Die Absolution (K.E.Koch)
Dr. theol. Kurt E. Koch
– Die Absolution –
Auszug aus dem Buch SEELSORGE UND OKKULTISMUS, Seiten 337 bis 359. Thema ist die Befreiung von okkulter Belastung. Gekürzt und die Hervorhebungen von Horst Koch, Herborn, im September 2006 –
3. Die seelsorgerliche Führung der okkult Behafteten
Die eigentliche Praxis, die Durchführung des seelsorgerlichen Dienstes an okkult Behafteten steht nun zur Erörterung. Wenn in der folgenden Darstellung systematisch vorgegangen wird, so soll das nicht heißen, dass die vom Leben diktierte Mannigfaltigkeit in ein Schema gefasst werden soll… Wir gehen wie bei der ganzen vorliegenden Untersuchung davon aus, dass ein seelisch erkrankter Mensch zur seelsorgerlichen Aussprache kommt. Wenn der Hilfesuchende nicht sofort durch eine spontan Beichte, bei der das Schuldbekenntnis mit elementarer Gewalt aus dem Herzen des seelisch Kranken bricht, den Verlauf des seelsorgerlichen Gesprächs selbst bestimmt, dann hat der Seelsorger zunächst eine diagnostische Aufgabe. Darüber soll zuerst gesprochen werden.
a. Die Differentialdiagnose bei seelischen Erkrankungen
Die Kernfrage der Diagnose bei seelischen Erkrankungen ist die Feststellung, ob die Ursachen rein medizinischer Art sind, ob eine okkulte Behaftung oder ein Mischtypus vorliegt. Die Frage nach den medizinischen Ursachen bei dem seelisch Kranken steht im Vordergrund. Ergibt sich hier ein stichhaltiger Befund, so wird der Patient einem Facharzt zugewiesen. Liegt ein Mischtypus vor, das heißt, sind medizinische und okkulte Wurzeln nachweisbar, dann ist die Zusammenarbeit mit einem Facharzt, der auch die geistliche Fragestellung des Phänomens anerkennt, angezeigt.
. . . Ist bei seelischen Erkrankungen ohne medizinischen Befund eindeutig eine okkulte Behaftung nachweisbar, dann verzichte ich auf fachärztliche Hilfe. Selbstverständlich wird in allen Zweifelsfällen auf den christlichen Facharzt verwiesen. In allen Fällen aber wird nie auf die spezifisch christliche Allgemeinseelsorge verzichtet. Die cura specialis an okkult Behafteten kommt nur unter eindeutigen Voraussetzungen zur Anwendung. Wie sich eine solche Anamnese im einzelnen vollzieht, soll an einem kurz zusammengedrängten Beispiel gezeigt werden.
B 124 Nach einem Evangelisationsvortrag, der das okkulte Gebiet überhaupt nicht berührte, meldete sich ein Mann zur Aussprache an. Er erklärte, er wolle eine Generalbeichte ablegen. Die Unterredung begann damit, dass der Hilfesuchende spontan von seinen seelischen Nöten berichtete. Er gab an, dass er ohne äußeren Grund an seelischen Verstimmungen leide. Er könnte dann tagelang sich in ein dunkles Zimmer zurückziehen, habe keine Lust und kein Interesse an der Arbeit. Alles sei ihm verleidet. Das Essen schmecke ihm dann nicht. Entscheidungen im Geschäftsleben fielen ihm in solchen Zuständen schwer usw.
Die Beobachtung während des Berichtes gab durch den schmerzlichen, ängstlichen mimischen Ausdruck mit geringer Beweglichkeit und der typischen Veraguthschen Falte des Oberlides den Hinweis auf Melancholie. In diesen ersten Eindruck fügten sich die mangelnde Entschlussfähigkeit, das Gefühl der Kraftlosigkeit, die gelegentlichen Versündigungs- und Verarmungsideen bei bester Vermögenslage, die periodischen depressiven Phasen, die „schwarze Brille“, mit der alles gesehen wird, als weitere Symptome, um die Diagnose auf Melancholie zu stützen. Bemerkenswert ist das Fehlen des manischen Temperamentes in den Intervallen und ferner die kurze Dauer der depressiven Phase von etwa 1-2 Wochen. Zwischen den depressiven Phasen geht er seiner Arbeit nach und kann seinem Geschäft wohl vorstehen. Besonders ausgeprägt ist auch die Ansprechbarkeit für religiöse Dinge.
Trotz dieses medizinischen Befundes einer periodischen Melancholie hatte ich in diesem Falle den unbestimmten Eindruck von okkulten Zusammenhängen. Eine diesbezügliche Frage wurde verneint. Die Vorfahren wären alle fromme Menschen, treue Kirchgänger gewesen. Ich ließ mich noch nicht überzeugen und führte die Anamnese hinsichtlich der Familienglieder und Vorfahren weiter, mit folgendem Ergebnis: Ein Neffe hat die gleichen melancholischen Verstimmungszustände. Eine Schwester und eine Tante nahmen sich das Leben. Der Großvater starb im Irrenhaus. Ätiologisch ist dem Psychiater diese familiäre Häufung endogener Depression ein typisches Bild für die Vererbung des manisch-depressiven Irreseins, wenn auch die Art des Erbganges noch nicht sicher ist. Nicht weniger charakteristisch ist dieses Bild in der Seelsorge an okkult Behafteten. In Besprecherfamilien, deren Geschichte ich in drei und vier Generationen verfolgen konnte, ist die Folge von Tod im Irrenhaus, von Schwermut und Selbstmord und tödlichen Unglücksfällen ein stets wiederkehrendes und darum normales Bild. Es kann hier nicht mehr auf die Ursachen und die Priorität der Phänomene eingegangen werden. Die bei fast allen Besprechergenerationen zutage tretenden derartigen Symptome lassen mich stets hellhörig werden. So entließ ich bei dieser ersten Aussprache außer dem Zuspruch mit dem Wort Gottes den Geschäftsmann mit dem Hinweis, dass ich vermute, dass in der großelterlichen Reihe okkulte Aktivisten, möglicherweise Besprecher waren. Er lehnte das nochmals als unmöglich ab. Zwei Stunden später erhielt ich von ihm einen Telefonanruf mit der überraschenden Meldung, dass nach sofort eingezogener Erkundigung feststeht, dass sein Großvater, der im Irrenhaus starb, Krankheitsbanner und Viehbesprecher war.
Es kann hier dieser Fall nicht weitergeführt werden. Es folgten noch viele Aussprachen, die den Tatbestand klärten, dass die seelische Erkrankung des Mannes mit der okkulten Betätigung der Vorfahren direkt oder indirekt gekoppelt ist. Da es sich bei diesem Fall um einen Mischtypus handelt, ist zunächst von psychiatrischer Sicht aus eine Konvulsionstherapie angezeigt und in seelsorgerlicher Hinsicht eine spezielle Führung erforderlich.
Dieses Beispiel sollte nur zeigen, dass der Seelsorger eine schwierige differentialdiagnostische Aufgabe hat und erst sorgfältig, mit allen wissenschaftlichen Hilfsmitteln gerüstet, die Zusammenhänge der seelischen Erkrankung aufdecken muss, bevor er zur Hilfeleistung die weiteren Maßnahmen trifft.
b. Die Beichte
Seelsorge bedeutet nicht, über unsaubere Geschwüre leichtfertig fromme Spruchpflaster zu kleben. Darum müssen nicht nur auf wissenschaftlich neutraler Ebene diagnostisch die Zusammenhänge erfasst, sondern auch die Wunden freigelegt und die religiösen Konflikte erhellt werden, ehe ein Heilungsprozess beginnen kann. Das heißt auf seelsorgerlichem Gebiet, die Sünde erkennen und beichten.
Was bedeutet diese Beichte im Rahmen der seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten?
Vor der Klarstellung der Bedeutung der Beichte in dem vorliegenden speziellen Anliegen muss die scharfe Abgrenzung zur Aussprache bei der psychotherapeutischen Behandlung vollzogen werden.
Bei der Psychoanalyse sollen Verdrängungen, Verklemmungen, unterbewusste Spannungen, Komplexe durch Bewusstmachen der Ursachen und falschen Weichenstellungen abreagiert werden. Es wird also nach dem sokratischen Prinzip eine Entspannung, eine klärende Verarbeitung und Überwindung vor dem Forum der ratio gesucht. Die analytische Methode ist auf Arzthilfe und Eigenhilfe abgestimmt.
Beim Beichtvorgang stehen Seelsorger und Beichtender vor dem Angesicht Gottes und erwarten und erhalten von dorther Hilfe. Soviel Beziehungspunkte beide Gebiete haben, so müssen sie doch klar auseinandergehalten werden. Diese scharfe Abgrenzung schließt natürlich nicht aus, dass ein christlicher Arzt auf Grund des Priestertums aller Gläubigen außer der psychotherapeutischen Behandlung zusätzlich christliche Seelsorge übt. Wenn hier die Psychoanalyse und die christlich verstandene Beichte einander gegenüberstehen, so muss an dieser Stelle auch einmal auf die eventuelle Gefährlichkeit der Psychoanalyse hingewiesen werden, nachdem sie so oft schon erwähnt wurde. Es ist mir bekannt, dass christliche Akademiker die Gefährlichkeit einer Analyse für ihr Glaubensleben erfuhren.
Ein junger christlicher Psychiater z.B. bekannte mir, dass er nach den Sitzungen bei einem bekannten nichtchristlichen Psychoanalytiker sich oft stundenlang mit Wort Gottes und Gebet gegen unheimliche Gewalten in seinem Seelenleben wehren musste. Dieser Psychiater steht seither der analytischen Methode sehr kritisch gegenüber. Es ist ja psychologisch sehr einsichtig, was dabei herauskommt, wenn ein antichristlich eingestellter Psychotherapeut den Wesenskern eines christlichen Patienten analysiert.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch, was der Psychotherapeut Dr. Tournier sagt: „Das christliche Bekenntnis führt zu den gleichen psychischen Befreiungen wie die besten psychoanalytischen Behandlungen.“
Nach dieser Klärung wenden wir uns der christlichen Beichtpraxis zu. Es werden gewöhnlich drei Arten der Beichte unterschieden.
Nach Müller sind es: Beichtgespräch, Einzelbeichte, Beichtfeier der Gemeinde; nach Lackmann sind es: Beichte vor Gott allein oder Herzensbeichte, Einzelbeichte und Beichtfeier.
Bei der seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten kommt nur die Einzelbeichte oder Privatbeichte in Frage. Bei der Darstellung der seelsorgerlichen Führung werden nur die speziellen Probleme behandelt. …
Wenn in Form einer Skizze die Stellung Luthers zur Beichte umrissen werden soll, so kommen fünf Punkte in Frage. Wir erhalten damit gleichzeitig eine Grundlegung für unsere eigenen Darlegungen, die sich zum Teil aus Luthers Stellung entwickeln lassen. Für Luther steht die Notwendigkeit der Beichte und speziell der Einzelbeichte außer Frage. Er schreibt: „So lehren wir nun, wie treffliches, köstliches und tröstliches Ding es ist um die Beichte.“
Zweitens verwarf Luther den Zwangscharakter der Beichte. „Von der Beichte haben wir allzeit also gelehrt, dass sie solle frei sein“. Hierher gehört ferner des Reformators Kampf gegen die gesetzliche Verengung der Beichte. Das Bekenntnis der Sünde soll zur Hilfe, zum Trost führen und nicht zur Aufrichtung eines neuen Gesetzes.
Darum verwirft Luther die Forderung, der Beichtende müsse krampfhaft sein Gewissen erforschen, um ja keine Sünde zu vergessen. Er schreibt: „Die Erzählung der Sünden soll frei sein einem jeden, was er erzählen oder nicht erzählen will …“
Der empfindlichste Schnitt in die katholische Beichtpraxis war Luthers völlige Umgestaltung des Priesterbegriffes. Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen kann im Grunde jeder Christ des anderen Beichtvater sein. Die Privatbeichte ist kein Privileg der ordinierten Priester, kein Reservat der Geistlichkeit.
In der Abwehr gegen das teuflische, katholische Ablasswesen und die satisfaktorische Auffassung der Beichte wandte sich Luther gegen den Werk- und Verdienstcharakter der Beichte.
…
Es liegt im Wesen des Wortes Gottes, dass der Mensch aus der Gottesferne, aus der Sünde zurückgerufen wird in die Gemeinschaft Gottes. Die beiden wesentlichen Pole der biblischen Botschaft sind Gericht und Gnade.
Die Gottesferne ist Finsternis, die Gottesgemeinschaft ist Licht. Beichten heißt nichts anderes, als die Flucht in die Finsternis aufzugeben, offenbar zu werden vor Gott, ins Licht zu kommen.
Eine besondere Bedeutung hat dieser Vorgang bei der seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten. Okkulte Betätigung stellt in besonderer Weise einen Vertragsschluss mit dem Reich der Finsternis dar. Das wird vor allem deutlich bei den Bluts- und Amulettverschreibungen und bei dem formalen und realen Teufelsanruf, etwa beim magischen Besprechen und der Schwarzen Magie. Für den okkult Behafteten besteht die Beichte darin, dass er die Zugehörigkeit zum Reich der Finsternis sieht und sich entschließt, zum Licht zu kommen. Es ist ein interessanter Tatbestand, der sich mir bei allen okkult Behafteten darbot, dass bei okkulter Behaftung eine Beichte unumgänglich ist.
In der allgemeinen Seelsorge steht es dem Hilfesuchenden stets frei, ob er beichten will oder nicht. Bei okkulter Behaftung wird stets beobachtet, dass die Hilfesuchenden, die eine Generalbeichte, welche nicht nur die okkulte Betätigung, sondern auch das übrige Leben betrifft, scheuen, nicht frei werden.
Kein Beichtgespräch mit okkult Behafteten führt zu einer Befreiung, wenn dem Hilfesuchenden nicht durch die Gnade Gottes Herz und Lippen zum Schuldbekenntnis geöffnet werden.
Hinter diesem Tatbestand steht ein doppeltes Gesetz. Zunächst hat die Beichte psychologische Bedeutung.
Ein Schuldbekenntnis hat entspannende, entlastende Wirkung. Es wird eine klare Atmosphäre geschaffen. „Solange die Sünde geheim bleibt, breitet sie sich aus, greift sie um sich. Es ist daher von höchster Wichtigkeit, dass sie offenbar werde“.
Die Sünde ist das Geheime schlechthin. Sie sucht sich zu verstecken und zu verbergen, wie wir das an Adam und Eva nach dem Sündenfall wahrnehmen. Erst wer diesen Zwang zum Geheimen in der Sünde erkannt hat, versteht, welche Bedeutung das Aussprechen, das Offenbarwerden und Bekennen der Sünde in der Beichte hat.
Damit sind wir schon bei dem zweiten Gesetz. Dieses Faktum der Flucht ins Geheime ist ein charakteristisches Merkmal der Finsternismacht. Der dämonische Versucher lebt ja immer von dem Geheimnis, das zwischen ihm und uns besteht. Solange es gewisse verschwiegene Dinge in unserer Lebensführung gibt, die kein Mensch wissen darf, solange hat auch der arge Feind über unsere Seele Gewalt. In dem Augenblick aber, wo das Geheimnis ausgesprochen und verraten ist, verliert die Finsternismacht ihren Herrschaftsanspruch über uns. Die Beichte ist deshalb die Aufkündigung dieses Herrschaftsanspruches, die Gegenaktion gegen das Reich der Finsternis. Weil diese finsteren Mächte zur Abwehr der Beichte alles aufbieten, fällt dem Menschen das lösende Wort so schwer. Beichte ist also ein Ausbruch aus der Gefangenschaft der Civitas Diaboli. Dieses Ausbrechen ist Wirkung der Gnade, darum kann Beichte niemals erzwungen werden, genauso wenig, wie sich Sündenerkenntnis und Buße kommandieren lassen. Erzwungenes führt nur zu Verkrampfungen und Verbiegungen im Seelenleben. Der Seelsorger kann nur dem alleinigen Schrittmacher folgen. Über den Bußbegriff wird hier nicht gesprochen, weil bei echter Beichte echte Sündenerkenntnis und echte Buße vorausgesetzt ist.
c. Die Absage an den Teufel
Mit abrenuntiare, apotássesthai wird ein mit kirchlichen Handlungen verbundenes, mitunter auch ein für sich allein stehendes Gelöbnis bezeichnet, mit welchem der Gelobende sich vom Teufel und dessen Diensten lossagt.
Das Problem der abrenuntiatio (Absage) war in der Geschichte der Taufpraxis von jeher umstritten. Der Schriftbeweis für die Lossagung vom Teufel wird gewöhnlich in Matthäus 25, 41; Johannes 12, 31; Epheser 6, 11-12; 1. Johannes 2, 13; 5, 19 gesehen. Begründet wird der Ritus der abrenuntiatio mit dem Hinweis, dass die heidnischen Täuflinge sich vom Dämonenkult des Heidentums lossagen müssten. Der Götzendienst wird ja im NT als Dämonendienst (1.Korinther 10, 19-20; Offenbarung 9, 20) bezeichnet…
… Luther behält in der Taufliturgie die abrenuntiatio bei. Die lutherischen Agenden folgen seinem Beispiel. In den neueren Agenden stehen die Abrenunziationsfragen in zwei Fassungen. Die Lutherischen im allgemeinen haben mehr die ursprüngliche Fassung: „Entsagst du dem Teufel“ usw.. Die anderen Agenden haben meistens die zweite Fassung mit der abschwächenden Akzentverschiebung: „Entsagst du dem Bösen“ usw.. Einige Länder, z.B. Baden, haben die Abrenunziation nicht.
Bei der Hilfe an okkult Behafteten ist die abrenuntiatio keine dogmengeschichtliche und liturgische, sondern eine seelsorgerliche Frage. In dem Abschnitt über die Beichte wurde gesagt, dass die okkulte Betätigung einen Vertragsschluss mit dem Reich der Finsternis darstellt. Dieser Vertrag muss aufgehoben, annulliert, gelöst werden durch eine bewusste Lossprechung von seiten des okkult Behafteten, nachdem von Jesus Christus schon die objektiven Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind. Während ich in der allgemeinen Seelsorge bisher völlig auf die abrenuntiatio verzichtet habe und es auch weiterhin tun werde, so verzichte ich auf Grund entsprechender Erfahrungen in manchen Fällen nicht mehr ganz auf die abrenuntiatio bei okkult Behafteten.
Es ist die übereinstimmende seelsorgerliche Beobachtung vieler Evangelisten, dass die bewusste Lossprechung von seiten des Behafteten zu einer gewissen Befreiung führt. Der Evangelist Pfarrer Bruns pflegt diese Lossprechung, indem er den okkult Behafteten sagen lässt: „Ich entsage dem Teufel und allem seinem finsteren Wesen und Werken und übergebe mich Dir, dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und will Dir im Glauben und Gehorsam treu sein bis an mein Ende.“
Die gleiche Auffassung vertritt Dr. Riecker. Er schreibt: „Überall, wo magische oder zauberhafte Handlungen vorgenommen wurden, kann auch ein offizielles Bekenntnis der Loslösung von allen dämonischen Mächten, eine Absage an den Teufel notwendig werden: Ich entsage dem Teufel und allen seinen Werken.“
Die gleiche Haltung hat auch Dekan Hauß, der Leiter des volksmissionarischen Amtes von Baden.
Was bedeutet die abrenuntiatio in der Seelsorge an okkult Behafteten? Die Absage an den Teufel enthält zunächst ein psychologisches Moment. Was bisher „in occulto“, im Verborgenen lag, wird nunmehr durch festen Willensentschluss bewusst verarbeitet. Hier zeigt sich ein Stück psychotherapeutischer Heilmethode, die hier natürlich niemals in die Tiefe des Problems vordringt.
Zweitens vollzieht sich in der Absage an den Teufel eine Entmythologisierung gerade im Gegensinn zu Bultmann. Der Teufel wird seines mythischen Charakters entkleidet und als furchtbare Realität erkannt und genannt.
Kein Gebiet zeigt so drastisch die Unhaltbarkeit der Bultmannschen Theologie wie gerade die Seelsorge an okkult Behafteten. Die Bultmannsche These: „Erledigt ist durch die Kenntnis der Gesetze der Natur der Dämonenglaube“ geht an der Wirklichkeit der Mächte vorbei.
Drittens ist die abrenuntiatio eine offizielle Erklärung vor Zeugen. Sie schafft damit in der congregatio sanctorum das Faktum der öffentlichen Lossagung, der Lostrennung vom Reich der Finsternis.
Ferner hat die abrenuntiatio die gleiche Bedeutung wie die Absage der heidnischen Katechumenen der alten Kirche. Dort wurde die Lostrennung von dem dämonischen Götzenkult vollzogen. Bei der Absage des okkult Behafteten geht es in gleicher Weise um die Lösung vom Teufelskult; denn Magie ist Teufels- und Dämonenkult …
d. Die Absolution
Zur Beichte und Abrenunziation gehört die Absolution. Der Zuspruch der Vergebung durch den Seelsorger an den Beichtenden ist in der Einzelbeichte besonders notwendig, da hier gewöhnlich Sündenerkenntnis und Sündenbekenntnis in ausführlicher Beichte und Einzelangaben konkrete Formen angenommen haben. Ihre biblische Verankerung hat die Absolution zunächst in der Vollmacht Jesu Christi zur Sündenvergebung (Matthäus 9, 6a) und dann als deren Folge in der Schlüsselgewalt, die Jesu Christus Seinen Jüngern und damit Seiner Gemeinde gegeben hat (Matthäus 18, 18-20; Johannes 20, 21-23).
Die Vergebung der Schuld ist der tiefste, tragende Grund, dem der Christ sein Leben verdankt, der zentralste Vorgang in der Seelsorge, der entscheidende Punkt bei der Hilfe an okkult Behafteten. Darum muss hier besonders das Augenmerk darauf gerichtet werden.
Die Absolution steht zwischen zwei Irrwegen: Ihre gesetzliche Verengung oder ihre voreilige Erteilung. Beide Irrwege können bei dem Dienst an okkult Behafteten zu einem Verhängnis führen. Die Absolution ist nicht an die Erfüllung verschiedener vorlaufenden oder nachfolgenden Verpflichtungen geknüpft. Die Absolution ist ein Kernstück des Evangeliums, das nicht durch das Gesetz abgeschwächt werden darf. Riecker schreibt dazu: „Wir wollen in unserer an Charismen, an verwirklichten Gnadengaben so armen Zeit nicht neue Bindungen einführen und die Gnade, die dem Bußfertigen zugesprochen ist, nicht wieder mit Zäunen umgeben.“ Der okkult Behaftete braucht zu seiner schweren Last nicht ein neues Joch, sondern Entlastung.
Diese Erkenntnis schließt allerdings das Extrem des zweiten Missbrauches nicht aus. Ein leichtfertiger Zuspruch, eine voreilige Absolution führt zur falschen Sicherheit und zur Selbsttäuschung. Es handelt sich hier um das Problem, wie und woran man die Berechtigung zur Erteilung der Absolution erkennt. Der Verweigerung der Absolution muss ja die gleiche Auftragsgewissheit zugrunde liegen wie der Erteilung. Thurneysen weist in die gleiche Richtung, wenn er schreibt: „Hier ist es mit dem bloßen Sagen (Zuspruch der Vergebung) nicht getan. Denn gerade hier hängt alles an dem Gesagtbekommen von seiten Gottes selber.“ Um dieses Problem geht es speziell bei dem Hilfsdienst an okkult Behafteten. Es wird nun ganz praktisch gezeigt, wie bei diesem besonderen seelsorgerlichen Dienst vorgegangen werden kann.
Nach der Beichte und eventuell nach der Abrenunziation lese ich mit dem Hilfesuchenden Bibelstellen zur Sündenvergebung, etwa Jeremia 31,34; Matthäus 9,2; 26,28; Johannes 1, 29; Römer 5, 20; Galater 1, 4; Epheser 1, 7; Hebräer 1, 3; 1. Petrus 1, 19; 2, 24; 1. Johannes 1, 7-9; 2, 2. An die Betrachtung dieser Stellen in der besonderen Anwendung für den Beichtenden schließt sich die Frage an: „Kannst du das glauben?“ Diese Frage nach dem Glauben soll nicht bedeuten, dass die Absolution in den Glauben des einen Mannes hineingestellt werden soll, der doch gekommen ist, von außen her Hilfe zu bekommen. Wenn alles von ihm verlangt werden soll, dann ist die seelsorgerliche Hilfe wiederum Gesetz und nicht Evangelium. Diese Frage hat nur den Sinn, festzustellen, ob dieses „Gesagtbekommen von seiten Gottes“ vorliegt.
Wie das „Beichten können“ Gnade Gottes ist, so ist das „Glauben können“ auch gratia und Zeichen, dass die göttliche Absolution schon zugesprochen ist. Wenn der Seelsorger dieses „Glauben können“ merkt, so steht dem Zuspruch der Vergebung nichts entgegen. Dieser einfache seelsorgerliche Fall kommt bei okkulter Behaftung ganz selten vor.
Manchmal ist es so, dass man bei Beichtenden beobachtet, dass nach der Betrachtung der Vergebungsstellen ein ganz kleines Glaubensfünklein zu glimmen beginnt. Da kann der Seelsorger dann getrost handeln. In dem menschlich-seelsorgerlichen „Du“ des Zuspruches: „Dir sind deine Sünden vergeben“ verwirklicht sich das „Du“ des göttlichen Zuspruches, und das glimmende Glaubensfünklein wächst beim Zuspruch zum festen Glauben.
Der Regelfall bei okkulter Behaftung ist allerdings, dass solche Hilfesuchende überhaupt nicht glauben können. Man steht an dieser Stelle einfach vor einem toten Punkt in der Seelsorge an solchen Angefochtenen. Das Beichtgespräch ist damit zunächst festgefahren, weil der Hilfesuchende das Evangelium, die Vergebung seiner Schuld nicht fassen kann. Es ist dadurch dem Seelsorger die Aufgabe gestellt, dem „Stecken-bleiben“ dieses Beicht- und Absolutionsvorganges sachlich richtig und charismatisch zu begegnen. Im einzelnen können dann folgende Punkte zur Behandlung stehen:
Das erste Problem wird ein medizinisches sein. Hat der Beichtende irgendeine Thymopathie, die bestimmte Willens- und Denkhemmungen oder mangelnde Entschluss- und Entscheidungskraft im Gefolge hat? Die Behandlung der medizinischen Frage erübrigt sich, da ihr der Abschnitt über die Differentialdiagnose gewidmet ist.
Die nächste Frage ist die Überlegung, ob der Beichtende allgemein ein schwerfälliger Mensch ist, der zur Erfassung der Vergebung eine besondere Brücke braucht. In solchen Fällen hat sich das Lesen von Vergebungsstellen in der Ichform bewährt. Zum Beispiel liest der Hilfesuchende Jesaja 53, 4-7: „Fürwahr, Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf Sich geladen; wir aber hielten Ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch Er wurde um unserer Übertretungen willen durchbohrt, wegen unserer Missetaten zerschlagen; die Strafe lag auf Ihm, damit wir Frieden hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilt worden. Wir alle gingen in die Irre wie Schafe, jeder wandte sich auf seinen Weg…“ …
Eine weitere Hilfe zur Überwindung des „Stecken-bleibens“ ist der Hinweis auf die Perfecta der Heilstatsachen. In diesem Zusammenhang wird auf Johannes 19, 30 und andere Schriftstellen hingewiesen, in denen von den Perfecta die Rede ist, auch auf die Vocatio, die schon bei der Taufe erfolgt und vollzogen ist… Diese Heilswirklichkeiten werden in unserem Leben durch das bewusste Nehmen und Danken realisiert. Das Lutherwort mag darin Wegweiser sein: „Denn, ob Christus tausendmal für uns gekreuzigt würde, wäre es umsonst, wenn nicht das Wort Gottes käme und teilte es aus und schenkte mir’s und spräche: ‚Das soll dein sein, nimm und habe.‘ “ Das Nehmen, die Akzeption der Perfecta, lässt sich seelsorgerlich unschwer an folgenden Schriftstellen klarmachen: Lukas 11,10; Johannes 1, 16; 16,24; Epheser 6,17; 1.Tim. 6, 12…
Dieser Vorgang des Nehmens lässt sich dem Hilfesuchenden auch leicht mit drastischen Beispielen aus dem Alltag untermalen. Gern frage ich manchmal scherzhaft den, der nicht glauben kann: „Kann der Russlandheimkehrer in seiner Heimat vor einem reichgedeckten Tisch verhungern?“ Ja, wenn er nicht zugreift. Glauben heißt nichts anderes als die Perfecta: Vergebung, Erlösung, Kindschaft Gottes, Gliedschaft am Leibe Jesu Christi, ewiges Leben, Gewissheit des Heils annehmen und dafür danken. Glauben heißt zugreifen und handeln.
Wenn trotz eines handgreiflichen Angebotes des Evangeliums der Hilfesuchende nicht glauben kann, dann muss nach den weiteren Ursachen geforscht werden. Vielleicht wurde bei der Beichte gerade das Schwerste bewusst verschwiegen; vielleicht sucht der seelisch Kranke nur seine psychischen Anfechtungen loszuwerden, ohne Jesus Christus nachfolgen zu wollen; vielleicht liegen geheime Bindungen vor, mit denen der Hilfesuchende nicht brechen will.
Köberle schreibt dazu: „Wird der Bruch mit der Sünde nicht ganz vollzogen, so geht der Glaube zuletzt verloren.“
Vielleicht hat der Hilfesuchende einen falschen Glaubensbegriff, dass er Gefühlsreaktionen erwartet, statt sich nur auf das Wort Gottes gründen zu wollen. Wenn all diese Gesichtspunkte und noch andere durchgesprochen sind, so ergeben sich manche Anhaltspunkte, deren Bereinigung den toten Punkt überwinden lässt. Wird aber nach dieser Richtung kein besonderer Tatbestand sichtbar, und der Hilfesuchende kann einfach nicht glauben, dann liegt der Verdacht auf jenen hintergründigen Widerstand vor, den wir Resistenz nannten…
Die Praxis der Seelsorge an okkult Behafteten lehrt, dass eine voreilige Absolution hier keine Hilfe, sondern nur neue Anfechtungen zeitigt. Auch tritt bei dem Vergebungszuspruch an okkult Behafteten keine Befreiung ein, solange nicht der Wirrwarr dunkler Verknotungen im Lichte Gottes entwirrt ist.
Vollends ist es unberechtigt, von einem Schema zu reden. Bei aller Freiheit und Vielfalt mannigfacher Seelenführung haben sich bei dieser cura specialis die oben beschriebenen Gesetzmäßigkeiten als Regelfälle in der Praxis gezeigt. Es kann hier nur schrittweise auf kleine Einzelzüge achtend vorgegangen werden. Der Wille zur echten Hilfe, die Angst vor seelsorgerlichen Missgriffen, das Wissen um die Verantwortung, die Scheu und die Achtung vor dem Heiligtum der Seele des Bruders, der seelsorgerlichen Dienst begehrt, erfordern diese Sorgfalt. Trillhaas schreibt dazu: „Wer für diese Verantwortung kein Empfinden hat, soll die Finger davon lassen. Es wird damit zu rechnen sein, dass für das Abnehmen der Beichte und für das Wahrnehmen der Vergebungsvollmacht eine besondere Gnadengabe (Charisma) nötig ist.“
e. Der geistliche Kampf
Die Resistenz ist ein evidentes Symptom der okkulten Behaftung. Sie ist, wie schon angedeutet, in vielen Fällen die causa des toten Punktes beim Beichtgespräch. Der Seelsorger muss bei Vorliegen dieses Befundes seine ganze Kraft für die nun bevorstehende Aufgabe einsetzen. Wenn für diesen Teil des seelsorgerlichen Dienstes der Terminus „geistlicher Kampf“ gewählt wurde, so soll das nicht heißen, dass das Kämpfen und Ringen des Seelsorgers den okkult Behafteten befreien müsste. Hier gilt das Wort aus Psalm 49,8: „Und doch vermag kein Bruder den anderen zu lösen; Er kann Gott das Lösegeld nicht geben.“
Befreiung aus der Gefangenschaft persönlicher oder fremder Mächte gibt es nur durch Jesus Christus. Sein Sieg ist die Voraussetzung des seelsorgerlichen Ringens um den Bruder. Es gibt auf dieser Stufe der cura specialis drei Momente des Helfens: Beten und Fasten, die Fürbitte eines christlichen Kreises, Handauflegung nach Markus 16,18 und die Austreibung.
Der seelsorgerlich-persönliche Einsatz für den Hilfesuchenden findet seinen schönsten Ausdruck im Beten und Fasten als Hilfestellung für den Angefochtenen. Jesus Christus sagte Seinen Jüngern angesichts ihrer Vollmachtlosigkeit einem Kranken gegenüber in Matthäus 17,21: „Aber diese Art fährt nicht aus außer durch Gebet und Fasten“.
Dieser Hilfsdienst bedeutet, dass der Seelsorger in der Bruderschaft zu dem schwer angefochtenen Hilfesuchenden steht und sich mit seinem seelischen Leid solidarisch erklärt. Dieser Dienst in der Stille geschieht viel häufiger, als die christliche Öffentlichkeit davon weiß. Pfr. Schick nennt dieses Gebiet der Seelsorge eines der zentralsten Geheimnisse alles geistlichen Kampfes und Sieges und das tiefste Lebensgesetz der Seelsorge. Die Einzelseelsorge wird bei der cura specialis an okkult Behafteten oft wirksam durch einen Kreis treuer Christen unterstützt, die sich zur Unterstützung des Seelsorgers für den Angefochtenen verantwortlich wissen.
Künkel hat auf psychotherapeutischem Gebiet diesen Gedanken vom Helferkreis – etwa Arzt, Gymnastin, Sportlehrer, Ernährungsfachmann – auch betont. Was die Medizin hier als besondere Erkenntnis herausstellt, ist in noch tieferem Sinn in der Schriftstelle Matthäus 18,19 verankert. In der christlichen Bruderschaft, die sich zur gemeinsamen Fürbitte für den Angefochtenen verbindet, wird Jesus Christus mit Seinen befreienden Kräften offenbar. Was hier geschieht, ist ein Stück Realisierung der Gemeinschaft der Heiligen, von der im dritten Glaubensartikel die Rede ist, eine actio congregationis sanctorum. Wenn in den modernen psychologischen und medizinischen Schulen also vom Helfersystem und von der Gemeinschaft als einer Kraftquelle für den einzelnen gesprochen wird, so ist das eine Erkenntnis, die im Christentum schon zwei Jahrtausende praktiziert wird und in der speziellen seelsorgerlichen Hilfe an okkult Behafteten in der Gegenwart besonderes Gewicht hat. Es sind mir Fälle bekannt, dass eine Gruppe von nüchternen Christen – nicht von Schwärmern – sich zu Fast- und Gebetszeiten zusammenschloss und erleben durfte, dass schwer Angefochtene frei wurden. Im allgemeinen reden Seelsorger ungern über dieses Gebiet. Wo aus solchen Befreiungen Sensationen gemacht werden, da ist „der Tod im Topf“ (siehe 2. Könige 4, 40). Es wird hier also von allen marktschreierischen Machenschaften sektiererischer oder schwärmerischer Richtungen ausdrücklich Distanz genommen.
Eine weitere Möglichkeit der Hilfe ist die Handauflegung unter Gebet. Das NT kennt die Handauflegung in verschiedenen Formen. Der vorpfingstliche Jüngerkreis erhält von Jesus Christus die Verheißung: „ … Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.“ (Markus 16,18). Der nachpfingstliche Jüngerkreis legt die Hände zur Mitteilung des Heiligen Geistes auf (Apostelgeschichte 8,18; 9,17; 19,6). Ferner werden Charismata geweckt oder gegeben nicht allein durch Handauflegung des Apostels (2. Timotheus 1,6), sondern auch durch Handauflegung der Ältesten (1. Tim. 4,14). Timotheus erhält ferner von Paulus den seelsorgerlichen Rat, niemand die Hände zu früh aufzulegen.
Für unsere Untersuchung wird Markus 16, 18 und zum Vergleich Jakobus 5, 14 herangezogen. Der árrostos (= aeger, imbellis, infirmus, languidus) ist nicht nur der organisch-physisch Kranke, sondern auch der psychisch Mutlose. Einen ähnlichen Befund ergibt Jakobus 5, 14: „asthenēi tís …“ Asthenéo heißt: Kraftlos, schwach sein, besonders im Blick auf die physische Stärke. Doch kann dieser Terminus auch psychische Schwäche bedeuten.
Diese kleine exegetische Besinnung hat folgenden Sinn. Darf der Seelsorger nur bei physisch Kranken oder auch bei psychisch Kranken unter Handauflegung beten, wenn er darum gebeten wird? Ein Schweizer Evangelistenkreis forderte bei einer Konferenz im Herbst 1952 Zurückhaltung bei seelischen Erkrankungen, sofern sie okkulte Wurzeln haben. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die beiden Schriftstellen oben für diese Einschränkung exegetisch keinen Raum haben.
Allerdings lassen sich vielleicht solche Schlüsse aus der Haltung Jesu Christi ziehen. In den Evangelien fällt auf, dass Jesus Christus bei Besessenen nur gebietet (Matth.17,18; Markus 5,8), während er physisch Kranke auch anrührt (Matthäus 8,15; 9,29; Markus 7,33; 8,23). Dieses Verhalten kann für den seelsorgerlichen Dienst an okkult Behafteten richtungweisend sein. Hier gilt also ganz besonders der Rat des Paulus, niemand zu früh die Hände aufzulegen. Und dennoch darf daraus kein neues Gesetz gemacht werden. Wenn die Not des schwer Angefochtenen uns ans Herz geht, und die innere Freiheit geschenkt wird, dann kann ein solcher Dienst erfolgen. In einigen Fällen übte ich diesen Hilfsdienst aus unter Hinzuziehung von zwei treuen Christen. Riecker bestätigt diesen besonderen Dienst auch. Er schreibt im Zusammenhang mit der Abrenunziation: „Es ist gut, wenn diese Aussage in Gegenwart von einem oder mehreren Freunden als Zeugen gemacht wird. Diese können ihr Gebet mit dem des Hilfesuchenden vereinigen, ihm unter Umständen auch die Hand auflegen.“
Zur Abgrenzung gegen Missbrauch ist zu sagen, dass diese – selten geübte – Handauflegung sich scharf gegen alle magische Gesundbeterei abgrenzt. Es ist ein schmaler, aber scharftrennender Grat zwischen Charisma und Gebetszwängerei, zwischen Pneuma und psychischer Hochspannung, zwischen dem stillen Hilfsdienst in der Verborgenheit und dem marktschreierischen Gebaren der Wunderheiler. Aber, abusus non tollit usum, muss hier wieder gesagt werden.
Die nächste Stufe des Helfens ist der Exorzismus. Da es sich hier um den größten Zankapfel der christlichen Seelsorge handelt, soll er kurz in seiner Entwicklungsgeschichte dargestellt werden, ehe er in seiner Bedeutung in der Seelsorge an okkult Behafteten behandelt wird. Gutes Beispielmaterial von psychiatrischer und christlicher Bedeutung hat Dr. Lechler. Der Exorzismus der bei den Nachfolgern Jesu Christi hat seine Wurzeln in den Austreibungen Jesu Christi und nicht in den religionsgeschichtlichen Parallelen.
Auf religionsgeschichtliche Zusammenhänge weist dagegen der Namenkultus der beschwörenden Skevassöhne hin (Apostelgeschichte 19,14). Judäische Exorzisten gebrauchten zur Austreibung den Namen Jehova und in diesem Fall einmal probeweise den Namen Jesus. Der Versuch war ihnen schlecht bekommen.
Jesus Christus, dessen Kommen den Anbruch der Basileía toū Theoū darstellt, trieb die Teufel aus (Matthäus 12, 27; Markus 1, 27; Lukas 4, 36; 11, 19) und gab Seinen Jüngern die gleiche Vollmacht (Matthäus 10, 1 und 8; Markus 16, 17). Die Frühgemeinde trat in diese Bahnen und exorzisierte die energoūmenoi oder daimonizómenoi. Die Ausübung dieser Tätigkeit war an ein chárisma iamáton geknüpft, dessen Träger exorkístai hießen und bald einen eigenen Stand bildeten. Der Exorzismus fand nicht statt bei Taufkandidaten, die nicht daimonizómenoi waren, aber immer bei heidnischen Proselyten.
Mit dem Zunehmen der Kindertaufe wurde der Exorzismus auf die Kinder übertragen und nun in einem biblisch nicht begründbaren Bedeutungswandel mit der Erbsünde zusammengebracht. Im Taufformular entwickelte sich von dieser Zeit an der Exorzismus in der Koppelung mit Handauflegung, insufflatio oder exsufflatio und apertio aurium mit dem Befehl: Effeta. Im Rituale Romanum trat dann der exorcismus aquae et salis hinzu.
Luther kürzte dann in seinem Taufbüchlein 1523 die Exorzismen, behielt aber das Hephata bei. In der zweiten Ausgabe 1526 findet sich folgender Exorzismus: „Ich beschwöre dich, du unreiner Geist, bei dem Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes, dass du ausfahrest und weichest von diesem Diener Gottes.“…
Der Rationalismus räumte dann mit dem Exorzismus auf… Von den neueren Dogmatikern wird der Exorzismus als Teil der Taufliturgie verworfen …
Wenn zwar heute als theologisch gesichert angesehen werden darf, dass der Exorzismus in der Taufliturgie keinen Platz hat, so gilt das nicht in der Seelsorge an okkult Behafteten. Es ist ein Teilergebnis dieser Untersuchung, dass es heute bei den weit verbreiteten magischen Praktiken noch daimonizómenoi oder energōūmenoi in verschiedenen Graden des Behaftet-Seins gibt. Es wurde in dieser Untersuchung der Terminus „okkulte Behaftung“ dafür geprägt, kritisch untersucht und bestätigt. Es wurden bisher in diesem Abschnitt drei Arten der seelsorgerlichen Hilfe beschrieben. Die letzte Hilfe ist das Austreiben finsterer Mächte in der von Jesus Christus geschenkten Exousia.
Bei diesem letzten Hilfsdienst muss gesagt werden, dass es der allerseltenste Fall seelsorgerlicher Hilfe ist, der gewöhnlich nur bei Besessenheitsfällen zur Anwendung kommt. Da reine Besessenheitsfälle nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz der okkulten Fälle darstellen, tritt der Exorzismus nicht häufig in Erscheinung. Ferner muss dieser Hilfsdienst unbedingt in der Stille geschehen. Jeder Zug ins Sensationelle bedeutet gerade das Gegenteil der erstrebten Hilfe. Diese Feststellung bedeutet eine Abwehr gegen die veräußerlichten, exorzistischen Schauhandlungen der mittelalterlichen Kirche. Diese Einschränkung bedeutet aber auch eine Abwehr gegen den Pseudoexorzismus mancher christlicher Kreise und vor allem gegen die sektiererischen Richtungen der Gegenwart. Wenn diese Abgrenzungen gegen exorzistische Missbräuche vorgenommen werden, so heißt das natürlich nicht, dass durch die Abwehr das eigentliche Anliegen erstickt werden darf.
Es gibt in der Gegenwart einige Seelsorger, die dem Exorzismus in der Seelsorge an okkult Behafteten eine biblische Beurteilung zuteil werden lassen.
Erich Schick sei erwähnt, der ganz generell zu dieser Frage schreibt: „In der heimischen Christenheit wie auf den Missionsfeldern tritt die Realität und Macht übersinnlicher und übermenschlicher Mächte immer stärker in die Erscheinung. Der Seelsorger ist also wesentlich Exorzist, Teufelsaustreiber.“
Thurneysen gibt zum Exorzismus eine biblisch fundierte Definition: „Hinter der Gefangenschaft des Menschen unter die Sünde sieht die Heilige Schrift ein unsichtbares Reich böser Geister und Gewalten. Aber auch in diesen verborgenen Tiefen wird Gott Meister in Jesus Christus. Wo Vergebung der Sünden ist, da ist Satans Reich zu Ende … Ein Wörtlein kann ihn fällen. Weil die Seelsorge dieses Wort ausrichtet, darum ist ihr Werk zu verstehen als das Werk der Austreibung der Dämonen …“
In der Reihe der Praktiker mag noch Pfr. Bruns zu Wort kommen: „Wo ist der Exorzismus in der Kirche geblieben? Nicht der formelhaft agendarisch gebrauchte, sondern der geistgewirkte Machtspruch, vor dem der Teufel flieht und die Dämonen weichen und durch den in der Welt der Besessenheit mit der Befreiung durch Christus der Friede Gottes einkehrt!“
Einen ganz großen Dienst hat Dr. Lechler als Psychiater und Christ allen Reichgottesarbeitern getan mit den beiden oft zitierten Vorträgen. Er stellt in dem einen über Dämonie und Seelenstörung drei Besessenheitsfälle dar und zeigt, dass sie vom psychiatrischen Standpunkt aus nicht in befriedigender Weise zu erklären waren. Er schließt seine Differentialdiagnose ab mit den Sätzen: „Dass es sich in Anbetracht dieser Sachlage um eine Besessenheit handelte, war mir nun nicht mehr zweifelhaft. Da der Zustand trotz eingehender Seelsorge sich nicht bessern wollte, wurde zur Austreibung geschritten. Es kam dabei mehrmals zu heftigen Kämpfen von mehrstündiger Dauer mit Umsichschlagen, Schreien, Schimpfen, Fluchen, besonders, wenn vom Blut Jesu die Rede war. Dabei bewies sie eine ungewöhnlich große Körperkraft. Plötzlich spürte sie eine Befreiung und konnte gleich darauf loben und danken.“
Bei dieser Austreibung zeigte sich das Phänomen des Paroxysmus nach der Art des im NT berichteten. Einmal erlebte ich selbst den Paroxysmus bei der Heilung und Befreiung eines okkult behafteten jungen Mannes. Es war der Abschluss mehrfacher seelsorgerlicher Beratung von B53. Nach dem Anfall wurde der Mann plötzlich ruhig. Während er vorher noch lästerte, fing er dann zu loben und zu danken an und war damit frei. Bei anderen Fällen ging es nicht dramatisch zu. Im Fall von B65 dachte ich nicht an eine Handauflegung, wurde aber von dem schwer Angefochtenen dringend darum gebeten. Mit innerer Freude erwies ich ihm den Bruderdienst bei der letzten seelsorgerlichen Aussprache. Der junge Mann konnte daraufhin glauben, dass Jesus Christus ihn angenommen hatte. Die Vergebung seiner Schuld war ihm zur Gewissheit geworden. Ein direkter Zuspruch der Absolution war nicht mehr erforderlich, da Christus es unter sichtbaren Zeichen bereits getan hatte. Der bis dahin innerlich zerrissene, depressive junge Mensch „zog seine Straße fröhlich“.
Im Blick auf die seelsorgerliche Hilfe an okkult Behafteten lässt sich im Zusammenhang mit dem Exorzismus aus der Praxis folgendes sagen: Im Exorzismus vollzieht sich ein Nahkampf des Seelsorgers mit den finsteren Mächten. Eine befreiende Hilfeleistung ist nur aus vollmächtiger, charismatischer Seelsorge heraus möglich. Diese Vollmacht ist keine menschliche Qualität, sondern ein entscheidendes Durchbrechen des Heiligen Geistes in der Glaubenstat des Seelsorgers, der mit Jesus Christus ein Geist ist (1. Korinther 6,17). Souveränes Subjekt der lösenden Hilfe ist nie der Seelsorger, sondern Jesus Christus, dessen Realpräsenz im Heiligen Geist Ereignis wird.
f. Die Resistenz des Befreiten
Der Terminus „Resistenz“ in dieser neuen Beziehung bedarf der Klärung. Bei dem Phänomen der okkulten Behaftung stellt die Resistenz die unheimliche Front gegen alles Göttliche dar. Diese Resistenz wird von dem okkult Behafteten manchmal als eine fremde Macht empfunden. Nach der Befreiung ist es unbedingt erforderlich, dass diese dämonische Resistenz eine Umkehr zur pneumatischen Resistenz erfährt. Ein Frontwechsel um 180° ist notwendig! Der okkult Behaftete, der in der militia Diaboli stand, kämpft nun als echter Überläufer in der militia Christi gegen das ehemalige Lager. Es wäre nicht sehr schwer, für diese neue Abwehrfront einen neuen Begriff zu wählen, doch wird der alte Begriff beibehalten, weil es sich um parallele Vorgänge mit entgegengesetzten Vorzeichen handelt. Wenn für diesen Terminus in der neuen Bedeutung eine Schriftstelle genannt werden soll, so kommt Epheser 6,13 in Frage: „Daher ergreift den Harnisch Gottes, damit ihr am bösen Tage Widerstand leisten könnt.“
Dieses Wort stammt aus dem Abschnitt, in dem Paulus von der Finsternismacht der bösen Geister unter dem Himmel spricht und deshalb zum Anlegen der Waffenrüstung mahnt. Diese Mahnung des Apostels entspricht keiner leeren Theorie, sondern einer seelsorgerlich erfahrenen und glaubensmäßig erkannten Wirklichkeit. Die actio resistendi ist die notwendige Folge der Abrenunziation und des Exorzismus. Das wird auch an dem Jesuswort in Matthäus 12, 43-45 deutlich. Der ausgefahrene Geist will zurückkehren, und wenn das gelingt, so wird es mit dem Menschen schlimmer, als es zuvor war. Stauffer schreibt dazu: „Das Ringen mit den Dämonen der Geschichte ist ein Kampf mit der Hydra. Eine Vielzahl neuer Köpfe droht an der Stelle des abgehauenen Kopfes emporzuschießen.“
Es handelt sich nun um die Frage, wie dieser Abwehrkampf nach der Befreiung geführt wird. Grundsätzlich ist vorauszuschicken, dass der Mensch von sich aus immer auf einem verlorenen Posten steht. Keiner kann den Kampf von sich aus führen. Ferner ist zu konstatieren, dass die Schlacht seit Golgatha und der Auferstehung schon geschlagen und gewonnen ist. So stellt sich dieser Kampf als das Faktum dar, dass der Mensch durch seine Hingabe an Jesus Christus mit in die Tat von Golgatha und der Auferstehung hineingenommen wird. Das heißt, der Mensch erlebt in seiner Koinonia mit Jesus Christus den Vorgang des Mitsterbens und des Mitauferstehens, das Geheimnis eines Lebens mit Christus. Paulus hat diesen Tatbestand in Römer 6 und Kolosser 2 dargestellt und auf die Taufe bezogen. Der Christ, der zur kaine ktisis (Neue Schöpfung) erneuert ist, ist mit Jesus Christus gekreuzigt, gestorben, auferweckt, zum Leben gebracht, in den Himmel versetzt und mit Ihm Erbe geworden. Es entspricht dieser inneren Linie, dass der Christ in der Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus auch Sieger ist, der, „als Er die Herrschaften und Gewalten entwaffnet hatte, sie öffentlich an den Pranger stellte und an demselben über sie triumphierte.“ (Kolosser 2, 15)
Der Christ steht mit Jesus Christus auf Siegesboden, darum hat der Abwehrkampf des Befreiten von vornherein ein positives Vorzeichen. Die Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus ist die Gewähr, dass der Befreite in den Nachhutgefechten bewahrt bleibt. Die wichtigste Waffe in diesem Kampf ist das Wort Gottes. Gerade die Seelsorge an okkult Behafteten lehrt mit instruktiver Deutlichkeit, dass nicht Gefühlsstürme den Kampf bestehen lassen, sondern das Bauen und Trauen auf das Wort Gottes. Paulus nennt das Wort Gottes das Schwert des Geistes, mit dem der Angefochtene den Kampf bestehen kann. Der Seelsorger hat darum das Amt der Verwaltung des Wortes und den Auftrag, den Beichtenden ins Wort Gottes hineinzuführen. In der Praxis mache ich es sehr oft so, dass ich zunächst dem Hilfesuchenden nach der Aussprache eine Anleitung zum Bibellesen gebe. In besonderen Fällen schreibe ich einen kleinen Leseplan auf, den ich zusammen mit dem Hilfesuchenden lese. Die Gemeinsamkeit stärkt den Angefochtenen zum treuen Lesen. Außer dieser generellen Hinführung zum Wort ist es wichtig, dass der aus okkulter Behaftung Befreite die Waffe des Wortes Gottes zunächst einmal zu seinem persönlichen Schutz führen lernt. Das ist kein individualistisches Ziel, sondern nur ein elementares Gebot der Abwehr der Mächte, denen er früher verknechtet war.
Zu dieser Waffenführung gehört die Einprägung von besonderen Kernworten, die der Befreite bei wiedereintretenden Anfechtungen betet, z.B.: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ (Psalm 139, 5);
„ … und Ich selbst, spricht der HERR, will eine feurige Mauer um es her sein und Herrlichkeit in seiner Mitte.“ (Sacharja 2, 9); ferner 5. Mose 31, 6; Josua 1, 9; Psalm 91, 1-2; Jesaja 41,10; Matthäus 28,20; Psalm 23 usw…
Es erweist sich bei solchem Abwehrkampf, dass das Wort Gottes ein Mittel ist, die Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus zu verwirklichen, ferner aber auch die Verteidigungswaffe, die eine von der Herrschaft der Dämonen und dieses Äons befreiende Wirkung hat. Es sind besonders zwei Anwendungsformen des Wortes Gottes, die sich bei dieser Abwehr des Befreiten bewährt haben:
Erstens das im Glauben vergegenwärtigte Perfectum der Erlösung und zweitens das Gebieten im Namen Jesu Christ auf Grund Seines Sieges. Um es noch deutlicher zu machen. Ich lese mit dem Befreiten Bibelstellen, die vom Blut Jesu Christi als dem wirkungskräftigen Zeichen und Sinnbild der Erlösung handeln, z.B.:
1. Petrus 1, 2: „ … zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi: …“
1. Petrus 1, 19: „ … (losgekauft) mit dem kostbaren Blut des Christus …“
1. Johannes 1, 7: „ … das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“
Hebräer 10, 22: „ … durch Besprengung der Herzen …“
Hebräer 12, 24: „ … ihr seid gekommen zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes u. zu dem Blut der Besprengung, …“
Offenbarung 1, 5: „ … Ihm, der uns geliebt hat und uns von unseren Sünden gewaschen hat durch sein Blut.“
Die Beschäftigung mit solchen Stellen, die Formulierung solcher Worte zu einem Gebet hat die Bedeutung der Vergegenwärtigung der Erlösung im Glauben. Stauffer sagt in seiner Theologie des N.T.: „Das Blut des Crucifixus ist das Remedium (Heilmittel), das dem Hydrakampf ein Ende macht.“ Das Gebet über solche Stellen bringt die freimachende und bewahrende Kraft des Opfertodes Jesu Christi in unser Leben.
Selbstverständlich muss auch hier wieder die Grenzlinie gegen alle Blutsmystik und Blutsschwärmerei gesehen und scharf beachtet werden. Doch darf die Angst vor Schwärmerei und Sektiererei nicht dazu führen, dass wir Kraftquellen des Wortes ungenutzt und unser Glaubensleben verkümmern lassen.
Eine weitere Abwehrform gegen sich wiederholende Anfechtungen ist das Gebieten im Namen Jesu Christi. In der allgemeinen Seelsorge weise ich Beichtende nicht auf diese Form der Hilfe hin. Bei schwerer okkulter Behaftung wird nach der Befreiung, wenn die Hydra wieder ihr Haupt erhebt, das Gebieten („im Namen Jesu Christi gebiete ich euch Finsternismächte zu weichen“) zu einer wirksamen Abwehrwaffe. Die Jünger Jesu übten das Gebieten nach dem Wort ihres Meisters.
Jesus Christus selbst gebot in der Anfechtung dem Widersacher „Weiche, Satan!“ (Matth.4,10). Paulus wehrte sich damit in Philippi gegen die Bedrohung seines Dienstes. Männer wie Blumhardt, Seitz und andere halfen sich damit in schweren seelsorgerlichen Kämpfen. Dem ursprünglich okkult Behafteten, der sich völlig Jesus Christus ausgeliefert hat, darf diese letzte Abwehrwaffe nicht verwehrt werden, wenn er im Glauben die innere Freiheit dazu hat. Es ist interessant, dass andere Seelsorger und Evangelisten aus dem Wort Gottes und aus der Praxis heraus zu gleichen Ergebnissen gekommen sind. Der Leiter des volksmissionarischen Amtes in Baden, Dekan Hauß, erzählte mir, dass er bei der Fürbitte für ein okkult angefochtenes Ehepaar in der Nacht unheimliche Anfechtungen erlebte. Als er im Namen Jesu Christi gebot, wich diese Finsternismacht. Schweizerische Evangelisten erklärten bei einer Konferenz in Männedorf, dass sie diese beiden oben geschilderten Anwendungsformen des Wortes Gottes genauso üben, wie es hier dargestellt wurde. So sind Reichgottesarbeiter aus verschiedenen Kreisen und Völkern in gleicher Weise geführt worden …
… In der allgemeinen Seelsorge kommt man mit den in Apostelgeschichte 2, 42 genannten Gnadenmitteln – Wort Gottes, Lehre, Gemeinschaft, Brotbrechen (Abendmahl), Gebet – als den Mitteln zur Verwirklichung der Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus aus… Nach dem Wort Gottes ist als zweite Stärkung in dem Abwehrkampf des Befreiten … die Gemeinschaft, die congregatio sanctorum, zu nennen. Bei „kirchlich“ uninteressierten Leuten hört man bei Einladungen zum Gottesdienst das geflügelte Wort: „Kirchgang macht nicht selig.“ Dieses Wort verrät die Unkenntnis des organischen Gefüges des Leibes Jesu Christi. Das Glied, das vom Leibe getrennt wird, stirbt ab. Die Kohle, die aus dem Feuer genommen wird, verlöscht nach und nach. Isolation innerhalb der Gemeinde bzw. des Leibes Jesu Christi führt oft zum geistlichen Tod. Wenn der Schreiber des Hebräerbriefes mahnt, „(seine) eigene Versammlung nicht zu verlassen, wie es einige zu tun pflegen, …“ (Hebr.10, 25), so weist er sich mit dieser Ermahnungsrede als Seelsorger aus. Der aus okkulter Anfechtung Befreite muss treu in der congregatio sanctorum stehen, um dort an den Kraftstrom angeschlossen zu sein, der vom Haupt der Gemeinde auf alle Glieder fließt.
Die Erfahrung der Seelsorge lehrt, dass zur wirksamen Resistenz der Befreiten normaler Gottesdienstbesuch im allgemeinen nie genügen wird. Es wird deshalb die Bildung von Kleinkreisen treuer Christen befürwortet, die als Sauerteig in der großen Versammlung wirken und seelsorgerliche Nacharbeit übernehmen können. Einmal übergab ich nach einer Evangelisation eine okkult schwer angefochtene Frau einem solchen Kreis zur weiteren Betreuung. Ein ganzes Jahr trug dieser Kreis in der Fürbitte die Angefochtene durch, bis sie ganz frei war. Solche Kreise sind Kraftstationen, in denen ein aus okkulter Behaftung Befreiter zum Widerstand den Rücken gestärkt bekommt. Die Kleinkreise haben also sowohl im Befreiungskampf, wie oben dargestellt wurde, als auch im Abwehrkampf ihre seelsorgerliche Bedeutung. …
Die nächste Hilfe für die pneumatische Resistenz des Befreiten ist das Abendmahl. Emil Brunner nennt diese Praktiken die Klammern, die der Herr seinem Bau mitgab, um ihn vor dem Zerfallen zu schützen. Der aus okkulter Behaftung Befreite braucht diese Klammern, die ihn mit Jesus Christus und seiner örtlichen Versammlung fest verbinden.
Wenn wir kurz über das Wesen des Abendmahls unter dem seelsorgerlichen Aspekt unserer Untersuchung nachdenken, so kann diese Besinnung nach den von Prof. Hahn gegebenen Perspektiven erfolgen. Hahn stellt eine dreifache Bedeutung des Abendmahles heraus.
„Erstens ist im Abendmahl der neue eschatologische Bund mit Gott, der die Erfüllung der alttestamentlichen Heilsgeschichte ist, gesetzt. Dieser Bund ist nur in diesem Blute Wirklichkeit, d. h. im Kreuzesgeschehen Jesu Christi. Es ist das auf Golgatha vergossene Blut Jesu Christi, um dessentwillen und in dem der Neue Bund seine Wirklichkeit hat. Dieses Blut hat auch die andere Aufgabe des Passahblutes: Es ist Schutz gegen den Würgeengel, gegen die Dämonenherrschaft. Wer an diesem Blut Anteil hat, ist gegen die Machtwirkung der Dämonen gedeckt, wenn auch nicht in magischer Weise, sondern im jeweiligen neuen Ergreifen der im Blut Christi geschenkten eschatologischen Möglichkeit. Als drittes dem Passahblut entsprechendes Moment tritt die an diesem Blut haftende Verheißung für die Zukunft hinzu: Das Blut ist die Versicherung der Teilhabe am Gelobten Land, an der Parusie.“
Diese Darlegungen können sich nicht besser in den Rahmen unserer Untersuchung einfügen. Im Abendmahl wird der aus okkulter Behaftung Befreite in das Christusgeschehen einbezogen. Der Befreite erlebt unter sichtbaren Zeichen die Gemeinschaft mit Leib und Blut Christi, die Einverleibung in die Gemeinde Christi, die Realisierung der Gliedschaft in der Basileia und damit die Stärkung seiner pneumatischen Resistenz gegen dämonische Einflüsse und Anfechtungen. Das Abendmahl ist ein Brennpunkt der Reichgottesdynamik, in dem das Heraustreten aus der Civitas Diaboli und das Hineintreten in die Civitas Dei dem Angefochtenen und dem Befreiten zum Ereignis wird. Darum empfehle ich dem aus okkulter Behaftung Befreiten den häufigen Abendmahlsbesuch.
Als weiteres Mittel zur Stärkung der pneumatischen Resistenz des Befreiten wäre das persönliche Gebetsleben zu nennen, das die Bitte „Veni creator spiritus“ zu einem täglichen Anliegen macht. Wie das Wesen der Besessenheit die Innewohnung von Dämonen ist, so ist das Wesen des gennethēnai ánothen (Joh. 3,3) die Innewohnung des Heiligen Geistes (Joh.14,23). Die Realisierung der Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus, des „in-Christus-sein“, (2.Kor.5,17) ist nur durch den Heiligen Geist möglich (1. Kor.12,3
Zusammenfassend lässt sich von der seelsorgerlichen Praxis her das Wesen der Resistenz in folgender Weise charakterisieren: Im Exorzismus hat sich durch das Auftreffen des Heiligen Geistes bei dem okkult Behafteten und Befreiten ein Herrschaftswechsel vollzogen. Dem Freiwerden folgt das Freibleiben als ein dauerndes Stehen unter der Christusmächtigkeit, deren Wirklichkeit im Wort Gottes, in der Ekklesia, im Abendmahl, im Glaubens- und Gebetsleben erfahren wird. In der akuten Abwehr der Nachhutgefechte des finsteren Widersachers erweist sich die Zuflucht unter das Blut Jesu Christi als das Zeichen des vollkommenen Sieges am Kreuz und das Gebieten im Namen Jesu Christi als wirksame Verteidigung bei der Resistenz des Befreiten.
Die Befreiung aus okkulter Behaftung erweist sich als ein Spezialproblem der Seelsorge mit folgenden Stationen des Beichtgespräches: Differentialdiagnose, confessio (Sünden-Glaubensbekenntnis), abrenuntiatio, Absolution, Exorzismus, pneumatische Resistenz. Der Dienst an okkult Angefochtenen kann nur aus gründlicher Sachkenntnis und mit charismatischer Ausrüstung erfolgen. Damit ist angezeigt, dass die Befreiung des okkult Behafteten nicht die Frucht seelsorgerlichen Ringens, sondern eine Tat Jesu Christi ist. Eine Befreiung des Angefochtenen erfolgt daher nur über die Verwirklichung der Gleichzeitigkeit – der Koinonia – des okkult Behafteten mit Jesus Christus.
Welche Perspektiven ergeben sich aus dieser Untersuchung für den Seelsorger an okkult Behafteten?
Eine Frage löst der Einwand aus, warum manche Seelsorger wenig mit okkult Behafteten zu tun haben. Das mag verschiedene Gründe haben: Geringe Sachkenntnis, Nichtbeachtung und das Nicht-ernst-nehmen dieses Problems, geringe Seelsorgetätigkeit, apriorische Ablehnung usw.. Der wesentliche Punkt wird die von Gott geschenkte Lebensführung sein. Es gibt vom NT her verschiedene Gaben und Ämter. Jeder Christ hat sozusagen seine Platzanweisung. Jeder hat seinen besonderen Auftrag, den er treu erfüllen soll. Wem Gott das Charisma der Geisterunterscheidung (1.Kor.12,10) gegeben hat, der hat zu dieser Gabe die Aufgabe, sich mit allen wissenschaftlichen Hilfsmitteln in das Gebiet der Differentialdiagnostik einzuarbeiten.
Die Kompliziertheit der mancherlei seelischen Erkrankungen im Zusammenhang mit okkulter Betätigung macht die Notwendigkeit einer klaren Diagnostik deutlich.
Eine der brennendsten Fragen ist die Bedeutung von Gesetz und Evangelium in der Seelsorge an okkult Behafteten. Hier liegt ein entscheidender Prüfstein, ob ein Seelsorger dem Hilfsdienst an okkult Behafteten gewachsen ist oder nicht. Gesetz und Evangelium haben in der cura specialis ihren bestimmten Ort. Jede Verwechslung, jede Vermischung wirkt sich in diesem schwierigsten Gebiet der Seelsorge verhängnisvoll aus.
Das Gesetz hat hier nur seine Berechtigung in der Diagnose, in der es darum geht, die okkulten Zusammenhänge aufzudecken. Die Verkündigung des Gesetzes hat das Ziel, dem okkulten Praktiker zu zeigen, dass er sich mit seinem okkulten Treiben, ganz gleich ob aktiver oder passiver Art, durch Übertretung des ersten und zweiten Gebotes außergöttlichen Mächten verschrieben hat und unter dem Gericht Gottes steht. Es handelt sich hier um den usus elenchthicus des Gesetzes, durch den der okkult Behaftete seiner Sünde überführt werden soll. Damit ist die Verkündigung des Gesetzes in der Seelsorge an okkult Behafteten abgeschlossen.
Nun hat im Beichtgespräch mit dem okkult Behafteten uneingeschränkt das Evangelium das Wort. Dem Angefochtenen ist das Wort von der Vergebung und Erlösung auszurichten im Sinne von Epheser 1, 7: „In Ihm (Jesus Christus) haben wir die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Übertretungen nach dem Reichtum seiner Gnade, …“.
Eine pharisäische, gesetzlich-dränglerische Seelsorge hat beim Hilfsdienst an okkult Behafteten keinen Raum. Der seelisch Angefochtene ist gewöhnlich so zerschlagen, so zermürbt, dass ihn eine gesetzliche Seelsorge nur tiefer in die Verzweiflung hineintreibt. Jede Verteufelung des Angefochtenen, und seien auch schwerste dämonische Bindungen da, ist eine Verleugnung des Evangeliums.
Wenn im ersten Teil der Aussprache der Zustand hypò krísin erkannt ist, dann hat jede weitere Beschwernis im Zuspruch der Vergebung keinen Raum mehr. Wo die Sünde genannt, erkannt und bereut ist, gilt allein der Trost des Evangeliums. Jesu Christi Seelsorge am Gichtbrüchigen, an der großen Sünderin, an Zachäus ist dafür maßgebend. Hier gilt nur ein Imperativ: „Komm, es ist alles bereit, nimm, iss, trink. Es gehört dir!“
In diesem Sinn, als Imperativ und Hilfe zur Annahme des Evangeliums, wollen alle Abschnitte dieser Untersuchung verstanden werden.
Das Gesetz zeigt uns, was wir angerichtet haben, das Evangelium zeigt uns, was Gott „angerichtet“ hat. Dieser Unterschied darf in der Seelsorge nicht aufgehoben werden. …
Wenn nun im Blick auf die Seelsorge an okkult Behafteten das Verhältnis von Gesetz und Evangelium bestimmt werden soll, so ist folgendes zu sagen:
Wer in der Seelsorge an okkult Behafteten nur eine Beschwichtigungs- und Beruhigungstherapie anwendet, nivelliert die Bedeutung des Gesetzes, deckt nicht die Tiefen der Schuldzusammenhänge okkulter Betätigung auf und verflacht damit auch das Evangelium; denn wo keine Schuld ist, ist das Evangelium gegenstandslos.
Man kommt bei diesem schwierigen Hilfsdienst ohne das Gesetz Gottes nicht aus, da sonst der okkult Behaftete seine seelische Not auf die Ebene der medizinisch diagnostizierbaren Gemütskrankheiten schiebt und sich damit einen Schlupfwinkel vor Gottes Zugriff schafft. Das Gesetz darf vom Evangelium nicht getrennt werden.
Die zweite Aussage bezieht sich auf die Reinhaltung des Evangeliums. Das Evangelium ist keine nova lex, deren Erfüllung dem okkult Angefochtenen Befreiung bringen soll. Nein, hier ist alles auf Gottes Tat in Jesus Christus gestellt. Jedes Hineintragen von Bedingungen, denen zuvor genügt werden muss, stellt eine Verwässerung, Vermischung, Vergesetzlichung des Evangeliums dar.
Der Seelsorger muss eine heilige Furcht davor haben, nicht das Evangelium durch das Gesetz zu verfälschen. Nicht der geistliche Kampf des Seelsorgers, nicht die pneumatische Resistenz des Angefochtenen führt zur Befreiung oder erhält im Frei-sein, sondern allein Jesus Christus. …
Jesus Christus – das Ende der Dämonen
Nicht der Nachweis dämonischer Bindungen und der Besessenheit ist das Ziel dieser Untersuchung, sondern die Verkündigung ihrer Überwindung und Heilung. Wo das seltene Phänomen der Besessenheit als äußerste Manifestation der dunklen Herrschaft des Bösen tatsächlich auftaucht, da ist die Botschaft von der Befreiung dagegenzusetzen. Seit Golgatha und der Auferstehung ist Satans Macht nur eine Scheinmacht. In Wirklichkeit sind in Jesus Christus alle Dämonen schon besiegt. Der Sohn Gottes hat die Bollwerke der Finsternis gesprengt (1. Joh. 3, 8).
Diese Siegesbotschaft ist in der Seelsorge dem okkult Behafteten zu überbringen. Sie bedeutet dem Angefochtenen die Teilhabe an dem Sieg, die Sprengung der Gefängnistore seelischer Leiden. Diese Siegesnachricht ist das Ende der Zwingherrschaft Satans, da der Christus Gottes der Kyrios und der Heiland der Welt ist!
Die Internetfassung von Seelsorge und Okkultismus wurde von mir gekürzt. Die ungekürzte Fassung kann als PDF angefordert werden. – Horst Koch, Herborn, im Juli 2006
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