Weltreligionen und Gott (P.Beyerh.)
Prof. Dr. Peter Beyerhaus, D.D.
Kennen die Religionen den wahren Gott?
– Das Christuszeugnis in der interreligiösen Begegnung –
– Vortrag –
Das universal menschheitliche Vorkommen von Religion läßt sich einleuchtend nicht mit Feuerbach und Freud rein psychologisch erklären als bloße Projektion bewußter oder unbewußter seelischer Vorgänge in eine mythische Überwelt. Vielmehr verdanken sich Religionen der verschiedensten Gestalt jeweils einem überwältigenden Anstoß einer geheimnisvollen Übermacht, auf welche dann erst in einem zweiten Schritt der betroffene Mensch, bzw. die soziale Gemeinschaft, reagiert. So sieht es auch die Bibel: Israels Glauben fand seine Begründung in einem heilsgeschichtlichen Offenbarungshandeln von oben her, nämlich Gottes Begegnung mit Abraham und mit Mose. In negativer Entsprechung sieht die Bibel auch die heidnischen Kulte durch transzendentale Einwirkung entstanden. Denn auch deren Göttern wird sehr wohl eine übermenschliche Wirklichkeit zuerkannt, wenn auch – v.a. für Israel – keine Legitimität.
Die gemeinsame Überzeugung fast aller Religionstheologen ist nun die, daß die Religionen sich in ihrer überirdischen Verursachung zumindest teilweise oder aber – hier gehen die Urteile auseinander – sogar ganz der Selbstmanifestierung des einen Gottes verdanken. Es handele sich hier also letztlich, auf der seinsmäßigen Ebene, um denselben Gott, den die Bibel als den Schöpfer und Herrn des Himmels und der Erde bezeugt, und zu dem sich die Kirche als dem Dreieinigen bekennt.
Hier ist nun allerdings ein beträchtlicher Meinungsunterschied zu konstatieren, und an diesem gehen die Schulrichtungen auseinander, – d.h. die (dialektisch) exklusive, die inklusive und die pluralistische Theologie der Religionen. Die entscheidende Frage lautet: Ist die aus der eben genannten Überzeugung zu folgernde Identität der höchsten Gottheit, die in vielen Religionen unter verschiedenen Namen und Vorstellungen verehrt wird, mit dem alleinigen Gott direkt oder indirekt zu erklären?
Vollzieht man also eine völlige Gleichsetzung? Oder aber denkt man eher an eine Transparenz gewisser außerchristlicher Gottesbilder für den biblischen Gott, wobei man zugleich erkennt, daß die konkreten Gottesbilder der einzelnen Religionen auch durch sehr andersartiger Einflüsse mitbestimmt sein mögen und sich hinter den heidnischen Götterbildern (gr. eidola = Götzen!) auch ganz andere Wesen verbergen bzw. durch sie reden und sogar handeln können.
Letzteres ist die meinen folgenden Ausführungen zugrunde liegende Schau. Ich setze also mit den mir nahe stehenden Theologen – Dogmatikern und Missiologen – voraus, daß sich der dreieinige Gott für sein universales, zielgerichtetes Wirken an der Menschheit auch der vorchristlichen Religionen bedient und daß sich seine Manifestationen in diesen diakritisch aufspüren lassen. Wir müssen aber – das ist ist nun mein besonderes Anliegen – bei den konkreten religionsgeschichtlich aufgetretenen Gottesvorstellungen drei Verursachungen – bzw. Pole – unterscheiden, die in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander stehen: Es sind dies
1. der theonome, d.h. göttliche,
2. der anthropologische d.h. menschliche und
3. der dämonologische Faktor.
Ich bezeichne diese Analyse als die „tripolare Schau der Religionen“. Diese Sichtweise durchzieht alle meine Äußerungen zu diesem Thema seit dem Jahre 1967. Ich teile sie auch mit meinen Brüdern und Schwestern im Präsidium des Theologischen Konvents; denn sie ist sowohl biblisch, patristisch als auch reformatorisch gut begründet. Sie findet ihren Niederschlag auch in dem Ihnen vorliegenden Entwurf zu einer Theologischen Erklärung zur Beurteilung der Religionen im Licht des Evangeliums: „Kein anderer Name !“
I. Der theonome Faktor:
Gottes Besorgtsein um den gefallenen Menschen.
a) Das auch völkerkundlich aufweisbare universale Vorkommen der Idee einer höchsten Gottheit – (Pater Wilhelm Schmidt nannte ihn Hochgott, Nathan Söderblom Urhebergott) – läßt sich im Widerspruch zu allen evolutionistischen Hypothesen am einleuchtendsten aus der ursprünglichen Einheit der menschlichen Geschichte (vgl. Apg 17,26) erklären.
An deren Anfang stehen jene Ereignisse, von denen die alttestamentliche Urgeschichte (1Mo 1-11) berichtet. Hier machte das Menschengeschlecht seine grundlegenden Segens-, Gerichts- und Errettungserfahrungen mit Gott, von denen auch zahlreiche Urmythen weit verstreuter Völker erzählen. Am Anfang der sich später aufspaltenden Religionsgeschichte steht demnach eine monotheistische Urreligion. Diese schimmert noch durch zahlreiche empirische Religionen hindurch und bietet der missionarischen Begegnung willkommene Anknüpfungspunkte.
Eine den gesamten weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte bestimmende Uroffenbarung an die Stammväter aller menschlichen Rassen ist Gottes in 1Mo 8,21-9,17 berichteter Bundesschluß mit Noah und seinen Söhnen. In diesem Akt verbürgt sich Gott feierlich, künftig die Schöpfung vor einer zweiten kosmischen Katastrophe zu bewahren. Er tut dies mit der erstaunlichen, fast paradoxen Begründung: „denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1Mo 8,21b).
Die tiefeingewurzelte Sünde aller Menschen ist also gerade die Ursache einer fortdauernden göttlichen Zuwendung zu ihnen, in welcher Er ihnen Nahrung, Segen, Schutz und für die sozialen Bezüge grundlegende Erhaltungsordnungen gibt (Apg 14,16f; auch Mt 5,45). Die scheinbare Illogik dieses „denn“ findet ihre zunächst verborgene Auflösung in Gottes heilsgeschichtlichem Plan. Er möchte nämlich die sündige Menschheit in Seiner Geduld (anoche Rö 3,26; makrothymei in 2Petr 3,9) auf ihre künftige Erlösung durch Jesus Christus bewahren. Das Dankesopfer Noahs ist also das Urbild eines monotheistischen Kultes, der noch vor und außerhalb der mit Abraham einsetzenden biblischen Heilsgeschichte praktiziert wurde. Dieser war dem Dank und Lobpreis für die von Gott, dem Schöpfer und Erhalter, erfahrene Lebensrettung und seine Wohltaten gewidmet. In Rö 1,21 läßt Paulus erkennen, daß genau das diejenige Verehrung und der Dank sei, welche Gott aufgrund Seiner seit Erschaffung der Welt von allen Menschen vernehmbaren ewigen Macht und Größe erwartet. Zwar macht der Apostel diese Aussage im Sinne eines Vorwurfes gegenüber der tatsächlichen Entartung des Kultes in der empirischen heidnischen Religionsgeschichte. Trotzdem läßt sich nicht ausschließen, daß die sich im Noachitischen Bundesschluß exemplarisch dokumentierende Urreligion tatsächlich noch in vielen nachfolgenden Generationen praktiziert worden war. Als Vorbild dafür kann Melchisedek genannt werden, der geheimnisvolle König von Salem – dem späteren Jerusalem. Er wird als „Priester des höchsten Gottes“ (1Mo 14,18) bezeichnet und übt die Vollmacht aus, den Abram von „Ihm, dem Schöpfer des Himmels und der Erde“ her, zu segnen.
Gott beläßt dem Menschen also trotz dessen gefallenem Zustand die Möglichkeit, Ihn in wesentlichen Zügen – und zwar noch vor bzw. außerhalb der besonderen heilsgeschichtlichen Offenbarung! – durch seine Vernunft, d.h. hier seine inneren Anschauungsorgane, zu erkennen. Aufgrund dessen erwartete Gott einen Seinem erhabenen Wesen entsprechenden Gottesdienst bei allen Menschen in allen Völkern. Diese Sicht bildet nicht etwa ein Sondergut des Paulus. Er spricht hier vielmehr eine Überzeugung des hellenistischen Judentums aus, die wir auch im Buch der Weisheit (Kap. 13-15) finden: „Denn aus der Größe und Schönheit der geschaffenen Werke wird vergleichsweise auch ihr Schöpfer wahrgenommen“ (13,5). Zwar erfolgt dieser ihm geschuldete Gottesdienst im Sinne der reinen Urreligion offensichtlich nirgends mehr, wie Paulus in Rö 1,21 ff. beklagt. Und doch findet der Apostel in der Verehrung des „unbekannten Gottes“ in Athen (Apg 17,23 ) zumindest eine Abschattung eines solchen Kultes, dem er die Transparenz für den wahren, von ihm verkündigten Gott zuerkennt.
Eine andere Weise, wie sich Gott den Heiden weiterhin zu erkennen gibt, ist die Einpflanzung der Forderung Seines allgemeinen Sittengesetzes in das Menschenherz (Rö 2,15). Bestätigt durch das Gewissen stellt dieses ungeschriebene Gesetz auch die Heiden unmittelbar in Verantwortung vor Gott, aufgrund welcher Er sie am jüngsten Tage richten wird (V. 16). Die Heiden kennen also Gott hinsichtlich Seiner ethischen Forderungen. Eine Gestalt, in welcher diese ihren gesellschaftlich verbindlichen Niederschlag gefunden haben, sind die verschiedenen Religionen; deren moralische Anweisungen stehen nämlich vielfach in überraschender Nähe zu den biblisch offenbarten Geboten (Rö 2,14). Ja, in den Mythen der Völker schlägt sich auch die erschütternde Erfahrung nieder, daß die Götter über die Einhaltung der sittlichen Ordnung wachen und den schuldig Gewordenen unentrinnbar heimsuchen.
Insofern können die Religionen, weil sie den sittlichen Forderungen die metaphysische Sanktion verleihen, als Instrumente des Welthandelns Gottes verstanden werden. Durch sie bewahrt Er Seine für den Bestand allen menschlichen und kreatürlichen Lebens grundlegende Ordnung vor der Zerstörung. In den Religionen bekundet sich der dreieinige Gott also vornehmlich in Seiner ersten Person als Schöpfer und Erhalter. Dieses sein segnendes, lebenspendendes, sinngebendes, schützendes und richtendes Handeln spiegelt sich dementsprechend in bisweilen ergreifender Weise in zahlreichen Gebeten und Hymnen wider. Manche könnten auch in christliche Textsammlungen aufgenommen werden, ohne daß sich ihr außerchristlicher Ursprung störend bemerkbar machen würde.
b) Kann von einem Wirken in außerchristlichen Religionen theologisch legitim auch im Blick auf Gott, den Sohn, die zweite Person der Dreieinigkeit, gesprochen werden? Dogmatisch ließe sich das mit Augustin folgern aus der unteilbaren Einheit der opera Trinitatis ad extra (des Wirkens der drei göttlichen Personen nach außen, d.h. auf die Schöpfung hin). In der zeitgenössischen inklusiven Religionstheologie, zumal im christozentrischen Modell, bildet sowohl auf ökumenischer als auch auf römisch-katholischer Seite das Wirken Christi in den Religionen und durch sie sogar die Grundvoraussetzung. Die Begründungen dafür sind unterschiedlich: Sie sowohl aus der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes („kosmischer Christus“ von Neu-Delhi 1961), aus Gottes universalem Geschichtshandeln oder aus der Gnadenlehre (Karl Rahner) gefolgert werden. (In fast allen diesen Fällen handelt es sich um eine – allerdings zuweilen vergröbernde – Aktualisierung der patristischen Konzeption vom logos spermatikos).
Eine biblische Basis für eine gründliche Behandlung der gestellten Frage läßt sich am ehesten im Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1-10) finden. Hier wird von dem vorzeitlichen logos, der geschichtlich in Jesus Christus Fleisch angenommen hat, ausgesagt, er sei „das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“ (V. 9). Alle Einsicht, welche Menschen – und zwar auch solche außerhalb der biblischen Offenbarung –, in Gottes Wesen gewinnen können, ja alle tiefere Wahrheitserkenntnis überhaupt, ist bewirkt durch den ewigen Logos, das schöpferische Wort, das bei Gott war und selbst Gott ist. Das bedeutet, daß sich auch die in den Religionen vorhandenen Teilwahrheiten in dogmatischer und ethischer Beziehung dem Licht zu verdanken sind, das der in ihnen anwesende Logos entzündet und das die Erleuchtung wirkt.
Es darf nun aber – um das biblische Zeugnis in Joh 1,8 nicht für falsche, d.h. religiös universalistische Behauptungen zu mißbrauchen – nicht der unmittelbare Textzusammenhang übersehen werden, in welchem diese Aussage des Johannesprologes erscheint. Ihr geht nämlich schon voraus die kontrastierende andere Aussage in V. 5, daß das Licht in der Finsternis scheine, „und die Welt hat es nicht begriffen“ bzw. „nicht erfaßt“. Das innere Zeugnis des Logos wird von der gottentfremdeten, unter der Herrschaft des Bösen stehenden Masse der Menschheit entweder gar nicht oder falsch verstanden. Sie gewinnt von diesem inneren Licht des Logos nicht eine allgemeine Gotteserkenntnis, die gerade auch durch die Religionen vermittelt würde. Erst recht darf man aus Joh. 1 keine Heilsmächtigkeit der Religionen folgern.. Denn um die Erlösung der Menschheit zu vollbringen, mußte ja der ewige Logos in Jesus von Nazareth Mensch werden und unter Pontius Pilatus sein Leben zum Sühneopfer hingeben. Die Präsenz des Logos spermatikos in den Religionen macht diese, auch wo sie angenommen werden darf, keineswegs zu ordentlichen Heilswegen der nichtchristlichen Völker. Aber sie kann die von ihm innerlich Erleuchteten für den Empfang der Erlösungsbotschaft von Jesus Christus vorbereiten. Das bedeutet, daß die christologische Beeinflussung der Religionen bei deren Anhängern die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der verlorenen Gottesgemeinschaft erweckt und sie nach einem Erlöser Ausschau halten läßt.
In diesem Sinn gibt es in der Tat bei den Heiden Ahnungen, welche der authentischen Erfüllung im Christusereignis erstaunlich entsprechen. Solche Vorstellungen können entweder in Form von Mythen, Träumen, Gebeten oder seherischer Vorschau auftreten. Ebenso gibt es Parallelen zwischen manchen außerchristlichen Ritualen und den christlichen Sakramenten. Auf solche Analogien wurde sogar Paulus aufmerksam, woraufhin er sie in den Dienst seiner pastoralen Unterweisung der jungen Heidenchristen stellt (z.B. 1Kor 10,20-21).
c) In den neueren Entwürfen zu einer ökumenischen Theologie der Religionen, die im Rahmen der Arbeit des Weltkirchenrates vorgelegt werden, tritt seit der umstrittenen Vollversammlung zu Canberra 1991 eine starke Tendenz hervor, das Prinzip der Vermittlung zwischen Christentum und anderen „lebendigen Glaubensweisen“ (Fremdreligionen) von der zweiten auf die dritte Person der Trinität, den Heiligen Geist, zu verlagern. An die Stelle der traditionellen christologischen Betrachtung tritt also eine pneumatologische. Angesichts der in Canberra und danach sogar massiv aufgetretenen synkretistischen Konsequenzen stellt sich hier die Frage, ob und inwieweit es theologisch berechtigt ist, von einem Wirken des Heiligen Geistes auch in den nichtchristlichen Religionen zu sprechen.
Bei der Behandlung dieser Problematik wird man ebenso wie bei der christologischen Komponente der Religionen so auch bei der pneumatologischen auszugehen haben von der Untrennbarkeit des Welthandelns der drei göttlichen Personen. Damit verbunden ist besonders in der Ostkirche bewahrte Erkenntnis der griechischen Kirchenväter, daß die Bibel selbst von einem universalen Wirken des Geistes spricht. Dieses geht dem endzeitlichen Kommen des Hl. Geistes zu Pfingsten voraus.
Wenn man nun die Religionen prinzipiell als solche Instrumente verstehen darf, die dem Welthandeln Gottes dienen, so hat folglich daran auch der Heilige Geist einen wesentlichen Anteil, – in Ausführung der Ihm eigenen Aufgaben. Wir können fünf Wirkungen des Geistes an der außerchristlichen Menschheit erkennen, die wir im vorbereitenden Zusammenhang mit Seiner besonderen heilsgeschichtlichen Sendung zu verstehen haben:
1. Der Geist ist der Mittler des vom Vater geschenkten kreatürlichen Lebens und läßt die Menschen Erfahrungen machen, durch die sie sich selbst als Objekt seiner gütigen Zuwendung bewußt werden. In diesem Zusammenhang kann erweiternd von allen Zuteilungen göttlichen Segens auch im geschöpflichen Bereich gesprochen werden. Dieser ist zwar in der Regel vom Heil als der endgültigen Wiederherstellung der personalen Beziehung zwischen Gott und den Menschen zu unterscheiden; aber er ist doch schon antizipierend darauf bezogen.
2. Der Geist erhält den Menschen das Wissen um ihre eigene Geisthaftigkeit. So ermöglicht Er es ihnen, Erlebnisse des schöpferischen Reichtums Gottes geisthaft zu deuten und darauf kreativ zu antworten. Von diesem geistigen Gestaltungsvermögen legen auch die Religionen im Reichtum ihrer Weisheit und ihrer Kunst eindrucksvoll Zeugnis ab. Solche Einsichten und Kunstwerke entstanden oft im Bewußtsein um die dafür nötige Inspiration durch eine höhere geistige Macht. Sie können und sollen darum auch den Respekt des christlichen Betrachters erheischen.
3. Zur Geisthaftigkeit des Menschen gehört wesentlich auch das Fragen nach der Wahrheit, also der Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Diese ist bei dem gefallenen Menschen radikal gestört, zum einen, weil er sich selbst seine sündhafte Gottentfremdung nicht eingestehen will, zum anderen, weil er den Täuschungsmanövern Satans und der Dämonen ausgesetzt ist. Bemerkenswerter Weise bildet die Umfangenheit von der Unwissenheit (avidya) den Ausgangspunkt der Elendsdiagnose in den mystischen Religionen, während das Erkennen der Wahrheit ihr wichtigstes Heilsziel darstellt. Das Erwachen des unstillbaren Verlangens nach Erleuchtung kann sehr wohl eine Auswirkung der Berührung von jener göttlichen Macht sein, die im Johannesevangelium (14,17) der „Geist der Wahrheit“ genannt wird.“ Gewiß ist es erst Jesus Christus, der sich selbst die Wahrheit nennt (Joh 14,6), der den Menschen in den Religionen die echte Befreiung b ringt (Joh 8,31f.). Aber er sagt dem Heiden Pilatus, daß Seine Stimme von dem gehört werde, der aus der Wahrheit ist (Joh 18,37).
4. Das nach Rö 2,15 (vgl. 1,32) den Menschen ins Herz gepflanzte Sittengesetz und das Gewissen verdanken sich einer Vermittlung durch Gott den Heiligen Geist. Das gilt auch für die dem Schuldbewußtsein entspringende Furcht vor dem göttlichen Zorn, bzw. auch das Schuldbewußtsein, das sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen äußert (Rö 2,15b).
5. Der Geist bewahrt dem Menschen die innere Hörfähigkeit für die Stimme Gottes, ebenso wie er sie dazu anregt, „Gott zu suchen und ihn zu ertasten“ (so wörtlich), wodurch sie seiner unsichtbaren Anwesenheit ja sogar ihrer Wesensverwandtschaft mit Ihm gewahr werden (Apg 17,27f).
Angesichts der hier offenbar werdenden inneren Zusammenhänge zwischen dem universalen und dem heilsgeschichtlichen Wirken des Geistes wollen wir einer theologischen Deutung der Religionen auch vom Dritten Glaubensartikel her eine grundsätzliche Berechtigung nicht bestreiten. Jedoch haben wir uns gerade hier zu hüten vor allzu direkten und pauschalen Aussagen, als ob jede einzelne Religion sich einer Vollinspiration ihres Stifters – Zarathustra, Lao Tse, Gautama Buddha oder Mohammed – verdanke. Vielmehr müssen wir angesichts der enormen Gefahr einer Verwechslung des Heiligen Geistes mit Geistvorstellungen und Geisteserfahrungen fremdartigen Charakters gerade an dieser Stelle diakritische Wachsamkeit üben. Besonders im Blick auf den Heiligen Geist in den Religionen gilt das, was über das vorbereitende Wirken des dreieinigen Gottes in den Religionen überhaupt zu bedenken ist: Dieses Wirken ist ein verborgenes, in der unmittelbaren Betrachtung weder auffällig noch nachweisbar. Erst im Nachhinein, im Licht der Erfüllung der Religionen durch das Evangelium, werden sich die in ihnen enthaltenen Wahrheitselemente in ihrer vorbereitenden Funktion erkennen lassen. Solche Elemente sollten in der missionarischen Begegnung bereits als stepping stones angesprochen und aufgenommen werden. Aber entsprechende Vorschläge bedürfen zunächst einer sorgfältigen Überprüfung im Licht des Evangeliums.
Zusammenfassend sind hinsichtlich des theonomen Faktors in den nichtchristlichen Religionen drei Erkenntnisse festzuhalten:
1. Das Hineinstrahlen der allgemeinen Gottesoffenbarung auch in die Religionen macht deren Anhänger vor dem Urteil des dreieinigen Gottes verantwortlich und darin für die missionarische Verkündigung ansprechbar.
2. Nirgends sind die Erfahrungen des Welthandelns des dreieinigen Gottes so eindeutig, daß sie nicht einer sorgfältigen Prüfung und Deutung im Licht des Evangeliums von Jesus Christus bedürften.
3. Angesichts des gleichzeitigen Wirkens auch des dämonischen Faktors in den Religionen verbietet es sich, alle in der religiösen Erfahrung, z.B. in Ekstase, wahrgenommenen geisthaften Mächte mit dem biblischen, trinitarischen Gott in eins zu setzen.
II. Die anthropologische Dimension der Religion:
Die zwiespältige Suche des gefallenen Menschen nach Gott
Eine biblisch stimmige Analyse der Religionen muß zusammen mit deren von Gott gewirkten Komponente auch das Menschenbild der Hl. Schrift voll einbeziehen.. In Konzentrierung auf die religionstheologische Frage möchte ich das hierfür Entscheidende zunächst in drei Grundaussagen zusammenfassen:
1. Dem Menschen ist als Ebenbild Gottes ein wesensmäßiger Bezug auf diesen eingepflanzt, ein Gespür für das Göttliche (der sensus divinitatis). Dadurch wird er auch noch in seinem gefallenen Zustand dazu veranlaßt, unaufhörlich nach seinem Schöpfer zu suchen.
2. Die Religionen sind als Aufwärtsbewegung des gefallenen Menschen in ihrem Erkenntnisvermögen begrenzt. Sie kommen deswegen nur zu einer unvollkommenen, getrübten Wahrnehmung Gottes.
3. Aufgrund der durch die Sünde verkehrten Willensrichtung des gefallenen Menschen sind alle seine religiösen Gestaltungsbemühungen zugleich auch vom Aufruhr gegen Gott und der Flucht vor Ihm geprägt.
Ich entfalte diese Thesen nun im einzelnen:
Daß der Mensch, auch in seiner Gottentfremdung, ein zutiefst religiöses Wesen ist, wird von den Vertretern aller drei zeitgenössischer religionstheologischer Hauptrichtungen – der exklusiven, der inklusiven und der pluralistischen – gesehen. Das kann mit mannigfaltigen Ausdrücken beschrieben werden, z.B.: „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ (Schleiermacher), „religiöses a priori“ (Troeltsch), „Sinn für das Numinose“ (Otto), transzendentales Existential“ (Rahner), „Bewußtsein um die äußerste Realität“ (Hick).
Dietrich Bonhoeffer hat zwar in der Beobachtung recht, daß die Religion für das Selbst- und Weltverständnis des modernen Menschen kaum noch eine Rolle spielt. Die bleibende religiöse Verankerung auch des Sünders (Pred 3,11) ist die menschliche Entsprechung zu jener allgemeinen Selbstbekundung Gottes, die wir als den „theonomen (bzw. göttlichen) Faktor der Religionen“ bezeichnet haben. Durch diese Entsprechung, d.h. das wechselseitige Entgegenkommen von Gott und Mensch in der natürlichen Religion, gibt Gott der menschlichen Suche nach Ihm Seine Zustimmung und ihren heilsgeschichtlich vorlaufenden Sinn. Gott will, sagt Paulus den heidnischen Athenern, daß die Menschen „ihn suchen, ob sie ihn wohl wahrnehmen und ihn finden möchten“ (Apg 17,27a). Gewiß ist dieser Suche als solcher das Finden des Heils schon vor Christus und außerhalb seiner nicht versprochen. Aber der der suchende Mensch wird durch die gottgefällige Betätigung seiner religiösen Veranlagung unter dem Einfluß von Gottes zuvorkommender Güte (Apg 14,17; Rö 2,4) und Gnade (Joh 6,44; 12,32) vorbereitet für die heilsgeschichtliche Begegnung mit dem Evangelium. Darum findet die missionarische Verkündigung hier ihren wesentlichen Ansatzpunkt.
den in uns Wohnung nehmenden Heiligen Geist, ganz schenken will. In Jesus allein will Gott uns und allen Menschen wahre und volle Erkenntnis seiner selbst geben.
Das bedeutet nicht, daß wir jetzt das widerrufen, was wir zuvor über die natürliche Gotteserkenntnis auch in den Religionen gesagt haben. Es gibt, daran halten wir fest, auch in diesen schon ein gewisses Maß des Wissens von Gott. „Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen [den Heiden] offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart“ (Röm 1, 19). Aber dieses „Wissen“, wie Paulus es in VV. 19 + 20 beschreibt, ist ein unvollständiges. Außerdem ist es aufgrund der menschlichen Undankbarkeit gegen Gott und der Abtrünnigkeit von Ihm in sich gebrochen und pervertiert (VV. 21-25). Es ist günstigstenfalls noch rudimentär vorhanden.
Neureformatorische Theologen wie der junge Karl Barth und auch manche evangelikalen Hyperbarthianer – Vertreter einer radikal exklusiven Religionstheorie – neigen dazu, das grundsätzliche Wissen der Heiden von Gott zu bestreiten. Aber wir dürfen auch an dieser Stelle nicht biblischer sein wollen als die Bibel. Die Heilige Schrift, besonders der Apostel Paulus, gibt den Tatbestand der natürlichen Gotteserkenntnis nicht nur zähneknirschend zu; er ist vielmehr brennend daran interessiert, ihn aufzuweisen. Warum ist es auch für uns unverzichtbar, an der Lehre von der allgemeinen Gottesoffenbarung festzuhalten? Aus drei wesentlich missionarischen Gründen:
Erstens gilt es, den Menschen bewußt zu machen, daß auch sie zumindest unterbewußt von Gott her bestimmt sind, und daß sie ohne ihn gar nicht leben können, weder als einzelne noch als Gemeinschaft..
Zweitens hält das Wissen auch der Heiden von Gott sie in ihrem sittlichen Leben und auch in ihrem Kult vor Gott verantwortlich, so daß sie – wenn sie ihm ungehorsam blieben – im Jüngsten Gericht unentschuldbar dastehen werden (Röm 3,19).
Drittens gibt das Wissen von Gott – und sei es noch so rudimentär – der Missionspredigt die Chance, die Anhänger nichtchristlicher Religionen von ihren eigenen Voraussetzungen her abzuholen und sie pädagogisch von der unvollkommenen Vorstufe auf die Stufe der vollen Erkenntnis in Jesus Christus weiterzuführen, so wie Paulus dies in Athen getan hat.
Man begegnet bei solcher Argumentation gelegentlich dem Einwand: Wenn es stimmt, daß es auch in den nichtchristlichen Religionen schon Gotteserkenntnis gibt, warum sollen wir dann noch Mission unter ihnen treiben?
Aber diese Schlußfolgerung ist oberflächlich, Das Entscheidende ist doch nicht, daß Menschen an die Existenz Gottes – bzw. eines „höheren Wesens“ – vage geglaubt haben; denn ein solcher sog. Glaube, wie ihn nach Jak 2,19 sogar die Dämonen haben, würde uns doch noch nicht aus unserer Verlorenheit unter dem Zorn Gottes über alle menschliche Schuld retten. Entscheidend ist noch nicht die Frage: Gibt es einen Gott?, sondern vielmehr wie Luther sie stellte: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“
Der Mensch kann ihn nicht von sich aus, auch nicht durch ethische und religiöse Werke, gewinnen. Gott selber mußte uns entgegenkommen, und Er hat es getan und tut es immer noch: In Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn, in ihm allein, und in ihm ganz. Jesus hat den Abgrund überbrückt, der uns von Gott trennt. Er hat die Entfremdung zwischen der abtrünnigen Menschheit und dem sich von ihm im Zorn abwendenden Schöpfer durch sein Kreuzesopfer überwunden, so daß wir gerechtfertigt durch den Glauben an ihn Frieden mit dem Vater haben (Röm 5,1). Ohne diese Liebesoffenbarung in seinem Sohn Jesus Christus aber bleibt Gott ein Deus absconditus Gott), d.h. ein verborgener, ferner Gott, dessen Walten uns oft rätselvoll erscheint und ängstigt.
Solche erschreckende Gotteserfahrung schlägt sich auch in den Göttervorstellungen der nichtchristlichen Religionen nieder, in paradoxer Spannung zwischen ihren eudämonistischen (die Dämonen als gütig empfindenden) Erfahrungen einerseits und ihrem Horror vor deren Furchtbarkeit. So ist die nordindische Göttin Kali bzw. Durga einerseits die von den Frauen geliebte Geberin der Fruchtbarkeit; aber als der Rächerin des Bösen geht von ihr auch Terror aus. Das wiederum macht sie widersprüchlicher Weise für Diebe und Räuber attraktiv, und die Statuen in ihren Tempeln zeigen sie mit grausig aufgerissenen Augen, mit nach Blut lechzender Zunge und mit abgeschlagenen Menschenköpfen in den Pranken.
Ähnlich bleibt den Muslimen ihr Gott Allah – trotz ihrer gehorsamen Unterwerfung unter seinen Willen – ein Willkürgott, der in seinem unerforschlichen Ratschluß die einen für das Paradies, die andern für die Hölle bestimmt hat. Darum kennt der Islam keine Heilsgewißheit.
Ich sage es noch einmal: Die Vermittlung zwischen dem zu fürchtenden, letztlich verborgenen Gott einerseits und dem uns sein Antlitz leuchtend zuwendenden Vater andererseits ist allein in seiner Heilsoffenbarung durch seinen Sohn Jesus Christus gegeben. Jesus ist die Erfüllung der alttestamentlichen messianischen Verheißungen. Er ist auch die Antwort auf die Heilssehnsucht in den nichtchristlichen Religionen. Er erschließt uns das liebende Vaterherz. Er antwortet auch dem menschlichen Herzen, das unruhig in uns schlägt, bis es Ruhe findet in Gott (Augustinus).
Doch ist Jesus nicht allein die Erfüllung der Religionen; er ist zugleich deren Gericht und ihr Ende. Nach biblischer Lehre ist die Zeit, in welcher die außerisraelischen Völker in ihren eigenen Religionen fremden Göttern dienen – nach 5 Mo 4,19 sind es Gestirnsmächte – eine vorläufige Zeit. Es ist eine Zeit der Unwissenheit und steht als solche unter Gottes heilsgeschichtlicher Geduld (Röm 3,26; Apg. 14,16; 17,30). Um ihretwillen hat er sich – in Treue zu seinem universalen Bund mit Noah – den Menschen nicht unbezeugt gelassen. Vielmehr hat er ihnen beständige Erweise seiner Güte geschenkt. Trotzdem aber haben die Heidenvölker Gottes Verkündigung hier ihren wesentlichen Ansatzpunkt.
Ausgelöst wird die menschliche Suche nach Gott im allgemeinen dadurch, daß der gefallene Mensch in der bedrängenden Erfahrung seines Elendes sich seines verlorenen Zustandes bewußt wird. Indem wir diesen Verlust als ein Abgeschnittensein von der lebensspendenden, himmlischen Quelle erkennen, wird der Wiederanschluß an diese zum Leitmotiv unseres Strebens. Beflügelt wird die Suche durch die Hoffnung, daß ihr Mühen nicht vergeblich ist, sondern ihr die Erlösung schlussendlich zuteil werden wird
Es ist religionsvergleichend auffällig, daß die Betätigung des menschlichen Drangs, die abgerissene Verbindung mit der Gottheit wieder aufzunehmen, sich in den vorfindlichen Religionen in sehr ähnlichen Formen ausdrückt: Der Mensch hat das Bedürfnis zu beten, opfern, meditieren, sich rituell zu reinigen, sich asketischen Disziplinen zu unterwerfen und Pilgerreisen zu Heiligtümern zu unternehmen. Durch all diese Übungen möchte er die Gottheit wohlgefällig stimmen. Dabei ist ihm vielfach auch bewußt, daß diese bei ihm eine die äußeren Riten beglaubigende innere Haltung, die Frömmigkeit, sucht. Beispiele einer solchen, die sich sogar in inbrünstiger Liebe zu Gott äußern kann, finden sich in vielen Religionen.
Ebenso wissen alle Religionen wenigstens ansatzweise, daß sich mit der Zuwendung zu Gott auch ein sittliches Verhalten den Mitmenschen und ihrer Gemeinschaft gegenüber verbinden muß. Dementsprechend gibt es keine menschliche Religion ohne ethische Gebote, die inhaltlich den Forderungen der zweiten Gesetzestafel sehr ähnlich sein können. Daß unter den Heiden de facto eine wenigstens teilweise Erfüllung des von Gott ihnen gegebenen Naturgesetzes geschieht, erkennt auch Paulus (wie Rö 2,14f. u. 26) positiv an, – trotz seiner vorhergehenden, das Gesamtbild düster schildernden Anklage des Heidentums in Rö 1,18 – 2,32.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich in der Menschheit die Wirklichkeit einer sich in allen Religionen äußernden Religiosität erkennen läßt, die – wenigstens teilweise – auf Gottes in der allgemeinen Offenbarung geschenkte Vorgaben positiv antwortet. Diese Schau liegt offensichtlich dem Gottesausspruch in Maleachi 1,11 zugrunde, der in seiner innerbiblischen Einzigartigkeit erstaunlich ist: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang ist mein Name groß unter den Völkern, und überall werden meinem Namen Weihrauch und Opfer dargebracht, und zwar reine Gaben; denn groß ist mein Name unter den Völkern“.
2. Dies ist allerdings nicht als allgemeine Zustandsbeschreibung der vorfindlichen Religionen zu verstehen. Paulus macht nämlich in seiner berühmten Missionspredigt auf dem Areopag in Athen (Apg 17,16-34) deutlich, daß die von den Heiden in ihrem Kult demonstrierte Gotteserkenntnis eine sehr beschränkte und gebrochene geblieben ist. Trotz seiner positiven Anknüpfung an den einem unbekannten Gott geweihten Altar ist das eigentliche Ziel der Predigt nicht aufzuzeigen, wie weitgehend die athenische Religion, bzw. Philosophie mit dem biblischem Glauben übereinstimme. Vielmehr will Paulus gerade umgekehrt den Griechen aufdecken, „daß ihnen trotz gewissen Wahrheitselement ihres Glaubens alles Wesentliche ‚unbekannt‘ ist und sie in die Irre gehen.“ Die in sich lobenswerte religiöse Suche der Heiden hat also noch nicht bis zur Erkenntnis des wahren Gottes geführt. Bestenfalls sind sie zu einem ihnen unbekannten Gott gelangt, hinter und über dem allerdings letztlich der eine, lebendige Gott Himmels und der Erde steht: „Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkündigen wir euch“(Apg. 17, 23b).
3. Das Scheitern der religiösen Bemühungen des gefallenen Menschen zeigt sich aber nicht nur in der Unvollkommenheit der Gotteserkenntnis, die er mit seinem natürlichen Wahrnehmungsvermögen gewonnen. hat. Die Tragik der nichtchristlichen Religion beruht vielmehr darauf, daß das menschliche Streben, aus der innerweltlichen Eingeschlossenheit durchzubrechen zur wahren himmlischen Wirklichkeit, selbst hineingenommen worden ist in die gottwidrige Willensrichtung des Sünders. Der religiöse Mensch sucht nämlich nicht wirklich „von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüte“ (5Mo 6,5; 10,12; Mt. 10,12) den heiligen Gott, um Ihn zu lieben und zu ehren. Vielmehr sucht er in seiner sündigen Verkehrung bei Gott oder gar an Ihm vorbei, was ihm, dem sündhaften Menschen, selbst zur Bereicherung seines Lebensgenusses wertvoll erscheint, ohne dem Schöpfer dafür die schuldige Verehrung und den kindlichen Dank zu erweisen. Das wahre Erkennen Gottes is t nämlich von dem rechten Respekt Ihm gegenüber untrennbar. Deswegen tritt im selben Augenblick, wo sich der Mensch von Gott dem Geber abwendet zugunsten Seiner Gaben, oder wo er sich egozentrisch in sich selbst verkrümmt (Luther), die schon angesprochene Verdunkelung seines Herzens ein: Gott überläßt den sich von Ihm trennenden Menschen sich selbst und den Auswirkungen seiner Sünde (Rö 1,18ff.). Die Religion der Heiden ist, wie Paul Althaus sagt, zustande gekommen durch Abfall von dem lebendigen Gott, von der Wahrheit, die er in seiner ur-offenbaren Wirklichkeit ist“. Ein abstößiger abergläubiger „Naturkult“ verdrängt die reine Gottesverehrung. In der Magie und dem Spiritismus bemächtigt sich der Mensch selbst durch Beschwörungsriten des Objektes seines Begehrens. Damit gerät der Götzendiener in die Gefangenschaft der von ihrem Schöpfungszweck isolierten naturhaften Kräfte und Triebe, wie besonders schamlos in Gestalt homosexueller Praktiken (Rö 1,26f.).
Weil der gefallene Mensch vergißt, daß er in allem seinem Tun von Gott abhängig ist, sucht er den ns Elend bringenden Konsequenzen seiner Sünde dadurch zu entrinnen, daß er sich Wege und Mittel ausdenkt, sich selbst zu erlösen. Die vielgestaltigen rituellen, gesetzlichen oder asketischen Bemühungen kennzeichnen den eigenmächtigen Charakter der nichtchristlichen Erlösungsreligionen. Segen und Heil – auch wenn man sie im Prinzip noch von Gott erwartet – werden so als Verdienst des frommen Bemühens des Menschen mißverstanden. In jedem religiösen Akt seitens des sündigen Menschen schwingt immer auch ein Element des Aufruhrs gegen Gott mit, wie zugleich auch eine Fluchtbewegung; denn der schuldig Gewordene wagt nicht, sich dem Heiligen verantwortungsbewusst zu stellen.
Die Güter, welche der sündige Mensch in seinen Religionen zu erlangen hofft, können sehr unterschiedlich sein. Die Spannweite reicht von der Sicherstellung der elementaren Lebensbedingungen in den Stammesreligionen bis hin zur Überwindung des Todes in einem wiedergewonnenen ewigen Leben, z.B. bei den alten Ägyptern. Leben, Wissen und Macht sind die Objekte des Begehrens, um derentwillen schon das erste Elternpaar willentlich das Gebot Gottes übertrat und dadurch die Gemeinschaft mit Ihm aufkündigte. Diese Objekte werden noch überboten durch das sich mit ihrem Begehren verbindende blasphemische Verlangen, wie Gott zu sein, d.h. sich selbst zu vergotten, statt die Vollendung seiner Gotteskindesschaft von Gott her gehorsam abzuwarten (vgl. Joh 10,34-36; 1Joh 3,1-3; 2Petr 1,4b). Mit diesem überheblichen Begehren ist die totale Emanzipation des Menschen von seinem Schöpfer erreicht. Eva und Adam schieben Gottes ausdrückliches Verbot beiseite und bezweifelten die Wahrheit Seiner Worte, um die Verwirklichung des Sinnes ihrer menschlichen Existenz in eigene Hände zu nehmen.
Dieses Anmaßen stammte allerdings ursprünglich nicht aus ihrem eigenen Herzen. Vielmehr ist es ihnen gemäß des Urberichts in 1Mo 3 eingeflüstert durch eine außermenschliche, gottwidrige höhere Macht. Das führt uns zum dritten wesentlichen Bezugspunkt unseres tripolaren Religionsverständnisses:
III. Die dämonische Dimension:
Die heidnische Religion im Bannkreis des Teufels
Wenn man in die theologische Diagnose der Religionen die Versuchungsgeschichte einbezieht, ja sie sogar zum Ausgangspunkt macht, so wird es offenbar, daß in der biblischen Schau des Heidentums vom 1. Mosebuch bis zur Johannes-Apokalypse die dämonische Perspektive eine mitbestimmende Rolle spielt. Erkennt man in der folgenschweren Versuchung des Weibes durch die Schlange einen kultstiftenden Akt, so wird es unheilsgeschichtlich einsichtig, daß in den Beweggründen der heidnischer Religionen, im Vollzug heidnischer Opfer und in den heidnischen Ekstase-Erfahrungen, okkulte Mächte als real gegenwärtig und wirkend diagnostiziert werden. Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament begegnet uns eine Gleichsetzung der heidnischen Götter mit den Dämonen (5Mo 32,17; Ps 106,37; 1Kor 10,20), und die heidnische Religion als solche wird dem Bereich der Finsternis bzw. der Herrschaft des Teufels zugeordnet (Apg 26,18; 2Kor 6,14-18; Eph 2, 2; Kol 1,13). Die dämonische Komponente gilt es in Anbetracht ihrer mitbestimmenden Bedeutung, im Auge zu behalten. Allerdings müssen wir dies – gemäß unserer tripolaren Schau – tun in spannungsvoller Zusammenschau mit den beiden oben behandelten Dimensionen, der göttlichen und der menschlichen.
Daß die Religion in der Tat neben allem positiv Beeindruckenden oder unser Mitgefühl Erweckenden auch eine finstere Seite besitzt, vor der bereits die apostolischen Missionare erschraken (Apg 17,16) ist auch die Erfahrung der neuzeitlichen Missionsgeschichte. Nicht nur Missionare berichten über ihre erschreckenden Erlebnisse von Manifestationen okkulter Wirklichkeit sowohl in den „animistischen“ als auch in den höheren Religionen. Unwiderleglicher noch sind die Zeugnisse neubekehrter Christen, welche gerade im Kampf mit ihren bisherigen fremdreligiösen Bindungen die versklavende Gewalt der darin wirkenden okkulten Kräfte erfuhren.
Die biblische Schau vom dämonischen Ursprung und Wesen der Fremdgötterverehrung wurde von den altkirchlichen Vätern voll übernommen und aktualisiert. Nach Justinus und Clemens sind die heidnischen Götter böse Dämonen, die die Menschen hassen. Sie veranlassen sie, den trügerischen Mythen zu glauben und entsprechende schamlose Kulte zu praktizieren. Auch noch Augustinus verurteilt unter Berufung auf Ps 56,5, Ps 115,5 und 1Kor 10,19f. den sakrilegischen, dämonischen Charakter der heidnischen Riten. Er erklärt die Götter des Polytheismus als „nutzlose Idole, unreine Geister und verderbliche Dämonen oder ganz gewiß Geschöpfe und nicht Gott“. Diese Schau hat sich weitgehend durch die ganze Geschichte von Kirche, Mission und Theologie gehalten bis in das erste Drittel dieses Jahrhunderts
Dagegen ist die dämonologische Diagnose in der zeitgenössischen Religionstheologie weitgehend zurückgetreten; ja sie ist durch die rationalistische bzw. auch theologische Entmythologisierung sogar völlig ausgeblendet worden. Auch in der offiziellen römisch-katholischen Missions- und Religionstheologie begegnen uns seit dem II. Vatikanischen Konzil nur noch verhaltene Hinweise auf den in der früheren Lehrtradition doch so nachdrücklich hervorgehobenen düsteren Zug der nichtchristlichen Religionen.
Zu Recht konnte Walter Freytag „das Dämonische in den Religionen“ als einen „vergessenen Faktor in der Diskussion über die Religionen“ bezeichnen.
Die Religion des Menschen hat also schon von Anfang an zwei gegensätzliche transzendentale Veranlassungen, die sich beide auf den „Baum der Erkenntnis“ (2Mo 2,9) als religiöses Ursymbol beziehen: Die eine ist das sich gegen den eigenmächtigen Genuß seiner Frucht richtende Verbot Gottes, an welchem der Mensch in seiner Gottesbeziehung reifen sollte; die andere Veranlassung ist die Verlockung der Schlange, welche den religiös Suchenden in die entgegengesetzte Richtung weist: Erlangung des Heils aus eigenen Kräften oder gar aus Satans okkulten Quellen.
Ich fasse zusammen: Die außerbiblischen Religionen haben von Anfang an drei zu unterscheidende Veranlassungen: eine (in sich selbst widersprüchliche) menschliche Motivierung und zwei einander entgegengesetzte transzendentale Ursprünge, nämlich einen göttlichen und einen dämonischen. Angesichts dieser Ambivalenz ist es theologisch unzulässig, den nichtchristlichen Religionen pauschal eine eindeutige Ausrichtung auf das Evangelium hin zuzusprechen.
IV. Jesus Christus – der einzige Weg, Gott wahrhaft zu erkennen
Unsere religionstheologische Untersuchung hat ergeben, daß wir die Frage: „Kennen die Religionen den wahren Gott?“ – wenn sie so zugespitzt gestellt wird – mit „Nein“ beantworten müssen.
Die Hl. Schrift zeigt uns eindeutig, daß die außerisraelischen Völker in ihren heidnischen Kulten fremden Göttern dienen, und daß sie dies in weitgehender Unwissenheit und Täuschung über den wahren, lebendigen Gott Himmels und der Erde tun. Mit diesem biblischen Befund stimmen auch die Ergebnisse der empirischen Religionsgeschichte überein.
Nun finden sich andererseits in zahlreichen Religionen – sogar unter urtümlichen Stämmen – gewisse Anschauungen von der Gottheit, die – wenn auch gebrochen und überfremdet – dem entsprechen, was die biblischen Autoren über Gottes Selbstbekundung in Schöpfung, Geschichte und im menschlichen Gewissen aussagen (Röm 1, 19-23). Deswegen tun wir gut daran, diesen sich von zwei Blickwinkeln her ergebenden dialektischen Tatbestand in einer „natürlichen Theologie“ festzuhalten.
Darüber hinaus gibt es später entstandene Religionen, welche zu uns noch vertrauter klingenden Aussagen über Gott gelangt sind. Sie haben diese nämlich übernommen aus der Wirkungsgeschichte des Christentums – v.a. der Missionspredigt -, sie dann allerdings auch synkretistisch verfälscht. Das ist nämlich das Wesen einer „nachchristlichen Religion“, die durch diese Verbindung von Ähnlichkeit und Verkehrung zur „antichristlichen Religion“ wird.
Besonders trifft dies für den Islam zu. Dessen Begründer Mohammed hatte ja auf seinen Handelsreisen auch die eindringliche Verkündigung syrischer Mönche gehört und war von dem im Namen des einen Gottes betonten eschatologischen Gerichtsernst tief beeindruckt worden. Das spiegelt sich auch in den ersten, zur mekkanischen Zeit niedergeschriebenen Suren wider. Im Koran wird Allah – der arabische Name für Gott – als allmächtiger und allwissender Schöpfer beschrieben, der die Geschicke der Menschen in seinen Händen hält und ihnen am Jüngsten Tage nach ihren guten und bösen Taten vergelten wird. Diese Aussagen, noch dazu, wenn alle Suren ihn eingangs als den „Barmherzigen und Allerbarmer“ bezeichnen, sind ja in sich nicht falsch. Aber aus zwei Gründen vermitteln sie keine zureichende Gotteserkenntnis:
Zum einen fehlen dem islamischen Gottesbild wesentliche Züge der authentischen Gottesoffenbarung im Alten und Neuen Testament: Die Muslime erfahren nicht, daß – wie es im 1. Johannesbrief (4, 8) heißt – Gott Liebe ist.
Auch fehlt unter den vielen Beinahmen, welche sie Allah geben, – man zählt 99 solcher – ausgerechnet derjenige, der für uns Christen der wichtigste ist, weil Jesus uns gelehrt und durch seine Versöhnungstat ermöglicht hat, Ihn so anzurufen: Vater! (Matth. 6,9) Abba, lieber Vater! (Röm 8,15)
Zum anderen werden im Koran vehement einige Aussagen über Gott bestritten, die für das christliche Bekenntnis zu Gott grundlegend sind, nämlich seine Dreifaltigkeit, die damit verbundene Göttlichkeit Jesu als Sohn Gottes des Vaters, wie schließlich auch die personale Gottheit des Heiligen Geistes. Gott in drei Personen anzurufen, wäre sogar die unvergebbare Sünde „shirk = Beigesellung) und wird als Blasphemie scharf verurteilt.
Aufgrund dessen nimmt das islamische Gottesbild die Züge eines dem Menschen weit entrückten Willkürpotentaten an, der letztlich nur ein anderes Wort für das blinde Schicksal ist. Wenn aber die Muslime meinen, den Willen Allahs nicht nur erkannt zu haben, sondern ihn in gehorsamer Unterwerfung rücksichtslos vollstrecken zu müssen, können im Namen Allahs die grausamsten Verbrechen begangen werden. Dafür liefert der islamistische Terror in vielen Ländern entsetzliche Beispiele.
In Gestalt des koranischen Allah ist also die des biblischen Gottes verzerrt. Das liegt zum einen daran, daß im Islam menschliche Spekulation an die Stelle der persönlichen Selbstoffenbarung Gottes einen rationalen Monotheismus gesetzt hat. Zum anderen – schlimmer noch! – muß bereits der den Mohammed inspirierende Offenbarungsengel Gibrel (=Gabriel) als ein lügenhafter Geist identifiziert werden.
Dieser widersprach angeblich im Namen Allahs diametral zentralen biblischen Aussagen über die Gottessohnschaft Jesu (Sure 9,3o; 19,91-93) und seinen Sühnetod am Kreuz (Sure 4,156). Im Licht von 1 Joh 4, 2f müssen wir diesen Geist diakritisch als einen Dämon, ja als den Geist des Antichrist entlarven; denn dieser ist es ja, der die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus bestreitet. .Das aber bedeutet, daß aus den im Namen Allahs getanen antibiblischen Äußerungen des Koran wie auch aus deren fanatischer Anwendung heute, z.B. der islamistischen Anweisung und Praxis, Christen erbarmungslos zu verfolgen – letztinstanzlich Satan selber spricht.
Wie aber konnte es zu diesen schrecklichen Entgleisungen des koranischen Ein-Gott-Glaubens kommen? Die Ursache ist die: Schon Mohammed selbst verkannte, daß der ewige, lebendige, eine Gott, auf dessen allmächtiges Walten er in der Tat gestoßen war, sich authentisch, wahrhaftig und abschließend in Jesus von Nazareth geoffenbart hat. Dieser war nicht bloß ein Prophet, wie Mohammed selber einer zu sein meinte. Vielmehr ist in Ihm Gott selbst in Menschengestalt (Matth 11,27), in unlösbarer Verbindung beider Naturen, zu uns gekommen, um uns den Vater zu offenbaren, um uns mit Ihm zu versöhnen und uns zu Seinen Kindern zu machen. Sagt Jesus doch von sich selbst: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh 14,9). Schon im Johannesprolog (1, 18) heißt es ja: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat Kunde [d.h. authentische und volle Kenntnis] von ihm gebracht.“
Wahre Gotteserkenntnis, die über die vage Gottesahnung der Religionen weit hinausgeht, ist möglich geworden, weil Gott selber im Kind von Bethlehem als Heiland zu uns gekommen ist und sich uns in ihm, vermittelt durch zurückgehaltenen Zorn in dieser Zeit ständig provoziert, – und dies besonders auch durch die abstoßenden Zügen ihrer Religionen: In der von diesen gedeckten Unmoral – man denke an die hinduistische Witwenverbrennung – im Stolz der Selbstrechtfertigung und schließlich sogar im Streben, sich selbst zu vergotten.
Zu all diesen gottwidrigen Zügen sagt Gott in seiner Volloffenbarung durch Jesus Christus ein schneidendes Nein, zumal die Menschen sich dadurch in einen Selbstwiderspruch zu ihrem besseren eigenen Wissen um Ihn (Röm 1,21.28; Apg. 17,29) begeben. Darum ergeht mit der Verkündigung des Evangeliums an die Heiden zugleich auch ein Gericht über ihre Religionen. Deren Zeit ist nunmehr endgültig abgelaufen; die