Passah u. Abendmahl (A.Burchartz)
Alfred Burchartz
Das Passah – Fest Israels und das Abendmahl Jesu
Wenn nach dem jüdischen Kalender im Monat Nissan der Frühling in Israel eingezogen ist, dann trägt das Land ein grünes Kleid. Blumen, Sträucher und Bäume blühen und auf manchen Feldern beginnt bereits die Gerste zu reifen. Es wird Pessachzeit, und für dieses Fest, das sieben Tage dauern wird (in der Diaspora sind es acht), haben die Hausfrauen alle Hände voll zu tun. Die Wohnung und alle Möbel werden gründlich gereinigt. Selbst das Koch- und Eßgeschirr, auch das Besteck, wird peinlich genau gesäubert oder nach Möglichkeit für die Zeit des Festes durch anderes, reines Geschirr ersetzt. Im Mittelalter geschah das Reinigen (kaschern) des Hausrates der jüdischen Mitbürger in den Wohnorten öffentlich. Mit Wasser vom Brunnen wurden Möbel u. a. gereinigt und eisernes Geschirr auf offenem Feuer ausgeglüht. Dieser „Frühjahrsputz“ gehört zu einer alten Tradition, der Kaschrut, den Reinheitsgesetzen im jüdischen Volk, denn Pessach ist das Fest der „süßen“, d.h. der ungesäuerten Brote. Es darf in diesen Festtagen kein mit Triebmitteln hergestelltes Backwerk, auch nicht Krümel davon, im Haus bleiben, aber auch kein Unrat und Schmutz. Das Fest erinnert jeden Juden an Israels Auszug aus Ägypten, als man in der Wüste Brot aus Mehl und Wasser auf heißen Steinen backen musste. Doch dieser Auszug war die Befreiung aus der Sklaverei und führte aus dem Tod in das Leben mit und unter Gott.
Die Nacht der Verschonung
In der ersten Nacht zu Pessach trennte Gott sein Volk von dem Volk der Ägypter. Der Todesengel ging durch die Häuser und tötete alles Erstgeborene. Doch an den Häusern ging er vorüber, an deren Türpfosten das Blut eines geschlachteten Lammes zu sehen war. In ihnen saßen Israeliten, gehorsam und dem Wort Gottes vertrauend, dass sie von nun an unterwegs sein würden, einem neuen Ziel, einem anderen Land entgegen. Deshalb Pessach = Verschonung. Und deshalb Trennung von allem Sauerteig und dem, was mit solchem Sauerteig in Berührung kam. Denn wer diese Trennung nicht vollziehen will, wer in der Pessachzeit am „Brot Ägyptens“ festhalten möchte, der gehört nicht zu Israel (2. Mose 12, 15), kann kernen Anteil haben an Gottes Erwählung, für ein gehorsames Leben unter ihm.
Juden feiern das Pessachfest in der Gegenwart so, als wären sie selbst in der ersten Pessachnacht dabei gewesen. Sie selbst sind es, die sich in dieser Nacht aufmachen wollen, gehorsam den Weg zu gehen, den Gott seinem Volk verordnet hat.
Am Tag vor der ersten Pessachnacht ist der Hausvater am Abend noch einmal durch alle Räume seines Hauses gegangen und hat sich überzeugt, dass aller „Chamez“, alles Gesäuerte, entfernt wurde, dass selbst kleinste Krümel von ihm nicht mehr zu finden sind. Kluge Hausfrauen haben gerne irgendeinen Unrat „übersehen“, um ihren Männern die Finderfreude zu gönnen, denn am anderen Vormittag, wenn der Chamez auf der Straße verbrannt wird, hatten die Männer Gelegenheit, sich mit den Nachbarn zu unterhalten und den häuslichen Vorbereitungen zu entfliehen.
Nun ist der Tag geworden, der im jüdischen Kalender als 14. Tag des ersten Monats Nissan bezeichnet wird: Erew Pessach, denn am Abend dieses Tages beginnt das Pessachfest mit dem Sederabend, der nach einer bestimmten Ordnung, und das heißt Seder, in den Häusern und Wohnungen jüdischer Menschen gefeiert wird.
An diesem Abend versammelt sich die Familie. Doch auch die allein lebende Witwe aus dem Nachbarhaus, auch der einsame Mann von gegenüber, der keine Angehörigen hat, und auch der Fremdling, der im Lande weilt und sich zu Israel halten will, werden dazu geladen. In dieser Nacht darf kein Jude allein sein und allein feiern. Denn Pessach ist das Fest der Verschonung Israels, also des ganzen Volkes und kann nur im „Wir“ der Gemeinschaft begangen werden:
„WIR waren Knechte Pharaos in Ägypten … aber der Herr befreite UNS … und nun sind WIR auf dem Wege von Ägypten bis in die Zeit des messianischen Heils. Es ist UNSER Weg.“
Der Sederabend mit seinen Symbolen
Die Wohnungen der Feiernden sind festlich geschmückt. Eingeladene haben Blumen und Pessachgeschenke den Gastgebern überreicht. Auf der Tafel in der Mitte des Raumes steht reines Geschirr, in dem sich Kerzenglanz spiegelt. Auf dem Tisch vor dem Platz des Hausherrn stehen oder liegen Dinge, die für die Feier von Wichtigkeit sind. Zunächst der Sederteller (Kara schel Pessach = Pessachschüssel) mit 6 Näpfchen, in denen Symbolspeisen enthalten sind. Als erstes sehen wir Karpas, das ist grünes Kraut. Es kann Petersilie sein und anderes. Es gilt als Zeichen für die Frucht der Erde, die uns Gott Jahr für Jahr bereitet, damit wir leben können. Dann ein Näpfchen mit Salzwasser = mej melach. Es soll Erinnerung sein an die Tränen, die geweint wurden in der Sklaverei Ägyptens, aber auch im Leid der Zerstreuung unter den Völkern.
Als drittes ein Näpfchen mit Maror. Das ist Bitterkraut und lässt an die Bitternis des Lebens in Ägypten denken und auch an die Verfolgungen unter den Völkern in der Verbannung. Dann ein viertes: Charosset = das Lehmartige. Es ist ein Mus aus geriebenen Äpfeln, Nüssen, Zimt und anderen Gewürzen, mit Wein angerührt. Es erinnert an die Zeit der Fron und Armut, als wir aus Lehm Ziegeln herstellen mußten für die Bauwerke der Mächtigen. Ein fünftes Näpf¬chen enthält einen Lammknochen mit etwas Fleisch daran, auf Holzkohlenfeuer gebraten = Seroa. Es ist das Zeichen für das Lammopfer, das heute im Tempel hätte gebracht werden müssen, um es jetzt in der Gemeinschaft zu verzehren. Doch es gibt den Tempel nicht mehr, nur die Hoffnung, dass wir es in den Tagen des Messias in Jerusalem und in dem dann neuerstandenen Tempel wieder bringen werden. Das sechste Näpfchen zeigt ein gekochtes Ei = Bejzah. Es ist Brauch, solch ein Ei nach der Beerdigung eines Toten zu verzehren. Das ist ein Zeichen für den Glauben an die Überwindung des Todes in der Auferstehung zu einem neuen Leben. Hier aber will das Ei an die Zerstörung des Tempels erinnern, also an den Tod des Tempeldienstes, und an die Hoffnung, dass auch der Tempel wieder erstehen wird und dass dort wieder Opfergottesdienste gehalten werden. Vielen will es aber auch ein Zeichen für die Fruchtbarkeit Israels sein, über die Pharao in Ägypten nicht Herr werden konnte – und noch mehr: Trotz allen Leidens in dieser Welt der Bedrohung und des Hasses: Israel lebt und wird weiterleben!
Das wären die sechs Symbolspeisen, wovon die fünfte und sechste, Lammknochen und Ei, erst längere Zeit nach der Zerstörung des Tempels, die im Jahre 70 geschah, als Pessachbrauch eingeführt wurden.
Aber nun liegen auf dem Sedertisch noch drei Mazzot, drei ungesäuerte Brote, übereinander, unter einem Tuch verhüllt oder in einer Sedertasche mit drei Fächern. Es kann auch eine Sederschüssel mit drei Etagen sein, über die dann ein Tuch gelegt wird. Die unterste Mazza gilt für Israel, die mittlere für den Stamm Levi und die oberste für die Priester Israels, die Kohanim. In der bald beginnenden Sederfeier wird die mittlere Mazza wichtig werden, die für Le¬vi. Es gilt als sicher, dass sie in der Zeit Jesu als „Brot des Kommenden“ einen engen Bezug zur Messiaserwartung des jüdischen Volkes hatte.
Brot und Wein
wurden für den jüdischen Glauben zu wichtigen Symbolen für das Leben Israels unter Gott. Brot ist geopfertes Leben und Ertrag der Mühsal aller Arbeit: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen!“ (1. Mose 3, 19) Der Wein dagegen ist ein Zeichen der Freude: „Der Wein erfreut des Menschen Herz.“ (Psalm 104, 15)
In der Abrahamsgeschichte begegnet uns Melchisedek, ein Priester Gottes, des Höchsten, der Himmel und Erde geschaffen hat (1. Mose 14, 1-24). Melchisedek = Melech-Zedek = König der Gerechtigkeit oder der Gerechten. Er wird auch König von Salem genannt. Im Hebräerbrief wird Salem mit Frieden (Schalom) übersetzt, also König des Friedens. Das Wort salem befindet sich auch im Namen Jeru – salem = Stadt des Friedens, was sie einmal sein wird unter der Herrschaft des kommenden Messias.
Melchisedek segnet Abraham und überreicht ihm Brot und Wein als Zeichen des Segens, der ihm bei seiner Berufung verheißen wurde: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ (1. Mose 12, 2). Da dieser Segen auch für Abrahams Nachkommen gelten soll, wurden Brot und Wein zu unverzichtbaren Segenszeichen bei jedem Schabbat und den großen Festen Israels.
Die Freudenbecher
Während der Sederfeier ist es Vorschrift, vier Becher Wein (= arba kossot) zu trinken, die als Freudenbecher gelten, gemäß dem in 2. Mose 6, 2-7 vierfach geoffenbarten Willen Gottes zur Rettung Israels:
„Ich bin der Herr und will euch
1. wegführen von den Lasten, die euch die Ägypter auferlegen, und will euch
2. erretten von eurem Frondienst, und ich will euch
3. erlösen mit ausgestrecktem Arm und durch große Gerichte. Ich will euch
4. annehmen als mein Volk und will euer Gott sein.“
Wegführen, erretten, erlösen und annehmen, das sind Gottes Heilstaten an seinem Volk. Sie werden dem Bewußtsein jüdischer Menschen in jeder Sederfeier nahe gestellt: Wir sind um Gottes Willen von Ägypten und den Völkern dieser Welt geschieden und sind dadurch errettet, erlöst und von Gott angenommen.
In 2. Mose 6 wird von einer weiteren Heilstat Gottes für Israel geschrieben: „Ich will euch bringen in das Land.“
Nach jüdischem Glauben ist damit nicht allein die geschichtliche und geographische Landnahme Kanaans gemeint, sondern auch und noch mehr das Ziel der Geschichte und des Glaubens Israels: Die kommende, für immer geltende Zeit des messianischen Heils.
Die aber bringt nur der Messias zuwege. Es gilt bei frommen Juden die Anschauung: Um Mitternacht wurden wir erlöst, um Mitternacht werden wir erlöst! Das heißt, so wie Gottes Erlösungswerk in Ägypten in der Mitte der ersten Pessachnacht begann, so wird sein Erlösungswerk mit seinem Messias auch um Mitternacht einer ersten Pessachnacht beginnen. Das kann heute Nacht schon sein. Deshalb wartet Israel bei der Sederfeier auf den letzten Anruf und auf das Zeichen, endlich in eine Zeit der Erlösung und des Heils aufzubrechen. Dafür steht auf dem Sedertisch ein fünfter Becher, der „Eliasbecher“, gefüllt mit Wein, aus dem aber nicht getrunken wird. Elias wird kommen und dem Messias Gottes den Weg bereiten. Und er tut es schon jetzt, da in seiner unsichtbaren Anwesenheit über dem Symbol des Eliasbechers das Volk ausgerichtet wird zur bleibenden Hoffnung auf den Tag der Erlösung Gottes. Dabei wird Elias gleichzeitig zum Synonym für den kommenden Messias. Über dem zu seinem Empfang bereitgestelltem Becher wird er sich in der Sedernacht zu erkennen geben, indem er ein jüdisches Haus betritt, diesen Becher erhebt und daraus trinkt. Und wie gesagt, das kann schon heute, in dieser Sedernacht geschehen.
Die Feier und ihre Ordnung (Seder)
Nun wird die Sederfeier beginnen. Sie besteht aus drei Teilen. Der erste Teil ist vergangenheitsorientiert auf die Geschichte Israels, auf die großen Taten Gottes für sein Volk Israel, wobei im Vordergrund die Befreiung aus Ägypten steht. Der zweite Teil wird das Sedermahl sein, von der Hausfrau sorgfaltig vorbereitet. Der dritte Teil gilt der Hoffnung Israels, seiner Zukunft, der Zeit der endgültigen Erlösung und des Heils, dem Ziel des jüdischen Glaubens und seiner Geschichte.
Damit die Feier in der rechten Ordnung geschehen und in allen jüdischen Häusern in möglichst gleiche Weise durchgeführt werden kann, bedarf es der Pessach – Haggada (Erzählung). Das ist ein Buch, aus dem der Hausvater lesen und die darin enthaltenen Gebete sprechen wird.
Der erste Becher, der Becher der Heiligung (Kiddusch) wird mit Rotwein gefüllt, und der Hausvater spricht den Kiddusch, die Eröffnung und Heiligung der Sederfeier.
„Gepriesen seist Du, Ewiger, unser Gott, Herr der Welt, der Du die Frucht des Wein-Stocks geschaffen hast.“
„Gepriesen seist Du, Ewiger, unser Gott, Herr der Welt, der Du uns aus allen Völkern erwählt, über alle Nationen erhoben und uns durch Deine Gebote geheiligt hast … Du gabst uns diesen Tag des Mazzotfestes, die Zeit unserer Befreiung … zum Andenken an unseren Auszug aus Ägypten…“
Dann erhebt er sich und wäscht sich nach Vorschrift die Hände. Etwas Petersilie wird in Salzwasser getaucht und gegessen. Das soll an den Ysop erinnern, der zur bewahrenden Blutbesprengung gebraucht wurde, aber auch an den rettenden Durchzug des Volkes Israel durch das Rote Meer.
Nun bricht der Hausvater die mittlere Mazza auseinander und verbirgt die eine Hälfte. Dann nimmt er das Ei und den Lammknochen von der Sederschüssel, die mit den übrigen Symbolspeisen von den Feiernden hochgehoben wird. Dazu sprechen alle:
„Dies ist das Brot des Elends, das unsere Väter in Ägypten gegessen haben. Wer hungrig ist, der komme und esse! Jeder, der in Not ist, komme und halte mit uns das Pessachfest. Dieses Jahr noch hier, im kommenden im Lande Israel. Dieses Jahr noch Sklaven, im kommenden Jahre frei.“
Ein erster Höhepunkt der Sederfeier ist das vorbereitete Fragen des jüngsten Teilnehmers an der Sederfeier, meist eines Kindes. Es ist das Fragen nach dem Sinn dieser Feier:
„Warum ist diese Nacht so ganz anders als alle anderen Nächte? Sonst essen wir gesäuertes und ungesäuertes Brot – heute aber nur Mazzot. Sonst essen wir verschiedenes Kraut – heute nur Bitterkraut?“ usw.
Darauf werden die Mazzot aufgedeckt, und es folgt das großartige Bekenntnis Israels. Ein Bekenntnis, das nun von allen feiernden Juden in dieser Nacht gesprochen wird; es ist der Grund der Sederfeier und das Bekenntnis ganz Israels:
„Sklaven waren wir dem Pharao in Ägypten, aber der Ewige, unser Gott, führte uns heraus mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. Hätte der Heilige, gelobt sei Er, unsere Väter nicht aus Ägypten gerettet, dann wären wir und unsere Kinder noch immer in der Sklaverei Pharaos in Ägypten…“
Dahinter steht das Bewußtsein des jüdischen Glaubens: Gott der Herr führte uns und wird uns weiter fuhren! Er befreite uns vom Tode Ägyptens und wird uns immer wieder befreien aus den tödlichen Bedrohungen in dieser Welt. Im Bewußtsein dessen geschieht auch jene Symbolhandlung: die Feiernden sitzen angelehnt oder liegen, was in der antiken Zeit nur den Freien und nicht den Sklaven zustand.
Erinnerung an die Not in der Vergangenheit Israels, Erinnerung an die Wunder der Rettung und des Lobpreises über die Rettung Israels durch seinen Gott bis auf den heutigen Tag, das alles füllt den ersten Teil der Sederfeier. Jetzt wird der zweite Becher Wein getrunken, man wäscht sich die Hände und ißt symbolhaft je ein kleines Stück von allen drei Mazzot, bestrichen mit Maror und Charossot, dem Bitteren und Süßen.
Zum Lobpreis dieser Nacht gehört das „Hallel“, die gesprochenen Psalmen 113 bis 118, wobei die Psalmen 113 und 114 zum ersten Teil, die anderen zum letzten Teil der Sederfeier gehören. Dazu gehört auch die Aufzählung der zehn Plagen, die über Ägypten kamen: Blut, Frösche, Mücken, Ungeziefer, Seuche, Blattern, Hagel, Heuschrecken, Finsternis, Töten der Erstgeburt. Dabei tauchen bei Nennung jeder Plage die Teilnehmer einen Finger in ihren Becher Wein, um einen Tropfen zu verschütten: „Der Herr aber führte uns heraus mit starker Hand…!“ Das will bedeuten: Um unserer Rettung willen mußten andere Menschen leiden.
Es folgt der zweite Teil der Feier, das Sedermahl, eine gut vorbereitete und wohlschmeckende Mahlzeit. Jeder ißt sich satt.
Nach dem Mahl
bei fortgeschrittener Nacht beginnt der letzte Teil der Sederfeier. Die anwesenden Kinder haben jetzt die Aufgabe, die am Anfang der Feier versteckte Hälfte der mittleren Mazza zu suchen. Wird sie gefunden, dann herrscht Freude und die Kinder erhalten Geschenke. Der Hausvater bricht von der wiedergefundenen Mazzahälfte für jeden Festteilnehmer ein Stück davon, das gegessen wird.
Der dritte Becher wird mit Wein gefüllt und der Hausvater wendet sich an die anwesenden Männer:
„Meine Herren, wir wollen das Tischgebet sprechen: Der Name des Ewigen sei gepriesen von jetzt an bis in Ewigkeit. Lasset uns preisen den, der uns speist und von dessen Güte wir leben…“
Dieser dritte Teil des Festes ist zukunftsorientiert, gefüllt mit der Hoffnung auf die Erlösung in der Zeit des kommenden messianischen Heils. Der Segen der kommenden Heilszeit wird erbeten und zeichenhaft für die Gegenwart vorweggenommen:
„Mach uns frei, Ewiger, unser Gott, bald von all unseren Bedrängnissen … Der Barmherzige zerbreche das Joch des Druckes von unserem Nacken und führe uns frei und aufrecht in unser Land … Er sende uns reichen Segen … und den Propheten Elias, dass er uns gute Nachricht des Heils und des Trostes bringe … und uns würdig mache für die Messiaszeit… Er stifte Frieden für ganz Israel.“
Dieser dritte Becher Wein wird Becher der Erlösung oder Becher des Segens genannt. Denn die erflehte Erlösung in der messianischen Zeit bedeutet schon Segen für die Gegenwart Israels. Auch die Mazzahälfte weist darauf hin. Sie wird als „Afikoman“ bezeichnet, was nicht nur „Nachtisch“, sondern von Aphikomenos „der Kommende“, also „Brot des Kommenden“ -Messias – bedeutet.
Nachdem die Teilnehmer ihren Becher vom Hausvater zum vierten Mal gefüllt bekommen, wird der zweite Teil des Hallels, die Psalmen 115-118 gesungen oder gesprochen. Dann schließt die Feier mit weiteren Gebeten, dem Singen von volkstümlichen Liedern und dem Wunsch: Das kommende Jahr in Jerusalem!
Das Schlußgebet
„Gepriesen seist Du, Ewiger, unser Gott, Herr der Welt, – für den Weinstock und für die Frucht des Weinstockes, für die Frucht des Feldes und für das gute, schöne und geräumige Land, das Du einst unseren Vätern zum Erbe gegeben hast, dass wir von seinen Früchten essen, an seinen Gütern uns sättigen, Erbarme Dich Gott, unser Herr, über Israel, Dein Volk, über Jerusalem, die Gottesstadt, über Zion, den Wohnsitz Deiner Herrlichkeit, über Deinen Altar und Tempel, und erbaue Jerusalem bald in unseren Tagen. Führe uns dahin, dass wir essen von des Landes Frucht und dafür Dich preisen in Reinheit und in Heiligkeit! Erfreue uns am Tage des Mazzotfestes, denn Du, Gott, bist gütig und wohltätig gegen alle. Dir danken wir für das Land und die Frucht des Weinstockes. Gepriesen seist Du, Ewiger, für das Land und die Frucht des Weinstockes. Beendet ist der Seder, nach seinen Einzelheiten, nach seinen Vorschriften und Gesetzen. Wie es uns vergönnt war, ihn zu verrichten, so möge es uns auch in Zukunft vergönnt sein, ihn zu begehen. Reiner, der in den Himmelshöhen thront, richte auf das Volk, das nicht gezählt wird. In Bälde führe Deine Sprösslinge als Erlöste nach Zion im Jubel.“
Das Abendmahl Jesu
Es ist Mitternacht. Die eingeladenen Gäste haben sich verabschiedet. Der Elias- oder messianische Becher steht noch unberührt auf dem Tisch. Der Erwartete ist nicht gekommen. Oder – war das nicht schon längst geschehen? „… nahm Jesus den Kelch … und sprach: Trinket alle daraus!“
Die Sederfeier Israels bildet den Hintergrund für die Abendmahlsfeier, die Jesus eingesetzt hat: „Das tut zu meinem Gedächtnis.“
Wie jüdische Menschen im Pessachfest die Befreiung Israels aus dem Tode Ägyptens feiern, als wären sie selbst dabei gewesen, so feiert die christliche Gemeinde das Opfer Jesu als verschonende und bewahrende Tat, die ihr für die Gegenwart, aber auch für die Zeit des Kommenden, Heil bedeutet: „Bis dass Er kommt!“ (1. Korinther 11, 26).
In der Sederfeier benutzt Jesus Elemente der jüdischen Glaubenssymbolik als Zeichen für den „Neuen Bund“, den er und die judenchristliche Gemeinde als Heilsangebot Gottes zunächst für sein Volk Israel verstand. In der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte, brach’s und sprach:
„Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.“
Mit diesem Brot kann nur die Mazzahälfte gemeint sein, die im letzten Teil der Sederfeier aus der Verborgenheit hervorgeholt, gebrochen und dann verteilt wird: „Brot des Kommenden“.
Das aber bedeutet für die damals mit ihm feiernden Jünger, dass sich Jesus vor ihnen als der Messias offenbarte, auf den das jüdische Volk wartete. Dasselbe gilt für alle diejenigen, die auch heute noch das Brot des Abendmahls so empfangen, „als seien sie damals dabei gewesen.“ Wie die aus der Verborgenheit sichtbar gewordene Mazzahälfte, so kam der im jüdischen Volk verborgene und verheißene Messias, wie einst Melchisedek, als Friedenskönig zum Segen für seine Anhänger und Nachfolger mit den Zeichen seiner totalen Hingabe in Brot und Wein. „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird…“
„Desgleichen nach dem Mahl nahm Jesus den Kelch, sagte Dank, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Neuen Bundes, das für euch vergossen wird. Das tut zu meinem Gedächtnis.“
Mit den Worten „Trinket alle daraus“ konnte nur der messianische Kelch (Eliasbecher) gemeint sein, aus dem bis zur Ankunft des Messias niemand trinken durfte.
Wie einst das Blut des geschlachteten Lammes, das an den Türpfosten die auf Befreiung warteten Israelis vor dem Todesengel schützte, so schützt jetzt das Opfer des Lammes Gottes die Anhänger und Nachfolger des Messias Jesus vor dem Gericht Gottes mit der Vergebung all ihrer Sünden und versichert ihnen den Heimgang ins himmlische Reich der Verheißung.
Deshalb: „Trinket alle daraus!“
So ist das Abendmahl für Christen das Fest der Verschonung.
Mit der Auferstehung Jesu wurde ihnen das garantiert:
„Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ (Johannes 14, 19)
Alfred Burchartz
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