gehabt.
Im Handeln Gottes finden wir nichts Mystisch-Irrationales, auch wenn wir selbst seine vollkommene Logik und Klarheit nicht immer verstehen. Aus den Aussagen der Schrift über die Funktion des Sprachenredens müssen wir schließen, daß es in der Apostelzeit von Gott grundsätzlich als mahnendes Wunderzeichen gegenüber ungläubigen Juden eingesetzt wurde; sein Platz war eigentlich nicht die Gemeindeversammlung, sondern die Evangeliumsverkündigung unter Juden, wie sie gerade auch Paulus konsequent betrieb, wo er hinkam (vgl. 1Kor 14,18-19).
d) Der Sinn des Sprachenredens innerhalb der Gemeinde
Es ist nur folgerichtig, daß das Zeichen der Sprachenrede bei dem großen Wendepunkt in Gottes Heilshandeln auftritt, als mit der Bekehrung des Kornelius auch die Heiden in die Heilskörperschaft der Gemeinde aufgenommen werden. Während nach Pfingsten weder bei den 3.000 noch bei späteren Bekehrungen ein Reden in Sprachen erwähnt wird, reden diese Heiden vor den erstaunten Augen der Judenchristen in Sprachen wie zu Pfingsten. Die Wirkung dieses Zeichens auf die christusgläubigen Juden, die sich ein Heil außerhalb Israels noch nicht vorstellen konnten, ist offensichtlich: „Als sie aber das hörten, beruhigten sie sich und priesen Gott und sprachen: So hat denn Gott auch den Heiden die Buße zum Leben gegeben“ (Apg 11,18).
Hier können wir erkennen, weshalb das Sprachenreden als heilsgeschichtliches Zeichen in den Anfängen der Gemeinde, die ja zunächst ausschließlich und auch später noch großenteils aus Judenchristen bestand, auch eine Funktion nach innen hatte, wenn diese auch der äußeren Funktion untergeordnet war: Über lange Zeit hatten es die in der jüdischen Tradition aufgewachsenen Gläubigen schwer, das heilsgeschichtliche Geheimnis der Gemeinde, wie es besonders Paulus geoffenbart worden war, zu begreifen und anzunehmen. Sie blieben Eiferer für das Gesetz, als Gott selbst schon offenbart hatte, daß Juden und Heiden nicht durch Gesetz und Beschneidung, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus das Heil erlangen könnten, und daß in Christus weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit etwas gilt, sondern eine neue Schöpfung (Gal 6,15).
Daraus folgten Spannungen, die durch das Auftreten judaistischer Irrlehrer noch verschärft wurden, die den Heiden die Beschneidung und die Beobachtung des Gesetzes aufzwingen wollten. Diese Spannungen waren so tiefgreifend, daß selbst ein Petrus schwankend wurde (vgl. Gal 2,11-14). In den Briefen des Paulus erkennen wir immer wieder, wie er die Wahrheit der Gemeinde, in der alle eins in Christus sind, verteidigen mußte.
Es ist naheliegend, daß auch das Auftreten des Sprachenredens bei den jüdischen Johannesjüngern in der heidnischen Stadt Ephesus, in der bald durch den Dienst des Paulus eine gemischte Gemeinde entstehen sollte, mit in diesen Zusammenhang gehört (vgl. Apg 19,1-10). Dadurch, daß die großen Taten Gottes in fremden, heidnischen Sprachen verkündet wurden, wurden die Judenchristen daran erinnert, daß das Heil auch zu den Heiden gekommen war, daß beide, Juden und Heiden, nur im Glauben an Jesus Christus und nicht mehr durchs Gesetz den Zugang zu Gott hatten.
Hier liegt vermutlich der Grund, weshalb die Zeichengabe der Sprachenrede, die vor allem nach außen, an die ungläubigen Juden gerichtet war, in der apostolischen Zeit eine zeitlich und bedeutungsmäßig begrenzte Rolle in den Gemeindeversammlungen spielen konnte. Diese offensichtliche Wirkung des Heiligen Geistes war ein unmißverständlicher Hinweis Gottes, daß es Sein souveräner Ratschluß war, Israel und das Gesetz beiseitezusetzen und nun auch die einst außenstehenden Heiden durch den Glauben zu erretten. Juden und Heiden hatten nun in Christus denselben Zugang zu Gott – und zwar allein aufgrund der Gnade, ohne Mitwirkung des Gesetzes. Darauf wies die Verkündigung der großen Heilstaten Gottes in heidnischen Fremdsprachen die zuhörenden gläubigen Juden immer wieder hin.
c) Das Sprachenreden als heilsgeschichtliches Zeichen hörte noch zur Apostelzeit auf
Aus der Tatsache, daß die Sprachenrede ein heilsgeschichtliches Zeichen für die Juden war, erklärt sich auch, weshalb diese Zeichengabe von selbst aufhörte, als sie ihren Zweck erfüllt hatte: „seien es Sprachen, sie werden aufhören“ (1Kor 13,8). Mit der blutigen Niederwerfung des jüdischen Volkes durch die Römer ab 70 n. Chr. bewahrheitete sich die Botschaft des Gerichtszeichens der Sprachen an Israel: Jerusalem wurde zerstört, der Tempeldienst unmöglich gemacht, das Volk zerstreut unter alle Völker der Erde. Gott hatte Israel gerichtet und für die Zeit der Gnade beiseitegesetzt, um Sein Heil den Heiden zu bringen.
In der Folge wuchs in der Gemeinde die Zahl der Heidenchristen im Vergleich zu den Judenchristen stark an, und gegen Ende der Apostelzeit haben die Spannungen zwischen jüdischen und heidnischen Gläubigen offensichtlich keine wesentliche Rolle mehr gespielt. Auch als Zeichen eines heilsgeschichtlichen Übergangs hatten die Sprachen ihre Aufgabe erfüllt. Die Zeichengabe der Sprachen war überflüssig geworden und hörte auf, wie dies im Wort Gottes ausdrücklich angekündigt worden war (vgl. 1Kor 13,8).
Diejenigen, die ein andauerndes Fortbestehen des Sprachenredens und anderer Zeichengaben bis in unsere Zeit behaupten, berufen sich dabei oft auf Mk 16,17-20. Eine genauere Betrachtung dieses Wortes zeigt jedoch, daß diese Bibelstelle im Gegenteil die Beschränkung des Sprachenredens und anderer Zeichen auf die Apostelzeit bestätigt. In Mk 16,15-20 spricht der Herr ausdrücklich Seine elf Jünger und Apostel an (V. 14). Ihnen gibt Er den Auftrag, in alle Welt zu gehen und aller Schöpfung das Evangelium zu verkündigen. Der Auftrag zur Evangeliumsverkündigung, der auch die Gemeinde mit einbezieht, findet sich in Mt 28,18-20 und in Lk 24,47 sowie Apg 1,8.
Das Ergebnis dieser Evangeliumsverkündigung durch die Apostel werden Menschen sein, die glauben und errettet werden. Im Dienst der Apostel wird die Frucht der Gläubiggewordenen begleitet werden von Zeichen, unter denen auch das „Reden in neuen [d.h. ihnen ungewohnten, unbekannten] Sprachen“ ist (V. 17). Die Schrift sagt nicht, daß alle Gläubiggewordenen selbst diese Zeichen tun werden, sondern sie werden durch sie begleitet, d.h. erleben sie, sie ereignen sich dort, wo die Apostel das Evangelium verkündigen bzw. wo in den jungen Gemeinden Wundergaben wirksam werden.
Diese Zeichen sind jedoch an den Dienst der Apostel und die Generation der unmittelbar durch sie Gläubiggewordenen gebunden; eine zeitliche Ausdehnung des Auftrags „bis an das Ende der Weltzeit“ wie in Mt 28,20 fehlt. Dagegen bezeugt Mk 16,20, daß sich die Zeichenverheißung direkt im Mitwirken des Herrn bei der apostolischen Verkündigung erfüllt hat: „Sie aber [das sind eindeutig und ausschließlich die elf Apostel] gingen hinaus und verkündigten überall [Vergangenheit, abgeschlossener Vorgang]; und der Herr wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die begleitenden [od. mitfolgenden] Zeichen.“
Hier wird in völliger Übereinstimmung mit Hebr 2,4 bezeugt, daß die bekräftigenden Wunderzeichen in der Generation der Apostel und in Verbindung mit ihrem Dienst geschahen und nach Gottes Willen nicht ständig weiter auftraten. Es ist daher unzulässig und gegen den Sinn der Schrift, wenn Anhänger der Pfingst- und Charismatischen Bewegung die Zeichenverheißung aus Markus 16 heute noch für jeden Gläubigen in Anspruch nehmen und damit beweisen wollen, daß das Sprachenreden nach dem Willen Gottes heute noch existiere.
3. Der Sinn des echten Sprachenredens in der Urgemeinde.
Eine Deutung von 1. Korinther 14
Nur wenn wir uns die biblische Lehre vor Augen halten, daß die Sprachen eine Zeichengabe waren, die sich in erster Linie an ungläubige Juden richtete, verstehen wir auch die Grundlinie der Ausführungen des Paulus in 1. Korinther 14. Einige Korinther hatten diese Gabe offenkundig dazu benutzt, sich selbst in den Vordergrund zu spielen, indem sie längere Sprachenreden in der Gemeindeversammlung vortrugen, die von der zuhörenden Gemeinde nicht verstanden wurden. Das störte den Ablauf der Versammlungen und verhinderte, daß wirklich erbauliche Beiträge zu Wort kamen. Der Sprachenrede wurde in Korinth eine besondere Bedeutung zugemessen, die ihr nach Gottes Absicht nicht zukam. Einige Korinther schienen sich in einem sehr fleischlichen Eifer nach dieser Gabe auszustrecken, um auch etwas zu gelten.
Der Grund für diese ungeistliche Überbetonung der Sprachenrede mag in den heidnischen Mysterienkulten liegen, wo es ein okkultes, ekstatisches Sprachenreden gab, das als Beweis für den Status des „Eingeweihten“ galt. Die Heidenchristen aus Korinth hatten sich erst vor kurzem und noch nicht vollständig aus dem Heidentum gelöst, wie auch andere Stellen des 1. Korintherbriefs beweisen (1Kor 6,12-20; 1. Korinther 8; 1Kor 10,14-33: 1Kor 12,1-3). Sie benutzten anscheinend das echte, göttliche Sprachenreden nicht viel anders als die Eingeweihten der Götzenreligionen ihr dämonisches Sprachenreden; sie prahlten mit ihrer Begabung und blähten sich auf (vgl. 1Kor 12,14-24). Sie mußten im rechten Umgang mit den Wirkungen und Gnadengaben des Geistes unterwiesen werden.
a) Das oberste Ziel des Redens in der Versammlung: die Erbauung der Gemeinde
Paulus zeigt den Korinthern in 1. Korinther 14, weshalb die Sprachengabe nur begrenzte erbauliche Wirkung für die Gemeinde hat und daher in der Versammlung der Gemeinde nur eine untergeordnete Stellung einnehmen sollte. Ihre eigentliche Funktion als Zeichengabe ist nach außen gerichtet, sie gehört vor die Ohren ungläubiger Juden, nicht vor die Gemeinde.
In der Gemeindeversammlung, so wird Paulus nicht müde zu betonen, soll nach dem Willen Gottes alles zur Erbauung der ganzen Gemeinde dienen und nichts zu egoistischer Selbstverwirklichung. Diese Grundlinie müssen wir uns vor Augen halten, damit wir die einzelnen Äußerungen in diesem Kapitel recht verstehen. Von vielen charismatischen und auch nichtcharismatischen Auslegern werden einzelne Äußerungen aus diesem Zusammenhang herausgelöst, und es wird ein anderer Sinn in sie hineingedeutet.
Diese einseitige Sicht beginnt bereits beim ersten Vers des 14. Kapitels: „Strebt nach der Liebe, doch bemüht euch auch eifrig um die Geisteswirkungen [od. die geistlichen Dinge; gr. ta pneumatika]; am meisten aber, daß ihr weissagt!“. Hier übersetzen fast alle Bibelausgaben „Eifert um die Geistesgaben“, aber im Grundtext steht „um die Geisteswirkungen“ oder „geistlichen Dinge“. Das ist nicht unwichtig, weil die Lehre von 1. Korinther 12 zeigt, daß es im Gegensatz zur charismatischen Auslegung gerade nicht richtig ist, für sich selbst bestimmte Gaben eifrig zu erstreben, denn Gott teilt die Gaben zu, wie Er will (vgl. 1Kor 12,8-11.18.28).
Der Sinn dieses Aufrufs kann also wiedergegeben werden mit: Eifert um das, was geistlich (und nicht fleischlich-egoistisch) ist, um das, was die Gemeinde erbaut statt euch selbst (vgl. V. 12); eine andere mögliche Deutung, die auf dasselbe herausläuft, ist: Bemüht euch eifrig um die Geisteswirkungen (so kann das Wort auch in 1Kor 12,1 übersetzt werden), daß sie in der Gemeinde zur Auferbauung wirksam werden. In jedem Fall ist das wesentliche Mittel dazu die Weissagung oder prophetische Rede.
Im Gegensatz zur Offenbarungsgabe der Prophetie, die dem Dienst des Propheten vorbehalten war, ist die allgemeine, einfache Weissagung, von der Paulus in 1. Korinther 14 hauptsächlich redet, allen Gläubigen möglich, die den Geist empfangen haben. Sie ist, wie aus 1Kor 14,3 ersichtlich ist, ein geistgeleitetes Reden zur gegenseitigen Erbauung und sollte nach den Lehren von 1. Korinther 14 einen wichtigen Stellenwert im biblischen Gemeindeleben einnehmen.
b) Das Sprachenreden war für die Erbauung der Gemeinde nur begrenzt geeignet
Dagegen zeigt Paulus den Korinthern, daß das Sprachenreden nur eine begrenzte, untergeordnete Rolle in ihren Versammlungen spielen sollte:
„Denn wer in [fremden] Sprachen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht es; sondern er redet Geheimnisse im Geist [od. mit dem Geist / durch den Geist; gr. pneumati]. Wer aber weissagt, der redet für Menschen zur Erbauung, zur Ermahnung und zum Trost.“ (V. 2-3)
Charismatische Ausleger sehen in diesen Worten eine Offenbarung über die hohen Qualitäten des Sprachenredens als mysteriöse Gebetssprache, in der der Heilige Geist verborgene Dinge vor Gott bringen könne, die für das eigene geistliche Leben wie für den Kampf gegen Finsternismächte ausschlaggebend seien. Damit wird jedoch der eigentliche Sinn nicht erfaßt. Paulus ist dabei, die Überlegenheit des Weissagens über das Sprachenreden zu beweisen. Das erste Argument lautet: Während derjenige, der in der Gemeinde weissagt, für die Menschen redet und ihnen Erbauung bringt, redet derjenige, der in der Gemeinde eine Sprachenrede verkündet, nur für Gott – und das ist Gott in dieser Situation nicht wohlgefällig, denn in der Gemeindeversammlung soll nach dem Willen Gottes alles Reden zur Erbauung der Gemeinde dienen.
In V. 2-3 wird also kein Vorzug, sondern ein Nachteil des Sprachenredens festgestellt: Wenn jemand eine unverständliche Sprache spricht, so versteht zwar Gott, was gesagt wird, aber die Geschwister verstehen nichts und hören nicht zu; die Gemeindeversammlung wird gestört und nicht auferbaut (vgl. dazu auch V. 4+5+6+9+11-19). Der Sprachenredner redet in oder mit seinem Geist (nicht dem Heiligen Geist, vgl. dazu V. 14-17!) Geheimnisse, Dinge, die den anderen verborgen sind; Gott möchte aber Seiner Gemeinde Seine Geheimnisse offenbaren (Mt 13,11; Röm 11,25; Röm 16,25; 1Kor 4,1; Eph 1,9; Eph 3,3; Eph 6,19; Kol 1,26; Kol 2,2; Kol 4,3) und die Versammelten durch geistgeleiteten Zuspruch stärken. Deshalb verzichtete Paulus, der ja unser Vorbild ist, in der Gemeindeversammlung völlig auf das Sprachenreden (V. 19).
Deshalb ist es aus dem Zusammenhang auch ein Nachteil des Sprachenredens, daß derjenige, der in einer unverständlichen Sprache redet, nur „sich selbst erbaut“, während der Weissagende größer ist, weil er durch sein verständliches Reden die Gemeinde erbauen kann (V. 4-5). Während alle charismatischen und manche nichtcharismatischen Ausleger aus dem Wort „Wer in einer Sprache redet, erbaut sich selbst“ (V. 4) ableiten wollen, daß das biblische Sprachenreden zur „Selbstauferbauung“ geeignet sei, ist hier dem Zusammenhang nach ein Tadel gemeint; das Wort „erbaut sich selbst“ ist hier negativ angewandt.
Paulus sagt gleichsam: „Mein Bruder, wenn du in der Gemeindeversammlung aufstehst und 10 Minuten lang in einer für alle unverständlichen Sprache redest, dann produzierst du dich nur selbst, aber die Gemeinde wird nicht erbaut!“ Der Sprachenredner, dessen Rede nicht übersetzt wird, nützt der Gemeinde nichts (V. 6), er redet in den Wind, weil seine Rede unverständlich ist und die geistliche Erkenntnis der Geschwister nicht fördert (V. 9). Seine Rede hat daher in der Gemeinde nur Sinn im Zusammenhang mit einer Übersetzung (V. 5b, V. 13), „damit die Gemeinde Erbauung empfängt“.
Das Beten in unverständlichen Sprachen lehnt Paulus mit derselben Begründung ab: „Du magst wohl schön danksagen, aber der andere wird nicht erbaut“ (V. 17). Die fehlende Eignung des Sprachenredens für die Erbauung der Gläubigen wird von Paulus mit der eindringlichen Erklärung betont: „Aber in der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verstand reden, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer Sprache“ (V. 19). Der Apostel Paulus, der vom Wort Gottes den Gläubigen als Vorbild hingestellt wird, sagt hier eindeutig, daß er in der Gemeinde überhaupt nicht in unverständlichen Fremdsprachen, sondern nur in verständlicher Sprache reden will, und er sagt es recht drastisch. Diese klare Aussage wird dennoch von den charismatischen Lehrern übergangen und mißachtet.
Wo hat Paulus dann in Sprachen geredet? Manche Ausleger sagen: Im privaten Gebet. Diese These widerspricht jedoch den Aussagen von Paulus in V. 14-19, wo Paulus sagt, daß er so beten will, daß Geist und Verstand beteiligt sind. Aus dem biblischen Lehrzusammenhang erscheint folgende Antwort als die stichhaltigste: Paulus hatte sich in seinem Dienst, wo er auch hinkam, zuerst an die Juden gewandt, um ihnen das Evangelium zu verkündigen. Erst wenn sie ihm widerstanden, ging er zu den Heiden der entsprechenden Stadt. Paulus war also nicht nur ein großer Missionar unter den Heiden, sondern ebenso unter seinen Brüdern in der Diaspora. In diesem Verkündigungsdienst, so muß aus dem Zeichencharakter des Sprachenredens geschlossen werden, setzte Paulus immer wieder die Gabe der Sprachen ein. Er gab den ungläubigen Juden das Zeichen der Sprachenrede, wenn er in der Synagoge das Evangelium bezeugte oder wenn er mit Juden persönlich sprach. Diese Deutung ist, wie alle anderen auch, nur eine Vermutung, aber sie ist glaubwürdiger als die These vom Gebet; Paulus sagt in V. 18: „ich rede mehr in Sprachen als ihr alle“, nicht ich bete, während er in V. 14-17 sehr genau zwischen „Reden“ und „Beten“ unterscheidet.
Wir sehen also: Das Sprachenreden war als Zeichengabe nicht für die Auferbauung der Gläubigen gedacht, sondern für Ungläubige (V. 21-22). Es konnte zwar übersetzt auch in gewissem Maß die Gemeinde erbauen, aber darin lag nicht sein eigentlicher Sinn. Das ist die Bilanz der Belehrungen aus 1. Korinther 14. Ihre ganze Grundaussage ist völlig entgegengesetzt zu dem, was charismatische Ausleger daraus machen wollen.
c) Das biblische Sprachenreden durfte in der Gemeinde nur eine untergeordnete Rolle spielen
Paulus erläßt in der Autorität Gottes für das Sprachenreden in der Versammlung weitgehende Einschränkungen, die er mit dem Hinweis auf den Zeichencharakter der Sprachen begründet: Sie sind zu einem Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen (Juden). Deshalb durfte das echte Sprachenreden in den Gemeindeversammlungen keine ungebührlich große Rolle spielen, selbst wenn dort gelegentlich ungläubige Juden auftauchten und es auch für die gläubigen Juden noch Aussagekraft hatte.
Paulus erkennt an, daß die damalige Sprachengabe eine gute, göttliche Gabe ist. Er will sie keineswegs verbieten; damit seine Einschränkungen nicht mißverstanden werden, sagt er am Ende: „und das Reden in Sprachen verhindert nicht“ (V. 39). Er will lediglich ihren fleischlich-heidnischen Mißbrauch unterbinden und ihr den begrenzten Platz zuweisen, den sie nach Gottes Willen in den damaligen Gemeinden haben sollte. Deshalb schreibt er vor: „Wenn jemand in einer Sprache reden will, so sollen es zwei, höchstens drei sein, und der Reihe nach, und einer soll es auslegen [= übersetzen]“ (V. 27).
Dieser Aussage, die mit dem Gesamtzeugnis des Kapitels übereinstimmt, wird fast immer der Vers 5 entgegengehalten, der scheinbar dem Sprachenreden einen ganz anderen Stellenwert gibt: „Ich wünschte [gr. thelo de], daß ihr alle in Sprachen reden würdet, noch mehr aber, daß ihr weissagen würdet.“ Wirft Paulus hier seine anderen Aussagen um? Auch hier müssen wir den Textzusammenhang beachten, um den Sinn zu erfassen. Dieser Wunsch ist nicht real und erfüllbar; in 1. Korinther 12 lehrt Paulus, daß Gott die Gaben souverän zuteilt (V. 11+18), und daß nicht alle in Sprachen reden (V. 31).
Was ist dann gemeint? Hier kann uns eine andere Stelle Aufschluß geben: In 1Kor 7,7 schreibt Paulus: „Denn ich wollte [thelo de], alle Menschen wären wie ich [d.h. ehelos], aber jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“. Hier wie in 1Kor 14,5 ist dieser Wunsches offensichtlich nicht realistisch. Paulus gibt den Korinthern nicht das Gebot, daß alle in Sprachen reden sollen, schon gar nicht in der Gemeindeversammlung. Er sagt ihnen: „Ihr könntet meinetwegen ruhig alle in Sprachen reden – und zwar vor ungläubigen Juden! – aber wichtiger wäre mir, daß ihr alle weissagt und die Gemeinde erbaut!“ Wenn sie alle dort in Sprachen reden würden, wo dieses Zeichen hingehörte, nämlich vor ungläubigen Juden, dann wäre dies durchaus positiv – aber nicht in der Gemeinde.
d) Das biblische Sprachenreden mußte in der Gemeinde übersetzt werden
In der Gemeinde durfte nur in Sprachen geredet werden (V. 27), wenn jemand übersetzen konnte, so daß der Sinn der Botschaft den zuhörenden Gläubigen verständlich wurde und sie auch erbaut wurden. Die fast durchweg so genannte „Gabe der Auslegung“ ist von der Grundbedeutung des hier verwendeten Wortes hermèneia eigentlich die Gabe, die Fremdsprachen zu übersetzen. In dieser Bedeutung wird hermèneia bzw. das dazugehörige Verb in der Bibel auch gebraucht, z.B. in Joh 1,42: „du sollst Kephas heißen (das heißt übersetzt: ‚Fels’).“; vgl. auch Joh 9,7; Hebr 7,2. Das Griechischlexikon von Bauer gibt für 1Kor 12,10 und 14,26 die Bedeutung „Übersetzung“ an. Das Verb hermèneuo kann zwar auch „auslegen, erklären“ bedeuten, aber diese Bedeutung trifft nicht den Sinn des biblischen Sprachenredens; es geht von der Vorstellung eines „ekstatischen Stammelns“ aus, dem ein Sinn erst beigelegt werden muß.
So wie das echte biblische Sprachenreden ein sinnvolles Reden in tatsächlich existierenden heidnischen Fremdsprachen war und kein ekstatisches Stammeln geheimnisvoller Silben, so war die ergänzende Gabe der Übersetzung die übernatürliche Fähigkeit, den exakten Sinn einer fremdsprachlichen Rede in der von allen verstandenen Sprache wiederzugeben, ohne daß der Übersetzer die Fremdsprache beherrschte. Das unterscheidet sich kraß von der charismatischen „Auslegung“ von Zungenbotschaften, die zuweilen doppelt so lang wie die Botschaft selbst ist und meist gar nicht beansprucht, eine exakte Übersetzung zu sein.
Weil das oberste Ziel der Gemeindeversammlungen die gegenseitige Erbauung ist, ließ das Wort Gottes keinerlei Sprachenrede in der Gemeinde zu, die nicht übersetzt wurde. Wenn dieses Zeichen schon in der Gemeinde auftrat, dann sollte es übersetzt werden – die Gemeinde stand ja nicht unter der Gerichtsdrohung Gottes, zu ihr redete der Herr ja verständlich; was Gott Israel verhüllt hatte, offenbarte Er der Gemeinde.
e) Der Inhalt der biblischen Sprachenreden
Was war nun eigentlich der Inhalt des echten Sprachenredens in der Urgemeinde? Auch hier finden wir viele rein spekulative Deutungen. Dazu gibt der Begriff „Geheimnisse“ in 1 Kor 14,2 durchaus Anlaß. Sind hier, wie sonst meist im NT, Heilsgeheimnisse Gottes gemeint? Das ist denkbar; vom Zusammenhang her ist es aber naheliegender, daß Paulus hier nur hervorhebt, daß das Gesagte den Zuhörenden verschlossen und geheimnisvoll bleibt, weil sie nichts verstehen.
Wir sollten uns hüten, über die Schrift hinaus alles mögliche in diese Aussage hineinzudeuten; aus der Schrift haben wir lediglich den Anhaltspunkt, daß der Inhalt der Sprachenrede laut Apg 2,11 „die großen Taten Gottes“ waren. Aus den Situationen, in denen es auftrat, scheint sich eher der Charakter einer verkündigenden Aussage abzuzeichnen; nirgends läßt sich belegen, daß der Inhalt des Sprachenredens ein Lobpreis oder Gebet gewesen wäre; dafür benutzt die Schrift andere Worte.
Es wird auch nirgends gesagt, daß durch das echte Sprachenreden prophetische Offenbarungen oder Botschaften vermittelt worden wären, wie dies häufig in Pfingstkreisen üblich ist, wo sich der falsche Geist in der Ich-Rede direkt an die Gemeinde wendet. Wenn Gott in prophetischer Offenbarung zu den Korinthern reden wollte, dann bediente Er sich der Offenbarungsgaben der Prophetie und der Erkenntnis – Er mußte dazu nicht den Umweg über eine Zeichengabe und eine unverständliche Fremdsprache wählen.
Das wird auch in der Abgrenzung deutlich, die Paulus zwischen Sprachenreden einerseits und den erbauenden Beiträgen der Offenbarung, Erkenntnis, Weissagung oder Lehre macht (V. 6). Wenn wirklich, wie oft angenommen wird, die übersetzte Sprachenrede mit Weissagung identisch war, dann ist dieser Gegensatz und die Begrenzung des Sprachenredens nicht ganz verständlich. Wenn in einer Sprachenrede die großen Taten Gottes verkündigt wurden, und dies wurde übersetzt, dann war die Sprachenrede auch für die Zuhörenden erbaulich; dennoch bewertet Paulus das Weissagen entschieden höher als das Sprachenreden. Das Sprachenreden war auf Ungläubige zugeschnitten, das geistgeleitete erbauliche Reden aber entsprach den geistlichen Bedürfnissen der Gläubigen in weitaus höherem Maß.
f) Die biblische Ordnung für das echte Sprachenreden
Paulus gab in 1. Korinther 14 klare, unmißverständliche Anweisungen über den rechten Gebrauch des Sprachenredens in den damaligen Gemeindeversammlungen. Diese Anweisungen sind für die Gemeinden von heute nicht mehr direkt nötig, nachdem das echte Sprachenreden aufgehört hat.
Dennoch sind die inspirierten Aussagen des Apostels zu diesem Thema weiterhin von großem Wert für die endzeitliche Gemeinde, und kein bibeltreuer Gläubiger würde sich anmaßen, wie Charismatiker immer wieder unterstellen, dieses Kapitel für ungültig oder überholt zu erklären. Es enthält wertvolle Lektionen über das allgemeine, erbauliche Weissagen sowie über den Verlauf einer geistgeleiteten Gemeindeversammlung. Zudem finden wir in den Anweisungen des Apostels zum echten Sprachenreden zahlreiche wichtige Hinweise, die das heutige unechte Sprachenreden als Fälschung des Satans bloßstellen.
* Keine Sprachenrede in der Versammlung darf ohne Übersetzung geschehen (V. 27-28). Auch ein Gebet in Sprachen ist laut V. 16-17 nicht zulässig, zumindest, wenn es nicht übersetzt wird! Die pfingstlich-charismatische Praxis setzt sich in vielen Fällen (besonders beim Gebet) über diese eindeutige Anweisung hinweg.
* Es dürfen nicht alle durcheinandersprechen, sondern es soll nur jeweils einer reden (V. 27; vgl. V. 23). Diese Anweisung wird von heutigen Charismatikern, vor allem beim „Sprachengebet“, regelmäßig durchbrochen. Auch der Grundsatz, daß nicht mehr als zwei oder drei Männer eine Sprachenrede in der Gemeindeversammlung bringen dürfen (V. 27), wird immer wieder mißachtet.
* Frauen sollen in der Gemeindeversammlung schweigen; das Wort Gottes erlaubt ihnen nicht, zu reden; ja, es ist schändlich für eine Frau, in der Gemeindeversammlung zu reden (V. 34-35). Dieses klare, ausdrücklich bekräftigte „Gebot des Herrn“ (V. 37-38) ist uneingeschränkt und darf nicht durch willkürliche Umdeutungen aufgelöst werden. Frauen können außerhalb der Gemeindeversammlungen weissagen im Sinn der einfachen, allgemeinen prophetischen Rede (vgl. 1Kor 11,2-16, sowie das Beispiel der Töchter des Agabus in Apg 21,9, die offensichtlich im häuslichen Rahmen weissagten und nicht in einer Gemeindeversammlung). Der prophetische Offenbarungsdienst bleibt dagegen, wie alle Dienstgaben in der Gemeinde nach Eph 4,11, ausschließlich Männern vorbehalten. Wenn also in charismatischen Versammlungen, wie dies durchgängig praktiziert wird, Frauen laut in Sprachen beten oder „Sprachenbotschaften“ und „Prophetien“ weitergeben, so steht dies im Gegensatz zum Wort Gottes.
Nach dem Grundsatz, daß der wahre Heilige Geist in all Seinem Wirken in völliger Übereinstimmung mit der von Ihm inspirierten Schriftoffenbarung steht, entlarven die beständigen und weltweit verbreiteten Verstöße des pfingstlich-charismatischen Zungenredens gegen 1. Korinther 14 den Geist, der dort wirkt, als Irrgeist.
4. Das biblische Sprachenreden – Gebetssprache und Mittel der Selbstauferbauung?
Wir haben am Anfang dieses Kapitels gesehen, daß die angeblichen „erbaulichen“ Wirkungen des charismatischen Sprachenredens eines der stärksten Argumente der Anhänger dieser Bewegung für die Fortexistenz dieser Gabe darstellen. „Gerade in der Endzeit mit ihrem Dämonenwirken brauchen doch alle Christen dringend übernatürliche Erbauung“ – das leuchtet vielen ein, so daß sie an die Fortexistenz der Gabe glauben wollen, um in Besitz dieser phantastischen Erbauungsquelle zu kommen.
Darauf sollte jeder in der Schrift gegründete Christ antworten: „Selbst wenn das damalige Sprachenreden eine Quelle der Selbsterbauung gewesen wäre, bleibt die Tatsache bestehen, daß Gott diese Gabe hat aufhören lassen. Wir haben ja andere, höchst wirksame Quellen der Erbauung – das Gebet und das Wort Gottes. In Christus haben wir volle Genüge und die Fülle, auch wenn diese Gabe nach Gottes Willen weggefallen ist“. Aber es ist vielleicht für manche Gläubige wichtig, die Behauptungen der Charismatiker näher zu prüfen und festzustellen, was die Schrift zu diesem Thema eigentlich sagt.
a) War das biblische Sprachenreden als Mittel zur Selbsterbauung gedacht?
„Wer in einer [fremden] Sprache redet, erbaut sich selbst; wer aber weissagt, erbaut die Gemeinde.“ (V. 4)
Das ist der Schlüsselsatz, auf dem fast alle Lehren der Charismatischen Bewegung über das „Sprachengebet“ aufgebaut sind. Das Wunderbare am Sprachenreden (bzw. Beten in Sprachen, wie sie es verstehen) ist, so verkünden sie, daß man sich selbst damit auferbauen kann! Das Wort Gottes sagt es! Wenn wir nun aber dieses Wort ganz nüchtern in seinem Sinnzusammenhang betrachten, kommen wir zu anderen Ergebnissen.
Aus dem Zusammenhang der ganzen Argumentation in 1. Korinther 14 erkennen wir, daß die Äußerung des Paulus „Wer in einer Sprache redet, erbaut sich selbst“ einen tadelnden Unterton hat und auf einen Mißbrauch der Gabe des Sprachenredens hinweist, die doch wie alle Gaben zur Erbauung des Ganzen und damit der anderen gegeben wurde. Schon das sprachliche Bild des „Aufbauens“ weist eher auf ein Arbeiten an etwas außerhalb von sich selbst hin, auf eine gemeinsame Arbeit an einer gemeinsamen Sache. In diesem Sinn wird das Wort auch fast durchgängig im NT verwendet.
Im Gegensatz zum eigensüchtigen Gebrauch des Sprachenredens hebt das Wort Gottes den Vorzug des allgemeinen Weissagens hervor: „Wer aber weissagt, erbaut die Gemeinde.“ Paulus will eben nicht, daß sich die Korinther mit der Sprachenrede „selbst erbauen“ – er will, daß sie mit dem Weissagen die anderen erbauen. Es ist ein trauriges Zeugnis für die fleischliche, selbstbezogene Gesinnung vieler Christen, daß sie gerade durch die tadelnde Bemerkung „…der erbaut sich selbst“ dazu angeregt werden, sich nach dem charismatischen Sprachenreden auszustrecken. Die Liebe, die wahre geistliche Gesinnung, sucht nicht das Ihre, sondern das der anderen!
Paulus wollte also mit diesem Satz nicht auf angebliche geheimnisvolle „auferbauende“ Eigenschaften des Sprachenredens hinweisen, sondern er tadelt die ichbezogene Haltung der sprachenredenden Korinther, die sich selbst statt die Gemeinde aufbauen wollten. Solche „selbsterbauenden“ Eigenschaften wären auch mit der Tatsache unvereinbar, daß das Sprachenreden eine Zeichengabe war. Das Zeichen wirkt nicht am Sender, sondern am Empfänger! Das biblische Sprachenreden wirkte zur Auferbauung der Gemeinde mit, indem es ungläubigen Juden den Übergang des Heils zu den Heiden bezeugte; es war ein Signal nach außen und keine magisch funktionierende Kraftquelle nach innen.
In den folgenden Versen legt Paulus den Korinthern dar, weshalb Gott kein unverständliches Reden in der Gemeinde will (V. 5-11). Gott möchte in verständlicher Sprache zu Seiner Gemeinde reden. Er hat den Gläubigen den Sinn des Christus gegeben, Seinen Heiligen Geist, damit sie wissen und verstehen sollen, was ihnen geschenkt ist (1Kor 2,12).
Das Reden in unverständlicher Sprache war ein Gericht über die Juden, die nicht hören wollten. Für diejenigen, die gehört haben und Christus aufgenommen haben, hat Gott Sein logisches, verständliches, geläutertes Wort als Nahrung bereit, damit sie auferbaut werden, d.h. zunehmen in der Vollerkenntnis des Christus und damit verständig, mündig und erwachsen werden in Christus.
Alle Gaben waren zu dem einen Zweck gegeben, die Gemeinde zu erbauen. Auch die Sprachengabe sollte nur so gebraucht werden, daß sie zur Erbauung mitwirkte (vgl. V. 5 und V. 12). Die Konsequenz daraus ist: „Darum [weil wir zur Erbauung der Gemeinde überströmend sein sollen], wer in einer Sprache redet [gr. lalein], der bete, daß er es auch auslegen [= übersetzen] kann“ (V. 13). Wenn also schon ein Korinther in Sprachen reden wollte, so sollte in jedem Fall auch eine Übersetzung erfolgen, damit die Gemeinde mitbekam, was gesagt wurde – sonst wurden die anderen überhaupt nicht erbaut, und das Sprachenreden wirkte störend. Deshalb gebietet Paulus in V. 28: „Ist aber kein Ausleger [= Übersetzer] da, so schweige er [der Sprachenredner] in der Gemeinde; er mag aber für sich selbst [d.h. im Stillen] und für Gott reden“.
b) Möchte Gott, daß wir in Sprachen beten?
Nun wechselt Paulus zu einem anderen Aspekt des Themas. Bisher hat er über die falsche Angewohnheit der Korinther gesprochen, unverständliche Sprachenreden in der Versammlung zu bringen. Aber es gab wohl auch Korinther, die die Sprachenrede zum Gebet in der Gemeinde benutzten, und offensichtlich war sich die Gemeinde unklar darüber, ob das richtig sei. Die Aussagen des Apostels sind von verschiedenen Auslegern recht unterschiedlich verstanden worden. Viele, auch nichtcharismatische Ausleger nehmen an, Paulus unterscheide hier zwischen einem „Beten/Singen im Geist“ und einem „Beten/Singen mit dem Verstand“. Vom Textzusammenhang her ist diese Deutung jedoch nicht überzeugend.
Paulus will mit seinen Belehrungen in den Versen 14-17 den Korinthern zeigen, daß der Gebrauch unverständlicher Sprachen beim Gebet verfehlt und unsinnig ist. Deshalb sagt er: Wenn ihr in Sprachen redet (nicht betet!), dann soll euer Gebet dabei darin bestehen, daß ihr die Sprachen auch übersetzen könnt, damit sie für die Gemeinde verständlich werden. Dagegen sollten die Sprachen nicht zum Gebet benutzt werden:
„Denn wenn ich in einer [fremden] Sprache bete, so betet zwar mein Geist [gr. to pneuma mou], aber mein Verstand [gr. nous = Verstand, geistliches Erkenntnisvermögen, Urteilskraft, Sinn, Gesinnung] ist fruchtlos [gr. akarpos].“ (V. 14)
Hier haben wir einen Schlüsselvers zum Verständnis der Frage des „Sprachengebets“. Paulus gibt hier ein hypothetisches Beispiel, um die Sinnlosigkeit eines Betens in Sprachen zu veranschaulichen: Angenommen, ich bete in einer fremden Sprache – dann betet nur mein Geist.
Das griechische Wort für Geist, pneuma, kann verschiedenes bedeuten, u.a. Wind, Hauch, Lebensatem, Geist des Menschen, Geist Gottes, böser Geist. In diesem Vers ist die Bedeutung klar: es handelt sich um den Geist des Menschen, also die höchste Ebene der Persönlichkeit, den Sitz des Bewußtseins (vgl. 1Kor 2,11) und zugleich auch das Organ, durch das der wiedergeborene Mensch Gemeinschaft mit Gott hat. Diese Gemeinschaft bezieht sich auf den Empfang von göttlicher Leitung durch den Heiligen Geist (vgl. Röm 8,16) wie auch auf das Senden von Gebeten zu Gott.
Es ist von großer Bedeutung, daß in 1. Korinther 14 an fast allen Stellen, an denen im Griechischen pneuma steht, der Geist des Menschen und nicht der Heilige Geist gemeint ist. In mehreren englischen Bibelübersetzungen (z.B. die King James Version), in denen der Geist Gottes (Spirit) vom Geist des Menschen (spirit) durch die Großschreibung unterschieden ist, findet sich in 1. Korinther 14 durchgängig nur „spirit“ für den Geist des Menschen, der beim Reden und Beten tätig ist – geleitet durch den Heiligen Geist.
Beim Gebet betet der Geist des Menschen, nicht der Heilige Geist
Im Falle des Sprachenredens ist der Geist des Menschen beteiligt, weil er die Impulse des Heiligen Geistes aufnimmt und in gesprochene Sprache umsetzt. Viele meinen unwillkürlich, beim Gebet würde der Geist Gottes beten, aber die Bibel lehrt hier, daß es die Person des Menschen, sein Geist ist, der betet – der Heilige Geist leitet die Gedanken beim geistlichen Gebet, aber der Geist, die Person des Menschen betet selbst. Das ist wichtig, denn das Gebet soll ja nach dem Willen Gottes der bewußte Dialog zwischen dem Schöpfer und dem erlösten Geschöpf sein – gerade um solcher bewußter Gemeinschaft willen hat Gott den Menschen in Seinem Bild, mit Bewußtsein und freiem Willen erschaffen.
Dem echten Wirken des Heiligen Geistes ist alles Diktierende, Mechanische fremd; der wahre Geist Gottes leitet den Geist des Menschen und seinen Verstand, Er erneuert ihn, prägt und erleuchtet ihn und gebraucht ihn, aber Er umgeht oder überfährt ihn nicht. Ebensowenig wie der Geist Gottes die Persönlichkeit der Schreiber der heiligen Schriften ausgeschaltet hat, sondern ihnen die Worte Gottes in einer Weise eingab, die in vollem Einklang mit ihrer Person stand und ihren Verstand mit einbezog, statt ihn auszuschalten, ebenso wirkt der Heilige Geist auch im Gebet nicht so, daß Er den Betenden nur als passives Sprechwerkzeug benutzen würde, sondern Er regt den Geist des Menschen an und leitet ihn, Gebete vor Gott zu bringen. Es ist der Mensch, der betet, geleitet durch den Heiligen Geist, und nicht der Heilige Geist selbst.
Beim Gebet soll der Verstand nicht ausgeschaltet, sondern immer beteiligt sein
Paulus sagt nun etwas über das Beten in Sprachen, das oft mißverstanden wird. Es ist ein gewichtiges Aber, das er folgen läßt: Beim Gebet in Sprachen betet zwar mein Geist – „aber mein Verstand ist fruchtlos“. Diese Eigenschaft des „Sprachengebets“ wird von Charismatikern als eine echte Errungenschaft, als eine Segnung angesehen: Der Verstand ruhe aus, werde gedemütigt, beiseitegestellt, und das sei gut so, denn er sei ohnehin ein Hindernis in unserem Glaubensleben. Von dieser Verstandesfeindlichkeit zeugen auch die suggestiven Losungen, die oft beim Empfang der „Geistestaufe“ ausgegeben werden: „Schalte deinen Verstand aus, laß dich fallen…“
Wie aber sieht das Wort Gottes den Verstand? Interessanterweise findet sich kein einziger Fall in NT, wo der Begriff nous in einem solchen abwertenden Sinn als bloß menschlicher Verstand, trockene Ratio o.ä. gebraucht würde. Er bezeichnet vielmehr das geistliche Verständnis und Erkenntnisvermögen der Wiedergeborenen, die geistliche Gesinnung. Von Jesus Christus heißt es in Lk 24,45, daß er den Jüngern das Verständnis (nous) öffnete – er gab ihnen nicht den Rat, es auszuschalten!
In Röm 12,2 zeigt Paulus, worum es Gott bei den Wiedergeborenen geht: Unser Sinn, unser geistliches Verständnis und Erkenntnisvermögen soll erneuert werden, damit der Gläubige mündig wird und selbst unterscheiden kann (und zwar mithilfe des Verstandes), was der Wille Gottes ist. Wie wichtig der erneuerte, wache, bewußte Verstand im Wort Gottes ist, zeigen auch Stellen wie Offb 13,18 und 17,9, 2Th 2,2, Eph 4,23, bis hin zu dem Wort aus 1Kor 2,16: „Wir aber haben den Sinn (gr. nous) des Christus“. Unser geistliches Erkenntnisvermögen und Verständnis ist ein wichtiges Organ unseres geistlichen Lebens, das Gott nicht ausschalten, sondern erneuern und gebrauchen will!
Auch die Betrachtung des Wortes akarpos (= unfruchtbar, keinen Ertrag bringend, fruchtlos, keinen Nutzen bringend) hilft uns, den Sinn dieses Satzes besser zu verstehen. Es wird im NT ausschließlich übertragen verwendet, und zwar in einem ausgesprochen negativen Sinn. Der in die Dornen gesäte Same des Wortes bringt keine Frucht (Mt 13,22; vgl. Mk 4,19); wir sollen nicht Gemeinschaft haben mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis (Eph 5,11); die Gläubigen sollen nicht fruchtlos sein, sondern gute Werke tun (Tit 3,14; vgl. 2Pt 1,8); die endzeitlichen falschen Lehrer und Propheten werden beschrieben als „unfruchtbare [akarpos] Bäume, zweimal erstorben und entwurzelt“ (Jud 12), was uns an den unfruchtbaren Feigenbaum erinnert, den der Herr verfluchte (Mt 21,18-19).
Es ist also keineswegs eine harmlose oder gar wünschenswerte Sache, wenn unser geistliches Verständnis beim Beten in Sprachen fruchtlos ist – ein solcher Zustand ist vielmehr verwerflich und nicht im Willen Gottes! Das geht auch aus der weiteren Belehrung des Paulus klar hervor. Bei den Charismatikern heute besteht wie bei den Korinthern damals die Neigung zu einer mystisch-heidnischen Abwertung des Verstandes, des klaren geistlichen Bewußtseins gegenüber dem Geheimnisvollen, Unbewußten, magisch Wirkenden. Hier geht die Tür auf für den Einfluß falscher Geister. Alle Überredung zum Ausschalten des Verstandes, zum Sich-Fallenlassen, zur Öffnung der Seele für Übersinnliches und Krafteinflüsse von außen signalisieren, daß hier nicht der Geist Gottes, sondern verführerische, dämonische Mächte am Wirken sind. Es zeigt sich also, daß sich Paulus gegen ein Beten in fremden Sprachen ausspricht mit der Begründung, daß dabei das geistliche Verständnis und Erkenntnisvermögen des Betenden ausgeschaltet ist und damit fruchtlos, ohne Ertrag bleibt. Diese Auslegung bestätigt sich in den folgenden Versen.
Geist und Verstand sollen beim Gebet und Gesang zusammenwirken
„Wie soll es nun sein? Ich will mit dem Geist [gemeint ist: mit meinem Geist, vgl. V. 14] beten, ich will aber auch mit dem Verstand [nous; gemeint ist: mit meinem Verstand] beten; ich will mit dem Geist [= mit meinem Geist] lobsingen, ich will aber auch mit dem Verstand [= mit meinem Verstand] lobsingen.“ (V. 15)
Dieser Vers wird oft als Begründung für die Behauptung angeführt, das Wort Gottes befürworte ein „Beten im Geist“ und ein „Singen im Geist“, wobei damit Beten und Singen in Sprachen gemeint sei. Dies wird von einigen Bibelübersetzungen noch unterstützt, die übersetzen „Ich will beten im Geist“, obwohl im Grundtext nicht en steht, sondern ein instrumentaler Dativ (to pneumati = mit dem Geist, durch den Geist). Es gibt ein Beten im Heiligen Geist, in der Kraft des Heiligen Geistes (vgl. Jud 20: en pneumati hagio), aber hier ist, wie aus V. 14 eindeutig klar wird, der menschliche Geist gemeint. Paulus sagt also sinngemäß: „Ich will mit meinem Geist beten, aber ich will auch meinen Verstand beim Beten mit beteiligen; ich will mit meinem Geist lobsingen, aber ich will auch meinen Verstand beim Lobsingen mitwirken lassen“.
Dieses Wort zeigt, daß beim normalen, verständlichen Gebet zwei menschliche Faktoren mitwirken: der Geist als Empfänger von Impulsen des Heiligen Geistes und Organ der innersten geistlichen Regungen des Menschen, und der Verstand oder das geistliche Bewußtsein und Verständnis. Paulus sagt nun etwas sehr Wichtiges. Er zeigt, daß beim Gebet immer beide Faktoren, Geist und Verstand, beteiligt sein sollen. Er sagt nicht: „Ich will manchmal mit meinem Geist (das hieße in Sprachen) beten, und ein andermal mit dem Verstand“, sondern er sagt: Wenn ich bete, dann sollen mein Geist und mein Verstand beteiligt sein! Ein Gebet, in dem der Verstand unfruchtbar bleibt, ist kein gutes und kein Gott wohlgefälliges Gebet.
Das Wesen des echten Gebetes
Das gilt nicht nur für das Gebet in der Gemeinde (vgl. V. 16-17), sondern grundsätzlich und gerade auch für das persönliche Gebet zu Gott. Wenn wir uns das Wesen und den Sinn des Gebetes vor Augen halten, so ist es doch ein Ausdruck der bewußten, persönlichen Beziehung des Gläubigen zu Gott. Gott hat den Menschen mit Bewußtsein und Erkenntnisvermögen geschaffen, weil Er mit ihm in eine bewußte, auf Liebe und Erkenntnis beruhende Beziehung treten wollte. „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3).
Der Gläubige ist ein Kind Gottes, göttlicher Natur teilhaftig (2Pt 1,4), ihm ist durch den Heiligen Geist Erkenntnis und Weisheit gegeben, „damit wir wissen [od. erkennen] können, was uns geschenkt worden ist“ (1Kor 2,12). Gott hat sich selbst, Seine Heilsgedanken und Seinen Willen, die Herrlichkeit Jesu Christi und die Vorrechte der Gemeinde uns in klaren, verständlichen Worten offenbart. Weshalb sollten wir dann in unverständlichen Worten zu Ihm reden, als bewußtlose Sprechautomaten, die nicht wissen, was sie sagen? Das ist ein Zerrbild wahrer Kommunikation zwischen Gott und Mensch.
Gott möchte, daß wir uns als bewußte Persönlichkeit im Gebet an Ihn wenden, als solche, die wissen, was ihnen geschenkt wurde, und die Ihn aus diesem geistlichen Verständnis heraus anbeten, preisen und loben, Ihm Dank und Liebe darbringen. All dies ist nur in einer verständlichen Sprache möglich, in der der Erlöste bewußt ausdrücken kann, was ihn bewegt. Was würden wir sagen, wenn eine Verlobte ihrem Bräutigam ihre Liebe mit auswendiggelernten altägyptischen Wortfetzen ausdrücken wollte, die sie selbst nicht versteht? Wie schrecklich war die Lage der katholischen Heiden, die im „Gottesdienst“ ihrer Kirche nur auswendiggelernte lateinische Worte dahersagten und denen der wahre Sinn des Evangeliums verborgen blieb. Konnte Gott an solchem Geplapper Gefallen haben?
Gott möchte nicht, daß der Gläubige sich im Gebet zu einem bewußtlosen Sprecher unverstandener Worte macht, und seien es auch wirklich geistinspirierte Worte wie beim damaligen Sprachenreden in Korinth. Er weiß ja schon, was wir bedürfen, bevor wir Ihn bitten – weshalb sollten wir dann Gebete in einer Geheimsprache vor Ihn bringen, deren Inhalt wir nicht kennen? Wenn Er möchte, daß wir in der Angelegenheit beten, kann Er uns alles Nötige auch bewußt mitteilen. Dafür braucht es kein „Sprachengebet“.
Wenn Charismatiker behaupten, die menschliche Sprache reiche nicht aus, um Gott recht zu erfassen und anzubeten, so sollten wir dieser sehr „geistlich“ klingenden Begründung die Tatsache entgegenhalten, daß das Wort Gottes voll ist von geistinspirierter Anbetung Gottes in verständlicher Sprache. Das, was wir von Gott erkennen können, hat Er uns in verständlicher Sprache geoffenbart. Deshalb kann Paulus etwa im Epheserbrief die tiefsten Offenbarungen des Gnadenreichtums Gottes der Gemeinde mitteilen, um anschließend in spontane Anbetung Gottes überzugehen.
Anbetung ist wesensmäßig mit geistlicher Erkenntnis und Klarheit verbunden, nicht mit mystisch-magischen Praktiken des Unbewußten. Deshalb finden wir auch keinerlei Andeutung in der ganzen Heiligen Schrift, daß Menschen in einer unverständlichen Sprache Gott angebetet hätten. Gott will, daß beim Beten Geist und Verstand immer zusammenwirken; er will gerade kein Gebet, bei dem nur der Geist des Beters beteiligt ist.
„Geistliche Lieder“ sind verständliche Lieder und nicht „Sprachengesänge“
Dieser Grundsatz gilt ebenso für das Singen – offensichtlich gab es in Korinth auch schon „Sprachengesänge“. Auch bei dieser Form des Lobpreises betont Paulus, daß der Geist und der Verstand des Singenden gleichermaßen beteiligt sein sollen – er will mit seinem Geist und mit seinem Verstand singen. Charismatische Ausleger (und nicht nur sie) haben aus dem „Singen mit meinem Geist“ ein „Singen im Heiligen Geist“ gemacht, obwohl das aus dem Textzusammenhang von V. 14-17 ausgeschlossen ist, und dann eine Beziehung zu den „geistlichen Liedern“ aus Eph 5,19 und Kol 3,16 hergestellt. Die „geistlichen Lieder“, so argumentieren sie, seien Sprachengesänge gewesen.
Aber ein Singen nur mit dem eigenen Geist, ohne die Beteiligung des Verstandes ist nach Gottes Wort gerade nicht geistlich, sondern verkehrt, und die in der Bibel erwähnten geistlichen Lieder sind einfach Lieder, die geistlichen Gehalt haben, wie sie in der Geschichte der Gemeinde immer wieder die Gläubigen bereichert und auferbaut haben – gerade weil sie in verständlicher Sprache geschrieben wurden! Deshalb heißt es in Eph. 5,19 auch: „Redet zueinander mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern“ – dieses Zueinander-Reden hätte ja keinen Sinn, wenn die „geistlichen Lieder“ unverständliche Sprachengesänge gewesen wären.
Und das „Beten im Geist“ aus Eph 6,18 (gr. en pneumati) ist, wie aus dem Textzusammenhang und der Parallele zu Jud 20 ersichtlich ist, beidesmal ein Beten in der Kraft des Heiligen Geistes. Paulus zeigt übrigens, daß er damit ein Beten mit Bewußtsein in verständlicher Sprache meint, indem er einige Anliegen nennt, für die die Epheser in der Kraft des Geistes beten sollten (vgl. den sinngemäßen Bezug zu Gal 5,16.25: Wandel in der Kraft des Geistes). Der Schlüssel zum Verständnis dieses wichtigen Verses liegt darin, daß wir uns vor Augen halten, daß Paulus hier mit „Beten/Singen mit dem Geist“ nicht den Heiligen Geist meint, dem er den Verstand gegenüberstellen würde (als ein „geistloses“ Beten, was widersinnig wäre), sondern daß er davon spricht, daß der Geist des Menschen und der Verstand des Menschen gleichermaßen bei jedem Gebet und geistlichen Lied beteiligt sein müssen.
Die Unsinnigkeit eines Sprachengebets in der Gemeindeversammlung
„Sonst, wenn du mit dem Geist [to pneumati = mit deinem Geist, vgl. V. 14f.] den Lobpreis sprichst, wie soll der, welcher die Stelle des Unkundigen einnimmt, das Amen sprechen zu deiner Danksagung, da er nicht weiß, was du sagst? Du magst wohl schön danksagen, aber der andere wird nicht erbaut.“ (V. 16f.)
Nun richtet Paulus seinen Blick besonders auf die Situation in der Gemeindeversammlung. Wenn jemand seine Danksagung in fremden Sprachen darbringen wollte, so würde er zwar mit seinem Geist danksagen, aber alle die, die die Sprache nicht verstehen können, würden zu Unkundigen gemacht, zu Uneingeweihten, die das Gebet weder verstehen noch mit einem Amen bekräftigen könnten. Solch eine „Gebetspraxis“ lehnt Paulus hier klar ab! Nach der unmißverständlichen Lehre von Paulus sind Sprachengebete, die nicht übersetzt werden, in der Gemeindeversammlung nicht zulässig. Der falsche Geist der Charismatischen Bewegung zeigt sein wahres Gesicht auch hier, indem er gegen diese Anweisung aus Gottes Wort ständig verstößt, was der Heilige Geist nie tun würde.
Wir haben also gesehen, daß der Apostel Paulus sich mit gottgegebener Autorität gegen ein Beten und Singen in Sprachen ausspricht, und zwar grundsätzlich, weil dabei das geistliche Verständnis unfruchtbar bleibt und damit keine echte Gemeinschaft mit Gott möglich ist, und speziell auch in der Gemeindeversammlung, wo noch der Umstand hinzukommt, daß die anderen Gläubigen das Gebet nicht verstehen und sich als Gemeinde nicht mit ihm einsmachen können.
Der wahre Sinn der Aussagen von 1. Korinther 14 ist durch eine unbiblische, ekstatisch verbogene Auffassung des Sprachenredens vernebelt worden. Dieses Mißverständnis hat dazu geführt, daß die Warnungen und Lehren des Wortes Gottes vielfach nicht recht erkannt und beherzigt werden, so daß Gläubige sich dem gefälschten charismatischen Sprachenreden öffnen in der irrigen Auffassung, es sei „biblisch“. Eine genaue und nüchterne Auslegung dieses Schriftabschnittes erweist jedoch das Gegenteil und legt den wahren Charakter des pfingstlich-charismatischen Sprachenredens bloß.
C. Das Wesen des charismatischen „Zungenredens“
Das biblische Sprachenreden, so hat unsere Untersuchung gezeigt, war eine heilsgeschichtliche Zeichengabe, ein übernatürliches Reden in heidnischen Fremdsprachen zu ungläubigen Juden, denen Gott zeigen wollte, daß das Heil von ihnen weggenommen und den Heiden gegeben würde. Es war eine gute, göttliche Gabe – aber sie wurde, wie alle Gaben, „gemäß dem Nutzen“ (1Kor 12,7 wörtlich) gegeben, so wie es Gott nützlich erschien. Als ihr Zweck erfüllt war, hörte diese Gabe, wie es das Wort Gottes angekündigt hatte (1Kor 13,8), auf zu existieren. Wie müssen wir vor diesem Hintergrund das im 20. Jahrhundert aufgetretene pfingstlich-charismatische Zungenreden beurteilen?
1. Das charismatische „Zungenreden“ ist andersartig als das biblische Sprachenreden
1. Daß das pfingstlerische Dogma vom „Zungenreden“ als notwendigem Zeichen des Geistempfangs unbiblisch ist, geben heute auch viele Charismatiker zu. Die Bibel lehrt, daß jeder Gläubige den Heiligen Geist in dem Moment empfängt, in dem er glaubt (Gal 3,14), und daß er damit auch durch den Geist in den Leib Christi hineingetauft wird (1Kor 12,13). Paulus bezeugt für die Apostelzeit, als es noch echtes Sprachenreden gab, daß nicht jeder Gläubige in Sprachen redet (1Kor 12,30). Das biblische Sprachenreden war nicht als Zeichen der Wiedergeburt gedacht, sondern als heilsgeschichtliches Zeichen an Israel.
Dagegen ist das charismatische Sprachenreden ein Zeichen dafür, daß Gläubige einen andersartigen Geist empfangen haben, den sie bei ihrer Bekehrung nicht empfingen (2Kor 11,4). Die echten Gnadengaben empfängt der Gläubige beim Empfang des Geistes im Augenblick der Wiedergeburt. Das ist die Aussage von 1. Korinther 12: Sobald wir in den Leib kommen, weist Gott uns unsere „Gabenfunktion“ im Leib zu, nicht erst später.
Kein Gläubiger hat jemals das charismatische Zungenreden bei seiner Bekehrung empfangen – es sei denn, daß er sich unter der direkten Einwirkung des falschen Geistes dieser Bewegung bekehrt hätte. Das Zungenreden tritt erst in dem Augenblick auf, wo irregeleitete Gläubige sich nach der „Geistestaufe“ ausstrecken oder unter den Einfluß des Irrgeistes kommen. Diese „Gabe“ ist daher im Regelfall ein Anzeichen für den Empfang eines dämonischen Geistes der Verführung.
2. Das charismatische Sprachenreden wird vor allem als Mittel zur „Selbstauferbauung“ für die Gläubigen angepriesen. Es sei eine wirkungsvolle Quelle der Heiligung, der Befreiung von angeblichen dämonischen Belastungen, eine Quelle der Kraft, es führe in die Gegenwart Gottes, verleihe Vollmacht usw. Das biblische Sprachenreden war dagegen eine Zeichengabe, die in erster Linie gegenüber ungläubigen Juden praktiziert und gerade nicht im Gebet verwendet werden sollte.
Es ist typisch für Irrlehren, daß hier auf einem einzigen Satz, der zudem in seinem ursprünglichen Sinn völlig verdreht wird, eine Fülle von Behauptungen aufgebaut wird, die nirgends in der Bibel belegt sind. Wenn das Sprachenreden eine so wichtige und vielseitige Quelle der Auferbauung wäre, so hätte die Bibel dies ausführlich auch an anderer Stelle dargelegt und das Beten in Sprachen ausdrücklich empfohlen.
Wer selbst Erfahrungen mit der Charismatischen Bewegung gemacht hat, muß zugeben, daß der verheißenen Befreiung von Ängsten, Groll und fleischlichen Regungen bei den Sprachenrednern eine ganz andere Realität gegenübersteht: Angst, Unvergebenheit, fleischliche Gebundenheiten, sündige Gedanken, Rebellion usw. gehören zum traurigen Alltag charismatischer Gläubiger. Wohl werden manche täuschenden Gefühle und Erlebnisse berichtet, aber die Früchte dieser Gabe strafen die charismatischen Lehrer Lüge; sie sind ganz gewiß nicht die Früchte des Heiligen Geistes. Dagegen sind nicht selten Hochmut, Lästergedanken, Depressionen und dämonische Einflüsse bei solchen zu beobachten, die sich dem charismatischen Geist geöffnet haben und sein Sprachenreden praktizieren.
Die Behauptung, das „Sprachengebet“ sei eine ganz besonders hohe Stufe des Gebets, ja, die höchste Form der Gemeinschaft mit Gott, legt den mystisch-heidnischen Charakter dieser Lehre bloß. Die Vorstellung, der Gläubige sei Gott besonders nahe, wenn er Dinge ausspreche, von denen er nichts weiß, ist dem Wesen Gottes und der ganzen Aussage der Heiligen Schrift zutiefst fremd.
Gott will bewußtes Gebet, das auf der Erkenntnis des Christus und Seiner Gnade beruht und die ganze Persönlichkeit des Gläubigen mit einbezieht. Nur Dämonen mißbrauchen Menschen als bewußtlose, willenlose Werkzeuge und Kanäle von Botschaften. Gott hat den Menschen mit Bewußtsein und Willen geschaffen, und der Heilige Geist bezieht immer Bewußtsein und Willen des Menschen in Sein Wirken ein (vgl. 1Kor 14,32).
3. Das charismatische „Zungenreden“ besteht (wie auch jeder Charismatiker zugeben muß) zu etwa 90% aus ekstatischem Stammeln, das keiner existierenden menschlichen Sprache zugeordnet werden kann, während das biblische Sprachenreden ausschließlich aus realen heidnischen Fremdsprachen bestand (Apg 2; 1Kor 14,21), die in der Gemeinde übersetzt werden sollten, damit der klare Sinn des Gesagten den anderen verständlich war.
4. Das charismatische Sprachenreden wird in den Gemeinden als Mittel für prophetische Botschaften verwendet, die durch „Auslegung“ der Sprachenrede entstehen (und nicht selten bedeutend länger sind als die eigentliche Sprachenrede). Im Wort Gottes wird nirgends gesagt, daß das echte Sprachenreden prophetische Offenbarungen oder Botschaften an die Gemeinde enthalten habe; dies stünde auch im Widerspruch zu seiner Funktion als Zeichen für ungläubige Juden.
Die charismatische Praxis weist, wie Ralph Shallis gezeigt hat, starke Parallelen zur heidnischen Prophetie der „Mantik“ auf, wie sie z.B. in den delphischen Orakeln praktiziert wurde: Ein dämonisches Medium, die Phythia, wurde durch aufsteigenden Rauch in Trance versetzt und äußerte rätselhafte, unartikulierte Laute, eine Art dämonischen Sprachenredens. Diese „geistinspirierte“ Botschaft wurde dann von einem Propheten in verständlicher Sprache ausgelegt, wobei die „Auslegung“ keine wörtliche Übersetzung war, sondern eine freie Ausdeutung der „Sprachenbotschaft“. Diese heidnischen Praktiken sind weit entfernt von biblischer Prophetie als einem direkten, klaren geistgeleiteten Reden.
Fernand Legrand hat zur Prüfung einmal ein in schottischem Akzent gesprochenes Vaterunser und zwei pfingstlerische Sprachenbotschaften auf Tonband aufgenommen und andere Pfingstler um eine „Auslegung“ gebeten. Nicht nur verwandelten sie das Vaterunser in eine Botschaft der Ermutigung, ihre „Auslegung“ der Sprachenbotschaft war völlig unterschiedlich von der (ebenfalls aufgenommenen) ursprünglichen Auslegung. Legrand berichtet auch von einem Missionar, der in einem Gottesdienst ein Dankgebet in einer afrikanischen Sprache sprach, worauf ein Gemeindemitglied in dem Glauben, es sei eine Sprachenrede, eine „Auslegung“ dazu lieferte, die natürlich mit dem Inhalt des Gebetes überhaupt nichts zu tun hatte. Die charismatische „Auslegung“ von Sprachenreden beruht entweder auf seelischem Selbstbetrug oder auf betrügerischer Falschinspiration; sie ist etwas anderes als die von der Bibel geforderte Übersetzung des Sprachenredens.
2. Das charismatische Sprachenreden stammt von einem betrügerischen Geist
Wenn wir dem Gebot Gottes nachkommen wollen: „Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind“ (1Joh 4,1), dann müssen wir davon ausgehen, daß der wahre Heilige Geist sich völlig und in allem an das hält, was Er selbst in Seinem Wort niedergeschrieben hat; als Geist der Wahrheit wird Er niemals im Widerspruch zur Heiligen Schrift handeln. Dagegen wird ein irreführender, falscher Geist daran erkannt, daß er – obwohl er sich zum Zweck der Täuschung einen biblischen Anstrich geben kann – letztlich gegen das Wort Gottes verstößt.
Nach diesem Maßstab müssen wir sagen, daß das charismatische Sprachenreden ein grundlegend anderes ist als das in der Heiligen Schrift bezeugte. Sein Ursprung liegt letztlich in einer falschgeistigen Irreführung; es ist keine Gnadengabe Gottes, sondern eine dämonische Fälschung.
Dabei mag es im Einzelfall sein, daß das Sprachenreden einfach seelischen Ursprungs ist, ein sinnloses Geplapper, entstanden in der Seele, vielleicht aus dem Wunsch heraus, auch „dazuzugehören“. Aber wir müssen davon ausgehen, daß vielfach irreführende Geister die Zunge von charismatischen Gläubigen dazu gebrauchen, um dämonisch inspirierte Botschaften, Lästerungen und sogar Satansanbetung auszusprechen. Der Widersacher wird, wenn er Gläubige soweit gebracht hat, sich einem falschen Geist zu öffnen, die Gelegenheit bestimmt nicht versäumen, den Namen des Herrn zu lästern und zu schänden und seinen dringendsten Wunsch zu befriedigen (vgl. Mt 4,9; 1Kor 12,3).
Hier müssen wir eine ernste Warnung an alle aussprechen, die sich leichtfertig dem pfingstlich-charismatischen Geist öffnen! Immer wieder wird bezeugt, daß Gläubige mit Kenntnis seltener Sprachen in Pfingstversammlungen Sprachenreden hörten, die Lästerungen und Satansanbetung enthielten.
Daß von pfingstlicher Seite gegenteilige Erlebnisse erzählt werden, bei denen das Zungenreden Gotteslob enthielt, ist kein Gegenbeweis. Auch wenn man unterstellt, daß diese Beispiele wahr sind, kann das auch auf der Täuschungstaktik des Widersachers beruhen, der durchaus Göttliches und Gutes nachahmen kann, um die Opfer seiner Verführung in Sicherheit zu wiegen. Es wäre interessant, einmal feststellen zu können, wieviele gläubige Charismatiker schon den Gedanken hatten, sie könnten beim Sprachenreden Lästerungen aussprechen, und ihn als „Angriff des Teufels“ zur Seite geschoben haben – der Verfasser jedenfalls kann bezeugen, daß ihn Gottes Geist auf diese Weise gemahnt hat und er damals nicht darauf hören wollte.
3. Der mystische Köder des Verführers und das klare WORT Gottes
Die in leuchtenden Farben gemalte angebliche auferbauende Wunderwirkung des Sprachenredens ist ein geschicktes Lockmittel, mit dem der Feind ungefestigte oder in Anfechtung geratene Christen dazu bringen will, sich seinem Geist der Verführung zu öffnen. Es ist wahrhaft verführerisch, ein Mittel angeboten zu bekommen, das angeblich jederzeit, automatisch und damit letztlich auf magische Weise Wohlbefinden, Auferbauung und Kraft erzeugen kann. Das Gestammel unverständlicher Sprachen wird zu einer Art Mantra, zu einer Technik, die geistliche Wirkungen hervorrufen soll.
All das steht im völligen Gegensatz zum Wesen und Wirken Gottes. Gott hat sich geoffenbart im WORT (Logos), in Christus, Seinem Sohn, durch den Er zu den Menschen geredet hat. Er hat uns in Christus mit jedem geistlichen Segen in den himmlischen Regionen gesegnet.
Doch diesen Segen empfangen wir niemals durch magische Handlungen und Glaubenstechniken. Bei Gott gibt es nichts Automatisches. All Sein Segen ist Gnade, ist gute Gabe von oben, die der Vater Seinen Kindern freiwillig gibt. Echte Auferbauung geschieht deshalb immer durch die von Liebe und Gehorsam geprägte Glaubens- und Vertrauensbeziehung zum Vater. Das lebendige und kräftige Wort Gottes ist Gottes wichtigste Gnadengabe zu unserer Auferbauung (Apg 20,32). Dieses klare, verständliche, siebenmal geläuterte Wort (Ps 12,7) wirkt jedoch nicht automatisch, sondern nur in dem Maß, wie wir es in einem demütigen, gehorsamen Herzen aufnehmen und im geistlichen Wandel auch ausleben.
Wenn wir uns noch einmal die ernsten Worte aus Jesaja 28 über die taumelnden Propheten und die trunkenen Priester vor Augen stellen, dann können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß es Ausdruck des heiligen Gerichtes am Hause Gottes ist, wenn im 20. Jahrhundert Menschen im Namen Jesu Christi taumelnd und geistlich trunken in Verzückungen unverständliche Worte vor sich hinsprechen. Wenn Gott es zuläßt, daß heute, in der Zeit des Abfalls und der Verführung, in der Christenheit unverständliche, feindliche Sprachen auftreten, dann bedeutet das Gericht, und es geschieht deshalb, weil man auf das klare, verständliche Wort Gottes nicht hören wollte.
Ein wahres Gotteskind braucht die gefälschte Gabe des charismatischen Sprachenredens nicht; es hat kostbare Quellen echter geistlicher Auferbauung: die innere Gemeinschaft mit Christus und dem Vater im Heiligen Geist, das Wachsen in der Erkenntnis des Christus, das Wort Gottes, die geistgewirkte Gemeinschaft von Gläubigen. Letztlich ist es der Herr Jesus Christus in Seiner Fülle, der uns alles gibt, was wir brauchen, der uns alles ist, der uns auferbaut bis zur vollen Mannesreife und dadurch in uns Gestalt gewinnt.
Überarbeiteter Auszug aus dem Buch des Verfassers
„Die Charismatische Bewegung im Licht der Bibel“,
Christliche Literatur-Verbreitung, Postfach 11 01 35, 33661 Bielefeld,
672 S., Gb., 3. Aufl. 2003.
Literaturhinweise zur Pfingst- und Charismatischen Bewegung
(Die angeführten Bücher sind im christlichen Buchhandel erhältlich)
Bühne, Wolfgang: Spiel mit dem Feuer. Bielefeld (Christliche Literatur-Verbreitung) 2. Aufl. 1991
Ebertshäuser, Rudolf: Die Charismatische Bewegung im Licht der Bibel. Bielefeld (Christliche Literatur-Verbreitung) 3. Aufl. 2003; 672 S.
Ebertshäuser, Rudolf: Die Charismatische Bewegung – endzeitliche Erweckung oder endzeitliche Verführung? Leonberg (ESRA-Schriftendienst) 3. Aufl. 2003, 24 S.
Ebertshäuser, Rudolf: Fremdes Feuer im Heiligtum Gottes. Der charismatische „Lobpreis“ aus biblischer Sicht. Oerlinghausen (Betanien Verlag) 1. Aufl. 2003, 128 S.
Unger, Merrill F.: The Baptism and Gifts of the Holy Spirit. Chicago (Moody Press) 1974
Buchempfehlung:
Rudolf Ebertshäuser: Die Charismatische Bewegung im Licht der Bibel.
Bielefeld (Christliche Literatur-Verbreitung) 3. Aufl. 2003; 672 S.
Dieses Buch will einen Beitrag zur biblischen Beurteilung der Pfingst- und Charismatischen Bewegung leisten. Alle wichtigen Lehren und Praktiken dieser Bewegung, von der „Geistestaufe“ über „Prophetie“, „Sprachenreden“, „Zeichen und Wunder“, „Krankenheilungen“ bis zu „Lobpreis und Anbetung“ und „Geistlicher Kriegsführung“, werden gründlich und sachlich anhand der Bibel untersucht.
Dabei ist es oberstes Anliegen, die Aussagen der Heiligen Schrift selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Allein das geoffenbarte Wort Gottes kann der verbindliche Maßstab für eine geistliche Beurteilung sein. Durch eine bis in Einzelheiten gehende Auslegung wichtiger Schriftstellen und das Bemühen, heilsgeschichtliche Zusammenhänge und Lehraussagen der Schrift deutlich zu machen, will dieses Buch zu einem vertieften eigenständigen Verständnis biblischer Wahrheiten verhelfen und zum Bibelstudium anregen.
Der konsequent bibelorientierte Ansatz und die umfangreiche Behandlung aller wichtigen Aspekte der Charismatischen Bewegung machen diese Buch zu einer grundlegenden geistlichen Orientierungshilfe. Jedes Kapitel kann für sich gelesen werden und ermöglicht ein abschnittsweises Durcharbeiten nach persönlichen Schwerpunkten. Der übersichtliche Aufbau der einzelnen Kapitel, das Sachregister und ein Verzeichnis der behandelten Bibelstellen machen das Buch zu einem Nachschlagewerk, das rasch den Zugang zu Einzelfragen ermöglicht.
Inhaltsübersicht:
I Gibt Gott ein „zweites Pfingsten“? Die Bibel und die Geistesausgießung der Endzeit
II Die Pfingstlehre über die „Geistestaufe“ und die Lehre der Heiligen Schrift
III Die Rolle der Gnadengaben in der Gemeinde
IV Prophetie in der Pfingst- und Charismatischen Bewegung
V Das charismatische und das biblische Sprachenreden
VI Zeichen und Wunder in der Endzeit
VII Die charismatischen Wunderheilungen aus biblischer Sicht
VIII „Machtvoller Glaube“ und „vollmächtiges Gebet“ in der Charismatischen Bewegung
IX Die charismatische Anbetungspraxis und die geistliche Anbetung der Gemeinde
X Dämonenaustreibung – Befreiung oder Verstrickung?
XI Die charismatische Vision von der herrschenden Gemeinde: „Geistliche Kriegsführung“, „Heilung der Nationen“ und „Jesus-Märsche“
XII Endzeitliche Erweckung oder endzeitliche Verführung?
XIII „Prüfet die Geister!“ Zur geistlichen Beurteilung der Charismatischen Bewegung
XIV Die biblische Antwort auf die Charismatische Bewegung
Anhang
1. Ein persönliches Zeugnis
2. Literaturverzeichnis
3. Sachregister
ESRA-Schriftendienst
Postfach 19 10, D-71209 Leonberg
© Rudolf Ebertshäuser
1. Auflage Februar 2004 (Der Text entspricht der 1. Auflage der ESRA-Broschüre)
Das vollständige Vervielfältigen und Verteilen dieser Schrift ist ausdrücklich erlaubt Schriftzitate sind in der Regel der revidierten Schlachter-Bibel entnommen
www.horst-koch.de
info@horst-koch.de