Rhythmische Erziehung (H.Schroer)
Hedwig Schroer
Warum ich nicht mehr Rhythmikprofessorin bin
Meine persönliche Rettung
«Kommt, hört zu alle, die ihr Gott fürchtet, daß ich erzähle, was er an meiner Seele getan hat.» Ps 66,16
Von September 1985 bis September 1987 habe ich an einer Musikhochschule in Deutschland Lehrer und Lehrerinnen für rhythmisch‑musikalische Erziehung (auch «Rhythmische Erziehung» oder «Rhythmik» genannt) ausgebildet.
Der Herr hat mich zu dieser Zeit in die Gemeinschaft von Menschen gestellt, die Jesus Christus als ihren persönlichen Heiland angenommen haben. Im Januar 1986 durfte ich dann meine Bekehrung erleben. Seitdem weiß ich, daß ich durch den Glauben an Jesus gerettet bin, daß auch für mich gilt, was Paulus in seinem Brief an die Epheser schreibt: «So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.» (Eph 2, 19‑20). – Ich bat Gott um die Erleuchtung der Augen meines Herzens (Eph 1, 18). Tag für Tag und Schritt für Schritt hat er dann mein Denken und Handeln verändert.
Zunehmend bekam ich Probleme in der Ausübung meines Berufs. Ich litt unter schrecklichen Spannungen. Mir wurde deutlich: «Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.» (Mt 6, 24). Nach vielen inneren Kämpfen wagte ich mir die Frage zu stellen, ob ich Gott wirklich in meinem Beruf die Ehre gäbe. Meine Freunde und ich beteten zum Herrn um Klarheit. «Prüft, was dem Herrn gefällt und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf!» (Eph 5, 10‑11) Die Früchte meiner Arbeit, wie sahen sie im Lichte des Herrn aus?
Im September 1987 fiel mir eine Veröffentlichung der Bibelschule Adelshofen über ‚New Age‘ in die Hände. Was ich da las, erschütterte mich. Ich fand die beschriebenen Irrlehren des Zeitgeistes in dem wieder, was ich von Jugend auf in meinen Ausbildungen zur Gymnastiklehrerin und Rhythmiklehrerin, im Psychologiestudium und während Psychotherapiesitzungen kennen‑, glauben‑ und anwenden gelernt hatte. Plötzlich erkannte ich, wem ich mit meiner Arbeit gedient hatte.
Ich kündigte fristlos und durfte sofort mit dem Theologiestudium an der Freien Evangelisch‑Theologischen Akademie Basel beginnen. Dank sei Gott! Er hat mein Leben bis heute wunderbar bewahrt.
Die Motivation zu meiner Berufswahl
Jesus spricht: «Ich sage aber euch, meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts mehr tun können. Ich will euch aber zeigen, vor wem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.» (Lk 12, 4‑5)
Wovor habe ich mich bei meiner Berufswahl gefürchtet, damals, als ich fünfzehn Jahre alt war und des Lernens und Stillsitzens überdrüssig? Ich fürchtete mich vor Langeweile, vor Einsamkeit, vor dem «Ernst des Lebens», ich fürchtete mich davor, hinter Büchern zu versauern, das «richtige» Leben zu verpassen. Obwohl ich durch meine katholische Erziehung wußte, daß es Gott gibt, hatte ich keine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und kannte die Bibel nicht. Ich machte mir keine Gedanken über Maßstäbe für mein Handeln.
Ich interessierte mich für Musik und Bewegung, die Ankündigungen einer Gymnastikschule sprachen mich sehr an. Ich zitiere aus dem Vorwort der Festschrift «45 Jahre Bundesschule für Körperbildung, Essen»: «Wie kommen Bewegungen dieser (vorgeführten [Anm. d. V.]) Art zustande? … Sie entstehen … aus Zusichkommen, aus innerer Ruhe, aus Kontakt mit dem Körper, besser Organismus, ‑ mit dem Teil Natur, das jeder von uns in sich trägt. Entscheidend ist hier die Erfahrung an sich selbst, seiner Verhaltensweise, seiner Art, mit sich selbst umzugehen … Die Körperbeherrschung kommt aus dem Gehorsam, ‑ aber nicht dem Lehrer gegenüber, sondern den Gesetzen des eigenen Organismus … Also: Nie gewaltsame Beherrschung des äußeren Lebensapparates, sondern ein Horchen, was Körper und Lebensgefühl in uns wollen, was sie brauchen. Zugegeben, daß diese Arbeit viel Zeit braucht; aber der Einsatz lohnt! Denn auf diese Weise gelangen wir nicht zu Fertigkeiten, sondern zu Fähigkeiten, die uns auf jedem Arbeits‑ und Lebensgebiet zugute kommen. Und hier wird auch die Brücke zum Alltag geschlagen; denn Hast und Unruhe sind unsere Zeitkrankheit. Und vom Seelischen und Nervlichen her greifen Störungen bald auch ins Körperliche über. Wenn es uns aber gelingt, gegenüber den Ansprüchen des modernen Lebens gelassener, reaktionsbereiter, ruhiger zu bleiben, dann haben wir für unsere leibliche und seelische Gesundheit mehr gewonnen als mit allen Spezialübungen und lebensfremden Spitzenleistungen.»‘
Ich war erst sechzehn Jahre alt, als ich das Gymnasium verließ, aber schon fühlte ich mich von der Zeitkrankheit befallen. Ich war seelisch und nervlich am Ende, deshalb tönten die Versprechungen wie Musik in meinen Ohren. Selbst gesund werden und bleiben und anderen später auch noch helfen können? Das ist doch großartig! Ich glaubte meinen Lehrerinnen aufs Wort, überließ mich dieser «zeitraubenden Arbeit» und setzte mich ein mit Leib und Seele. Für wen hat sich mein Einsatz gelohnt?
Ich zitiere aus den Schlußworten der Schulleiterin zur staatlichen Abschlußprüfung 1964: «Sie alle haben etwas gelernt. Aber Sie haben nicht nur gelernt, Sie haben sich verändert. Sie sind Ihrem eigenen Selbst etwas näher gekommen … Sie selbst wissen, daß Sie nicht ‚fertig‘ sind, ja, daß man in diesem Beruf nie fertig sein darf … Die Ausbildung gibt Ihnen aber die Bausteine, aus denen Sie sich Ihre Arbeit aufbauen können … Das ist nicht so aufzufassen, als ob Sie nur das Nötigste bekommen hätten. Sie haben jetzt alles in der Hand, was Sie brauchen. Nicht in Form fertiger Gebrauchsanweisungen für jeden Sonderfall ‑ und das mit vollem Bewußtsein. Doch diese Grundlage, die Sie bekommen haben, hat etwas Dynamisches in sich: aus ihr kann alles wachsen, und überall sind gleichsam Knospen daran, die sich zu neuen, kleinen Zweigen entfalten können. Denn wenn man empfänglich und geöffnet dafür ist, dann gliedert sich einem der Stoff bei jeder neuen Aufgabe anders, paßt sich dem speziellen Problem der Gruppe und den menschlichen Voraussetzungen der Einzelnen an, und bei jeder neuen Arbeit wächst Neues hinzu. Sie gehen nun in einen wunderbaren Beruf hinein, der Ihnen wie wenig andere Berufe die Chance gibt, Freude zu bringen, Wünsche zu erfüllen, die in allen Menschen schlummern: Wünsche nach Leben, nach Sich‑äußern können, nach Gestalten, aber auch nach Wegen, mit den Nöten und Schwierigkeiten des heutigen Lebens besser fertig zu werden .» Soweit die Versprechungen aus der Festschrift der Gymnastikschule.
Damals habe ich mich zum «Horchen» und «Öffnen» und «Suchen» verleiten lassen und diese Lebenshaltung nach bestandener Abschlußprüfung weitervermittelt an Kinder und Erwachsene, vor allem Frauen. Ich wurde tatsächlich nie fertig! Im Verlauf von zwanzig Jahren Wege‑Ausprobieren mußte ich dann aber leider erfahren, daß ich zu vielen Dingen fähig wurde, zu vielen erschreckenden Dingen. Die ersehnte innere Ruhe allerdings fand ich nicht.
Die Lehren meiner Lehrer
«Was können die Weisen Weises lehren, wenn sie des Herrn Wort verwerfen ?» (Jer 8, 9) Welchen Lehrern habe ich mich nun so vertrauensvoll überlassen?
Eine Mitbegründerin der Gymnastikschule schreibt von ihrem Werdegang: «Als ich, zwanzigjährig (1914), mit meiner Arbeit begann, war ich Rhythmikerin, nicht Gymnastin. Ich hatte in der ’Bildungsanstalt Jaques‑Dalcroze‘ studiert. Der geniale und sehr menschliche Musikpädagoge (Emile JaquesDalcroze), die internationale, von Musikbegeisterung und fortschrittlichen Ideen erfüllte Luft im damaligen Hellerau (bei Dresden), das lebendige Experimentieren mit neuen Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks, die «Hellerauer Festspiele» mit der Aufführung von Glucks Orpheus, an der ich teilnehmen durfte, die Furientänze und die Reigen seliger Geister, frei von allen Ballettkonventionen, all das hatte mir unauslöschlichen Eindruck gemacht.»
«Meine Lehrerinnen waren Kinder der ‚modernen Rhythmusbewegung‘, die in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts entstand, gleichzeitig mit der deutschen Jugendbewegung…. dem Jazz und dem modernen Tanz in Deutschland und in den USA als Reaktion und Protest gegen die hochtechnisierte, intellektualisierte und daher leibfeindliche Industriegesellschaft.»
Isabell Frohne meint in ihrer Dissertation (1981), daß diese Bewegungen mit den heutigen «lebensreformatorischen Strömungen» vergleichbar sind. Sie schreibt: «Damals wie heute strebte man an, den Leib zu befreien und ihn mit neuem Bewußtsein zu erfüllen. Die Befreiung der körperlich und seelisch ‚degenerierten Zeitgenossen‘ wurde vor allem von den Vertreterinnen der amerikanischen Tanz‑ und Körperkultur vorangetrieben, welche dann auch die deutsche Rhythmusbewegung stark beeinflußten. Die rhythmische Bewegung wurde als Einheit leibseelischer Vorgänge immer maßgebender für die Förderung und Steigerung der Ausdrucksbewegung.» Diese Grundgedanken beeinflussen bis heute verschiedene Schulen der Musikerziehung, der Bewegungserziehung und der Psychotherapie.
Der Genfer Musikprofessor Emile Jaques‑Dalcroze (1865‑1950) entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein körperliches Übungsprogramm im Dienst der Musikerziehung. Er schreibt 1914: «Eine besondere Gymnastik, welche lehrt, in Zeit und Raum die Muskeln zu entspannen, die Körperlinien an‑ und abschwellen zu lassen, muß das metrische Gefühl und den rhythmischen Sinn kräftigen.»7 In den «Blättern für Berufskunde» (1975) wird Rhythmik definiert als «Musikerziehung durch Bewegung, Bewegungserziehung durch Musik und Erziehung durch Bewegung.» (S. 20)
Den verschiedenen Rhythmik‑ und Bewegungserziehungsschulen ist gemeinsam, daß sie den zu erziehenden Menschen (Kinder wie Erwachsene) als Leib‑Seele‑Geist‑Einheit ansprechen und, von der Beeinflussung des Körpers ausgehend, Seele und Geist (hier i. S. von «Denken» gebraucht) verändern wollen. «Gesucht wird nach einer Leibeserziehung, deren Leitbild ‑ über das bloß biologische hinaus ‑ Geistig‑Seelisches einschließt.»
Der Blick soll gelenkt werden «fort von dem bloß Materiellen der Bewegung auf das an ihr, was Ausdruck geistiger und seelischer Kräfte sein kann.» «Es geht also in der Bewegungsbildung um Veränderung des Menschen, nicht nur des Körpers und seiner Funktionen … Soweit das gelingt, findet der Mensch einen neuen Zugang zu sich und zu seinem Leben im ganzen. In ihm kommt ‑ zu seiner eigenen Überraschung ‑ etwas in Bewegung; es erwacht etwas, das vorher schlief. Er erfährt an einer Stelle, daß er anders, intensiver und freudiger leben kann. Sich bewegen lernen, heißt leben lernen.» Soweit Dore Jacobs.
Emile Jaques‑Dalcroze drückt noch deutlicher aus, um was es ihm in seinem Erziehungssystem geht: «Je besser unser Leben geregelt ist, desto freier fühlen wir uns. Je mehr Wörter unser Wortschatz umfaßt, desto reicher wird unser Denken. Je mehr von unseren Verrichtungen und Bewegungen automatisch geworden sind, desto leichter und freudiger wird unsere Seele über allem Stofflichen schweben» … «Und ganz entgegen der allgemeinen Auffassung wird gerade durch die übertriebene und verfrühte Ausbildung der Verstandeskräfte, durch die einseitig analytischen Studien‑ und Denkgewohnheiten, der Geist nicht sowohl aufgehellt als vielmehr getrübt und aus seinem gesunden Gleichgewicht gebracht» … «Allein diese hochstrebende Kunst (der Musik, Anm. d. V.) kann nur von Geistern erfaßt werden, die über alle körperlichen Widerstände gesiegt haben. Und ihr Hinausstreben über das Stoffliche der Sinnenwelt schließt nicht aus, daß ihr körperliche Ausdrucksmittel zugrunde liegen. Solange aber diese Mittel nicht vollkommen entwickelt sind, wird des Widerstreites von Empfindungen und Gefühlen kein Ende sein, und der beständige Kampf zwischen Körper und Geist wird die nötige Vergeistigung des Stoffes verhindern. Die Musik kann in der Tat nicht völlig rein werden, solange der Körper nicht eine Läuterung erfahren hat. Nun ist es aber unmöglich den Körper zu läutern, wenn man nicht die nötige Anstrengung gemacht hat, um klar in sich selber zu sehen und seine Mängel (die Störungen in seinen Funktionen; Anm. d. Übers.) zu erkennen.» … «Eines der ersten Ergebnisse dieser Übungen wird sein, daß das Kind sich selber kennen, sich selber beherrschen und Macht über seine eigene Persönlichkeit gewinnen lernt.» … «Die ganze Methode fußt auf dem Grundsatz, daß die eigene Erfahrung der Theorie vorangehen muß; daß man dem Kinde keine Regeln beibringen soll, ehe man es dazu befähigt hat, die Tatsachen selber nachzuprüfen, aus denen diese Regeln abgeleitet sind; daß man überhaupt das Kind zuallererst den unumschränkten Gebrauch aller seiner Kräfte und Fähigkeiten lehren soll. Erst hernach mag man es mit fremden Meinungen und Schlußfolgerungen bekanntmachen. Bevor man das Korn säet, muß das Erdreich behandelt werden.» (Zitiert aus Jaques‑Daicroze: Rhythmus, Musik und Erziehung; verfaßt 1921, Wolfenbüttel 1977, S. 73.74.75)
Neuorientierung ‑ in welche Richtung?
«So spricht der HERR: Tretet hin an die Wege und schauet und fragt nach den Wegen der Vorzeit, welches der gute Weg sei, und wandelt darin, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele! Aber sie sprechen: Wir wollens nicht tun!» (Jer 6, 16)
Die Sehnsucht nach innerer Ruhe, körperlicher und seelischer Gesundheit, nach «Spannungsausgleich» und Freude, nach unbefangenem Spiel und Gemeinschaft bringt viele Menschen dazu, Gymnastik‑ oder Rhythmikunterricht zu besuchen. Wenn eine Gruppe zusammengekommen ist, kann das «Erdreich behandelt werden», wie Dalcroze sich ausdrückt. Die verschleierte Absicht der «Umerzieher» ist: Kinder oder Erwachsene, die noch im herkömmlichen Denken und Empfinden «gebunden» sind, sollen für eine Bewußtseinsveränderung vorbereitet werden. Aber nicht jeder Bewegungs‑ oder Musikerzieher ist ein «Umerzieher»! Hier ist unbedingt zu prüfen, welche Erziehungsziele oder ideologischen Hintergründe der Gruppenleiter bzw. die Gruppenleiterin hat. Große Wachsamkeit ist nötig, weil durch den Einsatz von Musik, Bewegung und gruppendynamischen Methoden Menschen ohne bewußtes Einverständnis beeinflußt werden. Den natürlichen Bedürfnissen der Teilnehmer nach angenehmen Gefühlen, Geborgenheit und Selbstdarstellung wird Raum gegeben. Häufige Devisen sind: «Den Alltag draußen lassen» ‑ «Neues Verhalten ausprobieren». Es wird seelische Befreiung versprochen, wenn man nur bereit ist, alte Gewohnheiten abzulegen (ohne zuvor das «Alte» auf seinen Wert hin untersucht zu haben!), wenn man nur bereit ist, «Berührungsängste» zu überwinden, sich den anderen Teilnehmern und dem «Geschehen» gegenüber zu öffnen, sich gehenzulassen, sein Innenleben zu erfahren und das Entdeckte unzensiert auszudrücken in Musik oder Bewegung.
In den Improvisationen ist alles erlaubt und alles «gut», wenn man nur «ganz» dabei ist. Hoellering beschreibt diese «Freiheit»: «Solange wir die Unterrichtsergebnisse mit den herkömmlichen Maßen von Gut und Böse, von Richtig und Falsch messen, haben wir uns nicht richtig für eine Neuorientierung entschieden. Solange sich Kreativität nicht in allen Kategorien üben darf und die Bewältigung von Angst durch Aggression nicht stattfindet, werden sich keine nennenswerten Veränderungen und Erfolge einstellen.» Eine Neuorientierung soll eingeleitet werden, weg von den «herkömmlichen» Maßstäben hin zu einer neuen «Kreativität». Auf jeden Fall erkennt Frau Hoellering, daß für den Erzieher eine Entscheidung nötig ist: Ich nenne sie die Entscheidung für oder gegen die Ordnung Gottes, für oder gegen Gottes Wort.
Ich habe beobachtet, daß jeder erwachsene Mensch zunächst Widerstände hat, sich den Forderungen nach Hingabe im Gymnastik‑ und Rhythmikunterricht zu überlassen. In langer Berufspraxis habe ich aber leider gelernt, die «Öffnungsforderungen» in meinen Aufgabenstellungen so zu dosieren, daß zu Anfang jeder mitmachen kann, bei Spielen sportlicher Art, beim Experimentieren mit Klängen, bei Beweglichkeitsübungen, Fitneßtraining und anschließendem Ausruhen. Ich habe leider gelernt, in Menschen die Neugier nach den «verborgenen Kraftquellen in ihnen» zu wecken. Ich habe meine Schüler gelehrt, den Weg in die Verstrickungen der Selbstumkreisung zu gehen. Ich bin froh, daß ich auch Menschen getroffen habe, die nicht bereit waren, bei meinem Unterricht mitzumachen. Diese Menschen haben mich zum Nachdenken gebracht und dazu beigetragen, daß ich nie zufrieden war mit meiner Arbeit. Sie waren nicht einverstanden mit der Voraussetzung des Unterrichts: Lasse dich erst auf etwas ein, dann wirst du sehen, was passiert! Sie waren nicht bereit, einen Glaubensschritt zu gehen im Vertrauen auf eine gute Entwicklung zu einem unbekannten Ziel. Am verhängnisvollsten ist diese Arbeit aber vielleicht für den Lehrer. Er baut seine Existenz auf eine Tätigkeit, die abhängig macht von emotionalen Sensationen, von Gruppenerlebnissen, von der Möglichkeit, die geweckten Gefühlen auszuagieren in Bewegung, Musik und Tanz. Er beschäftigt sich ja tagtäglich damit!
Aus diesen vielfältigen Bindungen wurde ich befreit, nach und nach, im Gehorsam gegenüber Gottes Wort. Gott sagt: «Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Munde weichen, und du sollst Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, nach alledem zu handeln, was darin geschrieben ist; denn dann wirst du auf deinen Wegen zum Ziel gelangen, und dann wirst du Erfolg haben.» (Jos 1, 8)
Wer ist mein Gott?
«Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.» (2. Mo 20,2‑3)
Welches «Korn» wird nun in das «behandelte Erdreich» gesät im Verlauf der rhythmischen Umerziehung? Die Veröffentlichungen dieses Erziehungsbereiches lassen deutlich erkennen, daß die Autoren nicht an unseren lebendigen Gott glauben. Sie halten ein Polaritätsprinzip für die Quelle des Lebens, den Ursprung alles Lebendigen. Isabelle Frohne spricht für alle: «Im Sinne des rhythmischen Prinzips erfassen wir die Welt begrifflich in Form hierarchisch gegliederter Polaritäten». Wenn überhaupt die zugrundegelegte Philosophie aufgedeckt wird, so bezieht man sich auf den Taoismus oder auf die Anthroposophie. Isabelle Frohne schreibt: «Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß das Fach Rhythmik eine Zeitlang für sich das Yin/Yang‑Zeichen als Emblem benutzt hatte, um zu verdeutlichen, daß die rhythmische Erziehung die rhythmische Gestaltung der Welt der Gegensätze anstrebte. Wegen der Gefahr der Bezichtigung des mystischen Spinnertums wurde dann jedoch auf dieses Emblem verzichtet.»
Der Taoismus lehrt, daß Yin und Yang passive und aktive kosmische Kräfte sind, die physische Gestalt annehmen und unzählige Erscheinungsformen erzeugen. «Die Polarität von Yin und Yang erzeugt Bewußtsein.» «Nur wenn das Yin und das Yang in Harmonie sind, kann ein Mensch die Eigenschaften der Ausgeglichenheit und Geradheit haben und ein Weiser werden!» Das Emblem von Yin und Yang veröffentlicht man heute tatsächlich nicht mehr in Rhythmikliteratur, die geistige Wurzel ist aber trotzdem die gleiche geblieben. Ohne Emblem ist es nur schwieriger für uneingeweihte Interessenten, die Herkunft der Ideen zu erkennen. Der Ursprung der Rhythmik ist nicht unbedingt mystisches Spinnertum, aber ganz sicher heidnisches Gedankengut.
Auch die von Rudolf Steiner bereits 1912 entwickelte Eurythmie stand durchaus im Zusammenhang mit der damaligen Rhythmusbewegung. Steiner befaßte sich damit, in der Bewegung den geistigen Anteil des Menschen in Erscheinung kommen zu lassen. Er schuf sein eigenes System, um ‚den inneren Menschen seelisch zu erwecken, aufatmen zu lassen und zu kultivieren‘.
Auf diesen Denkhintergründen ist die anfangs zitierte Forderung nach Gehorsam den Gesetzen des eigenen Organismus gegenüber zu verstehen. Man geht davon aus, daß die Natur gut ist, daß wir «heil» werden können durch körperliche Übungen und Willensanstrengungen. Nur so ist auch das postulierte Primat der Erfahrung vor dem Denken zu begründen und die systematische Schulung von Körperbeherrschung und Willenskraft. Gott sagt aber: «Das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an.» (1. Mo 8, 21) und: «Das ist das Wort des Glaubens, das wir predigen, daß, wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennen und in deinem Herzen glauben wirst, daß Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst.» (Röm 10, 8b+9)
Die durch die rhythmische Erziehung angestrebte «Neuorientierung» hat je nach Persönlichkeit des Lehrers und des herrschenden Zeitgeistes ein anderes Gesicht. Rhythmische Erziehung ist in hohem Maße anpassungsfähig und wandelbar. Leitbild ist für sie der aufgeschlossene, kontaktfähige, vitale und zur Veränderung bereite Mensch. Ich selbst habe nach fünfzehn Jahren «Neuorientierung» die böse Erfahrung von Esoterik und Okkultismus gemacht ‑ das sind einige der möglichen schrecklichen Samen, die in das gründlich «behandelte Erdreich», die verlorene Seele eines Menschen, gelegt werden können!
Prüfet die Geister!
«Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen.» (1. Joh 1,4) Die Rhythmik fußt auf einem Ideengebäude von Menschen, die Wege und Ziel der Erziehung eigenmächtig bestimmen. Früher war ich mit A. Hoellering der Meinung, daß der moderne Mensch bedroht ist von Leistungsdenken und Rationalität. Ich forderte auch eine Erziehung, deren Ziel der echt selbständige, unverkümmerte Mensch ist. A. Hoellering schreibt dazu: «Dieses Ziel wird jedoch verfehlt, wenn die eigentlichen Energiequellen unseres Inneren, die ‚Seinsimpulse‘, die aus dem Selbst kommenden Antriebe, nicht zugelassen und verarbeitet, sondern gefürchtet, verdrängt, ignoriert und abgewertet werden.»
Dore Jacob drückt sich so aus: «Der heutige Mensch ist beirrt in seinem Lebensrhythmus … Wo etwas von der Bewegungsbildung ins Leben übergeht, hilft sie dem Menschen besonnener, rhythmischer zu leben … Er wird dem Wesentlichen geöffneter und er wird weniger auf sogenannte Glückswerte erpicht sein. Er wird dem Schweren und Dunklen, das in jedes Leben einbrechen kann, vertrauender gegenüberstehen.» – Heute weiß ich, daß Gott uns zur Gemeinschaft mit ihm erschaffen hat. Er will nicht, daß wir in der Finsternis wandeln. «Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn.» (Eph 5, 8) «Und habt nichts gemein mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern stellt sie vielmehr bloß.» (Eph 5, 13) «Seht nun genau zu, wie ihr wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise. Kauft die gelegene Zeit aus, denn die Tage sind böse. Darum seid nicht töricht, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.» (Eph 5, 15‑18)
Heute sehe ich, daß der moderne Mensch bedroht ist von Gottlosigkeit und Irrlehren. Die Rhythmik arbeitet mit einer Vermischung von Verschleierung, Bagatellisierung, Übertreibung und handfesten Lügen, die nur durch Nachdenken und Überprüfen an Gottes Wort aufzudecken sind, keinesfalls aber durch «Erfahrung».
Ich möchte ein Wort von C. H. Spurgeon an den Schluß stellen. Er richtet es an Prediger, aber Lehrer und Lehrerinnen, Eltern und Erzieher dürfen sich wohl auch angesprochen fühlen: «Das Denken ist Rückgrat des Studiums. Wie gut wäre es, wenn unsere Prediger mehr dächten! Wir brauchen Männer, die über Gottes geoffenbarte Predigt nachdenken, und nicht Träumer, die aus ihrem eigenen Kopf heraus Religionen ersinnen.»
Hedwig Schroer