Aberglaube (L.Gassmann)

Glaube oder Aberglaube?

Was steckt hinter okkulten Praktiken?

Von Dr. Lothar Gassmann

In unserer Gesellschaft haben wir eine niemals zuvor dagewesene Stufe an Aufklärung und Bildung erreicht.

Wie ist es da möglich, dass sich Aberglaube und Okkultismus in vielfältiger
 Weise in das Leben zahlreicher Mitbürger einschleichen?

Im Zuge der Medien- und Reizüberflutung werden viele Impulse zur Beschäftigung mit dem Okkultismus gesetzt, so z.B. über TV, Internet, Software, Bücher, Filme und Musik. Anreize zur Beschäftigung mit Okkultismus und Esoterik werden raffiniert vermittelt. 

Ahnungslose Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet. Okkulte Inhalte werden schleichend über harmlos scheinende und als kind- und jugendgerecht aufgemachte Bücher und Filme gesellschaftsfähig gemacht. Die weit verbreitete Auffassung, dies sei alles harmlos und diene lediglich der Unterhaltung, führt zu einem folgenschweren Irrtum. 


Was ist Aberglaube? Was ist Okkultismus? 


Aberglaube heißt: Herr über Gott sein zu wollen.


Glauben dagegen heißt: Gott zum Herrn zu haben.

Aberglaube ist jede Art von Glauben, die nicht Gott als Glaubensinhalt hat.

Aberglaube im weiteren Sinn bedeutet, sein Vertrauen auf das zu setzen, was uns von Gott abhält. Das geschieht in vielfältiger Weise, z.B. durch den heute vorherrschenden Materialismus, durch den „Glauben“ an Irdisches, Geld, Besitz, die eigene Ehre, atheistische Weltanschauungen usw.

Im engeren Sinn bezieht sich Aberglaube auf konkrete abergläubische Praktiken, auf das Gebiet des Okkultismus und der Esoterik. Okkulte bzw. esoterische Praktiken beschäftigen sich mit der Welt des Verborgenen, Geheimen und Übersinnlichen. Solche Praktiken sind zum Beispiel: 


•  Astrologie (Horoskope, Sternenglaube, Sternzeichen)
•  Hexenglaube, Walpurgisnacht, okkulte Faschingsbräuche
•  Druidenglaube, Halloween
•  Satanismus, Schwarze Messen
•  Zauberei, schwarze und weiße Magie
•  Spiritismus (Geisterglaube, Totenbefragung)
•  Amulett- und Talismanglaube
•  Zahlenglaube (magische Zahlen, Glücks- und Unglückszahlen)
•  Pendeln, Rutengehen, magisches Besprechen von Krankheiten
•  Handliniendeutung, Kartenlegen, Tarot
•  Voodoo und rituelle Beschwörungen
•  Hellsehen und Wahrsagen
•  Religiös geprägte und übersinnlich wirkende Heilpraktiken wie z.B. Yoga ,
Autogenes Training, Homöopathie, Hypnose, Transzendentale Meditation, Edelstein-Therapie
•  Okkulte Bücher, Filme und Computerspiele mit Hexen, Zauberern, magischen Formeln und Gegenständen (z.B. Harry Potter, Bibi Blocksberg, Krabat usw.) 

•  Aberglaube und die Unterhaltungsindustrie


Insbesondere geraten über Musik und Computerspiele viele Menschen unter okkulten Einfluss, denn hierbei wird oftmals mit Satanismus und antichristlichen Inhalten hantiert.

•  Viele der großen Rockstars haben sich freiwillig und bewusst in den Dienst Satans gestellt. 


1.  Vom lateinischen „occultum“ = das Geheime, das Verborgene.
2.  Vom griechischen „esoteros“ = das nach innen Gerichtete, Geheime.

3.  WARNUNG: Wer Yoga (und ähnliche Praktiken) ausübt – auch wenn es sich um eine stark westlich angepasste Form handelt und es in Unwissenheit erfolgt – öffnet sich dämonischen Einflüssen. 
„In einer spiritistischen Sitzung versprach mir der Geist Ruhm und Weltherrschaft durch die Rockmusik und Reichtum im Überfluss. Das einzige, was er von mir verlangte, war mein Körper, um ihn zu besitzen.“ 


Gruppen wie die Heavy-Metal-Band „Black Sabbath“ lassen offen ihre Verbindung zum Satanskult erkennen. „Black Sabbath“ verschwor sich in Birmingham nach einem Horror-Film in einer okkulten Taufe dem Teufel. Sie sangen Texte wie:
„Nimm dir ein Leben, es wird billig;
töte jemand, niemand wird weinen.
Wir wollen nur deine Seele.“

Auf der Coverwerbung für die Musikproduktion „Reflection – Black Sabbath“ steht folgendes zu lesen:
„Und du armer Narr, der du diese Musik in Händen hältst, wisse denn, dass du mit ihr deine Seele verkauft hast, denn sie wird schnell in diesem höllischen Rhythmus, in der teuflischen Kraft dieser Musik, gefangen sein. Und dieser musikalische Tarantelbiss wird dich tanzen lassen, ohne Ende, ohne Pause.“ 


Der größte Satanist des 20. Jahrhunderts, Aleister Crowley, welcher durch seine Lehre Rockmusiker nachhaltig beeinflusste, sagte:
„Der magisch lebende Mensch versucht die höheren Mächte, die er um sich herum wahrnimmt, sich zu unterwerfen und sich nutzbar zu machen.“ 


Er schlug folgende Methoden vor, um Musikhörer in ekstatische Zustände und in Trance zu versetzen:
„Erstens: Eine auf Wiederholung und Rhythmus basierende Musik; Zweitens: Drogen;
Drittens: Eine besondere Form sexueller Magie.“ 


Es ist bekannt, dass viele Gruppen ihre Songs unter Drogeneinfluss schreiben. Einige geben zu, die Inspiration für ihre Kompositionen durch eine Macht zu erhalten, welche die Musiker bzw. die Band kontrolliert. 


So behauptet der zum Hinduismus übergetretene Gitarrist John Mc Laughlin, dass ein Geist hinter der Musik seiner Band Orchestra stehe. Er berichtete:
„Als wir eines Abends gerade spielten, trat plötzlich der Geist in mich hinein – und ich spielte, aber es war nicht mehr mein eigenes Spielen!“ (Circus-Magazin)
Auch der Sänger der Hardrock-Gruppe Meat Loaf gab ganz offen zu: „Wenn ich auf die Bühne komme, werde ich besessen.“ (Time). 


Computerspiele sind in der Welt des 21. Jahrhunderts zum festen Bestandteil der weltlichen Unterhaltung geworden. Den weitaus größten Anteil am Spielemarkt haben sogenannte Actionspiele, Rollenspiele und Strategiespiele. Der Inhalt ist leider in vielen Fällen gewalttätig, blutig und teilweise magisch-mystisch und okkult. 

In Rollenspielen geht es darum, die Rolle der Hauptfigur des Spiels zu über- nehmen. Das Besondere daran ist die sogenannte „Ego-Perspektive“: Der Spieler blickt in das Geschehen auf dem Bildschirm wie aus eigener realer Sicht. So wird er direkt in die Handlung einbezogen. Dann beginnt er, in die zumeist magisch- mittelalterliche oder außerirdische Fantasy-Welt einzutauchen. Dabei spielt der Gebrauch von Magie eine große Rolle – oft im Zusammenhang mit okkulten Symbolen wie Runen und Pentagrammen oder magisch aufladbaren Gegenständen.
Computerspiele sind durch ihre stetig verbesserte Darstellung immer mehr ein bedeutender Suchtfaktor geworden. Ungezählte Teenager, Jugendliche und Erwachsene (auch viele Familienväter) sitzen Tag für Tag vor den Bildschirmen und kommen nicht von den immer aufregender, bunter und umfangreicher gemachten Spielen los. Viele süchtige Spieler geben Unsummen im Jahr für ihr „Hobby“ aus. Oft entstehen auch Bindungen an die okkulten Mächte und es kommt zu einer Blockade gegen den christlichen Glauben.

Aberglaube und Hexenkult 

Der Begriff Hexe taucht im deutschsprachigen Raum zuerst in Dokumenten des 9. Jahrhunderts auf, als „hagazussa” (Zaunweib = dämonisches Wesen, das über den Zaun in den Privatbereich der Menschen vordringt). Wenig später findet sich der bis heute geläufige Begriff „hexse” (1293). 

Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts lässt sich eine Hexen-Renaissance in Europa beobachten. Zahllose Medienmagazine bieten zumeist positiv werbende Informationen über Hexerei und Zauberhilfen für den Alltag. Eine unübersehbare Szene selbstbewusster „neuer Hexen“ hat sich etabliert, die insbesondere im esoterischen Umfeld ihre Dienste anbieten. 

Historisch gesehen haben die „modernen Hexen” ihre Wurzeln im Feminismus, im Neuheidentum, in der Esoterik und der Ökologiebewegung. „Moderne Hexen” kennen keinen persönlichen Gott und keine übernatürliche Offenbarung. Absolute moralische Ordnungen oder Glaubensregeln lehnen sie ab. Im Hexenglauben gibt es keinen eindeutigen Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen heilig und weltlich. Die Göttin wohne angeblich im Menschen und in der Natur. Gleichzeitig verfüge sie über unbegrenzte kosmische Kraft, die Hexen sich mittels magischer Rituale nutzbar machen wollen.

Hexenkulte stehen in deutlichem Widerspruch zu christlichen Grundüberzeugungen: 

•  Christen unterscheiden deutlich zwischen Gott und Mensch (Natur). Hexen dagegen vergöttlichen den Menschen und vermenschlichen Gott.
•  Christen kennen Gott als personales Gegenüber. Hexen dagegen wenden sich an anonyme, kosmische Energien, hinter denen dämonische Mächte stehen.
•  Christen akzeptieren Gottes souveräne Entscheidungen und seine ethischen Regeln. Hexen dagegen geben eigene Empfindungen als Reden Gottes aus und versuchen, „göttliche“ Kraft zu eigenen Zwecken zu manipulieren.
•  Christen wissen um die tief sitzende Schlechtigkeit des Menschen, die nur durch die liebende Erlösungstat Jesu Christi überwunden werden kann. Hexen dagegen setzen auf eine rituelle Selbsterlösung und gehen davon aus, dass der Mensch (insbesondere die Frau) von Natur aus gut sei.

Gott verurteilt in seinem Wort der Bibel jede Art von Hexerei und Magie.
In der Absicht, sich Gottes Macht zu vereinnahmen, stehen diese Bemühungen im deutlichen Gegensatz zum christlichen Glauben, der sich Gott vertrauensvoll ausliefert. 

Wer sich mit Hexerei und Magie beschäftigt, steht in Gefahr, von zwielichtigen Scharlatanen betrogen zu werden. Die intensive Beschäftigung mit Hexerei beinhaltet zudem die Gefahr okkulter Bindungen. Menschen werden innerlich unfrei und können geistlich von übernatürlichen dämonischen Mächten in Beschlag genommen werden. Das kann sich in Selbstmordgedanken, Depression, in Wahnvorstellungen, Angstzuständen, aber auch in körperlichen Phänomenen und einer generellen Ablehnung christlichen Gedankenguts niederschlagen. 


Die Auffassung, dass Hexerei nur ein Spaß sei, ist ein großer Irrtum. Die Beschäftigung mit okkulten Praktiken bleibt niemals folgenlos, sondern kann schwerste Konsequenzen bis hin zur dämonischen Besessenheit zur Folge haben. 

2. Mose 22,17; 5. Mose 18,10; 1. Samuel 28,9; Jesaja 2,6; Offenbarung 21,8.

Was treibt Menschen zu abergläubischen Praktiken?
Aller Aberglaube kommt aus einer falschen Lebensgier und -angst. Der Mensch will mehr wissen und mehr erreichen, als mit Hilfe der natürlichen Sinne möglich ist. Und weil er Gott nicht auf Wunsch „ausquetschen“ kann, geht er womöglich zur Hexe, zum Kartenleger, Astrologen, Hellseher oder Wunderheiler. Da er auf diese Weise angeblich Einblicke in die Zukunft, Geisterwelt und die eigene Bestimmung erhält, meint er, glücklicher zu werden.
In Wirklichkeit tritt aber das Gegenteil ein. Wer ist schon glücklich, wenn er bei einer Wahrsagerin von seinem angeblich baldigen Tod erfährt – oder von einem nahenden Unglück – oder von seinen eigenen Schwächen? Das ist zum Beispiel König Saul geschehen, der ein tragisches Ende in Verzweiflung und Finsternis erlebte. 


Was ist dran am Aberglauben? 


Die Bibel, Gottes Wort, bezieht eindeutig Stellung zu sämtlichen abergläubischen Praktiken.

Grundlegend ist das erste Gebot (2. Mose 20,3 und 5. Mose 5,7). Dort spricht Gott: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“
Sterne, Maskottchen, Hexen, Zauberer und Geister sind aber andere Götter für den Abergläubischen. Und was noch schlimmer ist: In der Gier, die Zukunft zu wissen, will der Mensch selbst wie Gott sein.


Auf das erste Gebot folgt das Bilderverbot (2. Mose 20,4-5): „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden ist, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!”
Das Bilderverbot bezieht sich darauf, dass man nichts Geschaffenes verehren soll. Gott steht in seiner Majestät über allen geschöpflichen Wesen und Dingen. Geschaffene Wesen und Dinge (auch Heiligenbilder von Menschen) sind der Verehrung nicht würdig. Jede Verehrung eines Geschöpfes statt des Schöpfers ist gemäß der Bibel Götzendienst und Aberglaube.

5. Mose 18,10-12: „Wer seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste oder Zauberei treibt oder Bannungen oder Geisterbeschwörungen oder Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt, ist Gott, dem Herrn, ein Greuel …“.

Hier werden sämtliche okkulte Praktiken klar verurteilt. 
Aus der Bibel erkennen wir die eindeutige Warnung: Lass dich nicht auf abergläubische Praktiken ein! Lass die Finger davon, du könntest sie sonst verbrennen! Und wenn du schon damit zu tun gehabt hast, wende dich von ihnen ab! 


Warum stehen diese Warnungen in der Bibel?
Sehr viele Leute, die vom Aberglauben der Menschen leben, sind Betrüger. Für Humbug wird den Abergläubischen das Geld aus der Tasche gezogen. Der Betrüger aber hat keinen Platz im Reich Gottes. 


Es gibt aber auch Fälle, hinter denen viel mehr steckt als menschlicher Betrug. Die Bibel kennt den Satan oder Teufel als lebendige, persönliche Macht.
Der Satan herrscht über ein Heer von Dämonen, bösen Geistern, gefallenen Engeln und über ein gottwidriges Reich. Er wirkt als Ankläger des Menschen vor Gott, als Versucher und deshalb als der Böse in der Welt.

Satan hat Macht, ist aber nicht allmächtig. Gott lässt ihm einen begrenzten Handlungsspielraum, den der Satan gebraucht, um seinen Einfluss auf Menschen auszuüben.
Unsere Schwäche ist seine große Stunde. Wenn wir uns ihm öffnen, schlägt er zu. Das heißt: Wenn wir uns auf Praktiken einlassen, die an Gott vorbei zu Glück, Erkenntnis, Macht und Heilung führen sollen, gewinnt Satan mit seinem Dämonenheer in unserem Leben Macht. 

Darin liegt die große Gefahr des Aberglaubens: Wer nicht an Jesus Christus, den einzig wahren Gott, glaubt und bei Ihm geborgen ist, befindet sich im Einflussbereich Satans. Und wer sich dazu noch ganz bewusst in Gefahr begibt, kommt darin um.

Arno Pagel (deutscher Theologe, 1914-2002) berichtete von einem Mann, der wegen Schlaflosigkeit und Selbstmordgedanken in seine Seelsorge kam. Dieser Mann erzählte: 

„Ich habe immer Magenkrämpfe gehabt und bin von einem Arzt zum anderen gelaufen. Dann hörte ich von einem Wundertäter, der durch Besprechen alle Krankheiten heilen sollte. Er hat seine Hände auf mich gelegt und dabei Zauberformeln gemurmelt, auch der Gottesname war dabei.“ – „Und ist Ihnen geholfen worden?“ – „Das Magenleiden verschwand. Ich war äußerlich geheilt, aber innerlich bin ich krank geworden. Seitdem leide ich an Schlaflosigkeit, Unruhe und furchtbarer Angst.“ 


Welches Opfer fordern die finsteren Mächte?
Auch böse Mächte können äußerlich helfen und Wunder tun, sogar unter Missbrauch des Namens Gottes. Aber der Tribut, den sie fordern, ist das Opfer der „Seele“. Das heißt: Der Mensch, der sich ihnen öffnet, kommt in die Hölle, den Ort nicht endender Gottesferne und Qual.

Die Bibel kennt das Problem der dämonischen Besessenheit. Die Beschreibungen sind so plastisch und konkret, dass man Besessenheit schwerlich als „antike Umschreibung psychosomatischer Störungen“ abtun kann, wie es heute oft geschieht. Sicherlich sind viele Krankheiten medizinisch erklärbar. Das schließt aber insbesondere in Fällen, in denen Menschen sich mit okkulten Praktiken, Hexen, Zauberern, Geistern, satanischer Musik und dem Teufel eingelassen haben, dämonische Besessenheit nicht aus.

Hinter dem Okkultismus (auch in seinen vortäuschend positiv scheinenden Formen wie weiße Magie, Heilungszauber, miss-bräuchliche magische Anwendung von christlichen Formeln oder Bibelversen) verbirgt sich zuletzt die Macht Satans. Der Teufel möchte die Menschen vom rettenden Glauben an Jesus Christus, Gottes Sohn, abhalten.
Satan möchte nicht, dass Menschen gerettet werden, sondern dass sie verloren gehen und in die ewige Verdammnis kommen. Jesus dagegen möchte sie in sein Reich der Reinheit und des Lichts einladen, in dem keine Träne mehr geweint wird und der Tod für immer besiegt ist. 


Der Weg in die Freiheit
Haben Sie sich mit okkulten, finsteren Dingen beschäftigt? Sind Sie zur Hexe oder Wahrsagerin gegangen? Haben Sie okkulte Heilpraktiken für sich in Anspruch genommen? Haben Sie Götzenfiguren in Ihrer Wohnung? Haben Sie satanisch inspirierte Musik gehört, magische Computerspiele gespielt und Zauberei ausprobiert? Möchten Sie davon frei werden und ein sinnvolles, glückliches Leben mit Jesus Christus beginnen? Dann sollten Sie Folgendes tun: 


1. Erkennen und bereuen Sie Ihre Schuld!
Dazu kann es eine Hilfe sein, wenn Sie zunächst in Ruhe die Stellen aus der Bibel lesen, in denen das Urteil Gottes über alle Formen okkulter Betätigung klar zur Sprache kommt. Einige habe ich schon genannt, andere möchte ich hier zitieren: 

•  3. Mose 19,26: „Ihr sollt weder Wahrsagerei noch Zauberei treiben!“
•  3. Mose 19,31: „Ihr sollt euch nicht an Geisterbefrager oder Wahrsager wenden!“
•  Jesaja 47,13-14: „Die Sterndeuter (Astrologen) sind wie Stoppeln, die das
Feuer verbrennt. Sie werden ihre Seele nicht vor der Gewalt der Flammen retten können.“
•  Apostelgeschichte 19,19: „Viele aber, die Zauberei getrieben hatten, brachten ihre (Zauber) Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich.“
•  Korinther 10,20: „Was die Heiden opfern, opfern sie den Dämonen und nicht Gott. Ich will nicht, dass ihr in der Gemeinschaft mit den Dämonen seid.“
•  Offenbarung 22,15: „Draußen (also nicht im Himmel) sind die Zauberer, die Unzüchtigen, die Mörder, die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut.“

Nachdem Ihnen Gott durch sein Wort alle abergläubische Betätigung als Sünde vor Augen geführt hat, beten Sie! Bekennen Sie vor Gott ganz konkret, welche okkulten Praktiken Sie getan haben! 

Nur dann nämlich, wenn die Sünde offengelegt wird, kann ihre Macht gebrochen werden. Dabei ist es nötig, die okkulten Bücher, Zaubertexte, Götzenfiguren, Glücksbringer, Heilsteine, Amulette, das persönliche Mantra und ähnliches preiszugeben und zu vernichten. Von all diesen Dingen müssen Sie sich radikal trennen, wenn Sie von den Bindungen Satans frei werden wollen. 


Dann aber kommt der entscheidende Schritt: 


2. Liefern Sie Ihr Leben ganz Jesus Christus aus!
Nur Jesus Christus kann Sie von allen dämonischen Bindungen befreien und Ihnen Frieden mit Gott schenken. Er ist für Ihre Sünde stellvertretend am Kreuz auf Golgatha gestorben. Ihre Schuld hat er auf sich genommen, damit Sie frei ausgehen können. Mit seinem Sterben am Kreuz und seiner Auferstehung von den Toten hat er den Teufel besiegt und über ihn triumphiert.

Vertrauen Sie sich darum Jesus Christus an. Bitten Sie ihn, Ihre Schuld zu vergeben und in Ihr Leben zu kommen. Er wird auf den Schrei Ihres Herzens antworten und Ihr Gebet erhören. Durch IHN bekommen Sie ein völlig neues Leben. Sie können zum Beispiel mit folgenden Worten von Herzen beten:+

Lieber HERR Jesus Christus, bitte vergib mir, dass ich bisher ohne Dich gelebt habe. Ich bekenne Dir alle meine Sünden und alle okkulten Praktiken, die ich getan habe: (Nennen Sie an dieser Stelle alle Dinge namentlich, an die Sie sich erinnern können). Bitte vergib mir meinen Unglauben, meine Rebellion gegen Dich und meine ganze Schuld. Reinige mich durch Dein kostbares Blut, das Du am Kreuz von Golgatha vergossen hast, um mich von jeder Befleckung reinzuwaschen. Danke, dass Du als der Sieger über Satan, Sünde und Tod von den Toten auferstanden bist und lebst. Ich sage allem Bösen und dem Teufel ab und möchte Dein Kind sein. Bitte komme jetzt durch Deinen Heiligen Geist in mein Herz. Ich möchte ab jetzt mit Dir leben und vertraue Dir mein ganzes weiteres Leben an. Danke, dass Du eine Wohnung im Himmel für mich bereitet hast, in der ich ewig bei Dir leben darf. Amen. 


3. Werden Sie fest im Glauben an Jesus!
Nachdem Sie gerade Ihr Leben Jesus Christus anvertraut haben, sollte es Ihr Wunsch sein, im Glauben an Jesus fest zu werden. Vielleicht werden Sie – besonders in der Anfangszeit ihres Glaubens – weiterhin Angriffe aus der dämonischen Welt erleben. Doch in der Kraft Jesu können Sie diesen Angriffen widerstehen und im Glauben stärker werden.

Wichtig hierbei ist, dass Sie sich von allen okkulten Dingen und Freundschaften trennen. Beschäftigen Sie sich ab jetzt viel mit der Bibel. Lesen Sie darin möglichst jeden Tag und beten Sie zu Gott. Durch die Bibel lernen Sie Gottes Willen für Ihr Leben kennen. Gott möchte Sie durch sein Wort ermutigen und Ihnen Kraft schenken. Durch die Bibel redet Gott zu Ihnen und durch das Gebet reden Sie mit Gott. 


Als nächstes brauchen Sie Gemeinschaft mit anderen Christen. Gehen Sie in eine Gemeinde, in der die Bibel, Gottes irrtumsloses Wort, die oberste Autorität ist. Die Gemeinschaft mit anderen Christen, der Austausch und die Predigten werden Ihnen helfen, im Glauben zu wachsen.

Lassen Sie mich mit einem persönlichen Bericht schließen.

Bis zu meinem 18. Lebensjahr fuhr auch ich auf der falschen Fahrbahn, auf der Straße des Verderbens. Ich suchte das Heil in östlicher Mystik, Buddhismus, Yoga, Vegetarismus und Anthroposophie. Ich war ein begeisterter Anhänger dieser Richtungen und hatte sogar begonnen, Zeitungsberichte und Zeitschriftenartikel darüber zu verfassen und Vorträge zu halten.


Aber im Innersten meines Herzens spürte ich: Das ist nicht das Wahre. In mir wohnt nichts Gutes, ich habe keine Kraft zur Selbstvervollkommnung, und eine finstere Macht ergreift von mir Besitz. 


Dann hörte ich durch Schulkameraden zum ersten Mal bewusst von Jesus Christus. Ich begriff, dass er mir seine rettende Hand anbietet und mich von der Straße der Finsternis auf den Weg des Lichts führen will. Es kostete mich einen monatelangen Kampf, bis ich die ausgestreckte Hand Jesu ergriff. Es war ein radikaler Kurswechsel in meinem Leben. 


Als ich es getan hatte, erfüllte mich große Freude, und ein tiefer Friede kehrte in mich ein. In all den Jahren, in denen ich nun mit Jesus Christus lebe und ihm nachfolge, haben mich diese Freude und dieser Friede nie verlassen, auch nicht in schweren Zeiten.
Diese Freude und diesen Frieden wünsche ich auch Ihnen!

Lothar Gassmann

info@horst-koch.de




Das 1000-jährige Reich (Sauer)

Erich Sauer

DAS KOMMENDE GOTTESREICH

Teil I: DAS ANTICHRISTLICHE WELTSYSTEM, siehe unter https://horst-koch.de/antichrist-sauer/

Teil II:  DAS SICHTBARE REICH CHRISTI (Das sog. 1000 – jährige Reich)

  • aus dem Buch “Der Triumph des Gekreuzigten”, eingestellt und die Hervorhebungen von Horst Koch, Herborn, 2006 –

 

II. TEIL. DAS SICHTBARE REICH CHRISTI

I. Kapitel

DIE GESCHICHTLICHE WIRKLICHKEIT DES HERRLICHKEITSREICHES

Die Königsherrschaft Gottes ist das Endziel der Heilsgeschichte. »Auf daß Gott sei alles in allen« (1. Kor. 15, 28). Das »Reich« ist darum das eigentliche Grundthema der Bibel.

Der Glaube an ein sichtbares Gottesreich noch auf der alten Erde war ursprünglich allgemeiner Geistesbesitz der Christen. Erst mit dem Beginn des werdenden Katholizismus ist er verlorengegangen, um jedoch wieder in den letzten Jahrhunderten neu auf den Leuchter gestellt zu werden.  

In der Tat, nur ein dreifacher Grundfehler der Schriftauslegung vermag an dieser biblischen Wahrheit vorbeizusehen:
– eine unklare Vermischung von Israel und der Gemeinde,
– eine voreilige Verwechslung des Gegenwärtigen mit dem Zukünftigen und
– eine einseitige Vergeistigung der alttestamentlichen Reichsprophetie.

Demgegenüber steht die urchristliche Hoffnung auf ein irdisches, sichtbares Herrlichkeitsreich auf einem fünffachen, unerschütterlichen Felsenfundament. Sie ist

1. die einzige Würdigung der Wahrhaftigkeit und Bundestreue Gottes seiner Verheißung gegenüber,
2. die einzig folgerichtige Deutung der alttestamentlichen Messiasprophetie,
3. die einzige Deutung der Endgeschichte, die mit den Worten des HErrn Jesu und seiner Apostel übereinstimmt,
4. der einzig vollständige Abschluß der göttlichem Selbstrechtfertigung in der Heilsgeschichte,
5. die einzig zum Ziel führende Überleitung der Menschheitsgeschichte in das Reich des Vaters.

I. Die einzige Würdigung der Wahrhaftigkeit und Bundestreue Gottes seiner Verheißung gegenüber

Gottes Gnadengaben und Berufung sind unbereubar (Röm. 11, 29).
Der irdischen, gläubigen Nachkommenschaft Abrahams hatte Gott die Verheißung des Landes gegeben (1. Mose 15, 4-7).
Es war eine Zusage, nicht beginnend bei Mose, sondern bei Abraham (1. Mose 12, 1-3), also nicht gegründet auf das Gesetz, sondern auf die Verheißung (Röm. 4, 13-15), das heißt, nicht geknüpft an Bedingungen, sondern freies Geschenk (Gal. 3, 18).
Darum konnte sie auch durch Israels Versagen nicht aufgehoben werden, sondern blieb, um der Wahrhaftigkeit Gottes (Röm. 15, 8) und um Abrahams seines Freundes willen (Jak. 2, 23; Jes. 41,8; 3.Mose 26, 42), unverändert bestehen.
»So spricht der Herr, der die Sonne gesetzt zum Licht bei Tage, und der Sterne zum Licht bei Nacht … Wenn diese Ordnungen vor meinem Angesicht weichen werden … So soll auch der Same Israels aufhören, eine Nation zu sein vor meinem Angesicht alle Tage« (Jer. 31,35).
»Denn gleichwie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir bestehen …, also wird euer Same und euer Name bestehen« (Jes. 66, 22).
Eine »Vergeistigung« dieser bedingungslos gegebenen und buchstäblich gemeinten Reichsprophetie und eine Übertragung derselben auf eine andere Körperschaft wäre aber nichts weiter als ein verschleierter Bundesbruch Gottes seiner Verheißung gegenüber. Das aber sei ferne!

Weiterhin ist die urchristliche Reichshoffnung

II. Die einzig folgerichtige Deutung der alttestamentlichen Messiasprophetie

Die Verheißungen des ersten Kommens Christi sind buchstäblich erfüllt; wer berechtigt uns da, die oft im selben Satz stehenden Verheißungen seines zweiten Kommens lediglich zu »vergeistigen« (z. B. Luk. 1, 31-33)?

Christus kam buchstäblich aus Bethlehem (Micha 5, 1), ritt buchstäblich auf einem Esel nach Jerusalem (Sach. 9, 9), wurde buchstäblich um 30 Silberlinge verraten (Sach. 11, 12) und am Kreuz buchstäblich an Händen und Füßen durchbohrt (Ps. 22, 17). Buchstäblich wurden seine Gebeine nicht zerbrochen (Ps. 34, 21), buchstäblich seine Seite von einer Lanze durchstochen (Sach. 12, 10). Buchstäblich ist er gestorben und begraben (Jes. 53);  buchstäblich auch am dritten Tage wieder auferstanden (Ps. 16, 10; Hos. 6, 2).

Was für eine Ungereimtheit und Sinnwidrigkeit wäre es da, die Voraussagen seines Kommens in Herrlichkeit nun einfach zu »Bildern« zu verflüchtigen!

»Ist Jesus etwa nur bildlich am Kreuz gestorben? Hat er nur geistigen Essig getrunken (Ps. 69, 22), und sind nur seine geistigen Kleider verlost worden (Ps. 22, 19) ?
Hat Gott etwa nur bildlich sein Volk unter alle Völker zerstreut (5. Mose 4, 27) und ist es augenblicklich nur bildlich ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer, ohne Altar und ohne Heiligtum? (Hos. 3, 4.)

Nein, dies alles ist buchstäblich und wirklich geschehen. Wie wäre es da aber richtig, wenn Gott immer wieder in den Propheten beteuert, daß er das Volk Israel aus allen Völkern der Welt von neuem sammeln und in das Land seiner Väter zurückführen werde (z. B. Jer. 16, 14; Sach. 10, 8; Jes. 27, 12; Hes. 11, 17), zu meinen, daß dies alles nur bildliche Redewendungen seien?

Wer gäbe uns das Recht, aus den Juden einfach die Christen, aus Jerusalem die Gemeinde, aus Kanaan den Himmel zu machen?
Hat je der »Thron Davids« im Himmel gestanden (Luk. 1, 32), und ist je »dieses« Land und der »Libanon« und das »Land Gilead«, wohin der HErr sein Volk wieder einpflanzen will (Jer. 32, 41; Sach. 10, 10), woanders als auf Erden, und zwar in Vorderasien gewesen?

Wohl haben auch die Propheten oft dichterische Bilder; wohl hat auch das Tausendjährige Reich einen für die Ewigkeit erst vorbildlichen Sinn, und wohl hat Gott auch in Bezug auf dieses irdische Reich in der Gemeinde zunächst eine geistliche Vorauserfüllung gegeben – so daß das Vergeistigen nicht ganz abgelehnt werden darf, ja, im Blick auf die Ewigkeit sogar von der allergrößten Bedeutung ist -, aber das bloße Vergeistigen ist ein gefährliches Herumspringen mit dem einfachen Schriftsinn; es ist willkürlich und unlogisch im Hinblick auf die Weissagung des ersten Kommens Christi und macht Gott zum Lügner seiner Verheißung gegenüber. Israel soll wieder nach Kanaan. Das gehört mit zum biblischen Programm für die Zukunft.

Ferner: die urchristliche Reichserwartung ist

III. Die einzige Deutung der Endgeschichte, die mit den Worten des HErrn Jesu und seiner Apostel übereinstimmt

1. Das Zeugnis Christi. In seiner Gerichtsrede gegen die Pharisäer und das unter ihrer Führung irregeleitete Israel sagt Christus: »Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind … Siehe, euer Haus soll euch wüste gelassen werden. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: »Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn« (Matth. 23, 37-39).

Damit sagt der Herr: Das Haus Israel soll nicht immer eine Wüste bleiben; nicht immer sollen sie mit verdorrter Seele und schmachtendem Herzen im Gerichtszustand gelassen werden; sondern eine Zeit wird kommen, da wird Israel seinen Messias erkennen und ihn mit jubelnder Freude und frohlockendem Zuruf aufnehmen. Dann werden sie ihm als Bekehrte von ganzem Herzen zufallen und ihn begrüßen als ihren Messias und Gottkönig.

Zwar ist das Reich des HErrn Jesu nicht »von« dieser Welt (Joh. 18, 36), wohl aber für diese Welt. Der HErr selbst bezeugt: »Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auch ihr werdet in der Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen sitzen wird auf seinem Throne der Herrlichkeit, auf zwölf Thronen sitzen und richten die zwölf Stämme Israels« (Matth. 19, 28).
Und als ihn seine Jünger nach seiner Auferstehung fragten: »HErr, stellst du in dieser Zeit dem Volke Israel das Reich wieder her?« (Apg. 1, 6), hat er sie nicht wegen »fleischlicher Vorstellungen« gescholten oder das Kommen des von ihnen gemeinten sichtbaren Gottesreiches überhaupt in Abrede gestellt, sondern nur gesagt: »Es gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat« (Apg. 1, 7). Damit aber beweist gerade dieser prophetische Ausdruck »Zeit oder Stunde«, daß das Reich Gottes tatsächlich einst aufgerichtet werden wird (vgl. Matth. 8, 11; Luk. 22, 16).

2. Das Zeugnis des Apostels Johannes. Unwiderlegbar bezeugt ferner die Offenbarung Johannes das Kommen dieses Herrlichkeitsreiches. Sie ist hierbei das einzige Buch der Bibel, welches ausdrücklich von »tausend Jahren« spricht (Off. 20, 2-7). Die Stellung des betreffenden Abschnitts hinter dem Bericht über die Erscheinung Christi und den Sturz des Antichristen (Off. 19, 11-21) beweist, daß diese »tausend Jahre« von der Wiederkunft Christi an zu zählen sind und zwischen der »ersten« Auferstehung (Off. 20,5) und dem »Großen Weißen Thron« liegen (Off. 20, 11-15).

3. Das Zeugnis Pauli. Im zweiten Korintherbrief vergleicht Paulus die Herrlichkeit des Alten Bundes mit der des Neuen und spricht in diesem Zusammenhang von dem Unglauben Israels in der Zeit seiner Verblendung. »Ihr Sinn ist verstockt worden … Ja, bis heute liegt, so oft Mose vorgelesen wird, eine Decke auf ihrem Herzen. Sobald es (d. h. Israel) sich aber zum HErrn bekehrt, wird die Decke hinweggenommen« (2. Kor. 3, 14-16 vgl. 2. Mose 34,34).
Der Apostel blickt hier auf eine Zeit hinaus, da Israel sich zu Christus bekehrt. Dann wird ihm die Decke vom Herzen genommen, und sie gelangen zur Herrlichkeit und wahren Freiheit. Damit aber wird diese Stelle zu einem klaren Zeugnis, daß Paulus eine zukünftige Errettung und Wiederannahme Israels erwartet. »Da Paulus für Israel die Verheißung hat, daß auch ihnen der Christus sich offenbaren wird, so wird auch für Israel die Stunde kommen, in der es nicht mehr ein unverstandenes Gesetz verehrt, sondern seinen Sinn und Zweck versteht. Diese Stunde kommt ihm dann, wenn es sich zu Jesus wendet« (Adolf Schlatter)
Damals, bei Moses, fiel die Hülle jedesmal, wenn er sich wieder Gott zuwandte (2. Mose 34, 34). So wird auch, wenn das alttestamentliche Heilsvolk sich zum HErrn hinwendet, sich zu Jesus bekehrt, die Hülle hinweggenommen. Dann wird Israel erkennen, daß die Herrlichkeit des Mose sich nicht vergleichen läßt mit der Herrlichkeit des »eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit (Joh. 1, 14).

Vor allem aber ist es der große, heilsgeschichtliche Rechtfertigungsbeweis seines Evangeliums in Röm. 9-11, der hier in Betracht kommt.

Paulus verkündigte ein gesetzesfreies Evangelium ohne Unterschied zwischen Juden und Heiden (Röm. 3,9; Gal. 3,28). Da mußte in jedem schriftgläubigen Israeliten die Frage auftauchen: »Wird diese Botschaft nicht durch die zwei Jahrtausende lang feststehende Tatsache der Erwählung und Sonderstellung Israels Lügen gestraft (Ps. 147,19; Amos 3,2;  2.Mose 19,5)? Ist es nicht klar, daß dann entweder Gott seine Verheißungen Israel gegenüber gebrochen haben muß oder aber – da dieses doch nimmermehr der Fall sein kann – Jesus von Nazareth, wie Paulus ihn predigte, ist nicht der dem Volk Israel verheißene Messias?

Darauf antwortete Paulus:
(a) Gottes Handeln ist frei (Röm. 9).  Auf dem Schauplatz der Weltgeschichte lenkt er die Figuren, wie er will. So zwingt er zwar die Gläubigen nicht zum Glauben und die Ungläubigen nicht zum Unglauben; aber aus der Zahl der Ungläubigen erwählt er sich einzelne zu besonderen Beispielen seiner Gerichtsmacht (so den Pharao von Ägypten: Vers 14-18); und aus der Zahl der Gläubigen erwählte er sich andere zu besonderen Trägern seines Heilsmittlertums (so Abraham, Isaak, Jakob; Vers 6-13). Auch Israels Erwählung beruht darum auf Gottes Freiheit und in keiner Weise hat der Mensch – auch der Jude – ein Recht, Gott gegenüber auf irgend etwas zu pochen. Auch wenn er den Höchsten in seinem Handeln nicht versteht, hat er zu schweigen und Gottes Freiheit – wie die Freiheit des Töpfers dem Ton gegenüber – einfach anzuerkennen (Vers 19-23). Dennoch:

(b) Gottes Handeln ist gerecht (Röm. 10). Seine Freiheit ist nicht Willkür. Er hat rechtlichen Grund, Israel so zu behandeln, wie er getan hat. Denn Israel hat die Gesetzesgerechtigkeit gewollt (Röm. 9,30 – 10,3), er aber hat die Glaubensgerechtigkeit angeordnet: er hat sie befohlen, er hat sie ermöglicht (10, 4-13); Israel dagegen hat sie abgelehnt. Darum ist es ungehorsam und schuldig und hat die Strafe verdient, die es getroffen hat (10, 19-21).

(c) Gottes Handеln ist segenbringend (Röm. 11). Auch im Gericht hat er sein Volk nicht »verworfen«, sondern nur für eine Zeitlang beiseite gesetzt. Auch in der Zerstreuung behält Israel seine Hoffnung (3. Mose 26, 44; Hes. 11, 17). Gottes Handeln mit ihm bringt Segen für alle:

für den christusgläubigen Überrest – denn er erlangt die Begnadigung (Vers 1-10),
für die allgemeine Völkerwelt – denn sie empfängt das Evangelium (Vers 11-15),
für das einst geistlich erneuerte Israel – denn es wird wieder angenommen (Vers 16-23

So ist die Verstockung, die über Israel gekommen ist, ihm nur »zum Teil« widerfahren und auch nur so lange, »bis daß« die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird (Röm. 11, 25). Dann aber werden die aus dem Ölbaum des Gottesreiches »ausgebrochenen« Zweige wieder »eingepfropft« werden, »und also wird ganz Israel errettet werden« (Röm. 11).

Dies ist die Lösung der Spannung zwischen Volksberufung Israels und Völkerberufung der Gemeinde. Erst durch die Zukunft wird also die Vergangenheit mit der Gegenwart versöhnt. Erst durch das Ende wird die Mitte gerechtfertigt. Mit der Anerkennung dieser Sätze steht und fällt das ganze paulinische Evangelium. Wer darum diese Weissagungen leugnet, leugnet das Fundament der Gemeinde. Er leugnet, wenn er folgerichtig denkt, entweder die Bundestreue Gottes oder die Gesetzesfreiheit des Evangeliums, das heißt, entweder Jahwe oder Paulus.

Gewaltig sind die Wirkungen, die von dieser Neubelebung Israels auf die Völkerwelt ausgehen. Es kommt zu einer kosmischen »Wiedergeburt« im Reich des Auferstandenen (Matth. 19, 28). Er schreibt: »So frage ich nun: Sind sie etwa deshalb gestrauchelt, weil sie zu Fall kommen sollten? Keineswegs! Vielmehr ist durch ihre Verfehlung das Heil den Heiden zugefallen … Wenn aber schоп ihre Verfehlung ein Segen für die Menschheit und ihre Verminderung zu einem kleinen Überrest ein Segen für die Heiden geworden ist, um wieviel segensreicher muß dann erst ihr volles Eintreten sein . . .

Wenn schon ihre Verwerfung zur Versöhnung der Welt führt, was kann dann ihre Annahme anderes bringen als Leben aus den Toten!« (Röm.11,11-15). Hier bekennt sich Paulus in völlig unmißverständlichen Worten zu dem Glauben an eine Vollbekehrung Israels und erklärt, daß von da aus die größten Segenswirkungen auf die Menschheit ausgehen werden. Gegenüber diesen neuen Gottesgaben und Lebenskräften höherer Geistesfülle, die sich dann auch auf die Völkerwelt ausbreiten werden, wird alles frühere Völkerleben wie ein totes erscheinen, aller früherer Reichtum der Nationen muß wie Armut, alles frühere Völkerheil wie Heillosigkeit. Damit aber spricht Paulus nicht nur seinen Glauben an Israels zukünftige geistliche und nationale Errettung aus, sondern bezeugt zugleich die umfassende nationale und übernationale, weltgeschichtliche und heilsgeschichtliche Bedeutung dieses Ereignisses: es ist »Heil« für die Völkerwelt, »Reichtum« der Nationen, ja, ein geistliches Auferstehungsfest für die allgemeine Menschheit, eben »Leben aus den Toten«.

Damit ist schon die Frage nach dem Sinn dieses kommenden Gottesreiches berührt. Denn die Frage entsteht doch:
Wozu überhaupt ein solch sichtbares Reich?
Warum hat Gott Israel einst solche Verheißungen gegeben?
Was ist der Sinn dieser kommenden Reichszeit im Heilsplan der Erlösung?

Darauf antworten wir: Das sichtbare Herrlichkeitsreich ist

IV. Der einzig vollständige Abschluß der göttlichen Selbstrechtfertigung in der Heilsgeschichte

1. Christo gegenüber. Ist nicht der Höchste seinem königlichen Gesalbten gegenüber verpflichtet, ihm eine Gelegenheit zu geben, sich als den besten Gesetzgeber und Richter, Regenten und Weltherrn zu beweisen, als den, der die Leitung der Weltgeschäfte besser versteht als alle bisherigen Großen und Gewaltigen der Erde, und zwar dies noch im Rahmen der alten Schöpfung, in der ja auch jene gelebt und ihn als den »König« verworfen haben? Und ist es nicht gerecht, daß, nachdem Satan Jahrtausende hindurch vor aller Welt gezeigt hat, wie er lügen und betrügen und die Völker verderben kann, nun Gott seinerseits in Christo beweist, wie er segnen und retten und Frieden geben kann, und zwar ebenfalls auf dem Boden dieser alten Welt? »Jawohl, diese selbe Erde, welche die Schmach und Schande des Gottessohnes gesehen hat, muß auch noch seine Herrlichkeit schauen. Diese selbe Erde, die das Blut des Allerheiligsten getrunken hat, muß auch noch seiner Erlösung teilhaftig werden. Das verlangt Gottes Gerechtigkeit.« Hier, wo Satan triumphiert hat, muß Jesus gekrönt werden!

2. Der Menschheit gegenüber. »Sieht man sich diesen Glauben an ein Tausendjähriges Reich vorurteilsfrei an, so muß man gestehen, daß es ein großer und schöner Gedanke Gottes wäre, wenn er der armen Erde und dem müden Gast auf derselben nach sechs harten Tagen der Last und der Arbeit einen großen Sabbat gönnte, in welchem Christus der sündigen Menschheit die Zügel aus der Hand nähme, um eine Weile diese Welt persönlich in Recht und Gerechtigkeit nach dem Gesetz Gottes, zu regieren« (Bettex).

Ist es bis dahin doch noch nie offenbar geworden, wie glückselig und herrlich ein Volk auf dieser Erde sein kann, wenn es den HErrn persönlich in seiner Mitte wohnend und thronend hat! In der Tat, gerade dies ist der große, weltumgestaltende Gedanke der Offenbarung, daß noch auf der alten Erde das Reich Gottes möglich ist! Damit aber beweist Gott, daß nicht die Umstände und elementaren Gewalten daran schuld waren, daß die Völker nicht in Frieden miteinander leben konnten, sondern lediglich die Sünde des Menschen selbst und die Verführung des Teufels.

Weiterhin jedoch beweist gerade der Schluß dieses Reiches, wie hoffnungslos verloren der Mensch von Natur ist. Denn was tut die Menschheit nach tausendjährigem, vollkommenem Gottesregiment? Sie empört sich gegen den HErrn und zieht in Millionenarmeen gegen den Höchsten zu Felde (Gog und Magog: Off. 20, 7-10)!
So beweist auch der letzte Versuch Gottes die verzweifelte Bosheit des Menschen. Die Nationen werden sogar aus den idealsten wirtschaftlichen und politischen Zuständen, ja aus der direkten Herrschaft des HErrn selbst so wenig gelernt haben, daß sie sich am Schluß – vom Teufel verführt – zu der furchtbarsten Menschheitsrevolte zusammenrotten (Off. 20, 8). Damit aber wird offenbar, nicht nur, daß der Mensch keine idealen Zustände zu schaffen vermag, sondern auch, daß, selbst wenn sie da sind, sie ihn nicht bessern können. So aber wird gerade diese glanzvollste Zeit der Menschheitsgeschichte zum katastrophalsten Beweis für die Verlorenheit des Sünders, und es ist unwiderlegbar bewiesen, daß Gott recht gehabt hat, als er bei der Erlösung des Menschen dessen eigene Kraft ausgeschaltet hat. Nun ist der Höhepunkt und Abschluß der göttlichen Selbstrechtfertigung erreicht und aller Welt offensichtlich vor Augen geführt, daß es von vornherein nur einen Weg geben konnte, der die Menschheit zum Frieden führt: Gottes Gnade allein und das Kreuz von Golgatha.

Schließlich aber ist das sichtbare, endgeschichtliche Herrlichkeitsreich des Sohnes

V. Die einzig zum Ziel führende Überleitung der Menschheitsgeschichte in das Reich des Vaters
Tatsache ist, daß im Gesamtverlauf des Weltgeschehens zunächst Abbild und Urbild miteinander vermischt sind, daß aber, je weiter die Weltentwicklung voranschreitet, die Wesenhaftigkeiten selbst immer klarer auf den Plan treten. Dies ist ganz offensichtlich in der Geschichte der neutestamentlichen Erlösung der Fall (vgl. Joh. 16, 25).

Aus der Verborgenheit seines gegenwärtigen Charakters wird das Reich Gottes einst weltweit hervortreten. »Er (der Sohn) muß herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine Füße gelegt hat« (1. Kor. 15, 25). Das ist das Königreich, das einst offenbar werden wird, die Vollendung des Diesseits, die Glanzzeit der Geschichte.

Aber der Sohn ist nicht der Vater, sondern der »Abglanz« seiner Herrlichkeit (Hebr. 1, 3), das »Bild« des unsichtbaren Gottes (Kol. 1, 15). Mit seiner Person ist darum im sichtbaren Gottesreich das Bild des Vaters auf Erden zugegen. Darum bedarf es noch eines geschichtlichen Werdegangs, der die Reichsgottesgeschichte zum Vater selbst überleitet. Dies ist der eigentliche, tiefste und göttliche Hauptsinn des Tausendjährigen Reiches.

Gegenwärtig ist die Zeit des Heiligen Geistes, der den gen Himmel gefahrenen Erlöser in seiner Abwesenheit hier auf Erden verherrlicht und die Gemeinde beruft und aufbaut (Joh. 16, 7-15; 1.Kor. 12, 3-13).

Dann folgt die Wiederkunft Christi und die Aufrichtung des sichtbaren Gottesreiches der tausend Jahre, das heißt, das Reich des Sohnes. »Er (der Sohn) muß herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine Füße gelegt hat« (1. Kor. 15,15).

Zuletzt aber übergibt der Sohn das Reich dem Vater, unterwirft sich ihm selbst, und das Reich des Vaters, die ewige Vollendung, wird offenbar. Gott wird dann sein »alles in allen« (1. Kor. 15,28). In diesem Zusammenhang ist das Tausendjährige Reich die einzig zum Ziel führende Überleitung der Menschheitsgeschichte – unter der Leitung des Sohnes – in das Reich des Vaters. »Die Gerechten aber werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich« (Matth. 13,43).

So zeigt uns die biblische Weissagung zwei triumphale Hauptdurchbrüche des kommenden Gottesreiches, die zu den beiden göttlichen Personen des Sohnes und des Vaters je in besonderer Beziehung stehen:

das Erscheinen des Reiches des Sohnes am Anfang des Tausendjährigen Reiches noch auf dem Schauplatz der alten Erde
und das Offenbarwerden des Reiches des Vaters im Triumph der Vollendung im neuen Himmel und auf der neuen Erde.

2. Kapitel. DIE HERRLICHKEIT DES REICHES GOTTES AUF ERDEN

Das kommende Gottesreich ist die Zeit weltweiter »Wiedergeburt« (Matt. 19, 28). An seiner sichtbaren Herrlichkeit nimmt die ganze irdische Schöpfung teil:

Israel, die Völkerwelt, die Natur und – als die himmlische Herrschaftsaristokratie des Ganzen – die Gemeinde.

Zögernd hatte die »Herrlichkeit des Herrn« den Tempel verlassen (Hes. 10, 18; 11, 22); »plötzlich« erscheint der Herr wieder, um zu seinem Tempel zu gelangen (Mal. 3, 1; Hes. 43, 1-5). Das eine ist der Anfang, das andere das Ende der »Zeiten der Nationen« (Luk. 21, 24). Das Ziel ist »Der Herr daselbst« (Hes. 48, 35), »die Hütte Gottes bei den Menschen« (Off. 21, 3).

I. Christus – der Gottkönig

1.  Seine persönliche Herrlichkeit. »Beherrscher der Menschen, ein Herrscher in Gottesfurcht, wie das Licht des Morgenanbruchs, wenn die Sonne aufgeht, wie ein wolkenloser Morgen, wenn im Sonnenglanz nach dem Regen das junge Grün aus der Erde hervorsprießt« – so ist Christus der Erlöser, Davids »Sohn« und Davids »Herr«. So hat es der Stammvater vom Nachkommen selber bezeugt, der vorbildliche David vom urbildlichen David (2. Sam. 23, 2-4). In ihm sind alle Königsideale erfüllt.

Er ist der »Immanuel« (Jes.7,14; Matth.1,23), der große Triumphator (Phil. 2, 11), der »siegreiche Held« (Zeph. 3, 17).

Nach außen hin ist er der Einiger seines Volkes – als der eigentliche »David« (Hes. 37, 22-24), der Friedefürst auf dem Thron (Luk.1, 32; Jes. 9, 6-7), der Hauptbaum der Völkerwelt (Hes. 17,22-24; 4).

Nach innen hin ist er »Jahwe unsere Gerechtigkeit« – als der Gottkönig und Erlöser (Jer. 23, 5-6; – der »Löwe aus dem Stamme Judas (Off. 5,5; Micha 2,13).

So ist er in Wahrheit der glorreiche »Nazarener«, der »nezer« (Schößling) aus »Nazareth« (Jes. 11, ), denn »unter ihm wird es sprossen« (Sach. 6,12 vgl. Jes. 27, 6; Hos.14, 6-8), und er wird den Tempel Gottes und die »verfallene Hütte Davids« wieder bauen (Amos 9, 11; Apg. 15,16).

Dies alles aber »aus« Gott (Hos.14, 9). Das Grundwesen des Messias ist seine ewige Gottheit. Darum ist er auch zugleich »Wurzel« und »Schößling«, Urgrund und Krone, Anfang und Ziel des Davidschen Königsgeschlechts (Off. 22,16; 5,5). Er ist Verheißung und Erfüllung in einem, Lichtstern in der Nacht und Anbruch des Tages, das heißt, »glänzender Morgenstern«, Verkündiger und Bringer eines ewigen Sonnenaufgangs (Off. 22,16).

2. Seine Anbetung durch die Menschheit. Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden, und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert werden; denn mein Name soll herrlich werden unter den Heiden, spricht der HErr Zebaoth« (Mal. 1,11). Wie es scheint, wird in Jerusalem auch wieder ein Tempel entstehen (Hes. 37, 26; 43,7). Alle Hauptarten von Opfern werden dem HErrn dargebracht werden – Brandopfer, Speisopfer, Dankopfer, Sündopfer (Hes. 43, 18-27; Sach. 14, 20) – gewisse Feste werden gefeiert (Hes. 45, 21; Sach. 14, 16), die Sabbate gehalten werden (Hes. 44,24), und das Priestertum wird in den Händen der Söhne Zadoks, des »Gerechten«, sein (Hes. 40,46; 44,15; vgl. 1. Kor. 1, 30). Jedenfalls schildert Hesekiel in seiner Weissagung vom messianischen Heil einen zukünftigen Opferdienst mit so vielen Einzelbestimmungen und einen zukünftigen Tempel mit so genauen Einzelangaben und Teilmaßen, daß es kaum möglich erscheint, dies alles nur bildlich und geistlich zu verstehen (Hes. 40-44).

Die Schwierigkeit, daß sich dann nach dem vollbrachten Werk von Golgatha – trotz der Belehrungen des Hebräerbriefes (10,10; 8,13) – doch noch ein Opferdienst fände, würde sich dabei möglicherweise so lösen, daß diese Opfer ungefähr auf derselben Stufe ständen wie in der Gegenwart Taufe und Abendmahl, nämlich daß sie Zeichen der Erinnerung wären, Darstellungen des vollbrachten Erlösungswerkes, rückwärts schauende Sinnbilder, gleichwie die durch das Krеuz abgeschafften alttestamentlichen Opfer vorwärts schauten auf das erst noch zu vollbringende zukünftige Erlösungswerk.

Eins aber wird diesen Tempel – wenn er buchstäblich zu verstehen ist – in jedem Fall von dem Salomonischen unterscheiden: es wird keine Bundeslade mehr in ihm sein (Jer. 3, 16; 17), ebenso kein Leuchter, kein Schaubrottisch, kein Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten (vgl. Hebr. 9, 8; Matth. 27, 51).

Seit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar (586) hat Israel nie wieder eine Bundeslade gehabt. Dies war für den Tempel Serubabels ein großer Verlust (516 vor Chr. – 70 nach Chr.). Denn ohne die Lade war der Tempel nur eine Schale ohne Kern, gleichsam ein Haus ohne Bewohner; war doch die Bundeslade geradezu der »Thronsitz« des HErrn, das Sinnbild seiner Gegenwart, das Allerheiligste im Allerheiligsten (2. Mose 25, 22)!

Für den zukünftigen Tempel aber wird gerade dies Fehlen ein großer Gewinn sein. Denn der Grund ist kein geringerer als der, daß der HErr nun selber persönlich gegenwärtig ist, daß Jerusalem sein »Thron« (Jer. 3, 17) und Gottes Gegenwart die »Schechina«, die »Wolke der Herrlichkeit«, ist (Jes. 4,5; 2. Mose 40, 34-38), so daß nunmehr das Sinnbild, als »erfüllt«, seiner Verwirklichung weichen kann.

Damit aber drückt gerade dies Fehlen der Bundeslade das Wesen des Tausendjährigen Reiches aus: es ist die Übergangs-Heilszeit zur Ewigkeit. Im himmlischen Jerusalem wird es überhaupt keinen Tempel mehr geben, weil alles in Christo erfüllt ist (Off. 21, 22). Hier aber schwindet zunächst erst ein Teil – und zwar gerade der Hauptteil -; doch das »Gehäuse« bleibt noch bestehen. Denn das Messiasreich hat zwar den »Kern« der Vollendung – die sichtbare Gegenwart Christi -; aber das »Gehäuse« – die alte Welt – ist noch nicht abgetan. So ist es beides zugleich: sowohl Erfüllung der Weissagung als auch Einleitung der Vollendung, sowohl Abschluß dieser Zeit¬lichkeit als auch Anbruch der Ewigkeit.

Die alttestamentlichen Propheten aber schauten beides in einem. Für sie flossen Vorstufe und Abschluß, Endzeit und Jenseits, irdisches und himmlisches Jerusalem zu einem einzigen, großartigen Bilde zusammen. So redet Jesaja von einem »neuen Himmel« und einer »neuen Erde« (65,17; 66,22), auf der es aber dennoch noch Sünde und Tod gibt (wenn auch nur als Ausnahme: 65,20) – dies kann sich nur auf das irdische Herrlichkeitsreich beziehen (vgl. Off. 21, 4) -; und andererseits sagt er von dem Jerusalem der Endzeit, daß es weder der Sonne noch des Mondes bedarf, weil der HErr sein Licht ist (60,19), was – im Zusammenhang mit dem Neuen Testament – jedoch unverkennbar auf das himmlische Jerusalem hinzielt (Off. 21, 23).

So sehen die Propheten das endzeitliche Diesseits und das ewige Jenseits als eine einzige, diesseits geartete, fortlaufende Linie an und schildern die Neuschöpfung der Vollendung mit den Farben des Herrlichkeitsreiches der alten Schöpfung (z.B. Jes. 54,11 = Off. 21, 18-21). Hier ist »Vergeistigung« in dem höchsten und edelsten Sinne allerdings am Platze. Erst das Neue Testament zieht eine deutliche Querlinie durch beide hindurch, welche Ewigkeit und Zeit voneinander scheidet.

Der Grund aber dieser prophetischen Ineinander-Schau liegt in der Tatsache, daß im Alten Testament der Himmel für Menschen noch nicht offen war. Die alttestamentlichen Heiligen schauten darum nur Engel, nicht aber auch Menschen um den himmlischen Thron (z.B. 1. Kön. 22,19; Hiob 1, 6; Dan. 7, 10). Erst seit der Himmelfahrt Christi, als des Hauptes der neuen Menschheit, ist der Himmel auch für Menschen grundsätzlich geöffnet (Joh. 14, 2; 17, 24; Hebr. 2, 10). Erst von da an wird darum auch das himmlische Jerusalem in klarerer Weise den Menschen geoffenbart (Gal. 4, 26).

II. Das Volk Israel

1. Israels Rückkehr und Sammlung in Kanaan. »Sammeln, ja sammeln will ich dich, Jakob, insgesamt; zusammenbringen, ja zusammenbringen will ich den Überrest Israels« (Micha 2, 12; Jes. 27, 12-13; 60, 4; Hos. 11, 10-11). Selbst »wenn deine Vertriebenen am Ende des Himmels wären, so wird der HErr, dein Gott, von dannen dich sammeln und von dannen dich holen« (5. Mose 30, 4).

Mit Hilfe von Nationen und Königen (Jes. 49,22; 66, 20),
– unter sichtbaren Zeichen und Wundern (Micha 7, 15; Jes. 11, 15; Sach. 10, 11), ja
– unter der persönlichen Führung des HErrn (Jes. 52, 12; Micha 2, 13; Jer. 31, 9)
so wird das Volk Israel zurückkehren in sein Land.

Zu dieser Rückkehr Israels verhält sich die Rückkehr aus Babel wie das Vorbild zur Erfüllung, wie die Einleitung zum Hauptteil. In der Tat, bei diesem »zweiten«, entscheidenden Ereignis (Jes.11,11) ist alles gewaltiger:

Der Umfang ist größer. Denn die Rückkehr aus Babel war nur die Rückkehr aus einem Volke; die Rückkehr aus »Rom« aber wird Rückkehr aus allen Völkern sein (5. Mose 30,3; u.v.a.) Die Rückkehr aus Babel wurde nur von zwei Stämmen erlebt, dem Reich »Juda« verbunden mit Benjamin (Esra 2); die Rückkehr aus »Rom« aber wird allen zwölf Stämmen zuteil, auch dem Reich »Israel«, den verlorenen zehn Stämmen (Jer. 3, 18; Sach. 10, 6; Jes. 11, 13; Hes. 37, 15-24).

Die Dauer ist sicherer. Die Rückkehr aus Babel endete mit der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung der Juden aus Palästina durch die Römer (70, 135 n. Chr.). Die Rückkehr aus »Rom« aber wird endgültig und für ewig geschehen. Jerusalem und der geistlich erneuerte Überrest wird »in Sicherheit wohnen« (Sach. 14, 11; Jer. 24, 6) und »nie mehr herausgerissen werden aus ihrem Lande« (Amos 9, 15). Die im Verlauf der Geschichte über 20mal zerstörte Stadt wird von nun an, solange die Erde noch steht, nie mehr zerstört werden (Jer. 31, 38-40; Jes. 54, 15; Joel 4, 17).

Der Inhalt ist geistlicher. Die Rückkehr aus Babel war mit einer Erweckung verbunden: von da an ist Israel nie wieder dem Götzendienst verfallen. Die Rückkehr aus »Rom« aber wird mit dem vollen messianischen Heil verbunden sein (Jes. 49, 8-13); von da an wird der Götzendienst nicht nur in Israel (Hos. 2, 18), sondern überhaupt auf der Erde verschwinden (Jes. 2, 3). Und während jene erste Erweckung in Orthodoxie und toten Kopfglauben versank, wird diese letzte in Herzens¬glauben und geistlicher Lebensfrische ewig bestehen.

Israels Bekehrung zum HErrn. Schon vor der antichrist¬lichen Zeit wird das Volk Israel in sein Land zurückgekehrt sein. Dies beweist die Tatsache, daß es der Antichrist gerade in Judäa bedrückt (Matth. 24, 16-22; Off. 11, 1-14), daß er den Greuel der Verwüstung »an heiliger Stätte« aufrichtet (Matth. 24, 15; Dan. 9, 26; 12,11), daß er im Kampf gegen die Juden verheerend in Palästina einbricht (Sach. 14, 1-2; 12,2; Joel 4, 12) und daß der vom Himmel herabgekommene Messias sein Volk gerade durch den Sieg bei Harmagedon (Off. 16, 16) und das Völkergericht im Tal Josaphat befreit (Joel 14, 12-18; Sach. 14,  3-5).

Dies alles aber – mit Ausnahme des letzten – geschieht zunächst im Unglauben. Nicht als »Volk Gottes«, sondern als »jüdische Nation« kehrt das Volk Israel nach Palästina zurück, nicht aus religiösen, sondern aus politischen Beweggründen. Die »Totengebeine«, die Hesekiel geschaut und die das Volk Israel bedeuten (Hes. 37, 11), rücken zusammen, noch ehe der Odem des Lebens, der Geist Gottes, des HErrn, in ihnen ist (Hes. 37, 7).

Dann aber folgen in Palästina die Ereignisse in raschestem Aufeinander:

1. Das Erscheinen des Messias. »Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die, welche ihn durchstochen haben« (Off. 1, 7 vgl. Sach. 14, 4; Matth. 24, 64).

2. Die Wehklage. Dann »werden wehklagen seinetwegen alle Stämme des Landes« (Off. 1, 7; Sach. 12, 10), »wie man klagt um ein einziges Kind, wie man weint um einen Erstgeborenen«.

3. Die Buße. Weinen aber werden sie über ihre Sünde, besonders die Ermordung des Messias (Sach. 12, 10). Der Jude wird selber seine jüdische Unart als »Greuel« und »Abscheu« empfinden (Hes. 36, 31 wörtl.), und er, dег in seiner Sünde Jahwe ein »Ekel« gewesen war (3. Mose 26, 30), wird nun »einen Widerwillen gegen sich selbst« haben (Hes. 20, 43; 36, 31). Doch »immerfort weinend, werden sie kommen und den HErrn, ihren Gott, suchen« (Jer. 50, 4; Hos. 3, 5; Jer. 31, 9).

4. Die Beichte. Dann werden sie sagen von Christus, ihrem Messias: »Wir haben ihn für nichts gehalten. Wir hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber der HErr warf unser aller Sünde auf ihn. Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilte (Jes. 53, 3-6).  

Und dann wird das große Wunder geschehen:

5. Die Wiedergeburt. »An jenem Tage wird dem Hause Davids und den Bewohnern Jerusalems ein Quell erschlossen sein gegen Sünde und Unreinigkeit” (Sach. 13, 1).
Gott wird ihre Missetat vergeben (Jer. 33, 8; 50, 20), ihre Übertretungen tilgen (Jes. 44, 22), ihren Unflat abwaschen (Jes. 4, 4), ihre Abtrünnigkeit heilen (Hos. 14, 5). Ihr steinernes Herz wird er wegnehmen (Hes. 11, 19; 36, 26), ihren Krämergeist auslöschen (Sach. 14, 21), ihre »Blutschuld hinwegfegen (Jes. 4, 4), ihre »Totengebeine” beleben (Hes. 37, 9; Hos. 6, 2). Reines Wasser wird er über sie sprengen (Hes. 36, 25, den Geist der Gnade und des Flehens über sie ausgießen (Sach. 12, 10), ja seinen heiligen Geist selber in sie hineingeben (Jes. 44, 3).

Dies ist die geistliche Wiedergeburt Israels. Aus »Lo-Ruchama« wird »Ruchama«, aus der »Nicht-Geliebten« die »Geliebte« werden (Hos. 1, 6;); aus »Lo-Ammi« wird »Ammi«, aus dem »Nicht-Mein-Volk« wird »Mein-Volk« werden, und geistlich erneuert tritt Israel ein in den »Neuen Bund« (Jer. 31, 31-34).

Dies alles aber in seinem Lande, in Palästina, in Vorderasien, und dies alles an einem Tage. »Groß ist der Tag von Jesreel« (Hos. 1, 11). Der HErr wird sein Neuschöpfungswerk »eilends ausführen (Jes. 60, 22), und so wird »an einem Tage ein ganzes Land zur Welt gebracht« und »mit einem Male« eine ganze Nation geboren (Jes. 66, 7-9), und »mit Augen wird man’s sehen, wenn der HErr Zion bekehrt« (Jes. 52, 8.)

6. Die Heiligkeit. Von nun an ist Israel ein heiliges Volk. »Es wird geschehen, wer in Zion übriggeblieben und wer in Jerusalem übriggelassen ist, wird heilig heißen, ein jeder, der zum Leben eingeschrieben ist in Jerusalem« (Jes. 4, 3). »Man wird nichts Böses mehr tun noch unrecht handeln auf meinem ganzen, heiligen Berglande; denn das Land wird voll sein der Erkenntnis des Herrn, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken« (Jes. 11, 9).

Seine Hauptstadt ist eine »heilige Stadt« (Jes. 52, 1), sein Volk eine »gerechte Nation« (Jes. 26, 2), Palästina die Zierde der Völkerwelt (Jer. 3, 19), und die Einzelnen »Edelsteine, die auf dem Grunde ihres Landes funkeln« (Sach. 9, 16).

Jerusalem heißt »Stadt der Wahrheit« (Sach. 8, 3 vgl. Zeph. 3, 13), seine Mauern heißen »Heil« (Jes. 26, 1), seine Tore heißen »Ruhm« (Jes. 60, 18), und der König in seiner Mitte ist der HErr, der »Fels der Ewigkeiten« (Jes. 26, 4).

Kein Wunder, daß nun auch volle Freude alle Herzen erfüllt (Jes. 65, 19; 12, 1-6).

7. Die Glückseligkeit. »Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion gelangen mit Jubel; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein …, und Kummer und Seufzen werden entfliehen« (Jes. 35, 10). »Sie werden sich zitternd wenden zum Herrn und zu seiner Güte am Ende der Tage« (Hos. 3, 5), ja, »zittern und beben werden sie über all das Gute und all den Frieden«, den der Herr, ihr Gott, ihnen angedeihen läßt (Jer. 33, 9). »Siehe«, spricht der Herr, »du Unglückliche, Sturmbewegte, Ungetröstete, ich will deine Grundsteine in Bleiglanz einlagern und deine Mauern mit Saphiren gründen und will deine Zinnen aus Rubinen herstellen und deine Tore von Karfunkelsteinen und deine ganze Umfriedung von Edelgestein« (Jes. 54, 11). Wohl schaut hier der Prophet in prächtiger Bildersprache zugleich auf die himmlische Stadt, das »Jerusalem droben von Golde erbaut« (Off. 21; wohl ist es wahr, daß hinter dem Zion des Tausendjährigen Reiches ein noch viel größeres, herrlicheres Zion liegt, das Jerusalem der Vollendung, auf das jenes nur ein Vorbild gewesen sein wird; aber zunächst redet der Prophet von der irdischen Stadt; denn die himmlische ist nie »elend« und »trostlos« gewesen; und gerade auch die irdische Stadt ist die »Stadt des großen Königs« (Matth. 5, 35; Ps. 48, 3), das »Zion des Heiligen Israels«. Die irdische Stadt wird er darum wieder aufbauen (Luk. 21, 24; Jes. 58, 12).

Dann wird Jerusalem in Sicherheit wohnen (Jer. 24, 6; Jer. 23, 6). Kein Fremder wird es durchziehen (Joel 4, 17), keine Krankheit wird es bedrohen (5. Mose 7, 15), keine Zertrümmerung seine Häuser und Wohnungen vernich¬ten (Jes. 60, 18). Alle Gefahr wird gebannt sein. Ja, die Stadt wird, wie ihr Name schon von alters her besagt, in Wahrheit ein »Salem«, eine »Friedensstadt«, sein (Jes. 32, 18).

»Als offene Stadt wird Jerusalem bewohnt werden«; denn »Ich Selbst«, spricht der HErr, »werde ihm eine feurige Mauer sein ringsum und werde zur Herrlichkeit sein in seiner Mitte« (Sach. 2, 8; Zeph. 3, 17).

Als »Thronsitz« des Messias (Jer. 3, 17) wird der Tempelberg höher sein als alle anderen Berge und alle Hügel überragen (Jes. 2, 2; Micha 4, 1; Ps. 48, 2). Dort wird der »Thron Davids«, der Thron des Messias, stehen (Luk. 1, 32), umgeben von den Thronen seiner zwölf Apostel (Matth. 19, 28), die, an der Spitze weiterer »Richter« und Unterfürsten, das Zwölfstämmevolk in seinem Namen in Gerechtigkeit regieren (Jes. 1,26;  60,17; Jer. 23,4).

So gelangt Israel zum Heil, »zum Lobe und zum Namen in den Ländern seiner Schmach« (Zeph. 3, 19; Jes. 61,9), und wie früher der Jude ein »Fluchwort« gewesen war (Jer. 24,9; 25, 18; vgl. Jer. 29, 22), so wird er nunmehr ein »Segenswunsch« sein (Sach. 8, 13 vgl. 1. Mose 48, 20), so daß, wer dem andern etwas Gutes wünscht, sprechen wird: »Der HErr segne dich, wie er Zion gesegnet hat!«

Dies alles ist Gottes Werk, nicht menschliche Volkskraft. Gerade Israel war, was seinen Ursprung betrifft, das »allerkleinste« der Völker (5. Mose 7, 7). Darum kann nun seine geistliche Umwandlung beim Beginn der neuen Heilszeit nur ein Wunderwerk Gottes sein, zur Verherrlichung seines Namens. »Sie sollen mir zum Freudennamen, zum Ruhm und zum Schmuck sein bei allen Nationen der Erde«, spricht der Herr (Jer. 33, 9. vgl. 13, 11). Worauf es ankommt, ist nicht Israel, sondern Gott und seine Ehre (Jes. 11, 10), nicht der Mensch und seine Seligkeit, sondern Gott und seine Herrlichkeit. »Nicht um euretwillen, Haus Israel, verfahre ich so, sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr unter den Heidenvölkern entehrt habt … Denn ich will meinen großen Namen wieder zu Ehren bringen, damit die Heiden erkennen, daß ich dei HErr bin« (Hes. 36, 22).

Israels Umwandlung ist darum durchaus um des HErrn willen. Für den HErrn wird Zion gebaut (Jer. 31,38), sein Segen wird in allem geschaut (Jes. 61, 9), seine Ruhmestaten in Jerusalem verkündet. Nicht wegen der Juden, sondern »wegen des Namens des НЕrrn« kommen die Völker zur Anbetung in Jerusalem zusammen (Jer. 3, 17); denn sein Name wird durch Israels Heilung geheiligt (Jes. 29, 23; Hes. 28, 25) und seine Herrlichkeit vor den Augen aller Nationen bewiesen.

Damit aber wird Israels Wiederannahme weltweite Verherrlichung Gottes. Der »Sinn« seines Ruhmes ist Gottes Ruhm (Jes. 60, 21), er ist lediglich Sinnbild und Hinweis auf Gottes Erbarmen. »Nicht uns, o HErr, nicht uns, nein, deinem Namen schaffe Ehre um deiner Gnade, um deiner Treue willen« (Ps. 115, 1)

3. Israels Missionsdienst. Das erneuere Israel wird Gottes Missionar in der Völkerwelt sein. »Von Zion wird das Gesetz ausgehen und das Wort des HErrn von Jerusalem« (Micha 4, 2; Jes. 2, 3). »Dieses Volk, das ich mir gebildet habe, soll meinen Ruhm erzählen« (Jes. 43, 21; Ps.79, 13), »daß sie verkünden in Zion den Namen des HErrn und seinen Ruhm in Jerusalem, wenn die Völker sich versammeln und die Königreiche, um dem HErrn zu dienen« (Ps. 102, 22).

Darum auch die besondere Fähigkeit der Juden zur Propaganda, ihre Gabe zum Sprachenlernen und ihr Anpassungsvermögen an alle Nationen, trotz zähester Festhaltung ihres eigenen Volkstums. Dies alles begreift sich erst dann, wenn es als nationale Anlage für die Völkermission des Messiasreiches verstanden wird. In dem Zustand seines Unglaubens ist Israel, wie das Alte Testament sagt, unter den Völkern zwar ein »Fluchwort« (Jer. 24.9; 25, 18): dann aber, als Sendbote Gottes, gebraucht es seine Gaben ihnen zum Segen (Sach. 8, 13), als Träger und Verkörperer des Evangeliums des Reichs« (Matth. 4,23; 9,35; 24,14). Darum: »Mache dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt; und die Herrlichkeit des Herr geht auf über dir« (Jes. 60,1).

Aber auch von den Geretteten aus den Nationen wird Gott Evangeliumsboten aussenden bis zu den fernsten Völkern der Welt. »Es kommt die Zeit, daß ich sammle alle Heiden und Zungen, daß sie kommen und suchen meine Herrlichkeit. Und ich will ein Zeichen unter sie geben und ihrer etliche, die errettet sind (- gemeint sind also Nichtjuden -), senden zu den Heiden …, da man noch nicht von mir gehört hat, und sollen meine Herrlichkeit unter den Heiden verkünden« (Jes. 66,18).

Durch seinen Weltmissionsdienst wird Israel der »Paulus« des Tausendjährigen Reiches: zunächst ein Verfolger und Hasser der Gläubigen (Apg. 9, 1-2; 1.Thess.2, 15-16), dann plötzlich überwunden durch die Erscheinung des Herrn (Apg. 9,4-8; Matth. 24,30), zuletzt endlich ein Heidenapostel und Hauptmissionar Christi in der Völkerwelt. Seine »Damaskusstunde« am Ölberg (Sach. 14, 4; Off. 1, 7), wo es – umgekehrt wie wir – vom Schauen zum Glauben gelangt (Joh. 20, 29; 2. Kor. 5, 7), ist der Beginn einer weltweiten Völkermission (Jes. 12, 4). Von nun an ist Israel Gottes Zeuge an die Menschheit (Jes. 55, 4). ein »Segen« auf der Erde (Jes. 19, 24), ein »Tau« für die Völker (Micha 5, 6), und Jerusalem, seine Hauptstadt, ist eine geistliche Geburtsstätte vieler Nationen (Ps. 87, 2-6).

III. Die Nationen

Gottes Ziel ist aber nicht nur Israel; Gottes Ziel ist die Menschheit (1. Tim. 2, 4; Jes. 40, 5). »Es ist zu gering, daß du mein Knecht seiest, nur um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen: Ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um mein Heil zu sein bis an das Ende der Erde« (Jes. 49,6; 42,6; Luk. 2, 30-32)

1. Die Bekehrung der Völkerwelt. Die durch die Botschaft vom Gottesreich evangelisierten Nationen (Micha 4,2) werden sich Christo als ihrem Gebieter und König unterwerfen (Jes. 59, 19). Alle Götzen werden ausgerottet werden, alle menschlichen Religionen verschwinden (Sach. 13, 2; Jer. 16, 19-21; Jes. 2, 18-20), und »der HErr wird König sein über die ganze Erde« (Ps. 96,10). »An jenem Tage wird der HErr der alleinige Gott sein und sein Name allein anerkannt« (Jes. 54, 5). Dann wird er in Zion den »Schleier« vernichten, der alle Völker verschleiert, und die »Decke«, die über alle Nationen gedeckt ist (Jes. 25,7), und als Völker und Stämme werden sie kommen und zu Christo sich bekehren und in ihm, dem verachteten Nazarener, den »König der Ehren« erblicken (Ps. 24, 7-10; Phil. 2, 11; Eph. 1, 10). Ganz Assyrien, ganz Ägypten, ganz Israel wird kommen (Jes. 19, 21; Röm. 11,26), und der HErr wird sie annehmen, sie segnen und sprechen: »Gesegnet sei mein Volk Ägypten und Assyrien, meiner Hände Werk, und Israel, mein Erbteil« (Jes. 19, 25). In der Tat, hier bietet die biblische Prophetie in bezug auf den Umfang der Menschheitserlösung Gewaltiges; denn es ist nicht Einverleibung der sich bekehrenden Heiden in das geistlich erneuerte, israelitische Gottesvolk, was hier erhofft wird, sondern »ein Bruderbund Israels und der Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung.«

Das Ende wird allgemeine Weltbekehrung sein (Ps. 22, 28; 113, 3-4).  Es ist Menschheitsmission unter dem Zepter der Allmacht, Weltevangelisation mit Verchristlichung der Kultur, Reichsproklamation mit Gewinnung aller Völker. So ist es die wichtigste und eigentlichste Missionszeit der Geschichte, und zum allerersten Male auf der Erde wird es christliche Nationen und Volksverbände im Sinne der Heiligen Schrift geben (Jes. 45,22-24).

Daß aber die Völker gerade jetzt sich als Völker bekehren und nicht nur als einzelne wie früher, hat seinen Grund besonders darin, daß die Nationen die Großtaten Gottes mit Augen gesehen haben: die Verklärung der Gemeinde, Christi Kommen in Herrlichkeit, die Entscheidungsschlacht von Harmagedon, das Völkergericht im Tal Josaphat, Gottes Heilungs-und Wundertaten an Israel. »Wenn der HErr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden . . . Da wird man sagen unter den Heiden: der HErr hat Großes an ihnen getan« (Ps. 126,1-2). »Du wirst dich erheben, dich Zions erbarmen; denn Zeit ist’s, Gnade an ihm zu üben . . . Dann werden die Heiden fürchten den Namen des HErrn und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit« (Ps. 102, 14; 16). Dazu kommt noch die Tatsache, daß die Verstockten in Harmagedon getötet sind und vor allem, daß der Teufel gebunden ist, und darum die Völker nicht mehr verführen kann (Off. 20,2).

2. Die Heiligung der Völkerwelt. Aus der Bekehrung aber folgt Heiligung. »Alsdann will ich die Lippen der Völker in reine Lippen umwandeln, damit sie den Namen des HErrn anrufen und ihm einmütig dienen« (Zeph. 3, 9; Jer. 3, 17; Micha 4, 2). Kein Krieg wird mehr sein (Jes.2,4), kein Streben nach Gewalttat, kein Wille zur Unterdrückung und Ausbeutung der andern, sondern in harmonischem Nebeneinander werden sie sich gegenseitig frei ehren und dem Gottkönig dienen (Jes. 19, 23). Gesundheit des Körpers (Jes. 35,5; 65,20), soziale Gerechtigkeit (Jes.1,3-4), Vermeidung zu riesiger Großstädte (Sach. 3, 10), gerecht ge¬ordnete Grenzen (Apg.17,26), von Gott gegebene Gleichberechtigung (Jes.19,25; Matth. 8,11; Sach.2,15), gemeinsame Abrüstung (Micha 4, 3-4) – das sind Volkssegnungen des Alltags, die sie alle genießen. So bleiben denn die Völker in ihrem Nationalleben bestehen, aber bilden doch zugleich einen harmonischen Organismus, wie die Glieder eines Leibes sich gegenseitig fördernd, einer Völker»familie« gleich, voller Mannigfaltigkeit und doch Einheit.

Heiligung aber ist Hingabe, ein Trachten nach Gott, eine Herzensweihe an den, der uns zuerst geliebt hat. So wird auch der Wurzelsproß Isais dastehen als »Panier der Nationen«, und »nach ihm werden die Völker fragen« (Jes. 11,10). Sie werden sich »seines Namens wegen« gemeinsam versammeln (Jer. 3, 17), und »die Erde wird voll sein der Erkenntnis seiner Herrlichkeit, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken« (Hab. 2, 14).

3. Der Gottesdienst des Völkerwelt. Erkenntnis des HErrn aber führt zur Anbetung. »Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden, und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert und reines Speisopfer geopfert werden …, spricht der Herr Zebaoth« (Mal. 1, 11). Und sie werden den HErrn dann anflehen, ihm ihre Opfergaben darbringen, das Laubhüttenfest feiern und ihm allein dienen (Ps. 102,22).

4. Der König der Völkerwelt. Mittelpunkt des Ganzen aber wird Immanuel, der Gottkönig, sein. »Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter: Und er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst« (Jes. 9, 6). Er wird die Völker in Gerechtigkeit richten (Ps. 67,5). Er schafft Recht dem Geringen (Jes.11,3), gibt Gnade dem Demütigen (1. Sam. 2, 8), verleiht Ruhe den Nationen und schafft Heil aller Welt (Ps. 96, 1-3). Er ist Schiedsrichter der Völker (Jes.2,4), Fürst der Könige der Erde (Off. 1, 5; 19,16; 11,15), gemeinsames Haupt aller (Eph. 1, 10). So aber wird »das Recht sich niederlassen in der Wüste und die Gerechtigkeit wohnen auf dem Fruchtgefilde« (Jes. 32, 16-17).

5. Die Segnungen der Völkerwelt. So gelangt auch die Völkerwelt zu den Segnungen der Verheißung, und zwar wird bewirkt:

– ihre geistliche Erneuerung – durch nationale Umkehr (Jesaja 2, 3; 19, 21)
– ihre politische Einordnung – durch den göttlichen Erlöser (Off. 1, 5;  Jes. 45, 22-23)
– ihre internationale Entspannung – durch den Schiedsspruch des Weltkönigs (Sach. 9, 10);
– ihre bürgerliche Einigung – durch gerechten sozialen Ausgleich (Jes. 11, 3-4;  29, 19-21);
– ihre äußere Beglückung – durch Segnungen des Alltags;
– ihre innere Heiligung – durch Gemeinschaft mit dem Ewigen (Zeph. 3, 9; Hab. 2, 14; Jes. 11,10);
– ihre gemeinsame Anbetung – durch Wallfahrten und Gottesdienst (Micha 4, 2; Sach. 8, 21; 14, 16; Jes. 56, 7;  66, 23).

 

IV. Die Gemeinde

Wo ist aber nun die Gemeinde Jesu während der Zeit des Tausendjährigen Reiches? – Wie es scheint, bei Christo im Himmel und nicht eigentlich auf Erden. Seit der Entrückung ist die Gemeinde »allezeit beim HErrn« (1.Thess. 4, 17). Das Haupt ist mit den Gliedern vereint, end die Glieder nehmen teil an der Herrschaft und Herrlichkeit des Hauptes (2. Thess.2, 14; Kol. 3, 4.; 1. Kor. 1, 9). Sie werden mit Christo regieren (2. Tim. 2, 12; Off. 20, 4; 6; 1. Kor. 6, 2-3). »Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen (Off. 3, 21; Matth. 19, 28).

Sie haben seit der Verklärung nicht mehr einen irdischen Leib, sondern einen himmlischen Lichtleib (Phil. 3, 21; 1. Kor. 15, 40-49) und sind darum schon als Geistleibliche von Israel und den Nationen unterschieden. Die Art ihres Auftretens auf Erden ist darum wahrscheinlich eine ähnliche wie die der Erscheinungen des HErrn nach seiner Auferstehung: sie gehören als Verherrlichte zur himmlischen Welt, können aber – genau so wie er – noch am irdischen Leben teilnehmen (möglicherweise sogar essen und trinken: Matth. 26, 29; Luk. 24, 39-43;  Joh. 20, 27). Im einzelnen aber gehen diese Fragen weit über unser Denken und Verstehen hinaus. Wir freuen uns auf die kommende Herrlichkeit. Alles einzelne überlassen wir Gott.

V. Die Natur

Mit der Menschheit wird auch ihr Wohnsitz gesegnet. An der Herrlichkeit ihres HErrn nimmt die ganze Erde teil. Mit der Offenbarung der Söhne Gottes wird auch die Schöpfung von der »Knechtschaft des Verderbnisses« befreit (Röm.8,19-22).

1. Die Pflanzenwelt. Der um des Menschen willen verfluchte Acker wird von seinem Fluche befreit (1. Mose 3, 17; Röm. 8, 20). Das stumme »Gebet«, das durch die Fluren und Felder geht, wird von nun an erhört (Hos. 2, 23-24). Die »sehnsüchtige Hoffnung« der seufzenden Kreatur wird in Herrlichkeit erfüllt (Röm. 8, 19). »Die Wüste und das dürre Land werden sich freuen und blühen wie eine Narzisse…« »Ich will Ströme hervorbrechen lassen aus den kahlen Höhen und Quellen inmitten der Talebenen; ich werde die Wüste zum Wasserteich machen«, »und es wird dem Herrn zum Ruhme, zu einem ewigen Denkzeichen sein, das nicht ausgerottet werden wird« (Jes. 55, 12-13; Joel 2, 21-23).

Besonders wird Kanaan das Land sein, das »von Milch und Honig fließt« (Joel 4, 18; Jer. 11, 5), wie der Garten des Paradieses (Jes. 51, 3), mit blühenden Gärten (Amos 9, 14), mit fruchtbringenden Gefilden (Ps. 72, 16), mit Regen des Segens (3. Mose 26, 4; Jes.30, 23), mit überreichen Ernten (Amos 9,13), mit Jubel und Wonne in Flur, Feld und Wald (Jes. 55,11) – so wird gerade dies Land zur »Zierde der Nationen« (Jer. 3, 19). – Darum : » Jauchzet, ihr Himmel ! Freue dich, Erde ! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden« (Jes.49,13).

2. Die Tierwelt. Friede zwischen Tier und Tier: »Dann wird der Wolf zu Gast bei dem Lamme weilen und der Panther sich neben dem Böcklein lagern; das Kalb und der junge Löwe und der Mastochse werden beisammen weiden, und ein kleiner Knabe wird sie treiben. Kuh und Bärin werden miteinander auf die Weide gehen, ihre Jungen sich zusammen lagern, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind« (Jes. 11,6-7;  65,25;  Joel 2, 22).

Friede zwischen Mensch und Tier: »Ich will auch an jenem Tage einen Bund zu ihren Gunsten mit den Tieren des Feldes und mit den Vögeln des Himmels schließen« (Hos. 2, 20) und »die schädlichen Tiere aus dem Lande verschwinden lassen, so daß sie sogar in der Wüste sicher wohnen und in den Wäldern schlafen können« (3. Mose 26, 6). Ja, auch die Schlange wird nicht mehr giftig sein; denn der »Säugling wird spielen an dem Loche der Natter und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle des Basilisken« (Jes.11,8)

3. Auch die Sternenwelt wird irgendwie mit in die Erlösung hineingezogen werden. Denn »das Licht des Mondes wird so hell sein wie das Sonnenlicht, und das Licht der Sonne siebenmal so hell scheinen wie das Licht von sieben Tagen zu der Zeit, wenn der HErr den Schaden seines Volkes verbindet, und die ihm geschlagenen Wunden heilt« (Jes.30,26 vgl.24,23).

So ist es eine Erlösung in weltweitem Umfange: die »Wie¬dergeburt« der Schöpfung (Matth.19,28), die »Zeit der Erquickung von dem Angesicht des Herrn« (Apg.3,20), die »Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten geredet hat« (Apg.3,21). »Der Himmel freue sich und die Erde sei fröhlich; das Meer brause und was darinnen ist; das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist; und lasset rühmen alle Bäume im Walde vor dem Herrn; denn er kommt und wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit« (Ps. 96, 11-13).

3. Kapitel. Weltuntergang und Weltgericht

I. Weltunvollkommenheit

Trotz all seiner Herrlichkeit hat das Tausendjährige Reich zunächst einen erschütternden Abschluß. Auch das sichtbare Friedensreich auf Erden ist noch nicht die absolute Vollendung. Sünde und Tod sind noch da, auch die Möglichkeit des Verfluchtwerdens der Schuldigen (Jes. 65, 20), ja sogar die Möglichkeit nationalen Ungehorsams ganzer Volksgruppen (Sach. 14, 17). Die Gerechtigkeit »herrscht« eben erst auf der Erde; sie »wohnt« noch nicht restlos in allen. Dies wird vielmehr erst auf der neuen Erde der Fall sein (2. Petr. 3, 13; Off. 21, 3).

Dennoch ist Satan gebunden und damit seine Verführungsmacht ausgeschaltet. Dies wird für die Menschheit einerseits eine Erleichterung sein – da es nun nicht mehr so schwer ist, nicht mehr zu sündigen -; andererseits aber wird es auch eine Steigerung ihrer Verantwortlichkeit mit sich bringen, wenn sie unter Umständen trotzdem noch sündigt. Daher auch die strengere Gerichtsbarkeit im kommen¬den Gottesreich. Die Sünde steht nicht mehr, wie bisher, un¬ter göttlicher »Geduld« (Matth. 5, 45; Röm. 3, 25; 2. Petr. 3, 9 und 15), sondern wird rücksichtslos gerichtet. Die Nationen, die nicht folgen wollen, werden mit »eisernem Zepter« geweidet, die Widerstand leisten, wie Töpfergefäße zerschmettert (Ps. 2, 8; 9; Off. 19, 15).  Gehorsam oder Untergang – das ist gleich zu Anfang des Reiches die Losung für alle. Jeder Lügenprophet wird getötet (Sach. 13, 3), jedes Volk, das nicht anbetet, mit Regenlosigkeit heimgesucht (Sach. 14, 17-19), jede Nation, die sich auflehnt, zu Boden geschlagen (Micha 5, 7; Obadja 18; Sach. 12, 6).

II. Weltempörung

Zuletzt aber »muß« Satan losgelassen werden, um noch einmal seine Verführungsmacht zu versuchen. »Gottes Gerechtigkeit läßt es nicht zu, daß die Ungerechtigkeit ausgerottet wird, bevor sie nicht völlig reif geworden ist. Dies ist eine göttliche Regel, die selbst dem Satan gegenüber befolgt wird. Auch auf das Tausendjährige Reich »muß« die Probe des Erfolgs gemacht werden. Auch die Natio¬nen des Herrlichkeitsreiches »müssen« Gelegenheit bekommen, sich frei zu entscheiden. Es soll niemand verwehrt sein, sich freiwillig hinter Satan zu scharen. Niemand soll unfreiwillig dem HErrn in der Ewigkeit dienen.

In der Tat! Was ist das Ergebnis all jener Herrlichkeit und Segnung von tausend langen Jahren? – Völkerempörung in weitestem Umfang! Von allen Enden der Erde ziehen sie gen Jerusalem hinauf, Völkermassen wie Meeressand, unter dem Oberkommando von Gog und Magog (Off. 20, 8-9; Hes. 38 und 39; 1. Mose 10, 1-2).

Dies ist die letzte Rebellion der Geschichte, der letzte Religionskrieg der Völkerwelt, das letzte Nachzucken der Menschheitsrevolte gegen den Höchsten. Damit aber ist die Sünde zum Vollmaß gelangt. Auch die sichtbare Herrschaft der Gottheit hat die Menschheit verworfen! Auch seine allergrößten Segnungen hat sie mit schnödestem Undank verachtet! Auch seine persönliche Herrlichkeit hat sie mit Füßen getreten!

Und was war ihre Wahl?

An Stelle der Führerschaft Gottes erwählt sie die Verführung durch Satan! An Stelle der Einheit und des Friedens erwählt sie Zusammenrottung und Aufruhr! An Stelle des himmlischen Christus erwählt sie seinen Todfeind, den Teufel!

Hierauf kann es nur eine Antwort geben: Vernichtung und Untergang. Noch ehe es zum Kampfe kommt, fällt Feuer vom Himmel herab und verzehrt sie, und der Teufel, ihr Verführer, wird in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet sind (Off. 20, 9; 10).

III. Weltuntergang

Jetzt bricht das Jüngste Gericht los. Himmel und Erde werden »erschüttert« (Hag. 2, 6; Hebr.12, 26-28), zergehen »wie ein Rauch«, zerfallen »wie ein Kleid« (Jes. 51, 6; alle Gottlosen werden wie in einem Feuerofen verbrannt (Mal. 4, 1).

Das Erdreich zersplittert (Jes. 24, 19); die Sterne zerschmelzen (Jes. 34, 4), die Himmel werden zusammengerollt wie ein Buch (Hebr.1,12; Ps.102,27).

Zertrümmerung der Atome! Auflösung der Elemente (2.Petr. 3,12; 7).

Dies ist die Antwort des Allmächtigen auf diese gemeinste Rebellion seiner Geschöpfe. Dies ist der Gegenschlag des Weltherrn gegen den höllischsten Aufruhr seines Weltalls. Dies ist die letzte Offenbarung des gerechten Zornes Gottes über allen irdischen und himmlischen Schauplatz der Sünde.

Dann aber geht gerade aus diesem Feuergericht eine neue, herrliche Welt hervor. Nicht bloße Vernichtung, sondern »Verwandlung« war Gottes Endziel bei der Zerstörung (Hebr. 1,12; 12,27), nicht blоße Auflösung, sondern Neuschöpfung, nicht Verheerung, sondern Verklärung. Aus dem » Vergehen« von Himmel und Erde wird, unter göttlichem Walten, ein Übergehen beider in einen neuen Himmel und eine neue Erde (Off. 21, 1; 2. Petr. 3.13).

IV. Weltgericht

»Und ich sah einen großen, weißen Thron und den, der darauf saß; vor dessen Angesicht floh die Erde und der Himmel, und ihnen ward keine Stätte gefunden. Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott; und Bücher wurden aufgetan, und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken« (Оff. 20, 11; 12).

1. Der Thron. »Groß« ist der Thron wegen seiner Majestät, »weiß« wegen seiner Heiligkeit. Die Erde muß fliehen wegen der Sünde des Menschen und ihres Beflecktseins mit dem Blute des Gottessohnes. Der Himmel muß fliehen wegen der Sünde der Geister, wegen der Bosheit der Weltbeherrscher »in den himmlischen Örtern«, deren Wohnsitz sie gewesen waren (Eph. 6, 12; 2,2). So müssen Himmel und Erde fliehen vor dem Großen Weißen Thron, und aller Schauplatz der Sünde wird aufgelöst.

2. Der Richter ist Christus. Denn alles Gericht hat der Vater dem Sohn übertragen (Joh. 5, 22; 27). Er ist der »Mann«, den der Höchste bestimmt hat, den Erdkreis zu richten in Gerechtigkeit (Apg. 17, 31), der »von Gott verordnete Richter der Lebendigen und der Toten« (Apg. 10, 42; 2. Tim. 4,8;  1.Petr. 4,5), der sein Gericht in Übereinstimmung mit dem Vater vollzieht (Joh. 5,30; 8,16).

3. Der Maßstab ist das Wort Gottes. »Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon seinen Richter: das Wort, welches ich zu euch geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage« (Joh. 12, 48).

4. Die Gerichteten sind »alle Toten«, die Großen und die Kleinen, das heißt, alle Menschen aller Länder und aller Zeiten, mit Ausnahme der Gläubigen bis zum Tausendjährigen Reich. Die alttestamentlichen Heiligen sowie die Glieder der Gemeinde und die Erretteten der Trübsalszeit waren schon bei der »ersten« Auferstehung vor dem Messiasreich auferweckt (Off. 20, 4; 5), waren also schon damals vor dem »Richterstuhl Christi« gewesen (2. Kor. 5, 10) und sind folglich schon seit über tausend Jahren in verklärter Geistleiblichkeit (Phil. 3, 20).

5. Die Schärfe. Die andern aber müssen jetzt alle vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen. Ihre sämtlichen Werke sind in »Büchern« verzeichnet, ihre Handlungen und Gedanken, ihre Taten und Unterlassungen (Off. 20,12). Selbst von jedem unnützen Wort müssen sie Rechenschaft ablegen und alles wird offenbar, selbst das Verborgenste der Seele (Hebr. 4, 13; 1. Kor. 4, 5).

6. Das Ergebnis. Nicht alle empfangen das Gleiche; ein jeder empfängt »sein« Teil, das heißt, das Teil, das ihm zusteht (Matth. 24, 51), es sei größer oder kleiner. Sodom und Gomorrha wird es »erträglicher« ergehen als den Städten, die die Botschaft vom Himmelreich abgelehnt haben (Matth. 10, 15), dem Sodomer Lande »erträglicher« als Kapernaum, der Stadt Jesu (Matth. 11, 33).

Dennoch werden nicht alle verdammt. Die Lehre, daß vor dem Großen Weißen Thron kein Mensch mehr gerettet sein wird, geht über die Schrift hinaus. Denn die Offenbarung sagt nicht: »Da niemand geschrieben gefunden wurde in dem Buche des Lebens, wurden sie alle in den Feuersee geworfen«, sondern sie sagt nur: »Wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buche des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen« (Off. 20, 15). Die bekehrten Nationen aus dem Tausendjährigen Reich sind ja noch nicht gerichtet und müssen demnach vor dem Großen Weißen Thron noch erscheinen. Und wenn es dann weiter in dem Offenbarungsbericht heißt, daß die Toten »nach ihren Werken« gerichtet wurden, so bedeutet dies einfach »nach ihrem Verhalten«. Auch der Glaube ist in diesem Sinne ein »Werk«, eben das gottgewollte Werk, das gottgewollte Verhalten, wie Christus es selber bezeugt hat (Joh. 6, 29). Und was die einzelnen Tat-Werke betrifft, so gibt es von ihnen eben zwei Arten: die Fleisches- und Gesetzeswerke der Unwiedergeborenen, durch die allerdings kein Mensch gerecht wird vor Gott (Röm. 3, 28), so daß, wer diese nur hat, in den Feuersee geworfen werden wird, und die »guten« und »Glaubenswerke« der Wiedergeborenen, die, nach der Schrift, trotz aller Erlösung aus Gnaden, von den Gerechtfertigten dennoch verlangt werden (Tit. 2, 7; 14; 3, 1; 8; 14; Jak. 2, 16), und nach denen sich dann beim Gericht der Herrlichkeitsgrad »richtet«.

Ganz schweigt die Schrift über die Frage, wie Gott die Heiden der Zeit vor dem Tausendjährigen Reich behandeln wird, die das Evangelium nicht gehört haben.   Hier genügt uns der wartende Glaube an Gottes Gerechtigkeit. »Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?« Als Jesus einmal gefragt wurde: »HErr, meinst du, daß wenige gerettet werden?« hat er ganz einfach geantwortet: »Ringet danach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet« (Luk. 13, 23). Am Ende des Gerichts wird jeder erkennen, daß er nur das empfangen hat, was ihm zusteht. Das aber genügt. Das übrige überlassen wir Gott. (Röm. 11, 34)

7. Die zweite Auferstehung. Mit dem Großen Weißen Thron ist eine Auferstehung verbunden, die sogenannte »zweite« Auferstehung, im Unterschied zu der »ersten« Auferstehung vor dem Tausendjährigen Reich.

Deutlich lehrt die Schrift eine leibliche Auferstehung auch der Verlorenen. Sie nennt sie die »Auferstehung der Ungerechten« (Apg. 24,15), die »Auferstehung des Gerichts« (Joh. 5,29), die Auferstehung »zu ewiger Schmach und Schande (Dan. 12,2). Auch sie wird durch Christus, den Totenauferwecker, bewirkt (1. Kor. 15,21; Joh. 5, 26-29), und in ihr ist der HErr der, der auch den Leib zu verderben vermag in der Hölle (Matth. 10,28).

Furchtbar ist der Unterschied zwischen ihr und der Auferstehung des Lebens. Bei beiden hat der neue Leib die Natur und das Wesen des alten Leibes in sich, aber beides in entgegengesetzter Richtung und in ausgereifter Form. Bei den Erlösten war der irdische Leib ein »Tempel des Heiligen Geistes« gewesen (1. Kor. 6, 19), seine Glieder grundsätzlich »Werkzeuge der Gerechtigkeit« (Röm. 6,13) und sein Auferstehungskeim Same Gottes; darum wird er nun verklärt zu einem Lichtleib der Herrlichkeit. Bei den Verlorenen aber war der irdische Leib nur ein Sünden- und Todesleib gewesen (vgl. Röm.6,6; 7,24), seine Glieder »Werkzeuge der Ungerechtigkeit« (Röm. 6,13) und sein Auferstehungskeim Same des Teufels; darum wird er nun zu einem Finsternisleib der Verdammnis.

So gelangt aller »Same« zur Reife (1. Kor. 15, 42-44). Alle Leiblichkeit wird zugleich Ausdruck innerer Geistigkeit; und wie der Herrlichkeitsleib der Verklärten das Gepräge der Heiligkeit trägt und Bild Christi ist, so trägt der Verdammnisleib der Verlorenen das Gepräge der Gottlosigkeit und ist Bild Satans. Er gereicht ihnen »zur Schande, zu ewigem Abscheu« (Dan. 12, 2).

Und doch! Gerade ihre Auferstehung wird dem Verlorenen bezeugen, daß sie nicht hätten im Tode zu bleiben brauchen; denn auch ihre Auferstehung ist durchaus eine Auswirkung der leiblichen Auferstehung des Gekreuzigten (Joh.5,26-29; 1.Kor.15,20-22), und Christus, der Lebensfürst, dessen Auferstehungsmacht sie jetzt an ihrem eigenen Leibe rein richterlich erfahren, hätte auch sie – genau wie die andern – aus den Banden jedes Todes herausführen können.

Nun aber gibt ihnen diese Art von Auferstehung nichts. Sie ist nur, wie die Schrift sagt, der »andere Tod« (Off. 20,14; 2,11), der Übergang aus dem Vorort der Hölle in die Hölle selbst, das Versetztwerden aus dem »Zwischenort« – dem »Ort der Qual« (Luk. 16, 23; 28) – in das »ewige Feuer«.

Furchtbar schildert die Schrift das Los dieser Verlorenen. Sie redet von »Drangsal und Angst« (Röm. 2,9), von »Heulen und Zähneknirschen« (Matth. 22,13; 25,30), von »äußerster Finsternis« (Matth. 8,12) und »ewigem Verderben« (2. Thess. 1, 9). Sie redet von einem »Feuerofen« und einer »Greuelstätte« (Matth. 13, 42; 50;  Ps. 21,10; Jes. 30,33), von einem »Gefängnis« und einem »Abgrund« (Matth. 5, 25; 2. Petr. 2,4), von einer »Hölle« und einer »ewigen Pein« (Matth. 25,46). Sie redet von einem »Wurm, der nicht stirbt« (Mark. 9, 48), einem »Feuer, das nicht erlischt« (Mark. 9,44: 46; Matth. 25,41), einem »See, der mit Feuer und Schwefel brennt« (Off. 20,15;10; 19,20). Sie sagt: »Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen« (Hebr. 10,31). »Es wäre jenem Menschen besser (z. B. Judas), er wäre nie geboren« (Matth. 26,24); und: »Der Rauch ihrer Qual steigt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Off. 14,11; 20,10).

Was aber ist das Unendliche? Was ist der Inhalt der Ewigkeit? Was liegt in dem Schoße der unergründlichen Endlosigkeit geheimnisvoll verborgen ?

Kein Mensch kann es wissen, weil es Gott nicht geoffenbart hat. Das Verhüllte bleibt restlos bis zu seiner Enthüllung in Gott (5. Mose 29,29). Was »Ewigkeit« ist, vermag niemand zu erklären. Nach Inhalt und Dauer ist sie allen Zeitgeborenen ein Geheimnis.

Darum warten wir still auf den Tag seiner Offenbarung (Joh. 16,12).

Die Ewigkeit ist sein, und alles Wissen um sie ist sein, und unser ist das Glauben, das Gehorchen und Hoffen.

Aus dem Buch von Erich Sauer DER TRIUMPH DES GEKREUZIGTEN, entnommen von Horst Koch, Herborn, im Oktober 2006

Teil I: Das Reich des Antichristen, unter:
https://horst-koch.de/antichrist-sauer/

 info@horst-koch.de

 




Der Plan der Anonymen (Reed)

Douglas Reed

Der große Plan der Anonymen

 

ERSTES BUCH   – Rauch 1933 ‑ 1939
ZWEITES BUCH – Feuer 1940 ‑ 1945
DRITTES BUCH – Qualm 1945 ‑ 1950
VIERTES BUCH – Die blitzenden fünfziger Jahre 1950 –  . . .

– Anmerkung von H. Koch: Die von Herrn Reed erlebten und geschilderten Vorgänge des vergangenen Jahrhunderts lehren uns, auch die heutigen meist unsichtbaren Hintergründe der politischen Entwicklungen besser zu deuten. Beachtenswert ist auch, dass die sog. “Transformation“ des Christlichen Abendlandes hin zu einem neuen (nichtchristlichen) Europa bzw hin zu einer sog. Neuen Welt Ordnung als ein Block zu sehen ist. Vom Ersten Weltkrieg bis heute. Die letzten 60 Jahre haben diese von Herrn Reed (1952) geschilderten Absichten voll bestätigt.

In Bezug auf Israel gilt es zu berücksichtigen, daß Herr Reed die in der Bibel vorhergesagte zukünftige “Bekehrung” des Volkes zu dem “wiederkommenden Christus” (Messias) außer Acht gelassen hat, welchem allerdings – laut 2000 Jahre Bibel – eine Rückkehr der Juden in die ursprüngliche historische Heimat vorausgeht (Erfüllt 1948).  Allerdings ist damit keinerlei israelisches Fehlverhalten entschuldigt.  . . .
Der vorliegende Text ist stark gekürzt. Die Hervorhebungen wurden von mir vorgenommen.
Horst Koch, Herborn, im Oktober 2012 – (neu durchgesehen 2019)

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE (1952)


Ich habe ganz besonderen Grund, beim Schreiben dieses Vorworts für die deutsche Ausgabe eines Buches, das 1948 in England erschienen ist – unter dem Titel: From Smoke to Smother – ein prickelndes Vergnügen zu empfinden. Dieses Buch ist das siebente in der Serie meiner politischen Bücher. Das erste: «Jahrmarkt des Wahnsinns» wurde gleich beim Erscheinen von Himmler verboten. (Es enthielt allerlei Informationen über die Machtergreifung des Jahres 1933, welche die deutschen Leser damals nicht erfahren durften.)
Nach dem Zweiten Weltkrieg fand dieses Buch seinen Weg nach Deutschland und ich erhielt Briefe von deutschen Korrespondenten, in denen sie mich aufforderten, eine deutsche Übersetzung zu veranlassen. Zu dieser Zeit traf ein Komitee der Besatzungsmacht die Auswahl der in Deutschland zu erscheinenden Bücher und diese Körperschaft entschied sich gegen die Veröffentlichung meines Buches «Jahrmarkt des Wahnsinns».
So war ich denn in Deutschland verboten,
zuerst durch die Deutschen, dann durch meine eigenen Landsleute . . . Und jetzt geht über mein Gesicht ein breites Lachen, wenn trotz allem in diesen Tagen eines meiner Bücher in deutscher Sprache erscheint, auch wenn es in der Schweiz (Thomas-Verlag Zürich) verlegt wird. (1952)

Dieser amüsante Vorfall bildet den Bestandteil einer längeren Geschichte, die ich kurz erzählen muß, damit der deutschsprachige Leser etwas über den Autor dieses Buches erfahren kann. . . . Meine kleine Geschichte kann ihm vielleicht helfen, die Vorgänge besser zu verstehen.

In den kritischen Jahren 1928‑1935 war ich einer der Korrespondenten der «Times» in Berlin. Von 1935‑38 war ich der Hauptkorrespondent dieser Zeitung für Zentraleuropa, hatte mein Büro in Wien und bereiste ganz Mitteleuropa und den Balkan. Während dieser Jahre bekam ich den Journalismus mehr und mehr satt; das heißt nicht das Leben eines Journalisten, das mir Freude machte, sondern die Verbote, die auf einer vollständigen und wahren Berichterstattung lagen.

Dieses ständige Durchkreuzen meiner Aussagen wurde mir schließlich unerträglich. So schrieb ich «Jahrmarkt des Wahnsinns» und gab meine Stelle wenige Monate später auf, als das Abkommen von München meine sämtlichen Befürchtungen bestätigt hatte. Ich erkannte, daß ein Journalist seinen Beruf nur dann richtig ausüben kann, wenn er eigene Bücher schreibt. Von da an war ich ein Journalist, der frisch heraus berichtet, was er erfahren hat.  . . .

«Jahrmarkt des Wahnsinns» war ein großer Erfolg, in allen englischsprechenden und skandinavischen Ländern und anderswo. Was auf der Hand liegt, hat am meisten Erfolg und meine bündigen Voraussagen über Hitlers Absicht, in Österreich einzumarschieren, die Tschechoslowakei anzugreifen und dann mit Stalin einen Pakt abzuschließen, wurden wie Offenbarungen eines Propheten lebhaft beklatscht, als diese leicht vorauszusehenden Ereignisse eintrafen!

Unterdessen lernte ich Neues hinzu, und ehe «Jahrmarkt des Wahnsinns» erschienen war, ahnte ich, daß sich hinter dem kommenden Sturm weit mehr verbarg als nur der Ehrgeiz und die kriegerischen Absichten eines Hitler. Noch ehe der Krieg ausbrach, begann ich klar zu sehen, daß im Hintergrund andere große Mächte mit ehrgeizigen Motiven an der Arbeit waren. Man mußte die Ziele schon klar im Auge behalten, sollten nicht diese Mächte allein die Nutznießer des zweiten Chaos aller europäischen Völker werden. Ich begann diesen Charakterzug in einem zweiten Buch «Schande im Überfluß» zu diskutieren und augenblicklich verstummte der Beifall, der «Jahrmarkt des Wahnsinns» begrüßt hatte. An dessen Stelle traten Vorwürfe und Tadel. Ein Vertrag für die amerikanische Ausgabe dieses Buches wurde ohne große Entschuldigungen gebrochen.  . . .

Und so ist es weiter gegangen, in den letzten zwölf Jahren, während ich in aller Ruhe fortfuhr zu schreiben.  An jenem Tage des Jahres 1938, als Hitler in Österreich einmarschierte, telefonierte mein Kollege in Berlin mir dringend nach Wien, ich solle noch vor dem Einmarsch der Gestapo verschwinden. Er hatte aus bester Quelle einen Tip erhalten. In späteren Jahren ergrimmten die Kommunisten und Zionisten ebenso sehr über mich wie einst die Nazis. Sie setzten alle möglichen Gerüchte über mich in Umlauf, von denen ich alle widerlegen kann.

Die Zeit verging. Meine Überzeugung wuchs, daß hinter all diesen Ereignissen viel mehr steckte, als nur die kriegerischen Gelüste Hitlers. Vom Augenblick an, als er die Sowjetunion angriff, erkannte ich immer deutlicher, daß der ganze Verlauf des «Hitler‑Krieges» von unsichtbaren, geschickten Händen geleitet wurde, damit der Endsieg zwei Mächten zufalle: dem Sowjetkommunismus und dem zionistischen Nationalismus.

Die breiten Massen der Völker vermochten das nicht zu erkennen, so wenig, wie sie 1938 die Dinge durchschauten, die für mich auf der Hand lagen: daß Hitler sich im gegebenen Moment mit Stalin verbünden werde. Jetzt erkennen sie es, denn es sind sechs Jahre verflossen, seit ein amerikanischer Präsident den Befehl erließ «Die Russen dürfen Berlin erobern». Und fast ebensoviele Jahre sind verflossen, seitdem er befahl, das entlegene Palästina solle aufgeteilt, und die einheimischen Araber aus der einen Hälfte des Landes zugunsten der zionistischen Einwanderer aus Osteuropa vertrieben werden.

Und trotzdem gewahrt die breite Öffentlichkeit noch immer nicht, was meine Meinung ist: daß die persönlichen Taten eines Hitler für dieses Gesamtbild ebenso bestimmend waren wie die eines Roosevelt. Heute weiß jeder, daß während der duldsamen zwanziger und dreißiger Jahre die Regierungen und Amtsstellen des Westens mit kommunistischen und zionistischen Agenten verseucht wurden, die bei Kriegsausbruch nach einem seit langem vorbereiteten Plan ans Werk gingen. Falls der Kriegsausgang selbst diese Behauptung noch nicht belegt, so wurde sie doch durch die zahlreichen Enthüllungen in Amerika und England hinreichend bewiesen.

Aber sogar heute finde ich kaum einen Menschen, den seine Phantasie befähigt, eine geradezu einleuchtende Möglichkeit zu erkennen: daß Hitler selbst ein bewußter und nicht nur ein unbewußter Agent dieser Zielsetzung gewesen ist. Meiner Meinung nach war dies das Geheimnis, das Speer kannte. . . Ich glaube, daß Rauschning das gleiche Geheimnis entdeckte oder wenigstens vermutete, und daß viele, die nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurden, auf der gleichen Fährte gewesen sind. Das würde auch erklären, weshalb Hitler, Göbbels und Bormann (ausgerechnet diese drei) niemals auf die Anklagebank in Nürnberg kamen.

Diese Theorien und der Glaube an ihre Richtigkeit wurden in mir wesentlich durch die massiven Versuche, meine Schriften zu unterdrücken, bestärkt. Ich halte weder meine Bücher, noch mich selbst für sehr bedeutend. Offenbar aber findet irgend eine andere Seite, daß meine Bücher doch schädlich genug sind, um eine große Anstrengung bezahlt zu machen, sie vom Buchmarkt zu verdrängen.    . . .

In diesem Buche habe ich geschrieben, was ich glaube. Aus seinem Inhalt wird der Leser demnach erfahren, welche Art von Aussagen diese mächtige Zensur gerne unterdrücken möchte.  . . . Ich glaube ebenfalls, daß weitere Kriege für das künftige Gelingen der ehrgeizigen Pläne stattfinden werden.  . . . Meiner Ansicht nach befinden sich die Russen heute ebenso hilflos in den Klauen des Kommunismus wie die meisten Juden in denen des Zionismus, und wie einst die Deutschen 1939 in denen des Nationalsozialismus.

Die geheime Zensur will es verbieten, daß irgend jemand sagt, auch ein neuer Krieg würde wiederum von übernationalen Kräften ausgenützt und ihren eigenen Zielen dienstbar gemacht. Diese Ziele würden nochmals dahin gehen, das kommunistische Reich und den zionistischen Staat weiter auszudehnen; oder beide in einen Weltstaat zusammenzuschweißen . . .

Wenn einmal ein neuer Krieg ausbricht, dann wird man das, meiner Meinung nach, nicht mehr sagen dürfen.
Bis ein neuer Krieg ausbricht, kann es noch gesagt werden. Im gegenwärtigen Zeitpunkt liegt das Hauptprohlem aller Völker des christlichen Westens lediglich darin, zu überleben, sind sie doch alle gleichermaßen in den Plänen dieser bedrohlichen Mächte, die zum größten Teil jede nationale Regierung verdrängt haben, gefangen.

So viel über mich, meine Bücher und deren seltsame Geschichte.   . . .

Ich fühlte mich überall in Europa zu Hause. Was mich in jedem Land am meisten anzog, war das, was bei einer Überbetonung am raschesten anwidert: die nationale Eigenart. Wie herrlich sind die individuellen Eigenarten der großen und der kleinen Staaten, bis irgend ein Demagoge erscheint und sie verfälscht. Wie töricht ist doch das Geschwätz von der Aufhebung der Eigenstaatlichkeit! Die Nationalität ist ebenso unzerstörbar wie die Materie.  . . .

Wirklich unglücklich fühlte ich mich nur in einem Lande: in Rußland. Und zwar aus dem Grunde, weil es nicht Rußland war, sondern ein kommunistisches Gefängnis, dessen nationale Eigenart zur Zeit völlig zugrundegerichtet ist. Ich habe nur noch einen Wunsch: lange genug zu leben, um Rußland russisch, Deutschland deutsch und ganz Europa wieder wahrhaft frei zu sehen.

Ich erinnere mich, wie ich Deutschland 1939 mit tiefem Bedauern verließ, und wie mich die Verwandtschaft der nationalsozialistischen und kommunistischen Parolen und Methoden seit 1933 mit einer bangen Vorahnung erfüllten; ich gewann den Eindruck, daß die deutsche Eigenart in falsche Formen gepreßt werde. Und ich wußte, daß dies auch mein eigenes Leben zutiefst berührte sowie das Leben aller Zeitgenossen, und heute, fast zwanzig Jahre später, sehe ich, wie richtig meine Vorahnung war.

Ich fuhr am Abend des 27. Februar 1933 eben in jenem Augenblick am Reichstag vorbei, als die Flammen aufloderten. Wahrscheinlich war das für die meisten ein ganz gewöhnlicher Brand. Mir aber fraß die Erkenntnis tief ins Mark, daß es sich hier um weit mehr handelte. Im Namen dieses Brandes begann der lange Opfergang des christlichen Westens, aber nicht nur in Deutschland! Der rote Schein der Flammen und deren lange Schatten zucken noch heute in jeder deutschen Familie in West- und Ostdeutschland. Aber sie reichen noch viel weiter: in jede englische und sogar in jede amerikanische Familie.

Der Reichstagbrand war die eigentliche Atombombe, welche die christliche Kultur, Europa und die westliche Welt einer dunklen Zukunft überlieferte. Falls wirklich der Untergang besiegelt wird und sich die Staaten, in denen einst das Zeichen des Kreuzes ein wunderbares Licht der Erkenntnis schuf, in Reiche der dunklen Sklaverei wandeln, dann hat dieser Vernichtungsprozeß in der Nacht des 27. Februar 1933 begonnen. In jener Nacht überspülte wie eine schwarze Springflut die Finsternis Asiens in einem gewaltigen Sprung ganz Deutschland. Das Heim eines Menschen war nicht mehr unantastbar, auch nicht sein Vermögen oder seine Person. Von jenseits des Urals drangen die Methoden der Satrapen hinüber in das Land der Dichter und Denker. Falls es noch Richter in Berlin gab, waren sie nur Überlebende aus der Vergangenheit; die wirkliche Gewalt war an Volksrichter, Volksgerichte und einen obersten Magistraten übergegangen.

Ich habe mich damals schon gewundert, als ich auf Befehl Görings den brennenden Reichstag verlassen mußte, und ich wundere mich beim Zurückdenken noch heute, wie manche Deutsche sich täuschen ließen und glaubten, daß es sich hier um etwas Neues oder gar um etwas Gutes für Deutschland handle. Es war einfach barbarisch, in seinen erkennbaren Grundzügen kommunistisch und derart ansteckend, daß es sich heute noch viel weiter nach Westen ausgedehnt hat und das restliche Europa, sogar England und Amerika bedroht. Seither haben England und Amerika ständig im Zeichen des «Notstandes» und der «außerordentlichen Vollmachten» gelebt, und ihre Beherrscher erlaubten sich immer tiefere Eingriffe in die menschlichen Freiheitsrechte, während sie vorgaben, eben diese Gesinnung zuerst im «Faschismus» und dann im «Kommunismus» zu bekämpfen.

Wer hat den Reichstag angezündet? Wir fragen uns noch immer und finden noch immer keine Antwort. Ich vermute, daß ich über dieses Ereignis mehr weiß als die meisten, denn ein Zufall führte mich damals an Ort und Stelle. Ich verfolgte aufmerksam die Untersuchung und versäumte keinen Augenblick des Prozesses. Zudem war ich ein freier Mann, der sich seine eigene Meinung ohne Vorurteil bilden konnte. Ich weiß, daß es nicht «die Kommunisten» gewesen sind, das heißt weder die deutschen und bulgarischen Kommunisten, die unter Anklage standen, noch irgend eine andere kommunistische Gruppe. Falls aber «die Nazis» die Brandstifter waren, dann dienten sie dem kommunistischen Endziel, wie Hitler, der zuerst Polen mit den Kommunisten teilte, um als nächsten Schritt seinen Zweifrontenkrieg zu führen. All diese Schritte zielten dahin, den großen Plan zu fördern, den Westen in ein Sklavengebiet zu verwandeln. Waren die Männer, die damals in Deutschland an der Macht waren, wirklich so weitblickend? Diese Meister der Planung, sie sind 1945 nicht weit vom abgebrannten Reichstag in anderen Flammen spurlos verschwunden. Ihre Leichen wurden nicht gefunden. Das Rätsel der verschwundenen Brandstifter des Reichstags führt meiner Ansicht nach zum andern Rätsel der verschwundenen Führer aus der Reichskanzlei.

Aber der begonnene Prozeß geht weiter und hat ganz Europa zu einem Fegfeuer gewandelt. Während all dieser Jahre setzte ich in aller Stille die Arbeit an meinen Büchern fort. Die einzigen Vorschriften, von denen ich mich leiten ließ, waren die alten Regeln, die einst für jeden anständigen Journalismus galten, aber jetzt in den großen Massenzeitungen mehr und mehr in Verruf fallen: nämlich nichts Blasphemisches, Aufrührerisches, Obszönes oder Verleumderisches zu sagen.

Ich habe Europa seither nicht mehr gesehen, außer von der Normandie 1944 (und, das war der traurigste aller Besuche, denn ich sah den großen Schachzug voraus, nach welchem «die rote Armee Berlin erobern durfte», und fühlte, daß die deutsche Niederlage oder der alliierte Sieg derart in eine Niederlage der christlichen Welt verwandelt werden sollte) und nachher nur noch in ganz kurzen Ausblicken. Ich verbrachte meine Zeit damit, eine sozialistische Regierung zu beobachten, wie sie auf meiner Heimatinsel mancherlei Maßnahmen im Namen der Demokratie einführte, die kommunistischer oder faschistischer Herkunft waren, und nachher in Afrika, Kanada und den großen Vereinigten Staaten zu reisen, um zu schauen, was dort vor sich ging.

Das Bild dieses weiten Bereichs der Außenwelt deckt sich so ziemlich mit dem, was ich 1947 über die britische Insel geschrieben habe. Es scheint, als hätten die Politiker ‑ Sozialisten und Konservative in England, Demokraten und Republikaner in Amerika oder ähnliche Parteigebilde anderswo ‑ überall vor dem Lockruf der «außerordentlichen Vollmachten» kapituliert. Sie lernten dauernden Notstand schätzen, offenbar wegen der herrlichen Machtfülle über die Völker, die sie in dessen Namen fordern, und ihre einzige Leistung ist die Abänderung der Bezeichnungen Faschismus und Kommunismus in «Notstand».

So werfen die längst erloschenen Flammen des Reichstages, wie schon gesagt, noch immer ihren Widerschein nicht nur auf Deutschland, sondern auf alle übrigen Länder der christlichen Welt. Ich habe in den letzten Jahren in meinem eigenen Lande und in Nordamerika gefühlt, daß ich von den politischen Schatten Papens, Brünings, Otto Brauns und Severings begleitet war. Notstand! Notverordnung! Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle! Weil ich gesehen habe, wohin dieser Weg führt, ist er mir widerwärtig.

Ich glaube nicht, daß man den Faschismus oder den Kommunismus mit den gleichen Methoden bekämpfen kann. Wir müssen entgegengesetzte Methoden wählen. Amerika ist jedoch nie ganz aus dem Notstand herausgekommen, den Präsident Roosevelt ungefähr zur Zeit des Reichstagsbrandes proklamierte, und sein Nachfolger besteht täglich darauf, daß er weiter beibehalten werde. In England, wo ein gewisser Attlee, ein sozialistischer Politiker, in Hitlers ersten Jahren offen das Wort gegen Regierungen ergriff, die im Namen des «Notrechtes» immer größere Macht über ihr Volk gewannen, hat ein Premier‑Minister, namens Attlee im Namen des heutigen Notstandes «außerordentliche Vollmachten» zu einer dauernden Einrichtung gemacht! So geht der verderbliche Kreislauf weiter. Dieser Teufelstanz, der am 27. Februar 1933 begann, zieht immer größere Kreise über die Welt des weißen Mannes.

Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie derart betrogene Politiker, falls sie nicht selbst Betrüger sind, die Welt von dieser immer straffer werdenden Umklammerung befreien sollen. Noch sind die heute führenden Politiker der westlichen Welt meistens Männer, die in den Illusionen des Liberalismus oder des Sozialismus groß geworden sind. Die Ereignisse um die Wende unserer Jahrhundertmitte haben gezeigt, daß Liberalismus und Sozialismus nur zwei Spiralen einer dreifach geringelten Schlange waren und sind. Die dritte Spirale, die den Kopf mit dem Giftzahn trägt, ist der Kommunismus. Aber alle gehören zum gleichen Körper. Diese Illusionen wurden im letzten Jahrhundert geboren. Nur solche Männer, die mit ihnen groß geworden, konnten sich in einem Zustand völliger Verblendung zu einem so teuflischen Abkommen verleiten lassen wie ein amerikanischer Präsident, der dem «Vorschlag», «die Rote Armee dürfe Berlin erobern», Folge leistete.

Mit diesem Entscheid schwand die letzte Hoffnung, daß Europa durch den Zweiten Weltkrieg wieder den Weg zur Gesundheit findet. Ein asiatisches Komplott, schon zu zwei Dritteln gelungen, wurde durch die Blindheit eines Mannes, oder einer Gruppe von Männern des christlichen Westens, die sich von den asiatischen Verschwörern täuschen ließen, zu einem vollkommenen Erfolg. Ich glaube, daß jedes Kind in Europa die Folgen dieses meisterhaften Schachzuges hätte sehen müssen. Für mich, der ich Europa kannte, lagen sie jedenfalls auf der Hand. Jetzt bleibt nur noch der Ausgang des Endkampfes, in welcher Form er sich auch abspielen mag, und die letzte Antwort auf das Rätsel dieses erschreckenden Jahrhunderts offen: Wird Europa überleben oder wird es untergehen? . . .

Vier Jahre sind verflossen, seit dieses Buch geschrieben wurde (1948-52). Ich möchte denen, die es jetzt in deutscher Sprache lesen, in aller Kürze erzählen, was seither in der Welt geschah. Alles vollzog sich auf der gleichen Ebene des Bösen, das noch schlimmer wurde; die Wendung zum Guten ist noch nicht eingetreten. Der einzige Trost, den ich für jeden besitze, dessen Los es ist, in unsern Zeiten zu leben, liegt in den Worten des heiligen Matthäus: «Ihr werdet von Kriegen und Kriegsgerüchten hören; sehet zu, daß ihr euch nicht verwirren lasset; denn alles dieses muß geschehen, aber es ist noch nicht das Ende … Wer aber ausharret bis ans Ende, der wird selig werden.»

Unsere Zeit wurde 1945 von drei Männern geformt, wovon zwei, Stalin und Winston Churchill, genau wußten, was sie wollten, trotzdem sie das genaue Gegenteil wollten. Hätte sich Churchill durchsetzen können, wäre es der Roten Armee nicht erlaubt worden, Berlin zu erobern (was einer Zweiteilung Europas gleichkam), und Europa hätte die Chance eines lange währenden Friedens gehabt. Die ausschlaggebende Stimme lag bei Roosevelt, der bewiesenermaßen von der Geschichte und der Umwelt sehr wenig verstanden hat. Er war das getreue Abbild des Politikers, der auf dem verfälschten Liberalismus dieses Jahrhunderts aufbaut, und dessen einziger erkennbarer Charakterzug in der grimmigen Bereitschaft liegt, jedwelche Tyrannei zu unterstützen, sofern nur der Tyrann erklärt, er übe seine Tyrannei im Namen des werktätigen Volkes aus. Er war von gleichartigen Beratern umgeben, und seine Verwaltung war mit Fremden verseucht, die man einzig darum aufgenommen hat, weil sie sich als «Anti‑Nazis» proklamierten. Selbstverständlich war diese Behauptung keine Garantie dafür, daß sie den wahren Interessen Amerikas dienen wollten.

Tatsächlich mißbrauchten etliche ihre Macht, um die Interessen der Sowjetunion zu fördern. Nur wenn man diese Umstände klar vor Augen hält, kann man den Befehl des Präsidenten, «die Rote Armee dürfe Berlin erobern», verstehen. (Der Befehl wurde in Wirklichkeit von Roosevelts Nachfolger ausgegeben, war aber eine Frucht der Roosevelt‑Ära.) Es kam hinzu, daß Roosevelt in jenem kritischen Augenblick ein todkranker Mann war (in seinen letzten Tagen schien er sich übrigens der Folgen seiner Handlungen bewußt zu werden).

Der Zweite Weltkrieg, der auf diese Art in der Stunde des Sieges verloren wurde, machte Amerika zur materiell stärksten Macht der Welt, das heißt in Bezug auf die Kapazität seiner industriellen Produktion, was gleichbedeutend ist mit der Macht, einen Krieg zu führen. Aber leider genügt die materielle Stärke weder um die Welt zu befreien, noch um Kriegstreiber in Schach zu halten. Ebenso wichtig sind moralische Kraft, Weisheit und eine klare Politik. Ganz offensichtlich hatten all diese Kraftquellen durch die Folgen der vierzehnjährigen Roosevelt‑Politik in Amerika sehr gelitten.

Es war vorauszusehen, daß die vier Jahre, die seit dem Schreiben dieses Buches verflossen sind, Amerika ein unsanftes Erwachen bringen würden. Endlich dämmerte es, daß der militärische Sieg die proklamierten Ziele nicht verwirklicht hatte, daß ein neuer und noch stärkerer Angreifer auf die Beine gestellt und mit Waffen und Geld ausgerüstet worden war, und daß der Weltfrieden (von der «Freiheit» ganz zu schweigen) in weite Ferne gerückt war. Der Durchschnittsamerikaner (so stellte ich bei meinen Reisen in USA 1949 und 1951 fest) war eben so tief erschüttert, verwirrt und durcheinander wie mein eigenes Volk.

Unter dem Druck dieses steigenden Unbehagens begann sich die amerikanische Politik zu ändern, wenigstens in den Darlegungen des Präsidenten, die für das Volk bestimmt waren. Nach und nach verflogen die Illusionen über den Sowjetstaat und die offizielle Tonart wechselte von Versöhnlichkeit zu Vorwürfen und Ermahnungen. Dem amerikanischen Volke wurde jetzt neue «Bedrohung» vor Augen gestellt: der aggressive Kommunismus (und sofort begann das Gerede von «Notstand» und von «Notvollmachten»). Dann folgten die Enthüllungen. Präsident Roosevelts erster Berater an der schicksalsschweren Konferenz von Jalta entpuppte sich als kommunistischer Agent und das war nur eine der vielen Enthüllungen, die seit 1948 bis auf den heutigen Tag andauern. Aber alle diese Enthüllungen stammten von Einzelpersönlichkeiten, Untersuchungsbeamten oder von der Oppositionspartei. Keine einzige kam auf Initiative der Regierung zustande. Ebensowenig begann die Regierung von sich aus zu säubern. . . .

Ich zweifle sehr, ob irgend jemand, der Amerika in diesen Jahren nicht persönlich erlebt hat, sich ein klares Bild von der dadurch entstandenen Situation machen kann. Das Volk des mächtigsten Staates dieser Erde wurde eindeutig auf einen Krieg mit dem neuen Angreifer vorbereitet. Trotzdem war selbst der stärkste Druck der öffentlichen Meinung nicht in der Lage, die Regierung zu einer Erklärung über die kommunistische Infiltration in die amerikanischen Lebensadern, wie zu wirksamen Gegenmaßnahmen zu veranlassen. . . .

Die breiten amerikanischen Schichten, die man auffordert, sich auf die Atombombe vorzubereiten, wissen infolgedessen nicht mehr ein und aus. Sie begreifen nicht, warum ihre Regierung den Kommunismus so heftig anprangert und sich gleichzeitig hartnäckig weigert, ihr Haus zu säubern.  . . .

Amerika wird mit aller Offenheit auf einen Krieg vorbereitet, ebenso auf die Tatsache, daß es ein Krieg «gegen den Kommunismus» sein wird. Im Hinblick auf dieses Ziel werden die üblichen «Opfer» gefordert: höhere Steuern, obligatorische Dienstpflicht, Luftschutzübungen, «Verbote» und so weiter. Zeitungen und Rundfunk sind voll von vorbereitenden Warnungen.

Wird sich aber ein solcher Krieg, einmal begonnen, folgerichtig gegen den Kommunismus und dessen Aggressionen richten? Das ist nur dann wahrscheinlich, wenn die geheimen Einflüsse, welche Roosevelt im Zweiten Weltkrieg leiteten und ihn im letzten Augenblick zum verhängnisvollen Schritt von Jalta verführt haben, aus ihren Schlüsselstellungen im amerikanischen Leben entfernt werden. Mit einer solchen Maßnahme aber hat man bis jetzt nicht Ernst gemacht, so daß bis zu ihrem Eintritt die düstere Wahrscheinlichkeit besteht, daß jeder neue Krieg wiederum ganz anderen Zwecken und Zielen dienen wird, als die große Masse bei Beginn geglaubt hat. Die eigentlichen Ziele, die im letzten Krieg verfolgt wurden, waren die Expansion des Sowjetreiches und die Gründung eines zionistischen Staates in Arabien. Nächstes Mal sollen diese beiden Ziele vermutlich noch weiter gefördert werden. Sollte sich aber der Weltstaat als das eigentliche Ziel hinter dem Rauchschleier militärischer Operationen «gegen den Kommunismus» erweisen, dann werden in ihm diese beiden Mächte die erste Geige spielen.   . . .

Dieses Geheimnis lastet auf allen jüngsten Regierungen der westlichen Welt, während sie sich offensichtlich auf die Kraftprobe mit dem von ihnen selbst geschaffenen Frankenstein vorbereiten. Jeder geschulte politische Beobachter weiß, daß die kommunistische Verseuchung in Washington und London noch immer sehr stark ist. Die dortigen Regierungen bestreiten dies und weigern sich, wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

Unter solchen Umständen kommt mir der Wandel der amerikanischen Politik in den Jahren, seit ich dieses Buch geschrieben, eher trügerisch als echt vor und die Völker Westeuropas, der britischen Inseln und Amerikas haben allen Grund, sich noch heute vor den Einflüssen zu fürchten, welche den militärischen Sieg des Zweiten Weltkrieges zur politischen Niederlage, im Fiasko von Jalta, verwandelt haben.

Aus dem gleichen Grunde scheint es, daß die verschiedenen Maßnahmen, welche die amerikanische Regierung besonders gegen die «kommunistische Aggression» ergriffen hat, eher als Beruhigungstropfen für die besorgten Amerikaner, denn als wirklich ernsthafte Schritte gedacht sind. Eine neue amerikanische Präsidentenwahl steht bevor. Das ist ein ganz entscheidender Faktor. Die demokratische Partei des Präsidenten Roosevelt und Truman (und von Jalta und Potsdam) ist nun seit neunzehn Jahren an der Regierung. Sie wünscht auch weiter an der Regierung zu bleiben.  . . .

Spanien ist ein typischer Fall. Während Jahren weigerte sich die Regierung in Washington, immer noch unter dem Einfluß der Roosevelt‑Ära, irgendwelche Beziehungen mit Spanien zu unterhalten. 1947 bemerkte das amerikanische Staatsdepartement (Außenamt) recht hochmütig, «daß Spanien damit rechnen muß, so lange das Franco‑Regime an der Macht ist, von der organisierten Gemeinschaft der Nationen ausgeschlossen zu bleiben». «Die Gemeinschaft der Nationen» war damals gleichbedeutend mit der «Vereinigte Nationen» benannten Körperschaft, in welcher der Sowjetstaat und die Schattenregierungen jener Staaten, welche dieser in Ost‑Europa annektieren durfte, volle Mitgliedschaft besaßen! Bis zum Jahre 1949 protestierte der amerikanische Staatssekretär für das Auswärtige, daß es unmöglich sei, Spanien in diesen demokratischen Klub aufzunehmen (um mit solch vorbildlichen Demokraten, wie die UdSSR, Sowjet‑Polen und anderen mehr, zusammenzusitzen).

Dann kam der koreanische Krieg, der durch die Erklärung des amerikanischen Präsidenten eingeleitet wurde, es handle sich darum, «der kommunistischen Aggression Einhalt zu gebieten». Dieser eine Punkt steht in Bezug auf Spanien eindeutig fest. Spanien ist ein antikommunistisches Land. Trotzdem legte der amerikanische Präsident sein Veto gegen eine amerikanische Anleihe an Spanien ein, sowie gegen jede Aufmunterung dieses Landes zur Teilnahme an dem großen antikommunistischen Kreuzzug. Gleichzeitig bewilligte er Kredite an Jugoslawien. Dieser eine Punkt in Bezug auf Titos Jugoslawien steht eindeutig fest: es ist ein kommunistischer Staat, ganz gleichgültig, ob der Haß zwischen Stalin und Tito echt ist oder nicht.

So begann der koreanische Krieg in größter Verwirrung, die für unsere Zeit das bezeichnendste Merkmal ist. Aber breite Kreise der amerikanischen Öffentlichkeit begannen sich über diesen Widersinn Gedanken zu machen, so daß sich der amerikanische Präsident im Hochsommer 1951 endlich bewegen ließ, mit Spanien über Anleihen, Stützpunkte und dergleichen Verhandlungen einzuleiten. Ich glaube, daß dies aus dem Grunde geschehen ist, um die öffentliche Meinung der Amerikaner zu beruhigen und den Boden für die Wahlkampagne 1952 zu ebnen. Die große Untersuchung aber über den kommunistischen Einfluß in den amerikanischen Amtsstellen und bei den höchsten politischen Posten läßt noch immer auf sich warten. In diesem Punkt haben der Präsident und seine Sprecher um keinen Zoll nachgegeben.

Der koreanische Krieg selbst offenbarte von Anfang an eine ähnliche Begriffsverwirrung. Der amerikanische Präsident wurde gewarnt, daß nach dem Wegzug der amerikanischen Truppen aus Südkorea eine kommunistische Invasion erfolgen werde. Er befahl den Wegzug der amerikanischen Truppen und als die erwartete Invasion prompt erfolgte, befahl er ihnen wieder zurückzukehren. Dann ließ er das ganze Unternehmen zu einer Maßnahme der Vereinigten Nationen (in welchen die kommunistischen Scheinregierungen noch sämtliche Sitze behalten haben) gegen die kommunistische Aggression umstempeln.

Jetzt endlich war die Gelegenheit gekommen, um die Echtheit der Bekehrung zu beweisen. Hatten die gegenwärtigen Beherrscher Amerikas endlich den Sinn des früheren Geschehens begriffen? Waren sie jetzt aufrichtig entschlossen, den expansiven Kommunismus aufzuhalten, dem sie selbst zur Berliner Frontlinie und zur chinesischen Küste verholfen hatten?

Der koreanische Krieg unterschied sich in seinem ersten Jahr (während ich schreibe, werden Waffenstillstands-verhandlungen geführt) völlig von allen übrigen Kriegen der Geschichte. Wiederholt erklärten der amerikanische Präsident, daß es nicht ein amerikanischer Krieg sei, sondern ein Krieg der Vereinigten Nationen (die durch Anerkennung der Mitgliedschaft der Scheinregierungen der Satellitenstaaten selbst den kommunistischen Eroberungen in Ost‑Europa den Schein der Legalität gegeben haben). Hier war das erste große Beispiel für die «Übergabe der Souveränität» an eine geschlossene Organisation, die behauptet, die Welt zu verkörpern.

Gleich bei Kriegsbeginn äußerten sich offizielle Sprecher der drei Regierungen, die in dieser Sache am meisten beteiligt waren (Amerika, Großbritannien und Kanada), in aller Öffentlichkeit, daß der kommunistische Angreifer, den man bestrafen wollte, mit Gebietsabtretungen und öffentlicher Anerkennung belohnt werden muß! Den Soldaten schien das nicht ungewöhnlich, und die Bewohner in der Heimat blieben ebenfalls vollkommen gleichgültig. Diese neue Haltung mag vielleicht gut sein, aber ich kann mich nicht erinnern, in der Geschichte jemals auf etwas Ähnliches gestoßen zu sein. Bei Beginn des koreanischen Ausflugs erklärten amerikanische, britische und kanadische Minister öffentlich, daß das kommunistische China (welches sich bald an der Aggression beteiligen sollte) die Insel Formosa erhalten und Seite an Seite mit andern kommunistischen Schattenregierungen in den Vereinigten Nationen sitzen soll!

Das heißt, daß gleich bei Beginn des koreanischen Krieges öffentlich die Absicht verkündet wurde, den chinesischen antikommunistischen Führer Tschiang‑Kai‑Schek im Stiche zu lassen, genau wie man vorher General Mihailowitsch, die legalen Regierungen Polens und der baltischen Staaten, Otto Strasser und die antinazistischen und antikommunistischen deutschen Führer im Stiche gelassen hatte. Kann es ein deutlicheres Anzeichen geben, daß die Einflüsse, welche Präsident Roosevelt irreführten, noch heute in den Hauptstädten des Westens sehr stark sind?

Tschiang‑Kai‑Schek hielt diese letzte Insel, Formosa, mit recht bedeutenden antikommunistischen chinesischen Armeen besetzt. Inseln sind schwer zu erobern. Hier kam mitten aus den Stützpunkten des antikommunistischen Feldzuges ganz offen der Vorschlag, daß man den chinesischen Kommunisten die Mühe der Eroberung Formosas und Tschiang‑Kai‑Scheks eigentlich ersparen könne, indem man ihn zugunsten seiner Feinde aus den Vereinigten Nationen ausstoße und dafür die Kommunisten als Mitglieder einführe.

Doch nicht genug! Die amerikanische siebente Flotte wurde nach Formosa befohlen mit dem Auftrag, den antikommunistischen Führer dort in Schach zu halten und ihn daran zu hindern, seine kommunistischen Gegner auf dem chinesischen Festland anzugreifen. Ich wiederhole: Einen solchen Krieg hat es noch nie in der Geschichte gegeben, besonders was die stillschweigende Hinnahme solcher erstaunlichen Dinge von seiten des Publikums anbetrifft. Früher gab es einmal etwas, was sich öffentliche Meinung nannte. Ich weiß das, weil ich diesem Phänomen zu Lebzeiten begegnet bin. Auch sie scheint ein weiteres Opfer unserer Zeiten geworden zu sein.

Die Entlassung des amerikanischen Oberbefehlshabers konnte fast mit Sicherheit von Anfang an vorausgesagt werden, denn er gehörte zum Typus der Generale, die an einen militärischen Sieg und einen anschließenden politischen Sieg glauben. Seine Ausschaltung gehörte zu den oft ausgesprochenen kommunistischen Zielen der letzten sechs Jahre. So endet der koreanische Krieg mit einem sehr großen kommunistischen Erfolg.  . . .

. . . Sollte das Endergebnis des koreanischen Zwischenaktes eine weitere Ausdehnung der kommunistischen Herrschaft und die Aufnahme des Angreifers in den New Yorker‑Klub sein, dann muß man schließen, daß das Unternehmen in Korea von Anfang an ein Schwindel war.

Welche Glanzleistung für die Organisation, die zum Zweck der Befriedung der Welt Souveränitätsrechte über alle Völker beansprucht: Teilung in Europa, in Palästina und in Korea! Lassen sich drei Beschlüsse denken, die geeigneter sind, Krieg und Elend hervorzurufen? Kann irgend jemand nach einem solchen Anfang glauben, daß die Mächte, welche diese Organisation beherrschen, wirklich den Frieden in der Welt herbeiwünschen?

Vor fünfunddreißig Jahren, 1917, äußerten alle klugen und bedächtigen Menschen, Juden und Heiden gleicherweise, die ernstesten Warnungen gegenüber dem schattenhaften Plan, einen zionistischen Staat in Arabien zu gründen. Es war alles umsonst und während der letzten drei Jahrzehnte fielen die Politiker des Westens wie besessen übereinander her, um diesen ehrgeizigen Traum zu verwirklichen.

Jetzt können wir das Resultat deutlich sehen. Der mittlere Osten wurde wenn möglich zu einem noch gefährlicheren Explosionsherd als Europa. Die Araber haben sich in ihrem Haß gegen Amerika und England geeinigt, die den Vorwand eines zweiten Weltkrieges benutzten, um sich in die Angelegenheiten ihrer harmlosen Länder einzumischen und mit britischen und amerikanischen Waffen und Geldern die Gründung einer zionistischen Kolonie von Osteuropäern zu erzwingen. Sie fragen sich, ob das wohl die Meinung der großen amerikanischen Republik ist, wenn sie mit lauter Stimme gegen den «Kolonialismus» und «Imperialismus» wettert. Haben sie von England wirklich nichts Besseres verdient? Niemals werden sie sich mit dieser phantastischen Tat befreunden oder gar sich mit ihr einverstanden erklären können.

Falls der Sowjetstaat den Mittleren Osten für seine nächsten Expansionsgelüste wählen sollte und im Anfangsstadium den Arabern eine Freundschaftserklärung abgibt, dann sind die Folgen unabsehbar. Manchmal habe ich den Eindruck, als ob jeder wichtige Entschluß der westlichen Politiker in den letzten dreißig Jahren, aus Blindheit oder Unvermögen, dahin gezielt hätte, um die Jahrhundertmitte eine für die westliche Welt unlösbare Situation herbeizuführen. Sogar Churchill, der, falls er dazu in der Lage gewesen wäre, die Zweiteilung Europas verhindert hätte, fügte sich in seiner Nah‑Ost‑Politik dem zionistischen Nationalismus, diesem Licht der Strandräuber.

Das Ende von all dem ist noch nicht abzusehen. Noch müssen wir auf dem falschen Wege vorwärtssehreiten, bis die Völker endlich merken, wie sie betrogen worden sind, und sich aus ihrer Mitte neue Männer suchen, die zu den alten Grundsätzen des nationalen Interesses, der Loyalität und der Wahrheit zurückkehren. Noch sind die Tage «des großen Betruges an den Völkern» nicht gezählt.

Ich habe dieses Vorwort zur deutschen Ausgabe mit dem Bild Europas vor Augen geschrieben. Noch immer hoffe ich, meine Tage dort beschließen zu dürfen! In Zürich, wo dieses Buch verlegt wird, habe ich nach dem Einmarsch in Österreich glückliche Tage verlebt. Österreich, welch herrliches Land! Und wie sehr sehne ich mich danach, eines Tages wieder in seinen Seen zu schwimmen, seine Berge zu besteigen, durch die Straßen von Linz, Graz und Innsbruck zu schlendern und meine Nächte in freundlichen Gasthäusern am Wege zu verbringen! Das Südtirol, Bratislawa, Prag, Brünn, Pilsen: Sie alle will ich wiedersehen und ich hoffe, daß die Zeiten es mir noch erlauben werden.

Und Deutschland! Als ich Deutschland zum letzten Male sah, im Jahre 1939, da verreiste ich mit Gefühlen des tiefsten Bedauerns und der trübsten Vorahnungen. Ich fürchtete und haßte den Nationalsozialismus, der mir eine üble Sache zu sein schien, aber die Deutschen bewunderte ich und Deutschland war ein herrliches Land. Ich empfand die Bombardierung von Dresden, Hamburg und Köln als körperlichen Schmerz, genau wie die Zerstörung meines eigenen Coventry und Canterbury, denn diese Kulturstätten gehörten zum ewigen Deutschland, dem ich große Bewunderung und tiefen Dank schuldete. Wie glücklich wäre ich, dürfte ich wieder durch die dunklen Wälder Thüringens streifen und in meinen geliebten Mecklenburgerseen schwimmen, dürfte ich wieder eine Rheinfahrt genießen oder Kaffee an der Binnenalster trinken, dürfte ich nochmals durch das alte Städtchen Rothenburg wandern oder eine Segelfahrt bei Swinemünde genießen.
Unsere Tage haben es mit uns, die wir alle Länder Europas liebten, nicht gut gemeint. Aber, wie dem auch sei: Morgen ist auch ein Tag!

 

Wien 1938

Beim Erscheinen dieses Buches werden genau zehn Jahre seit der Veröffentlichung von «Der Jahrmarkt des Wahnsinns» vergangen sein. Hier ist die Fortsetzung. Die Ereignisse, die sich inzwischen abgespielt haben, mögen jetzt mit den Vorhersagen und Warnungen verglichen werden, die im «Jahrmarkt» zu lesen waren. Ist das geschehen, dann mag man die Aussichten für die nächsten zehn Jahre, 1948‑1958, abschätzen.
Hat die vergiftete Atmosphäre des 20. Jahrhunderts sich nun gereinigt?
Meiner Ansicht nach ist die Antwort einfach: nein! Der große Ausscheidungskampf zwischen Freiheit und Sklaverei geht weiter.

Aus dem Rauch der dreißiger Jahre sind wir eben erst durch die Feuerprobe der vierziger in den erstickenden Qualm geraten, mit dem die fünfziger Jahre auf uns warten. Die militärischen Siege des Zweiten Weltkrieges haben sich in Wahrheit gegen den hohen Einsatz gerichtet, um dessentwillen dieser Krieg begonnen worden war: die Freiheit. Der Zweite Weltkrieg hat uns große Generäle beschert, aber keine Staatsmänner, sondern nur Politiker, und die Handlungsweise dieser Politiker wurde noch stärker als während des Ersten Weltkrieges und der Jahre, die auf ihn folgten, durch überall wirksame geheime Kreise irregeleitet, die gegenüber der Freiheit und der nationalen Eigenständigkeit feindlich eingestellt waren.

Wenn ich auf den Mann zurückblicke, der vor zehn Jahren in Wien «Jahrmarkt des Wahnsinns» schrieb, bemerke ich gewisse Veränderungen bei mir selbst. Damals geisterte noch die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und sein unermeßliches Blutbad in mir, und die quälende Vorahnung von einem neuen Gemetzel veranlaßte mich jene Warnung zu schreiben: Haß und Abscheu vor den Tyranneien, die ich in Europa sich erheben sah, waren, glaube ich, sekundäre Empfindungen gegenüber dieser alles überwältigenden Besorgnis. Menschenleben können vernichtet werden ‑ das Leben selber kann nicht vernichtet werden, denn es erneuert sich ewig. Ruinen sind relativ unwichtig, denn Menschenhände können immer wieder aufs neue errichten, was Menschenhände zerstört haben. Jetzt scheint mir die Vernichtung der geistigen Werte das Wichtigste zu sein, was aufgehalten werden muß.

Was ich unter geistigen Werten vor allem verstehe, sind Religion, Patriotismus, Freiheit, Menschenwürde und Ehre. Der Prozeß der Vernichtung dieser Werte begann in den dreißiger Jahren und wurde durch den Zweiten Weltkrieg beschleunigt und erweitert. Sollte er noch weiter andauern, dann scheint mir das sogar eine noch furchtbarere Zukunftsaussicht zu sein als ein «Dritter Weltkrieg», von dem ich weit und breit reden höre. Die furchtbarste aller Zukunftsaussichten aber ist, daß solch ein dritter Krieg, wie schon der zweite, im Namen der Freiheit angefangen werden könnte, um dann während seines Verlaufs ganz heimlich in einen Krieg zur endgültigen Ausrottung der Freiheit verwandelt zu werden. Ganz offensichtlich ist der Ablauf dieser Kriege des 20. Jahrhunderts unter die Kontrolle außenstehender Mächte geraten, so daß solche Verwandlungen möglich sind. Wir haben dieses Kunststück jetzt schon zum zweiten Male erlebt.

Wenige Tage bevor «Der Jahrmarkt des Wahnsinns» erschien, wurden die darin ausgesprochenen Warnungen jählings durch den Einmarsch der Deutschen in Österreich gerechtfertigt, ‑ ein Ereignis, an das zu glauben die öffentliche Meinung in den dreißiger Jahren sich solange weigerte, bis es eingetroffen war. Meine Glaubwürdigkeit wurde durch dieses Ereignis vermehrt, weil ich es als ganz klar und selbstverständlich vorausgesehen hatte. Und dann begann der Zweite Weltkrieg . . .

Heute, zehn Jahre später, da ich diese Fortsetzung schreibe, ist mir immer noch jene lärmende, angsterfüllte Nacht in Wien in Erinnerung. Ich hatte damals auch einen Abschiedsbesuch bei einem biederen Altpapierhändler zu machen, der mich von den Stapeln gilbender alter Zeitungen befreite, die meine Wohnung verbarrikadierten. Er bewohnte drei große Kellerräume unter einem alten Hause in der Nähe des Stephansdomes. Unterirdische Gänge führten aus ihnen in die Katakomben der Altstadt. Dort unten in der Dunkelheit lebte er, zwischen Bergen von Säcken und Papier.

Dort unten war der Lärm des tobenden Pöbels über unseren Köpfen gedämpft: eine weit entfernte, unheilverkündende Kakophonie, das Leitmotiv des von Wahnsinn erfüllten 20. Jahrhunderts. Dieser Altpapierhändler war ein zivilisierter Mann, und deshalb war ich zu ihm gegangen, um ihm auf Wiedersehen zu sagen. Er nickte zu dem gedämpften Lärm, der von oben her zu hören war. «Hören Sie nur», meinte er, «heute Nazis, morgen Kommunisten ‑ und allezeit Idioten».

Hätte es mehr von seiner Art gegeben, dann wären die Marats und Lenins und Hitlers auf keinen grünen Zweig gekommen. Ich schüttelte ihm die Hand und machte mich auf den Heimweg durch die Kärntnerstraße. Diese halbe Meile Wegs zwischen dem Stephansdom und dem Ring schien mir die Hauptstraße des zivilisierten Europas zu sein, das damals von der Zerstörung bedroht war (und heute beinahe völlig vernichtet ist). Nicht einmal Rom oder London haben in den zweitausend Jahren unserer Geschichte eine solch schier endlose Folge von Einfällen, Belagerungen, Schlachten, Eroberungen, Niederlagen, Tyrannei, Befreiung, Wiederaufbau und christlicher Entwicklung, in der unsere, allen gemeinsame Geschichte liegt, erlebt, wie die Kärntnerstraße in Wien.

In jener Nacht beherrschten Stimme, Antlitz und Lärm des Pöbels die Hauptstraße ‑ Europa ‑, die ebenso geradewegs nach London wie nach Wiener Neustadt führt. Wie leicht der Pöbel den Leichenfledderern ihre Arbeit gemacht hat! Das Gesicht dieses Pöbels widert mich an. . . .  In diesen zehn Jahren habe ich das Gesicht des Pöbels näher gesehen, als mir lieb ist.  . . .   

ERSTES BUCH

Rauch 1933 ‑ 1939

Mit einem verurteilten Mann zu Tisch
Es war erst gestern, und doch war es am andern Ende der Zeit. Es war vor zehn Jahren. Ich wußte nicht, warum mein Gastgeber mit mir essen wollte. Ein oder zwei Jahre später sollte sein Name überall berühmt oder berüchtigt sein, aber damals war er offensichtlich nur ein Anwalt, politisch nicht aktiv und der Öffentlichkeit unbekannt. Ich hatte nie von ihm gehört. Irgend ein gemeinsamer Bekannter hatte unsere Begegnung vermittelt. «Ein interessanter Mann», hatte er zu mir gesagt, «ein Freund des Bundeskanzlers, in dessen Batterie er während des Krieges gedient hat. Er ist kein Nazi, aber er ist der Ansicht, Österreich müßte mit Deutschland irgendwie zu einer Übereinkunft gelangen. Sie sollten ihn mal treffen!»

Ich betrachtete ihn über das Glas hinweg. Höflich, gefällig, humorvoll. Das war das angenehme österreichische Erbe. Groß, gut gewachsen und gut aussehend bis auf den prüfenden Blick seiner Augen, welche durch die dicklinsigen Brillengläser vergrößert erschienen. Sein steifes Bein, nahm ich an, rührte von einer Kriegsverletzung her. Was wollte er von einem englischen Zeitungskorrespondenten? Wollte er mich ausholen, oder wollte er mir Informationen geben? War er wirklich nur ein besorgter Patriot, oder war er vielleicht ein politischer Intrigant? Er lüftete die Maske nicht. Vielleicht sah er selber die Zukunft nicht klar und die Rolle, die er darin spielen sollte, voraus. Aber er wußte, was ich nicht erraten konnte: daß er ein Verschwörer zwischen Pulverfässern war, nur konnte er ‑ ebenso wenig wie ich ‑ voraussehen, daß sein Leben in der Schlinge enden würde.

Hinter ihm stiegen die Weinberge von Wien, Zeugen vergangener glücklicher Zeiten, wie eine Mauer an. Er sprach mit lächelnder Geschwätzigkeit über Hitler und die Nazis: «Wenn alle so wären wie Sie und ich, Herr Reed», bedeutete er mir, «kämen die Dinge bald in Ordnung. Die Deutschen? Ach, das sind schwerfällige Leute, man kennt ja ihre aufreizende Art, net wahr?» Aber sie waren nun einmal ein Faktor geworden, mit dem man rechnen mußte, und Österreich konnte nicht den David spielen, wenn selbst Frankreich und England sich hüteten, wider den Goliath aufzutreten. Deutschland hatte das Recht und die Macht, einen gesicherten Platz in Europa für sich zu verlangen, und gutnachbarliche Beziehungen mit den Völkern, die es umgaben. Die Großmächte konnten nun mal von den kleinen Staaten nicht erwarten, daß sie die Rolle von Wachtposten gegen das Reich übernahmen. Aber es könne nicht die Rede davon sein, daß Deutschland Österreich und die Tschechoslowakei schlucke. Die mußten unabhängig bleiben.

So sprach die angenehme, verständige Stimme, die dann nur wenige Wochen später «Einverstanden!» sagen sollte, als die Deutschen ihn aufforderten, die Macht zu übernehmen und die Deutschen zum Einmarsch in Österreich einzuladen. Jäh sich demaskierend sollte da dieser heute unbekannte Mann auf dem Balkon des historischen Bundeskanzler‑Palais erscheinen und lächelnd auf den heulenden Pöbel hinunterblicken, während der Bundeskanzler, sein Freund, ins Gefängnis geworfen wurde. Nicht viel später, und der Zweite Weltkrieg kam, und wie einer von Napoleons Marschällen sollte er Herrscher über ein kleines Reich, die Niederlande, werden. Und nicht lange danach: Nürnberg und der Galgen  . . .

Dieser Mann scheint mir, wenn ich nun Rückschau halte, ungeheuer interessant zu sein. In seiner Person und seiner Karriere kann man den Verlauf der Krankheit, welche ganz Europa jetzt wie eine Seuche verheert und den ganzen christlichen Kontinent einem Ende entgegenzuführen vermag ganz deutlich verfolgen. Er war ein Mann aus dem Geschlecht der Verräter, und als ich ihm begegnete, schien das ausgestorben zu sein. Der zivilisierte Mensch hatte sich daran gewöhnt, Verrat als ein Verbrechen zu betrachten, das noch schlimmer als der Mord und ebenso selten ist. Vor zehn Jahren war es tatsächlich nicht nur etwas Abscheuliches, sondern etwas beinahe Unvorstellbares. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich in meiner Ungläubigkeit förmlich einen Schock empfand, als ich ihn da oben auf dem Balkon des Bundeskanzler‑Palais postiert sah. Jetzt weiß ich, daß viele von den Menschen, die ich in jenen Tagen traf, Verräter waren, und daß viele von ihnen diesen Mann nur verurteilten, weil sein Verrat einer anderen fremden Sache diente als der ihrigen. «Kommunismus» oder «Faschismus» worin besteht der Unterschied, für einen Patrioten?

Eine alles verfälschende Ehrlosigkeit ist das Kennzeichen unseres Jahrhunderts und besonders der letzten zehn Jahre. Die öffentliche bedenkenlose Anerkennung des kommunistischen Verräters gleich nach der Aburteilung des nazistischen in Ländern, die im Zweiten Weltkrieg mitkämpften, ist ihr abstoßendster Zug. Sie ist die schlimmste aller Veränderungen, welche der Krieg und die vergangenen zehn Jahre gebracht haben. Der Verrat als Berufung kann jetzt als die Krankheit des 20. Jahrhunderts betrachtet werden.

Ich fuhr meinen neuen Bekannten in jener Nacht in meinem unvergeßlichen «Little Rocket» nach Hause. Er wohnte in einem angenehmen Vorort, einer Gegend wie etwa Wimbledon, in der solide, dauerhafte Villen und gutgepflegte Gärten von den guten Zeiten zeugten. Ich sah ihm nach, wie er mühsam die Stufen zu seiner Haustür hinaufstieg.  . . .  Meine eigene Zukunft lag dunkel vor mir. Ich war dabei, ein Buch zu schreiben, das mir, meiner Vermutung nach, meine Stellung kostete. Ich wußte, daß ein neuer Krieg mich bald aus Europa vertreiben würde, das ich doch so sehr liebte.
«Seyß‑Inquart» … rätselte ich, als ich davonfuhr, «ein seltsamer Name. Ich möchte doch wissen, warum er mit mir sprechen wollte?»

Ein Priester mit feinen Händen
Ereignisse und Menschen, deren Umrisse in den rauchigen dreißiger Jahren ganz klar waren, nehmen sich jetzt, zehn Jahre später, doch ganz anders aus. Dieser angenehme Bursche zum Beispiel, dem du keinerlei Treulosigkeit zutrautest, hat sich als ein Verräter erwiesen; und jener unangenehme Mensch da, dem du nicht trauen wolltest, ist es nicht gewesen.  . . .

Man nehme nur einmal diesen Priester, den ich vor zehn Jahren in einer auf vielen Felsbuckeln erbauten alten Stadt, steil über der Donau, traf. Rechteckig mitten zwischen ihre sich windenden Straßen und alten Häuser gepflanzt, stand da das typische Hotel der zwanziger Jahre, und in dessen großem Speisesaal saß er, um sich herum ehrfurchtsvoll lauseliende Zuhörer, denn er war der große Mann am Platze. Er hatte einen Kugelschädel, Bürstenhaar, einen Stiernacken und einen stattlichen Wanst. Ganz instinktiv erwachte ein Antagonismus gegenüber politisierenden Priestern in mir.  . . .

Vor mehr als zweihundert Jahren schrieb ein gewisser Jean Messelier in seinem Testament: «Das wird mein letzter und innigster aller meiner Wünsche sein: Ich möchte den letzten der Könige mit den Eingeweiden des letzten der Priester erdrosselt sehen». Voltaire griff diese Worte des Unverstands auf und veröffentlichte sie, vermutlich zum Spott; denn Voltaire war intelligent genug, um vorauszusehen, daß der gemeine Mann schlimmer als Priester und Könige sein würde.  . . .
. . . Würde dieser politisierende Priester gemeinsame Sache mit ihnen machen, fragte ich mich. Er besaß feine Hände, und das rief eine andere Erinnerung in mir wach: «der kunstliebende, feinhändige Priester … »

Ich sehe heute klarer als damals im Rauch. Dieser Mann, um dessen Hals sich ebenfalls die Schlinge schließen sollte, war verschieden von Seyß‑Inquart, ja das genaue Gegenteil. Er hat niemals eine falsche Ergebenheit vorgetäuscht. Er bekannte sich als Christ und slowakischer Patriot, und er starb dafür.

Die Slowakei! . . .  Die Slowaken sind ein Bauernvolk; kein Volk, das seit Jahrhunderten unterjocht wird, vermag eine herrschende Klasse aus sich selbst zu bilden. Da sie keine Ritterschaft besitzen, müssen sie sich nach Führern unter der einzigen gebildeten Schicht umsehen, der Priesterschaft, die sich für gewöhnlich aus Bauernsöhnen rekrutiert.

Daher das Auftauchen dieses Vaters Tiso als Führer der Slowaken, als der zweite Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts sich näherte. Ich hatte ihn im Verdacht, daß er persönliche Beziehungen mit Hitler unterhielt, und ich täuschte mich nicht. Er mag in jener Nacht die Vertragsurkunde in der Tasche gehabt haben. In den dreißiger Jahren hielt ich es für eine wahnwitzige Sache, dergleichen zu tun; in den vierziger Jahren wurde er dafür gehängt, aber wenn ich heute zurückschaue, ist seine Hinrichtung für mich unendlich viel böser. Tatsächlich, seine Gestalt nimmt für mich die Umrisse eines christlichen Märtyrers an.

Wäre es uns gegeben, das Ende derer vorauszusehen, mit denen wir zusammen an einem Tische essen, dann gäbe es eine ganze Menge grausiger Feste. Die reptilienhafte Ehrlosigkeit unseres Jahrhunderts hat ihre schleimige Spur in dem Gerichtsverfahren gegen diesen Mann und in seiner Hinrichtung hinterlassen. Sein Verbrechen bestand darin, daß er einen Vertrag mit Hitler unterzeichnet hatte! Käme es darauf an, wäre beinahe jeder europäische Politiker schuldig zu sprechen. (Das sah ich vor zehn Jahren noch nicht voraus.) Der Präsident der Tschechoslowakei selbst unterwarf sich Hitler, unter dem Druck der Ministerpräsidenten von Großbritannien, Frankreich und Italien, die von allen ihren politischen Parteien unterstützt wurden. Diese Handlungsweise (das Abkommen von München) machte den Weg frei für den Zweiten Weltkrieg, der dann wirklich durch einen Bündnisvertrag zwischen Hitler und dem Sowjetdiktator eröffnet wurde.

Aber den Priester‑Präsidenten der winzigen Slowakei, der unter der Übermacht dieser furchtbaren Kräfte einen Vertrag mit Hitler abschloß, den hängte man! Das Todesurteil war vom Präsidenten der Tschechoslowakei selbst unterzeichnet. Wie doch die Umrisse der Menschen sich verändert haben, wenn ich nun aus den vierziger Jahren auf die dreißiger zurückschaue! Ich habe diesen Präsidenten Benesch für den hervorragendsten Kämpfer für Freiheit und Recht gehalten. Ein Arbeitsmensch, kunstfertig, bürgerlich ‑ ich sah in ihm den gemeinen Mann schlechthin, der zuletzt triumphierte, einen Streiter für die Befreiung von der Fremdherrschaft, schon vor 1914, der endlich den Lohn für seinen und seines Volkes langen Kampf geerntet hatte.

Ich habe in meinen Aufzeichnungen nachgesehen, was er mir in den dreißiger Jahren über Deutschland gesagt hat. Da heißt es im Januar 1937: «Wenn ich sicher wäre, daß England und Frankreich ihre Bündnisverpflichtungen nicht halten, würde ich sofort eine Verständigung mit Deutschland suchen» . . . Und im Dezember 1937: «Wenn Sie der Ansicht sind, wir seien ohne Nutzen, indem wir diese außerordentlich wichtige geographische Position in Zentraleuropa behaupten, von welcher der ganze Frieden in Europa abhängt, dann bedeutet das, daß es schlußendlich in unserem Interesse liegt, mit Deutschland zu einer Verständigung zu gelangen und bei allen Eroberungen Deutschlands mit dabei zu sein.»

So Präsident Benesch, dessen Land dann in der Folge wirklich «gezwungen war, mit Deutschland zu gehen». Zehn Jahre später bestätigte er das Todesurteil über Präsident Tiso, der sich in genau demselben Dilemma befunden hatte. Heute ist sein Land gezwungen, mit Rußland zu gehen, und die Hinrichtung Tisos erweist sich als ein Akt sowjetischer Politik. Vor dreißig Jahren mühte man sich, der Welt, in der «das Denken es so macht», beizubringen, die österreichischen Herrscher seien Tyrannen. Unter ihrer Herrschaft aber stand es Männern wie Masaryk und Benesch frei, für die Freiheit zu kämpfen. Dreißig Jahre später war alles, was die tschechischen Patrioten auf dem Altar der Dankbarkeit opfern konnten: die Hinrichtung eines slowakischen Patrioten.

Der beleibte Vater Tiso nimmt sich jetzt für mich ganz anders aus. Das Bild der Menschen wird häufig von seinem Hintergrund bestimmt, und Vater Tisos Bild ersteht auf dem Hintergrund eines unmenschlichen Martyriums für seinen Glauben und seine Vaterlandsliebe. Es wird verdunkelt von dem Firnis finsterster Heuchelei in der Beschuldigung: daß er ‑ wie sein Henker auch ‑ mit Hitler zusammengearbeitet habe. Seine letzte Botschaft, vom Schafott herab, an die Slowaken, war leuchtende Wahrheit in der einsinkenden Nacht: «Seid allezeit einig im Dienste an Gott und dem Vaterland, dies ist nach Gottes ausdrücklichem Gebot das Gesetz der Natur, dem ich mein ganzes Leben lang gedient habe. Ich betrachte mich als einen Märtyrer in der Verteidigung des Christentums gegen den Bolschewismus und ermahne euch, allzeit im Glauben und in der Ergebenheit an die Kirche Christi zu bleiben.»

In jener Nacht, als ich ihn verließ, schenkte ich ihm wenig Gedanken mehr, denn die Slowakei und er selber schienen mir nur winzige Steine in dem großen Spiel zu sein. Auf den Straßen trampelten Nazi‑Sturmabteilungen einher, die sich jetzt kaum noch Mühe gaben, ihre Ergebenheit zu verbergen. Der Krieg stand nahe bevor.  . . .

III. Die einsamen Könige
Zwei Männer aus den rauchigen dreißiger Jahren, die ich im «Jahrmarkt des Wahnsinns» geschildert habe, stehen für mich auch jetzt, dreizehn Jahre später, völlig unverändert da: König Boris von Bulgarien und König Georg von Griechenland. Ihre Haltung und ihr Ende in den vierziger Jahren waren, wie ich es vorausgesehen hatte. Die Flammen haben sie verzehrt, aber ihre Motive und ihre Treue blieben bis zuletzt unanfechtbar.

Könige stehen meiner Erfahrung nach streng abgesondert von allen anderen Männern der Politik. Sie sind Professionelle in einer berufsmäßigen Berufung. Der Staatsmann von Beruf, der Edelmann, der Geistliche oder der Gelehrte, der sein Leben dem Dienst an den öffentlichen Angelegenheiten weihte, ist ausgestorben. Sein Nachfolger, der Politiker des 20. Jahrhunderts, von dem ich eine Unzahl kennen gelernt habe, erscheint mir als ein Amateur. Seinem Herkommen nach ist er stets etwas anderes: ein Jurist, der Sohn eines Bauern, ein Journalist, ein Gewerkschaftssekretär, ein Professor, ein Künstler; er sieht in der Politik den Weg zu materiellem Gewinn, oder er tritt in die Politik ein, um sein Land vorwärtszubringen oder es zu ruinieren. In diesem Jahrhundert der großen Maskerade werden seine wahren Beweggründe zumeist erst im Augenblick der Demaskierung deutlich, wenn ein Verräter zum Vorschein kommt. Er ist bisweilen der Agent oder der Strohmann halbverborgener Gruppen. Sein Name ist so kurzlebig wie der Schnee; wo sind die Politiker vom vergangenen Jahr? Seine Nachkommenschaft taucht abermals in der Masse unter.

Wenn ich einem König gegenübertrat, empfand ich den Respekt, den ich gegenüber einem Chirurgen im Operationssaal empfinde, oder den ich fühlen würde, wenn ich im Maschinenraum eines Schiffes mit Kiplings altem McAndrew zusammen wäre, der hier «allein mit Gott und diesen meinen Maschinen» lebte. Solche Menschen sind technische Spezialisten; sie stehen tatsächlich abseits von allen Parteien. Sie sind wirklich, was sie scheinen. Frostige Einsamkeit umgab sie wie den Frontsoldaten im Kriege.

Balkan‑Könige sind Könige der vordersten Front. Vor hundert Jahren, als die Türken nach fünf Jahrhunderten nach Kleinasien zurückwichen, schien Europa endlich für die Christenheit und die kleinen Völker gesichert zu sein. Alle Völker des Balkans wählten sich Könige, und die meisten wählten germanische. Deutschland schuf irgendwie Männer, die sich auf das Königtum verstanden, und auch diese Insel ist gut genug gefahren, als sie eine gleiche Wahl traf. Aber nach den Türken fielen Österreich, Deutschland und heute das kommunistische Weltreich über die Balkan‑Königreiche her. Das Rußland der Zaren war ihr Freund; der kommunistische Herrscher aber wandelte sie abermals zu den finsteren Schlachthäusern, die sie unter den Sultanen gewesen waren. Hundert Jahre früher hatten die Christen unterirdische Kirchen bauen müssen, um ihren Glauben am Leben zu halten; solch eine Kirche stand König Boris’ Palast in Sofia gegenüber. Die Worte «Widerstand» und «Untergrund» wurden hier geboren; es waren christliche und patriotische, nicht antichristliche und verräterische Worte. Auch dieser Kampf war ein Kampf von ganz Europa. Der Bewohner der britischen Insel wird das nie einsehen, aber der Balkan ist seine Front. Bulgarien und Griechenland sind unerbittlich seine Sache.

König Boris war das völlig klar. Das Frösteln, das ihn umgab, war fühlbar, und ich fragte mich, warum ein Mensch, der sich doch so leicht in Sicherheit und Bequemlichkeit hätte zurückziehen können, auf diesem belagerten Vorposten aushalten wollte. Ich meinte damals ‑ und jetzt ist es mir zu völliger Gewißheit geworden ‑, daß es die Hingabe des Spezialisten an seinen Beruf war, was ihn und seine Bruder‑Könige auf dem Posten ausharren ließ. Es muß das gewesen sein, denn die beiden Gestalten hinter seinem Stuhl waren ‑ obschon sie nur schattenhaft hervortraten ‑ doch ganz klar sichtbar für mich. Im «Jahrmarkt des Wahnsinns» schrieb ich: «Er hat zwanzig Jahre damit verbracht, gegen die beiden Feinde eines jeden Balkan‑Monarchen zu kämpfen: Abdankung und Meuchelmord … Der Gedanke an den Meuchelmord begleitet ihn, wo er geht und steht … Er sieht ihm ins Gesicht.»

Er sprach viel vom Meuchelmord, von dessen Methoden und von seinen Gegenmaßnahmen. Er sprach darüber, wie ein Spezialist in aller Ruhe Berufsprobleme erörtert. Er war ein Familienvater mit kleinen Kindern. Seine Bulgaren liebten ihn, von ihnen hatte er nichts zu befürchten. Wessen Hand würde es also sein, die eines Russen, eines Deutschen, ‑ wessen? Ich versuchte, ihn auszuforschen, und fand in ihm den ersten Mann in so hoher Stellung, der von anderen Mächten als diesen sprach, von geheimen, übernationalen Kräften. Er wies auf den Mord an seinem Nachbarn, König Alexander von Jugoslawien, hin. Ein mazedonischer Mörder, kroatische Helfershelfer, eine Mörderschule in Ungarn, italienisches Geld und Mitwisserschaft, ein Mord in Marseille und die verantwortungslose Lässigkeit französischer Polizeibeamter, englischer und französischer Druck im Völkerbund, die Nachforschungen einzustellen . . .

Er lächelte. «Wer also war der Schuldige?» fragte er mich. «Übrigens, ich habe Alexander gewarnt. Nein, Mister Reed, es gibt Mächte in der Welt, die keinen Frieden und keine Ordnung auf dem Balkan wollen, wo die Zukunft von Europa entschieden wird. Aber Sie können kein Land mit ihnen behaften. Es sind internationale Gruppen, übernationale, besser gesagt . . .»

Ich wünschte, ich könnte diese Dinge jetzt mit ihm diskutieren, im Lichte all dessen, was in den vierziger Jahren geschehen ist. Durch ein erstaunliches Zusammentreffen erzählte er mir, auf welche Art und Weise er selber getötet werden würde. Er sprach von einem Anschlag auf sein Leben, dem er durch eine vorherige Warnung entgangen war; das Ganze hatte sich in Varna abgespielt. Sein Englisch war mangelhaft. «Sie wollten mich mit einem Flugzeug befördern», erzählte er und machte mit den Händen eine Bewegung nach oben. Ich begriff nicht, was er meinte. «In einem Flugzeug?» fragte ich. «Ja, sie wollten mich in die Luft jagen», erklärte er und wiederholte die Geste. «Oh, ich verstehe«, sagte ich.
In den vierziger Jahren nun wurde er tatsächlich mit dem Flugzeug befördert, ‑ mit einer Sauerstoff‑Maske, so hieß es, die für seine Erstickung eingerichtet war. Sein Bruder Kyrill hat darüber bei seinem eigenen Prozeß berichtet. Kyrill wurde erschossen oder gehängt, aus welchem vorgegebenen Grunde, habe ich vergessen. Die Hand, die ihn tötete, war die des kommunistischen Herrschers. Und doch glaube ich, daß Boris – könnte er sprechen ‑ lächelnd bestreiten würde, sein eigener Tod habe seinen Grund dort. «Es gibt übernationale Mächte», glaube ich, würde er sagen, «die keinen Frieden und keine Ordnung hier auf dem Balkan wollen, wo über die Zukunft von Europa entschieden wird.»

Ich mußte an seine Worte denken, als Peter von Jugoslawien, nachdem er vor dem Rachen des deutschen Eindringlings durch Akklamation zum König gewählt worden war, von Großbritannien und den Vereinigten Staaten entthront und ein kommunistischer Diktator an seine Stelle gesetzt wurde. Als das geschah, erkannte ich zum erstenmal, daß der zweite Krieg des 20. Jahrhunderts verloren war, bevor er gewonnen wurde. Und wieder, glaube ich, würde Boris, wenn man dieses Ereignis mit ihm besprochen hätte, auf das finstere Bündnis von Kräften in vielen Ländern zur Zeit, da König Alexander ermordet wurde, hingewiesen und wiederholt haben: «Es gibt übernationale Mächte, die keinen Frieden und keine Ordnung hier auf dem Balkan wollen . . . »

Er starb auf seinem Posten, genau so, wie er erwartet hatte, und er glaubte zu wissen, wer seine Feinde waren. Er liebte seine Kinder, Blumen, das Studium des Insektenlebens und seine Arbeit. Er wollte sein Königreich behalten und den Frieden bewahren, und seine Motive und seine Interessen fielen mit denen seiner Bulgaren zusammen. Deshalb werden sie auch in Zukunft wieder einen König wählen und seinen Sohn Simeon zurückrufen, wann immer man es ihnen nur erlaubt.

Georg von Griechenland, als Mensch eine ganz andere Persönlichkeit, war ebenfalls wachsam und von allem zurückgezogen und lebte in der gleichen frostigen Einsamkeit. Ich habe noch nie einen derartigen öffentlichen Freudentaumel gesehen, wie bei seiner ersten Restauration. «Ach ja, aber was bedeutet das alles schon! » sagte er hinterher zu mir, und hielt seine Fensterläden sogar tagsüber verschlossen. Ich weiß nicht, ob er die Ansichten Boris’ über übernationale Mächte, die gegen ihn arbeiteten, teilte, aber bestimmt kannte er die Gefahren, die ihn umgaben, und ich bezweifle, daß er fürchtete, einem griechischen Mörder zum Opfer zu fallen. Ein Balkan‑König braucht selten sein eigenes Volk zu fürchten.

Seine letzten Lebensjahre aber bekräftigten Boris’ Theorie, denn eine ungeheure Kampagne internationaler Feindschaft wurde gegen diesen Mann entfesselt, der der Sache der «Alliierten» so gut gedient hatte. Die Feindschaft von Seiten jener, die angeblich seine Verbündeten waren, weist hin auf das Bestehen von Mächten und Motiven hinter und über denen, welche man den Massen öffentlich bekanntgab. Sie stammte sowohl aus Großbritannien und Amerika, wie aus dem kommunistischen Rußland.

Könige, die zwei Restaurationen erleben, dürften in der Geschichte selten sein. Die beiden Restaurationen dieses Königs, davon die eine im Schatten des heraufziehenden Krieges und die andere, als der Krieg offenkundig gewonnen war, beweisen die wahren Wünsche eines Balkan‑Volkes. Sein Leben war ein Panorama im Kleinen von der ganzen Tragödie des Balkans. In seiner Jugend hörte er französische und britische Granaten im Hof des Palastes einschlagen, sah griechische Soldaten beim Sturmangriff gegen französische und britische Landungstruppen, sah, wie seine Mutter leidenschaftliche Klagen an ihren Bruder, den deutschen Kaiser, telegraphierte und wie sein Vater versuchte, einen deutschen Einmarsch in Griechenland zu verhindern. In seinen Mannesjahren befehligte er eine siegreiche griechische Armee gegen die Italiener und wurde von den Deutschen aus Griechenland vertrieben. Als er starb, wurde Griechenland von den Horden des kommunistischen Weltreiches belagert.

Obschon dreimal auf dem Thron, hatte er ihn doch nur während knapp eines Jahrzehntes inne. Er war in England zur Schule gegangen und hatte lange Zeit seines Lebens hier verbracht. Seiner Haltung und Art nach war er Engländer, und Griechenland war ein weit entferntes Königreich, dessen Thron er von Zeit zu Zeit bestieg. «Tatsächlich», sagte er zu mir, «überall hält man mich für einen englischen Agenten.» Weitere Jahre in England lagen vor ihm, in denen er dann als «Faschist» verschrien werden sollte. Ich war der Ansicht, er habe sich im Jahre 1936 geirrt, als er die Verfassung außer Kraft setzte und die Parteien aufhob, aber in dem Licht ‑ oder der Finsternis ‑ der vierziger Jahre möchte ich es nicht übernehmen, die Kritik zu wiederholen, die ich im «Jahrmarkt des Wahnsinns» vorgebracht habe. «Es bleibt so wenig Zeit», sagte er immer wieder. Wozu, sagte er nicht, aber wir wußten es beide. Der Krieg stand nahe bevor.
Er muß Wunder verrichtet haben in der kurzen Zeit, die ihm zu Gebote stand, denn bei seiner ersten Restauration fand er eine untaugliche Armee vor, und dennoch gehört der Sieg über Italien mit der einen Armee, die er geführt hat, zu den Wundern der Geschichte. Ich kann nicht annehmen, daß ihn ‑ ebensowenig wie Boris ‑ noch irgend etwas hätte überraschen können, oder daß er ‑ mehr als Talleyrand ‑ geglaubt hätte, es gäbe so etwas wie Dankbarkeit. Er war Herrscher von Beruf. Aber er muß leicht perplex gewesen sein, als er nach jenem phantastischen Sieg nach England kam und dessen Premierminister verkünden hörte, die Griechen müßten erst befragt werden, bevor er wieder den Thron besteigen könnte. Um diese Zeit legte sich der Schatten jener übernationalen Mächte über den Krieg, und die geheimen Beweggründe wurden deutlich. Jedoch die Griechen riefen ihn zurück, und die Szenen des Jahres 1935 wiederholten sich noch einmal, zehn Jahre später. Und noch einmal hatte er «so wenig Zeit». Eines Tages fand man ihn tot in seinem Palast, nachdem er (wie man sich erzählt) um ein Glas Wasser gebeten hatte. Ich glaube nicht, daß er eines natürlichen Todes gestorben ist. Die wohlorganisierte Kampagne gegen ihn, von Seiten der Zeitungen und Politiker in der ganzen Welt, ist allzu bedenklich. Die Ähnlichkeit mit dem Fall Alexanders von Jugoslawien ist in dieser Hinsicht schlagend. Doch für den Augenblick hatte er sein Königreich gerettet, sein Bruder folgte ihm nach, und der hat einen Sohn; ein weiterer Vorposten der vordersten Front wird gehalten.
Mir schien er ein ganz besonders einsamer Mensch zu sein, selbst für einen Balkan‑König. Und auch er verharrte bis ans Ende auf seinem Posten.

IV. Der Strandräuber

Vor zehn Jahren hatte ich eine andere Meinung über die Rolle eines bestimmten Mannes bei den Ereignissen unseres Jahrhunderts als die allgemein vorherrschende, und heute, dreizehn Jahre später, fühle ich mich in der Beurteilung dieses Mannes noch sicherer. Ich war damals der Ansicht, Hitler habe die Absicht, Deutschland zu zerstören. Das war die einzig plausible Erklärung für das, was er tat. Die Anklage auf das neue Verbrechen der «Genozide» (Ausrottung ganzer Völker) wurde, bei dem großen Gerichtsverfahren von Nürnberg in den vierziger Jahren gegen seine Spießgesellen erhoben und gründete sich in der Hauptsache auf die Verfolgung der Juden. Ich glaube aber, daß die Nation, die er zerstören wollte, die deutsche war.

Diesen Schlüssel zu dem Rätsel unserer Zeiten fanden einige wenige von denen, die ihm nahestanden, und diese Männer prallten vor Entsetzen zurück, als sie mit ihm Blaubarts verbotene Kammer öffneten. Der erste von ihnen war Hermann Rauschning, der noch vor Ausbruch des Krieges ins Ausland floh und versuchte, die Menschheit durch zwei Bücher aufzuklären: «Die Revolution des Nihilismus» und «Ich sprach mit Hitler» (1939). In seinen Berichten über Hitlers Äußerungen fand ich zum ersten Male meinen Verdacht bestätigt.

«Wir sind verpflichtet zur Entvölkerung, als einem Teil unserer Sendung, das deutsche Volk zu erhalten. Wir werden gezwungen sein, eine Technik der Entvölkerung zu entwickeln. Wenn Sie mich fragen, was ich unter Entvölkerung verstehe, so meine ich damit die Versetzung ganzer rassischer Einheiten. Und das ist auch, was ich durchzuführen gedenke ‑ das ist in großen Zügen meine Aufgabe. Wenn ich die Blüte des deutschen Volkes in die Hölle des Krieges schicken kann, ohne auch nur das geringste Mitleid mit dem Vergießen deutschen Blutes zu empfinden, dann habe ich bestimmt auch das Recht, Millionen einer minderwertigen Rasse zu versetzen, die sich wie Ungeziefer vermehrt.»

«Die Blüte des deutschen Volkes in die Hölle des Krieges schicken, ohne auch nur das geringste Mitleid mit dem Vergießen deutschen Blutes zu empfinden»: Seine Gedanken bewegten sich von Blut durch Blut zu Blut. Entvölkerung ist ein Gedanke, der, glaube ich, erstmals als politisches Programm während der Französischen Revolution aufkam. In Nesta Websters Buch «Die Französische Revolution» wird er als vorsätzliches Motiv hinter diesem Ereignis dargestellt.

Rauschnings Entdeckung wurde in der Folge von vielen anderen Deutschen gemacht, die versuchten, Hitler umzubringen. Wenn die Hand des Bösen auf Erden Macht hat, so mag man sie darin erkennen, wie die vielen Anschläge dieser Männer gegen das Leben Hitlers mißlangen, und in dem fürchterlichen Ende, das diese Männer auf sich nehmen mußten, angefangen mit der langsamen Strangulierung des Admirals Canaris bis zu der öffentlichen Schaustellung des Leichnams Generalfeldmarschall von Witzlebens an einem Fleischhaken. Aber wenn andererseits sich vergängliche Kräfte mit der Revolution des Nihilismus verbündet haben, so kann man auf ihre Macht aus der Tatsache schließen, daß der Deutsche, der auf dieses Geheimnis in Hitlers Werk das meiste Licht hätte werfen können, und der den Versuch machte, ihn zu töten, in Nürnberg zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt wurde!

Dieser Mann, Albert Speer, der Minister für die Rüstungsindustrie, gehörte zu Hitlers engstem Mitarbeiterstab und machte zum Schluß Rauschnings fürchterliche Entdeckung: daß Hitlers Ziel die Zerstörung Deutschlands und eine allgemeine Zerstörung war. Als er die Befehle Hitlers und Göbbels (diese beiden und Martin Bormann waren bezeichnenderweise die einzigen führenden Persönlichkeiten, die nicht in die Hände der Briten oder Amerikaner fielen) an das deutsche Volk hörte, sein eigenes Land zu zerstören und zu verwüsten, versuchte er, die Erzstrandräuber in ihrem Bunker zu vergasen. Die letzten Radiobotschaften aus diesem Bunker waren Freudenschreie nihilistischen Triumphes:

«Der Bombenterror verschont weder die Häuser der Reichen noch der Armen … die letzten Schranken der Klassen sind gefallen … unter den Trümmern unserer vernichteten Städte sind die letzten der sogenannten Errungenschaften unseres bürgerlichen Jahrhunderts endgültig begraben … die Revolution hat kein Ende; eine Revolution kann nur mißlingen, wenn die, die sie machen, aufhören, Revolutionäre zu sein … Zusammen mit den Monumenten der Kultur werden auch die letzten Hindernisse für die endgültige Durchführung unserer revolutionären Aufgabe beseitigt. Jetzt, wo alles zerstört ist, sind wir gezwungen, Europa neu aufzubauen. Die Bomben haben, anstatt alle Europäer zu töten, nur die Mauern des Gefängnisses zerbrochen, das sie gefangen hielt … Bei seinem Versuch, Europas Zukunft zu zerstören, ist dem Feinde nur gelungen, seine eigene Vergangenheit zu vernichten, und damit ist alles Alte und Verbrauchte beseitigt.»

Nihilismus, Anarchismus, Kommunismus, Faschismus ‑ die Freude des Affen oder des Kindes am Zerstören von Freund oder Feind, gleichgültig, wen auch immer. Das war der Zweck und Sinn des Ganzen.

Die lange Zeitspanne zwischen der französischen und der russischen Revolution machte die Öffentlichkeit für den wahren Sinn blind; der geschickte Trick, die Revolution Hitlers der Welt als etwas völlig Andersgeartetes, ja als das genaue Gegenteil darzustellen, brachte es fertig, den Massen die Erkenntnis für die Kontinuität dieses revolutionären Prozesses zu verbergen.


Das Wort «Strandräuber» steht im Wörterbuch und bezeichnet einen Mann, der durch falsche Lichtsignale Schiffe strandwärts lockt und zum Scheitern bringt. Der Massen‑Strandräuber in der Politik arbeitet nach denselben Methoden, aber er erstrebt mehr als nur den materiellen Gewinn: die Macht. Ich denke mit Befriedigung daran, daß ich drei von diesen Strandräubern unseres entscheidenden Jahrhunderts leibhaftig gesehen habe (Lenin, als er schon tot war, Hitler und Mussolini bei lebendigem Leibe), und daß ich unter den Völkern lebte, die jene ins Verderben stürzten. Mussolini mag unbewußt ein Agent der Zerstörung gewesen sein, ein Mann, den die Krankheit der Macht selber korrumpierte, nachdem er sie gewonnen hatte. Lenin und Hitler aber waren, glaube ich, ganz bewußte Zerstörer und Entvölkerer. Der Verstand der Massen jedoch scheint nur fähig zu sein, den Massenmörder im Privatleben zu erfassen, zum Beispiel solch beachtenswerte Pariser Herren wie Landru und Dr. Petiot, die sich wie kleine Maden auf einem riesigen Felde des Menschengemetzels während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges betätigten. Die großen Massenmörder des öffentlichen Lebens, von Robespierre und Marat bis zu Lenin, Trotzki, Hitler und Göbbels, bleiben außerhalb ihres Begriffsvermögens.

Hitler habe ich an die hundert Male gesehen und beobachtet. Es war etwas Schattenhaftes über ihm, und von den Millionen, über die er herrschte, war er so verschieden, als gehöre er einer anderen Spezies an. Ich möchte meinen, daß seine Abgeschiedenheit mit dem Geheimnis zusammenhing, das er mit sich trug, dem Geheimnis, das nur einem Deutschen von einer ganzen Million aufging, der dann aber auch gleich zurückschreckte oder versuchte, das Ungeheuer zu töten. Er spielte eine Rolle, und der Mob begriff das nie. Er sah in ihm die heroische Verwirklichung seiner selbst und war ihm verfallen.

Ich empfand das Bedürfnis zu lachen, wenn ich mit ihm sprach, oder besser: wenn ich seinen heruntergeraspelten Rodomontaden zuhörte, während der unruhige, ihn glühend verehrende Heß neben uns saß. Im Hydepark, glaubte ich, wäre die Luftblase seines Wortschwalls sehr bald durch irgend einen bissigen Cockney‑Zwischenruf zerplatzt. Heute aber bin ich, was eine englische Volksmenge betrifft, nicht mehr ganz so sicher, und was ihn betrifft, weiß ich, daß ich mich geirrt habe. Er paßte seine Art und Weise geschickt seiner Hörerschaft an. «Der erzürnte Deutsche kommt, mit Pauken und Trompeten.» Macaulay hatte recht. Der Deutsche kann durch einen solchen Appell aufgebracht werden, und Hitler war ein Meister dieser Kunst. Ja, mehr noch: seine Wutanfälle, die so offensichtlich erkünstelt waren wie bei einem kleinen Schauspieler, der Lear verschandelt, steigerten sich zu echten und tödlichen Paroxysmen, als es in seiner Macht stand, Blut zu vergießen.

Der große Kenner der Französischen Revolution Lord Acton (lebte er jetzt noch, dann würde er, glaube ich, den nie abgerissenen Faden von damals her durch den Sowjetkommunismus und den deutschen Nationalsozialismus zu dem nihilistischen Weltstaat, der uns heute bedroht, aufgreifen) hat zweierlei gesagt, was mir Hitler und die Entwicklung in unserer Zeit zu erklären scheint:

Erstens das berühmte Urteil: «Jedwede Macht trägt in sich die Tendenz zu korrumpieren, und die absolute Macht korrumpiert absolut.» ‑ Das hat sich in unserem Jahrhundert immer wieder als wahr erwiesen und bedeutet, daß auch ein Mann, der nicht bewußt als Strandräuber von Nationen anfängt, doch dazu wird, wenn er nach einer Machtfülle strebt, die sich der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle entzieht.

Zweitens: «Das Abstoßende in der Französischen Revolution sind nicht die Tumulte, sondern die Absicht, die ihnen zugrunde liegt. Hinter all dem Feuer und Rauch erkennen wir den Beweis einer berechnenden Organisation. Die Drahtzieher bleiben geflissentlich verborgen, aber über ihre Anwesenheit von Anfang an kann nicht der geringste Zweifel bestehen.»

Auch das, so scheint mir, was er über die große Umwälzung des 18. Jahrhunderts geschrieben hat, erwies sich als wahr, weitaus mehr durch all das, was sich im 20. Jahrhundert ereignet hat, als zu der Zeit, da es gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde. Es bedeutet, daß Männer, die an die Macht gelangen, «einen Plan» und «Drahtzieher» finden, die schon auf sie warten, und deren Werkzeuge sie werden. Sie dürfen sich nur so hoch erheben, weil ihre Nützlichkeit in dem «Plan» vorgesehen ist. Manche von ihnen jedoch sind von Anfang an in den Plan eingeweiht, und zu denen möchte ich auch Hitler rechnen, neben denen, die er vorgab zu hassen, wie Marx, Lenin, Trotzki und Stalin.

In dieser Hinsicht kommt Lord Actons Lesart der Dinge der König Boris’ und meiner eigenen heute nahe. Wenn ich so zurückschaue auf die rauchigen dreißiger und jetzt um mich herum in die qualmigen vierziger Jahre, dann ist das Abstoßende daran nicht der Rauch, sondern der Plan. Dieser geht dahin, Freiheit und Recht und die Wurzel, aus denen beides entspringt: das Christentum, in allen Ländern zu zerstören. Betrachtet man ihn im Licht eines solchen Planes, dann war Hitlers Krieg ein Triumph. Als er abgetreten war, breitete sich der «Plan» über ein weitaus größeres Gebiet aus, als er selber jemals zu erobern vermocht hatte, und jetzt fallen seine Schatten auch schon über diese meine Insel.

In den vierziger Jahren kann über diese Wirkung seines Werkes gar kein Zweifel mehr bestehen. Die einzige Frage, die noch unbeantwortet bleibt, ist, ob er ein bewußter oder ein unbewußter Agent war! Wollte er ganz bewußt die Zerstörung des christlichen Europas, die seit seinem Abtreten von der Szene beinahe abgeschlossen worden ist?

Ich glaube: ja, das wollte er, und ich glaube das wegen des Geheimnisses, das sein früheres Leben, sein Erscheinen auf der Bühne und sein Verschwinden von der Bühne umgibt. All das scheint mir einen Plan und die Anwesenheit von Managern zu verraten.


Die entscheidenden Jugendjahre Hitlers spielten sich vor 1914 in Wien ab. Man weiß so gut wie nichts über sie. Berlin, München und Wien sind erobert und jedes erdenkliche Archiv ist durchstöbert worden. Aber von seinem Polizei‑Dossier in Wien hat man nicht das geringste gehört. Meiner Ansicht nach hätte man darin sehen müssen, was für eine Art Mensch er war und mit wem er umging in jenen Jahren, da die große eurasische Einwanderung im europäischen Westen begann; als die russischen Nihilisten und Anarchisten sich in den Hauptstraßen von Wien, Berlin, Paris und London versammelten und «Peter der Maler» und seine finstere Bande in den Flammen von Sidney‑Street verschwanden.

Im Jahre 1919 wiederum war er ein deutscher Soldat, der während der Herrschaft der Räteregierung in München immer noch bei der Truppe stand. Er nahm am Kampf gegen die Bolschewisten nicht teil, und doch wurde er nach ihrem Sturz plötzlich der Führer einer antibolschewistischen «Nationalsozialistischen Partei»!

Ein so plötzliches Auftauchen in der Politik kennt man in unserem Jahrhundert sonst nur bei Kommunisten, die lange und im Geheimen in den Schulen ausgebildet worden sind, aus denen die Nihilisten und Anarchisten der Jahre 1900‑1914 hervorgingen. Seinem Alter, seiner Herkunft und der Plötzlichkeit seines Auftauchens nach ähnelt Hitler sehr dem geheimnisvollen, pseudonymen und vorher völlig unbekannten «Tito», der während des Zweiten Weltkrieges aus Rußland nach Jugoslawien herunter kam und sehr bald durch britisches und amerikanisches Gold, Waffen und Nachschub instandgesetzt wurde, dort eine kommunistische Diktatur zu errichten. Die heutigen Beherrscher Rumäniens, Bulgariens, Polens, Ungarns und der baltischen Staaten tauchten zum größten Teil auf ganz ähnliche Weise aus der Obskurität kommunistischer Trainingsschulen in Rußland auf. Der Sowjetgriff auf die östliche Hälfte Europas, der im Jahre 1947 zum Gegenstand einer lauten amerikanischen und einer leisen englischen Klage wurde, war in Tat und Wahrheit durch die internationalen Konferenzen der Kriegszeit vorbereitet und erhielt die Unterstützung amerikanischer und britischer Vertrauensleute.

Die Art und Weise, wie Tito auftauchte, und die Unterstützung, die ihm von übernationalen Lagern zuteil wurde, erinnert ihrerseits nun wieder an die Ankunft Lenins und Trotzkis während des Ersten Weltkrieges in Rußland mit deutscher und amerikanischer Unterstützung. Wenn hinter allem dem kein «Plan» und keine Drahtzieher stecken, dann ist der Arm der Koinzidenz in unserem Jahrhundert unendlich.

Hitler erschien alsdann in der deutschen Politik wie der «Knüppel aus dem Sack», wie der Dämonenfürst in der Pantomime. Vor dreizehn Jahren, als ich diese Theorien darüber zu entwickeln begann, wem er eigentlich in Wirklichkeit botmäßig und welches seine wahren Motive waren, war ich gespannt darauf, was für ein Ende es mit ihm nehmen würde. Wenn es Drahtzieher und einen Plan für ihn gab, meinte ich, müßte er abtreten, wie er gekommen war.
Zehn Jahre später verschwand er von der sichtbaren Bühne. Ein britischer Offizier aus dem Intelligence‑Service in Berlin, H. R. Trevor‑Roper, wurde mit der Untersuchung betraut und hatte alle zugänglichen Beweise zur Verfügung. Er veröffentlichte in der Folge ein Buch, «Hitlers letzte Tage». Der Titel klingt beweiskräftig, aber die Tatsachen scheinen mir nicht endgültig zu sein oder mehr als das Ende von einem Paar schwarzer Hosen zu beweisen. Einige Punkte sind mir aufgefallen:

In der Woche, bevor Hitler Selbstmord beging, am 30. April 1945, lebten zweiundreißig Personen in seinem Bunker oder in anderen in der Nähe. Nur elf von diesen fielen in die Hände der Briten oder Amerikaner, und unter ihnen befand sich kein einziger von den zehn oder elf Männern, die behaupten, in dem Gang vor Hitlers Räumen gewartet zu haben, während er und Eva Braun Selbstmord verübten. Der einzige von den Amerikanern verhörte Mann, der behauptet, Hitler tot auf einem Sofa liegend gesehen zu haben, ist Artur Axmann, der Führer der Hitler‑Jugend. Er versichert auch, später die Leiche Martin Bormanns, nächst Hitler der höchste Mann der Nazi‑Partei, gesehen zu haben.

Bormann figurierte in Nürnberg als in absentia Angeklagter und wurde folglich als noch am Leben betrachet. Hitler, «dieser abscheuliche Mann», aber figurierte gar nicht als Angeklagter!

Die einzigen anderen Zeugen in britischer oder amerikanischer Hand, die behaupteten, indirekt Kenntnis von Hitlers Ende zu haben, waren unbedeutende Leute, Polizisten oder Wachmannschaften. Einer von den Polizisten «sah, wie der Leichnam herausgetragen wurde, von einer Decke verhüllt, welche den blutigen und zertrümmerten Kopf verbarg, und erkannte ihn sofort an den wohlbekannten schwarzen Hosen». Ein anderer kam «zufällig hinzu, als die beiden Leichen verbrannt wurden; sie waren mit Leichtigkeit zu erkennen, obwohl Hitlers Schädel zertrümmert war».

Es bestünde Gewißheit, wenn britische oder amerikanische Truppen als erste den Schauplatz betreten hätten. Auf Grund irgend eines Befehls von hoher Stelle aber, für den die Ursache niemals bekanntgegeben worden ist, scheinen die amerikanischen Truppen angehalten worden zu sein, zu gewährleisten, daß russische Truppen den Schauplatz als erste betraten. Und damit beginnt die Ungewißheit.

Hitler setzte zwei Testamente auf. In dem einen verkündete er die Absicht, Selbstmord zu verüben, und sprach den Wunsch aus, man möge seine und Eva Brauns Leiche auf dem Schauplatz verbrennen. Dies ‑ wenn es echt war ‑ war eine öffentliche Botschaft an das deutsche Volk und die Welt. Und doch wurden «sorgsame Vorsichtsmaßregeln» ergriffen, um die Einäscherung geheim zu halten, und nur durch einen Zufall wurden «zwei unbefugte Personen» Zeuge davon. Die eine, ein Polizist, «wurde von Hitlers SS‑Adjutant Guensche angeschrien, sich schnellstens zu verziehen». Der rangälteste der Polizeioffiziere, Oberst Rattenhuber wiederum «versammelte später seine Leute und nahm ihnen das Versprechen ab, alles, was sich an diesem Tage ereignet hatte, als ein heiliges Geheimnis zu bewahren. Jeder, der davon etwas erzählte, würde erschossen werden».

Warum? Dieser Rattenhuber würde ein wertvoller Zeuge sein, aber seine Aussage ist nicht zu erlangen. Der Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte gab bekannt, daß Rattenhuber sich zusammen mit dem Mann, von dem man annimmt, er habe Hitlers Leiche aus dem Bunker heraufgetragen, sein Kammerdiener Heinz Linge, in russischer Gefangenschaft befände. Ein britisches und amerikanisches Ersuchen, diese beiden Männer identifizieren zu dürfen, wurde jedoch abgelehnt. Hitlers Leiche wurde niemals gefunden.

Noch etwas Sonderbares geschah an diesem «letzten Tage». Wenn Hitler tot ist, wurde er kurz vor Mitternacht am 30. April 1945 begraben. Um diese Zeit gerade aber arbeiteten Göbbels, Bormann, General Burgdorf, Artur Axmann und ein anderer «das Projekt eines Vertrages mit den Russen aus»!

«Ein anderer» war General Hans Krebs, «der vor dem Kriege lange Zeit in Rußland, in Moskau, im Dienst gestanden hatte.» Dieser General Krebs nun, der alles über den Hitler‑Stalin‑Pakt wußte, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, befand sich am 30. April um Mitternacht auf dem Wege von dem Bunker mit einem Schreiben von Göbbels (der schon seinen eigenen bevorstehenden Selbstmord angekündigt hatte), an Marschall Schukow, den Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte, um ihn über Hitlers Tod zu informieren und ihn aufzufordern, einen Waffenstillstand einzugehen! Zwölf Stunden später kehrte er zurück und sagte, die Antwort wäre «nicht befriedigend». Jedenfalls sind wir so unterrichtet.

General Krebs hat man nie wiedergesehen, Bormann ist vermißt, Burgdorf ist verschwunden, Göbbels, hieß es (seitens der russischen Befehlsstellen), habe nicht nur Selbstmord begangen, sondern auch seinen Leichnam hinterlassen, obschon darüber meines Wissens keine einzige Photographie veröffentlicht worden ist.

Wahrhaftig, wenn Hitler nicht gestorben wäre, hätte man seinen Tod erfinden müssen, denn solche Unterhandlungen an seinem «letzten Tage» mit den heranrückenden Verbündeten von 1939 hätten sonst viele Erklärungen verlangt.
Sind sie nun tot ‑ er und seine Gefährten der letzten Tage? Wenn er selber tot ist, so ist das eine irrelevante Tatsache. Als «Teufel mit dem kleinen Bärtchen» besang ihn ein Topfdeckel-Troubadour in New York während des Krieges.
Vielleicht; aber seine Satanie richtete sich mehr gegen das christliche Europa als gegen die Juden. Mit seinem Verschwinden war die Revolution des Nihilismus nicht beseitigt, sondern machte ihre größten Fortschritte.

Ich glaube, das fehlende Wiener Dossier würde das fehlende Glied in der Kette unserer Kenntnisse über seine Verbindungen in jungen Jahren beibringen, und dieses würde uns vielleicht nach Rußland führen. Meine Theorie geht dahin, daß Hitler zwischen 1908 und 1914 seine politische Ausbildung in den russischen Schulen der Anarchisten und Nihilisten erhalten hat, und daß die es sind, die jetzt die scheinbar gegnerischen Zusammenstöße von «Kommunismus» und «Faschismus» in Szene gesetzt haben, um hinter der Maske vorgeblich gegenseitigen Hasses nur um so wirkungsvoller zu arbeiten und ihr Ziel, die Zerstörung unseres Kontinents, zu erreichen. Ich meine, daß diese Kräfte durch alle Ereignisse der vierziger Jahre eindeutig als international organisiert entlarvt worden sind, als Kräfte, die sowohl im «kapitalistischen Westen» als auch im «kommunistischen Osten» ihre Freunde haben.

Ich meine, daß er ihr Agent gewesen ist und in den östlichen Armeen, denen man das Vorrecht zugestand, Berlin zu erobern, ebenso viel Freunde wie Feinde besaß. Feldmarschall von Paulus, der die große deutsche Armee von Stalingrad kommandierte, stand weit vorn auf der Sowjetliste der «Kriegsverbrecher» und doch wurde er nicht zum Prozeß nach Nürnberg geschickt. Im Gegenteil. Heute ist er der begünstigste Protegierte der Sowjetmacht, und im September 1947 verkündete die Sowjetregierung seine Rückkehr nach Deutschland. Die Umstände seiner Kapitulation und die Rolle, die Hitler dabei spielte, verdienen es, eines Tages neu, im Lichte dieser Ereignisse, studiert zu werden. Ich glaube, er ging aus jenen geheimen, nationslosen, konspirativen Reihen hervor, und mit seinen erwählten Eingeweihten mag er von ihnen weggezaubert worden sein. Wenn es einen «Plan» gibt, so hat er ihn gefördert; und wenn es Drahtzieher gibt, dann mögen diese ihn als ihren Mann fordern.

V. Zwischen zwei Dieben

Es gibt einen Mann in den dreißiger Jahren, der mir, wie mir zehn Jahre später aufgegangen ist, für meine verlorene Zeit, für meinen falsch aufgewandten Glauben und für die Irreführung meiner Leser Schadenersatz schuldet. Georgij Dimitrow brachte mich abgehetzten Journalisten dazu, mein erstes Buch «Der Reichstagsbrand» zu schreiben, und ich mußte die Nacht zum Tage machen, um damit fertig zu werden. Tägliche Berichte in den Zeitungen, dachte ich, würden den Menschen daheim nie und nimmer den Schrecken dessen, was über Europa heraufzog, klarmachen; dann vielleicht also ein Buch? Und hier war das Thema: die Unschuld von der Missetat verfolgt, ein aufrechter Mann, der sich gegen Gesindel verteidigt, das ewige Volk gegen die ewige Tyrannei.

Mich schaudert es, wenn ich jetzt daran zurückdenke. Unser Jahrhundert ist eine einzige große Maskerade, und wie soll man ein wahrheitsgetreues «Wer ist Was» zustandebringen, wenn alle Menschen eine Maske tragen? Wie jäh änderten sich seine Züge, als er die Maske ablegte! Ihm ging es nur darum, die Macht zu erlangen, um dann anderen anzutun, was er anprangerte, als man es ihm selber antat. Er wollte Europa gar nicht von den Gauleitern säubern, sondern sie nur in Kommissare umtaufen.

Das Schicksal meinte es gut mit mir, als es mich am Reichstag vorüberkommen ließ, als der Brand eben begann. Jemand, der diese Flammen und was darauf folgte, mit angesehen hat, besitzt auch den Schlüssel zu dem Rätsel unseres Jahrhunderts. Ein gewisser Major Breen, der in jener schicksalhaften Nacht Dienst in der Britischen Botschaft tat, schrieb fünfzehn Jahre später an die «Times»: «Das Gaunerstück mit dem Reichstagsbrand war die Atombombe, die unseren Kontinent in Stücke zersprengte», und das entspricht genau der Wahrheit. Diese Flammen umzüngeln heute das Leben und die Freiheit eines jeden Menschen auf der britischen Insel, ob Mann oder Frau oder Kind.

Die Kette der Ereignisse liegt klar vor uns. Der Brand wurde den «Bolschewisten» in die Schuhe geschoben, und unter diesem Vorwand wurde das parlamentarische Regime beseitigt, und die Geschicke in Deutschland wurden durch «Notverordnungen» geleitet. Auf diese Weise wurde der Bereich zerstörter Parlamente und der Terrorherrschaft in einem Zug von Sowjetasien bis zu dem größten Land Europas ausgedehnt. Später begann der Krieg nach Übereinkunft und in einem Bündnis mit eben diesen «Bolschewisten». Dadurch wurde das Regime der wilden Gewalt über alle Länder, die zwischen beiden lagen, ausgedehnt, so daß der asiatische Despotismus nun bis an den Rhein reichte. Als das Bündnis zerbrach, schrumpfte dieser Bereich jedoch nicht zusammen, und ebenso wenig wurde er kleiner, als der Sieg errungen worden war. Als das Ergebnis des siegreichen Krieges gegen Deutschland wurden die Notverordnungen in England verlängert (was soviel bedeutet wie: daß das Parlament auf halbzerstörten Grundlagen weiter besteht). Daher rührt dieses Zwielicht der Unsicherheit auf der britischen Insel unmittelbar vom Reichstagsbrand her.

Das scheint mir die fortdauernde Wahrheit in Lord Actons Feststellung eines «Planes hinter dem Aufruhr» und einer «berechnenden Organisation» unsichtbarer Leiter zu bestätigen. Wer hat den Reichstag angezündet, den Erzherzog in Sarajewo erschossen, Alexander in Marseille ermordet oder Boris getötet? Das werden wir nicht erfahren, aber deutlich erkennen wir, daß alle diese und andere Fragmente in das Bild der überall tätigen Zerstörung nationaler Eigenständigkeit, parlamentarischer Regierungsweise, der Gerechtigkeit und Freiheit und der Menschenrechte (die durch die Propheten der Französischen Revolution so edel ausgelegt worden sind) hineinpassen.

Ich, der den lallenden, sabbernden van der Lubbe gesehen habe ‑ ich kenne den nichtswürdigen, feilen Diener in diesen Umtrieben. Aber Dimitrow war ganz anders. Er war ein führender und eingeweihter Verschwörer, soviel steht jetzt fest. Ich bewunderte damals seinen Mut und bin heute der Meinung, was es mit Dimitrows Mut wohl auf sich hatte. Ob auch bei den Gerichtsverhandlungen um den Reichstagsbrand die Hand der Drahtzieher im Spiele gewesen ist?

Damals nahm mich nur wunder, daß die Nazi ihm überhaupt erlaubten, vor der Öffentlichkeit dermaßen aufzutreten, wo sie doch ihre eigenen Untertanen ganz geheim vor «Volksgerichten» aburteilten oder sie beseitigten. Dabei wird mir wieder eine Episode gegenwärtig, die vielleicht mehr zu bedeuten hat, als ich damals dachte.

Bevor die Gerichtsverhandlungen begannen, hatte mir eine Bekannte in Berlin beiläufig gesagt, ich würde in meinem Hotel in Leipzig Besuch von einem ihrer Freunde bekommen, den sie nur «Heinrich» nannte. (Ich war damals mit dem kommunistischen System, nur Decknamen zu verwenden, noch nicht vertraut.) Und richtig, dieser Mann kam. Er war ein jüdischer Kommunist aus Rußland, dem es in dieser von der Gestapo beherrschten Stadt immer noch recht gut zu gehen schien. Er bat mich, ihm nach den Verhandlungen eines jeden Tages eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse im Gerichtssaal zu geben. Während mehreren Tagen erwartete er mich, in der Halle sitzend, um diesen Bericht entgegenzunehmen. Da ich den Verlauf der Verhandlungen ohnehin weiterberichtete, sah ich nichts darin, ihm zu erzählen, was vorgegangen war. Was mich jetzt im Lichte all dessen, was seit damals geschehen ist, interessiert, ist seine Aussage vor Prozeßbeginn: «Dimitrow wird in diesem Prozeß sehr groß auftreten!» ‑ Wie konnte er wissen, daß man es Dimitrow erlauben würde, «sehr groß aufzutreten»?

Dimitrow war um jene Zeit ein bloßer Name für mich, und der Kommunismus eine unbeantwortete Frage. Ich wußte, daß er zu der herrschenden Clique der Kommunistischen Internationale gehörte, wußte aber im Jahre 1933 noch nicht, was das bedeutete; jetzt weiß ich das. Damals wußte ich nur, daß kommunistische und nationalsozialistische Methoden gleich waren, aber ich glaubte, der Kommunismus würde in Rußland bleiben. Mein Haupteinwand gegen den Nationalsozialismus war die feste Gewißheit, daß er nicht im Sinn hatte, sich auf Deutschland zu beschränken. Der Kommunismus konnte nur durch einen Krieg Boden gewinnen, und die Verhältnisse in Rußland waren nach fünfzehn Jahren kommunistischen Regimes dort so furchtbar, daß ich die Auffassung hatte, der Kommunismus müßte einen Krieg scheuen. Ich sah voraus, daß ein für den Krieg gerüsteter Hitler ein Bündnis mit Stalin suchen würde. Doch ich sah nicht voraus, mit welcher Bereitwilligkeit der andere von den beiden Mördern darauf eingehen würde. Hätte ich soweit vorausgesehen, dann hätte ich mir auch nicht eingebildet, Dimitrow wäre das unschuldige Opfer Hitlers. (Seine Entlassung aus der Haft und seine Auslieferung an die Sowjetunion zu einer Zeit, da Unschuld in Deutschland überhaupt nichts bedeutete, hätten mir Stalins Komplizenschaft im Jahre 1939 klarmachen sollen.)
In den dreißiger Jahren glaubte ich seine Sache herzzerreißend verloren. Genau zehn Jahre zuvor hatte er einen erfolglosen Aufstand in Bulgarien angezettelt; genau zehn Jahre zuvor hatte Hitler eine erfolglose Revolution in Bayern angezettelt. Welch eine Wendung hatten diese zehn Jahre gebracht! Der eine von den beiden Männern ein Häftling ohne alle Freunde vor dem deutschen Reichsgerichtshof, der andere durch eigene Proklamation der oberste Magistrat in Deutschland!

Noch einmal zehn Jahre, und Dimitrow benahm sich in Bulgarien genau so, wie Hitler sich in Deutschland benommen hatte. «Der Kommunismus ist nicht grausam und brutal» hörte ich ihn von der Anklagebank her schreien. Noch einmal zehn Jahre, und er selber gründete in Bulgarien genau dieselben «Volksgerichte», die Hitler nach dem Reichstagsbrand eingesetzt hatte!
Ich wohnte den Sitzungen des ersten deutschen Volksgerichtshofes bei und heute noch graut mir davor, wenn ich einen englischen Gerichtshof betrete und Richter sehe, die sich nicht vergewaltigen lassen und immer weiter Recht sprechen. Etwas Göttliches liegt über diesen Gerichten und alles nur erdenklich Teuflische über jenen anderen, wo «Die Partei» unter der ironischen Bezeichnung «Volksgerichtshof» das Todesurteil über das Volk ausspricht.

Hunderte von Köpfen rollten auf den Befehl der Volksgerichte Dimitrows.

Voller Hohn wies er damals die Beschuldigung zurück, der Reichstagsbrand sei das Ergebnis «einer kommunistischen Verschwörung zur Machtergreifung». Er schrie heraus, dies wäre ein Akt «politischer Provokation», er schmähte seine Ankläger mit dem Verbot der kommunistischen Partei und dem Ausschluß ihrer Abgeordneten aus dem Reichstag ‑ in den dreißiger Jahren. Aber in den vierziger Jahren hielt er (wie Hitler) «Wahlen» ab und ließ hinterher den Führer der Opposition Petkoff verhaften, zum Tode verurteilen, («Ein Hund soll wie ein Hund krepieren!» schrie er) und ließ die dreiundzwanzig Abgeordneten der Opposition aus dem Parlament ausschließen. Warum? «Sie haben konspiriert», so erklärte er dem britischen Gesandten todernst, «Um mit Waffengewalt an die Macht zu kommen.»

Eins aber erriet ich schon, als ich in den dreißiger Jahren über ihn schrieb: «Wer einen weiten Blick in die Geschichte tut, erwäge die Tatsache, daß unter all den Parteien, die der Nationalsozialismus zerstört hat, die kommunistische Partei als Organisation die einzige ist, die in Deutschland überlebt hat. Konservative, Sozialisten, Katholiken, Demokraten, Liberale ‑ alle sind weggefegt. Die kommunistische Partei aber, die zu vernichten die vordringlichste Aufgabe des Nationalsozialismus gewesen ist ‑ die hat überdauert, das Gerippe einer Streitmacht, das unterirdisch arbeitet, deren Mitglieder immer noch in organisierter Verbindung miteinander zu stehen scheinen, deren Aktivität allen Hindernissen zum Trotz fortgesetzt wird, die auf ihre Stunde wartet, die darauf wartet, bis der Nationalsozialismus in der Kraftanstrengung eines neuen Krieges zusammenbricht … »

Wie kühn er einem erschien, damals in den dreißiger Jahren ‑ und was für ein Schwindler er war! Wo, in jener rauchigen Zeit der Maskerade, war ein Mann, der wirklich für das kämpfte, wofür zu kämpfen er vorgab, der aufrichtig wünschte, seine Mitmenschen zu befreien und sie nicht selber zu versklaven? Ich sehe wenige von solchen Männern im Rauch der dreißiger Jahre und noch weniger jetzt. Wenn ich jetzt einen «Faschisten» und einen «Kommunisten» die Spaziergänger im Hyde Park anrufen höre, denke ich von dem ersten: «Du bist Dimitrow!» und von dem zweiten: «Du bist Hitler!» und von den zweien zusammen: «Räuber seid ihr alle beide! Beide arbeitet ihr für das gleiche Ziel, und hinter euch stehen die gleichen Drahtzieher!»

VI. Die längste Nacht

Es war in den dreißiger Jahren aufregend, nach Rußland zu fahren in dem Zug eines Mister Eden, von dessen Reise zum Einsiedler‑Krebs im Kreml die guten Leute daheim sich etwas für den Frieden und die Verständigung unter den Menschen versprachen. Die Unterschriften im Gästebuch haben sich seither vervielfacht: Davies, abermals Eden, Roosevelt, Churchill, Truman, Bevin, Marschall ‑ und wo sind Verständigung und Frieden geblieben?

Aufregend war es, nach Moskau zu kommen, dieser Traum-Metropole des «großen sowjetischen Experimentes» (für einige), diesem Albtraum einer Hauptstadt der roten Zerstörung (für andere). Die Vorstellung, die ich mir aus der Ferne gemacht hatte, war die richtige. Zerstörung war das Wirkliche. Und heute, zehn Jahre später, hat sich nichts geändert.

Ich kann das mit einer Kleinigkeit belegen, die alles beweist. In meinem Moskauer Hotelzimmer in den dreißiger Jahren klingelte das Telephon, und die Stimme einer Frau sagte ‑ «Wollen Sie nicht, daß ich zu Ihnen hinaufkomme und Sie besuche?» Im März 1947, als ein anderer englischer Journalist (Mr. Herbert Ashley vom «Daily Telegraph») einen anderen Außenminister (Mr. Bevin) nach Moskau begleitete, klingelte ebenfalls das Telephon auf seinem Nachttisch, und die Stimme einer Frau sprach dieselben Worte. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um dieselbe Frau handelte, aber in diesen Jahren war die sowjetische Geheimpolizei nicht darauf verfallen, den Wortlaut der Frage zu ändern, geschweige denn die Methode. Diese Begebenheit ist der Schlüssel zu allem anderen; das Bild, das Herbert Ashley im übrigen gab, war genau, in jeder Kleinigkeit dasselbe, das ich mitgebracht hatte.

Ich kann aus den dreißiger Jahren noch eine Kleinigkeit zu dieser Geschichte hinzufügen. Ich wußte, daß das hübsche russische Mädchen das Hotel ohne ihren Ausweis von der Geheimpolizei gar nicht betreten durfte, und lehnte daher ihr Gesuch ab. (Sie kommt auch in Victor Kravchenkos «Ich wählte die Freiheit» vor.) Später jedoch tat sich die Tür auf, und ein Mädchen kam herein. Aber das war eine andere, die kaum ein Wort Englisch, Französisch oder Deutsch verstand. Vielleicht hatte sie, um etwas zu essen oder ein Kleidungsstück zu ergattern oder um ihrem Geliebten zur Freiheit zu verhelfen, der Geheimpolizei weisgemacht, daß sie Englisch verstünde ‑ ich weiß es nicht. Sie war jedenfalls alles andere als eine femme fatale, sie war eine armselige Hure und nahm sich sogar in dieser Rolle kläglich aus. Ich war gerade im Begriff wegzugehen, um meinen Zug zu erreichen, und erinnere mich, daß ein amerikanischer Korrespondent hereinschaute, um mir auf Wiedersehen zu sagen, und sich schleunigst zurückzog, zweifellos weil er meinte, ich sei ein freiwilliger Gefangener. Ich schenkte ihr ein paar Überbleibsel, die einzupacken sich nicht gelohnt hatte: ein Stück Schokolade, einen Seifenrest, zwei Taschentücher und ein paar zerfledderte Rubelscheine. Sie brach in Tränen aus und stammelte: «Sie … gut!», während ich, ihr bedeutend, daß für mich Eile geboten sei, davonlief, um meinen Zug zu erreichen.

Ach, Mütterchen Rußland, Mutter der Schmerzen! Die Leiden der Deutschen und ihrer Opfer sind nur ein Tropfen gegenüber dem Becher, den das russische Volk in diesen drei Jahrzehnten zu leeren hatte. «Das wird so lange wie eine Nacht in Rußland währen, wenn die Nächte dort am längsten sind!» sagt Angelo in «Maß für Maß», als er ungeduldig eine gar zu weitschweifige Debatte verläßt. Dieser Vergleich hat heute eine Bedeutung, die Shakespeare damals nicht voraussehen konnte. Ein moderner Angelo, der die endlose Nacht miterlebt hat, die auf den roten Sonnenuntergang im Oktober 1917 folgte, könnte diese Worte anwenden, wenn er englische oder amerikanische Politiker, Geistliche oder Wissenschaftler des Jahres 1947 «das große sowjetische Experiment» lobpreisen hört. Der humane Mensch scheint im zwanzigsten Jahrhundert beinahe ausgestorben zu sein.

Das Gesicht Moskaus war, wie ich erwartet hatte ‑ nicht weil ich mit einer feindseligen Einstellung gekommen war, sondern weil ich in Deutschland das Abbild des terroristischen Staates gesehen hatte, von dem die Sowjetunion das Originalbild selber war ‑, der Nazistaat, das Faksimile in anderen Farben. Für mich waren die Hauptquartiere der Geheimpolizei, ob sie nun in Moskau oder in Berlin standen, und die Konzentrationslager, ob es nun russische oder deutsche waren, nicht nur Ziegelsteinmauern und Stacheldrahtzäune. Ich hatte die Schreie gehört, die Wunden gesehen, mit den weinenden Frauen gesprochen, kannte die alles durchdringende und alles entwürdigende Angst.

So kam es auch, daß ich, als ich das zivilisierte Polen hinter mir ließ und Rußland betrat, das Gefühl hatte, aus der Zone des Lebens in die des Todes gekommen zu sein, und im «Jahrmarkt des Wahnsinns» schrieb: «Einmal hinübergekommen, überfällt dich dieses Gefühl der Niedergeschlagenheit, das der aufmerksame Reisende in einem Staat erlebt, der auf Terror und Geheimpolizei begründet ist. Dasselbe Gefühl hast du in Deutschland, Italien oder jeder anderen Diktatur, wenn du dort lebst. Es rührt von dem Bewußtsein her, daß du deinen Mund nicht auftun darfst, daß du keine richtige Freiheit hast und riskierst, verhaftet und ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis geworfen zu werden, wenn du nicht deine Gedanken für dich selbst behältst … Ich sah das allgemeingültige Zeichen des Terroristenstaates, ob er nun Rußland oder Deutschland oder sonstwie heißt: Stacheldrahtpalisaden, Ecktürme mit Maschinengewehren und Wachtposten. Und drinnen: namenlose Menschen, für die Welt verloren, ohne gerichtliches Verfahren von der Geheimpolizei dahinein verschleppt. Das Konzentrationslager, die politischen Gefangenen. In Deutschland enthielten solche Lager Zehntausende, in diesem Lande Hunderttausende (heute sollte es anstatt «Hunderttausende» «Millionen» heißen). Ich fühlte, daß ich Rußland hätte lieben können, aber ich konnte schon sehen, daß man dir niemals erlauben würde, Rußland zu lieben. Ich sah, daß ein Ausländer Jahre verbringen könnte, ohne jemals Zutritt zu dem Leben des Volkes zu erlangen. Die Menschen würden viel zu viel Angst haben, um ihn kennen zu wollen. . . . »

W. H. Chamberlins «Rußlands eisernes Zeitalter» bestätigte diese Wahrheit in den dreißiger Jahren, und Victor Kravchenko entwirft dasselbe Bild, nur noch dunkler, in den vierziger Jahren. Dies ist das einzige, was sich in Europa nicht geändert hat, das heißt, es hat sich zum Schlimmeren gewandelt, indem es sich nach außen verbreitete, den halben Kontinent unterjochte und heute England bedroht.

«Das große Experiment der Sowjets». Es gibt in der Geschichte von dreißig Jahren der Sowjetherrschaft nicht eine einzige Sache, die neu wäre. Alles darin hat das Gepräge der Reaktion gegen die erbarmungslose Roheit der Zeiten lange vor der Zarenherrschaft. Wenn es darin etwas für die moderne Zeit Neues gibt, dann ist das nur die Abschaffung eines jeglichen Rechts auf Besitz. Ursprünglich zu dem Zweck durchgeführt, den Großgrundbesitz zu vernichten, ist sie der in der Geschichte bisher unbarmherzigste Schlag gegen den Menschen schlechthin und hat in einem so riesigen Lande mit bäuerlicher Bevölkerung jedweden Bauern zu einem landlosen Sklaven gemacht.

Vor zehn Jahren verfiel ich noch in den Fehler, den ich bei anderen rügte, als ich im «Jahrmarkt des Wahnsinns» dogmatische Behauptungen über etwas schrieb, was ich weder gesehen noch gründlich untersucht hatte: den Beginn der endlosen sowjetischen Nacht. «Die bolschewistische Revolution nahm ihren Anfang in der Agonie Rußlands … Es war ein Aufstand gegen eine unerträgliche Tyrannei. Es war die konvulsivische Erhebung eines ganzen über alle Geduld gemarterten und ausgebeuteten Volkes, eine verzweifelte Anstrengung, eine unendlich lange Tyrannei abzuschütteln und eine Wendung zum Besseren herbeizuführen.»

Nein. In den vierziger Jahren haben wir schon zuviel gesehen, als daß wir noch länger glauben könnten, die Macht über die Masse ginge von einer Gruppe an eine andere durch Aufstände des Volkes über. Wäre dem so, dann hätte das russische Volk sich schon längst erhoben. Der folgende Satz war richtig: «Im vorliegenden Falle ist die Macht von einer Clique an eine andere Clique übergegangen, und niemand kann heute noch sagen, was sich letzten Endes aus der bolschewistischen Revolution für Rußland ergeben wird.»

In den vierziger Jahren jedoch wissen wir, was andere Völker als die Russen von ihr zu erwarten haben. In keinem einzigen Lande sonst ist der Kommunismus durch eine Entscheidung der Mehrheit an die Macht gelangt. Das wird ihm auch niemals gelingen. Und dennoch herrscht der Kommunismus heute über viele andere Länder ‑ gestützt auf die Anwesenheit der Roten Armee. In den dreißiger Jahren, als ich in Moskau war, definierte der gute Litwinow als «den Angreifer» freundlicherweise ein Land, das zuerst die Grenze seines Nachbarn durch Truppen überschreiten oder sie durch Flugzeuge überfliegen ließ. Stalin erzählte Eden, daß «zwei expansionistische Länder, Deutschland und Japan, den Weltfrieden bedrohten» (aber er fügte nicht hinzu, daß er Deutschland dabei Gesellschaft leisten werde, diesen Frieden zu brechen).

In jenen Tagen hatte es den Anschein, als wünschten die Herrscher über Rußland Frieden und als könnten die versklavten Russen glücklich werden.
Dem war nicht so. Der Bereich der Zerstörung ist nur größer geworden, und über die künftigen Pläne kann gar kein Zweifel bestehen. Das Fragezeichen, das in den dreißiger Jahren über dem Kreml hing, ist jetzt in den Vierzigern beantwortet worden, und wir sind wieder genau so weit wie vor zehn Jahren. Europa kann ebenso wenig in zwei Teile zerschnitten bleiben, wie ein Mensch mit gebrochenem Rückgrat durchs Leben gehen kann. Es muß entweder geheilt werden oder es muß sterben. Daß der Kommunismus die Forderung eines Napoleon oder Hitler nach Weltherrschaft vielleicht wiederholt, lag in den dreißiger Jahren auf der Hand. Dagegen war nicht klar, daß Großbritannien und Amerika ihm dabei helfen würden.

Unglückliches Rußland, unglückliches Moskau! Wie widersinnig flatterten doch damals die in Moskau genähten Unionjacks, als ein britischer Außenminister in den dreißiger Jahren zum ersten Male dort eintraf. Wie stumpf und stumm harrten in weiter Entfernung die zurückgehaltenen Menschenmengen hinter den wachsamen Truppen der Geheimpolizei. Sie hatten nichts zu verlieren als ihre Ketten (hatte man ihnen einst gesagt). Jetzt trugen sie grausamere Ketten denn je zuvor. Ihnen war nichts als das Elend des Denkens geblieben.
Wie gut tat es, durch den Eisernen Vorhang zurück in das zivilisierte Polen zu fahren. Armes Polen!

VIII. Der Tanz der Marionetten

Es war eine Teufels‑Carmagnole, die in den dreißiger Jahren begann, als der Pöbel sich um die Banner des Antichrists scharte. Hakenkreuz, Sichel und Hammer ‑ es war kein Zufall, sondern ein Teil aus dem «Plan», daß beide in Gestalt eines zerbrochenen oder verzerrten Kreuzes erschienen, und das enthüllte ihre niedrige Herkunft.

Einmal war das Kreuz in allen Flaggen Europas enthalten, in denen Frankreichs, Preußens, Rußlands, Österreichs und aller anderen. Jetzt ist es nur noch in der Flagge Englands, der skandinavischen Länder, der Schweiz und Griechenlands geblieben. Über der Finsternis, die Europa in den vierziger Jahren überzogen hat, weht das antichristliche Symbol der Zerstörer. Das ist der beste Maßstab, in der einfachsten Form, für die Ergebnisse von zwei Kriegen und drei Jahrzehnten. Sie haben es beinahe fertig gebracht, das Werk von neunzehn Jahrhunderten zuschanden zu machen. Das Verschwinden der Kreuze ist nicht ohne Sinn. Unter ihnen hatte sich auch noch der eitelste Kriegsherr vor den Grenzen gebeugt, die menschlichen Ansprüchen gesetzt sind. Die neuen Herren aber erkennen keine höhere Obrigkeit an als ihre eigene; so gleichen sie in ihrer Hoffart den Pavianen.

Wie armselig waren die Massen, die ich sah und die auf dem Roten Platz «Stalin! Stalin! » schrien oder «Hitler! Hitler! » in der Wilhelmstraße oder «Duce! Duce! Duce!» in Rom ‑ sie schreien jetzt auch «Tito! Tito! Tito!» Seitdem die ersten Pöbelmassen «Gib uns Barabbas!» schrien, haben sie sich immer selbst von etwas Schlechtem zu etwas noch Schlimmerem gebrüllt.

Vor vierzig Jahren war die Politik eine recht sichere Beschäftigung, und die Aussicht auf ein ehrenwertes, friedvolles Ende war im Durchschnitt groß. Jetzt dagegen ist sie ein gefahrvolles Geschäft. Stalin hat fast alle alten Bolschewistenführer ermordet; Hitler liquidierte Hunderte von seinen Gefährten; der tote Mussolini wurde mit den Füßen nach oben von seinem eigenen Pöbel aufgehängt. Alles das aber wird eine neue Generation von Strandräubern nicht abschrecken. Das Rauschgift Macht ist zu verlockend, die unsichtbaren Drahtzieher sind zu mächtig.

Sie mögen zu Tausenden sterben, diese Emporkömmlinge, die der Fluch unseres Jahrhunderts sind, und der Pöbel zu Millionen. Die Bedauernswerten sind die anderen, jene, die den Versuch machen, an den christlichen Werten festzuhalten und den Pöbel vorüberrasen zu lassen, die aber in den Mahlstrom mit hineingerissen und von ihm weggefegt werden. Was können sie ausrichten gegen die Geheimpolizei, Brotkarten, Zwangsarbeit, den Angeber und die allmächtige Partei?   . . .

Wo sind meine Freunde aus den rauchigen dreißiger Jahren geblieben? Die meisten von ihnen sind verschwunden. Wo ist Nadja, die kleine Tänzerin, die mit mir im Little Rocket fuhr, mit mir in Budapest Crawlschwimmen lernte, mir zwischen den Binsen eines mecklenburgischen Sees ein Steak am Spieße briet, die ihre schlanke Linie den Pasteten in Brüssel opferte und ihren Wunsch, sie wieder zu gewinnen, den Cremeschnitten von Wien? Einmal hatte ich Nachricht von ihr, einen Brief von ihrer Hand, der eben noch aus Antwerpen herauskam, bevor die Deutschen dort einmarschierten. Ich sehe noch immer die letzten Worte: «Es geht mir schlecht. Deine Nadja.» ‑ Liebe, gute Nadja, ich fürchte, es ist dir noch schlechter ergangen, aber dein Lachen und die fröhlichen Augenblicke in einer sich verfinsternden Zeit bleiben ewig.

Seltsame Gesichter und Gestalten tauchen in jener bunt zusammengewürfelten, verworrenen, von Menschen überfüllten Straße auf, als die mir das wahnwitzige Europa der ausklingenden dreißiger Jahre erscheint. Da ist Charly Chaplin, der die Deutschen während des Ersten Weltkrieges im Film «Schultert die Gewehre!» verhöhnte und sie dann wiederum im zweiten Kriege mit dem «Diktator» verspottete? Da steht er vor dem Hotel Adlon in Berlin, umringt von jubelnden Deutschen und lacht übers ganze Gesicht. Die Zeit? Für ihn, zwischen zwei Filmen; für den Pöbel, zwischen zwei Kriegen; mit anderen Worten, die dreißiger Jahre. Wie sehr ähnelt er Hitler, der bald von derselben Stelle aus demselben Pöbel zugrinsen sollte! Nicht nur in der äußeren Erscheinung. In den kläglichen Herzen dieser beiden Clowns steckt das gleiche Selbstmißtrauen, dieselbe Abneigung gegen die sterbliche Menschheit. Der eine mit politischem Ehrgeiz zeigt es in seinen Filmen, der andere mit dem Ehrgeiz, ein Maler zu sein, zeigt es in seiner Politik.

In der Neunzehnhundertdreißiger Straße gab es neue Geräusche. In jeder Wohnung begannen kleine Kästen zu sprechen, und die Millionen, die ihnen lauschten, errieten kaum, wieviel Gift durch sie ihren Köpfen eingeträufelt wurde. Die Filme begannen zu sprechen. Ich sehe noch heute den «Blauen Engel» und Emil Jannings und Marlene Dietrich zusammen auf dem Kurfürstendamm. In den vierziger Jahren war Marlene immer noch Marlene, vielleicht ein wenig verfeinert, aber immer noch «von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt», immer noch ein wenig guttural, wenn sie amerikanische Soldaten mit ihrem Singen zum Sieg über Deutschland anfeuerte. (Vielleicht dachten die deutschen Soldaten an sie, wenn sie bekümmert die Weise von «Lili Marlen» vor sich hinsangen.) Wäre Jannings in Hollywood geblieben, dann hätte vielleicht auch er ‑ wer kann das wissen! nach Deutschland abkommandierte amerikanische Soldaten unterhalten, aber er blieb nicht, und als die Amerikaner einmarschierten, wurde er verhaftet, «geröstet» und der «Kollaboration» beschuldigt. Hatte er etwa nicht in deutschen Filmen mitgespielt? Warum war er nicht als ehrenwerter Mann in Kalifornien geblieben?  . . .

. . .  Die dreißiger Jahre waren die goldene Zeit für den Scharlatan und den Banditen. Die Vierziger, die sich als noch geeigneter für Betrug und Gewalttätigkeit erweisen sollten, standen noch bevor (und die Fünfziger, die wohl eine noch reichere Ernte erbringen mögen, sind noch ungeboren). Massen von menschlichen Wesen zeigten, daß bei ihnen die Zivilisation Europas nicht einmal bis unter die Haut gedrungen war; sie war nur eine waffeldünne Schicht über den tierischen Instinkten, und die Diktatur wußte, wie sie diese Schicht beseitigen konnte. Der Pöbel schritt blindlings zur Reaktion in ihrer widerwärtigsten Form, wenn sie die Züge von Marx, Lenin oder Hitler trug und die Maske des «gemeinen Mannes» oder der «arbeitenden Klassen» anlegte. Die großen Geister der Zivilisation, angefangen vom Nazarener bis zu Shakespeare, von da Vinci bis zu Goethe, hatten in zweitausend Jahren der Geschichte auf die geistige Verfassung des Pöbels kaum eingewirkt. Immer noch war die Menschheit eine Kröte, mit der Krone der Humanität auf der Stirn; aber die Kröte hatte sich noch nicht in einen schönen Prinzen verwandelt.

. . . Als der Rauch der dreißiger Jahre sich in die Flammen der Vierziger wandelte und der Tanz der Marionetten immer schneller und besessener wurde, gab der Weise des Jahrhunderts dem Ganzen seinen letzten Segen. Als die beiden antichristlichen Führer sich die Hand reichten, um Europa zu zerstören, rief Bernard Shaw, wenige Augenblicke bevor sie vereint über Polen herfielen: «Hitler hat sich unter den starken Daumen Stalins begeben, und dessen Friedenswille ist überwältigend.» Das war der passende Abschluß für die wahnsinnigen dreißiger Jahre.

ZWEITES BUCH

Feuer 1940 ‑ 1945

. . .
II. Der heimliche Krieg

Vor knapp sechs Jahren marschierten die Millionen, sie hatten keine Ahnung, wohin, und die Massen brachen auf zur Flucht, sie wußten nicht, wovor und welchem Schicksal entgegen. Dann war der Krieg mit den Waffen zu Ende. Die Feindseligkeiten aber nahmen ihren Fortgang. Der Zweite Weltkrieg, das Pendant des Ersten, ging weiter; genau gesagt: der eine große Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts datierte weiter, und sein Ausgang ist immer noch ungewiß. Immer noch hängt von seinem Ausgang die Zerstörung oder der Fortbestand Europas ab. Die Schwätzer, die davon anfingen, daß «ein zweiter Weltkrieg» oder gar «ein dritter Weltkrieg» das Ende bedeuten würde, hätten ebensogut sagen können, das Haus, in dem sie lebten, wäre «das Ende».

Vermutlich war dies der größte Betrug, den man je an der Menschheit verübt hat. Die Beendigung des Krieges mit den Waffen führte für Europa nur einen Zustand des getarnten Krieges herbei, der schon seit 1936 gedauert hatte, als Hitler das Rheinland besetzte, bis zum Jahre 1939, als er zur offenen Auseinandersetzung mit den Waffen geworden war. Aus dem Rauch gingen wir nur durch das Feuer ‑ in den Qualm. Die Besetzung der Länder fremder Völker mit Waffengewalt und die Einsetzung von Marionettenregierungen in ihnen wurde entgolten; die Zahl der Versklavten wurde nur noch größer und ihre Lage nur noch hoffnungsloser als früher. Die großen Befreiernationen ‑ Großbritannien und die Vereinigten Staaten (oder die Männer, die während des Krieges über sie herrschten) benutzten ihre Macht, um das zustande zu bringen. Bevor der Kriegszustand im Jahre 1939 zum bewaffneten Konflikt wurde, hatte Deutschland Österreich und die Tschechoslowakei, und Italien Albanien annektiert. Und als der bewaffnete Konflikt 1945 wieder zum getarnten Kriege wurde, hatte das kommunistische Rußland de facto Polen, Litauen, Lettland, Estland, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien, Ungarn, Rumänien, einen Teil von Finnland und der Tschechoslowakei annektiert und beherrschte durch seine Armeen die übrige Tschechoslowakei und die Hälfte von Deutschland.

Als der «Ende‑Feuer!»‑Befehl gegeben wurde, war das Ziel: die Zerstörung Europas und des Christentums, mit britischer und amerikanischer Hilfe beträchtlich näher gerückt, und das Schicksal des übrigen Europas beruhte auf dem weiteren Verlauf der Feindseligkeiten. Der heimliche Krieg, der politische Krieg, war dem sichtbaren Krieg entgegengelaufen wie eine Lokomotive auf einem anderen Geleise.

Dieser Richtungswechsel der wahren Ziele des Krieges erfolgte, nachdem das kommunistische Rußland und die Vereinigten Staaten durch den deutsch‑japanischen Angriff im Jahre 1941 in den Krieg eingetreten waren. Mir ging das im Jahre 1942 auf, und von diesem Augenblicke an verfolgte ich den Weg unserer Armeen in dem großen Waffengang mit einem Gefühl von Mitleid und Sinnlosigkeit. Aber das war falsch, denn sie errangen doch jenes Unbezahlbare, daß wir überlebten, was uns auch jetzt noch immer die Gelegenheit gibt, den Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts zu gewinnen. Verlieren wir ihn, dann liegt die Schuld bei uns, den Überlebenden!

Zwischen 1938 und 1943 schrieb ich jährlich ein Buch. Bis zu «Alle unsere Morgen» (verlegt 1942) fürchtete ich nur eins: daß der Sieg von 1940 dadurch zunichte gemacht würde, daß man Deutschland gestattete, einen dritten Krieg anzuzetteln. In «Falls wir es bedauern sollten» (geschrieben im Frühjahr 1943) hatte ich die großen Schachzüge hinter dem Krieg der Waffen entdeckt: ein Riese wurde da mit Waffen unterstützt und mit territorialen Abtretungen ermutigt, doch diesmal war es ein anderer: das kommunistische Rußland. Damals schrieb ich: «Unsere Ehre steht und fällt mit Polen. Wir können unmöglich in seine Teilung einwilligen. Wir können nicht Europa ausliefern, weder an Deutschland noch an Rußland, ohne uns damit selber auszuliefern. Kämpfen wir denn diesen Krieg nur für ein zweites München? »

Nach 1943 schrieb ich kein neues Buch mehr. Es wäre nutzlos gewesen, ja vielleicht unmöglich, die riesige Maschinerie der Kriegspropaganda herauszufordern. Die niederschmetternde und einschüchternde Macht der Massenpropaganda auf die Gemüter der Masse ist bedenklich; die Macht des Denkens scheint zuweilen beinahe ausgestorben bei den Menschen. Aber trotz allem war den wenigen Wissenden und Erfahrenen klar, daß die Schachzüge von 1942 und der folgenden Jahre Europa nach dem errungenen «Siege» in einem Zustand des getarnten Krieges, der Feindseligkeiten ohne Austragung mit den Waffen, belassen würden, der auch jetzt, da ich dieses schreibe, andauert.  . . .

Die großen Schachzüge hinter dem Krieg mit den Waffen waren vor allem zwei: das britisch‑amerikanische Übereinkommen, dem kommunistischen Rußland die Hälfte von Polen abzutreten (also genau das, was Hitler getan hatte), und die britisch-amerikanische Aufrichtung einer kommunistischen Diktatur in Jugoslawien. Das bedeutete, daß damals ‑1942/43 ‑ jener «Eiserne Vorhang» vorbereitet wurde, der sich heute quer durch Mitteleuropa zieht und über den man sich in Amerika so stürmisch und in diesem Lande weniger laut beklagt.

Ein Blick auf die Karte zeigt, was das bedeutet. Das bedeutete, daß das ganze Gebiet hinter dieser Linie lediglich aus der Hand Nazideutschlands in die Hand des kommunistischen Rußlands wandern würde. Wie groß dieses Gebiet werden sollte, hing einzig und allein davon ab, wie weit man den kommunistischen Armeen gestatten würde, in Europa vorzudringen. Zu erwarten, daß sie auf einer papierenen Linie quer durch halb Polen halt machen würden, hieß ganz einfach die Öffentlichkeit betrügen. Sie würden nur stehen bleiben, wo ihnen die britischen und amerikanischen Armeen entgegentraten. Die britischen und amerikanischen Streitkräfte aber machten durch ganz offensichtlich im voraus getroffene Vereinbarungen auf einer Linie Halt, die von der Adria über Berlin bis zur Ostsee verlief und Europa ganz sauber in zwei Teile zerschnitt.

Die Geschichte dieser beiden Meister‑Schachzüge ist aufschlußreich. Sie begannen mit der schrittweisen Verleugnung der polnischen Exilregierung in London, die eine so tapfere Armee zur Teilnahme an der Schlacht um England aufgestellt hatte. Mit welchem Recht Großbritannien und die Vereinigten Staaten diese rechtmäßige Regierung einer verbündeten Nation stürzten, wird die Geschichte sich vergeblich fragen. Im März 1943 aber erklärte die «Times» unter der amüsanten Überschrift «Die Sicherheit Europas»: «Rußland hat einzig und allein ein Interesse daran, sich zu versichern, daß seine äußere Verteidigungslinie in sicheren Händen liegt. Diesem Interesse wird am besten damit gedient, wenn die Gebiete zwischen seinen Grenzen und denen Deutschlands von Regierungen beherrscht werden, welche ihm gegenüber freundschaftlich eingestellt sind.»

Der nächste unmißverständliche Schachzug erfolgte in Jugoslawien. Die Serben hatten sich, um ihren König geschart, gegen Hitler erhoben. Der König stand auf unserer Seite; die Reste seiner Armee, unter seinem Oberbefehlshaber, kämpften in den Bergen. Plötzlich führte die Propaganda‑Maschinerie das Wort «Partisanen» in den amtlich‑kontrollierten Nachrichten ein. Wer waren diese Neukömmlinge? Nun, die Kommunisten mobilisierten ihren «unzerstörbaren Kern», erklärte Winston Churchill. Dann mit einemmal tauchte «Marschall» Tito auf ‑ ein Mann, bei dem weder der Rang noch der Name echt ist. Man beachte die Hand hinter den Kulissen! Dieser Mann, der wie Hitler von irgendwoher, wie der «Knüppel aus dem Sack» auftauchte, stand ungefähr in dessen Jahren und war irgendwo in derselben alten österreichisch-ungarischen Monarchie geboren worden, für die Welt ein Unbekannter ‑ nicht aber für Moskau, wo er jahrelang geschult worden war.

Waren seine Beglaubigungsschreiben wohl dermaßen gut, daß man ihn mit solchem Respekt behandeln mußte? Will man ihm ebenfalls gutschreiben, wie es die Dummköpfe bei Hitler getan haben, daß er, einzig und allein von seiner Persönlichkeit getragen, so kometenhaft an die Macht gelangte? Moskau hatte ihn geschult, aber London und Washington verhalfen ihm auf den Thron. Dem rechtmäßigen verbündeten König (den man in London und Washington sogar entthronte) und seinem Oberbefehlshaber verweigerten Großbritannien und die Vereinigten Staaten jegliche Waffen‑ und Geld‑Hilfe. Alles ging an «Tito». Aus von Fallschirmen getragenen Kanistern regnete es britische Gold‑Sovereigns auf ihn hinab. Was bewog wohl einen Präsidenten Roosevelt, der «Nieder mit der Diktatur!» schrie, selbst eine zu gründen, oder einen Winston Churchill, der über das Chaos als Folge des Krieges klagte, es selbst ausbreiten zu helfen?

Der Eiserne Vorhang wurde gezogen, der getarnte Krieg der Jahre nach 1945 begann. All dies ereignete sich unter der Herrschaft der «Drei Großen» in den Jahren 1942‑1945. Der Erste Weltkrieg hatte dafür keine Parallele, und das Sich‑Fügen der Öffentlichkeit wäre undenkbar gewesen, bevor es sich ereignet hatte. So scheint die tödliche Gefahr des Krieges im 20. Jahrhundert darin zu liegen, daß sich freie Völker ganz mechanisch mit dem neuen Dogma abfinden: Wenn ein offener Kampf beginnt, müssen die amtierenden Politiker uneingesehränkte, diktatorische Macht besitzen. Es ist aber im Kriege noch gefährlicher als im Frieden, wenn ein einziger Mensch sich das göttliche Recht anmaßt, über weit entlegene Völker und Länder nach eigenem Ermessen zu verfügen.

Die Höhepunkte dieser Zeit waren die Konferenzen von Moskau, Teheran und Jalta (auf der letzten war der Präsident der Vereinigten Staaten ganz offensichtlich ein sterbender Mann). Wo alles im geheimen getan wird, bleiben der Öffentlichkeit nur Vermutungen. Wir können deshalb nur betrachten, was diese drei Männer, die in Kontinenten und Millionen sprachen, getan haben.
Stalin ist schon seit langem der unangefochtene Beherrscher des versklavten Rußland, nur ein Gefangener seiner eigenen Befürchtungen, die ihn davon abhalten, jemals den Bereich seiner eigenen Armeen zu verlassen oder seinen Russen mehr als nur seinen Kopf auf dem Roten Platz zu zeigen.

Die vorsichtigen und weitschauenden Schöpfer der Verfassung der Vereinigten Staaten sahen nicht so weit voraus wie ein wiederholt neugewählter Präsident mit einer autokratischen Macht bis weit über die westliche Hemisphäre.
Winston Churchill war während des Krieges mit allen Machtmitteln ausgestattet. Nach meinem Urteil ist er der einzige von den dreien, dessen Herz wirklich für eine freie Gesellschaftsstruktur und freie Menschen schlug. Und doch geriet er weitab von diesen Idealen, als er in seinem Eifer, «den Krieg zu gewinnen», jene Notstandsmaßnahmen ergriff, welche die Natter am Busen der Freiheit sind. Er sagte einmal im Parlament etwas, was darauf schließen läßt, er habe sich ‑ so allmächtig er in England zu sein schien ‑ als Gefangener zwischen zwei größeren Mächten gefühlt, und wer kann wissen, welche Mächte sich hinter jenen verbargen? Hat er unter dem Druck, der ihm überwältigend schien, einer Verstümmelung Europas zugestimmt, die er selber dann später heftig anprangern sollte?

Über allem dem liegt ein Geheimnis, es sei denn, seine Memoiren lüften einmal, wenn sie erscheinen, den Schleier. Das Ergebnis aber liegt offen zu Tage, und wenn hinter irgend einem der anderen Männer Mächte standen, welche die Zerstörung Europas wünschen, dann waren sie ihrem Ziel beträchtlich näher gekommen. Bestimmt hat Stalin vorausgesehen, daß es ein zweigeteiltes Europa geben würde, eine kommunistische Hälfte, die an britischer und amerikanischer Materialhilfe und Gold erstickte, und die Fortsetzung der Feindseligkeiten. Ist es möglich, daß Präsident Roosevelt und Winston Churchill das nicht vorausgesehen haben? Mir scheint, dieser Präsident sei das Opfer scharfsinnigerer Geister und ein Werkzeug zu Zwecken gewesen, die er gar nicht verstand. (Präsident Roosevelts Politik gipfelte in einem Projekt für die Nachkriegszeit, das die Teilung Deutschlands und die Zerstörung des deutschen Volkes vorsah ‑ dem Morgenthau‑Plan. Dieses phantastische Projekt, das in der Geschichte der zivilisierten Menschheit einzig dasteht, nahm in dem Abkommen von Potsdam Gestalt an, das nach Präsident Roosevelts Tod von Präsident Truman unterzeichnet wurde).

Wollte man ihn politisch klassifizieren, so gehört er zu jener Schule des Liberalismus, die ungezählte Millionen in Trauer gestürzt hat. Winston Churchill aber, der Zoll um Zoll für sein Vaterland kämpfte, fühlte sich zu schwach, um einem übermächtigen Druck standzuhalten ‑ vielleicht war er auch schlecht beraten.

Bisweilen schien er auch zu sehen, was da gebraut wurde. Nach den Meister‑Schachzügen in Polen und Jugoslawien stand noch ein Zug offen, mit dem der Krieg immer noch zu «gewinnen» war. Das war eine frühe Invasion, welche die britisch‑amerikanischen Armeen in die auf Befreiung hoffenden Länder führte, ehe die bolschewistischen Armeen sie besetzten. Es gab einen Augenblick, da ich hoffte, daß er das sähe, denn er sagte den Amerikanern (im Mai 1943, in Washington): «Wir haben viele schwere Gefahren überwunden, aber es gibt eine schwere Gefahr, die uns bis ans Ende begleiten wird. Diese Gefahr ist eine unnötige Verlängerung des Krieges.» Ich hatte den Eindruck, daß er mit diesen Worten irgendjemanden in Washington ermahnte.

Wenn es einen Weg gab, den Krieg abzukürzen und zu gewinnen, dann nur eine zeitige Invasion; und wenn es mit Sicherheit einen gab, um ihn zu verlängern und das Andauern der Feindseligkeiten in Europa zu gewährleisten, dann ein Aufschieben der Invasion. Die Invasion wurde aufgeschoben.

Die Invasion wurde aufgeschoben, oder besser: sie wurde sinnlos auf Afrika und Italien abgelenkt. Auf Europa angesetzt, während riesige deutsche Armeen in Rußland festgehalten waren, hätte sie den wahren und nicht den falschen Sieg gebracht, den Winston Churchill später betrauerte.

Wer bekehrte wen, wer gab wessen Druck nach? Die Schachzüge in Polen und Jugoslawien und der einjährige Aufschub der Invasion zimmerten die Bühne für das Melodrama der fünfziger Jahre: ein zweigeteiltes Europa, oder Ost gegen West, Kommunismus gegen Kapitalismus, Asien gegen Amerika ‑ oder welchen irreführenden Namen man auch immer für die Massen wählen mag.

War das ganze wiederum eine einzige Kette von Irrtümern? Diese Erklärung will einem schwer in den Kopf. Was aber klar ist, das ist der unleugbare Anteil der übernationalen Kräfte während dieses ganzen Krieges des 20. Jahrhunderts, um jene Popanze zur Macht zu bringen, die niederzuringen die Völker dann später berufen wurden, nur um sie hinterher merken zu lassen, daß während sie das besorgt hatten ‑ andere an ihre Stelle gesetzt worden waren. Immer und überall erscheint die Finanzmacht als der Gegner von Frieden und Freiheit der Völker, und während ein Tyrann niedergerungen wird, hat sie ihre Hilfe schon einem anderen geschenkt. Britisches und amerikanisches Kapital finanzierte die deutsche Wiederaufrüstung, und Hitler wurde mit Gebietsabtretungen ermutigt, diesen Krieg zu beginnen. Als er dann Rußland angriff, wurde die ganze Unterstützung auf den neuen, kommenden Angreifer übertragen. Betrachtet man die Zukunft, dann ist es zwecklos zu übersehen, welchen Anteil britisches und amerikanisches Geld gespielt hat, um das kommunistische Weltreich bis ins Herz Europas vordringen zu lassen.

Der Umfang der britischen und amerikanischen Hilfe, die das kommunistische Rußland erhielt, war ungeheuerlich, und das waren keine papierenen Anleihen oder buchhalterische Transaktionen, sondern Materiallieferungen und Gold. Sie wurden ohne jede öffentliche Kontrolle gespendet und konnten nur gerechtfertigt werden, wenn sie einen «gemeinsamen Sieg» zustande brachten. Aber wie man voraussehen konnte, geschah das nicht.

Es ist bemerkenswert, wie gut die Handlungsweise Hitlers in diesen Rahmen paßt. Wenn er nicht fähig war, die Invasion in England zu bewerkstelligen, dann hatte es sich überhaupt nicht gelohnt, diesen Krieg anzufangen, es sei denn, er habe Deutschland zerstören wollen. Dasselbe geschah nochmals vor Moskau (Victor Kravchenko, damals Hauptmann der Roten Armee, beschreibt in seinem Buch «Ich wählte die Freiheit» die Verwirrung und Panik in Moskau zwischen dem 13. und 18. Oktober und sagte: «Die Deutschen hätten Moskau während dieser Tage ohne Kampf einnehmen können … Warum sie sich zurückzogen, ist ein Geheimnis, das nur die Deutschen selber vor der Geschichte aufdecken können.»).

Ich glaube, daß Hitler selbst den Befehl zum Rückzug gegeben hat, und weise abermals auf das Geheimnis seiner Herkunft und seiner Beweggründe hin. Und dann haben wir noch die unerklärlichen Ereignisse von Pearl Harbour, das trotz vielen Warnungen einem japanischen Angriff wehrlos ausgesetzt blieb. (Der amerikanische Schriftsteller George Morgenstern schrieb ein Buch, «Pearl Harbour, The Story of the Secret War», das von den meisten Kritikern entweder übergangen oder lächerlich gemacht worden ist, aber das großes Interesse bei der Öffentlichkeit und steigenden Absatz gefunden hat. Das «American Journal of International Law» schreibt sehr ernst über dieses Buch:
«Entweder geht Morgenstern einer falschen Fährte nach, oder dieser Krieg war von amtlichen Personen Amerikas geplant, die ihre Landsleute betrogen haben. Solange der Gegenbeweis nicht geliefert wird, bleibt die Beschuldigung aufrecht … Der Autor, der sich des sensationellen Charakters seiner Behauptungen bewußt war, hat sich durch Auszüge aus Originalakten gesichert. Es bleibt nun den Verteidigern der amtlichen Lesart über Pearl Harbour überlassen, diese zu entkräften».)

Es gibt noch einen andern Schachzug, der den Krieg entweder abwenden oder, wenn schon begonnen, abkürzen konnte. Das war die Beseitigung Hitlers. Es erscheint jetzt überzeugend belegt, daß jeder derartige deutsche Versuch von Moskau (wo man den deutschen Kommunisten verbot, sich an solchen Unternehmen zu beteiligen), aber auch von London und Washington durchkreuzt wurde. Wenn es verborgene Hände gab, die den Verlauf und die Ergebnisse dieses Krieges verkehren oder ihn verlängern wollten, dann muß dies ihr Triumph gewesen sein.

Diese Geschichte zieht sich durch wenigstens sechs Jahre hin, von 1938 bis 1944. Im Jahre 1938 erkannten führende deutsche Generäle und Politiker, an ihrer Spitze der Chef des Generalstabes, Beck, und der Oberbürgermeister von Leipzig, Karl Goerdeler, daß Hitler im Begriffe war, einen europäischen Krieg zu beginnen. General Beck besprach sich mit dem ganzen deutschen Generalstab und machte ihm klar, daß Deutschland nicht imstande sei, einen europäischen Krieg zu gewinnen, und daß ein Weltkrieg Deutschland zugrunde richten werde. Beck und Goerdeler informierten die britische Regierung über Hitlers Pläne und empfahlen eine eindeutige britische Erklärung, daß jede gegen die Tschechoslowakei gerichtete Aktion den Krieg bedeutete. Beck forderte auch die kommandierenden Generäle der deutschen Armee auf, sich im Kriegsfalle gegen Hitler zu erheben.

London gab keine Antwort. Statt dessen machte Chamberlain drei Flüge zu Hitler, und Großbritannien und Frankreich forderten die Tschechoslowakei auf, vor Deutschland zu kapitulieren.

Mit der Zurückweisung dieses Angebots und dem Pakt von München wurde der Krieg zur Gewißheit, falls Hitler und Stalin sich die Hände reichten, wie sie es im September 1939 dann auch wirklich taten. Von da an machte die Propaganda‑Maschinerie den Massen während sechs Jahren (beziehungsweise vier, was Rußland betrifft) weis, daß der für den Krieg verantwortliche Mann einzig und allein Hitler sei und daß dessen Sturz ihn beenden werde. Und doch wurde dabei jeder Versuch seitens derer, die ihn allein umbringen konnten, der Deutschen nämlich, zurückgewiesen und verheimlicht.

Im Jahre 1940 traf ein englischer Besucher, J. Lonsdale Bryans, in Rom den künftigen Schwiegersohn Ullrich von Hassels und hörte von ihm, daß Hitlers Gegner in Deutschland immer noch gewillt waren, loszuschlagen, falls sie auf die Hilfe Großbritanniens rechnen konnten. Lonsdale‑Bryans informierte das Foreign Office, erhielt die Möglichkeit zurückzukehren und hatte im Februar 1940 eine Begegnung mit von Hassel in der Schweiz, wo Hassel ihm ein Memorandum mit dem Entwurf einer Verfassung für ein reformiertes Deutschland mit demokratischer Staatsordnung übergab, die nach Hitlers Beseitigung eingeführt werden sollte. Als Lonsdale‑Bryans damit nach London kam, konnte er jedoch für seine zweite Begegnung mit von Hassel nur einen Brief erwirken, in dem «die britische Regierung ihre Anerkennung für das beträchtliche Risiko» aussprach, das dieser dem Verhängnis geweihte Deutsche damit eingegangen war, seine Vorschläge schriftlich zu fassen und zu unterzeichnen. Von Hassel gab weitere Proben für seine gute Gesinnung, indem er Lonsdale Bryans warnte, daß Deutschland die Niederlande angreifen und Italien in den Krieg eintreten werde. (Ich glaube, daß Lonsdale Bryans, von dem ich diese authentischen Angaben habe, ein Buch über diese Verhandlungen geschrieben hat, und hoffe, daß es auch erscheint.)

Ach! wenn nur Hitler tot wäre! jammerten die Politiker, die Leitartikler und die Schlagerdichter im Chor. Aber Hitler hatte mehr Freunde als diejenigen, die ihn zu beseitigen trachteten. Um 1941 herum gehörten zu ihnen Männer aus allen sozialen, politischen und religiösen Lagern in Deutschland. (Erbeutete deutsche Dokumente lassen erkennen, daß mehr als 4980 Deutsche nach dem letzten Attentat gegen Hitler am 20. Juli 1944 hingerichtet worden sind). Im Jahre 1942 übergab Pastor Dietrich Bonhoeffer dem Bischof von Chichester in Schweden ein Memorandum an die britische Regierung. «Sagen Sie uns nur, daß Sie mit einem von Hitler befreiten Deutschland verständig umgehen wollen», heißt es da flehentlich, «und wir werden handeln». Der Bischof informierte die britische Regierung, auch die amerikanische wurde auf dem laufenden gehalten. Aber zur bitteren Enttäuschung der Verschwörer wurde nichts unternommen.

Statt dessen kam es zu einer Begegnung von zweien der Kriegsführer in Casablanea, im Januar 1943, und zur Forderung (die vermutlich den abwesenden Dritten besänftigen sollte, der schon eine deutsche Armee schulte) nach «bedingungsloser Kapitulation». W. A. Dulles sagt darüber: «Bisweilen schien es, als ob diejenigen, welche für die Politik in Amerika und England verantwortlich waren, die militärischen Aufgaben so schwierig wie nur möglich gestalteten, indem sie alle Deutschen zum Widerstand bis zum bittern Ende einigten.»
Ja, es hat den Anschein, als ob der Krieg mit allen Mitteln verlängert wurde, damit der Zustand andauernder Feindseligkeiten daraus hervorginge. Aber wer «war für die Politik in Amerika und in England verantwortlich»?

Die amerikanischen und britischen Führer im Kriege schienen allmächtig zu sein, aber waren sie es wirklich? Meiner Ansicht nach waren Winston Churchills Macht Grenzen gesetzt durch die Notwendigkeit (wie er sie sah), den Krösus, den mächtigen, unerschöpften Verbündeten günstig zu stimmen. Präsident Roosevelt war also der stärkere ‑ aber war seine Macht absolut? Wenn sie es war, dann war das gefährlich, denn das Buch seines Sohnes zeigt uns einen Mann, der von Europa nichts verstand und dessen Gedankengang sehr jugendlich‑unreif und befangen war.

Seine Macht scheint von seinen «Ratgebern» eingeschränkt gewesen zu sein. Während seiner langen Präsidentschaft ließ er jenes geheimnisvolle und gefährliche Amt wieder aufleben, das zum ersten Male in den Jahren 1914‑1918 neben Woodrow Wilson sichtbar geworden war: den «Ratgeber des Präsidenten».

Ein solches Amt ist in der amerikanische Verfassung gar nicht vorgesehen, und diese «Ratgeber» scheinen mir große Machtvollkommenheiten entwickelt zu haben, ohne mit der geringsten Verantwortung belastet worden zu sein. Präsident Roosevelt war umgeben von Männern ‑ häufig von osteuropäischer Herkunft ‑, denen er kraft seiner außerordentlichen Vollmachten ungeheure Macht über die Menschheit weitab der Vereinigten Staaten übertrug. Als er starb, wurden solche, niemals durch eine Wahl bestätigte Männer als die Häupter der verschiedensten Körperschaften sichtbar, welche sich zum Ziel gesetzt haben, das Wohl und Wehe von Millionen in Europa im Namen der «Vereinigten Nationen» diktatorisch zu entscheiden.
Wenn es einen geheimen Plan der großen Drahtzieher gab, dann wurde er damals sichtbar. Durch die Zeiten der Kriegsverwirrung und durch die Potentaten des Notstandes war die Macht in der Welt von den gewählten Regierungen in den verschiedenen Ländern an die – alle in Amerika beheimateten ‑ Departemente einer Welt‑Regierung übergegangen. Und die Welt‑Beherrscher, scheint mir, traten damals aus dem Dunkeln hervor.

Der Plan lief augenscheinlich darauf hinaus, durch «Not‑Vollmachten» eine Weltdiktatur auf den Ruinen der verschwundenen Diktaturen zu errichten. Ihm war kein voller Erfolg beschieden, aber er hat beträchtliche Fortschritte gemacht. Er kann nur völlig verwirklicht werden, wenn der Krieg des 20. Jahrhunderts weiter andauert, und das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum dessen Fortsetzung vorbereitet wurde.

Nehmen wir einmal ‑ um der Diskussion willen ‑ an, es gäbe keinen geheimen Krieg, es hätte keine ‑ obschon ich das behaupte ‑ Schachzüge gegeben, die man einem unverständigen Präsidenten der Vereinigten Staaten und einem hart bedrängten britischen Premierminister aufgezwungen hat, um die Kriegsziele zu verkehren und die Fortsetzung der Feindseligkeiten bei Kriegsende zu erreichen. In diesem Falle blieb bei Beendigung der Kampfhandlungen ein Schachzug offen, durch den der gutgläubige Krieg noch immer hätte gewonnen und sein ursprüngliches Ziel hätte erreicht werden können. Dieser Schachzug war, die britischen und amerikanischen Streitkräfte solange unvermindert in Europa zu belassen, bis daß das kommunistische Weltreich einen Friedensvertrag unterzeichnet und dessen Verpflichtungen damit eingelöst haben würde, sich bis wenigstens zur Mitte von Polen zurückzuziehen und der britischen und amerikanischen Öffentlichkeit alles das bekanntzugeben.

Das Gegenteil jedoch trat ein, und dies war der erste Schachzug in dem heimlichen Kriege hinter der Fassade des Friedens. Die britischen und amerikanischen Streitkräfte wurden übereilt zurückgezogen (die Aufmerksamkeit der Massen wurde derweilen mit den Nürnberger Gerichtsverhandlungen beschäftigt), bis nur noch kleine Garnisonen übrig blieben, die gar nicht mehr imstande waren, den Dieb mit seiner Beute zu behelligen.

Gleich danach aber wiederholte sich die Situation der dreißiger Jahre im Faksimile, als Hitler gleichzeitig getadelt und ermutigt wurde. Ein lautes Jammern über die Unvernunft und den schlechten Willen der Sowjets begann. Am 1. Juli 1947 erklärte General Marshall mit vorwurfsvollen Blicken nach dem sowjetischen Delegierten: «Die Vereinigten Staaten haben die größte Militärmacht, welche die Welt je gesehen, demobilisiert.» Es seien nur kleine Garnisonen als Besatzungsmacht zurückgeblieben, und «an diesen Abzug seien keinerlei Bedingungen geknüpft worden».

«Keine Bedingungen» im Jahre 1945! Warum dann aber die Klagen im Jahre 1947? Das Geheimnis liegt nicht in dem Verhalten der Sowjets, das alle erfahrenen Kenner hätten voraussagen können, sondern einmal in diesen bedingungslosen Geldgeschenken und zum anderen in diesem bedingungslosen Abzug der Truppen, der ganz eindeutig zu einer neuen Kriegslage führen mußte. Die Herren Politiker aber können doch nach diesen dreißig Jahren nicht so einfältig sein! Von wessen Hand stammen diese Schachzüge? Wenn Amerika wirklich das kommunistische Weltreich dazu bewegen wollte, den Frieden zu wahren, dann wäre das in China leichter gewesen als in Europa. Aber das ganze Jahr 1946 diente nur dazu, daß man Marschall Chiang‑Kai‑Schek Unterstützung versagte, der damals versuchte, die sowjetische Aggression abzuwehren, und daß man die amerikanischen Streitkräfte bedingungslos aus China zurückzog!

Sollten das alles nur Irrtümer gewesen sein, dann ist das eine phantastische Geschichte. Die Wahrheit könnten wir nur aus den Dokumenten aus der Zeit der Herrschaft der «großen Drei» erfahren; aus allen jenen Abkommen, Protokollen, Memoranden und Noten, die jetzt im Weißen Haus (Präsident Roosevelts Nachfolger im Amt hat sich geweigert, einem «Untersuchungsausschuß» des Senats Einsicht in die Akten der Rooseveltschen Diktatur zu gewähren) und in Whitehall verborgen sind und welche die Transaktionen von Teheran, Jalta, Potsdam, Kairo und Moskau enthalten. Wir werden diese Dinge nie erfahren, aber meiner Ansicht nach kann man jetzt das wahre Gesicht dieses Krieges des 20. Jahrhunderts, der immer noch andauert, schon klar genug erkennen.

 

III. Gespaltene Gesellschaft

Während der Zweite Weltkrieg ‑ das heißt: die zweite Rate des Krieges des 20. Jahrhunderts ‑ andauerte, wurden auf dem großen Schachbrett jene meisterlichen Züge gezogen, die die Fortdauer der Feindseligkeiten nach Kriegsende sicherstellten: Die kommunistische Herrschaft faßte, dank den gewaltigen Zuschüssen von Gold aus England und Amerika, in halb Europa Fuß. Ein anderer Meisterzug bestimmte, welche Gestalt die fortdauernden Feindseligkeiten annehmen sollten.

Eine neue und furchbare Waffe wurde zur Hauptsache auf dieser Insel entwickelt. Ihr Urheberrecht und das Monopol für ihre Herstellung ging, ohne daß die britische Öffentlichkeit auch nur ein Wort darüber zu hören bekam, an Amerika über. Das ist meiner Ansicht nach eine in der Geschichte einzigartige Transaktion. Bisher haben alle Völker die Überlegenheit der Waffen, die sie ihrem nationalen Genius zu verdanken hatten, eifersüchtig gewahrt. Solche Dinge können nur im geheimen geschehen, wenn die Parlamente de facto durch «Notvollmachten» ihrer Tätigkeit enthoben worden sind. In diesem Falle kam die Transaktion erst viele Jahre später an den Tag und wurde dann der Öffentlichkeit als etwas ganz Normales hingestellt. So schrieb die «Times» am 24. September 1947 von «dieser einzigartigen Waffe, welche, soweit bekannt ist, nur die Vereinigten Staaten besitzen» . . .

Wie dem auch sein mag ‑ das Geheimnis der Atomkernspaltung wurde absichtlich abgetreten, und seine Erstgeburt war «die Atombombe». Zwei Exemplare von ihr beendeten den Zweiten Weltkrieg. Der Grund, weshalb sie auf japanische Städte abgeworfen wurden, wird niemals öffentlich bekannt werden. Zwei gute und wahrscheinlich sogar die besten Autoritäten bestritten jede militärische Notwendigkeit. Der britische Oberkommandierende, Lord Mountbatten, sagte in einer Rundfunkansprache, daß der Krieg im Pazifik nicht durch sie gewonnen wurde, da der Sieg schon sicher war, ehe sie zur Anwendung kamen. Der Stabschef des amerikanischen Oberkommandierenden, General MacArthur, sagte dasselbe.

Die Entscheidung wurde alsdann, wie es im Tagesjargon hieß, «an höchster Stelle» unter den Großen getroffen, von denen einer ‑ durch den Tod seines Vorgängers und die Nachfolge im Amt ein gewisser Herr Truman war, während ein anderer im Begriff stand, durch einen gewissen Herrn Attlee ersetzt zu werden. Die eigentliche Entscheidung jedoch trafen vermutlich «die Ratgeber».
Die formell wichtigste Zustimmung war die von Truman. Die Phantasie schreckt zurück vor dem Gedanken an den einstigen Tuchhändler von Kansas City, der plötzlich mitten im Strudel aufgefordert wird, auf der punktierten Linie zu unterschreiben.

Die Wirkung der Bomben wirkte auf die Gemüter der Masse einfach betäubend, weil man sie unter Bedingungen abgeworfen hatte, die für ihren Einsatz die allergünstigsten waren: gegen eine dichtgedrängte Zivilbevölkerung in leicht gebauten Häusern, gegen Menschen, die wehrlos gegen das Unbekannte waren. Die Überlebenden mögen festhalten, daß sie zu jenen «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» gehören, für die in der Folge die Führer des deutschen Volkes angeklagt wurden (außer Hitler). In England gab es nur einen einzigen denkwürdigen Mann, der es ablehnte, seine Kirche mit den öffentlichen Danksagungen in solch einem Augenblick zu verquicken. Dieser Geistliche der St. Albans‑Kathedrale war weiser als der gewöhnliche Sterbliche, der nicht erkannte, daß die Atombombe für seine eigene Einschüchterung ‑ und nicht die der Japaner ‑ abgeworfen wurde.

Der Abwurf dieser beiden Bomben war keine militärische Maßnahme, sondern eine politische, für künftige Bezugnahme berechnet. Kaum waren sie explodiert (und der Krieg zu Ende), als unter den Wortführern des Weltstaates allüberall eine heftige Einschüchterungskampagne einsetzte, die immer noch andauert. Die Redensarten und Argumente waren überall die gleichen und wurden von Politikern und Zeitungen aller Parteien benutzt.

Zum Beispiel Professor Einstein: «Es gibt kein Geheimnis und keine Verteidigung»;
Harold Laski: «Da wir einen Atomkrieg doch nicht überleben werden, können wir aufhören, unser Geld auf die Herstellung von Atomwaffen zu vergeuden», und schließlich ein gewisser
John Langdon‑Davies, der sich auf ein geheimnisvolles «Notkomitee der Atomwissenschaftler in den Vereinigten Staaten» beruft: Es gibt keine militärische Verteidigung gegen die Atombombe, und es ist auch keine zu erwarten . . . Vorbereitungen gegen den Atomkrieg sind nutzlos und werden, wenn sie doch durchgeführt werden, die Struktur unserer sozialen Ordnung zerstören.»

«Da seht ihr’s», hieß es, «die Waffe, auf die es keine Antwort mehr gibt, ist erfunden; es gibt keine Verteidigung gegen sie; die Menschheit muß sich einem Weltparlament unterwerfen ‑ oder zugrunde gehen.»  . . .

. . .  Die Gestalt dieses Planes wurde mir in den Jahren 1942/43 klar, als alle jene anderen unerklärlichen Dinge geschahen. Damals startete die große Kampagne für die «Abschaffung der nationalen Souveränität», eine Parole, die papageienhaft von allen jenen Leuten aufgegriffen wurde.  . . .

Ihr Trumpf ist die internationale Polizeitruppe und ihr Ass, das mit einem heftigen Schlag auf dem Tisch ausgespielt wurde, die Atombombe. «Jetzt müßt ihr euch alle unterordnen», hieß es, «alle, wo ihr auch seid!»  . . .

. . .  Die Organisation der «Vereinigten Nationen» bietet ein fesselndes Studium. Sie zählt Dutzende von Komitees und Ausschüssen, die alle in Nordamerika tagen und der Welt nur durch ihre Abkürzungen: UNRRA, COBSRA, UNESCO und unzählige andere bekannt sind. In der Theorie bergen sich hinter diesen Abkürzungen die künftigen Welt‑Kommissare, die mit einer unwiderstehlichen Macht im Rücken der gesamten Menschheit Vorschriften über das Essen, die Erziehung, das Wohnen und andere Dinge erlassen würden.  . . .

. . .  Dies war der herrlich verwegene, offene Plan für eine Weltdiktatur, welche diesen Planeten durch Atomterror beherrschen sollte. Wenn niemand anderes als diese maskierte Dame ADA über Atombomben verfügen durfte, würde die Atombombe in der Tat eine unwiderstehliche Macht werden. Wenn man allen anderen verbot, sich dagegen zu verteidigen, würde es gegen sie wirklich «keine Verteidigungsmöglichkeit» geben. Der Sinn der Drohung: «Die Menschheit muß wählen!» wurde deutlich.  . . .

. . . David Dallin, früher Mitglied des Moskauer Sowjets, schätzt in seinem Buche «Das wahre Gesicht der Sowjetunion» die Zahl der Arbeiter in Konzentrationslagern auf nicht weniger  als acht Millionen belief. – «Die Hungersnöte in den Jahren 1921/22 und 1932/33», sagt Dallin, «hatten eher politische Gründe, als daß sie auf Naturkatastrophen beruhten.»

Hinsichtlich der zweiten Hungersnot fügt er hinzu: «Nur weil der Staat auf der Ablieferung seines eigenen Anteils» (an der Weizenernte) «bestanden hatte, kam es in vielen landwirtschaftlich ergiebigen Gebieten zu einer furchtbaren Hungersnot mit Millionen von Toten.»
Er gibt an, daß die Bevölkerung Rußlands im Jahre 1914 170 Millionen, und im Jahre 1939 (innerhalb der Grenzen Rußlands) wie 1946 schätzungsweise ebensoviel Einwohner zählte, während es bei Beibehaltung der Bevölkerungszunahme nach 1914 rund 290 Millionen hätten sein müssen. Für diesen Ausfall von 95 Millionen Russen macht er in erster Linie die beiden «von Menschen organisierten» Hungersnöte und die Todesfälle in den Zwangsarbeitslagern verantwortlich.  . . .

. . .  Die Atombombe wird in unserer Zeit dazu benutzt, den Plan einer Welt‑Diktatur zu fördern. Der Weg zur Welt‑Diktatur führt über die «Preisgabe der nationalen Souveränität».  . . .

Nach zwanzig Jahrhunderten der Geschichte besteht der Plan, die Menschheit nicht durch die christliche Frohbotschaft, sondern durch die Spaltung von Atomkernen oder deren Androhung zu bekehren. Und das ist des Teufels.

IV. Ein Dieb oder zwei . . .

. . .   Von den vier Hauptanklagen standen «Kriegsverbrechen» und «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» an letzter Stelle. Die ersten beiden waren für jedes Gesetzbuch des internationalen Rechts neu. Sie lauteten: «Verschwörung und gemeinsame Planung» und «Verbrechen gegen den Frieden». Darin enthalten waren «Planung und Durchführung von Angriffskriegen».

Wenn es einen «gemeinsamen Plan» gab, dann trat er mit dem Bündnis zwischen Stalin und Hitler im Jahre 1939 ans Licht, und einer der Richter, die Sowjetunion, war ein Komplize bei diesem Plan und bei dem ersten «Angriffskrieg». Dieser Richter hatte damals dem Verbrecher‑Bruder zu einem «mit Blut besiegelten» Vertrag gratuliert und die Beute mit ihm geteilt. Und einer der Männer auf der Anklagebank, Ribbentrop, war Träger der höchsten Ehrung, die sein Richter‑Kumpan zu vergeben hatte, des Lenin‑Ordens, welcher ihm anläßlich der Unterzeichnung des Angreifer‑Bündnisses verliehen worden war.
Das ist für mich ein ekelhafter Widerspruch, der sich durch keine Rhetorik und keine Sophistik rechtfertigen läßt, und er macht das große Gerichtsverfahren zu einer Farce, auf jeden Fall soweit es diese beiden betrifft.  . . .

Die «unangenehmste aller Tatsachen» jedoch war die Anwesenheit des Komplizen hinter dem Richtertisch. Von zwei Dieben wurde der eine beehrt, über den anderen zu Gericht zu sitzen. Falls dies das Verfahren für die Zukunft sein soll, dann kann der Nürnberger Prozeß selbst als «eine der tiefsten Tragödien in der Weltgeschichte» angesehen werden.

Wem gehörte nun eigentlich die Rache in Nürnberg? Etwas anderes geschah dort, worüber die Welt völlig in Unkenntnis gelassen wurde. Der Meineidige unter den Eidgeschworenen war deutlich sichtbar, wenn man auch nur das geringste Gedächtnis für geschehene Verbrechen besaß. Das andere aber blieb verborgen.

Ich hatte es in meinem Buche «Falls wir es bereuen sollten!» vorausgesehen. Am 17. Dezember 1942 machte Anthony Eden vor dem Unterhaus im Namen der Vereinigten Nationen eine Erklärung über das Judenproblem. Soweit mir bekannt ist, geschah es damals erst zum zweiten Male, daß ein britischer Politiker das Wort «Erklärung» gebrauchte.

Die erste «Erklärung» war das Versprechen, «die Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen», die Lord Balfour am 2. November 1917 während des Ersten Weltkrieges abgegeben hatte.
Edens Erklärung beschäftigte sich im besonderen mit den Juden, und er sagte: «Diejenigen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, werden ihrer Strafe nicht entrinnen.» Mir schienen das damals die bedeutungsvollsten Worte des ganzen Krieges zu sein, denn sie bekundeten, daß Strafe nur für die Vergehen gegen eine Gruppe von den vielen, die Hitler verfolgt hatte, zu erwarten war. Damals schrieb ich:
«Kein Sterbenswörtchen verlautet über alle die Verbrechen, die gegen Tschechen, Serben, Polen, Franzosen, Holländer, Norweger, Griechen, Belgier und andere begangen worden sind . . . Wir teilen den Deutschen formell aus unserem Unterhaus mit, daß alles, was sie von uns zu erleiden haben werden, einzig und allein um der Juden willen geschehen wird. Die Folgerung daraus ist, daß sie Tschechen, Polen, Serben und alle anderen ungestraft unterdrücken, deportieren und morden können. Wir haben unseren Namen für die Androhung einer jüdischen Rache hergegeben.»

Mir scheint, daß diese Drohung durch die Art der Urteile und durch das Erhängen der Verurteilten wahrgemacht worden ist. Aber was für mich das bedeutungsvollste Ereignis in Nürnberg, wo die ganze Weltpresse versammelt war, zu sein schien ‑ das fand keine Erwähnung in der Massen‑Weltpresse. Die Tage der Verurteilung und der Hinrichtung waren jüdische Feiertage! Rosch Hoschanni, das jüdische Neujahr und der Tag der Buße, fiel auf den 26. September 1946; Yom Kippur, der Tag der Sühne, auf den 5. Oktober; Hoschanna Rabba (da der jüdische Gott nach einer Pause, während der er seinen Urteilsspruch über jedes einzelne menschliche Wesen erwogen hat und Sünder immer noch begnadigen konnte, sein endgültiges Urteil bekannt gibt) auf den 16. Oktober.

Die Urteile in Nürnberg wurden am 30. September und 1. Oktober verkündet (zwischen dem jüdischen Neujahr und dem Tag der Sühne). Die Hinrichtungen wurden gleich, nach Mitternacht, in den Morgenstunden des 16. Oktobers, am Tage Hoschanna Rabha, vollzogen. Für das Judentum in der ganzen Welt lag eine unmißverständliche Bedeutung in der Wahl dieser Tage. Den Nicht‑Juden in der ganzen Welt bedeuteten sie nicht mehr als andere Tage.

Der Prozeß und die Hinrichtungen fanden in der amerikanischen Zone statt. Mir will scheinen, daß diese symbolischen Daten mit Absicht gewählt worden sind, und daß diejenigen, die sie auswählten, Stellungen bekleideten, die ihnen erlaubten, die amerikanischen Behörden ihren Wünschen willfährig zu machen.
Die britischen Zeitungen vermieden es, zu diesen Dingen irgendwelche Kommentare zu bringen; ich weiß aus eigener Erfahrung, daß das immer so ist. Eine Zeitung jedoch, der «Manchester Guardian», druckte den Brief eines Lesers ab, der sich über den Nürnberger Prozeß folgendermassen aussprach:
«Die vier Nationen … haben jetzt durch ihre Führer das Christentum ganz offen verleugnet … Es ging darum, die Wahl zu treffen zwischen dem «Auge um Auge, Zahn um Zahn» und «Die Rache ist mein!» Großbritannien, Amerika, Frankreich und Rußland haben die Wahl zugunsten blutrünstiger vorchristlicher Riten getroffen.»

Dies scheint mir die genaue Wahrheit zu sein. Die Wahl dieser Tage kann schwerlich zufällig erfolgt sein, und auf diese Weise erhielten die Hinrichtungen den Charakter einer Stammesrache nach dem Gesetz des Alten Testamentes. Die politischen Vertreter Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, deren Namen mit diesen Geschehnissen verknüpft sind, haben entweder bewußt oder unbewußt der Auffassung zugestimmt, daß das europäische Christentum bei allen diesen Dingen von zweitrangiger oder gar keiner Bedeutung war. Wenn man diese Todesurteile nicht im Namen aller Opfer vollstreckte, sondern nur im Namen der einen Gruppe, dann wurden alle anderen Opfer ganz offensichtlich außerhalb des angewandten Rechtes gestellt, und das war weder gerecht noch christlich. Sie wurden nach ihrem Tode ebenso effektiv durch diese Symbolik entrechtet wie durch Hitlers Erlasse zu Lebzeiten.

In der Folge machte sich dann in der Gegend von Nürnberg derselbe geheime Einfluß bemerkbar. Viele nazistische Organisationen wurden in Nürnberg en bloc für verbrecherisch erklärt, und das bedeutete, daß Tausende von Deutschen in Haft gesetzt und monatelang oder gar jahrelang ohne Untersuchung und Urteil nicht wegen besonderen Verbrechen gefangen gehalten wurden, sondern einzig und allein weil sie Organisationen angehört hatten, in die sie unter Zwang eingetreten waren.

Ein Abgeordneter des britischen Unterhauses, Nigel Birch, stellte bei einem Besuch im August 1947 fest, daß sich allein in einem Konzentrationslager annähernd viertausend solcher Männer befanden. Er berichtete, daß die erste Frage, die man ihnen vorlegte, wenn sie endlich vor ein Gericht kamen, immer dieselbe war: «Haben Sie etwas von den Judenverfolgungen gewußt?» Die Strafe, welche diese Menschen für gewöhnlich trifft, ist die Streichung von den Wahllisten und der Zwang, sich bei der Polizei registrieren zu lassen, die Beschlagnahme ihres Eigentums und das Verbot, andere als die niedrigsten Arbeiten anzunehmen. Wieder einmal wurde die Unterstützung amerikanischer und britischer Politiker für ein mit den vorgegebenen Kriegszwecken völlig unvereinbares Ziel deutlich. Der lange Schatten von Nürnberg und von den Mächten, die hinter dem Prozeß standen, reicht bis weit in die Zukunft. Wer so mächtig ist, derartige Dinge zustande zu bringen, wie es ihm gerade paßt, wird seine Anstrengungen natürlich nicht auf Deutschland beschränken.

(Zweites Buch, ab Kap. V: «Im unbekannten England» bis Drittes Buch, «Qualm 1945 – 1950» wurde weggelassen, da diese Seiten (137 bis 278) vorwiegend die Situation in England betreffen. H. Koch, 2012)

VIERTES BUCH

Die blitzenden fünfziger Jahre: 1950 ‑

Trotzdem die Kampfhandlungen vor zwei Jahren eingestellt wurden, sagten die Leute in England noch im Jahre 1947, wenn sie an normale Zeiten dachten: «Vor dem Krieg … » Sie bemerkten also ganz unbewußt, daß sie nicht im Frieden lebten. Wenn sie vom «letzten Krieg» sprachen, dann meinten sie den Ersten Weltkrieg. Auch hier wußten sie ganz instinktiv, daß der Zweite noch nicht beendet war.

Das ist der wahre Sachverhalt. Während der Krieg noch im Gange war, wurde dessen Fortsetzung beschlossen; daran waren hauptsächlich die Abkommen über Polen und Jugoslawien schuld. Europa kann ebensowenig zweigeteilt leben wie eine Schlange mit einem halbverschlungenen Kaninchen im Rachen: Entweder muß sie dieses ganz verschlingen oder ganz ausspucken. Entweder muß das antichristliche Reich die restliche Hälfte der europäischen Christenheit verschlingen oder diese gänzlich freigeben. Trotzdem alles möglich ist, glaube ich nicht, daß es die bereits eroberte Hälfte freigeben wird.  . . .

Während so der zweite Akt der blitzenden fünfziger Jahre noch gespielt wurde, rüstete man schon die Bühne für den dritten.

Wie wird dieser überschrieben sein? Vielleicht nennt ihn die eine Seite «Demokratie gegen Diktatur», und die andere «Kommunismus gegen Kapitalismus». Die Lehre aus den ersten beiden Akten aber zeigt, daß man solche Bezeichnungen nur zur Täuschung der Massen führt und daß sich hinter solchen Tarnungen andere Absichten bergen.

Die Diktatoren werden im Falle eines Sieges überall die Diktatur einführen und diese Weltkommunismus nennen; die «Demokraten» werden im Falle eines Sieges ebenfalls überall die Diktatur einführen und diese Weltregierung nennen. Die Menschheit wird also vor eine Wahl gestellt, wo es in Wahrheit gar keine Wahl gibt.

Das einzige wofür es sich, wie früher, auch in den fünfziger Jahren lohnen würde zu kämpfen, wäre für das Wohl der Nation und für nationale Freiheit innerhalb der nationalen Grenzen.
Es ist die leicht erkennbare Absicht des dritten Aktes der griechischen Tragödie, beide noch völlig zu zerstören. Da die führenden Köpfe auf beiden Seiten eigentlich vom gleichen Gedanken besessen sind, wären sie in Wirklichkeit Verbündete. Der Verlauf der ersten beiden Akte hat es mir klar gemacht, daß sich in allen Staaten mächtige Menschen befinden, die dieses Ziel verfolgen, und vielleicht hat auch Hitler zu ihnen gehört.

Die einzigen drei Naziführer, die in Berlin verblieben und dort verschwunden sind, Hitler, Goebbels und Bormann, waren ausgesprochene und erleuchtete Nihilisten. Die andern, mit Ausnahme Speers, der die Wahrheit in den letzten Monaten des Regimes erkannte, waren meiner Meinung nach unklare Köpfe und mußten sich für Zwecke hergeben, die sie gar nicht kannten (wie manche britische, sozialistische Minister heute).
1941 sandte Bormann allen Gauleitern einen sehr aufschlußreichen Befehl: «Kein einziger Mensch werde etwas vom Christentum wissen, wenn es ihm nicht in seiner Jugend von Pastoren eingedrillt worden wäre. Der sogenannte allmächtige Gott gibt seine Existenz auf keinerlei Weise im voraus den jungen Menschen zu erkennen. Trotz seiner Allmacht überläßt er dies erstaunlicherweise den Bemühungen der Pastoren. Wenn eure Jugend also in Zukunft nichts mehr vom Christentum erfährt, dessen Lehren ohnehin tief unter den unsern stehen, dann wird Christus automatisch verschwinden.»
Das ist die reinste nihilistische und kommunistische Lehre, die sich in den Dokumenten der bolschewistischen und der französischen Revolution immer wieder findet.

Geplantes oder ungeplantes Chaos?
Trugen die Ereignisse dieses Jahrhunderts, die jetzt ihrem Höhepunkt zustreben, im Leben der Völker wirklich nur den unberechenbaren Charakter von Erdbeben und Vulkanausbrüchen in der Natur? Eine solche Antwort muß mit bestem Gewissen verneint werden. Wir leben in einem Zeitalter, in dem alle Regierungen große Pläne verkünden, aber quer durch alle diese Pläne zieht sich der von Menschenhand geschmiedete Super‑Plan.
Hinter all dem Aufruhr besteht eine Absicht. Die Umrisse der gestrigen Ereignisse sind jetzt deutlich geworden und werfen ihre Schatten in die Zukunft voraus.

Ein Rückblick auf die Zerstörungen dieser beiden Kriege, auf unzählige Umwälzungen und auf die letzten dreiunddreißig Jahre zeigt deutlich, daß nur zwei große Zielsetzungen, die vor diesen Ereignissen bereits festgelegt waren, aus ihnen Nutzen gezogen haben. Mitten im «Aufruhr» des Aufstiegs und des Zerfalls von Staaten, des Zusammenbruchs großer Nationen und der Zerstörung der Freiheit in diesen drei wilden Jahrzehnten sind einzig und allein diese beiden Mächte gediehen und immer stärker geworden, so daß sie heute die ganze Szene beherrschen. . . . nur diese beiden Machtfaktoren sind gediehen und erstarkt:
Kommunismus und politischer Zionismus.

Beide ehrgeizigen Bestrebungen sind in ihrer Kühnheit neu für die Weltgeschichte. Die erste forderte ganz offen die Weltherrschaft für ihre revolutionären Lehren und veröffentlichte die Methoden zur Erreichung dieses Ziels. Die zweite forderte Landabtretungen in einem Teil der Erde und überall sonst außergewöhnliche Begünstigungen (das heißt in Tat und Wahrheit: die Macht).
Beide stammten vom gleichen Ort: Rußland. Beide kamen im gleichen Augenblick sichtbar zur Macht, nämlich im Oktober und November 1917, als die Kommunisten in Rußland ans Ruder kamen und die Forderung der politischen Zionisten durch eine britische Regierung unterschriftlich anerkannt wurde. Beide traten demnach mitten im «Tumult» auf. Beide arbeiteten Hand in Hand und unterstützten sich während der nächsten dreißig Jahre gegenseitig (ob sie sich im dritten Akt trennen und sich gegenseitig, wenigstens scheinbar, bekämpfen werden, das zu enthüllen bleibt den blitzenden fünfziger Jahren überlassen). Beide erhielten die Unterstützung britischer und amerikanischer Politiker, Waffen und Geld, um ihre Ziele, besonders im «Tumult» der beiden Weltkriege zu fördern. Beide gingen aus dem ersten Krieg mächtig, aus dem zweiten noch viel mächtiger hervor. Beide erhielten auf ihrem Weg Unterstützung durch das Auftauchen des «antisemitischen Faschismus» in Deutschland, ohne den sie schwerlich weiter gekommen wären.

Ein Rückblick auf den Gesamtlauf der letzten dreißig Jahre zeigt, daß die Existenz des «Nationalsozialismus» für ihr gemeinsames Vorwärtskommen unentbehrlich war. Unter diesem Aspekt wird das Geheimnis von Hitlers Herkunft, seinen wahren Absichten, seinem plötzlichen Auftreten und Verschwinden wahrhaft bedeutsam. Heute erfindet man aus durchsichtigen politischen Gründen in England «das Wiederaufleben des Faschismus».

Ich glaube, daß die Tatsache ihres gemeinsamen Geburtsortes viel zu wenig bekannt ist. Der Anarchismus – Nihilismus ‑ Bolschewismus (um die sukzessiven Namen zu nennen) wurde in Rußland in den achtziger und neunziger Jahren geboren oder wiedergeboren ‑ denn man kann die ganze Lehre bis zu den Geheimgesellschaften, ein Jahrhundert vor der französischen Revolution, zurückverfolgen. In Rußland waren die Juden an dieser Bewegung wesentlich beteiligt. Nach den gescheiterten Revolutionen von 1890 und 1905 wanderten viele nach England und Amerika aus, und diese emigrierten Juden kehrten wieder zurück und beherrschten die ersten bolschewistischen Regierungen. (Den Nachweis habe ich in meinen früheren Büchern erbracht.)

Die Entwicklung in den letzten fünfzehn Jahren war ganz eigenartig. Die Juden sind fast völlig von den vordersten Rängen der Sowjetregierung in Rußland verschwunden, bekleideten aber führende Posten in den kommunistischen Parteien aller andern Staaten. Oft handelt es sich um die Kinder der Emigranten von 1890, 1905 oder aus späteren Jahren. Diese Tatsache wurde durch die Enthüllungen des Kanadischen Berichtes, eines Prozesses in Süd‑Afrika und durch namhafte Informationen aus Amerika, Australien und andern Staaten bestätigt.

Es ist sehr interessant, die parallele Entwicklung des politischen Zionismus zu studieren. Dessen Wachstum inmitten der Judenheit gleicht sehr stark demjenigen des Nationalsozialismus in Deutschland. Der politische Zionismus ist nicht älter als sechzig Jahre. Zu Beginn fürchtete ihn die Mehrheit der Juden; jetzt hält er ihre Mehrheit in einem manchmal mystischen, meist aber terroristischen Bann.

1882 veröffentlichte ein gewisser Leo Pinsker (in Berlin) sein Buch: «Auto‑Emanzipation. Eine Warnung eines russischen Juden an seine Rasse» (Ich nehme an, daß «Auto‑Emanzipation» Selbstbefreiung heißt). Als erster erhob er den Ruf, daß sich die Juden «in einem Staat zusammenschließen müssen».
«Während allen Jahrhunderten haben die Rabbis die Juden daran erinnert, daß für sie die Gründung eines politischen Staates dem Selbstmord gleichkommen würde», sagte 1946 in Montreal ein gewisser Dr. Rabinowitsch (er nannte sich «britischer Staatsangehöriger, Bürger von Kanada, durch und durch Jude»). Aber seitdem Pinsker seinen Ruf angestimmt hat, sind schon viele Rabbis der Versuchung erlegen. . . .

Seine geschriebene Warnung ist traurig, ja schauerlich. Die Juden waren überall frei geworden oder standen im Begriff, die Freiheit zu erlangen. Pinsker aber beklagte sich, daß es sich hier nicht um die selbstverständliche Anerkennung eines natürlichen Menschenrechtes handle, sondern daß es nur das Ergebnis einer intellektuellen Erkenntnis sei. Dann begibt er sich in einen undurchdringlichen Dschungel der Dialektik, wohin ihm nur einer folgen kann, der etwas von der unglücklichen und unstillbaren Sehnsucht weiß, die in jeder jüdischen Seele lebt. Wer in einem Juden nur ein anderes, gleichwertiges Wesen auf zwei Beinen sah, den liebte er noch weniger als diejenigen, die in ihm ein anderes und antipathisches jüdisches Wesen deutlich unterschieden. Er haßte «unsere Beschützer» mehr als «unsere Feinde». «Wir benötigen (sagte er) eine Heimat, wenn nicht sogar einen eigenen Staat … Nicht das Heilige Land soll das Ziel unserer gegenwärtigen Bemühungen sein, sondern ein eigenes Land.» (Kurz darauf lehnten die Zionisten Uganda ab.) Er empfahl den Erwerb eines Territoriums, auf dem sich einige Millionen Juden niederlassen können, «zum Beispiel ein kleines Gebiet in Nordamerika oder eine autonome Provinz in der asiatischen Türkei», die vom Sultan und andern Mächten «als neutral» anerkannt würde.

Aber sogar Pinsker’s Plan enthielt schon jenen ansteckenden Keim, welcher das gesamte Projekt im zwanzigsten Jahrhundert infizieren sollte. Er wollte, daß die Juden eine Nation mit einem eigenen Land werden; aber er wollte nicht, daß diese Nation das Land selbst bewohne. Er wollte nur, daß sich «der Überschuß» von Juden dorthin begebe. Die andern sollten bleiben, wo sie waren. Für die Juden forderte er nationale Rechte, die er andern aber nicht geben wollte. Er behauptete, die Juden seien nicht Staatsangehörige der Länder, in denen sie lebten, mit einem eigenen Glauben, sondern Glieder einer andern Nation. Trotzdem aber seien sie berechtigt, die Staatsbürgerschaft der respektiven Gaststaaten voll und ganz zu genießen. Diese Forderung war in der Geschichte etwas Einmaliges und bisher nur von bewaffneten Siegern an versklavte Völker gestellt worden.

«Die relativ kleine Zahl von Juden im Okzident, die nur einen unbewaffneten Prozentsatz der Bevölkerung darstellen und aus diesem Grunde vielleicht besser gestellt und bis zu einem gewissen Ausmaße sogar assimiliert sind, soll in Zukunft dort bleiben, wo sie sich jetzt befindet.» Damals lebten sehr viele Juden in den russischen, österreichisch‑ungarischen und deutschen Gebieten. Er ließ sie unberücksichtigt, ohne den Wunsch zu bekunden, daß eine jüdische Mehrheit aus einem dieser Staaten jemals nach Amerika oder nach England verschickt werden sollte.

Seine Vorschläge wurden begeistert aufgenommen. «Die Freunde Zions» hielten ihr erstes Treffen 1884 in Kattowitz ab. 1895 hatte Herzl den ersten Zionistenkongreß in Basel einberufen. Im zwanzigsten Jahrhundert war eine weltumfassende, zionistische Organisation im Wachstum, welche in den beiden Weltkriegen die amerikanischen und britischen Politiker unter Druck setzte, um mit Waffengewalt Palästina für den politischen Zionismus zu erobern.

Die mächtige Partnerschaft
Die gemeinsame Wurzel und Geburtsstätte dieser beiden gewaltigen Bewegungen habe ich bereits nachgewiesen. Sie entsprangen aus den weiten, von Juden bewohnten russischen Gebieten in den achtziger und neunziger Jahren. Es ist durchaus erklärlich, weshalb sie anfänglich Hand in Hand marschierten: Manche Juden haben in der russischen Revolution vielleicht den Weg zu einer größeren Freiheit in Rußland selbst gesehen, andere wieder haben in der jüdischen Staatlichkeit und in einem jüdischen Nationalbewußtsein die Hoffnung für eine größere Freiheit außerhalb der russischen Grenzen erblickt. Wie immer dem sei, sie sind nach 1917 nicht verschiedene Wege gegangen, sondern haben sich gegenseitig weiterhin unterstützt. Die Juden trugen wesentlich zur Verbreitung des Kommunismus außerhalb Rußlands bei. Das Sowjet‑Imperium verbot zwar die zionistische Doktrin in Rußland selbst, aber sie förderte diesen Plan in Palästina, genau so wie ihn die Amerikaner und Engländer unterstützt hatten.

Diese Sachlage wurde der Öffentlichkeit erst unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg klar, obwohl man sie schon früher hätte erkennen können. In früheren Kriegen wurde die Regierungsgewalt im besiegten Feindesland immer durch die Besetzungsarmee und einige vom Sieger abgeordnete Staatsbeamte ausgeübt. Aber nach dem zweiten Krieg geschah etwas Neues. In den amerikanischen und britischen Besatzungszonen erhielt noch eine dritte Partei große Gewalt, die man nur durch ihre Initialen kannte: UNRRA. Fünfundneunzig Prozent der gewaltigen Gelder dieser Organisation flossen aus den Vereinigten Staaten, England und Kanada. Ohne die Steuerzahler zu fragen, leistete die britische Regierung einen Beitrag von £ 155 000 000 aus Steuergeldern, und der Totalbetrag der «als freie Spende» ohne Gegenverpflichtung «verteilten» Gelder belief sich auf £ 920 000 000. Ein wesentlicher Teil dieser Spenden, in Geld und Waren, ging nach der Sowjetunion und den von den Sowjets besetzten Staaten, wo die gespendeten Waren entweder an das Volk verkauft (wobei die Gewinne in die Staatskasse flossen) oder für die privilegierten Beamtenklassen reserviert wurden.

Der neugierige Geschichtsforscher wird sich also mit Recht die Frage stellen, wer hier eigentlich wem auf die Beine geholfen hat. Wenn Sowjetrußland und die Satellitenstaaten später zu den Bösewichtern der fünfziger Jahre wurden, so haben sie damals doch eine sehr wesentliche Unterstützung erhalten ‑ ebenso der politische Zionismus. Im Januar 1946 wurde diese Tätigkeit, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, taghell erleuchtet. Ein angesehener britischer Offizier, Generalleutnant Sir Frederick Morgan, der in die Dienste von UNRRA gestellt worden war, mußte sich mit dem dornenvollen Problem der «Displaced Persons», dieser armen, heimatlosen Opfer der Kriegszerstörung befassen. Was er entdeckte, veranlaßte ihn, seiner Entrüstung vor aller Öffentlichkeit Luft zu machen.

General Morgan stellte fest, es bestehe «eine Geheim‑Organisation», um eine Massen‑Auswanderung der Juden aus Europa ins Werk zu setzen. Er soll ferner gesagt haben, es bestehe «ein ausgearbeiteter Plan für einen zweiten Exodus». Hier war die Enthüllung, daß in aller Heimlichkeit große politische Projekte, unterstützt von amerikanischen und englischen Geldern, ausgeheckt wurden.
So gab es eine plötzliche zuckende Bewegung wie bei einem versteckten Riesen. General Morgan hatte Blaubarts verbotene Kammer geöffnet. Ein gewisser Herr Lehmann, damals Generaldirektor der UNRRA, forderte von der andern Seite des Atlantiks die sofortige Abberufung des Generals. Aber General Morgan erhielt die Erlaubnis zu bleiben, nachdem er erklärt hatte, er sei frei von allen «antisemitischen Absichten». Aber im August machte er eine zweite, ähnliche Enthüllung und wurde sofort durch den neuen Ceneraldirektor der transatlantischen UNRRA, einen gewissen Herrn La Guardia, von seinem Posten «enthoben», der an seiner Stelle einen gewissen Herrn Myer Cohen ernannte. (Beide Generaldirektoren waren eingeschworene Zionisten.)  . . .

Das war nun eine genaue Bestätigung von General Morgans Aussagen, . . .  welches der amerikanische Senat nach Europa entsandt hatte. Dieser besagte, daß die massive Auswanderung von Juden aus Osteuropa nach der amerikanischen Zone in Deutschland «einen Teil eines sorgfältig organisierten und von besonderen Gruppen in der USA finanzierten Planes bilde».

Damit lagen die Tatsachen offen vor allen Augen. Diese große Wanderung vollzog sich zur Hauptsache aus der von den Sowjets kontrollierten europäischen Hälfte, die niemand ohne sowjetische Erlaubnis verlassen kann. Ihre Angehörigen waren keine «Displaced Persons». Die meisten stammten aus mehrheitlich jüdischen Gemeinden in Rußland, dem russisch besetzten Polen, Rumänien und Ungarn. Sie wurden vom kommunistischen Imperium geschickt, und ihr Durchmarsch wurde durch britische und amerikanische Gelder erleichtert. Man half ihnen, nach Palästina zu gelangen, um die dortige Lage noch zu verschärfen. Der Kommunismus und ebenso die amerikanische Finanzwelt unterstützte den politischen Zionismus aus selbstsüchtigen Gründen.   . . .  . . .

Als in Palästina einige besonders grausame Mordtaten begangen wurden, schrieb ein britischer Soldat in Palästina einen Brief an die «Times». Er bekundete darin «das allgemeine Gefühl der Enttäuschung und der Verwunderung über die Haltung der Regierung Seiner Majestät gegenüber den Morden an britischen Soldaten . . . Was soll die Armee mit der Sympathie der Regierung anfangen? Die bereits begangenen Morde werden dadurch nicht gesühnt, und weitere Mordtaten werden dadurch ebenfalls nicht verhindert. Besitzt unsere Nation heute etwa nicht mehr den Mut, um den Gesetzen dort, wo wir für sie verantwortlich sind, Nachachtung zu verschaffen?»

In diese üble Lage waren wir nahezu geraten. Wenn wir diese geheime Knechtschaft auf uns nehmen, dann ist unser Los als Nation besiegelt.
Während meiner jetzt fast fünfundzwanzigjährigen Journalistenlaufbahn hat sich diese Finsternis verbreitet, bis nahezu jedes Licht gelöscht worden ist. Als ich mit meinem Beruf begann, waren das Parlament und alle Zeitungen noch für die Diskussion jeder wichtigen öffentlichen Frage zu haben. Damals gab es Presse- und Meinungsfreiheit; in zwei Jahrzehnten ist sie fast völlig verschwunden. Die Art, wie General Morgan behandelt wurde, ist heute allgemein üblich geworden. Mit List hat man es fertig gebracht, jede Diskussion über den politischen Zionismus, über den jüdischen Einfluß im Kommunismus oder über eine Verwandtschaft oder ein Bündnis zwischen beiden Bewegungen glattweg zu verunmöglichen. Dies geschah dadurch, indem man jeden Hinweis auf diese Fragen zum «Anti‑Semitismus» abstempelte.  . . .

Wenn ein Volk seine Freiheit verloren hat, bringt man diese Etikette in das nächste Land, das nun an der Reihe ist.   . . .

Als Leo Pinsker 1882 zum ersten Mal den Vorschlag einer «jüdischen Heimstätte» machte, waren die Massen der russischen Juden dagegen. Damals war die Emanzipation beinahe Wirklichkeit geworden. Als der geheimnisvolle Hitler in Deutschland zur Macht kam, hatten die Juden dort längst ihre Gleichberechtigung erhalten und liebten Deutschland als ihre Heimat. Im England des zwanzigsten Jahrhunderts hatte die einheimische Bevölkerung längst das Bewußtsein verloren, daß sich die Juden in irgend einer Beziehung von der restlichen Bevölkerung unterscheiden ‑ bis die Zionisten und Kommunisten ihren Ruf des «Anti‑Semitismus» anstimmten.

Die Massen der Judenheit sind unter die Gewalt des politischen Zionismus geraten. Die Zahl der Juden, die in dieser Bewegung mit Recht eine tödliche Gefahr für Juden und Nicht‑Juden erblicken, wird immer kleiner und befindet sich auf dem Rückzug. In England und Amerika, wie früher in Deutschland und in Rußland, waren es einige Juden, die als erste die Gefahr erkannten und vor ihr warnten. Ein amerikanischer Jude, Henry H. Klein, schilderte in einer Druckschrift die Macht, welche die als Sanhedrin bekannte fanatische Gruppe über die Judenheit gewonnen hat. Diese Gruppe hat nach seiner Schilderung den Vorsatz, die christliche Welt zu zerstören, ein Vorsatz, der zum größten Teil bereits verwirklicht worden ist. (Er schrieb im Jahre 1945.) Seine Schilderung des Planes und seiner Beweggründe deckt sich mit den Erklärungen Disraelis vor genau hundert Jahren. Herr Klein wurde von den extremen Zionisten verfolgt und durch sie in Verruf gebracht. Wenn einer es wagt, sich ihren Plänen zu widersetzen, fragen sie nicht mehr darnach, ob er Jude oder Nicht‑Jude ist.

Die Macht, die jüdischen Massen wie Schafherden umherzutreiben und ihnen einen fanatischen Haß einzupflanzen, ist in die Hände der seltsamen, halb geheimen Organisation übergegangen, die Hand in Hand mit dem Sowjetimperium arbeitet und gegen die kein nichtjüdischer Politiker sich aufzulehnen wagt. Lord Salesbury hat einmal im Oberhaus gesagt: «Es ist klar, daß wir von einer kleinen, extremen Gruppe der Juden in Palästina als Feind der Juden behandelt werden. Sie haben gegen England den Krieg erklärt.»

Das Wort «klein» war angesichts der offenkundigen, gewaltigen Macht dieser Organisation, die sich ganz bestimmt nicht «in Palästina» befand, irreführend. Ihr Hauptquartier befindet sich in Amerika und in der von den Sowjets beherrschten europäischen Hälfte. In diesem Jahrhundert ist das Gros der Juden von Rußland nach Amerika übergesiedelt. «In der Generation zwischen 1880 und 1910 befanden sich nicht weniger als 30 Prozent aller Juden auf der Wanderung von einem Kontinent zum andern. . . . Und heute, 1940, sind die Vereinigten Staaten mit nahezu fünf Millionen Juden zum weitaus größten jüdischen Zentrum der Welt geworden (bestimmt das größte, das jemals in der jüdischen Geschichte vorhanden war).» Dieses Zitat stammt aus einem Artikel von Benjamin Gebiner in der Jubiläumsnummer des jüdischen «Workmens Circle Call» in Chicago. Seit 1940 erfolgte ein neuer starker Zufluß von Juden nach Amerika, gleichzeitig mit der jüdischen Abwanderung aus den russischen Gebieten nach Palästina.

Eines wissen die Nicht‑Juden nicht, weil ihre Zeitungen davon keine Mitteilungen geben: Den Terror, den die «unsichtbaren Drahtzieher» über diese wandernden Massen ausüben. Ich habe mit britischen Offizieren gesprochen, die sich an Bord der in den palästinensischen Küstengewässern aufgegriffenen «Höllenschiffe» befanden. Sie gaben ganz erstaunliche Berichte, von jüdischen Auswanderern, die keine Ahnung hatten, wer sie eigentlich auf die Reise geschickt hatte; denen man eingeschärft, nur einige erlaubte Worte zu sprechen und die sich aus Angst für ihr Leben weigerten zu sprechen; und die in diesem Zustand eines wirklich tödlichen Terrors von wirklich brutalen Führern mit Gewalt auf den Schiffen zurückgehalten wurden.

Die politischen Zionisten sind in den letzten dreißig Jahren in der Welt erstaunlich mächtig geworden. Im Ersten Weltkrieg gelang es ihnen durch einen bei den kriegführenden Völkern unbemerkten Druck ein Ziel zu erreichen, das mit den eigentlichen Kriegszielen überhaupt nichts zu tun hatte. Sie nötigten einer britischen Regierung das Versprechen für eine «Nationale Heimat» auf dem Boden eines andern Volkes ab, wo sie volle «politische Rechte» genießen sollten (welche den Einheimischen nicht zugestanden wurden) und trotzdem ihre politischen Rechte in andern Ländern behalten durften. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es ihnen, nachdem sich die britische Regierung endlich dieser Aufgabe entledigen wollte, einen amerikanischen Präsidenten und sogar die «Vereinigten Nationen» für ihre Forderungen, sowie die Sowjetregierung zur Inszenierung eines «zweiten Exodus Richtung Palästina» zu gewinnen.

Tumult und Absicht
Das Licht, das wir jetzt auf diese düsteren Ereignisse geworfen haben, beleuchtet auch die Umrisse des kommenden Jahrzehnts. Die Feindseligkeiten dauern fort. Nur die Kampfhandlungen haben aufgehört. Nicht eine, sondern zwei Kriegslagen sind für die Zukunft geschaffen worden, durch welche die Pläne des Welt‑Kommunismus und des politischen Zionismus, die schon oft parallel gelaufen sind, vermutlich weitergeführt werden.

Diese beiden Kriegslagen liegen in Europa und in Arabien. In Europa herrscht eine widernatürliche Zweiteilung, die ebenso wenig anhalten kann, als der Mond seinen Lauf plötzlich einstellt. Sie muß entweder durch einen Rückzug des Sowjetimperiums in die früheren Grenzen oder durch dessen Vormarsch zum Atlantik ein Ende nehmen. Letzteres würde Europa, samt dieser Insel, zu einem zweiten Sowjetkontinent umwandeln.

In Arabien herrscht der ehrgeizige Plan des politischen Zionismus, der nur mit britischer und amerikanischer Waffenhilfe, vermutlich als Streitkräfte der «Vereinigten Nationen» getarnt, verwirklicht werden kann. Ich habe oft darauf hingewiesen, wie bedeutsam die Artikel der «Times», als Anzeichen kommender Ereignisse sind. . . .  Am 14. Mai 1947 schrieb die «Times»: «Die britische Überweisung des Streitfalles zwischen Arabern und Juden an die Vereinigten Nationen auferlegt dieser Organisation die Verpflichtung, einen Schiedsspruch zu fällen, dem mit der Moral und notfalls mit der physischen Autorität der zivilisierten Welt Nachachtung verschafft werden kann.»  . . .

Zurück in die vorchristlichen Zeiten?
Ein solches Unternehmen würde in einfachen Worten bedeuten, daß die Menschen der christlichen Zivilisation an die Geburtsstätte ihres Glaubens und ihrer Kultur mit der Absicht zurückkehren würden, die ganze Geschichte dieser 1947 Jahre ungeschehen zu machen. In dieser Handlung liegt eine ungeheure symbolische Kraft: Europa, zu zwei Dritteln schon vollkommen zerstört, braucht nur noch diesen letzten Schlag.

Wer konnte das vor dreißig Jahren voraus sehen, als ein britischer Politiker im Schutze der ihm übertragenen «Notvollmachten» frisch fröhlich einen Brief diktierte, in dem er sich mit der Gründung einer «Nationalen Heimstätte» in Palästina einverstanden erklärte?  . . .

. . .  Zuerst kam also das ursprüngliche Versprechen, mit welchem die den Arabern gegebenen Versprechen gebrochen wurden. Die Folgen: Die Jahre einer künstlich organisierten zionistischen Einwanderung in Palästina, wachsende arabische Proteste, arabische Aufstände in den Jahren 1920, 1921, 1929 und 1933 und von 1936 bis 1939 der erste zionistische Krieg (geführt von britischen Truppen gegen die Araber).

Der lange und kostspielige Krieg war nicht erfolgreich und nahm erst ein Ende, als sich die britische Regierung damit einverstanden erklärte, die jährliche zionistische Einwanderungsquote auf 12 000 zu reduzieren.
Damit hatte der arabische Widerstand dem zionistischen Plan Einhalt geboten. Ohne die gleichzeitige Erhebung Hitlers und des «Anti‑Semitismus» in Deutschland und den Zweiten Weltkrieg hätte die bösartige Invasion eines friedlichen Landes nicht durchgeführt werden können, und der «Plan» des zwanzigsten Jahrhunderts wäre damit vereitelt worden.

Der Zufall ist in unserem Jahrhundert offensichtlich von einem heimtückischen Dämon getragen. Hitler tauchte auf, der zweite Krieg begann, nahm seinen Verlauf und kam zu seinem merkwürdigen Abschluß.
Was geschah nachher? Es wurde eine Organisation der «Vereinigten Nationen» gegründet, um neue «Angriffe» in Zukunft zu verunmöglichen und die Verbreitung der «Demokratie» überall zu gewährleisten.

Es ist seit ihrem Gründungstage den «Vereinigten Nationen» nicht gelungen, den Frieden zu sichern, Angriffe zu verhindern oder die demokratischen Freiheiten überall zu gewährleisten. Es ist ihnen ebenfalls nicht gelungen, auch nur in einer wichtigen Frage Einstimmigkeit zu erzielen, außer mit einer Ausnahme: Sie entschieden mit einer überwältigenden Mehrheit, daß die zionistische Invasion in Palästina fortgesetzt werden solle. Im Lichte dieser unumstößlichen Tatsache gewinnen die jetzt laufenden Pläne zur Gründung einer «Streitmacht der Vereinigten Nationen» und zur Erlangung des Monopols für die Kontrolle der Atombomben durch ein souveränes Komitee, ADA, eine neue Bedeutung.

Es begann mit der Entsendung einer Untersuchungskommission nach Palästina. Die edlen Grundsätze der «Charta der Vereinigten Nationen» wurden überhaupt nicht beachtet. Die durch Mehrheitsbeschluß festgelegten Leitsätze erwähnten nirgends die Worte «Unabhängigkeit, Demokratie und Selbstbestimmungsrecht» für die eingeborenen Bewohner von Palästina. Letztere ließ man überhaupt vollkommen aus dem Spiel, da das Untersuchungskomitee einen Vorschlag zur Berücksichtigung der Interessen der Eingeborenen aufs schärfste zurückgewiesen hatte. Aber die Angelegenheit der «jüdischen Flüchtlinge» aus Europa (jene nämlich, die während des Aufenthalts des Untersuchungsausschusses in Palästina aus den Sowjetgebieten geschickt wurden) figurierte auf der Tagesordnung, trotzdem die Araber mit deren Verschickung offensichtlich nichts zu tun hatten.

Diese Beschlüsse wurden im Herzen «des größten jüdischen Zentrums der Welt» gefaßt, wo man sich um die spärlichen arabischen Stimmen ebensowenig kümmerte wie in London. Die ersten Missionare der «Vereinigten Nationen» zogen nach Palästina und empfahlen am 31. August 1947, daß jener Teil Palästinas, in dem die importierten Zionisten während der letzten dreißig Jahre die Überhand über die ansässigen Araber gewonnen hatten, zu einem unabhängigen jüdischen Staat umgewandelt werden solle. Ferner wurde empfohlen, daß während zwei Jahren 150 000 neue Einwanderer und nachher jährlich 60 000 aufgenommen werden sollten.

So war also die erste Handlung der «Vereinigten Nationen» nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kriegserklärung! Wenn das nicht den «Plan» des zwanzigsten Jahrhunderts enthüllt, dann weiß ich wirklich nicht, was es noch braucht, bis man klar sieht. Das war eine Kriegserklärung gegen ein harmloses Volk; die Vertreter der britischen Regierung in Palästina hatten während dreißig Jahren davor gewarnt. Die Vertreter der sechs benachbarten arabischen Staaten, Libanon, Syrien, Irak, Aegypten, Saudi Arabien und Jemen hatten dem Untersuchungsausschuß einmütig mitgeteilt, daß ein solcher Beschluß von der arabischen Welt als feindseliger Akt betrachtet würde.  . . .

. . . Dieses Wort «Erklärung» hat in unsern Zeiten und in unsern Angelegenheiten einen üblen Geschmack erhalten. Die Balfour-Erklärung hat sich in der Folge als eine Kriegserklärung gegen die Araber in Palästina entpuppt und führte in den zwanziger und dreißiger Jahren zu kostspieligen Feldzügen. Sie führte auch in einer direkten Linie zu der «Erklärung» der Vereinigten Nationen von 1947, die sich in der Folge wiederum als neue Kriegserklärung gegen die Araber erweisen wird. Wird der Versuch gemacht, sie mit Gewalt durchzuführen, dann können die mit Sicherheit daraus entspringenden Feindseligkeiten ein unberechenbares Ausmaß annehmen und sich zuletzt als Beginn eines dritten großen Krieges des zwanzigsten Jahrhunderts erweisen, dessen Ursprünge dann in der «Erklärung» von 1917 liegen werden. Diese «Erklärung» würde in diesem Fall zur Kriegserklärung des dritten Weltkrieges dieses Jahrhunderts.  . . .

In unsern Tagen ist die wahre Bedeutung der großen Verschiebung der jüdischen Massen aus Rußland nach Amerika klar geworden. Seit Leo Pinsker 1882 zum erstenmal den Ruf nach einer «Nationalen Heimstätte» erhob, sind die Vereinigten Staaten an Stelle Rußlands zum größten jüdischen Zentrum der Welt geworden, und die Hauptmacht der eingewanderten Juden hat sich in New York niedergelassen. Diese Juden, die sich mehr und mehr unter dem terroristischen Druck der fanatischen Zionisten befinden, lassen sich leicht für die Führung der innen‑ und außenpolitischen Geschäfte des reichsten Landes der ganzen Welt benutzen . . .

. . .  Trotzdem waren diese Ereignisse auch von Gutem. In den letzten zwei Jahren ist der Vorgang sichtbar geworden, wie die amerikanischen und britischen Regierungen dazu gebracht wurden, die phantastischen Pläne des Zionismus zu unterstützen, und langsam beginnt es überall in den Köpfen des Publikums zu dämmern. Die Menschheit fängt endlich an, das wahre Gesicht des Unternehmens in Palästina zu erkennen.

Die Geld‑Macht

Der rasche und gemeinsame Anstieg des Weltkommunismus und des politischen Zionismus läßt sich heute leicht feststellen. Wer sich vor den Tatsachen nicht fürchtet, kennt heute ebenfalls die schlauen Methoden, durch welche der Kommunismus Macht und Einfluß in nichtkommunistischen Regierungen, Parteien und Organisationen außerhalb des Parlaments gewinnt. Bis vor kurzem aber war es schwer zu wissen, wie es den politischen Zionisten gelungen ist, eine solch erstaunliche Macht über die politischen Führer in Amerika und England zu erlangen. Es ist etwas durchaus Neues in der Geschichte, daß eine britische Regierung einer Gruppe von Menschen ein Territorium verspricht, das jemand anderem gehört, mit der bloßen Begründung, einer ihrer Führer habe einen wichtigen Beitrag in der Wissenschaft der Sprengstoffe geleistet (das war die Erklärung Lloyd George’s für die ursprüngliche Balfour‑Erklärung). Ebenso erstaunlich war es dreißig Jahre später, daß ein amerikanischer Präsident nach einem kurzen Besuch einiger zionistischer Sprecher eine öffentliche Forderung auf die sofortige Zulassung von 100 000 Fremden in Palästina stellte.

. . .  Ich glaube, die eigentliche Erklärung liegt in der Macht des Geldes, obwohl ich nicht alle Myriaden von Möglichkeiten dieser Macht überblicke. In den letzten fünfzig Jahren ungefähr erlebten wir neben der Erhebung des Weltkommunismus und des politischen Zionismus und der Verpflanzung der größten jüdischen Kolonie aus Rußland nach Amerika noch ein anderes Phänomen, das in der Weltgeschichte einmalig dasteht: die Verlagerung des größten Teils des Goldes der Welt in jenes Land, das heute Sitz der zionistischen Macht geworden ist ‑ nach Amerika.

Gold ist Geld. In den letzten dreißig Jahren sind drei Fünftel der Goldwährungsvorräte, die aus den Goldbergwerken verschiedener Ländern stammten, nach Übersee verfrachtet und im Fort Knox in Kentucky gehortet worden. Der Betrag des dort gelagerten Goldes beläuft sich ungefähr auf 6 000 000 000 Dollars. Inbegriffen sind meines Wissens fünfhundert Millionen britische Gold-Sovereigns, die im gegenwärtigen Kurs genügen würden, den Gesamtertrag der britischen Einkommenssteuer während acht Jahren zu decken.

Wer weiß eigentlich, warum und wieso all dieses Gold in Kentucky zusammengetragen worden ist? Auch ich kann diesen Vorgang nicht erklären, dessen Ergebnisse freilich klar auf der Hand liegen. Er begann wie so vieles andere 1914, wo wir unsere Gold-Sovereigns zum letzten Male sahen. Bis zu dieser Zeit brauchte sich niemand über den Wert seines Geldes Sorge zu machen, denn es war so gut wie keinen Schwankungen unterworfen. Ein Mann mit fünfundzwanzig Sovereigns konnte mit ihnen in aller Ruhe einen großen Teil Europas bereisen und wußte genau, was er überall für sie kaufen konnte. Damals gab es noch keine Schwankungen in der Kaufkraft, sondern nur kleine, unbedeutende Änderungen, ein Bankkonto von hundert Pfund bedeutete eben hundert Pfund, die man wieder in Gold zurückwechseln konnte.

Erst seitdem das Papier auftauchte, sind all die Währungskrankheiten aufgetreten mit ihrem Gefolge von steigenden und sinkenden Preisen gleich den Fieberkurven eines Patienten, mit überall auftauchenden Verboten und Einschränkungen. Ein Mann mit einem goldenen Bankkonto lief keine Gefahr, durch einen Federstrich enteignet zu werden; einem Mann aber mit einem Papierkonto kann das jederzeit blühen. «Inflation» und «Deflation» sind nicht goldene, sondern papierene Krankheiten. Die großen Katastrophen einer plötzlichen, allgemeinen Verarmung, die zu den Merkmalen der letzten dreißig Jahren gehören, wären undenkbar, wenn die Menschen in ihren Geldbeuteln und Strümpfen Gold aufbewahren dürften. Hätten wir Gold, könnte man im England des Pfund‑Sterlings nicht eine «Dollar Knappheit» als Vorwand gebrauchen, um unsere bürgerlichen Freiheiten abzuschaffen.

Die Aufhebung unseres nationalen Sovereign war gleichbedeutend mit einer monetarischen Versklavung; wer sich mit bloßen Sätzen nicht begnügt, soll selber sehen, wohin «die Abschaffung der nationalen Souveränität führt».
Als ich das letztemal von Gold‑Sovereigns hörte (dem britischen Inselbewohner ist es gesetzlich verboten, solche zu besitzen), befanden sie sich in Kanistern, die mit Fallschirmen für den geheimnisvollen «Tito» niedergelassen wurden; kein Kanzler des Schatzamtes hat dem britischen Volke jemals mitgeteilt, daß sie zu diesem Zwecke unser Land verlassen werden. In diesem Lande darf eine Braut (auf Befehl des Schatzamtes) keinen goldenen Ehering mehr kaufen, es sei denn antiquarisch.

Wie aber wird der Geldmarkt ausgenutzt? Mir scheint, ein teuflischer Plan geht durch das zwanzigste Jahrhundert und der Teufel sitzt auf dem goldenen Throne von Fort Knox. Welche Menschen gebrauchen diese Geldmacht? Das Gold befindet sich in Amerika, aber auch Amerika hat sich in diesen dreißig Jahren, seit dem Auftauchen der beiden übernationalen Riesen und dem Beginn der Goldwanderung, geändert. Die große Einwanderung aus Rußland hat, wenn auch nicht das Herz Amerikas, so doch das der Welt zugewandte Gesicht genau wie das unsrige geändert. Eine nähere Betrachtung unseres Parlamentes, unserer Parteien, von Presse, Literatur, Film und Theater zeigt, daß wir diesen großen Zustrom fremden Blutes nicht assimiliert haben; vielmehr hat sich da und dort unsere eigene Haltung recht sichtbar verändert. Die charakteristischen englischen Merkmale (oder, wie General Marshall sagte, «die charakteristischen Merkmale der westlichen Zivilisation») verschwinden mehr und mehr aus unserem öffentlichen Leben.

Das gleiche ist während der letzten dreißig Jahre in Amerika geschehen. Das Amerika von Ben Hecht, Walter Winchell, «den Beratern des Präsidenten» und der Hollywooder Zaren ist nicht mehr das Amerika eines Mark Twain, Walt Whitman, Emerson, James und der Begründer der amerikanischen Verfassung. Wie immer auch das Herz beschaffen sein mag, das Gesicht und die Stimme gleichen immer mehr und mehr denjenigen des Weltkommunismus und des politischen Zionismus, besonders seit dem zweiten Krieg, wo sich die Portale der verschiedenen Staats‑Departemente (wie in England) für die Agenten dieser übernationalen Unternehmungen weit öffneten.

Die Geldmacht liegt in Amerika, was nicht besagt, daß auch ihre Aktionen amerikanisch sein müssen, genau so wenig wie die Balfour‑Erklärung britisch war. Wenn auf diesem Haufen Gold die Macht liegt, die Angelegenheiten und Bewegungen von Millionen Menschen in weitester Entfernung zu kontrollieren, dann ist auch klar zu sehen, welcher Gebrauch davon gemacht worden ist. Diese Macht wurde benutzt, um den Weltkommunismus und den politischen Zionismus zu stärken. Es ist bekannt, welch ein gewaltiges Kapital während des Zweiten Weltkrieges der «Sowjetmacht» zur Verfügung gestellt wurde. Wenn eines Tages amerikanische und britische Soldaten aufgerufen werden, die Sowjetmacht aus Europa zu verdrängen, dann werden sie gegen amerikanische und britische Waffen und Gold kämpfen müssen und sich fragen, was wohl die Geldmacht nächstesmal hinter ihrem Rücken anzetteln wird. Ich habe auch bereits den Einsatz dieser Geldmacht zur Abwanderung der jüdischen Massen aus Europa geschildert; trotzdem wird diese Abwanderung von den «Vereinigten Nationen» als Vorwand für die Kriegserklärung an die Araber benutzt!

Wie kann diese Geldmacht sonst noch verwendet werden? Sie scheint sich eindeutig gegen dieses Land gewandt zu haben, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und die zionistische Kriegserklärung (diese Bezeichnung ist wörtlich zu verstehen, denn eine Kriegserklärung liegt vor) gegen dieses Land erfolgte. Im Jahre 1945 bildete Attlee eine Regierung, die ihre Stimmen hauptsächlich deswegen erhielt, weil sie eine Regierung von Planern mit einem Plan darstellte. Sie behauptete, daß durch diesen Umstand der Insel die voraussehbaren und unnötigen Lasten nicht‑planender Regierungen erspart würden; es sei ihr besonderes Merkmal, gegen solche Ereignisse Vorsichtsmaßnahmen zu planen.  . . .
. . . Die Geldmacht ist eine Welt‑Ober-Regierung, deren Beweggründe genau geprüft werden sollten. Seit nämlich das Gold nach Kentucky abgewandert ist, sind solche Anleihen zu bloßen Buchhaltungs‑Transaktionen geworden, die gefälscht werden können, sobald sie auf wechselnden Werten, wie dem Steigen und Fallen der Preise, basieren. Hätten wir nicht den nationalen Sovereign fallen gelassen, so hätte das nie eintreten können. Falls wir Gold besitzen würden oder geborgt hätten, könnte eine solche Anleihe nicht wie Schnee in der Sonne zerrinnen. Aber es ist bald Zeit, daß wir begreifen, was vor sich geht, wenn es wirklich die Meinung ist, daß nach dem Dahinschwinden der Papier‑Dollars das substantielle Pfund Sterling aus unseren bürgerlichen Freiheiten herausgeschnitten werden soll. In diesem Falle wird die Welt heute schon von den Wächtern des Fort Knox regiert, wer immer diese auch sein mögen.

Mir scheint Herr Bevin damals, als er die Wahrheit offen heraussagte, der Wurzel unserer Übel sehr nahe gekommen: «Ich weiß, daß diese Amerikaner entsetzt sein werden, aber das ist eben meine Rolle. Es ist meine persönliche Überzeugung, daß sich die Vereinigten Staaten durch ihr Versäumnis, das im Fort Knox gelagerte Gold wieder zu verteilen, selbst geschadet haben und in ihrem eigenen Lande hohe Steuern verursachten. Es wäre sicher vorteilhaft, irgendwo in der Welt eine neue Goldmine zu entdecken, aber hier liegt Gold, das schon gewonnen worden ist, und mit ihm geschieht gar nichts.»

Nahe an der Wurzel des Übels, aber noch nicht nahe genug. Natürlich ist die Häufung solcher Goldmengen auf einem Fleck während dieser dreißig schicksalsschwangeren Jahre schon an und für sich ein übles Ding, aber ich kann diese Tatsache mit dem besten Willen doch nur als ein weiteres zufälliges Glied in der Geschichte der menschlichen Irrungen betrachten. Es war bestimmt nicht richtig zu sagen, «daß mit dem Gold gar nichts geschieht», wo es doch die Grundlage für die papierene Anleihe bildete, deren Versickern als Erklärung für die mächtigen Schläge gegen unsere Freiheit in England diente. Es geschah sogar sehr viel mit diesem Gold.

Die Geldmacht verbreitet von ihrem goldenen Throne wie der große Pan Schrecken und Verderben. Ihre Rolle im Plan des zwanzigsten Jahrhunderts tritt heute immer deutlicher ans Licht.

Die Dokumente des Falles

Wenn ich die Macht dieses vergrabenen Goldes und den Umriß des Geschehens der letzten dreißig Jahre betrachte, komme ich mehr und mehr zum Schluß, daß es in der Welt große, organisierte Mächte gibt, die, über viele Staaten ausgedehnt, gemeinsam daran arbeiten, durch das Chaos die Herrschaft über die Menschheit zu erlangen. An erster Stelle streben sie nach der Zerstörung des Christentums, der Nationalität und der Freiheit in Europa. Dies war auch der «Plan», den Lord Acton hinter den ersten Tumulten der Französischen Revolution erkannte, und er ist mit den nachfolgenden Tumulten und den steigenden Erfolgen immer sichtbarer geworden. Dieser Prozeß scheint mir weder natürlich noch unumgänglich, sondern von Menschenhand geschaffen und bestimmten Regeln revolutionärer Aktion folgend. Ich bin der Ansicht, daß hinter ihm eine sehr ausgedehnte Organisation steht, und daß die großen Erfolge, die bisher erreicht wurden, in der Hauptsache auf den Umstand zurückzuführen sind, daß es bisher gelungen ist, deren Bestehen strikte geheim zu halten.

Gibt es irgendwelche Beweise? Ich halte schon den Ablauf der Ereignisse für einen Beweis. Der Verlauf des Zweiten Weltkrieges hat meiner Ansicht nach gezeigt, daß man Mittel und Wege gefunden hat, um solche Kriege zum Nutzen anderer Parteien und Ziele auszuwerten, so daß der eine Zweck vor allem gefördert wird: Verbreitung des Chaos und Zerstörung der christlichen Nation und Freiheit in Europa. Es lohnt sich, in dieser Hinsicht einmal näher zu prüfen, wieso beide Kriege ganz andere und sogar gegenteilige Resultate zeigten als diejenigen, die den Massen vorgespiegelt worden waren.

Es gibt meiner Ansicht nach auch substantielle Beweise für eine organisierte Verschwörung von Menschen, die sich mit den Generationen ändern und in den verschiedensten Staaten zusammenarbeiten, denen es aber meistens gelingt, anonym und maskiert zu bleiben. Das plötzliche Auftauchen bei den Höhepunkten der Krise von bisher unbekannten Gestalten, wie Hitler und «Tito»; die kommunistische Taktik, unter Decknamen und durch offenkundig nicht‑kommunistische Körperschaften, Parteien und Zeitungen zu wirken; die Verwendung der Worte «Faschismus» und «Anti‑Semitismus» als Rauchwand bei der Verfolgung neuer Ziele: all das sind Beispiele für die Wissenschaft der geheimen Verschwirrung in der Praxis.

Es bestehen auch zahlreiche Dokumente, und die besondere Energie, mit welcher man sie zu unterdrücken sucht, ist für mich sowohl ein Beweis für ihre Wichtigkeit wie für die organisierte Verschwörung. Eines davon ist bekannt als «Die Protokolle der Weisen von Zion». In den von den Kommunisten beherrschten Ländern ist diese Schrift unter Todesstrafe verboten. In vielen andern Staaten wird sie heftig bekämpft, nicht durch eine Widerlegung ihrer Thesen, sondern durch den platten Vorwurf, es handle sich um ein «antisemitisches Machwerk».

Meiner Ansicht nach verdient diese Schrift eine gründliche und nüchterne Betrachtung. Sie wurde 1897 in Rußland veröffentlicht, durch einen englischen Zeitungskorrespondenten, Victor Marsden, der lange in Rußland lebte und nach der bolschewistischen Revolution nach England zurückkehrte, ins Englische übertragen und hier ungefähr im Jahre 1918 gedruckt.

Ich nehme an, daß ich die Methoden zur Verhinderung einer Veröffentlichung oder Diskussion über gewisse Angelegenheiten genau so gut kenne wie jeder heute lebende Autor. Ich kenne aber nichts, was der grimmigen Hartnäckigkeit gleichkommt, die Verbreitung dieses Buches zu verhindern und seinen Inhalt zu diffamieren. Man muß es vielleicht selbst erfahren haben, damit man es glauben kann. Meine eigenen Erinnerungen an solche Vorgänge liegen schon für eine spätere Veröffentlichung bereit.

Ein Einwand gegen diese Schrift kommt daher, daß auf Gesuch der Israelitischen Gemeinde in Bern dieses Buch von einem schweizerischen Gericht «als Fälschung» bezeichnet wurde. Die Urteile ausländischer Gerichte sind für den britischen Inselbewohner nicht unbedingt maßgebend; jedenfalls wurde dieses Urteil später durch eine höhere Instanz aufgehoben.
Ein anderes ablehnendes Argument wird darin gesehen, daß vor Jahren ein Korrespondent der «Times» Artikel zur Widerlegung der Echtheit der Protokolle geschrieben hat. Auch ich war mehrere Jahre Korrespondent der «Times» und bin, ungeachtet ihrer Urheberschaft, von der Echtheit der Protokolle als Dokument einer revolutionären und geheimen Verschwörergesellschaft vollkommen überzeugt.

Die Behauptung, es handle sich um eine Fälschung, bezieht sich auf das im Titel enthaltene Wort «Zion». Mir scheint, die Menschen, die sich über das wilde Chaos unserer Tage wundern, sollten die Protokolle lesen und auf dieser Suche nach Wahrheit, um wirklich ganz unparteiisch zu sein, sowohl in ihren Köpfen wie im Titel und im Text selbst dieses Wort einfach streichen. Sie sollten sogar noch weiter gehen und dieses Buch als nicht‑jüdisch, ja sogar als anti‑jüdisch betrachten. Sie sollen annehmen, dieses Buch sei von machiavellistischen Verschwörern geschrieben worden, die im Gebrauch oder Mißbrauch der Juden und ihrer Klagen ein wirksames Mittel für die Verbreitung von Unruhe und Chaos in Europa entdeckt haben. Denn das ist es schließlich, was in unsern Tagen geschieht. Es liegt auf der Hand, daß die angeblichen Feinde, Kommunismus und Faschismus, sich nur zum Schein so verhalten, als ob zwischen ihnen ein Unterschied wäre, trotzdem beide für die Nicht‑Juden gefährlicher sind als für die Juden und daß die jüdischen Massen verschoben und wie Pfandstücke mißbraucht werden, und zwar durch eine Macht, die sie selbst nicht kennen.

Wenn wir uns den Protokollen als einem anti‑jüdischen Dokumente nähern und alle diese Einschränkungen machen, dann bleibt immer noch ein genauer Abdruck der Ereignisse der letzten dreißig Jahre, der vor dieser Jahrhundertwende hergestellt wurde. Wir können das Buch betrachten, wie wir wollen, das Ergebnis bleibt immer dasselbe. Die Methoden, durch welche unsere Welt in den gegenwärtigen, jammervollen Zustand versetzt worden ist, sind hier niedergelegt, lange bevor wir sie gewahrten, lange sogar bevor wir glaubten, daß sie jemals zur Anwendung kommen könnten. Hier liegt der Schlüssel für die Korruption, die Einschüchterung oder die Verführung der Parteien und Einzelmenschen, der Zeitungen und Journalisten, der Parlamente und Politiker, deren Praxis wir in den verflossenen drei Jahrzehnten erlebt haben.

Das Buch ist der Abdruck einer Welt‑Verschwörung, die sich vor fünfzig Jahren in russischen Kellern verbarg und heute sehr erfolgreich auf dem Thron der Mächtigen sitzt. Das Dokument wurde 1897 veröffentlicht! Es ist gar nicht nötig zu glauben, daß es ein Protokoll eines zionistischen Kongresses jener Zeit ist. Viel besser ist es, diese Version abzulehnen und anzunehmen, daß es sich um ein «Plagiat», das heißt um die Wiedergabe eines früheren Dokumentes handelt. Damit finden wir den Schlüssel. Die Protokolle sind zwar nicht zionistisch, aber sie sind dennoch authentische Dokumente einer Verschwörung.

Diese Wahrheit liegt auf der Hand. Jetzt aber handelt es sich darum, zu fragen, wer die Verfasser des früheren Dokuments oder der Dokumente gewesen sind, von denen die Protokolle eine Kopie darstellen, und wiederum, welche noch weiter zurückliegenden Quellen die Verfasser studiert haben? Es ist sichtlich falsch, daß eine so wegweisende Arbeit einfach mit der ärgerlichen Bemerkung, es handle sich um eine Fälschung, beiseitegelegt wird. Wichtig ist, daß die Autoren, wann immer sie gelebt haben und wer immer sie waren, die Methoden kannten, durch welche die krampfhaften Zuckungen dieses Jahrhunderts und die fast völlige Zerstörung Europas um die Jahrhundertmitte herbeigeführt werden konnten.

Ich glaube, daß der große Widerstand, der gegen jede öffentliche Besprechung der Protokolle geleistet wird, die Stärke der Mächte beweist, die nicht wünschen, daß der Schlüssel gefunden wird. Die Protokolle sind nicht an sich interessant. Sie bilden nur ein Dokument aus einer langen Serie von nahezu zwei Jahrhunderten. Aber sie liefern den Schlüssel. Die in ihnen festgelegte politische Linie kann seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis heute deutlich verfolgt werden. Seit dieser Zeit mindestens besteht eine Geheimorganisation, welche die Zerstörung des Christentums und der Nationalitäten in Europa wünscht.

Die Geschichte geht zurück auf die geheimen Gesellschaften, welche die französische Revolution gefördert haben. Damals konnte man dieses Phänomen erstmals feststellen. Der «Plan hinter dem Tumult», den Lord Acton bei seinen Studien über die Revolution von 1790 so eindeutig festgestellt hat, wurde von den 1848er Revolutionären weiter gesponnen, dann von den russischen 1880 und 1890, und zieht sich seit 1917 durch das ganze Chaos unserer letzten dreißig Jahre.

Dies wird in dem unschätzbaren wissenschaftlichen Vergleich von Mrs. Nesta Webster (World Revolution, Constable, 1921) zwischen den Protokollen und einigen andern Dokumenten aufgezeigt: denjenigen der Geheimgesellschaften und Sekten hinter der französischen Revolution von 1790, der erfolglosen Revolutionen von 1848, 1890 und 1905 und der kommunistischen Revolution von 1917. Dieser Vergleich zeigt, daß im Protokoll Ideen bekundet werden, die sich im Laufe der Zeiten immer gleich geblieben sind, während die «Drahtzieher» oft in den Personen änderten und die geheimen Hauptquartiere seit 1775 bis heute wiederholt ihren Sitz gewechselt haben. Die Protokolle sind nicht mehr und nicht weniger wichtig als alles andere. Aber sie waren die erste vollständige Enthüllung des für ein Jahrhundert bestimmten Planes, und das scheint auch der Grund zu sein, warum unaufhörlich versucht wird, die Leute vom Studium dieser Schrift abzubringen.

Diese Dokumente sind die Schriften einer schwarzen Religion, deren Grundsätze lauten: Zerstörung, Entvölkerung, Deportation, Tod. Der Leser möge festhalten, daß diese Strafen von Herrn Churchill für den Fall einer Kapitulation der britischen Insel vor «totalitärem Zwang und Reglementierung» vorausgesagt worden sind, und daß sie auch die Lehre der drei erleuchteten Naziführer, Hitler, Goebbels und Bormann, die in Berlin verschwunden sind, darstellt. Es ist die Doktrin der Vernichtung (oder des «Nihilismus»).

Wir können sie zuerst bei der mächtigen Geheimgesellschaft der Illuminaten finden, welche durch einen Deutschen, einen gewissen Adam Weishaupt, im Jahre 1776 gegründet wurde. Anders als bei Wahrheit und Gerechtigkeit kann es keine absolute Geheimhaltung geben. Bei der Unterdrückung dieser Bewegung durch die bayrische Regierung 1786 wurden ihre Papiere aufgefunden und veröffentlicht.

Ihre Lehren und Methoden entsprechen genau dem, was wir heute sehen. Die Mitglieder wurden nur Stufe um Stufe aufgenommen; sie erhielten Decknamen; man unterrichtete sie in der Kunst, falsche religiöse und politische Bekenntnisse abzulegen, um unter einer solchen Maske Zutritt zu allen Vereinigungen zu erhalten, durch welche man an die Macht gelangen konnte. Diese Methoden, damals neuartig, gehören heute zu den Selbstverständlichkeiten. Bei der Aufnahmezeremonie wurde dem Novizen eine Degenspitze auf das Herz gehalten und folgende Worte dabei gesprochen: «Solltest du ein Verräter oder ein Meineidiger sein, so wisse, daß alle unsere Brüder gen dich zu den Waffen gerufen werden. Du hast keine Hoffnung auf Flucht oder eine sichere Zufluchtsstätte. Wo immer du bist, werden dich Scham, Reue und der Zorn unserer Brüder verfolgen und dich bis in deine tiefsten Eingeweide peinigen.» Diese terroristische Methode wird heute von den Kommunisten und den politischen Zionisten angewandt; sie ist durch die verschiedenen Morde an Verdächtigen und Verrätern und durch die in äußerster Furcht abgelegten Geständnisse auf den «Höllenschiffen» und in den zionistischen Lagern bekannt geworden.

Eine graphische Darstellung, die sich in den Dokumenten der Illuminaten findet, beweist, daß Weishaupt die Meister‑Methode der geheimen Verschwörung, welche heute in der kommunistischen Organisation verwendet wird, entweder selber erfunden oder von früheren Lehrern entliehen hat. Es ist das Zellen‑ oder das Honigwaben‑System, in welchem jedes Mitglied nur seinen direkten Vorgesetzten und einige Untergebene (die zu diesem Zwecke Decknamen gebrauchen) kennt, so daß mit der Vernichtung einiger Zellen nicht das ganze System gefährdet wird.

Es war das Ziel dieser Illuminaten, durch diese geheimen Methoden die Macht für folgende Zwecke zu erlangen: Vernichtung der Monarchie und aller rechtmäßigen Regierungen; Abschaffung des Privatbesitzes; Abschaffung des Erbrechtes; Vernichtung des Patriotismus; Vernichtung der Familie (durch die Abschaffung der Ehe und gemeinsame Erziehung aller Kinder); Vernichtung jeglicher Religion (das sind auch die Ziele des heutigen Weltkommunismus).

«Prinzen und Nationen», schrieb Weishaupt, «sollten vom Antlitz dieser Erde verschwinden; ja, die Zeiten werden kommen, wo die Menschen keine anderen Gesetze als das Buch der Natur besitzen; diese Umwälzung wird das Werk der geheimen Gesellschaften sein, und sie bildet eines unserer großen Geheimnisse.»

Die damalige bayrische Regierung veröffentlichte diese Dokumente und verschickte sie an jede Regierung in Europa. Sie wurden genau so wenig beachtet wie der Kanadische Bericht im Jahre 1946. Die andern Regierungen sahen auch keinen Anlaß, sich mit diesen Schriften näher zu befassen, denn damals hatte der prophezeite Prozeß sich noch nirgends verwirklicht. Aber 1946 war eine solche Unaufmerksamkeit unentschuldbar, falls sie nicht absichtlich geschah. Denn als der Kanadische Bericht erschien, war Weishaupts Plan schon lange verwirklicht und seine Gestalt hob sich berghoch von der Umwelt ab.

Die Unterdrückung der Illuminaten in Bayern war ungefähr gleichbedeutend mit dem oberflächlichen Ausreißen eines wuchernden Unkrautes, dessen Wurzeln sich schon weit verzweigt hatten und überall neue Schosse trieben. Die Gesellschaft besaß zahlreiche Mitglieder unter den Verschwörern in Frankreich und prominente Köpfe bei den Revolutionsführern von 1790. Damals ereignete sich zum erstenmal das heute üblich gewordene Spiel: die beabsichtigte Hervorrufung von «Zwischenfällen», um diese in der Folge auszunützen. Wer sich mit dem Reichstagsbrand und den modernen «antisemitischen» oder «faschistischen» Bewegungen befaßt, sollte ebenfalls die «Große Furcht» des 22. Juli 1789 studieren, wo durch die Ankündigung, daß sich «Räuber» im Anmarsch befinden, daß alle guten Bürger zu den Waffen greifen müssen, und daß «der König befiehlt, alle Schlösser außer dem seinen sollen niedergebrannt werden» (berittene Boten trugen Plakate mit diesen Worten!) ‑ in ganz Frankreich zur gleichen Stunde eine mächtige Panik ausgelöst wurde.

Damals tauchte zum erstenmal die rote Fahne auf; eine, die echt sein soll, wird jetzt in Moskau aufbewahrt und das Lied zu ihren Ehren ist bei den sozialistischen Ministern und Politikern im England des Jahres 1947 recht beliebt. Einer von Weishaupts revolutionären Führern war ein preußischer Baron Anarcharis Clootz. Er verbreitete als erster die Lehre von der Kapitulation vor einem einmarschierenden Feind, welche die französischen Kommunisten 1940 verwirklichten und die heute die Kommunisten in England predigen. («Sobald die französische Armee in Sichtweite der österreichischen und preußischen Soldaten gelangt, sollten diese, anstatt den Feind anzugreifen, ihre Waffen zu Boden werfen und sich ihnen in liebenswürdigen Tanzschritten nähern.»)

1793 tauchte ein weiteres Hauptmerkmal des Planes auf: Entvölkerung. Mrs. Webster zitierte in ihren beiden Büchern zweiundzwanzig französische Revolutionäre und einen englischen, um zu zeigen, daß die systematische Verminderung der französischen Bevölkerung von 25 000 000 auf 14 000 000 geplant war. Wer sich mit der Geschichte des heutigen England befaßt, kann feststellen, daß auch hier der gleiche Vorschlag gemacht wird («Diese Insel kann ihre gegenwärtige Bevölkerung nicht ernähren … », «Zehn Millionen sollten auswandern … » und so weiter). Das Argument ging dahin, daß die «Luxus‑Gewerbe» zerstört werden sollten und da für «lebenswichtige Arbeiten» zu viel Arbeitskräfte seien, könne einer großen Arbeitslosigkeit (die auch tatsächlich im Herbst 1947 in England einsetzte) nur durch Entvölkerung geholfen werden.

Der Illuminismus war eine deutsche, nicht eine jüdische Erfindung. Im Jahre 1793 bemerkte das «Journal de Vienne» ironisch. «Es sind nicht die Franzosen, welche das große Projekt, das Antlitz der Erde zu ändern, ausgearbeitet haben; diese Ehre gebührt den Deutschen.» Quintin Crawfurd schrieb an Lord Auckland: «Die gegenwärtige Krise ist in ihrer Art sicher außergewöhnlich und mag vielleicht zu den folgenschwersten gehören, welche die Blätter der Geschichte je verzeichnet haben. Sie mag vielleicht die Zukunft der Religion und der Regierungen der meisten europäischen Staaten bestimmen, besser gesagt, sie mag vielleicht darüber entscheiden, ob es weiterhin Religion und Regierungen geben soll, oder ob Europa abermals in einen Zustand der Barbarei versinken wird.»

Das ist eine genaue Schilderung des Zustandes, zu dem halb Europa verurteilt worden ist, und von welchem die andere Hälfte ‑ diese Insel inbegriffen ‑ im Jahre 1948 bedroht wird.

Vielleicht hat Napoleon Europa einen schlechten Dienst geleistet, als er den Marsch der Weltrevolution für ein halbes Jahrhundert ablenkte, in welcher Zeitspanne sie in Vergessenheit geriet. Der Illuminismus tauchte in den Untergrund und verharrte dort bis zu seinem Sturz. Dann tauchte er in Deutschland unter dem Namen «Der deutsche Bund» und als «Haute Vente Romaine» wieder in Italien auf, wo er von 1814 bis 1848 sein Hauptquartier hatte. Jetzt machten sich zum erstenmal starke jüdische Einflüsse in dieser Bewegung geltend. Bisher war sie vorwiegend deutsch gewesen.

Der nächste große Ansturm auf die Macht erfolgte um 1848, als in ganz Europa Revolutionen ausbrachen. In diesem Zeitpunkt war die Bewegung unter jüdische Führung gekommen. Die revolutionären Unruhen von 1848 sind in einer bestimmten Hinsicht sowohl interessanter als die französische Revolution von 1789 oder die russische von 1917, weil sie nämlich die aufschlußreichsten Dokumente für diesen Fall geliefert haben. Schon vier Jahre früher, im Jahre 1844, wußte Disraeli genau, was geschehen würde! Er legte seinem jüdischen Helden in «Coningsby» folgende Worte in den Mund: «Die mächtige Revolution, die sich zur Stunde in Deutschland vorbereitet . . . und von   unter der Lenkung von Juden heran, die heute fast ein Monopol auf alle Lehrstühle in Deutschland besitzen … Siehst du also, mein lieber Coningsby, daß die Welt von recht verschiedenen Personen regiert wird, als diejenigen glauben, die nicht hinter die Kulissen sehen.»

Aber die 1848er Revolution war ein Mißerfolg. Vielleicht lebte in den Massen die Erinnerung an die französische Revolution noch zu frisch, als daß sie ihre eben erworbenen Freiheiten gefährden wollten; vielleicht waren auch die Menschen vor einem Jahrhundert intelligenter oder besser erzogen. Damals standen Ordnung, Freiheit, Fortschritt und Nationalität noch überall unerschütterlich fest; die Verschwörung mußte sich nach Rußland zurückziehen, um dort Weishaupts Lehren fortzuführen und die nächsten Versuche, die erfolglosen Revolutionen von 1830 und 1905 und die erfolgreiche von 1917 vorzubereiten.

Die zitierte Textstelle aber beweist, daß Disraeli mit der Art und den Zielen der Verschwörung vertraut gewesen ist, ob er nun für diese Sympathien hegte oder sich ihr widersetzt hat. In den zitierten Worten schwingt der überlegene Unterton des aufgeklärten Kosmopoliten über den ignoranten, insulären Nicht‑Juden mit, der nicht weiß, was vor sich geht.

Acht Jahre später, nach dem Versuch der Revolution von 1848, schrieb Disraeli außerordentlich aufschlußreiche Worte. Wenn der schon zitierte Passus ein blitzartiges Aufleuchten der Wahrheit bedeutet, dann dauert der nachfolgende doppelt so lang und ist doppelt so hell. Er beleuchtet die ganze dunkle Landschaft unserer Zeiten und durch seine Lichtstrahlen sind die lauernden Verschwörer, deren Existenz immer geleugnet wird, ganz deutlich zu sehen:

«Der Einfluß der Juden kann im letzthin erfolgten Ausbruch des zerstörerischen Prinzips in Europa aufgezeigt werden. Da findet eine Erhebung statt, die sich gegen die Tradition und die Aristokratie, gegen die Religion und das Privateigentum richtet. Zerstörung der semitischen Grundsätze, Ausrottung der jüdischen Religion in der mosaischen oder in der christlichen Form, die natürliche Gleichheit der Menschen und die Aufhebung des Besitzes: diese Grundsätze werden von den geheimen Gesellschaften proklamiert, die provisorische Regierungen bilden, an deren Spitze überall Männer der jüdischen Rasse stehen. Das Volk Gottes arbeitet mit den Atheisten zusammen; Männer, die im Zusammenraffen von Geld äußerstes Geschick gezeigt haben, verbünden sich mit den Kommunisten; die besondere und auserwählte Rasse reicht ihre Hand allen verworfenen und niederen Schichten in Europa! Und dies alles nur, weil sie wünschen, das undankbare Christentum zu zerstören, das ihnen sogar den Namen schuldet, und dessen Tyrannei sie nicht länger dulden wollen.» (Das Leben von Lord George Bentinek, 1852.)

Dieses Dokument ist für mich das wichtigste in der ganzen Reihe. Ist es unter solchen Umständen nicht absurd, die Echtheit anderer Dokumente, wie zum Beispiel der Protokolle, bestreiten zu wollen, wo sie doch die Tatsache einer Verschwörung enthüllen, welche diese einzigartige Autorität bereits bezeugt hat. Disraeli war ein Jude, ein britischer Premierminister und Erbe eines Kopfes, der schon ganz instinktiv für solche geheime Sachen ein feines Gehör hatte. «Das zerstörerische Prinzip», «Zerstörung von Religion und Privatbesitz», «Geheimgesellschaften mit Männern jüdischer Rasse an deren Spitze», «alles nur, weil sie wünschen, das undankbare Christentum zu zerstören»:
das ist das Bild von Weishaupts Religion der Zerstörung und seiner Geheimorganisation, die unter jüdische Führung geraten ist.

Wie kam Disraeli dazu, diese Dinge so offen darzulegen? Ich glaube, die Antwort ist klar und bildet das Maß für den Fortschritt der Verschwörung. Zu seiner Zeit wurden leicht feststellbare Tatsachen veröffentlicht. In unserer dagegen würden die öffentlichen Schriften solche Tatsachen, daß «geheime Gesellschaften provisorische Regierungen bilden» und «Männer jüdischer Rasse überall an ihrer Spitze stehen», peinlichst verschwiegen. Jede Anspielung würde entweder unterdrückt oder als «Antisemitismus» angegriffen. In Disraelis Zeiten blieb nicht anderes übrig, als die Tatsachen einzugestehen und ihren wahren Sinn vielleicht durch eine falsche Deutung zu verstellen. Auch das hat Disraeli getan. Nachdem er den Eindruck erweckt hatte, als würde er die jüdische Beteiligung an diesem zerstörerischen Prozeß bedauern, bot er dafür doch schlußendlich selber eine Entschuldigung, indem er sagte, daß die «Tyrannei» des «undankbaren Christentums» für geduldige Menschen eben doch untragbar gewesen sei. Das war eine gewundene dialektische Redensart. Die Juden haben weit mehr über die Verfolgung der heidnischen Ägypter, Assyrier und Perser zu klagen gehabt.

Disraeli sprach im Jahre 1852 von «geheimen Gesellschaften, welche provisorische Regierungen bilden», und sagte, «man finde überall an ihrer Spitze Menschen der jüdischen Rasse». Die provisorischen Regierungen von 1848 hatten keinen Bestand. Aber die «geheimen Gesellschaften», die ein Jahrhundert später «provisorische Regierungen» bildeten, nachdem sich die Verschwörung von den Rückschlägen des Jahres 1848 erholt hatte, paßten glänzend zu seiner Schilderung. Die ersten bolschewistischen Regierungen von 1917 und später in Moskau wie die kurzlebigen von Bayern und Ungarn im Jahre 1918/19 waren von Juden präsidiert, die aus «geheimen Gesellschaften» aufgetaucht waren.
Das gleiche geschah in Polen, Rumänien und Ungarn im Jahre 1945 oder später. Und 1945 gab ein anderer führender Jude, Henry H. Klein, das gleiche Bild einer gewaltigen Geheimorganisation mit weltweiten Zielen in seinem Artikel «The Sanhedrin produced World Destruction» (Der Sanhedrin hat eine weltumfassende Zerstörung verursacht). Auch er sieht die Verschwörung so, daß sie gleichzeitig gegen Juden und Nicht‑Juden gerichtet ist.

Die veröffentlichten Dokumente von Weishaupts Illuminaten, Disraelis Enthüllungen, die Protokolle, die «Thesen und Statuten» der kommunistischen Internationale, zahlreiche Schriften des Nationalsozialismus und der Kanadische Bericht passen in das Bild einer Verschwörung, die jetzt während zwei Jahrhunderten immer mächtiger geworden ist. Wer sie sorgfältig durchliest, kann nicht länger bezweifeln, daß das von Disraeli geschilderte Komplott wirklich besteht.

Nach dem Zusammenbruch der 1848er Revolutionen war der nächste Erbe von Weishaupts Illuminismus und seiner Organisation Karl Marx, dessen «Kommunistisches Manifest» (1847) nur Weishaupts Lehren wiederholte: Aufhebung des Erbrechts, der Ehe und der Familie, des Patriotismus, jeglicher Religion und Gemeinschaftserziehung der Kinder durch den Staat. Das «Kommunistische Manifest» ist als Bibel eines neuen politischen Glaubens, des «Marxismus», geschildert worden. In Wirklichkeit ist es nur ein Consommé der Lehren der früheren Geheimgesellschaften, angefangen mit Weishaupt (genau so wie die Protokolle nur eine spätere Version darstellen).

Im Jahre 1864 gründete ein russischer Edelmann, Michael Bakunin, eine Geheimgesellschaft genau nach den Richtlinien Weishaupts, deren erstes Ziel die Vernichtung der Religion war und deren weitere Ziele den schon geschilderten Zwecken entsprachen. Jetzt lautete der neue Name «Anarchismus» (oder Chaos). Der große Plan war damals schon hundert Jahre alt. Eine Geheimgesellschaft hatte ihn der nächsten Geheimgesellschaft weiter vermittelt. In Bakunins und Netchaieffs «Revolutionärer Katechismus» findet sich die Stelle: «Es darf keine Schranke zwischen dem Revolutionär und dem Werk der Zerstörung geben … Tag und Nacht darf er nur einen Gedanken, nur ein Ziel kennen … unerbittliche Zerstörung … Wenn er in dieser Welt weiterlebt, dann nur aus dem Grunde, um sie desto sicherer zu vernichten … »

So schildert Bakunin seinen Partner Netchaieff: «Im Namen der gemeinsamen Sache muß er sich deiner ganzen Persönlichkeit bemächtigen, ohne daß du es merkst. Damit ihm dies gelingt, wird er dich bespitzeln, um deine Geheimnisse zu erforschen, und zu diesem Zweck wird er in deiner Abwesenheit, falls er allein in deinem Zimmer zurück bleibt, deine Schubladen öffnen, deine gesamte Korrespondenz lesen und, falls er einen Brief findet, der ihm interessant erscheint, das heißt, der für dich oder irgend einen deiner Freunde nach irgendwelchem Gesichtspunkt kompromittierend ist, dann wird er ihn stehlen und ihn als Dokument, das sich gegen dich oder gegen deine Freunde richtet, sorgfältig aufbewahren … Als wir ihn darüber in einer Generalversammlung zur Rede stellten, wagte er uns zu sagen: Natürlich, das ist unser System. Wir betrachten jeden als unsern Feind, der noch nicht völlig auf unserer Seite steht, und wir fühlen uns verpflichtet, ihn zu täuschen und zu kompromittieren… Alle persönlichen Bindungen, jede Freundschaft wird von ihnen als etwas Schlechtes angesehen, das zerstört werden muß, weil all dies eine Kraft bildet, die außerhalb der Geheimorganisation liegt und deshalb deren Kräfte schwächt. Sagt nicht, daß ich übertreibe; ich habe alle diese Theorien gründlich durchdacht und unter Beweis gestellt.»

Das ist eine Photographie von Weishaupt’s wissenschaftlicher Methode, durch Wissen, Verheimlichung, Täuschung, Erpressung, Diebstahl, Meineid und Terror an die Macht zu kommen.

Die bolschewistische Revolution von 1917 befolgte in jedem Punkt Weishaupts Lehren:
Abschaffung der Monarchie, des Patriotismus, Abschaffung des Privatbesitzes, des Erbrechtes, der Religion und der Ehe. In Wirklichkeit erweist es sich als unmöglich, Religion und Ehe abzuschaffen. Gegen die Ehe wurde Anschlag auf Anschlag verübt, die Religion aber so weit als möglich in die Katakomben vertrieben. Darüber gibt es keinen Zweifel, daß der Wunsch, die Ehe abzuschaffen, besteht: «Die offizielle und freie Gemeinschaft der Frauen» wird im «Kommunistischen Manifest» von Karl Marx deutlich aufgezeigt.

Die Folge der Ereignisse von der französischen Revolution bis zur Gründung des kommunistischen Machtbereiches über halb Europa und das zwar noch verborgene Anwachsen der kommunistischen Macht in England liegt für mich auf der Hand. Es ist das große Verdienst von Nesta Webster, jene Dokumente veröffentlicht zu haben, aus denen sich die ganze Kette des Vermächtnisses der geheimen Gesellschaften und der Beweis, daß die Protokolle nur ein Glied einer sehr zahlreichen Literatur bilden, lückenlos ablesen läßt.
Ihre Vergleiche sind sehr überzeugend. Die gleichen Sätze tauchen immer und immer wieder auf, angefangen bei Weishaupt 1776, sodann im Manifest von Karl Marx, in den Protokollen des Jahres 1897 und in Enthüllungen des Kanadischen Berichtes von 1946.

«Wenn du andere beobachten willst, dann bediene dich der Kunst der Täuschung, der Verheimlichung und der Tarnung», sagt Weishaupt.
«Unsere Losung ist: Macht und Hinterlist! … Daher dürfen wir nicht zurückschrecken vor Bestechung, Betrug, Verrat, sobald diese zur Erreichung unserer Pläne dienen», heißt es in den Protokollen.
«… Die kommunistischen Parteien müssen einen neuen Typus von Zeitschriften für eine ausgiebige Verbreitung unter den Arbeitern schaffen: Zuerst legale Publikationen, durch welche die Kommunisten, ohne sich als solche zu bezeichnen und ohne ihre Beziehungen zu der Partei zu erwähnen, es erlernen, jede kleinste von den Gesetzen zugelassene Möglichkeit zu benutzen, wie es die Bolschewiken nach 1905 in der zaristischen Zeit getan haben … » («Thesen und Statuten», 1920.)

Die von mir oben wiedergegebenen Zeilen zeigen die Methoden, durch welche die Presse verseucht wird und wodurch solche Etiketten wie «liberal» oder «konservativ» vollkommen sinnlos werden. In dieser Sache kenne ich mich besonders gut aus und kann bezeugen, mit welch großem Erfolg diese Methode angewandt worden ist. Auch sie stammt in direkter Linie von den Lehren Weishaupts ab:
«. . . Wenn ein Schriftsteller irgend etwas publiziert, was beachtet wird und an sich richtig ist, aber nicht mit unseren Ideen übereinstimmt, müssen wir ihn entweder für uns gewinnen oder aber ihn fertig machen.»

Diese Lehren werden in den Protokollen wiederholt: «Mit der Presse werden wir folgendermaßen umgehen … Wir werden sie mit straffen Zügeln lenken… Dieses Ziel wird von uns teilweise schon jetzt dadurch erreicht, daß die Neuigkeiten aus aller Welt in einigen wenigen Nachrichtenämtern zusammenströmen, dort bearbeitet und erst dann den einzelnen Schriftleitungen, Behörden usw. übermittelt werden. Diese Nachrichtenämter werden allmählich ganz in unsere Hände übergehen und nur das veröffentlichen dürfen, was wir ihnen vorschreiben werden … Sollten trotzdem einige Schriftsteller gegen uns schreiben wollen, so werden sie keinen Verleger für ihre Arbeit finden.»

Ich habe bereits auf das Geheimnis hingewiesen, welches die neugegründete Pressekommission dieses Landes umgibt, und auf die offenkundige Gefahr, daß eine solche verborgene Kontrolle der Nachrichten dadurch gefördert wird. . . .
Nesta Webster zieht Vergleiche zwischen den Dokumenten von Weishaupt’s Illuminaten, der Haute Vente Romaine (1822‑48), Bakunins sozialdemokratischer Allianz (1846‑69), den Protokollen (1905) und den Manifesten des Bolschewismus (1917 und später). Es hat also während nahezu zwei Jahrhunderten geheime Gesellschaften gegeben, die immer mächtiger wurden; das sind recht verschiedene Personen, «als diejenigen glauben, die nicht hinter die Kulissen sehen» (Disraeli). Es sind die «unsichtbaren Drahtzieher» hinter «dem Plan» (Lord Acton). Man soll die Dokumente dieser Religion der Zerstörung ruhig studieren und dann wird man erkennen, wie nahe sie ihrem Ziel, der Zerstörung der Christenheit, der Nationalität und der Freiheit, in diesem zwanzigsten Jahrhundert schon gekommen sind.

Der Kanadische Bericht von 1946 erschien ein Vierteljahrhundert nach der wissenschaftlichen Untersuchung Nesta Webster und deren Veröffentlichung. Er bestätigt ihre Schlußfolgerungen. Wichtig ist vor allem, daß er eine Photographie von Menschen ist, die in den Jahren 1925‑45 genau das tun, was Weishaupt 1771 lehrte, indem sie daran arbeiten, mit seinen Mitteln die Völker zu korrumpieren. Dieser Kanadische Bericht stellt das abschließende Dokument in der ganzen Serie dar; aus dem negativen ist ein positiver Druck geworden.  . . .

 

II. Die Gestalt der fünfziger Jahre

Für mich ist folgende Sache erwiesen:

1. Die schwarze Religion samt ihrer Organisation besteht wirklich. Ihre Literatur ist zugänglich und alles, was sie während zwei Jahrhunderten gelehrt hat, kann mit dem Ablauf der Ereignisse verglichen werden. Ihre Urheber sind in allen Staaten sehr mächtig geworden und während den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts sind einzig und allein ihre Ziele gefördert worden. Hitler und Göbbels predigten und verwirklichten die Zerstörung, Deportation, Entvölkerung und Tod genau wie Weishaupt, Bakunin, Marx, Lenin und Trotzky. Die verschiedenen Namen, die sie trugen, waren nur die von Weishaupt empfohlenen Pseudonyme, um am besten zum Ziele zu kommen. (Es war übrigens Weishaupt, der als erster den Satz erfunden oder verwendet hat: «Der Zweck heiligt die Mittel.»)

2. Die Geheimgesellschaft besteht in ungezählten Abarten und Gestalten in allen Ländern. Durch den Erfolg und durch das Näherrücken an die Macht ist sie halb sichtbar geworden. Jetzt tauchen über dem Nebel ihre verschieden gestalteten Gipfel auf.  . . .  Hier hat sich Weishaupts üble «Wissenschaft» in der Praxis als äußerst stark erwiesen. Die Korruption der sogenannten freien Presse durch diese heimtückischen Methoden hat sich in den äußerlich noch freien Staaten als nicht weniger wirksam gezeigt als die völlige Unterdrückung in jenen Ländern, die sichtlich versklavt worden sind. …
Die Generallinie der Lehren Weishaupts, die Verächtlichmachung der Monarchie, der Religion, jeder legitimen Regierung, jedes Landes, der Nationalität, der Ehre, des Patriotismus und allgemeiner Anständigkeit findet sich implicite oder explicite in einer Unzahl heutiger Schriften, Schauspiele, Rundfunksendungen und Filme.

3. Jetzt, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, zeigt sich eine Situation, die für die Vollendung der Revolution der Zerstörung mit ihren Früchten ‑ Entvölkerung, Deportation und Tod -, einen außerordentlich günstigen Nährhoden bildet. Sowohl in Europa wie in Arabien sind zwei Vulkane künstlich geschaffen worden, die jederzeit zum Ausbruch gebracht werden können. Die Ereignisse, die zu dieser Situation geführt haben, bewiesen zur Genüge, daß es geheime Männer gibt, die eine Macht über die Politiker ausüben. Jetzt erstreckt sich diese Macht über die Völker oder mindestens über jene, die behaupten, in deren Namen zu sprechen.  . . .

Welches also ist dann die Gestalt der fünfziger Jahre? Ich glaube, daß sich in ihnen eine von beiden Möglichkeiten entscheiden wird: entweder die Vereitelung des Plans, was mit der Wiederherstellung von freien Nationalitäten, Religion und Freiheit gleichbedeutend wäre, oder dessen Endsieg, was bedeuten würde, daß ganz Europa wieder «in einen Zustand der Barbarei» versinkt.

Die sichtbaren Agenten dieser Verschwörung sind im Osten die Weltkommunisten und im Westen die «Welt‑Staatsmänner». Werden sie eines Tages im Interesse des Planes scheinbar gegeneinander losschlagen, wie es der «Nationalsozialismus» und der «Kommunismus» getan haben? Durch die gesamte Propaganda für einen «Welt‑Staat», eine «Welt‑Regierung», die jetzt ständig auf uns einhämmert, zieht sich wie ein roter Faden die Lehre von Weishaupt. Hinter dieser lächelnden Maske birgt sich die gefährlichste aller Diktaturen.

War es wohl dieses falsche Ziel, welches durch den zweiten Weltkrieg erreicht werden sollte? Falls jemals eine Empfehlung zur Aufrechterhaltung der nationalen Unabhängigkeit, der Religion und Freiheit aus diesem Quartier erfolgen sollte, wenn uns die Welt‑Staatsmänner aufrufen, die «kommunistische Agression» zu bekämpfen, dann stehen wir vor einer Wiederholung des Täuschungsmanövers des Zweiten Weltkrieges. Wir dürfen den Welt-Staatsmännern kein Vertrauen schenken. Wenn überhaupt, dann finden sich Weishaupt’s Schüler am ehesten in ihren Reihen.  . . .

Geographisch gesehen bildet Palästina, allgemein ausgedrückt, die Mitte der Welt. Sein natürlicher, aber noch unentwickelter Reichtum ist unschätzbar. Der Wert der chemischen Ablagerungen des Toten Meeres kann nach einem offiziellen britischen Bericht höher eingeschätzt werden als das gesamte Gold, das in Fort Knox gehortet wird. (Mineral‑Produktion aus dem Wasser des Toten Meeres, veröffentlicht von den Kron‑Agenten der Kolonien im Jahre 1925.)
Das ausschließliche Recht, diese Mineralien zu gewinnen und die Aufhebung bestehender Konzessionen zu fordern, wurde ohne Wissen des Parlaments 1921 durch die britische Regierung an zionistische Finanzleute übertragen. Die britische Regierung hatte dazu kein Recht und im Jahre 1925 erklärte der Internationale Gerichtshof im Haag diese Aktion in sehr scharfen Worten als ungesetzlich.
Dessen ungeachtet handelte die zionistische Gruppe als Besitzerin, leitete ihre Arbeiten ein und wurde 1930 in dieser Funktion nochmals anerkannt. Der offizielle Bericht der palästinensischen zionistischen Organisation im Jahre 1929 sagte:
«Wir Zionisten werden uns immer daran erinnern, daß Großbritannien jenen Männern den Vorzug gibt, denen unsere jüdischen Interessen am Herzen liegen … Es können Jahre vergehen, bis die Arbeiten am Toten Meer in vollem Schwunge sind. Hätten wir diese Konzession verloren, dann wäre vielleicht unsere ganze Zukunft in Palästina gefährdet gewesen.»

Dieser Umstand läßt darauf schließen, daß Palästina Anreize bietet, die in seiner Erwähnung als «Heimstätte» für ein «heimatloses Volk» nicht genannt sind, und daß die Gründe, weshalb «die moralische und, wenn nötig auch die physische Autorität der zivilisierten Welt» (Times) eingesetzt werden soll, nicht nur humanitärer Art sind. Er wirft ebenfalls ein neues Licht auf den «zweiten Exodus», die unerfindliche «Geheim‑Organisation», die dahinter steckt, auf die Finanzquellen und die Rolle der unglücklichen Menschenfracht der «Höllenschiffe». Diese Leute wußten von den Reichtümern des Toten Meeres ebensowenig wie die britischen Truppen, die Palästina im ersten Kriege eroberten oder die zwischen den beiden Weltkriegen gegen die Araber eingesetzt wurden.

Die volle Ausbeutung kann offensichtlich nicht beginnen, bis Palästina unter dem Vorwand einer Zufluchtsstätte für die Opfer Hitlers den politischen Zionisten übergeben worden ist. Der Reichtum dieser Gegenden beschränkt sich nicht auf die Sedimente des Toten Meeres. Außerhalb der Grenzen Palästinas, aber sehr nahe, liegen unendliche Ölquellen.  . . .

Deshalb scheint mir die endgültige Gestalt für die kommenden fünfziger Jahre folgende zu sein: Hinter den ursprünglich den Völkern vorgegaukelten Absichten wird der Versuch unternommen werden, irgend einen neuen Staat in Arabien zu gründen, der zusammen mit New York als dem Sitz der Welt‑Finanzkontrolle zum geographischen Zentrum der Welt‑Kontrolle überhaupt werden soll. Diese Knechtschaft bedroht alle Völker. Zwischen Fort Knox und dem Toten Meer besteht eine deutliche Verbindung.  . . .

. . . Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, daß sie früher oder später einmal nach Deutschland gesandt wird, um dort unter Sowjetkontrolle zur wahren Beherrscherin eines sowjetisierten West‑Deutschland zu werden. Die unter ihrer Fuchtel stehende Regierung wird die Sirenengesänge des deutschen Patriotismus anstimmen und den Ost‑Deutschen die glückliche Aussicht auf ein Vereinigtes Deutschland (das «Vierte Reich») vorspiegeln, falls sie sich zum Kommunismus bekennen. Als John Strachey den Kommunismus vor dem Zweiten Weltkrieg befürwortete, sah er die Möglichkeit voraus, daß «sich das Schwergewicht des Kommunismus vielleicht von Moskau westwärts nach Berlin verlagern wird». Heute sind wir dieser Möglichkeit schon näher und wären damit wieder bei der Situation zwischen 1914 und 1939 angelangt.

EPILOG

Zehnmal April

. . .  Falls es beim Schreiben des Buches vielleicht noch unklar war, so ist es jetzt unwiderlegbar klar geworden, daß die Angelegenheit unseres Planeten in den Händen von Disraelis «Leuten hinter den Kulissen» liegen, die für ihre Zwecke einen Aufstand nach dem andern auslösen und jetzt die Bühne für die größte Erschütterung rüsten, die ihren wichtigsten Zielen dienen soll. Diese Tatsache wurde (wie ich es in meinem Buche vorausgesehen habe) im Benehmen des anonymen Komitees einiger auserwählter Beamter sichtbar, das seinen Sitz in einer New Yorker‑Vorstadt hat und von allen, wovor uns Gott behüten möge, als «Vereinigte Nationen» bezeichnet wird.

Diese Körperschaft wurde gegründet, um die Wunden zu heilen, den Schaden wieder gutzumachen und das Unrecht des Krieges des 20. Jahrhunderts zu tilgen. Es hat nicht einmal versucht, etwas derartiges zu tun. Nach drei Jahren liegt Deutschland, das größte Land Europas, noch immer in Trümmern; bis heute sind keine Anzeichen dafür vorhanden, daß man ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen will. Der neue Angreifer, die asiatische Sowjetunion, streckt sich über halb Europa wie eine Riesenkröte. Würden sich die «Vereinigten Nationen» wirklich einsetzen, dann würden diese Dinge wahrscheinlich nicht bestehen.

Aber ganz im Gegenteil, es will scheinen, als wäre der Apparat dieses entlegenen Beamten‑Komitees vollkommen in der Gewalt solcher Mächte, deren Ziele nichts mit der Gesundung Europas oder der Welt zu tun haben. Bis jetzt haben sich die «Vereinigten Nationen» lediglich damit befaßt, einen neuen Krieg zu erklären, nicht Wunden zu heilen. Die gesamten Energien dieser fernen Komitee‑Männer, angefangen mit dem Delegierten des großen Liberia und des ruhmvollen Haiti bis zu denen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, wurden dafür eingesetzt, im Interesse der zionistischen Juden einen Angriff auf die Araber in Palästina vorzubereiten.

Ich habe in diesem Buch schon gezeigt, wie dieser Apparat überwacht wird. In Amerika findet alle zwei Jahre entweder eine parlamentarische oder eine Präsidenten‑Wahl statt. Die Stadt New York bildet den Schlüssel zum Erfolg in der Wahl und in New York sind die Juden der ausschlaggebende Faktor. Amerikanische Präsidenten und amerikanische Parteiführer stehen auf diese Art unter unablässigem Druck. Amerika hat die stärkste Stimme in den «Vereinigten Nationen», die sich passenderweise in Amerika befinden.
Durch solche Methoden haben die beiden Weltkriege nicht etwa Frieden und Freiheit in Europa gebracht, sondern die «Teilung von Palästina» und eine unmittelbare neue Kriegsdrohung in Arabien.

Wir nähern uns ganz deutlich dem größten Umsturz aller Zeiten, und dieser wird in New York fabriziert. Wer sich mit biblischen Prophezeiungen abgibt (ich persönlich beschränke mich auf politische Voraussagen), kann sich damit unterhalten, diejenigen über die Schlacht in den Ebenen von Armageddon in Palästina zu lesen, welche als entscheidender Endkampf bezeichnet wird. In einer der dort eingesetzten gewaltigen Armeen (die glauben, für ihre eigenen Ziele zu kämpfen, in Wirklichkeit aber durch die Macht des Teufels geleitet werden) sehen sie vielleicht die amerikanischen Soldaten, über deren Häuptern heute die Drohung einer solchen Expedition schwebt.

Ein entscheidender Augenblick steht deutlich bevor. Durch die Willfährigkeit der nicht‑jüdischen Politiker unserer Generation überschatten heute die palästinensischen Angelegenheiten die ganze Zukunft. In den Jahren, die dem Zweiten Weltkrieg folgten, gab es nur etwas Gutes: der plötzliche Rückzug der britischen Regierung von jeder weiteren Komplizenschaft an der abscheulichen Tat, die in Palästina ins Werk gesetzt wird. Sollte sich auch die amerikanische Regierung im letzten Augenblick vor diesem Abgrund zurückziehen, dann könnte man noch heute mit einer sichern Zukunft rechnen.

Diese zehn Jahre, in denen eine teuflische Macht auf dieser Erde beträchtlich an Einfluß gewonnen hat, waren für mich persönlich die glücklichsten meines Lebens; vielleicht eine unberechenbare Ironie eines Einzelschicksals. Während die Hoffnung schwand, daß der Zweite Weltkrieg die verpestete Luft dieses Jahrhunderts von Blut und Lügen wegfegen würde, wuchs mein persönliches Wohlbefinden. Ich persönlich hege also gegen diese Jahre durchaus keine schlechten Gefühle, da sie viel wohlwollender mit mir umgingen, als ich erwartet hatte. Darum gehören die Dinge, die ich als Fortsetzung von «Jahrmarkt des Wahnsinns» geschrieben habe, nicht in den Bereich eines Menschen, der durch Schicksalsschläge mißtrauisch und nörglerisch geworden ist. Sie sind wirklich nur die aus reicher Erfahrung geschriebenen Kommentare eines gewissenhaften Reporters zu diesen außergewöhnlichen Jahren.

Ich möchte noch ein Wort beifügen. Ich gehöre nicht zu den Alleswissern. Ich habe mich bemüht, bei der Darlegung der bewußt üblen Absichten, die ich hinter dem Chaos unserer Zeiten sehe, manche Tatsachen zu erwähnen, die schon ringsum bekannt sind. Ich habe mich auf sie gestützt und meine eigene Meinung dargeboten. Ich behaupte aber nicht, daß ich alles weiß oder daß ich unbedingt recht habe. Es gibt in diesen Fragen keine absolute Wahrheit; siehe, die tausend Farben, in denen der farblose Diamant aufleuchtet. Ich habe, so gut ich dies konnte, in das Geheimnis unserer Zeiten hineingeleuchtet und wenn ich meine Lösung biete, dann berufe ich mich auf folgende Worte, die von einem amerikanischen Schriftsteller, Henry Beston, stammen:

«Zu den vielen Dingen, für die ich unendlich dankbar bin, gehört die Tatsache, daß so vieles im Leben jedes menschliche Begreifen übersteigt. Die Phantasielosen können ruhig behaupten, daß sie eine Erklärung für alles besitzen, und ihre hölzernen, mit Formeln geladenen Gewehre auf jedes Wunder und jedes Geheimnis richten.
Es ist ihnen, Gott sei Dank, bis jetzt nicht gelungen, mit ihren Holzgewehren auch nur den kleinsten Stern am Firmament zu verrücken. Gut, daß dem so ist, denn der menschliche Geist läuft Gefahr, vor lauter Erklärungen, die keine sind, zu sterben. Eine Welt ohne Wunder und eine Denkweise ohne Wunder wird zu einer phantasielosen Welt, und ohne Phantasie ist der Mensch eine arme und verkrüppelte Kreatur.  . . .
Laßt uns Gott danken, daß dies alles für immer aus unserer Reichweite entrückt, vor unserer Erde behütet, von unseren Griffen unberührt bleiben wird.»

In der Meinung, daß ein öffentliches Wissen die beste Verteidigung gegen ein geheim vermitteltes Wissen darstellt, habe ich in diesem Buch einfach einige Nachrichten und einige persönliche Ansichten zum Besten gegeben.
Douglas Reed, Südafrika, 1948

www.horst-koch.de
info@horst-koch.de

Ergänzende Literatur zu diesen Fragen auf meiner Webseite:

1. Charakterwäsche – Die Re-education der Deutschen nach 1945 – Caspar von Schrenck-Notzing
2. Amerikas Verantwortung für das Verbrechen am deutschen Volk – Rev. Ludwig A. Fritsch
3. Schreckliche Ernte – Der Nachkriegs-Krieg der Alliierten gegen das deutsche Volk – Ralph Franklin Keeling
4. Stalins Vernichtungskrieg 1941-45 – Joachim Hoffmann

 




Plan der Anonymen (D.Reed)

Douglas Reed

Der große Plan der Anonymen

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Wien 1938 . . . . . . . . . . . .

ERSTES BUCH – Rauch 1933 ‑ 1939
I. Mit einem verurteilten Mann zu Tisch

II. Ein Priester mit feinen Händen

III. Die einsamen Könige

IV. Der Strandräuber
V. Zwischen zwei Dieben

VI. Die längste Nacht

VII. Ein geräuschvoller Vorbote

VIII. Der Tanz der Marionetten . . . . . .

ZWEITES BUCH – Feuer 1940 ‑ 1945
I. Ein warmer Septemberabend

II. Der heimliche Krieg
III. Gespaltene Gesellschaft

IV. Ein Dieb oder zwei

V. Im unbekannten England . . . .

DRITTES BUCH – Qualm 1945 ‑ 1950
I. Und auch in Zukunft nicht

II. Das zweite Interregnum?

VIERTES BUCH – Die blitzenden fünfziger Jahre 1950 – . . .
I. Die blitzenden fünfziger Jahre

II. Die Gestalt der fünfziger Jahre

III. Der uralte Fels (England)

– Die von Herrn Reed erlebten und geschilderten Vorgänge des vergangenen Jahrhunderts lehren uns, auch die heutigen vielfach unsichtbaren Hintergründe und Vorgehensweisen der politischen Entwicklungen besser zu deuten. Beachtenswert ist auch, dass die sog. “Transformation“ des Christlichen Abendlandes hin zu einem Neuen (nichtchristlichen) Europa bzw hin zu einer sog. Neuen Welt Ordnung als ein Block zu sehen ist. Vom Ersten Weltkrieg bis heute. Die letzten 60 Jahre haben diese von Herrn Reed geschilderten Absichten voll bestätigt.
Der vorliegende Text ist leicht gekürzt. Die Berichte zur speziellen Lage in England (bis 1947) wurden dabei ganz weggelassen. Die Hervorhebungen im Text wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Oktober 2012 –

Der Umschlagstext:
Der Verfasser, ein Engländer, war von 1928 bis 1935 einer der Korrespondenten der Londoner «Times» in Berlin. Als Zeuge des Reichstagbrandes erregte er durch seine kritische Berichterstattung größtes Aufsehen. 1935 bis 1938 war er Hauptkorrespondent dieses Blattes im Balkan. Seine Eindrücke über die «qualmigen dreißiger Jahre», denen bald das «Feuer» der Vierziger nachfolgen sollte, legte er in seinem vielgelesenen Buch «Insanity Fair» (Jahrmarkt des Wahnsinns) nieder, das von Himmler im Dritten Reich sofort verboten wurde. «Der grosse Plan der Anonymen» ist die Fortsetzung jenes Buches, nicht minder scharf und geistreich geschrieben. In seinem prophetischen Ausblick auf die Zukunft und seiner mutigen Analyse jener Mächte, die hinter dem düstern Geschehen unserer Tage stehen, wird es ein unentbehrlicher Wegweiser für jeden, der wissen will, was eigentlich hinter den Kulissen geschieht.

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE (1952)

Ich habe ganz besonderen Grund, beim Schreiben dieses Vorworts für die deutsche Ausgabe eines Buches, das 1948 in England erschienen ist – unter dem Titel: From Smoke to Smother – ein prickelndes Vergnügen zu empfinden. Dieses Buch ist das siebente in der Serie meiner politischen Bücher. Das erste: «Jahrmarkt des Wahnsinns» wurde gleich beim Erscheinen von Himmler verboten. (Es enthielt allerlei Informationen über die Machtergreifung des Jahres 1933, welche die deutschen Leser damals nicht erfahren durften.) Nach dem Zweiten Weltkrieg fand dieses Buch seinen Weg nach Deutschland und ich erhielt Briefe von deutschen Korrespondenten, in denen sie mich aufforderten, eine deutsche Übersetzung zu veranlassen. Zu dieser Zeit traf ein Komitee der Besatzungsmacht die Auswahl der in Deutschland zu erscheinenden Bücher und diese Körperschaft entschied sich gegen die Veröffentlichung meines Buches «Jahrmarkt des Wahnsinns». So war ich denn in Deutschland verboten, zuerst durch die Deutschen, dann durch meine eigenen Landsleute und derart erhielt ich eine literarische Auszeichnung, die, wie mir scheint, selbst in unseren Zeiten einzigartig ist. Und jetzt geht über mein Gesicht ein breites Lachen, wenn trotz allem in diesen Tagen eines meiner Bücher in deutscher Sprache erscheint, auch wenn es in der Schweiz (Thomas-Verlag Zürich) verlegt wird.
Dieser amüsante Vorfall bildet den Bestandteil einer längeren Geschichte, die ich kurz erzählen muß, damit der deutschsprachige Leser etwas über den Autor dieses Buches erfahren kann. Es mag sein, daß der Leser, ob er nun in der Schweiz, in Deutschland oder wo anders lebt, in den letzten zehn Jahren von der sogenannten westlichen Welt wenigstens in beschränktem Umfang abgeschnitten war und nicht genau weiß, was sich dort alles, zugetragen hat. Meine kleine Geschichte kann ihm vielleicht helfen, die Vorgänge besser zu verstehen.
In den kritischen Jahren 1928‑1935 war ich einer der Korrespondenten der «Times» in Berlin. Von 1935‑38 war ich der Hauptkorrespondent dieser Zeitung für Zentraleuropa, hatte mein Büro in Wien und bereiste ganz Mitteleuropa und den Balkan. Während dieser Jahre bekam ich den Journalismus mehr und mehr satt; das heißt nicht das Leben eines Journalisten, das mir Freude machte, sondern die Verbote, die auf einer vollständigen und wahren Berichterstattung lagen.
Dieses ständige Durchkreuzen meiner Aussagen wurde mir schließlich unerträglich. So schrieb und veröffentlichte ich «Jahrmarkt des Wahnsinns» und gab meine Stelle wenige Monate später auf, als das Abkommen von München meine sämtlichen Befürchtungen bestätigt hatte und mir die Weiterführung meines bisherigen Berufs ganz unlohnend erscheinen ließ. Ich erkannte, daß ein Journalist seinen Beruf nur dann richtig ausüben kann, wenn er eine eigene Zeitung herausgibt (dazu fehlten mir die Mittel) oder wenn er Bücher schreibt. Von da an war ich ein Journalist, der frisch heraus berichtet, was er erfahren hat, und in seinen Büchern offen seine Ansichten über diese Tatsachen bekannt gibt. Ich bin eine Art von Ein‑Mann‑Zeitung, die jeweils alle zwei Jahre in einer Ausgabe von mehreren hundert Seiten zwischen zwei Buchdeckeln erscheint. . . .
«Jahrmarkt des Wahnsinns» war ein großer Erfolg, in allen englischsprechenden und skandinavischen Ländern und anderswo. Was auf der Hand liegt, hat am meisten Erfolg und meine bündigen Voraussagen über Hitlers Absicht, in Österreich einzumarschieren, die Tschechoslowakei anzugreifen und dann mit Stalin einen Pakt abzuschließen, wurden wie Offenbarungen eines Propheten lebhaft beklatscht, als diese leicht vorauszusehenden Ereignisse eintrafen!
Unterdessen lernte ich Neues hinzu, und ehe «Jahrmarkt des Wahnsinns» erschienen war, ahnte ich, daß sich hinter dem kommenden Sturm weit mehr verbarg als nur der Ehrgeiz und die kriegerischen Absichten eines Hitler. Noch ehe der Krieg ausbrach, begann ich klar zu sehen, daß im Hintergrund andere große Mächte mit ehrgeizigen Motiven an der Arbeit waren. Man mußte die Ziele schon klar im Auge behalten, sollten nicht diese Mächte allein die Nutznießer des zweiten Chaos aller europäischen Völker werden. Ich begann diesen Charakterzug in einem zweiten Buch «Schande im Überfluß» zu diskutieren und augenblicklich verstummte der Beifall, der «Jahrmarkt des Wahnsinns» begrüßt hatte. An dessen Stelle traten Vorwürfe und Tadel. Ein Vertrag für die amerikanische Ausgabe dieses Buches wurde ohne große Entschuldigungen gebrochen . . . .
Und so ist es weiter gegangen, in den letzten zwölf Jahren, während ich in aller Ruhe fortfuhr, meine freigewählte Berufung auszuüben, zu schreiben, was ich weiß, und zu sagen, was ich glaube, und in Buchform zu veröffentlichen, was ich in einer Zeitung drucken würde, falls ich deren Herausgeber wäre. An jenem Tage des Jahres 1938, als Hitler in Österreich einmarschierte, telefonierte mein Kollege in Berlin mir dringend nach Wien, ich solle noch vor dem Einmarsch der Gestapo verschwinden. Er hatte aus bester Quelle einen Tip erhalten. In späteren Jahren ergrimmten die Kommunisten und Zionisten ebenso sehr über mich wie einst die Nazis (und ich denke, daß dieses Schicksal einem jeden bestimmt ist, der fortfährt, in diesen Zeiten ein unabhängiger Schriftsteller zu sein). Sie setzten alle möglichen Gerüchte über mich in Umlauf, von denen ich, mit einer Ausnahme, alle widerlegen kann. Bei dem einen Punkt aber ‑ ich sei verrückt ‑ habe ich den Eindruck, daß es sich um eine große Übertreibung handelt.
Die Zeit verging. Meine Überzeugung wuchs, daß hinter all diesen Ereignissen viel mehr steckte, als nur die kriegerischen Gelüste Hitlers. Vom Augenblick an, als er die Sowjetunion angriff, erkannte ich immer deutlicher, daß der ganze Verlauf des «Hitler‑Krieges» von unsichtbaren, geschickten Händen geleitet wurde, damit der Endsieg zwei Mächten zufalle: dem Sowjetkommunismus und dem zionistischen Nationalismus.
Die breiten Massen der Völker vermochten das nicht zu erkennen, so wenig, wie sie 1938 die Dinge durchschauten, die für mich auf der Hand lagen: daß Hitler sich im gegebenen Moment mit Stalin verbünden werde. Jetzt erkennen sie es, denn es sind sechs Jahre verflossen, seit ein amerikanischer Präsident den Befehl erließ «Die Russen dürfen Berlin erobern». Und fast ebensoviele Jahre sind verflossen, seitdem er befahl, das entlegene Palästina solle aufgeteilt, und die einheimischen Araber aus der einen Hälfte des Landes zugunsten der zionistischen Einwanderer aus Osteuropa vertrieben werden.
Und trotzdem gewahrt die breite Öffentlichkeit noch immer nicht, was meine Meinung ist: daß die persönlichen Taten eines Hitler für dieses Gesamtbild ebenso bestimmend waren wie die eines Roosevelt. Heute weiß jeder, daß während der duldsamen (oder verschlafenen) zwanziger und dreißiger Jahre die Regierungen und Amtsstellen des Westens mit kommunistischen und zionistischen Agenten verseucht wurden, die bei Kriegsausbruch nach einem seit langem vorbereiteten Plan ans Werk gingen. Falls der Kriegsausgang selbst diese Behauptung noch nicht belegt, so wurde sie doch durch die zahlreichen Enthüllungen in Amerika und England hinreichend bewiesen.
Aber sogar heute finde ich kaum einen Menschen, den seine Phantasie befähigt, eine geradezu einleuchtende Möglichkeit zu erkennen: daß Hitler selbst ein bewußter und nicht nur ein unbewußter Agent dieser Zielsetzung gewesen ist. Meiner Meinung nach war dies das Geheimnis, das Speer kannte, und das mag auch der Grund sein, weshalb der Mann, der Hitler zu ermorden versuchte, von denen, die behaupten, die «Zerstörung der Hitlerei» sei ihr eigentliches Kriegsziel gewesen, für 20 Jahre eingesperrt wurde. Ich glaube, daß Rauschning das gleiche Geheimnis entdeckte oder wenigstens vermutete, und daß viele, die nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurden, auf der gleichen Fährte gewesen sind. Das würde auch erklären, weshalb Hitler, Göbbels und Bormann (ausgerechnet diese drei!) niemals auf die Anklagebank in Nürnberg kamen.
Diese Theorien und der Glaube an ihre Richtigkeit wurden in mir wesentlich durch die massiven und unaufhörlichen Versuche, mich und meine Schriften zu unterdrücken, bestärkt. Ich halte weder meine Bücher, noch mich selbst für sehr bedeutend. Offenbar aber findet irgend eine andere Seite, daß meine Bücher doch schädlich genug sind, um eine große und dauernde Anstrengung bezahlt zu machen, sie vom Buchmarkt zu verdrängen. Über diese Tatsache besitze ich ungezählte Beweise.
Es sind erstaunliche Dinge, die sich im Zeitraum weniger Jahre zugetragen haben, und sie werden einmal ein weit unterhaltsameres Buch füllen, als ich jemals zuvor geschrieben habe. Nur eine äußerst mächtige Organisation, mit Stützpunkten in allen Ländern, konnte es fertig bringen, gegen einen einzelnen, recht unbekannten Schriftsteller einzig und allein aus dem Grunde, weil er sich in aller Öffentlichkeit mit zwei aktuellen politischen Bewegungen auseinandersetzt, eine weltumfassende Kampagne einzuleiten. Ich staune über diese offensichtlich organisierte Feindschaft. . . .
In diesem Buche habe ich geschrieben, was ich glaube. Aus seinem Inhalt wird der Leser demnach erfahren, welche Art von Aussagen diese mächtige (aber noch nicht allmächtige) Zensur, die in der heutigen Welt besteht, gerne unterdrücken möchte. Sie hatte nichts einzuwenden, als ich 1938 ein Buch schrieb, in welchem ich feststellte, der Krieg stehe vor der Tür. Ganz im Gegenteil! Sie ließ diesem Buch alle Unterstützung angedeihen, denn damals benötigte sie den Krieg zur Verwirklichung ihrer Pläne. Und so glaube ich, daß ich auch heute, im Jahre 1952, keiner organisierten Feindschaft begegnen würde, wollte ich einen zweiten «Jahrmarkt des Wahnsinns» in dem Sinne schreiben, daß «Rußland» der neue «tollwütige Hund in Europa» ist und einen neuen Krieg starten will. Ich glaube ebenfalls, daß weitere Kriege für das künftige Gelingen der ehrgeizigen Pläne, die ich im Auge habe, noch immer sehr erwünscht sind. Leider glaube ich nicht, daß «Rußland» der «tollwütige Hund» ist, trotzdem der Kommunismus (ein fremdes Regime, das Rußland beim Abschluß eines Krieges aufgezwungen wurde) es vielleicht sein mag. Meiner Ansicht nach befinden sich die Russen heute ebenso hilflos in den Klauen des Kommunismus wie die meisten Juden in denen des Zionismus, und wie einst die Deutschen 1939 in denen des Nationalsozialismus.
Die geheime Zensur will es verbieten, daß irgend jemand sagt, auch ein neuer Krieg würde wiederum, wie die beiden letzten Kriege, von übernationalen Kräften ausgenützt und ihren eigenen Zielen dienstbar gemacht. Diese Ziele würden nochmals dahin gehen, das kommunistische Reich und den zionistischen Staat weiter auszudehnen; oder beide in einen Weltstaat zusammenzuschweißen, in welchem die Kräfte, die den sowjetischen Kommunismus und den zionistischen Nationalismus geschaffen haben, die oberste Gewalt ausüben und in welchem die Völker des christlichen Westens sich ungefähr in der Lage des heutigen Polens befinden würden.
Wenn einmal ein neuer Krieg ausbricht, dann wird man das, meiner Meinung nach, nicht mehr sagen dürfen. Bis ein neuer Krieg ausbricht, kann es noch gesagt werden. Im gegenwärtigen Zeitpunkt liegt das Hauptprohlem aller Völker des christlichen Westens lediglich darin, zu überleben, sind sie doch alle gleichermaßen in den Plänen dieser bedrohlichen Mächte, die zum größten Teil jede nationale Regierung verdrängt haben, gefangen.
So viel über mich, meine Bücher und deren seltsame Geschichte. Jetzt, wo ich mich anschicke, ein Vorwort für eines mei. ner Bücher, das in deutscher Sprache erscheint, zu schreiben, kehren die Bilder dieses Europa, das ich einst so gut kannte und so sehr liebte, wieder frisch in mein Gedächtnis zurück. Es war immer mein Wunsch, meine Tage im Stammkontinent der Kultur des weißen Mannes zu beenden. Die Vorahnung, daß mir die Entwicklung die Erfüllung dieses Lieblingswunsches verwehren könnte, machte die Zeit zwischen 1933‑39 zu traurigen Jahren.
Ich fühlte mich überall in Europa zu Hause. Jesus hatte «Viele Jünger und einen, den er liebte». Wie die Menschen, die viele Länder kennen und eines, das sie lieben. Ich bin im wahrsten Sinne von A bis Z Engländer, aber ich kannte viele Länder. Ich fühlte mich in Frankreich oder Deutschland, Belgien oder der Schweiz, in Polen, Ungarn oder Jugoslawien, in Italien, Griechenland oder Rumänien stets als Gast, niemals als Fremder. Jedes dieser Länder besaß für mich besondere Reize; ein Menschenleben ist viel zu kurz, um sie alle kennen zu lernen. Was mich in jedem Land am meisten anzog, war das, was bei einer Überbetonung am raschesten anwidert: die nationale Eigenart. Wie herrlich sind die individuellen Eigenarten der großen und der kleinen Staaten, bis irgend ein Demagoge erscheint und sie verfälscht. Wie töricht ist doch das Geschwätz von der Aufhebung der Eigenstaatlichkeit! Die Nationalität ist ebenso unzerstörbar wie die Materie, und ich finde, daß unsere gegenwärtige Zeit jener Voraussage in der «Johannes-Offenbarung» gleicht, wonach «die Verführung der Völker» ein Ende nehmen wird, wenn dereinst «die alte Schlange, der Satan» nach der Endschlacht der Könige dieser Erde an «der Stätte, in hebräischer Sprache Armageddon genannt», in Fesseln geschlagen sein wird.
Wirklich unglücklich fühlte ich mich nur in einem Lande: in Rußland. Und zwar aus dem Grunde, weil es nicht Rußland war, sondern ein kommunistisches Gefängnis, dessen nationale Eigenart wenigstens zur Zeit völlig zugrundegerichtet ist. Ich habe nur noch einen Wunsch, auf dessen Erfüllung ich noch hoffe: lange genug zu leben, um Rußland russisch, Deutschland deutsch und ganz Europa wieder wahrhaft frei zu sehen.
Ich erinnere mich, wie ich Deutschland 1939 mit tiefem Bedauern verließ, und wie mich die Verwandtschaft der nationalsozialistischen und kommunistischen Parolen und Methoden seit 1933 mit einer bangen Vorahnung erfüllten; ich gewann den Eindruck, daß die deutsche Eigenart in falsche Formen gepreßt werde. Und ich wußte, daß dies auch mein eigenes Leben zutiefst berührte sowie das Leben aller Zeitgenossen, und heute, fast zwanzig Jahre später, sehe ich, wie richtig meine Vorahnung war.
Ich fuhr am Abend des 27. Februar 1933 eben in jenem Augenblick am Reichstag vorbei, als die Flammen aufloderten. Wahrscheinlich war das für die meisten ein ganz gewöhnlicher Brand. Mir aber fraß die Erkenntnis tief ins Mark, daß es sich hier um weit mehr handelte. Im Namen dieses Brandes begann der lange Opfergang des christlichen Westens, aber nicht nur in Deutschland! Der rote Schein der Flammen und deren lange Schatten zucken noch heute in jeder deutschen Familie in West- und Ostdeutschland. Aber sie reichen noch viel weiter: in jede englische und sogar in jede amerikanische Familie.
Der Reichstagbrand war die eigentliche Atombombe, welche die christliche Kultur, Europa und die westliche Welt einer dunklen Zukunft überlieferte. Falls wirklich der Untergang besiegelt wird und sich die Staaten, in denen einst das Zeichen des Kreuzes ein wunderbares Licht der Erkenntnis schuf, in Reiche der dunklen Sklaverei wandeln, dann hat dieser Vernichtungsprozeß in der Nacht des 27. Februar 1933 begonnen. In jener Nacht überspülte wie eine schwarze Springflut die Finsternis Asiens in einem gewaltigen Sprung ganz Deutschland. Das Heim eines Menschen war nicht mehr unantastbar, auch nicht sein Vermögen oder seine Person. Von jenseits des Urals drangen die Methoden der Satrapen hinüber in das Land der Dichter und Denker. Falls es noch Richter in Berlin gab, waren sie nur Überlebende aus der Vergangenheit; die wirkliche Gewalt war an Volksrichter, Volksgerichte und einen obersten Magistraten übergegangen.
Ich habe mich damals schon gewundert, als ich auf Befehl Görings den brennenden Reichstag verlassen mußte, und ich wundere mich beim Zurückdenken noch heute, wie manche Deutsche sich täuschen ließen und glaubten, daß es sich hier um etwas Neues oder gar um etwas Gutes für Deutschland handle. Es war einfach barbarisch, in seinen erkennbaren Grundzügen kommunistisch und derart ansteckend, daß es sich heute noch viel weiter nach Westen ausgedehnt hat und das restliche Europa, sogar England und Amerika bedroht. Seither haben England und Amerika ständig im Zeichen des «Notstandes» und der «außerordentlichen Vollmachten» gelebt, und ihre Beherrscher erlaubten sich immer tiefere Eingriffe in die menschlichen Freiheitsrechte, während sie vorgaben, eben diese Gesinnung zuerst im «Faschismus» und dann im «Kommunismus» zu bekämpfen.
Wer hat den Reichstag angezündet? Wir fragen uns noch immer und finden noch immer keine Antwort. Ich vermute, daß ich über dieses Ereignis mehr weiß als die meisten, denn ein Zufall führte mich damals an Ort und Stelle. Ich verfolgte aufmerksam die Untersuchung und versäumte keinen Augenblick des Prozesses. Zudem war ich ein freier Mann, der sich seine eigene Meinung ohne Vorurteil bilden konnte. Ich weiß, daß es nicht «die Kommunisten» gewesen sind, das heißt weder die deutschen und bulgarischen Kommunisten, die unter Anklage standen, noch irgend eine andere kommunistische Gruppe. Falls aber «die Nazis» die Brandstifter waren, dann dienten sie dem kommunistischen Endziel, wie Hitler, der zuerst Polen mit den Kommunisten teilte, um als nächsten Schritt seinen Zweifrontenkrieg zu führen. All diese Schritte zielten dahin, den großen Plan zu fördern, den Westen in ein Sklavengebiet zu verwandeln. Waren die Männer, die damals in Deutschland an der Macht waren, wirklich so weitblickend? Diese Meister der Planung, sie sind 1945 nicht weit vom abgebrannten Reichstag in anderen Flammen spurlos verschwunden. Ihre Leichen wurden nicht gefunden. Das Rätsel der verschwundenen Brandstifter des Reichstags führt meiner Ansicht nach zum andern Rätsel der verschwundenen Führer aus der Reichskanzlei.
Aber der begonnene Prozeß geht weiter und hat ganz Europa zu einem Fegfeuer gewandelt. Während all dieser Jahre setzte ich in aller Stille die Arbeit an meinen Büchern fort. Die einzigen Vorschriften, von denen ich mich leiten ließ, waren die alten Regeln, die einst für jeden anständigen Journalismus galten, aber jetzt in den großen Massenzeitungen mehr und mehr in Verruf fallen: nämlich nichts Blasphemisches, Aufrührerisches, Obszönes oder Verleumderisches zu sagen. Ich habe Europa seither nicht mehr gesehen, außer von der Normandie 1944 (und, das war der traurigste aller Besuche, denn ich sah den großen Schachzug voraus, nach welchem «die rote Armee Berlin erobern durfte», und fühlte, daß die deutsche Niederlage oder der alliierte Sieg derart in eine Niederlage der christlichen Welt verwandelt werden sollte) und nachher nur noch in ganz kurzen Ausblicken. Ich verbrachte meine Zeit damit, eine sozialistische Regierung zu beobachten, wie sie auf meiner Heimatinsel mancherlei Maßnahmen im Namen der Demokratie einführte, die kommunistischer oder faschistischer Herkunft waren, und nachher in Afrika, Kanada und den großen Vereinigten Staaten zu reisen, um zu schauen, was dort vor sich ging.
Das Bild dieses weiten Bereichs der Außenwelt deckt sich so ziemlich mit dem, was ich 1947 über die britische Insel geschrieben habe. Es scheint, als hätten die Politiker ‑ Sozialisten und Konservative in England, Demokraten und Republikaner in Amerika oder ähnliche Parteigebilde anderswo ‑ überall vor dem Lockruf der «außerordentlichen Vollmachten» kapituliert. Sie lernten dauernden Notstand schätzen, offenbar wegen der herrlichen Machtfülle über die Völker, die sie in dessen Namen fordern, und ihre einzige Leistung ist die Abänderung der Bezeichnungen Faschismus und Kommunismus in «Notstand». So werfen die längst erloschenen Flammen des Reichstages, wie schon gesagt, noch immer ihren Widerschein nicht nur auf Deutschland, sondern auf alle übrigen Länder der christlichen Welt. Ich habe in den letzten Jahren in meinem eigenen Lande und in Nordamerika gefühlt, daß ich von den politischen Schatten Papens, Brünings, Otto Brauns und Severings begleitet war. Notstand! Notverordnung! Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle! Weil ich gesehen habe, wohin dieser Weg führt, ist er mir widerwärtig.
Ich glaube nicht, daß man den Faschismus oder den Kommunismus mit den gleichen Methoden bekämpfen kann. Wir müssen entgegengesetzte Methoden wählen. Amerika ist jedoch nie ganz aus dem Notstand herausgekommen, den Präsident Roosevelt ungefähr zur Zeit des Reichstagsbrandes proklamierte, und sein Nachfolger besteht täglich darauf, daß er weiter beibehalten werde. In England, wo ein gewisser Attlee, ein sozialistischer Politiker, in Hitlers ersten Jahren offen das Wort gegen Regierungen ergriff, die im Namen des «Notrechtes» immer größere Macht über ihr Volk gewannen, hat ein Premier‑Minister, namens Attlee im Namen des heutigen Notstandes «außerordentliche Vollmachten» zu einer dauernden Einrichtung gemacht! So geht der verderbliche Kreislauf weiter. Dieser Teufelstanz, der am 27. Februar 1933 begann, zieht immer größere Kreise über die Welt des weißen Mannes.
Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie derart betrogene Politiker, falls sie nicht selbst Betrüger sind, die Welt von dieser immer straffer werdenden Umklammerung befreien sollen. Noch sind die heute führenden Politiker der westlichen Welt meistens Männer, die in den Illusionen des Liberalismus oder des Sozialismus groß geworden sind. Die Ereignisse um die Wende unserer Jahrhundertmitte haben gezeigt, daß Liberalismus und Sozialismus nur zwei Spiralen einer dreifach geringelten Schlange waren und sind. Die dritte Spirale, die den Kopf mit dem Giftzahn trägt, ist der Kommunismus. Aber alle gehören zum gleichen Körper. Diese Illusionen wurden im letzten Jahrhundert geboren. Nur solche Männer, die mit ihnen groß geworden, konnten sich in einem Zustand völliger Verblendung zu einem so teuflischen Abkommen verleiten lassen wie ein amerikanischer Präsident, der dem «Vorschlag», «die Rote Armee dürfe Berlin erobern», Folge leistete.
Mit diesem Entscheid schwand die letzte Hoffnung, daß Europa durch den Zweiten Weltkrieg wieder den Weg zur Gesundheit findet. Ein asiatisches Komplott, schon zu zwei Dritteln gelungen, wurde durch die Blindheit eines Mannes, oder einer Gruppe von Männern des christlichen Westens, die sich von den asiatischen Verschwörern täuschen ließen, zu einem vollkommenen Erfolg. Ich glaube, daß jedes Kind in Europa die Folgen dieses meisterhaften Schachzuges hätte sehen müssen. Für mich, der ich Europa kannte, lagen sie jedenfalls auf der Hand. Jetzt bleibt nur noch der Ausgang des Endkampfes, in welcher Form er sich auch abspielen mag, und die letzte Antwort auf das Rätsel dieses erschreckenden Jahrhunderts offen: Wird Europa überleben oder wird es untergehen? . . .
Vier Jahre sind verflossen, seit dieses Buch geschrieben wurde (1948-52). Ich möchte denen, die es jetzt in deutscher Sprache lesen, in aller Kürze erzählen, was seither in der Welt geschah. Alles vollzog sich auf der gleichen Ebene des Bösen, das noch schlimmer wurde; die Wendung zum Guten ist noch nicht eingetreten. Der einzige Trost, den ich für jeden besitze, dessen Los es ist, in unsern Zeiten zu leben (die den folgenden Generationen ganz unbedeutend erscheinen werden), liegt in den Worten des heiligen Matthäus: «Ihr werdet von Kriegen und Kriegsgerüchten hören; sehet zu, daß ihr euch nicht verwirren lasset; denn alles dieses muß geschehen, aber es ist noch nicht das Ende … Wer aber ausharret bis ans Ende, der wird selig werden.»
Unsere Zeit wurde 1945 von drei Männern geformt, wovon zwei, Stalin und Winston Churchill, genau wußten, was sie wollten, trotzdem sie das genaue Gegenteil wollten. Hätte sich Churchill durchsetzen können, wäre es der Roten Armee nicht erlaubt worden, Berlin zu erobern (was einer Zweiteilung Europas gleichkam), und Europa hätte die Chance eines lange währenden Friedens gehabt. Die ausschlaggebende Stimme lag bei Roosevelt, der bewiesenermaßen von der Geschichte und der Umwelt sehr wenig verstanden hat. Er war das getreue Abbild des Politikers, der auf dem verfälschten Liberalismus dieses Jahrhunderts aufbaut, und dessen einziger erkennbarer Charakterzug in der grimmigen Bereitschaft liegt, jedwelche Tyrannei zu unterstützen, sofern nur der Tyrann erklärt, er übe seine Tyrannei im Namen des werktätigen Volkes aus. Er war von gleichartigen Beratern umgeben, und seine Verwaltung war mit Fremden verseucht, die man einzig darum aufgenommen hat, weil sie sich als «Anti‑Nazis» proklamierten. Selbstverständlich war diese Behauptung keine Garantie dafür, daß sie den wahren Interessen Amerikas dienen wollten. Tatsächlich mißbrauchten etliche ihre Macht, um die Interessen der Sowjetunion zu fördern. Nur wenn man diese Umstände klar vor Augen hält, kann man den Befehl des Präsidenten, «die Rote Armee dürfe Berlin erobern», verstehen. (Der Befehl wurde in Wirklichkeit von Roosevelts Nachfolger ausgegeben, war aber eine Frucht der Roosevelt‑Ära.) Es kam hinzu, daß Roosevelt in jenem kritischen Augenblick ein todkranker Mann war (in seinen letzten Tagen schien er sich übrigens der Folgen seiner Handlungen bewußt zu werden).
Der Zweite Weltkrieg, der auf diese Art in der Stunde des Sieges verloren wurde, machte Amerika zur materiell stärksten Macht der Welt, das heißt in Bezug auf die Kapazität seiner industriellen Produktion, was gleichbedeutend ist mit der Macht, einen Krieg zu führen. Aber leider genügt die materielle Stärke weder um die Welt zu befreien, noch um Kriegstreiber in Schach zu halten. Ebenso wichtig sind moralische Kraft, Weisheit und eine klare Politik. Ganz offensichtlich hatten all diese Kraftquellen durch die Folgen der vierzehnjährigen Roosevelt‑Politik in Amerika sehr gelitten.
Es war vorauszusehen, daß die vier Jahre, die seit dem Schreiben dieses Buches verflossen sind, Amerika ein unsanftes Erwachen bringen würden. Endlich dämmerte es, daß der militärische Sieg die proklamierten Ziele nicht verwirklicht hatte, daß ein neuer und noch stärkerer Angreifer auf die Beine gestellt und mit Waffen und Geld ausgerüstet worden war, und daß der Weltfrieden (von der «Freiheit» ganz zu schweigen) in weite Ferne gerückt war. Der Durchschnittsamerikaner (so stellte ich bei meinen Reisen in USA 1949 und 1951 fest) war eben so tief erschüttert, verwirrt und durcheinander wie mein eigenes Volk.
Unter dem Druck dieses steigenden Unbehagens begann sich die amerikanische Politik zu ändern, wenigstens in den Darlegungen des Präsidenten, die für das Volk bestimmt waren. Nach und nach verflogen die Illusionen über den Sowjetstaat und die offizielle Tonart wechselte von Versöhnlichkeit zu Vorwürfen und Ermahnungen. Dem amerikanischen Volke wurde jetzt neue «Bedrohung» vor Augen gestellt: der aggressive Kommunismus (und sofort begann das Gerede von «Notstand» und von «Notvollmachten»). Dann folgten die Enthüllungen. Präsident Roosevelts erster Berater an der schicksalsschweren Konferenz von Yalta entpuppte sich als kommunistischer Agent und das war nur eine der vielen Enthüllungen, die seit 1948 bis auf den heutigen Tag andauern. Aber alle diese Enthüllungen stammten von Einzelpersönlichkeiten, Untersuchungsbeamten oder von der Oppositionspartei. Keine einzige kam auf Initiative der Regierung zustande. Ebensowenig begann die Regierung von sich aus zu säubern. . . .
Ich zweifle sehr, ob irgend jemand, der Amerika in diesen Jahren nicht persönlich erlebt hat, sich ein klares Bild von der dadurch entstandenen Situation machen kann. Das Volk des mächtigsten Staates dieser Erde wurde eindeutig auf einen Krieg mit dem neuen Angreifer vorbereitet. Trotzdem war selbst der stärkste Druck der öffentlichen Meinung nicht in der Lage, die Regierung zu einer Erklärung über die kommunistische Infiltration in die amerikanischen Lebensadern, wie zu wirksamen Gegenmaßnahmen zu veranlassen. Die offiziellen Dementis und Beschwichtigungsversuche dauerten selbst dann noch an, als das Volk immer mehr über den Kommunismus ergrimmte und sich die Beweise des kommunistischen Einflusses auf die amerikanische Politik der Kriegsjahre häuften.
So sind im gegenwärtigen Augenblick, wo Amerika scheinbar an der Spitze einer weltumspannenden Allianz zur Bekämpfung einer neuen kommunistischen Expansion steht, die Zweifel über den wahren Kurs der amerikanischen Staatspolitik für den Fall eines neuen Krieges noch berechtigter als zur Zeit der Jaltakonferenz. Persönlichkeiten, die in den höchsten staatlichen Ämtern stehen, sind wiederholt auf eine Art und Weise beschuldigt worden, die in früheren Zeiten sofort ihren Rücktritt zur Folge gehabt hätte. Aber sie bleiben im Amt und gelten weiterhin als untadelige Ehrenmänner.
Die breiten amerikanischen Schichten, die man auffordert, sich auf die Atombombe vorzubereiten, wissen infolgedessen nicht mehr ein und aus. Sie begreifen nicht, warum ihre Regierung den Kommunismus so heftig anprangert und sich gleichzeitig hartnäckig weigert, ihr Haus zu säubern. Das Folgende ist nur ein Beispiel dafür, was heute die Amerikaner in ihren Zeitungen lesen können. Im Jahre 1944 wurde ein amerikanischer Major, der mit Fallschirm hinter den italienischen Linien abgesprungen war, um mit italienischen Partisanen Verbindung aufzunehmen, von zwei seiner eigenen Männer ermordet (Amerikaner italienischer Herkunft), offenbar weil er gezögert hatte, den italienischen Kommunisten, denen er mißtraute, das mitgebrachte Geld auszuhändigen. Diese Aussage wurde 1951 vom amerikanischen Verteidigungsminister gemacht, erst jetzt nach sieben Jahren, weil der Bruder des Ermordeten in jahrelanger Arbeit den Tatsachen auf die Spur gekommen war, die nun in einer Zeitschrift veröffentlicht werden sollten. Die offizielle Erklärung fügte bei, daß die beiden Männer (die in aller Ruhe in der Nähe von New York lebten) weder nach dem zivilen, noch nach dem militärischen Strafgesetz angeklagt werden könnten, und daß die einzige Möglichkeit, sie vor Gericht zu bringen, ein Auslieferungsbegehren Italiens (das feindliche Land, in das sie mit Fallschirmen niedergelassen wurden) wäre! Wenn ich mich einige Jahre zurückversetze, dann würde eine solche Affäre in jedem mir bekannten Land ganz bestimmt einen wilden Entrüstungssturm heraufbeschworen haben. Im heutigen Amerika aber nahm das Volk, das vollkommen durcheinander war, diese Nachricht mit vollkommener Gleichgültigkeit auf.
Amerika wird mit aller Offenheit auf einen Krieg vorbereitet, ebenso auf die Tatsache, daß es ein Krieg «gegen den Kommunismus» sein wird. Im Hinblick auf dieses Ziel werden die üblichen «Opfer» gefordert: höhere Steuern, obligatorische Dienstpflicht, Luftschutzübungen, «Verbote» und so weiter. Zeitungen und Rundfunk sind voll von vorbereitenden Warnungen.
Wird sich aber ein solcher Krieg, einmal begonnen, folgerichtig gegen den Kommunismus und dessen Aggressionen richten? Das ist nur dann wahrscheinlich, wenn die geheimen Einflüsse, welche Roosevelt im Zweiten Weltkrieg leiteten und ihn im letzten Augenblick zum verhängnisvollen Schritt von Yalta verführt haben, aus ihren Schlüsselstellungen im amerikanischen Leben entfernt werden. Mit einer solchen Maßnahme aber hat man bis jetzt nicht Ernst gemacht, so daß bis zu ihrem Eintritt die düstere Wahrscheinlichkeit besteht, daß jeder neue Krieg wiederum ganz anderen Zwecken und Zielen dienen wird, als die große Masse bei Beginn geglaubt hat. Die eigentlichen Ziele, die im letzten Krieg verfolgt wurden, waren die Expansion des Sowjetreiches und die Gründung eines zionistischen Staates in Arabien. Nächstes Mal sollen diese beiden Ziele vermutlich noch weiter gefördert werden. Sollte sich aber der Weltstaat als das eigentliche Ziel hinter dem Rauchschleier militärischer Operationen «gegen den Kommunismus» erweisen, dann werden in ihm diese beiden Mächte die erste Geige spielen.
Diese Situation wird sich erst ändern, wenn mit der Vertreibung der kommunistischen Agenten aus dem amerikanischen Verwaltungsapparat einmal Ernst gemacht und die kommunistische Partei verboten wird. In England ist die Situation ganz ähnlich . . .
Dieses Geheimnis lastet auf allen jüngsten Regierungen der westlichen Welt, während sie sich offensichtlich auf die Kraftprobe mit dem von ihnen selbst geschaffenen Frankenstein vorbereiten. Jeder geschulte politische Beobachter weiß, daß die kommunistische Verseuchung in Washington und London noch immer sehr stark ist. Die dortigen Regierungen bestreiten dies und weigern sich, wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
Unter solchen Umständen kommt mir der Wandel der amerikanischen Politik in den Jahren, seit ich dieses Buch geschrieben, eher trügerisch als echt vor und die Völker Westeuropas, der britischen Inseln und Amerikas haben allen Grund, sich noch heute vor den Einflüssen zu fürchten, welche den militärischen Sieg des Zweiten Weltkrieges zur politischen Niederlage, im Fiasko von Jalta, verwandelt haben.
Aus dem gleichen Grunde scheint es, daß die verschiedenen Maßnahmen, welche die amerikanische Regierung besonders gegen die «kommunistische Aggression» ergriffen hat, eher als Beruhigungstropfen für die besorgten Amerikaner, denn als wirklich ernsthafte Schritte gedacht sind. Eine neue amerikanische Präsidentenwahl steht bevor. Das ist ein ganz entscheidender Faktor. Die demokratische Partei des Präsidenten Roosevelt und Truman (und von Yalta und Potsdam) ist nun seit neunzehn Jahren an der Regierung. Sie wünscht auch weiter an der Regierung zu bleiben. . . .

Spanien ist ein typischer Fall. Während Jahren weigerte sich die Regierung in Washington, immer noch unter dem Einfluß der Roosevelt‑Ära, irgendwelche Beziehungen mit Spanien zu unterhalten. 1947 bemerkte das amerikanische Staatsdepartement (Außenamt) recht hochmütig, «daß Spanien damit rechnen muß, so lange das Franco‑Regime an der Macht ist, von der organisierten Gemeinschaft der Nationen ausgeschlossen zu bleiben». «Die Gemeinschaft der Nationen» war damals gleichbedeutend mit der «Vereinigte Nationen» benannten Körperschaft, in welcher der Sowjetstaat und die Schattenregierungen jener Staaten, welche dieser in Ost‑Europa annektieren durfte, volle Mitgliedschaft besaßen! Bis zum Jahre 1949 protestierte der amerikanische Staatssekretär für das Auswärtige, daß es unmöglich sei, Spanien in diesen demokratischen Klub aufzunehmen (um mit solch vorbildlichen Demokraten, wie die UdSSR, Sowjet‑Polen und anderen mehr, zusammenzusitzen).
Dann kam der koreanische Krieg, der durch die Erklärung des amerikanischen Präsidenten eingeleitet wurde, es handle sich darum, «der kommunistischen Aggression Einhalt zu gebieten». Dieser eine Punkt steht in Bezug auf Spanien eindeutig fest. Spanien ist ein antikommunistisches Land. Trotzdem legte der amerikanische Präsident sein Veto gegen eine amerikanische Anleihe an Spanien ein, sowie gegen jede Aufmunterung dieses Landes zur Teilnahme an dem großen antikommunistischen Kreuzzug. Gleichzeitig bewilligte er Kredite an Jugoslawien. Dieser eine Punkt in Bezug auf Titos Jugoslawien steht eindeutig fest: es ist ein kommunistischer Staat, ganz gleichgültig, ob der Haß zwischen Stalin und Tito echt ist oder nicht.
So begann der koreanische Krieg in größter Verwirrung, die für unsere Zeit das bezeichnendste Merkmal ist. Aber breite Kreise der amerikanischen Öffentlichkeit begannen sich über diesen Widersinn Gedanken zu machen, so daß sich der amerikanische Präsident im Hochsommer 1951 endlich bewegen ließ, mit Spanien über Anleihen, Stützpunkte und dergleichen Verhandlungen einzuleiten. Ich glaube, daß dies aus dem Grunde geschehen ist, um die öffentliche Meinung der Amerikaner zu beruhigen und den Boden für die Wahlkampagne 1952 zu ebnen. Die große Untersuchung aber über den kommunistischen Einfluß in den amerikanischen Amtsstellen und bei den höchsten politischen Posten läßt noch immer auf sich warten. In diesem Punkt haben der Präsident und seine Sprecher um keinen Zoll nachgegeben.
Der koreanische Krieg selbst offenbarte von Anfang an eine ähnliche Begriffsverwirrung. Der amerikanische Präsident wurde gewarnt, daß nach dem Wegzug der amerikanischen Truppen aus Südkorea eine kommunistische Invasion erfolgen werde. Er befahl den Wegzug der amerikanischen Truppen und als die erwartete Invasion prompt erfolgte, befahl er ihnen wieder zurückzukehren. Dann ließ er das ganze Unternehmen zu einer Maßnahme der Vereinigten Nationen (in welchen die kommunistischen Scheinregierungen noch sämtliche Sitze behalten haben) gegen die kommunistische Aggression umstempeln.
Jetzt endlich war die Gelegenheit gekommen, um die Echtheit der Bekehrung zu beweisen. Hatten die gegenwärtigen Beherrscher Amerikas endlich den Sinn des früheren Geschehens begriffen? Waren sie jetzt aufrichtig entschlossen, den expansiven Kommunismus aufzuhalten, dem sie selbst zur Berliner Frontlinie und zur chinesischen Küste verholfen hatten?
Der koreanische Krieg unterschied sich in seinem ersten Jahr (während ich schreibe, werden Waffenstillstands-verhandlungen geführt) völlig von allen übrigen Kriegen der Geschichte. Wiederholt erklärten der amerikanische Präsident, daß es nicht ein amerikanischer Krieg sei, sondern ein Krieg der Vereinigten Nationen (die durch Anerkennung der Mitgliedschaft der Scheinregierungen der Satellitenstaaten selbst den kommunistischen Eroberungen in Ost‑Europa den Schein der Legalität gegeben haben). Hier war das erste große Beispiel für die «Übergabe der Souveränität» an eine geschlossene Organisation, die behauptet, die Welt zu verkörpern.
Gleich bei Kriegsbeginn äußerten sich offizielle Sprecher der drei Regierungen, die in dieser Sache am meisten beteiligt waren (Amerika, Großbritannien und Kanada), in aller Öffentlichkeit, daß der kommunistische Angreifer, den man bestrafen wollte, mit Gebietsabtretungen und öffentlicher Anerkennung belohnt werden muß! Den Soldaten schien das nicht ungewöhnlich, und die Bewohner in der Heimat blieben ebenfalls vollkommen gleichgültig. Diese neue Haltung mag vielleicht gut sein, aber ich kann mich nicht erinnern, in der Geschichte jemals auf etwas Ähnliches gestoßen zu sein. Bei Beginn des koreanischen Ausflugs erklärten amerikanische, britische und kanadische Minister öffentlich, daß das kommunistische China (welches sich bald an der Aggression beteiligen sollte) die Insel Formosa erhalten und Seite an Seite mit andern kommunistischen Schattenregierungen in den Vereinigten Nationen sitzen soll!
Das heißt, daß gleich bei Beginn des koreanischen Krieges öffentlich die Absicht verkündet wurde, den chinesischen antikommunistischen Führer Tschiang‑Kai‑Schek (der gegen Faschismus schon länger als irgend jemand in der Welt gekämpft hat) im Stiche zu lassen, genau wie man vorher General Mihailowitsch, die legalen Regierungen Polens und der baltischen Staaten, Otto Strasser und die antinazistischen und antikommunistischen deutschen Führer im Stiche gelassen hatte. Kann es ein deutlicheres Anzeichen geben, daß die Einflüsse, welche Präsident Roosevelt irreführten, noch heute in den Hauptstädten des Westens sehr stark sind?
Tschiang‑Kai‑Schek hielt diese letzte Insel, Formosa, mit recht bedeutenden antikommunistischen chinesischen Armeen besetzt. Inseln sind schwer zu erobern. Hier kam mitten aus den Stützpunkten des antikommunistischen Feldzuges ganz offen der Vorschlag, daß man den chinesischen Kommunisten die Mühe der Eroberung Formosas und Tschiang‑Kai‑Scheks eigentlich ersparen könne, indem man ihn zugunsten seiner Feinde aus den Vereinigten Nationen ausstoße und dafür die Kommunisten als Mitglieder einführe.
Doch nicht genug! Die amerikanische siebente Flotte wurde nach Formosa befohlen mit dem Auftrag, den antikommunistischen Führer dort in Schach zu halten und ihn daran zu hindern, seine kommunistischen Gegner auf dem chinesischen Festland anzugreifen. Ich wiederhole: Einen solchen Krieg hat es noch nie in der Geschichte gegeben, besonders was die stillschweigende Hinnahme solcher erstaunlichen Dinge von seiten des Publikums anbetrifft. Früher gab es einmal etwas, was sich öffentliche Meinung nannte. Ich weiß das, weil ich diesem Phänomen zu Lebzeiten begegnet bin. Auch sie scheint ein weiteres Opfer unserer Zeiten geworden zu sein.
Die Entlassung des amerikanischen Oberbefehlshabers konnte fast mit Sicherheit von Anfang an vorausgesagt werden, denn er gehörte zum Typus der Generale, die an einen militärischen Sieg und einen anschließenden politischen Sieg glauben. Seine Ausschaltung gehörte zu den oft ausgesprochenen kommunistischen Zielen der letzten sechs Jahre. So endet der koreanische Krieg mit einem sehr großen kommunistischen Erfolg. . . .
. . . Sollte das Endergebnis des koreanischen Zwischenaktes eine weitere Ausdehnung der kommunistischen Herrschaft und die Aufnahme des Angreifers in den New Yorker‑Klub sein, dann muß man schließen, daß das Unternehmen in Korea von Anfang an ein Schwindel war.
Welche Glanzleistung für die Organisation, die zum Zweck der Befriedung der Welt Souveränitätsrechte über alle Völker beansprucht: Teilung in Europa, in Palästina und in Korea! Lassen sich drei Beschlüsse denken, die geeigneter sind, Krieg und Elend hervorzurufen? Kann irgend jemand nach einem solchen Anfang glauben, daß die Mächte, welche diese Organisation beherrschen, wirklich den Frieden in der Welt herbeiwünschen?
Vor fünfunddreißig Jahren, 1917, äußerten alle klugen und bedächtigen Menschen, Juden und Heiden gleicherweise, die ernstesten Warnungen gegenüber dem schattenhaften Plan, einen zionistischen Staat in Arabien zu gründen. Es war alles umsonst und während der letzten drei Jahrzehnte fielen die Politiker des Westens wie besessen übereinander her, um diesen ehrgeizigen Traum zu verwirklichen.
Jetzt können wir das Resultat deutlich sehen. Der mittlere Osten wurde wenn möglich zu einem noch gefährlicheren Explosionsherd als Europa. Die Araber haben sich in ihrem Haß gegen Amerika und England geeinigt, die den Vorwand eines zweiten Weltkrieges benutzten, um sich in die Angelegenheiten ihrer harmlosen Länder einzumischen und mit britischen und amerikanischen Waffen und Geldern die Gründung einer zionistischen Kolonie von Osteuropäern zu erzwingen. Sie fragen sich, ob das wohl die Meinung der großen amerikanischen Republik ist, wenn sie mit lauter Stimme gegen den «Kolonialismus» und «Imperialismus» wettert. Haben sie von England wirklich nichts Besseres verdient? Niemals werden sie sich mit dieser phantastischen Tat befreunden oder gar sich mit ihr einverstanden erklären können.
Falls der Sowjetstaat den Mittleren Osten für seine nächsten Expansionsgelüste wählen sollte und im Anfangsstadium den Arabern eine Freundschaftserklärung abgibt, dann sind die Folgen unabsehbar. Manchmal habe ich den Eindruck, als ob jeder wichtige Entschluß der westlichen Politiker in den letzten dreißig Jahren, aus Blindheit oder Unvermögen, dahin gezielt hätte, um die Jahrhundertmitte eine für die westliche Welt unlösbare Situation herbeizuführen. Sogar Churchill, der, falls er dazu in der Lage gewesen wäre, die Zweiteilung Europas verhindert hätte, fügte sich in seiner Nah‑Ost‑Politik dem zionistischen Nationalismus, diesem Licht der Strandräuber.
Das Ende von all dem ist noch nicht abzusehen. Noch müssen wir auf dem falschen Wege vorwärtssehreiten, bis die Völker endlich merken, wie sie betrogen worden sind, und sich aus ihrer Mitte neue Männer suchen, die zu den alten Grundsätzen des nationalen Interesses, der Loyalität und der Wahrheit zurückkehren. Noch sind die Tage «des großen Betruges an den Völkern» nicht gezählt.
Ich habe dieses Vorwort zur deutschen Ausgabe mit dem Bild Europas vor Augen geschrieben. Noch immer hoffe ich, meine Tage dort beschließen zu dürfen! In Zürich, wo dieses Buch verlegt wird, habe ich nach dem Einmarsch in Österreich glückliche Tage verlebt. Österreich, welch herrliches Land! Und wie sehr sehne ich mich danach, eines Tages wieder in seinen Seen zu schwimmen, seine Berge zu besteigen, durch die Straßen von Linz, Graz und Innsbruck zu schlendern und meine Nächte in freundlichen Gasthäusern am Wege zu verbringen! Das Südtirol, Bratislawa, Prag, Brünn, Pilsen: Sie alle will ich wiedersehen und ich hoffe, daß die Zeiten es mir noch erlauben werden.
Und Deutschland! Als ich Deutschland zum letzten Male sah, im Jahre 1939, da verreiste ich mit Gefühlen des tiefsten Bedauerns und der trübsten Vorahnungen. Ich fürchtete und haßte den Nationalsozialismus, der mir eine üble Sache zu sein schien, aber die Deutschen bewunderte ich und Deutschland war ein herrliches Land. Ich empfand die Bombardierung von Dresden, Hamburg und Köln als körperlichen Schmerz, genau wie die Zerstörung meines eigenen Coventry und Canterbury, denn diese Kulturstätten gehörten zum ewigen Deutschland, dem ich große Bewunderung und tiefen Dank schuldete. Wie glücklich wäre ich, dürfte ich wieder durch die dunklen Wälder Thüringens streifen und in meinen geliebten Mecklenburgerseen schwimmen, dürfte ich wieder eine Rheinfahrt genießen oder Kaffee an der Binnenalster trinken, dürfte ich nochmals durch das alte Städtchen Rothenburg wandern oder eine Segelfahrt bei Swinemünde genießen.
Unsere Tage haben es mit uns, die wir alle Länder Europas liebten, nicht gut gemeint. Aber, wie dem auch sei: Morgen ist auch ein Tag!

Wien 1938
Beim Erscheinen dieses Buches werden genau zehn Jahre seit der Veröffentlichung von «Der Jahrmarkt des Wahnsinns» vergangen sein. Hier ist die Fortsetzung. Die Ereignisse, die sich inzwischen abgespielt haben, mögen jetzt mit den Vorhersagen und Warnungen verglichen werden, die im «Jahrmarkt» zu lesen waren. Ist das geschehen, dann mag man die Aussichten für die nächsten zehn Jahre, 1948‑1958, abschätzen. Hat die vergiftete Atmosphäre des 20. Jahrhunderts sich nun gereinigt? Meiner Ansicht nach ist die Antwort einfach: nein! Der große Ausscheidungskampf zwischen Freiheit und Sklaverei geht weiter. Aus dem Rauch der dreißiger Jahre sind wir eben erst durch die Feuerprobe der vierziger in den erstickenden Qualm geraten, mit dem die fünfziger Jahre auf uns warten. Die militärischen Siege des Zweiten Weltkrieges haben sich in Wahrheit gegen den hohen Einsatz gerichtet, um dessentwillen dieser Krieg begonnen worden war: die Freiheit. Der Zweite Weltkrieg hat uns große Generäle beschert, aber keine Staatsmänner, sondern nur Politiker, und die Handlungsweise dieser Politiker wurde noch stärker als während des Ersten Weltkrieges und der Jahre, die auf ihn folgten, durch überall wirksame geheime Kreise irregeleitet, die gegenüber der Freiheit und der nationalen Eigenständigkeit feindlich eingestellt waren.
Wenn ich auf den Mann zurückblicke, der vor zehn Jahren in Wien «Jahrmarkt des Wahnsinns» schrieb, bemerke ich gewisse Veränderungen bei mir selbst. Damals geisterte noch die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und sein unermeßliches Blutbad in mir, und die quälende Vorahnung von einem neuen Gemetzel veranlaßte mich jene Warnung zu schreiben: Haß und Abscheu vor den Tyranneien, die ich in Europa sich erheben sah, waren, glaube ich, sekundäre Empfindungen gegenüber dieser alles überwältigenden Besorgnis. Menschenleben können vernichtet werden ‑ das Leben selber kann nicht vernichtet werden, denn es erneuert sich ewig. Ruinen sind relativ unwichtig, denn Menschenhände können immer wieder aufs neue errichten, was Menschenhände zerstört haben. Jetzt scheint mir die Vernichtung der geistigen Werte das Wichtigste zu sein, was aufgehalten werden muß.
Was ich unter geistigen Werten vor allem verstehe, sind Religion, Patriotismus, Freiheit, Menschenwürde und Ehre. Der Prozeß der Vernichtung dieser Werte begann in den dreißiger Jahren und wurde durch den Zweiten Weltkrieg beschleunigt und erweitert. Sollte er noch weiter andauern, dann scheint mir das sogar eine noch furchtbarere Zukunftsaussicht zu sein als ein «Dritter Weltkrieg», von dem ich weit und breit reden höre. Die furchtbarste aller Zukunftsaussichten aber ist, daß solch ein dritter Krieg, wie schon der zweite, im Namen der Freiheit angefangen werden könnte, um dann während seines Verlaufs ganz heimlich in einen Krieg zur endgültigen Ausrottung der Freiheit verwandelt zu werden. Ganz offensichtlich ist der Ablauf dieser Kriege des 20. Jahrhunderts unter die Kontrolle außenstehender Mächte geraten, so daß solche Verwandlungen möglich sind. Wir haben dieses Kunststück jetzt schon zum zweiten Male erlebt.
Wenige Tage bevor «Der Jahrmarkt des Wahnsinns» erschien, wurden die darin ausgesprochenen Warnungen jählings durch den Einmarsch der Deutschen in Österreich gerechtfertigt, ‑ ein Ereignis, an das zu glauben die öffentliche Meinung in den dreißiger Jahren sich solange weigerte, bis es eingetroffen war. Meine Glaubwürdigkeit wurde durch dieses Ereignis vermehrt, weil ich es als ganz klar und selbstverständlich vorausgesehen hatte. Und dann begann der Zweite Weltkrieg . . .
Heute, zehn Jahre später, da ich diese Fortsetzung schreibe, ist mir immer noch jene lärmende, angsterfüllte Nacht in Wien in Erinnerung. Ich hatte damals auch einen Abschiedsbesuch bei einem biederen Altpapierhändler zu machen, der mich von den Stapeln gilbender alter Zeitungen befreite, die meine Wohnung verbarrikadierten. Er bewohnte drei große Kellerräume unter einem alten Hause in der Nähe des Stephansdomes. Unterirdische Gänge führten aus ihnen in die Katakomben der Altstadt. Dort unten in der Dunkelheit lebte er, zwischen Bergen von Säcken und Papier.
Dort unten war der Lärm des tobenden Pöbels über unseren Köpfen gedämpft: eine weit entfernte, unheilverkündende Kakophonie, das Leitmotiv des von Wahnsinn erfüllten 20. Jahrhunderts. Dieser Altpapierhändler war ein zivilisierter Mann, und deshalb war ich zu ihm gegangen, um ihm auf Wiedersehen zu sagen. Er nickte zu dem gedämpften Lärm, der von oben her zu hören war. «Hören Sie nur», meinte er, «heute Nazis, morgen Kommunisten ‑ und allezeit Idioten».
Hätte es mehr von seiner Art gegeben, dann wären die Marats und Lenins und Hitlers auf keinen grünen Zweig gekommen. Ich schüttelte ihm die Hand und machte mich auf den Heimweg durch die Kärntnerstraße. Diese halbe Meile Wegs zwischen dem Stephansdom und dem Ring schien mir die Hauptstraße des zivilisierten Europas zu sein, das damals von der Zerstörung bedroht war (und heute beinahe völlig vernichtet ist). Nicht einmal Rom oder London haben in den zweitausend Jahren unserer Geschichte eine solch schier endlose Folge von Einfällen, Belagerungen, Schlachten, Eroberungen, Niederlagen, Tyrannei, Befreiung, Wiederaufbau und christlicher Entwicklung, in der unsere, allen gemeinsame Geschichte liegt, erlebt, wie die Kärntnerstraße in Wien.
In jener Nacht beherrschten Stimme, Antlitz und Lärm des Pöbels die Hauptstraße ‑ Europa ‑, die ebenso geradewegs nach London wie nach Wiener Neustadt führt. Wie leicht der Pöbel den Leichenfledderern ihre Arbeit gemacht hat! Das Gesicht dieses Pöbels widert mich an. In jedem der davonrasenden Gadarene-Schweine gewahre ich denselben Ausdruck wilder Begeisterung für das seinen Augen dargebotene Hinterteil des vordersten Tieres. Warum woandershin sehen, und soll man nicht immer dem Schwein an der Spitze folgen? In diesen zehn Jahren habe ich das Gesicht des Pöbels näher gesehen, als mir lieb ist.
Heute vor zehn Jahren! Kinder, die in jener Nacht geboren worden sind, sind immer noch Kinder; Jungens, die damals zehn Jahre alt waren, sind immer noch junge Leute; junge Männer von zwanzig Jahren sind immer noch junge Männer: ist das möglich? Es ist fesselnd, zurückzublättern, und 1948 die zehn Jahre, wie sie gewesen sind, mit den zehn Jahren zu vergleichen, die jene Nacht so drohend voraussehen ließ. Nachdem wir diesen Vergleich angestellt und soviel Erfahrung gesammelt haben, um unser Urteil zu fällen, ist es noch fesselnder, eine Betrachtung über die zehn Jahre anzustellen, die jetzt vor uns allen liegen. Dem Verfasser des «Jahrmarkt des Wahnsinns» erscheinen sie verhängnisvoller als die zehn Jahre, die damals in jener Nacht des Jahres 1938 noch vor uns lagen.

ERSTES BUCH

Rauch 1933 ‑ 1939

Mit einem verurteilten Mann zu Tisch
Es war erst gestern, und doch war es am andern Ende der Zeit. Es war vor zehn Jahren. Ich wußte nicht, warum mein Gastgeber mit mir essen wollte. Ein oder zwei Jahre später sollte sein Name überall berühmt oder berüchtigt sein, aber damals war er offensichtlich nur ein Anwalt, politisch nicht aktiv und der Öffentlichkeit unbekannt. Ich hatte nie von ihm gehört. Irgend ein gemeinsamer Bekannter hatte unsere Begegnung vermittelt. «Ein interessanter Mann», hatte er zu mir gesagt, «ein Freund des Bundeskanzlers, in dessen Batterie er während des Krieges gedient hat. Er ist kein Nazi, aber er ist der Ansicht, Österreich müßte mit Deutschland irgendwie zu einer Übereinkunft gelangen. Sie sollten ihn mal treffen!»
Ich betrachtete ihn über das Glas hinweg. Höflich, gefällig, humorvoll. Das war das angenehme österreichische Erbe. Groß, gut gewachsen und gut aussehend bis auf den prüfenden Blick seiner Augen, welche durch die dicklinsigen Brillengläser vergrößert erschienen. Sein steifes Bein, nahm ich an, rührte von einer Kriegsverletzung her. Was wollte er von einem englischen Zeitungskorrespondenten? Wollte er mich ausholen, oder wollte er mir Informationen geben? War er wirklich nur ein besorgter Patriot, oder war er vielleicht ein politischer Intrigant? Er lüftete die Maske nicht. Vielleicht sah er selber die Zukunft nicht klar und die Rolle, die er darin spielen sollte, voraus. Aber er wußte, was ich nicht erraten konnte: daß er ein Verschwörer zwischen Pulverfässern war, nur konnte er ‑ ebenso wenig wie ich ‑ voraussehen, daß sein Leben in der Schlinge enden würde.
Hinter ihm stiegen die Weinberge von Wien, Zeugen vergangener glücklicher Zeiten, wie eine Mauer an. Er sprach mit lächelnder Geschwätzigkeit über Hitler und die Nazis: «Wenn alle so wären wie Sie und ich, Herr Reed», bedeutete er mir, «kämen die Dinge bald in Ordnung. Die Deutschen? Ach, das sind schwerfällige Leute, man kennt ja ihre aufreizende Art, net wahr?» Aber sie waren nun einmal ein Faktor geworden, mit dem man rechnen mußte, und Österreich konnte nicht den David spielen, wenn selbst Frankreich und England sich hüteten, wider den Goliath aufzutreten. Deutschland hatte das Recht und die Macht, einen gesicherten Platz in Europa für sich zu verlangen, und gutnachbarliche Beziehungen mit den Völkern, die es umgaben. Die Großmächte konnten nun mal von den kleinen Staaten nicht erwarten, daß sie die Rolle von Wachtposten gegen das Reich übernahmen. Aber es könne nicht die Rede davon sein, daß Deutschland Österreich und die Tschechoslowakei schlucke. Die mußten unabhängig bleiben.
So sprach die angenehme, verständige Stimme, die dann nur wenige Wochen später «Einverstanden!» sagen sollte, als die Deutschen ihn aufforderten, die Macht zu übernehmen und die Deutschen zum Einmarsch in Österreich einzuladen. Jäh sich demaskierend sollte da dieser heute unbekannte Mann auf dem Balkon des historischen Bundeskanzler‑Palais erscheinen und lächelnd auf den heulenden Pöbel hinunterblicken, während der Bundeskanzler, sein Freund, ins Gefängnis geworfen wurde. Nicht viel später, und der Zweite Weltkrieg kam, und wie einer von Napoleons Marschällen sollte er Herrscher über ein kleines Reich, die Niederlande, werden. Und nicht lange danach: Nürnberg und der Galgen …
Dieser Mann scheint mir, wenn ich nun Rückschau halte, ungeheuer interessant zu sein. In seiner Person und seiner Karriere kann man den Verlauf der Krankheit, welche ganz Europa jetzt wie eine Seuche verheert und den ganzen christlichen Kontinent einem Ende entgegenzuführen vermag ganz deutlich verfolgen. Er war ein Mann aus dem Geschlecht der Verräter, und als ich ihm begegnete, schien das ausgestorben zu sein. Der zivilisierte Mensch hatte sich daran gewöhnt, Verrat als ein Verbrechen zu betrachten, das noch schlimmer als der Mord und ebenso selten ist. Vor zehn Jahren war es tatsächlich nicht nur etwas Abscheuliches, sondern etwas beinahe Unvorstellbares. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich in meiner Ungläubigkeit förmlich einen Schock empfand, als ich ihn da oben auf dem Balkon des Bundeskanzler‑Palais postiert sah. Jetzt weiß ich, daß viele von den Menschen, die ich in jenen Tagen traf, Verräter waren, und daß viele von ihnen diesen Mann nur verurteilten, weil sein Verrat einer anderen fremden Sache diente als der ihrigen. «Kommunismus» oder «Faschismus» worin besteht der Unterschied, für einen Patrioten?
Eine alles verfälschende Ehrlosigkeit ist das Kennzeichen unseres Jahrhunderts und besonders der letzten zehn Jahre. Die öffentliche bedenkenlose Anerkennung des kommunistischen Verräters gleich nach der Aburteilung des nazistischen in Ländern, die im Zweiten Weltkrieg mitkämpften, ist ihr abstoßendster Zug. Sie ist die schlimmste aller Veränderungen, welche der Krieg und die vergangenen zehn Jahre gebracht haben. Der Verrat als Berufung kann jetzt als die Krankheit des 20. Jahrhunderts betrachtet werden.
Ich fuhr meinen neuen Bekannten in jener Nacht in meinem unvergeßlichen «Little Rocket» nach Hause. Er wohnte in einem angenehmen Vorort, einer Gegend wie etwa Wimbledon, in der solide, dauerhafte Villen und gutgepflegte Gärten von den guten Zeiten zeugten. Ich sah ihm nach, wie er mühsam die Stufen zu seiner Haustür hinaufstieg. Sie öffnete sich. Dahinter lag ein wohnliches Inneres, und seine Gestalt hob sich als Schattenriß gegen das warme Licht ab, während er dem Schafott entgegenhinkte.
Als die Tür sich schloß, fehlte nicht viel, daß ich ihn beneidete. Was ich nur andeutungsweise von seinem Hause gesehen hatte, ließ mich durch freundliche Stimmen auf ein glückliches Familienleben schließen. Meine eigene Zukunft lag dunkel vor mir. Ich war dabei, ein Buch zu schreiben, das mir, meiner Vermutung nach, meine Stellung kostete. Ich wußte, daß ein neuer Krieg mich bald aus Europa vertreiben würde, das ich doch so sehr liebte.
«Seyß‑Inquart» … rätselte ich, als ich davonfuhr, «ein seltsamer Name. Ich möchte doch wissen, warum er mit mir sprechen wollte?»

Ein Priester mit feinen Händen
Ereignisse und Menschen, deren Umrisse in den rauchigen dreißiger Jahren ganz klar waren, nehmen sich jetzt, zehn Jahre später, doch ganz anders aus. Dieser angenehme Bursche zum Beispiel, dem du keinerlei Treulosigkeit zutrautest, hat sich als ein Verräter erwiesen; und jener unangenehme Mensch da, dem du nicht trauen wolltest, ist es nicht gewesen. Die tagtäglichen Urteile sterblicher Menschen waren oberflächlich; himalaja‑hoch über ihnen ragt die Wahrheit des alten Wortes: «Die Rache ist mein». Shakespeare hat gesagt: «Es gibt nichts, was gut oder was böse ist, sondern das Denken macht es so», und darin liegt die größte Gefahr unserer Tage, da den Menschen das Denken durch die Maschinerie der Massen‑Irreführung abgenommen wird.
Man nehme nur einmal diesen Priester, den ich vor zehn Jahren in einer auf vielen Felsbuckeln erbauten alten Stadt, steil über der Donau, traf. Rechteckig mitten zwischen ihre sich windenden Straßen und alten Häuser gepflanzt, stand da das typische Hotel der zwanziger Jahre, und in dessen großem Speisesaal saß er, um sich herum ehrfurchtsvoll lauseliende Zuhörer, denn er war der große Mann am Platze. Er hatte einen Kugelschädel, Bürstenhaar, einen Stiernacken und einen stattlichen Wanst. Ganz instinktiv erwachte ein Antagonismus gegenüber politisierenden Priestern in mir.
«Das Denken macht es so»; wie unrecht hatte ich doch! Der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts, der für gewöhnlich lesen kann und wenig Unterscheidungsvermögen besitzt, hat aus überlebten Fehden eine Menge schriftlich niedergelegter Vorurteile geerbt, die er auf seine eigene Zeit anwendet. Bei wievielen Menschen sind doch die Gedanken vorgeformt durch andere Menschen, längst gestorbene, die andere verflucht haben, welche auch schon längst vermodert sind! In allem, was ich gelesen hatte, war ich oft auf den «hitzköpfigen Priester» gestoßen, den «nichtswürdigen Priester», den «klobigen Priester», den «falschäugigen Priester».
Vor mehr als zweihundert Jahren schrieb ein gewisser Jean Messelier in seinem Testament: «Das wird mein letzter und innigster aller meiner Wünsche sein: Ich möchte den letzten der Könige mit den Eingeweiden des letzten der Priester erdrosselt sehen». Voltaire griff diese Worte des Unverstands auf und veröffentlichte sie, vermutlich zum Spott; denn Voltaire war intelligent genug, um vorauszusehen, daß der gemeine Mann schlimmer als Priester und Könige sein würde. Ein Messelier von heute mag so innig wie jener den Wunsch haben, den letzten der Kommunisten mit den Eingeweiden des letzten Faschisten erdrosselt zu sehen; und solche Worte, die heute nach fünfzig Jahren ungereimt klingen mögen, können sehr wohl auch dann noch unreife Gemüter begeistern, wenn ihre Wahrheit schon dahin ist. Aber wer gegen die sichtbaren Feinde der Gerechtigkeit und Freiheit kämpft, vergißt, daß seine Worte noch leben, wenn neue Feinde sich erhoben haben, und daß diese seine flammenden Worte direkt gegen das wenden, was er selber liebt. Sie identifizieren die Tyrannei mit verschiedenen Klassen und Berufen, während sie in Wirklichkeit eine Krankheit der Macht ist und jede folgende Gruppe befällt, die an die Macht gelangt ‑ gerade wie die Wellen, die sich am Ufer brechen, obwohl in sich getrennt, in ihrer Gesamtheit ein Einziges und Ewiges sind.
Solche Vorurteile, veraltet, aber unkritisch aufgenommen, mochten meine unbestimmte Abneigung verursacht haben; sie und die Nähe der barbarischen Deutschen, die mich verfolgten. Sie waren gerade jenseits der Brücke, wenige hundert Meter entfernt. Würde dieser politisierende Priester gemeinsame Sache mit ihnen machen, fragte ich mich. Er besaß feine Hände, und das rief eine andere Erinnerung in mir wach: «der kunstliebende, feinhändige Priester … »
Ich sehe heute klarer als damals im Rauch. Dieser Mann, um dessen Hals sich ebenfalls die Schlinge schließen sollte, war verschieden von Seyß‑Inquart, ja das genaue Gegenteil. Er hat niemals eine falsche Ergebenheit vorgetäuscht. Er bekannte sich als Christ und slowakischer Patriot, und er starb dafür.
Die Slowakei! Der Brite ist insulär (obschon ich selten etwas so Insuläres gesehen habe wie jeden beliebigen Franzosen), und ich weiß nicht, wie er sich zwischen den fernen Slawen, Slowaken, Slowenen und Slawonen zurechtfinden soll. Und doch besitzen sie alle ihre Eigenart, ihre eigene, ganz besondere Sprache, ihre Geschichte und Lebensweise und ihren Hunger, frei in ihren Ländern zu leben. Tausend Jahre können diese Sehnsucht auch in den geringsten Völkerschaften nicht ersticken. Die Slowaken sind ein Bauernvolk; kein Volk, das seit Jahrhunderten unterjocht wird, vermag eine herrschende Klasse aus sich selbst zu bilden. Da sie keine Ritterschaft besitzen, müssen sie sich nach Führern unter der einzigen gebildeten Schicht umsehen, der Priesterschaft, die sich für gewöhnlich aus Bauernsöhnen rekrutiert.

Daher das Auftauchen dieses Vaters Tiso als Führer der Slowaken, als der zweite Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts sich näherte. Ich hatte ihn im Verdacht, daß er persönliche Beziehungen mit Hitler unterhielt, und ich täuschte mich nicht. Er mag in jener Nacht die Vertragsurkunde in der Tasche gehabt haben. In den dreißiger Jahren hielt ich es für eine wahnwitzige Sache, dergleichen zu tun; in den vierziger Jahren wurde er dafür gehängt, aber wenn ich heute zurückschaue, ist seine Hinrichtung für mich unendlich viel böser. Tatsächlich, seine Gestalt nimmt für mich die Umrisse eines christlichen Märtyrers an.
Wäre es uns gegeben, das Ende derer vorauszusehen, mit denen wir zusammen an einem Tische essen, dann gäbe es eine ganze Menge grausiger Feste. Die reptilienhafte Ehrlosigkeit unseres Jahrhunderts hat ihre schleimige Spur in dem Gerichtsverfahren gegen diesen Mann und in seiner Hinrichtung hinterlassen. Sein Verbrechen bestand darin, daß er einen Vertrag mit Hitler unterzeichnet hatte! Käme es darauf an, wäre beinahe jeder europäische Politiker schuldig zu sprechen. (Das sah ich vor zehn Jahren noch nicht voraus.) Der Präsident der Tschechoslowakei selbst unterwarf sich Hitler, unter dem Druck der Ministerpräsidenten von Großbritannien, Frankreich und Italien, die von allen ihren politischen Parteien unterstützt wurden. Diese Handlungsweise (das Abkommen von München) machte den Weg frei für den Zweiten Weltkrieg, der dann wirklich durch einen Bündnisvertrag zwischen Hitler und dem Sowjetdiktator eröffnet wurde.
Aber den Priester‑Präsidenten der winzigen Slowakei, der unter der Übermacht dieser furchtbaren Kräfte einen Vertrag mit Hitler abschloß, den hängte man! Das Todesurteil war vom Präsidenten der Tschechoslowakei selbst unterzeichnet. Wie doch die Umrisse der Menschen sich verändert haben, wenn ich nun aus den vierziger Jahren auf die dreißiger zurückschaue! Ich habe diesen Präsidenten Benesch für den hervorragendsten Kämpfer für Freiheit und Recht gehalten. Ein Arbeitsmensch, kunstfertig, bürgerlich ‑ ich sah in ihm den gemeinen Mann schlechthin, der zuletzt triumphierte, einen Streiter für die Befreiung von der Fremdherrschaft, schon vor 1914, der endlich den Lohn für seinen und seines Volkes langen Kampf geerntet hatte.
Ich habe in meinen Aufzeichnungen nachgesehen, was er mir in den dreißiger Jahren über Deutschland gesagt hat. Da heißt es im Januar 1937: «Wenn ich sicher wäre, daß England und Frankreich ihre Bündnisverpflichtungen nicht halten, würde ich sofort eine Verständigung mit Deutschland suchen» … Und im Dezember 1937: «Wenn Sie der Ansicht sind, wir seien ohne Nutzen, indem wir diese außerordentlich wichtige geographische Position in Zentraleuropa behaupten, von welcher der ganze Frieden in Europa abhängt, dann bedeutet das, daß es schlußendlich in unserem Interesse liegt, mit Deutschland zu einer Verständigung zu gelangen und bei allen Eroberungen Deutschlands mit dabei zu sein.»
So Präsident Benesch, dessen Land dann in der Folge wirklich «gezwungen war, mit Deutschland zu gehen». Zehn Jahre später bestätigte er das Todesurteil über Präsident Tiso, der sich in genau demselben Dilemma befunden hatte. Heute ist sein Land gezwungen, mit Rußland zu gehen, und die Hinrichtung Tisos erweist sich als ein Akt sowjetischer Politik. Vor dreißig Jahren mühte man sich, der Welt, in der «das Denken es so macht», beizubringen, die österreichischen Herrscher seien Tyrannen. Unter ihrer Herrschaft aber stand es Männern wie Masaryk und Benesch frei, für die Freiheit zu kämpfen. Dreißig Jahre später war alles, was die tschechischen Patrioten auf dem Altar der Dankbarkeit opfern konnten: die Hinrichtung eines slowakischen Patrioten.
Der beleibte Vater Tiso nimmt sich jetzt für mich ganz anders aus. Das Bild der Menschen wird häufig von seinem Hintergrund bestimmt, und Vater Tisos Bild ersteht auf dem Hintergrund eines unmenschlichen Martyriums für seinen Glauben und seine Vaterlandsliebe. Es wird verdunkelt von dem Firnis finsterster Heuchelei in der Beschuldigung: daß er ‑ wie sein Henker auch ‑ mit Hitler zusammengearbeitet habe. Seine letzte Botschaft, vom Schafott herab, an die Slowaken, war leuchtende Wahrheit in der einsinkenden Nacht: «Seid allezeit einig im Dienste an Gott und dem Vaterland, dies ist nach Gottes ausdrücklichem Gebot das Gesetz der Natur, dem ich mein ganzes Leben lang gedient habe. Ich betrachte mich als einen Märtyrer in der Verteidigung des Christentums gegen den Bolschewismus und ermahne euch, allzeit im Glauben und in der Ergebenheit an die Kirche Christi zu bleiben.»
In jener Nacht, als ich ihn verließ, schenkte ich ihm wenig Gedanken mehr, denn die Slowakei und er selber schienen mir nur winzige Steine in dem großen Spiel zu sein. Auf den Straßen trampelten Nazi‑Sturmabteilungen einher, die sich jetzt kaum noch Mühe gaben, ihre Ergebenheit zu verbergen. Der Krieg stand nahe bevor. . . .

III. Die einsamen Könige
Zwei Männer aus den rauchigen dreißiger Jahren, die ich im «Jahrmarkt des Wahnsinns» geschildert habe, stehen für mich auch jetzt, dreizehn Jahre später, völlig unverändert da: König Boris von Bulgarien und König Georg von Griechenland. Ihre Haltung und ihr Ende in den vierziger Jahren waren, wie ich es vorausgesehen hatte. Die Flammen haben sie verzehrt, aber ihre Motive und ihre Treue blieben bis zuletzt unanfechtbar.
Könige stehen meiner Erfahrung nach streng abgesondert von allen anderen Männern der Politik. Sie sind Professionelle in einer berufsmäßigen Berufung. Der Staatsmann von Beruf, der Edelmann, der Geistliche oder der Gelehrte, der sein Leben dem Dienst an den öffentlichen Angelegenheiten weihte, ist ausgestorben. Sein Nachfolger, der Politiker des 20. Jahrhunderts, von dem ich eine Unzahl kennen gelernt habe, erscheint mir als ein Amateur. Seinem Herkommen nach ist er stets etwas anderes: ein Jurist, der Sohn eines Bauern, ein Journalist, ein Gewerkschaftssekretär, ein Professor, ein Künstler; er sieht in der Politik den Weg zu materiellem Gewinn, oder er tritt in die Politik ein, um sein Land vorwärtszubringen oder es zu ruinieren. In diesem Jahrhundert der großen Maskerade werden seine wahren Beweggründe zumeist erst im Augenblick der Demaskierung deutlich, wenn ein Verräter zum Vorschein kommt. Er ist bisweilen der Agent oder der Strohmann halbverborgener Gruppen. Sein Name ist so kurzlebig wie der Schnee; wo sind die Politiker vom vergangenen Jahr? Seine Nachkommenschaft taucht abermals in der Masse unter.
Wenn ich einem König gegenübertrat, empfand ich den Respekt, den ich gegenüber einem Chirurgen im Operationssaal empfinde, oder den ich fühlen würde, wenn ich im Maschinenraum eines Schiffes mit Kiplings altem McAndrew zusammen wäre, der hier «allein mit Gott und diesen meinen Maschinen» lebte. Solche Menschen sind technische Spezialisten; sie stehen tatsächlich abseits von allen Parteien. Sie sind wirklich, was sie scheinen. Frostige Einsamkeit umgab sie wie den Frontsoldaten im Kriege.
Balkan‑Könige sind Könige der vordersten Front. Vor hundert Jahren, als die Türken nach fünf Jahrhunderten nach Kleinasien zurückwichen, schien Europa endlich für die Christenheit und die kleinen Völker gesichert zu sein. Alle Völker des Balkans wählten sich Könige, und die meisten wählten germanische. Deutschland schuf irgendwie Männer, die sich auf das Königtum verstanden, und auch diese Insel ist gut genug gefahren, als sie eine gleiche Wahl traf. Aber nach den Türken fielen Österreich, Deutschland und heute das kommunistische Weltreich über die Balkan‑Königreiche her. Das Rußland der Zaren war ihr Freund; der kommunistische Herrscher aber wandelte sie abermals zu den finsteren Schlachthäusern, die sie unter den Sultanen gewesen waren. Hundert Jahre früher hatten die Christen unterirdische Kirchen bauen müssen, um ihren Glauben am Leben zu halten; solch eine Kirche stand König Boris’ Palast in Sofia gegenüber. Die Worte «Widerstand» und «Untergrund» wurden hier geboren; es waren christliche und patriotische, nicht antichristliche und verräterische Worte. Auch dieser Kampf war ein Kampf von ganz Europa. Der Bewohner der britischen Insel wird das nie einsehen, aber der Balkan ist seine Front. Bulgarien und Griechenland sind unerbittlich seine Sache.
König Boris war das völlig klar. Das Frösteln, das ihn umgab, war fühlbar, und ich fragte mich, warum ein Mensch, der sich doch so leicht in Sicherheit und Bequemlichkeit hätte zurückziehen können, auf diesem belagerten Vorposten aushalten wollte. Ich meinte damals ‑ und jetzt ist es mir zu völliger Gewißheit geworden ‑, daß es die Hingabe des Spezialisten an seinen Beruf war, was ihn und seine Bruder‑Könige auf dem Posten ausharren ließ. Es muß das gewesen sein, denn die beiden Gestalten hinter seinem Stuhl waren ‑ obschon sie nur schattenhaft hervortraten ‑ doch ganz klar sichtbar für mich. Im «Jahrmarkt des Wahnsinns» schrieb ich: «Er hat zwanzig Jahre damit verbracht, gegen die beiden Feinde eines jeden Balkan‑Monarchen zu kämpfen: Abdankung und Meuchelmord … Der Gedanke an den Meuchelmord begleitet ihn, wo er geht und steht … Er sieht ihm ins Gesicht.»
Er sprach viel vom Meuchelmord, von dessen Methoden und von seinen Gegenmaßnahmen. Er sprach darüber, wie ein Spezialist in aller Ruhe Berufsprobleme erörtert. Er war ein Familienvater mit kleinen Kindern. Seine Bulgaren liebten ihn, von ihnen hatte er nichts zu befürchten. Wessen Hand würde es also sein, die eines Russen, eines Deutschen, ‑ wessen? Ich versuchte, ihn auszuforschen, und fand in ihm den ersten Mann in so hoher Stellung, der von anderen Mächten als diesen sprach, von geheimen, übernationalen Kräften. Er wies auf den Mord an seinem Nachbarn, König Alexander von Jugoslawien, hin. Ein mazedonischer Mörder, kroatische Helfershelfer, eine Mörderschule in Ungarn, italienisches Geld und Mitwisserschaft, ein Mord in Marseille und die verantwortungslose Lässigkeit französischer Polizeibeamter, englischer und französischer Druck im Völkerbund, die Nachforschungen einzustellen …

Er lächelte. «Wer also war der Schuldige?» fragte er mich. «Übrigens, ich habe Alexander gewarnt. Nein, Mister Reed, es gibt Mächte in der Welt, die keinen Frieden und keine Ordnung auf dem Balkan wollen, wo die Zukunft von Europa entschieden wird. Aber Sie können kein Land mit ihnen behaften. Es sind internationale Gruppen, übernationale, besser gesagt. . .»
Ich wünschte, ich könnte diese Dinge jetzt mit ihm diskutieren, im Lichte all dessen, was in den vierziger Jahren geschehen ist. Durch ein erstaunliches Zusammentreffen erzählte er mir, auf welche Art und Weise er selber getötet werden würde. Er sprach von einem Anschlag auf sein Leben, dem er durch eine vorherige Warnung entgangen war; das Ganze hatte sich in Varna abgespielt. Sein Englisch war mangelhaft. «Sie wollten mich mit einem Flugzeug befördern», erzählte er und machte mit den Händen eine Bewegung nach oben. Ich begriff nicht, was er meinte. «In einem Flugzeug?» fragte ich. «Ja, sie wollten mich in die Luft jagen», erklärte er und wiederholte die Geste. «Oh, ich verstehe«, sagte ich.
In den vierziger Jahren nun wurde er tatsächlich mit dem Flugzeug befördert, ‑ mit einer Sauerstoff‑Maske, so hieß es, die für seine Erstickung eingerichtet war. Sein Bruder Kyrill hat darüber bei seinem eigenen Prozeß berichtet. Kyrill wurde erschossen oder gehängt, aus welchem vorgegebenen Grunde, habe ich vergessen. Die Hand, die ihn tötete, war die des kommunistischen Herrschers. Und doch glaube ich, daß Boris – könnte er sprechen ‑ lächelnd bestreiten würde, sein eigener Tod habe seinen Grund dort. «Es gibt übernationale Mächte», glaube ich, würde er sagen, «die keinen Frieden und keine Ordnung hier auf dem Balkan wollen, wo über die Zukunft von Europa entschieden wird.»

Ich mußte an seine Worte denken, als Peter von Jugoslawien, nachdem er vor dem Rachen des deutschen Eindringlings durch Akklamation zum König gewählt worden war, von Großbritannien und den Vereinigten Staaten entthront und ein kommunistischer Diktator an seine Stelle gesetzt wurde. Als das geschah, erkannte ich zum erstenmal, daß der zweite Krieg des 20. Jahrhunderts verloren war, bevor er gewonnen wurde. Und wieder, glaube ich, würde Boris, wenn man dieses Ereignis mit ihm besprochen hätte, auf das finstere Bündnis von Kräften in vielen Ländern zur Zeit, da König Alexander ermordet wurde, hingewiesen und wiederholt haben: «Es gibt übernationale Mächte, die keinen Frieden und keine Ordnung hier auf dem Balkan wollen … »
Er starb auf seinem Posten, genau so, wie er erwartet hatte, und er glaubte zu wissen, wer seine Feinde waren. Er liebte seine Kinder, Blumen, das Studium des Insektenlebens und seine Arbeit. Er wollte sein Königreich behalten und den Frieden bewahren, und seine Motive und seine Interessen fielen mit denen seiner Bulgaren zusammen. Deshalb werden sie auch in Zukunft wieder einen König wählen und seinen Sohn Simeon zurückrufen, wann immer man es ihnen nur erlaubt.
Georg von Griechenland, als Mensch eine ganz andere Persönlichkeit, war ebenfalls wachsam und von allem zurückgezogen und lebte in der gleichen frostigen Einsamkeit. Ich habe noch nie einen derartigen öffentlichen Freudentaumel gesehen, wie bei seiner ersten Restauration. «Ach ja, aber was bedeutet das alles schon! » sagte er hinterher zu mir, und hielt seine Fensterläden sogar tagsüber verschlossen. Ich weiß nicht, ob er die Ansichten Boris’ über übernationale Mächte, die gegen ihn arbeiteten, teilte, aber bestimmt kannte er die Gefahren, die ihn umgaben, und ich bezweifle, daß er fürchtete, einem griechischen Mörder zum Opfer zu fallen. Ein Balkan‑König braucht selten sein eigenes Volk zu fürchten.
Seine letzten Lebensjahre aber bekräftigten Boris’ Theorie, denn eine ungeheure Kampagne internationaler Feindschaft wurde gegen diesen Mann entfesselt, der der Sache der «Alliierten» so gut gedient hatte. Die Feindschaft von Seiten jener, die angeblich seine Verbündeten waren, weist hin auf das Bestehen von Mächten und Motiven hinter und über denen, welche man den Massen öffentlich bekanntgab. Sie stammte sowohl aus Großbritannien und Amerika, wie aus dem kommunistischen Rußland.
Könige, die zwei Restaurationen erleben, dürften in der Geschichte selten sein. Die beiden Restaurationen dieses Königs, davon die eine im Schatten des heraufziehenden Krieges und die andere, als der Krieg offenkundig gewonnen war, beweisen die wahren Wünsche eines Balkan‑Volkes. Sein Leben war ein Panorama im Kleinen von der ganzen Tragödie des Balkans. In seiner Jugend hörte er französische und britische Granaten im Hof des Palastes einschlagen, sah griechische Soldaten beim Sturmangriff gegen französische und britische Landungstruppen, sah, wie seine Mutter leidenschaftliche Klagen an ihren Bruder, den deutschen Kaiser, telegraphierte und wie sein Vater versuchte, einen deutschen Einmarsch in Griechenland zu verhindern. In seinen Mannesjahren befehligte er eine siegreiche griechische Armee gegen die Italiener und wurde von den Deutschen aus Griechenland vertrieben. Als er starb, wurde Griechenland von den Horden des kommunistischen Weltreiches belagert.
Obschon dreimal auf dem Thron, hatte er ihn doch nur während knapp eines Jahrzehntes inne. Er war in England zur Schule gegangen und hatte lange Zeit seines Lebens hier verbracht. Seiner Haltung und Art nach war er Engländer, und Griechenland war ein weit entferntes Königreich, dessen Thron er von Zeit zu Zeit bestieg. «Tatsächlich», sagte er zu mir, «überall hält man mich für einen englischen Agenten.» Weitere Jahre in England lagen vor ihm, in denen er dann als «Faschist» verschrien werden sollte. Ich war der Ansicht, er habe sich im Jahre 1936 geirrt, als er die Verfassung außer Kraft setzte und die Parteien aufhob, aber in dem Licht ‑ oder der Finsternis ‑ der vierziger Jahre möchte ich es nicht übernehmen, die Kritik zu wiederholen, die ich im «Jahrmarkt des Wahnsinns» vorgebracht habe. «Es bleibt so wenig Zeit», sagte er immer wieder. Wozu, sagte er nicht, aber wir wußten es beide. Der Krieg stand nahe bevor.
Er muß Wunder verrichtet haben in der kurzen Zeit, die ihm zu Gebote stand, denn bei seiner ersten Restauration fand er eine untaugliche Armee vor, und dennoch gehört der Sieg über Italien mit der einen Armee, die er geführt hat, zu den Wundern der Geschichte. Ich kann nicht annehmen, daß ihn ‑ ebensowenig wie Boris ‑ noch irgend etwas hätte überraschen können, oder daß er ‑ mehr als Talleyrand ‑ geglaubt hätte, es gäbe so etwas wie Dankbarkeit. Er war Herrscher von Beruf. Aber er muß leicht perplex gewesen sein, als er nach jenem phantastischen Sieg nach England kam und dessen Premierminister verkünden hörte, die Griechen müßten erst befragt werden, bevor er wieder den Thron besteigen könnte. Um diese Zeit legte sich der Schatten jener übernationalen Mächte über den Krieg, und die geheimen Beweggründe wurden deutlich.
Jedoch die Griechen riefen ihn zurück, und die Szenen des Jahres 1935 wiederholten sich noch einmal, zehn Jahre später. Und noch einmal hatte er «so wenig Zeit». Eines Tages fand man ihn tot in seinem Palast, nachdem er (wie man sich erzählt) um ein Glas Wasser gebeten hatte. Ich glaube nicht, daß er eines natürlichen Todes gestorben ist. Die wohlorganisierte Kampagne gegen ihn, von Seiten der Zeitungen und Politiker in der ganzen Welt, ist allzu bedenklich. Die Ähnlichkeit mit dem Fall Alexanders von Jugoslawien ist in dieser Hinsicht schlagend. Doch für den Augenblick hatte er sein Königreich gerettet, sein Bruder folgte ihm nach, und der hat einen Sohn; ein weiterer Vorposten der vordersten Front wird gehalten.
Mir schien er ein ganz besonders einsamer Mensch zu sein, selbst für einen Balkan‑König. Und auch er verharrte bis ans Ende auf seinem Posten.

IV. Der Strandräuber

Vor zehn Jahren hatte ich eine andere Meinung über die Rolle eines bestimmten Mannes bei den Ereignissen unseres Jahrhunderts als die allgemein vorherrschende, und heute, dreizehn Jahre später, fühle ich mich in der Beurteilung dieses Mannes noch sicherer. Ich war damals der Ansicht, Hitler habe die Absicht, Deutschland zu zerstören. Das war die einzig plausible Erklärung für das, was er tat. Die Anklage auf das neue Verbrechen der «Genozide» (Ausrottung ganzer Völker) wurde, bei dem großen Gerichtsverfahren von Nürnberg in den vierziger Jahren gegen seine Spießgesellen erhoben und gründete sich in der Hauptsache auf die Verfolgung der Juden. Ich glaube aber, daß die Nation, die er zerstören wollte, die deutsche war.
Diesen Schlüssel zu dem Rätsel unserer Zeiten fanden einige wenige von denen, die ihm nahestanden, und diese Männer prallten vor Entsetzen zurück, als sie mit ihm Blaubarts verbotene Kammer öffneten. Der erste von ihnen war Hermann Rauschning, der noch vor Ausbruch des Krieges ins Ausland floh und versuchte, die Menschheit durch zwei Bücher aufzuklären: «Die Revolution des Nihilismus» und «Ich sprach mit Hitler» (1939). In seinen Berichten über Hitlers Äußerungen fand ich zum ersten Male meinen Verdacht bestätigt.
«Wir sind verpflichtet zur Entvölkerung, als einem Teil unserer Sendung, das deutsche Volk zu erhalten. Wir werden gezwungen sein, eine Technik der Entvölkerung zu entwickeln. Wenn Sie mich fragen, was ich unter Entvölkerung verstehe, so meine ich damit die Versetzung ganzer rassischer Einheiten. Und das ist auch, was ich durchzuführen gedenke ‑ das ist in großen Zügen meine Aufgabe. Wenn ich die Blüte des deutschen Volkes in die Hölle des Krieges schicken kann, ohne auch nur das geringste Mitleid mit dem Vergießen deutschen Blutes zu empfinden, dann habe ich bestimmt auch das Recht, Millionen einer minderwertigen Rasse zu versetzen, die sich wie Ungeziefer vermehrt.»
«Die Blüte des deutschen Volkes in die Hölle des Krieges schicken, ohne auch nur das geringste Mitleid mit dem Vergießen deutschen Blutes zu empfinden»: Seine Gedanken bewegten sich von Blut durch Blut zu Blut. Entvölkerung ist ein Gedanke, der, glaube ich, erstmals als politisches Programm während der Französischen Revolution aufkam. In Nesta Websters Buch «Die Französische Revolution» wird er als vorsätzliches Motiv hinter diesem Ereignis dargestellt.
Rauschnings Entdeckung wurde in der Folge von vielen anderen Deutschen gemacht, die versuchten, Hitler umzubringen. Wenn die Hand des Bösen auf Erden Macht hat, so mag man sie darin erkennen, wie die vielen Anschläge dieser Männer gegen das Leben Hitlers mißlangen, und in dem fürchterlichen Ende, das diese Männer auf sich nehmen mußten, angefangen mit der langsamen Strangulierung des Admirals Canaris bis zu der öffentlichen Schaustellung des Leichnams Generalfeldmarschall von Witzlebens an einem Fleischhaken. Aber wenn andererseits sich vergängliche Kräfte mit der Revolution des Nihilismus verbündet haben, so kann man auf ihre Macht aus der Tatsache schließen, daß der Deutsche, der auf dieses Geheimnis in Hitlers Werk das meiste Licht hätte werfen können, und der den Versuch machte, ihn zu töten, in Nürnberg zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt wurde!
Dieser Mann, Albert Speer, der Minister für die Rüstungsindustrie, gehörte zu Hitlers engstem Mitarbeiterstab und machte zum Schluß Rauschnings fürchterliche Entdeckung: daß Hitlers Ziel die Zerstörung Deutschlands und eine allgemeine Zerstörung war. Als er die Befehle Hitlers und Göbbels (diese beiden und Martin Bormann waren bezeichnenderweise die einzigen führenden Persönlichkeiten, die nicht in die Hände der Briten oder Amerikaner fielen) an das deutsche Volk hörte, sein eigenes Land zu zerstören und zu verwüsten, versuchte er, die Erzstrandräuber in ihrem Bunker zu vergasen. Die letzten Radiobotschaften aus diesem Bunker waren Freudenschreie nihilistischen Triumphes:
«Der Bombenterror verschont weder die Häuser der Reichen noch der Armen … die letzten Schranken der Klassen sind gefallen … unter den Trümmern unserer vernichteten Städte sind die letzten der sogenannten Errungenschaften unseres bürgerlichen Jahrhunderts endgültig begraben … die Revolution hat kein Ende; eine Revolution kann nur mißlingen, wenn die, die sie machen, aufhören, Revolutionäre zu sein … Zusammen mit den Monumenten der Kultur werden auch die letzten Hindernisse für die endgültige Durchführung unserer revolutionären Aufgabe beseitigt. Jetzt, wo alles zerstört ist, sind wir gezwungen, Europa neu aufzubauen. Die Bomben haben, anstatt alle Europäer zu töten, nur die Mauern des Gefängnisses zerbrochen, das sie gefangen hielt … Bei seinem Versuch, Europas Zukunft zu zerstören, ist dem Feinde nur gelungen, seine eigene Vergangenheit zu vernichten, und damit ist alles Alte und Verbrauchte beseitigt.»
Nihilismus, Anarchismus, Kommunismus, Faschismus ‑ die Freude des Affen oder des Kindes am Zerstören von Freund oder Feind, gleichgültig, wen auch immer. Das war der Zweck und Sinn des Ganzen.
Die lange Zeitspanne zwischen der französischen und der russischen Revolution machte die Öffentlichkeit für den wahren Sinn blind; der geschickte Trick, die Revolution Hitlers der Welt als etwas völlig Andersgeartetes, ja als das genaue Gegenteil darzustellen, brachte es fertig, den Massen die Erkenntnis für die Kontinuität dieses revolutionären Prozesses zu verbergen.

Das Wort «Strandräuber» steht im Wörterbuch und bezeichnet einen Mann, der durch falsche Lichtsignale Schiffe strandwärts lockt und zum Scheitern bringt. Der Massen‑Strandräuber in der Politik arbeitet nach denselben Methoden, aber er erstrebt mehr als nur den materiellen Gewinn: die Macht. Ich denke mit Befriedigung daran, daß ich drei von diesen Strandräubern unseres entscheidenden Jahrhunderts leibhaftig gesehen habe (Lenin, als er schon tot war, Hitler und Mussolini bei lebendigem Leibe), und daß ich unter den Völkern lebte, die jene ins Verderben stürzten. Mussolini mag unbewußt ein Agent der Zerstörung gewesen sein, ein Mann, den die Krankheit der Macht selber korrumpierte, nachdem er sie gewonnen hatte. Lenin und Hitler aber waren, glaube ich, ganz bewußte Zerstörer und Entvölkerer. Der Verstand der Massen jedoch scheint nur fähig zu sein, den Massenmörder im Privatleben zu erfassen, zum Beispiel solch beachtenswerte Pariser Herren wie Landru und Dr. Petiot, die sich wie kleine Maden auf einem riesigen Felde des Menschengemetzels während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges betätigten. Die großen Massenmörder des öffentlichen Lebens, von Robespierre und Marat bis zu Lenin, Trotzki, Hitler und Göbbels, bleiben außerhalb ihres Begriffsvermögens.
Hitler habe ich an die hundert Male gesehen und beobachtet. Es war etwas Schattenhaftes über ihm, und von den Millionen, über die er herrschte, war er so verschieden, als gehöre er einer anderen Spezies an. Ich möchte meinen, daß seine Abgeschiedenheit mit dem Geheimnis zusammenhing, das er mit sich trug, dem Geheimnis, das nur einem Deutschen von einer ganzen Million aufging, der dann aber auch gleich zurückschreckte oder versuchte, das Ungeheuer zu töten. Er spielte eine Rolle, und der Mob begriff das nie. Er sah in ihm die heroische Verwirklichung seiner selbst und war ihm verfallen.
Ich empfand das Bedürfnis zu lachen, wenn ich mit ihm sprach, oder besser: wenn ich seinen heruntergeraspelten Rodomontaden zuhörte, während der unruhige, ihn glühend verehrende Heß neben uns saß. Im Hydepark, glaubte ich, wäre die Luftblase seines Wortschwalls sehr bald durch irgend einen bissigen Cockney‑Zwischenruf zerplatzt. Heute aber bin ich, was eine englische Volksmenge betrifft, nicht mehr ganz so sicher, und was ihn betrifft, weiß ich, daß ich mich geirrt habe. Er paßte seine Art und Weise geschickt seiner Hörerschaft an. «Der erzürnte Deutsche kommt, mit Pauken und Trompeten.» Macaulay hatte recht. Der Deutsche kann durch einen solchen Appell aufgebracht werden, und Hitler war ein Meister dieser Kunst. Ja, mehr noch: seine Wutanfälle, die so offensichtlich erkünstelt waren wie bei einem kleinen Schauspieler, der Lear verschandelt, steigerten sich zu echten und tödlichen Paroxysmen, als es in seiner Macht stand, Blut zu vergießen.
Der große Kenner der Französischen Revolution Lord Acton (lebte er jetzt noch, dann würde er, glaube ich, den nie abgerissenen Faden von damals her durch den Sowjetkommunismus und den deutschen Nationalsozialismus zu dem nihilistischen Weltstaat, der uns heute bedroht, aufgreifen) hat zweierlei gesagt, was mir Hitler und die Entwicklung in unserer Zeit zu erklären scheint: Erstens das berühmte Urteil: «Jedwede Macht trägt in sich die Tendenz zu korrumpieren, und die absolute Macht korrumpiert absolut.» ‑ Das hat sich in unserem Jahrhundert immer wieder als wahr erwiesen und bedeutet, daß auch ein Mann, der nicht bewußt als Strandräuber von Nationen anfängt, doch dazu wird, wenn er nach einer Machtfülle strebt, die sich der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle entzieht.
Zweitens: «Das Abstoßende in der Französischen Revolution sind nicht die Tumulte, sondern die Absicht, die ihnen zugrunde liegt. Hinter all dem Feuer und Rauch erkennen wir den Beweis einer berechnenden Organisation. Die Drahtzieher bleiben geflissentlich verborgen, aber über ihre Anwesenheit von Anfang an kann nicht der geringste Zweifel bestehen.» Auch das, so scheint mir, was er über die große Umwälzung des 18. Jahrhunderts geschrieben hat, erwies sich als wahr, weitaus mehr durch all das, was sich im 20. Jahrhundert ereignet hat, als zu der Zeit, da es gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde. Es bedeutet, daß Männer, die an die Macht gelangen, «einen Plan» und «Drahtzieher» finden, die schon auf sie warten, und deren Werkzeuge sie werden. Sie dürfen sich nur so hoch erheben, weil ihre Nützlichkeit in dem «Plan» vorgesehen ist. Manche von ihnen jedoch sind von Anfang an in den Plan eingeweiht, und zu denen möchte ich auch Hitler rechnen, neben denen, die er vorgab zu hassen, wie Marx, Lenin, Trotzki und Stalin.
In dieser Hinsicht kommt Lord Actons Lesart der Dinge der König Boris’ und meiner eigenen heute nahe. Wenn ich so zurückschaue auf die rauchigen dreißiger und jetzt um mich herum in die qualmigen vierziger Jahre, dann ist das Abstoßende daran nicht der Rauch, sondern der Plan. Dieser geht dahin, Freiheit und Recht und die Wurzel, aus denen beides entspringt: das Christentum, in allen Ländern zu zerstören. Betrachtet man ihn im Licht eines solchen Planes, dann war Hitlers Krieg ein Triumph. Als er abgetreten war, breitete sich der «Plan» über ein weitaus größeres Gebiet aus, als er selber jemals zu erobern vermocht hatte, und jetzt fallen seine Schatten auch schon über diese meine Insel.
In den vierziger Jahren kann über diese Wirkung seines Werkes gar kein Zweifel mehr bestehen. Die einzige Frage, die noch unbeantwortet bleibt, ist, ob er ein bewußter oder ein unbewußter Agent war! Wollte er ganz bewußt die Zerstörung des christlichen Europas, die seit seinem Abtreten von der Szene beinahe abgeschlossen worden ist?
Ich glaube: ja, das wollte er, und ich glaube das wegen des Geheimnisses, das sein früheres Leben, sein Erscheinen auf der Bühne und sein Verschwinden von der Bühne umgibt. All das scheint mir einen Plan und die Anwesenheit von Managern zu verraten.

Die entscheidenden Jugendjahre Hitlers spielten sich vor 1914 in Wien ab. Man weiß so gut wie nichts über sie. Berlin, Münehen und Wien sind erobert und jedes erdenkliche Archiv ist durchstöbert worden. Aber von seinem Polizei‑Dossier in Wien hat man nicht das geringste gehört. Meiner Ansicht nach hätte man darin sehen müssen, was für eine Art Mensch er war und mit wem er umging in jenen Jahren, da die große eurasische Einwanderung im europäischen Westen begann; als die russischen Nihilisten und Anarchisten sich in den Hauptstraßen von Wien, Berlin, Paris und London versammelten und «Peter der Maler» und seine finstere Bande in den Flammen von Sidney‑Street verschwanden.
Im Jahre 1919 wiederum war er ein deutscher Soldat, der während der Herrschaft der Räteregierung in München immer noch bei der Truppe stand. Er nahm am Kampf gegen die Bolschewisten nicht teil, und doch wurde er nach ihrem Sturz plötzlich der Führer einer antibolschewistischen «Nationalsozialistischen Partei»! Ein so plötzliches Auftauchen in der Politik kennt man in unserem Jahrhundert sonst nur bei Kommunisten, die lange und im Geheimen in den Schulen ausgebildet worden sind, aus denen die Nihilisten und Anarchisten der Jahre 1900‑1914 hervorgingen. Seinem Alter, seiner Herkunft und der Plötzlichkeit seines Auftauchens nach ähnelt Hitler sehr dem geheimnisvollen, pseudonymen und vorher völlig unbekannten «Tito», der während des Zweiten Weltkrieges aus Rußland nach Jugoslawien herunter kam und sehr bald durch britisches und amerikanisches Gold, Waffen und Nachschub instandgesetzt wurde, dort eine kommunistische Diktatur zu errichten. Die heutigen Beherrscher Rumäniens, Bulgariens, Polens, Ungarns und der baltischen Staaten tauchten zum größten Teil auf ganz ähnliche Weise aus der Obskurität kommunistischer Trainingsschulen in Rußland auf. Der Sowjetgriff auf die östliche Hälfte Europas, der im Jahre 1947 zum Gegenstand einer lauten amerikanischen und einer leisen englischen Klage wurde, war in Tat und Wahrheit durch die internationalen Konferenzen der Kriegszeit vorbereitet und erhielt die Unterstützung amerikanischer und britischer Vertrauensleute; falls diese im Stillen erhofften, die Sowjets würden sich zurückziehen, dann waren sie unverantwortlich schlecht beraten.
Die Art und Weise, wie Tito auftauchte, und die Unterstützung, die ihm von übernationalen Lagern zuteil wurde, erinnert ihrerseits nun wieder an die Ankunft Lenins und Trotzkis während des Ersten Weltkrieges in Rußland mit deutscher und amerikanischer Unterstützung. Wenn hinter allem dem kein «Plan» und keine Drahtzieher stecken, dann ist der Arm der Koinzidenz in unserem Jahrhundert unendlich.
Hitler erschien alsdann in der deutschen Politik wie der «Knüppel aus dem Sack», wie der Dämonenfürst in der Pantomime. Vor dreizehn Jahren, als ich diese Theorien darüber zu entwickeln begann, wem er eigentlich in Wirklichkeit botmäßig und welches seine wahren Motive waren (man kann sich nur solange in Theorien über eine Verschwörung ergehen, bis Guy Fawkes unter den Pulverfässern entdeckt worden ist, und in unseren Tagen würde jeder Vorschlag zur Durchsuchung des Kellergewölbes als «faschistisch», als «Hexenverfolgung» oder anti‑irgendetwas abgewiesen), war ich gespannt darauf, was für ein Ende es mit ihm nehmen würde. Wenn es Drahtzieher und einen Plan für ihn gab, meinte ich, müßte er abtreten, wie er gekommen war.
Zehn Jahre später verschwand er von der sichtbaren Bühne. Ein britischer Offizier aus dem Intelligence‑Service in Berlin, H. R. Trevor‑Roper, wurde mit der Untersuchung betraut und hatte alle zugänglichen Beweise zur Verfügung. Er veröffentlichte in der Folge ein Buch, «Hitlers letzte Tage». Der Titel klingt beweiskräftig, aber die Tatsachen scheinen mir nicht endgültig zu sein oder mehr als das Ende von einem Paar schwarzer Hosen zu beweisen. Einige Punkte sind mir aufgefallen:
In der Woche, bevor Hitler Selbstmord beging, am 30. April 1945, lebten zweiundreißig Personen in seinem Bunker oder in anderen in der Nähe. Nur elf von diesen fielen in die Hände der Briten oder Amerikaner, und unter ihnen befand sich kein einziger von den zehn oder elf Männern, die behaupten, in dem Gang vor Hitlers Räumen gewartet zu haben, während er und Eva Braun Selbstmord verübten. Der einzige von den Amerikanern verhörte Mann, der behauptet, Hitler tot auf einem Sofa liegend gesehen zu haben, ist Artur Axmann, der Führer der Hitler‑Jugend. Er versichert auch, später die Leiche Martin Bormanns, nächst Hitler der höchste Mann der Nazi‑Partei, gesehen zu haben.
Bormann figurierte in Nürnberg als in absentia Angeklagter und wurde folglich als noch am Leben betrachet. Hitler, «dieser abscheuliche Mann», aber figurierte gar nicht als Angeklagter!
Die einzigen anderen Zeugen in britischer oder amerikanischer Hand, die behaupteten, indirekt Kenntnis von Hitlers Ende zu haben, waren unbedeutende Leute, Polizisten oder Wachmannschaften. Einer von den Polizisten «sah, wie der Leichnam herausgetragen wurde, von einer Decke verhüllt, welche den blutigen und zertrümmerten Kopf verbarg, und erkannte ihn sofort an den wohlbekannten schwarzen Hosen». Ein anderer kam «zufällig hinzu, als die beiden Leichen verbrannt wurden; sie waren mit Leichtigkeit zu erkennen, obwohl Hitlers Schädel zertrümmert war».
Es bestünde Gewißheit, wenn britische oder amerikanische Truppen als erste den Schauplatz betreten hätten. Auf Grund irgend eines Befehls von hoher Stelle aber, für den die Ursache niemals bekanntgegeben worden ist, scheinen die amerikanischen Truppen angehalten worden zu sein, zu gewährleisten, daß russische Truppen den Schauplatz als erste betraten. Und damit beginnt die Ungewißheit.
Hitler setzte zwei Testamente auf. In dem einen verkündete er die Absicht, Selbstmord zu verüben, und sprach den Wunsch aus, man möge seine und Eva Brauns Leiche auf dem Schauplatz verbrennen. Dies ‑ wenn es echt war ‑ war eine öffentliche Botschaft an das deutsche Volk und die Welt. Und doch wurden «sorgsame Vorsichtsmaßregeln» ergriffen, um die Einäscherung geheim zu halten, und nur durch einen Zufall wurden «zwei unbefugte Personen» Zeuge davon. Die eine, ein Polizist, «wurde von Hitlers SS‑Adjutant Guensche angeschrien, sich schnellstens zu verziehen». Der rangälteste der Polizeioffiziere, Oberst Rattenhuber wiederum «versammelte später seine Leute und nahm ihnen das Versprechen ab, alles, was sich an diesem Tage ereignet hatte, als ein heiliges Geheimnis zu bewahren. Jeder, der davon etwas erzählte, würde erschossen werden».
Warum? Dieser Rattenhuber würde ein wertvoller Zeuge sein, aber seine Aussage ist nicht zu erlangen. Der Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte gab bekannt, daß Rattenhuber sich zusammen mit dem Mann, von dem man annimmt, er habe Hitlers Leiche aus dem Bunker heraufgetragen, sein Kammerdiener Heinz Linge, in russischer Gefangenschaft befände. Ein britisches und amerikanisches Ersuchen, diese beiden Männer identifizieren zu dürfen, wurde jedoch abgelehnt. Hitlers Leiche wurde niemals gefunden.
Noch etwas Sonderbares geschah an diesem «letzten Tage». Wenn Hitler tot ist, wurde er kurz vor Mitternacht am 30. April 1945 begraben. Um diese Zeit gerade aber arbeiteten Göbbels, Bormann, General Burgdorf, Artur Axmann und ein anderer «das Projekt eines Vertrages mit den Russen aus»!
«Ein anderer» war General Hans Krebs, «der vor dem Kriege lange Zeit in Rußland, in Moskau, im Dienst gestanden hatte.» Dieser General Krebs nun, der alles über den Hitler‑Stalin‑Pakt wußte, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, befand sich am 30. April um Mitternacht auf dem Wege von dem Bunker mit einem Schreiben von Göbbels (der schon seinen eigenen bevorstehenden Selbstmord angekündigt hatte), an Marschall Schukow, den Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte, um ihn über Hitlers Tod zu informieren und ihn aufzufordern, einen Waffenstillstand einzugehen! Zwölf Stunden später kehrte er zurück und sagte, die Antwort wäre «nicht befriedigend». Jedenfalls sind wir so unterrichtet.
General Krebs hat man nie wiedergesehen, Bormann ist vermißt, Burgdorf ist verschwunden, Göbbels, hieß es (seitens der russischen Befehlsstellen), habe nicht nur Selbstmord begangen, sondern auch seinen Leichnam hinterlassen, obschon darüber meines Wissens keine einzige Photographie veröffentlicht worden ist.
Wahrhaftig, wenn Hitler nicht gestorben wäre, hätte man seinen Tod erfinden müssen, denn solche Unterhandlungen an seinem «letzten Tage» mit den heranrückenden Verbündeten von 1939 hätten sonst viele Erklärungen verlangt.
Sind sie nun tot ‑ er und seine Gefährten der letzten Tage? Wenn er selber tot ist, so ist das eine irrelevante Tatsache. Als «Teufel mit dem kleinen Bärtehen» besang ihn ein Topfdeckel-Troubadour in New York während des Krieges. Vielleicht; aber seine Satanie richtete sich mehr gegen das christliche Europa als gegen die Juden. Mit seinem Verschwinden war die Revolution des Nihilismus nicht beseitigt, sondern machte ihre größten Fortschritte.
Ich glaube, das fehlende Wiener Dossier würde das fehlende Glied in der Kette unserer Kenntnisse über seine Verbindungen in jungen Jahren beibringen, und dieses würde uns vielleicht nach Rußland führen. Meine Theorie geht dahin, daß Hitler zwischen 1908 und 1914 seine politische Ausbildung in den russischen Schulen der Anarchisten und Nihilisten erhalten hat, und daß die es sind, die jetzt die scheinbar gegnerischen Zusammenstöße von «Kommunismus» und «Faschismus» in Szene gesetzt haben, um hinter der Maske vorgeblich gegenseitigen Hasses nur um so wirkungsvoller zu arbeiten und ihr Ziel, die Zerstörung unseres Kontinents, zu erreichen. Ich meine, daß diese Kräfte durch alle Ereignisse der vierziger Jahre eindeutig als international organisiert entlarvt worden sind, als Kräfte, die sowohl im «kapitalistischen Westen» als auch im «kommunistischen Osten» ihre Freunde haben.
Ich meine, daß er ihr Agent gewesen ist und in den östlichen Armeen, denen man das Vorrecht zugestand, Berlin zu erobern, ebenso viel Freunde wie Feinde besaß. Feldmarschall von Paulus, der die große deutsche Armee von Stalingrad kommandierte, stand weit vorn auf der Sowjetliste der «Kriegsverbrecher» und doch wurde er nicht zum Prozeß nach Nürnberg geschickt. Im Gegenteil. Heute ist er der begünstigste Protegierte der Sowjetmacht, und im September 1947 verkündete die Sowjetregierung seine Rückkehr nach Deutschland. Die Umstände seiner Kapitulation und die Rolle, die Hitler dabei spielte, verdienen es, eines Tages neu, im Lichte dieser Ereignisse, studiert zu werden. Ich glaube, er ging aus jenen geheimen, nationslosen, konspirativen Reihen hervor, und mit seinen erwählten Eingeweihten mag er von ihnen weggezaubert worden sein. Wenn es einen «Plan» gibt, so hat er ihn gefördert; und wenn es Drahtzieher gibt, dann mögen diese ihn als ihren Mann fordern.

V. Zwischen zwei Dieben

Es gibt einen Mann in den dreißiger Jahren, der mir, wie mir zehn Jahre später aufgegangen ist, für meine verlorene Zeit, für meinen falsch aufgewandten Glauben und für die Irreführung meiner Leser Schadenersatz schuldet. Georgij Dimitrow brachte mich abgehetzten Journalisten dazu, mein erstes Buch «Der Reichstagsbrand» zu schreiben, und ich mußte die Nacht zum Tage machen, um damit fertig zu werden. Tägliche Berichte in den Zeitungen, dachte ich, würden den Menschen daheim nie und nimmer den Schrecken dessen, was über Europa heraufzog, klarmachen; dann vielleicht also ein Buch? Und hier war das Thema: die Unschuld von der Missetat verfolgt, ein aufrechter Mann, der sich gegen Gesindel verteidigt, das ewige Volk gegen die ewige Tyrannei.
Mich schaudert es, wenn ich jetzt daran zurückdenke. Unser Jahrhundert ist eine einzige große Maskerade, und wie soll man ein wahrheitsgetreues «Wer ist Was» zustandebringen, wenn alle Menschen eine Maske tragen? Wie jäh änderten sich seine Züge, als er die Maske ablegte! Ihm ging es nur darum, die Macht zu erlangen, um dann anderen anzutun, was er anprangerte, als man es ihm selber antat. Er wollte Europa gar nicht von den Gauleitern säubern, sondern sie nur in Kommissare umtaufen.
Das Schicksal meinte es gut mit mir, als es mich am Reichstag vorüberkommen ließ, als der Brand eben begann. Jemand, der diese Flammen und was darauf folgte, mit angesehen hat, besitzt auch den Schlüssel zu dem Rätsel unseres Jahrhunderts. Ein gewisser Major Breen, der in jener schicksalhaften Nacht Dienst in der Britischen Botschaft tat, schrieb fünfzehn Jahre später an die «Times»: «Das Gaunerstück mit dem Reichstagsbrand war die Atombombe, die unseren Kontinent in Stücke zersprengte», und das entspricht genau der Wahrheit. Diese Flammen umzüngeln heute das Leben und die Freiheit eines jeden Menschen auf der britischen Insel, ob Mann oder Frau oder Kind.
Die Kette der Ereignisse liegt klar vor uns. Der Brand wurde den «Bolschewisten» in die Schuhe geschoben, und unter diesem Vorwand wurde das parlamentarische Regime beseitigt, und die Geschicke in Deutschland wurden durch «Notverordnungen» geleitet. Auf diese Weise wurde der Bereich zerstörter Parlamente und der Terrorherrschaft in einem Zug von Sowjetasien bis zu dem größten Land Europas ausgedehnt. Später begann der Krieg nach Übereinkunft und in einem Bündnis mit eben diesen «Bolschewisten». Dadurch wurde das Regime der wilden Gewalt über alle Länder, die zwischen beiden lagen, ausgedehnt, so daß der asiatische Despotismus nun bis an den Rhein reichte. Als das Bündnis zerbrach, schrumpfte dieser Bereich jedoch nicht zusammen, und ebenso wenig wurde er kleiner, als der Sieg errungen worden war. Als das Ergebnis des siegreichen Krieges gegen Deutschland wurden die Notverordnungen in England verlängert (was soviel bedeutet wie: daß das Parlament auf halbzerstörten Grundlagen weiter besteht). Daher rührt dieses Zwielicht der Unsicherheit auf der britischen Insel unmittelbar vom Reichstagsbrand her.
Das scheint mir die fortdauernde Wahrheit in Lord Actons Feststellung eines «Planes hinter dem Aufruhr» und einer «berechnenden Organisation» unsichtbarer Leiter zu bestätigen. Wer hat den Reichstag angezündet, den Erzherzog in Sarajewo erschossen, Alexander in Marseille ermordet oder Boris getötet? Das werden wir nicht erfahren, aber deutlich erkennen wir, daß alle diese und andere Fragmente in das Bild der überall tätigen Zerstörung nationaler Eigenständigkeit, parlamentarischer Regierungsweise, der Gerechtigkeit und Freiheit und der Menschenrechte (die durch die Propheten der Französischen Revolution so edel ausgelegt worden sind) hineinpassen.
Ich, der den lallenden, sabbernden van der Lubbe gesehen habe ‑ ich kenne den nichtswürdigen, feilen Diener in diesen Umtrieben. Aber Dimitrow war ganz anders. Er war ein führender und eingeweihter Verschwörer, soviel steht jetzt fest. Ich bewunderte damals seinen Mut und bin heute der Meinung, was es mit Dimitrows Mut wohl auf sich hatte. Ob auch bei den Gerichtsverhandlungen um den Reichstagsbrand die Hand der Drahtzieher im Spiele gewesen ist? Damals nahm mich nur wunder, daß die Nazi ihm überhaupt erlaubten, vor der Öffentlichkeit dermaßen aufzutreten, wo sie doch ihre eigenen Untertanen ganz geheim vor «Volksgerichten» aburteilten oder sie beseitigten. Dabei wird mir wieder eine Episode gegenwärtig, die vielleicht mehr zu bedeuten hat, als ich damals dachte.
Bevor die Gerichtsverhandlungen begannen, hatte mir eine Bekannte in Berlin beiläufig gesagt, ich würde in meinem Hotel in Leipzig Besuch von einem ihrer Freunde bekommen, den sie nur «Heinrich» nannte. (Ich war damals mit dem kommunistischen System, nur Decknamen zu verwenden, noch nicht vertraut.) Und richtig, dieser Mann kam. Er war ein jüdischer Kommunist aus Rußland, dem es in dieser von der Gestapo beherrschten Stadt immer noch recht gut zu gehen schien. Er bat mich, ihm nach den Verhandlungen eines jeden Tages eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse im Gerichtssaal zu geben. Während mehreren Tagen erwartete er mich, in der Halle sitzend, um diesen Bericht entgegenzunehmen. Da ich den Verlauf der Verhandlungen ohnehin weiterberichtete, sah ich nichts darin, ihm zu erzählen, was vorgegangen war. Was mich jetzt im Lichte all dessen, was seit damals geschehen ist, interessiert, ist seine Aussage vor Prozeßbeginn: «Dimitrow wird in diesem Prozeß sehr groß auftreten!» ‑ Wie konnte er wissen, daß man es Dimitrow erlauben würde, «sehr groß aufzutreten»?
Dimitrow war um jene Zeit ein bloßer Name für mich, und der Kommunismus eine unbeantwortete Frage. Ich wußte, daß er zu der herrschenden Clique der Kommunistischen Internationale gehörte, wußte aber im Jahre 1933 noch nicht, was das bedeutete; jetzt weiß ich das. Damals wußte ich nur, daß kommunistische und nationalsozialistische Methoden gleich waren, aber ich glaubte, der Kommunismus würde in Rußland bleiben. Mein Haupteinwand gegen den Nationalsozialismus war die feste Gewißheit, daß er nicht im Sinn hatte, sich auf Deutschland zu beschränken. Der Kommunismus konnte nur durch einen Krieg Boden gewinnen, und die Verhältnisse in Rußland waren nach fünfzehn Jahren kommunistischen Regimes dort so furchtbar, daß ich die Auffassung hatte, der Kommunismus müßte einen Krieg scheuen. Ich sah voraus, daß ein für den Krieg gerüsteter Hitler ein Bündnis mit Stalin suchen würde. Doch ich sah nicht voraus, mit welcher Bereitwilligkeit der andere von den beiden Mördern darauf eingehen würde. Hätte ich soweit vorausgesehen, dann hätte ich mir auch nicht eingebildet, Dimitrow wäre das unschuldige Opfer Hitlers. (Seine Entlassung aus der Haft und seine Auslieferung an die Sowjetunion zu einer Zeit, da Unschuld in Deutschland überhaupt nichts bedeutete, hätten mir Stalins Komplizenschaft im Jahre 1939 klarmachen sollen.)
In den dreißiger Jahren glaubte ich seine Sache herzzerreißend verloren. Genau zehn Jahre zuvor hatte er einen erfolglosen Aufstand in Bulgarien angezettelt; genau zehn Jahre zuvor hatte Hitler eine erfolglose Revolution in Bayern angezettelt. Welch eine Wendung hatten diese zehn Jahre gebracht! Der eine von den beiden Männern ein Häftling ohne alle Freunde vor dem deutschen Reichsgerichtshof, der andere durch eigene Proklamation der oberste Magistrat in Deutschland!
Noch einmal zehn Jahre, und Dimitrow benahm sich in Bulgarien genau so, wie Hitler sich in Deutschland benommen hatte. «Der Kommunismus ist nicht grausam und brutal! » hörte ich ihn von der Anklagebank her schreien. Noch einmal zehn Jahre, und er selber gründete in Bulgarien genau dieselben «Volksgerichte», die Hitler nach dem Reichstagsbrand eingesetzt hatte! Ich wohnte den Sitzungen des ersten deutschen Volksgerichtshofes bei und heute noch graut mir davor, wenn ich einen englischen Gerichtshof betrete und Richter sehe, die sich nicht vergewaltigen lassen und immer weiter Recht sprechen. Etwas Göttliches liegt über diesen Gerichten und alles nur erdenklich Teuflische über jenen anderen, wo «Die Partei» unter der ironischen Bezeichnung «Volksgerichtshof» das Todesurteil über das Volk ausspricht.
Hunderte von Köpfen rollten auf den Befehl der Volksgerichte Dimitrows.

Voller Hohn wies er damals die Beschuldigung zurück, der Reichstagsbrand sei das Ergebnis «einer kommunistischen Verschwörung zur Machtergreifung». Er schrie heraus, dies wäre ein Akt «politischer Provokation», er schmähte seine Ankläger mit dem Verbot der kommunistischen Partei und dem Ausschluß ihrer Abgeordneten aus dem Reichstag ‑ in den dreißiger Jahren. Aber in den vierziger Jahren hielt er (wie Hitler) «Wahlen» ab und ließ hinterher den Führer der Opposition Petkoff verhaften, zum Tode verurteilen, («Ein Hund soll wie ein Hund krepieren!» schrie er) und ließ die dreiundzwanzig Abgeordneten der Opposition aus dem Parlament ausschließen. Warum? «Sie haben konspiriert», so erklärte er dem britischen Gesandten todernst, «Um mit Waffengewalt an die Macht zu kommen.»
Eins aber erriet ich schon, als ich in den dreißiger Jahren über ihn schrieb: «Wer einen weiten Blick in die Geschichte tut, erwäge die Tatsache, daß unter all den Parteien, die der Nationalsozialismus zerstört hat, die kommunistische Partei als Organisation die einzige ist, die in Deutschland überlebt hat. Konservative, Sozialisten, Katholiken, Demokraten, Liberale ‑ alle sind weggefegt. Die kommunistische Partei aber, die zu vernichten die vordringlichste Aufgabe des Nationalsozialismus gewesen ist ‑ die hat überdauert, das Gerippe einer Streitmacht, das unterirdisch arbeitet, deren Mitglieder immer noch in organisierter Verbindung miteinander zu stehen scheinen, deren Aktivität allen Hindernissen zum Trotz fortgesetzt wird, die auf ihre Stunde wartet, die darauf wartet, bis der Nationalsozialismus in der Kraftanstrengung eines neuen Krieges zusammenbricht … »
Wie kühn er einem erschien, damals in den dreißiger Jahren ‑ und was für ein Schwindler er war! Wo, in jener rauchigen Zeit der Maskerade, war ein Mann, der wirklich für das kämpfte, wofür zu kämpfen er vorgab, der aufrichtig wünschte, seine Mitmenschen zu befreien und sie nicht selber zu versklaven? Ich sehe wenige von solchen Männern im Rauch der dreißiger Jahre und noch weniger jetzt. Wenn ich jetzt einen «Faschisten» und einen «Kommunisten» die Spaziergänger im Hyde Park anrufen höre, denke ich von dem ersten: «Du bist Dimitrow!» und von dem zweiten: «Du bist Hitler!» und von den zweien zusammen: «Räuber seid ihr alle beide! Beide arbeitet ihr für das gleiche Ziel, und hinter euch stehen die gleichen Drahtzieher!»

VI. Die längste Nacht

Es war in den dreißiger Jahren aufregend, nach Rußland zu fahren in dem Zug eines Mister Eden, von dessen Reise zum Einsiedler‑Krebs im Kreml die guten Leute daheim sich etwas für den Frieden und die Verständigung unter den Menschen versprachen. Die Unterschriften im Gästebuch haben sich seither vervielfacht: Davies, abermals Eden, Roosevelt, Churchill, Truman, Bevin, Marschall ‑ und wo sind Verständigung und Frieden geblieben?
Aufregend war es, nach Moskau zu kommen, dieser Traum-Metropole des «großen sowjetischen Experimentes» (für einige), diesem Albtraum einer Hauptstadt der roten Zerstörung (für andere). Die Vorstellung, die ich mir aus der Ferne gemacht hatte, war die richtige. Zerstörung war das Wirkliche. Und heute, zehn Jahre später, hat sich nichts geändert.
Ich kann das mit einer Kleinigkeit belegen, die alles beweist. In meinem Moskauer Hotelzimmer in den dreißiger Jahren klingelte das Telephon, und die Stimme einer Frau sagte ‑ «Wollen Sie nicht, daß ich zu Ihnen hinaufkomme und Sie besuche?» Im März 1947, als ein anderer englischer Journalist (Mr. Herbert Ashley vom «Daily Telegraph») einen anderen Außenminister (Mr. Bevin) nach Moskau begleitete, klingelte ebenfalls das Telephon auf seinem Nachttisch, und die Stimme einer Frau sprach dieselben Worte. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um dieselbe Frau handelte, aber in diesen Jahren war die sowjetische Geheimpolizei nicht darauf verfallen, den Wortlaut der Frage zu ändern, geschweige denn die Methode. Diese Begebenheit ist der Schlüssel zu allem anderen; das Bild, das Herbert Ashley im übrigen gab, war genau, in jeder Kleinigkeit dasselbe, das ich mitgebracht hatte.
Ich kann aus den dreißiger Jahren noch eine Kleinigkeit zu dieser Geschichte hinzufügen. Ich wußte, daß das hübsche russische Mädchen das Hotel ohne ihren Ausweis von der Geheimpolizei gar nicht betreten durfte, und lehnte daher ihr Gesuch ab. (Sie kommt auch in Victor Kravchenkos «Ich wählte die Freiheit» vor.) Später jedoch tat sich die Tür auf, und ein Mädchen kam herein. Aber das war eine andere, die kaum ein Wort Englisch, Französisch oder Deutsch verstand. Vielleicht hatte sie, um etwas zu essen oder ein Kleidungsstück zu ergattern oder um ihrem Geliebten zur Freiheit zu verhelfen, der Geheimpolizei weisgemacht, daß sie Englisch verstünde ‑ ich weiß es nicht. Sie war jedenfalls alles andere als eine femme fatale, sie war eine armselige Hure und nahm sich sogar in dieser Rolle kläglich aus. Ich war gerade im Begriff wegzugehen, um meinen Zug zu erreichen, und erinnere mich, daß ein amerikanischer Korrespondent hereinschaute, um mir auf Wiedersehen zu sagen, und sich schleunigst zurückzog, zweifellos weil er meinte, ich sei ein freiwilliger Gefangener. Ich schenkte ihr ein paar Überbleibsel, die einzupacken sich nicht gelohnt hatte: ein Stück Schokolade, einen Seifenrest, zwei Taschentücher und ein paar zerfledderte Rubelscheine. Sie brach in Tränen aus und stammelte: «Sie … gut!», während ich, ihr bedeutend, daß für mich Eile geboten sei, davonlief, um meinen Zug zu erreichen.
Ach, Mütterchen Rußland, Mutter der Schmerzen! Die Leiden der Deutschen und ihrer Opfer sind nur ein Tropfen gegenüber dem Becher, den das russische Volk in diesen drei Jahrzehnten zu leeren hatte. «Das wird so lange wie eine Nacht in Rußland währen, wenn die Nächte dort am längsten sind!» sagt Angelo in «Maß für Maß», als er ungeduldig eine gar zu weitschweifige Debatte verläßt. Dieser Vergleich hat heute eine Bedeutung, die Shakespeare damals nicht voraussehen konnte. Ein moderner Angelo, der die endlose Nacht miterlebt hat, die auf den roten Sonnenuntergang im Oktober 1917 folgte, könnte diese Worte anwenden, wenn er englische oder amerikanische Politiker, Geistliche oder Wissenschaftler des Jahres 1947 «das große sowjetische Experiment» lobpreisen hört. Der humane Mensch scheint im zwanzigsten Jahrhundert beinahe ausgestorben zu sein.
Das Gesicht Moskaus war, wie ich erwartet hatte ‑ nicht weil ich mit einer feindseligen Einstellung gekommen war, sondern weil ich in Deutschland das Abbild des terroristischen Staates gesehen hatte, von dem die Sowjetunion das Originalbild selber war ‑, der Nazistaat, das Faksimile in anderen Farben. Für mich waren die Hauptquartiere der Geheimpolizei, ob sie nun in Moskau oder in Berlin standen, und die Konzentrationslager, ob es nun russische oder deutsche waren, nicht nur Ziegelsteinmauern und Stacheldrahtzäune. Ich hatte die Schreie gehört, die Wunden gesehen, mit den weinenden Frauen gesprochen, kannte die alles durchdringende und alles entwürdigende Angst.
So kam es auch, daß ich, als ich das zivilisierte Polen hinter mir ließ und Rußland betrat, das Gefühl hatte, aus der Zone des Lebens in die des Todes gekommen zu sein, und im «Jahrmarkt des Wahnsinns» schrieb: «Einmal hinübergekommen, überfällt dich dieses Gefühl der Niedergeschlagenheit, das der aufmerksame Reisende in einem Staat erlebt, der auf Terror und Geheimpolizei begründet ist. Dasselbe Gefühl hast du in Deutschland, Italien oder jeder anderen Diktatur, wenn du dort lebst. Es rührt von dem Bewußtsein her, daß du deinen Mund nicht auftun darfst, daß du keine richtige Freiheit hast und riskierst, verhaftet und ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis geworfen zu werden, wenn du nicht deine Gedanken für dich selbst behältst … Ich sah das allgemeingültige Zeichen des Terroristenstaates, ob er nun Rußland oder Deutschland oder sonstwie heißt: Stacheldrahtpalisaden, Ecktürme mit Maschinengewehren und Wachtposten. Und drinnen: namenlose Menschen, für die Welt verloren, ohne gerichtliches Verfahren von der Geheimpolizei dahinein verschleppt. Das Konzentrationslager, die politischen Gefangenen. In Deutschland enthielten solche Lager Zehntausende, in diesem Lande Hunderttausende (heute sollte es anstatt «Hunderttausende» «Millionen» heißen). Ich fühlte, daß ich Rußland hätte lieben können, aber ich konnte schon sehen, daß man dir niemals erlauben würde, Rußland zu lieben. Ich sah, daß ein Ausländer Jahre verbringen könnte, ohne jemals Zutritt zu dem Leben des Volkes zu erlangen. Die Menschen würden viel zu viel Angst haben, um ihn kennen zu wollen. . . . »
W. H. Chamberlins «Rußlands eisernes Zeitalter» bestätigte diese Wahrheit in den dreißiger Jahren, und Victor Kravchenko entwirft dasselbe Bild, nur noch dunkler, in den vierziger Jahren. Dies ist das einzige, was sich in Europa nicht geändert hat, das heißt, es hat sich zum Schlimmeren gewandelt, indem es sich nach außen verbreitete, den halben Kontinent unterjochte und heute England bedroht.
«Das große Experiment der Sowjets». Es gibt in der Geschichte von dreißig Jahren der Sowjetherrschaft nicht eine einzige Sache, die neu wäre. Alles darin hat das Gepräge der Reaktion gegen die erbarmungslose Roheit der Zeiten lange vor der Zarenherrschaft. Wenn es darin etwas für die moderne Zeit Neues gibt, dann ist das nur die Abschaffung eines jeglichen Rechts auf Besitz. Ursprünglich zu dem Zweck durchgeführt, den Großgrundbesitz zu vernichten, ist sie der in der Geschichte bisher unbarmherzigste Schlag gegen den Menschen schlechthin und hat in einem so riesigen Lande mit bäuerlicher Bevölkerung jedweden Bauern zu einem landlosen Sklaven gemacht.
Vor zehn Jahren verfiel ich noch in den Fehler, den ich bei anderen rügte, als ich im «Jahrmarkt des Wahnsinns» dogmatische Behauptungen über etwas schrieb, was ich weder gesehen noch gründlich untersucht hatte: den Beginn der endlosen sowjetischen Nacht. «Die bolschewistische Revolution nahm ihren Anfang in der Agonie Rußlands … Es war ein Aufstand gegen eine unerträgliche Tyrannei. Es war die konvulsivische Erhebung eines ganzen über alle Geduld gemarterten und ausgebeuteten Volkes, eine verzweifelte Anstrengung, eine unendlich lange Tyrannei abzuschütteln und eine Wendung zum Besseren herbeizuführen.»
Nein. In den vierziger Jahren haben wir schon zuviel gesehen, als daß wir noch länger glauben könnten, die Macht über die Masse ginge von einer Gruppe an eine andere durch Aufstände des Volkes über. Wäre dem so, dann hätte das russische Volk sich schon längst erhoben. Der folgende Satz war richtig: «Im vorliegenden Falle ist die Macht von einer Clique an eine andere Clique übergegangen, und niemand kann heute noch sagen, was sich letzten Endes aus der bolschewistischen Revolution für Rußland ergeben wird.»
In den vierziger Jahren jedoch wissen wir, was andere Völker als die Russen von ihr zu erwarten haben. In keinem einzigen Lande sonst ist der Kommunismus durch eine Entscheidung der Mehrheit an die Macht gelangt. Das wird ihm auch niemals gelingen. Und dennoch herrscht der Kommunismus heute über viele andere Länder ‑ gestützt auf die Anwesenheit der Roten Armee. In den dreißiger Jahren, als ich in Moskau war, definierte der gute Litwinow als «den Angreifer» freundlicherweise ein Land, das zuerst die Grenze seines Nachbarn durch Truppen überschreiten oder sie durch Flugzeuge überfliegen ließ. Stalin erzählte Eden, daß «zwei expansionistische Länder, Deutschland und Japan, den Weltfrieden bedrohten» (aber er fügte nicht hinzu, daß er Deutschland dabei Gesellschaft leisten werde, diesen Frieden zu brechen).
In jenen Tagen hatte es den Anschein, als wünschten die Herrscher über Rußland Frieden und als könnten die versklavten Russen glücklich werden.
Dem war nicht so. Der Bereich der Zerstörung ist nur größer geworden, und über die künftigen Pläne kann gar kein Zweifel bestehen. Das Fragezeichen, das in den dreißiger Jahren über dem Kreml hing, ist jetzt in den Vierzigern beantwortet worden, und wir sind wieder genau so weit wie vor zehn Jahren. Europa kann ebenso wenig in zwei Teile zerschnitten bleiben, wie ein Mensch mit gebrochenem Rückgrat durchs Leben gehen kann. Es muß entweder geheilt werden oder es muß sterben. Daß der Kommunismus die Forderung eines Napoleon oder Hitler nach Weltherrschaft vielleicht wiederholt, lag in den dreißiger Jahren auf der Hand. Dagegen war nicht klar, daß Großbritannien und Amerika ihm dabei helfen würden.
Unglückliches Rußland, unglückliches Moskau! Wie widersinnig flatterten doch damals die in Moskau genähten Unionjacks, als ein britischer Außenminister in den dreißiger Jahren zum ersten Male dort eintraf. Wie stumpf und stumm harrten in weiter Entfernung die zurückgehaltenen Menschenmengen hinter den wachsamen Truppen der Geheimpolizei. Sie hatten nichts zu verlieren als ihre Ketten (hatte man ihnen einst gesagt). Jetzt trugen sie grausamere Ketten denn je zuvor. Ihnen war nichts als das Elend des Denkens geblieben.
Wie gut tat es, durch den Eisernen Vorhang zurück in das zivilisierte Polen zu fahren. Armes Polen!

VIII. Der Tanz der Marionetten

Es war eine Teufels‑Carmagnole, die in den dreißiger Jahren begann, als der Pöbel sich um die Banner des Antichrists scharte. Hakenkreuz, Sichel und Hammer ‑ es war kein Zufall, sondern ein Teil aus dem «Plan», daß beide in Gestalt eines zerbrochenen oder verzerrten Kreuzes erschienen, und das enthüllte ihre niedrige Herkunft.
Einmal war das Kreuz in allen Flaggen Europas enthalten, in denen Frankreichs, Preußens, Rußlands, Österreichs und aller anderen. Jetzt ist es nur noch in der Flagge Englands, der skandinavischen Länder, der Schweiz und Griechenlands geblieben. Über der Finsternis, die Europa in den vierziger Jahren überzogen hat, weht das antichristliche Symbol der Zerstörer. Das ist der beste Maßstab, in der einfachsten Form, für die Ergebnisse von zwei Kriegen und drei Jahrzehnten. Sie haben es beinahe fertig gebracht, das Werk von neunzehn Jahrhunderten zuschanden zu machen. Das Verschwinden der Kreuze ist nicht ohne Sinn. Unter ihnen hatte sich auch noch der eitelste Kriegsherr vor den Grenzen gebeugt, die menschlichen Ansprüchen gesetzt sind. Die neuen Herren aber erkennen keine höhere Obrigkeit an als ihre eigene; so gleichen sie in ihrer Hoffart den Pavianen.
Wie armselig waren die Massen, die ich sah und die auf dem Roten Platz «Stalin! Stalin! » schrien oder «Hitler! Hitler! » in der Wilhelmstraße oder «Duce! Duce! Duce!» in Rom ‑ sie schreien jetzt auch «Tito! Tito! Tito!» Seitdem die ersten Pöbelmassen «Gib uns Barabbas!» schrien, haben sie sich immer selbst von etwas Schlechtem zu etwas noch Schlimmerem gebrüllt.
Vor vierzig Jahren war die Politik eine recht sichere Beschäftigung, und die Aussicht auf ein ehrenwertes, friedvolles Ende war im Durchschnitt groß. Jetzt dagegen ist sie ein gefahrvolles Geschäft. Stalin hat fast alle alten Bolschewistenführer ermordet; Hitler liquidierte Hunderte von seinen Gefährten; der tote Mussolini wurde mit den Füßen nach oben von seinem eigenen Pöbel aufgehängt. Alles das aber wird eine neue Generation von Strandräubern nicht abschrecken. Das Rauschgift Macht ist zu verlockend, die unsichtbaren Drahtzieher sind zu mächtig.
Sie mögen zu Tausenden sterben, diese Emporkömmlinge, die der Fluch unseres Jahrhunderts sind, und der Pöbel zu Millionen. Die Bedauernswerten sind die anderen, jene, die den Versuch machen, an den christlichen Werten festzuhalten und den Pöbel vorüberrasen zu lassen, die aber in den Mahlstrom mit hineingerissen und von ihm weggefegt werden. Was können sie ausrichten gegen die Geheimpolizei, Brotkarten, Zwangsarbeit, den Angeber und die allmächtige Partei? Diese Opfer der Teufelsmaschine sind es, auf die vor allem mein Blick fällt, wenn ich auf die dreißiger Jahre zurückschaue. Die Überlebenden sehen heute ein Europa, das zwischen Hammer und Amboß liegt. Es kann nicht so bleiben, wie es ist, weder zivilisiert noch wild, weder ganz versklavt noch ganz frei. In der Finsternis der vierziger Jahre warten diese Millionen ‑ jetzt schon beinahe hoffnungslos auf die endgültige Entscheidung.
Wo sind meine Freunde aus den rauchigen dreißiger Jahren geblieben? Die meisten von ihnen sind verschwunden. Wo ist Nadja, die kleine Tänzerin, die mit mir im Little Rocket fuhr, mit mir in Budapest Crawlschwimmen lernte, mir zwischen den Binsen eines mecklenburgischen Sees ein Steak am Spieße briet, die ihre schlanke Linie den Pasteten in Brüssel opferte und ihren Wunsch, sie wieder zu gewinnen, den Cremeschnitten von Wien? Einmal hatte ich Nachricht von ihr, einen Brief von ihrer Hand, der eben noch aus Antwerpen herauskam, bevor die Deutschen dort einmarschierten. Ich sehe noch immer die letzten Worte: «Es geht mir schlecht. Deine Nadja.» ‑ Liebe, gute Nadja, ich fürchte, es ist dir noch schlechter ergangen, aber dein Lachen und die fröhlichen Augenblicke in einer sich verfinsternden Zeit bleiben ewig.
Seltsame Gesichter und Gestalten tauchen in jener bunt zusammengewürfelten, verworrenen, von Menschen überfüllten Straße auf, als die mir das wahnwitzige Europa der ausklingenden dreißiger Jahre erscheint. Da ist Charly Chaplin, der die Deutschen während des Ersten Weltkrieges im Film «Schultert die Gewehre!» verhöhnte und sie dann wiederum im zweiten Kriege mit dem «Diktator» verspottete? Da steht er vor dem Hotel Adlon in Berlin, umringt von jubelnden Deutschen und lacht übers ganze Gesicht. Die Zeit? Für ihn, zwischen zwei Filmen; für den Pöbel, zwischen zwei Kriegen; mit anderen Worten, die dreißiger Jahre. Wie sehr ähnelt er Hitler, der bald von derselben Stelle aus demselben Pöbel zugrinsen sollte! Nicht nur in der äußeren Erscheinung. In den kläglichen Herzen dieser beiden Clowns steckt das gleiche Selbstmißtrauen, dieselbe Abneigung gegen die sterbliche Menschheit. Der eine mit politischem Ehrgeiz zeigt es in seinen Filmen, der andere mit dem Ehrgeiz, ein Maler zu sein, zeigt es in seiner Politik.
In der Neunzehnhundertdreißiger Straße gab es neue Geräusche. In jeder Wohnung begannen kleine Kästen zu sprechen, und die Millionen, die ihnen lauschten, errieten kaum, wieviel Gift durch sie ihren Köpfen eingeträufelt wurde. Die Filme begannen zu sprechen. Ich sehe noch heute den «Blauen Engel» und Emil Jannings und Marlene Dietrich zusammen auf dem Kurfürstendamm. In den vierziger Jahren war Marlene immer noch Marlene, vielleicht ein wenig verfeinert, aber immer noch «von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt», immer noch ein wenig guttural, wenn sie amerikanische Soldaten mit ihrem Singen zum Sieg über Deutschland anfeuerte. (Vielleicht dachten die deutschen Soldaten an sie, wenn sie bekümmert die Weise von «Lili Marlen» vor sich hinsangen.) Wäre Jannings in Hollywood geblieben, dann hätte vielleicht auch er ‑ wer kann das wissen! nach Deutschland abkommandierte amerikanische Soldaten unterhalten, aber er blieb nicht, und als die Amerikaner einmarschierten, wurde er verhaftet, «geröstet» und der «Kollaboration» beschuldigt. Hatte er etwa nicht in deutschen Filmen mitgespielt? Warum war er nicht als ehrenwerter Mann in Kalifornien geblieben?
Unberechenbares Spiel des Schicksals, bei manchen grausam, bei anderen freundlich. Da sitzt die liebliche Lilian Harvey und lächelt mich durch ihr Film‑make‑up an. Sie tanzte durch die rauchigen dreißiger Jahre und durch den «Kongreß», der da «tanzte». Sie sah wie eine Engländerin aus, sprach englisch; ich glaube, ihrer Herkunft nach war sie Engländerin. Sie war der Liebling von allen, wenn sie in ihrem langen Tourenwagen mit dem melodischen Hornsignal über den Reichskanzlerplatz fuhr, und schöpfte vermutlich keinen Verdacht, als er in «Adolf‑Hitler Platz» umgetauft wurde, daß das den Ruin bedeutete. Aber ich vermute, das hat es für sie bedeutet, denn damals war sie eine reiche Frau ‑ und wurde dann doch von dem großen Wirbelwind beiseite geschleudert und tauchte in den vierziger Jahren mit einemmal gebrechlich und kränklich in einem Pariser Music‑Hall auf. Sie war froh, «wieder bei der Arbeit zu sein», sagte sie, und die Zeitungen machten «eine story» aus ihr ‑ für einen Tag.
Wunderlich genug verhätschelten die dreißiger Jahre die Publikums‑Idole, um die herum der Pöbel sich scharte. Da geht Bunny Austin, um für England auf dem Tennisplatz des Rot‑Weiß Clubs im Grunewald zu spielen ‑ und nachher zu einem wunderlichen, unvorhersehbaren Stelldichein mit der «Moralischen Aufrüstung» irgendwo in Amerika. Die Massen liebten es, sich in solchen Helden selbst zu vergessen und zu bewundern. Sie strömten zusammen, um zwei andere Helden des Tages zu bejubeln, den Amerikaner Tilden und den Deutschen von Cramm. (In den vierziger Jahren traten diese beiden männlichen Figuren aus dem Sonnenschein der öffentlichen Bewunderung in eine vorwurfsvolle Vergessenheit zurück.) Da geht durch die Tauentzienstraße, damals noch unbekannt, der aufsteigende junge Schriftsteller Christopher Isherwood (die vierziger Jahre werden auch ihn in Amerika finden), und neben ihm schreiten die Gestalten aus seinen Büchern: der parfümierte, perückentragende Mister Norris, die sich selbst verschwendende englische Courtisane Sally.
Und dort, in der Ringstraße, ist der König von England! Seine Geschichte lieferte damals den einen noch fehlenden Stein zur griechischen Mustertragödie Europas in den dreißiger Jahren. Wie verhängnisvoll, dachte ich: Wenn der Sturm ausbricht, wird das britische Volk auf seinem Thron einen Mann benötigen, der derart vollkommen die Ergebenheit der ganzen, großen, über die Welt verstreuten Völkerfamilie auf sich vereinigt. Es hielt damals schwer, irgendwo Gottes Hand zu erblicken. In den vierziger Jahren jedoch konnte das britische Volk wieder gewahren, daß es eine Gottheit gibt, die unser aller Geschicke lenkt. Der neue König, der mit keinem einzigen der riesigen Vorteile seines Bruders angefangen hatte, stärkte einzig und allein durch sein stilles, schlichtes Beispiel das Gefühl der Einheit in der weithin verstreuten britischen Völkerfamilie.
Die Günstlinge der öffentlichen Meinung wurden aufgegriffen, herumgezerrt, weggeworfen; sie genossen nicht das ruhige, stete Ansehen früherer Favoriten. Da, durch die Rue de la Paix, geht ein junger Bursche, Lindbergh. Er hatte nur wenig Ahnung von den Stürmen, denen er entgegenging, als er den atlantischen Stürmen entgegenflog. Der Pöbel, um den der Rauch dichter und dichter wurde, klammerte sich an dieses Traumbild seiner selbst: Ein goldener Jüngling, mit vom Winde verwühltem Haar, der alle Zufälle besiegte und sicher jenes Paris erreichte, wohin alle guten Amerikaner reisen, wenn sie fliegen. Die Anbetung der Massen umbrandete ihn.
Der Held wurde der Gefangene des Pöbels; nie mehr sollte er seine eigene Seele besitzen dürfen; wenn er diesen Sturm meistern wollte, mußte er dem Pöbel folgen. Er flog hierhin und dorthin und überall. Alles, was er sagte, war wichtig ‑ wenn es das war, was der Pöbel sich wünschte. Dieses plötzliche Herumreisen öffnete ihm den Sinn für die Angelegenheiten dieser Welt, und er bildete sich seine eigenen Meinungen. Das war genug, oder besser, das war zuviel. Er war «ein Faschist»! Daß ein Deutscher seinen kleinen Sohn ermordete, brachte ihm nicht die Gunst des Pöbels ein, als er rief: «Bleibt aus dem Krieg gegen Deutschland!»
Menschen, die sich Ansichten über Europa bilden, ohne es gründlich zu kennen, irren sich meistens, und auch er irrte sich, als er meinte, «Faschismus» und «Kommunismus», allein miteinander gelassen, würden sich gegenseitig vernichten. Das war nicht «im Plan» enthalten. Jetzt, in den vierziger Jahren, mag er auf dem halben Wege zur Wahrheit sein, wenn er seinen Landsleuten sagt: «Geht nach Europa und gebietet dem Kommunismus Halt.» Die ganze Wahrheit dieser dreißig Jahre jedoch ist, daß ein Präsident Roosevelt für Amerika gefährlicher ist als Faschismus, Kommunismus oder irgend eine neue Waffe.
Hier folgt noch ein seltsames Bild aus den rauchigen dreißiger Jahren: Ramsay MacDonald, der mit seinem sozialistischen Parteigenossen Sir Oswald Mosley zur Seite die Deutschen im Reichstag vor einem Angriff gegen Polen warnt. Das geschah noch vor Hitlers Machtergreifung! In der Rückschau bin ich stolz über diese Begebenheit. Hat er den Sozialismus «verraten»? Wir wissen heute weit mehr über das kommunistische Reich und wünschen uns noch solch einen «Verräter», viel lieber als die versteckte kommunistische Vorherrschaft in der britischen Labour‑Partei, die in den vierziger Jahren solche Verheerungen in England angerichtet hat. Das ist ein weit schlimmerer «Verrat» an England als alles, was dieser Sozialist jemals getan hat. In den vierziger Jahren schneiden diejenigen, die am lautesten gegen den «renegaten Parteiführer» hetzten, bei einem Vergleich mit ihm schlecht ab.
Und der wohlhabende Baronet an seiner Seite? Seine Gestalt war damals schon scharf umrissen. Der reiche Mann unter unseren Sozialisten gehört genau so zur Tagesordnung wie der amerikanische Millionär unter den Kommunisten. Der Rauch der dreißiger Jahre muß ihm den Blick getrübt haben, daß er es fertig brachte, die Worte «britisch» und «faschistisch» miteinander zu verbinden. Man kann sich ebensowenig eine britische Ogpu, eine britische Gestapo, einen britischen Nazi oder einen britischen Kommunisten denken, falls England weiterbestehen soll, wie einen Pastor mit dem Bocksgehörn des Teufels.
Viele andere Menschen sind mir begegnet, die in meinen Augen damals, in den rauchigen dreißiger Jahren, noch keine endgültige Gestalt besaßen, aber die sie heute gewinnen. Ich wußte nur in den seltensten Fällen und kümmerte mich auch nicht darum, welche Politik sie trieben; sie bekundeten den gleichen Abscheu wie ich gegen «die Nazis«, und ich nahm es damals als selbstverständlich an, daß sie logischerweise den Kommunismus genau so verabscheuten. Ich haßte ja nicht ihre Namen; ich haßte, was beide taten.
Ich habe mich, wie ich jetzt sehe, in dieser Annahme häufig geirrt. Ich saß mit einem Mister John Strachey in einem Wiener Kaffee und schimpfte mit ihm über «die Nazis». Er war für mich nicht mehr als ein Name. Ich wußte nicht, daß er (damals) ein führender Kommunist war und daß er von der Invergordon‑Meuterei in den dreißiger Jahren geschrieben hatte, «sie offenbare den wahren Geist des britischen Seemanns», oder «von einer Union von Sowjetrepubliken, die bis an den Rhein reicht», oder «daß sich das Schwergewichts‑Zentrum des Weltkommunismus von Moskau westwärts nach Berlin verlagere». Hätte ich damals dergleichen von ihm gelesen, dann hätte ich ihm klargemacht, daß solche Zukunftsaussichten genau so schlimm wären wie die von einem Nazi-Weltreich, das bis an den Ural reichte, mit dem Schwergewichts-Zentrum des Welt‑Nationalsozialismus ostwärts von Berlin nach Moskau verlagert, und daß es ein Unsinn wäre, das eine zu befürworten und das andere zu verlästern. Ich konnte in jener Nacht in Wien nicht erraten, daß diese schattenhafte Bekanntschaft während des folgenden Jahrzehntes Versorgungsminister in Großbritannien werden und mit Hilfe der Landesverteidigungs‑Verordnung eines überstandenen Krieges Brotkarten auf dieser Insel einführen würde. Wäre ich solch ein Hellseher gewesen, dann hätte ich den Einwand erhoben, daß despotische Macht über das tägliche Brot eines Volkes ‑ unter welchem Namen auch immer das unverkennbare Merkmal der Diktatur ist, und hätte ihn gefragt, was er denn eigentlich am Nationalsozialismus auszusetzen hätte.
Dann gab es da noch einen gewissen Mr. Richard Crossmann, der in den dreißiger Jahren in Deutschland herumreiste und ganz ähnlich über «die Nazis» schimpfte. Er schien ein leicht lispelnder junger Professor zu sein, angenehm im Umgang, aber ein wenig nebulos. Als der Krieg ausbrach, war ich erstaunt, Nacht für Nacht seine Stimme zu hören, wenn er den deutschen Arbeiter aufforderte, sich Hitlers zu entledigen. Er und die «Professoretten», die ähnliche feurige Botschaften im Radio erließen, waren nicht Arbeiter und Arbeiterinnen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber. Warum dieses künstliche Hervorheben der «arbeitenden Klassen»? Als der Krieg vorbei war, beeilte diese Stimme sich, so laut «Verständnis» für die Sowjetmacht zu fordern, wie andere es für den wohlmeinenden Hitler getan hatten, und wieder einmal begriff ich diesen Respekt vor dem Teufel in Rot, gepaart mit dem Haß gegen den Teufel in Braun, nicht, ebenso wenig wie sein Plädoyer für «Notverordnungen» in England bei seinem gleichzeitigen Abscheu gegen die Diktatur in Deutschland.
Wahrhaftig, die Menschen in den dreißiger Jahren waren selten das, wofür ich sie hielt, und in den Vierzigern nahmen sie häufig Umrisse an, die weit verschieden von allem waren, was ich mir bei unsern Gesprächen vorgestellt hatte. In Genf zum Beispiel gab es eine eher blasse, undeutliche Figur, einen gewissen Konrad Zilliacus. Ich machte mir manchmal Gedanken über seinen ungewöhnlichen Namen und seine Herkunft. Der Völkerbund brauchte sprachkundige Männer, nahm ich an, und folglich war er dort. Und wäre mein Leben davon abgehangen, ich hätte nicht erraten können, daß er zehn Jahre später mit einer Mehrheit von 19 000 Stimmen in seinem Wahlkreis ins Unterhaus gewählt würde, oder daß dieser Feind alles Faschistischen einmal als Apologet alles Kommunistischen berühmt werden sollte. Ich habe das niemals begriffen und werde es auch in Zukunft nie begreifen.
Ich kenne einige Männer in den dreißiger Jahren, deren Überzeugungen klar waren. Sie haßten beide Teufel und starben für gewöhnlich. Hier sind zwei von ihnen: Grada Kosomaritsch, ein Serbe, und Sima Franzen, ein Kroate, beides jugoslawische Journalisten. Kosomaritsch, der während des Ersten Weltkrieges nach England entfloh und in Oxford studierte, war lange Zeit Korrespondent der «Times» in Belgrad. Der balkanische Mensch hat häufig einen weiteren Blick als der Westeuropäer; vielleicht haben ihm die fünf Jahrhunderte der Türkenherrschaft seinen Blick geschärft. Kosomaritsch bekämpfte in seiner Jugend die Deutschen in seiner serbischen Heimat und haßte die Nazis, ihre Erben. Aber er sah klar, daß der Faschismus nur ein Deckmantel für den Kommunismus war. Ich erkannte das damals nicht, und wir hatten viele Dispute miteinander. Weil er den Kommunismus haßte, wurde Kosomaritsch als «Faschist» diffamiert; als die Nazis in Belgrad einmarschierten, töteten sie ihn. (Er war überzeugt, daß der Mord an König Alexander in Marseille ein Werk der Kommunisten war; jetzt, da die Pläne eines kommunistischen Weltreiches bis zur Adria und darüber hinaus zu Tage getreten und die damals unbekannten Männer, die für diese Zwecke in Rußland geschult wurden, aufgetaucht sind, ist das Weitsichtige seiner Betrachtungsweise ganz evident.)
Sein Kollege Franzen war mit mir zusammen im Jahre 1938 in der Tschechoslowakei und half mir bei meinen Versuchen, die Flüchtlinge ‑ meistens Juden ‑ vor den heranmarschierenden Deutschen zu retten. Nachher wurde er als «Kommunist» verschrieen, obschon er die unteilbare Einheit von Faschismus und Kommunismus erkannt hatte und beide haßte. Als die Sowjets in Belgrad einmarschierten, wurde er erschossen.
Die dreißiger Jahre waren die goldene Zeit für den Scharlatan und den Banditen. Die Vierziger, die sich als noch geeigneter für Betrug und Gewalttätigkeit erweisen sollten, standen noch bevor (und die Fünfziger, die wohl eine noch reichere Ernte erbringen mögen, sind noch ungeboren). Massen von menschlichen Wesen zeigten, daß bei ihnen die Zivilisation Europas nicht einmal bis unter die Haut gedrungen war; sie war nur eine waffeldünne Schicht über den tierischen Instinkten, und die Diktatur wußte, wie sie diese Schicht beseitigen konnte. Der Pöbel schritt blindlings zur Reaktion in ihrer widerwärtigsten Form, wenn sie die Züge von Marx, Lenin oder Hitler trug und die Maske des «gemeinen Mannes» oder der «arbeitenden Klassen» anlegte. Die großen Geister der Zivilisation, angefangen vom Nazarener bis zu Shakespeare, von da Vinci bis zu Goethe, hatten in zweitausend Jahren der Geschichte auf die geistige Verfassung des Pöbels kaum eingewirkt. Immer noch war die Menschheit eine Kröte, mit der Krone der Humanität auf der Stirn; aber die Kröte hatte sich noch nicht in einen schönen Prinzen verwandelt.
Ein Pandemonium von Menschen und Maschinen war der «Jahrmarkt des Wahnsinns» in den rauchigen dreißiger Jahren. Ich sehe noch das erste Raketenauto auf der Avus bei Berlin, verfolgt von den Blicken deutscher Generalstabsoffiziere mit dem verbotenen roten Streifen auf den Hosen. Meine nüchternen, englischen Kollegen lächelten über mein lebhaftes Interesse an diesem Spielzeug. Ich verfolgte begierig jede leiseste Andeutung von Neuigkeiten auf dem Gebiet des Raketenantriebs. Da gab es einen Mann, der den Ehrgeiz hatte, eine befrachtete Rakete herzustellen, die ihre Last innerhalb eines vorgeschriebenen Gebietes abwarf. Es war die Rede von einer experimentellen «Post‑Rakete» nach Amerika, und als ich darüber einen Bericht schrieb, machte mir ein Freund (der im späteren Krieg ein höherer Offizier des Intelligence‑Service der RAF war) Vorwürfe, daß ich die Spalten der Times für einen solchen «Unsinn» verschwendete.
In den vierziger Jahren aber dachte ich wieder an das Raketenauto mit seinem feurigen Schweif zurück, als ich aus dem Fenster eines Landhauses in Sussex lehnte und die ersten Raketengeschoße, mit ihrem feurigen Schweif, über die Dünen hinweg Richtung London fliegen sah. Ein Zeitungskorrespondent im Ausland kann, wenn man es ihm erlaubt, seinem Lande gute Dienste tun.
Die Neunzehnhundertdreißiger‑Jahre scheinen mir die zehn schlimmsten und schicksalsschwangersten Jahre in den zwanzig Jahrhunderten unserer emporsteigenden Zivilisation gewesen zu sein. Was immer es mit den zeitweiligen Rückschlägen auf sich haben mochte ‑ die Hauptzielrichtung war stets klar gewesen, sie bewegte sich aufwärts. In jenen zehn Jahren aber wurden ungeheure Rückzugsgefechte ausgekämpft, und sehr wenigen Menschen ist auch jetzt noch aufgegangen, wieviel in jenem Jahrzehnt verloren gegangen ist. Als die dreißiger Jahre begannen, waren die christlichen Prinzipien von Freiheit und Recht mehr oder weniger noch überall in Europa in Geltung, ausgenommen in dem kleinen Zipfel des asiatischen Rußlands, den die Landkarte Europa zuzählt. Als sie zu Ende gingen, waren ungesetzliche Einkerkerung, Tortur und Tod, Massen‑Deportation und Massen‑Entvölkerung die Regierungsmethoden in drei Vierteln des Kontinents. Die Herrscher des eingekerkerten Rußlands und des eingekerkerten Deutschlands reichten einander die Hand, um dieses Pestreich zu erweitern, bis es beinahe ganz Europa verseucht hatte.
Die Dreißiger! Wie doch die Herde, vom 19. Jahrhundert auf die schöne Weide eines freien Lebens entlassen, dahinstürmte, um die abschüssigen Ufer von Gadarea wiederzufinden! Wie schwächlich waren die großen Männer. Viele von ihnen schrieen ‑ «Der Wolf ist los!» ‑ nur weil sie selber eine wölfische Rolle spielen wollten. Selten war der Mann (und ist es heute noch), der standhaft auf den Grundsätzen des Neuen Testamentes, der britischen Rechtspflege, der amerikanischen Verfassung beharrte, unbekümmert welche Seite in dem Wirrwarr des Tages die Oberhand zu gewinnen schien.
Als der Rauch der dreißiger Jahre sich in die Flammen der Vierziger wandelte und der Tanz der Marionetten immer schneller und besessener wurde, gab der Weise des Jahrhunderts dem Ganzen seinen letzten Segen. Als die beiden antichristlichen Führer sich die Hand reichten, um Europa zu zerstören, rief Bernard Shaw, wenige Augenblicke bevor sie vereint über Polen herfielen: «Hitler hat sich unter den starken Daumen Stalins begeben, und dessen Friedenswille ist überwältigend.» Das war der passende Abschluß für die wahnsinnigen dreißiger Jahre.

ZWEITES BUCH

Feuer 1940 ‑ 1945

Ein warmer Septemberabend
Die finstere Wolke, die über unserem Jahrhundert lagert, verflog plötzlich für mich (traurige Illusion!) an einem Herbstabend des Jahres 1940, als ich auf der Straße von Bedford nach London kam. Die ersten neun Monate der vierziger Jahre waren von unerträglicher Ungewißheit. An jenem Abend füllte sich der schweigende, unheilschwangere Himmel mit einemmal mit dahingleitenden Lichtstreifen wie Sonnenlicht auf Libellenflügeln, mit weißen Lichtkegeln und dem Lärm des Kampfes. Flugzeuge stürzten ab, eins von ihnen so nahe, daß ich schwarze Kreuze sah. Die Schlacht war endlich im Gange, und mit einemmal wußte ich, daß wir sie gewinnen würden. Die vierziger Jahre, das ganze zwanzigste Jahrhundert lichtete sich.
Einige Tage stehen mir leuchtend in der Erinnerung wie Miniaturen in einer alten Handschrift. Ich begann einen von ihnen in Bedford und dachte da an John Bunyans lange Gefängnishaft bei der Brücke. In Gefängnissen schrieb er «Die Pilgerreise», (durch den «Jahrmarkt der Eitelkeit») und «Fülle der Gnade». In dem Gefängnis der Seele, das die dreißiger Jahre für mich waren, schrieb ich Bücher, die ich «Der Jahrmarkt des Wahnsinns» und «Schande im Überfluß» nannte. Ich betrachtete seinen Kerker und versuchte, alle die englischen Schriftsteller zu zählen, deren Los es von seiner Zeit bis zur Gegenwart gewesen war, Verfolgung zu leiden. Ich empfand einen krankhaften Haß gegen meine eigene Zeit. Dann fielen mir seine Worte ein: «Eine Burg, genannt die Zweifelsburg, deren Herr der Riese Verzweiflung war» … Ich entbot ihm meinen Gruß, schüttelte meine finstere Laune ab und stieg wieder in meinen Wagen. Gott segne dich, alter John, dachte ich, als ich londonwärts fuhr. Ich bedachte meine eigenen Segnungen. Ich war nicht im Gefängnis, obschon es Leute gab, die mich gerne da gesehen hätten. Meine Begleiterin war das entzückendste Wesen, das ich je gekannt habe. Mein Wagen war einzigartig in seiner schlanken Anmut und Kraft. Ich hatte ihn mir nach Dünkirchen gekauft und mir dabei gedacht: Wenigstens werde ich dieses schöne Wesen ein paar Meilen steuern, bevor die Nacht hereinbricht. Er war lang und niedrig und von einem Blau, das mit dem Schal um die Haare meiner Begleiterin, ihren Augen und dem Himmel über uns harmonierte. Sie hatte nie in ihrem Leben Bunyan gelesen, und doch war sie in ihren eigenen Worten sein Echo, als sie den Mann tadelte, «der mit einer Mistforke in den Händen immer nur zu Boden blickt». Es hielt damals schwer, das nicht zu tun.
So hatte ich Bedford kaum hinter mir gelassen, als ich mich als der Glücklichste unter den Lebenden fühlte. Wahrhaftig, ich gelangte auf eine köstliche Ebene, Wohlbefinden genannt, und erging mich darin mit Zufriedenheit ‑ aber diese Ebene war sehr schmal. Plötzlich standen wir vor einer Szenerie, die sich meiner Erinnerung scharf eingeprägt hat.
Neben der Landstraße lag ein großer Flugplatz mit einer Menge Maschinen darauf und großen Gebäuden, die sich schwarz gegen den grünen Rasen abhoben. Es war Alarm gegeben worden, und in Gruppen zu dritt oder zu viert standen Soldaten über das sonnige Feld verstreut und blickten in angespannter Wachsamkeit zum Himmel und gen Süden. Weshalb Alarm gegeben worden war, weiß ich nicht, vielleicht erwartete man einen Bomberangriff oder eine Fallschirmjäger‑Landung. In dieser Frühzeit der Flugplatzverteidigung waren Unteroffiziere und Sergeanten die einzigen, glaube ich, die Munition für ihre Gewehre besaßen. Noch nie hatte ich ein so ansteckendes Empfinden von Gefahr verspürt und auch noch niemals soviele Männer in erstarrter Stellung dastehen sehen. Kein Glied regte sich und kein Kopf wandte sich um, als unser blauer Wagen vorbeisauste, und bald fuhren wir abermals zwischen leeren, friedlichen Feldern dahin. Aber das wenige, das wir gesehen hatten, sagte mir, was vor uns lag: der Kampf über London.
London! Diese Stadt ist allen Menschen alles oder sie trägt für jeden je nach seiner Stimmung ein anderes Gesicht. Ein großes Krebsgeschwür, wie Cobbeut dachte, als er aus der Stadt ritt und zurückschaute ‑ aber er sah dabei nicht London, sondern eher das Böse, das sich in dem kommenden Jahrhundert zusammenbraute. «Die Hölle ist eine ganz ähnliche Stadt wie London», lautete Shelleys Verdammungsurteil. «Ein Mann, der London satt hat, hat das Leben satt», predigte Johnson. «London ist ein modernes Babylon», stellte Disraeli verbindlich fest, weil sein östliches Denken in falschen orientalischen Bildern schwelgte. «London ist das Rom von Heute», entschied Ralph Waldo Emerson.
Rom ‑ das kommt der Sache näher, aber doch nicht genau, denn es gibt nichts wie London. Paulus war der Gefangene Roms; aber die St. Pauls‑Kathedrale krönt die Londoner City, und noch stolzer, seitdem die Flammen ihre Kuppel verschonten. Mir bietet auch Rom keinen schöneren Anblick als den, den ein Mensch genießt, der heute von Waterloo‑Bridge über die Themse auf St. Paul blickt. Die Vorsehung ist der meisterlichste Städteplaner und bedient sich geschickt der Heimsuchungen und Häßlichkeiten, um solch ein Stadtbild zu schaffen. Jahrhunderte lang plackten Menschen sich damit ab, London zu erbauen, und doch bedurfte es einer Seuche, zweier großer Feuersbrünste, einer Riesen‑Hand‑voll Bomben und zahlloser anderer von Menschenhand oder von Naturkräften gewirkter Unglücke, um diese vollkommene Symphonie der Umrisse und lichten Zwischenräume, der Kuppeln und Spitzen, der Dächer und Flußwasser, des Himmels, der Bäume, der Brücken und Barken zustandezubringen. Mögen Turner und Canaletto einem jungen Maler, der jetzt seine Palette mischt, ihr Auge vererben, um die Schönheit dieses Augenblicks in Londons Geschichte einzufangen.
Ein gebürtiger Londoner, der in solch einer Nacht nach London kam, tut gut daran, sich die Worte eines anderen gebürtigen Londoners zu borgen, der vor vierhundert Jahren schrieb: «Zu guter Letzt sie alle doch zum fröhlichen London kamen, zum fröhlichen London, meiner zärtlichsten Beschützerin, die mir dieses Lebens erste heimatliche Gaben bot.» Wenn Fröhlichkeit ein stiller Mut auch unter tödlichen Bedrohungen ist, dann war London an jenem Abend so fröhlich wie zu den Zeiten, da Edmund Spenser schrieb.
Ich kenne einige von den jungen Männern, die in jener Nacht über London mit dem Drachen kämpften. Es ist ein Jammer, daß solch leuchtende Augenblicke wie die im September 1940 nicht auf die unverrückbare Mauer der Zeiten festgeheftet werden können, sondern mit dem dahinfliegenden Leben davongetragen werden. Aber ihre Farben stehen mir doch immer leuchtend vor Augen, und nicht weil ich die Sonne auf dem Goldenen Vließ oder auf spanischen Schiffsleibern blinken oder Nelsons Signal flattern sehe, oder Neys prachtvolle Kavallerie‑Attacken oder Spitfires über London, sondern aus einem ganz anderen Grunde. In jedem dieser Augenblicke sehe ich, wie sich die Augen und Herzen von Männern in weiter Ferne England zuwenden. Jedesmal, wenn wir solch einen Kampf gewinnen, wird die Hoffnung in ihnen wiedergeboren.
Ich kenne diese Männer, für die das Wort England bedeutet, daß es da irgendwo in der Ferne ein kleines Land gibt, dem es gelungen ist, seine Freiheiten von Jahrhundert zu Jahrhundert zu gewinnen, zu erweitern und zu vertiefen. Ihre Hoffnung stirbt nur, wenn wir kapitulieren. Pitt erfaßte diese Wurzel der Wahrheit, als er nach Trafalgar sagte: «England hat sich durch seine Anstrengungen gerettet und wird Europa durch sein Beispiel retten.» Ich kenne einen Mann, der in einer Stadt auf dem Balkan, in Novi Sad, war, kurz bevor die Deutschen dort einmarschierten. Er sah dort Bauern, die keine Ahnung davon hatten, daß ein Engländer unter ihnen weilte, auf England und dann auf Churchill trinken. Diese Menschen wurden später grausam in ihren Hoffnungen getäuscht und konnten uns dafür anklagen, und doch, wette ich, richten sich ihre Blicke auch heute, wie immer, auf England. Sie wissen, daß Staatsmänner Fehler begehen, aber daß wir bis jetzt noch niemals den Fehler der Kapitulation begangen haben; daß, wenn wir überleben, auch die Hoffnung überlebt, und sei es auch nur für die Enkel ihrer Enkel.
Alles das sah ich hinter der Schlacht über London. Wir kennen heute die Worte, die Churchill gebrauchte, als er zum ersten Male seine Tory‑, Sozialisten‑ und Liberalen‑Minister um sich versammelte. Zu unserem Gewinn hat ein sozialistischer Gegner sie nach seinem Sturz enthüllt. «Wir müssen weiterkämpfen, und wenn die lange Geschichte unserer Insel einmal enden muß, dann ‑ sage ich ‑ darf sie nur zu Ende sein, wenn jeder von uns in seinem eigenen Blut am Boden liegt.» Ein sozialistischer Geistlicher hat uns die Worte überliefert, die Churchill nach seiner Radio‑Botschaft über den «Kampf auf den Klippen» an das englische Volk privatim äußerte: «Wir werden sie mit Bierflaschen auf den Kopf schlagen, das einzige, was uns noch übrig geblieben ist! » Dieser seltene und nicht zu porträtierende Mann sollte sieben Jahre nach jenem Sommer seine Geschichte des Zweiten Weltkrieges in klassischem Englisch schreiben und unter einem nom de pinceau Bilder malen, würdig, die Wände der Royal Academy zu schmücken. Erstaunliches Leben, das wie gemalte Scheiben mit den Jahren an Farbigkeit gewinnt.
An jenem Abend verfolgte er, die Zigarre im Mund, den Ablauf der Schlacht, die sich über seinem Haupte abspielte. Es war keine entscheidende Schlacht, denn solche gibt es nicht, aber es war eine von den größten, die sich je abgespielt haben. Es war nicht wie Waterloo eine, die Europa ein Jahrhundert eines gesicherten, voraussehbaren Fortschritts beschied. Ich glaube, die Fehler, die er später beging, waren mit ein Grund dafür, aber wir müssen noch seine Darstellung des Ganzen abwarten. Nicht einmal die düsteren Folgen können die Farben jenes leuchtenden Augenblicks verdunkeln, dessen heroischer Genius er war. Die vierziger Jahre nahmen einen guten Anfang mit ihm, und wenn alles gut ist, was gut anfängt, und wir die in der Folge begangenen Fehler noch gut zu machen vermögen, dann könnte dieser Augenblick das Gesicht unserer Welt für das nächste Jahrhundert bestimmen.
Doch wie auch immer es sich mit der Zukunft verhalten mag ‑ ein Mensch, der in diesem Augenblick nach London kam, konnte nie und nimmer wünschen, an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit zu leben. Es gibt viele große Städte, aber nur wenige Weltstädte. London war damals die größte und welthafteste. Es lag völlig allein unter dem weitoffenen Himmel, ohne zu bangen und, glaube ich, nicht sonderlich erregt. Seine Millionen gingen ruhig ihren Beschäftigungen nach. Disraeli nannte London fälschlich: «Ein Volk ‑ aber nicht eine Stadt»; in jener Nacht jedoch war es das einzig wahrhafte Volk in der Welt: ein Volk freier Menschen allüberall.
Unter all dem Getöse lag eine erfrischende geistige Ruhe und ein aufrechter Stolz. Zum ersten Male seit vielen Jahren wurde mir das Herz weit, als wir bei Regent’s Park anhielten und zuschauten. «Der Stolz von London ist in unsere Hände gelegt worden», lauteten die angemessenen Worte eines anderen Londoners, Noel Cowards, für diesen Augenblick.
Als der Himmel dunkelte und der Kampf abebbte, fuhren wir glücklich erregt weiter über den Portland Place. «Ich glaube, die sind daran, ihnen die Zähne auszubrechen», sagte ich. «Natürlich», sagte sie. Vor meinem Hotel öffnete ein unerschütterlicher Portier den Wagen. «Guten Abend, Sir», sagte er nur, wie an jedem anderen Abend. Er ist heute noch dort, in derselben Uniform mit den Auszeichnungen des ersten Krieges, obschon ihm jetzt ein Auge fehlt, das später eine Bombe von ihm auf diesem Posten forderte. Sieben Jahre später mag er sich gefragt haben: «Ging dieser Kampf um die Freiheit?» und darauf geantwortet haben: «Mein Auge ging dabei drauf … »
An jenem Abend jedoch war es noch weit, bis die dunklen Wolken wieder heraufzogen. Das zwanzigste Jahrhundert schien sich endlich aufgehellt zu haben. «Ja, wirklich ein guter Abend», sagte ich und half meiner Begleiterin hinaus. Wir waren dabei, die Schlacht zu gewinnen; sie war entzückend; es war September; ein wolkenloser Abend; es war warm.

II. Der heimliche Krieg

Vor knapp sechs Jahren marschierten die Millionen, sie hatten keine Ahnung, wohin, und die Massen brachen auf zur Flucht, sie wußten nicht, wovor und welchem Schicksal entgegen. Dann war der Krieg mit den Waffen zu Ende. Die Feindseligkeiten aber nahmen ihren Fortgang. Der Zweite Weltkrieg, das Pendant des Ersten, ging weiter; genau gesagt: der eine große Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts datierte weiter, und sein Ausgang ist immer noch ungewiß. Immer noch hängt von seinem Ausgang die Zerstörung oder der Fortbestand Europas ab. Die Schwätzer, die davon anfingen, daß «ein zweiter Weltkrieg» oder gar «ein dritter Weltkrieg» das Ende bedeuten würde, hätten ebensogut sagen können, das Haus, in dem sie lebten, wäre «das Ende».
Vermutlich war dies der größte Betrug, den man je an der Menschheit verübt hat. Die Beendigung des Krieges mit den Waffen führte für Europa nur einen Zustand des getarnten Krieges herbei, der schon seit 1936 gedauert hatte, als Hitler das Rheinland besetzte, bis zum Jahre 1939, als er zur offenen Auseinandersetzung mit den Waffen geworden war. Aus dem Rauch gingen wir nur durch das Feuer ‑ in den Qualm. Die Besetzung der Länder fremder Völker mit Waffengewalt und die Einsetzung von Marionettenregierungen in ihnen wurde entgolten; die Zahl der Versklavten wurde nur noch größer und ihre Lage nur noch hoffnungsloser als früher. Die großen Befreiernationen ‑ Großbritannien und die Vereinigten Staaten (oder die Männer, die während des Krieges über sie herrschten) benutzten ihre Macht, um das zustande zu bringen. Bevor der Kriegszustand im Jahre 1939 zum bewaffneten Konflikt wurde, hatte Deutschland Österreich und die Tschechoslowakei, und Italien Albanien annektiert. Und als der bewaffnete Konflikt 1945 wieder zum getarnten Kriege wurde, hatte das kommunistische Rußland de facto Polen, Litauen, Lettland, Estland, Bulgarien, Jugoslawien, Albanien, Ungarn, Rumänien, einen Teil von Finnland und der Tschechoslowakei annektiert und beherrschte durch seine Armeen die übrige Tschechoslowakei und die Hälfte von Deutschland.
Als der «Ende‑Feuer!»‑Befehl gegeben wurde, war das Ziel: die Zerstörung Europas und des Christentums, mit britischer und amerikanischer Hilfe beträchtlich näher gerückt, und das Schicksal des übrigen Europas beruhte auf dem weiteren Verlauf der Feindseligkeiten. Der heimliche Krieg, der politische Krieg, war dem sichtbaren Krieg entgegengelaufen wie eine Lokomotive auf einem anderen Geleise.
Dieser Richtungswechsel der wahren Ziele des Krieges erfolgte, nachdem das kommunistische Rußland und die Vereinigten Staaten durch den deutsch‑japanischen Angriff im Jahre 1941 in den Krieg eingetreten waren. Mir ging das im Jahre 1942 auf, und von diesem Augenblicke an verfolgte ich den Weg unserer Armeen in dem großen Waffengang mit einem Gefühl von Mitleid und Sinnlosigkeit. Aber das war falsch, denn sie errangen doch jenes Unbezahlbare, daß wir überlebten, was uns auch jetzt noch immer die Gelegenheit gibt, den Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts zu gewinnen. Verlieren wir ihn, dann liegt die Schuld bei uns, den Überlebenden!
Zwischen 1938 und 1943 schrieb ich jährlich ein Buch. Bis zu «Alle unsere Morgen» (verlegt 1942) fürchtete ich nur eins: daß der Sieg von 1940 dadurch zunichte gemacht würde, daß man Deutschland gestattete, einen dritten Krieg anzuzetteln. In «Falls wir es bedauern sollten» (geschrieben im Frühjahr 1943) hatte ich die großen Schachzüge hinter dem Krieg der Waffen entdeckt: ein Riese wurde da mit Waffen unterstützt und mit territorialen Abtretungen ermutigt, doch diesmal war es ein anderer: das kommunistische Rußland. Damals schrieb ich: «Unsere Ehre steht und fällt mit Polen. Wir können unmöglich in seine Teilung einwilligen. Wir können nicht Europa ausliefern, weder an Deutschland noch an Rußland, ohne uns damit selber auszuliefern. Kämpfen wir denn diesen Krieg nur für ein zweites München? »
Nach 1943 schrieb ich kein neues Buch mehr. Es wäre nutzlos gewesen, ja vielleicht unmöglich, die riesige Maschinerie der Kriegspropaganda herauszufordern. Die niederschmetternde und einschüchternde Macht der Massenpropaganda auf die Gemüter der Masse ist bedenklich; die Macht des Denkens scheint zuweilen beinahe ausgestorben bei den Menschen. Aber trotz allem war den wenigen Wissenden und Erfahrenen klar, daß die Schachzüge von 1942 und der folgenden Jahre Europa nach dem errungenen «Siege» in einem Zustand des getarnten Krieges, der Feindseligkeiten ohne Austragung mit den Waffen, belassen würden, der auch jetzt, da ich dieses schreibe, andauert. . . .
Die großen Schachzüge hinter dem Krieg mit den Waffen waren vor allem zwei: das britisch‑amerikanische Übereinkommen, dem kommunistischen Rußland die Hälfte von Polen abzutreten (also genau das, was Hitler getan hatte), und die britisch-amerikanische Aufrichtung einer kommunistischen Diktatur in Jugoslawien. Das bedeutete, daß damals ‑1942/43 ‑ jener «Eiserne Vorhang» vorbereitet wurde, der sich heute quer durch Mitteleuropa zieht und über den man sich in Amerika so stürmisch und in diesem Lande weniger laut beklagt.
Ein Blick auf die Karte zeigt, was das bedeutet. Das bedeutete, daß das ganze Gebiet hinter dieser Linie lediglich aus der Hand Nazideutschlands in die Hand des kommunistischen Rußlands wandern würde. Wie groß dieses Gebiet werden sollte, hing einzig und allein davon ab, wie weit man den kommunistischen Armeen gestatten würde, in Europa vorzudringen. Zu erwarten, daß sie auf einer papierenen Linie quer durch halb Polen halt machen würden, hieß ganz einfach die Öffentlichkeit betrügen. Sie würden nur stehen bleiben, wo ihnen die britischen und amerikanischen Armeen entgegentraten. Die britischen und amerikanischen Streitkräfte aber machten durch ganz offensichtlich im voraus getroffene Vereinbarungen auf einer Linie Halt, die von der Adria über Berlin bis zur Ostsee verlief und Europa ganz sauber in zwei Teile zerschnitt.
Die Geschichte dieser beiden Meister‑Schachzüge ist aufschlußreich. Sie begannen mit der schrittweisen Verleugnung der polnischen Exilregierung in London, die eine so tapfere Armee zur Teilnahme an der Schlacht um England aufgestellt hatte. Mit welchem Recht Großbritannien und die Vereinigten Staaten diese rechtmäßige Regierung einer verbündeten Nation stürzten, wird die Geschichte sich vergeblich fragen. Im März 1943 aber erklärte die «Times» unter der amüsanten Überschrift «Die Sicherheit Europas»: «Rußland hat einzig und allein ein Interesse daran, sich zu versichern, daß seine äußere Verteidigungslinie in sicheren Händen liegt. Diesem Interesse wird am besten damit gedient, wenn die Gebiete zwischen seinen Grenzen und denen Deutschlands von Regierungen beherrscht werden, welche ihm gegenüber freundschaftlich eingestellt sind.»
Der nächste unmißverständliche Schachzug erfolgte in Jugoslawien. Die Serben hatten sich, um ihren König geschart, gegen Hitler erhoben. Der König stand auf unserer Seite; die Reste seiner Armee, unter seinem Oberbefehlshaber, kämpften in den Bergen. Plötzlich führte die Propaganda‑Maschinerie das Wort «Partisanen» in den amtlich‑kontrollierten Nachrichten ein. Wer waren diese Neukömmlinge? Nun, die Kommunisten mobilisierten ihren «unzerstörbaren Kern», erklärte Winston Churchill. Dann mit einemmal tauchte «Marschall» Tito auf ‑ ein Mann, bei dem weder der Rang noch der Name echt ist. Man beachte die Hand hinter den Kulissen! Dieser Mann, der wie Hitler von irgendwoher, wie der «Knüppel aus dem Sack» auftauchte, stand ungefähr in dessen Jahren und war irgendwo in derselben alten österreichischungarischen Monarchie geboren worden, für die Welt ein Unbekannter ‑ nicht aber für Moskau, wo er jahrelang geschult worden war.
Waren seine Beglaubigungsschreiben wohl dermaßen gut, daß man ihn mit solchem Respekt behandeln mußte? Will man ihm ebenfalls gutschreiben, wie es die Dummköpfe bei Hitler getan haben, daß er, einzig und allein von seiner Persönlichkeit getragen, so kometenhaft an die Macht gelangte? Moskau hatte ihn geschult, aber London und Washington verhalfen ihm auf den Thron. Dem rechtmäßigen verbündeten König (den man in London und Washington sogar entthronte) und seinem Oberbefehlshaber verweigerten Großbritannien und die Vereinigten Staaten jegliche Waffen‑ und Geld‑Hilfe. Alles ging an «Tito». Aus von Fallschirmen getragenen Kanistern regnete es britische Gold‑Sovereigns auf ihn hinab. Was bewog wohl einen Präsidenten Roosevelt, der «Nieder mit der Diktatur!» schrie, selbst eine zu gründen, oder einen Winston Churchill, der über das Chaos als Folge des Krieges klagte, es selbst ausbreiten zu helfen?
Der Eiserne Vorhang wurde gezogen, der getarnte Krieg der Jahre nach 1945 begann. All dies ereignete sich unter der Herrschaft der «Drei Großen» in den Jahren 1942‑1945. Der Erste Weltkrieg hatte dafür keine Parallele, und das Sich‑Fügen der Öffentlichkeit wäre undenkbar gewesen, bevor es sich ereignet hatte. So scheint die tödliche Gefahr des Krieges im 20. Jahrhundert darin zu liegen, daß sich freie Völker ganz mechanisch mit dem neuen Dogma abfinden: Wenn ein offener Kampf beginnt, müssen die amtierenden Politiker uneingesehränkte, diktatorische Macht besitzen. Es ist aber im Kriege noch gefährlicher als im Frieden, wenn ein einziger Mensch sich das göttliche Recht anmaßt, über weit entlegene Völker und Länder nach eigenem Ermessen zu verfügen.
Die Höhepunkte dieser Zeit waren die Konferenzen von Moskau, Teheran und Yalta (auf der letzten war der Präsident der Vereinigten Staaten ganz offensichtlich ein sterbender Mann). Wo alles im geheimen getan wird, bleiben der Öffentlichkeit nur Vermutungen. Wir können deshalb nur betrachten, was diese drei Männer, die in Kontinenten und Millionen sprachen, getan haben.
Stalin ist schon seit langem der unangefochtene Beherrscher des versklavten Rußland, nur ein Gefangener seiner eigenen Befürchtungen, die ihn davon abhalten, jemals den Bereich seiner eigenen Armeen zu verlassen oder seinen Russen mehr als nur seinen Kopf auf dem Roten Platz zu zeigen.
Die vorsichtigen und weitschauenden Schöpfer der Verfassung der Vereinigten Staaten sahen nicht so weit voraus wie ein wiederholt neugewählter Präsident mit einer autokratischen Macht bis weit über die westliche Hemisphäre.
Winston Churchill war während des Krieges mit allen Machtmitteln ausgestattet. Nach meinem Urteil ist er der einzige von den dreien, dessen Herz wirklich für eine freie Gesellschaftsstruktur und freie Menschen schlug. Und doch geriet er weitab von diesen Idealen, als er in seinem Eifer, «den Krieg zu gewinnen», jene Notstandsmaßnahmen ergriff, welche die Natter am Busen der Freiheit sind. Er sagte einmal im Parlament etwas, was darauf schließen läßt, er habe sich ‑ so allmächtig er in England zu sein schien ‑ als Gefangener zwischen zwei größeren Mächten gefühlt, und wer kann wissen, welche Mächte sich hinter jenen verbargen? Hat er unter dem Druck, der ihm überwältigend schien, einer Verstümmelung Europas zugestimmt, die er selber dann später heftig anprangern sollte?
Über allem dem liegt ein Geheimnis, es sei denn, seine Memoiren lüften einmal, wenn sie erscheinen, den Schleier. Das Ergebnis aber liegt offen zu Tage, und wenn hinter irgend einem der anderen Männer Mächte standen, welche die Zerstörung Europas wünschen, dann waren sie ihrem Ziel beträchtlich näher gekommen. Bestimmt hat Stalin vorausgesehen, daß es ein zweigeteiltes Europa geben würde, eine kommunistische Hälfte, die an britischer und amerikanischer Materialhilfe und Gold erstickte, und die Fortsetzung der Feindseligkeiten. Ist es möglich, daß Präsident Roosevelt und Winston Churchill das nicht vorausgesehen haben? Mir scheint, dieser Präsident sei das Opfer scharfsinnigerer Geister und ein Werkzeug zu Zwecken gewesen, die er gar nicht verstand. (Präsident Roosevelts Politik gipfelte in einem Projekt für die Nachkriegszeit, das die Teilung Deutschlands und die Zerstörung des deutschen Volkes vorsah ‑ dem Morgenthau‑Plan. Dieses phantastische Projekt, das in der Geschichte der zivilisierten Menschheit einzig dasteht, nahm in dem Abkommen von Potsdam Gestalt an, das nach Präsident Roosevelts Tod von Präsident Truman unterzeichnet wurde).
Wollte man ihn politisch klassifizieren, so gehört er zu jener Schule des Liberalismus, die ungezählte Millionen in Trauer gestürzt hat. Winston Churchill aber, der Zoll um Zoll für sein Vaterland kämpfte, fühlte sich zu schwach, um einem übermächtigen Druck standzuhalten ‑ vielleicht war er auch schlecht beraten.
Bisweilen schien er auch zu sehen, was da gebraut wurde. Nach den Meister‑Schachzügen in Polen und Jugoslawien stand noch ein Zug offen, mit dem der Krieg immer noch zu «gewinnen» war. Das war eine frühe Invasion, welche die britisch‑amerikanischen Armeen in die auf Befreiung hoffenden Länder führte, ehe die bolschewistischen Armeen sie besetzten. Es gab einen Augenblick, da ich hoffte, daß er das sähe, denn er sagte den Amerikanern (im Mai 1943, in Washington): «Wir haben viele schwere Gefahren überwunden, aber es gibt eine schwere Gefahr, die uns bis ans Ende begleiten wird. Diese Gefahr ist eine unnötige Verlängerung des Krieges.» Ich hatte den Eindruck, daß er mit diesen Worten irgendjemanden in Washington ermahnte.
Wenn es einen Weg gab, den Krieg abzukürzen und zu gewinnen, dann nur eine zeitige Invasion; und wenn es mit Sicherheit einen gab, um ihn zu verlängern und das Andauern der Feindseligkeiten in Europa zu gewährleisten, dann ein Aufschieben der Invasion. Die Invasion wurde aufgeschoben.
Die Invasion wurde aufgeschoben, oder besser: sie wurde sinnlos auf Afrika und Italien abgelenkt. Auf Europa angesetzt, während riesige deutsche Armeen in Rußland festgehalten waren, hätte sie den wahren und nicht den falschen Sieg gebracht, den Winston Churchill später betrauerte.
Wer bekehrte wen, wer gab wessen Druck nach? Die Schachzüge in Polen und Jugoslawien und der einjährige Aufschub der Invasion zimmerten die Bühne für das Melodrama der fünfziger Jahre: ein zweigeteiltes Europa, oder Ost gegen West, Kommunismus gegen Kapitalismus, Asien gegen Amerika ‑ oder welchen irreführenden Namen man auch immer für die Massen wählen mag.
War das ganze wiederum eine einzige Kette von Irrtümern? Diese Erklärung will einem schwer in den Kopf. Was aber klar ist, das ist der unleugbare Anteil der übernationalen Kräfte während dieses ganzen Krieges des 20. Jahrhunderts, um jene Popanze zur Macht zu bringen, die niederzuringen die Völker dann später berufen wurden, nur um sie hinterher merken zu lassen, daß während sie das besorgt hatten ‑ andere an ihre Stelle gesetzt worden waren. Immer und überall erscheint die Finanzmacht als der Gegner von Frieden und Freiheit der Völker, und während ein Tyrann niedergerungen wird, hat sie ihre Hilfe schon einem anderen geschenkt. Britisches und amerikanisches Kapital finanzierte die deutsche Wiederaufrüstung, und Hitler wurde mit Gebietsabtretungen ermutigt, diesen Krieg zu beginnen. Als er dann Rußland angriff, wurde die ganze Unterstützung auf den neuen, kommenden Angreifer übertragen. Betrachtet man die Zukunft, dann ist es zwecklos zu übersehen, welchen Anteil britisches und amerikanisches Geld gespielt hat, um das kommunistische Weltreich bis ins Herz Europas vordringen zu lassen.
Der Umfang der britischen und amerikanischen Hilfe, die das kommunistische Rußland erhielt, war ungeheuerlich, und das waren keine papierenen Anleihen oder buchhalterische Transaktionen, sondern Materiallieferungen und Gold. Sie wurden ohne jede öffentliche Kontrolle gespendet und konnten nur gerechtfertigt werden, wenn sie einen «gemeinsamen Sieg» zustande brachten. Aber wie man voraussehen konnte, geschah das nicht.
Es ist bemerkenswert, wie gut die Handlungsweise Hitlers in diesen Rahmen paßt. Wenn er nicht fähig war, die Invasion in England zu bewerkstelligen, dann hatte es sich überhaupt nicht gelohnt, diesen Krieg anzufangen, es sei denn, er habe Deutschland zerstören wollen. Dasselbe geschah nochmals vor Moskau (Victor Kravchenko, damals Hauptmann der Roten Armee, beschreibt in seinem Buch «Ich wählte die Freiheit» die Verwirrung und Panik in Moskau zwischen dem 13. und 18. Oktober und sagte: «Die Deutschen hätten Moskau während dieser Tage ohne Kampf einnehmen können … Warum sie sich zurückzogen, ist ein Geheimnis, das nur die Deutschen selber vor der Geschichte aufdecken können.»).
Ich glaube, daß Hitler selbst den Befehl zum Rückzug gegeben hat, und weise abermals auf das Geheimnis seiner Herkunft und seiner Beweggründe hin. Und dann haben wir noch die unerklärlichen Ereignisse von Pearl Harbour, das trotz vielen Warnungen einem japanischen Angriff wehrlos ausgesetzt blieb. (Der amerikanische Schriftsteller George Morgenstern schrieb ein Buch, «Pearl Harbour, The Story of the Secret War», das von den meisten Kritikern entweder übergangen oder lächerlich gemacht worden ist, aber das großes Interesse bei der Öffentlichkeit und steigenden Absatz gefunden hat. Das «American Journal of International Law» schreibt sehr ernst über dieses Buch: «Entweder geht Morgenstern einer falschen Fährte nach, oder dieser Krieg war von amtlichen Personen Amerikas geplant, die ihre Landsleute betrogen haben. Solange der Gegenbeweis nicht geliefert wird, bleibt die Beschuldigung aufrecht … Der Autor, der sich des sensationellen Charakters seiner Behauptungen bewußt war, hat sich durch Auszüge aus Originalakten gesichert. Es bleibt nun den Verteidigern der amtlichen Lesart über Pearl Harbour überlassen, diese zu entkräften».)
Es gibt noch einen andern Schachzug, der den Krieg entweder abwenden oder, wenn schon begonnen, abkürzen konnte. Das war die Beseitigung Hitlers. Es erscheint jetzt überzeugend belegt, daß jeder derartige deutsche Versuch von Moskau (wo man den deutschen Kommunisten verbot, sich an solchen Unternehmen zu beteiligen), aber auch von London und Washington durchkreuzt wurde. Wenn es verborgene Hände gab, die den Verlauf und die Ergebnisse dieses Krieges verkehren oder ihn verlängern wollten, dann muß dies ihr Triumph gewesen sein.
Diese Geschichte zieht sich durch wenigstens sechs Jahre hin, von 1938 bis 1944. Im Jahre 1938 erkannten führende deutsche Generäle und Politiker, an ihrer Spitze der Chef des Generalstabes, Beck, und der Oberbürgermeister von Leipzig, Karl Goerdeler, daß Hitler im Begriffe war, einen europäischen Krieg zu beginnen. General Beck besprach sich mit dem ganzen deutschen Generalstab und machte ihm klar, daß Deutschland nicht imstande sei, einen europäischen Krieg zu gewinnen, und daß ein Weltkrieg Deutschland zugrunde richten werde. Beck und Goerdeler informierten die britische Regierung über Hitlers Pläne und empfahlen eine eindeutige britische Erklärung, daß jede gegen die Tschechoslowakei gerichtete Aktion den Krieg bedeutete. Beck forderte auch die kommandierenden Generäle der deutschen Armee auf, sich im Kriegsfalle gegen Hitler zu erheben.
London gab keine Antwort. Statt dessen machte Chamberlain drei Flüge zu Hitler, und Großbritannien und Frankreich forderten die Tschechoslowakei auf, vor Deutschland zu kapitulieren.
Mit der Zurückweisung dieses Angebots und dem Pakt von München wurde der Krieg zur Gewißheit, falls Hitler und Stalin sich die Hände reichten, wie sie es im September 1939 dann auch wirklich taten. Von da an machte die Propaganda‑Maschinerie den Massen während sechs Jahren (beziehungsweise vier, was Rußland betrifft) weis, daß der für den Krieg verantwortliche Mann einzig und allein Hitler sei und daß dessen Sturz ihn beenden werde. Und doch wurde dabei jeder Versuch seitens derer, die ihn allein umbringen konnten, der Deutschen nämlich, zurückgewiesen und verheimlicht.
Im Jahre 1940 traf ein englischer Besucher, J. Lonsdale Bryans, in Rom den künftigen Schwiegersohn Ullrich von Hassels und hörte von ihm, daß Hitlers Gegner in Deutschland immer noch gewillt waren, loszuschlagen, falls sie auf die Hilfe Großbritanniens rechnen konnten. Lonsdale‑Bryans informierte das Foreign Office, erhielt die Möglichkeit zurückzukehren und hatte im Februar 1940 eine Begegnung mit von Hassel in der Schweiz, wo Hassel ihm ein Memorandum mit dem Entwurf einer Verfassung für ein reformiertes Deutschland mit demokratischer Staatsordnung übergab, die nach Hitlers Beseitigung eingeführt werden sollte. Als Lonsdale‑Bryans damit nach London kam, konnte er jedoch für seine zweite Begegnung mit von Hassel nur einen Brief erwirken, in dem «die britische Regierung ihre Anerkennung für das beträchtliche Risiko» aussprach, das dieser dem Verhängnis geweihte Deutsche damit eingegangen war, seine Vorschläge schriftlich zu fassen und zu unterzeichnen. Von Hassel gab weitere Proben für seine gute Gesinnung, indem er Lonsdale Bryans warnte, daß Deutschland die Niederlande angreifen und Italien in den Krieg eintreten werde. (Ich glaube, daß Lonsdale Bryans, von dem ich diese authentischen Angaben habe, ein Buch über diese Verhandlungen geschrieben hat, und hoffe, daß es auch erscheint.)
Ach! wenn nur Hitler tot wäre! jammerten die Politiker, die Leitartikler und die Schlagerdichter im Chor. Aber Hitler hatte mehr Freunde als diejenigen, die ihn zu beseitigen trachteten. Um 1941 herum gehörten zu ihnen Männer aus allen sozialen, politischen und religiösen Lagern in Deutschland. (Erbeutete deutsche Dokumente lassen erkennen, daß mehr als 4980 Deutsche nach dem letzten Attentat gegen Hitler am 20. Juli 1944 hingerichtet worden sind). Im Jahre 1942 übergab Pastor Dietrich Bonhoeffer dem Bischof von Chichester in Schweden ein Memorandum an die britische Regierung. «Sagen Sie uns nur, daß Sie mit einem von Hitler befreiten Deutschland verständig umgehen wollen», heißt es da flehentlich, «und wir werden handeln». Der Bischof informierte die britische Regierung, auch die amerikanische wurde auf dem laufenden gehalten. «Aber zur bitteren Enttäuschung der Verschwörer» wurde nichts unternommen.
Statt dessen kam es zu einer Begegnung von zweien der Kriegsführer in Casablanea, im Januar 1943, und zur Forderung (die vermutlich den abwesenden Dritten besänftigen sollte, der schon eine deutsche Armee schulte) nach «bedingungsloser Kapitulation». W. A. Dulles sagt darüber: «Bisweilen schien es, als ob diejenigen, welche für die Politik in Amerika und England verantwortlich waren, die militärischen Aufgaben so schwierig wie nur möglich gestalteten, indem sie alle Deutschen zum Widerstand bis zum bittern Ende einigten.»
Ja, es hat den Anschein, als ob der Krieg mit allen Mitteln verlängert wurde, damit der Zustand andauernder Feindseligkeiten daraus hervorginge. Aber wer «war für die Politik in Amerika und in England verantwortlich»?
Die amerikanischen und britischen Führer im Kriege schienen allmächtig zu sein, aber waren sie es wirklich? Meiner Ansicht nach waren Winston Churchills Macht Grenzen gesetzt durch die Notwendigkeit (wie er sie sah), den Krösus, den mächtigen, unerschöpften Verbündeten günstig zu stimmen. Präsident Roosevelt war also der stärkere ‑ aber war seine Macht absolut? Wenn sie es war, dann war das gefährlich, denn das Buch seines Sohnes zeigt uns einen Mann, der von Europa nichts verstand und dessen Gedankengang sehr jugendlich‑unreif und befangen war.
Seine Macht scheint von seinen «Ratgebern» eingeschränkt gewesen zu sein. Während seiner langen Präsidentschaft ließ er jenes geheimnisvolle und gefährliche Amt wieder aufleben, das zum ersten Male in den Jahren 1914‑1918 neben Woodrow Wilson sichtbar geworden war: den «Ratgeber des Präsidenten».
Ein solches Amt ist in der amerikanische Verfassung gar nicht vorgesehen, und diese «Ratgeber» scheinen mir große Machtvollkommenheiten entwickelt zu haben, ohne mit der geringsten Verantwortung belastet worden zu sein. Präsident Roosevelt war umgeben von Männern ‑ häufig von osteuropäischer Herkunft ‑, denen er kraft seiner außerordentlichen Vollmachten ungeheure Macht über die Menschheit weitab der Vereinigten Staaten übertrug. Als er starb, wurden solche, niemals durch eine Wahl bestätigte Männer als die Häupter der verschiedensten Körperschaften sichtbar, welche sich zum Ziel gesetzt haben, das Wohl und Wehe von Millionen in Europa im Namen der «Vereinigten Nationen» diktatorisch zu entscheiden. Wenn es einen geheimen Plan der großen Drahtzieher gab, dann wurde er damals sichtbar. Durch die Zeiten der Kriegsverwirrung und durch die Potentaten des Notstandes war die Macht in der Welt von den gewählten Regierungen in den verschiedenen Ländern an die – alle in Amerika beheimateten ‑ Departemente einer Welt‑Regierung übergegangen. Und die Welt‑Beherrscher, scheint mir, traten damals aus dem Dunkeln hervor.
Der Plan lief augenscheinlich darauf hinaus, durch «Not‑Vollmachten» eine Weltdiktatur auf den Ruinen der verschwundenen Diktaturen zu errichten. Ihm war kein voller Erfolg beschieden, aber er hat beträchtliche Fortschritte gemacht. Er kann nur völlig verwirklicht werden, wenn der Krieg des 20. Jahrhunderts weiter andauert, und das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum dessen Fortsetzung vorbereitet wurde.
Nehmen wir einmal ‑ um der Diskussion willen ‑ an, es gäbe keinen geheimen Krieg, es hätte keine ‑ obschon ich das behaupte ‑ Schachzüge gegeben, die man einem unverständigen Präsidenten der Vereinigten Staaten und einem hart bedrängten britischen Premierminister aufgezwungen hat, um die Kriegsziele zu verkehren und die Fortsetzung der Feindseligkeiten bei Kriegsende zu erreichen. In diesem Falle blieb bei Beendigung der Kampfhandlungen ein Schachzug offen, durch den der gutgläubige Krieg noch immer hätte gewonnen und sein ursprüngliches Ziel hätte erreicht werden können. Dieser Schachzug war, die britischen und amerikanischen Streitkräfte solange unvermindert in Europa zu belassen, bis daß das kommunistische Weltreich einen Friedensvertrag unterzeichnet und dessen Verpflichtungen damit eingelöst haben würde, sich bis wenigstens zur Mitte von Polen zurückzuziehen und der britischen und amerikanischen Öffentlichkeit alles das bekanntzugeben.
Das Gegenteil jedoch trat ein, und dies war der erste Schachzug in dem heimlichen Kriege hinter der Fassade des Friedens. Die britischen und amerikanischen Streitkräfte wurden übereilt zurückgezogen (die Aufmerksamkeit der Massen wurde derweilen mit den Nürnberger Gerichtsverhandlungen beschäftigt), bis nur noch kleine Garnisonen übrig blieben, die gar nicht mehr imstande waren, den Dieb mit seiner Beute zu behelligen.
Gleich danach aber wiederholte sich die Situation der dreißiger Jahre im Faksimile, als Hitler gleichzeitig getadelt und ermutigt wurde. Ein lautes Jammern über die Unvernunft und den schlechten Willen der Sowjets begann. Am 1. Juli 1947 erklärte General Marshall mit vorwurfsvollen Blicken nach dem sowjetischen Delegierten: «Die Vereinigten Staaten haben die größte Militärmacht, welche die Welt je gesehen, demobilisiert.» Es seien nur kleine Garnisonen als Besatzungsmacht zurückgeblieben, und «an diesen Abzug seien keinerlei Bedingungen geknüpft worden».
«Keine Bedingungen» im Jahre 1945! Warum dann aber die Klagen im Jahre 1947? Das Geheimnis liegt nicht in dem Verhalten der Sowjets, das alle erfahrenen Kenner hätten voraussagen können, sondern einmal in diesen bedingungslosen Geldgeschenken und zum anderen in diesem bedingungslosen Abzug der Truppen, der ganz eindeutig zu einer neuen Kriegslage führen mußte. Die Herren Politiker aber können doch nach diesen dreißig Jahren nicht so einfältig sein! Von wessen Hand stammen diese Schachzüge? Wenn Amerika wirklich das kommunistische Weltreich dazu bewegen wollte, den Frieden zu wahren, dann wäre das in China leichter gewesen als in Europa. Aber das ganze Jahr 1946 diente nur dazu, daß man Marschall Chiang‑Kai‑Schek Unterstützung versagte, der damals versuchte, die sowjetische Aggression abzuwehren, und daß man die amerikanischen Streitkräfte bedingungslos aus China zurückzog!
Sollten das alles nur Irrtümer gewesen sein, dann ist das eine phantastische Geschichte. Die Wahrheit könnten wir nur aus den Dokumenten aus der Zeit der Herrschaft der «großen Drei» erfahren; aus allen jenen Abkommen, Protokollen, Memoranden und Noten, die jetzt im Weißen Haus (Präsident Roosevelts Nachfolger im Amt hat sich geweigert, einem «Untersuchungsaussehuß» des Senats Einsicht in die Akten der Rooseveltschen Diktatur zu gewähren) und in Whitehall verborgen sind und welche die Transaktionen von Teheran, Yalta, Potsdam, Kairo und Moskau enthalten. Wir werden diese Dinge nie erfahren, aber meiner Ansicht nach kann man jetzt das wahre Gesicht dieses Krieges des 20. Jahrhunderts, der immer noch andauert, schon klar genug erkennen.

III. Gespaltene Gesellschaft

Während der Zweite Weltkrieg ‑ das heißt: die zweite Rate des Krieges des 20. Jahrhunderts ‑ andauerte, wurden auf dem großen Schachbrett jene meisterlichen Züge gezogen, die die Fortdauer der Feindseligkeiten nach Kriegsende sicherstellten: Die kommunistische Herrschaft faßte, dank den gewaltigen Zuschüssen von Gold aus England und Amerika, in halb Europa Fuß. Ein anderer Meisterzug bestimmte, welche Gestalt die fortdauernden Feindseligkeiten annehmen sollten.
Eine neue und furchbare Waffe wurde zur Hauptsache auf dieser Insel entwickelt. Ihr Urheberrecht und das Monopol für ihre Herstellung ging, ohne daß die britische Öffentlichkeit auch nur ein Wort darüber zu hören bekam, an Amerika über. Das ist meiner Ansicht nach eine in der Geschichte einzigartige Transaktion. Bisher haben alle Völker die Überlegenheit der Waffen, die sie ihrem nationalen Genius zu verdanken hatten, eifersüchtig gewahrt. Solche Dinge können nur im geheimen geschehen, wenn die Parlamente de facto durch «Notvollmachten» ihrer Tätigkeit enthoben worden sind. In diesem Falle kam die Transaktion erst viele Jahre später an den Tag und wurde dann der Öffentlichkeit als etwas ganz Normales hingestellt. So schrieb die «Times» am 24. September 1947 von «dieser einzigartigen Waffe, welche, soweit bekannt ist, nur die Vereinigten Staaten besitzen» . . .
Wie dem auch sein mag ‑ das Geheimnis der Atomkernspaltung wurde absichtlich abgetreten, und seine Erstgeburt war «die Atombombe». Zwei Exemplare von ihr beendeten den Zweiten Weltkrieg. Der Grund, weshalb sie auf japanische Städte abgeworfen wurden, wird niemals öffentlich bekannt werden. Zwei gute und wahrscheinlich sogar die besten Autoritäten bestritten jede militärische Notwendigkeit. Der britische Oberkommandierende, Lord Mountbatten, sagte in einer Rundfunkansprache, daß der Krieg im Pazifik nicht durch sie gewonnen wurde, da der Sieg schon sicher war, ehe sie zur Anwendung kamen. Der Stabschef des amerikanischen Oberkommandierenden, General MacArthur, sagte dasselbe.
Die Entscheidung wurde alsdann, wie es im Tagesjargon hieß, «an höchster Stelle» unter den Großen getroffen, von denen einer ‑ durch den Tod seines Vorgängers und die Nachfolge im Amt ein gewisser Herr Truman war, während ein anderer im Begriff stand, durch einen gewissen Herrn Attlee ersetzt zu werden. Die eigentliche Entscheidung jedoch trafen vermutlich «die Ratgeber».
Die formell wichtigste Zustimmung war die von Truman. Die Phantasie schreckt zurück vor dem Gedanken an den einstigen Tuchhändler von Kansas City, der plötzlich mitten im Strudel aufgefordert wird, auf der punktierten Linie zu unterschreiben.
Die Wirkung der Bomben wirkte auf die Gemüter der Masse einfach betäubend, weil man sie unter Bedingungen abgeworfen hatte, die für ihren Einsatz die allergünstigsten waren: gegen eine dichtgedrängte Zivilbevölkerung in leicht gebauten Häusern, gegen Menschen, die wehrlos gegen das Unbekannte waren. Die Überlebenden mögen festhalten, daß sie zu jenen «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» gehören, für die in der Folge die Führer des deutschen Volkes angeklagt wurden (außer Hitler). In England gab es nur einen einzigen denkwürdigen Mann, der es ablehnte, seine Kirche mit den öffentlichen Danksagungen in solch einem Augenblick zu verquicken. Dieser Geistliche der St. Albans‑Kathedrale war weiser als der gewöhnliche Sterbliche, der nicht erkannte, daß die Atombombe für seine eigene Einschüchterung ‑ und nicht die der Japaner ‑ abgeworfen wurde.
Der Abwurf dieser beiden Bomben war keine militärische Maßnahme, sondern eine politische, für künftige Bezugnahme berechnet. Kaum waren sie explodiert (und der Krieg zu Ende), als unter den Wortführern des Weltstaates allüberall eine heftige Einschüchterungskampagne einsetzte, die immer noch andauert. Die Redensarten und Argumente waren überall die gleichen und wurden von Politikern und Zeitungen aller Parteien benutzt. Zum Beispiel Professor Einstein: «Es gibt kein Geheimnis und keine Verteidigung»; Harold Laski: «Da wir einen Atomkrieg doch nicht überleben werden, können wir aufhören, unser Geld auf die Herstellung von Atomwaffen zu vergeuden», und schließlich ein gewisser John Langdon‑Davies, der sich auf ein geheimnisvolles «Notkomitee der Atomwissenschaftler in den Vereinigten Staaten» beruft: Es gibt keine militärische Verteidigung gegen die Atombombe, und es ist auch keine zu erwarten … Vorbereitungen gegen den Atomkrieg sind nutzlos und werden, wenn sie doch durchgeführt werden, die Struktur unserer sozialen Ordnung zerstören.»
«Da seht ihr’s», hieß es, «die Waffe, auf die es keine Antwort mehr gibt, ist erfunden; es gibt keine Verteidigung gegen sie; die Menschheit muß sich einem Weltparlament unterwerfen ‑ oder zugrunde gehen.» – England also «muß» sich einer Waffe ergeben, die es selber verschenkt hat!
Wären die beiden Bomben nicht abgeworfen worden, und wäre das Monopol für ihre Herstellung nicht im geheimen einem einzigen Lande überlassen worden, dann hätte man diese beiden Argumente nicht benutzen können. Aus diesem Grunde hat man sie wohl abgeworfen. Diejenigen, die jetzt die bedingungslose Kapitulation der gesamten Menschheit, als Folge der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands oder Japans, fordern, haben die Atomwaffe im Stadium unbewaffneter Feindseligkeiten, das dem offenen Waffengang des Krieges folgte, für eine politische Erpressung ausgenutzt.
Die Argumente sind sichtlich falsch, aber bei der super‑nationalen Politik handelt es sich nicht um Wahrheit, sondern um Massen‑Psychologie. «Giftgas», das nie angewandt wurde, hieß das Schreckgespenst, mit dem die Welt‑Staatsmänner die Menschheit vor dem Zweiten Weltkrieg ins Bockshorn jagten; jetzt hat das Ding nur einen anderen Namen bekommen. Offenbar blieb «der Menschheit» ohnehin keine andere Wahl. Die ersten, auf welche diese Bomben abgeworfen wurden, hatten keine Wahl, genau so wenig wie ihre Nachfolger. Die Unterwerfung unter einen Weltstaat aber wird nicht mehr Frieden oder Sicherheit bringen, als sie die Kapitulation vor der Ogpu oder der Gestapo den Russen und den Deutschen gebracht hat. Die «soziale Sicherheit», die man auf diese Art und Weise erreicht, gleicht der eines Bergen-Belsen, und der Weltstaat wird seinen Willen durch eine Weltgestapo durchsetzen. Im 20. Jahrhundert, das den Anfang einer solchen Entwicklung erlebt hat, erscheint jenes «Parlament der Menschheit» und jene «Föderation der Welt», von denen die Dichter des 19. Jahrhunderts schwärmten, als die blutigste aller Tyranneien.
Die Gestalt dieses Planes wurde mir in den Jahren 1942/43 klar, als alle jene anderen unerklärlichen Dinge geschahen. Damals startete die große Kampagne für die «Abschaffung der nationalen Souveränität», eine Parole, die papageienhaft von allen jenen Leuten aufgegriffen wurde, die seinerzeit die Friedensliebe in Hitler und die Freiheit in Rußland verkörpert sahen. Die Welt-Staatsmänner traten ans Licht. Sie lagen den Völkern in den Ohren, ihre «Freiheit» (was gleichbedeutend mit der «nationalen Souveränität» ist) gegen den Faschismus zu verteidigen ‑ und sie hinterher irgend einer anonymen, super‑nationalen Gesellschaft auszuliefern. Solche Leute saßen überall in den Regierungen, Ministerien und Parteien, und ich glaube, daß es ihnen in vielen Ländern gelungen ist, entscheidenden Einfluß auf wichtige politische Beschlüsse auszuüben. Ich habe, auf ihre Existenz und ihre Pläne in meinem letzten Buch «Falls wir es bereuen sollten» hingewiesen.
Ihr Trumpf ist die internationale Polizeitruppe und ihr Ass, das mit einem heftigen Schlag auf dem Tisch ausgespielt wurde, die Atombombe. «Jetzt müßt ihr euch alle unterordnen», hieß es, «alle, wo ihr auch seid!»
Die Weltstaatsmänner kamen auf diese Weise, durch «Not-Vollmachten» und die Notstands‑Potentaten der beiden Kriege, dem Gipfel ihres Strebens sehr nahe. Nur wenn freie und durch Wahlen bestellte Parlamente in den verschiedenen Ländern beseitigt sind, die öffentliche Meinungsbildung durch die Kriegspropaganda erstickt und die öffentliche Kritik ausgeschaltet worden sind, können solche Ziele verfolgt werden. Lloyd George und Präsident Wilson waren die ersten Männer, die man für diesen Zweck ausnutzte, aber Präsident Roosevelt war weit gefährlicher. Er starb, bevor der Zweite Weltkrieg endete, aber er hatte bereits das Gerüst des Weltstaates errichtet und an die Spitze seiner zahlreichen Departemente Männer gesetzt, die in der Umgebung der schattenhaften «Ratgeber» Präsident Wilsons aufgewachsen und geschult worden waren. Die Organisation der «Vereinigten Nationen» bietet ein fesselndes Studium. Sie zählt Dutzende von Komitees und Ausschüssen, die alle in Nordamerika tagen und der Welt nur durch ihre Abkürzungen: UNRRA, COBSRA, UNESCO und unzählige andere bekannt sind. In der Theorie bergen sich hinter diesen Abkürzungen die künftigen Welt‑Kommissare, die mit einer unwiderstehlichen Macht im Rücken der gesamten Menschheit Vorschriften über das Essen, die Erziehung, das Wohnen und andere Dinge erlassen würden.
Ein solches Regime kann, wie jede andere Diktatur, nur mit Gewalt aufrechterhalten werden. Die Zustimmung der Welt zu solch einer Gewaltanwendung wurde in nützlicher Frist gefordert. Die Welt‑Staatsmänner beanspruchten das Recht für sich, ihren Erlassen genauso Nachachtung zu verschaffen, wie Hitler die Tschechoslowakei und Stalin Polen zur Unterwerfung gezwungen hatte. Die Ereignisse vom Juni 1946, die von den davon betroffenen Massen noch immer nicht erfaßt werden, scheinen mir die bemerkenswertesten unserer zwanzig Jahrhunderte zu sein:
Bei einer Tagung der «Vereinigten Nationen» in New York machte der Delegierte der Vereinigten Staaten für Atom‑Angelegenheiten, Bernard Baruch, einer von Präsident Roosevelts Ratgebern, den Antrag, eine Körperschaft zu ernennen, die den Namen «Atomic Development Authority» führen sollte. Mit anderen Worten: man wollte eine neue Reihenfolge von Abkürzungsbuchstaben aufstellen, die – ADA. Die Ziele dieser Kommission sollten sein:
1. Ein Weltmonopol für die Atombombe;
2. eine sich über die ganze Welt erstreckende Aufsichtsgewalt, um die Herstellung von Atombomben seitens jeder anderen 
 Macht zu verhindern;
3. die Befugnis, die «Zähne» (lies: Atombomben) gebrauchen zu dürfen zur sofortigen und nachhaltigen Bestrafung aller, 
 welche die zwischen den Völkern abgeschlossenen Übereinkommen verletzen.»
Dies war der herrlich verwegene, offene Plan für eine Weltdiktatur, welche diesen Planeten durch Atomterror beherrschen sollte. Wenn niemand anderes als diese maskierte Dame ADA über Atombomben verfügen durfte (und nur in diesem Falle), würde die Atombombe in der Tat eine unwiderstehliche Macht werden. Wenn man allen anderen verbot, sich dagegen zu verteidigen, würde es gegen sie wirklich «keine Verteidigungsmöglichkeit» geben. Der Sinn der Drohung: «Die Menschheit muß wählen!» wurde deutlich.
Der zukünftige Forscher mag an Hand der Spalten britischer Zeitungen feststellen, daß dieser ungeheuerliche Vorschlag der britischen Öffentlichkeit als ein Akt der Selbstlosigkeit zur Zerstörung aller Atombomben hingestellt wurde, so daß also niemand mehr über sie verfügte. Tatsächlich bezweckte er das genaue Gegenteil. Wir näherten uns dem Welt‑Terroristen‑Staat.
Der «Sicherheitsrat» (der künftige Forscher möge beachten, daß im 20. Jahrhundert das Wort «Sicherheit» immer «Gefahr» bedeutet) der Vereinigten Nationen hat fünf Mitglieder: Amerika, Großbritannien, China, Frankreich und die Sowjetunion. Hätten fünf Männer Ja gesagt, dann hätte «die Menschheit» angesichts der Atom‑Drohung «die nationale Souveränität preisgegeben». Der Vorschlag kam von Seiten der Vereinigten Staaten; der Vertreter Großbritanniens «gab seiner uneingesehränkten Zustimmung» Ausdruck; Frankreich und China waren außerstande, sich aufzulehnen. Es blieb die Sowjetunion.
Nun aber enthielt dieser Antrag, die Welt durch ein Monopol für die Atombombe in Sklaverei zu halten, noch eine weitere Klausel. Diese sah vor, daß auch die fünf Sicherheits‑Räte, nach dem sie ADA inthronisiert hatten, künftig nicht mehr das Recht haben sollten, irgendwelche Bedenken gegen eine Atom‑Aktion, welche ADA in Vorschlag brachte, zu erheben. Sehe einer also ADA, Königin des Erdballs, und ihre Kammerzofe, die monopolisierte Atombombe! Hier war die erste unverhüllte Forderung auf uneingesehränkte Macht über die Menschheit.
An diesem Punkt erlitt der große Plan jedoch für diesmal einen Rückschlag. Die «Organisation der Vereinigten Nationen» war von Anfang an ein großer Schwindel, weil jeder der fünf im Sicherheitsrat vertretenen Staaten (und nur diese) das Recht besaß, sein Veto gegen eine Strafmaßnahme einzulegen, die sich gegen ihn selber richten sollte, sofern er als «Angreifer» bezeichnet werden sollte. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als daß jede dieser Großmächte einen kleineren Staat, nach dem Beispiel Hitlers oder Stalins, angreifen durfte und zugleich jede Maßnahme gegen sich selber verhindern konnte. Dieses «Vetorecht» war in die «Satzungen der Vereinigten Nationen» auf Betreiben der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion aufgenommen worden.
Nun forderte Amerika im Interesse von Königin ADA, daß auf dieses Recht verzichtet werde, und die Sowjetunion erhob Einwände. Aus diesem Grunde war der kommunistische Daily Worker die einzige Londoner Zeitung, welche den Antrag ganz korrekt als einen Vorschlag bezeichnete, «unbegrenzte Macht in die Hände einer neuen, internationalen Organisation zu legen».
Auf diese Weise und aus eigenen Motiven, auf deren Hilfe wir in Zukunft nicht bauen können, widersetzte sich die Sowjetunion einem tödlichen Anschlag gegen England. Der Antrag lief darauf hinaus, daß ein Irgendetwas, ADA genannt (und wer wußte schon, welche Männer dahinterstanden), die souveräne Macht besitzen sollte, Atombomben gegen «jeden anzuwenden, welcher die Atomkontrolle verletzt». Die Methode ist so alt wie das politische Streben und war schon Shakespeare bekannt, der schrieb: «Schrei Verwüstung!und laß die Kriegsmeute los!» ‑ «Schrei Vertragsbruch! und laß die Atombombe starten!»
Auf diese Weise war dem großen Plan vorübergehend Einhalt geboten, aber auch heute, fünfzehn Monate später (1952), da ich dieses schreibe, wird er nachdrücklich betrieben und wird auch die wahre Absicht hinter allem Tumult sein, falls und wenn die Kampfhandlungen wieder aufgenommen werden. Die Absicht ist, die Menschen durch die Angst vor einem Kriege solange zu zermürben, bis sie sich einer Diktatur beugen.
Sie merken nicht, bevor sie es erfahren haben, daß eine Diktatur verderblicher ist als jeder Krieg, und daß eine Weltdiktatur die verderblichste von allen sein würde. Konzentrationslager, Sklavenarbeitslager und Hunger als Werkzeuge der Diktatur gegen die Bevölkerung haben in Rußland und in Deutschland mehr Menschen ums Leben gebracht als beide Weltkriege und alle Waffen zusammen.
Die Menschen sind rasch bereit, vor eingebildeten Gefahren zu zittern, und langsam im Erkennen der wahren Gefahren. In Amerika brach im Jahre 1938 eine Massen‑Panik aus, als der Rundfunk eine Landung von Marsbewohnern meldete (obschon es sich nur um ein Hörspiel handelte), und im Jahre 1947 zeigten sich ganz ähnliche Herdeninstinkte bei Himmelserscheinungen, die «fliegende Teller» genannt wurden. Es wäre leicht festzustellen, was sie in Wirklichkeit zu fürchten haben, wenn sie staatlich gelenkte Hungersnöte gegen die Bevölkerung im kommunistischen Rußland studieren wollten. W. H. Chamberlins «Das Eiserne Zeitalter in Rußland» beschrieb diese grauenhaften Dinge in den dreißiger Jahren. Und Victor Kravchenko, ein hoher Sowjetbeamter, der den Absprung wagte, berichtet darüber in «Ich wählte die Freiheit» folgendes:
«Die Regierung hortete ungeheure Reserven, während die Bauern Hungers starben. Warum das geschah, konnte nur Stalins Politbüro erzählen ‑ und das schwieg … Der grausame Prozeß der Kollektivierung, die von Menschenhand verhängte Hungersnot der Jahre 1931‑33, die gargantualischen Grausamkeiten in den Jahren der «Säuberungen» ‑ alles das ließ tiefe Wunden zurück. Es gab kaum eine Familie, die nicht Opfer bei der Offensive des Regimes gegen die Massen der Bevölkerung zu beklagen hatte. Stalin und seine Genossen waren nicht von unserer Loyalität gegenüber Rußland beunruhigt; sie waren mit vollem Recht beunruhigt durch unsere Loyalität ihnen selbst gegenüber. In ihren nächtlichen Alpträumen sahen sie vielleicht zwanzig Millionen Sklaven zwischen Gefängnismauern und Stacheldrahtverhauen durchbrechen und sich zu einem gigantischen Aufruhr des Hasses und der Rache einigen … »
David Dallin, früher Mitglied des Moskauer Sowjets, schätzt in seinem Buche «Das wahre Gesicht der Sowjetunion» die Zahl der Arbeiter in Konzentrationslagern (oder der «Personen, welche zu Zwangsarbeit verurteilt sind») auf nicht weniger und wahrscheinlich sogar höher als die Gesamtzahl der in Freiheit befindlichen Industriearbeiter, die sich in den Jahren 1938/39 auf ungefähr acht Millionen belief. (Das «Haus‑Dokument Nr. 754» des Senats der USA, eine autoritative Veröffentlichung, die sich auf amtliche Erhebungen stützt, gibt die Zahl der in Konzentrationslagern befindlichen Arbeiter mit 14 Millionen für das Jahr 1945 an, darunter zahlreiche Frauen.) – «Die Hungersnöte in den Jahren 1921/22 und 1932/33», sagt Dallin, «hatten eher politische Gründe, als daß sie auf Naturkatastrophen beruhten.» Hinsichtlich der zweiten Hungersnot fügt er hinzu: «Nur weil der Staat auf der Ablieferung seines eigenen Anteils» (an der Weizenernte) «bestanden hatte, kam es in vielen landwirtschaftlich ergiebigen Gebieten zu einer furchtbaren Hungersnot mit Millionen von Toten.» Er gibt an, daß die Bevölkerung Rußlands im Jahre 1914 170 Millionen, und im Jahre 1939 (innerhalb der Grenzen Rußlands) wie 1946 schätzungsweise ebensoviel Einwohner zählte, während es bei Beibehaltung der Bevölkerungszunahme nach 1914 rund 290 Millionen hätten sein müssen, Für diesen Ausfall von 95 Millionen Russen macht er in erster Linie die beiden «von Menschen organisierten» Hungersnöte und die Todesfälle in den Zwangsarbeitslagern verantwortlich.
Ich habe diese Feststellungen hier nicht gemacht um den Kommunismus in Rußland anzuklagen, sondern um die tödliche Gefahr der Diktatur zu zeigen und die relative Bedeutungslosigkeit irgendwelcher Atom‑ oder anderer Waffen bei der Zerstörung menschlichen Lebens zu illustrieren. Tausend Atombomben, auf die ungeheure Leere Rußlands abgeworfen, würden nach meinem Dafürhalten nicht so viele Menschen töten, wie durch die Terror- und Hunger‑Herrschaft umgekommen sind. Die Atombombe wird in unserer Zeit dazu benutzt, den Plan einer Welt‑Diktatur zu fördern. Der Weg zur Welt‑Diktatur führt über die «Preisgabe der nationalen Souveränität».
Nach zwanzig Jahrhunderten der Geschichte besteht der Plan, die Menschheit nicht durch die christliche Frohbotschaft, sondern durch die Spaltung von Atomkernen oder deren Androhung zu bekehren. Und das ist des Teufels.

IV. Ein Dieb oder zwei . . .

Shakespeare berichtet getreulich beinahe alles, was sich drei Jahrhunderte nach seiner Lebenszeit ereignen sollte, und unter vielem anderem sagte er auch: «Der Gerichtshof, der des Gefangenen Leben durchgeht, mag unter den zwölf Geschworenen einen Dieb oder deren zwei haben, die schuldiger sind als der, über den sie zu Gericht sitzen.» Hätte er in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts gelebt und etwas derartiges über den Nürnberger Gerichtshof geschrieben, dann hätte man ihn zweifellos einen Faschisten genannt. Aber er wurde ihnen ja auch posthum zugezählt; sein «Kaufmann von Venedig» kam bei gewissen Aufführungen in New York und in der amerikanischen Okkupationszone Deutschlands in den Bann.
In früheren Büchern, die ich noch vor dem heimlichen Wechsel in den Kriegszielen schrieb, trat ich mit Nachdruck für die Bestrafung der «Kriegsverbrechen» ein. Bei Rückblick auf die zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland hatte ich den Eindruck, daß ihre Nichtbestrafung nach dem Ersten Weltkrieg mit einer der Hauptgründe für Deutschlands rasches Wiederauftreten als kriegführende Macht war. Ich dachte dabei an Verbrechen gegen die Regeln der Kriegführung, die in weitem Ausmaß, wenn auch nicht allgemein, zur Gewohnheit geworden waren, wie die Erschießung von Zivilisten und Kriegsgefangenen und das Versenken unbewaffneter Handelsschiffe. So etwas wie den Nürnberger Gerichtshof sah ich damals natürlich nicht voraus, obschon ich mich damals schon in «Falls wir es bereuen sollten!» vor einer Verhöhnung der gerechten Sache fürchtete.
In unserem Jahrhundert wiederholt sich die Erscheinung, daß leitende Politiker (ich glaube, das Wort Staatsmänner ware nicht angemessen) der angeblichen Notwendigkeit des Augenblicks ihre Grundsätze opfern. Auf diese Weise zeugt das Schlechte beständig das Schlimmere. Diejenigen, die wenigstens dem Namen nach die Verantwortung für den Nürnberger‑Prozeß auf sich nahmen, schufen damit einen Präzedenzfall von übler Vorbedeutung für die Zukunft. Mir scheint, daß er das internationale Recht außer Kraft gesetzt und die Herrschaft eines blindwütigen Siegers legalisiert hat, seinen gefangenen Feind in den Tod zu schicken.
Von den vier Hauptanklagen standen «Kriegsverbrechen» und «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» an letzter Stelle. Die ersten beiden waren für jedes Gesetzbuch des internationalen Rechts neu. Sie lauteten: «Verschwörung und gemeinsame Planung» und «Verbrechen gegen den Frieden». Darin enthalten waren «Planung und Durchführung von Angriffskriegen».
Wenn es einen «gemeinsamen Plan» gab, dann trat er mit dem Bündnis zwischen Stalin und Hitler im Jahre 1939 ans Licht, und einer der Richter, die Sowjetunion, war ein Komplize bei diesem Plan und bei dem ersten «Angriffskrieg». Dieser Richter hatte damals dem Verbrecher‑Bruder zu einem «mit Blut besiegelten» Vertrag gratuliert und die Beute mit ihm geteilt. Und einer der Männer auf der Anklagebank, Ribbentrop, war Träger der höchsten Ehrung, die sein Richter‑Kumpan zu vergeben hatte, des Lenin‑Ordens, welcher ihm anläßlich der Unterzeichnung des Angreifer‑Bündnisses verliehen worden war.
Das ist für mich ein ekelhafter Widerspruch, der sich durch keine Rhetorik und keine Sophistik rechtfertigen läßt, und er macht das große Gerichtsverfahren zu einer Farce, auf jeden Fall soweit es diese beiden betrifft. Es kleidete den Angreifer in die Robe des Richters. Große Advokaten können beredt jeden Fall führen, und einer der britischen Ankläger (Sir David Maxwell-Fyfe) hat in seiner Einführung zu R. W. Coopers «Der Nürnberger Prozeß» als einen Grund für den Prozeß festgestellt: «Nach Jahren des Kampfes muß man immer mit einer gewissen Müdigkeit des Geistes wie des Körpers rechnen. Eine Art, wie sich diese geistige Ermattung kundgibt, ist die Flucht vor unangenehmen Tatsachen. Es wäre meiner Ansicht nach eine der größten Tragödien der Weltgeschichte, wenn die Taten der Nazis auf diese Art und Weise im Gedächtnis der Menschheit gelöscht würden.»
Die «unangenehmste aller Tatsachen» jedoch war die Anwesenheit des Komplizen hinter dem Richtertisch, und das beunruhigte nicht die Müden und Schlaffen, sondern die Wachsamen. Von zwei Dieben wurde der eine beehrt, über den anderen zu Gericht zu sitzen. Falls dies das Verfahren für die Zukunft sein soll, dann kann der Nürnberger Prozeß selbst als «eine der tiefsten Tragödien in der Weltgeschichte» angesehen werden.
Wem gehörte nun eigentlich die Rache in Nürnberg? Etwas anderes geschah dort, worüber die Welt völlig in Unkenntnis gelassen wurde. Der Meineidige unter den Eidgeschworenen war deutlich sichtbar, wenn man auch nur das geringste Gedächtnis für geschehene Verbrechen besaß. Das andere aber blieb verborgen.
Ich hatte es in meinem Buche «Falls wir es bereuen sollten!» vorausgesehen. Am 17. Dezember 1942 machte Anthony Eden vor dem Unterhaus im Namen der Vereinigten Nationen eine Erklärung über das Judenproblem. Soweit mir bekannt ist, geschah es damals erst zum zweiten Male, daß ein britischer Politiker das Wort «Erklärung» gebrauchte. Die erste «Erklärung» war das Versprechen, «die Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen», die Lord Balfour am 2. November 1917 während des Ersten Weltkrieges abgegeben hatte.
Edens Erklärung beschäftigte sich im besonderen und ausschließlich mit den Juden, und er sagte: «Diejenigen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, werden ihrer Strafe nicht entrinnen.» Mir schienen das damals die bedeutungsvollsten Worte des ganzen Krieges zu sein, denn sie bekundeten, daß Strafe nur für die Vergehen gegen eine Gruppe von den vielen, die Hitler verfolgt hatte, zu erwarten war. Damals schrieb ich: «Kein Sterbenswörtchen verlautet über alle die Verbrechen, die gegen Tschechen, Serben, Polen, Franzosen, Holländer, Norweger, Griechen, Belgier und andere begangen worden sind … Wir teilen den Deutschen formell aus unserem Unterhaus mit, daß alles, was sie von uns zu erleiden haben werden, einzig und allein um der Juden willen geschehen wird. Die Folgerung daraus ist, daß sie Tschechen, Polen, Serben und alle anderen ungestraft unterdrücken, deportieren und morden können. Wir haben unseren Namen für die Androhung einer jüdischen Rache hergegeben.»
Mir scheint, daß diese Drohung durch die Art der Urteile und durch das Erhängen der Verurteilten wahrgemacht worden ist. Aber was für mich das bedeutungsvollste Ereignis in Nürnberg, wo die ganze Weltpresse versammelt war, zu sein schien ‑ das fand keine Erwähnung in der Massen‑Weltpresse. Die Tage der Verurteilung und der Hinrichtung waren jüdische Feiertage! Rosch Hoschanni, das jüdische Neujahr und der Tag der Buße, fiel auf den 26. September 1946; Yom Kippur, der Tag der Sühne, auf den 5. Oktober; Hoschanna Rabba (da der jüdische Gott nach einer Pause, während der er seinen Urteilsspruch über jedes einzelne menschliche Wesen erwogen hat und Sünder immer noch begnadigen konnte, sein endgültiges Urteil bekannt gibt) auf den 16. Oktober.
Die Urteile in Nürnberg wurden am 30. September und 1. Oktober verkündet (zwischen dem jüdischen Neujahr und dem Tag der Sühne). Die Hinrichtungen wurden gleich, nach Mitternacht, in den Morgenstunden des 16. Oktobers, am Tage Hoschanna Rabha, vollzogen. Für das Judentum in der ganzen Welt lag eine unmißverständliche Bedeutung in der Wahl dieser Tage. Den Nicht‑Juden in der ganzen Welt bedeuteten sie nicht mehr als andere Tage.
Der Prozeß und die Hinrichtungen fanden in der amerikanischen Zone statt. Mir will scheinen, daß diese symbolischen Daten mit Absicht gewählt worden sind, und daß diejenigen, die sie auswählten, Stellungen bekleideten, die ihnen erlaubten, die amerikanischen Behörden ihren Wünschen willfährig zu machen.
Die britischen Zeitungen vermieden es, zu diesen Dingen irgendwelche Kommentare zu bringen; ich weiß aus eigener Erfahrung, daß das immer so ist. Eine Zeitung jedoch, der «Manchester Guardian», druckte den Brief eines Lesers ab, der sich über den Nürnberger Prozeß folgendermassen aussprach: «Die vier Nationen … haben jetzt durch ihre Führer das Christentum ganz offen verleugnet … Es ging darum, die Wahl zu treffen zwischen dem «Auge um Auge, Zahn um Zahn» und «Schlagt Agag in Stücke!» und «Die Rache ist mein!» Großbritannien, Amerika, Frankreich und Rußland haben die Wahl zugunsten blutrünstiger vorchristlicher Riten getroffen.»
Dies scheint mir die genaue Wahrheit zu sein. Die Wahl dieser Tage kann schwerlich zufällig erfolgt sein, und auf diese Weise erhielten die Hinrichtungen den Charakter einer Stammesrache nach dem Gesetz des Alten Testamentes. Die politischen Vertreter Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, deren Namen mit diesen Geschehnissen verknüpft sind, haben entweder bewußt oder unbewußt der Auffassung zugestimmt, daß das europäische Christentum bei allen diesen Dingen von zweitrangiger oder gar keiner Bedeutung war. Wenn man diese Todesurteile nicht im Namen aller Opfer vollstreckte, sondern nur im Namen der einen Gruppe, dann wurden alle anderen Opfer ganz offensichtlich außerhalb des angewandten Rechtes gestellt, und das war weder gerecht noch christlich. Sie wurden nach ihrem Tode ebenso effektiv durch diese Symbolik entrechtet wie durch Hitlers Erlasse zu Lebzeiten.
In der Folge machte sich dann in der Gegend von Nürnberg derselbe geheime Einfluß bemerkbar. Viele nazistische Organisationen wurden in Nürnberg en bloc für verbrecherisch erklärt, und das bedeutete, daß Tausende von Deutschen in Haft gesetzt und monatelang oder gar jahrelang ohne Untersuchung und Urteil nicht wegen besonderen Verbrechen gefangen gehalten wurden, sondern einzig und allein weil sie Organisationen angehört hatten, in die sie unter Zwang eingetreten waren.
Ein Abgeordneter des britischen Unterhauses, Nigel Birch, stellte bei einem Besuch im August 1947 fest, daß sich allein in einem Konzentrationslager annähernd viertausend solcher Männer befanden. Er berichtete, daß die erste Frage, die man ihnen vorlegte, wenn sie endlich vor ein Gericht kamen, immer dieselbe war: «Haben Sie etwas von den Judenverfolgungen gewußt?» Die Strafe, welche diese Menschen für gewöhnlich trifft, ist die Streichung von den Wahllisten und der Zwang, sich bei der Polizei registrieren zu lassen, die Beschlagnahme ihres Eigentums und das Verbot, andere als die niedrigsten Arbeiten anzunehmen. Wieder einmal wurde die Unterstützung amerikanischer und britischer Politiker für ein mit den vorgegebenen Kriegszwecken völlig unvereinbares Ziel deutlich. Der lange Schatten von Nürnberg und von den Mächten, die hinter dem Prozeß standen, reicht bis weit in die Zukunft. Wer so mächtig ist, derartige Dinge zustande zu bringen, wie es ihm gerade paßt, wird seine Anstrengungen natürlich nicht auf Deutschland beschränken.

Zweites Buch, ab Kap. V: «Im unbekannten England» bis Drittes Buch, «Qualm 1945 – 1950» wurde weggelassen, da diese Seiten (137 bis 278) vorwiegend die Situation in England betreffen. H. Koch, 2012)

VIERTES BUCH
Die blitzenden fünfziger Jahre: 1950 ‑

Trotzdem die Kampfhandlungen vor zwei Jahren eingestellt wurden, sagten die Leute in England noch im Jahre 1947, wenn sie an normale Zeiten dachten: «Vor dem Krieg … » Sie bemerkten also ganz unbewußt, daß sie nicht im Frieden lebten. Wenn sie vom «letzten Krieg» sprachen, dann meinten sie den Ersten Weltkrieg. Auch hier wußten sie ganz instinktiv, daß der Zweite noch nicht beendet war.
Das ist der wahre Sachverhalt. Während der Krieg noch im Gange war, wurde dessen Fortsetzung beschlossen; daran waren hauptsächlich die Abkommen über Polen und Jugoslawien schuld. Europa kann ebensowenig zweigeteilt leben wie eine Schlange mit einem halbverschlungenen Kaninchen im Rachen: Entweder muß sie dieses ganz verschlingen oder ganz ausspucken. Entweder muß das antichristliche Reich die restliche Hälfte der europäischen Christenheit verschlingen oder diese gänzlich freigeben. Trotzdem alles möglich ist, glaube ich nicht, daß es die bereits eroberte Hälfte freigeben wird. Das einfachste Mittel, dies ohne Kampf zu erreichen, wurde aus der Hand gegeben, als sich die großen westlichen Armeen bei Kriegsende Hals über Kopf aus Europa und China zurückzogen.
Während so der zweite Akt der blitzenden fünfziger Jahre noch gespielt wurde, rüstete man schon die Bühne für den dritten. Wie wird dieser überschrieben sein? Vielleicht nennt ihn die eine Seite «Demokratie gegen Diktatur», und die andere «Kommunismus gegen Kapitalismus». Die Lehre aus den ersten beiden Akten aber zeigt, daß man solche Bezeichnungen nur zur Täuschung der Massen führt und daß sich hinter solchen Tarnungen andere Absichten bergen.
Die Diktatoren werden im Falle eines Sieges überall die Diktatur einführen und diese Weltkommunismus nennen; die «Demokraten» werden im Falle eines Sieges ebenfalls überall die Diktatur einführen und diese Weltregierung nennen. «Die Menschheit» wird also «vor eine Wahl gestellt», wo es in Wahrheit gar keine Wahl gibt.
Das einzige, wofür es sich, wie früher, auch in den fünfziger Jahren lohnen würde zu kämpfen, wäre für das Wohl der Nation und für nationale Freiheit innerhalb der nationalen Grenzen. Es ist die leicht erkennbare Absicht des dritten Aktes der griechischen Tragödie, beide noch völlig zu zerstören. Da die führenden Köpfe auf beiden Seiten eigentlich vom gleichen Gedanken besessen sind, wären sie in Wirklichkeit Verbündete. Der Verlauf der ersten beiden Akte hat es mir klar gemacht, daß sich in allen Staaten mächtige Menschen befinden, die dieses Ziel verfolgen, und vielleicht hat auch Hitler zu ihnen gehört.
Die einzigen drei Naziführer, die in Berlin verblieben und dort verschwunden sind, Hitler, Goebbels und Bormann, waren ausgesprochene und erleuchtete Nihilisten. Die andern, mit Ausnahme Speers, der die Wahrheit in den letzten Monaten des Regimes erkannte, waren meiner Meinung nach unklare Köpfe und mußten sich für Zwecke hergeben, die sie gar nicht kannten (wie manche britische, sozialistische Minister heute). 1941 sandte Bormann allen Gauleitern einen sehr aufschlußreichen Befehl: «Kein einziger Mensch werde etwas vom Christentum wissen, wenn es ihm nicht in seiner Jugend von Pastoren eingedrillt worden wäre. Der sogenannte allmächtige Gott gibt seine Existenz auf keinerlei Weise im voraus den jungen Menschen zu erkennen. Trotz seiner Allmacht überläßt er dies erstaunlicherweise den Bemühungen der Pastoren. Wenn eure Jugend also in Zukunft nichts mehr vom Christentum erfährt, dessen Lehren ohnehin tief unter den unsern stehen, dann wird Christus automatisch verschwinden.» Das ist die reinste nihilistische und kommunistische Lehre, die sich in den Dokumenten der bolschewistischen und der französischen Revolution immer wieder findet.

Geplantes oder ungeplantes Chaos?
Trugen die Ereignisse dieses Jahrhunderts, die jetzt ihrem Höhepunkt zustreben, im Leben der Völker wirklich nur den unberechenbaren und unbestimmbaren Charakter von Erdbeben und Vulkanausbrüchen in der Natur? Eine solche Antwort muß mit bestem Gewissen verneint werden. Wir leben in einem Zeitalter, in dem alle Regierungen große Pläne verkünden (als ob es nicht die einzige Aufgabe einer Regierung wäre, zu planen), aber quer durch alle diese Pläne zieht sich der von Menschenhand geschmiedete Super‑Plan. Hinter all dem Aufruhr besteht eine Absicht. Die Anwesenheit von Lord Aetons unsichtbaren Regisseuren kann nicht länger bezweifelt werden. Erschreckend ist nur der andauernde, immer deutlichere Erfolg ihrer Absichten. Die Umrisse der gestrigen Ereignisse sind jetzt deutlich geworden und werfen ihre Schatten in die Zukunft voraus.
Ein Rückblick auf die Zerstörungen dieser beiden Kriege, auf unzählige Umwälzungen und auf die letzten dreiunddreißig Jahre zeigt deutlich, daß nur zwei große Zielsetzungen, die vor diesen Ereignissen bereits festgelegt waren, aus ihnen Nutzen gezogen haben. Mitten im «Aufruhr» des Aufstiegs und des Zerfalls von Staaten, des Zusammenbruchs großer Nationen und der Zerstörung der Freiheit in diesen drei wilden Jahrzehnten sind einzig und allein diese beiden Mächte gediehen und immer stärker geworden, so daß sie heute die ganze Szene beherrschen. Gleichgültig, wie immer die Schlagworte des Augenblicks lauten mochten, gleichgültig, welche andern Mächte vermeintlich gegeneinander prallten, nur diese beiden Machtfaktoren sind gediehen und erstarkt.
Diese beiden Zielsetzungen heißen Kommunismus und politischer Zionismus. Beide ehrgeizigen Bestrebungen sind in ihrer Kühnheit neu für die Weltgeschichte. Die erste forderte ganz offen die Weltherrschaft für ihre revolutionären Lehren und veröffentlichte die Methoden zur Erreichung dieses Ziels. Die zweite forderte Landabtretungen in einem Teil der Erde und überall sonst außergewöhnliche Begünstigungen (das heißt in Tat und Wahrheit: die Macht).
Beide stammten vom gleichen Ort: Rußland. Beide kamen im gleichen Augenblick sichtbar zur Macht, nämlich im Oktober und November 1917, als die Kommunisten in Rußland ans Ruder kamen und die Forderung der politischen Zionisten durch eine britische Regierung unterschriftlich anerkannt wurde. Beide traten demnach mitten im «Tumult» auf. Beide arbeiteten Hand in Hand und unterstützten sich während der nächsten dreißig Jahre gegenseitig (ob sie sich im dritten Akt trennen und sich gegenseitig, wenigstens scheinbar, bekämpfen werden, das zu enthüllen bleibt den blitzenden fünfziger Jahren überlassen). Beide erhielten die Unterstützung britischer und amerikanischer Politiker, Waffen und Geld, um ihre Ziele, besonders im «Tumult» der beiden Weltkriege zu fördern. Beide gingen aus dem ersten Krieg mächtig, aus dem zweiten noch viel mächtiger hervor. Beide erhielten auf ihrem Weg Unterstützung durch das Auftauchen des «antisemitischen Faschismus» in Deutschland, ohne den sie schwerlich weiter gekommen wären.
Ein Rückblick auf den Gesamtlauf der letzten dreißig Jahre zeigt, daß die Existenz des «Nationalsozialismus» für ihr gemeinsames Vorwärtskommen unentbehrlich war. Unter diesem Aspekt wird das Geheimnis von Hitlers Herkunft, seinen wahren Absichten, seinem plötzlichen Auftreten und Verschwinden wahrhaft bedeutsam. Heute erfindet man aus durchsichtigen politischen Gründen in England «das Wiederaufleben des Faschismus».
Ich glaube, daß die Tatsache ihres gemeinsamen Geburtsortes viel zu wenig bekannt ist. Der Anarchismus – Nihilismus ‑ Bolschewismus (um die sukzessiven Namen zu nennen) wurde in Rußland in den achtziger und neunziger Jahren geboren oder wiedergeboren ‑ denn man kann die ganze Lehre bis zu den Geheimgesellschaften, ein Jahrhundert vor der französischen Revolution, zurückverfolgen. In Rußland waren die Juden an dieser Bewegung wesentlich beteiligt. Nach den gescheiterten Revolutionen von 1890 und 1905 wanderten viele nach England und Amerika aus, und diese emigrierten Juden kehrten wieder zurück und beherrschten die ersten bolschewistischen Regierungen. (Den Nachweis habe ich in meinen früheren Büchern erbracht.)
Die Entwicklung in den letzten fünfzehn Jahren war ganz eigenartig. Die Juden sind fast völlig von den vordersten Rängen der Sowjetregierung in Rußland verschwunden, bekleideten aber führende Posten in den kommunistischen Parteien aller andern Staaten. Oft handelt es sich um die Kinder der Emigranten von 1890, 1905 oder aus späteren Jahren. Diese Tatsache wurde durch die Enthüllungen des Kanadischen Berichtes, eines Prozesses in Süd‑Afrika und durch namhafte Informationen aus Amerika, Australien und andern Staaten bestätigt.
Es ist sehr interessant, die parallele Entwicklung des politischen Zionismus zu studieren. Dessen Wachstum inmitten der Judenheit gleicht sehr stark demjenigen des Nationalsozialismus in Deutschland. Der politische Zionismus ist nicht älter als sechzig Jahre. Zu Beginn fürchtete ihn die Mehrheit der Juden; jetzt hält er ihre Mehrheit in einem manchmal mystischen, meist aber terroristischen Bann.
1882 veröffentlichte ein gewisser Leo Pinsker (in Berlin) sein Buch: «Auto‑Emanzipation. Eine Warnung eines russischen Juden an seine Rasse» (Ich nehme an, daß «Auto‑Emanzipation» Selbstbefreiung heißt). Als erster erhob er den Ruf, daß sich die Juden «in einem Staat zusammenschließen müssen».
«Während allen Jahrhunderten haben die Rabbis die Juden daran erinnert, daß für sie die Gründung eines politischen Staates dem Selbstmord gleichkommen würde», sagte 1946 in Montreal ein gewisser Dr. Rabinowitsch (er nannte sich «britischer Staatsangehöriger, Bürger von Kanada, durch und durch Jude»). Aber seitdem Pinsker seinen Ruf angestimmt hat, sind schon viele Rabbis der Versuchung erlegen. «Kleine Ursachen, große Wirkungen.» Ich bezweifle, ob es sich Pinsker damals träumen ließ, daß die nichtjüdischen Politiker schon innert fünfzig Jahren bereitwilligst auf das Pochen an der Türe antworten und dem Gesuch entsprechen, ja daß seine Vorschläge noch beträchtlich ausgeweitet würden.
Seine geschriebene Warnung ist traurig, ja schauerlich. Die Juden waren überall frei geworden oder standen im Begriff, die Freiheit zu erlangen. Pinsker aber beklagte sich, daß es sich hier nicht um die selbstverständliche Anerkennung eines natürlichen Menschenrechtes handle, sondern daß es nur das Ergebnis einer intellektuellen Erkenntnis sei. Dann begibt er sich in einen undurchdringlichen Dschungel der Dialektik, wohin ihm nur einer folgen kann, der etwas von der unglücklichen und unstillbaren Sehnsucht weiß, die in jeder jüdischen Seele lebt. Wer in einem Juden nur ein anderes, gleichwertiges Wesen auf zwei Beinen sah, den liebte er noch weniger als diejenigen, die in ihm ein anderes und antipathisches jüdisches Wesen deutlich unterschieden. Er haßte «unsere Beschützer» mehr als «unsere Feinde». «Wir benötigen (sagte er) eine Heimat, wenn nicht sogar einen eigenen Staat … Nicht das Heilige Land soll das Ziel unserer gegenwärtigen Bemühungen sein, sondern ein eigenes Land.» (Kurz darauf lehnten die Zionisten Uganda ab.) Er empfahl den Erwerb eines Territoriums, auf dem sich einige Millionen Juden niederlassen können, «zum Beispiel ein kleines Gebiet in Nordamerika oder eine autonome Provinz in der asiatischen Türkei», die vom Sultan und andern Mächten «als neutral» anerkannt würde.
Aber sogar Pinsker’s Plan enthielt schon jenen ansteckenden Keim, welcher das gesamte Projekt im zwanzigsten Jahrhundert infizieren sollte. Er wollte, daß die Juden eine Nation mit einem eigenen Land werden; aber er wollte nicht, daß diese Nation das Land selbst bewohne. Er wollte nur, daß sich «der Überschuß» von Juden dorthin begebe. Die andern sollten bleiben, wo sie waren. Für die Juden forderte er nationale Rechte, die er andern aber nicht geben wollte. Er behauptete, die Juden seien nicht Staatsangehörige der Länder, in denen sie lebten, mit einem eigenen Glauben, sondern Glieder einer andern Nation. Trotzdem aber seien sie berechtigt, die Staatsbürgerschaft der respektiven Gaststaaten voll und ganz zu genießen. Diese Forderung war in der Geschichte etwas Einmaliges und bisher nur von bewaffneten Siegern an versklavte Völker gestellt worden.
«Die relativ kleine Zahl von Juden im Okzident, die nur einen unbewaffneten Prozentsatz der Bevölkerung darstellen und aus diesem Grunde vielleicht besser gestellt und bis zu einem gewissen Ausmaße sogar assimiliert sind, soll in Zukunft dort bleiben, wo sie sich jetzt befindet.» Damals lebten sehr viele Juden in den russischen, österreichisch‑ungarischen und deutschen Gebieten. Er ließ sie unberücksichtigt, ohne den Wunsch zu bekunden, daß eine jüdische Mehrheit aus einem dieser Staaten jemals nach Amerika oder nach England verschickt werden sollte.
Seine Vorschläge wurden begeistert aufgenommen. «Die Freunde Zions» hielten ihr erstes Treffen 1884 in Kattowitz ab. 1895 hatte Herzl den ersten Zionistenkongreß in Basel einberufen. Im zwanzigsten Jahrhundert war eine weltumfassende, zionistische Organisation im Wachstum, welche in den beiden Weltkriegen die amerikanischen und britischen Politiker unter Druck setzte, um mit Waffengewalt Palästina für den politischen Zionismus zu erobern.

Die mächtige Partnerschaft
Die gemeinsame Wurzel und Geburtsstätte dieser beiden gewaltigen Bewegungen habe ich bereits nachgewiesen. Sie entsprangen aus den weiten, von Juden bewohnten russischen Gebieten in den achtziger und neunziger Jahren. Es ist durchaus erklärlich, weshalb sie anfänglich Hand in Hand marschierten: Manche Juden haben in der russischen Revolution vielleicht den Weg zu einer größeren Freiheit in Rußland selbst gesehen, andere wieder haben in der jüdischen Staatlichkeit und in einem jüdischen Nationalbewußtsein die Hoffnung für eine größere Freiheit außerhalb der russischen Grenzen erblickt. Wie immer dem sei, sie sind nach 1917 nicht verschiedene Wege gegangen, sondern haben sich gegenseitig weiterhin unterstützt. Die Juden trugen wesentlich zur Verbreitung des Kommunismus außerhalb Rußlands bei. Das Sowjet‑Imperium verbot zwar die zionistische Doktrin in Rußland selbst, aber sie förderte diesen Plan in Palästina, genau so wie ihn die Amerikaner und Engländer unterstützt hatten.
Diese Sachlage wurde der Öffentlichkeit erst unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg klar, obwohl man sie schon früher hätte erkennen können. In früheren Kriegen wurde die Regierungsgewalt im besiegten Feindesland immer durch die Besetzungsarmee und einige vom Sieger abgeordnete Staatsbeamte ausgeübt. Aber nach dem zweiten Krieg geschah etwas Neues. In den amerikanischen und britischen Besatzungszonen erhielt noch eine dritte Partei große Gewalt, die man nur durch ihre Initialen kannte: UNRRA. Fünfundneunzig Prozent der gewaltigen Gelder dieser Organisation flossen aus den Vereinigten Staaten, England und Kanada. Ohne die Steuerzahler zu fragen, leistete die britische Regierung einen Beitrag von £ 155 000 000 aus Steuergeldern, und der Totalbetrag der «als freie Spende» ohne Gegenverpflichtung «verteilten» Gelder belief sich auf £ 920 000 000. Ein wesentlicher Teil dieser Spenden, in Geld und Waren, ging nach der Sowjetunion und den von den Sowjets besetzten Staaten, wo die gespendeten Waren entweder an das Volk verkauft (wobei die Gewinne in die Staatskasse flossen) oder für die privilegierten Beamtenklassen reserviert wurden.
Der neugierige Geschichtsforscher wird sich also mit Recht die Frage stellen, wer hier eigentlich wem auf die Beine geholfen hat. Wenn Sowjetrußland und die Satellitenstaaten später zu den Bösewichtern der fünfziger Jahre wurden, so haben sie damals doch eine sehr wesentliche Unterstützung erhalten ‑ ebenso der politische Zionismus. Im Januar 1946 wurde diese Tätigkeit, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, taghell erleuchtet. Ein angesehener britischer Offizier, Generalleutnant Sir Frederick Morgan, der in die Dienste von UNRRA gestellt worden war, mußte sich mit dem dornenvollen Problem der «Displaced Persons», dieser armen, heimatlosen Opfer der Kriegszerstörung befassen. Was er entdeckte, veranlaßte ihn, seiner Entrüstung vor aller Öffentlichkeit Luft zu machen.
General Morgan stellte fest, es bestehe «eine Geheim‑Organisation», um eine Massen‑Auswanderung der Juden aus Europa ins Werk zu setzen. Er soll ferner gesagt haben, es bestehe «ein ausgearbeiteter Plan für einen zweiten Exodus». Hier war die Enthüllung, daß in aller Heimlichkeit große politische Projekte, unterstützt von amerikanischen und englischen Geldern, ausgeheckt wurden.
So gab es eine plötzliche zuckende Bewegung wie bei einem versteckten Riesen. General Morgan hatte Blaubarts verbotene Kammer geöffnet. Ein gewisser Herr Lehmann, damals Generaldirektor der UNRRA, forderte von der andern Seite des Atlantiks die sofortige Abberufung des Generals. Aber General Morgan erhielt die Erlaubnis zu bleiben, nachdem er erklärt hatte, er sei frei von allen «antisemitischen Absichten». Aber im August machte er eine zweite, ähnliche Enthüllung und wurde sofort durch den neuen Ceneraldirektor der transatlantischen UNRRA, einen gewissen Herrn La Guardia, von seinem Posten «enthoben», der an seiner Stelle einen gewissen Herrn Myer Cohen ernannte. (Beide Generaldirektoren waren eingeschworene Zionisten.)
Die britische Regierung leistete einer solchen Behandlung eines hohen britischen Offiziers keinen Widerstand; er wurde im Dezember «auf sein eigenes Gesuch» seines Amtes enthoben. Zu jener Zeit aber hatten sich einige britische Parlamentarier, die zum «Schätzungs‑Ausschuß des Unterhauses» gehörten, nach Oesterreich begeben, um zu schauen, wie dort die Gelder des britischen Steuerzahlers verwendet wurden. In ihrem Bericht (H. M. Stationery Office, No. 190, 5. November 1946) hieß es, «daß eine gewaltige Zahl von Juden, nahezu ein zweiter Exodus, aus Osteuropa in die amerikanischen Zonen von Deutschland und Österreich ausgewandert sind, mehrheitlich in der Absicht, schließlich nach Palästina zu gelangen. Es ist ganz offensichtlich, daß es sich um eine wohldurchorganisierte Bewegung handelt, die über enorme Gelder und mächtige Gönner verfügt. Aber es ist dem Komitee nicht gelungen, irgendeine beweiskräftige Unterlage für die wahre Urheberschaft dieser Organisation zu finden.» Das war nun eine genaue Bestätigung von General Morgans Aussagen, die nochmals durch den Bericht des Kriegs‑Untersuchungs‑Komitees erhärtet wurde, welches der amerikanische Senat nach Europa entsandt hatte. Dieser besagte, daß die massive Auswanderung von Juden aus Osteuropa nach der amerikanischen Zone in Deutschland «einen Teil eines sorgfältig organisierten und von besonderen Gruppen in der USA finanzierten Planes bilde».
Damit lagen die Tatsachen offen vor allen Augen. Diese große Wanderung vollzog sich zur Hauptsache aus der von den Sowjets kontrollierten europäischen Hälfte, die niemand ohne sowjetische Erlaubnis verlassen kann. Ihre Angehörigen waren keine «Displaced Persons». Die meisten stammten aus mehrheitlich jüdischen Gemeinden in Rußland, dem russisch besetzten Polen, Rumänien und Ungarn. Sie wurden vom kommunistischen Imperium geschickt, und ihr Durchmarsch wurde durch britische und amerikanische Gelder erleichtert. Man half ihnen, nach Palästina zu gelangen, um die dortige Lage noch zu verschärfen. Der Kommunismus und ebenso die amerikanische Finanzwelt unterstützte den politischen Zionismus aus selbstsüchtigen Gründen.
In diesen Bruchstücken zeigte sich auf einmal die Wahrheit, die aber durch den Klagechor aller Londoner Zeitungen sogleich wieder verdunkelt wurde. Diese beklagten sich darüber, daß die hartherzigen Palästinabehörden sich weigerten, die verfolgten Besucher an der Küste landen zu lassen! Noch heute, während ich schreibe, viele Monate nach den Enthüllungen General Morgans und nach der Bestätigung durch das Komitee des USA‑Senates, werden die «Höllenschiffe» allen britischen Zeitungslesern als Schiffe dargestellt, deren Fracht aus Menschen besteht, die von Hitler aus der Heimat vertrieben wurden und heute nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Am 12. August 1947 fragte Major Beamish, ein Parlamentarier im Unterhaus, ob die britische Regierung sich bei der polnischen Regierung über die Gründe des Exodus aus Polen erkundigt habe. Er wies darauf hin, daß drei der mächtigsten Minister in Polen Juden waren. Er erhielt keine Antwort. Die britischen Flottenbehörden hatten in einem der «Höllenschiffe» Dokumente gefunden, aus denen hervorging, daß dem amerikanischen Kapitän insgesamt £ 45 540 (das heißt £ 10 pro Kopf) ausbezahlt werden sollten, wenn er seine «Flüchtlinge» in Palästina gelandet hatte. Diese Dokumente wurden von der britischen Regierung nicht veröffentlicht. In Tat und Wahrheit wird heute das Bühnenbild für den dritten Akt des Dramas unseres Jahrhunderts aufgestellt, und diese Bühnenarbeiter leben in vielen Staaten, die nach außen gegen diese Vorbereitungen protestieren.

Die unsichtbare Zensur
Der Fall General Morgan ist für den, der unsere Zeit verstehen will, von größter Bedeutung. Alle geschulten Beobachter wußten von der Unterstützung, welche die extremen Zionisten durch die Kommunisten erhielten. Hier aber lag der erste unanfechtbare Beweis für diese Tatsache und für ihre Bedrohung des Weltfriedens. Das Für oder Wider dieser Frage wurde nie zur Diskussion gestellt. General Morgan wurde des «Antisemitismus» lediglich deswegen beschuldigt, weil er einen großen übernationalen Handel, der sich hinter den Kulissen abgespielt hatte, und in dem die Menschen lediglich die Geschobenen waren, durch seine Aussagen bloßgestellt hatte. Daß er die Wahrheit sagte, war unbedeutend; er hatte den verbotenen Vorhang gelüftet und mußte abtreten. Man kann nur hoffen, daß es nicht bei der verwerflichen Abberufung durch die britische Regierung geblieben ist, sondern daß sich diese die Kenntnisse Morgans zu Nutze gemacht hat. Sonst wäre der Ausblick in die fünfziger Jahre freilich recht düster. Denn das würde heißen, daß unsere Regenten sich einer fremden Oberaufsicht, die im nächsten Jahrzehnt nach der offenen Beherrschung strebt, heute schon fügen.
Als in Palästina einige besonders grausame Mordtaten begangen wurden (die britische Regierung und die Presse bekundeten ihr Beileid mit den Opfern mit einer Redewendung, die eigens für diesen Zweck bestimmt war: «Durch diese Ausschreitungen ist der Sache des Zionismus unermeßlicher Schaden zugefügt worden»), schrieb ein britischer Soldat in Palästina einen Brief an die «Times». Er bekundete darin «das allgemeine Gefühl der Enttäuschung und der Verwunderung über die Haltung der Regierung Seiner Majestät gegenüber den Morden an britischen Soldaten … Was soll die Armee mit der Sympathie der Regierung anfangen? Die bereits begangenen Morde werden dadurch nicht gesühnt, und weitere Mordtaten werden dadurch ebenfalls nicht verhindert. Besitzt unsere Nation heute etwa nicht mehr den Mut, um den Gesetzen dort, wo wir für sie verantwortlich sind, Nachachtung zu verschaffen?»
In diese üble Lage waren wir nahezu geraten. Wenn wir diese geheime Knechtschaft auf uns nehmen, dann ist unser Los als Nation besiegelt.
Während meiner jetzt fast fünfundzwanzigjährigen Journalistenlaufbahn hat sich diese Finsternis verbreitet, bis nahezu jedes Licht gelöscht worden ist. Als ich mit meinem Beruf begann, waren das Parlament und alle Zeitungen noch für die Diskussion jeder wichtigen öffentlichen Frage zu haben. Damals gab es Presse- und Meinungsfreiheit, die nur für Aufforderungen zum Aufruhr, Verleumdungen und Obszönitäten keinen Raum hatte; in zwei Jahrzehnten ist sie fast völlig verschwunden. Die Art, wie General Morgan behandelt wurde, ist heute allgemein üblich geworden. Mit List hat man es fertig gebracht, jede Diskussion über den politischen Zionismus, über den jüdischen Einfluß im Kommunismus oder über eine Verwandtschaft oder ein Bünduis zwischen beiden Bewegungen glattweg zu verunmöglichen. Dies geschah lediglich dadurch, indem man jeden Hinweis auf diese Fragen zum «Anti‑Semitismus» abstempelte. Während ich schreibe, ist eine gut organisierte Zeitungskampagne ausgelöst worden, wonach solche Fragen als «staatsgefährlich» gelten sollen.
Dabei ist es doch klar, daß sich Kommunismus und Judenheit wiederholt geholfen haben. Die ersten Ausnahmegesetze zugunsten eines Volksteils, des jüdischen, werden im kommunistischen Rußland eingeführt. Die Absicht war, die öffentliche Diskussion über den überragenden Anteil der Juden an den Ereignissen von 1917 zum Schweigen zu bringen. Da man in Rußland ohnehin kein Thema frei diskutieren kann, hat diese Maßnahme an sich nicht viel Bedeutung. Wichtig ist, daß diese Gesetze in den letzten dreißig Jahren wirklich und in abgewandelter Form in vielen Ländern außerhalb Rußlands eingeführt worden sind, und daß der Kommunismus und das Judentum mit vereinten Kräften an deren Ausdehnung arbeiten. Jetzt gelten sie für alle von den Sowjets beherrschten Gebiete in Europa. In der Praxis gelten sie auch in der amerikanischen Zone Deutschlands und sie haben sich auch schon, wenn auch noch nicht im Gesetze verankert, in der englischen und amerikanischen Presse eingeschlichen.
Es ist aber nicht ihre Absicht, die Juden zu schützen, sondern zu verhindern, daß das wirkliche Geschehen aufgezeigt wird. Ein Beweis hierfür ist der Fall von General Morgan. «Dieses Volk hat seine Freiheiten nie preisgegeben, es sei denn, daß es getäuscht worden ist», schrieb Edmund Burke. Die Täuschung, daß man die Juden in England schützen müsse, wird jetzt künstlich mit der Absicht geschaffen, das Chaos weiter auszudehnen, welches Europa in den letzten dreißig Jahren aufgezwungen worden ist. Unter der täuschenden Bezeichnung «Anti‑Semitismus» wird jetzt der Angriff gegen die letzten Freiheiten in England eröffnet.
Während drei Jahrzehnten ist dieses Vorgehen außerordentlich erfolgreich gewesen. Wenn ein Volk seine Freiheit verloren hat, bringt man diese Etikette in das nächste Land, das nun an der Reihe ist. In den Antiquariaten der Charing Cross Road kann der Besucher Dutzende von Büchern finden, die zwischen 1890 und 1917 gedruckt worden sind und Rußland als den satanischen Feind der Juden schildern. Auf den gleichen verstaubten Gestellen befinden sich ebenfalls Bücher, die zwischen 1933 und 1945 geschrieben und in London verlegt wurden, in welchen Deutschland die Rolle Rußlands übernommen hat. Heute wird der Name nochmals gewechselt; statt Rußland und Deutschland steht jetzt in den Büchern, die in New York geschrieben und verlegt werden, der Name England. Der Engländer, der sich auf dieser Insel umsieht, kann ja selbst beurteilen, ob das wirklich stimmt, und daraus schließen, wie wahr die früheren Behauptungen gewesen sind. Sollten in England wirklich «Gesetze gegen den Antisemitismus» erlassen werden, dann würde meiner Ansicht nach der Name des Landes bald wieder wechseln. Als nächstes würde es Amerika heißen.
Bei all diesen Vorgängen hatte die Masse der Juden ebensowenig Mitspracherecht wie die russischen, deutschen oder englischen Massen bei der Entscheidung ihres Geschickes. Als Leo Pinsker 1882 zum ersten Mal den Vorschlag einer «jüdischen Heimstätte» machte, waren die Massen der russischen Juden dagegen. Damals war die Emanzipation beinahe Wirklichkeit geworden. Als der geheimnisvolle Hitler in Deutschland zur Macht kam, hatten die Juden dort längst ihre Gleichberechtigung erhalten und liebten Deutschland als ihre Heimat. Im England des zwanzigsten Jahrhunderts hatte die einheimische Bevölkerung längst das Bewußtsein verloren, daß sich die Juden in irgend einer Beziehung von der restlichen Bevölkerung unterscheiden ‑ bis die Zionisten und Kommunisten ihren Ruf des «Anti‑Semitismus» anstimmten. Weil es keinen Antisemitismus bei uns gab, mußte zum Gelingen des Plans diese Vogelscheuche künstlich aufgestellt werden.
Diese Vorgänge haben sich überall wiederholt: Die Massen der Judenheit sind unter die Gewalt des politischen Zionismus geraten. Die Zahl der Juden, die in dieser Bewegung mit Recht eine tödliche Gefahr für Juden und Nicht‑Juden erblicken, wird immer kleiner und befindet sich auf dem Rückzug. In England und Amerika, wie früher in Deutschland und in Rußland, waren es einige Juden, die als erste die Gefahr erkannten und vor ihr warnten. Ein amerikanischer Jude, Henry H. Klein, schilderte in einer Druckschrift die Macht, welche die als Sanhedrin bekannte fanatische Gruppe über die Judenheit gewonnen hat. Diese Gruppe hat nach seiner Schilderung den Vorsatz, die christliche Welt zu zerstören, ein Vorsatz, der zum größten Teil bereits verwirklicht worden ist. (Er schrieb im Jahre 1945.) Seine Schilderung des Planes und seiner Beweggründe deckt sich mit den Erklärungen Disraelis vor genau hundert Jahren. Herr Klein wurde von den extremen Zionisten verfolgt und durch sie in Verruf gebracht. Wenn einer es wagt, sich ihren Plänen zu widersetzen, fragen sie nicht mehr darnach, ob er Jude oder Nicht‑Jude ist.
Die Macht, die jüdischen Massen wie Schafherden umherzutreiben und ihnen einen fanatischen Haß einzupflanzen, ist in die Hände der seltsamen, halb geheimen Organisation übergegangen, die Hand in Hand mit dem Sowjetimperium arbeitet und gegen die kein nichtjüdischer Politiker sich aufzulehnen wagt. Lord Salesbury hat einmal im Oberhaus gesagt: «Es ist klar, daß wir von einer kleinen, extremen Gruppe der Juden in Palästina als Feind der Juden behandelt werden. Sie haben gegen England den Krieg erklärt.»
Das Wort «klein» war angesichts der offenkundigen, gewaltigen Macht dieser Organisation, die sich ganz bestimmt nicht «in Palästina» befand, irreführend. Ihr Hauptquartier befindet sich in Amerika und in der von den Sowjets beherrschten europäischen Hälfte. In diesem Jahrhundert ist das Gros der Juden von Rußland nach Amerika übergesiedelt. «In der Generation zwischen 1880 und 1910 befanden sich nicht weniger als 30 Prozent aller Juden auf der Wanderung von einem Kontinent zum andern. . . . Und heute, 1940, sind die Vereinigten Staaten mit nahezu fünf Millionen Juden zum weitaus größten jüdischen Zentrum der Welt geworden (bestimmt das größte, das jemals in der jüdischen Geschichte vorhanden war).» Dieses Zitat stammt aus einem Artikel von Benjamin Gebiner in der Jubiläumsnummer des jüdischen «Workmens Circle Call» in Chicago. Seit 1940 erfolgte ein neuer starker Zufluß von Juden nach Amerika, gleichzeitig mit der jüdischen Abwanderung aus den russischen Gebieten nach Palästina.
Eines wissen die Nicht‑Juden nicht, weil ihre Zeitungen davon keine Mitteilungen geben: Den Terror, den die «unsichtbaren Drahtzieher» über diese wandernden Massen ausüben. Ich habe mit britischen Offizieren gesprochen, die sich an Bord der in den palästinensischen Küstengewässern aufgegriffenen «Höllenschiffe» befanden. Sie gaben ganz erstaunliche Berichte, von jüdischen Auswanderern, die keine Ahnung hatten, wer sie eigentlich auf die Reise geschickt hatte; denen man eingeschärft, nur einige erlaubte Worte zu sprechen und die sich aus Angst für ihr Leben weigerten zu sprechen; und die in diesem Zustand eines wirklich tödlichen Terrors von wirklich brutalen Führern mit Gewalt auf den Schiffen zurückgehalten wurden.
Die politischen Zionisten sind in den letzten dreißig Jahren in der Welt erstaunlich mächtig geworden. Im Ersten Weltkrieg gelang es ihnen durch einen bei den kriegführenden Völkern unbemerkten Druck ein Ziel zu erreichen, das mit den eigentlichen Kriegszielen überhaupt nichts zu tun hatte. Sie nötigten einer britischen Regierung das Versprechen für eine «Nationale Heimat» auf dem Boden eines andern Volkes ab, wo sie volle «politische Rechte» genießen sollten (welche den Einheimischen nicht zugestanden wurden) und trotzdem ihre politischen Rechte in andern Ländern behalten durften. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es ihnen, nachdem sich die britische Regierung endlich dieser Aufgabe entledigen wollte, einen amerikanischen Präsidenten und sogar die «Vereinigten Nationen» für ihre Forderungen, sowie die Sowjetregierung zur Inszenierung eines «zweiten Exodus Richtung Palästina» zu gewinnen.

Tumult und Absicht

Das Licht, das wir jetzt auf diese düsteren Ereignisse geworfen haben, beleuchtet auch die Umrisse des kommenden Jahrzehnts. Die Feindseligkeiten dauern fort. Nur die Kampfhandlungen haben aufgehört. Nicht eine, sondern zwei Kriegslagen sind für die Zukunft geschaffen worden, durch welche die Pläne des Welt‑Kommunismus und des politischen Zionismus, die schon oft parallel gelaufen sind, vermutlich weitergeführt werden.
Diese beiden Kriegslagen liegen in Europa und in Arabien. In Europa herrscht eine widernatürliche Zweiteilung, die ebenso wenig anhalten kann, als der Mond seinen Lauf plötzlich einstellt. Sie muß entweder durch einen Rückzug des Sowjetimperiums in die früheren Grenzen oder durch dessen Vormarsch zum Atlantik ein Ende nehmen. Letzteres würde Europa, samt dieser Insel, zu einem zweiten Sowjetkontinent umwandeln.
In Arabien herrscht der ehrgeizige Plan des politischen Zionismus, der nur mit britischer und amerikanischer Waffenhilfe, vermutlich als Streitkräfte der «Vereinigten Nationen» getarnt, verwirklicht werden kann. Ich habe oft darauf hingewiesen, wie bedeutsam die Artikel der «Times», als Anzeichen kommender Ereignisse sind. Man denke hier nur an die großen Musterbeispiele der Empfehlungen dieses Blattes, Österreich und die Tschechoslowakei sollten sich den Forderungen Hitlers unterwerfen. Zuerst lehnte die britische Regierung ab, um sie dann später doch durchzuführen. Oder man denke an die ähnliche Empfehlung der «Times», Polen zugunsten Rußlands zu teilen. Auch diese Empfehlung wurde von der britischen Regierung zuerst verworfen und dann doch durchgeführt. Am 14. Mai 1947 schrieb die «Times»: «Die britische Überweisung des Streitfalles zwischen Arabern und Juden an die Vereinigten Nationen auferlegt dieser Organisation die Verpflichtung, einen Schiedsspruch zu fällen, dem mit der Moral und notfalls mit der physischen Autorität der zivilisierten Welt Nachachtung verschafft werden kann.»
Sollte sich diese Insel passiv damit abfinden, «ein Glied einer europäischen Union von Sowjetrepubliken» zu werden (wie es John Strachey 1937 prophezeite), dann könnte die zuerst erwähnte Kriegslage möglicherweise in einem kampflosen Sowjetsieg enden. Aber die zweite Kriegslage kann nicht kampflos ausgetragen werden, ganz gleichgültig, ob «die physische Autorität der Welt» eingeschaltet wird oder nicht. Die Araber sind ein primitives Volk und werden kämpfen. Die daraus entstehende Explosion wird sich ausbreiten und zur größten Katastrophe dieses Jahrhunderts werden.
Das ist also die Höllenmaschine, die während zwei Weltkriegen und im Laufe von drei Jahrzehnten vorbereitet wurde, um im Laufe der kommenden Jahre zu explodieren. Jetzt könnte dem Ausbruch neuer Feindseligkeiten lediglich durch Staatsmänner ein Ende gesetzt werden, die es wagen, sich offen über die halbverborgenen Mächte, die hinter allen diesen Dingen stecken, auszusprechen und ihnen Widerstand zu leisten. Solange die Politiker in Amerika und in England solche Dinge wie den «Kanadischen Bericht», die Methoden des Zionismus und die sowjetisch‑zionistische Zusammenarbeit in der Vorbereitung des Krieges in Arabien verheimlichen, werden die Feindseligkeiten andauern und der Zeitpunkt näher rücken, wo dieser Konflikt mit Waffengewalt ausgetragen wird.
Es steht nicht fest, daß beide Kriegslagen gleichzeitig akut werden. Die kommunistische Technik hat sich in der Praxis im zweiten Krieg deutlich gezeigt. Sie besteht darin, bei Kriegsausbruch alle Kriege zu «imperialistischen Kriegen» zu machen und die kommunistischen Parteien zu veranlassen, die Kriegsanstrengungen hinter der Front zu sabotieren oder diese im Falle des Mitkämpfens in Bürgerkriege umzuwandeln. Mit andern Worten, die Kommunisten sollen sich weniger für den militärischen Sieg einsetzen, sondern dafür, die «Sowjetmacht» in jedem Lande zu erobern.
Das kann sich leicht wiederholen, wenn sich die Kriegslage in Arabien zuerst in einen bewaffneten Krieg wandelt. Der Umstand, daß die Sowjetmacht bei dessen Vorbereitung mitgeholfen und den amerikanischen Vorschlag auf die Teilung Palästinas zugunsten der von Rußland abgesandten und von Amerika finanzierten Auswanderer unterstützt hat, wird die Kommunisten nicht daran hindern, mit dem Ruf, es handle sich hier um einen «imperialistisehen Krieg», die Massen des Nahen Ostens, Indiens und des Fernen Ostens aufzupeitschen. Wie sollen sich diese Massen daran erinnern, falls sie es je gewußt haben, daß die Kriegslage von den Sowjets heraufbeschwört worden ist ‑ indem diese die unwissenden Juden in Schiffs‑ und Bahntransporten in jene Gegend verfrachtet haben, oder daß ein englischer General seines Postens enthoben wurde, als er vor diesen Vorgängen warnte?
Falls aber in diesem Kriege britische, amerikanische oder andere Truppen eingesetzt werden, dann dienen sie nur als fremde Hilfstruppen der zionistischen Imperialisten, die der Sowjet‑Imperialismus von Anfang an unterstützt hat. Mit ihrer Hilfe würde dann das zionistische Reich errichtet, das bestimmt etwas ganz anderes als eine «Nationale Heimstätte» für den «Überschuß» in einem kleinen Teile Palästinas wäre. Dieses Unternehmen würde nah und fern die größten Umwälzungen verursachen. Mit ihm hätte der letzte Angriff gegen die persönliche Freiheit und die nationale Unabhängigkeit eingesetzt ‑ denn es würde selbst mit den sophistischsten Argumenten nicht möglich sein, zu verheimlichen, daß die Briten und Amerikaner (sogar wenn sie sich «Vereinigte Nationen» nennen) völlig mutwillig ein kleines und völlig ruhiges Völklein angegriffen haben. Eine solche Schlacht könnte niemals als Kampf um das Recht getarnt werden, und ihre Folgen könnten für alle nur Ruin und Sklaverei sein. Damit wäre dann der große Plan für das zwanzigste Jahrhundert so gut wie durchgeführt.

Zurück in die vorchristlichen Zeiten?

Ein solches Unternehmen würde in einfachen Worten bedeuten, daß die Menschen der christlichen Zivilisation an die Geburtsstätte ihres Glaubens und ihrer Kultur mit der Absicht zurückkehren würden, die ganze Geschichte dieser 1947 Jahre ungeschehen zu machen. In dieser Handlung liegt eine ungeheure symbolische Kraft: Europa, zu zwei Dritteln schon vollkommen zerstört, braucht nur noch diesen letzten Schlag.
Wer konnte das vor dreißig Jahren voraus sehen, als ein britischer Politiker im Schutze der ihm übertragenen «Notvollmachten» frisch fröhlich einen Brief diktierte, in dem er sich mit der Gründung einer «Nationalen Heimstätte» in Palästina einverstanden erklärte? Die Geschichte dieser dreißig Jahre ist ebenso erstaunlich wie jene der dreiunddreißig Jahre, die im Jahre 29 mit der Verurteilung des Nazareners endeten. Wird sie in drei weiteren Jahren, im Jahre 1950, einen ähnlichen Ausgang finden: Daß ein fremder Herrscher dort gegen seinen Willen in allen Belangen dem Gebrüll des Pöbels nachgibt? Der Rückzug der britischen und amerikanischen Politiker vor den geheimnisvollen politischen Zionisten in den letzten dreißig Jahren erinnert sehr stark an die Laufbahn des Pontius Pilatus.
Die phantastische Geschichte der Ereignisse seit diesem Tage im Jahre 1917 bis 1947 sollte allgemein bekannt sein. Sie ist es aber leider nicht. Die besten Schilderungen finden wir in den folgenden Büchern: «Frances Newton. Fünfzig Jahre in Palästina.» (Cold. harbour Press 1948) und «J. M. N. Jeffries: Palästina. Die Mlirklichkeit.» Herr Bevin, der dreißig Jahre später das Vermächtnis der harmlos aussehenden Schlangeneier von Lord Balfour in Form einer ausgewachsenen Schlange übernehmen mußte, spielte einst auf «den zweitausend Jahre alten Streit zwischen Juden und Arabern» an. Das war eine dieser irreführenden Feststellungen von höchster Stelle, die jeden Funken von Hoffnung in den Zuhörern ersterben lassen. Denn man muß aus solchen Bemerkungen schließen, daß die Männer, die sich mit diesen gefährlichen Fragen befassen, von ihrer Tragweite keine Ahnung haben. Bis zur Erklärung des Jahres 1917 lebten die Juden und Araber in Palästina völlig freundschaftlich miteinander. Etwas später kam Bevin der Wahrheit schon näher, als er das zionistische Unternehmen als Krieg zwischen der Judenheit und den Nicht‑Juden bezeichnete. Tatsächlich scheint es mir ein Krieg zu sein, der von den politischen Zionisten gleichermaßen gegen die große Masse der Juden wie der Nicht‑Juden geführt wird.
Zuerst kam also das ursprüngliche Versprechen, mit welchem die den Arabern gegebenen Versprechen gebrochen wurden. Die Folgen: Die Jahre einer künstlich organisierten zionistischen Einwanderung in Palästina, wachsende arabische Proteste, arabische Aufstände in den Jahren 1920, 1921, 1929 und 1933 und von 1936 bis 1939 der erste zionistische Krieg (geführt von britischen Truppen gegen die Araber).
Der lange und kostspielige Krieg war nicht erfolgreich und nahm erst ein Ende, als sich die britische Regierung damit einverstanden erklärte, die jährliche zionistische Einwanderungsquote auf 12 000 zu reduzieren.
Damit hatte der arabische Widerstand dem zionistischen Plan Einhalt geboten. Ohne die gleichzeitige Erhebung Hitlers und des «Anti‑Semitismus» in Deutschland und den Zweiten Weltkrieg hätte die bösartige Invasion eines friedlichen Landes nicht durchgeführt werden können, und der «Plan» des zwanzigsten Jahrhunderts wäre damit vereitelt worden.
Der Zufall ist in unserem Jahrhundert offensichtlich von einem heimtückischen Dämon getragen. Hitler tauchte auf, der zweite Krieg begann, nahm seinen Verlauf und kam zu seinem merkwürdigen Abschluß. Was geschah nachher? Es wurde eine Organisation der «Vereinigten Nationen» gegründet, um neue «Angriffe» in Zukunft zu verunmöglichen und die Verbreitung der «Demokratie» überall zu gewährleisten.
Es ist seit ihrem Gründungstage den «Vereinigten Nationen» nicht gelungen, den Frieden zu sichern, Angriffe zu verhindern oder die demokratischen Freiheiten überall zu gewährleisten. Es ist ihnen ebenfalls nicht gelungen, auch nur in einer wichtigen Frage Einstimmigkeit zu erzielen, außer mit einer Ausnahme: Sie entschieden mit einer überwältigenden Mehrheit, daß die zionistische Invasion in Palästina fortgesetzt werden solle. Im Lichte dieser unumstößlichen Tatsache gewinnen die jetzt laufenden Pläne zur Gründung einer «Streitmacht der Vereinigten Nationen» und zur Erlangung des Monopols für die Kontrolle der Atombomben durch ein souveränes Komitee, ADA, eine neue Bedeutung.
Es begann mit der Entsendung einer Untersuchungskommission nach Palästina. Die edlen Grundsätze der «Charta der Vereinigten Nationen» (genau wie die früheren der Atlantik Charta) wurden überhaupt nicht beachtet. Die durch Mehrheitsbeschluß festgelegten Leitsätze erwähnten nirgends die Worte «Unabhängigkeit, Demokratie und Selbstbestimmungsrecht» für die eingeborenen Bewohner von Palästina. Letztere ließ man überhaupt vollkommen aus dem Spiel, da das Untersuchungskomitee einen Vorschlag zur Berücksichtigung der Interessen der Eingeborenen aufs schärfste zurückgewiesen hatte. Aber die Angelegenheit der «jüdischen Flüchtlinge» aus Europa (jene nämlich, die während des Aufenthalts des Untersuchungsausschusses in Palästina aus den Sowjetgebieten geschickt wurden) figurierte auf der Tagesordnung, trotzdem die Araber mit deren Verschickung offensichtlich nichts zu tun hatten.
Diese Beschlüsse wurden im Herzen «des größten jüdischen Zentrums der Welt» gefaßt, wo man sich um die spärlichen arabischen Stimmen ebensowenig kümmerte wie in London. Die ersten Missionare der «Vereinigten Nationen» zogen nach Palästina und empfahlen am 31. August 1947, daß jener Teil Palästinas, in dem die importierten Zionisten während der letzten dreißig Jahre die Überhand über die ansässigen Araber gewonnen hatten, zu einem unabhängigen jüdischen Staat umgewandelt werden solle. Ferner wurde empfohlen, daß während zwei Jahren 150 000 neue Einwanderer und nachher jährlich 60 000 aufgenommen werden sollten.
So war also die erste Handlung der «Vereinigten Nationen» nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kriegserklärung! Wenn das nicht den «Plan» des zwanzigsten Jahrhunderts enthüllt, dann weiß ich wirklich nicht, was es noch braucht, bis man klar sieht. Das war eine Kriegserklärung gegen ein harmloses Volk; die Vertreter der britischen Regierung in Palästina hatten während dreißig Jahren davor gewarnt. Die Vertreter der sechs benachbarten arabischen Staaten, Libanon, Syrien, Irak, Aegypten, Saudi Arabien und Jemen hatten dem Untersuchungsausschuß einmütig mitgeteilt, daß ein solcher Beschluß von der arabischen Welt als feindseliger Akt betrachtet würde.
Jetzt war die Zeit gekommen, wie die «Times» vor drei Monaten angedeutet hatte, daß die «zivilisierte Welt» ihrer Autorität physische Nachachtung verschaffen mußte. Aber die Vereinigten Nationen verfügten noch nicht über Befreiungsarmeen oder freiheitsbringende Atombomber. Wer also sollte die Locktaube sein?
Dieses Land! Die «Vereinigten Nationen» erklärten den Krieg im Namen Englands. «Das Vereinigte Königreich soll diese Maßnahmen durchführen.» Das also war das Ergebnis (nebst der Zweiteilung Europas) des Zweiten Weltkrieges.
Die sozialistische Regierung von 1945 hatte ihre Absicht, sich aus Indien und Ägypten zurückzuziehen, bereits angekündigt. Nur die Zeit kann beweisen, ob diese großen Rückzüge moralisch gerechtfertigt waren; sollten sie nur aus Verehrung für die Lehren Fabians vor vierzig Jahren geschehen sein, dann muß man sie als gewöhnliche Kapitulationen bezeichnen. Die gleichzeitige Einleitung einer Invasion eines Moslemstaates und zwar wegen einer fremden Superregierung war bestimmt gerade gut genug, um diese Rückzüge in schlechteres Licht zu rücken ‑ nämlich als heilloser Unsinn von allem Anfang an. . . .
Die Führer der «Haltet links!»‑Gruppe, Herr Crossman und andere, die den Wegzug der Engländer aus Palästina gefordert hatten, schrieben jetzt der «Times», daß ein Rückzug ein Zeichen von materieller und moralischer Schwäche wäre. Wir müßten bleiben und die Teilung mit Gewalt durchsetzen und derart unsere Freundschaft sowohl mit den Arabern wie mit den Juden festigen.
Die Gestalt des Plans ist klar. Britische Truppen wenn möglich, oder dann amerikanische sollten den neuen Krieg starten. Diesmal ging es ganz offensichtlich weder um ein Ideal noch um britische oder amerikanische Interessen. Die zionistische Macht sollte vergrößert und das zionistische Reich begründet werden; die britischen oder amerikanischen Soldaten würden ihm zu Diensten sein. Ich glaube, es ist das eigentliche und höchste Ziel, daß amerikanische Armeen in Arabien kämpfen. Sollte der Esel, «öffentliche Meinung» genannt, eine Rübe benötigen, dann könnte man ihm leicht «lebenswichtige Öl‑Interessen» vor die Nase halten.
Dieses Wort «Erklärung» hat in unsern Zeiten und in unsern Angelegenheiten einen üblen Geschmack erhalten. Die Balfour-Erklärung, die dem kriegsbefangenen Publikum des Jahres 1917 recht harmlos zu sein schien, hat sich in der Folge als eine Kriegserklärung gegen die Araber in Palästina entpuppt und führte in den zwanziger und dreißiger Jahren zu kostspieligen Feldzügen. Sie führte auch in einer direkten Linie zu der «Erklärung» der Vereinigten Nationen von 1947, die sich in der Folge wiederum als neue Kriegserklärung gegen die Araber erweisen wird. Wird der Versuch gemacht, sie mit Gewalt durchzuführen, dann können die mit Sicherheit daraus entspringenden Feindseligkeiten ein unberechenbares Ausmaß annehmen und sich zuletzt als Beginn eines dritten großen Krieges des zwanzigsten Jahrhunderts erweisen, dessen Ursprünge dann in der «Erklärung» von 1917 liegen werden. Diese «Erklärung» würde in diesem Fall zur Kriegserklärung des dritten Weltkrieges dieses Jahrhunderts. . . .
In unsern Tagen ist die wahre Bedeutung der großen Verschiebung der jüdischen Massen aus Rußland nach Amerika klar geworden. Seit Leo Pinsker 1882 zum erstenmal den Ruf nach einer «Nationalen Heimstätte» erhob, sind die Vereinigten Staaten an Stelle Rußlands zum größten jüdischen Zentrum der Welt geworden, und die Hauptmacht der eingewanderten Juden hat sich in New York niedergelassen. Diese Juden, die sich mehr und mehr unter dem terroristischen Druck der fanatischen Zionisten befinden, lassen sich leicht für die Führung der innen‑ und außenpolitischen Geschäfte des reichsten Landes der ganzen Welt benutzen, genau so wie zweitausend Kommunisten in einer britischen Gewerkschaft von achtzigtausend Mitgliedern genügen, um die Politik dieser Gewerkschaft zu bestimmen. Ein getreues Bild dieser Sachlage war in einem kürzlich erschienenen Bericht des «Daily Expreß» vom 15. Oktober 1947 zu finden:
«Präsident Truman ist von seiner republikanischen Opposition gewarnt worden, daß er Schwierigkeiten haben wird, falls er amerikanische Truppen nach Palästina schickt … Falls er aber dieses Truppenkontingent nicht bewilligt, könnten ihm Schwierigkeiten von einer andern Seite erstehen. Man darf nicht vergessen – und ein Präsident oder ein Kandidat erinnern sich auch immer daran ‑, daß von sieben Neuyorkern zwei Juden sind. So sind die Juden bei einer Neuyorker Stadtwahl ein ausschlaggebender Faktor, und ohne einen Sieg in Neuyork Stadt kann der Staat Neuyork nicht gewonnen werden. Seit 1916 ist kein Kandidat mehr auf den Präsidentenstuhl gerückt, der nicht einen Sieg im Staate Neuyork buchen konnte. Wie soll man sich da wundern, daß der bedrängte Präsident das Verbleiben der britischen Truppen in Palästina wenigstens so lange wünscht, bis er einen Ausweg ‑ falls es einen solchen gibt ‑ aus seiner verzwickten Lage gefunden hat?»
Hier wird wiederum ein politischer Schachzug ganz deutlich aufgezeigt. Die Abwanderung der jüdischen Massen zwischen 1880 und 1940 von Rußland nach Amerika und dort vorzugsweise nach New York war durchaus kein natürlicher Vorgang (genau so wenig wie die Massenabwanderungen nach Palästina von 1945 bis 1948), sondern ein Teil des großen Plans. Auf diese Art können die Entschlüsse der Großmächte besser kontrolliert werden. . . .
Ein Geheimnis bleibt, wieso sich die nicht‑jüdischen Politiker unseres Jahrhunderts nicht gegen eine solche Vergewaltigung auflehnen und warum ihnen die amerikanischen Präsidenten lieber nachgeben als auf die Gefahr hinzuweisen und dadurch vielleicht nicht gewählt zu werden. Offenbar befinden sich heute die Präsidenten im gleichen Dilemma wie Baldwin in den dreißiger Jahren, der meinte, falls er England gesagt hätte, daß Deutschland aufrüste und wir deshalb auch aufrüsten müssen, würde er bei den Wahlen durchgefallen sein. Jetzt sind zwei Dinge klar geworden: Erstens, daß es besser gewesen wäre, die Wahrheit gesagt und damit die Wahl verloren zu haben, zweitens, daß die Wahl wahrscheinlich trotzdem erfolgreich verlaufen wäre, wenn er die Wahrheit gesagt hätte. Die amerikanischen Präsidenten sehen das heute genau so wenig ein wie damals Baldwin.
So wird Amerika in den vierziger Jahren in das gleiche gefährliche und üble Unternehmen hineingezogen, das England in den letzten dreißig Jahren so sehr geschadet hat. Zur Zeit, da ich schreibe, besitzen die Vereinigten Staaten einen Außenminister, der den großen britischen oder amerikanischen Staatsmännern vor einem Jahrhundert gleicht: General Marshall, eine schlichte, starke und senkrechte Erscheinung. Aber auch er wird von diesen halbverborgenen Mächten in eine Politik und in Unternehmen hineingezogen oder gezwungen, die unvereinbar sind wie Tag und Nacht. Als er am 14. Oktober 1947 in Boston über die sowjetische Besetzung halb Europas sprach, schilderte er zu Recht die unmittelbare Gefahr als «das vollkommene Verschwinden aller charakteristischen Merkmale unserer westlichen Kultur, auf welcher unsere Politik und unser Lebensstil beruht». Die Grundfrage lautet: «Ob den Menschen die Freiheit gelassen wird, ihr Leben selbst zu regeln, oder ob ihr Leben von kleinen Gruppen bestimmt werden soll, die diese willkürliche Macht an sich gerissen haben.» Mit dem äußersten Ernst sprach er folgende prophetische Worte: «Es wäre Wahnsinn zu meinen, wir könnten hier abseits stehen.»
Zwei Tage vorher aber hatte sein Vertreter an der Versammlung der Vereinigten Nationen in Lake Success die Teilung Palästinas, die Gründung eines jüdischen Staates und den Einlaß neuer Zuwanderer unter dem Schutz einer von den «Vereinigten Nationen» rekrutierten Söldnerarmee gefordert!
Das wird niemals dem Frieden dienen, sondern nur den ehrgeizigen Plänen einer «kleinen Gruppe von Menschen»: den mächtigen politischen Zionisten in New York. So war es auch weiter nicht verwunderlich, daß der Sowjetvertreter zum erstenmal mit diesem amerikanischen Vorschlag herzlich einverstanden war. Selbstverständlich kann man nicht erwarten, daß die Sowjetmacht jemals auf ihre unrechtmäßigen Gewinne in Europa verzichtet, wenn diejenigen, die sich darüber beschweren, im Begriffe sind, ähnliche Unternehmen in Arabien zu unterstützen.
Trotzdem waren diese Ereignisse auch von Gutem. In den letzten zwei Jahren ist der Vorgang sichtbar geworden, wie die amerikanischen und britischen Regierungen dazu gebracht wurden, die phantastischen Pläne des Zionismus zu unterstützen, und langsam beginnt es überall in den Köpfen des Publikums zu dämmern. Die Menschheit fängt endlich an, das wahre Gesicht des Unternehmens in Palästina zu erkennen.

Die Geld‑Macht

Der rasche und gemeinsame Anstieg des Weltkommunismus und des politischen Zionismus läßt sich heute leicht feststellen. Wer sich vor den Tatsachen nicht fürchtet, kennt heute ebenfalls die schlauen Methoden, durch welche der Kommunismus Macht und Einfluß in nichtkommunistischen Regierungen, Parteien und Organisationen außerhalb des Parlaments gewinnt. Bis vor kurzem aber war es schwer zu wissen, wie es den politischen Zionisten gelungen ist, eine solch erstaunliche Macht über die politischen Führer in Amerika und England zu erlangen. Es ist etwas durchaus Neues in der Geschichte, daß eine britische Regierung einer Gruppe von Menschen ein Territorium verspricht, das jemand anderem gehört, mit der bloßen Begründung, einer ihrer Führer habe einen wichtigen Beitrag in der Wissenschaft der Sprengstoffe geleistet (das war die Erklärung Lloyd George’s für die ursprüngliche Balfour‑Erklärung). Ebenso erstaunlich war es dreißig Jahre später, daß ein amerikanischer Präsident nach einem kurzen Besuch einiger zionistischer Sprecher eine öffentliche Forderung auf die sofortige Zulassung von 100 000 Fremden in Palästina stellte.
Es ist unmöglich, daß während drei Jahrzehnten die sich nachfolgenden Generationen von politischen Führern samt und sonders aus chronisch schwachen, unheilbar irregeführten oder dauernd schlechtberatenen und falschinformierten Männern bestanden haben. Bevin war der erste, der im Laufe dieser dreißig Jahre ein offenes Wort in dieser Angelegenheit äußerte (das Ergebnis ist die heftige Kampagne, welche die politischen Zionisten gegen ihn entfesselt haben). Alle andern benahmen sich so, als spürten sie jedesmal, wenn sie sich mit diesem Stoff befaßten, die Pistole in ihrem Rücken. Natürlich fällt auch die unaufhörliche Zeitungspropaganda, die bei vielen Menschen einen ähnlichen Geisteszustand hervorruft wie der Genuß von Drogen und Rauschmitteln, bei diesem Verhalten schwer ins Gewicht; auch ist die menschliche Natur vielfach selbstquälerischen und irregeführten Instinkten unterworfen. Wie aber läßt sich die Unterwürfigkeit der Presse in diesen Fragen erklären?
Ich glaube, die eigentliche Erklärung liegt in der Macht des Geldes, obwohl ich nicht alle Myriaden von Möglichkeiten dieser Macht überblicke. In den letzten fünfzig Jahren ungefähr erlebten wir neben der Erhebung des Weltkommunismus und des politischen Zionismus und der Verpflanzung der größten jüdischen Kolonie aus Rußland nach Amerika noch ein anderes Phänomen, das in der Weltgeschichte einmalig dasteht: die Verlagerung des größten Teils des Goldes der Welt in jenes Land, das heute Sitz der zionistischen Macht geworden ist ‑ nach Amerika.
Gold ist Geld. In den letzten dreißig Jahren sind drei Fünftel der Goldwährungsvorräte, die aus den Goldbergwerken verschiedener Ländern stammten, nach Übersee verfrachtet und im Fort Knox in Kentucky gehortet worden. Der Betrag des dort gelagerten Goldes beläuft sich ungefähr auf 6 000 000 000 Dollars. Inbegriffen sind meines Wissens fünfhundert Millionen britische Gold-Sovereigns, die im gegenwärtigen Kurs genügen würden, den Gesamtertrag der britischen Einkommenssteuer während acht Jahren zu decken.
Wer weiß eigentlich, warum und wieso all dieses Gold in Kentucky zusammengetragen worden ist? Auch ich kann diesen Vorgang nicht erklären, dessen Ergebnisse freilich klar auf der Hand liegen. Er begann wie so vieles andere 1914, wo wir unsere Gold-Sovereigns zum letzten Male sahen. Bis zu dieser Zeit brauchte sich niemand über den Wert seines Geldes Sorge zu machen, denn es war so gut wie keinen Schwankungen unterworfen. Ein Mann mit fünfundzwanzig Sovereigns konnte mit ihnen in aller Ruhe einen großen Teil Europas bereisen und wußte genau, was er überall für sie kaufen konnte. Damals gab es noch keine Schwankungen in der Kaufkraft, sondern nur kleine, unbedeutende Änderungen, ein Bankkonto von hundert Pfund bedeutete eben hundert Pfund, die man wieder in Gold zurückwechseln konnte.
Erst seitdem das Papier auftauchte, sind all die Währungskrankheiten aufgetreten mit ihrem Gefolge von steigenden und sinkenden Preisen gleich den Fieberkurven eines Patienten, mit überall auftauchenden Verboten und Einschränkungen. Ein Mann mit einem goldenen Bankkonto lief keine Gefahr, durch einen Federstrich enteignet zu werden; einem Mann aber mit einem Papierkonto kann das jederzeit blühen. «Inflation» und «Deflation» sind nicht goldene, sondern papierene Krankheiten. Die großen Katastrophen einer plötzlichen, allgemeinen Verarmung, die zu den Merkmalen der letzten dreißig Jahren gehören, wären undenkbar, wenn die Menschen in ihren Geldbeuteln und Strümpfen Gold aufbewahren dürften. Hätten wir Gold, könnte man im England des Pfund‑Sterlings nicht eine «Dollar Knappheit» als Vorwand gebrauchen, um unsere bürgerlichen Freiheiten abzuschaffen.
Die Aufhebung unseres nationalen Sovereign war gleichbedeutend mit einer monetarischen Versklavung; wer sich mit bloßen Sätzen nicht begnügt, soll selber sehen, wohin «die Abschaffung der nationalen Souveränität führt».
Als ich das letztemal von Gold‑Sovereigns hörte (dem britischen Inselbewohner ist es gesetzlich verboten, solche zu besitzen), befanden sie sich in Kanistern, die mit Fallschirmen für den geheimnisvollen «Tito» niedergelassen wurden; kein Kanzler des Schatzamtes hat dem britischen Volke jemals mitgeteilt, daß sie zu diesem Zwecke unser Land verlassen werden. In diesem Lande darf eine Braut (auf Befehl des Schatzamtes) keinen goldenen Ehering mehr kaufen, es sei denn antiquarisch.
Wie aber wird der Geldmarkt ausgenutzt? Mir scheint, ein teuflischer Plan geht durch das zwanzigste Jahrhundert und der Teufel sitzt auf dem goldenen Throne von Fort Knox. Welche Menschen gebrauchen diese Geldmacht? Das Gold befindet sich in Amerika, aber auch Amerika hat sich in diesen dreißig Jahren, seit dem Auftauchen der beiden übernationalen Riesen und dem Beginn der Goldwanderung, geändert. Die große Einwanderung aus Rußland hat, wenn auch nicht das Herz Amerikas, so doch das der Welt zugewandte Gesicht genau wie das unsrige geändert. Eine nähere Betrachtung unseres Parlamentes, unserer Parteien, von Presse, Literatur, Film und Theater zeigt, daß wir diesen großen Zustrom fremden Blutes nicht assimiliert haben; vielmehr hat sich da und dort unsere eigene Haltung recht sichtbar verändert. Die charakteristischen englischen Merkmale (oder, wie General Marshall sagte, «die charakteristischen Merkmale der westlichen Zivilisation») verschwinden mehr und mehr aus unserem öffentlichen Leben.
Das gleiche ist während der letzten dreißig Jahre in Amerika geschehen. Das Amerika von Ben Hecht, Walter Winchell, «den Beratern des Präsidenten» und der Hollywooder Zaren ist nicht mehr das Amerika eines Mark Twain, Walt Whitman, Emerson, James und der Begründer der amerikanischen Verfassung. Wie immer auch das Herz beschaffen sein mag, das Gesicht und die Stimme gleichen immer mehr und mehr denjenigen des Weltkommunismus und des politischen Zionismus, besonders seit dem zweiten Krieg, wo sich die Portale der verschiedenen Staats‑Departemente (wie in England) für die Agenten dieser übernationalen Unternehmungen weit öffneten.
Die Geldmacht liegt in Amerika, was nicht besagt, daß auch ihre Aktionen amerikanisch sein müssen, genau so wenig wie die Balfour‑Erklärung britisch war. Wenn auf diesem Haufen Gold die Macht liegt, die Angelegenheiten und Bewegungen von Millionen Menschen in weitester Entfernung zu kontrollieren, dann ist auch klar zu sehen, welcher Gebrauch davon gemacht worden ist. Diese Macht wurde benutzt, um den Weltkommunismus und den politischen Zionismus zu stärken. Es ist bekannt, welch ein gewaltiges Kapital während des Zweiten Weltkrieges der «Sowjetmacht» zur Verfügung gestellt wurde. Wenn eines Tages amerikanische und britische Soldaten aufgerufen werden, die Sowjetmacht aus Europa zu verdrängen, dann werden sie gegen amerikanische und britische Waffen und Gold kämpfen müssen und sich fragen, was wohl die Geldmacht nächstesmal hinter ihrem Rücken anzetteln wird. Ich habe auch bereits den Einsatz dieser Geldmacht zur Abwanderung der jüdischen Massen aus Europa geschildert; trotzdem wird diese Abwanderung von den «Vereinigten Nationen» als Vorwand für die Kriegserklärung an die Araber benutzt!
Wie kann diese Geldmacht sonst noch verwendet werden? Sie scheint sich eindeutig gegen dieses Land gewandt zu haben, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und die zionistische Kriegserklärung (diese Bezeichnung ist wörtlich zu verstehen, denn eine Kriegserklärung liegt vor) gegen dieses Land erfolgte. Im Jahre 1945 bildete Attlee eine Regierung, die ihre Stimmen hauptsächlich deswegen erhielt, weil sie eine Regierung von Planern mit einem Plan darstellte. Sie behauptete, daß durch diesen Umstand der Insel die voraussehbaren und unnötigen Lasten nicht‑planender Regierungen erspart würden; es sei ihr besonderes Merkmal, gegen solche Ereignisse Vorsichtsmaßnahmen zu planen. . . .
Die britischen Freiheiten müssen infolgedessen aufgehoben werden; ich kenne kein besseres Beispiel in der Geschichte für ein solches Non Sequitur.
Damit stellt sich die Frage, ob die Geldmächte das Ansteigen der Preise heraufbeschworen haben, da die Regierung von Planern ein solches nicht vorausgesehen hatte? Wenn nationale Freiheiten aufgehoben werden, weil sich eine auswärtige Anleihe vorzeitig erschöpft, dann muß die Macht an der Quelle dieser Anleihe eine Weltmacht genannt werden. Die Geldmacht ist eine Welt‑Ober-Regierung, deren Beweggründe genau geprüft werden sollten. Seit nämlich das Gold nach Kentucky abgewandert ist, sind solche Anleihen zu bloßen Buchhaltungs‑Transaktionen geworden, die gefälscht werden können, sobald sie auf wechselnden Werten, wie dem Steigen und Fallen der Preise, basieren. Hätten wir nicht den nationalen Sovereign fallen gelassen, so hätte das nie eintreten können. Falls wir Gold besitzen würden oder geborgt hätten, könnte eine solche Anleihe nicht wie Schnee in der Sonne zerrinnen. Aber es ist bald Zeit, daß wir begreifen, was vor sich geht, wenn es wirklich die Meinung ist, daß nach dem Dahinschwinden der Papier‑Dollars das substantielle Pfund Sterling aus unseren bürgerlichen Freiheiten herausgeschnitten werden soll. In diesem Falle wird die Welt heute schon von den Wächtern des Fort Knox regiert, wer immer diese auch sein mögen.
Mir scheint Herr Bevin damals, als er die Wahrheit offen heraussagte, der Wurzel unserer Übel sehr nahe gekommen: «Ich weiß, daß diese Amerikaner entsetzt sein werden, aber das ist eben meine Rolle. Es ist meine persönliche Überzeugung, daß sich die Vereinigten Staaten durch ihr Versäumnis, das im Fort Knox gelagerte Gold wieder zu verteilen, selbst geschadet haben und in ihrem eigenen Lande hohe Steuern verursachten. Es wäre sicher vorteilhaft, irgendwo in der Welt eine neue Goldmine zu entdecken, aber hier liegt Gold, das schon gewonnen worden ist, und mit ihm geschieht gar nichts.»
Nahe an der Wurzel des Übels, aber noch nicht nahe genug. Natürlich ist die Häufung solcher Goldmengen auf einem Fleck während dieser dreißig schicksalsschwangeren Jahre schon an und für sich ein übles Ding, aber ich kann diese Tatsache mit dem besten Willen doch nur als ein weiteres zufälliges Glied in der Geschichte der menschlichen Irrungen betrachten. Es war bestimmt nicht richtig zu sagen, «daß mit dem Gold gar nichts geschieht», wo es doch die Grundlage für die papierene Anleihe bildete, deren Versickern als Erklärung für die mächtigen Schläge gegen unsere Freiheit in England diente. Es geschah sogar sehr viel mit diesem Gold.
Die Geldmacht verbreitet von ihrem goldenen Throne wie der große Pan Schrecken und Verderben. Ihre Rolle im Plan des zwanzigsten Jahrhunderts tritt heute immer deutlicher ans Licht.

Die Dokumente des Falles

Wenn ich die Macht dieses vergrabenen Goldes und den Umriß des Geschehens der letzten dreißig Jahre betrachte, komme ich mehr und mehr zum Schluß, daß es in der Welt große, organisierte Mächte gibt, die, über viele Staaten ausgedehnt, gemeinsam daran arbeiten, durch das Chaos die Herrschaft über die Menschheit zu erlangen. An erster und wichtigster Stelle streben sie nach der Zerstörung des Christentums, der Nationalität und der Freiheit in Europa. Dies war auch der «Plan», den Lord Acton hinter den ersten Tumulten der französischen Revolution erkannte, und er ist mit den nachfolgenden Tumulten und den steigenden Erfolgen immer sichtbarer geworden. Dieser Prozeß scheint mir weder natürlich noch unumgänglich, sondern von Menschenhand geschaffen und bestimmten Regeln revolutionärer Aktion folgend. Ich bin der Ansicht, daß hinter ihm eine sehr ausgedehnte Organisation steht, und daß die großen Erfolge, die bisher erreicht wurden, in der Hauptsache auf den Umstand zurückzuführen sind, daß es bisher gelungen ist, deren Bestehen strikte geheim zu halten.
Gibt es irgendwelche Beweise? Ich halte schon den Ablauf der Ereignisse für einen Beweis. Der Verlauf des Zweiten Weltkrieges hat meiner Ansicht nach gezeigt, daß man Mittel und Wege gefunden hat, um solche Kriege zum Nutzen anderer Parteien und Ziele auszuwerten, so daß der eine Zweck vor allem gefördert wird: Verbreitung des Chaos und Zerstörung der christlichen Nation und Freiheit in Europa. Es lohnt sich, in dieser Hinsicht einmal näher zu prüfen, wieso beide Kriege ganz andere und sogar gegenteilige Resultate zeigten als diejenigen, die den Massen vorgespiegelt worden waren.
Es gibt meiner Ansicht nach auch substantielle Beweise für eine organisierte Verschwörung von Menschen, die sich mit den Generationen ändern und in den verschiedensten Staaten zusammenarbeiten, denen es aber meistens gelingt, anonym und maskiert zu bleiben. Das plötzliche Auftauchen bei den Höhepunkten der Krise von bisher unbekannten Gestalten, wie Hitler und «Tito»; die kommunistische Taktik, unter Decknamen und durch offenkundig nicht‑kommunistische Körperschaften, Parteien und Zeitungen zu wirken; die Verwendung der Worte «Faschismus» und «Anti‑Semitismus» als Rauchwand bei der Verfolgung neuer Ziele: all das sind Beispiele für die Wissenschaft der geheimen Verschwirrung in der Praxis.
Es bestehen auch zahlreiche Dokumente, und die besondere Energie, mit welcher man sie zu unterdrücken sucht, ist für mich sowohl ein Beweis für ihre Wichtigkeit wie für die organisierte Verschwörung. Eines davon ist bekannt als «Die Protokolle der Weisen von Zion». In den von den Kommunisten beherrschten Ländern ist diese Schrift unter Todesstrafe verboten. In vielen andern Staaten wird sie heftig bekämpft, nicht durch eine Widerlegung ihrer Thesen, sondern durch den platten Vorwurf, es handle sich um ein «antisemitisches Machwerk».
Meiner Ansicht nach verdient diese Schrift eine gründliche und nüchterne Betrachtung. Sie wurde 1897 in Rußland veröffentlicht, durch einen englischen Zeitungskorrespondenten, Victor Marsden, der lange in Rußland lebte und nach der bolschewistischen Revolution nach England zurückkehrte, ins Englische übertragen und hier ungefähr im Jahre 1918 gedruckt.
Ich nehme an, daß ich die Methoden zur Verhinderung einer Veröffentlichung oder Diskussion über gewisse Angelegenheiten genau so gut kenne wie jeder heute lebende Autor. Ich kenne aber nichts, was der grimmigen Hartnäckigkeit gleichkommt, die Verbreitung dieses Buches zu verhindern und seinen Inhalt zu diffamieren. Man muß es vielleicht selbst erfahren haben, damit man es glauben kann. Meine eigenen Erinnerungen an solche Vorgänge liegen schon für eine spätere Veröffentlichung bereit.
Ein Einwand gegen diese Schrift kommt daher, daß auf Gesuch der Israelitischen Gemeinde in Bern dieses Buch von einem schweizerischen Gericht «als Fälschung» bezeichnet wurde. Die Urteile ausländischer Gerichte sind für den britischen Inselbewohner nicht unbedingt maßgebend; jedenfalls wurde dieses Urteil später durch eine höhere Instanz aufgehoben. Ein anderes ablehnendes Argument wird darin gesehen, daß vor Jahren ein Korrespondent der «Times» Artikel zur Widerlegung der Echtheit der Protokolle geschrieben hat. Auch ich war mehrere Jahre Korrespondent der «Times» und bin, ungeachtet ihrer Urheberschaft, von der Echtheit der Protokolle als Dokument einer revolutionären und geheimen Verschwörergesellschaft vollkommen überzeugt.
Die Behauptung, es handle sich um eine Fälschung, bezieht sich auf das im Titel enthaltene Wort «Zion». Mir scheint, die Menschen, die sich über das wilde Chaos unserer Tage wundern, sollten die Protokolle lesen und auf dieser Suche nach Wahrheit, um wirklich ganz unparteiisch zu sein, sowohl in ihren Köpfen wie im Titel und im Text selbst dieses Wort einfach streichen. Sie sollten sogar noch weiter gehen und dieses Buch als nicht‑jüdisch, ja sogar als anti‑jüdisch betrachten. Sie sollen annehmen, dieses Buch sei von machiavellistischen Verschwörern geschrieben worden, die im Gebrauch oder Mißbrauch der Juden und ihrer Klagen ein wirksames Mittel für die Verbreitung von Unruhe und Chaos in Europa entdeckt haben. Denn das ist es schließlich, was in unsern Tagen geschieht. Es liegt auf der Hand, daß die angeblichen Feinde, Kommunismus und Faschismus, sich nur zum Schein so verhalten, als ob zwischen ihnen ein Unterschied wäre, trotzdem beide für die Nicht‑Juden gefährlicher sind als für die Juden und daß die jüdischen Massen verschoben und wie Pfandstücke mißbraucht werden, und zwar durch eine Macht, die sie selbst nicht kennen.
Wenn wir uns den Protokollen als einem anti‑jüdischen Dokumente nähern und alle diese Einschränkungen machen, dann bleibt immer noch ein genauer Abdruck der Ereignisse der letzten dreißig Jahre, der vor dieser Jahrhundertwende hergestellt wurde. Wir können das Buch betrachten, wie wir wollen, das Ergebnis bleibt immer dasselbe. Die Methoden, durch welche unsere Welt in den gegenwärtigen, jammervollen Zustand versetzt worden ist, sind hier niedergelegt, lange bevor wir sie gewahrten, lange sogar bevor wir glaubten, daß sie jemals zur Anwendung kommen könnten. Hier liegt der Schlüssel für die Korruption, die Einschüchterung oder die Verführung der Parteien und Einzelmenschen, der Zeitungen und Journalisten, der Parlamente und Politiker, deren Praxis wir in den verflossenen drei Jahrzehnten erlebt haben.
Das Buch ist der Abdruck einer Welt‑Versehwörung, die sich vor fünfzig Jahren in russischen Kellern verbarg und heute sehr erfolgreich auf dem Thron der Mächtigen sitzt. Das Dokument wurde 1897 veröffentlicht! Es ist gar nicht nötig zu glauben, daß es ein Protokoll eines zionistischen Kongresses jener Zeit ist. Viel besser ist es, diese Version abzulehnen und anzunehmen, daß es sich um ein «Plagiat», das heißt um die Wiedergabe eines früheren Dokumentes handelt. Damit finden wir den Schlüssel. Die Protokolle sind zwar nicht zionistisch, aber sie sind dennoch authentische Dokumente einer Verschwörung.
Diese Wahrheit liegt auf der Hand. Jetzt aber handelt es sich darum, zu fragen, wer die Verfasser des früheren Dokuments oder der Dokumente gewesen sind, von denen die Protokolle eine Kopie darstellen, und wiederum, welche noch weiter zurückliegenden Quellen die Verfasser studiert haben? Es ist sichtlich falsch, daß eine so wegweisende Arbeit einfach mit der ärgerlichen Bemerkung, es handle sich um eine Fälschung, beiseitegelegt wird. Wichtig ist, daß die Autoren, wann immer sie gelebt haben und wer immer sie waren, die Methoden kannten, durch welche die krampfhaften Zuckungen dieses Jahrhunderts und die fast völlige Zerstörung Europas um die Jahrhundertmitte herbeigeführt werden konnten.
Ich glaube, daß der große Widerstand, der gegen jede öffentliche Besprechung der Protokolle geleistet wird, die Stärke der Mächte beweist, die nicht wünschen, daß der Schlüssel gefunden wird. Die Protokolle sind nicht an sich interessant. Sie bilden nur ein Dokument aus einer langen Serie von nahezu zwei Jahrhunderten. Aber sie liefern den Schlüssel. Die in ihnen festgelegte politische Linie kann seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis heute deutlich verfolgt werden. Seit dieser Zeit mindestens besteht eine Geheimorganisation, welche die Zerstörung des Christentums und der Nationalitäten in Europa wünscht.
Die Geschichte geht zurück auf die geheimen Gesellschaften, welche die französische Revolution gefördert haben. Damals konnte man dieses Phänomen erstmals feststellen. Der «Plan hinter dem Tumult», den Lord Acton bei seinen Studien über die Revolution von 1790 so eindeutig festgestellt hat, wurde von den 1848er Revolutionären weiter gesponnen, dann von den russischen 1880 und 1890, und zieht sich seit 1917 durch das ganze Chaos unserer letzten dreißig Jahre.
Dies wird in dem unschätzbaren wissenschaftlichen Vergleich von Mrs. Nesta Webster (World Revolution, Constable, 1921) zwischen den Protokollen und einigen andern Dokumenten aufgezeigt: denjenigen der Geheimgesellschaften und Sekten hinter der französischen Revolution von 1790, der erfolglosen Revolutionen von 1848, 1890 und 1905 und der kommunistischen Revolution von 1917. Dieser Vergleich zeigt, daß im Protokoll Ideen bekundet werden, die sich im Laufe der Zeiten immer gleich geblieben sind, während die «Drahtzieher» oft in den Personen änderten und die geheimen Hauptquartiere seit 1775 bis heute wiederholt ihren Sitz gewechselt haben. Die Protokolle sind nicht mehr und nicht weniger wichtig als alles andere. Aber sie waren die erste vollständige Enthüllung des für ein Jahrhundert bestimmten Planes, und das scheint auch der Grund zu sein, warum unaufhörlich versucht wird, die Leute vom Studium dieser Schrift abzubringen.
Diese Dokumente sind die Schriften einer schwarzen Religion, deren Grundsätze lauten: Zerstörung, Entvölkerung, Deportation, Tod. Der Leser möge festhalten, daß diese Strafen von Herrn Churchill für den Fall einer Kapitulation der britischen Insel vor «totalitärem Zwang und Reglementierung» vorausgesagt worden sind, und daß sie auch die Lehre der drei erleuchteten Naziführer, Hitler, Goebbels und Bormann, die in Berlin verschwunden sind, darstellt. Es ist die Doktrin der Vernichtung (oder des «Nihilismus»).
Wir können sie zuerst bei der mächtigen Geheimgesellschaft der Illuminaten finden, welche durch einen Deutschen, einen gewissen Adam Weishaupt, im Jahre 1776 gegründet wurde. Anders als bei Wahrheit und Gerechtigkeit kann es keine absolute Geheimhaltung geben. Bei der Unterdrückung dieser Bewegung durch die bayrische Regierung 1786 wurden ihre Papiere aufgefunden und veröffentlicht.
Ihre Lehren und Methoden entsprechen genau dem, was wir heute sehen. Die Mitglieder wurden nur Stufe um Stufe aufgenommen; sie erhielten Decknamen; man unterrichtete sie in der Kunst, falsche religiöse und politische Bekenntnisse abzulegen, um unter einer solchen Maske Zutritt zu allen Vereinigungen zu erhalten, durch welche man an die Macht gelangen konnte. Diese Methoden, damals neuartig, gehören heute zu den Selbstverständlichkeiten. Bei der Aufnahmezeremonie wurde dem Novizen eine Degenspitze auf das Herz gehalten und folgende Worte dabei gesprochen: «Solltest du ein Verräter oder ein Meineidiger sein, so wisse, daß alle unsere Brüder gen dich zu den Waffen gerufen werden. Du hast keine Hoffnung auf Flucht oder eine sichere Zufluchtsstätte. Wo immer du bist, werden dich Scham, Reue und der Zorn unserer Brüder verfolgen und dich bis in deine tiefsten Eingeweide peinigen.» Diese terroristische Methode wird heute von den Kommunisten und den politischen Zionisten angewandt; sie ist durch die verschiedenen Morde an Verdächtigen und Verrätern und durch die in äußerster Furcht abgelegten Geständnisse auf den «Höllenschiffen» und in den zionistischen Lagern bekannt geworden.
Eine graphische Darstellung, die sich in den Dokumenten der Illuminaten findet, beweist, daß Weishaupt die Meister‑Methode der geheimen Verschwörung, welche heute in der kommunistischen Organisation verwendet wird, entweder selber erfunden oder von früheren Lehrern entliehen hat. Es ist das Zellen‑ oder das Honigwaben‑System, in welchem jedes Mitglied nur seinen direkten Vorgesetzten und einige Untergebene (die zu diesem Zwecke Decknamen gebrauchen) kennt, so daß mit der Vernichtung einiger Zellen nicht das ganze System gefährdet wird.
Es war das Ziel dieser Illuminaten, durch diese geheimen Methoden die Macht für folgende Zwecke zu erlangen: Vernichtung der Monarchie und aller rechtmäßigen Regierungen; Abschaffung des Privatbesitzes; Abschaffung des Erbrechtes; Vernichtung des Patriotismus; Vernichtung der Familie (durch die Abschaffung der Ehe und gemeinsame Erziehung aller Kinder); Vernichtung jeglicher Religion (das sind auch die Ziele des heutigen Weltkommunismus).
«Prinzen und Nationen», schrieb Weishaupt, «sollten vom Antlitz dieser Erde verschwinden; ja, die Zeiten werden kommen, wo die Menschen keine anderen Gesetze als das Buch der Natur besitzen; diese Umwälzung wird das Werk der geheimen Gesellschaften sein, und sie bildet eines unserer großen Geheimnisse.»
Die damalige bayrische Regierung veröffentlichte diese Dokumente und verschickte sie an jede Regierung in Europa. Sie wurden genau so wenig beachtet wie der Kanadische Bericht im Jahre 1946. Die andern Regierungen sahen auch keinen Anlaß, sich mit diesen Schriften näher zu befassen, denn damals hatte der prophezeite Prozeß sich noch nirgends verwirklicht. Aber 1946 war eine solche Unaufmerksamkeit unentschuldbar, falls sie nicht absichtlich geschah. Denn als der Kanadische Bericht erschien, war Weishaupts Plan schon lange verwirklicht und seine Gestalt hob sich berghoch von der Umwelt ab.
Die Unterdrückung der Illuminaten in Bayern war ungefähr gleichbedeutend mit dem oberflächlichen Ausreißen eines wuchernden Unkrautes, dessen Wurzeln sich schon weit verzweigt hatten und überall neue Schosse trieben. Die Gesellschaft besaß zahlreiche Mitglieder unter den Verschwörern in Frankreich und prominente Köpfe bei den Revolutionsführern von 1790. Damals ereignete sich zum erstenmal das heute üblich gewordene Spiel: die beabsichtigte Hervorrufung von «Zwischenfällen», um diese in der Folge auszunützen. Wer sich mit dem Reichstagsbrand und den modernen «antisemitischen» oder «faschistischen» Bewegungen befaßt, sollte ebenfalls die «Große Furcht» des 22. Juli 1789 studieren, wo durch die Ankündigung, daß sich «Räuber» im Anmarsch befinden, daß alle guten Bürger zu den Waffen greifen müssen, und daß «der König befiehlt, alle Schlösser außer dem seinen sollen niedergebrannt werden» (berittene Boten trugen Plakate mit diesen Worten!) ‑ in ganz Frankreich zur gleichen Stunde eine mächtige Panik ausgelöst wurde.
Damals tauchte zum erstenmal die rote Fahne auf; eine, die echt sein soll, wird jetzt in Moskau aufbewahrt und das Lied zu ihren Ehren ist bei den sozialistischen Ministern und Politikern im England des Jahres 1947 recht beliebt. Einer von Weishaupts revolutionären Führern war ein preußischer Baron Anarcharis Clootz. Er verbreitete als erster die Lehre von der Kapitulation vor einem einmarschierenden Feind, welche die französischen Kommunisten 1940 verwirklichten und die heute die Kommunisten in England predigen. («Sobald die französische Armee in Sichtweite der österreichischen und preußischen Soldaten gelangt, sollten diese, anstatt den Feind anzugreifen, ihre Waffen zu Boden werfen und sich ihnen in liebenswürdigen Tanzschritten nähern.»)
1793 tauchte ein weiteres Hauptmerkmal des Planes auf: Entvölkerung. Mrs. Webster zitierte in ihren beiden Büchern zweiundzwanzig französische Revolutionäre und einen englischen, um zu zeigen, daß die systematische Verminderung der französischen Bevölkerung von 25 000 000 auf 14 000 000 geplant war. Wer sich mit der Geschichte des heutigen England befaßt, kann feststellen, daß auch hier der gleiche Vorschlag gemacht wird («Diese Insel kann ihre gegenwärtige Bevölkerung nicht ernähren … », «Zehn Millionen sollten auswandern … » und so weiter). Das Argument ging dahin, daß die «Luxus‑Gewerbe» zerstört werden sollten und da für «lebenswichtige Arbeiten» zu viel Arbeitskräfte seien, könne einer großen Arbeitslosigkeit (die auch tatsächlich im Herbst 1947 in England einsetzte) nur durch Entvölkerung geholfen werden.
Der Illuminismus war eine deutsche, nicht eine jüdische Erfindung. Im Jahre 1793 bemerkte das «Journal de Vienne» ironisch. «Es sind nicht die Franzosen, welche das große Projekt, das Antlitz der Erde zu ändern, ausgearbeitet haben; diese Ehre gebührt den Deutschen.» Quintin Crawfurd schrieb an Lord Auckland: «Die gegenwärtige Krise ist in ihrer Art sicher außergewöhnlich und mag vielleicht zu den folgenschwersten gehören, welche die Blätter der Geschichte je verzeichnet haben. Sie mag vielleicht die Zukunft der Religion und der Regierungen der meisten europäischen Staaten bestimmen, besser gesagt, sie mag vielleicht darüber entscheiden, ob es weiterhin Religion und Regierungen geben soll, oder ob Europa abermals in einen Zustand der Barbarei versinken wird.»
Das ist eine genaue Schilderung des Zustandes, zu dem halb Europa verurteilt worden ist, und von welchem die andere Hälfte ‑ diese Insel inbegriffen ‑ im Jahre 1948 bedroht wird.
Vielleicht hat Napoleon Europa einen schlechten Dienst geleistet, als er den Marsch der Weltrevolution für ein halbes Jahrhundert ablenkte, in welcher Zeitspanne sie in Vergessenheit geriet. Der Illuminismus tauchte in den Untergrund und verharrte dort bis zu seinem Sturz. Dann tauchte er in Deutschland unter dem Namen «Der deutsche Bund» und als «Haute Vente Romaine» wieder in Italien auf, wo er von 1814 bis 1848 sein Hauptquartier hatte. Jetzt machten sich zum erstenmal starke jüdische Einflüsse in dieser Bewegung geltend. Bisher war sie vorwiegend deutsch gewesen.
Der nächste große Ansturm auf die Macht erfolgte um 1848, als in ganz Europa Revolutionen ausbrachen. In diesem Zeitpunkt war die Bewegung unter jüdische Führung gekommen. Die revolutionären Unruhen von 1848 sind in einer bestimmten Hinsicht sowohl interessanter als die französische Revolution von 1789 oder die russische von 1917, weil sie nämlich die alleraufschlußreichsten Dokumente für diesen Fall geliefert haben. Schon vier Jahre früher, im Jahre 1844, wußte Disraeli genau, was geschehen würde! Er legte seinem jüdischen Helden in «Coningsby» folgende Worte in den Mund: «Die mächtige Revolution, die sich zur Stunde in Deutschland vorbereitet … und von der bis jetzt noch so wenig in England bekannt ist, reift ausschließlich unter der Lenkung von Juden heran, die heute fast ein Monopol auf alle Lehrstühle in Deutschland besitzen … Siehst du also, mein lieber Coningsby, daß die Welt von recht verschiedenen Personen regiert wird, als diejenigen glauben, die nicht hinter die Kulissen sehen.»
Aber die 1848er Revolution war ein Mißerfolg. Vielleicht lebte in den Massen die Erinnerung an die französische Revolution noch zu frisch, als daß sie ihre eben erworbenen Freiheiten gefährden wollten; vielleicht waren auch die Menschen vor einem Jahrhundert intelligenter oder besser erzogen. Damals standen Ordnung, Freiheit, Fortschritt und Nationalität noch überall unerschütterlich fest; die Verschwörung mußte sich nach Rußland zurückziehen, um dort Weishaupts Lehren fortzuführen und die nächsten Versuche, die erfolglosen Revolutionen von 1830 und 1905 und die erfolgreiche von 1917 vorzubereiten.
Die zitierte Textstelle aber beweist, daß Disraeli mit der Art und den Zielen der Verschwörung vertraut gewesen ist, ob er nun für diese Sympathien hegte oder sich ihr widersetzt hat. In den zitierten Worten schwingt der überlegene Unterton des aufgeklärten Kosmopoliten über den ignoranten, insulären Nicht‑Juden mit, der nicht weiß, was vor sich geht. Acht Jahre später, nach dem Versuch der Revolution von 1848, schrieb Disraeli außerordentlich aufschlußreiche Worte. Wenn der schon zitierte Passus ein blitzartiges Aufleuchten der Wahrheit bedeutet, dann dauert der nachfolgende doppelt so lang und ist doppelt so hell. Er beleuchtet die ganze dunkle Landschaft unserer Zeiten und durch seine Lichtstrahlen sind die lauernden Verschwörer, deren Existenz immer geleugnet wird, ganz deutlich zu sehen:
«Der Einfluß der Juden kann im letzthin erfolgten Ausbruch des zerstörerischen Prinzips in Europa aufgezeigt werden. Da findet eine Erhebung statt, die sich gegen die Tradition und die Aristokratie, gegen die Religion und das Privateigentum richtet. Zerstörung der semitischen Grundsätze, Ausrottung der jüdischen Religion in der mosaischen oder in der christlichen Form, die natürliche Gleichheit der Menschen und die Aufhebung des Besitzes: diese Grundsätze werden von den geheimen Gesellschaften proklamiert, die provisorische Regierungen bilden, an deren Spitze überall Männer der jüdischen Rasse stehen. Das Volk Gottes arbeitet mit den Atheisten zusammen; Männer, die im Zusammenraffen von Geld äußerstes Geschick gezeigt haben, verbünden sich mit den Kommunisten; die besondere und auserwählte Rasse reicht ihre Hand allen verworfenen und niederen Schichten in Europa! Und dies alles nur, weil sie wünschen, das undankbare Christentum zu zerstören, das ihnen sogar den Namen schuldet, und dessen Tyrannei sie nicht länger dulden wollen.» (Das Leben von Lord George Bentinek, 1852.)

Dieses Dokument ist für mich das wichtigste in der ganzen Reihe. Ist es unter solchen Umständen nicht absurd, die Echtheit anderer Dokumente, wie zum Beispiel der Protokolle, bestreiten zu wollen, wo sie doch die Tatsache einer Verschwörung enthüllen, welche diese einzigartige Autorität bereits bezeugt hat. Disraeli war ein Jude, ein britischer Premierminister und Erbe eines Kopfes, der schon ganz instinktiv für solche geheime Sachen ein feines Gehör hatte. «Das zerstörerische Prinzip», «Zerstörung von Religion und Privatbesitz», «Geheimgesellschaften mit Männern jüdischer Rasse an deren Spitze», «alles nur, weil sie wünschen, das undankbare Christentum zu zerstören»: das ist das Bild von Weishaupts Religion der Zerstörung und seiner Geheimorganisation, die unter jüdische Führung geraten ist.
Wie kam Disraeli dazu, diese Dinge so offen darzulegen? Ich glaube, die Antwort ist klar und bildet das Maß für den Fortschritt der Verschwörung. Zu seiner Zeit wurden leicht feststellbare Tatsachen veröffentlicht. In unserer dagegen würden die öffentlichen Schriften solche Tatsachen, daß «geheime Gesellschaften provisorische Regierungen bilden» und «Männer jüdischer Rasse überall an ihrer Spitze stehen», peinlichst verschwiegen. Jede Anspielung würde entweder unterdrückt oder als «Antisemitismus» angegriffen. In Disraelis Zeiten blieb nicht anderes übrig, als die Tatsachen einzugestehen und ihren wahren Sinn vielleicht durch eine falsche Deutung zu verstellen. Auch das hat Disraeli getan. Nachdem er den Eindruck erweckt hatte, als würde er die jüdische Beteiligung an diesem zerstörerischen Prozeß bedauern, bot er dafür doch schlußendlich selber eine Entschuldigung, indem er sagte, daß die «Tyrannei» des «undankbaren Christentums» für geduldige Menschen eben doch untragbar gewesen sei. Das war eine gewundene dialektische Redensart. Die Juden haben weit mehr über die Verfolgung der heidnischen Ägypter, Assyrier und Perser zu klagen gehabt.
Disraeli sprach im Jahre 1852 von «geheimen Gesellschaften, welche provisorische Regierungen bilden», und sagte, «man finde überall an ihrer Spitze Menschen der jüdischen Rasse». Die provisorischen Regierungen von 1848 hatten keinen Bestand. Aber die «geheimen Gesellschaften», die ein Jahrhundert später «provisorische Regierungen» bildeten, nachdem sich die Verschwörung von den Rückschlägen des Jahres 1848 erholt hatte, paßten glänzend zu seiner Schilderung. Die ersten bolschewistischen Regierungen von 1917 und später in Moskau wie die kurzlebigen von Bayern und Ungarn im Jahre 1918/19 waren von Juden präsidiert, die aus «geheimen Gesellschaften» aufgetaucht waren. Das gleiche geschah in Polen, Rumänien und Ungarn im Jahre 1945 oder später. Und 1945 gab ein anderer führender Jude, Henry H. Klein, das gleiche Bild einer gewaltigen Geheimorganisation mit weltweiten Zielen in seinem Artikel «The Sanhedrin produced World Destruction» (Der Sanhedrin hat eine weltumfassende Zerstörung verursacht). Auch er sieht die Verschwörung so, daß sie gleichzeitig gegen Juden und Nicht‑Juden gerichtet ist.
Die veröffentlichten Dokumente von Weishaupts Illuminaten, Disraelis Enthüllungen, die Protokolle, die «Thesen und Statuten» der kommunistischen Internationale, zahlreiche Schriften des Nationalsozialismus und der Kanadische Bericht passen in das Bild einer Verschwörung, die jetzt während zwei Jahrhunderten immer mächtiger geworden ist. Wer sie sorgfältig durchliest, kann nicht länger bezweifeln, daß das von Disraeli geschilderte Komplott wirklich besteht.
Nach dem Zusammenbruch der 1848er Revolutionen war der nächste Erbe von Weishaupts Illuminismus und seiner Organisation Karl Marx, dessen «Kommunistisches Manifest» (1847) nur Weishaupts Lehren wiederholte: Aufhebung des Erbrechts, der Ehe und der Familie, des Patriotismus, jeglicher Religion und Gemeinschaftserziehung der Kinder durch den Staat. Das «Kommunistische Manifest» ist als Bibel eines neuen politischen Glaubens, des «Marxismus», geschildert worden. In Wirklichkeit ist es nur ein Consommé der Lehren der früheren Geheimgesellschaften, angefangen mit Weishaupt (genau so wie die Protokolle nur eine spätere Version darstellen).
Im Jahre 1864 gründete ein russischer Edelmann, Michael Bakunin, eine Geheimgesellschaft genau nach den Richtlinien Weishaupts, deren erstes Ziel die Vernichtung der Religion war und deren weitere Ziele den schon geschilderten Zwecken entsprachen. Jetzt lautete der neue Name «Anarchismus» (oder Chaos). Der große Plan war damals schon hundert Jahre alt. Eine Geheimgesellschaft hatte ihn der nächsten Geheimgesellschaft weiter vermittelt. In Bakunins und Netchaieffs «Revolutionärer Katechismus» findet sich die Stelle: «Es darf keine Schranke zwischen dem Revolutionär und dem Werk der Zerstörung geben … Tag und Nacht darf er nur einen Gedanken, nur ein Ziel kennen … unerbittliche Zerstörung … Wenn er in dieser Welt weiterlebt, dann nur aus dem Grunde, um sie desto sicherer zu vernichten … »
So schildert Bakunin seinen Partner Netchaieff: «Im Namen der gemeinsamen Sache muß er sich deiner ganzen Persönlichkeit bemächtigen, ohne daß du es merkst. Damit ihm dies gelingt, wird er dich bespitzeln, um deine Geheimnisse zu erforschen, und zu diesem Zweck wird er in deiner Abwesenheit, falls er allein in deinem Zimmer zurück bleibt, deine Schubladen öffnen, deine gesamte Korrespondenz lesen und, falls er einen Brief findet, der ihm interessant erscheint, das heißt, der für dich oder irgend einen deiner Freunde nach irgendwelchem Gesichtspunkt kompromittierend ist, dann wird er ihn stehlen und ihn als Dokument, das sich gegen dich oder gegen deine Freunde richtet, sorgfältig aufbewahren … Als wir ihn darüber in einer Generalversammlung zur Rede stellten, wagte er uns zu sagen: Natürlich, das ist unser System. Wir betrachten jeden als unsern Feind, der noch nicht völlig auf unserer Seite steht, und wir fühlen uns verpflichtet, ihn zu täuschen und zu kompromittieren… Alle persönlichen Bindungen, jede Freundschaft wird von ihnen als etwas Schlechtes angesehen, das zerstört werden muß, weil all dies eine Kraft bildet, die außerhalb der Geheimorganisation liegt und deshalb deren Kräfte schwächt. Sagt nicht, daß ich übertreibe; ich habe alle diese Theorien gründlich durchdacht und unter Beweis gestellt.»
Das ist eine Photographie von Weishaupt’s wissenschaftlicher Methode, durch Wissen, Verheimlichung, Täuschung, Erpressung, Diebstahl, Meineid und Terror an die Macht zu kommen. Man kann sie auch deutlich im Kanadischen Bericht von 1946 feststellen.
Die bolschewistische Revolution von 1917 befolgte in jedem Punkt Weishaupts Lehren: Abschaffung der Monarchie, des Patriotismus (jeder russische Patriotismus wurde, außer in den Jahren 1941-45, verboten, dafür der sowjetische Patriotismus eingeführt), Abschaffung des Privatbesitzes, des Erbrechtes, der Religion und der Ehe. In Wirklichkeit erweist es sich als unmöglich, Religion und Ehe abzuschaffen. Gegen die Ehe wurde Anschlag auf Anschlag verübt, die Religion aber so weit als möglich in die Katakomben vertrieben. Darüber gibt es keinen Zweifel, daß der Wunsch, die Ehe abzuschaffen, besteht: «Die offizielle und freie Gemeinschaft der Frauen» wird im «Kommunistischen Manifest» von Karl Marx deutlich aufgezeigt.
Die Folge der Ereignisse von der französischen Revolution bis zur Gründung des kommunistischen Machtbereiches über halb Europa und das zwar noch verborgene Anwachsen der kommunistischen Macht in England liegt für mich auf der Hand. Es ist das große Verdienst von Nesta Webster, jene Dokumente veröffentlicht zu haben, aus denen sich die ganze Kette des Erbes und Vermächtnisses der geheimen Gesellschaften und der Beweis, daß die Protokolle nur ein Glied einer sehr zahlreichen Literatur bilden, lückenlos ablesen läßt.
Ihre Vergleiche sind sehr überzeugend. Die gleichen Sätze tauchen immer und immer wieder auf, angefangen bei Weishaupt 1776, sodann im Manifest von Karl Marx, in den Protokollen des Jahres 1897 und in Enthüllungen des Kanadischen Berichtes von 1946.
«Wenn du andere beobachten willst, dann bediene dich der Kunst der Täuschung, der Verheimlichung und der Tarnung», sagt Weishaupt.
«Unsere Losung ist: Macht und Hinterlist! … Daher dürfen wir nicht zurückschrecken vor Bestechung, Betrug, Verrat, sobald diese zur Erreichung unserer Pläne dienen», heißt es in den Protokollen.
«… Die kommunistischen Parteien müssen einen neuen Typus von Zeitschriften für eine ausgiebige Verbreitung unter den Arbeitern schaffen: Zuerst legale Publikationen, durch welche die Kommunisten, ohne sich als solche zu bezeichnen und ohne ihre Beziehungen zu der Partei zu erwähnen, es erlernen, jede kleinste von den Gesetzen zugelassene Möglichkeit zu benutzen, wie es die Bolschewiken nach 1905 in der zaristischen Zeit getan haben … » («Thesen und Statuten», 1920.)
Die von mir oben wiedergegebenen Zeilen zeigen die Methoden, durch welche die Presse verseucht wird und wodurch solche Etiketten wie «liberal» oder «konservativ» vollkommen sinnlos werden. In dieser Sache kenne ich mich besonders gut aus und kann bezeugen, mit welch großem Erfolg diese Methode angewandt worden ist. Auch sie stammt in direkter Linie von den Lehren Weishaupts ab: «. . . Wenn ein Schriftsteller irgend etwas publiziert, was beachtet wird und an sich richtig ist, aber nicht mit unseren Ideen übereinstimmt, müssen wir ihn entweder für uns gewinnen oder aber ihn fertig machen.»
Diese Lehren werden in den Protokollen wiederholt: «Mit der Presse werden wir folgendermaßen umgehen … Wir werden sie mit straffen Zügeln lenken… Dieses Ziel wird von uns teilweise schon jetzt dadurch erreicht, daß die Neuigkeiten aus aller Welt in einigen wenigen Nachrichtenämtern zusammenströmen, dort bearbeitet und erst dann den einzelnen Schriftleitungen, Behörden usw. übermittelt werden. Diese Nachrichtenämter werden allmählich ganz in unsere Hände übergehen und nur das veröffentlichen dürfen, was wir ihnen vorschreiben werden … Sollten trotzdem einige Schriftsteller gegen uns schreiben wollen, so werden sie keinen Verleger für ihre Arbeit finden.»
Ich habe bereits auf das Geheimnis hingewiesen, welches die neugegründete Pressekommission dieses Landes umgibt, und auf die offenkundige Gefahr, daß eine solche verborgene Kontrolle der Nachrichten dadurch gefördert wird. . . .
Nesta Webster zieht Vergleiche zwischen den Dokumenten von Weishaupt’s Illuminaten, der Haute Vente Romaine (1822‑48), Bakunins sozialdemokratischer Allianz (1846‑69), den Protokollen (1905) und den Manifesten des Bolschewismus (1917 und später). Es hat also während nahezu zwei Jahrhunderten geheime Gesellschaften gegeben, die immer mächtiger wurden; das sind recht verschiedene Personen, «als diejenigen glauben, die nicht hinter die Kulissen sehen» (Disraeli). Es sind die «unsichtbaren Drahtzieher» hinter «dem Plan» (Lord Acton). Man soll die Dokumente dieser Religion der Zerstörung ruhig studieren und dann wird man erkennen, wie nahe sie ihrem Ziel, der Zerstörung der Christenheit, der Nationalität und der Freiheit, in diesem zwanzigsten Jahrhundert schon gekommen sind.
Der Kanadische Bericht von 1946 erschien ein Vierteljahrhundert nach der wissenschaftlichen Untersuchung Nesta Webster und deren Veröffentlichung. Er bestätigt ihre Schlußfolgerungen. Wichtig ist vor allem, daß er eine Photographie von Menschen ist, die in den Jahren 1925‑45 genau das tun, was Weishaupt 1771 lehrte, indem sie daran arbeiten, mit seinen Mitteln die Völker zu korrumpieren. Dieser Kanadische Bericht stellt das abschließende Dokument in der ganzen Serie dar; aus dem negativen ist ein positiver Druck geworden. . . .
Wer nicht nur die Protokolle, sondern die ganze Kette der Dokumente, in denen sie nur ein Glied bilden, aufmerksam liest, erhält den Eindruck eines allumfassenden Wissens; allumfassend vor allem in der Beherrschung der Schwächen und Gemeinheiten der menschlichen Natur und im Gebrauch, den schlechte, aber intelligente, nach Macht und Zerstörung lechzende Köpfe davon machen können. Diese Wissenschaft zeigt sich immer wieder von Weishaupt’s Illuminaten bis zum Kanadischen Bericht.
Die Antwort auf Wissenschaft ist Wissenschaft. Wenn dieser Plan soweit gediehen ist, dann nur, weil die Menschen von ihm keine Kenntnis haben. Früher war die Gleichgültigkeit erklärlich; das ganze mußte den Menschen von 1786 zu phantastisch vorkommen; nach 1793 sorgte Napoleon dafür, daß es in Vergessenheit geriet. Heute aber ist Gleichgültigkeit sündhaft und das Bestreben, eine Diskussion der bestehenden Literatur oder die Enthüllung neuer Dokumente zu verhindern, läßt mich auf die bestehende Stärke der geheimen Gesellschaften schließen.
Immerhin ist das Mißtrauen des Publikums wacher geworden. Im Oktober 1947 fand eine friedliche Versammlung in Brighton anläßlich der jährlichen Zusammenkunft der konservativen Parteikonferenz statt. Die «Agenda» war von den Veranstaltern ausgearbeitet worden, und zwar in der üblichen Weise, daß ja keine Diskussion über die Bedrohung der britischen Freiheiten und der Nachkriegssituation im Auslande entstehen konnte. Derek Walter Smith, ein Parlamentarier, schrieb im «Daily Telegraph»: «Ein intelligenter Ausländer hätte nach einem Blick auf die Traktandenliste sofort ausgerufen: Wieso finden sich die Resolutionen über die Außenpolitik und den Kommunismus nirgends auf der Liste? Hat denn eure Partei keine eigene Meinung vom großen Kampf zwischen Freiheit und Sklaverei, der alle Köpfe erfüllt und alle Herzen verdüstert und unsern Geist stählt?’ Und wirklich erfüllten diese Gedanken alle im Saal Anwesenden, aber die Leiter der Sitzung wollten eine Diskussion über diese Themen vermeiden.»
Trotzdem ereignete sich etwas Sonderbares. Ein unbekannter Delegierter im Parkett, ein gewisser Herr Andrew Fountain aus Norfolk, forderte die konservative Partei auf, «den umstürzlerischen Bewegungen nachzuspüren». Er sagte, «es sei üblich geworden, die Treue gegenüber dem König, die Ehre, den Patriotismus und die gewöhnliche Anständigkeit überall in den Schmutz zu treten». (Ich weiß nicht, ob er sich davon Rechenschaft gab, aber er zitierte Weishaupt’s Lehre.) «Auf den Bühnen, in den Schulen, in den Fabriken und sogar auf den Kanzeln werden die Lehren des Pazifismus, des Internationalismus und Sozialismus mit immer dreisterer Unverschämtheit verkündet, und man spricht vom großen britischen Reichsverband, als ob wir uns ein wenig darüber schämen sollten.»
Die Regisseure auf der Bühne zeigten bei diesen Worten das gleiche Unbehagen, die gleiche Verlegenheit und machten dieselben Vorwürfe wie vor zehn Jahren, wenn irgendein Dahergelaufener seine Zweifel am Friedenswillen Hitlers bekundete oder auf die Sinnlosigkeit hinwies, ihn mit neuen Territorien abzuspeisen, oder betonte, es sei unklug, die Verteidigung dieser Insel zu vernachlässigen. Ein «intelligenter Ausländer» müßte ein solches Argument an einer konservativen Konferenz als selbstverständlich, wenn nicht sogar als Plattheit angesehen haben, aber die Veranstalter nahmen es als eine erschreckende, unwillkommene und gefährliche Einmischung auf (und schon erscholl ringsum der alles verdeckende Ruf: Anti‑Semitismus!). Aber die Mehrheit der Delegierten protestierte laut und beharrte auf einer Diskussion dieser Angelegenheit, die tatsächlich von allen die wichtigste war. Die Veranstalter mußten nachgeben; und eine große Mehrheit beauftragte sie, «die Beweise für eine aufrührerische und undemokratische Tätigkeit in diesem Lande öffentlich bekannt zu geben».
Solche Forderungen geraten zwischen den Jahreskonferenzen leicht in Vergessenheit und ich kann mir vorstellen, daß man alles unternehmen wird, um eine Aufklärung der Öffentlichkeit zu vermeiden. Aber es mag sein, daß sie auch diesmal unterliegen. Man kann die Wünsche des Volkes nicht über ein gewisses Maß ignorieren oder aufschieben, und in den Massen der konservativen Wähler erwacht langsam das Gefühl einer unmittelbaren Gefahr. Es ist daher möglich, daß die Kenntnis der Öffentlichkeit vom großen Plan oder von der großen Verschwörung weitere Kreise zieht, und das ist meiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit, wie dessen Enderfolg vereitelt werden kann. Denn er ist schon sehr weit gediehen.
Wenn das zutreffen sollte, dann hat ein wenig bekannter Herr Fountain von Norfolk im letzten Augenblick jenen Adam Weishaupt und seine heutigen Nachfolger entlarvt, der am 1. Mai 1776 in München den großen Plan ins Werk gesetzt hat.

II. Die Gestalt der fünfziger Jahre

Für mich ist folgende Sache erwiesen:

1. Die schwarze Religion samt ihrer Organisation besteht wirklich. Ihre Literatur ist zugänglich und alles, was sie während zwei Jahrhunderten gelehrt hat, kann mit dem Ablauf der Ereignisse verglichen werden. Ihre Urheber sind in allen Staaten sehr mächtig geworden und während den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts sind einzig und allein ihre Ziele gefördert worden. Hitler und Göbbels predigten und verwirklichten die Zerstörung, Deportation, Entvölkerung und Tod genau wie Weishaupt, Bakunin, Marx, Lenin und Trotzky. Die verschiedenen Namen, die sie trugen, waren nur die von Weishaupt empfohlenen Pseudonyme, um am besten zum Ziele zu kommen. (Es war übrigens Weishaupt, der als erster den Satz erfunden oder verwendet hat: «Der Zweck heiligt die Mittel.»)

2. Die Geheimgesellschaft besteht in ungezählten Abarten und Gestalten in allen Ländern. Durch den Erfolg und durch das Näherrücken an die Macht ist sie halb sichtbar geworden. Jetzt tauchen über dem Nebel ihre verschieden gestalteten Gipfel auf. Aber der Nebel verhüllt noch immer die breiten, geheimen Grundlagen und er kann nur dadurch zerstreut werden, daß die breiteste Öffentlichkeit in diese geheimen Vorgänge eingeweiht wird. Diese Möglichkeit ist leider mit dem Anwachsen der Verschwörung wesentlich kleiner geworden und der phänomenale Erfolg der Geheimhaltung war wohl der größte Erfolg der Verschwörer. Hier hat sich Weishaupts üble «Wissenschaft» in der Praxis als äußerst stark erwiesen. Die Korruption der sogenannten freien Presse durch diese heimtückischen Methoden hat sich in den äußerlich noch freien Staaten als nicht weniger wirksam gezeigt als die völlige Unterdrückung in jenen Ländern, die sichtlich versklavt worden sind. Die Ausmerzung von unabhängigen Zeitungen und Schriftstellern durch Ankauf, «Schmiergelder», Verhöhnung oder durch die Irreführung der Öffentlichkeit ist schon sehr weit fortgeschritten. Die Generallinie der Lehren Weishaupts, die Verächtlichmachung der Monarchie, der Religion, jeder legitimen Regierung, jedes Landes, der Nationalität, der Ehre, des Patriotismus und allgemeiner Anständigkeit findet sich implicite oder explicite in einer Unzahl heutiger Schriften, Schauspiele, Rundfunksendungen und Filme.

3. Jetzt, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, zeigt sich eine Situation, die für die Vollendung der Revolution der Zerstörung mit ihren Früchten ‑ Entvölkerung, Deportation und Tod -, einen außerordentlich günstigen Nährhoden bildet. Sowohl in Europa wie in Arabien sind zwei Vulkane künstlich geschaffen worden, die jederzeit zum Ausbruch gebracht werden können. Die Ereignisse, die zu dieser Situation geführt haben, bewiesen zur Genüge, daß es geheime Männer gibt, die eine Macht über die Politiker ausüben. Jetzt erstreckt sich diese Macht über die Völker oder mindestens über jene, die behaupten, in deren Namen zu sprechen. Der mit einem großen Stimmenmehr gefällte Beschluß der «Vereinigten Nationen», die bewaffnete Invasion in Arabien wieder aufzunehmen, steht in der Geschichte einzigartig da. Meiner Meinung nach besteht kein Zweifel, daß bei Beginn des einen Ausbruchs oder beider Ausbrüche hinter dem Rauch und den Flammen wiederum andere von der offiziellen Ankündigung völlig verschiedene Ziele verfolgt werden.
Welches also ist dann die Gestalt der fünfziger Jahre? Ich glaube, daß sich in ihnen eine von beiden Möglichkeiten entscheiden wird: entweder die Bloßstellung und Vereitelung des Plans, was mit der Wiederherstellung von freien Nationalitäten, Religion und Freiheit gleichbedeutend wäre, oder dessen Endsieg, was bedeuten würde (wie Quintin Crawfurd 1798 schrieb, als der Plan in Frankreich seine ersten Erfolge davontrug), daß ganz Europa wieder «in einen Zustand der Barbarei» versinkt.
Die sichtbaren Agenten dieser Verschwörung sind im Osten die Weltkommunisten und im Westen die «Welt‑Staatsmänner» (mit ihren beiden Gehilfen: der Atombombe und dem vergrabenen Gold). Werden sie eines Tages im Interesse des Planes scheinbar gegeneinander losschlagen, wie es der «Nationalsozialismus» und der «Kommunismus» getan haben? Durch die gesamte Propaganda für einen «Welt‑Staat», eine «Welt‑Regierung», die jetzt ständig auf uns einhämmert, zieht sich wie ein roter Faden die Lehre von Weishaupt. Hinter dieser lächelnden Maske birgt sich die gefährlichste aller Diktaturen.
War es wohl dieses falsche Ziel, welches durch den zweiten Weltkrieg erreicht werden sollte? Falls jemals eine Empfehlung zur Aufrechterhaltung der nationalen Unabhängigkeit, der Religion und Freiheit aus diesem Quartier erfolgen sollte, wenn uns die Welt‑Staatsmänner aufrufen, die «kommunistische Agression» zu bekämpfen, dann stehen wir vor einer Wiederholung des Täuschungsmanövers des Zweiten Weltkrieges. Wir dürfen den Welt-Staatsmännern kein Vertrauen schenken. Wenn überhaupt, dann finden sich Weishaupt’s Schüler am ehesten in ihren Reihen. Denken wir an die Brotrationierung, an den Versuch, Königin ADA als den Grund aller Übel dieser Erde darzustellen; denken wir vor allem an die Kriegserklärung gegen die Araber! Das läßt sich alles doch unmöglich mit den Liebeserklärungen für Humanität, für Freiheit, für «Demokratie» in Einklang bringen!
Nehmen wir zuerst einmal diese Frage. Weshalb überhaupt dieser ganze Wirrwarr wegen Palästina? Die Juden dieser Welt werden ohnehin nicht dorthin abwandern. Welches also ist der besondere Anreiz dieses kleinen Landfleckens auf der Erdoberfläche? Gibt es dort etwas, was die Geld‑Macht interessieren könnte? Ja: verschiedene Dinge.
Geographisch gesehen bildet Palästina, allgemein ausgedrückt, die Mitte der Welt. Sein natürlicher, aber noch unentwickelter Reichtum ist unschätzbar. Der Wert der chemischen Ablagerungen des Toten Meeres kann nach einem offiziellen britischen Bericht höher eingeschätzt werden als das gesamte Gold, das in Fort Knox gehortet wird. (Mineral‑Produktion aus dem Wasser des Toten Meeres, veröffentlicht von den Kron‑Agenten der Kolonien im Jahre 1925.)
Das ausschließliche Recht, diese Mineralien zu gewinnen und die Aufhebung bestehender Konzessionen zu fordern, wurde ohne Wissen des Parlaments 1921 durch die britische Regierung an zionistische Finanzleute übertragen. Die britische Regierung hatte dazu kein Recht und im Jahre 1925 erklärte der Internationale Gerichtshof im Haag (darunter ein britisches Mitglied, das früher Lordkanzler gewesen ist) diese Aktion in sehr scharfen Worten als ungesetzlich.
Dessen ungeachtet handelte die zionistische Gruppe als Besitzerin, leitete ihre Arbeiten ein und wurde 1930 in dieser Funktion nochmals anerkannt. Der offizielle Bericht der palästinensischen zionistischen Organisation im Jahre 1929 sagte:
«Wir Zionisten werden uns immer daran erinnern, daß Großbritannien jenen Männern den Vorzug gibt, denen unsere jüdischen Interessen am Herzen liegen … Es können Jahre vergehen, bis die Arbeiten am Toten Meer in vollem Schwunge sind. Hätten wir diese Konzession verloren, dann wäre vielleicht unsere ganze Zukunft in Palästina gefährdet gewesen.»
Dieser Umstand läßt darauf schließen, daß Palästina Anreize bietet, die in seiner Erwähnung als «Heimstätte» für ein «heimatloses Volk» nicht genannt sind, und daß die Gründe, weshalb «die moralische und, wenn nötig auch die physische Autorität der zivilisierten Welt» (Times) eingesetzt werden soll, nicht nur humanitärer Art sind. Er wirft ebenfalls ein neues Licht auf den «zweiten Exodus», die unerfindliche «Geheim‑Organisation», die dahinter steckt, auf die Finanzquellen und die Rolle der unglücklichen Menschenfracht der «Höllenschiffe». Diese Leute wußten von den Reichtümern des Toten Meeres ebensowenig wie die britischen Truppen, die Palästina im ersten Kriege eroberten oder die zwischen den beiden Weltkriegen gegen die Araber eingesetzt wurden.
Die volle Ausbeutung kann offensichtlich nicht beginnen, bis Palästina unter dem Vorwand einer Zufluchtsstätte für die Opfer Hitlers den politischen Zionisten übergeben worden ist. Der Reichtum dieser Gegenden beschränkt sich nicht auf die Sedimente des Toten Meeres. Außerhalb der Grenzen Palästinas, aber sehr nahe, liegen unendliche Ölquellen. Wenn der Krieg einmal eingeleitet ist, dehnt er sich immer weiter aus.
Deshalb scheint mir die endgültige Gestalt für die kommenden fünfziger Jahre folgende zu sein: Hinter den ursprünglich den Völkern vorgegaukelten Zielen und Absichten wird der Versuch unternommen werden, irgend einen neuen Staat in Arabien zu gründen, der zusammen mit New York als dem Sitz der Welt‑Finanzkontrolle zum geographischen Zentrum der Welt‑Kontrolle überhaupt werden soll. Diese Knechtschaft bedroht alle Völker. Zwischen Fort Knox und dem Toten Meer besteht eine deutliche Verbindung. Wenn britische oder amerikanische Soldaten in Arabien eingesetzt werden, dann werden sie feststellen müssen, daß sie diesen Zwecken dienen. Die Welt‑Staatsmänner werden diesen Endstreich sicher versuchen.
Falls etwas in dem übersteigerten dritten Akt noch unklar ist, dann die Rolle, welche die beiden Hauptgestalten der ersten beiden Akte spielen müssen. Deutschland ist in vier Teile zerstückelt, aber die Deutschen sind noch immer dort, und zwar sehr zahlreich. Sie werden von der Absicht besessen sein, ihr eigenes Land wieder zurückzugewinnen; einigen wird man nach dieser Richtung, andern nach einer andern Richtung Hoffnung machen. Auch in dieser Angelegenheit scheinen die vorbereitenden Maßnahmen einer Meisterhand bereits sichtbar zu werden.
Die einzige bis jetzt organisierte deutsche Wehrmacht ist diejenige der großen Armee, welche durch Hitlers sonderbares Verhalten in Stalingrad zur Kapitulation gezwungen worden ist. Die Sowjetmacht ließ den Befehlshabern und den Angehörigen dieser Armee eine anständige Behandlung zuteil werden, trotzdem sie nach dem Blut ihrer Komplizen in Nürnberg lechzte. Ja, sie verhätschelte diese sogar und reorganisierte sie; Feldmarschall von Paulus wurde zu einem deutschen Joyce, der regelmäßig durch den Moskauer Rundfunk sprach. Er und seine Generale harrten in einem großen Lager außerhalb der Hauptstadt auf einen neuen Tag. Ich weiß nicht, ob sie mit britischen und amerikanischen Waffen und Maschinen ausgerüstet worden sind, aber ich halte das für möglich.
Wenn dies Buch erscheint, kann diese Armee (oder die von ihr abgeleitete Organisation der «Ost‑Polizei») zu einem wichtigen Faktor in der Gestaltung der kommenden Ereignisse geworden sein. Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, daß sie früher oder später einmal nach Deutschland gesandt wird, um dort unter Sowjetkontrolle zur wahren Beherrscherin eines sowjetisierten West‑Deutschland zu werden. Die unter ihrer Fuchtel stehende Regierung wird die Sirenengesänge des deutschen Patriotismus anstimmen und den Ost‑Deutschen die glückliche Aussicht auf ein Vereinigtes Deutschland (das «Vierte Reich») vorspiegeln, falls sie sich zum Kommunismus bekennen. Als John Strachey den Kommunismus vor dem Zweiten Weltkrieg befürwortete, sah er die Möglichkeit voraus, daß «sich das Schwergewicht des Kommunismus vielleicht von Moskau westwärts nach Berlin verlagern wird». Heute sind wir dieser Möglichkeit schon näher und wären damit wieder bei der Situation zwischen 1914 und 1939 angelangt.
Falls die Engländer und Amerikaner eine solche Entwicklung verunmöglichen wollen, ist mir ihr Verhalten in ihren respektiven Besetzungszonen unverständlich. Bis jetzt waren alle ihre Handlungen darauf gerichtet, den Deutschen den Glauben an die Aufrichtigkeit des «Westens» zu nehmen, ihre Hoffnung auf die Zukunft zu zerstören und sie aus Verbitterung zu Schülern der Religion der Zerstörung zu machen. . . .

EPILOG

Zehnmal April

Nun gut. Die zehn nacheinanderfolgenden Aprils haben mich aus dem Keller des Lumpenhändlers in Wien auf ein Krankenbett in Natal gebracht. Ich stand gesund auf meinen Füßen, als ich zusah, wie Hitler in Österreich einbrach, und mich fragte, ob wohl «Jahrmarkt des Wahnsinns» jemals erscheinen werde. Jetzt, nachdem wir vom Rauch zum Qualm zurückgekehrt sind und ich mich mit meinem Rückgrat beschäftigen muß, frage ich mich genau wie vor zehn Jahren, ob es dem Drucker gelingen wird, dieses Buch herauszubringen, ehe es durch den Ablauf der Ereignisse bereits überholt ist. Für mich bleibt natürlich auch mit dem Wechsel der äußern Ereignisse das Grundthema das gleiche. Werde ich wohl im Jahre 1958 noch immer den unbelehrbar Blinden in die Augen springende Selbstverständlichkeiten aufzählen müssen?
Unsere Rückenwirbel gelten uns zu sehr als Selbstverständlichkeiten. Unaufgefordert erfüllen sie uns jeden Wunsch. Sie verbeugen sich vor den Damen, krümmen sich, um deren Taschentücher aufzuheben, beugen sich über den Rudern, erstarren in ungemütlichen Winkeln und werden dafür in romantischen um so biegsamer und leisten uns jeden Tag neue Dienste. Wenn aber diese treuen Stützen einmal zusammenbrechen, nachdem sie in unserm Dienst alt geworden sind, dann bemerken wir erst, wie gänzlich wir von ihnen abhängen, wie hilflos wir ohne sie sind. Es ist ein demütigender Augenblick für einen Mann, wenn er feststellen muß, daß sein ergebener Diener, die Wirbelsäule, ihm im kurzen Zeitraum einer Sekunde gekündet hat. Das ist der Augenblick für ihn, zur Besinnung zu kommen; denn hier erhält er die beste Lektion seiner eigenen Bedeutungslosigkeit, seiner Gebrechlichkeit und seiner sterblichen Schwachheit.
Während ich in diesem Zustand die Fahnenabzüge meiner Gedanken lese, die ich letztes Jahr zu Papier gebracht habe, scheint mir der Zeitpunkt gekommen, falls nötig, meine übereilten oder leidenschaftlichen Urteile zu revidieren. Falls sie einem brüchigen Gehirn entsprungen waren, sollte mir jetzt mein brüchiger Rücken auf die Spur helfen. Als gewissenhafter Journalist freue ich mich festzustellen, daß ich keine Änderungen machen will; daß mir die Umrisse des «Jahrmarkt des Wahnsinns» in der horizontalen Lage genau gleich wie in der vertikalen vorkommen und daß die Ereignisse, die ich voraussagte, als ich 1947 in Chelsea dieses Buch vorbereitet habe, jetzt, während ich die Fahnenabzüge an einem unerwarteten Ruheplatz in Südafrika im Jahre 1948 korrigiere, langsam eintreten.
Falls es beim Schreiben des Buches vielleicht noch unklar war, so ist es jetzt unwiderlegbar klar geworden, daß die Angelegenheit unseres Planeten in den Händen von Disraelis «Leuten hinter den Kulissen» liegen, die für ihre Zwecke einen Aufstand nach dem andern auslösen und jetzt die Bühne für die größte Erschütterung rüsten, die ihren wichtigsten Zielen dienen soll. Diese Tatsache wurde (wie ich es in meinem Buche vorausgesehen habe) im Benehmen des anonymen Komitees einiger auserwählter Beamter sichtbar, das seinen Sitz in einer New Yorker‑Vorstadt hat und von allen, wovor uns Gott behüten möge, als «Vereinigte Nationen» bezeichnet wird.
Diese Körperschaft wurde gegründet, um die Wunden zu heilen, den Schaden wieder gutzumachen und das Unrecht des Krieges des 20. Jahrhunderts zu tilgen. Es hat nicht einmal versucht, etwas derartiges zu tun. Nach drei Jahren liegt Deutschland, das größte Land Europas, noch immer in Trümmern; bis heute sind keine Anzeichen dafür vorhanden, daß man ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen will. Der neue Angreifer, die asiatische Sowjetunion, streckt sich über halb Europa wie eine Riesenkröte. Würden sich die «Vereinigten Nationen» wirklich einsetzen, dann würden diese Dinge wahrscheinlich nicht bestehen.
Aber ganz im Gegenteil, es will scheinen, als wäre der Apparat dieses entlegenen Beamten‑Komitees vollkommen in der Gewalt solcher Mächte, deren Ziele nichts mit der Gesundung Europas oder der Welt zu tun haben. Bis jetzt haben sich die «Vereinigten Nationen» lediglich damit befaßt, einen neuen Krieg zu erklären, nicht Wunden zu heilen. Die gesamten Energien dieser fernen Komitee‑Männer, angefangen mit dem Delegierten des großen Liberia und des ruhmvollen Haiti bis zu denen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, wurden dafür eingesetzt, im Interesse der zionistischen Juden einen Angriff auf die Araber in Palästina vorzubereiten.
Ich habe in diesem Buch schon gezeigt, wie dieser Apparat überwacht wird. In Amerika findet alle zwei Jahre entweder eine parlamentarische oder eine Präsidenten‑Wahl statt. Die Stadt New York bildet den Schlüssel zum Erfolg in der Wahl und in New York sind die Juden der ausschlaggebende Faktor. Amerikanische Präsidenten und amerikanische Parteiführer stehen auf diese Art unter unablässigem Druck. Amerika hat die stärkste Stimme in den «Vereinigten Nationen», die sich passenderweise in Amerika befinden.
Durch solche Methoden haben die beiden Weltkriege nicht etwa Frieden und Freiheit in Europa gebracht, sondern die «Teilung von Palästina» und eine unmittelbare neue Kriegsdrohung in Arabien.
Wir nähern uns ganz deutlich dem größten Umsturz aller Zeiten, und dieser wird in New York fabriziert. Wer sich mit biblischen Prophezeiungen abgibt (ich persönlich beschränke mich auf politische Voraussagen), kann sich damit unterhalten, diejenigen über die Schlacht in den Ebenen von Armageddon in Palästina zu lesen, welche als entscheidender Endkampf bezeichnet wird. In einer der dort eingesetzten gewaltigen Armeen (die glauben, für ihre eigenen Ziele zu kämpfen, in Wirklichkeit aber durch die Macht des Teufels geleitet werden) sehen sie vielleicht die amerikanischen Soldaten, über deren Häuptern heute die Drohung einer solchen Expedition schwebt.
Ein entscheidender Augenblick steht deutlich bevor. Durch die Willfährigkeit der nicht‑jüdischen Politiker unserer Generation überschatten heute die palästinensischen Angelegenheiten die ganze Zukunft. In den Jahren, die dem Zweiten Weltkrieg folgten, gab es nur etwas Gutes: der plötzliche Rückzug der britischen Regierung von jeder weiteren Komplizenschaft an der abscheulichen Tat, die in Palästina ins Werk gesetzt wird. Sollte sich auch die amerikanische Regierung im letzten Augenblick vor diesem Abgrund zurückziehen, dann könnte man noch heute mit einer sichern Zukunft rechnen.
Diese zehn Jahre, in denen eine teuflische Macht auf dieser Erde beträchtlich an Einfluß gewonnen hat, waren für mich persönlich die glücklichsten meines Lebens; vielleicht eine unberechenbare Ironie eines Einzelschicksals. Während die Hoffnung schwand, daß der Zweite Weltkrieg die verpestete Luft dieses Jahrhunderts von Blut und Lügen wegfegen würde, wuchs mein persönliches Wohlbefinden. Ich persönlich hege also gegen diese Jahre durchaus keine schlechten Gefühle, da sie viel wohlwollender mit mir umgingen, als ich erwartet hatte. Darum gehören die Dinge, die ich als Fortsetzung von «Jahrmarkt des Wahnsinns» geschrieben habe, nicht in den Bereich eines Menschen, der durch Schicksalsschläge mißtrauisch und nörglerisch geworden ist. Sie sind wirklich nur die aus reicher Erfahrung geschriebenen Kommentare eines gewissenhaften Reporters zu diesen außergewöhnlichen Jahren.
Ich möchte noch ein Wort beifügen. Ich gehöre nicht zu den Alleswissern. Ich habe mich bemüht, bei der Darlegung der bewußt üblen Absichten, die ich hinter dem Chaos unserer Zeiten sehe, manche Tatsachen zu erwähnen, die schon ringsum bekannt sind. Ich habe mich auf sie gestützt und meine eigene Meinung dargeboten. Ich behaupte aber nicht, daß ich alles weiß oder daß ich unbedingt recht habe. Es gibt in diesen Fragen keine absolute Wahrheit; siehe, die tausend Farben, in denen der farblose Diamant aufleuchtet. Ich habe, so gut ich dies konnte, in das Geheimnis unserer Zeiten hineingeleuchtet und wenn ich meine Lösung biete, dann berufe ich mich auf folgende Worte, die von einem amerikanischen Schriftsteller, Henry Beston, stammen:
«Zu den vielen Dingen, für die ich unendlich dankbar bin, gehört die Tatsache, daß so vieles im Leben jedes menschliche Begreifen übersteigt. Die Phantasielosen und Gelangweilten können ruhig behaupten, daß sie eine Erklärung für alles besitzen, und ihre hölzernen, mit Formeln geladenen Gewehre auf jedes Wunder und jedes Geheimnis richten. Es ist ihnen, Gott sei Dank, bis jetzt nicht gelungen, mit ihren Holzgewehren auch nur den kleinsten Stern am Firmament zu verrücken. Gut, daß dem so ist, denn der menschliche Geist läuft Gefahr, vor lauter Erklärungen, die keine sind, zu sterben. Eine Welt ohne Wunder und eine Denkweise ohne Wunder wird zu einer phantasielosen Welt, und ohne Phantasie ist der Mensch eine arme und verkrüppelte Kreatur. Die Quellen der Religion, der Dichtung und der menschlichen Künste liegen alle in dieser Aufwallung von Wunder und Staunen. Laßt uns Gott danken, daß dies alles für immer aus unserer Reichweite entrückt, vor unserer Erde behütet, von unseren Griffen unberührt bleiben wird.»
In der Meinung, daß ein öffentliches Wissen die beste Verteidigung gegen ein geheim vermitteltes Wissen darstellt, habe ich in diesem Buch einfach einige Nachrichten und einige persönliche Ansichten zum Besten gegeben.
Douglas Reed, Südafrika, 1948

www.horst-koch.de
info@horst-koch.de

Ergänzende Literatur zu diesen Fragen auf meiner Webseite:

1. Charakterwäsche – Die Re-education der Deutschen nach 1945 – von Caspar von Schrenck-Notzing
2. Amerikas Verantwortung für das Verbrechen am deutschen Volk – Rev. Ludwig A. Fritsch
3. Schreckliche Ernte – Der Nachkriegs-Krieg der Alliierten gegen das deutsche Volk – Ralph Franklin Keeling
4. Stalins Vernichtungskrieg 1941-45 – Joachim Hoffmann

 




Das Morgenrot der Welterlösung (E.Sauer)

Erich Sauer

DAS MORGENROT DER WELTERLÖSUNG

– Ein Gang durch die alttestamentliche Offenbarungs-             geschichte –

Erster Teil:   Die Grundlagen der biblischen Offenbarungsgeschichte
Zweiter Teil: Die Uroffenbarung
Dritter Teil:   Die vorlaufende Heilsoffenbarung

Leicht gekürzt; auch die Hervorhebungen sind von mir. Horst Koch, Herborn, 2014

Vorwort

. . . Es ist eine wirklich geniale Schau, die Erich Sauer geschenkt wurde. Weltgeschichte und Geschichte der Völker auf der Erde sieht er völlig eingebettet in die Heilsgeschichte. Den verborgenen Heilsplan Gottes spürt er auf und arbeitet ihn heraus mit dem Ziel, die gesamte vorchristliche Heilsgeschichte als eine Hinführung der Menschheit zum Welterlöser einsichtig zu machen.
Diese Schau zeigt, wie das
Volk Israel in dem Heilsplan seine offenbarungsgeschichtliche,
die Völkerwelt ihre kulturgeschichtliche Vorbereitung erfährt.

Das Alte Testament ist Verheißung und Erwartung,
das Neue Testament Erfüllung und Vollendung des göttlichen Plans der gesamten Geschichte.

Erich Sauer löst die Fragen der Heilsgeschichte von ihrem König, Jesus Christus, aus.
Die Bibel, als Urkunde dieser Geschichte, ist ihm ein einheitliches Ganzes, das sie als eine planmäßig voranschreitende, prophetisch-geschichtliche Entfaltung bezeugt.  . . .

Als Leiter der Bibelschule Wiedenest war Erich Sauer ein hervorragender theologischer Lehrer. Erfüllt von ehrfurchtsvoller Anbetung gegenüber Gott, dem Vater, und von glühender Liebe zu Gott, dem Sohn, und von demütigem Horchen auf Gott, den Heiligen Geist, hat er gelehrt und geschrieben.   . . .

Hans Rohrbach, Mainz, April 1976

 

Erster Teil:
Die Grundlagen der biblischen Offenbarungsgeschichte:

  1. Kapitel: Die vorweltliche Ewigkeit
  2. Kapitel: Die Weltschöpfung
  3. Kapitel: Der Ursprung des Bösen

Zweiter Teil: Die Uroffenbarung

  1. Kapitel: Die paradiesische Berufsbestimmung der Menschheit
  2. Kapitel: Sünde und Gnade
  3. Kapitel: Das Frührot des Heils
  4. Kapitel: Zwei Menschheitswege
  5. Kapitel: Naturbund und Weltgeschichte (Der  Bund Gottes mit Noah)
  6. Kapitel: Das heilsgeschichtliche Rassenprogramm (Der Segen Noahs)
  7. Kapitel: Das babylonische Menschheitsgericht

Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung

A. Das Verheißungsfundament des Evangeliums
B. Das Geheimnis des Volkes Israel
C. Warum gab Gott das mosaische Gesetz?
D. Das Gotteszeugnis der Prophetie
E. Die Heilszubereitung der Völkerwelt

 

Einleitung

Weltschöpfung, Welterlösung, Weltvollendung – wie drei hochragende Rätselzeichen stehen diese Worte in der Geistesgeschichte der Menschheit da. Noch nie ist ein Volk achtlos an ihnen vorübergegangen. Gerade die Größten aller Zeiten waren bestrebt, sie zu deuten.

Bunt und widerspruchsvoll waren seit alters die Antworten. System auf System ist ersonnen, Weltbild auf Weltbild gefolgt. Auf den Trümmern des einen baute der andere sein Geistesgebäude auf, und auch heute noch ringt die Menschheit um sie mit aller Kraft ihrer Gedanken.

Und doch ist die Antwort schon da! Gott selbst hat sie deutlich gegeben. Seine ewigen Gedanken sind keineswegs bloße „Ideen“, sondern schöpferische Taten, die sich zugleich unmittelbar in alle Geschichte hinein stellen, sich tief mit ihr verweben und „in, mit und unter” aller Geschichte sich wirksam erweisen. „Die Geschichte der Zeiten ist die Geschichte der Menschheit, und die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte Gottes” (Raabe).

Aber die Antwort, die Gott gibt, ist er selber: Sein eigenes Sein in der Person seines Sohnes. Als das ewige WORT ist der Sohn die Zentralsonne aller Gottesoffenbarung im gesamten Universum.

– Aus Gott geht alles hervor; hier enthüllt sich der Urgrund der Vergangenheit, das Wesen der Weltschöpfung (Kol. 1,16; Joh. 1,3).
– Durch Gott wird alles vollbracht; dies deutet die Frage der Gegenwart, das Werden einer Welterlösung (Röm. 11,36).
– Zu Gott strebt alles zurück; hier zeigt sich das Ziel aller Zukunft, das Werden aller Weltvollendung (1. Kor. 15,28).

So ist Gott der HErr, geoffenbart in Christo, der Fels aller Zeiten, ist lebendige Urgrund alles Seins.

Aber das ewige Wort offenbarte sich durch das gesprochene Wort, und das gesprochene Wort ward zum geschriebenen, und das geschriebene wurde zur Bibel. So ist denn die Bibel der Schlüssel zum Weltgeschehen, das Buch der Menschheit, das Buch der Geschichte.

Von ihrem Verstehen hängt darum alles ab. Ohne sie sind wir Tastende in einem lichtleeren, verfinsterten Kerker. Wem aber die Bibel aufgeht, dem geht die Sonne auf und mit ihr der Himmel und all sein Glanz. Sein Pfad wird erhellt, sein Leben wird licht; die Zeit wird verklärt, das Göttliche siegt.  – Erich Sauer

 

Erster Teil

Die Grundlagen der biblischen Offenbarungsgeschichte

1. Kapitel: Die vorweltliche Ewigkeit

Gott ist der einige, ewig absolute Geist (Joh. 4,24). Geistigkeit, Einheit und Ewigkeit gehören zu dem Kern seines Wesens, und er selbst ist der Inbegriff alles höchsten, vollkommensten Lebens. Als solcher aber ist er zugleich wirklichste Wirklichkeit, bewußte Persönlichkeit, ja ewige Überpersönlichkeit, und alle endlichen Deutungsversuche seines unendlichen Seins durch den menschlichen Geist sind ewig vergeblich.

Gottes„beweise” kann es darum nicht geben. Auch die Schrift läßt sich gar nicht erst darauf ein. Denn der Gottesgedanke sprengt alle menschlichen Denkmittel, und schon der bloße Versuch einer staubgeborenen Kreatur, Gott „beweisen” zu wollen, ist nichts als kindische Selbstüberschätzung, ja maßlose Vermessenheit kleingeistigen Größenwahns. Gott ist als Gott der Ewige und Unendliche und als solcher nimmermehr Denkproblem menschlicher Spekulation.

Dennoch haben die sogenannten „Gottesbeweise” ihren nicht zu unterschätzenden Wert. Selbst für Kant hatten der teleologische und der Moralbeweis ihre Bedeutung. Sie beweisen die Vernunftgemäßheit des Gottesglaubens und machen die sichtbare Welt zum Zeugen und Sinnbild der ewigen. Sie zwingen den denkenden Geist zu einem letzten, unausweichlichen Entweder-Oder: Entweder unser Denken beruht auf einer sinnlosen Einbildung, oder aber: Gott existiert, und dann ist es der Ausdruck einer allumfassenden Wirklichkeit.

Gott muß da sein – dies ist das Zeugnis der allgemeinen Natur

– als der allverursachende Urgrund der Welt; dies fordert der Blick in die Vergangenheit, die Frage nach der Ursache, dem Woher alles Seienden,

– als der schönheitsvoll kunstreiche Baumeister der Welt; dies fordert der Blick in die Gegenwart, die Erkenntnis der Ordnung, des Wie? alles Seienden

– als der planvoll zweckgebende Zielsetzer der Welt; dies fordert der Blick in die Zukunft, die Frage nach dem Sinn, dem Wozu? alles Seienden.

Und ferner: Gott muß da sein – dies ist das Zeugnis der menschlichen Seele

– als die höchste Idee des Verstandes; denn wie könnte gerade der höchste Gedanke wesenlos sein?

– als der oberste Gesetzgeber des Willens (bzw. Gewissens); denn wie kann das sittliche Gesetz ohne Gesetzgeber entstanden Sein?

– als der einzige Glückseligmacher des Gefühls; denn warum findet die Seele keine Ruhe, bis daß sie ruht in Gott?

So zeugt denn von seinem Dasein alles auf Erden: die Welt um uns und in uns, das Außer- und Innermenschliche. Ohne ihn ist die Welt nur ein „alles verschlingendes Grab”, (Goethe), ein Riesenorganismus, der zwar bis ins Kleinste unfaßbar genau und zweckmäßig eingerichtet ist, selber aber als Großes und Ganzes die Ziellosigkeit und Zwecklosigkeit geradezu zum Motto hat. Ohne ihn ist aller Wert in der Welt nur wesenlose Einbildung, und der Urgrund alles Sinnvollen ist ewig das Sinnlose. Nein, angesichts des Vorhandenseins unübersehbarer Weisheit im gesamten Universum ist der Gott leugnende Unglaube nur eine gedankenlose Phrase, eine gehirnleere Geistlosigkeit. Nur „die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Gott” (Ps. 14,1).

Gott ist Liebe (1. Joh. 4,16). Liebe ist der Urgrund seines Lebens, der innerste Quellpunkt, aus dem sich sein Wesen ewig heraussetzt, das schöpferische Zentrum, das all sein Wirken und Walten erzeugt.

Liebe aber ist Dreieinheit. Schon Augustinus sagt: „Wenn Gott die Liebe ist, dann muß in ihm ein Liebender, ein Geliebter und ein Geist der Liebe sein; denn es ist keine Liebe denkbar ohne einen Liebenden und einen Geliebten.”

So weit gelangt das menschliche Denken. Daß aber diesen drei Grundbegriffen der Gottesidee auch tatsächlich drei Personen der Gottheit entsprechen, das vermag nur die Offenbarung des ewigen Gottes selber kundzutun. Der Vater ist der aus sich seiende, der Sohn der zu sich gelangende, der Geist der sich in sich bewegende Gott. Der Vater ist der Liebende, der Sohn der Geliebte, der Heilige Geist der Geist der Liebe.

Drei göttliche Personen und doch e i n Gott, Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater und doch freiwillige Unterordnung unter ihn, Ursache aller Ursachen und doch selber unverursacht – wahrlich, hier sind Geheimnisse über Geheimnisse. Hier steht der endliche Geist ewig vor dem Rätsel des Unendlichen. Selbst bis in endlose Ewigkeit gelangt raumzeitliches Denken niemals in die Sphäre der Überräumlichkeit und Überzeitlichkeit Gottes hinein. Denn Gleiches wird nur von Gleichem erkannt, also Gott nur durch Gott.

Was tat Gott vor Grundlegung der Welt?

Gar verschieden ist diese Frage beantwortet worden. Die einen haben schon ihre Berechtigung abgelehnt (Luther); die andern haben versucht, sie philosophisch zu deuten (Origenes). Die Bibel geht einen vermittelnden Weg, indem sie Verhüllung und Enthüllung zugleich bringt und, in göttlicher Herablassung, ihre Mitteilungen über das Ewige in die Formen geschöpflichen, raum-zeitlichen Denkens einkleidet (z. B. Jes. 43,10).

In diesem Sinne gibt sie uns hier eine siebenfache Antwort:

  1. Gott hat vor Grundlegung der Erdwelt die Engel und Sterne geschaffen. Darum spricht er zu dem nichtigen Menschen: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? . . . Wer hat ihren Eckstein gelegt, während die Morgensterne allesamt laut frohlockten und alle Gottessöhne jauchzten?” (Hiob 38,7)

2. Gott hat vor Grundlegung der Gesamtwelt in ewigem Liebesverkehr mit seinem Sohne gestanden. Schon „v o r seinen Werken von jeher” besaß er die ewige Weisheit (Spr. 8,22; 23), das Wort, das dann später in Christo erschien (Joh 1,14). Schon damals „im Anfang” war dieses Wort „zu Gott hin”, stand ewig mit ihm in hinstrebendem Gemeinschaftsverkehr (Joh. 1,2). Und der Vater liebte den Sohn, der hernach auf Erden bezeugt: „Du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt” (Joh. 17,24). „Und nun verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir schon besessen habe, ehe die Welt war” (Joh  17,5).
So war denn der Sohn beim Vater
– das ewige Wort (Joh. 1,1; 2),
– die ewige Weisheit (Spr. 8,22; 23),
– der ewig Geliebte (Joh. 17,24),
– der ewig Herrliche (Joh. 17,5).

3. Gott hat vor Grundlegung der Welt den Heilsrat für die einzelnen beschlossen. Darum hat er ihre Namen schon von Anbeginn der Welt in das Lebensbuch des Lammes geschrieben (Off. 13,8), ja, hat sie in Liebe schon vor aller Schöpfung zur Sohnschaft und Heiligkeit bestimmt (Eph. 1,4). Damit aber hat er ihnen auch das Leben schon „vor ewigen Zeiten” verheißen (Tit. 1,2), und, vom Gesichtspunkt der Überzeitlichkeit Gottes aus, ist uns somit seine Gnade schon „vor den Zeiten der Zeitalter” geschenkt (2. Tim. 1,9).

4. Gott hat vor Grundlegung der Welt den Heilsschluss der Gemeinde gefasst. Der Wunderbau des „Leibes” war schon von Ewigkeit her vom Erlöser beschlossen. Schon „von den Äonen her” war darum auch das Christusgeheimnis verborgen in Gott, „daß die aus den Nationen Miterben seien und Mitteilhaber seiner Verheißung in Christo Jesu durch das Evangelium” (Eph. 3,9; 6).

5. Gott hat von Grundlegung der Welt an den Seinen das Reich bereitet. Darum wird einst der König zu denen zu seiner Rechten sagen: „Ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an” (Matth. 25,34).

6. Gott hat vor Grundlegung der Welt seinen Sohn zum Mittler des Heilsratschlusses ersehen. Christus ist der Mittler der Weltschöpfung, (Off. 3,14; Joh 1,3). – Er ist der Mittler der Welterhaltung (Hebr. 1,3; Kol. 1,17). – Er ist der Mittler der Welterlösung (Kol. 1,19). – Er ist der Herr des Weltgerichts (Joh. 5,22).

7. Der Sohn war aber schon von Ewigkeit her zum Erlösungswerk willig. Darum war sein späteres Sterben am Kreuz ein Selbstopfer für Gott „durch den ewigen Geist” (Hebr. 9,14), das heißt, durch den ewigen Geist Gottes, in dem Christus auch sonst alle seine Taten vollzog und in dem er zuletzt auch seine Selbsthingabe in den Tod — obwohl in der Zeit ausgeführt — dennoch als eine überzeitliche Tat dem Vater darbrachte (vgl. Hebr. 13,20).

So steht hinter allem Zeitverlauf Ewigkeitsgeschichte. Die Unendlichkeit fließt hinein in die Zeit, wie die Zeit einst wieder einmünden soll in die Ewigkeit. Dabei ersieht der Vater, nach ewigem Plan, den Sohn als Erlöser zuvor und beschließt, ihn als höchste „Gabe” (2. Kor. 9,15) in die zu errettende Welt zu „senden” (Gal. 4,4); zugleich aber bestimmt er, nach demselben ewigen Plan, ihm, als dem Mittler des Heils, die Schar der Erlösten zum „Erbe” (Eph. 1,4).

Die geschichtliche Entfaltung dieses ewigen Erlösungsratschlusses sind dann die Bundesschließungen und Testamente Gottes an die Menschheit, deren Ziel der „ewige Bund” ist, den das Blut des Gottessohnes eingeweiht hat (Hebr. 13, 20).

2. Kapitel: Die Weltschöpfung

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Mit dem Wort seiner Macht rief er Sonnen- und Sternensysteme hervor. „Er sprach: Da geschah es; er gebot: Da stand es da!” (Ps. 33,9).

I. Der Ursprung der Weltschöpfung

Warum Gott überhaupt eine Welt schuf, vermag niemand zu sagen. Als derabsolut „selige Gott“ (1. Tim. 1,11) ist er um seiner selbst willen da, genügt ewig sich selbst und bedarf nicht eines anderen, der für ihn da wäre. Wohl ist er die Liebe, und Liebe braucht wesensnotwendig einen Geliebten, ein anderes Ich, auf das sie sich liebend erstreckt. Aber dies andere Ich war in Gott schon ewig vorhanden. Im Sohne gelangte die göttliche Liebe schon anfangs- und endlos zu völliger Entfaltung und restloser Befriedigung. „Du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt“ (Joh. 17, 24).
Darum ist das einzige, was hier gesagt werden kann, dies: Gott hat die Welt geschaffen, weil er sie schaffen wollte. Sicher ist zwar sein Wollen und seine Freiheit nicht unbeherrschte Willkür, so daß auch der Schöpfungsentschluß aus ewigen, innergöttlichen Gründen hervorgegangen sein muß; aber welche diese sind, hat uns Gott nicht geoffenbart, und damit müssen wir uns bescheiden (Röm. 11,33; 34).

II. Der Zweck der Weltschöpfung

Deutlicher ist in der Schrift die Frage beantwortet, wozu Gott die Welt schuf.

  1. Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Alles, was Gott tut, hat ewig ihn selber zum Ziel, es geschieht „um seines Namens willen” (Ps. 23,3), „zum Preise seiner Herrlichkeit” (Eph. 1,6), „auf daß Gott alles sei in allen“ (1. Kor. 15,28). Denn weil Gott, kraft seiner Vollkommenheit, stets das Höchste wollen muß, und selber, infolge seiner Göttlichkeit, der Höchste ist, muß er stets den Inhalt seines eigenen Wesens zum Ziel seines Wollens haben. Darum muß auch sein Werk so eingerichtet sein, daß es zu i h m hin sei und in i h m sein Ziel habe. Der Zweck der Weltschöpfung muß also in der Entfaltung, Darstellung und Offenbarung der Herrlichkeit Gottes bestehen. (Röm. 1,16; Hebr. 1,2).

2. Offenbarung der Liebe Gottes. Dieser Selbstverklärungsplan Gottes muß aber ein vollkommener sein und sich darum in doppelter Weise entfalten. Nicht nur seine Allmacht und Allwissenheit, sondern auch seine Gerechtigkeit, Liebe und Wahrhaftigkeit müssen in die Erscheinung treten. Ersteres kann zwar schon im Räumlichen geschehen, das heißt im Mineralreich, Pflanzen- und Tierreich; letzteres aber erfordert die Schaffung sittlich freier Persönlichkeiten, also ein Geistesreich innerhalb der Kreatur. Da aber gerade das Heilige das eigentlich Wesenhafte an Gott ist, muß auch in seinem Weltplan im Sittlichen der höhere Zweck des Stofflichen liegen, und der Hauptgrund des ganzen Schaffens einer Welt muß die Verklärung der sittlichen Eigenschaften Gottes als des Heiligen, Seligen und Weisen in der Schöpfung sittlich freier Persönlichkeiten sein.

Das Wesen eines solchen Geisteslebens und überhaupt das Wesen aller wahren Sittlichkeit ist aber nicht etwa nur sachliche Gesetzesausführung und bloße, rein rechtliche Freiheit von Sünde und Schuld, sondern personhaft organische Anteilnahme an dem sittlichen Leben der Gottheit selbst. Denn Gott, als der oberste Gesetzgeber, hat die sittliche Weltordnung nach seinem Wesen bestimmt, und er ist Liebe, vollkommenste Liebe (1. Joh. 4,16). Darum muß auch die sittliche Bestimmung der freien Kreatur eine Bestimmung zur Liebe sein, und der oberste Endzweck der Weltschöpfung muß in der Selbstentfaltung Gottes als des Vollkommenen, Heiligen und Liebenden durch Aufrichtung einer Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen Schöpfer und Schöpfung bestehen. Das aber heißt: Gott hat die Welt ins Dasein gerufen, um sie lieben zu können, und auf daß sie ihn wiederliebe. (vgl. Röm. 8,17).

III. Die Größe der Weltschöpfung

  1. Die Heerschar der Sterne. Unermeßlich und weltenweit ist der Gesichtskreis der Bibel. Sie redet nicht nur von Erde und Zeit, sondern vor allem von Himmel und Ewigkeit, und die obere Welt beschreibt sie als eine Vielheit himmlischer Sphären. „Die Himmel und aller Himmel Himmel mögen dich nicht fassen” (1. Kön. 8,27).
    Weit davon entfernt, in der kleinen Erde etwa „die Welt” zu sehen, die den mathematischen Mittelpunkt und Hauptinhalt der ganzen Schöpfung ausmache, sind ihr die Völker vielmehr wie ein Sandkorn, das in der Waagschale bleibt (Jes. 40,15). „Wenn ich anschaue den Himmel, das Werk deiner Finger, den Mond und die Sterne, die du bereitest: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkst, und der Erdensohn, daß du ihn beachtest?” (Ps. 8,4).

Schon die Größe unserer eigenen Erde übersteigt alles Denken. Sämtliche Menschenbauten der Welt, alle Schiffe, Städte und Dörfer, würden, zusammengenommen, noch nicht einmal drei Kubikmeilen ausmachen. Die Erde aber hat über 2600 Millionen solcher Kubikmeilen! Und doch ist sie selber im Wirbel der Gestirne nur ein astronomisches Atom, nur ein winziges Stäubchen im Sonnenozean des Weltalls! Allein schon im riesigen Glutball der Sonne hätte sie über eine Million mal Platz; und wollte ein Schnellzug ohne Unterbrechung in rasender Fahrt von hier bis zur Sonne gelangen, so brauchte er über 168 Jahre dazu.

Die Sonne selber aber ist auch nur ein Stern inmitten einer gewaltigen, kugelförmigen Gruppe von 400 Sternen, und hier sind die Entfernungen noch unermeßlicher.   . . .

Das Ganze aber ist der die gesamte Schöpfung umspannende Weltrahmen der Heilsgeschichte. „Der HErr hat seinen Thron in den Himmeln errichtet, und sein Königtum herrscht über das All” (Ps. 103,19). Erst im Zusammenhang mit der Sternenwelt wird uns der Umfang des göttlichen Heilsrates bewußt. Darum: Stellen wir die Heilsgeschichte der Bibel in den Flammengoldgrund ihrer Weltall-Übergeschichte. Erst dann wird auch ihr Mittel- und Brennpunkt, das Kreuz von Golgatha, richtig gewürdigt.  . . .

  1. Die Heerschar der Engel. Aber wozu diese Welten im Ätherraum? Hat Gott etwa Gefallen am toten Stoff? Ist er nicht der Gott der Lebendigen? Kann etwa unbeseelter Stoff ihn, den Herrn alles Lebens, lobpreisen? Oder ist nicht vielmehr das Sternenall Gottes weltweit mit persönlichem Leben erfüllt?

In der Tat: Wenn nur unsere kleine Erde, dieses Stäublein im Sonnenwirbel des Weltalls, organisches Leben trüge, dann stünden ihr Millionen von toten Gestirnkolossen sinnlos gegenüber. Dann wäre das ungeheure All eine grenzenlose Wüste, in der nur auf der winzigen Erde die einsame Blume des Lebens blühte.  . . .

Ganz anders redet die prophetische Weltanschauung der Schrift. Sie weiß von Thronen und Herrschaften, von Fürstentümern und Gewalten (Kol. 1,16), von Gottessöhnen und Morgensternen (Hiob 38, 7), von der Heerschar der Höhe in der Höhe (Jes. 24,21), von Cherubim und Seraphim, von Erzengeln und Engeln (Jud. 9; Off. 5,11; 12, 7). Und diese alle nennt sie mit dem selben Wort „Heerschar des Himmels” wie auch die Sterne!

Schon diese Zusammenschau gibt uns ein Ahnen einer tieferen Beziehung. Denn wie könnten anders die „Morgensterne” jubeln und gleichzeitig, zusammen mit den „Gottessöhnen”, jauchzen (Hiob 38, 7)? Wie könnte das Sternenall Gottes den Schöpfer anbeten? Wird der Staub ihn preisen? Wird er seine Wahrheit verkünden? Aber „du bist, der da ist, du, HErr, allein!  Du hast die Himmel gemacht, der Himmel Himmel und all ihr Heer, die Erde und alles, was darauf ist.  . . .

Lobet den HErrn von den Himmeln her,
Lobet ihn in den Höhen!
Lobet ihn, alle seine Engel,
Lobet ihn, alle seine Heerscharen!
Lobet ihn, Sonne und Mond
Lobet ihn, alle ihr leuchtenden Sterne!”  (Ps. 148,1-3.)  . . .

  1. Der Thron Gottes. Und doch! Alles „Sichtbare ist vergänglich”, nur „das Unsichtbare ist ewig” (2. Kor. 4,18). Die Sterne aber sind sichtbar und werden darum „vergehen”.  Die ewige Welt Gottes muß darum noch höher sein, weit über den Sternen, im Unsichtbaren über allem Sichtbaren.

Dort ist der Thron Gottes, dort die Wohnstätten der Engel, dort das himmlische Jerusalem, welches unser aller Mutter ist (Gal. 4,26). Dorthin wurde auch Christus „über alle Himmel” erhöht (Eph. 4,10) und ist nun zur Rechten des Vaters „höher als die Himmel geworden” (Hebr. 7, 26). Dort wohnt der Allerhöchste als der Lichtquell aller Welten, und von ihm strahlt alles Leben in die Schöpfung hinaus (Apg. 17,28).

Der Gedanke an eine solche Thronhöhe im Weltall muß dem nachdenkenden Geist bald einleuchten. Die gesamte Schöpfung ist beherrscht von dem Gesetz der Steigerung. Wohl ist Gott allgegenwärtig und durchdringt mit seinem Leben die ganze Kreatur (Apg. 17, 28; Kol. 1,17). Dies schließt aber nicht aus, daß es über allen Gefilden des Lichts noch einen besonderen Lichtgipfel gibt, in dem sich seine Herrlichkeit am vollkommensten entfaltet.  . . .

Aber das Licht, in dem ER wohnt, ist höher als alles Sichtbare; es ist anders als aller Sonnen und Sterne Glanz. Es ist unerschaubar dem irdischen Auge; es ist unzugänglich, allem Diesseitigen entrückt (2. Kor. 12,4).

Nur die Engel im Himmel können es schauen (Matth. 18,10), nur die Geister der Vollendeten im ewigen Licht (Matth. 5,8; 1. Joh. 3,2; Off. 22,4), nur die Reinen und Heiligen, gleichwie Er selber der Reine ist (1. Joh. 3,2).

Darum kann es hienieden vom Himmlischen nur Bildersprache geben. Auch das „Oben”-sein des Ewigen ist nicht rein räumlich zu verstehen (Ps. 139). Es ist die sinnhafte Veranschaulichung der Jenseitigkeit des Göttlichen. Es ist die raumsymbolische Darstellung der Erhabenheit des Überräumlichen.  . . .

Wir aber beugen uns nieder und beten ihn an und sagen mit den Schlußworten der „Weltharmonie” des Kopernikus:

“Groß ist unser HErr und groß seine Macht
Und seiner Weisheit kein Ende.
Preiset ihn, Sonne, Mond und Planeten,
In welcher Sprache auch immer ein Loblied erklingen mag.
Und du, meine Seele, singe die Ehre des HErrn dein Leben lang! Amen.”

 

3. Kapitel  Der Ursprung des Bösen

In diese Welt, die zum Höchsten bestimmt war, die der Schöpfer dazu berufen hatte, ein Gefäß seiner Herrlichkeitsoffenbarung zu werden, ist ein Riss eingetreten. Die zusammenklingende Harmonie der Sphären ist durch einen grellen Mißton zerstört. Die Sünde ist aufgetreten und hat sich Gottes heilig liebenden Selbstverklärungsplänen frevelnd entgegengestellt. Durch die Sünde der Menschheit ist hier unten die Erde verheert (1. Mose 3, 17; Röm. 8, 20), und in der Himmelswelt droben hat sich, wie die Versuchungsgeschichte der Bibel voraussetzt, schon vor dem Fall der ersten Menschen ein Sündenfall unter den Engeln ereignet (1. Mose 3, 1‑7; 2, 15).

Wie dies jedoch möglich war und warum Gott es zuließ, vermag niemand zu sagen. Der Ursprung des Bösen bleibt ewig ein Geheimnis. Auch die wenigen Andeutungen, die die Schrift darüber gibt, führen über ein Ahnen nicht hinaus.

1. Satan vor dem Fall

Gottes weltenumspannender Schöpfungsstaat ist, wie es scheint, in eine Anzahl von Provinzen eingeteilt, deren stoffliche und geistige Organisation je einem bestimmten Engelfürsten, gleichsam als Statthalter Gottes, anvertraut ist. So gibt es Engel für Kinder (Matth. 18, 10), für Erwachsene (Apg. 12, 15), für ganze Länder und Nationen, wie Persien (Dan. 10, 13), Griechenland (Dan. 10, 20), Israel (Dan. 10, 21; 12, 1). Dies setzt voraus, daß es ‑ sowohl in der Welt des Lichtes als auch in der Welt der Finsternis ‑ Engelorganisationen gibt, die, je nach der Größe des betreffenden Gebietes, nach verschieden hohen Rangstufen in gewisse Herrschaftsbezirke eingesetzt sind. In der Tat spricht Paulus von „Thronen, Herrschaften, Fürstentümern und Gewalten” nicht nur in der sichtbaren, sondern auch in der unsichtbaren Welt (Kol. 1, 16; Eph. 1, 21).

Solch ein besonderer Fürst Gottes muß auch Satan vor seinem Fall gewesen sein. Aus seiner Machtstellung, die er noch in der jetzigen Zeit innehat, ist zu schließen, daß ihm ‑ jedenfalls vor seinem Fall ‑ ein gewaltiges Gebiet zur Beherrschung rechtmäßig übergeben worden war, und die Tatsache, daß er gerade auf der Erde wirkt, legt den Gedanken nahe, dies Gebiet sei die Erde und die sie umgebende Luft‑ bzw. Ätherregion gewesen.

Dies findet nun auch wirklich im Worte Gottes seine Bestätigung. Der HErr Jesus selbst bezeichnet Satan als den Fürsten der Welt (Joh. 14, 30). Paulus nennt ihn den „Fürsten über die Mächte der Luft”.
Als Satan in der Versuchung dem HErrn alle Reiche dieser Erde anbot und dabei sagte: „Dir will ich diese ganze Macht mit ihrer Herrlichkeit geben; denn mir ist sie verliehen worden, und ich kann sie geben, wem ich will”, hat der HErr diese Vollmacht auch insofern anerkannt, als er es dem Teufel nicht bestritt, gegenwärtig über die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit verfügen zu können (Matth. 4, 8‑10).
Und wenn es in der Offenbarung in bezug auf die Endzeit der gegenwärtigen Haushaltung heißt: „Die Herrschaft über die Welt ist an unsern HErrn und seinen Gesalbten gekommen, und er wird als König in alle Ewigkeit herrschen” (Off. 11, 15 vgl. 19, 6), so liegt in diesen Worten ebenfalls das Zeugnis, daß das Reich der Welt bis zu jenem Augenblick unter der Botmäßigkeit eines andern, eben des „Fürsten dieser Welt”, steht.
Nun verstehen wir auch, warum der Erzengel Michael bei seinem Streit mit dem Teufel um den Leib des Mose nicht wagte, ein lästerndes Urteil über ihn auszusprechen, sondern nur sagte: „Der HErr strafe dich” (Jud.9). Ja, selbst noch nach Golgatha und Pfingsten dauert das Obrigkeitsverhältnis Satans über seinen Weltbezirk fort; denn noch im Zeitalter der Gemeinde bezeugt der Apostel Johannes: „Die ganze Welt liegt im Argen” (1.Joh.5,19), und Paulus spricht verschiedentlich von der „Obrigkeit” Satans (Apg.26,18; Kol.1,13; Eph.2,2), wobei er sich desselben Wortes bedient, mit dem er im Römerbrief die menschlichen Behörden bezeichnet (gr. exousia Röm.13,1), und somit zum Ausdruck bringt, daß auch die Herrschaft Satans geradezu ein Reich ist (vgl. Matth.12,26).

II. Der Sündenfall Satans

So muß denn einmal in der vorgeschichtlichen Ewigkeit ein Augenblick eingetreten sein, in dem dieser Weltfürst Gottes dem Höchsten seine Lehnspflicht aufkündigte und somit aus einem „Lucifer”, einem „Lichtträger” der göttlichen Herrlichkeit, ein „Widersacher” Gottes (hebr. „Satan”) und „Verleumder” seiner Heiligen (gr. „diabolos” = Teufel) wurde.
Von da an geht ein gewaltiger Riss durch den Kosmos, und ein organisiertes Gegenreich des Bösen steht dem Weltenstaat Gottes gegenüber (Matth.12, 26). Satan als Herrscher hat wiederum Fürsten und Gewalthaber unter sich (Dan. 10, 13; 20; Eph. 6, 12), und die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Reich Gottes ist fortan das Thema und der Grundinhalt der in der Heiligen Schrift angedeuteten Weltall‑Übergeschichte.

Den Fall dieses gewaltigen Lichtfürsten scheint die Schilderung des gestürzten Königs von Babel bei Jesaja bildhaft mit im Auge zu haben.
„O, wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzgestirn, Sohn der Morgenröte! Du dachtest in deinem Sinn: ,In den Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über den Sternen will ich meinen Thron aufrichten ‑, will mich dem Höchsten gleich machen. Nun aber bist du ins Totenreich hinabgestürzt, in den tiefsten Winkel der Unterwelt” (Jes. 14, 12‑15).
Auch Hesekiel entlehnt, wie es scheint, seine Bilder für die Beschreibung des Falles von Tyrus jenem vorgeschichtlichen Urereignis: „Der du das Bild der Vollkommenheit warst, voll von Weisheit und vollkommen an Schönheit, du warst ein gesalbter Cherub, der da schirmt . . . Unsträflich warst du in all deinem Tun von dem Tage deiner Erschaffung an, bis Verschuldung an dir gefunden wurde. Dein Sinn war hochfahrend geworden infolge deiner Schönheit. Du hattest deine Weisheit außer acht gelassen um deines Glanzes willen” (Hes. 28, 12‑15).

Im allgemeinen aber spricht die Heilige Schrift fast gar nicht von diesem Fall Satans, in direkter Weise sogar niemals. Sie will, als die Urkunde des Heils, dem Menschen den Weg zur Erlösung zeigen, ihm aber nicht, philosophisch, das System einer Weltanschauung geben; denn wenn sie das wollte, würde kein Mensch sie verstehen. Darum redet sie auch über den Ursprung des Bösen nur hintergrundartig, in bildhaften Andeutungen, niemals aber in direkten Belehrungen und nirgends in zusammenhängender, unverhüllter Form. „Das Geheimnis ist des HErrn” (5. Mose 29, 29).

In jedem Fall aber ist der Glaube an die Existenz eines persönlichen Teufels der Glaube Jesu und seiner Apostel (Matth. 4, 1‑10; 12, 27; Luk. 10, 18; Röm. 16, 20; 2. Kor. 11, 14; Off. 12, 7‑9; 20, 2; 10). Wer diesen urchristlichen Glauben nicht teilt, kann unmöglich Jesus und seine Apostel verstehen. Der moderne Mensch steht der Teufelsidee jedoch meist schon deshalb von vornherein ablehnend gegenüber, weil er dabei fast immer sofort an die populär‑schauerliche und albern‑groteske Teufelsvorstellung des Mittelalters denkt. In Wahrheit aber ist Satan ein mit höchster Intelligenz begabtes, zwar gefallenes, aber nichtsdestoweniger überaus machtvolles Geistwesen, dessen Existenz philosophisch in keinerlei Weise angreifbar ist.

III. Ursünde und Weltgestalt

Mit dem Fall Satans muß aber auch, wie der organische Zusammenhang von Geist und Natur und die spätere Ähnlichkeit des menschlichen Sündenfalls beweisen (1. Mose 3, 18), ein Sturz seines Herrschaftsgebietes verbunden gewesen sein. Weltkatastrophen traten ein als Gegenwirkungen der Gerechtigkeit Gottes gegen diese kosmische Revolution. Die Schöpfung wurde der Eitelkeit unterstellt (Röm. 8, 20). Alles einzelne entzieht sich unserer Kenntnis.

Nur dies ist gewiß, daß Tod und Verderben in der Pflanzen‑ und Tierwelt schon lange vor dem Menschengeschlecht seit undenklichen Urzeiten auf der Erde gewütet haben. Dies beweisen die geologischen Schichten und die Entwicklungsphasen der vorweltlichen Tierwelt auf das deutlichste. Die unter uns liegenden Erdschichten sind geradezu ein ungeheures Leichenfeld, das von seinem steinernen Acker umschlossen ist.

Damit stimmt auch das Zeugnis des Alten Testaments überein. Denn die darin berichtete Beauftragung des Menschen, den Paradiesesgarten nicht nur zu bebauen, sondern zu bewahren, sowie die Tatsache seiner Versuchung durch eine gottfeindliche Gegenmacht lassen schon im Alten Testament erkennen, daß das Böse nicht erstmalig im Menschen, sondern schon vor ihm in einem anderen Geschöpf vorhanden gewesen ist, daß also schon vor der Zeit des Menschen, vor seinem Fall und der damit zusammenhängenden Verfluchung des Ackers, ein Riss und eine Disharmonie in der Schöpfung bestanden hat.

Es hat gotterleuchtete Männer in alter und neuerer Zeit gegeben, die in diesem Zusammenhang die Vermutung ausgesprochen haben, das Sechstagewerk von 1. Mose 1 sei eigentlich ein Wiederherstellungswerk, nicht aber die erstmalige Erschaffung der Erde gewesen, und der Mensch habe ursprünglich die Aufgabe gehabt, als Diener des HErrn und Herrscher der Schöpfung in sittlicher Auseinandersetzung mit Satan, die äußerlich wiederhergestellte Erde ‑ durch Ausbreitung seines Geschlechts und seiner Herrschaft auf ihr ‑ für Gott zurückzugewinnen. Die geologischen Perioden seien dann entweder vor dem Sechstagewerk gewesen und die Tage selbst seien als buchstäbliche Vierundzwanzigstundentage aufzufassen, oder aber die Tage von 1.Mose 1 seien als Perioden zu deuten und mit den geologischen Entwicklungszeiten der Erdgeschichte gleichzusetzen. Auf diese Weise sei es dann auch möglich, eine Vermittlung zwischen der biblischen und den modern naturphilosophischen Weltentstehungslehren zu finden.

Andere wiederum glauben, daß das Ganze ein einheitlicher, fortgesetzter Zusammenhang sei ‑ ohne eine besondere, dazwischen geschaltete Vollzerstörung und Wiederherstellung der Erde ‑, ein einziger, in unübersehbare Schöpfungsperioden eingeteilter, ungeheurer Werdegang. In diesem sei es dann auf irgendeine Weise ‑ die die Naturwissenschaft erforschen mag ‑ unter göttlicher Leitung und, wie es scheine, seit dem Fall Luzifers, auch nicht ohne satanische Querwirkungen ‑ zu einer allmählichen Steigerung der Lebensformen gekommen. Zuletzt sei der Mensch, ohne Abstammungszusammenhang mit der Tierwelt, auf den Schauplatz des Weltgeschehens gestellt worden, um dann ‑ von dem eigens für ihn angelegten Paradiesesgarten aus ‑ seine irdische Laufbahn zu beginnen.

Auf keinen Fall jedoch kann es hier ein absolut festes Wissen geben. Denn eben dies Urereignis, da das Böse in die Welt trat und die ursprünglich reine und gute Schöpfung Gottes in Unordnung brachte, ist ja gerade die alles verheerende, unser eigenes Sein verwirrende, übergeschichtliche Urgegebenheit, in der wir selber stehen und die unser ganzes gegenwärtiges Dasein in allen seinen Erscheinungsformen, auch in seinem Denken, mitbedingt. Wir können uns daher weder zeitlich noch sachlich von ihr eine zureichende Vorstellung machen, sondern haben lediglich die Pflicht, uns gewissensmäßig und verantwortlich mit der Tatsachenwucht dieses Geheimnisses auseinanderzusetzen.

Im übrigen gilt es, auf alles weitere Fragen zu verzichten und den Mut zu haben, unsere Unwissenheit offen zu bekennen, aber auch die Demut, einzusehen, daß irdisches Denken das Weltall‑Übergeschichtliche niemals zu erfassen vermag und daß unser Verstand oft nur deshalb die Ewigkeitsdinge als widerspruchsvoll ansieht, weil er ‑ sündhaft gefallen und gebunden, wie er nun einmal ist ‑ sich selbst im Widerspruch zu den Gesetzen der anderen Welt befindet. Es gibt eben nichts Irrationaleres als den Rationalismus.

Wer in Gottes Geheimnisse hineinschauen will, muß mit dem dreifachen Schmuck von Demut, Ehrfurcht und Glauben geziert sein, und wo diese sich finden, kann die Seele alles Nichtgeoffenbarte in Ruhe dem Höchsten überlassen (Röm. 11, 33; Hiob 38, 4‑7). Erst in der Ewigkeit werden alle Fragen gelöst sein. Erst dann, wenn der HErr kommt, werden alle Schleier verschwinden (1. Kor. 13, 9‑12). Bis dahin sind wir Harrende.

(Ergänzend dazu siehe: Satan – Fürst dieser Welt (E.Sauer), auf dieser Webseite)

 

Zweiter Teil

Die Uroffenbarung

1. Kapitel: Die paradiesische Berufsbestimmung der Menschheit

Auf die Erde setzt Gott den Menschen. In Eden pflanzte er jenen wundersamen Garten, der seines Besitzers Wonne und Lust sein sollte. Das Paradies war der Anfang der Wege Gottes mit der menschlichen Schöpfung. Es war

1. die Heimat eines unbeschreiblichen Glücks,
2. der Ausgangspunkt einer wundervollen Aufgabe,
3. Der Schauplatz eines gewaltigen Konflikts,
4. Die Stätte eines tragischen Zusammenbruchs  und ist fortan
5. Das Sehnsuchtsziel einer wartenden Menschheit.

I. Die Heimat eines unbeschreiblichen Glücks

Majestätisch waltete der Herr der irdischen Schöpfung im Garten, und alles Werk seiner Hände geriet. Die Blumen blühten so schön, wie sie hernach nie wieder ein menschliches Auge gesehen, und die Bäume trugen die herrlichste Frucht. Im Pflanzen- und Tierreich waltete ein wunderbar himmlischer Friedenshauch, und – vor allem – Gott selbst, der Schöpfer des Alls, verkehrte mit den Menschen in ungetrübter Weise und gab ihnen den Genuß seiner beseligenden Gegenwart (1. Mose 3,8). Aber nicht nur zum Genießen hatte Gott den Menschen in das Paradies gesetzt; er sollte auch wirken und Frucht bringen; und so wurde der Garten für ihn

II. Der Ausgangspunkt einer wunderbaren Aufgabe

1. Der Mensch als Persönlichkeit

Gott, Welt und Mensch sind der dreifache Grundinhalt alles Bestehenden. Sie zu erkennen, ist Aufgabe unserer Vernunft. Ein dreifaches Bewußtsein ist darum dem Menschen verliehen: das Gottes-, das Welt- und das Ichbewußtsein, und in entsprechender Weise hat ihm der Schöpfer auch die Organe gegeben, die ihn zu diesem dreieinheitlichen Bewußtseinsinhalt befähigen.

Die Welt erkennt der Mensch durch die Sinne, deren Träger der stoffliche Leib ist. Durch die Leiblichkeit gelangen wir zum Welt- oder Sinnenbewußtsein.

Das Ich erkennen wir durch die Seele.  Denn der Mensch ist weit mehr als nur wahrnehmendes Glied der äußeren Natur: er ist wollendes Selbst und eigene Persönlichkeit. Gerade dies aber wird ihm durch sein Inneres gezeigt, und so gelangt er durch die Seele zum Selbst– oder Ichbewußtsein.

Und damit er sich schließlich zum Schöpfer erhebe, gab Gott ihm den Geist. Durch ihn gelangt er zum Gottesbewußtsein.

So ist der Mensch eine Dreiheit in der Einheit, und sein unsichtbares Inneres besteht aus zwei wohl zu unterscheidenden Substanzen; ist doch das Wort Gottes imstande, durchzudringen „bis zur Scheidung von Seele und Geist” (Hebr. 4,12) und bezeugt doch der Apostel: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz, samt Seele und Leib müsse bewahret werden unsträflich auf die Zukunft unseres HErrn Jesu Christi” (1. Thess. 5,23 vgl. Luk. 1,46).

Hierbei ist „Geist” derjenige Teil unserer Persönlichkeit, der als das höhere Bewußtsein auf das Göttliche und Übersinnliche gerichtet ist, während „Seele” der niedere Bestandteil unseres Inneren ist, der auf das Irdische und Geschöpfliche Bezug nimmt. Die Seele erreicht – und zwar auch nur mit Hilfe des Geistes – lediglich das Ichbewußtsein, der Geist aber das Gottesbewußtsein.

Der Leib aber soll sein, nach der Schrift:

Tempel des Heiligen Geistes (1. Kor. 6,10),
Schlachtopfer wahren Gottesdienstes (Röm. 12,1),
Werkzeug der Gerechtigkeit (Röm. 6,13),
Mittel zur Verherrlichung Gottes (1. Kor. 6,20),
Samenkorn zu verklärter Geistleiblichkeit (1. Kor. 15,43-47).

Von dieser Dreieinheit der menschlichen Persönlichkeit ist die mosaische Stiftshütte ein Gleichnis. „In derselben Figur ist ein Christenmensch abgemalt. Sein Geist ist Sanctum Sanctorum, das Allerheiligste, Gottes Wohnung, im finsteren Glauben ohne Licht; denn er glaubt, das er nicht siehet noch fühlet noch begreift. Seine Seele ist Sanctum, das Heilige; da sind sieben Lichter; das ist allerlei Verstand, Unterschied, Wissen und Erkenntnis der leiblichen, sichtlichen Dinge. Sein Körper ist Atrium, der Vorhof; der ist jedermann offenbar, daß man sehen kann, was er tut und wie er lebt” (Luther). So entsprechen sich im Wesen des Menschen

Weltbewußtsein, Ichbewußtsein, Gottesbewußtsein,
Leib, Seele und Geist,
Vorhof, Heiliges und Allerheiligstes.

Vom Allerheiligsten aber, vom Geist aus, regiert Gott über Seele und Leib. Hier ruht, im Gewissen verwahrt, gleichsam wie in der Lade des Bundes, das unabänderliche, göttliche Gesetz. Hier ist die eigentliche Offenbarungsstätte des Höchsten in uns, so wie Gott in der Stiftshütte über den Cherubim wohnte. Und wie damals die Wolke der Herrlichkeit, die Schechina, über dem Gnadenthron schwebte, also bringt diese Innewohnung des göttlichen Geistes in unserem Geiste auch uns das Bewußtsein von Frieden und Freude (Röm. 8,16). Denn der Thron Gottes in uns ist kein Richterstuhl, sondern ein Gnadenthron, und das Zepter seiner Herrschaft ist Heil. So dürfen wir nun, jener Stiftshütte gleich, als Wanderzelt Gottes durch die Weltwüste gehen, bis wir dereinst ans Ziel gelangen, zur Ewigkeit hin, zum himmlischen Kanaan (vgl. 2. Kor. 5, 1-4).

Bei einer solchen Bestimmung des Menschen begreifen wir nun auch, daß das Wort Gottes gerade im Bericht über seine Erschaffung – als der Krone der Schöpfung – sich zum allerersten Male zu dichterischem Jubelgesang erhebt. Die Form der hebräischen Poesie ist der Gedankenreim, der Gleichlauf der Glieder und Verse. Da feiert denn nun die Heilige Schrift die Erschaffung des dreieinheitlichen Menschen – diese wunderbare Tat  des  dreieinigen Gottes – in dichterischem Schwung, durch einen dreifachen Reim, ein dreifaches Gott schuf:

„Da schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde;
nach dem Bilde Gottes schuf er ihn;
als Mann und Weib schuf er sie” (1. Mose 1, 27).

2. Der Mensch als Bild Gottes

Nicht darin aber besteht recht eigentlich die Gottesbildlichkeit des Menschen, daß er, als aus Geist, Seele und Leib bestehend, eine Dreiheit in der Einheit ist und somit das dreieinige Wesen seines Schöpfers widerspiegelt, auch nicht in erster Linie darin, daß sein Leib schon im voraus nach dem verklärten Auferstehungsleibe des Sohnes Gottes gebildet ist, der, kraft der Überzeitlichkeit Gottes, schon ewig als Urbild im Geiste des Schöpfers gegenwärtig gewesen war (Phil. 3,21), sondern darin, daß er, als ein geistiges und sittliches Wesen, die inneren Eigenschaften Gottes geschöpflich zum Ausdruck bringt.

a) Die Ausrüstung. Gott selbst ist das Urbild. Geistigkeit, Freiheit und Seligkeit bilden die drei Grundbestimmungen seines heilig liebenden Wesens. Diese nun sollten im Menschen abbildartig verklärt werden. Darum rüstete ihn Gott mit den drei Kräften seines geistigen und seelischen Inneren aus. Er gab ihm Willen, Verstand und Gefühl. Damit er der Freiheit der heiligen Liebe teilhaftig sein könne, verlieh er ihm den Willen; damit er in wahrer Erkenntnis die göttliche Geistigkeit widerspiegele, den Verstand, und damit er der göttlichen Seligkeit sich erfreue, das Gefühl.

b) Die Heiligung. In entsprechender Weise wird darum auch im Neuen Testament das Ziel aller Heiligung beschrieben. Hinsichtlich des geistlichen Denkvermögens heißt es, daß wir den neuen Menschen angezogen haben, „der zur vollen Erkenntnis erneuert wird nach dem ,Bilde’ dessen, der ihn erschaffen hat” (Kol. 3,10). In bezug auf den sittlichen Zustand des Willens wird gesagt, daß der neue Mensch „nach Gottes ,Bild’ geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Reinheit” (Eph. 4,24). Und was schließlich das jubelnde Erleben der Herrlichkeit Gottes betrifft, das, mit der gesamten Persönlichkeit – ihrem Denken und Wollen – zugleich auch die Freude des Gefühls in sich einschließt, so lesen wir: „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des HErrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit als durch den HErrn, den Geist” (2. Kor. 3,18).

c) Der Mittler. Aber alle diese drei Strahlen werden zusammengefaßt in dem einen, in dem Bilde Jesu Christi, des Sohnes Gottes, unseres HErrn; „denn die, welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch dazu Vorausbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleich zu werden: Dieser sollte der Erstgeborene sein unter vielen Brüdern” (Rom. 8,29). Das Bild des Vaters ist niemand anders als der eingeborene Sohn (Kol. 1,15; Hebr. 1,3) In diesem Bilde schuf Gott den Menschen zu seinem Darum gelangt in uns das Bild des Vaters im Bilde des Sohnes zur Ausgestaltung. Im Sohne sind wir zu Söhnen bestimmt. Darin besteht unsere Gottesbildlichkeit (1. Kor. 1,9; 1. Joh. 3,2). Christus, der geschichtliche Heilsmittelpunkt, ist zugleich das „urbildliche Weltziel”.

Aber nicht nur in sittlicher Weise ist Gleichgestaltung mit Christo das Endziel der Erlösung, sondern auch geistleiblich. So ist auch Christus mit einem verklärten Menschenleibe in die Herrlichkeit eingegangen (Joh. 20,14-29; Apg. 1,11; Phil. 3,21), und so erwarten wir ihn auch als Heiland vom Himmel zurück, als den, „der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit” (Phil. 3,21). Denn „der erste Mensch ist von der Erde, von Staub, der zweite Mensch ist vom Himmel. Und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen. Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen” (1. Kor 15,47).

d) Das Endziel. Dann aber, wenn diese Geistleiblichkeit kommt, wird das Ziel alles Heils in vollendeter Weise erreicht sein. Als Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede wird sich das innere Wesen des Reiches Gottes entfalten (Röm. 14,17), und Herrlichkeit wird sein in allen denen, die da erwachen im Bilde ihres Gottes. In der Heiligkeit ihres Wollens, der Weisheit ihres Erkennens und der Seligkeit ihres Fühlens offenbart sich dann vollkommen die Freiheit und Geistigkeit und Seligkeit ihres Schöpfers, und ihre drei Seelenkräfte werden auf ewig zu einer geschöpflich-dreieinheitlichen Verklärung der dreieinigen Seinsbestimmtheiten des ewigen Gottes.

Zu diesem allem aber tritt noch etwas Besonderes hinzu. Gott hatte offenbar bei der Menschenschöpfung nicht nur den Gedanken, daß ihn dieser, gleich den Engeln des Himmels, als reines und glückliches Wesen verherrliche, sondern, indem er ihm die Erde als Herrschaftsgebiet übergab, erteilte er ihm auch eine spezielle Aufgabe zu, die sich auf diesen seinen Wohnsitz erstreckte.

3. Der Mensch als Beherrscher der Erde

„Seid fruchtbar und mehret euch, bevölkert die Erde und macht sie euch Untertan und herrschet” (1. Mose 1,28). In diesen Worten ist deutlich die Königsbestimmung des Menschengeschlechts ausgesprochen. Die Befähigung dazu ist der menschliche Geist, der sich vor allem im Worte bekundet.

a) Der Anfang. Was ist ein Wort? — Ein Schall, ein Laut, ein Ton, der aus unserem Munde hervorgeht! Aber noch mehr! Ein Träger einer Regung des Geistes, ein Kundgebungsorgan der Vernunft, ein Zeichen und Lautsymbol einer Tätigkeit der Seele. Nur durch die Gabe des Geistes und Wortes wird der Mensch erst zum Menschen. Erst so empfängt er die Möglichkeit innerer Entwicklung.

Mit dem Wort begann Adam im Paradiese die Vollziehung seiner Königsgewalt. Gott selbst brachte ihm gleich zu Beginn, noch vor der Erschaffung des Weibes, die Tiere der Luft und der Erde, damit er – ihr Wesen durchschauend – sie mit passendem Namen benenne (1. Mose 2,20), und so wird der „König” sofort schon am Anfang vom Schöpfer gekrönt, und die Sprache wird geistig das „Zepter der Menschheit”.

b) Der Inhalt. Nun aber war die Erde – jedenfalls die außerparadiesische – ein Gebiet, das trotz seiner Erschaffung und Überwaltung durch den Höchsten, noch nicht restlos sein Endziel erreicht hatte. Ja, es scheint, daß der Zustand der Disharmonie, der mit dem Fall Satans über die Erdwelt hereingebrochen war (Röm. 8, 20) in der außerparadiesischen Erde zur Zeit der Menschenschöpfung durchaus noch weiterbestand. Jedenfalls deutet die biblische Urgeschichte an, daß die Erde an sich, trotz des göttlichen Neuanfangs, der mit der Erschaffung des Menschen einsetzte, dem Wirken dämonischer Mächte noch nicht grundsätzlich entzogen worden war.
Dies beweist das Gebot Gottes an den Menschen, den Paradiesesgarten nicht nur zu bebauen, sondern zu bewahren, sowie die Tatsache seiner Versuchung durch eine gottfeindliche, auf der Erde auftretende, sich eines Tieres bedienende Gegenmacht. . . .

. . . Dies alles aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß der Mensch in eine sittliche Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Bösen gestellt wurde. Nur in einem Kampf konnte er „siegen”; nur so konnte er die Krone des „Überwinders” erlangen. Andererseits aber wollte auch Satan, dieser Widersacher Gottes, das Werk seines Feindes, den rein und gut erschaffenen Menschen, nicht unangetastet sein lassen. Damit aber war sofort schon zu Anfang ein hochbedeutsamer Kampf eröffnet, und das Paradies wird

III. Der Schauplatz eines gewaltigen Konflikts

Es tritt, mit diesem seinem geheimnisvollen Hintergrund, in den kosmischen Rahmen der Weltall-Übergeschichte ein. Hinter dem Paradies steht das Sternenall Gottes und die größte Revolution, die es je gegeben hat:
der Kampf zwischen Satan und Gott.  . . .

Dann aber kam die Sünde. In Eden verlor der Mensch sein Eden, und das Paradies, dieser Wohnort von Wonne und Lieblichkeit, wurde

IV. Die Stätte eines tragischen Zusammenbruchs

. . . Nach Gottes Plan hatte der Mensch durch den Sieg in der Versuchung erkennen sollen, was gut ist und böse wäre; durch die Sünde aber erkannte er hernach, was böse ist und gut gewesen wäre. Und weil er am Erkenntnisbaum frevelnd gesündigt hatte, mußte er nun auch vom Lebensbaum abgeschnitten werden (1. Mose 3,22). Der Tod hielt seinen Einzug in das Menschengeschlecht, und im Paradiese begann die Hölle des Menschen.

Doch nie konnte der Mensch seitdem seine Heimat vergessen. Vom verlorenen Paradies haben alle Völker gesungen und hoffend nach seiner Wiederkehr ausgeschaut. Das Paradies ist darum

V. Das Sehnsuchtsziel einer wartenden Menschheit

Und in der Tat, ihr Hoffen wird nicht enttäuscht werden. Die Endgeschichte wird wieder zur Urgeschichte sich wenden, und wie es im Anfang der alten Erde ein irdisches Paradies gab, so wird es dereinst auf der neuen Erde ein himmlisches Paradies geben (Off. 22, 1-5). Auch nach dem Fall ließ der HErr die hohe Berufung der Menschheit bestehen. Auch jetzt noch bleibt ewig die Verklärung der Erde an die Vollendung des Menschen gebunden. Darum „wartet das sehnsüchtige Harren der Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes” (Röm. 8,19).

In Christo gelangt dann einst die Menschheit an ihr seliges Ziel. Er erschien auf der Erde und vollbrachte sein Werk. Er erniedrigte sich selbst und ging an das Kreuz und trug dort die Sünden der Menschen. Doch dann stieg er auf in den Himmel empor und sitzt nun zur Rechten des Vaters, bis er einst den Tag herbeiführen wird, an dem er die Seinen sich selbst und dem Vater verherrlicht darstellen wird (Eph. 5,27; Hebr. 2,13).

Doch als Menschensohn hat er das Werk, das der Vater ihm gab, hier vollbracht. Als Mensch trug er hier die Krone der Dornen, die der unerlöste, unter dem Fluch stehende Acker ihm bot; und als Mensch wird er darum auch einst, als das Haupt seines Leibes, über denselben – doch dann den erlösten, vom Fluche befreiten – Acker regieren (Eph. 1,22). Der göttliche Erlöser ward Mensch und erlöste als solcher den menschlichen Beherrscher der Erde, verband ihn dann mit sich zu ewig untrennbarer Einheit und bewirkte also zugleich die Erlösung der Erde. Das ist der Weg, den die Gnade gefunden. So bleibt denn die alte Bestimmung der Menschheit bestehen, und doch wird sie gänzlich mit neuem Inhalt erfüllt. In Christo als ihrem Haupte gelangt die Menschheit ans Ziel ihrer Bestimmung. Er ist. als der „letzte Adam” (1. Kor. 15,45; Röm. 5,12-21), für sie Mittelpunkt, Krone und Stern.

Aber gerade dies gehört mit zu den tiefsten Geheimnissen des Gnadenrats Gottes, daß er, zur Erreichung seiner großen, weltumspannenden Ziele, den Menschen auch da nicht beiseitegesetzt hat, wo sich dieser, durch Sünde und Fall, seiner hohen Bestimmung als unwert erwiesen. „Unwiderruflich sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes” (Röm. 11,29). So klingt es gleichsam, wie bei Israel im Kleinen, so hier im Großen, durch Sünde und Unheil, Verderben und Rettung hindurch. Die Vollendung der Schöpfung soll dennoch mit dem Menschen verknüpft sein. Mag ihre Entwicklung nun auch andere Wege gehen, als es ohne einen menschlichen Sündenfall gewesen wäre: das Endziel bleibt dennoch bestehen. Und weil dieses der Weg und das Ziel Gottes bleibt – daß der Mensch der Segenskanal für die Schöpfung wird -, kann es ein Werfen des Teufels in den Feuersee und einen neuen Himmel und eine neue Erde auch erst nach dem Großen Weißen Thron, d. h. nach dem Abschluß der geoffenbarten menschlichen Erlösungsgeschichte geben (Off. 21 und 22 vgl. Off. 20,11—15).

 

2. Kapitel: Sünde und Gnade

Groß war der Mensch in seinem Fall. Noch größer war Gott in seinem Erbarmen (Röm. 5,20). Auch dem Sünder gegenüber blieb die göttliche Liebe bestehen (Joh. 3,16).

Trotzdem brachte der Sündenfall eine Veränderung aller Weltverhältnisse mit sich. Neue Grundsätze wurden erforderlich, die von nun an die ganze Geschichte der Menschheit beherrschten.

I. Der Grundsatz der Erlösung

Ohne Fall wäre das menschliche Werden ein allmählicher Aufstieg gewesen. Es hätte wohl eine Heilsgeschichte, aber keine Erlösungsgeschichte gegeben. Alles wäre geradlinige Aufwärtsentwicklung gewesen. Nun aber trat an die Stelle der Entwicklungsfähigkeit des Menschen die Möglichkeit und Notwendigkeit seiner Erlösung. Hinfort handelt es sich nicht mehr um Evolution der in ihm ruhenden Kräfte, sondern um Revolutionen des Geistes in göttlichen Liebes- und Neuschöpfungstaten. Die heilsgeschichtliche Bedeutung des Sündenfalls liegt also in der Umwandlung des entscheidenden Grundprinzips aller Menschheitsentwicklung.

In der Tat, der Mensch war nicht hoffnungslos gefallen. Er blieb erlösbar, und Gott wurde ihm zum Erlöser. Zwei Tatsachen begründen diese Möglichkeit. Der Mensch hatte die Sünde nicht selber erfunden. Sein Fall hatte nicht darin bestanden, daß er von innen heraus, von sich aus, nur auf Grund völlig eigener Inspirationen gehandelt hatte, sondern auf Grund einer Versuchung von außen. Sonst wäre er allerdings ein selbsteigener Urgrund der Sünde und damit ein Teufel geworden. Und wie er das Böse weder vor noch in seinem Fall produziert hatte, so hatte er nach seinem Fall sich mit ihm auch nicht identifiziert. Sogleich empfand er die Sünde als etwas ihm Fremdes und machte einen Unterschied zwischen sich und dem Bösen. Dies beweist sein sofortiges Schamgefühl und das Bedecken seiner Blöße durch Feigenblätter (1. Mose 3, 7; 10).

Wohl war dieser erste Versuch zur Überwindung des Bösen vergeblich: aber er war doch ein unverkennbarer Beweis, daß der Mensch nicht in Schamlosigkeit und Gemeinheit untergehen wollte, daß er sein Gewissen, gegen das er gehandelt, nun nicht noch mit Bewußtsein ertötete. Damit aber werden jene Feigenblätter geradezu eine Verkörperung und ein Symbol seiner Flucht vor dem Bösen, und das Schamgefühl wird eine noch unbewußte Abwehr des Fleischesdienstes im Gefühl der Schuld und Ohnmacht und somit die erste Gegenwirkung gegen die Macht der Sünde, indem der Mensch, da er das Böse nicht zu überwinden vermag, ihm doch wenigstens zu entfliehen sucht.

II. Der Grundsatz der göttlichen Selbstrechtfertigung

Aber die Sünde macht blind, und der Mensch kann sein Verderben nicht einsehen (Eph. 4,18; Off. 3,17). Er glaubt an das Gute in sich und vergöttlicht sein eigenes Wesen (2. Thess. 2,3; 4).  . . .

Hierbei hat jede Periode des Heilsplans notwendig zugleich die Offenbarung des menschlichen Versagens zum Ziel, und die buntschillernde Verschiedenartigkeit des Ganzen hat darin mit ihren erzieherischen Grund, daß jede dieser Haushaltungen den Bankrott des natürlichen Menschen von einer anderen Seite aus darlegen soll. So werden schließlich alle Seelenkräfte des einzelnen und alle Gesellschaftsformen der Gesamtheit als unzureichend erwiesen, und Gottes Heilsplan in Christo erscheint als der einzig mögliche und notwendige. Damit aber steht Gott vor seiner ganzen Schöpfung im Himmel und auf Erden als gerechtfertigt da, daß er gerade diesen Heilsweg bestimmte. Die Heilsgeschichte wird somit zu einer geschichtlichen Selbstrechtfertigung Gottes  . . . Wie geschrieben steht: „Auf daß du (Gott) gerechtfertigt seiest mit deinem Richterspruch und als Sieger dastehest, wenn man mit dir rechtet” (Röm. 3,4).

III. Der Grundsatz des menschlichen Zusammenbruchs

In der Tat, restloser konnte der Mensch seinen Absturz nicht zeigen, als er getan hat und noch tun wird.

. . .  So ist der Mensch dauernd in Auflehnung gegen Gott und — wie Israel im Kleinen — so ist die Menschheit im Großen ein Volk, „dessen Herz immer den Irrweg will” (Ps. 95,10). Kein Wunder, daß darum alle Haushaltungen mit göttlichem Gericht enden:

Der Zeitabschnitt des Paradieses – mit der Austreibung aus dem Garten;
Der Zeitabschnitt der Freiheitsprobe – mit dem Flutgericht;
Der Zeitabschnitt des Gesetzes – mit der Zerstreuung der Juden;
Der Zeitabschnitt der Gemeinde – mit der antichristlichen Trübsal;
Der Zeitabschnitt des Herrlichkeitsreiches – mit Vernichtung und flammendem Untergang (Off. 20,9).

Aber dann, wenn alle nur erdenkbaren Möglichkeiten erschöpft sind und das Weltreich alle seine Kräfte zerarbeitet hat, wird das Gottesreich triumphierend erscheinen (Off. 11,15), und im neuen Himmel und auf der neuen Erde wird Gerechtigkeit ewiglich wohnen (2. Petr. 3,13).

IV.  Der Grundsatz  des heiligen„Überrests”

Sollte aber dieses Endziel erreicht werden können, so durften die dazwischenliegenden Gerichtskatastrophen niemals totale sein. Sonst wäre der Zusammenhang des Kommenden mit dem Vergangenen verloren gewesen, und das neu in Erscheinung Getretene wäre ein Selbständiges und Anderes geworden, nicht aber die Fortsetzung und Weiterführung des Bisherigen. Das aber hätte nichts anderes bedeutet als die unverhüllte Bankrott-Erklärung Gottes vor aller Welt, daß alle seine bisherigen Erziehungsgrundsätze mit der Menschheit zusammengebrochen seien.

Darum mußte stets ein „Überrest“ aus den Gerichten gerettet werden (Jes. 10,21; 22; 11,11; Hes. 5,1-4. 1. Kön. 19,18; Röm. 1, 1—10), um somit die Grundlage für die Weiterentwicklung zu werden. Mitten im Todesgericht mußte stets über dem Bösen immer wieder ein Neuleben begründet werden. Nur so konnte die Einheit des Ganzen bewahrt und die Zukunft organisch mit der Vergangenheit und Gegenwart verbunden werden.

Dies ist die Bedeutung der Frommen in der Welt. Sie sind der Träger jedes Neuanfangs im Gericht und damit der gesamten Einheit des Heilsplans. Erst durch die „kleine Herde” empfängt die große Heilsgeschichte ihre feste Geschlossenheit und ihren organischen Zusammenhang. Erst sie, die Geringen der Welt, sind die menschliche Grundlage für die Durchführbarkeit der Erlösung. Ohne sie würde jede Offenbarungsgeschichte in Stücke zerfallen. Scheinbar ein entbehrlicher Faktor im Weltgeschehen, sind gerade sie „der große Mitarbeiter Gottes, durch den die Welt in ihrem Fortbestand und in ihrem letzten Wesen bestimmt wird. Ihr Wandel mit Gott rettet die Zukunft der Welt.

So ziehen sich durch alle Zeitalter diese zwei Linien hindurch: das Heranreifen der großen „Welt” zum Wettersturm des Gerichts und die Zubereitung der „kleinen Herde” zur Herausrettung aus Elend und Not.

Wie ein Felsen im Meer steht dieses Volk in der Völkerwelt da. Auch die Pforten des Totenreichs werden es nicht überwinden (Matth. 16,18); denn mit seinem Bestand steht und fällt alle Hoffnung der Welt, und hinter aller Hoffnung steht ewig die Bundestreue des Erlösers.

V. Der Grundsatz des Zweiten vor dem Ersten

Aber dazu erwählt sich Gott stets das Geringe (1. Kor. 1,26; 27). Nur so wird der eitle Selbstruhm des Sünders zerstört. Darum ist es auch geradezu ein durchgehender Grundzug der ganzen Geschichte der Erlösung, daß Gott immer wieder den Jüngeren dem Älteren voranstellt, das Kleinere vor das Größere setzt und das Zweite vor dem Ersten erwählt:

nicht Kain, sondern Abel und dessen Ersatz Seth,
nicht Japhet, sondern Sem,
nicht Ismael, sondern Isaak,
nicht Esau, sondern Jakob,
nicht Aaron, sondern Mose (2. Mose 7,7),
nicht Eliab, sondern David (1. Sam. 16,6-13),
nicht der Alte Bund, sondern der Neue (Hebr. 8,13),
nicht Israel, sondern die Gemeinde.

So nimmt Gott immer wieder „das Erste hinweg, auf daß er das Zweite aufrichte” (Hebr. 10, 9). Er erwählt sich das Schwache der Welt, auf daß er das Starke zu Schanden mache (1. Kor. 1,27). Er beruft sich die Letzten und macht sie zu Ersten, und die Ersten werden die Letzten sein (Matth. 19,30). Und dies alles geschieht, „auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme”, sondern: „Wer sich rühmt, der rühme sich des HErrn” (1. Kor, 1,29; 31).

VI. Der Grundsatz der fortlaufenden Reformation

Und doch! Was geschah? Aus den begnadeten Anfängen von Leben und Kraft ging stets ein Geschlecht voller Abfall hervor. Was die Väter im Glauben errungen, war meist bei den Kindern in der dritten Generation schon verloren (Richter 2,7), und das zum Babel gewordene Jerusalem mußte schließlich dem Gericht des Verderbens verfallen.  . . .

VII. Der Grundsatz des heilsgeschichtlichen Fortschritts

Aber göttlicher Neuanfang ist nie bloße Rückkehr zum Alten. In jeder aus dem Zusammenbruch herausgeborenen Reformation lag zugleich ein keimhaftes Lebensprogramm für die Zukunft. Offenbarung und Entwicklung sind durchaus keine Gegensätze, sondern gehören zusammen. Auch im Bereiche der Bibel gibt es einen Aufstieg vom Niederen zum Höheren, aus der Dämmerung zur Klarheit (Matth. 13,16; 1. Petr. 1,10; Joh. 16,12). In Abram erkor sich Gott eine Einzelperson; in Jakob erwuchs eine Familie; am Sinai wurde diese zum Volk. Jetzt sammelt sich Gott ein übernationales Volk aus allen Völkern (Apg. 15, 14); im kommenden Gottesreich wird es eine universale Völkergemeinschaft sein (Jes. 2,2-4; Jes. 19,25), und zuletzt wird es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben (Off. 21,1).

Aber dies alles ist Gottes Werk, kein menschlicher „Fortschritt”, kein Aufstieg der Geschöpfe aus der Tiefe in die Höhe, sondern eine Herablassung des Schöpfers aus der Höhe in die Tiefe  . . .

3. Kapitel: Das Frührot des Heils

Einem sonnigen Morgen hatte der Anfang der Menschheit geglichen. Aus der Ewigkeit kommend, hatte die Zeit das Glück gleichsam in Händen getragen. Im Paradiesessegen hatte Gott Himmel und Erde vereint.

Doch dann kam die Sünde. Wie ein nachtschwarzer Gewittersturm brach sie verheerend herein und vertrieb all diesen Morgenglanz aus der Geschichte der Zeit. Fortan stand die Erde unter dem Schatten des Todes.

Folgenschwer war auch das göttliche Gericht. Der Mensch hatte in seinem Ungehorsam das Königsein Gottes verneint und den Herrscher des Alls von dem Thron seines Herzens gestoßen. Sünde ist Aufruhr gegen Gott, Empörung gegen den Höchsten, Rebellion des geschöpflichen Einzelwillens gegen die göttliche Weltordnung. Nun trat das menschliche Ich an die Stelle des abgesetzten Gottes und wurde der König auf dem Thron. Nach Gottes Plan hatte der Mensch gewissermaßen ein geistlicher Kopernikaner sein sollen, der, gleich einem Punkt auf der Kreislinie, von Gott als seiner Sonne und seinem Mittelpunkt abhängt. Anstatt dessen war er nun in den Irrtum des ptolemäischen Systems gefallen und stellt sein eigenes Ich in den Mittelpunkt seines Lebens, um den sich fortan alles andere, Gott und Welt, drehen müsse. Darum hat ihn auch Gott an sein Ich hingegeben. Nun ist der Mensch gänzlich gefangen unter seinem Ich. Er erwartet sein Glück, seine Erlösung von seinem Ich. Er rechtfertigt sein Ich. Er rühmt sein Ich, und alle seine Gedanken kreisen um sein Ich.

Und zu dem Ich gesellt sich die Welt, die der Mensch in seiner Verblendung Gott vorgezogen hatte. Mit dem Ich besteigt gleichzeitig die Welt in ihm den Thron, und Gott gibt den Menschen auch hin an die Welt. Und da das Ich und die Welt nicht imstande sind, den leeren Platz Gottes in ihm auszufüllen, setzt dieser rasende Hunger der Menschenseele ein, der sie selbst zerquält, der Hunger nach Ichgeltung und Welt, nach Besitz und Genuß. Gerade dieser maßlose, unersättliche Hunger ist immer wieder ein Beweis, daß einst Gott das Menschenherz befriedigt hatte, daß das Menschenherz auf Gott angelegt ist.”

Auch im einzelnen verhängt Gott über den Sünder das Gericht.

Das Weib wurde gerade in ihrem höchsten Beruf, im Mutter- und Weibsein, erfaßt (1. Mose 3,16). Ihr kleinerer Kreis von Familie und Haus stand fortan unter dem Druck von allerlei Nöten.

Den Mann traf die Strafe in seinem männlichen Beruf, in dem größeren Umkreis seiner Arbeit und seines Broterwerbs (1. Mose 3,17). In dem Mann aber wurde zugleich der menschliche Beruf an sich betroffen, da ja Adam, als Haupt auch des Weibes, zugleich der Vertreter des Allgemein-Menschlichen war. Mühsal der Arbeit, Krankheit, Leiden und Tod sind von nun an das traurige Los aller Menschen. Mit dem Augenblick des Sündigens (1. Mose 2,17!) war der geistliche Tod und mit ihm auch – unter dem göttlichen Gericht – das Aufhören der leiblichen Todeslosigkeit eingetreten. Nachdem sich der Geist von seinem Zentrum, Gott, losgesagt hatte, rissen sich nun auch, infolge des Strafurteils Gottes, die leiblichen und seelischen Lebenskräfte von ihrem Zentrum, dem Geiste, los, und das Ende dieser Trennung von Leib, Seele und Geist ist der leibliche Tod (Röm. 6,23). Fortan ist das „Leben“ nur ein allmähliches Sterben, und die Geburt ist der Anfang des Todes.

Da aber Adam, als der Stammvater der Menschheit, zugleich auch ihr organischer Stellvertreter war, setzte sich Tod und Verderben auch auf alle seine Nachkommen, auf das ganze, von ihm stammende Menschengeschlecht fort. Der Fall war universal (Röm. 5,12-21; 1. Kor. 15,21).

Infolge der geistseelisch-leiblichen Fortpflanzung der Menschheit besteht ein geheimnisvoller, organischer Zusammenhang zwischen jedem einzelnen und der gesamten menschlichen Art, und dadurch mit Adam als dem Stammvater und Urbild des Ganzen. Jeder einzelne ist ein Teil seiner Vorfahren, ein Durchgangspunkt des Blutstroms seiner Eltern und Ahnen. „Die Seele alles Fleisches ist im Blute“ (3. Mose 17,11; 14; Apg. 17,26).

Daher die Betonung der Stammbäume in der Schrift (z. B. 1. Mose 5; 1. Chr. 1-9) und die Bedeutung der Vererbungsgesetze in Familie und Volk. Daher auch die artgemäßen Gleichheiten und Verschiedenheiten der Nationen und Rassen und der gleichartige und dennoch unterschiedliche Erbgrund des Denkens und Empfindens von Volk zu Volk, das heißt, von Seele zu Seele. Daher auch die Übertragung der Unvollkommenheiten und Charakterfehler der Ahnen, das Weitergehen des Bösen von Generation zu Generation, das radikale, zentrale, totale Verderben aller, die Wurzelkrankheit der Menschenseele, das Verlorensein jedes einzelnen, das Vergiftetsein des Gesamtorganismus, das heißt, die Erbsünde. „Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer” (Ps. 14, 3 vgl. Ps. 51, 7; Joh. 3, 6; 1. Mose 8, 21 vgl. Hebr. 7,9).  . . .

Die Natur. Indem aber Adam durch seinen Ungehorsam die Herrschaft des Schöpfers über sich verneint hatte, hatte er zugleich auch seine eigene Herrschaft über die Schöpfung zerrüttet. Zwar blieb seine Herrschaft als solche bestehen, aber die Ausübung dieser Herrschaft stürzt den gottgelösten Menschen in immer neue Nöte.

Und noch mehr. Auch die irdische Schöpfung in sich wird betroffen. „Ist das Haupt bei Gott, so sind es die Glieder auch. Fällt die Krone der Schöpfung in den Staub, so werden auch die Untertanen mit in den Sturz hineingerissen” (A. Köberle). Dies fordert der organische Zusammenhang von Geist und Natur. Aus ihm folgt, beim Eintritt des Falls, eine „Verklammerung von geistiger und leiblich-irdischer Not, von innerem und äußerem Schaden, von Weltschuld und Weltleid, von Menschheitssünde und seufzender Kreatur”. Aus der Pflanzenwelt hatte der Gegenstand der Versuchung, aus der Tierwelt das Werkzeug des Versucher gestammt. So bleiben sie nun beide, das Pflanzen- und Tierreich, um des Menschen willen gebannt (1. Mose 3,17), und die Schöpfung, die durch den Menschen ihrer Erlösung und Vollendung hatte entgegengeführt werden sollen, bleibt weiterhin der Nichtigkeit unterworfen. So bietet sie noch heute jenen rätselhaften Zwitterzustand dar, der in seinem Widerstreit von Glück und Unglück, Weisheit und Unvernunft, Zweckmäßigkeit und Zerrüttung sowohl den Gottesglauben wie auch die Gottesleugnung unmöglich zu machen scheint.

Wir wissen, daß die ganze Schöpfung zusammen seufzt und in Geburtswehen liegt bis jetzt” (Röm  8,22). Was aber soll sie denn gebären? — Den neuen Himmel und die neue Erde.

Aber gerade der Erde Leid dient mit zur Erlösung des Menschen. Denn gerade dadurch, daß sie ihm das nicht bieten kann, was er von ihr erwartet, löst sie ihn selber von seinen falschen Hoffnungen und nährt seine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese. So sollen seine Enttäuschungen am Irdischen den Menschen frei zu machen helfen für das “Verlangen nach dem Himmlischen, damit er am Ende das Bekenntnis ablegen kann: „Siehe, zum Heile ward mir bitteres Leid” (Jes. 38,17).

Das Gericht über die Schlange. Am deutlichsten zeigt sich das Frührot des Heils in dem Urteilsspruch über die Schlange (1. Mose 3,15). Hier beweist das Urevangelium, wie die durch das Dunkel des Zornes hindurchstrahlende Gnade den Fluch über die Schlange zur Verheißung für den Menschen gestaltet hat. . . .  Zwar war also die Vorderseite des Urevangeliums Gericht; aber die Rückseite bedeutete Verheißung für die Menschheit.

Zunächst ist jedoch der Sinn der Weissagung noch dunkel; denn wenn Satan durch die Schlange dargestellt war, so konnte der Schlangen-„same” doch nichts anderes sein als die Gesamtheit aller dämonischen und menschlichen Wesen, die, als gottfeindliche „Otternbrut” (Matth. 3, 7; 12,34; 23,33), auf der Seite des Teufels stehen würden – also nicht ein einzelner, sondern eine Vielheit von Wesen. Dann aber forderte die Harmonie der gleichlaufenden Gegenüberstellung, daß auch der Weibessame nicht nur eine Einzelperson, sondern ebenfalls eine Vielheit von Nachkommen sei, nämlich die Gesamtheit aller derer, die sich gläubig auf den Boden der dem Weibe gegebenen Verheißung stellen würden. Nur indirekt konnten die ersten Menschen ahnen, daß auch die Nachkommenschaft des Weibes dereinst in einer Einzelpersönlichkeit gipfeln würde; denn wenn es in dem Schlußsatz der Weissagung heißt, daß der Weibessame nicht nur dem Schlangensamen, sondern geradezu dessen Haupt, der Schlange selbst, den Kopf zertreten werde, so ließ sich daraus unter Umständen die Erkenntnis gewinnen, daß auch er selbst einst in einem Haupt, einer Einzelperson, seinen Gipfelpunkt erreichen werde.

Erst heute sehen wir, rückwärts schauend und belehrt durch die Auslegung späterer Weissagungen (bes. Jes. 7,14; Matth. 1,21-23; Micha 5, 2; Gal. 4,4), daß Gott hier zum ersten Male von Christo, seinem Sohne, gesprochen hat. Dieser ist, als der Mittelpunkt der Menschheit, zugleich Zentrum des Weibessamens. Erst von hier aus verstehen wir auch, warum Gott nicht von einem Mannessamen, sondern von einem Weibessamen gesprochen hat (vgl. Matth. 1,18), und gleichzeitig eröffnet dies Weissagungswort vom Fersenstich und vom Kopfzertreten jene wundersame Reihe von göttlichen Aussprüchen, welche die für Christus bestimmten Leiden und seine darauffolgenden Verherrlichungen im voraus bezeugten (1. Petr. 1,11).

So ist gleich das erste Verheißungswort das umfassendste und allertiefste. Die ganze Heilsgeschichte ist in ihm verborgen. Allgemein, unbestimmt, dunkel, wie die Urzeit, der es angehört, liegt es an der Schwelle des verlorenen Paradieses. Erst spät beginnt in der Prophetie seine Lösung anzudämmern. Aber erst der Sohn der Maria, der Jungfrau, der für uns alle den Fersenstich der Schlange erduldete, um ihr den Kopf zu zertreten für uns alle: erst er hat dies für alle Heiligen und Propheten schwere Rätsel gelöst, indem er es erfüllt hat. Erst der Höhepunkt der Verheißung – der Immanuel selber – hat den Inhalt der Verheißung ans Licht gestellt. Erst das Neue Testament ist der Schlüssel zu dieser Hieroglyphe des Alten Testaments; erst das Evangelium ist die Auslegung des Urevangeliums.

Auf diese erste Ankündigung der Erlösung folgte alsbald

Die Bekleidung der Menschen mit Tierfellen. Zum ersten Mal tritt ein blutiger Tod eines unschuldigen Wesens zugunsten des gefallenen Menschen ein.  Der Grundsatz des Opfers wird aufgerichtet (1. Mose 3,21).
Und wie die unzureichenden Feigenblätter Ausdruck und Anfang aller menschlichen Selbsterlösungsversuche gewesen waren, so sind nun die dem göttlichen Wort glaubenden und daraufhin von Gott selbst um den Preis eines unschuldig vergossenen Blutes bekleideten ersten Menschen das Urbild aller derer, die sich im Glauben an das Opfer des Lammes Gottes haben umhüllen lassen mit den Gewändern des Heils und dem Schmuck ewiger Reinheit und Heiligkeit (Kol. 3,12; Gal. 3, 27). Damit aber wird jene Bekleidung am Anfang der Menschheitsgeschichte eine sinnbildliche Weissagung auf die Mitte der Heilsgeschichte, auf das Kreuz von Golgatha, und zugleich ein Hinweis auf das selige Ende, wenn Gott einst seine Erwählten bekleidet haben wird mit dem neuen Auferstehungsleibe (Phil. 3,20; 2. Kor. 5,2) und dem hochzeitlichen Kleid der Verherrlichung (Off. 19,8).

Die Austreibung aus dem Paradiese. Aber nur außerhalb des Paradieses konnte der Mensch sein Paradies wiederfinden. Denn Sünde ist Trennung von Gott. Gott aber ist der Urquell alles Lebens. Also ist Sünde Trennung vom Leben, das heißt geist-seelisch-leiblicher Tod (Röm. 6,23).

Soll aber dennoch eine Erlösung bewirkt werden können, so muß die Sünde eine Sühnung finden, und diese muß, um der Gerechtigkeit willen, der Schuld entsprechen, also ebenfalls in der Trennung vom Schöpfer und Leben, das heißt im Tode bestehen (Hebr. 9, 22). Nur so kann das wahre Leben wiederhergestellt werden. Die Erlösung muß darin bestehen, daß der Tod, dieser große Feind des Menschen, zum Mittel seiner Errettung gemacht wird (4. Mose 21,6; 9; Joh. 3,14). Nur durch den Tod kann dem Tode der “Tod” bereitet werden.

Dann aber muß ein Sterben in der Menschheit überhaupt möglich sein, und auch daher die Notwendigkeit einer Austreibung aus dem Paradiese (1. Mose 3,13). Ein weiteres Verbleiben im Paradiese und eine fortgesetzte Verjüngung seiner äußeren Lebenskraft hätte für den Menschen nichts anderes bedeutet als die Verewigung seiner Sünde, seine Verurteilung zur Unerlösbarkeit und damit ein nie aufhörendes Verderben. Eine leibliche Unsterblichkeit des Sünders wäre ein ewiges Sterben seiner Seele und das Paradies eine Hölle geworden. Darum ist die Ausweisung aus dem Garten positiv in ihrem Ziel. Er überwies den Sünder dem leiblichen Tode, um ihn aus dem ewigen Tode zu retten.  . . .

4. Kapitel: Zwei Menschheitswege

Der neue Zeitabschnitt trug ein besonderes Gepräge. Sein Hauptzweck war, offenbar zu machen, was die Sünde in der Menschennatur eigentlich bewirkt hatte. Darum war er von drei leitenden Grundsätzen beherrscht; er vollzog sich

  1. ohne besondere grundsätzliche Befehlseinrichtungen Gottes (lies 1. Mose 3,14-19),
  2. in Beschränkung der Offenbarung auf das Zeugnis von Natur, Gewissen und Geschichte und
  3. ohne irdische Strafinstitutionen 
für den Sünder für den Fall seines Ungehorsams.

In der Paradieseszeit hatte es Verbot und Gebot gegeben (1. Mose 2,16). Dasselbe war in allen späteren Haushaltungen der Fall. Nur hier in der Zeit zwischen Adam und Noah, als der einzigen derartigen Periode im gesamten göttlichen Heilsplan, hatte die Menschheit grundsätzliche Freiheit, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Keine Obrigkeit und keine Regierungsgewalt waren von Gott eingesetzt, um den Sünder in der Selbstoffenbarung seiner Schlechtigkeit einzuschränken. Der Mensch sollte eben ungehinderte Gelegenheit bekommen, zu zeigen, was er leisten konnte, und zu offenbaren, was er werden würde, wenn er sich frei entwickelte. Damit aber wird dieser zweite Zeitabschnitt des Heilsplans zum Zeitabschnitt der menschlichen Selbstbestimmung. Das Ende aber ist – die Sintflut!

Schöpfer der vorsintflutlichen Kultur ist Kain. Zugleich ist er Urbild der ganzen, aus ihm hervorkommenden Menschheitsgeschichte, sofern diese sich in Loslösung von Gott und in innerer Gemeinschaftslosigkeit in bezug auf den Höchsten entwickelt.

I. Kains geistig-religiöse Natur

Kain war nicht ein Vertreter religiöser Gleichgültigkeit. Er brachte vielmehr Gott ein Opfer dar, – aber er ergrimmte vor Neid, als er Abels, aber nicht seine Gabe anerkannt sah. Und er war, weil ihm die innere Frömmigkeit fehlte, trotz seines äußeren Gottesdienstes, der erste Mensch, der aus dem Bösen war (1. Joh. 3,12).

Und aus der falschen Gesinnung des Opfernden ergab sich von selbst ein falscher Inhalt seines Opfers. Während Abel sein Bestes brachte (1. Mose 4,4), opferte Kain kein Erstlingsopfer, sondern ein Irgend-Etwas, das er gerade fand. Und während Abel ein blutiges Opfer darbrachte und damit die Todeswürdigkeit seiner Sünde anerkannte, (Im Hinblick auf die göttliche Einsetzung des Opfers bei der Bekleidung der ersten Menschen mit Tierfellen) die nur durch das stellvertretende Sterben eines unschuldigen Opfers vor Gott zugedeckt werden konnte, brachte Kain einen lediglichen Ausdruck seiner Abhängigkeit und Dankbezeugung dar und als diesen noch dazu ein selbsterarbeitetes Erzeugnis der eigenen Kraft. Damit aber wird er zum Vorbild aller derer, die es wagen, dem Heiligtum Gottes ohne Blutvergießen zu nahen (Hebr. 9,22), die sich wohl als ein abhängiges Geschöpf, nicht aber als todeswürdigen Sünder bekennen.

Und von nun an gehen diese zwei „Wege” durch die Menschheit hindurch:

auf der einen Seite der Weg Kains (Jud. 11): die fleischliche Religiosität und die ungebeugte Selbsterlösung, das Vertrauen auf sich selbst und die Verwerfung der Stellvertretung, – dieser Idealismus der eigenen Kraft, diese Theologie des ersten Mörders, dieser ,,Glaube” des Schlangensamens (vgl. Jak. 2,19);

auf der andern Seite aber der Weg Abels: die demütige Anerkennung der Todeswürdigkeit der Sünde, das Vertrauen des Schuldigen auf das von Gott selbst gestellte Opfer, das Erdulden von Verfolgung um des ewigen Zieles willen, die Erwartung des Triumphes der Gotteserlösung des Weibessamens.

Das Ende aber wird umgekehrt dem Anfang entsprechen: die Linie des getöteten Abel wird zum ewigen Leben gelangen (Hebr. 11,40); aber Kains Weg wird untergehen. Die höchste Vollendung von Abel ist Christus und in ihm die Menschwerdung des heiligen Gottes; die höchste Verstiegenheit Kains aber ist der Antichrist und in ihm die Selbstvergottung des fluchbeladenen Sünders (2. Thess. 2,4). Darum endet der Weg des einen im himmlischen Jerusalem (Hebr. 12,22), der des andern aber im Feuersee (Off. 19,20).

Und wie der erste „Krieg” in der Menschheit gleichsam ein Religionskrieg gewesen war (1. Mose 4), so wird es – vor wie nach dem irdischen Gottesreich der Endzeit – auch der letzte sein (Off. 16,16; 19,19 – Off. 20,8). Dann aber wird sich das göttliche Dulden erheben zu frohlockender Siegesgewalt, und Abels Glaube wird triumphieren über Kains Religion.

II. Kains politisch-kulturelle Bedeutung

Mit seinem Grundsatz der Selbsterlösung wurde Kain der Anfänger aller gottfernen Menschheitsentwicklung. Er, der nach dem göttlichen Strafurteil „unstet und flüchtig” sein sollte (1. Mose 4,12), stemmt sich nun eigenwillig gegen den Fluch und wird, in trotzigstem Widerspruch gegen das göttliche Wort, sogar der allererste Mensch, der eine feste Niederlassung, eine „Stadt”, baut (1. Mose 4,17).

Damit ist die Grundrichtung aller ferneren Menschheitsentwicklung, sofern sie von Gott wegführt, gegeben: Überwindung des Fluches auf dem Wege gottgelöster Kultur, Zurückgewinnung des Paradieses ohne das Erlebnis der Erlösung, Zusammenballung der Fleischeskraft ohne Anerkennung der Gottesherrschaft, also Selbsterlösung der Menschheit unter Ausschaltung der Gottheit.  . . .

Damit aber tritt diese erste Stadt in Gegensatz zum Urevangelium. Beide sind Neuanfang nach dem Zusammenbruch. Aber dort war es der Neubeginn Gottes auf dem Wege der Erlösung; hier ist es der Neuanfang der Menschheit auf dem Wege Gott ausschaltenden Fortschritts.

An sich sind Kulturerrungenschaften nichts Widergöttliches, sondern gehören mit zum Paradiesesadel der Menschheit. Erfindungen und Entdeckungen, Wissenschaften und Künste, kurz, das Vorwärtsschreiten des Menschengeistes sind durchaus Gottes Wille. Sie sind Besitzergreifung der Erde durch das Königsgeschlecht der Menschheit (1. Mose 1,28), gottgeordneter Herrscherdienst zum Segen der Erdwelt. Und nur völliges Mißverstehen einfachster Offenbarungsgesetze ist imstande, der Heiligen Schrift rückschrittliche Denkart und Kulturfeindschaft vorzuwerfen. Nein, was die Bibel ablehnt, und was das „Kainitische” ist, ist nicht die Kultur an sich, sondern die Gottentfremdung, die Unwahrheit religiösen Scheinwesens, der Geist des Hochmuts und der Rebellion, kurz, der Aufruhr gegen den Höchsten.

Und wie Trotz das kainitische Wesen nach Oben, zu Gott hin, kennzeichnete, so Unterdrückung und Gewalttat nach Unten, zur Mitmenschheit, hin. Damit aber wird Kain, der Brudermörder, zum ersten Vertreter des Religionskrieges und Krieges überhaupt, zum Urtypus aller Tyrannen der Welt, zum Vater alles Massenmordgeistes aller brutalen Barbarei. Darum ist seine Stadt auch der erste Grundstein aller sich von Gott lossagenden Weltreiche, sofern in ihnen der Geist des Tieres herrscht (vgl. Dan. 7, 2-8; 8,3-7; Off. 13,1).

III. Die herrschenden Grundzüge der kainitischen Kulturwelt

„Gleichwie die Tage Noahs waren, also wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein” (Matth. 24,37). Wie im Heilsplan die göttlichen Grundsätze, einem Kreislauf gleich, am Ende zum Anfang zurückkehren, so entsprechen auch in der Geschichte der Kultur die letzten Perioden den ersten. Darum ist die Erforschung jener alten Vergangenheit zugleich eine Botschaft für die spätere Zeit, und insonderheit ist die kainitische Kulturwelt das keimhafte Urbild für die Weltlage der Endzeit.

Dies ist sie durch ihre folgenden sechs Grundzüge:

Schneller Fortschritt in allen mechanischen
 Künsten. Die entscheidende Geistesrichtung der vorsintflutlichen
 Menschheit war der Versuch, das verlorene Paradies gleichsam durch ein künstliches zu ersetzen. Schneller als bei den Sethiten vollzog sich der
„Aufstieg” bei den Kainiten.  . . .

Große Zunahme der Bevölkerung. „Die Menschen begannen sich zu mehren” (1. Mose 6,1).  . . .

Nichtbeachtung des göttlichen Ehegesetzes. Von Kains Nachkommenschaft werden drei Frauen erwähnt, während dies im Geschlechtsregister Seths bei keiner einzigen der Fall ist. Die Namen dieser drei kainitischen Frauen sind Ada („Schmuck” oder „Schönheit”), Zilla (die „Schattige”) und Naama („Lieblichkeit”). Ihre Erwähnung bei den Kainiten deutet darauf hin, daß dort die Frauen stärker hervortraten als bei den Sethiten, und daß äußere Schönheit und sinnliche Anziehungskraft die Haupteigenschaften waren, die man an ihnen schätzte. Lamech aber schließlich, der Siebente von Kain, übertrat ganz unverblümt das ursprüngliche Ehegesetz” und wurde der erste Vertreter der Vielweiberei.

Zurückweisung der Bußpredigt des Glaubens.
 Dennoch sandte Gott Zeugen in diese abtrünnige Welt mit dem Mahnruf
zur Buße und Umkehr.  Aber auf diese hörte man nicht. Man achtete

– weder in den Tagen des Enos auf den Zusammenschluß der Frommen zu gemeinsamer Anbetung Jahwes des HErrn als des Bundesgottes und Erlösers (1. Mose 4,26),
– noch in den Tagen des Henoch auf die Warnung dieses Propheten vor dem kommenden Weltgericht (Judas 14; 1. Mose 5,21; Hebr. 11,5),
 – auch nicht auf Lamech, den Sethiten, der auf den verheißenen „Tröster” und „Ruhebringer” (hebr. „Noah”) wartete (1. Mose 5,29),
 – und ebensowenig auf Noah, den „Prediger der Gerechtigkeit”, der 120 Jahre lang wider sie zeugte (1. Mose 6,3; 2. Petr. 2,5). Im  Gegenteil, auch die Sethiten wurden allmählich vom Zeitgeist überwältigt, und so kam es zuletzt zu einer allgemeinen

Verbindung des bekennenden Gottesvolkes mit
 der Welt.

Die Kainiten werden darum, seit Lamech, nicht weiter als getrennter Stamm aufgeführt (1. Mose 4); und in der bald kommenden
 Sintflut gehen sie alle – die Sethiten genau so wie die Kainiten – zugrunde. Nur Noah, der Zehnte von Adam, und seine drei Söhne werden 
mit ihren Frauen gerettet (1. Petr. 3,20).

Und doch war diese ganze, dem Untergang geweihte Welt des Eigenruhms voll

Selbstverherrlichung der Menschheit. Während in Henoch, dem Siebenten (Jud. 14), die sethitische Frömmigkeit ihre
 Höhe erreichte, war Lamech, der Siebente, der verkörperte Gipfel kainitischer Rebellion.  In ihm ist die Reihe der Kainiten an das selbstherrliche Ziel ihrer Entwicklung gelangt, und darum ist er auch im biblischen Bericht der Abschluß der kainitischen Urgeschichte. An sich sind Kulturerrungenschaften nichts Widergöttliches; aber hier diente alles zur Übertäubung des Gewissens.

Lamechs Lied ist „ein Triumphgesang auf die Erfindung des Schwertes” (1. Mose 4, 23; 24). Mit einer Mordtat begann, mit einem Mordliede schließt die Geschichte der Kainiten. Im siebenten Gliede ist alles vergessen; mit Musik, Gesellschaft, Üppigkeit und Pracht wird alles übertäubt. Der Fluch der Einsamkeit ist in Stadtleben, der Fluch der Unstetigkeit in Wanderlust, das böse Gewissen in Heldenmut verwandelt, der die Erinnerung an den Fluch des Ahnherrn nur zur Unterlage seines eigenen, gotteslästerlichen Selbstgefühls macht (1. Mose 4,24). So ist alles Lust und Herrlichkeit, umschlungen und gekrönt von der Blume menschlichen Witzes und der schaffenden Seelenkräfte: der Dichtkunst.

Zuletzt aber blieb der Höchste seine Antwort nicht schuldig, und seine Antwort war – das Gericht. Nach über anderthalb Jahrtausenden göttlicher Geduld, in der zehnten Generation – zehn ist die Zahl der Vollständigkeit und des Abschlusses einer vollendeten Entwicklung – vernichtete die Sintflut die gottentfremdete, sündige Menschheit.

 

5. Kapitel: Naturbund und Weltgeschichte (Der Bund Gottes mit Noah)

Die Sintflut war beendet. Die „damalige Welt” war dahin (2. Petr. 3,6).  Eine neue Menschheitsperiode begann. Gleich im Anfang wurden die Richtlinien für die Zukunft gegeben. Der Bund Gottes mit Noah bildet die Grundlage aller kommenden Natur-, Menschheits- und Heilsgeschichte.

I. Die Naturordnung

„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht” (1. Mose 8,21; 9,11). Eigenartig ist die Begründung: „Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.” Also das, was soeben noch Grund für die Vernichtung gewesen war, wird nunmehr zum Hauptgrund für die Verschonung. Jetzt begann, nach der Flut, die Zeit der göttlichen Geduld (vgl. Apg. 14,15; 17,30), und mit Noah, dem Ruhebringer, setzte für die sündige Menschheit eine Jahrtausende lange Periode der „Ruhe” vom göttlichen Zorn ein.

Zugleich wird dem Menschen sein Königsrecht über die Erde bestätigt.

II. Die Herrschaftsordnung

Aber jetzt ist sein Verhältnis zur Natur, besonders zur Tierwelt, nicht mehr das ursprünglich harmonische, sondern eine Beziehung mit Unterdrückung und Widerstreit. Im Paradiese hatte die geistige Majestät des irdischen Königs das Tier gewissermaßen magisch gebunden: nun aber ist es eine Herrschaft mit Furchtwirkung auf der einen und Scheu auf der andern Seite (1. Mose 9,2). Und dazu paßt auch das sicher schon früher von den Menschen sich selbst angemaßte, ihnen aber erst jetzt von Gott zugebilligte Recht, Tiere zu töten und sie – ausgenommen ihr Blut – zur Nahrung zu verwenden (1. Mose 9,2-5).

Mit dieser Herrschaft des Menschen über die Natur verbindet sich auch ein Herrschaftsrecht des Menschen über Menschen.

III. Die bürgerliche Ordnung

„Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder durch Menschen vergossen werden” (1. Mose 9,6). Damit wird für den Mörder die Todesstrafe eingeführt. Dies aber schließt die Kontrolle des einzelnen durch die Gesamtheit und die Einsetzung öffentlicher Gerichte in sich und bedeutet nichts Geringeres als die Einführung obrigkeitlicher Gewalten und damit die Grundlegung aller späteren Staatenbildung (Röm. 13,1-6; 1. Petr. 2,13-17). Wenn aber die Todesstrafe des Mörders mit der Gottesbildlichkeit des Ermordeten begründet wird (1 Mose 9,6), so zeigt dies, daß die Ausübung der Justiz auf der Grundlage des menschlichen Gottesbildes und folglich des geistigen und geistlichen Adels der Menschheit erfolgen solle, daß somit die Obrigkeit nicht auf brutaler Gewalt, sondern auf der Anerkennung des göttlichen Naturrechts in der menschlichen Gesellschaft beruhen müsse. Nur so wird sie Vertreterin des Rechts und Dienerin Gottes zum Wohl ihrer Untertanen (Röm. 13,4).

Diese Einsetzung menschlicher Obrigkeit war aber zugleich eine notwendige Ergänzung zu der Verschonung der Menschheit vor nochmaligem Flutgericht. Denn wenn Gott, mit Rücksicht auf die angeborene Sündhaftigkeit des Menschen, hinfort kein Vertilgungsgericht mehr wie die Flut über ihn kommen lassen wollte, so mußte er dem Überhandnehmen der Sünde durch Einführung von Ordnung und Recht einen Damm setzen und somit den Grund legen zu einer geordneten, bürgerlichen und staatlichen Entwicklung. So aber gehören Naturordnung und bürgerliche Ordnung zusammen.

Möglich jedoch wurden sie erst durch das Vierte:

IV. Die Heilsordnung

„Noah baute Jahwe (Jehova) einen Altar und opferte Brandopfer auf dem Altar; und Jahwe sprach in seinem Herzen: „Nicht mehr will ich hinfort den Erdboden verfluchen um des Menschen willen” (1. Mose 8,20). Unverkennbar ist hier der Zusammenhang zwischen Opfer und Naturbund gegeben, und zwar so, daß das Opfer die Grundlage des Naturbundes ist.

Drei Dinge sind vor allem zu beachten: der Name Jahwe (Jehova), der Altar und das Brandopfer. „Jahwe” ist der Bundesname des Höchsten, der Name des Gottes der Heilsgeschichte und Erlösung. Zu ihm müssen sich die Herzen der Frommen erheben. Zum Himmel, zur Höhe müssen ihre Opfer und Gebete emporsteigen, wenn sie vor seinen Thron gelangen sollen.
Um den Opfern diese Richtung nach oben zu geben, werden von nun an auf Erden erhöhte Stätten und Altäre errichtet, von denen aus sie im Feuer himmelwärts aufsteigen sollen.

Zwar ist die Gegenwart Gottes überall und nicht durch die Grenzen eines Oben und Unten beschränkt (Ps. 139); aber in der Sprache der Anbetung wird die Jenseitigkeit Gottes symbolisch durch raumhafte Vorstellungen veranschaulicht, das geistig Überlegene durch das räumliche Höherliegen, das Überzeitliche und Überräumliche durch das sinnhafte Oberräumliche. So wird denn an dieser Stelle zum ersten Male in der Bibel ein Altar erwähnt und das Opfer olah, d. h. das Aufsteigende, genannt. Die reinen Opfertiere selbst aber weisen – wie alle Opfer von Anbeginn der Welt – auf das eine Opfer von Golgatha hin, das Lamm ohne Fehl und ohne Flecken (1. Petr. 1,19), das in Wahrheit die Grundlage aller Bewahrung und Errettung der Welt ist.

Am deutlichsten aber leuchtet die Verbindung von Naturordnung und Heilsordnung in dem Bundeszeichen auf, das der HErr, zum Symbol seiner Gottestreue, in die Wolken gesetzt hat:

dem Regenbogen.

V. Das Bundeszeichen

Der Regenbogen ist der farbige Glanz der hervorbrechenden Sonne auf der abziehenden Wolkennacht, der Triumph der Sonne über die Fluten. Einer Himmelsbrücke gleich verbindet er die obere Welt mit der unteren, und siebenfach erstrahlend – mit dem Grün des Smaragds als der Farbe des Lebens – bezeugt er den Bund zwischen Schöpfer und Schöpfung. Aufleuchtend auf dunklem Grund veranschaulicht er den Sieg der göttlichen Liebe über den finster-feurigen Zorn; entstanden aus der Wirkung der Sonne auf das dunkle Gewölk versinnbildlicht er die Willigkeit des Himmlischen, das Irdische zu durchwirken; ausgespannt zwischen Himmel und Erde verkündet er Frieden zwischen Gott und den Menschen, den ganzen Gesichtskreis überspannend bezeugt er die allumfassende Allgemeinheit des Gnadenbundes.

Damit aber wird er zum Sinnbild des Heils und der Erlösung und erscheint als solcher am Thron des HErrn als des Führers der Heilsgeschichte (Hes. 1,28; Off. 4,3). Und wie wir hienieden stets nur einen halben Bogen in den Wolken erblicken – ein Sinnbild zugleich aller Unvollkommenheit unseres jetzigen Erlösungserlebens (1. Kor. 13,9-12; 1. Joh. 3,2) -, so werden wir einst, rings um den Thron, den vollen Bogen erkennen und die Treue des Bundesgottes in Vollendung und Herrlichkeit preisen (Hes. 1,28; Off. 4,3). So aber wird der Regenbogen zum Natursymbol unserer ewigen Errettung.

So ist beim Regenbogen alles ein Sinnbild:

– die Entstehungszeit – denn er entsteht bei der Wiederkehr der Sonne (Hes. 1,28);
– die Entstehungsart – denn er erstrahlt als Verklärung der Finsternis durch das Licht (1. Mose 9,14);
– die Siebenzahl der Farben – denn sieben ist die Zahl des Bundes (z. B. 3. Mose 16,14)
– die Vorherrschaft des Grün – denn Grün ist die Farbe des Lebens (Off. 4,3)
– die Bogenform – denn er versinnbildlicht die Verbindung zwischen Schöpfer und Schöpfung (1. Mose 9,12-17);
– die weite Umspannung des Gesichtskreises – denn er zeigt die Allumfassenheit des Gnadenbundes (1. Mose 9,12;
– die ewig-himmlische Kreisform – denn so wird er zum Sinnbild der göttlichen Vollkommenheit (Hes. 1,28; Off. 4,3).

 

6. Kapitel: Das heilsgeschichtliche Rassenprogramm für die Völkerwelt (Der Segen Noahs)

Noahs Segen über Japhet und Sem und sein Fluch über Kanaan, den Sohn Hams, ist das nächste Ereignis von heilsgeschichtlicher Bedeutung. Während aber der Bund Gottes mit Noah die Grundlage der folgenden Natur-, Welt- und Heilsgeschichte war, ist sein Segen und Fluch ihr prophetischer Grundriß und ihr heilsgeschichtliches Rassenprogramm.

I. Die Verfluchung und Segenlosigkeit der Hamiten

„Verflucht sei Kanaan; er sei ein Knecht aller Knechte unter seinen Brüdern” (1. Mose 9,25). Hier wird, aus Anlaß der schändlichen Sünde Hams (Vers 22—24), in Kanaan, seinem Sohne, als ihrem Ahnherrn, die Stammesgruppe der Kanaaniter verflucht und überhaupt die hamitische Rasse der Segenlosigkeit einheimgegeben.

In schicksalsschwerster Weise hat die Weltgeschichte dieser Prophetie entsprochen. Die Kanaaniter wurden in Palästina durch die semitischen Juden, besonders durch Josua (Jos. 9,21—27; Richter 1,28 bis 30) und Salomo (1. Kön. 9,20; 21) unterjocht und in Syrien und Nordafrika als „Phönizier” und „Karthager” von den japhetitischen Persern, Griechen und Römern besiegt. Die anderen Hamiten aber, denen zwar nicht der Fluch, wohl aber die Segenlosigkeit mit auf den Weg gegeben war, haben – nach anfänglichen Gegenentwicklungen – immer wieder unter dem Joch der Unterdrückung zu seufzen gehabt, besonders die Schwarzen, letztere namentlich in Amerika seit der Einführung der Sklaverei. (Erst nach dem Nordamerikanischen Bürgerkrieg (1861-65) wurde in den Vereinigten Staaten die Sklaverei abgeschafft. Doch herrscht sie noch heute in großen Teilen Innerafrikas, besonders in den mohammedanischen Staaten).

II. Das geistliche Erlösungsmittlertum der Semiten

Anders erging es Sem. Ihm wurde der herrlichste Segen zuteil. „Gepriesen sei Jahwe, der Gott Sems” (1. Mose 9,26). Diese Form der Lobpreisung, die den Segen als Lobpreis des segnenden Gottes ausspricht, hat ihren Grund in der Höhe und Überschwenglichkeit der semitischen Verheißung.

“Jahwe“ (Jehova) ist “Sems Gott“ — das heißt: Die semitische Rasse
ist der Träger seiner besonderen Offenbarung. Für Japhet ist Gott
“Elohim“ der Schöpfer, Erhalter und Weltherr (1. Mose 9,27); für Sem
aber ist er “Jahwe“, der Bundesgott und Erlöser. Damit aber wird
Sem der Kanal seiner besonderen Erlösungsgnade, und
in seinem Geschlecht ist fortan die Verheißung des geistlichen Heils
konzentriert.

In Christo ist dann dieser Segen zur Vollendung gebracht. Denn er, der Erlöser, stammt als “Sohn Davids“ durch Abraham von Sem (Luk. 3, 36); wie er selbst im Johannesevangelium gesagt hat: “Das Heil kommt von den Juden“ (Joh. 4,22), und wie auch sein größter Apostel bezeugt: Der “edle Ölbaum“ des Gottesreiches ist “ihr“ Ölbaum (Röm. 11,24 vgl. Eph. 2,11-22; 3,6; Gal. 3,9). So aber ruht der Gottestempel des Christentums auf dem Felsenfundament der den alttestamentlichen Gottespropheten gegebenen Offenbarung (Matth. 5,17; 18; Joh. 10,35b; Apg. 24,14; 26,22), und in Christo ist Sems Segen zum Weltevangelium geworden.

III. Die politische und geistige Weltherrschaft der Japhetiten (Indogermanen)

Japhets Segen besteht aus drei Teilen.

  1. „Ausbreitung gebe Gott dem Ausbreiter“ (1. Mose 9,27). Damit ist Japhet, dem Vater der Meder und Griechen und folglich auch der Perser und Römer und überhaupt aller Indogermanen, eine besondere räumliche und geistige Ausbreitung zugesichert. Das aber heißt: Nach dem Zeugnis der alttestamentlichen Prophetie ist politische und geistige Weltherrschaft das namentliche Vorrecht der Indogermanen. Sie sind die Herrscherrasse in der Weltpolitik. So bestimmt es das prophetische Rassenprogramm.

In überwältigender Weise hat die Weltgeschichte dazu die Erfüllung gebracht. Zunächst allerdings verlief sie in umgekehrter Reihenfolge; denn der sündige Mensch ist in dauernder Auflehnung gegen Gott.

Nicht Japhetiten, sondern Hamiten und Semiten waren im alten Orient Jahrtausende hindurch die herrschenden Kulturvölker. Im Nillande waren es die hamitischen Ägypter, und am Euphrat und Tigris (in Akkad und Sinear, Babel und Ninive) errichtete – nach einer in Sumer vorangegangenen Kulturschöpfung – Nimrod der Kuschit, also ein Vertreter der hamitischen Rasse, die in Kanaan „Knecht aller Knechte” sein sollte, als Erster sogar ein Weltreich (Babel – 1. Mose 10,8—12), und in ihm gewann die Rasse der Knechtschaft geradezu die Herrschaft. Auch später, als die Macht der Hamiten zurückging und anderen zuteil wurde, waren es immer noch nicht sofort Japhetiten, sondern, nach dem Zeugnis der Geschichte und der Schrift, erst Semiten, die die unmittelbaren Erben ihrer Weltherrschaft wurden.

Im Nillande blieben die hamitischen Ägypter, in Mesopotamien wurden die semitischen Elamiter (1. Mose 14) und die Babylonier (um 1900) die Herren. Dann gelangten in Babel die Kassiten und in Ägypten die Hyksos zur Macht (um 1750). In Vorderasien folgten die Assyrer (um 1750—612) und die Neubabylonier, letztere besonders unter Nebukadnezar. Aber dies alles waren Semiten bzw. Hamiten, und schon waren fast zwei Jahrtausende vergangen, seit Noah seine Weissagungen gesprochen hatte (um 2350 v. Chr.), und noch immer waren seine Völkerprophetien nicht vollständig erfüllt.

Da endlich schlug die entscheidende Stunde der Japhetiten. Unter Kores dem Perser traten die Indogermanen mit sieghafter Kraft auf den Plan. Das semitische Babylon fiel (538); Belsazar wurde erschlagen, und die Japhetiten waren die Herren des Orients. Nie ist es seitdem einem hamitischen oder semitischen Volke gelungen, die indogermanische Weltherrschaft zu brechen. Die Eroberung Babels und der Sieg des Indogermanen Kores (des Hirten des HErrn Jes. 45,1) über Belsazar den Semiten, sowie die schlichten Worte des Buches Daniel: „In derselben Nacht wurde Belsazar, der König der Chaldäer, getötet” (Dan. 5,30) umspannen ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung: den Zusammenbruch der hamitisch-semitischen Weltherrschaft und die Aufrichtung des arisch-japhetitischen Weltregiments.

Fortan trugen die Indogermanen die Palme der Kultur; und wie sie geographisch und staatlich die Erde beherrschten, so auch geistig und kulturell. Während Sems Segen in höchster Zusammenfassung aller geistlichen und heilsgeschichtlichen Kräfte bestand, war Japhets Segen die umfassendste Ausdehnung aller geistigen und weltgeschichtlichen Kräfte. Der Segen des einen war himmlisches Licht, der Segen des andern war irdische Herrlichkeit.

Ihre Blüte verdankten die indogermanischen Völker dem Idealismus ihrer Gesinnung: die Griechen ihrem Streben nach Schönheit und Wahrheit, die Römer ihrer Ehrfurcht vor Ordnung und Recht und die Germanen ihrem Festhalten an Freiheit und Treue. Durch dies alles wurden sie geistig die Führer der Menschheit und die Förderer aller höheren Kultur.

Aber auch geistlich sollte Japhet zum Segen gelangen. Darum heißt es:

  1. „Und er wohne in den Zelten Sems“ (1. Mose 9,27). Da Sem gerade soeben als der Kanal der Offenbarung bezeichnet worden war, kann das Wohnen in seinen Zelten nichts anderes bedeuten als die Anteilnahme an seinem Glauben und die Aufnahme der Japhetiten in die Gemeinschaft seines geistlichen Heils.

In der Tat, weniger zu hamitischen als vornehmlich zu japhetitischen Völkern ist das Segensgut Sems im Evangelium gelangt (Gal. 3,14).

Grundlegender Anfang dazu war das Traumgesicht des Petrus in Joppe (Apg. 10), das die Hinwegnahme der Zwischenwand zwischen Juden und Heiden, die am Kreuze schon grundsätzlich vollzogen worden war (Eph. 2,14), nun auch geschichtlich an dem Römer Kornelius zur Durchführung brachte; und so durfte gerade ein Japhetit als Erster aus den Nationen, ohne Anschluß an das nationale Israel, was das volle Heil betrifft, eingehen in die Zelte Sems.

Richtungweisender Wendepunkt wurde dann weiter jenes andere Gesicht des Paulus, in dem er in Troas einen mazedonischen Mann sah, der ihm zurief: Komm herüber und hilf uns! (Apg. 16,9). Wer weiß, wie die Welt- und Kirchengeschichte verlaufen wäre, wenn damals der große Apostel, statt nach Westen, nach Osten, nach Indien oder China gesandt worden wäre! Aber gerade dies ist die unvergleichliche Bedeutung jenes Traumgesichts in Troas, daß mit ihm die Stunde für die Überbringung der Heilsbotschaft nach Europa geschlagen hatte, so daß nunmehr das japhetitische Europa zur Hochburg der Himmelreichsbotschaft bestimmt worden war, – und jene nächtliche Stunde von Troas wurde die Stunde des geistlichen Sonnenaufgangs für die abendländische Völkerwelt.

  1. „Und Kanaan sei sein Knecht“ (1. Mose 9,27). Gigantisch ist um die Erfüllung dieser Prophetie gerungen worden.

Zu den Nachkommen Kanaans gehören die Phönizier und Sidonier (1. Mose 10,15). Sie sind gleichsam die Normannen des Altertums. Ihr Küstenstrich im Nordosten von Palästina glich, dichtbevölkert, einer ununterbrochenen Stadt. So begannen sie, schon um 1200, teils aus Abenteurerlust, teils aus Handelsinteressen, auswärtige Kolonien zu gründen, besonders im westlichen Mittelmeer. Dort blühte in Nordafrika bald das aristokratisch-kapitalistische Karthago (Neustadt) auf.

Zur selben Zeit entwickelte sich in Italien der römische Staat. Ein Zusammenstoß war unvermeidlich. Er mußte mit der Vernichtung des einen oder des andern Rivalen enden.

Der erste Krieg führte zur Eroberung Siziliens durch die Römer (264-241 v. Chr.). Der zweite wurde bis aufs äußerste dramatisch (218 bis 201). Denn als die Karthager, unter der Führung des heldenhaften Hannibal, über die Alpen in Italien einbrachen und in glänzenden Siegen am Ticinus und an der Trebia (218), am Trasimenischen See und vor allem bei Cannä (216) die Römerheere vernichteten und Hannibal schon vor den Toren der Stadt Rom erwartet wurde, da sah es allerdings so aus, als sollte das alte Prophetenwort: „Kanaan sei dein Knecht”, das durch Kores erfüllt worden war (538), nun doch noch zuschanden gemacht werden; denn eine Besiegung der japhetitischen Römer durch die phönizischen Karthager hätte nichts anderes bedeutet als die Aufrichtung eines hamitischen Weltreichs.

Endlich aber fiel die Entscheidung. Bei Zama (südlich von Karthago) stießen die Heere zusammen (202), und Publius Cornelius Scipio, der Römer, blieb Sieger. Hätte Hannibal gesiegt, dann wäre vielleicht niemals ein römisches Weltreich entstanden. Zugleich aber war in dem Gegensatz Hannibal-Scipio der Rassenzusammenprall Semito-Hamitismus und Japhetismus verkörpert. Denn semitisch war bei den Karthagern die Sprache, Religion und Kultur, hamitisch ihre Rasse und ihr Blut. Mit ihrer Besiegung war die politische Rassenrivalität für immer entschieden. Daran konnten auch später nach Jahrhunderten weder der Hunnensturm (375-453 n. Chr.) noch der Arabersturm (711-732), weder der Mongolensturm (Schlacht bei Liegnitz, 1241), noch die Türkenkriege (Eroberung Konstantinopels, 1453), Schlacht bei Mohács (Ungarn, 1526), Belagerung Wiens (1683) etwas ändern.

Mit Nimrod begann, mit Hannibal endete das Drama der hamitischen Weltmacht, und Scipios Sieg besiegelte endgültig das Werk des Kores: die Aufrichtung der Weltherrschaft der japhetitischen Rasse. So hat die Weltgeschichte in einzigartiger Weise der Prophetie recht gegeben. Alle Gegenentwicklungen der Menschen waren zurückgeschlagen, und Gott hatte recht behalten. Noah aber war sein Völkerprophet gewesen.

Die Namen seiner Söhne waren zu Symbolen und Wahrzeichen für die Zukunft geworden. Die Nachkommen von Ham (Hitze) bewohnten die heißen Länder; die Söhne von Japhet (Ausbreitung) breiteten sich über die Erde aus, und die Geschlechter von Kanaan (Der Unterwürfige) mußten sich Japhet und Sem unterwerfen. Aber in der Linie von Sem (Der Name) wurde der Name und das Wesen des Erlösers geoffenbart, und in Jesus Christus, dem HErrn, der den Namen über alle Namen trägt (Phil. 2,9), wird der Name des Vaters nun auf ewig verherrlicht (Joh. 12,28; 17,6).

 

7. Kapitel: Das babylonische Menschheitsgericht

Über der Menschheit lastet das babylonische Gericht. Alle Geistes- und Kulturgeschichte steht unter dem Zeichen dieser zerschmetternden Urkatastrophe. Vergeblich ringt die Welt gegen sie, ihren Bann mit eigener Kraft zu überwinden.

I. Die urgeschichtliche Menschheitszersplitterung

Drei Beweggründe führten nach der Schrift zum babylonischen Turmbau: Trotz, Vereinigungswille und Ruhmsucht. Dreifach ist darum auch das göttliche Gericht: Der nach oben stürmende Trotz wurde durch das Herniederfahren des HErrn, der Wille zur Vereinigung durch die Zerstreuung und Zersplitterung und der ruhmsüchtige Ehrgeiz durch den Namen der Schande gerichtet. Fortan ist gerade die Stadt, durch die man sich einen Namen machen wollte (1. Mose 11, 4) ein Symbol der Niederlage; und Babel, die Stadt der Zermengung,  ist schon als bloßer Ortsname ein Beweis für die Zwecklosigkeit aller Rebellion gegen Gott.

II. Die sprachgeschichtliche Bewußtseinsverwirrung

Die Verwirrung der Sprachen ist zunächst etwas Vierfaches: eine Verwirrung von Wörterbuch, Grammatik, Aussprache und Ausdrucksweise (Phraseologie), und in diesem Sinne gibt es heute ungefähr eintausend Sprachen und Hauptdialekte. Aber sie ist doch noch mehr.

Ganz gleich, welches die Ursprache gewesen sein mag, ob ‑ wie die Rabbinen und Kirchenväter meinten ‑ das Hebräische oder das Syrische oder ‑ was wohl das allein Richtige ist ‑ keine der uns überlieferten alten Sprachen: In jedem Fall ist die Gemeinsamkeit der Sprache mit einer starken Einheitlichkeit des Geisteslebens verbunden gewesen. Denn da die Sprache die lautliche Versinnlichung des Geistigen ist, muß auch das Geistige aller Menschen so lange in besonderem Sinne einheitlich gewesen sein, als noch der Ausdruck dieses Geistigen, die Sprache, einheitlich war. Die Sprachenverwirrung war also zugleich eine Verwirrung der geistigen Grundanschauungen der Menschheit, indem durch eine Machtwirkung Gottes auf den menschlichen Geist, an Stelle der ursprünglichen Einheit, eine vielfache Zersplitterung des Denkens, Empfindens und Vorstellens eingesetzt wurde. So aber wird die Sprachenverwirrung zugleich eine Verwirrung des Bewußtseins.

Die ursprüngliche Sprache, in der Adam im Paradiese alle Tiere benannte (1. Mose 2, 20), war gleichsam ein großer Spiegel gewesen, in dem sich die ganze Natur getreulich widergespiegelt hatte. Nun aber zerbrach Gott diesen Spiegel, und jedes Volk erhielt nur eine Scherbe davon, das eine eine größere, das andere eine kleinere, und nun sieht jedes Volk nur ein Etwas von dem Ganzen, nimmermehr aber das Ganze selbst. Deshalb weichen auch die Auffassungen der Nationen hinsichtlich Religion und Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Geschichte so stark voneinander ab, ja steigern sich oft bis zu gegenseitigem Widerspruch.

Dies alles mußte jedoch noch mehr Folgen nach sich ziehen. Mit der Zerrüttung des Weltbewußtseins verband sich eine weitere Zerrüttung des Gottesbewußtseins.

III. Die religionsgeschichtliche Glaubensentartung

Am Anfang der Menschheit steht der Glaube an den einen Gott da, der sich in dreifacher Weise offenbart: in Natur (Röm. 1, 19), Gewissen (Röm. 2, 12‑15) und Geschichte (1. Mose 1‑11). Das spätere Heidentum ist dann eine Verkehrung dieses seines dreifachen Ursprungs: Verzerrung der Erinnerung an die Uroffenbarung, Mißdeutung der Naturoffenbarung (Röm. 1, 23) und unklarer Seelenkonflikt mit der Gewissensoffenbarung ‑ das sind die drei Grundelemente aller heidnischen Religion.

Dennoch aber blieb die göttliche Einwirkung auf die Menschheit durch die allgemeine Offenbarung bestehen. Gott hält den Menschen wie ein starker Magnet. „Fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns” (Apg. 17, 27). Gott sucht den Menschen, um in ihm selber ein Suchen zu wecken, ein Suchen nach ihm, wie die Mutter die Seele ihres Kindes sucht, damit es sie wieder suche, „daß sie den HErrn suchen sollten, ob sie ihn fühlen und finden möchten” (Apg. 17, 27). Daher ‑ von Gott selbst gewirkt ‑ das auffallend große Fragen und Suchen in der Völkerwelt, auch unter den Heiden. Aber das ist das Tragische, daß dies Suchen der Menschen von Satan, dem großen Betrüger, auf eine falsche Spur abgelenkt wird. Fortan ist der Mensch auf der Suche nach Gott und doch zugleich auf der Flucht vor ihm. Er will ihn haben und stößt ihn von sich; er sucht seine Segnungen und meidet seine Nähe; er will nichts von ihm wissen und kann doch nicht los von ihm.

Die menschliche Urwurzel dieser ganzen religiösen Zwiespältigkeit ist, nach der Belehrung des Apostels Paulus, die Undankbarkeit. Denn „obwohl sie wußten, daß ein Gott ist, haben sie ihn nicht gepriesen als einen Gott, noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert“ (Römer 1, 21). Im einzelnen aber sind es besonders die folgenden Elemente, die ‑ unter dämonischer Irreführung ‑ diese Umwertung aller Werte auf dem Gebiet des religiösen Lebens hervorgebracht haben.

Zunächst die Beobachtung des Traumes. Denn da handelt ein Etwas, das sich bewegte, hörte und sah, auch wenn alle Glieder des Leibes in Untätigkeit waren. Da erschienen auch Tote, ebenfalls handelnd, und bewiesen damit ihre geist‑artige Weiterexistenz.

Dann ferner die Beobachtung des Todes. Denn war es nicht hier diese „Seele”, dieses Unsichtbare, Innere, das nun mit dem letzten Hauch atemartig, luftartig den Körper verließ? Und dann wurde der Tote so still! Ist dies nicht ein Beweis, daß es keine Bewegung gibt, ohne das Wollen eines inneren Ich, einer innewohnenden wirksamen Atemseele?

In der Natur aber draußen ist alles voll Bewegung: in den Pflanzen und Tieren, im Lauf der Gestirne, im majestätischen Gewitter, im Dahinbrausen der Ströme. im geheimnisvollen Magneten und im Feuerfunken des angeschlagenen Steines! Ist dies alles nicht ein deutliches, überwältigendes Zeugnis von dem Dasein und Innewohnen gewaltiger Wesen, die in allen diesen Bewegungen um uns herum wirksam sind? ‑ So aber wird die Natur von Geistern beseelt gedacht, und die animistische Weltanschauung ist entstanden (lat. Anima=Seele).

Da aber der Mensch keine andere Seele kannte als nur die seine, ist die Ausstattung dieser Naturgeister mit den Eigenschaften der Menschenseele nur das durchaus Folgerichtige, und da es sich ferner bei den Naturgeistern ‑ entsprechend der Wucht ihrer Elemente ‑ nur um Wesen gesteigerter Lebensform handeln konnte, mußten ihnen auch diese menschlichen Eigenschaften in gesteigertem Maße zugeschrieben werden. Dadurch jedoch entstand notwendig eine Verbindung von Dämon und Held, wobei das Dämonische durch das Menschliche ins Personhafte und das Heldische durch das Dämonische ins Übermenschliche gesteigert wurde. Dies ist aber das Wesen des heidnischen Gottbegriffes.

Hier nun setzt die religionsbildende Kraft der menschlichen Sprache ein. Denn es ist eine Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes, unwillkürlich und oft unbewußt das Stoffliche und Geistige nebeneinander zu stellen und beide gegenseitig ineinander hineinzutragen. So vermenschlicht die Sprache das Außermenschliche und redet von einer lachenden Sonne, einem freundlichen Zimmer, einem munteren Bach; und umgekehrt überträgt sie das Außermenschliche in das Menschliche und spricht von einer kalten Lieblosigkeit, einem sonnigen Charakter oder einer strahlenden Freude.

Solange der Mensch nun an der Bildhaftigkeit dieser sprachlichen Vergleiche festhält, besteht keine Gefahr, im Gegenteil, sogar eine Bereicherung seines Geistes. Im Augenblick aber, wo er, verfinstert durch die Sünde (Eph. 4,18) und irregeleitet durch dämonische Mächte, von dieser phantasievollen Umkleidung des Wirklichen mit Bildern fortschreitet zum Glauben an die Wirklichkeit dieser Bilder selbst, ist auch von dieser Seite aus eine neue Welt naturvergötternder Vorstellungen am Entstehen, und die Sprache reiht sich ein unter die Haupttriebkräfte heidnischer Religionsbildung.

Von Bedeutung ist hierbei auch das grammatische Geschlecht; denn in manchen Fällen war gerade dies das Entscheidende, ob man sich eine Gottheit männlich oder weiblich dachte.

Dies alles beweist, daß von einem eigentlichen, national gearteten Heidentum vor der Sprachenverwirrung nicht die Rede sein kann. Mögen einzelne, naturvergötternde Ideen schon vor dem babylonischen Gericht vorhanden gewesen sein: Das eigentliche, national geartete Heidentum selbst hat erst mit der Zersplitterung der Menschheit in getrennte Nationen seinen Anfang genommen (vgl. 5. Mose 4,19; Röm. 1,18‑32).

Dies alles aber geschah zugleich unter dämonischer Mitwirkung. Denn die Götter der Heiden sind keine leere Einbildung. Apollo und Diana, Aphrodite und Istar und wie sie alle heißen, sind, nach dem Zeugnis des Neuen Testaments, keine bloßen gedanklichen Personifikationen von Naturkräften oder reine Idealgebilde irrender, naturvergötternder Phantasie, sondern in ihrem Hintergrund sind irgendwie wirklich vorhandene, dämonische Geistmächte, die sich auf dem Wege okkulter Inspirationen, in national geartetem, mythologischem Gewande ‑ teils in lichtvoll‑poetischer, teils schauerlich‑düsterer Einkleidung ‑ den einzelnen Völkern offenbarten. Sonst hätte der große Völkerapostel auch nicht aus jener Wahrsagerin in Philippi einen Python‑Geist unter ausdrücklicher Berufung auf den Namen des HErrn Jesu, austreiben können (Apg. 16,18); und ebensowenig hätte er von den außerisraelitischen Religionen sagen können, daß die Heiden das Opfer, das sie darbringen, den bösen Geistern darbringen (1. Kor. 10, 20). So aber beruht das gesamte Heidentum nicht nur auf Irrtum und Trug, sondern zugleich mit auf spiritistischer Grundlage.

Durch dies alles wird der Heide, unter dämonischer Beeinflussung, der Schöpfer seiner Götter. Der Verschiedenartigkeit des Nationalcharakters entspricht auch eine Verschiedenartigkeit der religiösen Grundstimmungen:

– Der Grieche sagt: „Mensch, erkenne dich selbst”
– Der Römer sagt: „Mensch, beherrsche dich selbst”
– Der Chinese sagt: „Mensch, bessere dich selbst”
– Der Buddhist sagt: „Mensch, vernichte dich selbst”
– Der Brahmane sagt: „Mensch, versenke dich selbst”
– Der Mohammedaner sagt: „Mensch, beuge dich selbst”

– Aber Christus sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun”
– und  in ihm sagt der Christ: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus” (Phil. 4, 13).

In den heidnischen Religionen drückt sich seine Gottlosigkeit aus, denn Religion ist die Sünde, nämlich die Sünde gegen das erste Gebot, die Vertauschung Gottes mit den Götzen!

Dies Ganze ist der Irrweg von Milliarden von Menschen! Jahrtausende hindurch hat er die Menschheit beherrscht. „Indem sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden“ (Röm. 1, 22). Damit aber wird das babylonische Menschheitsgericht zu einem Gericht von ungeheuerster Auswirkung. Denn die mit der Zersplitterung der Menschheit und der Beiseitesetzung der Völkerwelt verbundene Bewußtseinsverwirrung hatte eine Religionsverwirrung zur Folge, die die Sprachenverwirrung an Bedeutung noch weit übertraf.

IV. Die weltgeschichtliche Völkerspannung

Von nun an ist die Weltgeschichte ein Ringen zwischen zwei Kräften: der Mittelpunktsziehkraft der Weltreiche  und der Mittelpunktsfliehkraft der einzelnen Völker, und zwar so, daß immer wieder die Mittelpunktsziehkraft der Welteroberer zuschanden gemacht wird durch die Mittelpunktsfliehkraft der einzelnen Nationen. Die bedeutsamste Form dieser Auseinandersetzung ist der Krieg, und darum werden Kriege und Kriegsgeschrei sein, bis daß der HErr kommt (Matth. 24, 6).

Zugleich aber wird all dieser Widerstreit der Geschichtskräfte von dem obersten Geschichtsherrn überwaltet (Jes. 45,1), und dadurch wird die Völkergeschichte ein Völkergericht. „Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist Schande der Nationen” (Spr. 14, 34). „Alle Epochen, in denen der Glaube herrscht, sind glänzend und fruchtbar” (Goethe); aber sittlich morsche Kulturen gehen unfehlbar zugrunde.

Das Maß des Gesegnetwerdens der Völker hängt zu großem Teil  ab von dem Grad ihrer Beachtung der göttlichen Schöpfungs‑ und Geschichtsordnungen (Jer. 18, 7). Völker sind Organismen (Hos. 11, 1) und werden darum als Einheit zur Verantwortung gezogen. Sie leben ein einheitliches Leben durch Generationen hindurch. Darum werden auch die Nachkommen zu Trägern des Gerichts oder des Segens der Taten ihrer Vorfahren (z. B. Hes. 35, 5). Nur durch dies alles erklärt sich die dramatische Spannung des Ganzen und das Auf und Nieder der Kulturen im Wirbel der Reiche und Rassen.

So sind göttliche Schöpfungs‑, Geschichts‑ und Erhaltungsordnungen:

– die Ehe und Familie als Urzelle des Ganzen,
– die Stände (1. Petr. 2, 13; Eph. 6, 5‑9; Kol. 3, 22; 1. Kor. 7, 20),
– die Obrigkeit (Röm. 13,1‑6; 1. Petr. 2, 13) seit Noah (l. Mose 9, 6),
– die Gemeinsamkeit der Geschichte, der Geistigkeit und Sprache, der Bildung und Sitte,
– ferner Autorität (1. Petr. 2, 17; Röm. 13, 7) und Gehorsam (Röm. 13,5),
– Volksgemeinschaft und Rechtspflege (1. Mose 9, 6; Röm. 13, 4),
– gottgegebene Grenzen (Apg. 17, 26),
– Liebe zur Heimat und zum eigenen Volk (Röm. 9, 3),
– Achtung vor anderen Völkern.

V. Das heilsgeschichtliche Erlösungsziel

Dennoch bedeutet die Sprachenverwirrung nicht, daß Gott etwa gegen jede Vereinigung des Menschengeschlechts sei. Im Gegenteil, die innigste, geistliche, umfassendste Gemeinschaft der Menschen ist geradezu sein Ziel (Micha 4, 1‑4).

Aber die Einheit, die er will, hat ihn selber zum Mittelpunkt, ist „in Christo” seinem Sohne (Eph. 1, 10; Joh. 10, 16; 17, 21), den er zum König bestimmt hat (Ps. 2, 6; Sach. 14, 9).

Der Mensch aber wollte eine Entthronung des Schöpfers, um selber die Regierung in die Hand zu nehmen; und gerade diese Zusammenballung der fleischlichen Kraft war ein Bollwerk gegen die Durchführung der Erlösung. Darum mußte sie fallen und der „zerstreuende Arm Gottes” sich offenbaren. Auf dem Wege der Zerstörung der dämonischen, fleischlichen Einheit sollte die wahre, göttliche, geistliche Einheit bewirkt werden. Die Aufhebung des Universalismus der Uroffenbarung hatte darum die desto sicherere Erreichung des End‑Universalismus zum Ziel, und deshalb ist auch das babylonische Gericht ‑ eine Gnade.

VI. Der endgeschichtliche Gottestriumph

Aber die Menschheit kämpft dauernd gegen den göttlichen Plan. Der Geist des besiegten, rebellischen Babel wirkt auch in den folgenden Jahrtausenden fort; ja am Ende der Zeit wird er sogar scheinbar sein Ziel erreicht haben und triumphieren, und der Antichrist wird das Werk Nimrods vollenden (Off. 13, 7; 8).

Die Geschichte der Stadt Babel hat

ihr Vorzeichen ‑ in der Stadt Kains (1. Mose 4, 17),
ihr Sinnbild  ‑ im Turmbau (1. Mose 11),
ihren Hauptanfang ‑ in Nebukadnezar (Dan. 2, 38),
ihren Fortgang ‑ in der Weltgeschichte (Dan. 2 u. Kap. 7),
ihre Vollendung ‑ im Antichristentum (Off. 13 u. Kap. 17),
ihr Ende  ‑ im Triumph Christi (Off. 18 u. 19).

Denn nach dem Antichristen wird Christus erscheinen und den Sieg gewinnen (Off. 19, 11‑21); und über die Hure (Off. 14, 8; 17,1‑18), das gen Himmel hinaufstürmende Babylon, wird die Braut triumphieren (Off. 21, 9), die vom Himmel herabgekommene Gottesstadt, das neue Jerusalem.

 

Dritter Teil: Die vorlaufende Heilsoffenbarung

A. Das Verheißungsfundament des Evangeliums

1. Kapitel: Der Heilsumfang des Alten Testaments

Das babylonische Gericht hatte die Uroffenbarung abgeschlossen. Mit Abraham begann eine vollständig neue Zeit. Er, der Stammvater Israels, ist zugleich der Vater aller Gläubigen (Röm. 4,11). Der Segen, den die aus den Nationen Gewonnenen in der Folgezeit empfangen sollen, ist durchaus Segen Abrahams (Gal. 3,14). Auch die Gemeinde der Gegenwart (Röm. 15,27; Eph. 3,6; 2,11-19; Röm. 11, 24), ja, selbst das Reich Gottes der Zukunft (Luk. 1, 72), bis hinein in das Neue Jerusalem (Off. 21,12 vgl. Hebr. 11,16), ruhen auf abrahamitischem Verheißungsboden. Mit Abraham beginnt also die eigentliche Heilsoffenbarung. Alles Vorangegangene war Einleitung und Vorbereitung.

Abraham war nicht der erste Gläubige. Abel, Henoch und Noah waren vor ihm, Melchisedek zu seiner eigenen Zeit Männer des Glaubens gewesen (Hebr. 11,4-7; 1. Mose 14,18). Darum liegt das Besondere an seinem Glauben nicht in seiner Tatsache, sondern in seiner Art. Der Glaube aller früheren war meist auf sie selbst oder ihre nähere Umgebung beschränkt gewesen, Abrahams Glaube dagegen hatte über ihn hinausgehende Wirkungen. Es war ein Glaube von heilsgeschichtlicher Bedeutung, ein Zukunftsglaube. Abraham ergriff die Verheißung nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine leibliche und geistliche Nachkommenschaft. Dadurch wurde er der Vater aller Gläubigen (Röm. 4,11), der erste Empfänger der in besonderem Sinne auf Christus hinführenden Bundesoffenbarung, der heiligen Wurzel, die den edlen Ölbaum des Gottesreiches trägt (Röm. 11,16—24).

I. Der Ausgangspunkt

Im babylonischen Aufruhr hatte die Menschheit versucht, in gemeinsamer Kraft sich dem Höchsten zu widersetzen. Darum mußte ihrer widergöttlichen, himmelstürmenden Vereinigung eine göttliche, den Himmel erst wahrhaft öffnende Absonderung und Trennung entgegengestellt werden (Apg. 14,16). Dies geschah in der Berufung Abrahams. Sie ist also der heilsgeschichtliche Gegensatz zum Turmbau und zugleich dessen notwendige Folge.

II. Die Grundlage

  1. Gottes Freiheit. Daß Gott aber gerade Abraham erwählte und nicht irgendeinen anderen Gläubigen seiner Zeit – etwa Melchisedek (1. Mose 14,18) – war durchaus eine Handlung seiner freien Herrschaft. Er ist der HErr und Gebieter auf dem Weltenthron und verteilt die Figuren auf dem Schachbrett der Menschheitsgeschichte, wie er will (Röm. 9, 20). So zwingt er zwar die Gläubigen nicht zum Glauben und die Ungläubigen nicht zum Unglauben, sondern läßt jedem seine Freiheit und Selbstbestimmung (vgl. Matth. 23,37; Off. 22,17). Aber aus der Zahl der Bösen erwählt er sich einzelne Böse (z. B. den Pharao von Ägypten: Röm. 9,17), um an ihnen ein besonderes Beispiel seiner Gerichtsmacht zu erweisen; und aus der Zahl der Gläubigen erwählt er sich einzelne Gläubige, um sie zu besonderen Trägern heilsgeschichtlicher Aufgaben zu machen (vgl. 1. Kor. 12,4—11; 30). In diesem Sinne wurde auch Abraham berufen. Er war gleichsam eine Amtsperson, ein Träger der Vorbereitung des Heilsmittlertums.
  2. Gottes Gnade. Hierbei aber gründete sich Israels Erwählung nicht etwa auf besondere, spätere Vorzüge dieses Volkes. Im Gegenteil, der Gott, der zur ersten Verkündigerin der Auferstehung Maria Magdalena, die einst von Dämonen Besessene (Mark. 16,9; Joh. 20,11-18). und zum ersten Zeugen des Neuen Testaments Matthäus den Zöllner bestimmte (Matth. 9,9), der sich stets zu dem Niederen und Geringen herabläßt (1. Petr. 5,5; Luk. 1,52), hat das Volk Israel, was seinen Charakter betrifft, durchaus als einen Dornbusch gekennzeichnet (2. Mose 3,2; 3; Micha 7,4) und, was seine Zahl betrifft, schon im Alten Testament gesagt: „Nicht weil euer mehr wären als aller Völker, hat Jahwe sich euch zugeneigt und euch erwählt; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern“ (5. Mose 7,7). Die Erwählung Israels gehört also mit zur Knechtsgestalt der göttlichen Offenbarung. Nirgends im Alten Testament handelt es sich um Anerkennung und Rassenverherrlichung des unwiedergeborenen Juden. Im Gegenteil, gerade das Alte Testament ist voll von glühenden Gerichtsworten des heilig zürnenden Gottes über das abtrünnige Israel.

Auserwähltes Volk (1. Chron. 16,13; 2. Mose 19,5; Am. 3,2; Ps. 147,19) heißt, im Sinne des Alten Testaments, nicht auserlesen gutes Volk (vgl. Jes. 1,4; Röm. 2,24), auch nicht, zu ausbeuterischer Weltknechtung politisch zuvorbestimmtes Herrschervolk, sondern einfach zum heilsgeschichtlichen Dienst abgesondertes Volk. Und gerade hier hat der Jude in der furchtbarsten Weise versagt (1. Thess. 2,15). Nicht Judenverherrlichung ist bei dem Ganzen das Ziel (Hes. 36,22; 23; 32), sondern Selbstverherrlichung der Gnade und Heiligkeit Gottes als des Gottes der Juden und Nichtjuden (Ps. 115,1; Jes. 44,23; Röm. 3,29).

  1. Gottes Ehre. Gerade dies ist offenbar immer wieder die Meinung der Heiligen Schrift, daß der Jude an geistlicher Empfänglichkeit gar oft vom Nichtjuden übertroffen worden ist:
    an Glauben durch den Hauptmann von Kapernaum, einen Römer (Matth. 8,10), an Liebe durch den barmherzigen Samariter (Luk. 10,25—37), an opferbereitem Streben nach wahrer Weisheit durch die Königin von Reicharabien (Matth. 12,42), an Bußfertigkeit durch die Leute von Ninive, also Assyrer (Matth. 12,41).
    „Viele Witwen“, sagt Christus, „waren in Israel zu Elias Zeiten, und zu deren keiner ward Elias gesandt denn allein gen Sarepta der Sidonier zu einer Witwe; und viele Aussätzige waren in Israel zu des Propheten Elisa Zeiten, und deren keiner ward gereinigt, denn allein Naeman der Syrer“ (Luk. 4, 25). „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida! Wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, wie bei euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten in Sack und Asche Buße getan… Und du, Kapernaum, . . . so zu Sodom die Taten geschehen wären, die bei dir geschehen sind, sie stünde noch heutigentags“ (Matth. 11,21). Und in Jesaja sagt Gott vom Volk Israel als seinem „Knecht“: „Wer ist blind, wenn nicht mein Knecht, und taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist so blind wie mein Vertrauter, und so blind wie der Knecht des HErrn?“ (Jes. 42, 19). Fragen wir aber nach dem Grund, warum Gott trotz alledem gerade diese Wahl traf, so lautet die Antwort, daß sich vor ihm kein Fleisch rühmen soll, sondern „wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1. Kor. 1,27-31). Je trauriger das Material, desto größer – bei gleicher Kunstleistung – die Ehre des Meisters.

So hat Gott von all den Sonnen und Sternen des Weltraums die winzige Erde erwählt und auf dieser das kleine Land Kanaan und in ihm das Volk Israel, das „geringste“ aller Völker (5. Mose 7,7), in Israel aber die Stadt Bethlehem, die zu gering war, um unter die Tausende von Juda gerechnet zu werden (Micha 5,1), in Bethlehem selbst aber – die Krippe. Und von der Krippe ging es dann weiter bis an das Kreuz! So erwählt sich Gott stets das Geringe: zum ersten Zeugen des Neuen Testaments Matthäus den Zöllner, zur ersten Verkündigerin der Auferstehung Maria Magdalena, die einst Besessene (Joh. 20,11-18), zum hervorragendsten Apostel – Paulus, den „ersten“ aller Sünder (1. Tim. 1,15). Gerade die Erwählung des Geringen ist die Methode der göttlichen Ehre.

  1. Gottes Weisheit. Dazu kommt noch ein Grund, der in der Erziehungsweisheit Gottes in bezug auf das ganze Menschengeschlecht liegt. An Israels Geschichte, als einem „widerspenstigen“ Geschlecht (Apg. 7,51), sollte allen Völkern der Welt die Furchtbarkeit der Sünde, aber auch die Herrlichkeit der Erlösung gezeigt werden, der Ernst der zerbrechenden Gerichte, aber auch die Tiefe der vergebenden Gnade (Ps. 102,14-16). Dadurch aber wird Israels Geschichte zum Anschauungsunterricht, damit die Nationen der Erde erkennen sollen, was Gericht und was Gnade ist (Jes. 52,10).
  2. Gottes Gerechtigkeit. Bei dem allem aber blieb Gottes Handeln gerecht. Israel wurde in keiner Weise vorgezogen. Denn seinen höheren Vorrechten (Röm. 9,4) entsprach eine größere Verantwortlichkeit. Rechte und Pflichten hielten sich die Waage. Stellung verpflichtet (vgl. Luk. 12,48; 1. Petr. 1,17). Bei keinem Volk aber sind die Sünden so heimgesucht worden wie bei den Juden (vgl. 5. Mose 28, 64). Bei Israel ist eben alles gesteigert: die Vorrechtstellung und das Gericht, der Segen und der Fluch. Und zwar ist gerade seine Erwählung der Grund zu ganz besonderer Strenge: „Euch allein habe ich aus allen Geschlechtern der Erde erwählt. Darum will ich euch für alle eure Verschuldungen büßen lassen“ (Amos 3,2)!

III. Die Durchführung

Nach außen hin aber bedeutete die neue Offenbarungsbeschränkung nicht, daß Gott etwa jeglichen Zusammenhang mit der beiseitegesetzten Völkerwelt abschnitt. Im Gegenteil, auch den Nationen blieb noch eine fünffache göttliche Selbstbezeugung:

  1. Die Zeichensprache der Natur. Denn an den Werken der Schöpfung wird seit Anbeginn der Welt Gottes „ewige Macht und Göttlichkeit“ mit dem geistigen Auge wahrgenommen (Röm. 1,19).
  2. Die Gewissenssprache der Seele. Denn auch die Heiden, „die kein Gesetz haben“, sind sich selbst ein Gesetz, „indem ihr Gewissen mitzeugt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen“ (Röm. 2,14).
  3. Die Geistessprache edler Weisheit. Denn auch in der Heidenwelt findet sich so viel Edles und Tiefes, daß es geradezu auf eine Art Erkenntniswirken der göttlichen Weisheit im menschlichen Geist zurückgeführt werden kann; so bei Sokrates, Plato, Laotse, Zarathustra und überhaupt bei so vielen Dichtern und Denkern der Nationen. Mit Recht sprachen darum schon die Kirchenväter von den „Samenkörnern des Wortes“ in der heidnischen Welt. Und dazu kommen noch, neben den sittlichen Schöpfungsanlagen des Menschen, gewisse allgemein moralische Resterinnerungen der Völker aus der Uroffenbarung.
  4. Die gebietende Sprache der Obrigkeit. Die menschliche Regierungsgewalt ist „Gottes Dienerin“ (Röm. 13,4), von Gott Selbst eingesetzte Geschichtsordnung seit dem Bunde mit Noah (1. Mose 9,6). Ohne obrigkeitliche Gewalt würde die menschliche Gesellschaft bald vom Bösen überflutet werden und in absolute Teufelei und religiösgeistig-sittliche Barbarei versinken. In der Obrigkeit aber hält Gott seine bewahrende Hand ausgestreckt. Er steht hinter der Obrigkeit und wirkt durch sie. Die Herrscher der Erde sind seine Werkzeuge. Darum bezeugt im Worte Gottes die ewige „Weisheit“ sogar selber von sich: „Durch mich üben die Könige ihr Herrscheramt aus und erlassen die Regenten gerechte Verordnungen. Durch mich herrschen die Herrscher und die Fürsten auf Erden” (Spr. 8,14-16).
  5. Die Tatensprache der Weltgeschichte. Auch nach der Erwählung Abrahams und Israels blieb die Geschichtsführung der Völkerwelt durch Gott unverändert bestehen. Er lenkt die Herzen der Könige wie Wasserbäche (Spr. 21,1). Er erweckt Hadad von Edom (1. Kön. 11,14) und Reson von Damaskus (1. Kön. 11,23), Tiglatpileser von Assur (1. Chron. 5,26) und Kores den Perser (Esra 1,1), ja nennt letzteren – den großen Indogermanen – schon im Alten Testament geradezu seinen „Gesalbten“, vor dem er „einherzieht“, um Nationen vor ihm niederzuwerfen, um Israels seines Knechtes willen (Jes. 45,1-7; Jer. 51,11). Und zu Babel spricht er: „Du bist mein Hammer, meine Kriegswaffe; durch dich zerschmettere ich die Heiden und zerstöre die Königreiche” (Jer. 51,20). Und schließlich über die äußere Geschichtsführung Israels sagt er: „Seid ihr, Kinder Israel, mir nicht gleich wie die Mohren? Habe ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt und die Philister aus Kaphthor und die Syrer aus Kir?” (Amos 9,7.) Die Beiseitesetzung der Völkerwelt war also keineswegs eine Entgöttlichung der Geschichte. Auch als der Gott Abrahams und Israels blieb Gott durchaus der Gott der Nationen (Röm. 3,29).

Die Weltgeschichte ist das Baugerüst der Heilsgeschichte. Nicht nur die Offenbarung hat eine Geschichte, sondern die Geschichte ist eine Offenbarung. Sie ist nicht nur Werk, sondern anregendes Wort Gottes. Sie ist Macht-, Gnaden- und Gerichtsbereich des völkerregierenden Weltenherrn.

IV. Das Ziel

In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde (1. Mose 12,3). Hier wird gleich am Anfang der Endzweck genannt. Die mit Abraham beginnende Offenbarungsbegrenzung war nur die göttliche Methode der Unbegrenztheit des Heils. Gott wandte sein Heil von der Völkerwelt ab, um es ihr desto gewisser verklären zu können. Dies ist der Sinn und die Seele des Alten Testaments! Darum ist es geradezu voll von Heilsweissagungen auch für die Gesamtmenschheit, besonders bei Jesaja. Von allen Büchern der vor-christlichen Welt ist das Alte Testament das völkerumspannendste. Es hat, als das einzige Schrifttum des alten Orients, den Gedanken der Einheit des Menschengeschlechts und die Hoffnung auf eine einheitliche Bewegung der Menschheit zu einem gemeinsamen Ziel.

 

2. Kapitel: Die überragende Herrlichkeit des Abrahamsbundes

Abraham wurde Freund Gottes genannt (Jes. 41,8; Jak. 2,23).

Abraham ist der Vater aller Gläubigen (Römer 4,11). Als solcher ist er nicht nur der Anfang, sondern auch das Urbild aller Glaubenserfahrung. Heilsgeschichtlich sind es vor allem vier Hauptgrundsätze, die mit ihm neu deutlich in die Offenbarungsgeschichte eingeführt werden:

die Bedingungslosigkeit des Heils – in Rechtfertigung und Verherrlichung,
der Urgrund des Heils – die Auferweckungskraft Gottes,
der Mittler des Heils – der kommende Same,
das Endziel des Heils – die himmlische Stadt.

I. Die Bedingungslosigkeit des Heils

Nicht eigentlich der Auszug aus Ur in Chaldäa (1. Mose 12) war der bedeutsamste Tag in Abrahams Leben, sondern, fast zehn Jahre später, jene Offenbarung in der Sternennacht, in der Gott mit dem Patriarchen den Glaubensbund schloß (1. Mose 15,5; 18). Damals war es, als Abraham das göttliche Rechtfertigungsurteil empfing, und wo überhaupt in der Heilsgeschichte zum allerersten Male deutlich von der Rechtfertigung eines Sünders die Rede ist (1. Mose 15,6; Röm. 4, 2—5).

  1. Die Rechtfertigung. Hier ist aber gerade der Zeitpunkt das Entscheidende. Denn: „Wann ist der Glaube dem Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet worden? Vor oder nach seiner Beschneidung?“ (Römer 4,10.)

Die Antwort lautet: Zum mindesten 13 Jahre vor der Beschneidung. Denn der Beschneidungsbund wurde erst eingesetzt, als Abraham schon 99 Jahre alt war (1. Mose 17,1-14); der Glaubensbund aber und die Rechtfertigung fanden schon vor Ismaels Geburt, also vor seinem 86. Lebensjahre, statt (1. Mose 16, bes. V. 16 vgl. Kap. 17,1). Demnach war Abraham schon 13 Jahre lang gerechtfertigt, ehe er beschnitten wurde.

Auf dieser Reihenfolge baut Paulus im Römerbrief seinen ganzen, berühmten Schriftbeweis von der Rechtfertigung allein durch den Glauben auf (Römer 4). Für Abraham selbst hätte es, menschlich gesprochen, ja bedeutungslos sein können, ob er die Beschneidung vor oder nach seiner Rechtfertigung empfing Gott aber beabsichtigte gerade mit dieser Aufeinanderfolge einen prophetischen Zweck. Denn Abraham sollte gerade durch sie der Vater auch aller derer werden, die ohne Beschneidung, allein durch den Glauben, gerechtfertigt werden würden. Das aber war nur möglich, wenn er auch selbst schon als Unbeschnittener die Rechtfertigung empfing. Darum ist die Reihenfolge der beiden Bundesschließungen in seinem Leben nicht gleichgültig, sondern heilsgeschichtliche Prophetie. Gerade durch sie wurde offenbar, daß die Beschneidung nicht Voraussetzung, sondern nur Siegel für die Glaubensgerechtigkeit sein könne (Röm. 4,11). Ein Siegel aber setzt man nur unter ein fertiges Dokument. Also muß die Rechtfertigung Abrahams schon vorher etwas Abgeschlossenes gewesen sein.

Daraus aber folgt, daß, um die Rechtfertigung zu erlangen, nun auch später die unbeschnittenen Heiden nicht etwa erst beschnitten zu werden brauchen, sondern daß umgekehrt gerade die Beschnittenen den Glauben des noch unbeschnittenen Abram haben müssen! Um in den Tempel des Heils zu gelangen, müssen die Heiden nicht etwa erst durch den Vorraum der Juden hindurch – d. h. durch das Gesetz -, sondern die Juden müssen durch das Vorzimmer des Glaubens hindurch, den Abram sozusagen schon als „Heide“ gehabt hatte!

Damit ist die Bedingungslosigkeit des Heils und der Gnadencharakter der Erlösung als eines freien Geschenkes an den reinen Glauben klargestellt und der Beweis erbracht, daß das Evangelium des Gemeindezeitalters im Abrahamsbund vorausgeschattet ist, daß also der Neue Bund die Fortsetzung und Verklärung des Abrahamsbundes ist (Gal. 3, 9; 14; Röm. 4) und folglich, seinem Wesen nach, älter als der mit Mose beginnende Alte Bund.

  1. Die Verherrlichung. Zugleich aber war mit der Rechtfertigung auch die Zusicherung des Erbbesitzes verbunden.  „Ich bin der HErr, der dich aus Ur in Chaldäa hat auswandern lassen, um dir dieses Land zum Besitz zu geben” (1. Mose 15, 7). Mit der Gerechterklärung, diesem Anfang des neuen Lebens, empfing der Patriarch also gleichzeitig das Erbe, das Ziel des neuen Lebens (vgl. Hebr. 11,8-10).
  2. Das Bundeszeichen. So ist es von höchster Bedeutung für das Verständnis der Heilsgeschichte, in Abrahams Leben zwei Bundesschließungen zu unterscheiden: den grundlegenden Glaubensbund von 1. Mose 15 und den hinzugefügten Beschneidungsbund von 1. Mose 17. Beide werden als Bund bezeichnet (1. Mose 15,18 — 1. Mose 17,9; 10; 11), und zwischen beiden liegen zum mindesten 13 Jahre. Der erste ist der ewig gültige Gnadenbund, bedingungslos dem „Heiden“ Abram gegeben; der andere ist der vorläufige (Gal. 5,2) Bestätigungsbund (1. Mose 17, 7), als „Siegel” dem „gerechtfertigten” Abraham verordnet. Der erste aber ist der entscheidende; die Gnade ist der Anfang; und insofern ist 1. Mose 15 das grundlegendste Kapitel des ganzen Alten Testaments.

Der Verheißungsbund enthält zwei Zusagen, die beide in sich doppelt sind, mit je einem Bundeszeichen. Die eine ist die Zusage der Nachkommenschaft und gestaltet sich zur Rechtfertigung; ihr Bundeszeichen ist der Sternenhimmel (Vers 1—6). Die andere ist die Zusicherung des Landes und weist hin auf die Verherrlichung; ihr Zeichen ist das Bundesopfer (Vers 7—21). Majestätisch und erhaben ist das eine, geheimnisvoll und düster das andere.

Die Opfer sind geteilt; die Sonne geht unter; tiefer Schlaf fällt auf Abram. Schrecken, dichte Finsternis und Beängstigung erfüllen seine Seele. Raubvögel stürzen sich auf die Opfer herab; doch Abram verscheucht sie. Zuletzt aber fährt der HErr durch die Opferstücke hindurch, und zwar in rauchendem Ofen und feuriger Fackel, und der Bund ist geschlossen. Dies ist die heilsgeschichtlich bedeutsamste Bundesschließung des Alten Testaments (1.Mose 15,9-18).

Aber warum dies so Düstere beim Gnadenbunde, dieses Dunkel und Grauen bei der Verheißung des Lichts, die Raubvögel, der rauchende Ofen, die Feuerfackel?

Die Opfer sind Israel. Was ihnen geschieht, ist ein Vorbild auf die nationalen Geschicke dieses Volkes. Und diese sind düster, voller Schrecken und Finsternis (5. Mose 28,15—68). Darum findet auch die Bundesschließung selber durch einen rauchenden Ofen und eine feurige Fackel statt.

Die Raubvögel sind die Nationen, besonders die Ägypter (Vers 13 bis 16). Aber Abram verscheucht sie; denn um der „heiligen Wurzel” willen wird Israel Bewahrung und Erhaltung zuteil (Röm. 11,16; 24) Ihr könnt uns nicht segnen; denn ein Fluch liegt auf uns. Ihr könnt uns nicht fluchen; denn ein Segen liegt auf uns.”

Das Hindurchschreiten durch die geteilt sich gegenüberliegenden zwei Reihen von Opferstücken aber bedeutet die Ausfüllung der „Lücke“ zwischen den zwei Bundesschließenden, die Verschmelzung ihrer Zweiheit zur Einheit und also den Bundesvollzug selber. Daß aber der HErr allein hindurchschreitet (Vers 17) und nicht etwa auch Abraham hinterher, bedeutet, daß der Bund ein reines Geschenk der göttlichen Gnade ist, daß der Mensch nicht dabei mitwirkend ist, sondern daß Gott allein alles tut (Matth. 16,26; Röm. 3,24; Phil. 2,13).

II. Der Urgrund des Heils

Aber nicht nur das Opfer, sondern auch der Sieg des Opfers gehört zur Vermittlung der Erlösung. „Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel” (1. Kor. 15,17). Darum ist die Auferweckungskraft Gottes mit der entscheidende Urgrund des Heils.

Gerade hier aber zeigt sich von neuem die Geistesverbindung zwischen dem jetzigen Zeitalter und dem Abrahamsbund. Denn beide haben ihren Höhepunkt in dem Glauben, daß Gott aus dem Tode Leben zu schaffen vermag. Eine wesenhafte Unterschiedlichkeit besteht allerdings, indem Abrahams Glaube vorwärts auf etwas noch zu Vollbringendes schaute, während unser Glaube rückwärts auf etwas schon Vollbrachtes blickt, und indem Abrahams Glaube dies Gotteswunder in der Schöpfungsordnung erwartete – in bezug auf einen gewöhnlichen, sterblichen Menschen -, während unser Glaube es als in der Erlösungsordnung geschehen bekennt – in bezug auf den Sohn Gottes selber, unsern auferstandenen Heiland und HErrn.

Zweimal, bei der Geburt und der Opferung Isaaks, tritt dies in Abrahams Leben besonders hervor, und zwar so, daß das Zweite die Steigerung und Verklärung des Ersten ist.

  1. Die Geburt Isaaks. Zielbewusst wurde Abrahams Glaube
auf diese Höhepunkte hin erzogen. Hier liegt der eigentliche Grund,
warum er so lange — bis zu seinem hundertsten (!) Lebensjahre (1. Mose
17,17) — auf seinen Erben warten mußte. Erst mußte das Absterben (Hebr. 11,12) eingetreten sein, bevor
das neue Leben geboren werden konnte. Nur auf dieser Grundlage
konnte Abrahams Glaube Auferstehungsglaube werden. Nur so konnte
er lernen, an den zu glauben, „der die Toten lebendig macht und das
Nichtseiende ruft, als wäre es schon da“(Röm. 4,17). Dahin aber mußte
er gelangen, da er, als der Vater aller Gläubigen, auch das Urbild aller
Gläubigen sein sollte, und da der Heilsglaube aller Zeiten mit der Auferstehung Jesu Christi steht und fällt (1. Kor. 15,17-19).

So liegt in der Lebensführung des Patriarchen geradezu etwas Prophetisches – das Warten auf den Samen war ja die Hauptsache in seinem Leben (Röm. 4,17).

Noch deutlicher tritt dieser Glaube bei der Opferung seines Sohnes hervor (1. Mose 22).

  1. Die Opferung Isaaks. Glaube ist Wachstum in Gott hinein. Darum bedarf er einer fortschreitenden Erziehung. Immer mehr
muß er vom Irdischen gelöst und ans Himmlische gebunden werden. In
diesem Sinne finden sich in Abrahams Leben vier, sich steigernde Proben.
Die höchste war die von Morija.

Zuerst war es der Auszug aus Ur, die Trennung von Vaterhaus und Verwandtschaft; das aber heißt, – da die Familie von Abram götzendienerisch war (Jos. 24,2): Trennung von der Welt (1. Mose 12).

Dann kam die Scheidung von Lot, diesem zwar „Gerechten“ (2. Pet. 2,7), aber doch weltlich Gesinnten (1. Mose 19). Das bedeutet: Loslösung von allem Halben und Lauen, also: Trennung von allem Weltförmigen (1. Mose 13).

Das Dritte war die Fortsendung von Ismael, diesem Sohn seiner menschlich-eigenen Kraft, also: Scheidung von Seele und Geist (Hebr. 4,12) und Trennung von allen Plänen frommer Selbsthilfe (1. Mose 21).

Das Letzte war die Opferung von Isaak, diesem ihm von Gott selbst geschenkten Samen der Verheißung. Auch die Segnungen, die der Höchste ihm gab, gibt der Glaube dem Geber zurück; also: Trennung auch von den göttlichen Gaben (1. Mose 22). Der Anbeter nimmt die Krone, die er von dem König empfangen hat, und legt sie ihm wieder zurück vor seinen Thron (Off. 4,10) und spricht: „Dem Lamme die Segnungen“ (vgl. Off. 7,12).

Damit aber wird klar, daß der so viel angefeindete Bericht von der Opferung Isaaks nicht etwa nur irgendein Kapitel im Alten Testament ist, sondern der Höhepunkt im Leben des Patriarchen selbst und – da dieser die Wurzel der Erlösungsoffenbarung ist – der prophetisch-symbolische Höhepunkt in dem Verheißungsfundament des Evangeliums überhaupt.

In der Tat, einzigartig ist der Opferbegriff, der gerade hier gelehrt wird. Weit davon entfernt, auf der Stufe der kanaanitisch-phönizischen, semitischen, indischen, aztekischen oder sonstigen Menschenopfer zu stehen, unterscheidet sich das Opfer von Morija von ihnen allen zum mindesten durch einen dreifachen Gegensatz:

Erstens: Die Seele des Opfers. Nicht die Form, sondern das Herz ist die Hauptsache. Abraham hatte Gott Isaak geopfert (Hebr. 11,17) und doch nicht getötet. Der äußere Vollzug war sogar geradezu von Gott selbst verhindert worden (1. Mose 22,12)! Damit aber war der Grundsatz proklamiert: Nicht die äußere Ausführung macht das Opfer zum Opfer, sondern die Gesinnung des Herzens, nicht die Darbringung der „Gabe“, sondern die „Hingabe“ der Seele. Das aber ist ein ganz verinnerlichter und geistiger Opferbegriff, der hier zum allerersten Male in der Heilsgeschichte hervortritt. Gerade für diesen vergeistigten Opfergedanken haben sich dann später die Propheten des Alten Testaments, im Kampf gegen jüdische Veräußerlichung, immer wieder mit Geistesmacht eingesetzt (Jes. 1,10-15; 66,3; Jer. 6,20; Hos. 6,6; Amos 5,21; 22; Micha 6,6-8; Ps. 40,7-9).

Zweitens: Der Sieg des Opfers. Nicht der Tod, sondern das Leben ist das Endziel des wahren Opfers. Wohl mußte der Befehl, den einzigen Träger der Verheißung zu opfern, dem Patriarchen zunächst widerspruchsvoll erscheinen. Denn wie sollten nun die Verheißungen Gottes erfüllt werden können, die doch an keinen andern als nur eben diesen Isaak geknüpft worden waren? Hier schien eine Spannung zwischen Befehl Gottes und Treue Gottes vorzuliegen, die geradezu unerträglich war. Dennoch aber blieb – da Gott nimmermehr lügen kann – dem sinnenden Glauben auch hier eine Lösung: Entweder Gott wird sich an Stelle des zu opfernden Isaak ein Tieropfer ersehen (1. Mose 22, 7), oder aber er wird, falls er es wirklich bis zur Tötung des Eingeborenen kommen lassen sollte, ihn, den Träger der Verheißung, wieder zum Leben erwecken! (Hebr. 11,19). Er fordert ein Brandopfer; er verlangt unter Umständen, daß der mit dem Messer geschlachtete Isaak durch das Feuer zu Asche verbrannt wird! Aber um seiner Treue und Verheißungen willen muß er dann diesen selben, zu Asche verbrannten Isaak wieder aus dem Tode zum Leben erwecken! Und gerade bis zu diesem letzten Höhepunkt schien es auf Morija kommen zu sollen (1. Mose 22,9)!

Das ist die Glaubenskühnheit Abrahams. So bezeugt es die Schrift. Er urteilte, gerade bei der Opferung seines Sohnes, „daß Gott auch aus den Toten zu erwecken vermöge“ (Hebr. 11,19)! Darum sagte er auch beim Hinaufgang zu seinen Knechten: „Wenn wir angebetet haben, so wollen wir (nicht ich) wieder zu euch kommen“ (1. Mose 22,5).

Der Glaube versöhnt die Gegensätze, und Abrahams Glaube wurde durch diese Prüfung zum Vorbild auf den neutestamentlichen Auferstehungsglauben geadelt. Darin aber ist er von neuem ein Vorbild auf unsern Glauben; denn im Opfer des HErrn gehört die Auferstehung unzertrennbar zum Kreuz.

Drittens: Das Ziel aber von Morija ist Golgatha. Nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft gab diesem Opfer seinen allerhöchsten Wert. Deshalb fand es auch gerade auf Morija statt, wo später der Tempel stand, wo auf dem Brandopferaltar alle auf Christum hinweisenden Opfer dargebracht wurden und wo in der Todesstunde von Golgatha der Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten zerriß (Mark. 15,38). Damit aber wird Isaak zum Vorbild auf Christum und Abraham zum Vorbild auf Gott den Vater, und der Höhepunkt im Heilsfundament des Alten Testaments wird zur symbolischen Prophetie auf den Mittelpunkt aller Testamente und Bundesschließungen Gottes, das Kreuz von Golgatha.

So kündet das Opfer von Morija drei große Heilswahrheiten der biblischen Opferidee:

  1. Die Geistigkeit des Opfers.
    2. Die Auferstehung des Opfers.
    3. Die Erfüllung des Opfers in Christo. Die letzte aber ist die größte von ihnen allen.

III. Der Mittler des Heils

  1. Abraham und Christus. Von• Abrahams langem, 175jährigem Leben (1. Mose 25,7) wissen wir außerordentlich wenig. Fast alles handelt von dem erwarteten Samen. Aber gerade dies ist hochbedeutsam. Zwar war von dem kommenden Erlöser schon vor Abraham die Rede gewesen: vom Schlangenzertreter (1. Mose 3,15), vom Ruhebringer (1. Mose 5,29) und von dem HErrn, dem Gott Sems (1. Mose 9,26). Aber dies alles geschah in sehr verhüllter Form und außerordentlich selten – nach der biblischen Zeitrechnung nur diese dreimal in einem Verlauf von last 2500 Jahren!

Jetzt aber, bei Abraham, wird die Erwartung des Samens zum alles beherrschenden Hauptgedanken (Gal. 3,16) und steht nun zum allerersten Male im Vordergrund des gesamten heilsgeschichtlichen Geschehens. So sehr ist der Same der Mittelpunkt im Leben des Patriarchen, daß sich seine in der Bibel niedergelegte Geschichte fast gar nicht mit seiner Person selbst, sondern fast ausschließlich mit seiner Erwartung des verheißenen Erben beschäftigt! Man denke nur an die erste Verheißung des Samens (1. Mose 12), die Bundesschließung, die Geburt Ismaels, des falschen Samens, den Beschneidungsbund und die Verheißung an den Neunundneunzigjährigen, den Besuch der drei Männer, die Austreibung Ismaels, die Opferung Isaaks und die Brautwerbung Rebekkas (1. Mose Kap. 15 bis 24).

Der Lebenszweck des Patriarchen lag eben nicht in ihm selber, sondern in dem kommenden Heilsvermittler. Abraham ist um Christi willen da.

Christus lebte vor ihm (Joh. 8,58),
Christus lebte in ihm (1. Petr. 1,11 vgl. 1. Mose 20,7),
Christus lebte nach ihm und schwebte ihm vor (Joh. 8,56).

Darum war auch das Schauen des Tages des Messias der Höhepunkt seines Lebens. Nie lesen wir im Alten Testament, daß Abraham frohlockt habe.) Aber im Neuen Testament spricht der HErr Jesus davon. Und was war der Grund dieses jauchzenden Jubelrufs des Patriarchen? Der HErr sagt: „Abraham, euer Vater, jubelte darüber, daß er meinen Tag sehen sollte; und er h a t ihn auch gesehen und sich darüber gefreut” (Joh. 8,56). So ist Abrahams Glaube im Blick auf den kommenden Erlöser zum Frohlocken gelangt; und der gleiche Jubel wird auch allen wahren Abrahamssöhnen zuteil (1. Petr. 1,8).

Für Abraham selbst aber ist der Erlöser ein Vielfaches:

der Urgrund seines Wesens (Joh. 8,58),
der Zweck seines Lebens (Gal. 3,16),
der Inhalt seines Strebens (1. Mose 15,3),
die Kraft seines Dienens (1. Petr. 1,11 vgl. 1. Mose 20,7),
der Kanal seines Segens (Gal. 3,14),
das Ziel seines Hoffens (Joh. 8,56),
der Gegenstand seines Frohlockens (Joh. 8,56).

  1. Der „Engel des Herrn“. Diese Heilsbedeutung des Abrahamsbundes ist auch der Grund, warum gerade jetzt zum allerersten Male in der Erlösungsgeschichte der Engel des HErrn auftritt. Dieser ist kein Geringerer als der Sohn Gottes selbst, das Wort (Joh. 1,1; Off. 19,13; Spr. 8,22—31), das dann später in Christo erschien (Joh. 1,14). Daß er aber gerade jetzt, in der Patriarchenzeit, zum ersten Male unter diesem Namen und in dieser Offenbarungsform auftrat, hat seinen Grund darin, daß eben diese Patriarchenzeit die Grundlage der Heilsoffenbarung ist, der eigentliche Anfang einer bestimmteren Vermittlung seiner eigenen Menschwerdung. Da kann es nichts Passenderes geben, als daß gerade jetzt das Ziel dieser Menschwerdung, der Sohn Gottes selbst, in erstmalig angedeuteter Selbstunterscheidung von Gott, in der Heilsgeschichte auftritt. Dem Vater des „Samens“ (Gal. 3,16) erscheint der Same selbst als Bote (Hebr. 3,1) und Engel des Herrn (1. Mose 22,11); und von nun an durchzieht das ganze Alte Testament eine organische Weiterentwicklung dieser verhüllten Selbstoffenbarung des Sohnes:

vom Engel des HErrn (1. Mose 16,7)
bis zum Engel des Angesichts (Jes. 63,9; 2. Mose 33,14; 2. Mose 23,20),
bis zum Engel des Bundes (Mal. 3,1),
ja, bis zum HErrn selbst, der da plötzlich zu seinem Tempel kommt (Mal. 3,1).

IV. Das Ziel des Heils

In Christo gelangt endlich der Glaube an sein Ziel, den Himmel und die himmlische Stadt. So auch Abraham. Er lebte als Fremdling in dem verheißenen Lande und „wohnte in Zelten samt Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung; denn er wartete auf die Stadt, die die festen Grundmauern hat, deren Baumeister Gott ist“ (Hebr. 11,9).

„Jerusalem droben, von Golde erbaut“ (Off. 21,21) ist fortan das Ziel aller Sehnsucht des Glaubens. Das himmlische Zion ist unser aller „Mutter“ (Gal. 4,26; Hebr. 12,22), die zukünftige und bleibende Wohnstadt aller Zeltbewohner des Glaubens (Hebr. 13,14).

Hienieden ein Fremdling — dort oben ein Bürger;
hier unten ein Zelt (1. Mose 12,8; 13,18) — dort oben die Stadt;
hier unten  der Altar  (1, Mose 12,8; 21,33) — dort oben das Angesicht Gottes, das Essen und Trinken in seinem Reiche (Matth. 8,11).  –  Das ist die himmlische Berufung des Abrahamsbundes.

V. Der Zeitabschnitt der Patriarchen

In wunderbarer Weise hat sich der Abrahamsbund entfaltet, zunächst im Leben des Patriarchen selbst, dann aber auch in seinen leiblichen und geistlichen Nachkommen.

  1. Die Entwicklungsstufen im Leben Abrahams. Im Glaubensleben Abrahams sind deutlich fünf Stufen zu unterscheiden, deren Anfänge stets durch göttliche Offenbarungen von epochemachender Bedeutung gekennzeichnet sind.

Das erste Stadium beginnt mit dem Auszug aus Ur in Chaldäa und der Einwanderung in das Land der Verheißung. Es steht in besonderem Maße unter dem Gesichtspunkt der Berufung.

Das zweite beginnt mit dem Glaubensbund und der Gerechterklärung und der Besiegelung des Glaubens durch das Bundesopfer. Es steht unter dem besonderen Zeichen der Rechtfertigung.

Dann kommt, nach 13jährigem Warten – als der göttlichen Antwort auf Abrahams Übereilung mit Hagar und Ismaeldas dritte Stadium.  Dieses beginnt mit der Namensumnennung aus Abram (Hoher Vater) in Abraham (Vater der Menge), sowie mit der Einsetzung des Beschneidungsbundes und der Weihe des Patriarchen zu Hingabe und Heiligung. – (Die Beschneidung ist zwar kein Mittel zur Rechtfertigung (Röm. 4,9-12) oder Heiligung (Gal. 5,2-12), wohl aber ein Sinnbild der Heiligung, und zwar insonderheit des Grundsatzes der Dahingabe des eigenen, sündlichen Wesens in den Tod, des „Abgeschnittenwerdens“ des gottfernen Lebens und all seiner Triebe. Darum ist die „nicht mit Händen geschehene Beschneidung” das „Ausziehen des Leibes des Fleisches”, d. h. das Mitgekreuzigtsein mit Christo (Kol. 2,11, vgl. Röm. 6,2-4).

Hieran schließt sich das vierte Stadium an, die Hauptprüfung und Bewährung in der Dahingabe seines Sohnes auf Morija, und zuletzt konnte so, nach dieser höchsten Erprobung seines Glaubens,

das fünfte Stadium eintreten: die Ruhe und Feier, der Lebensabend und die Vollendung (1. Mose 23 bis 25,10).

  1. Die Bundesübertragungen. Der Bund Gottes mit Abraham blieb die Grundlage auch für die folgenden zwei Patriarchen. Denn wenn bei Isaak und Jakob wiederum von einem Bunde geredet wird, so ist dies nicht etwa ein anderer, neuer Bund, sondern einfach die Bestätigung, Aufrechterhaltung und Übertragung desselben abrahamitischen Bundes auf neue Träger (1. Mose 26,3; 28,13; 35,12). Darum sagt Gott auch zu Isaak: „Ich werde den Eid aufrechterhalten, den ich deinem Vater Abraham geschworen habe“ (1. Mose 26,3), und dem Jakob offenbart er sich in Bethel durchaus als der Gott Abrahams und der Gott Isaaks (1. Mose 28,13).

Solche Bundesübertragungen waren nötig, weil Isaak ja noch den Ismael und die Kinder der Ketura (1. Mose 25,1-4) zu Geschwistern hatte, wie auch Jakob noch den Esau zum Bruder hatte. Darum mußte immer erst noch durch besondere göttliche Zusage festgestellt werden, wer von diesen allen der Träger des abrahamitischen Bundes werden sollte. Von Jakob ab war dies jedoch nicht mehr nötig, weil von seinen Kindern niemand mehr vom Segen ausgeschlossen war. Darum hören von dann an auch die Bundesübertragungen folgerichtig auf.

Im ganzen hat Abraham drei Arten von Nachkommen:

  1. rein leibliche: Ismael, die Kinder der Ketura (bes. Midian, 1. Mose 25,1-4) und Esau (Edom);
  2. leibliche und geistliche: Isaak, Jakob und Israel und
  3. rein geistliche: Die Gläubigen aus allen Nationen (Röm. 4,11; 12; Gal. 3,14).

So erfüllt sich dreifach die ihm gegebene Verheißung, daß seine Nachkommen sein sollen wie „die Sterne des Himmels“ (1. Mose 15,5; Hebr. 11,12), und Abraham wurde beides:
– sowohl Stammvater einer Menge von Völkern (1. Mose 17,5), dies geschah durch seine leibliche und leiblich-geistliche Nachkommenschaft,
– als auch Segenskanal für alle Geschlechter der Erde (1. Mose 12,3) – dies erfüllt sich in Christo und dem geistlichen Segen der Erlösung (Gal. 3,14).

  1. Die Bundesträger. Abraham, Isaak, Jakob und Joseph sind die führenden Persönlichkeiten im Zeitabschnitt der patriarchalischen Glaubensverheißung. Ihnen allen ist gemeinsam der Glaube und  der Verheißungsbund. Dennoch erstrahlt dies Gemeinsame bei einem jeden von ihnen in verschiedenem Glanze.

Abraham ist der suchende und findende Glaube. Er sucht erst das Land, dann den Erben und schließlich die himmlische Stadt (1. Mose 12,1; 15,3; Hebr. 11,10).

Isaak ist der duldende und ruhende Glaube. Er duldet auf Morija (1. Mose 22), verzichtet auf seine Brunnen, um Streit mit seinen Feinden zu vermeiden (1. Mose 26,15—17) und macht keine so großen Reisen wie Abraham, Jakob und Joseph.

Jakob ist der dienende und fruchtbringende Glaube. Obwohl menschlich viel „unsympathischer” als sein Bruder Esau, wird er doch, um seines Verheißungsglaubens willen, seinem ungläubigen Bruder vorangestellt und gelangt nach jahrelangem Dienen zu großer Vermehrung und Fruchtbarkeit (1. Mose 29 u. 30).

Joseph schließlich ist der leidende und triumphierende Glaube – in seiner Erniedrigung wie auch in seiner Erhöhung ein prophetisches Vorbild auf Christum.

Alle vier zusammen aber zeigen, gerade in dieser Reihenfolge, das Gesetz des Wachstums des Glaubens. Der Glaube beginnt mit dem Suchen und Finden. Er soll zum Triumphieren verklärt werden. Aber dazwischen liegt das Dulden und Dienen und, im Dienen, das Fruchtbringen.

So ist die Aufeinanderfolge der vier Patriarchen von tiefster Bedeutung. Wir müssen mit Abraham beginnen, um dann, durch Isaaks und Jakobs Erfahrung hindurch, zum Leiden und Siegen des Joseph zu gelangen. Damit aber wird die Geschichte der Glaubenspatriarchen zur Geschichte aller Glaubenserfahrung überhaupt, und so wie jene mit Joseph als dem Vorbild auf Christus zum Abschluß gelangte, so hat diese in Christo, dem Lebendigen, selber ihr Ziel.

Zu Christus die Heilsgeschichte unmittelbar hinzuführen, ist die Aufgabe des nun folgenden Zeitabschnitts des Gesetzes.

 

B. Das Geheimnis des Volkes Israel

3. Kapitel: Israels Berufung und Dienstauftrag

In Abraham – das gnädige, schöpferische Walten des Gottes, der das Nichtseiende ruft, als sei es schon da (Röm. 4,17),
in Isaak – Leben aus den Toten (Hebr. 11,19).
in Jakob – unverdiente Gnade und herrlicher Ausgang; der Mann Gottes erscheint, der aus dem Ränkeschmied (Jakob) den Gotteshelden (Israel)  macht,  –  das ist Israels Entstehen.

Auf Israels Berufung ist alles bei diesem Volk eingestellt:

I. Israels Aufgabe

Israels Aufgabe war eine doppelte. Es sollte der Empfänger der Gottesoffenbarung und das Absteigequartier für den Welterlöser werden und dadurch die Geburtsstätte für die christliche Gemeinde (Joh. 4,22 vgl. Röm. 11,16-24). Es sollte aber auch die Wege bahnen in die Völkerwelt und als Zeuge und Missionar Gottes an die Nationen der Kanal für die Heilsoffenbarung sein zum Zweck der Vorbereitung des Weltevangeliums.

Beide Aufgaben widersprechen einander auf den ersten Blick und setzen scheinbar Unvereinbares voraus; und doch sind sie beide in Israel durchaus vereinigt. Um die Heimat des Messias und die Geburtsstätte des Christentums zu werden, mußte Israel ein in sich abgeschlossenes Volk sein, abgesondert von allen Heiden, als das Volk der Offenbarung, das allein den lebendigen Gott kennt, weil er ihm seinen Willen im Gesetz kundgetan hat.
Andererseits mußte es unter den Heiden verbreitet sein, mitten unter ihnen wohnend, um dem Christentum die Wege zu bahnen.

Erst diese Erkenntnis des zwei-einheitlichen Gegensatzes von Absonderung und Weltweite ist der Schlüssel zum Verständnis der Geschichte Israels. Ohne sie bleibt alles unklar.

Am schärfsten zeigt sich diese Spannung auf dem Höhepunkt seiner Berufung: in der Erlöserverheißung.

II. Israels Messiaserwartung

Hier ist absolute Ausdehnung, Durchbrechung aller Begrenztheit: der Messias ist Heiland der Welt (Mal. 1,11; Joh. 4,42). Die Menschheit ist eine Familie mit nur einem Ursprung und einem Ziel. Alle Völker der Erde sind, mit Israel, Teilhaber der Erlösung. Und wie Israel, offenbarungsgeschichtlich, Gottes erstgeborener Sohn ist (2. Mose 4,22), so werden auch sie dereinst alle Söhne Gottes werden (Jes. 25,6). Mit diesen Gedanken umspannt die israelitische Prophetie den weltweitesten Rahmen, den überhaupt das Altertum kennt.

Und doch! Gerade hier zeigt sich die absoluteste Konzentration. Denn dieser Erlöser der Welt ist ein Mann (1. Tim. 2,5), ein Nachkomme Davids, ein Heiland! (Apg. 4,12.) Und das Gewaltigste ist, daß die Weltgeschichte ihr Ja zu dieser Erwartung gesprochen hat!

Jesus von Nazareth, der Eine, der Sohn Gottes, wird von Millionen von Menschen als HErr und Erlöser gepriesen, und sein Geistesgut wird gerade von führenden Völkern der Menschheitskultur als das sie führende Ideal für Charakter und Sittlichkeit anerkannt! Warum aber findet sich diese Erwartung nicht auch bei den Römern oder Griechen, sondern nur in der Offenbarung an das „geringste“ der Völker? (5. Mose 7,7.) War sie Vielleicht etwa reines Erzeugnis politischen Hochgefühls oder gar krankhaft gesteigerter Nationalismus? Warum aber ist er dann gerade als Erfüllung dieser Weissagung auch tatsächlich erschienen und wirklich, als der Heiland der Welt, das „Panier der Völker“ geworden?! (Jes. 11,10; Röm. 15,12.) Etwa aus Zufall? Nein, hier gibt es nur eine vernunftgemäße Antwort:
Die Bibel ist Wahrheit! Die Weltgeschichte ist ihr Zeuge! Die Erfüllung ist der Beweis der Prophetie!

Diesem doppelt gespannten Zielpunkt von höchster Zusammenfassung und weltweitester Ausdehnung entgegenzugehen, war der Sinn aller israelitischen Geschichte. Darum ist alles bei diesem Volke darauf angelegt, diesen zwei zusammengehörigen und doch entgegengesetzten Forderungen gerecht zu werden.

III. Israels Anlage

Kein Volk ist so auf Besonderheit und doch zugleich Weltweite angelegt wie der Jude. Keines ist so national und doch zugleich so universalistisch wie er. Keines bewahrt so zähe seine Eigenart und bleibt loch mitten unter anderen Völkern so in sich zusammenhängend; und dennoch versteht keines es wiederum auch so, sich überall anzuschmiegen und den Verhältnissen anzupassen wie der Jude. Der Jude bürgert sich an allen Orten ein, weiß überall Raum für sich zu gewinnen und bleibt doch überall – Jude.

Dieser zwei-einheitlichen Spannung von Weltabsonderung und Weltverbundenheit entsprach auch das Land Palästina.

IV. Israels Land

Palästina ist ein abgeschlossenes Land, inselartig gelegen, einem Garten gleich, eingezäunt durch Gebirge, Wüsten und Wasser (Jes. 5,1). Hafenlos ist seine Küste; kein Fluß führt ins Innere, und wie eine trennende Mauer ist das sonst so völkerverbindende Meer. Feindliche Nachbarn umgeben es, sperren es ab nach allen Seiten, und fern sind die Mittelpunkte der Völkerkultur.

Und dennoch ist es der Mittelpunkt der Erde (Hes. 38,12), die Brücke zwischen den Herrenvölkern der altorientalischen Welt, da gelegen, wo sich drei Erdteile am nächsten berühren, wo die zwei Staatengruppen der alten Geschichte, die des Morgenlandes und des Abend-Landes, sich am meisten nahe kommen. Von hier aus gehen die Wege nach allen Seiten, und leicht sind die Hauptländer der Nationen zu erreichen. Kein Wunder darum, daß die Babylonier-Assyrer und die Ägypter immer wieder um den Besitz dieser Brücke gerungen haben.

Kein Wunder darum auch vor allem, daß gerade diese Lage die günstigste war, als es sich darum handelte, das Evangelium in alle Welt hinauszutragen. „Das ist Jerusalem. Mitten unter die Völker habe ich es gestellt und Länder rings um es her“ (Hes. 5,5). So aber entspricht das Land ganz und gar der Berufung seiner Bewohner. Die Spannung zwischen Absonderung und Weltweite zeigt sich bei ihm als geographische Abgeschlossenheit und zentrale Lage. 

4. Kapitel: Israels Abfall und Krisenweg

Israel ist Gottes Bundesvolk (Amos 3,2), abgesondert zum Zweck der Verbreitung der Heilsbotschaft in der Völkerwelt. Diesem großen, zwei-einheitlichen Ziel seiner Berufung entsprechen auch die Führungen Gottes in seiner Geschichte.

I. Israels Erziehung

  1. Göttliche Erziehung zur Absonderung (1900—586) „Gehe aus deinem Vaterlande und deiner Freundschaft“ – mit diesem Befehl Gottes an Abram beginnt die israelitische Geschichte. Sie beginnt also mit Aussonderung, und jahrhundertelang gehen alle Wege Gottes mit Israel dahin, es auszusondern, es abzuschließen, seinen Volkscharakter zu befestigen.

Der „Zaun“ des Gesetzes (Eph. 2,14), das palästinensische Judentum, das hebräische Alte Testament und der Tempel in Jerusalem – das sind die vier Hauptzeugen dieser Erziehung des Volkes.”

Dann aber, nach anderthalb Jahrtausenden, wendet es sich; und von nun an zielt alles darauf ab, Israel unter die Völker zu zerstreuen. Den Wendepunkt bildet die babylonische Gefangenschaft (606-536).

  1. Göttliche Erziehung zur Weltweite. Von der babylonischen Gefangenschaft an tritt
    – neben das palästinensische Judentum das Judentum der Zerstreuung, die Diaspora (Apg. 2,5-11);
    – neben den Tempel die Synagoge, mehr der Lehre als dem Opferdienst gewidmet, aber in allen Städten und Ländern neue Mittelpunkte jüdischen Lebens schaffend;
    – neben das hebräische Alte Testament die griechische Übersetzung, die Septuaginta, dazu bestimmt, nicht nur den Juden der Zerstreuung, sondern auch den Heiden Gesetz und Propheten und die Töne davidischer Psalmen zu bringen.

Das palästinensische Judentum mit dem Tempel und dem hebräischen Alten Testament war eine im höchsten Maße zentralisierende Macht; dort hatten auch all die unzähligen, in der Heidenwelt lebenden Judengemeinden ihren Schwerpunkt. Die Diaspora dagegen mit der Synagoge und der Septuaginta war eine sich ausdehnende Macht; durch sie wurde Israel ein Bote Gottes und Missionar in der Heidenwelt.

Und doch! Was geschah? In allem ist Israel dem Plan Gottes entgegen.

II. Israels Versagen

  1. Von der Gesetzgebung bis zur babylonischen
 Gefangenschaft (1500-586) war Israels Hauptsünde der Götzendienst (2. Mose 32; Richt. 2,17; 2. Kön. 16,3). Das aber heißt: Gerade in der Periode, in der alles göttliche Erziehen auf Absonderung und Trennung von den Weltvölkern
hinausging, betrieb Israel abgöttische Gemeinschaft mit ihnen. Der göttlichen
Abgeschlossenheit setzte es fleischliche Aufgeschlossenheit, der heiligen Liebe die abtrünnige „Hurerei“ entgegen (Hos. 1-3; Jes. 1,21). Darum
lautet Gottes Urteil, nach jahrhundertelanger Geduld, über das sündige
 Jerusalem: „Zu meinem Grimm ist mir diese Stadt gewesen, so 
daß ich sie von meinem Angesicht hinwegtun will“ (Jer. 32,31).

Nebukadnezar kam. Jerusalem wurde zerstört und das Reich Juda in die Gefangenschaft weggeführt (586). Doch dann geschah das jüdische Wunder. In Babel wird Israel von Babel geheilt. Gerade Babel, „die Mutter aller Hurerei und Abgötterei“ (Off. 17,5), wird die Heilanstalt für das hurerische Volk. Gerade hier wird das jüdische Volk vom babylonischen Götzenwesen befreit, und mit neuen Zielen kehrte der gläubige Überrest Israels aus der Gefangenschaft zurück.  –  Aber dann ging Israel den umgekehrten Irrweg.

  1. Von der babylonischen Gefangenschaft an
 liefen alle Wege Gottes mit Israel darauf hinaus, es für seine weltweite Völkermission vorzubereiten. Aber was tat das Volk jetzt? Es sonderte sich ab, und in hochmütiger Selbstüberhebung verachtete es die Heiden als unreine „Hunde“! Besonders unter der Führung der Pharisäer erreichte diese fleischliche Betonung der Vorrechtstellung ihren Höhepunkt. Jetzt setzte Israel – genau umgekehrt wie vorher – dem göttlichen Universalismus einen selbstgerechten Nationalismus, der Völkermission die Volkszentralisierung entgegen; und wie es vordem, als Gott die Absonderung gewollt hatte, die Verbindung betrieb, so pflegte es nunmehr, als Gott die Verbindung wollte, die Absonderung. So waren sie ein Volk, allezeit halsstarrig und widerstrebend (Apg. 7,51).

Den Höhepunkt seiner Sünde aber erreicht Israel zur Zeit Christi. In dreifacher Steigerung – in der Ablehnung der Botschaft vom Himmelreich (Matth. 23,37), in der Ermordung des Messias auf Golgatha (Apg 7,52) und in der Zurückweisung des Zeugnisses von der Auferstehung Apg. 4,2; 21; Apg. 7,51; 13,46; Apg. 28, 25-28) – begeht Israel die Sünde aller Sünden: die Verwerfung des Sohnes Gottes.
Und fortan steht es unter dem göttlichen Gericht.

III. Israels Niedergang

Abwärts ging Israels Weg. In drei großen Stufen vollzog sich sein Niedergang. Zuerst hatte das Volk

  1. Die direkte Gottesherrschaft: Von Mose bis Samuel (1500-1100). Am Sinai zum „Volke“ geboren, hatte die Nachkommenschaft Abrahams Gott selbst zum König. „Ihr sollt mir ein Königtum von Priestern und eine heilige Nation sein“ (2. Mose 19,5). Mose, Josua und die vierzehn Richter bis Samuel einschließlich waren nichts anderes als jeweilig Beauftragte des HErrn zur Durchführung bestimmter Einzelaufgaben. Ein irdisches Königtum gab es nicht. Gideon lehnte es ausdrücklich ab, und der einzige, der es aufrichtete – Abimelech, sein Sohn – tat es im Widerspruch zu Gott und ging elend zugrunde (Richter 9).

Die irdischen Organe des himmlischen Königs waren die Propheten (5. Mose 18,15), die Priester (5. Mose 33, 8-11) und die Helden bzw. Richter. Eine ständige, äußere Zentralregierung hatte man nicht, wohl aber einen Zentralaltar; denn die Einheit des Volkes lag in seiner Abstammung und in seinem Glauben; und die Stiftshütte in Silo war der sichtbare Ausdruck dieser Einheit (Jos. 18,1; 10; 19,51; 1. Sam. 1,3; 4,3).

Aber diese ganze Verfassung konnte nur in einem gottergebenen Volke Frucht bringen. Im andern Fall mußte sie sich gleichsam als „königslose“ Zeit auswirken. Und gerade so war es bei Israel (Richt. 18,1; 19,1; 21,25). Daher schließlich der Wunsch nach einem sichtbaren König (1. Sam. 8).

Damit aber begann die zweite Periode:

  1. Die indirekte Gottesherrschaft: Von Saul bis Zedekia (1100—586). Nur widerstrebend gewährte der HErr die Bitte. Denn vom Gesichtspunkt des Königtums Gottes aus war ein irdisches Königtum ein Rückschritt, ja geradezu eine „Verwerfung” des HErrn (1. Sam. 8,7). Dennoch hielt Gott an seinem Königsrecht fest. Noch Jahrhunderte später wird er von den Propheten und Psalmsängern als der wahre „König” Israels gepriesen. „Der HErr ist unser Richter, der HErr unser Feldherr, der HErr unser König” (Jes. 33,22; Jer. 10,10, Ps. 2,6 u. a.).

Daraus  aber ergab sich die eigenartige Stellung des israelitischen „Königs“. Da der eigentliche König der HErr ist, sind die irdischen Könige nur Vizekönige, weshalb auch die Wahl nicht (demokratische) Volkswahl war, sondern allein in Gottes Hand ruhte (5. Mose 17,15), der sie durch Prophetenmund verkünden ließ (1. Kön. 19,16). Dem Volk selbst stand nur das Recht der „Einsetzung“, das heißt, der öffentlichen Anerkennung zu (1. Sam. 11,15). Der König war darum ganz und gar König „von Gottes Gnaden“. Und da ferner das geistliche Amt in Israel dem himmlischen Könige näherstand als das weltliche, standen die Propheten in Israel, reichsgottesgeschichtlich, über den Königen und waren deren Berater, Gewissen, Auge, Ohr, Wächter und Kontrolle.

Aber auch innerhalb dieser an sich schon viel niederen Gottesherrschaftsperiode ging es mit Israel bergab, und zwar wieder in drei Unterstufen. Zuerst hatten sie

das Einheitsreich. unter den drei Königen Saul, David und Salomo (1050—950); dann, seit der Reichsteilung

das Doppelreich, das gespaltene Israel-Juda (bis zur assyrischen Gefangenschaft, 722), und schließlich nur noch

das Restreich Juda, die südlichen zwei Stämme (722—586). Mit deren letztem Könige Zedekia zerbrach endlich das sichtbare Königtum überhaupt, und von da an hatte Israel nur noch das letzte:

  1. Die außer Kraft gesetzte Gottesherrschaft: Von 586 v. Chr. bis zur Aufrichtung des Messiasreiches. Mit Nebukadnezar begannen die Zeiten der Heiden (Luk. 21,24). Seit der Zerstörung Jerusalems stand Israel unter der Herrschaft der Weltvölker. … Die Römer waren die Herren des Landes. Zuletzt aber wurde Israel sogar außer Landes verwiesen und irrt seitdem, infolge des Strafgerichts Gottes, nach dem Zeugnis des Alten Testaments selber, als verachteter Fremdling unter den Völkern umher. … Mose weissagte: „Du wirst unter jenen Völkern zu keiner Ruhe kommen, und für deine Fußsohle wird es keine Stätte der Rast geben, sondern der HErr wird dir dort ein immer zitterndes Herz und eine geängstigte Seele geben. … (5. Mose 28, 65). Und der HErr selbst spricht: „Wie ein Feind habe ich dich geschlagen mit grausamer Züchtigung wegen der Größe deiner Schuld. .. Wegen der Menge deiner Sünden habe ich dir dies Leid angetan” (Jer. 30,14). So aber wird das jüdische Volk zum abschreckenden Beispiel des Unglücks für alle Reiche der Erde.

Und doch! „Gottes Gnadengaben und Berufung sind unbereubar.“ (Röm. 11.29.) Die „Feinde“ bleiben dennoch „Geliebte“. Die „Wurzel” ist heilig (Röm. 11,16), und um Abrahams willen (Jes. 41,8; 5. Mose 7,8) hält Gott auch im Gericht an seinen Verheißungen fest: „Selbst auch dann, wenn sie in dem Lande ihrer Feinde sind, werde ich sie nicht verwerfen und meinen Bund mit ihnen zu brechen; denn ich bin Jahwe, ihr Gott“ (3. Mose 26,44).

IV. Israels Bewahrung

In drei großen Hauptnotzeiten erlebt Israel Gottes Bewahrung: im ägyptischen, assyrisch-babylonischen und römischen Exil.

  1. Die ägyptische Not (um 1500 v. Chr.) war Schmach Christi (Hebr. 11,26). Was der Pharao tat, war, ohne daß er es wusste, ein Kampf der Schlange gegen den Weibessamen (1. Mose 3,15). Denn mit der Ausrottung der Juden wäre das Kommen des Erlösers unmöglich gemacht worden, da die Verheißung vom Weibessamen und Schlangenzertreter seit Abraham gerade an dies Volk gebunden war (Joh. 4,22; Gal. 3,16). So steht gleich zu Anfang der jüdischen Entwicklung hinter aller Volksgeschichte die Reichsgeschichte. Israel litt in Ägypten um des Messias willen; und der Hebräerbrief bezeugt durch den Ausdruck „Schmach Christi”, daß der Prophet Mose schon damals diesen übergeschichtlichen Hintergrund auch möglicherweise in etwa geahnt hat.

Gott aber führte das Volk mit erhobener Hand aus dem „eisernen Schmelzofen” Ägyptens heraus (5. Mose 4.20).

  1. Die assyrisch-babylonische Not (722 ff. und 606—536) war Schmach der Sünde (2. Kön. 17,7). Die Gefangenschaft kam, weil die Kinder Israel götzendienerisch gehurt (Hos. 1—3; Hes. 16 u. 23), sich mit „Greueln” beladen (Hes. 8,13), das Land „mit Gewalttat erfüllt” (Hes. 8.17) und sich also zu „gar nichts mehr tauglich” gemacht hatten ” Jer. 13,7). Und daß es gerade siebenzig Jahre waren, hing mit der Zahl der in den vorangegangenen Jahrhunderten nicht beachteten Sabbatjahre zusammen (2. Chron. 36,21 vgl. 3. Mose 26,34). Dann aber berief sich Gott gerade in Babel – außer Daniel – den Propheten Hesekiel; und in Kores, dem gewaltigen Kriegshelden, dem Begründer der persischen Weltherrschaft, schenkte er ihnen den lang ersehnten Befreier (Jes. 45,1-7; Esra 1,1-4; 5,13).
  2. Die römische Not war und ist Schmach für die Sünde aller Sünden, die Verwerfung des Messias. Darum ist sie auch die längste (5. Mose 28,49-68). Sie beginnt mit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 und endet erst mit der Aufrichtung des Messiasreiches bei der Wiederkunft Christi. Denn das römische Reich währt, prophetisch, bis an das Ende der Welt (Dan. 2 u. 7). „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Matth. 27, 25.) Dieses von ihnen selbst gesprochene Wort steht wie ein flammendes Wahrzeichen des Gerichts über dieser Jahrtausende langen Geschichte. „Israel muß ja verstummen, wenn man es heute fragt: „Sage mir doch: Wie kann es nur sein, daß der Ewige die Väter nur siebzig Jahre aus ihrem Lande in die Gefangenschaft nach Babel geschickt hat um all der Greuel und Abgötterei willen, womit sie Jahrhunderte hindurch das heilige Land verunreinigt hatten;  – und nun ist Israel schon über 1800 Jahre versprengt unter alle Völker, und Jerusalem, des großen Königs Stadt, ist von den Heiden zertreten bis auf diesen Tag?! Was ist denn die große und schreckliche Blutschuld, die euch immer noch fernhält von den friedlichen Wohnungen im Lande der Väter? – Aber Israel will es ja nicht wissen!” –

Und doch ist gerade seine Messiasverfehlung die Urwurzel seines Unglücks. Der Kreuzeshaß der jüdischen Seele hat sie zum „quälenden Stachel in der Welt” gemacht. Fortan steht das jüdische Volk unter dem „Fluch der Kreuzesflucht”. „Daher die Rastlosigkeit und Friedlosigkeit des ewigen Juden, weil er mit der Gestalt Jesu Christi innerlich niemals fertig geworden ist. Die Flucht vor dem Kreuz hat ihn zum heimatlosen Flüchtling in der Welt gemacht. Die Empörung gegen das Kreuz hat ihn zum Anführer aller Empörung gegen Gott auf Erden werden lassen” (A. Köberle).

Aber auch hier ist gerade der Fortbestand des jüdischen Volkes ein Haupträtsel der Geschichte. Die Gesetze, die das Werden vieler anderer Völker beherrschen, sind zum Teil geschichtsphilosophisch erklärbar.

Aber Israels Entwicklung spottet aller Erklärung. Denn Israel ist, trotz allem, Jahwes Volk, und der HErr, sein Gott, ist ein verborgener Gott (Jes. 45,15). Jeder Jude ist ein wandelndes Geheimnis.

V. Israels Hoffnung

In der Tat, „wenn nach dem Zeugnis der Prophetie Jesu Anrecht, der wahre Messias zu sein, erst durch Leiden und Verwerfung besiegelt werden musste, dann kann Israels Anspruch auf eben diesen Messias durch solche Verwerfung nimmermehr aufgehoben werden. Vielmehr wird der HErr alle seine Versprechungen an Abraham und David einlösen; und dann wird der „Jakob“ in einen „Israel“, der „Dornstrauch“ (2. Mose 3,2) in einen fruchtbringenden „Feigenbaum“ (Hos. 9,10) umgewandelt werden (vgl. Jes. 55,13).
Und wie Israel jetzt ein gesteigerter Fluch ist, so wird es vereinst noch vielmehr ein gesteigerter Segen sein (Sach. 8,13). „Wo die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überschwenglicher geworden” (Röm. 5,20). Und wie im Verlauf der Geschichte alle Rassen der Welt an Israels Gericht mitgewirkt haben – die Hamiten im ägyptischen, die Semiten im assyrisch-babylonischen und die Japhetiten im römischen Exil -, so werden sie dereinst im Herrlichkeitsreich alle zusammen, gemeinsam mit Israel, gesegnet werden (Jes. 2,2; 19, 24).

„O Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürlich seine Wege! Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen” (Röm. 11, 35).

 

C. Warum gab Gott das mosaische Gesetz?

5. Kapitel: Der Sinn des Gesetzes

Warum kam Christus nicht schon zur Abrahamzeit ? Sagt uns das Neue Testament nicht klar, daß es beim Heil allein auf den Glauben ankommt? Und war nicht der Glaube in Abraham schon da, und zwar sogar schon in sehr entwickeltem Maße? Die Bedingungslosigkeit der Gnade, die Rechtfertigung, das Opfer, die Auferstehung, der Messias, die himmlische Stadt? Ist da eine Gesetzesperiode von 1500 Jahren nicht überflüssig und geradezu ein Rückschritt?

Dort unmittelbar inniges Glaubensleben – hier äußerlich mittelbare Formen; dort ruhig erhabene Schlichtheit – hier kaum zu übersehende Kompliziertheit; dort Vorwalten des Wortes und der Verheißung – hier Vorherrschaft der Forderung und des Symbols.

Aber das Schlichte ist doch edler als das Komplizierte, und das Wort ist doch unmittelbarer als das Symbol; die Verheißung ist doch schöpferischer als das Gebot und die Innerlichkeit höher als die Form!

Und dennoch gab Gott das Gesetz so majestätisch mit Donnern und Blitzen (2. Mose 19,16; Hebr. 12, 18)! Und dennoch ließ er die im Schatten des Todes dahinschmachtende Menschheit noch anderthalb Jahrtausende auf das Kommen des Erlösers warten. Hierfür muß es gewichtige Gründe geben. Welche aber sind diese?

Die Antwort der Schrift ist, daß der Hauptsinn des Gesetzes in der Ausgestaltung der Erlösererwartung durch Offenbarmachung der menschlichen Sündhaftigkeit bestehe, und daß dadurch das Gesetz ein Zuchtmeister auf Christum sei, und zwar auf ihn als den Heiland der Sünder (Gal. 3,19). Um aber diese seine Aufgabe zu erfüllen, tritt es in eine besondere Beziehung zu Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Es ist

im Hinblick auf die Vergangenheit – eine Hinzufügung,
im Hinblick auf die Zukunft – eine Einschaltung,
im Hinblick auf seine Gegenwart – eine Unterweisung.

I. Das Gesetz als Hinzufügung

Nicht etwa beiseitegesetzt hat es den Abrahamsbund und ist an seine Stelle getreten, sondern ergänzt hat es ihn. Es wurde hinzugefügt (Röm. 5,20). Bei aller Bedeutung darum, die das mosaische Gesetz hat, kommt ihm dennoch keine grundlegende Bedeutung zu. Grundlegend sind für Israels Geschichte allein die Verheißungen des Abrahamsbundes. Darum geht auch Paulus in seiner Rechtfertigungslehre nicht auf Mose, sondern auf Abraham zurück (Röm.4; Gal.3,9).

Dennoch war diese Hinzufügung nötig. Denn bei aller Erhabenheit und Tiefe des Abrahamsbundes fehlte ihm doch die genügende Betonung der Sünde. In dieser noch gar zu geringen Entfaltung der menschlichen Verlorenheit und Unfähigkeit zur Selbsterlösung lag seine Hauptunvollständigkeit; und doch ist gerade ihre Erkenntnis die wichtigste Voraussetzung für das Erleben von Golgatha! Darum mußte er ergänzt werden, und das geschah durch das Gesetz.

Fortan zerfällt die gesamte vorchristliche Heilsoffenbarung in zwei Hauptabschnitte: den Verheißungsbund und den Bund des Gesetzes. In jenem steht das Positive, in diesem das Negative im Vordergrund. Bei Abraham ist es der Segen, bei Mose der Fluch, bei Abraham das Leben, bei Mose der Tod (2. Kor. 3,6). Der Mosesbund gipfelt in der Kreuzigung Gal. 2,19; 3,13), der Abrahamsbund in der Auferstehung (Hebr. 11, 19).

Aber sie beide gehören zusammen. Denn der Sünder soll erlöst werden, und dazu ist Erneuerung und Wiedergeburt nötig. Wiedergeburt aber hat menschliche Bekehrung zur Voraussetzung, und Bekehrung ist zweierlei: Abkehr und Hinkehr, ein Nein zu sich selbst und ein Ja zu Gott, eben Buße und Glauben.

Jahrhunderte hindurch spricht Gott das Wort Glaube in die Heilsgeschichte hinein – das ist der Sinn des Abrahamsbundes. Er ist eine zwei Jahrtausende lang währende Erziehung zum Glauben. Und Jahrhunderte hindurch spricht Gott das Wort Buße in die Heilsgeschichte hinein – das ist der Sinn des mosaischen Gesetzes.

II. Das Gesetz als Einschaltung

Es wurde hinzugefügt, „bis daß“ der Same käme, auf den sich die Verheißung bezieht (Gal. 3,19). Dieses bis zeigt an, daß das Gesetz nur etwas Vorübergehendes ist, das zu dem Samen in einem nur vorbereitenden Verhältnis steht, in ihm selber sein Ziel hat und mit seinem Kommen verschwindet. „Christus ist des Gesetzes Ende” (Röm. 10,4). Darum sprach schon Jeremia in der Zeit des alten Bundes von dem Kommen eines neuen (Jer. 31,31), und David weissagte ein ewiges Priestertum des Messias. „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks” (Ps. 110,4).

III. Das Gesetz als Unterweisung

In bezug auf seine eigene, damalige Gegenwart ist das Gesetz Zaun, Zügel, Regel, Riegel und Spiegel.

Nach außen hin ist es der Zaun, der Israel von den Weltvölkern nennt (Eph. 2,14; 15). Das Gesetz ist nicht allen Menschen, sondern nur Israel gegeben. „Er verkündete Jakob sein Wort, Israel seine Satzungen und Rechte. Keiner andern Nation hat er also getan” (Ps. 147,19). Der Sabbat ist das Zeichen zwischen Gott und Israel (2. Mose 31, 13; 16; 17; Hes. 20,12; 20).
Die Nationen aber haben „kein Gesetz” (Röm. 2,14). Schon dies allein widerlegt alle Hineintragung des Gesetzes in das gegenwärtige Völkerevangelium der Gnade, wie gesetzliche Heiligung, Sabbatfeier, alttestamentliche Gottesdienstformen, besonderer Priesterstand, Priestergewänder, Weihrauch usw. Das mosaische Gesetz war niemals der Völkerwelt gegeben, sondern nur Israel.

Nach innen hin ist es ein Spiegel.
„Durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde” (Röm. 3,20). Dies ist seine eigentliche Hauptaufgabe. So ist das Gesetz ein Geschenk des erlösenden Gottes.

 

6. Kapitel: Der Todesweg des Gesetzes

,,Der Buchstabe tötet” (2. Kor. 3,6).

Das Gesetz ist ein Organismus und darum eine unteilbare Einheit. „So jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist’s ganz schuldig” (Jak. 2,10; Gal. 3,10).

Falsch ist darum jede Unterscheidung eines Moralgesetzes und eines Zeremonialgesetzes, weil dadurch der Eindruck entsteht, als gäbe es zwei Gesetze, von denen das eine – etwa das Zeremonialgesetz – im Werk Christi erfüllt sein könnte, das andere aber nicht.

Dennoch ist das Gesetz, wie jeder Organismus, in Glieder einteilbar; und in diesem Sinne hat es drei gliedhafte Gruppen von Verordnungen:
Die Sittenbestimmungen, die Gottesdienstbestimmungen und die Sozialbestimungen. Von diesen haben besonders die ersten zwei heilsgeschichtliche Bedeutung.

Durch Gesetz wird Erkenntnis bewirkt (Röm. 3,20), und zwar:

  1. 1. Erkenntnis der Sünde – als Zielverfehlung, Übertretung, Empörung.
    2. Selbsterkenntnis des Sünders – seine Sündhaftigkeit, Kraftlosigkeit, Verlorenheit.

I. Erkenntnis der Sünde

Diese verläuft in drei Stufen. Die Sünde ist:

  1. Zielverfehlung. (Das neutestamentliche Wort für „Sünde” (grch. hamartia) bedeutet ursprünglich Zielverfehlung). In   absolutem Sinne gibt es Sünde nur gegen Gott. „Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt” (Ps. 51,6). Aber der Sünder ist blind, sein Gewissen ist trughaft, und er erkennt nicht das göttliche Ideal. Darum muß es ihm durch Offenbarung kundgetan werden. Dies geschieht durch das Gesetz. Es ist die auf der Schaubühne der Weltgeschichte als Musterbeispiel gegebene Kundgebung des göttlichen Willens für das moralische Verhalten der Menschen. Erst so wird offenbar, was Zielverfehlung ist. Aber die Sünde ist mehr. Sie muß schonungslos entlarvt werden. Sie ist
  2. Ungehorsam, Übertretung, Gesetzlosigkeit (Hebr. 2,2; 1. Joh. 3,4). Darum darf das Gesetz das Ideal nicht nur beschreiben, sondern muß es vorschreiben, muß es fordern, muß gebieten, muß verlangen, daß der Mensch es erfüllt, muß eben „Gesetz” werden.

Damit aber wird der Charakter der Sünde gesteigert. Denn wo es keine Grenzlinie gibt, kann man auch nicht von Grenzüberschreitung reden. „Wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung” (Röm. 4,15). So bezog sich das Gesetz zwar nicht auf das Vorhandensein der Sünde, wohl aber auf ihre Zurechnungsmöglichkeit. „Sünde wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz da ist” (Röm. 5,13). Das Gesetz machte die Sünde zwar nicht; aber es machte die Sünde zur Übertretung.

Aber noch schärfer steigert sich der Kampf. Die Sünde wird als

  1. Empörung entlarvt. Denn durch das bloße Vorhandensein des Gesetzes fühlt sich das Böse gereizt, nun erst recht sich zu äußern. Am Verbot entbrennt die Begierde. Die Sünde wird zur Lust und zur Tat, und die Sünde äußert sich in Sünden (Röm. 7,5). So ist das Gesetz die Kraft der Sünde, die das Böse von innen nach außen treibt (1. Kor. 15,56).

Aber gerade darin kommt die Sünde dem Gesetz gleichsam zu Hilfe. Denn nun hat das Gesetz auch vermehrte Gelegenheit, seinen Dienst als Aufdecker der Sünde zu vollführen. Je mehr also die Sünde gegen das Gesetz sündigt, desto mehr sündigt sie, in ungewolltem Dienst für das Gesetz, gegen sich selbst; und so wird durch das Gesetz jeder Ausbruch des Bösen in den Dienst des Guten gestellt, und Satan muß gegen sich selbst arbeiten.

Das aber hat die Sünde nicht gewollt! Sie hat das göttliche Gesetz als Handhabe mißbrauchen wollen, den Menschen in um so größeres Elend zu stürzen! Nicht nur die menschliche Schwachheit, sondern geradezu „das Gebot, das mir zum Leben gegeben war, dasselbe erwies sich mir zum Tode; denn die Sünde, durch das Gebot Anlaß nehmend,  betrog mich und tötete mich durch dasselbe … Gereichte mir nun das Gute zum Tode? Das sei ferne! Sondern die Sünde,… indem sie durch das Gute mir den Tod bewirkte” (Röm. 7,10-13).

Aber gerade hier erweist sich die Oberregierung Gottes in ganz besonders sieghafter Weise. Denn nun wird das Wesen der Sünde erst recht entlarvt: sie ist Empörung gegen Gott, Feindschaft gegen den Höchsten, Revolutionär im Reich des Geistes!

Gott aber hat das alles zugelassen, und indem also das Böse versuchte, das Gute sich dienstbar zu machen (Röm. 7,13), hat umgekehrt das Gute das Böse in seinen Dienst gestellt, und Gottes Geduld führte für die Sünde nur zu verschärftem Gericht.

II. Selbsterkenntnis des Sünders

Aber noch dunkler wird der Weg, der zum Ziele führt. Indem das Gesetz das Schuldige der Sünde offenbart, zeigt es zugleich die Schuld des Sünders. Die Sünde ist ja nicht „eine”, sondern „seine” Schuld, und Tat und Täter gehören zusammen. Erst dadurch wird die Botschaft des Gesetzes persönlich. Als Erstes wird

  1. Die Sündhaftigkeit des Sünders offenbar, und mit der
Erkenntnis der Todschuld verschwindet der Lebensgenuß. Das Gesetz
hat, bei gleicher Tat, die Verantwortlichkeit des Täters ungeheuer gesteigert. Es hat dadurch den Sünder unter den „Fluch” gestellt (5. Mose
27,26; Gal. 3,10). „Das Gesetz bewirkt Zorn” (Röm. 4,15).

Damit aber hat das Leben für ihn aufgehört, überhaupt noch „Leben” zu sein. „Als ich noch ohne Gesetz war, da .lebte’ ich; als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf; für mich aber kam — der Tod” (Rom. 7,9; 10). Nun bleibt für die Seele nur noch ein unheilvolles Ahnen, ein furchtvolles Erwarten des gerechten Gerichts. Das Gesetz, der „Buchstabe”, hat „getötet” (2. Kor. 3,6) und, obwohl „heilig” in seinem Charakter, „gerecht” in seinem Urteil und „heilsam” in seiner Absicht (Rom. 7,12), hat es sich dennoch als „Dienst des Todes und der Verdammnis” erwiesen (2. Kor. 3,7; 9). Es hat den Todeszustand des Sünders bewirkt, ohne ihn zu verschulden.

  1. Die Kraftlosigkeit des Sünders. Doch da erwacht in dem Menschen das „Wollen” (Röm. 7,18), sein besseres Ich, die „Vernunft”.

Der Sieg scheint leicht. Das Gute „liegt nahe bei” (Röm. 7,18). Und doch! Das Ergebnis ist – dauernde Niederlage. Zuletzt begreift sich der Mensch selber nicht mehr. „Mein ganzes Tun ist mir unbegreiflich” (Röm. 7,15). Er erkennt: nicht er hat seine Handeln zu bestimmen, sondern die in ihm wohnende Sünde. Er ist nicht Herr in seinem eigenen Hause (Röm. 7,17). Er ist innerlich zerrissen – denn was er will, das tut er nicht, und was er nicht will, das tut er; er ist unfähig zu allem Guten (Apg. 15, 10).  Auch die Sünde ist ein „Gesetz“, und er, der Mensch, ist ihr Sklave. In dem Festungskrieg um die Stadt „Menschenseele”, der zwischen den beiden geistigen Reichen „Gesetz Gottes“ und „Gesetz der Sünde“ geführt wird, gelingt es stets dem „Gesetz in den Gliedern“ den Sieg davonzutragen über das „Gesetz der Vernunft“. So wird die Seele stets für die Sünde erobert, und dies geschieht derartig zwangsläufig, daß dieser Sieg selber wiederum als „Gesetz“ bezeichnet werden muß (Röm. 7,21). Das „Gesetz Moses“ aber kann nicht helfen (Röm. 8,3), sondern nur, wie ein Spiegel, das Chaos beleuchten. So aber entsteht in dem Menschen die Erkenntnis seiner

  1. Verlorenheit. Seine Hoffnung verzweifelt und seine Verzweiflung hofft, und, an allem Inneren zuschanden geworden, blickt er nach oben und ruft: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?” (Röm. 7,24.)

Das war es aber gerade, was das Gesetz gewollt hatte: die Erkenntnis der Notwendigkeit, Heiligkeit und Göttlichkeit eines Erlösers. Mit seinem Kommen kann es darum verschwinden. Christus ist, als das Ziel des Gesetzes, zugleich auch sein Ende (Röm. 10,4).

So folgt aus dem alttestamentlichen Zweck des Gesetzes die neutestamentliche Freiheit (Röm. 7; Gal. 3). Der furchtbare Sterbensweg, den das Gesetz den Sünder geführt hatte, war in Christo zugleich auch ein Sterben des Sünders in bezug auf das Gesetz, „Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben” (Gal. 2,19; vgl. Röm. 7,1-6; Kol. 2,20). Das Gesetz hatte den Sünder abwärts geführt bis zur Verzweiflung, zum Todesgefühl; aber gerade dadurch hat es ihn aufwärts geführt zur Lebensergreifung. Jetzt, nach der Höllenfahrt der Selbsterkenntnis, kann die Himmelfahrt der Heils- und Christuserkenntnis beginnen. Von ihm des genaueren zu zeugen – das war der Zweck der Bestimmungen des Gottesdienstes.

 

7. Kapitel: Der Lebensweg des Gesetzes

Darstellung des Reichsgottesverhältnisses zwischen Israel und Gott und Sachweissagung auf das Werk Christi – das war der zweifache Sinn des israelitischen Gottesdienstes. Das eine ist seine sinnbildliche, das andere seine vorbildliche Bedeutung.

Ein Sinnbild ist eine sichtbare Hülle eines Unsichtbaren, eine stoffliche Einkleidung einer höheren Wahrheit, ein Ausdruck eines Geistigen und Übersinnlichen.

Ein Vorbild (Typus) ist ein prophetisches Sinnbild, eine Person, Sache, Einrichtung oder Begebenheit, die auf Christum und sein Erlösungswerk hinweist.

Das Sinnbild gilt also seiner Gegenwart, ist rein alttestamentlich und bezieht sich auf Israel; das Vorbild redet von Christus, zeigt hin auf die Zukunft und ist messianische Prophetie. Das Sinnbild bleibt im Gesetz; das Vorbild schaut auf die Gnade; es ist ein Stück Evangelium im Alten Bunde, ein Stück Neues Testament mitten im Alten Testament.   . . .

A. Die alttestamentliche  Gottesgemeinschaft

Durch dieses vierfache Band vereinigt sich der HErr mit seinem Volke. Die Sittenbestimmungen hatten den Abstand gezeigt, der zwischen dem Heiligen und dem Sünder besteht; der Hauptzweck des Gottesdienstes aber war die Gemeinschaft. Zwar war auch in den Opfern ein alljährliches Erinnern an die Sünde (Hebr. 10,3), dennoch war gerade ihr Hauptsinn eine gewisse Vergebung von Sünden (3. Mose 4, 20; 5,10),7) und, als deren Folge, ein dementsprechender Verkehr mit dem Höchsten.

Die Grundidee des mosaischen Opferdienstes ist also nicht nur Sühnung, sondern Versöhnung, nicht bloße Vergeltung durch richterliche Gerechtigkeit, sondern verhältnismäßige Wiederaufnahme des Gemeinschaftsverkehrs durch erlösende Liebe. Diese Versöhnung aber ermöglicht das mosaische Opfer durch Zudecken der Sünde. Hinwegnehmen zwar kann es sie nicht; denn „unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden hinwegnehmen“ (Hebr. 10,4) – das vermag allein das Opfer Christi (Hebr. 9,26). Aber, im Hinblick auf Golgatha, die geschehenen Sünden zudecken, das war ihre Aufgabe und, infolge ihrer Beziehung auf das Kreuz, ihre Kraft.

So besaß denn vor Golgatha die Gesamtmenschheit nur die Nachsicht 
Gottes (Röm. 3,25; Israel dagegen hatte, aufgrund
 seiner Opfer, eine gewisse Vergebung von Sünden und eine verhältnismäßige Gottesgemeinschaft. Darum jubeln (Ps. 32,11; 33,1; 68,4) schon im Alten Testament die Propheten und Psalmsänger über die Segnungen des Gesetzes. Ihnen war das Gesetz nicht nur Aufdeckung und Schuld, sondern
 Herzensfreude (Ps. 19,8) und Glückseligkeit 
(Ps. 32.1).

„Erkenntnis der Sünde“, sagt Paulus (Röm. 3,20). – Von „Krönung mit Gnade“ spricht David (Ps. 103,4).
„Der Buchstabe tötet“, sagt der Apostel (2. Kor. 3.6). – „Das Gesetz ist erquickend“, sagt der Psalmist (Ps. 19,8).
„Ich elender Mensch!“ heißt’s im Römerbrief (Röm. 7,24). – „Glückselig der Mann!“ sagt der Psalter (Ps. 1,1; 32,1).
Vom „Fluch“ spricht der ehemalige Pharisäer (Gal. 3,13). – „Der HErr segne dich!“ sagt der Hohepriester (4.Mo. 6,24).

Und doch reden sie beide von dem selben Gesetz! Und doch haben sie alle beide recht! Denn das Gesetz ist wie eine Magnetnadel mit ihren zwei Polen: ein Zeiger auf Christum als das außer ihm liegende Ziel und doch zugleich in sich selber eine Einheit von zwei Gegensätzen: in den Sittenbestimmungen liebende Heiligkeit, im Gottesdienst heilige Liebe; in den Moralgesetzen der Abstand, in den Zeremonialgesetzen die Gemeinschaft; in den Verhaltungsmaßregeln das Bindende, in den Priesteranordnungen das Befreiende; dort die Herrschaft, hier die Erlösung; dort Sühne, hier Versöhnung. Kurz: die Moralgesetze sind Gerichtshalle und Königspalast; die Zeremonialgesetze sind Tempel.

Und doch gehören sie beide zusammen, wie die Pole des Magneten. Denn es gibt nur ein Gesetz Israels (Jak. 2,10) mit nur einem Mittler, Mose, und nur einem Ziel, Christus.

Dieser aber bringt die Erfüllung von beidem: in bezug auf die Moralgesetze die Gnade, die Vergebung der Sünden, in bezug auf die Zeremonialgesetze die Wahrheit, das Wesenhafte statt der Schatten (Kol. 2, 17; Hebr. 10,1). So ist „das Gesetz durch Mose gegeben; aber die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“ (Joh. 1,17).

Dies alles aber beweist, daß es durchaus falsch wäre, das Alte Testament nur als überwundene Vorstufe zum Neuen aufzufassen. Auch die alttestamentlichen Heiligen hatten ein gewaltiges Glaubensgut, das das Alte Testament unmittelbar in sich selber trug. „Der Heilige Geist war des Gesetzes verborgene Seele“ (vgl. 1. Petr. 1,11; Hebr. 3,7; 2. Mose 31,3). Nur dadurch konnte auch der Psalter der alttestamentlichen Gemeinde das Gesangbuch des neutestamentlichen Urchristentums werden (1. Kor. 14,15; 26; Eph. 5,19; Kol. 3,16).
Das Alte Testament ist eben beides: vom Ziel aus gesehen, untergeordnet unter das Neue, und doch in sich selbständig. Das Alte Testament ist ohne das Neue ein Gebäude ohne Spitze; das Neue ist ohne das Alte ein in der Luft stehendes Haus.

Das Neue ist im Alten verhüllt, aber doch schon enthalten; dis Alte ist im Neuen enthüllt und zugleich herrlich entfaltet. Altes und Neues Testament ist ein und dasselbe und doch jedes anders.

B. Das neutestamentliche Heil im Alten Testament

Die entscheidende Grundaussage des Alten Testaments ist: Der HErr, dein Gott, ist ein einiger Gott. Im Gegensatz zu den vielgötterischen Religionen des Alten Orients, besonders Ägyptens und Mesopotamiens, und des klassischen Altertums, besonders Griechenlands und Roms, strahlt diese Erkenntnis im Leuchtkreis der alttestamentlichen Gottesoffenbarung immer heller auf. Zugleich wird an dieser Stelle, mit der Endlichkeit und Sündhaftigkeit der gefallenen Menschennatur voller Ernst gemacht.
Gott ist der Ewige, und wir sind die Zeitlichen. Er ist der Heilige, und wir sind die Sünder. Er ist der Lebendige, und wir sind die Todverfallenen. Soll aber dennoch eine Verbindung zwischen Ihm und uns stattfinden, so muß er selbst ganz von sich aus, durch eine Setzung von der Ewigkeit her, an irgendeiner Stelle in der raumzeitlichen Welt diese Verbindung herstellen.

Dies geschieht in der alttestamentlichen Bundesschließung. Fortan ist an Verbindungspunkt da, auf dem die Gottheit mit der Menschheit zusammenkommt (2. Mose 25,22), eine Sinnmitte des Weltgeschehens, die aller Geschichte erst Lebensbestand und Ziel gibt, ein Zeit-Ewigkeits-Schnittpunkt, an dem der Sünder in die Gegenwart des Heiligen tritt. Dieser aber muß, soll der Sünder hier nicht vernichtet werden, vor allem ein Doppeltes in sich bergen, einen Abbruch des Alten und eine Einführung des Neuen, Vergebung und Neubeherrschung, Versöhnung und Führung oder, alttestamentlich ausgedrückt, Deckung und Weisung, Kapporeth und Thora, Versöhnungsdeckel und Gesetzestafeln. Diese beiden waren darum auch mit der Bundeslade, diesem symbolischen Zentralgerät des alttestamentlichen Gottesdienstes, auf das wesenhafteste verbunden (2. Mose 25, 17; Hebr. 9,4).

„Dieser Mittelpunkt, den das Weltgeschehen damit bekommen hat, ist ein wandernder Punkt, der mit dem Fortgang der Geschichte weitergeht. Er wandert mit Israel, solange es ein Nomadenvolk ist, durch die Wüste. Er läßt sich dann, nachdem Israel ansässig geworden ist, im Tempel nieder. Dann aber tritt an die Stelle des steinernen Tempels das „geistliche Haus“ der Gemeinde, das aus „lebendigen Steinen“ aufgebaut ist (1. Petr. 2,5). So geht der lebendige Mittelpunkt, die Sinnmitte des Weltgeschehens, durch die Geschichte. Christus bleibt bei seiner Gemeinde bis an der Welt Ende” (Karl Heim).

Damit aber wird klar, daß diese ganze Entwicklung ein einziger, großer Zusammenhang ist, eine einzige, von Anfang bis zu Ende hindurchgehende, göttliche Versöhnungstat. Die Christusoffenbarung ist die Vollendung dessen, was mit dem Abrahamsbund begann. Darum heißt Jesus auch der Christus, das heißt der vom Alten Testament geweissagte, von Israel erwartete, schon unter diesem Namen von den Propheten des Alten Bundes, beschriebene, gottgegebene Gesalbte (Ps. 2,2; 1. Sam. 2,10; Dan. 9,25).

Aus dieser Einheit des jahrtausendelangen Zusammenhangs folgt, daß Gott schon in der alttestamentlichen Zeit gewisse Vorausdarstellungen des kommenden Heils geben konnte, die auf Christum und sein Erlösungswerk hinzielten. So ist die eherne Schlange ein Vorbild auf das Kreuz (Joh. 3,14), der Prophet Jona auf die Auferstehung (Matth. 12,40), das Manna in der Wüste auf Christus als das Lebensbrot (Joh. 6, 31).

Ja noch mehr. In den alttestamentlichen Opfern war das Werk Christi sogar schon zu ihrer Zeit geradezu wirksam. Sie waren sinnbildliche Handlungen mit tatsächlicher Heilswirkung, nicht nur Vorausdarstellung, sondern Herstellung einer gewissen Gemeinschaft mit Heiligen, nicht nur Symbol, sondern Sakrament (3. Mose 4,31).

Dabei hatte jedoch keine dieser Priesterhandlungen ihren Wert in sich selber. Sie empfingen alle ihre Kraft nur von dem einen Opfer von Golgatha. Sie waren kraftlos und doch wirksam, unvermögend und doch Segen spendend. Jesus Christus hat dann durch seinen Opfertod am Kreuz alle diese „Wechsel“ des Alten Testaments vollwertig „gedeckt“.

I. Das mosaische Opfer

Die Haupthandlung des israelitischen Gottesdienstes ist das Opfer. Seine Grundidee besteht aus vier Haupterfordernissen:

  1. Die Fehlerlosigkeit des Opfers weist hin auf die Heiligkeit des HErrn Jesu. Seine Freiheit von der (Erb-)Sünde durch seine wunderbare Geburt und seine Freiheit von allen (Tat-)Sünden durch seinen heiligen Wandel  (1. Petr. 1,19).
  2. Die durch die Handauflegung ausgedrückte Einswerdung des Opfers mit dem Opfernden weist hin auf die Schuldübernahme durch den HErrn Jesus. In der Tat, schon am Jordan, als Christus, der Sündlose, sich der „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ unterwarf, vollzog er die sinnbildliche Bereitschaftserklärung, den Platz des Sünders einzunehmen, mit ihm eins zu werden und die Sünden der Menschheit zu tragen (Matth. 3,14), eine sinnbildliche Bereitschaftserklärung, die er am Kreuz dann geschichtlich zur Ausführung brachte (1.Petr. 2,24).
  3. Die Straferduldung erlitt Christus auf Golgatha, und so wird die
Tötung des Opfers eine Weissagung auf das Kreuz (Hebr. 9,13; 14). 
„Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung” (Hebr. 9,22).

So beziehen sich diese drei ersten Erfordernisse des Opfers auf das Werk Christi auf Erden, auf den „Christus für uns“, der in den Tagen seines Fleisches die Heilserwerbung vollbracht hat (Hebr. 5,1-9).

Aber das Erworbene muß zugeeignet werden, und dies geschieht nur durch den Glauben und die sich daraus ergebende, organische Einswerdung des Schuldners mit dem Bürgen (Joh. 6,53). Darum muß der „Christus für uns“ auch „Christus in uns“ sein, und zu seinem Priestertum auf Erden muß sein himmlisches Priestertum hinzutreten. Gerade diese organische Einswerdung aber war durch

  1. Die Opfermahlzeit vorgeschattet. So sagt auch Christus: „Werdet
 ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut,
 so habt ihr kein Leben in euch” (Joh. 6,53-57). Daher die Menschbleibung Christi in seiner leiblichen Auferstehung; daher die Sendung 
seines Geistes zum Zweck des Einswerdens mit seinen Erlösten; daher 
die Notwendigkeit der Wiedergeburt des einzelnen und der organischen
 Gemeinschaft zwischen dem Haupt und den Gliedern.

So umfaßt das mosaische Opfer das ganze Werk Christi: von der Geburt bis zur Taufe, von der Taufe bis zum Kreuz und bis zur Auferstehung und Geistessendung, ja bis zu seinem ewigen Hohenpriestertum nach der Weise Melchisedeks.

II. Die Stiftshütte

Israel hatte hintereinander drei Hauptstätten des Gottesdienstes: die Stiftshütte Moses in der Wüste und in Silo (1. Sam. 1,3; 1500—1000), den Tempel Salomos auf Morija (1. Kön. 6,1; 1000—586) und den Tempel Serubabels seit der Rückkehr aus der Gefangenschaft (Esra 3—6), ausgebaut durch Herodes (Joh. 2,20; (536) 521 v. Chr. bis 70 n. Chr.). Alle drei gingen im wesentlichen auf denselben Bauplan zurück (2. Mose 25) und hatten denselben heilsgeschichtlichen Sinn. Die Aufgabe der Stiftshütte war zunächst

1. Ein Abbild des Weltalls

zu sein, und zwar vom Gesichtspunkt des Reiches Gottes aus. Dies wird besonders klar an dem Gang des Hohenpriesters in das Allerheiligste am Großen Versöhnungstage, in Verbindung mit seiner neutestamentlichen Erfüllung in Christo (3. Mose 16; Hebr. 9,23).

Die Geräte der Stiftshütte waren „Abbilder der Dinge in den Himmeln“ (Hebr. 9, 23). Christus aber ist nach Golgatha „nicht in ein von Menschenhänden hergestelltes Heiligtum eingegangen, das nur ein Abbild des eigentlichen Heiligtums ist, sondern in den Himmel selbst, um jetzt, uns zum Heil, vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen“.
Das aber heißt: das irdische Heiligtum ist ein Abbild des Himmels; und wie der aaronitische Hohepriester am Versöhnungstage mit dem Blute vom Brandopferaltar des Vorhofs, durch das Heilige hindurch, in das Allerheiligste eintrat (3. Mose 16,11), so ist Christus, der Priester nach der Ordnung Melchisedeks, mit seinem eigenen Blute vom „ehernen Altar“, von Golgatha, von der Erde hinweg, „durch die Himmel hindurch-geschritten” (Hebr. 4,14), um dann im „Allerheiligsten“ des Weltalls, „über allen Himmeln“ (Hebr. 7, 26; Eph. 4,10), vor dem „Gnadenthron“ Gottes zu erscheinen (vgl. Hebr. 4,16).

So ist der Vorhof die Erde, wo Golgatha war; das Heilige ist der Himmel und das Allerheiligste der Thron Gottes.

Auf Erden will Gott zweierlei: Die Rechtfertigung und Heiligung der Erlösten. Darum standen im Vorhof zwei Geräte: der Brandopferaltar und das Reinigungsbecken.

Im Himmel ist das Leben und das Licht und die Anbetung des ewigen inmitten himmlischer Geister. Davon zeugen der Schaubrottisch Brot des Lebens: vgl. Joh. 6,48) und der Leuchter sowie der Rauchaltar Tgl. Ps. 141,2; Off. 8,3) und die Cherubimfiguren ringsum in Decke und Vorhang (2. Mose 26,1).

Aber über allen Himmeln ist der Thron Gottes selbst. Dort ist das Gesetz, das das Weltall regiert, gleichwie die Tafeln des Gesetzes sich im Allerheiligsten befanden. Dort ist auch die Gnade, die die Sünden vergibt und den Herrschaftsthron Gottes zu einem Gnadenstuhl macht (2. Mose 25,17 Luth.; Hebr. 4,16), und dort ist, über allem, die Lichtherrlichkeit Gottes, die, wie die Wolke der Schechina, alles andere überstrahlt (2. Mose 40,34; 1.Tim. 6,16).

Aber alle seine Liebespläne vollführt Gott in Christus, und darum wird die Stiftshütte zugleich ein Hinweis auf ihn, das heißt

2. Ein Vorbild auf den Welterlöser

In der Tat, in Christus, das Fleisch gewordene Wort, sind alle ihre Vorbilder erfüllt. Er ist

– unsere Rechtfertigung — Brandopferaltar (1. Kor. 1,30),
– unsere Heiligung — Reinigungsbecken (1. Kor. 1,30).
– ist er unser Licht — der siebenarmige Leuchter (Joh. 8,12)
–  unser Brot des Lebens — der Schaubrottisch (Joh. 6,48) und
– unser betender Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.

In ihm aber werden auch wir selber ihm gleichgestaltet (1. Joh. 3,2), und so wird die Stiftshütte zugleich

3. Ein Vorbild auf den Heilsweg und die Heilsgemeinschaft

Die Gläubigen sind:

– nach unten hin — gerechtfertigt von der Finsternismacht  der Sünde (Brandopferaltar);
– nach innen hin — geheiligt  durch die Waschung mit  seinem Worte (Reinigungsbecken, Eph. 5,26);
– nach außen hin — leuchtend mit dem Licht seines Zeugnisses (Leuchter, Off. 1,12; 2,5 vgl. Sach. 4);
– nach oben hin — betend mit dem Rauchwerk der Anbetung (Goldener Altar, Off. 8, 3; Ps. 141,2);
– nach allen Seiten hin — gekräftigt durch das Lebensbrot des Himmels (Schaubrottisch, Joh. 6,48);
– nach vorwärts hin — eilend, um vor seinem Thron zu erscheinen (Bundeslade).

Durch dies alles wird der israelitische Gottesdienst eine großartige Weissagung auf das Ziel.

Das Überragende des Neutestamentlichen

Aber in dem allem übertrifft die Erfüllung alle Vorbilder noch bei weitem (Matth. 13,16):

1. Im Alten Bunde galt schon ein Teil für das Ganze:

– ein Zwölftes für zwölf Zwölftel — beim Priesterstamm Levi.
– ein Zehntel für zehn Zehntel — bei der Abgabe des Zehnten,
– ein Siebentel für sieben Siebentel — bei der Heiligung des Sabbats.

Im Neuen Bunde aber ist das Ganze da:

– nicht ein Priesterstamm, sondern ein Priestervolk (1. Petr. 2,5);
– nicht der Zehnte, sondern alles (Kol. 3,17);
– nicht ein Tag, sondern die Woche (Kol.2,16) und mit der Woche das Jahr, das Leben, und mit der Zeit die Ewigkeit.

  1. Im Alten Bunde war nur der Schatten da; im Neuen aber ist der Körper gekommen (Kol. 2,17; Hebr. 10,1).
  2. Im Alten Bunde gab es Zugeständnisse „um der Herzenshärtigkeit willen“ (Matth. 19,8), besonders Blutrache (Jos. 20), Vielweiberei (1. Mose 30; 5. Mose 21,15; 1. Kön. 11,1-3), Sklaventum (3. Mose 25,44) und Prozesse (2. Mose 21,24; Matth. 5,38). Im Neuen Bunde aber heißt es majestätisch: Ich aber sage euch! (Matth. 5,22).
  3. Im Alten Bunde waren es viele Opfer, allein amtliche alljährlich 1273 (nach 4. Mose 28 u. 29)! Von Christus aber heißt es; „Mit einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr. 10,14).

So ist Christus die Erfüllung von allem, was das Gesetz in sich schließt.

 

D. Das Gotteszeugnis der Prophetie

8. Kapitel: Die Propheten Gottes

(Die prophetischen Namen)

Gesetz und Verheißung — das sind die beiden Hauptsäulen der alttestamentlichen Offenbarung. Das eine ist das Königliche, das andere das Prophetische. Das Bindeglied zwischen beiden ist der Tempel. Der Priesterdienst ist Gesetz und Verheißung zugleich.

So entfalten sich diese zwei zu einer heilsgeschichtlichen Dreieinheit, und damit wird die ganze Geschichte Israels zu einer Hinführung auf den Messias, der – als der dreifach Gesalbte – Prophet, Priester und König zugleich ist.

Darum hatte Israel auch drei theokratisch führende Stände:

Die Fürsten (Könige, Richter und Älteste) waren die politischen Führer des Volkes; die Priester und Propheten bezogen sich auf das Innere und Ewige. Hierbei waren die Priester die ständigen Hüter der schriftlich niedergelegten Gottesoffenbarung (vgl Hebr. 7,16), während die Propheten die Träger der sich fortsetzenden Gottesoffenbarung waren (1. Sam. 10,12).

Vier Namen sind die Hauptbezeichnungen der alttestamentlichen Propheten. Sie zeigen uns zugleich, wie die Menschen beschaffen sein müssen, die Gott als seine Zeugen gebrauchen will:

  1. Propheten sind “Sprecher”. Sie sind Dolmetscher, Ausleger, “Mund” (Jer. 15,19) Gottes. Der Geist des HErrn „treibt” die Propheten (2. Petr. 1,21), legt seine Worte in ihren Mund (5. Mose 18,18; Jer. 1,9), redet durch sie (2. Sam. 23,2). Darum heißt es auch über 3000 mal im Alten Testament, dieser Bibel des HErrn Jesu und seiner Apostel: „So spricht der HErr!“
  2. Propheten sind “Seher”.  Sie müssen erst ihre Botschaft geschaut haben, ehe sie sie weitergeben können (Jes. 30, 10). Darum heißt diese ganz allgemein Gesicht (so bei Jesaja Kap. 1,1). Verschieden sind hierbei die Formen der prophetischen Schau.
    a) Die Wahrnehmung durch den äußeren Der Prophet bleibt
im Leibe (vgl. 2. Kor. 12,2); er ist nicht im Geiste (vgl. Off. 1,10). Er hört und sieht mit seinen körperlichen Sinnen (4. Mose 12,8): Mose sieht und hört am feurigen Busch (2. Mose 3); Samuel hört, aber sieht nicht (1. Sam. 3); Daniel sieht, aber hört nicht (Dan. 5,25); Abraham sieht und hört (1. Mose 18).
    b) Die Wahrnehmung durch den inneren Sinn. Der Prophet ist im Geiste (Off. 1,10), in der Verzückung (Ekstase). Nach außen hin ist er verschlossenen, nach innen hin geöffneten Auges (4. Mose 24,3; 15). Durch inneres Schauen empfängt er die Bildoffenbarung (Vision), zu der er jedoch oft einer Erklärung bedarf (Amos 7,7; 8,2; Sach. 1,9; 4,4; Dan. 8,15); durch inneres Hören gelangt er zur Wortoffenbarung, die ihm die Erkenntnis mehr direkt vermittelt.
    c) Die Wahrnehmung durch bloße Steigerung des natürlichen Geisteslebens. Hier steigert Gott entweder die Träume und macht sie zu Vermittlern göttlicher Botschaften (z.B. bei Pharao, Nebukadnezar, Joseph), oder er steigert die Tätigkeit des Verstandes und erhebt seine Rede zu begeisterter Höhe, z. B. bei den Lobgesängen der Hanna (1. Sam. 2), der Maria (Luk. 1), des Zacharias (Luk. 1). Das eine ist das Mittelglied zwischen dem natürlichen Traumleben und der inneren Bild-Offenbarung, das andere die Zwischenstufe zwischen der Predigt und der inneren Wort

So hat Gott vielfältig und auf vielerlei Weise zu den Propheten geredet (Hebr. 1,1); aber das Grundthema war immer das gleiche: die liebende Heiligkeit des HErrn und ihre sieghafte Verklärung in dieser Welt durch Gericht und Gnade bis hin zur Vollendung.

Von besonderer Bedeutung ist hierbei das „Gesetz der prophetischen Perspektive“. Für die Himmelswelt besteht nicht die Schranke der Zeit. Vor den Augen des Ewigen ist alles Gegenwart. Bei seinem Austritt aus der Sphäre des Zeitlichen in die Sphäre des Göttlichen tritt darum der Prophet zugleich ein in die Sphäre des Überzeitlichen und steht nun als „Sprecher“ des Ewigen königlich über allem Zeitbegriff. So kann er zwar die Zukunft als zukünftig ansehen (z.B. Jes. 9,6), aber im selben Satz zugleich auch als gegenwärtig (V.5b), ja sogar als vergangen (V.5a; bes. Jes. 53).

So entsteht die prophetische Perspektive. Ereignisse der näheren und ferneren Zukunft rücken zusammen wie die Gipfel der Berge für den Wanderer im Hochland. Judas Rückkehr aus Babel und Israels Sammlung in der Endzeit (Jes. 49,8-12; 43,5-7; 27,12), Christi Kommen in Niedrigkeit und sein Erscheinen in Herrlichkeit (Jes. 61,1-3) werden in einemBilde zusammengeschaut; denn das erste ist das Vorbild des anderen, und das zweite ist die Vollendung des ersten. Ein besonders deutliches Beispiel hierfür ist Jesajas Weissagung vom kommenden Hall- und Jubeljahr (Jes. 61,1-3), bei deren Verlesung der HErr in der Synagoge in Nazareth mitten im Satz abbrach, weil die Prophetie unvermittelt im selben Satz vom ersten zum zweiten Kommen des Messias übergegangen war und der HErr nur von seinem ersten Kommen reden wollte (Luk. 4,18; 19). – Ein anderes Beispiel ist Mal. 3,1-4.

Daß aber zum mindesten zwei Jahrtausende dazwischenliegen, wird nirgends gesagt; ja, als die Propheten über die „Zeiten und Zeitpunkte nachforschten“, wurde ihnen sogar durch eine besondere Offenbarung ihr Nichtverstehen dahin verständlich gemacht, daß sie dies gar nicht zu wissen brauchten; denn sie täten ihren Dienst nicht für sich selbst, sondern für die Geschlechter eines kommenden Zeitalters (1. Petr. 1,10-12).

So sehen die Propheten die „Gipfel“ und sie erkennen auch deutlich, daß „Täler“ dazwischenliegen; aber wie „breit“ diese sind und was sie im einzelnen in sich bergen, erkennen sie nicht. Sie verstehen, daß die „Leiden“ des Messias den „Herrlichkeiten“ vorangehen müssen (1. Petr. 1,11; Luk. 24,25; 26), daß also eine „Zwischenzeit“ beide voneinander trennt; aber wie lange diese Zwischenzeit währt und was sie des genaueren bedeutet – den Bau der Gemeinde -, das bleibt ihnen ein „Geheimnis“ (Eph. 3,2-10; Kol. 1,26; Röm. 16, 25; Matth. 13,17). Sie weissagen von der Endzeit, vom Reich des Messias, vom neuen Himmel und der neuen Erde (Jes. 65,17; 66,22); aber daß das messianische Reich aus zwei Abschnitten besteht, aus tausend Jahren auf der alten (Off. 20,2; 4-7) und aus Ewigkeiten auf der neuen Erde (Off. 21,1; 22,5), und daß Weltgericht, Weltuntergang und Verklärung dazwischenliegen (Off. 20,9-15) – das sehen sie nicht. Darum schildern sie die neue Erde mit den Farben des Herrlichkeitsreiches der alten (Jes. 65,17; besonders V. 20 „Tod“), und das Bild des Tausendjährigen Reiches fließt mit dem Bild der Vollendung in eins zusammen.

So sagt denn der HErr Jesus zu seinen Jüngern: „Wahrlich, ich sage euch: Viele Propheten haben begehrt zu sehen, was ihr sehet, und haben’s nicht gesehen…, aber selig sind eure Augen, daß sie sehen, und eure Ohren, daß sie hören“ (Matth. 13,17).

  1. Propheten sind „Wächter“. Als Menschen der Geschichte reden sie in geschichtlich bedingter Form zu Menschen der Geschichte. Als Glieder ihrer Gegenwart wenden sie sich, von ihrer Zeitlage ausgehend, an ihre Zeitgenossen. Darum sind sie zugleich auch die Warner des Volkes, die Mahner der Nation (Hes. 3,17), und als solche seine Hüter und Hirten” (Sach. 10,2).
  2. Propheten sind „Menschen Gottes“ (1. Tim. 6,11). Sie sind gottgeweihte Persönlichkeiten, „heilige Männer“ (2. Petr. 1,21). Sie sind aber auch selbsteigene Persönlichkeiten; denn Gott will nicht Beiseitesetzung, sondern Verklärung, nicht Ausschaltung, sondern In-Dienst-Stellung des menschlichen Wesens, nicht Sklaven, sondern Freunde, nicht Medien, sondern eben „Menschen“.

So haben wir die ländliche Bildersprache des Hirten Amos (Am. 7, 14: 2,13; 3,4), die Völkerprophetien des Ministers Daniel (Kap. 2; 4; Ji S; 11), die Aufforderung zum Tempelbau durch den Priester Sacharja, die Schilderung des zukünftigen Priesterdienstes ebenfalls durch einen Priester, den Propheten Hesekiel (Hes. 1,3 vgl. Kap. 40-48). Und was das Charaktermäßige betrifft, so haben wir den Donnerstil der Choleriker Amos und Jesaja, den Klageton des melancholischen Hosea oder Jeremia, den Psalmstil des poetischen Habakuk (Kap. 3).

So trägt jeder Prophet „den Stempel seiner Zeit als Mensch, gleichwie er den Stempel seines Gottes als Prophet trägt… Verschieden sind die Stimmfarbe und die Stimmkraft der einzelnen; aber ihr Chor bildet eine wunderbare Harmonie; denn der Komponist ist nur einer.

9. Kapitel: Die prophetische Botschaft

Erkenntnis- und Kraftquelle aller Prophetie ist der „Geist Christi“ 1. Petr. 1,11). Christus ist nicht nur Inhalt und Ziel, sondern auch Urheber aller Weissagung. In den Propheten redet Christus als Logos über sich selbst. Der Logos spricht von der Person und dem Werk des Messias. Die Propheten redeten „im Namen des zukünftigen Christus”.

In drei Hauptkreisen vollzieht sich im einzelnen die Ausübung ihres
 Berufs:

  1. Beleuchtung der Vergangenheit, besonders als Geschichtsschreibung,
    2. Beurteilung   der  Gegenwart,  besonders  als Mahnung  und Bußruf,
    3. Vorhersagung der Zukunft, besonders als Warnung und Trost, und zwar:
  2. a) Gericht über Israel,
    b) Gericht über die Weltvölker,
    c) Bekehrung Israels,
    d) Bekehrung der Weltvölker,
    e) Der Messias und sein Reich.

I. Beleuchtung der Vergangenheit

Als „Sprecher” und „Mund” Gottes schlechthin sind die Propheten nicht nur Vorhersager der Zukunft, sondern zugleich auch Hervorsager des göttlichen Urteils über Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtsschreibung im Lichte Gottes ist darum eine ihrer wesentlichen Hauptaufgaben. So schrieben Samuel, Nathan und Gad eine Chronik des Lebens Davids (1. Chron. 29,29). Die Fortsetzung schrieben Ahia von Silo  und Jeddi  der Seher (2. Chron. 9,29).  Semaja war Chronist bei Rehabeam (2. Chron.12,15) und Jehu bei Josaphat (2.Chron.20,34). So stehen auch die Geschichtsbücher des Alten Testaments in der hebräischen Bibel nicht als Gruppe für sich da, sondern mit Recht unter den Propheten.

Aber die israelitische Geschichtsschreibung ist besonderer Art. Sie ist weniger theoretische Geschichtsdarstellung als praktische Geschichtslehre.Die Bilder der Vergangenheit sollen Spiegelbilder für die Gegenwart werden. Die Schreiber sind frei von jeder nationalistischen Geschichtsfärbung. Rücksichtslos werden auch bei den größten Nationalhelden die Fehler und Sünden genannt. Sie bringen weder verhimmelnde Heiligenlegenden noch vergötternde Heldenverehrung. Auch der „Held“ ist für sie nur ein Werkzeug in der Hand Gottes (z. B. Kores der Indogermane: Jes. 45,1). Sie sind freimütig genug, bei den Schlechten das Gute zu nennen, und ehrlich genug, bei den Guten das Schlechte nicht zu verschweigen. So sollen die Nachkommen aus der Geschichte der Vorfahren lernen, und der Bericht über das Gestern soll ein Appell an das Heute sein (z. B. 2. Kön. 17, 7-23). Geschichte ist in der Bibel eben lebendige Geschichte, nicht nur ein Geschehen, das abgeschlossen in der Vergangenheit liegt, sondern ein göttliches Tun, das fortwährend in der Gegenwart zu uns kommt.

II. Beurteilung der Gegenwart

Weit davon entfernt, ein Produkt des jüdischen Geistes zu sein, kämpft das Alte Testament gerade gegen die jüdische Art! Schonungslos geißeln die Propheten die Sünden des Volkes (Jes. 58): Habsucht und Raffgier, Übervorteilung und Wuchergeist, Ausbeutung der Armen, Unterdrückung der Witwen und Waisen, Bestechung vor Gericht, Geschäftsbetrügereien mit falschen Gewichten, Hochmut und Modestolz, Abgötterei und Ausländerei, Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit.

Das Volk nennen sie abtrünnig (Jer. 3,8; 11), sein Rauchwerk ein Greuel (Jes. 1,13), seine Schlachtopfer Menschenmord (Jes. 66,3). Sein Herz nennen sie steinern (Hes. 36,26), seine Hände voll Blut (Jes. 1,15), seine Zunge voll Otterngift (Ps. 140).

Jerusalem ist eine Hure (Jes. 1,21; Hes. 16; 23; Hos. 1—3); das Volk ist Gomorra (Jes. 1,10; Hes. 16,46), seine Führer Verführer (Jes. 9,15). Seine Fürsten sind Aufrührer und Diebsgenossen (Jes. 1,23).

„Der Beste unter ihnen ist wie ein Dornstrauch und der Rechtschaffenste schlimmer als eine Dornhecke“, sagt Micha (7,4 vgl. 2. Mose 3,2), und Jesaja verkündigt dem jüdischen Volk seiner Zeit: „Wehe dem sündigen Geschlecht, dem schuldbeladenen Volk, der Brut von Missetätern, den entarteten Kindern!“ (Jes. 1,4.) Zuletzt aber, nach jahrhundertelanger Geduld, sagt Jahwe, der Gott des Alten Testaments, über Jerusalem: „Zu meinem Zorn und zu meinem Grimm ist mir diese Stadt gewesen von dem Tage an, da man sie gebaut hat, bis auf diesen Tag“ (Jer. 32,31).

So stehen die Propheten wie „eiserne Säulen“ da, wie Menschen mit Stirnen aus „Diamant, härter als Kieselstein“ (Hes. 3,8; 9). Sie rufen nicht: „Friede! Friede!”, wenn doch kein Friede ist (Jer. 6,14; Hes. 13,10).

Und doch lieben sie brennend ihr Volk und waren in Wahrheit die besten Patrioten (vgl. Römer 9,1—3). Aber gerade darum schwiegen sie nicht zu seinen Sünden, auch wenn es ihnen selber das Herze zerriß (Jer. 4,19). Sie waren eben keine Lügenpropheten. Nicht Beruf, sondern Berufung war ihr Dienst. Sie hatten nicht die Botschaft, sondern die Botschaft hatte sie! „Wehe mir, wenn ich nicht verkündige“ (1. Kor. 9,16). Und obwohl sie die wahren Patrioten waren, galten sie der Masse als volksfremd, nicht jüdisch genug, als Schwarzseher, Vaterlandsfeinde (1. Kön. 21,20) und Verräter (Jer. 37,13; 14).

Das sind die israelitischen Propheten. Nur grundstürzender Irrtum ist imstande, mit der Ablehnung der jüdischen Unart, auch ihr Werk, das Alte Testament, zu verwerfen! Nicht das Alte Testament, sondern der Talmud ist das Produkt des jüdischen Geistes! Das Alte Testament ist das Erzeugnis des Heiligen Geistes (1. Petr. 1,11; 2. Petr. 1,21; Hebr. 3,7)! Zwischen diesen beiden aber besteht eine Kluft wie die zwischen Jesus und den Pharisäern. Nicht durch, sondern trotz Israel wird der HErr einst triumphieren. Das Alte Testament aber ist nicht das Buch jüdischer Nationalreligion, sondern das Buch Gottes und seiner Offenbarung im Kampf gegen diese Religion.

Jüdisch-talmudische Pharisäermoral und Altes Testament sind nicht ein und dasselbe! Vielleicht aber hat sich Gott gerade deshalb dieses Volk auserwählt, weil er so auf dem Hintergrund seiner Gottfeindlichkeit (Apg. 7,51) den Ernst seiner zerbrechenden Gerichte und die Tiefe seiner vergebenden Gnade nun erst recht veranschaulichen konnte.

Denn Anschauungsunterricht ist Israels Werdegang, gegeben auf der offenen Bühne der Weltgeschichte, ein Warnungsbeispiel für alle Nationen, ein Spiegel für jeden einzelnen (1. Kor. 10,11). „Seien wir doch keine Pharisäer! Hurer und Ehebrecher, Feiglinge und Lügner, Meineidige und Mörder hat es nicht nur im jüdischen Volk gegeben. Es gab sie zu allen Zeiten in allen Völkern, und es wird sie auch in Zukunft noch geben. Das Alte Testament aber will weder das Buch nur der jüdischen Geschichte noch eine Sammlung frommer und moralischer Erzählungen sein, sondern das Zeugnis des Heiligen Geistes von der Sünde der Menschen – aller Menschen! – und von der Gnade Gottes, der dem bußfertigen Sünder vergibt. Es will uns zu unserm eigenen Heil sagen, wie Feiglinge und Lügner, Mörder und Sünder allzumal auf den Anruf Gottes hin ein neues Leben in den Wegen Gottes anfingen“ (Heitmüller).

Das ist gerade der Sinn auch der anstößigen Geschichten im Alten Testament; und gerade die prophetische Rücksichtslosigkeit seiner Berichte zeigt die Unbestechlichkeit und Wahrhaftigkeit des Ganzen! Die Bibel ist eben gerade deshalb das Buch der Menschheit.

III. Vorhersagung der Zukunft

  1. Gericht über Israel. Ohne Buße kein Heil! Ohne Zusammenbruch des einzelnen kein Aufbruch der Nation! „Wehe dem
sündigen Geschlecht, dem schuldbeladenen Volk (Jes. 1,4). „Israel hat das Gute verworfen! Der Feind verfolge es!“
 (Hos. 8,3.)

„Vernichtung“ (Jes. 1,28; Hos. 4,6), „Zertretung“ (Jes. 5,5), „Zerschmetterung” durch die Weltvölker (Jes. 30,14), Verheerung durch Naturkatastrophen (Joel 1,2-12; Am. 4,9), „Wegwerfung“ von Gottes Angesicht (Jer. 6,30; 7,15; 32,31) – das ist das unselige Los der abtrünnigen Juden. So sagen es die Propheten des Alten Testaments! Verhundertfachen ließen sich die Beweise. Untergang des Staates (Jer. 25), Schande über den einzelnen (Jer. 29,18), Verachtung seitens der Nationen (Jer. 24,9; 25,18; 26,6), Zorn Gottes wie loderndes Feuer (Jer. 4,8), sein Grimm wie eine Wasserflut (Hos. 5,10), – und das alles doch erst das Vorspiel des eigentlichen „Tages des Herrn“! (Joel 2.) — So weissagen die Propheten wider das jüdische Volk. „Zum Gesetz und zum Zeugnis! Wenn sie nicht nach diesem Worte sprechen, so gibt es für sie keine Morgenröte!” (Jes. 8,20.)

  1. Gericht über die Weltvölker. Aber auch die Völkerwelt steht unter dem Zorn. Gewalttat und Beutegier (Hab. 2,8), Blutvergießen (Nah. 3,1) und Raubtiernatur (Jes. 27), Selbstüberhebung und Vergottung der eigenen Kraft (Jes. 10,12; 14,13; Jer. 50,31), Haß gegen Israel und Verachtung des HErrn (Amos 1,11; Jes. 10,5; 47,6; Jer. 48,27) — das alles macht die Völkerwelt reif zum Gericht. Irrwahn sind ihre Religionen, Nichtigkeiten ihre Götzen, von Sünde durchsetzt all ihr Tun (Ps. 14,2). Und dennoch behaupten sie kühn, ihr Glaube sei besser als die Verehrung des HErrn.

Darum lautet der Ausspruch des HErrn: „Bei der Stadt, die nach meinem Namen genannt ist, fange ich mit dem Strafgericht an; und ihr solltet leer, ausgehen? Nein, das Schwert biete ich auf wider alle Bewohner der Erde” (Jer. 25,29).

„Wehe über Assur!“, diesen „feurigen Drachen“! (Jes. 14, 29). Das Schwert über Ägypten, dieses Ungeheuer im Nil (Jes. 27,1). Grube und Strick über Moab, diesen Prahler! (Jes. 16,6). „Nimm diesen Becher voll Zornweins aus meiner Hand und laß alle Völker daraus trinken, zu denen ich dich sende“ (Jer. 25,15). Ammon soll zur Kameltrift (Hes. 25,5) und Tyrus zum nackten Felsen werden (Hes. 26,4). Elam soll sterben und Edom eine „Totenstille“ sein (Jes. 21,11; 63, 1—6). Und Babel vor allem soll auf ewig wie Sodom und Gomorra werden (Jes. 13,19; 20; Jer. 50,40). – So sind die Propheten zugleich Völkerpropheten, und das Alte Testament ist ein Warnungssignal an die Welt.

  1. Bekehrung Israels. „Doch nicht bleibt Finsternis dem Lande, welches Bedrängnis hat” (Jes. 9,1). Durch Gericht soll Zion erlöst werden (Jes. 1,27). Der Überrest wird umkehren (Jer. 24,7) und, durch die Erscheinung des Messias, ein erneuertes Volk werden (Jes. 11,9; 4,3).

In überwältigender Fülle schildern die Propheten dies kommende Heil. An Hunderten von Stellen reden sie davon. Aber stets bezieht sich ihre Heilsweissagung auf das umgewandelte und erneuerte Israel; dem unbekehrten, noch im Lande weilenden oder wegen seiner Sünden unter die Völker zerstreuten, ausbeuterischen Fersenhalter Jakob gibt das Alte Testament nicht eine einzige Zusage von Herrschaft und Segen.

Dann aber, wenn der Messias erscheint, wird Israel in Palästina (Jer. 16,15) seine große, nationale Buße (Sach. 12,10; Off. 1,7) und geistliche Wiedergeburt erleben – nicht aus den Kräften seines eigenen Volkstums heraus, sondern von Jesus von Nazareth her! Und dann wird das jüdische Wunder geschehen; und das jetzt noch so unreine und unheilige Volk wird so heilig, so rein, so umgewandelt sein, daß alles, selbst das Kleinste, dem HErrn geweiht ist. „An jenem Tage wird auf den Schellen der Rosse stehen: „Heilig dem Herrn“, und jeder Kochtopf in Juda wird dem HErrn der Heerscharen heilig sein“ (Sach. 14, 20). So verbindet sich dann mit der geistlich-nationalen Auferstehung Israels aus den Toten (Hes. 37,1-14) seine kommende Heiligkeit, und mit der Heiligkeit Segen (Jes. 60,18) und mit dem Segen Gottes Herrlichkeit (Jes. 40,5).

  1. Bekehrung der Weltvölker. Aber auch die Völker sollen gesegnet werden. Denn Gott ist nicht nur der Juden Gott, sondern auch der Gott der Nationen (Römer 3,29). Die israelitische Prophetie sieht in der Völkerwelt eine Familie, und alle Nationen sind Mitteilhaber des messianischen Heils. Darum wird der HErr einst „den Schleier vernichten, der alle Völker verschleiert, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist“ (Jes. 25,7). Dann werden die Völker als Völker sich bekehren (Jer. 3,17; Sach. 8,20; Micha 4,2; Jes. 42,4), und zum ersten Male in der Geschichte wird es christliche Nationen im Sinne der Heiligen Schrift geben. (Das gegenwärtige Zeitalter – von Pfingsten bis zur Wiederkunft Christi – hat nicht die Christianisierung der Rassen zum Ziel, sondern die Herausrufung einzelner aus allen Völkern und dadurch die Bildung der Gemeinde aus Juden und Heiden (Apg. 15,14). „An jenem Tage wird für den HErrn ein Altar mitten im Lande Ägypten stehen und eine Denksäule nahe an seiner Grenze für den HErrn; und die Ägypter werden dem HErrn im Verein mit den Assyrern dienen. Und der HErr Zebaoth wird sie segnen und sprechen: „Gesegnet bist du Ägypten, mein Volk, und du Assur, meiner Hände Werk, und du Israel, mein Erbteil!“ (Jes. 19,19).

In der Tat, hier bietet die israelitische Prophetie ihr Äußerstes; denn es ist nicht Einverleibung der sich bekehrenden Heiden in das erneuerte, israelitische Gottesvolk, was hier erhofft wird, sondern ein Bruderbund Israels und der Völker auf der Grundlage der Gleichberechtigung.

Und in Maleachi spricht Gott: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden; und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert und reines Speisopfer geopfert werden; denn mein Name soll herrlich werden unter den Heiden“ (Mal. 1,11). Damit aber weissagt der alttestamentliche Prophet – nur mit alttestamentlichen Farben – die neutestamentliche Wahrheit, die Jesus der Samariterin sagt: daß der Vater nicht nur an dieser oder jener Stätte, sondern an allen Orten der Welt Anbetung empfangen soll in Geist und Wahrheit (Joh. 4,24). So werden denn Israel in seinem Lande (Sach. 10,10) und die Völker in ihren Ländern die geistliche, göttliche Wiedergeburt erleben, und der HErr wird als Gottkönig über die ganze Erde herrschen, und Gerechtigkeit und Friede wird die Gesamtmenschheit regieren.

  1. Der Messias und sein Reich. Die Bekehrung Israels und der Weltvölker wird aber bewirkt durch das Erscheinen des Messias. Er ist die Krone und der Glanzstern aller Prophetie. „Die Propheten sind die Sterne und der Mond; aber Christus ist die Sonne“ (Luther). Von ihm „zeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“ (Apg. 10,43). Christus ist das Thema des Alten Testaments. So hat er es selber gesagt (Joh. 5,39; Luk. 24,25). So bezeugt es sein größter Apostel (1. Kor. 15,3; 4; Apg. 26,22). Erst von dem König der Schrift aus kann das Zeugnis seiner vorausgesandten Herolde verstanden werden. Erst von dem Neuen Testament aus löst sich die Frage nach dem Alten Testament.

 

10. Kapitel: Die Messiasprophetie

Christus ist durch das Alte Testament im Kommen begriffen. „Das Alte Testament ist Morgendämmerung und Morgenrot. Das Morgenrot gehört zur Sonne. So gehört das Alte Testament zu Jesus Christus“ (E. Brunner).
Das Alte Testament sagt, was der Christus ist, das Neue sagt, wer er ist, und zwar so, daß offenbar wird: nur der kennt Jesus, der ihn als den Christus erkennt, und nur der weiß, wer der Christus ist, der da weiß, daß er Jesus ist. So entsprechen die beiden Testamente den beiden Hauptnamen des Erlösers, das Alte seinem Berufsnamen Christus, das Neue seinem Eigennamen Jesus; aber beide sind von einem Geiste durchhaucht und deuten einander.

Allumfassend ist darum auch das Messiasbild der alttestamentlichen Prophetie. Sie schildert:

I. Die Person des Messias.

Seine Menschheit nach Familie, Ort, Zeit.
Seine Gottheit (diese in verhüllter Form).

II. Das Werk des Messias.

Sein Kommen in Niedrigkeit.
Sein Kommen in Herrlichkeit.

I. Die Person des Messias

Christus ist schon vor seiner Menschwerdung das Zentrum der Heilsgeschichte. Seine alttestamentliche Vorausdarstellung ist zugleich Selbstdarstellung; denn der „Geist Christi” war in den Propheten (1. Petr. 1,11). Schon die vorchristliche Offenbarungsgeschichte ist „Geschichte Christi“.

  1. Seine Menschheit. Zielbewusst im Lauf der Jahrhunderte voranschreitend, schildert die alttestamentliche Weissagung die Menschheit des Erlösers in konzentrischen Lichtkreisen, einer sich nach oben hin verjüngenden Pyramide gleich. Zunächst
  2. a) Die Familie. Der Welterlöser stammt

aus der Menschheit, ist „Weibessame“ (1. Mose 3,15) – so heißt es zur Zeit Adams und Evas (um 4300);
von allen Rassen der Menschheit aus Sems Geschlecht (1. Mose 9,26) – so prophezeit Noah (um 2300);
von allen Semiten aus Abrahams Samen (1. Mose 12) – so sagt ihm Gott selbst um 1900;
von allen Nationen, die von Abraham stammen, aus Israel – (um 1850 vgl. 1. Mose 26,3; 28,13);
von allen Israeliten aus dem Königsstamm Juda  – so heißt es um 1800 (1. Mose 49,10).

Dann steht die Spezialisierung der Verheißung einige Jahrhunderte hindurch still. Wohl schreibt Mose um 1500 sein fünfteiliges Werk, weissagt auch von dem Kommen eines Propheten wie er (5. Mose 18,15 vgl. Apg. 3,22), und vor allem sind Stiftshütte und Opfereinrichtungen Vorbilder auf Christum als den Priester (bes. 2. Mose 25-31; Joh. 5,46); aber weiterführen tut er die Zugipfelung der Verheißung nicht. Ebenso bleibt Bileam, der heidnische Seher, sein Zeitgenosse, mit seiner Weissagung von dem kommenden König durchaus innerhalb des Rahmens des allgemeinen Israels stehen: „Ich sehe ihn, doch nicht schon jetzt; ich schaue ihn, doch nicht in der Nähe: es geht ein Stern aus Jakob auf, und ein Herrscherstab erhebt sich aus Israel” (4. Mose 24,17).

Erst mit Nathan, dem Propheten der Davidszeit (um 1050), also 700 Jahre später, hebt die Spezialisierung der Prophetie von neuem an. Inzwischen war aber das israelitische Königtum entstanden (mit Saul); und dies war, vom Gesichtspunkt der Königsherrschaft Gottes aus, ein Rückschritt, ein Zugeständnis an die „Herzenshärtigkeit“ der Menschen. Aber der Plan Gottes kann nicht durch menschliche Querwirkungen vereitelt werden.

Aus Israel sollte der gott-menschliche Messiaskönig kommen. Irgendein Israelit mußte darum sein Ahnherr sein. Daß dies aber gerade ein König sein müsse, war in keiner Weise notwendig. Jede beliebige Privatperson aus dem Stamm Juda konnte zum Vorfahren des Messias erwählt werden.

Nachdem aber nun einmal das Königtum da war, bestand die Oberregierung Gottes darin, daß Gott einen gläubigen Träger der Krone zum Ahnherrn des Messias erwählte. Durch Nathans Weissagung an David wurden die messianischen Verheißungen, innerhalb des Königsstammes Juda, auf ihn, den gekrönten Sohn Isais, übertragen (vgl. Jes. 11,1). Von nun an ist der Messias Sohn Davids (vgl. Off. 5,5).

Von den zahlreichen Söhnen Davids (2. Sam. 5,13) wurden namentlich zwei die Träger des messianischen Segens: Salomo und Nathan, beides Söhne der Bathseba (1.Chron. 3,5). Von Salomo stammt Joseph ab, der rechtliche “Vater” des HErrn Jesu (Matth. 1,6; 16), von Nathan die Jungfrau Maria, seine eigentliche Mutter (Luk. 3,23; 31).

Das irdische Königtum ging später zugrunde. Mit Zedekia verlor das Davidische Geschlecht seine Krone (2. Chron. 36,11—20). Aber das Reich und die Macht und die Herrlichkeit blieben dennoch mit David verbunden (Jes. 55,3); und in der Endzeit wird Christus, gerade als David, sein Volk und die Völkerwelt weiden (Hes. 37,24; 25; Hos. 3,5; Jer. 23,5). „Mein Knecht David soll ihr Fürst sein für immer!” (Off. 22,16.)

  1. b) Der Ort. Mit der Nathans-Weissagung an David war die Frage nach der Familie des Messias abschließend beantwortet worden. Aber noch war die Frage nach dem Ort und der Zeit nicht geklärt. Obwohl von einem Nachkommen des heldenhaften Kaleb gegründet, tritt Bethlehem-Ephrata in den Jahrhunderten vor David in der Geschichte Israels doch nur sehr unrühmlich hervor, und zwar in Verbindung mit Götzendienst (Richt. 17, 7), Unsittlichkeit, Bruderkrieg (Richt. 19) und Hungersnot (Ruth. 1,1). Aber gerade aus dieser Stadt erwählte sich Gott, der sich stets zu dem Geringen herabneigt, den Ahnherrn des Messias; und so wurde Bethlehem-Ephrata, als Stadt Davids, der Ort, in dem Christus der HErr geboren werden sollte (Micha 5,1; Luk. 2,11).

Aber noch genauer wurde die Prophetie. Fast zweihundert Jahre, nachdem Micha den Ort geweissagt hatte (um 725), verkündete Daniel um 536

  1. c) Die Zeit. Dies geschah in der Weissagung von den siebenzig Jahrwochen, genauer gesagt, den 69 Jahrwochen vor dem Anbruch der 70. Damit aber erreicht die Zugipfelung der Prophetie ihren Höhepunkt und zugleich ihren Abschluß.

„So wisse nun und merke: Von der Zeit an, da ausgeht der Befehl, daß Jerusalem soll wiederum gebaut werden, bis auf den Gesalbten, den Fürsten,11) sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen, so werden die Gassen und Mauern wieder gebaut werden, wiewohl in kümmerlicher Zeit; und nach den zweiundsechzig Wochen wird der Gesalbte ausgerottet werden und nichts mehr sein” (Dan, 9,25; 26).

Die 70 Wochen (Siebenheiten) sind je sieben Jahre. Dies begriff ein Israelit wie Daniel sehr leicht; galt doch, nach dem mosaischen Gesetz, jedes siebente Jahr als ein Sabbatjahr (3. Mose 25,4). Also umspannen die 7+62=69 Jahrwochen bis „auf den Gesalbten (den Messias) den Fürsten“ 483 Jahre.

Ihr Anfang ist der Ausgang des Befehls, die Stadt Jerusalem wieder zu bauen (Vers 25). Hiermit kann nicht der Erlaß des Kores gemeint sein (536); denn dieser bezog sich vornehmlich auf den Wiederaufbau des Tempels (2. Chron. 36,23; Esra 1,1; 5,13), eine Aufgabe, die durch den Fürsten Serubabel, den Hohenpriester Josua und die Propheten Haggai und Sacharja bis zum Jahre 516 ausgeführt wurde. Den eigentlichen Wiederaufbau der Stadt vollführten erst, einige Jahrzehnte später, der Priester Esra, der Statthalter Nehemia und der Prophet Maleachi.

Ihre Tätigkeit setzte ein mit dem auch die politische Neuorganisierung Palästinas betreffenden Erlaß des persischen Königs Artaxerxes im siebenten Jahre seiner Regierung (465-424), also im Jahre 457 (Esra 7,25). Der Beginn der Tätigkeit Esras ist also der Anfang der siebenzig Jahrperioden.

Rechnen wir nun zu diesem Jahre 457 die geweissagten 69 Jahrwochen. d.h. 483 Jahre hinzu, so kommen wir in das Jahr 26/27 nach Christi Geburt, also genau in das Jahr, in dem Christus, nach Luk, 3,1, kurz hinter Johannes dem Täufer, mit der Himmelreichsbotschaft begann! Denn als der HErr auftrat, war er ungefähr 30 Jahre alt, und da Herodes der Große seine Geburt noch miterlebt hat (Matth. 2), selber aber schon im Jahre 749 der Stadt Rom, also 4 vor Chr. Geb., gestorben ist, muß der HErr schon vier oder fünf Jahre vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung geboren worden sein, war also buchstäblich beim Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit, im Jahre 26/27, etwa dreißig Jahre alt.

So hat auch hier die Erfüllung in überraschendster Weise die Weissagung bestätigt; und indem die alttestamentliche Messiasprophetie die Menschheit des Erlösers nach Familie, Ort und Zeit genau bestimmt hatte, hat sie sich gleichzeitig als ein vollkommenes, göttliches Gemälde erwiesen.

  1. Die prophetische Vorausahnung der Gottheit des Messias. Aber auch die Gottheit des Messias ist im Alten Testament – wenn auch nur verhüllt und in Bildern  – angedeutet. Zuerst am verhältnismäßig deutlichsten in der Nathansweissagung: „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein“ (1. Chron. 17,13). Sich darauf gründend, nennt David in Psalm 110 seinen Sohn seinen „Herrn“ (Matth. 22,44), und der vorbildliche David legt, gleichsam vom Throne herabgestiegen, seine Krone zu den Füßen dessen nieder, der, sitzend zur Rechten des HErrn, der eigentliche, wahre David ist (Hos. 3,5). Weiterhin sagt derselbe Psalmist: „Der HErr hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeuget“ (Ps. 2,12), ein Wort, welches das Neue Testament auf die Auferstehung Jesu bezieht (Apg. 13,33), die ja sein Versetztwerden aus dem Leben in Knechtsgestalt in das Leben der Erhöhung war und also seine „Zeugung“ in sein königliches Dasein.

Auf die Gottheit des Messias weist ferner bildhaft auch Jesaja hin, indem er den „Wurzelzweig Isais“ (Jes. 11,1) als „Zemach (Sproß) des Herrn“ (Jes. 4,2) bezeichnet und als „Wunderbar-Rat, Kraft-Held, Ewig-Vater, Friedefürst“ (Jes. 9, 6). Für Micha ist er der „HErr, dessen Ausgang von Anfang und Ewigkeit her gewesen ist“ (Micha 5,1), für Jeremia „der HErr unsere Gerechtigkeit“ (Jer. 23,5) und für Maleachi „der HErr, den ihr sucht“ und „der Engel des Bundes, des ihr begehret“ (Mal. 3).

II. Das Werk des Messias

Wie die Person des Messias von den Propheten unter einem harmonischen Gegensatz geschaut worden war, so auch sein Werk. Dort war es der Gegensatz zwischen Gottheit und Menschheit, hier zwischen Niedrigkeit und Hoheit. Die Leiden, die auf Christum kommen sollten und die Herrlichkeiten danach – das ist der zweifache Grundinhalt aller ihrer Weissagung (1. Petr. 1,11).

  1. Christi Kommen in Niedrigkeit. In einem geradezu großartigen Kleingemälde schildert sie sein erstes Kommen, diesen dunklen Untergrund seiner strahlenden Königsherrlichkeit.

Sein Geborenwerden in Bethlehem: Micha 5,1; Matth. 2, 1;
Sein Auftreten in Galiläa: Jes. 8,23-9,6; Matth. 4,14;
Seine Sanftmut und Zartheit: Jes. 42,2; Matth. 12,17-21;
Seine Wunder und Krankenheilungen: Jes. 53,4; Matth. 8, 17;
Seinen Einzug in Jerusalem: Sach. 9,9; Matth. 21, 5;
Die Wut seiner Feinde: Ps. 2,1-4; Apg. 4, 25-28;
Sein Verlassenwerden durch seine Freunde: Sach. 13,7; Matth. 26,31;
Sein Verratenwerden um 30 Silberlinge: Sach. 11,12; Matth. 26,15;
Sein Durchbohrtsein am Kreuz: Ps. 22,17; 18; Joh. 20,25-27;
Sein Getränktwerden mit Essig: Ps. 69,22; Matth. 27,34;
Seinen Schmerzensruf in der Not: Ps. 22,2; Matth. 27,46;
Seinen Siegesruf: „Es ist vollbracht!“ Ps. 22,32; Joh. 19, 30;
Das Nichtzerbrechen seiner Gebeine: 2. Mose 12,46; Ps. 34,21;
Den Speerstich der Legionäre: Sach. 12,10; Joh. 19,37;
Das Loswerfen um sein Gewand: Ps. 22,19; Matth. 27,35;
Seine Auferstehung am dritten Tage: Ps. 16,10; Apg. 2, 25-31; Hos. 6,2;
Seine Auffahrt in den Himmel: Ps. 110,1; Apg. 2, 34.

Durch dies alles ist er der leidende und triumphierende Gottesknecht, der, als der Stellvertreter der Sünder, die Erlösung vollbringt und also Jesaja 53, diese wunderbarste Weissagung des Alten Testaments, erfüllt (Apg. 8,32).

  1. Christi Kommen in Herrlichkeit. Aber auch das zweite Kommen des HErrn wird in lebendigster Farbenpracht geschildert. Hierbei schauen die Propheten das erste und zweite Kommen Christi oft in einem Bilde zusammen.

Gekrönt mit der gold-silbernen Doppelkrone des melchisedekschen Königs- und Priestertums, herrscht der Messias in Gerechtigkeit und siebenfacher Geistesfülle über sein Reich (Jes. 11,2).

– Bekehrung und Vereinigung Israels (Hes. 37,15-22),
– Erneuerung der Nationen (Zeph. 3,9),
– Friede unter den Völkern (Micha 4,3),
– Segnungen der Natur (Jes. 11,6; Hos. 2,23),
– erhöhter Glanz von Sonne und Mond (Jes. 30,26)  –  das sind einige der Herrlichkeiten dieses goldenen Zeitalters.

So gleicht das Alte Testament einem gestirnten Nachthimmel gleichwie das Neue einem sonnenhellen Tage, „und ist kein Wort im Neuen Testament, das nicht hinter sich sehe in das Alte, darinnen es zuvor vorkundigt ist (Luther).

III. Das Schweigen Gottes

Die Propheten hatten geredet. Fast 4000 Jahre lang hatte Gott sich geoffenbart, zuerst in der Menschheit, dann besonders in Israel. Namentlich seit Mose hatte es eine ununterbrochene Kette prophetischer Botschaften gegeben.

Dann plötzlich mit Maleachi verstummt die Prophetie. Gott zieht sich in seine Himmelshöhe zurück und – schweigt -, schweigt 400 Jahre! -, schweigt und harrt.

Und die Menschheit hier unten im Tränental muß noch weiter fast ein halbes Jahrtausend auf den verheißenen Erlöser warten! Und doch ist schon alles gesagt, was vor dem Erscheinen des Weltheilands zu sagen war! Die alttestamentliche Gottesoffenbarung ist schon vierhundert Jahre vor Christi Geburt abgeschlossen und fertig!

Wozu da noch diese Schule der Sehnsucht für die Gläubigen in diese so lange Zwischenzeit zwischen Maleachi und Johannes dem Täufer?
Warum kam Christus nicht schon zur Zeit Maleachis?

Die Antwort liegt darin, daß das Evangelium nicht nur offenbarungsgeschichtlich, sondern auch welt– und kulturgeschichtlich vorbereitet werden musste. Und gerade dies geschah in der Zwischenzeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament, besonders durch Alexander den Großen, den Hellenismus und das Römerreich. Damit aber treten die Weltreiche unter den Gesichtspunkt der Heilsvorbereitung, und der offenbarungsgeschichtlich schweigende Gott ist zugleich der weltgeschichtlich handelnde Gott.

Hier ist es besonders das Buch Daniel, welches die Nacht dieses halben Jahrtausends erleuchtet.

Zwei lange, offenbarungslose Zeiten kennt die Heilsgeschichte der Bibel: die Zeit zwischen Maleachi und Johannes dem Täufer und die Zeit zwischen Christus und dem kommenden Gottesreich. Die erste währte 400 Jahre; die zweite währt jetzt schon fast 2000 Jahre. Beides sind „Zeiten der Nationen“ (Luk. 21,24).

Die Leuchte der ersten ist der Völkerprophet Daniel, der Leitstern der letzteren ist die Offenbarung Johannes. Das Buch Daniel wurde den Heiligen des Alten Bundes gegeben beim Eintritt in die Nacht zwischen der ersten Zerstörung Jerusalems (586 v. Chr.) und dem ersten Erscheinen des HErrn. Die Offenbarung Johannes wurde den Heiligen des Neuen Bundes gegeben beim Eintritt in die Nacht zwischen der zweiten Zerstörung Jerusalems (70 nach Chr.) und dem zweiten Erscheinen des HErrn. So gehören sie denn beide zusammen: das eine ist das Gegenstück des andern, und das zweite ist die Vollendung des ersten.

 

E.  Die Heilszubereitung der Völkerwelt

11. Kapitel: Die „Zeiten der Nationen“
(Die vier Weltreiche Daniels)

„Die Völker sind wie das brausende Meer, wie brandende Wogen, die im Aufruhr tosen” (vgl. Jes. 17,13).

Mit Nebukadnezar (586) begannen die Zeiten der Nationen (Luk. 21, 24), das heißt, die Zeiten, in denen Israel in die Hände der Weltmächte hingegeben ist. Sie werden erst enden mit der Aufrichtung des sichtbaren Gottesreiches.

Nebukadnezar und Daniel wurden gewürdigt, die Gesamtentfaltung der Weltmächte in universal-historischer Prophetie zu schauen, doch beide von verschiedenen Gesichtspunkten aus, entsprechend ihrer Stellung im Heilsplan.

Nebukadnezar, der heidnische Herrscher, sieht die Außenseite der Weltgeschichte, ihr Menschenantlitz, ihren organischen Zusammenhang, das Großartige, Heldische, Imponierende an ihr: das menschliche Kolossalstandbild „von außerordentlichem Glanz” (Dan. 2,31), und das Reich Gottes erscheint ihm nur wie ein „Stein” von dem Berge   (Dan. 2, 34; 44).

Daniel, der Staatsminister, aber geheiligte Seher zugleich, schaut die Innenseite der Geschichte, ihre untermenschliche Raubtiernatur (Dan. 7. 4-7), ihre disharmonische Zerrissenheit in dem Widerstreit der Völker untereinander (Dan. 8,4), das “Gottlästernde“ in ihr; und das Reich Gottes ist ihm das Reich des Menschensohnes“ (Dan. 7,13), das heißt, das Reich, in dem zum ersten Male auf der Erde eine Herrschaft wahren Menschentums im Sinne der Heiligen Schrift aufgerichtet werden wird.

Das erste Reich war eine Einheit (Babylonien, ein Haupt), das zweite eine Zweiheit (Medo-Persien, Brust und zwei Arme), das dritte eine Vierheit (die vier griechischen Diadochenstaaten, der Pardel mit vier Hörnern), das vierte wird eine Zehn-Einheit sein (das endgeschichtliche vierte Weltreich, zehn Zehen, zehn Hörner, die aber durch den Antichristen zu einer Gesamteinheit verbunden sein werden). Zuletzt aber, wenn Christus erscheint, wird dies alles zu einer Vielheit von Trümmern (Dan. 2,35; Off. 16,16; 19,11-18; Matth. 21,44), und dann wird der HErr, als der eigentliche Menschheitsmonarch, alle Völker und Rassen unter einem Haupt, ihm selber, zu einer wahren Einheit zusammenbringen (Eph. 1,10; Sach. 14,9).

Ostwestlich ist der Entwicklungsgang der Geschichte, dem Sonnenlauf gleich – mit der Nacht abschließend. „Abwärts“, von Gott weg, geht Sünde und Welt. Vom Gold geht’s zum Silber, vom Silber zum Kupfer, vom Kupfer zum Eisen, und auf tönernen Füßen steht Nebukadnezars Koloß.

Das Ende ist Zusammenbruch. Das Riesenstandbild wird  zermalmt, und die Herrschaft der “Tiere” wird weggenommen. Aber dann geht, mitten in der tiefsten Nacht, plötzlich die Sonne auf. Der Menschensohn richtet, vom Himmel her kommend (Dan. 7,13; Matth. 26,64), das Reich wahren Menschentums auf. Der “Stein” wird zum “Berge” und erfüllt die ganze Erde, und „das Reich und die Herrschaft und die Größe der Königreiche unter dem ganzen Himmel werden dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben“ (Dan. 7,27).

Vom 8. bis 6. Jahrhundert vor Christi Geburt war es “Frühlingszeit” in der Völkerwelt. Kein anderer Zeitabschnitt der vorchristlichen Weltgeschichte ist für die Gestaltung des geistigen Lebens der Menschheit von so grundlegender Bedeutung geworden.  Geradezu eine Woge von Inspiration ging über die gesamte Kulturwelt dahin. In Ostasien lebten Konfuzius und Laotse, die größten Chinesen, in Südasien Buddha, der einflußreichste Inder, in Persien Zarathustra, der Prophet der Religion des Kores. In Westasien war die Hochblüte der israelitischen Prophetie unter Jesaja. Jeremia, Hesekiel und Daniel, und in Griechenland das erste Aufkeimen der Philosophie (Tales, Heraklit, Pythagoras, Sokrates), und die Blütezeit der klassischen Dichtkunst (Sophokles, Euripides, Äschylos).

Politisch aber brausten die Frühlingsstürme. Noch 650 stand Ninive da, und der Großkönig von Assur war der Herr Vorderasiens. Doch 612 fiel Ninive, und von nun an rollten die Ereignisse förmlich dahin. Das Neubabylonische Reich wurde schon nach wenigen Jahrzehnten durch Kores gestürzt (538). Dessen Reich brachte Alexander der Große zu Fall (333), und auch Alexanders Reich zerfiel gleich nach seinem Tode in vier Teilstaaten (301). Das Erbe des Ganzen aber übernahmen die Römer. Erst mit dem Römischen Reich trat für einige Jahrhunderte „Sturmstille“ ein.

I. Das Neubabylonische Weltreich: 612—538

„Du bist das goldene Haupt”, so deutet Daniel das Standbild für Nebukadnezar. Von den vier Tieren, die er selbst geschaut, entspricht das erste diesem Königreich. Das Neubabylonische Reich ist der Löwe mit Adlersflügeln (Dan. 7,4). Denn was das Gold unter den Metallen und das Haupt unter den Gliedern ist, das ist der Löwe unter den Tieren der Erde und der Adler unter den Tieren in der Luft, und das Neubabylonische Reich vereinigte löwenstarke Königsmacht mit adlerartiger Schnelligkeit und Raubtiernatur. Es bestand ziemlich genau 70 Jahre und fiel zeitlich fast mit der babylonischen Gefangenschaft der Juden (606—536) zusammen. Mit seiner Zerstörung wurde die Weissagung Jeremias erfüllt: „Der HErr hat die Wut der Könige von Medien erweckt; denn sein Absehen ist wider Babylon gerichtet, um es zu vernichten; denn die Rache des HErrn ist da, die Rache für seinen Tempel!” (Jer. 51,11; Jes. 13,17). Zugleich aber brach mit dem Fall Babylons die gesamte Weltherrschaft der semitischen Rasse für immer zusammen (538).

II. Das Medo-Persische Weltreich: 538 – 333

Kores, der Anführer der Indogermanen, wird von dem Alten Testament geradezu einzigartig begrüßt. Er ist der einzige Kriegsheld der Völkergeschichte, der schon Jahrhunderte vor seiner Geburt von der israelitischen Prophetie mit Namen genannt wird (von Jesaja, ungefähr 200 Jahre vor Kores selbst: Jes. 44,28; 45,1). Der HErr hat ihn, um Israels seines Knechtes willen, bei der Rechten ergriffen, um Völker vor ihm niederzuwerfen, und spricht zu ihm: „Ich selbst will vor dir herziehen und das Unwegsame ebnen, damit du erkennest, daß ich, der Herr bin, der Gott Israels” (Jes. 45, 3). So begrüßt das Alte Testament den Begründer der arischen Weltherrschaft.

Die Meder und Perser waren Brudervölker; doch standen die Perser zunächst unter der Oberhoheit der Meder. Da vollzog der persische Prinz Kurusch von Ansan (Cyrus, Kores) gegen den Mederkönig Astyages um 559 einen Umsturz, und von nun an war das medische Reich persisch geworden.

Mit gewaltiger Stoßkraft stürmte das Perserreich voran. „Ich sah, wie der Widder nach Westen, nach Norden und nach Süden stieß“ (Dan. 8,4). Bezeichnend ist, daß der Osten nicht genannt wird; denn in der Tat haben die Perserkönige keine Eroberungszüge nach Indien unternommen. Gegen Griechenland allerdings waren seine Unternehmungen erfolglos, und hierin lag der Keim seines späteren Untergangs.

III. Das Griechisch-Mazedonische Weltreich: 333 v. Chr. und Folgezeit

Den Zusammenbruch des Perserreiches bewirkte, nach 206 jährigem Bestehen (538—332), Alexander von Mazedonien, der Sohn König Philipps. Sein Reich ist der kupferne Bauch und die Lenden im Standbild Nebukadnezars, der Panther mit den vier Flügeln und den vier Köpfen im Traumgesicht Daniels (Dan. 7,6), und er selbst ist das „große Horn“ des Ziegenbocks, der von Westen herkommend den persischen „Widder“ zu Fall bringt (Dan. 8,5—7; 21).

Der Siegeszug Alexanders ist das gewaltigste Schauspiel des Altertums. Mit rasender Geschwindigkeit, einem vierfach geflügelten Leoparden gleich (Dan. 7,6), stürmte Alexander gegen den minder beweglichen Widder, den plumpen persischen Bär. In unvergleichlichen Siegen am Granikus (in Westkleinasien, 334), bei Issus (in 333) und bei Gaugamela (bei Ninive, 331) vernichtete der jugendliche Kriegsheld die riesenhaften Heere des schwachen Darius Codomannus. Nach knapp dreijährigem Kampfe war der fünfundzwanzigiähnge Jüngling der Herr des zweitausendjährigen Orients.

Dann aber kam in das gewaltige Schauspiel die Tragik. Auf der Höhe seiner Macht, in der Blüte seiner Jahre, mit 32 Jahren, starb Alexander in der Weltstadt Babylon, nach einem Gelage, an einem hitzigen Fieber, ohne Thronerben eines plötzlichen Todes (323). Das „Horn“ wurde „zerbrochen“ (Dan. 8,8; 22). „Ein Heldenkönig wird auftreten und über ein großes Reich herrschen und alles ausführen, was ihm beliebt. Doch kaum ist er aufgetreten, so wird sein Reich zerfallen“ (Dan. 11,3).

So erfüllte sich buchstäblich im Jahre 301 durch die Schlacht bei Ipsus (Phrygien) die Weissagung Daniels aus dem 6. Jahrhundert (Dan. 7,1; 6; 8,1): „Der Ziegenbock wurde überaus groß; aber als er am stärksten war, brach das große Horn ab, und vier andere ansehnliche Hörner wuchsen an seiner Stelle hervor nach den vier Himmelsgegenden” (Dan. 8,8). …

Hier kam es schon nach wenigen Jahrzehnten zu jenem gewaltigen Zusammenstoß zwischen Weltkultur und Offenbarung, der in den Namen Antiochos Epiphanes und Judas Makkabäus verkörpert ist.

Aus einem der vier Hörner des Ziegenbocks, die an der Stelle des abgebrochenen Alexander-Horns emporgewachsen waren, ging ein besonders „kleines Horn“ hervor. „Ein König wird auftreten, frechen Angesichts und ein Meister in Ränken. Seine Macht wird bedeutend sein; er wird außerordentliches Unheil anrichten; er wird Mächtige und auch das Volk der Heiligen ins Verderben stürzen“ (Dan. 8,24).

Gemeint ist Antiochus IV. Epiphanes, der achte König des Nordens (175-164). Dieser war nach der Besiegung seines Vaters Antiochus III. durch die Römer (190) 13 Jahre lang als Geisel in Rom, und war von den römisch-griechischen Ideen durchdrungen. Seit 168, als ihm die Römer die Eroberung Ägyptens untersagt hatten (Dan. 11,30), wollte er eine religiös-politische Verschmelzung aller Teile seines Reiches durchführen. Dabei stieß er nur in Palästina auf Widerstand. Nur um diesen dennoch zu brechen und die Parole: ein König, ein Reich, eine Kultur durchzuführen, verfolgte er die jahwegläubigen Juden. Sein eigentliches Ziel hierbei war die Einführung der griechischen Kultur in das Judentum, verbunden mit der Verehrung des olympischen Zeus.

Darum verbot er die Beschneidung und den Tempelgottesdienst (Dan. 8,11), untersagte die Feier der Sabbate und Feste, ließ die heiligen Schriften einziehen, zerreißen und verbrennen und diejenigen töten, bei denen man solche fand (Dan. 11,33). Darum raubte er aus dem Tempel den mit Goldplatten belegten Rauchaltar, den goldenen Leuchter und den Schaubrottisch und den Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten (169). Darum zwang er auch die Bevölkerung, Schweinefleisch zu essen, ja ließ am 25. Kislew (ungefähr Dezember) 168, am Jahresfest des olympischen Zeus, einen diesem Gott geweihten Götzenaltar auf dem Brandopferaltar zu Jerusalem aufstellen (1 Makk. 1,20-24; 41-64), diesen „Greuel der Verwüstung“ an heiliger Stätte, auf den der HErr Jesus als auf eine vorbildliche Prophetie für die Zukunft in seiner Ölbergsrede hinweist (Matth. 24,15 vgl. Dan. 11,31; 9,27; 12,11). Durch dies alles aber wurde er zum Typus dessen, den der Apostel Johannes den Antichristen nennt. Darum wird er auch in der Prophetie als das „kleine Horn“ des dritten Weltreiches dargestellt (Dan. 8,9; 23), so wie dieser das „kleine Horn“ des vierten Weltreiches ist (Dan. 7,8; 20f).

Gegen diese Kulturvergewaltigung des Offenbarungsglaubens erhoben sich die Freiheitshelden des Makkabäeraufstandes (168—141). „Das Volk derer, die ihren Gott kennen, wird sich stark erweisen und danach handeln“ (Dan. 11,32). Nach heldenhaftem Ringen gewannen sie die Religionsfreiheit zurück (165) und schließlich sogar die politische Selbständigkeit (141). Dennoch zeigte gerade die Geschichte ihres Gegners, daß inzwischen eine neue Zeit für die Völkerwelt angebrochen war, eine neue, dem Orient bisher fremde Macht: Rom.

IV. Das Römische Weltreich: 201 (133) v. Chr. — Wiederkunft Christi

Das Aufkommen einer abendländischen Weltmacht und den Zusammenbruch des semitisch-assyrischen Orients hatte schon Bileam, der Zeitgenosse Moses, in der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christi Geburt geweissagt: „Wehe! Wer wird am Leben bleiben, wenn Gott dies eintreten läßt? Denn Schiffe kommen von den Kittäern (d. h. Zypern) her; die demütigen Assur und demütigen Eber (1. Mose 10,21); aber auch er wird dem Untergang verfallen” (4. Mose 24, 23). Dies wurde, nach 1200 Jahren, im Römerreich erfüllt.

Klein wie ein Weizenkorn am Anfang – die Herrin der Völker vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang in der Blüte: das ist Roms Entwicklung. Noch in den Tagen der Gründung des Perserreiches ein kleines Städtchen in Mittelitalien, das der griechische Geschichtsschreiber Herodot nicht einmal erwähnt, war Rom in den Tagen des HErrn Jesu „die gemeinsame Stadt“, „die Versammlung des Erdkreises“.

Den Antrieb zu seiner Entwicklung bekam Rom von Griechenland her. Die Römer selbst wären wohl niemals imstande gewesen, eine eigene, höhere, künstlerische und philosophische Kulturschöpfung ins Dasein zu rufen. Ihre Stärke lag vornehmlich im Militärischen und Staatlich-Juristischen. In Manneszucht und Hingabe an den Staat leisteten sie Unvergleichliches; aber selbst in den Zeiten ihrer höchsten Machtfülle blieben sie innerlich Halbbarbaren. Dies beweist schon das rohe Amphitheater, diese scheußliche Vergnügungsstätte römischer Brutalität. Das römische Reich war eben wie aus Erz und aus Eisen (Dan. 2,40). Es entsprach den Beinen im Monarchienbild Nebukadnezars (Dan. 2,33) und dem vierten „Tier“ in dem Nachtgesicht Daniels,10) „schrecklich und furchtbar und außerordentlich stark; es hatte gewaltige Zähne von Eisen, fraß und zermalmte und zertrat, was übrig blieb, mit seinen Füßen” (Dan. 7,7).

Ursprünglich ein kleiner Bauernschaftsstaat, trieb ihn, bei wachsender Bevölkerungszahl, der Landhunger fast notwendig zu Eroberungen. Nach siegreichen Kriegen gegen gleichartige Nachbarn war Rom um 300 italische Großmacht. Damit war der Eintritt in die Weltpolitik unumgängliche Folge, und gleichzeitig war die Rivalität mit Karthago, dem Italien gegenüber liegenden Mittelmeernachbarn, von selbst gegeben. Mit der Niederringung dieses gefährlichsten Gegners (201) war Rom unumstritten westmittelländische Vormacht; und geradezu zwangsläufig war ein Eingreifen Roms in den Orient unvermeidlich.

Hier aber ging es nun „wie zerschmetterndes Eisen“ (Dan. 2,40) Schlag auf Schlag. Schon nach vier Jahren war Mazedonien gebrochen (197), nach weiteren sieben Jahren Syrien. 146 wurde Nordafrika „Provinz“, im gleichen Jahre auch Griechenland. 133 wurde Spanien erobert. So hatte sich die Weissagung Daniels erfüllt „Es wird die ganze Erde verschlingen und sie zertreten“ (Dan. 7, 23). Mit dem Ganzen aber hatte Rom die Erbschaft Alexanders übernommen und war seit 146 die alles beherrschende Ost-West-Mittelländische Welt-Militärrepublik geworden.

Doch nun kam die Zeit der Gärung. Der Aufstieg war ein zu gewaltiger gewesen. Ein Revolutionszeitalter mußte folgen (133 bis 31). „Möchte es dem Himmel gefallen, daß ich ein Lügner wäre; aber ich sehe Rom, das stolze Rom, fallen als ein Opfer seines Glücks“ (Propertius, 1. Jahrh. v. Chr.).

Mit der Ausbreitung der Römerherrschaft war Rom zum Mittelpunkt der Welt geworden. Alle Schätze der Nationen strömten in den herrschenden Kreisen zusammen. Die Folge war sinnloser Luxus, wüsteste Verschwendung und Bestechung. Schon um 190, als der junge Antiochus Epiphanes in Rom weilte, war ein Prozeß gegen nicht weniger als 10 000 Personen im Gange, die der Mehrzahl nach mit dem Tode bestraft werden mußten. Mit seiner Welteroberung grub sich das republikanische Rom selber sein Grab. Der römische Staat war ursprünglich ein Bauernstaat gewesen. Doch seitdem er Mittelmeer-Weltmacht geworden war, änderte sich alles. Um die Herrschaft über das riesige Reich zusammenzuhalten, war man gezwungen, ein großes Bürgerheer zu halten. Da aber in der langen Militärzeit dem Kleinbauern Haus und Hof verdarb, verkaufte er es an die reicheren Grundbesitzer. So entstand das Großagrariertum mit seinen Riesengütern, die man durch Sklaven bewirtschaften ließ. Der Mittelstand ging zugrunde. Die bäuerliche Landbevölkerung wurde in die Großstädte getrieben, und der große Gegensatz Kapitalismus und Proletariat war entstanden. Da infolge der Ausleerung der Landbezirke das bisherige Aushebungssystem nicht mehr möglich war, griff man zum Söldnersystem.

Blind waren die Soldaten dem anwerbenden Feldherrn ergeben. Entscheidend für sie war, wer sie am meisten zu Raub und Beute führte und ihnen den höchsten Sold versprach. Die Persönlichkeit des einzelnen Demagogen wurde ausschlaggebend. Aus dem Hervortreten der verschiedenen ehrgeizigen Führerpersönlichkeiten folgten die Bürgerkriege, welche mehr als einhundert Jahre lang den römischen Staat zerwühlten (133—31 v. Chr.) und aus den Bürgerkriegen ging endlich die Allein-Herrschaft, das Kaisertum der Zeit Christi, hervor. Damit war Rom in sein sechstes Stadium eingetreten: es war Welt-Militär-Monarchie geworden (ab 31 v. Chr.).

Einzigartig ist diese Entwicklung, ohne jegliche Parallele in der Weltgeschichte. Das vierte Tier „war von allen anderen Tieren verschieden“ (Dan. 7,7). Geradezu zwangsläufig folgte bei ihm eins aus dem andern. Der Wille des Weltenlenkers waltete über Roms Geschichte wie mit schicksalhafter Macht. Rom mußte das werden, was es geworden ist, um Christi willen. Sie mußten das Sammelbecken der Menschheitskultur schaffen zur Vorbereitung der Verkündigung des Menschheitsevangeliums.

12. Kapitel: Die Fülle der Zeit

Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn (Gal. 4,4).

Wir stehen im Jahre 323. Wie ein fliegender Pardel (Dan. 7,6) hatte Alexander das Perserreich, den kraftlos gewordenen Bären (Dan. 7,5) und Widder, zu Boden gerannt. Im Frühjahr 334 hatte er mit nur 35000 Mann seinen Siegeszug unternommen; im Herbst 331 lag das Perserreich in Trümmern. Schon richtete Alexander seine Blicke nach Westen. Da raffte ihn plötzlich in Babylon im Gartenpalast Nebukadnezars der Tod hinweg (Dan. 11,3). Das „große Horn war zerbrochen“, sein Reich fiel auseinander (Dan. 8,8;22).

Dennoch ist Alexander von bleibender welt- und heilsgeschichtlicher Bedeutung. Denn nicht zufrieden damit, das Morgen- und Abendland nur politisch und militärisch erobert zu haben, bestand sein Plan vielmehr gerade darin, sie auch kulturell zu verschmelzen und gleichsam zu einer einzigen Nation zu verbinden.

30000 Perser drillte er nach griechisch-mazedonischen Militärregeln. Die griechische Sprache führte er als Weltverkehrssprache ein. Griechische Theater, Schulen und Sportplätze wurden fast überall im Alten Orient errichtet, und mit ihnen zogen griechischer Geist und griechische Denkart immer mehr in den Orient ein.

Umgekehrt nahm Alexander persische Sitten in das Griechentum hinüber. Am königlichen Hofe wurden orientalische Trachten und persisches Zeremoniell, namentlich Königsverehrung, eingeführt. Alexander selbst heiratete die Fürstentochter Roxane, die „Perle des Morgenlandes“. Seinem Beispiel folgten 80 seiner Generäle sowie 10000 seiner mazedonischen Soldaten, die dafür, mit reichen Hochzeitsgeschenken versehen, im persischen Susa (Einstiger Wohnsitz der Königin Esther) ein fünftägiges, glänzendes Vermählungsfest feierten.

So entstand eine Kulturverbindung zwischen Morgen- und Abendland, der sogenannte Hellenismus; und auch in dieser Hinsicht glich Alexanders Reich dem Panther der danielischen Vision; denn der prächtigen Buntheit des Pantherfells entsprach nun die farbenreiche Mischung der europäischen und orientalischen Kultur.

Der Hellenismus ist also das Erzeugnis einer bewussten Politik. Er ist die persönliche Kulturschöpfung Alexanders. Gerade darin besteht seine für alle Zeiten unvergleichliche Bedeutung. Das hat auch das Volksbewußtsein angedeutet, indem es Alexander, als dem Ersten aller Sterblichen, den Beinamen „Der Große” verlieh.

Alexanders Reich zerfiel gleich nach seinem Tode; aber sein eigentliches Lebenswerk blieb bestehen. Später, besonders seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert, traten die Römer sein Erbe an. Das Eigenartige aber ist, daß sie nicht etwa, wie man erwarten müsste, die Romanisierungspolitik in den Vordergrund ihrer Kulturarbeit stellten, sondern durchaus die Hellenisierung der Welt fortsetzten. So wurde das Römerreich zu einem verhältnismäßig einheitlichen Sammelbecken hellenistischer Kulturen. Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang erstreckte es sich, von den Gewässern des Nils bis hinauf an die Ufer des Tyne an der schottischen Grenze, von der Meerenge von Gibraltar bis an das Hochland von Iran. Und doch! Obwohl die Römer militärisch und staatlich die Herren der Welt waren, wurden sie kulturell von den ihnen geistig und philosophisch weit überlegenen Griechen überwunden.

So entstand die Umwelt des Urchristentums, die Fülle der Zeit. Sie ist charakterisiert durch folgende sechs Grundzüge:

Welt- Zentralisation,
Welt- Kultureinheit,
Welt- Handel und Welt-Verkehr,
Welt- Friede,
Welt- Entsittlichung,
Welt- Religionsmischung.

I. Weltzentralisation

Der Römer kannte nichts Höheres als den Staat. Das Ideal seiner Männlichkeit bestand in der Hingabe an ihn. Diener des „ewigen Roms“ zu sein, war das höchste Ziel seines Ehrgeizes. Daher das Aufgehen des Menschen im Bürger.

Verkörpert wurde diese Staatsidee in ihrer Spitze, im Kaiser. Er war der einigende Gipfel des Ganzen, der „erste Bürger des Staates“. Daher auch die hohe Bedeutung der Kaiserverehrung. Sie war der religiöse Ausdruck der im Kaisertum geschauten, politischen Staatseinheit, und sie war die religiöse Anerkennung der Einheit des Weltreiches, die eigentliche Staatsreligion, und daher auch der einzige, religiöse Zwang des in Glaubensfragen sonst so sehr toleranten Römerreiches. Der Kaiser galt als der „Gott und Allheiland des menschlichen Lebens“ (so schon Cäsar), der „Gott aus Gott“ (Augustus), „Gottessohn“ (Augustus), „Herr und Gott“ (Domitian), „Hoherpriester“, „Heiland der Welt“ (Augustus, Claudius, Nero), , König der Könige“. Seine Erlasse hießen „Evangelien“ (Augustus), seine Briefe „heilige Schriften“. Durch dies Ganze wurde ein Zusammenprall mit dem Urchristentum unvermeidlich und zum Hauptgrund der Christenverfolgungen. Gleichzeitig wurde das Kaisertum des ersten Jahrhunderts ein Vorbild auf das Antichristentum der Endzeit – das erste „Tier“ mit den „Namen der Lästerung“ auf seinen mit Diademen geschmückten Häuptern (Off. 13,1).

Vom Cäsar in Rom aus gehen die Befehle nach allen Seiten. Ein Wille regiert die ganze Mittelmeerwelt. Auch der himmlische Königssohn wurde römischer Reichsuntertan (Matth. 22,21). Und doch steht auch dieser Wille unter dem Willen des Höchsten. Von der Zentrale der Mittelmeerwelt geht ein rein politischer Befehl aus (der Schätzungsbefehl des Kaisers Augustus, Luk. 2,1); aber letzten Endes ist er doch nur ein Mittel in der Hand des Herrn aller Herren, um ein altes Weissagungswort im Lande Juda in Erfüllung zu bringen, das kleine Städtchen Bethlehem-Ephrata, die Stadt Davids. Wie berührt sich doch hier das Große und das Kleine und in dem Kleinen das Allergrößte!

II. Weltkultureinheit

Es hat räumlich ausgedehntere Reiche gegeben als das römische, Reiche von größerer Seelenzahl; aber nie wieder hat es in der Geschichte ein Reich gegeben, das so alle Kulturvölker seiner Zeit in sich vereinigt hätte. Es war ein gewaltiges Ineinanderfließen der Kulturen, ein großartiger Verschmelzungsprozeß, der durch die Hellenisierung und Romanisierung des Orients und die Orientalisierung des Abendlandes zustande kam.

  1. Die drei Hauptströmungen. Im wesentlichen war der Hellenismus des Römerreiches ein Zusammenfluss von drei Hauptströmungen: dem Griechentum mit seiner Kunst, Wissenschaft und Philosophie, dem Römertum mit seinem Militär-, Staats- und Rechtsleben und dem Orientalentum mit seinen Religionen und Geheimkulten. Damit war, zwar noch kein lebendiger, organischer Universalismus geschaffen – dieser scheiterte schon daran, daß dem Altertum, abgesehen von der stoischen Philosophie, im allgemeinen der Begriff der „Menschheit” fehlte -; aber es war doch das Bewusstsein sehr vieler zum Weltbewußtsein erweitert und die Welt für den Universalismus der Heilsbotschaft Christi vorbereitet.
  2. Das Weltmissionsgriechisch. Von noch größerer Bedeutung war die Einheit der Weltverkehrssprache. Denn trotz des Fortbestehens der Volkssprachen wurde das Griechische doch so in der ganzen Welt verstanden, daß man es schlechthin „die Allgemeine“ (Sprache, griech. Koine) nannte. Damit aber fiel für die bald auftretende, urchristliche Mission eine der Hauptschwierigkeiten — das Sprachenlernen — weg, und der Siegeslauf des Evangeliums konnte mehr als doppelt so schnell vorwärts gehen, als es sonst möglich gewesen wäre. Und so wurde durch diese ganze Entwicklung das Weltgriechisch der Kaiserzeit, unter Gottes Fügung, dazu vorbereitet, das Weltmissionsgriechisch des Neuen Testaments zu werden.

III. Welthandel und Weltverkehr

  1. Der Weltverkehr. Auf dem Marktplatz jeder Stadt stand ein Meilenstein, der die Entfernung von Rom angab. Auf dem Markt des „ewigen Roms“ selbst, als dem Mittelpunkt der Welt, stand – von Augustus errichtet – ein goldener Meilenstein, der die Hauptstadt als das Herz dieses riesigen Völkerorganismus bezeichnete. Zwischen Alexandria und Kleinasien bestand tägliche Schiffsverbindung. In 4 Tagen fuhr man von Spanien, in 2 Tagen von Afrika nach Rom-Ostia.

Ohne diesen großartigen Weltverkehr wäre die rasche Missionstätigkeit des Urchristentums undenkbar gewesen. Besonders der Seeverkehr war für sie bedeutsam; denn die urchristliche Mission war zu großem Teil Hafenstadt-Mission, besonders bei Paulus. Aber auch die Landverbindungen waren von größter Bedeutung. Selbst die entferntesten Länder waren durch Straßen und Brücken geöffnet. Ein schon damals ziemlich vollendetes, durch Mauern und Kastelle geschütztes Netz wohl gebauter Straßen verbreitete sich über das ganze Reich. „Alle Wege führen nach Rom.“ Auf diesen kaiserlichen Heeres- und Poststraßen wanderten dann später die Boten des Evangeliums, der Welt die frohe Kunde bringend von dem erschienenen Erlöser. Allein Paulus ist im ganzen zu Wasser und zu Lande über 25000 Kilometer gereist.

  1. Die jüdische Diaspora. An dem Weltverkehr beteiligten sich naturgemäß auch die Juden. Viele von diesem, noch im vierten vorchristlichen Jahrhundert im Westen fast völlig unbekannten Volk siedelten sich außerhalb Palästinas an. So entstand die Diaspora (Zerstreuung). Schon Alexander der Große hatte in das von ihm erbaute Alexandrien 10 000 Juden gezogen; der König Ptolemäus Lagi und seine Nachfolger siedelten dort sogar über 100 000 Juden an. In der Apostelzeit wohnten in Rom ungefähr 50 000 Juden. Am stärksten waren sie in Babylonien und Ostsyrien vertreten; in Ägypten machten sie ein Achtel der ganzen Bevölkerung, in Alexandrien, der Hauptstadt, sogar fast die Hälfte aus. (vgl. Apg. 2,9).
  2. Das Proselytentum. Durch das Diasporajudentum fing Israel an, in der Völkerwelt bekannt zu werden. Auch seine Religion trat den Heiden entgegen. Manche fühlten sich von dem schlichten Glauben an den einen Gott angezogen, und die Juden selbst trieben Mission unter ihnen. Die Gewonnenen nannte man Hinzugekommene (griech. Proselyten; Gottesfürchtige, Apg. 8,26-40). Ein voller Proselyt wurde durch Beschneidung und Untertauchtaufe in das Judentum aufgenommen.

An das Diasporajudentum knüpfte auch Paulus überall an (Apg. 13, 5; 14,1; 17,1; 18,4; 19,8 u.a.). Ohne die schlichte Synagoge oder die jüdische Gebetsstätte (Proseuche; Apg. 16,13) ist die missionarische Praxis des Apostels kaum denkbar. Damit aber hat der seit Alexander dem Großen aufgekommene Weltverkehr die Grundlage für eine der allerwichtigsten Hauptmethoden der ersten christlichen Missionstätigkeit geschaffen.

  1. Der paulinische Weltmissionsausgangspunkt. Dem durch den Weltverkehr geschaffenen Diasporajudentum verdankt Paulus indirekt sogar sein Missions-Ostmittelmeerzentrum. Waren es doch bekehrte Diasporajuden aus Cypern und Cyrene, durch deren Dienst die Christengemeinde in Antiochien entstand (Apg. 11,20), während die Palästinajuden, aus Mangel an lebendigem Kontakt und Verständnis für die Heidenwelt, das Evangelium nur an Juden und Vollproselyten herantrugen (Apg. 15,1-6). Das Antiochien des Paulus, ein Luxus- und Sündenzentrum der alten Welt, hier wurden die Jünger Jesu zum ersten Male Christen genannt (Apg. 11,26)!
  2. Die Weltmissionsbibel. Die außerhalb Palästinas lebenden Juden verlernten bald die hebräisch-aramäische Sprache, weil sie in hellenistischem Sprachgebiet lebten. Nach einigen Generationen machte sich für die Synagogengottesdienste darum das Bedürfnis einer griechischen Übersetzung der jüdischen Bibel bemerkbar. Im Verlauf mehrerer Jahrzehnte entstand denn auch wirklich eine solche. Diese Septuaginta nun wurde ein gewaltiges Mittel in der Hand Gottes, um das Werk der urchristlichen Verkündigung zu fördern. Durch sie wurde das Heidentum mit dem jüdischen Offenbarungsglauben bekannt. Sie haben Paulus und die anderen urchristlichen Missionare auf ihren Reisen dauernd benutzt; ja, die neutestamentlichen Schreiber geben fast alle ihre Zitate aus dem Alten Testament nach ihr. So wurde diese ursprünglich jüdische Übersetzung zur Weltmissionsbibel des Urchristentums, weshalb sie auch später, im zweiten Jahrhundert, von den Juden, aus Opposition gegen das Christentum, nicht mehr benutzt, ja sogar gehasst wurde.

Grundlegend für die Blüte des Verkehrs war der

IV. Weltfriede

Dieser war eine besondere Frucht des Cäsarentums. Seitdem die Römer die Herren des Erdkreises waren, verstummten die Leidenschaften der Völker immer mehr. Der viel gerühmte Römische Friede (Pax Romana) kehrte ein. Wenn auch die Zeit des Augustus nicht völlig frei von Kriegen war, so konnte endlich dennoch der Janustempel in Rom, der Tempel des Kriegsgottes, nach über 200jähriger, ununterbrochener Kriegszeit, seit 236 v. Chr., im Jahre 29 v. Chr. geschlossen werden. Was aber Krieg oder Friede unter den Völkern für die Weltmission bedeutet, davon legt jede Missionsgeschichte Zeugnis ab. So wurden auch hier die Wege für das Evangelium gebahnt.

V. Welt-Entsittlichung

Sittlich aber trug diese ganze Kulturwelt den Todeskeim in sich. Die Ströme von Gold, die, besonders seit Hannibals Besiegung (202), in die Welthauptstadt flossen, führten zu einem derartigen Luxus, daß Schmutz und Gemeinheit bald in der frechsten Weise ihr Haupt erhoben. Am meisten waren Aristokratie und Proletariat verkommen. Nach den Schilderungen eines Tacitus, Sueton und Juvenal können wir uns die Gesunkenheit der damaligen Geburts- und Beamtenaristokratie nicht schlimm genug vorstellen. Prasserei und Schlemmerei, Bestechung und Giftmorde, Gemeinheit und Unsittlichkeit, Unzucht und Ausschweifungen waren an der Tagesordnung, besonders in der Mitte des ersten Jahrhunderts. Genau so gesunken waren die untersten Schichten. Arbeitslos verkam das Proletariat in den hellenistischen Großstädten. „Panem et circenses!” Brot und Spiele! das war ihre Forderung an die Herrscher. Am Tage stand man untätig herum; am Abend ging man in das Amphitheater, diese scheußliche Vergnügungsstätte römischer Brutalität. So massenhaft war der Andrang zu den Tierhetzen, Gladiatorenkämpfen und vorgeführten Seeschlachten, daß die Kaiser Vespasian und Titus in Rom das riesige Amphitheatrum Flavium, das heutige Kolosseum, erbauen ließen, welches 54 000 Sitzplätze hatte und bei dessen Einweihung in 120tägigen Schauspielen nicht weniger als 12 000 Tiere und 10 000 Gladiatoren ihr Leben einbüßten.

Anders war es im Mittelstand. Hier bezeugen die Papyri doch noch viel Anstand und Sitte, inniges Familienleben und starke Religiosität. Allerdings war der Glaube an die Götter Griechenlands sowie an die italischen Gottheiten dahin; dafür aber wandte sich die Masse des Volkes den orientalischen Gottheiten zu, die damals in großer Zahl aus dem Fernen Osten vordrangen.

VI. Weltreligionsmischung

ist darum der letzte, entscheidende Hauptcharakterzug der römischen Kaiserzeit. Aus Ägypten, Persien, Babylonien und Kleinasien drangen orientalische Religionsgemeinschaften missionierend vor und bildeten religiöse Geheimgenossenschaften, die sogenannten Mysteriengesellschaften. Aus Ägypten kam die Verehrung der Isis und des Osiris (Serapis); aus Persien drang der Mithraskult vor, besonders im Heere. Ihm zur Seite stand der kleinasiatische Kybele-Kult mit dem Attisdienst. Aus dem Orient war auch die Kaiserverehrung gekommen.

Und nun gab es eine Götter- und Götzenwanderung vom Orient her, eine Vermischung und Verschmelzung der Religionen und Kulte, wie sie geradezu einzigartig in der Menschheitsgeschichte dasteht. Staatsgötter, griechische Götter, Götter des Orients, Mischreligion und Mysterien flossen immer mehr zu einem einzigen Hauptstrom zusammen. Das Morgenland eroberte religiös das Abendland. Rom wurde eine „Verehrerin aller Gottheiten“, oft schauerlich fratzenhafter, sinnlos verworrener Ungebilde krankhafter Phantasie. Die ganze Mittelmeerwelt glich einem riesigen Mischkessel. Ein unvergleichliches, west-östliches Religionschaos war entstanden. Die Religionen des Altertums machten geistig bankrott. Gerade darin aber offenbarten sie die Überwaltung des heilsvorbereitenden Erlösergottes.

  1. Göttergleichungen. Durch den Weltverkehr und die Völkervermischung seit Alexander dem Großen lernten die Völker einander kennen, auch wechselseitig ihren Glauben und Götterdienst. Da tauchte nun selbstverständlich die Frage auf: Wer von ihnen allen hat recht? Die Perser sagten, Ahura-Mazda sei der höchste Gott, die Griechen: Zeus, die Römer: Jupiter, die Babylonier: Marduk, die Ägypter: Ammon von Theben! Aber wie, wenn sie nun alle zugleich recht hätten? Wenn dies alles bei den einzelnen Völkern nur stets verschiedene Namen für ein und dieselbe Gottheit wären, wenn Ahuramazda = Zeus = Jupiter = Marduk = Ammon wäre, und ebenso bei den andern Gottheiten? So aber kommt es jetzt zu zahllosen internationalen Göttergleichungen, und mit der Verschmelzung der Göttergestalten tritt auch allmählich ein Zusammenfließen ihrer Verehrungsformen ein.

Damit aber entsteht auch in Religionsfragen der erste Ansatz zu einer Übereinstimmung der Völker, und das bisherige Landesschema – daß ein Gott an der Spitze aller andern Götter steht – fängt an, zu einem ähnlich gebauten Universalschema zu werden. An der Spitze des Ganzen denkt man sich immer mehr eine allgemeine Hauptgottheit, von der alle andern Götter nur Offenbarungsweisen und Einzelerscheinungen seien.  Und so beginnt, über dem ganzen Heidentum der Kaiserzeit ein mehr oder minder erkennbarer Eingottglaube zu schweben, der, bei all seiner Verschwommenheit, dennoch eine Ahnung wird von dem einen, wahren, unbekannten Gott Himmels und der Erde, den nun bald die Boten des Evangeliums der Völkerwelt verkündeten (vgl. Apg. 17,23).

  1. Orientalische Geheimreligionen. Noch wichtiger als diese Göttergleichungen wurde die gerade jetzt hervortretende Missionstätigkeit der orientalischen Religionen. Schon daß diese Religionen vom Orient her kamen, war hochbedeutsam. Denn vom Orient kam auch das Christentum. Da hatte dieser Ursprung für die Leute der damaligen Welt durchaus nichts Befremdliches mehr an sich. Sie waren es gewöhnt, orientalische Missionare in das Abendland kommen zu sehen und ihrer Botschaft Gehör zu schenken.

Weiterhin war es die gleichartige Grundidee der meisten dieser orientalischen Religionen: der Glaube an einen sterbenden und wieder zum Leben gelangenden Naturgott, zu dem man durch Vergötterung des Verwelkens und Wiederauflebens der Pflanzenwelt oder des Aufgehens und Untergehens von Sonne, Mond und Sternen gelangt war. Und obwohl dieser Glaube auf einer total anderen Grundlage aufgebaut war als das Christentum — nämlich auf der Vergötterung der Natur und insonderheit der Ausdeutung ihres Werdens und Vergehens am Himmel und auf Erden — nicht aber, wie das Evangelium, auf der wirklichen Offenbarung Gottes und den geschichtlichen Tatsachen des buchstäblichen Sterbens und Auferstehens des Erlösers (1.Kor. 15,13—19) —, so wurde dennoch, durch all jene Naturreligionen, das Heidentum mit darauf vorbereitet, die Botschaft von Jesu Tode am Kreuz und seiner Auferstehung zu vernehmen.

Die Hauptsache aber war, daß alle diese Religionen Erlösungsreligionen waren und damit der Trauerstimmung und Jenseitssehnsucht entgegenkamen, die – wie jede morsche Überkultur – auch die römische Kaiserzeit durchzogen. In den Mithrasmysterien steigerte sich diese Weltscheu direkt zu selbstmörderischen Bußübungen.

  1. Erlösungssehnsucht. Daß aber ein solches Erlösungsbedürfnis gerade jetzt erwachte, hatte seine Ursache in der gerade jetzt durch Welteroberung, Weltverkehr und Weltentsittlichung bewirkten, tief eingreifenden Umwandlung der ganzen praktischen Lebensanschauung des Altertums. Gerade hier erkennen wir am tiefsten, daß die Heidenwelt für die Botschaft des Evangeliums vorbereitet war, daß die „Fülle der Zeit” da war.

Das Altertum ist auf das Diesseits eingestellt. Die sichtbare Welt ist die Wirklichkeit, das Jenseits nur Schattenwelt; und im Diesseitigen geht sein Zug nicht nach innen, sondern nach außen. „Daher der Sinn für die Architektur und die Plastik, der Sinn für das Dekorative, die Bühnenlust, Schaustellungen aller Art, Prozessionen und Triumphzüge. Daher auch das Aufgehen des Menschen im Bürger.

Jetzt aber wird alles anders. Die große Umwandlung, die sich jetzt vollzieht, ist die Wendung von außen nach innen, vom Diesseits zum Jenseits. Vor allem waren es die Eroberung der Mittelmeerwelt durch Rom, das Verprassen der gewonnenen Schätze durch das Siegervolk, Ungerechtigkeit und Erpressung in den Provinzen, Materialismus und Entsittlichung in den oberen und unteren Schichten, Welthandel und Weltverkehr, welche schließlich naturgemäß eine Reaktion gegen all diesen äußeren Glanz und Tand hervorrufen mußten und ein Gefühl der Enttäuschung und Leere in den Herzen zum mindesten derer, die für das Edle und Wahre doch noch nicht ganz abgestumpft waren. Ist aber das Glück nicht im Diesseits zu finden, so richten sich die Blicke ganz von selbst um so sehnsüchtiger auf das Jenseits; und dieses ist nun nicht mehr jene finstere, freudlose Schattenwelt von früher, sondern umgekehrt, das Leben auf Erden ist Schatten, und dort ist das eigentliche, wahre Sein. Jetzt redet man immer mehr von dem Leibe als dem „Kerker“ der Seele, und der Tod wird als Befreiung gepriesen, als „Geburtstag der Ewigkeit“, wie Seneca (Stoischer Philosoph, Lehrer Neros, Bruder Gallions – Apg. 18,12) sagt!

Und mit dieser Wendung vom Diesseits zum Jenseits verbindet sich die Wendung von außen nach innen. Das Diesseitige war ja das Sichtbare, und das hatte versagt. Darum richtet sich der Blick mit dem Jenseitigen zugleich auf das Unsichtbare, und mit dem Unsichtbaren auf das Innere und mit dem Inneren in das eigene Herz; und das, was dort im Verborgenen schon immer vorhanden gewesen war, der innere Zwiespalt der Menschenseele, der Konflikt zwischen Gut und Böse, wird jetzt noch genauer geschaut und gar oft zum Gegenstand trüber Selbstbetrachtung. Das Sündenbewußtsein erwacht. Besonders im zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert, nach den Orgien der ersten Kaiserzeit, kommt geradezu eine Art „Bußtagsstimmung” über die Mittelmeerwelt.

Mit der Wendung zum Unsichtbaren und Inneren aber verbindet sich der Zug zum Übersinnlichen, Geheimnisvollen und Mystischen; und das Gefühl des Enttäuschtseins in all dem bisher Erlebten muß diesem Mystischen den Charakter des Trübsinnigen und Melancholischen geben und beides unter Umständen bis zu Weltscheu und Weltflucht, bis zu Büßungen und Kasteiungen, ja bis zu Selbstpeinigungen und freiwilligen Selbstverstümmelungen steigern. Und das alles nur, um den Frieden der Seele zu gewinnen!

Darum auch die Hinwendung von Zehntausenden von Menschen zu den Göttern des Morgenlandes. Denn diese versprachen den Menschen die ersehnte Erlösung.

Lebenshemmung und Tod sollten im Dasein des einzelnen überwunden werden; und das schienen die orientalischen Religionen zu bringen; denn gerade die östlichen Götter waren nicht nur die Vergöttlichung des Sterbens und Vergehens in der Natur, sondern auch der sieghaften Überwindung des Todes und des aus dem Tode neu erstehenden Lebens. Und der Mensch ist doch Glied dieses selben, vergehenden und immer wieder erstehenden Naturganzen. Darum muß seine Erlösung in dem Anschluß an das Weltgesetz bestehen; das aber heißt — im Sinne der heidnischen Naturvergötterung — in der mystischen Vereinigung mit dem sterbenden und wiederauflebenden Naturgott.

Das Alte muß „sterben“ – daher die Bußübungen, Kasteiungen und Selbstpeinigungen; und das Neue muß „aufleben” – daher die heiligen Mahlzeiten, die mystischen Grade, die Taufen (Taurobolien), die geheimnisvollen Weihen. Überwindung des Todes, Wiedergeburt, Unsterblichkeit, ewige Seligkeit – das sind die Heilsgüter, auf die die orientalischen Geheimreligionen hinzielen. In aeternum renatus – „Auf ewig wiedergeboren” – so meinen es Weihinschriften und Grabsteine der Verehrer des persischen Gottes Mithras. „Seid getrost, ihr Frommen; denn da der Gott gerettet ist, so wird auch euch aus Nöten Rettung werden.” So sagt es eine Formel der kleinasiatischen Attisreligion.

  1. Die Erwartung der Völkerwelt. Dabei aber ist noch in weiten Kreisen die Ahnung verbreitet, daß bald die volle Erlösung anbrechen werde, und „auch in dieser Hinsicht richten sich die Blicke nach Osten. Von dort soll die Hilfe kommen. Oft kleiden sich die Ahnungen in ein heidnisches Gewand. Der Kreislauf der Zeiten, so heißt es, ist vollendet. Auf das Goldene Zeitalter ist das Silberne, auf dieses das Eiserne gefolgt. Nun ist auch dieses am Ablaufen. Dann wird der Kreislauf von neuem beginnen. Saturn wird abermals das Regiment übernehmen und das Goldene Zeitalter wird wiederkehren.

Teilweise aber tragen die Ahnungen auch jüdische Färbung, und man erkennt deutlich ihren Ursprung in der Weissagung Israels. Sueton und Tacitus berichten beide von einem weit verbreiteten Gerücht, der Orient werde mächtig werden, und von den Juden werde eine gewaltige Bewegung ausgehen. Überaus merkwürdig klingen diese Ahnungen in dem vierten Hirtenlied des Römers Virgil. Dort besingt der Dichter ein Kind, welches das Goldene Zeitalter zurückbringen wird. Vom Himmel steigt der Knabe hernieder. Dann waltet Friede auf Erden. Ohne Mühe spendet das Land seine Gaben. Die Rinder fürchten sich nicht mehr vor dem Löwen; dem Pflugstier wird das Joch abgenommen, und der Winzer arbeitet nicht mehr im Schweiße seines Angesichts. Das ist aber nichts anderes als die Weissagung Jesajas vom kommenden Friedensreich (9,6; 11,6)! Und – in der Völkerwelt draußen tönt, deutlich vernehmbar, das Echo der messianischen Prophetie. –

Da aber klingt, von Osten her kommend, vom Sonnenaufgang her, aus schlichter Zeugen Mund, immer stärker und stärker werdend, die weltüberwindende Kunde:

Der Versühner der Menschheit,
die unbewußte Sehnsucht der Völkerwelt:

Christ ist erschienen!

So ist die ganze vorchristliche Heilsgeschichte eine Hinführung der Menschheit zum Welterlöser: das Volk Israel wurde offenbarungsgeschichtlich, die Völkerwelt staats- und kulturgeschichtlich vorbereitet.
Das Alte Testament ist Verheißung und Erwartung, das Neue ist Erfüllung und Vollendung. Das Alte ist Aufmarsch zum Gotteskampf, das Neue ist Triumph des Gekreuzigten. Das Alte ist Morgenrot, das Neue ist Sonnenaufgang und ewige Tageshöhe.

 

Zusammengestellt von Horst Koch, Herborn, im Jahre 2014

 

Weitere Beiträge von Erich Sauer auf meiner Webseite:

Der Triumph des Gekreuzigten
In der Kampfbahn des Glaubens
Es geht um den Ewigen Siegeskranz
Gott, Menschheit, Ewigkeit
El triunfo del crucificado (spanisch)

www.horst-koch.de   –   info@horst-koch.de

 




Charakterwäsche (Schrenck-Notzing)

Caspar von Schrenck – Notzing

CHARAKTERWÄSCHE

Die Re-education der Deutschen und ihre bleibenden Auswirkungen

Inhalt
Die Verschwörung der Deutschen

Die Stunde Morgenthaus
Von Jalta nach Potsdam

Die Psychoanalyse wird politisiert

Der autoritäre Charakter

Psychologische Kriegführung

Entnazifizierung mit Strick

Dass Dilemma des Liberalismus

– Der nachfolgend angebotene Text ist ein Auszug aus dem Buch Charakterwäsche. Dabei geht es mir im Besonderen um den Aspekt eines amerikanischen sog. Antigermanismus, als Teil des gezielten Strebens der USA nach der Führungsrolle unter den Weltmächten. Da ein enger Zusammenhang zur Geschichte Deutschlands des vergangenen Jahrhunderts und besonders der beiden Weltkriege besteht, ist unsere gegenwärtige politische und allg. Situation nur vor diesem Hintergrund verstehbar.
Kürzungen und die Hervorhebungen sind von mir. Horst Koch, Herborn, Dezember 2008

Vorwort

Die Szene, die sich Mitte der 60er Jahre in einer norddeutschen Buchhandlung abspielte, war bezeichnend. Eine ältere Dame kommt herein, verlangt hinter vorgehaltener Hand flüsternd “das verbotene Buch”, die ratlose Verkäuferin ruft den Buchhändler, und nach einigem Hin und Her verläßt die Kundin wieder den Laden, in der Einkaufstasche das gewünschte Buch mit dem Titel “Charakterwäsche.  . . .

Die Charakterwäsche hatte schon ihren Leserkreis, als nach einem Vierteljahr die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” mit einer umfangreichen Rezension (1965) Aufsehen erregte. Die angesehene Journalistin Margret Boveri verriet, ihr sei dringend geraten worden, “die Charakterwäsche dürfe nicht einmal verrissen, sie müsse totgeschwiegen werden.”
Dieser Rat empörte Margret Boveri so sehr, daß sie schrieb: “Das wäre dieselbe totalitäre Methode, mit der im Dritten Reich eine Figur wie Thomas Mann aus dem Bewußtsein der Deutschen gelöscht werden sollte. Solche Methoden rächen sich früher oder später an denen, die sie anwandten.”
Margret Boveris Rezension . . .
Ad 1: Das Totschweigen, amerikanisch “silent treatment” genannt, war eines unter mehreren Mitteln einer neuen Zensur, die sich dem “Strukturwandel der Öffentlichkeit” (J. Habermas) angepaßt hatte.  . . .
Ad 2: Margret Boveri ordnete den Totalitarismus‑Begriff nicht mehr ausschließlich dem Kommunismus und dem Faschismus bzw. Nationalsozialismus zu, sondern beging den Tabubruch, totalitäre Tendenzen auch bei liberal‑demokratischen Institutionen für möglich zu halten.
Ad 3: Margret Boveri warnte, daß ein rücksichtsloser Umgang mit vermeintlich Andersdenkenden auf denjenigen zurückschlägt, der seine Machtstellung mißbraucht.  . . .
Die Besatzungszeit und ihre Folgen waren für die damaligen Zeitgeschichtler eine terra incognita. Zehn Jahre nach dem formalen Ende der Besatzung wirkte wohl noch nach, daß jede Kritik der Alliierten unter Strafe gestellt worden war.  . . .  

Einleitung

Daß die Besatzungsgeschichte den weißen Fleck auf der Landkarte der deutschen Zeitgeschichte bildet, ist keinesfalls auf die Unzulänglichkeit der Quellen zurückzuführen. Die Akten der amerikanischen Militärregierung liegen im World War II Records Center in Alexandria (Va.), einem Vorort von Washington. Noch im Februar 1964 wurde dort dem Verfasser von den Archivaren versichert, daß sie bisher keinen Deutschen zu Gesicht bekommen hätten.  . . .

Der entschiedene Widerstand gegen die Erforschung der Besatzungsgeschichte bedient sich gerne des besatzungsapologetischen Arguments, daß Theorie und Praxis der Besatzung »nur« eine Reaktion auf Theorie und Praxis des »Dritten Reichs« gewesen sei. Doch ist, wie so oft in der Weltgeschichte, die »Reaktion« ungleich wichtiger geworden als das, worauf sie reagierte. . . .  Sie ist mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur alleinbestimmenden Kraft geworden und hat für Deutschland unter anderem die territoriale Verstümmelung, die Teilung des Rumpfgebietes und dessen Anschluß an verschiedene Besatzungskulturen mit sich gebracht.
Die Lehre von den Chancen der »Stunde Null» gehört wohl zu den sakrosanktesten aller liberalen Dogmen.  . . .

Washington und Lenin sind ungleich mehr Gestalten der Geschichte des heutigen Deutschlands als Bismarck und Friedrich der Große.
Die besatzungsgeschichtlichen Ursprünge unserer Gegenwart sind tabu, und in den von Bonn und Ostberlin aus verwalteten Teilen Deutschlands wird mit gleichem Eifer an der Legende der autonomen Entstehung deutscher Nachkriegsstaaten gearbeitet.  . . .

Man malte in zahlreichen Schriften über die Entstehung der politischen Parteien nach 1945 das anheimelnde Bild politischer Biedermänner, die frei versammelt – wie weiland die Eidgenossen auf dem Rütli – schworen, die heimatlichen Fluren zu säubern und eine alt junge Demokratie zu errichten.   . . .

Margret Boveri hat ein mal festgestellt, daß sich in der amerikanischen Geschichte Perioden von etwa einem halben Menschenalter Dauer ablösen, in denen jeweils ein (übersteigerter) Liberalismus oder ein (übersteigerter) Konservativismus tonangebend sei. Auf die Epoche des Liberalismus unter Roosevelt (1933-1945) folgte die des Konservativismus vom republikanischen Wahlsieg im November 1946 bis zum demokratisch-liberalen Wahlsieg im November 1958. Seither ist Amerika in einen neuen Abschnitt des Liberalismus eingetreten, der bis etwa 1970 dauern müßte. Da es das höchste Glück der Deutschen geworden ist, aus zweiter Hand leben zu dürfen, ist mit einer Übernahme des amerikanischen Rhythmus bei uns zu rechnen.

Teil 1 Von der democracy zur Demokratie

Künder des neuen Menschen

Soldaten waren noch immer die besten Missionare. Die arabischen Reiter brachten den Koran, die spanischen Tercios das Christentum und die Rotarmisten den Sozialismus. Auch die amerikanischen G.I.’s mühten sich redlich mit einer Mission ab.  . . .  Sie begannen zu spüren, daß es weniger der Inhalt einer Botschaft ist, der zählt, als die Machtstellung, die der Missionar einnimmt.
Und die Machtstellung der amerikanischen Besatzung war recht augenfällig. Der Berichterstatter des »Army Talk«, Julian Bach, schrieb: »In Amerikas Deutschland geschieht, was uns paßt . . .« . . .
Wenn die amerikanischen Soldaten von »democracy« sprachen, beriefen sie sich weniger auf den alliierten Demokratiebegriff des Potsdamer Abkommens als auf den amerikanischen »way of life«, der auch der »democratic way of life« sei.  . . .

Die »Schlacht um Amerika«

. . . Die »Schlacht um Amerika« – die Umstimmung der amerikanischen Öffentlichkeit zugunsten eines Kriegseintritts – war Roosevelts größte Stunde. Der Präsident hatte gelernt, Öffentlichkeit im Kongreß zu vermeiden. Er brachte jeweils nur jene interventionistischen Vorlagen im Kongreß ein, die nach dem augenblicklichen Stand der Debatte für und wider die Intervention Aussicht auf Annahme hatten. . . .
Roosevelt bediente sich der neuen Methoden der Massenbeeinflussung, die der Regierung ermöglichen, mit den Bürgern so umzugehen wie große Firmen mit ihren Kunden. 1935 hatte Dr. George Gallup die Techniken der Meinungsbefragung entwickelt, auf die Roosevelt jetzt sein Vorgehen ausrichtete. Das neuartige Medium des Rundfunks wurde von ihm ebenso als Führungsmittel ausgebaut, wie die regelmäßigen Pressekonferenzen.
Roosevelt, der noch 1936 die Mehrheit der Presse gegen sich gehabt hatte, hatte gelernt, daß er durch Liefern oder Vorenthalten von Informationen den beruflichen Werdegang der einzelnen Journalisten bestimmen konnte – ganz gleich, wie der Kurs der Zeitung war.  . . .

Den Interventionisten standen die Isolationisten gegenüber, die sich um das Komitee »America First« scharten.  . . . In ihnen verkörperte sich das Mißtrauen des Mittleren Westens gegen den Mißbrauch der wirtschaftlichen und militärischen Kraft der Vereinigten Staaten für Ziele, die mehr internationalen als national-amerikanischen Einstellungen entsprangen.  . . . Der Punkt, an dem sich Isolationisten und Interventionisten schieden, war die Frage, ob die Politik der Errichtung einer moralischen Weltordnung dienen oder nur nationale Interessen verteidigen sollte.

Eine einflußreiche Gruppe unter Expräsident Hoover trat zwar für eine begrenzte Hilfe an England und Frankreich ein, um so das aus den Fugen geratene Gleichgewicht in Europa wiederherzustellen und einen Ausgleichsfrieden zu ermöglichen. Aber gerade der Frieden war es ja, den Roosevelt unter allen Umständen zu verhindern suchte. Denn der Frieden stand der einen Welt und ihrer moralischen Ordnung im Wege.  . . .

Nach einer Wahl sieht in der repräsentativen Demokratie alles anders aus als vor ihr, und dem Wahlsieg Roosevelts folgte nicht die Erfüllung des Wahlversprechens des Präsidenten, daß er Amerika aus dem Krieg heraushalten wolle, sondern jene Radikalisierung des Interventionismus.
Die dramatische Darbietung der europäischen Kriegsereignisse lief auf hohen Touren. »Nazi-Germany« wurde allgemein durch einen alles zermalmenden Schaftstiefel repräsentiert.
Selig Adler schreibt in seiner Geschichte des Isolationismus: »1940 war es für die Amerikaner schwierig geworden, Augen und Ohren gegen die Opfer Hitlers zu verschließen, die von den Anschlagsäulen und aus Zeitungsanzeigen blickten, die der Postbote in das Haus trug, die im Kino auf die Leinwand projiziert wurden und im Rundfunk an die Stelle der Reklamesendungen traten. Amerika sang: >There will be bluebirds over the white cliffs of Dover!<«

Doch nicht allein aus Europa dräuten Gefahren, auch Amerika sollte von einer Fünften Kolonne von Naziagenten durchsetzt sein. In der zunehmenden Radikalisierung der interventionistischen Bewegung wurden die Isolationisten als »Transmissionsriemen« des Nazismus und Agenten der Fünften Kolonne hingestellt. In dieser Rufmord-Kampagne traten Elemente in den Vordergrund, die den radikalen Interventionisten kaum große Freude machten  . . .

In die Interventionsbewegung flossen kräftige Ströme europäischer Ideologien ein. Eine bezeichnende Rolle spielte hierbei das »Committee on Europe«, aus dem 1940 der Ausschuß der 15 hervorging. Die 15, von denen ein jeder eine Art intellektueller Berühmtheit war, hielten vom 24.-26. Mai 1940 in Atlantic City einen Kongreß ab, dessen Manifest unter dem Titel »The City of Man« veröffentlicht wurde.

Die Errichtung der Weltdemokratie die die 15 planten, war ein offen chiliastisches Unternehmen. »In einer Epoche der Apokalypse fordern wir ein Millenium.« Die 15 vertraten alle möglichen geistigen Traditionen, außer jenen, die in der »Hauptströmung« des amerikanischen Denkens standen. Unter ihnen befanden sich Ideologen, die den Faschismus schon vorweggenommen hatten und dann bei dessen massenhaftem Auftreten abgefallen waren, wie Thomas Mann und sein Schwiegersohn Giuseppe Borgese, ein ehemaliger italienischer Propagandachef im Ersten Weltkrieg, Van Wyck Brooks, der führende amerikanische Literaturhistoriker und Sozialist, Gaetano Salvemini, die italienische »Schwiegermutter der Revolution«, Reinhold Niebuhr, der Herausgeber des Organs der amerikanischen Sozialisten »The World Tomorrow« und fŭhrende lutherische Theologe, der »nicht nur radikal, sondern auch tief religiös war« und Lewis Mumford, der Prophet des heraufdämmernden, von den Fesseln der neurotischen Stadt befreiten Übermenschen.
Für diese Männer war Adolf Hitler ein heilsgeschichtliches Ereignis (wenn auch in säkularisierter Form). Wie der Antichrist am Vorabend der Wiederkehr Christi und der Aufrichtung der endgültigen Gottesherrschaft alle Übel der Welt noch einmal in sich zusammenfaßt, so war Adolf Hitler für sie eine Verkörperung alles Bösen, nach dessen Überwindung nicht die Rückkehr zur gestörten alten Ordnung stehen konnte, sondern nur die endgültige Errichtung des (säkularisierten) Reiches Gottes, der City of Man.

Die apokalyptische Deutung der Zeitgeschichte hätte geringe Resonanz gefunden, wenn sie sich auf die Einwandererquartiere von New York und den Kreis der 15 beschränkt hätte. Strebte sie das amerikanische Indigenat (Heimatrecht) an, mußte sie aus dem biblischen »Fundamentalismus« des Getreidegürtels aufsteigen. So wurde denn der amerikanische Vizepräsident (1940-44) Henry Agard Wallace (geb. 1888) aus Iowa zum Propheten des »Jahrhunderts des Kleinen Mannes« gekürt.  . . .

Am 8. Mai 1942 hielt Wallace vor dem Verein Freie Welt in New York eine Rede, die von »PM« zur Gettysburg-Adresse des Liberalismus hochgelobt wurde. »Das Volk auf seinem chiliastischen und revolutionären Marsch zur Manifestation der Würde, die in der menschlichen Seele liegt . . .  Die Revolution des Volkes ist auf dem Marsch, und der Teufel und alle seine Engel können sie nicht überwinden, denn auf der Seite des Volkes steht der Herr.«

Als Wallace in der Rede Hitler siebenmal als den Satan bezeichnete, glaubten die PM-Liberalen, mitten in der Volkstradition des Bibelgürtels zu stehen. Der mißglückte Anlauf jedoch, den Wallace auf die amerikanische Präsidentschaft nahm, erwies, daß die Anhängerschaft, die sich um ihn scharte, sich auf eben jene liberalen Kreise beschränkte, die mit seiner Hilfe ins Volk vorstoßen wollten.

F.D.R.

Der Konflikt, der auf Amerika zuzukommen schien, war Roosevelt wie auf den Leib geschrieben. Er schwankte keinen Moment und war jederzeit fest überzeugt, für die Erhaltung der moralischen Weltordnung zu kämpfen.  . . . Er war für frischfröhliche Aggression in Mexiko, Japan und anderswo, empfahl wärmstens den von seinem Onkel Theodore Roosevelt in die Requisitenkammer der amerikanischen Außenpolitik aufgenommenen »großen Stock« . . .

 . . . Er glaubte nun, daß es eine einheitliche, allgemeingültige Moral gebe, nach der sich die Einzelmenschen ebenso wie die Staaten zu richten hätten. Gut sei, wer die Moralgesetze befolge, böse, wer sie in den Wind schlage. Das Verhältnis von Gut und Böse bestimmte sich für Roosevelt nach der Formel »90 : 10«.

90 % der Völker waren für den Frieden, 10 % für den Krieg. . . .
90 % der Menschen sind gut. Richtig angeleitet, handeln sie gut. Sie zum Fortschritt der Zivilisation zu führen, ist ein pädagogisches Problem, »denn die hervorragendste Aufgabe des Staatsmanns ist zu erziehen«.
10 % hingegen sind verstockt. Für sie ist der »große Stock« da.

Wenn Roosevelt Deutschland, Italien und Japan vorwarf, »von der gottlosen Verachtung des Menschengeschlechtes« beherrscht zu sein, so warf er ihnen die absichtliche Verletzung der allgemein gültigen Moralgesetze vor. Diese absichtliche Verletzung war böse. Und mit dem Bösen gibt es kein Paktieren. Das Kriegsziel stand für Roosevelt fest, noch ehe ein Krieg begonnen hatte. »Wir kämpfen, um die Welt von den alten Übeln, von den alten Krankheiten zu säubern.«

Die Bundesgenossen, die Schulter an Schulter mit den Vereinigten Staaten einer neuen Welt entgegenmarschierten, konnten nicht böse sein. Roosevelt hielt sie, auch wenn er an ihnen noch den einen oder anderen Makel erblickte, für erziehbar und beeinflußbar. Man konnte mit Geduld und Gottvertrauen dem Augenblick entgegensehen, in dem Churchill seine Kolonien und Stalin seine kämpferischen Gottlosen fahren lassen werde. Denn im Grunde ihrer Seelen waren sie beide gut und nicht verstockt.

Roosevelt war der festen Überzeugung, daß Wandlung durch Annäherung erfolge. Sicher sah er anfangs die moralische Weltordnung in Volk und Regierung von Großbritannien und USA verkörpert.

Die moralische Weltordnung war somit auch eine christliche und angelsächsische. Die Erweiterung der Kriegskoalition durch die Sowjetunion und China war für Roosevelt eine Herausforderung, aus den neuen und weniger christlichen Bundesgenossen Mitträger der moralischen Weltordnung zu machen. Roosevelt erkannte sehr wohl die Grenzen, die einer Bevormundung der Sowjetunion gesetzt waren. Als Realpolitiker, der an das Prinzip des Gebens und Nehmens glaubte, entwickelte er Rußland gegenüber die Politik des »Noblesse oblige«, die das ideale Ziel der Erstellung der neuen Weltordnung mit dem realen Prinzip des Interessenausgleichs verband.
Roosevelt glaubte durch Konzessionen auf der Ebene der Interessen in Stalin jenes Vertrauen zu erwecken, das ihn auf der Ebene der moralischen Weltordnung zur Zusammenarbeit verpflichten mußte. Stalin ging auch auf diese Politik ein. Die Auflösung der Komintern (Juni 1943) und die Erlaubnis zur Wahl eines Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche (September 1943) gab er, um territorialen Gewinn und Förderung sowjetischer Interessen zu nehmen.

Aus der einen Moral angelsächsisch-christlicher Wurzel ging die moralische Einheit der Welt hervor, deren organisatorisches Spiegelbild auf der zwischenstaatlichen Ebene den Namen der Kriegskoalition der Vereinten Nationen (United Nations) übernahm. Roosevelt war überzeugt, daß die Sonderrolle der Vereinigten Staaten darin bestünde, daß ihnen die moralische Führung der Welt zustehe, die durch die wirtschaftliche und militärische nur ergänzt werde. Seien die Vereinigten Staaten nicht die einzige Nation, die eine territorialen Ambitionen und keine alten Feindschaften habe? Würden sich ihnen nicht die übrigen Staaten voller Vertrauen anschließen?  . . .

Wenn Amerika sich für die moralische Einheit der Welt verantwortlich fühle, so müsse es sich auch vor Augen führen, daß deren organisatorische Verwirklichung unter den gegebenen Machtverhältnissen nur durch die Zusammenarbeit der vier Großmächte zu erreichen sei. Die konkrete Vertretung der Moralgesetze forderte den Zusammenhalt der Großmächte, für den Opfer zu bringen durchaus moralisch war.

Den Böswilligen (10 %) gegenüber war jedoch, was den Großmächten gegenüber moralisch war, eindeutig unmoralisch. Ihnen gegenüber hätten die vier Großmächte die Rolle eines »Sheriff« zu übernehmen, der dafür zu sorgen habe, daß kein Staat das Recht in die eigene Faust nehme. Alle Staaten außer Großbritannien, den USA, der Sowjetunion und China seien zu entwaffnen. Würde einer der entwaffneten Staaten Ansätze der Böswilligkeit zeigen, so solle er vorerst blockiert werden. Helfe das nicht, so wäre die Bombardierung durch die Luftstreitkräfte der Großmächte einzuleiten.  . . .

Die Verschwörung der Deutschen

In der »Schlacht um Amеrika« hatte sich eine neue politische Nomenklatur durchgesetzt. Waren die Liberalen der alten Tage die Progressiven der Agrarstaaten gewesen, die den Kampf des alten Amerika der Vorbürgerkriegszeit gegen Wall-Street, europäische Einflüsse und die industrielle Ostküste führten, so speisten sich die neuen Liberalen gerade aus diesen europäischen Einflüssen.

Der Kernmythos der Fortschrittlichen etwa, der der Verschwörung (conspiracy), wanderte über die Fronten.  . . .

. . .  Um so üppiger wuchsen die Verschwörungstheorien, in denen die Nationalsozialisten als braune Marionetten, die an Fäden tanzten, welche von hintergründigen Mächten gezogen wurden.

Die wichtigsten Verschwörungslehren waren die über die Junker, die Industriellen, den Generalstab, die Geopolitiker und die deutschen Philosophen:

1. »The Junkers« als Verschwörer waren beim Durchschnittsamerikaner besonders populär, da dieser sich unter ihnen durch die Assoziation mit junk – Müll etwas Konkretes vorstellen konnte. Die Junker hätten in Deutschland die Regierungen gestellt, die Verwaltungen kontrolliert, die Weimarer Republik sabotiert, Freikorps gebildet und endlich Hitler in den Sattel gesetzt. In den Samurai, den »Junkern des Ostens«, fanden sie ihr gleich kriegerisches Pendant. Preußen galt als der Junkerstaat, wobei es niemanden interessiere, daß es in der Weimarer Zeit die Hausmacht der Sozialdemokraten gewesen war. Die Verschwörung der Junker sollte durch die Auflösung Preußens (Kontrollratsgesetz Nr. 46: »Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus in Deutschland gewesen ist …«) und die von den Amerikanern geplante und den Russen durchgeführte Bodenreform beendet werden.

2. Auch die »Verschwörung des deutschen Generalstabs ist ein Evergreen aus der Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges. Nach dem stellvertretenden amerikanischen Außenminister und Vertrauten Roosevelts Sumner Welles sei der Generalstab »ein nur halb sichtbarer Orden«, der sich der langfristigen Vorausplanung von Kriegen weihe  . . . Der Generalstab habe zwar den »Hitlerismus als sein Werkzeug benützt«  . . .

3. War die Junker-Verschwörung eine Marotte, so hatte die weitverbreitete Lehre von der Verschwörung der Industriellen eine sehr brisante innenpolitische Note. Wurden die deutschen Kartelle »entlarvt«, so stellte sich unmittelbar die Frage: »Was ist mit den amerikanischen Trusts?« Damit diese Frage auch richtig verstanden wurde, war das Zusammenspiel amerikanischer und deutscher Industrieller eines der Lieblingsthemen der Liberalen vor, während und nach dem Kriege. War in den 30er Jahren argumentiert worden, daß die Industrie um der Rüstungsgewinne willen Amerika in den ersten Weltkrieg verwickelt habe, so wurde in den 40er Jahren mit gleicher Überzeugung behauptet, daß die Industrie aufgrund ihrer Kartellabsprachen das Entstehen des für Kriegszwecke nötigen Produktionsvolumens verhindert habe. Überall dort, wo vor Kriegsbeginn ein Kartell gewesen sei, sei nach Kriegsbeginn eine Produktionslücke aufgetreten.
Im Glauben, daß das Dritte Reich ein Kind der industriellen Monopole sei, trafen sich Kommunisten und radikalliberale Trustbuster. In den Konsequenzen, die man aus dieser wichtigsten Verschwörungstheorie zog, spiegelt sich darum auch der jeweilige Stand des amerikanisch-sowjetischen Verhältnisses. Die Dekartellisierung, die Industriellenprozesse (Krupp, Flick, IG-Farben) und die Wirtschaftspolitik der Direktive JCS 1067 waren Ölzweige, die der Sowjetunion entgegengehalten wurden.  . . .

5. Von geringerer aktueller Bedeutung war die Lehre von der Verschwörung der deutschen Philosophen. Zur Bewältigung der Gegenwart gehört, daß man politisches Mißgeschick auf geistige Fehleinstellungen zurückführt. Schon für die französische Revolution waren die enzyklopädistischen Philosophen oder die bayerischen Illuminaten haftbar gemacht worden. Die Lehre von der Verschwörung des aufklärerischen Ordens der Illuminaten, der vom Ingolstädter Prof. Weißhaupt und dem bekannten Herrn von Knigge gelenkt wurde, war bis nach Neu-England gewandert.  . . .
Da der Beitrag der Deutschen zur Philosophiegeschichte nicht gering ist, so war auch die Suche nach deutscher philosophischer Kriminalität besonders ergiebig. Schon im Ersten Weltkrieg hatte der Kriegsbeitrag der alliierten und assoziierten Philosophen in der systematischen Belastung beinahe sämtlicher deutschen Philosophen seit Kant bestanden. John Dewey, Amerikas nationaler Philosoph, war 1915 mit seinem Buch »German Philosophy and German Politics« vorangeschritten. Er brauchte 1942 die Schrift für die Neuauflage kaum mehr zu aktualisieren.
Andere dehnten den Radius aus, indem sie Luther oder Leibniz auf die Anklagebank setzten. Neben diesen saß eine bunte Schar alldeutscher und völkischer Autoren der Jahrhundertwende, die in keinem Lexikon zu finden sind. Selbst dem Spezialkenner fällt es schwer, diese Gewährsleute der philosophischen Verschwörung ausfindig zu machen  . . .

Wenn so viele Verschwörungen zwischen den Grenzpfählen eines Landes ausgebrütet wurden, das kleiner war als Texas, mußte der Schluß gezogen werden, daß alle diese Verschwörungen nur Teilaspekte einer großen Verschwörung seien, die mit dem Volk gegeben war.
Das deutsche Volk verschwöre sich seit Jahrhunderten gegen die Zivilisation. Bauer und Junker, Bürger und Fürst seien alle in diese Verschwörung verstrickt.  . . .

In dem wohl meistgelesenen Buch über Deutschland, Louis Nizers »What to do with Germany?« (Harry S. Truman: »Jeder Amerikaner sollte es lesen«) erfährt die deutsche Geschichte folgende bündige Darstellung:
»Die Deutschen zerschlugen die lateinische Zivilisation in der Schlacht von Adrianopel (378) . . . Sie machten Krieg zu ihrem Beruf. Wo sie hintraten, starb die Kultur ab. Sie plünderten Paris, Arras, Reims, Amiens, Tours, Bordeaux und Dutzende anderer Städte, die in späteren Generationen von ihren kriminellen Nachfahren wiederholt heimgesucht wurden . . . Vier Jahrhunderte nach Adrianopel setzte Karl der Große die deutsche Tradition fort . . . Er versuchte, die Welt zu erobern, ein Refrain, der seitdem mit wahnsinniger und zerstörender Ausdauer durch die deutsche Existenz lief. Er führte jedes Jahr einen Krieg . . . die Deutschen folgten ihm mit der fanatischen Ergebenheit für die gleichen Prinzipien, die sie anleiteten, in unserer Generation dem Kaiser oder Hitler zu folgen  . . .  Der Nazismus ist keine neue Theorie, die aus den Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrags entstanden ist. Er ist ein Ausdruck der deutschen Aspirationen, die in allen Jahrhunderten ihren Ausdruck fanden.«

Nizers Buch machte also die deutsche Frage mit einem Schlage klar. Der Leser Präsident Roosevelt verteilte es an seine Kabinettsmitglieder; General Eisenhower versandte 100 000 Exemplare und ließ alle Offiziere seines Stabes Aufsätze über das Buch schreiben.  . . .

Des Kleinholzmachens war kein Ende.  . . .

Der Grundton, auf den das Deutschlandbild der Kriegspropagandisten gestimmt war, war die Annahme, daß die Deutschen eine negative Sonderrolle in der Weltgeschichte spielten, die sich in ihrer Philosophie und in ihrem Volkscharakter Ausdruck verschaffe. Wenn Deutschland der Träger einer Abirrung vom Hauptstrom der Weltzivilisation ist, dann muß es weltanschauungslogisch auch eine solche Weltzivilisation geben.
Der Antigermanismus , der da glaubt, daß der deutsche Charakter negative Besonderheiten besitzt, bedingt weltanschauungslogisch den Panhumanismus, der eine Formel für die ideologische Zusammenfassung aller Völker in einem Weltstaat anbietet.

Auf die Diagnose folgte die Therapie. War der Nationalsozialismus nur der zeitgemäße Ausdruck dauernder Aspirationen des deutschen Volkes, so mußte dafür gesorgt werden, daß diesem Volk für alle Zeiten die Möglichkeit genommen wurde, den Gang der Weltgeschichte zu beeinflussen – es mußte ausgeschaltet werden.

Diese Ausschaltung konnte auf verschiedene Weise vorgenommen werden. Unter anderem ist die biologische Ausschaltung des deutschen Volkes vorgeschlagen worden. In seinem noch vor dem amerikanische Kriegseintritt verfaßten Buch »Germany must perish« fordert Theodore N. Kaufman die Sterilisierung aller Deutschen in zeugungsfähigem Alter. Die sterilisierten Deutschen sollten dann auf die Nachbarvölker verteilt werden und bis zu ihrem Tode deren Sprachen sprechen.
Ein anderer Weg der biologischen Ausschaltung wurde in Harvard ausgearbeitet. Die deutschen Männer sollten als Zwangsarbeiter auf die Nachbarvölker verteilt werden und in ihrer Freizeit diese Völker biologisch auffrischen und mit den martialischen Eigenschaften der Deutschen versehen.

Eine weitere Form der Ausschaltung war die militärische. Durch eine vollkommene Entwaffnung, wie sie sämtliche Deutschland-Pläne vorsahen, sollten die Deutschen daran gehindert werden, eine Machtrolle in der Weltpolitik zu spielen. Neben der militärischen Entwaffnung spielte die wirtschaftliche Entwaffnung die entscheidende Rolle.  . . . Es sei vor allem die deutsche Forschung auszuschalten. Aneignung der deutschen Patente, Fortführung der Wissenschaftler, Verbot oder Kontrolle von Laboratorien sowie die Kulturhoheit der Länder waren mögliche Wege zur Ausschaltung der Wissenschaft.

Neben der militärischen war vor allem auch die politische Ausschaltung Deutschlands durch seine Aufteilung in verschiedene Einzelstaaten im Gespräch. In unbestimmter Form waren alle Alliierten für die Teilung Deutschlands eingetreten. 
Zu konkreten Beschlüssen kam es in der Teilungsfrage jedoch nicht, da über die Form der Teilung keine Einigkeit erzielt werden konnte. Churchill und der amerikanische Außenminister Hull dachten daran, im Süden des zu teilenden Reiches ein neues lebensfähiges Staatsgebilde entstehen zu lassen, etwa in Gestalt einer Donaukonföderation (Bayern + Österreich + Ungarn mit Südtirol und einem Zugang zur Adria). Stalin dagegen war mehr an einem Machtvakuum im russischen Vorfeld interessiert und hatte zudem für Ungarn ganz andere Pläne. Strittig unter den Befürwortern der Teilung war auch die Frage, wie man ein späteres Wiederzusammenwachsen der Teile verhindern konnte.  . . .
Das sicherste Mittel zur Ausschaltung Deutschlands war die Errichtung der Weltgesellschaft, die die Machtmittel dieser Erde bei den verbündeten Großmächten monopolisierte. . . .«

Der die Öffentlichkeit in den letzten Kriegsjahren stark beschäftigende Streit, ob man Deutschland einen »harten« oder einen »weichen« Frieden verschreiben sollte, war im wesentlichen ein Streit der antigermanischen Richtung mit den Vertretern der Lehre von den »zwei Deutschland«. Das Regime der Nazi sei, behaupteten die letzteren, die Diktatur des einen (schlechten) über das andere (gute) Deutschland. Ein Karthago aus Deutschland zu machen, würde dem anderen »guten« Deutschland jede Chance nehmen. Die Sprecher der »Zwei-Deutschland-Theorie«, die sich unter der Leitung des Theologen Reinhold Niebuhr sich vereinten, waren meist emigrierte Sozialisten . . .

Durch Strukturreformen sei das schlechte Deutschland zu entmachten – durch Bodenreform die Junker, durch Besitzreform die Industriellen, durch Universitätsreform die falschen Philosophen, durch Verwaltungsreform die reaktionäre Bürokratie und der deutschnationale Richterstand -, dann werde sich das andere Deutschland schon von selbst in der richtigen Richtung entwickeln.
Die Sozialisten, die für das andere Deutschland fochten, hatten dem alten demokratischen Glauben an das Volk noch nicht abgeschworen. Das Volk – die überwältigende Mehrheit – sei gegen Hitler, die Emigranten die freien Sprecher der zeitweise am Sprechen verhinderten Deutschen. Ein Volksaufstand könne jeden Tag den Beweis erbringen, daß dem so sei. Als der 20. Juli einen größeren Umsturzversuch brachte, war es jedoch – leider – der falsche Aufstand, und man wartete weiter auf den richtigen.  . . .

What to do with Germany?

Die Geschichte der amerikanischen Deutschlandplanung im Zweiten Weltkrieg ist die traurige Geschichte, wie Sachverstand und politische Verantwortung die Waffen strecken gegenüber dem ideologischen Fanatismus einer kleinen Gruppe, die sich gedeckt vom Sperrfeuer der »öffentlichen Meinung« frei zu entfalten vermag.  . . .

Roosevelt entzog die Außenpolitik dem Einflußbereich des Kongresses, indem er Protokolle unterzeichnete, Verwaltungsabkommen schloß und so völkerrechtliche Verträge, die der Genehmigung des Kongresses bedurft hätten, vermied.
Eine dieser Erklärungen ist die der Vereinten Nationen, die am Neujahrstag 1942 von Roosevelt, Churchill, Litwinow und Sung unterzeichnet wurde. Die Unterzeichner stellten fest, daß sie in gemeinsamem Kampf gegen einen brutalen Feind stünden, dessen vollständige Niederlage für die Bewahrung der Menschenrechte grundlegend sei. Sie verpflichteten sich, ihre ganze Kraft in diesem Kampf einzusetzen und keinen Separatfrieden zu schließen.
Im übrigen beriefen sie sich auf die vielstrapazierte Atlantic-Charta.  . . .

Einen Tag nach der Unterzeichnung im Weißen Haus durch die vier Großmächte, durften die übrigen neugebackenen Vereinten Nationen ihre Unterschriften im Außenministerium abliefern. Es war ein wenig ansehnlicher Troß, der sich aus den britischen Dominien, 8 Exilregierungen und 9 mittelamerikanischen Satelliten der Vereinigten Staaten zusammensetzte.  . . .


Für den ersten »Tag der Vereinten Nationen« sprach Roosevelt demnach über den Rundfunk das folgende Gebet: 

»Gott der Freien, wir geloben heute unser Herz und unser Leben der Sache der gesamten Freien Menschheit. Unsere Erde ist nur ein kleiner Stern im großen Universum. Aber wir können, so wir wollen, aus ihr einen Planeten machen, der unbelästigt ist vom Kriege, verschont ist von Hunger und Furcht, ungespalten ist durch die sinnlosen Unterscheidungen von Rasse, Hautfarbe und Theorie. Der Geist des Menschen ist erwacht, und die Seele des Menschen ist vorangeschritten. Gib uns das Geschick und den Mut, die Welt von der Unterdrückung und der alten gemeinen Lehre, daß die Starken die Schwachen aufessen müssen, weil sie stark sind, zu säubern. Schenke uns einen gemeinsamen Glauben, daß der Mensch Brot und Frieden, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit, Freiheit und Sicherheit, Gelegenheit und die gleiche Chance, sein Bestes zu tun, nicht nur in unserem Land, sondern in der ganzen Welt, kennenlernen wird. Und in diesem Glauben laßt uns marschieren, auf die saubere Welt zu, die unsere Hände schaffen können. Amen.«  . . .

. . .  Die in deutschen Fragen treibende Kraft der Abteilung war der Oberst David Marcus. Marcus war der »starke Mann« der extrem liberalen und Roosevelt persönlich treu ergebenen Stadtverwaltung der »Fusionisten« von New York. Marcus’ Tätigkeit ist in Dunkel gehüllt.  Er begleitete Roosevelt später nach Jalta und Teheran und war mit Truman in Potsdam . . . Er löste einige der wichtigsten Aufgaben hinter verschlossenen Türen, wobei er häufig direkt an das Weiße Haus berichtete. Er half mit, die Kapitulationsurkunden zu entwerfen, die Italiener und Deutsche unterzeichneten. Er arbeitete das Programm für die Militärregierung in den besetzten Gebieten aus und ging selbst an Ort und Stelle, um zu sehen, daß es auch ausgeführt wurde.«

Marcus, der bei Kriegsende die Planungsabteilung der Civil Affairs Division leitete, war in der Nachkriegszeit erst im Stab des Militärgouverneurs in Deutschland, dann im Stab von MacArthur in Japan, ab Juni 1946 wieder in Washington, diesmal als Leiter der Abteilung für Kriegsverbrechen. Im April 1947, als das Ende der liberalen Phase der amerikanischen Politik sich deutlich abzeichnete, trat er aus der Armee aus und eröffnete ein Anwaltsbüro in der Fifth Avenue. Aber auch hier hielt es den ruhelosen Geist nicht lange. Er trat unter einem falschen Namen in die israelische Armee ein und fiel am 11. Juni 1948 vor den Toren Jerusalems.
Die Planung des Vorgehens der Armee bei der Besatzung war Sache der Civil Affairs Division in Washington.  . . .

Anfang 1944 waren die Absolventen der Schulen von Charlottesville und Fort Custer in England eingetroffen. 2000 künftige Angehörige der Militärregierung wurden in der neuerbauten Kadettenanstalt von Shrivenham zusammengefaßt. Über die Grundsätze der Besatzungspolitik gab es kaum Vorschriften, und einige mehr naive Offiziere gingen sogar so weit, diese aus dem Text der Atlantic‑Charta zu entwickeln. Das zusammenfassende »Handbook for Military Government« lag im August 1944 nach drei Umarbeitungen druckfertig vor, als Henry Morgenthau als liberaler Deus ex machina in London erschien, die geleistete Arbeit annullierte und dafür sorgte, daß die Besatzungsplanung an die antigermanischen Ideologie angeschlossen wurde.  . . .

. . .  forderte Roosevelt zum Abschluß der Konferenz von Casablanca vor der Presse am 24. Januar 1943 die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans.  . . .

Die Erklärung von Casablanca war eine Erklärung des totalen Krieges bis zum totalen Sieg, die alle Brücken abbrach und das diplomatische Spiel zum Erliegen brachte.  . . .

Was nach der bedingungslosen Kapitulation mit Deutschland zu geschehen habe, interessierte die amerikanische Öffentlichkeit mehr als die Regierung. Diese hielt dafür, daß die Zukunft Deutschlands im Rahmen der Nachkriegsordnung zu sehen sei. Ein Kriegsziel war die militärische Ausschaltung Deutschlands durch seine vollständige Entwaffnung. Roosevelt und Molotow hatten am 1. 1. 1942 ihr Einvernehmen in diesem Punkte festgestellt. Aus der Entwaffnung, die Roosevelt ja für alle Staaten außer den vier Großmächten vorgesehen hatte, folgte die Vernichtung der politischen Existenz Deutschlands.  . . . Molotow berichtete, daß Stalin »begeistert« sei.   . . .

So begann das Spiel um das Tranchieren des deutschen Bratens, dessen erste Moskauer Scheiben mit der Abtrennung Ostpreußens auf den sowjetischen Teller und mit der Abtrennung Österreichs und dessen Behandlung als »befreites Gebiet« zwischen die Teller fielen.

Was mit Restdeutschland zu geschehen habe . . .
. . . Das Ergebnis der anderthalbjährigen Sitzungen waren mehrere Kapitulationsurkunden, die Zoneneinteilung und die Errichtung des Kontrollrats für Deutschland. Die Kapitulationsurkunde sollte eine juristische Fassung der Erklärung von Casablanca sein. Es stellte sich heraus, daß eine Rooseveltsche Erklärung in juristische Terminologie zu fassen, gar nicht so einfach war, da der »neue« Geist schlecht in das »alte« Völkerrecht paßte. Die Engländer als die Fußkranken der neuen Weltordnung wollten eine genaue Abgrenzung der Rechte der Besatzungsmächte, die Amerikaner forderten ein generelles »mandate for change«, während die Russen vor allem an der Zerschlagung der deutschen Wehrmacht und der Überführung der gesamten deutschen Armee in die Gefangenschaft interessiert waren. Alles andere würde man schon späterhin regeln.  . . .

Es kam zu einem Kompromißdokument  . . . In dieser »Erklärung über die Niederlage Deutschlands und die Übernahme der obersten Gewalt in Deutschland« sollten die vier Oberkommandierenden von sich aus die Kapitulation Deutschlands erklären. Doch die Zeit hatte gedrängt und Eisenhower nicht länger gewartet. Er ließ nach Abstimmung mit den Russen eine militärische Kapitulationsurkunde ausarbeiten, der auf Drängen Winants noch ein allgemeiner Ermächtigungsparagraph eingefügt wurde. Eisenhowers Urkunde wurde am 7. und 8. Mai in Reims und Berlin von den Vertretern der Wehrmacht unterzeichnet, während die Erklärung des Londoner Viermächteausschusses am 5. Juni 1945 im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst von den vier Oberkommandierenden unterfertigt wurde.

Die anderen Londoner Ergebnisse waren nicht viel glückhafter. In der Zoneneinteilung (September 1944) wurde (unbeabsichtigt) die Magna Charta der Teilung Deutschlands erarbeitet, und was aus dem Kontrollrat geworden ist (November 1944), ist allgemein bekannt. Der amerikanische Botschafter in London, John Winant, war eine zeitgemäße Kopie seines Meisters Roosevelt, mit dem er über den Marine‑Code unter Umgehung des Außenministeriums direkte Verbindung hielt. Er glaubte mit Roosevelt, daß man sich auf menschlicher Basis mit den Russen verständigen müsse. Als Botschafter Murphy ihn darauf hinwies, daß die westlichen Zugangsrechte nach Berlin vertraglich gesichert werden sollten, sagte er, daß das Zonenabkommen nicht umgestoßen werden dürfe, da es nur zustande gekommen sei, weil er und Botschafter Gusew so gute Freunde geworden seien. Er glaubte daran, daß man in Berlin und anderswo sein Geschick in die Hände der Russen legen sollte, diese würden sich durch Annäherung wandeln. Sie würden das ihnen erwiesene Vertrauen und die nach dem Ende des diplomatischen Zeitalters herrschende Arglosigkeit zu schätzen wissen und sich ‑ noblesse oblige ‑ bei dem Aufbau der neuen Weltordnung kooperativ erweisen. Winant überlebte den Zusammenbruch dieser neuen Ordnung nicht. Er setzte 1947 seinem Leben ein Ende.

Die Stunde Morgenthaus

Der Rahmen der so folgereichen Londoner Vereinbarungen mußte so oder so mit einem Inhalt gefüllt werden. Die Zonen waren festgelegt, wobei der Streit zwischen den Engländern und Amerikanern bis zum September 1944 darum gegangen war, wer die südliche und wer die nördliche Zone in Westdeutschland erhalten sollte. Was in der Zone getan und welche Politik im Kontrollrat verfolgt werden solle, war damit aber noch nicht ausgemacht. Die Londoner Planung der anglo‑amerikanischen German Country Unit in Eisenhowers Hauptquartier konnte die Beendigung der Richtungskämpfe in Washington nicht abwarten. Sie brauchte handliche Richtlinien für die einmarschierenden Truppen. Im Sommer 1944 lag ein zusammenfassendes Handbuch über die Besetzung Deutschlands druckfertig vor. 
Da traf in London der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau jr. ein. Auf dem Flug nach London hatte ihm (nach Morgenthaus eigener Darstellung) sein engster Mitarbeiter Harry Dexter White ein Memorandum des Außenministeriums zur Frage deutscher Reparationen als Reiselektüre vorgelegt. Morgenthau schrieb: »Ich lehnte mich zurück, um es zu lesen, erst mit Interesse, dann mit Zweifel, schließlich mit entschiedenstem Widerspruch.« Und Morgenthau beschloß, sich in die deutsche Frage einzuschalten.

Die Einschaltung Morgenthaus war nicht so zufällig, wie er es darstellte. Er selbst war von Anfang an für einen scharfen Kurs in der Deutschlandpolitik empfänglich gewesen. Das Netz jedoch, auf dem von nun an die unter seinem Namen laufende Endlösung der deutschen Frage vertreten werden sollte, war von Harry Dexter White aufgebaut worden. Ob White ein Agent der Sowjetunion war oder nicht, ist nie eindeutig geklärt worden. Außer jedem Zweifel steht jedoch, daß White im Ministerium ein Netz von persönlichen Vertrauten und Zuträgern aufbaute, das ihm zur Verfolgung seiner persönlichen Politik diente. Zwei dieser Vertrauten waren Oberst Bernard Bernstein, der White über die Planungen in Eisenhowers Hauptquartier, und L. C. Aarons, Finanzberater von Botschafter Winant, der ihn über die Arbeiten der Europäischen Beratungskommission auf dem Laufenden hielt.

Morgenthau will nach einem Besuch bei Eisenhower auf die Idee gekommen sein:
»Warum sollte man Deutschland nicht überwiegend zu einer Nation von Kleinbauern machen?«.

Als langjähriger Herausgeber einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift glaubte er zu wissen, »daß Menschen, die dem Boden nahe sind, dazu tendieren, ein ruhiges und friedvolles Leben zu führen.«

Doch Morgenthaus Deutschlandpolitik war kaum so plötzlich entstanden, wie er glauben machen wollte. Denn schon fünf Tage nach dem Besuch bei Eisenhower konnten er und Harry Dexter White vor einem englischen Landhaus Winant, dessen Mitarbeitern Penrose und Mosely, sowie dem ungebeten anwesenden Oberst Bernstein einen detaillierten Deutschlandplan vortragen. Mosely widersprach heftig und wies nach, daß das Ergebnis von Morgenthaus Plan die Kontrolle Europas durch die Sowjetunion sein würde. . . .
Doch dieses Argument wirkte bei Morgenthau nicht so durchschlagend. Moselys Einwurf, daß die Vereinigten Staaten nicht zwei Weltkriege geführt hätten, um Deutschland und mit ihm Europa den Sowjetrussen zu unterwerfen, galt ihnen vielmehr als ein Beweis des machtpolitischen Unverständnisses für die sich anbahnende moralische Weltordnung.

Morgenthau informierte sich weiter. Eden zeigte ihm das Protokoll der Teheraner Konferenz (1943) der großen Drei, aus dem hervorging, daß Roosevelt an eine deutsche Teilung dachte, während Stalin umfangreiche Reparationen und die Entindustrialisierung Deutschlands befürwortete. Am 17. August flog Morgenthau nach Washington zurück. Er vergewisserte sich erst, was der Außenminister Hull über die Deutschlandfrage dachte. Dieser erzählte, daß er niemals die Protokolle der Teheraner Konferenz gesehen habe, daß man ihm nicht mitteile, was in der Spitzenplanung vorgehe und daß ihm bedeutet worden sei, die Deutschlandplanung sei Sache der Armee, nicht des Außenministeriums.  . . .

Als Morgenthau eine Woche später, am 25. August, wieder Roosevelt aufsuchte, zog er das »Handbook for Military Government in Germany«, das wie andere amtliche Dokumente von Whites Vertrauensmännern Bernstein und Aarons nach Washington gebracht worden war, hervor. Morgenthau hatte einen Auszug dabei.  . . . Der Morgenthau‑Plan ist die Grundlage aller weiteren Deutschlandplanung. . . . er war die ausgereifte Deutschland‑Konzeption des New‑Deal-Liberalismus.  . . . während Morgenthau den reinen Antigermanismus vertrat. . . . Roosevelt meinte jetzt, es sei das erste Mal, daß jemand behaupte, die Zerstörung der deutschen Wirtschaft nütze Europa. »Alle Wirtschaftler leugnen es. Ich aber stimme zu«, soll er laut Morgenthau gesagt haben.

Roosevelt fuhr nach Quebec, wo er am 12. September Churchill traf. Kaum angekommen, schickte er Morgenthau ein Telegramm, er solle kommen. Morgenthau kam und hatte am 15. September Roosevelts und Churchills Unterschrift auf einem Plan mit 14 Punkten erlangt. Die an Wilsons 14 Punkte erinnernden 14 Punkte des Morgenthau‑Planes (»Program to prevent Germany from starting a World War III«) sehen den baldigen Abzug der amerikanischen und britischen Truppen aus Deutschland und die Durchführung der geplanten Maßnahmen durch russische, französische und sonstige kontinentaleuropäische Truppen vor. Deutschland sei nach dem Verlust einiger Gebiete im Osten und Westen in einen süddeutschen und norddeutschen Staat zu teilen. Ein großer Teil Westdeutschlands, mit dem Ruhrgebiet als Kern, sei einer den Vereinten Nationen zu unterstellenden Zone einzuverleiben, in der sämtliche industriellen Ausrüstungen zu zerstören oder zu demontieren seien.

. . . Es ist der Grundgedanke der auf diesem Programm fußenden »Chaos‑Schule«, daß die Alliierten ihre Sicherungsmaßnahmen ergreifen sollten, daß aber die Folgen für die deutsche Bevölkerung sie nichts angingen. Daher sieht der Morgenthau‑Plan auch keine Reparationen aus der laufenden Produktion oder durch Geldzahlungen vor, da diese Leistungen ja eine funktionierende Wirtschaft voraussetzen würden. Doch der Morgenthau‑Plan hat noch eine andere Seite: die Nichtintervention in die deutsche Wirtschaft (Punkt 8 und 9) soll begleitet werden durch die Intervention in das Bildungswesen, die Presse, den Rundfunk (Punkt 6). Der (negative) Verzicht auf wirtschaftliche Lenkung, der zur völligen Verelendung führen mußte, sollte durch die (positive) seelische Lenkung ergänzt werden, die auch noch Elend vergoldet.  . . .

Der Morgenthau‑Plan wurde von Roosevelt und Churchill nicht in einem Zeitpunkt unterzeichnet, der ein ruhiges Ausreifen gestattet hätte. Er fiel vielmehr in die große politische Krise des Zweiten Weltkriegs, die Entscheidungen von dauernder Wirkung herbeiführte.

Die Alliierten unter der Führung Eisenhowers standen vor Aachen. Montgomery war der Ansicht, daß bei einem energischen Durchstoß die Besetzung des Ruhrgebietes und evtl. der Durchbruch nach Berlin glücken konnten. Eisenhower bremste ab, und niemand hat je bestritten, daß er ein guter Interpret des in Washington herrschenden Meinungsgleichgewichts war.
Die Rote Armee überschwemmte im Osten Teile von Finnland, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien. . . . Der Rausch der Hoffnung auf das Entstehen einer neuen Welt ebbte ab. Die antigermanischen und panhumanistischen Konstrukteure der neuen Welt begannen zu spüren, daß ihre Herrschaft nicht ewig dauern würde.

Als der Zusammenbruch des Großdeutschen Reiches täglich erfolgen konnte, gelang es dem Finanzministerium, einen vorläufigen Deutschlandplan im Dreiministerienausschuß durchzusetzen, der den Ideen Morgenthaus folgte. Da Roosevelt und Churchill den Plan des Finanzministeriums in Quebec unterzeichnet hatten, schien den übrigen Ministerien ein weiterer Widerstand sinnlos. Oberst David Marcus von der Civil Affairs Division des Kriegsministeriums setzte den Morgenthau‑Plan in eine Direktive für den Oberkommandierenden der amerikanischen Besatzungstruppen um. Die Vertreter des Finanzministeriums stimmten begeistert zu. Am 22. September, nur eine Woche nach der Unterzeichnung von Quebec, fand eine ganztägige Sitzung im Amtszimmer von McCloy im Pentagon statt. Die Vertreter des Finanzminieriums erklärten, daß der vorliegende Entwurf die Zustimmung Roosevelts habe. Die übrigen Minister gaben ihren Widerstand auf und unterzeichneten. Es war die erste Fassung jener Direktive JCS 1067, die in ihrer sechsten Fassung die Grundlage der amerikanischen Deutschlandpolitik bis zum Sommer 1947 war, die in ergänzter Form im Potsdamer Abkommen der drei Mächte Sowjetunion, Großbritannien und USA als Basis der gemeinsamen Deutschlandpolitik anerkannt wurde und die für diejenigen, die behaupten, daß das Potsdamer Abkommen noch gültig ist, die Grundlage für den heutigen Status Deutschlands bildet.

Während Morgenthau versuchte, seinen Plan durch englische Unterstützung zu untermauern, war das Ganze in die Öffentlichkeit gedrungen. Jemand hatte am 21. September dem liberalen Journalisten Drew Pearson wöchentlich Indiskretionen einem auf Kulissenblicke wartenden Publikum zu bieten, eingeweiht.  . . .

1. für die Zerstörung der deutschen Schwerindustrie und Kontrollen gegen eine Reindustrialisierung,
2. territoriale Abtrennungen vom Reich, besonders die des Ruhrgebiets,

3. Teilung Deutschlands,

4. Dezentralisierung,
5. Wiedergutmachung und Reparationen,

6. Aufbau des deutschen Erziehungswesens,

7. Bodenreform,
8. Bestrafung der Kriegsverbrecher enthielt.



Aus dem Morgenthau‑Plan wurde das Schlagwort »Ackerbau und Weideland« herausgepickt und eine eifrige Diskussion begonnen, bei der die Gegner dieses Schlagwortes überwogen.
Roosevelt, der vor den Wahlen stand, nahm an, daß die Vertreter maximaler Schärfe in der Deutschlandpolitik auf jeden Fall für ihn stimmen würden, während die Stimmen derjenigen, die von geringeren Hassgefühlen geleitet waren, von beiden Kandidaten umstritten sein würden. Er begann, sich aus der Sache herauszuziehen. Seinem Kriegsminister erklärte er, er wisse nicht, wie seine Unterschrift unter den Morgenthau‑Plan gekommen sei, er müsse ohne viel Nachdenken unterzeichnet haben.
Morgenthau hatte ihm schon immer dazu gedient, Projekte probeweise zu vertreten, von denen und deren Urheber Roosevelt sich im Ernstfalle distanzieren konnte.

Bernstein flog im Januar 1945 nach Washington, um die Deutschlandplanung (im Morgenthauschen Sinne) nach dem Stillstand der Wintermonate wieder anzukurbeln. Am 23. März 1945 wurde als letzte Zusammenfassung der amerikanischen Deutschlandpolitik vor Potsdam ein Policy-Memorandum vom interministeriellen Ausschuß mit den Unterschriften von Morgenthau und White (Finanzen), McCloy und Hilldring (Krieg), Grew, Clayton und Matthews (Äußeres) und Coe (Foreign Economic Administration) Roosevelt überreicht, der es mit seiner Unterschrift versah. Das Memorandum, Roosevelts Testament in der Deutschland-Politik, trägt alle Kennzeichen der Morgenthau‑Schule:
»Deutschlands rücksichtslose Kriegführung und der fanatische Widerstand der Nazis haben Deutschlands Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht.«

Diesem Chaos solle von der Besatzungsmacht nicht Einhalt geboten werden. Sie solle sich nur mit dem Zweck einmischen, Hungersnöte und solche Epidemien und Unruhen zu verhindern, die die Besatzungsstreitkräfte gefährden würden. Auch die Zahlung von Reparationen sei kein Grund für die Aufrechterhaltung der deutschen Wirtschaft und dürfe keinesfalls als Entschuldigung für die Erhaltung einer Schwerindustrie oder die Gewährung von Krediten an Deutschland verwendet werden.

Von Jalta nach Potsdam

In Jalta mußte die Entscheidung fallen. Viel Zeit war im Februar 1945 nicht mehr zu verlieren, da der Krieg sich dem Ende zuneigte. Sollte die Kriegskoalition zum Fundament der neuen Weltordnung gemacht werden, dann war der letzte Moment gekommen, abzuschließen. Roosevelt war entschlossen, sein Lebenswerk zu retten. Stalin sparte nicht mit freundlichen Trinksprüchen. Er verlieh Roosevelt nicht zu Unrecht den Ehrentitel eines »Schmieds der Anti‑Hitler-Koalition.«  . . .

Roosevelt wollte unverzüglich eine Weltordnung errichten, während er über deutsche oder polnische Fragen jedes Abkommen zu vermeiden suchte. Er stand nicht nur vor der Aufgabe, Stalin, sondern auch den amerikanischen Kongreß zum Beitritt zur Weltorganisation zu überreden. Stalin wiederum legte Wert darauf, daß seine künftige Politik nicht durch die Weltorganisation präjudiziert wurde. Es ging ihm um die Sicherung seines Herrschaftsbestandes. Die Konferenz von Jalta war ein Erfolg.
Roosevelt und Stalin erreichten, was sie wollten ‑ Roosevelt hatte die Hindernisse aus dem Weg geräumt, die der Gründung der Organisation der Vereinten Nationen im Wege standen, denn Stalin verzichtete großmütig auf die von ihm geforderten 16 Sitze in der Vollversammlung der Vereinten Nationen für die 16 Gliedstaaten der Sowjetunion und begnügte sich mit zwei zusätzlichen Sitzen für die Ukraine und Weißrussland, die besondere Verdienste im Kampf mit Deutschland erworben hätten.  . . .

Der heikelste Gegenstand der Jalta‑Konferenz war nicht die deutsche, sondern die polnische Frage. Diese zehrte an den Nerven des Zukunftsplaners wie des Parteipolitikers Roosevelt. Der Parteipolitiker mußte mit der Stimmung der polnischen Minderheit in Amerika, die ihn bisher unterstützt hatte, rechnen. Dem Zukunftsplaner bereitete es Kopfzerbrechen, daß die Art und Weise, in der die Sowjets mit Rumänien umsprangen, zwar als gerechte Strafe für faschistische Missetaten interpretiert werden konnte, daß aber Polen nicht zu den zu bestrafenden Missetätern zu zählen war. Daß sich die Sowjetunion mehr nach geographischen als nach moralischen Gesichtspunkten richtete, konnte dem Amateurgeographen Roosevelt nicht entgehen.  . . .

Die Deutschlandfrage war, wie Stalin bald feststellte, in Jalta noch nicht spruchreif. Das Verrücken der polnischen Grenzen auf der einen Seite mußte ein Verrücken auf der anderen Seite nach sich ziehen. Mit Ostpreußen war nicht mehr gedient. Nun war Roosevelt bereit, bis zur Oder zu gehen. Stalin nahm dankend, was er bekam ‑ um den Rest würde er das nächste Mal bitten. Stalin legte die alten Aufteilungspläne auf den Konferenztisch. Churchill und Roosevelt trugen jedoch zur Diskussion nur ein schlechtes Gewissen bei.  . . .

Jubilierend verließen die Amerikaner die Konferenz von Jalta. Hopkins schrieb: »Wir glaubten im Herzen wirklich, ein neuer Tag sei angebrochen. Wir waren absolut überzeugt, den ersten großen Friedenssieg gewonnen zu haben.« In der Tat, die weitere Zusammenarbeit mit den Russen war gesichert, zu welchen Bedingungen, war da nicht so wichtig. In Jalta wurden die Weichen gestellt, in Potsdam fuhr der Zug.

Vom 17. Juli bis zum 1. August 1945 fand in dem dem deutschen Kronprinzen gehörenden Schloß Cäcilienhof ohne Einwilligung des Besitzers die »Berliner Konferenz« statt. Es war ein eigenartiger Triumph Stalins, in der deutschen Hauptstadt als Gastgeber auftreten zu können.  . . .

Truman hatte das Zustandekommen der Konferenz nicht billig erkauft. Gegen den Willen Churchills ordnete er den Rückzug der amerikanischen Truppen aus Thüringen, Sachsen, Sachsen‑Anhalt an. Churchill klang das wie ein »Totengeläut«. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als in Mecklenburg nachzuziehen. Die höfliche Vorlieferung für die Potsdamer Konferenz war die Freimachung eines Territoriums, auf dem die Russen ihre Deutsche Demokratische Republik errichten lassen konnten. Denn ein Blick auf die Karte zeigt, daß der Frontverlauf vom Juni 1945 die russische Besatzungszone halbiert hatte.  . . .  . . .

Teil 2: Die Charakterwäsche


Im psychologischen Zeitalter

Die Psychoanalyse war in Wien konzipiert, in Zürich klinisch erprobt worden, in den Vereinigten Staaten setzte sie sich in Herz und Hirn von Millionen fest. Wenn eine einzelne Geistesströmung für die amerikanische Kultur repräsentativ ist, so ist es die psychoanalytische. In Europa wurde die Psychoanalyse nach einigen Ausbruchsversuchen in den (deshalb?) »Goldenen Zwanziger Jahren« von den Psychiatern unter festen Verschluß genommen. In Amerika hat sie längst alle Zunftschranken durchbrochen und sich in Wissenschaft und Leben als erste Kulturmacht etabliert. Wenn kürzlich eine UNESCO‑Schrift lehrte:
»Die Psychoanalyse ist nicht nur eine Therapie für Menschen, die an seelischen Störungen leiden, sondern auch eine umfassende allgemeine Theorie der Persönlichkeit, die sich auf den gesunden und kranken Geist gleichermaßen anwenden läßt« (Marie Jahoda), so gilt dergleichen in Amerika als Selbstverständlichkeit. Der Psychoanalytiker schaut der amerikanischen Mutter über die Schulter, er wird alarmiert, wenn bei einem Kind schulische Leistung und I. Q. voneinander abweichen, er regelt den sexuellen Haushalt der Teenager und die Berufswahl der Twens.  . . .

Die Psychoanalyse hätte in Amerika kaum mit so viel Begeisterung rechnen können, wäre der Boden nicht durch eine Bewegung vorbereitet worden, die das Interesse für geistige Krankheit und geistige Gesundheit in die weitesten Kreise trug. Die Mental‑Health‑Bewegung.  . . . 

Das psychoanalytische Zeitalter begann in Pearl Harbour. »Während der Depression«, heißt es in einer 1964 zusammengestellten Anthologie über Psychoanalyse und gegenwärtige amerikanische Kultur, »glaubten wir nicht, aus irgendeiner Form der Psychoanalyse ernstliche soziale Folgerungen ziehen zu müssen. Wir taten sie als Spielzeug reicher Leute ab.« Der Aufstieg der Psychoanalyse von einem Luxusartikel der High Society zur bestimmenden Sozialmacht hinterließ in der Lehre Freuds ihre Spuren.

Von den Neo‑Freudianern wurde zwischen einem Kern allen Menschen gemeinsamer Bedürfnisse, etwa Hunger, und den übrigen von der kulturellen Umwelt abhängigen Trieben unterschieden. »Jene Triebe«, so lehrte Erich Fromm, »welche die Unterschiede im Charakter der Menschen ausmachen, wie Liebe, Haß, Machtgier, Unterwürfigkeitsdrang, Sinnenfreude und Sinnenfurcht, sind dem Gesellschaftsprozeß unterworfen und resultieren aus ihm.«  . . .

Unter den Wortführern der neofreudianischen Richtung, die in Amerika die Stationen der Entwicklung des Dritten Reiches beantworteten, waren Erich Fromm (geb. 1900), der wandlungsreiche Modephilosoph, Karen Horney (1885-1952), die Mutter der Schauspielerin Brigitte Horney, und Harry Stack Sullivan (1892‑1949), der in psychiatrischen Fachkreisen angesehene Praktiker. Die neofreudianische Gruppe begann um 1936 mit der kulturanthropologischen Schule des Ethnologen Franz Boas (1858‑1942), Ruth Benedict (1887 bis 1948) und Margaret Mead (geb. 1901) – zusammenzuarbeiten.  . . .

Die Kulturanthropologen hatten die »Verschiedenheit und die Gleichheit der kulturellen Umwelt und deren Konsequenzen für das menschliche Verhalten« zu ihrem Thema gemacht. Aus dem ethnologischen Material, das sich beim Studium primitiver Stämme ansammelte, versuchten sie, »auf den Geist einer Kultur, ihre Konfiguration, d. h. ihre Gestalt« (Franz Boas) zu schließen und umgekehrt das ethnologische Material von der Gestalt her zu deuten. Bei den Stämmen verschiedener Naturvölker suchten die Kulturanthropologen nach kontrastierenden Eigenschaften, um zu beweisen, daß diese Eigenschaften nicht aus der Rasse, sondern aus der kulturellen Umwelt zu erklären waren und sich mit dem »kulturellen Wechsel« (cultural change) auch änderten.  . . .

. . . In der Tat wandten sich die Kulturanthropologen mit Kriegsbeginn von den Primitiven ab und im amtlichen Auftrag den modernen Nationen zu, wobei Ruth Benedict die Japaner und Margaret Mead die Europäer vornahm.  . . .

Das Zusammenfließen von Kulturanthropologie, neofreudianischer Psychiatrie und der Psychohygiene führte zu einer neuen Bewegung für die Integration der Wissenschaften, die sich mit den menschlichen Beziehungen befassen. Die Bewegung wurde durch die Gründung der »Washington School of Psychiatry« institutionalisiert.  . . .  Aus der psychoanalytischen Theorie wurde in wenigen Jahren eine politische Praxis eigener Art.

Die Psychoanalyse wird politisiert

Die Politisierung der Psychoanalyse kam nicht von ungefähr, sondern aus Frankfurt am Main. Dort hatte 1930 Max Horkheimer das Institut für Sozialforschung übernommen. Das Institut war auf sozialdemokratisches Betreiben nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden. Horkheimer löste es nach Eintreten der Wirtschaftskrise vom musealen Sozialismus und machte es mit seiner sozialphilosophischen Fragestellung im Dreieck Marx-Hegel‑Freud zu dem unter den Studenten als »Marxtempel« bekannten Magneten der linksintellektuellen Jugend.

Die jungen Dozenten und Assistenten, die sich um das Institut scharten, sollten später beinahe alle bekannt werden. Es waren Friedrich Pollock (1894‑1964), Theodor Adorno (geb. 1903), Herbert Marcuse (geb. 1898), Erich Fromm (geb. 1900) und Leo Löwenthal (geb. 1900), denen auch Walter Benjamin nahe stand.

Der Ausdruck Sozialforschung wies darauf hin, daß das Objekt der Untersuchungen des Instituts zwar die Gesellschaft war, der Umfang der Untersuchungen jedoch nicht durch die Grenzen der Fachsoziologie eingeschränkt werden sollte. Die letzten Jahre des Dahinsiechens der Weimarer Republik gaben die erregende Kulisse für das Entstehen der »kritischen Theorie«, die den »historischen Verlauf der gegenwärtigen Epoche begreifen« sollte. Bildeten die Kommunisten den willensmäßigen, die Sozialdemokraten den gefühlsmäßigen Flügel der Revolution von links, so standen die Sozialforscher im verstandesmäßigen Zentrum. Das Scheitern der linken Revolution war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Flügel miteinander verstritten waren und das Zentrum so in der Luft hing. 1933 wurde das Frankfurter Institut wegen »staatsfeindlicher Umtriebe« geschlossen. Doch Horkheimer hatte vorgebaut, das Institut wurde in New York an der Columbia‑Universität weitergeführt.

Bereits im Vorwort der »Zeitschrift für Sozialforschung« wurde die Förderung der Sozialpsychologie versprochen, wobei zum ersten Male die Psychoanalyse in ein sozialpsychologisches System einzubauen sei. Vor allem Erich Fromm, ein gebürtiger Frankfurter, förderte die Synthese von Marx und Freud.  . . .

Was dem roten Frankfurt recht war, war dem roten Wien billig. . . . Einer der heute führenden amerikanischen Soziologen, Paul F. Lazarsfeld, berichtete über seinen Wiener Werdegang. … Damals sei das Wort umgegangen, daß die heraufziehende Revolution Nationalökonomen gebraucht habe, daß die siegreiche Revolution sich auf Ingenieure stütze und die gescheiterte Revolution Sozialpsychologen hervorbringe.

Auch in Wien fand eine Verschmelzung von Soziologie und Psychologie statt, einerseits im Werk des Psychoanalytikers Wilhelm Reich, andererseits im Umkreis des Psychologenehepaares Karl und Charlotte Bühler. Wilhelm Reich (geb. 1897) war in Wien Freuds erster Assistent (1922‑1928) gewesen. Sein Versuch, die Psychoanalyse mit kommunistischen klassenkämpferischen Parolen zu verschmelzen, hatte ihn jedoch Freud entfremdet, der schon bei Mussolinis »Marsch auf Rom« auf den Vorwurf, weder rot noch schwarz zu sein, geantwortet hatte: »Nein, man sollte fleischfarben sein.«

In den Jahren der deutschen Krise entwickelte Reich seine eigene »sex‑ökonomische« Lehre. Reich ordnete die politischen Hauptströmungen den drei Schichten des menschlichen Charakters zu. Die oberste Schicht sei die Schicht der Kooperation, der Vernunft, der Rücksichtnahme; die unterste Schicht sei die der schöpferischen Triebe, denen alle geistigen und künstlerischen Leistungen entsprängen, die unterste Schicht könne sich jedoch nicht mit der obersten durchdringen, da sie durch eine mittlere Schicht abgeleitet werde, in der alle Egoismen, Sadismen, Selbstsucht und Brutalität zu Hause seien. Der obersten Schicht sei der Liberalismus zuzuordnen, der untersten die revolutionäre Linke, der mittleren der Faschismus. Denn man könne die Zeitgeschichte nicht begreifen, wenn man den Faschismus für eine politische Idee halte, die mit politischen Mitteln an die Macht dränge. »Der Faschismus ist nur der politisch organisierte Ausdruck der durchschnittlichen menschlichen Charakterstruktur.«

In diesem charakterologischen Sinn ist >Faschismus< die grundlegende emotionelle Haltung des Menschen in der autoritären Gesellschaft, die die Gesellschaft der Gegenwart überhaupt sei. Es sei daher widersinnig, den Faschismus aus dem deutschen oder japanischen Volkscharakter abzuleiten. Seine charakter‑analytischen Erfahrungen hätten Reich gezeigt, »daß es heute nicht ein einziges Individuum gibt, das nicht Elemente faschistischen Fühlens und Wollens in sich trägt«. »Der Faschismus als politische Bewegung unterscheidet sich von anderen reaktionären Parteien dadurch, daß er von den Massen des Volkes unterstützt wird.« »Faschismus ist auf einer Religiosität aufgebaut, die aus einer sexuellen Perversion stammt; er ändert den masochistischen Charakter der alten patriarchalischen Religionen in eine sadistische Religion.«

Wer den Faschismus bekämpfen wolle, müsse davon ausgehen, daß die »zentrale reaktionäre Keimzelle« die Familie sei. »Da die autoritäre Gesellschaft sich durch die Familie reproduziert, folgt, daß die politische Reaktion die autoritäre Familie als Basis des Staates und der Zivilisation verteidigt«. Kern der autoritären Familie sei eine Mutter‑Fixierung. »Die Mutter ist die Heimat des Kindes und die Familie die Nation en miniature.« Daher seien »metaphysisches, individualistisches und familiäres Verhalten nur verschiedene Aspekte der Sex‑Negation«. Die autoritäre Familie lösche die Frau und die Kinder als Geschlechtswesen aus, indem sie die Frau in der Mutter‑Funktion aufgehen lasse und die Sexualität der Kinder unterdrücke. Demgegenüber sei die sexualkulturelle Revolution auch das politische Heilmittel.

Der autoritäre Charakter

Der Erfolg der Psychoanalyse beim Publikum beruhte nicht zuletzt auf den Reizen des Spiels mit analytischen Charakterlehren. Seit Freuds erster einschlägiger Studie »Charakter und Analerotik« (1918) wurden die Charaktere aus den Entwicklungsstufen der frühkindlichen Sexualität abgeleitet. Freuds Schüler Karl Abraham etwa unterschied zwischen oralen, analen, phallischen, urethralen und genitalen Charakteren. Erich Fromm machte mit der Politisierung der Charakterlehre Epoche. Die gesellschaftsgeschichtliche Gesamtschau lehrte ihn, daß sich der Mensch zunehmend auf die Freiheit hin entwickle. Die primären Bindungen, wie sie das Kind an die Mutter, den Wilden an die Natur und Sippe, den mittelalterlichen Menschen an Kirche, Stand und Zunft bänden, gingen zunehmend verloren. Der Mensch würde freier, aber auch einsamer. Der Einsamkeit versuche er in die sekundären Bindungen zu entfliehen. Er strebe die Symbiose, das Zusammenleben mit einem anderen an.
Nehme diese Symbiose die masochistische Form an, so führe sie zur Unterordnung, zum Versuch des Individuums, »Teil eines größeren, mächtigeren Ganzen außerhalb des eigenen Ichs zu werden, in ihm unterzutauchen und darin aufzugehen. Diese Macht kann ein Mensch, eine Institution, kann Gott, Volk, Gewissen oder eine Zwangsidee sein.« Nehme die Symbiose die sadistische Form an, so führe sie zum Versuch, sich etwas unterzuordnen. »Das Streben nach Macht ist die charakteristischste Äußerung des Sadismus.«  . . .

Da jedoch Sadismus und Masochismus gemeinhin als bestimmte sexuelle Perversionen und nicht als Charakterzüge (moralischer Sadismus und moralischer Masochismus) verstanden werden, sei es angezeigt, den sado-masochistischen Charakter in den »autoritären Charakter« umzutaufen. Ein sado‑masochistischer Charakter sei immer durch seine positive Einstellung zur Autorität zu erkennen. Er bewundere die Autorität und sei bestrebt, sich ihr zu unterwerfen. Gleichzeitig wolle er jedoch selber Autorität sein und andere sich gefügig machen.

Die Lehre vom autoritären Charakter bot den Schlüssel zur »Psychologie des Nazismus«. Fromm lehrte, ökonomische und psychologische Ursachen seien bei der Entstehung des Nationalsozialismus verbunden gewesen wie Kette und Schuß. Das deutsche Kleinbürgertum habe schon immer einen sadomasochistischen Charakter gehabt, der durch »Verehrung des Starken, Haß auf den Schwachen, Engherzigkeit, Feindseligkeit, Sparsamkeit bis zum Geiz« gekennzeichnet sei. Solange Thron und Altar jedoch noch unerschüttert waren, »genügte die Unterwerfung und Untertänigkeit unter die vorhandenen Autoritäten für seinen masochistischen Bedarf«.
Der Sturz der alten Ordnung 1918 habe es seelisch, die Inflation ökonomisch entwurzelt.
Aber »anstatt seine wirtschaftliche und soziale Lage klar ins Auge zu fassen, begann der Mittelstand, sein Schicksal in dem der Nation zu spiegeln«. Er projizierte seine eigene Inferiorität auf die Nation und begann den Kampf gegen Versailles«.  . . .

Als der American Jewish Congress die Lehre vom autoritären Charakter übernahm, wuchs dieser beträchtliche Resonanz zu. Im Mai 1944 hatte der American Jewish Congress eine Tagung einberufen, die eine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen des rassischen Vorurteils ausarbeiten sollte. Aus der Tagung entstand eine Abteilung des American Jewish Congress für wissenschaftliche Forschung, deren Leitung Max Horkheimer übertragen wurde. Auf die Frage, warum in der Arbeit die Aspekte des Vorurteils betont würden, gab es folgende Antwort: »Unser Ziel ist, das Vorurteil zu erklären, um bei seiner Ausrottung zu helfen. Ausrottung meint Umerziehung, die wissenschaftlich geplant wird«.

Ziel der mit großem Aufwand betriebenen Untersuchung war die Aufdeckung »potentiell-faschistischer Individuen«. In ihrer Jugend werden die autoritären Persönlichkeiten häufig »durch einen strengen Vater oder durch Mangel an Liebe überhaupt gebrochen und wiederholen, um überhaupt seelisch weiterleben zu können, ihrerseits, was ihnen selbst einmal widerfuhr«. So klar der autoritäre Charakter beschrieben ist, so unklar ist der nichtautoritäre Charakter, der schillert wie die große Koalition der Alliierten des Zweiten Weltkrieges.

Der nichtautoritäre Charakter ist durch die Negation gekennzeichnet. »Wirklich freie Menschen wären demnach bloß die, welche vorweg den Einflüssen Widerstand leisten, die zum Vorurteil prädisponieren.« Durch stetige Anstrengungen müsse man sich aus dem Sumpf des Vorurteils in die lichten Höhen der Vorurteilslosigkeit erheben und andere durch »sachlich aufklärende Broschüren, die Mitwirkung von Funk und Film, die Bearbeitung der wissenschaftlichen Resultate für den Schulgebrauch nachziehen.« Wo die Frankfurter Geschichte zu machen begannen, konnten die Wiener nicht zurückbleiben.  . . .

Wie die Lehre von der deutschen Verschwörung zur Praxis der (biologischen, militärischen, wirtschaftlichen oder politischen) Ausschaltung Deutschlands führte, so führte die Lehre von der »autoritären Persönlichkeit« zur Praxis der Umerziehung der Deutschen.

Kurt Lewin (1890‑1947), ein ehemals Berliner Gestaltpsychologe, hat den Prozeß der Umerziehung folgendermaßen dargestellt: Man müsse, wenn man den einen oder anderen Aspekt einer Kultur ändern wolle, beachten, daß alle Aspekte einer Kultur miteinander verbunden seien. »Um stabil zu sein, muß ein Kulturwechsel alle Aspekte des nationalen Lebens durchdringen«.  . . .

Man habe entdeckt, daß das Denken innerhalb einer Gruppe mit der Form der Machtverteilung in dieser Gruppe zusammenhänge. Nach dem Ersten Weltkrieg hätte man das übersehen und eine unblutige Revolution gemacht, die alsbald den reaktionären Kräften ein Comeback ermöglicht habe. Daher sei die »restlose Zerstörung« der Kräfte, die das alte Gleichgewicht aufrechterhielten, die erste Aufgabe der Umerziehung. Wer Mord und Totschlag ablehne, weil er »Chaos« vermeiden wolle, der werde die Wiederherstellung des alten Gleichgewichts mitverschulden. Doch »Hand in Hand mit der Zerstörung der Kräfte, die das alte Gleichgewicht aufrechterhielten, muß die Einrichtung (oder Befreiung) der Kräfte zu einem neuen Gleichgewicht einhergehen«. Es komme dann darauf an, das neue Gleichgewicht durch Selbstregulierung permanent zu machen. Die Phase der Umerziehung (re‑education) müsse in der Phase der Selbstumerziehung (self re‑education) fortgesetzt werden.

Der gesamte Umerziehungsprozeß durchlaufe demnach drei Phasen. Erst müsse die »fluidity« (Flüssigkeit der Verhältnisse) hergestellt werden, die den Wechsel ermögliche. Dann müsse der Wechsel selbst durchgeführt werden. Schließlich müsse das neue Gleichgewicht durch Selbstregulierung permanent gemacht werden. Für die erste Phase lagen Pläne vor, wie der von James Warburg, daß alliierte Truppen einen Ring um Deutschland legen, eine künstliche Inflation in Gang setzen und abwarten sollten, bis durch Mord und Totschlag die »Fluidität« hergestellt sei. Die Kernthese der Morgenthauschule, daß die Alliierten keine Verantwortung für die deutsche Wirtschaft übernehmen dürften, wird erst durch die Fluiditätslehre voll verständlich.

Wie aber soll der Wechsel selbst durchgeführt werden? Hier glaubt Lewin, daß ein »ständiger Wechsel der Methoden der Führung wahrscheinlich der schnellste Weg ist, die kulturelle Atmosphäre in der Gruppe zu ändern . . .«.

Woher aber solle man die neue Führungsschicht nehmen? Die Reaktionäre (»Gestapo und Junker«) würde man liquidieren. Die laissez‑faire‑Demokraten von Weimar seien völlig unbrauchbar. Aber sozialpsychologische Experimente hätten ja gezeigt, daß sich autokratische Führer in demokratische verwandeln ließen. Der bevorstehende deutsche Zusammenbruch werde einen guten Teil der autokratischen Führungsschicht zum Verzweifeln bringen und ihre Abkehr bewirken. Das wäre der richtige Augenblick, denn »es ist leichter, autokratische Führer zu demokratischen zu machen als laissez‑faire‑Demokraten und saturierte Halbdemokraten«.  . . . Der chancenreichste Weg der Umerziehung sei aber, das Individuum dort zu erfassen, wo es am leichtesten zu formen sei, nämlich »das Individuum als Mitglied der Gruppe«.

Wo die Psychologie ihren Kriegsbeitrag leistete, konnte die Psychiatrie nicht zurückbleiben. 1943 vertrat der New Yorker Professor Richard M. Brickner unter dem Titel »Ist Deutschland unheilbar?« den psychiatrischen Gesichtspunkt. Der Schlüssel zur deutschen Frage, meint Brickner, liege nicht im Büro der politischen Experten, sondern im Sprechzimmer des Arztes. Deutschland sei ein Patient. Es leide an Paranoia, der Wahnkrankheit. Das heiße nicht, daß jeder Deutsche paranoid sei, sondern nur, daß die vorherrschende Richtung paranoid sei und den nichtparanoiden Zeitgenossen zwinge, sich anzupassen. Aus der Diagnose folge die Therapie. Man müsse einen unbegrenzten Zeitraum verstreichen zu lassen, ohne einen Friedensvertrag zu unterzeichnen. In diesem Zeitraum könne der Patient Deutschland einer Behandlung unterzogen werden. Der geeignetste Zeitpunkt für den Beginn der Behandlung sei der Tag nach dem Zusammenbruch, da dann die deutsche Seele am empfänglichsten sei.  . . .

Die Theorie der Umerziehung (re‑education) steht der Theorie der Ausschaltung gegenüber. Während die Ausschaltungstheorien einen gleichartigen deutschen Volkscharakter annehmen, der nicht geändert, aber durch geeignete Maßnahmen (biologische, militärische, wirtschaftliche und psychologische Entwaffnung) gehindert werden könne, Schaden zu stiften, nimmt die Umerziehungstheorie die Möglichkeit einer Änderung an. Die Umerziehungslehre steht etwa in der Mitte zwischen den Lehren der Strukturreform und der Ausschaltung. Mit den Strukturreformern glauben die Umerzieher nicht an die ewige Sonderrolle der Deutschen .  . . .


Psychologische Kriegsführung

. . .  Da es Aufgabe der psychologischen Kriegführung ist, die Kampfmoral des Gegners zu schwächen und in seinen Reihen Uneinigkeit zu stiften, ließ sich der antigermanische Slogan »alle Deutschen sind gleich« als Arbeitshypothese nicht verwenden. Vielmehr mußten die Deutschen, um einen Teil von ihnen gegen den anderen auszuspielen, in Kategorien unterteilt werden. Die grundlegende Einteilung, die von dem amerikanischen Soziologen Edward A. Shils ausgearbeitet wurde, war die nach dem Grade des Nazismus.  . . .
Der Einmarsch in Deutschland hätte eigentlich das Ende der psychologischen Kriegführung bringen müssen. Doch die Psycho-Krieger waren (wie die Wirtschaftskrieger) der Ansicht, daß der psychologische Krieg (wie der wirtschaftliche) nie zuende geht.

Die Abteilung für psychologische Kriegführung wurde in Abteilung für Informationskontrolle umgetauft und nahm (weiterhin unter General McClure) ihren Sitz in Bad Homburg, von wo sie im Frühjahr 1946 nach Berlin verlagert wurde. Die Abteilung für Informationskontrolle war eine der Abteilungen der Militärregierung, und die Übernahme der psychologischen Kriegführung in den Apparat der Militärregierung ging nicht ohne Reibungen vor sich, da General McClure der Meinung war, daß die Militärregierung den Deutschen sagen solle, was sie zu tun hätten, während der stellvertretende Militärgouverneur General Clay der Meinung war, daß die Militärregierung den Deutschen sagen solle, was sie nicht zu tun hätten, und ihnen das übrige selbst überlassen könne.  . . .

Chaos – Strukturreform – Charakterreform

Nach der Ausschaltung der Armee aus der Deutschandpolitik waren alle Zufälligkeiten, die aus der Einstellung einzelner Kommandeure entsprangen, beseitigt.  . . . Unter den Reformern lassen sich drei Gruppen unterscheiden.

Die erste Gruppe wurde allgemein mit Morgenthau in Verbindung gebracht. Mit mehr Recht könnte sie nach Harry Dexter White genannt werden, der die Gedanken, die dem Morgenthauplan zugrunde lagen, ausgearbeitet hatte. Der Grundgedanke war, daß für ein schwaches Deutschland in einem starken Europa gesorgt werden müsse. Die industrielle Ausschaltung Deutschlands würde dessen Nachbarn nicht hemmen, sondern fördern. Von der deutschen wirtschaftlichen Dominanz befreit, würden diese wirtschaftlich aufblühen und die ausgefallene deutsche Produktion schnell wettmachen. Die Demontage der deutschen Industrie und ihre Wiederaufstellung in den Nachbarländern werde diesen Prozeß fördern. Was aus Deutschland werden sollte, war den Vertretern dieser Schule gleichgültig. Ihr Ziel war die Stärkung der Nachbarn Deutschlands.  . . .

Die zweite Gruppe war die der Strukturreformer. Sie wollte nicht die konsequente Schwächung Deutschlands, sondern die soziale Umwälzung. Diese Politik war in amerikanischen Denktraditionen weniger verankert als die Richtung der “Chaosboys”. Schon in der Kriegspropaganda war die “Zwei‑Deutschland‑Theorie” vornehmlich von deutschen Immigranten vertreten worden.   . . .

Diese Charakterreformer hatten nichts anderes im Sinne als den langfristigen Umbau des deutschen Charakters.  . . .  Einerseits war für die Entwicklung des gewünschten Charakters ein gewisser Wohlstand willkommen, andererseits mußte sichergestellt werden, daß eine Erholung Deutschlands nicht seine Remilitarisierung bedeutete.   . . .

Entnazifizierung mit Strick

Die beiden Aufgaben, die Molotow in Paris für die zukünftige deutsche Regierung gestellt hatte, die Ausrottung der Reste des Faschismus und die Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber den Alliierten, waren auch die Ziele der amerikanischen Politik. Die Ausrottung der Reste des Faschismus sollte durch eine Beseitigung nationalsozialistischer Symbole, Gesetze und Literatur, sowie durch die Aburteilung von Personen, die als Träger der nationalsozialistischen Politik betrachtet wurden, bewerkstelligt werden.  . . .

Die Kriegsverbrecherprozesse stützten sich auf eine Reihe alliierter Deklarationen. Schon vor Kriegseintritt hatte Roosevelt eine Deklaration gegen die Hinrichtung von Geiseln erlassen. Churchill unterstützte diese Deklaration und nannte die Vergeltung für solche Vergehen gegen das Kriegsrecht ein erstrangiges Kriegsziel. Im Januar 1942 tagten Vertreter von neun Exilregierungen in London in Anwesenheit des damaligen amerikanischen Botschafters (und späteren Nürnberger Richters) Biddle und forderten die Abteilung von Kriegsverbrechen noch mit dem Argument, daß “um Racheakte der Bevölkerung als Reaktion gegen die Gewaltakte zu vermeiden und um den Gerechtigkeitssinn der zivilisierten Welt zu befriedigen”, ordnungsgemäße Verfahren notwendig seien.

1943 kam es dann zur Moskauer Deklaration, die von Stalin, Roosevelt und Churchill unterzeichnet wurde und festlegte, wer Kriegsverbrechen ahnden würde, aber nicht wie Kriegsverbrechen geahndet würden. Hitler, Mussolini, Tojo und ihre “Erzkomplizen” sollten nach einem kurzen standrechtlichen Verfahren hingerichtet werden. Ein Prozeß würde ihnen nur noch eine Propagandamöglichkeit geben. Auch von englischer Seite wurde noch bis zum Sommer 1945 vertreten, daß die Achsenführer ‑ in Analogie zum Verfahren gegen Napoleon ‑ durch eine gemeinsame politische Entscheidung (joint decision) der Alliierten gerichtet würden und nicht nach einem juristischen Verfahren.  . . .

Das neue Recht war eine interessante Mischung sowjetischer und angelsächsischer Rechtsauffassungen. Die Sowjets traten dafür ein, daß die verbrecherische Tätigkeit der Angeklagten schon erwiesen sei und nur noch das Ausmaß der Beteiligung jedes einzelnen zu beurteilen bliebe. Es sollten die Verbrechen der Deutschen verfolgt werden und nicht Verbrechen allgemein, die andere auch begehen konnten.

Hier setzte sich die amerikanische Auffassung durch, daß für Nürnberg ein neues Recht zu schaffen sei, das künftig auch auf andere als deutsche Verbrechen angewendet werden könnte. Ein weiterer amerikanischer Rechtsbeitrag bestand darin, den ursprünglichen Kern einer Anklage wegen Vergehen gegen das Kriegsrecht durch die Anklage von Verbrechen gegen die “Menschlichkeit” zu erweitern. Vor allem sollten aber auch Verbrechen gegen den Frieden geahndet werden. Der Angriffskrieg wurde für verbrecherisch erklärt.  . . .

Das Londoner Abkommen führte vier Gruppen von Verbrechen auf.
1. Verschwörung gegen den Frieden

2. Verbrechen gegen den Frieden
3. Kriegsverbrechen

4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Sinn und Ziel des in London geschaffenen und in Nürnberg praktizierten Rechtes wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß es sich um New‑Deal‑Recht handelt.  . . .

Zu den Neuschöpfungen des Londoner Abkommens gehörte der Begriff der verbrecherischen Organisation.
Das Gericht konnte eine Organisation für verbrecherisch erklären, worauf jeder Staat, der das Londoner Abkommen unterzeichnete, das Recht besaß, Mitglieder der betreffenden Organisation vor Gericht zu stellen und mit allen Strafen (einschließlich Todesstrafe) zu belegen, wobei das zu bestrafende Verbrechen die Mitgliedschaft in der verbrecherischen Organisation sein sollte. Das Gericht erklärte: “Eine kriminelle Organisation ist analog einer kriminellen Verschwörung, insofern das Wesen beider die Zusammenarbeit zu kriminellen Zwecken ist.”
Zu verbrecherischen Organisationen wurden das Führungskorps der NSDAP von den Mitgliedern der Reichsleitung bis herunter zu den Mitgliedern der Ortsgruppenleitungen, SD und SS erklärt. Die Organisationsverbrechen waren Verbrechen einer Verschwörung, daher wurde nicht die bloße Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation für strafbar erklärt, sondern der freiwillige Eintritt und das Verbleiben in ihr bei Wissen um den verbrecherischen Zweck. Diesen Zweck, nicht jedoch einzelne Vergehen gekannt zu haben, stellte ein Verbrechen dar.  . . .

Neben den Organisationsverbrechen waren die “Verbrechen gegen den Frieden” zu verfolgen.
Aufschlußreich wirkt schon die Liste der wegen Verbrechen gegen den Frieden Angeklagten. Es waren alle Angeklagten des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses, 12 Direktoren der Firma Krupp, 23 Direktoren der IG Farben, 17 Diplomaten, 14 Mitglieder des Oberkommandos der Wehrmacht und Hermann Röchling (in der französischen Zone).

Industrielle, Generalstäbler und Diplomaten hatten sich gegen den Frieden verschworen, ganz wie es der New‑Deal‑Mythologie entsprach. Es ist klar, daß sich Urteile über Verbrechen gegen den Frieden auf erschöpfende historische Untersuchungen der Ursachen des Krieges hätte stützen müssen, Untersuchungen, die methodologische Schwierigkeiten ohne Zahl aufgeworfen hätten. Aus der verschwörungstheoretischen Literatur hatte die amerikanische Anklage, die in Nürnberg für die Verbrechen gegen den Frieden zuständig war, jedoch die entschlüsselnde Geschichtsschreibung mitgebracht. Einzelne Ereignisse wurden im Lichte der großen Pläne und Absichten der Verschwörer gesehen und dienten zugleich als Beweis für deren Absichten und Verschwörungen.  . . .

. . .  Am 11. April 1949 wurde das letzte Urteil in Nürnberg im Wilhelmstraßen‑Prozeß gegen die Angehörigen des Auswärtigen Amtes gesprochen. Es war höchste Zeit, da sich die Hohe Kommission bald Gedanken machen mußte, wie sie die Verurteilten wieder los werden könne. 1951 wurde von McCloy eine weitgehende Amnestie erlassen. Seither schläft das Nürnberger Recht, wie das Potsdamer Abkommen, einen Dornröschenschlaf und harrt des Tages, da ein roter Prinz kommen wird, um es wachzuküssen.    . . .  . . .

 

Teil 4 Die Wiederkehr Roosevelts


Bundesrepublik im Abstieg
. . .  . . .
Als Roosevelt nicht lange nach dem Antritt seiner vierten Präsidentschaft starb, zerfiel die innenpolitische Kräftegruppierung, die seine Politik getragen hatte und die durch Roosevelt persönlich zusammengehalten worden war. . . .
Auch Roosevelts Deutschlandpolitik mußte einer Revision unterzogen werden. Die Isolierung Deutschlands und die Verhängung von Strafe und Bewährung für Verfehlungen gegen jene Moral, die in Politik und Privatleben ein und dieselbe sei, mußte jenen, die in der Politik etwas anderes als einfach eine Unterabteilung der Moral sahen, als eine allzu kostspielige Rache erscheinen. Da sich nach Roosevelts Tod die Maßstäbe geändert hatten, schienen die alten Berechnungen nicht zu stimmen.

Und doch war Roosevelts System nicht endgültig begraben. 15 Jahre nach seinem Tode war durch die waffentechnische Entwicklung eine Situation heraufbeschworen worden, in der das Zusammenwirken der gleichen drei (oder vier oder fünf) Großmächte, die sich gemäß Roosevelts System nach Entwaffnung der übrigen Staaten in die Weltherrschaft teilen sollten, sich wegen der Gefahr der atomaren Selbstvernichtung beinahe von selbst wiederaufdrängte.  . . .

Wirkte sich das neue Klima, das in vielem das alte aus den Tagen Roosevelts war, rund um den Globus in einer Linksverschiebung aus, so glich sich die politische Stimmung in Deutschland eher den Bildern abstrakter Maler an. Die Erklärung ist nicht weit zu suchen. Hatte das Roosevelt’sche System für jede andere Nation Vorteile und Nachteile bereitgehalten, so sah es für Deutschland (und Japan) von allen Vorteilen ab.  . . .

Die Nachkriegsgeschichte wird heute zum Problem. In Westdeutschland hat man sich über Fahrtrichtung und Stationen der Nachkriegsgeschichte bewußt wenig Gedanken gemacht, da man einer geschichtlichen Einordnung (die ja auch den eigenen Sitzplatz mitumfassen müßte) auszuweichen bestrebt war. Die “Zeitgeschichte”, über die man soviel redete, blieb Geschichte des “Dritten Reiches”. Die Grausamkeiten der Nationalsozialisten waren das Alibi, das einem 20 Jahre später das Nachdenken ersparen sollte. Was gefolgt war, interessierte nicht, es hatte keinen volkspädagogischen Nutzwert. Die Periodisierung der Nachkriegsgeschichte wurde bei uns vom Volksmund vorgenommen. Er spricht von der Zeit vor und nach der “Währung”. Der Stichtag der Währungsreform vom 21. Juni 1948 ist in der Tat ein einprägsames Datum, da er alle Westdeutschen gleichmäßig erreichte. Das Kriegsende hingegen hatte sich in eine Reihe militärischer, lokaler und höchstpersönlicher Kapitulationen aufgelöst, hinter denen der 8. Mai 1945 zurücktrat. Der 21. Juni 1948 ist das einzige einprägsame Datum der Nachkriegsgeschichte geblieben.

So überdeutlich die Währungsreform ins Auge fällt, so sehr ist sie ein Glied in einer Kette von Ereignissen, die von der Schaffung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (1946), der Errichtung der Frankfurter Institutionen und Parlamente (1947), dem Auftrag zur Errichtung der Bundesrepublik (1948), der Aufnahme der Arbeit von Bundesregierung und Bundestag (1949), zur Revision des Besatzungsstaates (1951), dem Ende der Besatzung (1955), dem Beitritt der Bundesregierung zur NATO (1955) und der Unterzeichnung der Römischen Verträge (1957) führt. Alle diese Ereignisse können auf einer ansteigenden Linie, die aus der Entmachtung und Diskriminierung zur Selbstbehauptung, Souveränität und Gleichberechtigung, aus der Fremdherrschaft zur Selbstherrschaft führt, eingezeichnet werden.    . . .    . . .

Die starke Festung Singapur

Voller Stolz und Vertrauen blickte das britische Weltreich auf die unbezwingbare Festung Singapur. Schwere Geschütze beherrschten den Hafen und den Sandstrand der Insel, um jeden landenden Feind zurückzuschlagen. Nach dem Ausbruch der britisch‑japanichen Feindseligkeiten 1941 konnte das britische Oberkommando verkünden, daß die Festung Singapur auf alle Eventualitäten vorbereitet sei. Am 31. Januar 1942 erschienen japanische Truppen vor der Festung, am 15. Februar kapitulierte der britische Oberbefehlshaber Generalleutnant Percival vor Generalleutnant Yamashita und ging an der Spitze von 130.000 britischen Soldaten in die japanische Gefangenschaft.

Was war geschehen. Die Japaner waren nicht ‑ wie vorgesehen ‑ am Sandstrand gelandet, sondern durch die Dschungel Malayas vorgerückt, hatten an der unbefestigten Nordseite der Insel den nur wenige hundert Meter breiten Meeresarm überschritten und die Verteidigungsstellungen der Briten von hinten aufgerollt. Es stellte sich heraus, daß die Festung Singapur gar keine Festung war, sondern lediglich ein Hafenschutz. Premierminister Churchill sagte: “Ich hätte es wissen müssen. Meine Berater hätten es wissen müssen. Man hätte es mir sagen müssen. Ich hätte fragen müssen.”

Die starke Festung Singapur der deutschen Rechtsordnung heißt “Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland”.
Die Väter des Grundgesetzes in Herrenchiemsee und Bonn standen noch unter dem Eindruck von Adolf Hitlers Machtergreifung. Sie versuchten, eine konstitutionelle Festung zu errichten, die einer Wiederholung dieser Machtergreifung trotzen konnte. Die Machtergreifung Adolf Hitlers war nach den Vorstellungen der ersten Nachkriegsjahre durch ein Zusammentreffen verfassungstechnischer Schwächen des Weimarer Verfassungswerkes, des “antidemokratischen” Verhaltens bestimmter Gruppen und des irregeleiteten Volkswillens verursacht worden. Die verfassungstechnischen Schwächen von Weimar sollten eliminiert werden, indem die Regierung durch das konstruktive Mißtrauensvotum gestärkt wurde, das ihren Sturz nur nach der Erstellung einer neuen Majorität zuließ (Art. (67); indem der Bundespräsident entmachtet und ihm vor allem das nach der Weimarer Verfassung zustehende Notverordnungsrecht genommen wurde; indem einige kleinere verfassungstechnische Verbesserungen vorgenommen wurden, wie die, daß die Majorität des Bundestages ein Wahlgesetz beschließen konnte, das durch seine 5% Klausel ihr lästige Konkurrenz vom Hals schaffen sollte.

Gegen das “antidemokratische” Verhalten bestimmter Gruppen wurde fortifiziert, indem bestimmte Grundrechte bei Mißbrauch verwirkt (Art. 18) und bestimmte Parteien verfassungswidrig sein sollten (Art. 21). Gegen den irregeleiteten Volkswillen wurden die stärksten Bastionen errichtet: kein Volksbegehren, kein Volksentscheid, keine Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk, nicht einmal die Möglichkeit der Meinungsäußerung des Volkes zum Grundgesetz selber.

Es ist anzunehmen, daß die Festung Grundgesetz jedem Angriff standhält ‑ sollte der Feind sich aus der vorgesehenen Richtung nähern. Doch das Grundgesetz hat auch eine Nordseite. So gut formuliert die Grundrechte sind, die das Individuum vor den Eingriffen des Staates schützen sollen, so schwach entwickelt sind die Grundrechte, die diesem Staat selber zukommen: das Recht auf Selbsterhaltung, innere und äußere Souveränität, das Recht auf Verteidigung, freie Entwicklung usw.
Das hat natürlich seinen Grund. Das Grundgesetz ist nicht aus einer Souveränitätserklärung des deutschen Volkes entstanden, sondern durch eine schrittweise Ablösung von Besatzungsrechten durch deren freiwillige Übertragung an deutsche Instanzen. Als das Grundgesetz in Kraft trat, wurde die Bundesrepublik nach außen durch die drei westalliierten Hohen Kommissare vertreten, die auch nach innen durch ihre Verfügung über den Notstand das letzte Wort sprachen.  . . .

Ist die Nordseite des Grundgesetzes der mangelnde Selbsterhaltungswille des Staates? Von einer Wiedergewinnung und energischen Behauptung der Souveränität ist im Grundgesetz nicht die Rede, dagegen viel vom Verzicht auf Hoheitsrechte. Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen (Art. 24). Er kann sich zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit einordnen und dabei in eine Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen, um eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeizuführen und zu sichern (Art. 24). Nach Art. 25 gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts allem anderen Recht vor. Nach Art. 26 sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, verfassungswidrig.

Sicherlich, alle diese Artikel lassen sich im Rahmen eines westlichen Bündnisses interpretieren, sowie in den 50er Jahren dem Grundgesetz der Rang “einer grundsätzlichen Stellungnahme in einem über die ganze Welt reichenden Gegensätze” (Ulrich Scheuner), nämlich dem zwischen “totalitären Staatsregimen” auf der einen, “demokratischen Ländern” auf der anderen Seite zugeschrieben wurde. Aber sie lassen sich eben nicht nur im Rahmen eines westlichen Bündnisses auslegen, sondern auch im Rahmen einer durch die Siegerkoalition auferlegten “Friedensordnung”, ja sogar im Rahmen eines russisch dominierten Systems. Was Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören (Art. 16) sind, darüber haben die Russen sehr bestimmte Vorstellungen. Es ist kein Zufall, daß eben jene Kommunisten, deren Partei aufgrund des Grundgesetzes verboten wurde, beinahe nur lobende Worte für das Verfassungswerk finden.

Carlo Schmid stellte fest: “Unser Grundgesetz verzichtet darauf, die Souveränität zu stabilisieren wie einen Rocher de bronze, es macht im Gegenteil die Abtretung von Hoheitsrechten an internationale Organe leichter als irgendeine andere Verfassung der Welt.” Schmid gab als Grund an: “Unser Volk beweist, daß es entschlossen ist, mit einer Tradition, die nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische Tradition gewesen ist, zu brechen, die in einer ungehemmten Entfaltung der Macht des Nationalstaates den eigentlichen Beweger der Geschichte sah.” An die Stelle des Nationalstaates konnte ein westliches Bündnissystem treten, aber nicht nur ein westliches Bündnissystem.  . . .

Die außenpolitische Abhängigkeit von den Alliierten, die mit der Verfügung über den Notstand der oberste Schiedsrichter in innenpolitischen Auseinandersetzungen blieben, die Entschärfung der ideologischen Formationen von rechts und links, die unter der Besatzung gleichermaßen zur Aussichtslosigkeit verurteilt waren, und die durch die Identifikation von Parlamentsmehrheit und stärkster Schutzmacht herbeigeführte Unantastbarkeit des Regierungsblocks verstärkte die im Grundgesetz definierte Ordnung derartig, daß über ihre Tragfähigkeit nach Wegfall des westlichen Korsetts schwer Voraussagen gemacht werden konnten.  . . .  . . .

Die Demokratie hat sich im Weltmaßstab durchgesetzt, aber sie hat sich fast zu Tode gesiegt. An die Stelle des Glaubens an das Volk ist allenthalben die Überzeugung von der Notwendigkeit seiner Lenkung getreten. Die politischen Systeme unserer Tage unterscheiden sich dadurch voneinander, welche Mittel sie zur Lenkung des Volkes einsetzen. Auch in der Bundesrepublik ist das Volk nicht nur durch das Grundgesetz “mediatisiert” (Werner Weber), sondern darüber hinaus durch die Beherrscher der Massenmedien als unzurechnungsfähig unter Kuratel gestellt worden. Die letzte Instanz, die im demokratischen Zeitalter das Volk war, ist heute eine autonome öffentliche Meinung und vor allem die “Weltöffentlichkeit”.

Das Verhältnis zur Schutzmacht Amerika bewirkte in den 50er Jahren, daß die Bundesrepublik vor den Nachstellungen der Weltöffentlichkeit geschützt blieb. Die Amerikaner bedeuteten, daß Angriffe gegen die Bundesrepublik, Angriffe auf sie selber seien. Mit der Bundesrepublik legte sich darum nur an, wer sich mit Amerika anlegen wollte. Kennedy und sein intellektueller Stab begannen zu differenzieren. Nicht jeder propagandistische Angriff gegen die Bundesrepublik war fürderhin auch ein Angriff gegen Amerika. Die Nordseite der Festung Singapur wurde für propagandistisches Feuer freigegeben.  . . .

  . . .  . . .  Der Durchbruch des Irrationalen auf breiter Front folgte in den Weihnachtstagen 1959. Anlaß war, daß zwei Burschen an die Außenmauer der Kölner Synagoge antisemitische Parolen angeschmiert hatten. Der Vorfall wäre einige Jahre früher mit Seife und Wasser bereinigt worden ‑ jetzt genügte er, um einen Gefühlssturm ohnegleichen zu entfachen. Eine Stampede von Politikern setzte ein, die sich alle von dem Vorfall als erste distanzieren wollten. Die Suche nach Hintermännern begann. Die Bundesregierung stand dem irrationalen Phänomen der antiantisemitischen Gefühlsausbrüche von Anfang 1960 hilflos gegenüber.  . . .
Als beredter Sprecher für die verstummte Hüterin der deutschen Interessen fungierte nun ein Kind der Charakterreformer, die 1949 gegründete Deutsche Presse‑Agentur (dpa). Die institutionalisierte Umerziehung konnte bei dem An‑ und Abdrehen von Publizitätskampagnen nach Belieben verfahren und der öffentlichen Interessen spotten.

Die Judenverfolgungen Hitlers hatten in den letzten Kriegsjahren eines der stärksten Argumente für die Durchführung der antigermanischen Maßnahmen gebildet. Die antisemitischen Gefühlsausbrüche weckten alte Erinnerungen und lenkten die Gedanken in die letzten Rooseveltjahre zurück. Je lauter sich die deutsche Öffentlichkeit von den beiden Kölner Schmierern distanzierte, desto weniger wurde ihr abgenommen, daß sich in Deutschland und der Welt etwas geändert habe.

Die Gefühlswelle, die vom Kölner Synagogen‑Zwischenfall ausgelöst wurde, ebbte nicht ab. Sie wurde zwar nicht von der Bundesregierung, aber von den Ländern und der Gewalt der Meinung aufgenommen und institutionalisiert.
Die “Bewältigung der Vergangenheit”, wie die Gefühlswelle nach ihrer Institutionalisierung hieß, wurde vor allem durch die Ständige Konferenz der Kultusminister gelenkt. Am 11. Februar 1960 gab die Konferenz neue Richtlinien für die Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Geschichtsunterricht heraus.
Die politische Bildung auf allen Ebenen wurde forciert. Waren 1949 im Zuge der Ablösung der Strukturreform durch die Gesinnungsreform einige politische Lehrstühle errichtet worden, so wurden jetzt an allen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen Lehrstühle für Politische Wissenschaften errichtet. Der Gesinnungsausweis wurde zur wissenschaftlichen Qualifikation.

Mit deutscher Pünktlichkeit hatten die Länder‑Justizminister beinahe auf den Tag genau mit dem liberalen Wahlsieg in Amerika und Chruschtschows Berlin‑Ultimatum in Ludwigsburg eine Zentralstelle errichtet, die dafür sorgte, daß beinahe zehn Jahre nach dem Ende der alliierten Prozeßwelle eine neue der deutschen Länder in Gang kam. Des Rätsels Lösung für die Aktivität der Länder ist nicht weit zu suchen. Die Länder standen dem Bund nicht im Sinne der Gewaltenteilung als Länder gegenüber, sondern im Sinne des Parteienstaates als Machtzentren anderer Parteicouleur.

. . . Die Aufgabe der Prozeßwelle wurde von Fritz Bauer, dem Generalstaatsanwalt von Hessen, folgendermaßen charakterisiert: “Die Prozesse sind ein exemplarischer Teil der seit 1945 viel erörterten re‑education. Die zivilisierte Menschheit ist einige Jahrtausende alt, vorher waren wir Affen. Wenn wir uns nicht in die Luft sprengen, liegen noch Millionen Jahre vor uns. Die Naziprozesse sollen ein Meilenstein dieser Entwicklung sein, sie zeigen uns, wie nahe wir noch dem Affenstadium sind und wie dünn die Haut der Zivilisation war und ist. Sie wollen zeigen, was Menschsein in Wahrheit bedeuten sollte, und was wir zu lernen haben, wie schwer es auch fällt, den Angeklagten und vielen anderen.”  –  Wohl nie ist einer Justiz eine seltsamere Aufgabe übertragen worden.

Die Machtergreifung des neuen Liberalismus folgte in der Kampagne gegen den Bundesvertriebenenminister Oberländer, der sein Amt von 1953‑1960 bekleidet hatte. Die Kampagne begann mit der Beschuldigung der “Isvestija”, daß Oberländer als Angehöriger des Bataillons “Nachtigall” an den kurz nach Kriegsbeginn in Lemberg verübten Morden (an denen sowohl die Russen, wie die Bevölkerung, wie die Einsatzgruppe C des SD partizipiert hatten), die Verantwortung trage. Die Kampagne wurde von dem nur in Hessen nicht verbotenen VVN (Verband der Verfolgten des Nationalsozialismus), aus dem die meisten nichtkommunistischen Mitglieder ausgeschieden waren, aufgegriffen und mit einer Anzeige an die Ludwigsburger Zentralstelle wegen Mordes an 3.000 Juden weitergegeben. Die Kampagne, die ersatzweise für die Beschuldigung der Lemberger Morde alle Aspekte von Oberländers Leben durchforschte und von der allgemeinen Beschuldigung ehemalig nationalsozialistischer Gesinnung bis zu weiteren Morden im Kaukasus fortschritt, konzentrierte sich schließlich in einem allgemeinen Charakterverdacht.
Die DDR setzte alle Mittel ein, um mit Braunbuch, Film (“Mord in Lemberg”) und einem Prozeß, in dem Oberländer zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde, das Feuer am Kochen zu halten.

Obwohl die Auseinandersetzung mit der gerichtlichen Klärung der Haltlosigkeit der Anschuldigungen und der Rehabilitierung Oberländers durch den Bundestag (auch mit den SPD‑Stimmen) endete, gelang es, den Sturz Oberländers herbeizuführen. Es war das erste Mal, daß ein einzelner Minister aus dem Kabinett “herausgeschossen” wurde.

Der Sturz Oberländers soll, wie Ziesel unwidersprochen behauptete, dadurch herbeigeführt worden sein, daß ein namhafter SPD‑Abgeordneter Adenauer androhte, daß man eine Kampagne gegen Oberländer in Gang setzen werde, die ihn, wenn nicht des Judenmordes, so doch des Antisemitismus beschuldigte. Die Möglichkeit zu dieser Kampagne bot ein Zeitungsbericht aus dem Dritten Reich, der über einen Vortrag referierte, in dem sich Oberländer lobend über die antisemitische Haltung der Landbevölkerung geäußert habe. Die Pointe ist, daß aus dem Zusammenhang hervorgeht, daß der Journalist an Stelle von antibolschewistisch antisemitisch gesetzt hatte.
In der Tat war der Sturz Oberländers der endgültige Sturz des Antikommunismus. Der DDR‑Propagandachef Albert Norden zog mit Recht das Resümee: “Die Entwicklung des Falles Oberländer unterstreicht, daß im Kampf gegen die Verderber Deutschlands das Gesetz des Handelns an die DDR übergegangen ist.” Der SPD‑Pressedienst formulierte etwas anders, wenn er meinte, daß es sich um einen “Sieg des Moralischen in der Politik” gehandelt habe.

Die Ära der “Moralpolitik und politischen Moral” (Die Zeit) begann in Deutschland zu dämmern. Moralpolitik hätte innerhalb gewisser Grenzen für Deutschland förderlich sein können, da Moral eine Waffe der Schwachen ist.

Eine Moral, wie sie sich im Heimatrecht, im Selbstbestimmungsrecht, im Recht der kleinen Staaten gegenüber den Weltmächten niederschlug, hätte innerhalb der deutschen Politik eine positive Rolle spielen und diese in eine Weltströmung hineinstellen können, die den deutschen Interessen nicht widersprach. Die Moral, die die Moralpolitiker jedoch meinten, war die des Franklin D. Roosevelt in neuem Gewande. Sie akzeptierte das Moralgefälle zwischen den guten Weltmächten und den bösen Aggressorstaaten, vor allem Deutschland. Die Moral der Vergangenheitsbewältigung führte unter Anerkennung der Ordnung von Jalta zum Versuch, den Nachweis zu erbringen, daß sich die Bundesrepublik in permanenter Selbstreinigung und Wandlung in dieses System hineinzufügen habe.

Die Kampagne gegen Oberländer wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht durch den Kölner Synagogenzwischenfall und die durch ihn hervorgerufene Bundestagsdebatte eine Gefühlswelle hervorgerufen worden wäre, die dazu führte, daß, wie eine amerikanische Dissertation über “The Nazi ’Past’ in the Communist Cause” schreibt, “das Zusammenspiel der engagierten Kräfte einen in so groteskem Ausmaß irrationalen Charakter annahm, daß die Normen der politischen Gerechtigkeit an einigen Punkten in der Anti‑Oberländer‑Kampagne nicht mehr die Grenzen der sinnvollen Auseinandersetzung der Parteien absteckten.”
Es war die Auseinandersetzung um ein Symbol, die stets schärfere Formen annimmt als die Auseinandersetzung um eine Sache, da ein Zurückweichen und das Zugeständnis des Irrtums als Aufgabe der eigenen Gesinnung gewertet wird.

War das Jahr 1960 durch den Oberländer‑Prozeß charakterisiert, so das Jahr 1961 durch den Eichmann‑Prozeß. Er verlegte die Vergangenheitsbewältigung auf die internationale Ebene. 500 Korrespondenten aus 40 Ländern wohnten der Eröffnung im April 1961 bei. In Jerusalem tauchten die bekannten, zehn Jahre in Vergessenheit geratenen Namen der antigermanischen Periode wieder auf. Telford Taylor (Sword and Swastica) und Ira Hirschmann (The Embers Still Burn) waren unter den Korrespondenten in Jerusalem.

1960 war das Jahr, in dem der schärfste Vertreter des Antigermanismus William S. Shirer mit Massenauflagen seines Buches über den Aufstieg und Fall des Dritten Reiches wieder in das öffentliche Bewußtsein trat und Louis Nizer erneut zum Bestsellerautor wurde. Auch der aus Nürnberg bekannte Ankläger Kempner sah seine Stunde wiedergekommen. Daß die Gefühlswelle des Eichmannprozesses nicht über der Bundesrepublik (via Staatssekretär Globke) hereinbrach, konnte anscheinend nur durch geheime Waffenlieferungen an Israel, die Anfang 1965 den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den arabischen Ländern im Gefolge hatten, abgewendet werden.

Wenn der “Fall Oberländer” sich (scheinbar) aus der zu bewältigenden Vergangenheit ergab, so fehlte auf den ersten Blick im “Fall Strauß” die Vergangenheitskomponente völlig. Franz Josef Strauß (geb. 1915) war in keiner Weise mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Weder sein Studium der alten Sprachen, noch sein Kriegsdienst in der Flak lieferten einschlägige Hinweise. Nach 1945 war er auf der ersten Landesversammlung der CSU in Bamberg aufgetreten und hatte als Repräsentant der Kriegsgeneration gegen die Aufnahme von alten, aus der Weimarer Zeit stammenden Richtungsstreitigkeiten votiert.

Und doch ist der “Fall Strauß” nur auf dem Hintergrund der durch Charakterwandlung herbeizuführenden Vergangenheitsbewältigung zu verstehen. Die Kampagne gegen Strauß begann Anfang 1959 mit einer Erklärung von Waldemar von Knöringen, die ihn zum Feind Nr. 1 der SPD abstempelte. Knöringen, der Schöngeist der SPD, war auf die Idee verfallen, die SPD‑Politik auf modernen psychologischen Erkenntnissen aufzubauen. Diese legten die Aufstellung von personifizierten Leitbildern nahe, in denen sich die zu wünschenden und die zu verdammenden Charaktereigenschaften der Deutschen verkörperten. Das positive Leitbild (Carlo Schmid) mißriet, das negative jedoch (Franz Josef Strauß) war ein voller Erfolg.

Die Kampagne kulminierte in der Spiegel‑Affäre. Die Geschäftsräume des Nachrichtenmagazins “Der Spiegel” wurden am 26. Oktober 1962 zu nächtlicher Stunde wegen Verdachts des vorsätzlichen Landesverrats und der aktiven Bestechung von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Einige Redakteure wurden verhaftet. Den Grund lieferte ein Artikel “Bedingt abwehrbereit”, der die NATO‑Übung Fallex 61 behandelte. Da es sich dabei um eine militärische Frage handelte und der Spiegel Strauß pausenlos persönlich attackiert hatte, vermutete man, daß der Bundesverteidigungsminister hinter der ganzen Aktion stand und einen unbequemen Gegner mundtot machen wolle. Aus dem “Fall Spiegel” wurde unverzüglich ein “Fall Strauß”.

Die vor dem Hamburger Untersuchungsgefängnis aufziehenden Demonstranten, die “Augstein raus und hinein mit Strauß” riefen, formulierten die Alternative zweier Leitbilder (nur daß an die Stelle Carlo Schmids Rudolf Augstein getreten war). Die Debatten über Pressefreiheit, Geheimnisverrat, parlamentarische Sitten und ministerielle Zuständigkeiten waren nur Vorwand, um die Herrschaft eines Charaktertyps über den anderen zu fordern. Der Gestalt von Franz Josef Strauß wurden jene Charakterzüge zugeschrieben, die für den “autoritären Charakter” bezeichnend waren.
Aus Fromms Charakterlehre ist erinnerlich, daß für die sadistische Komponente dieses Charakters das Streben nach Macht, für die masochistische Komponente der mangelnde Freiheitsdrang und die mangelnde Achtung für die Freiheit anderer bezeichnend sein sollen. Beides wurde bei Strauß diagnostiziert. Ihm gegenüber traten als nicht‑autoritärer, liberaler Charakter “Der Spiegel” und sein Herausgeber.

Es kam zur Regierungskrise. Die FDP‑Minister traten zurück‑, und das vierte Adenauer‑Kabinett war gestürzt. Gegen Strauß wurde nach intensivem Suchen ein Telephongespräch über die Fahndung nach einem in Spanien befindlichen “Spiegel”‑Redakteur als geeigneter Hebel gefunden. Er verlor sein Ministeramt. Die Spiegelkrise hat nicht nur die Auflage des Nachrichtenmagazins gewaltig gesteigert, sondern auch den Kampf der Leitbilder eindeutig entschieden. Der Liberalismus hat sich in ihr in den politischen Sattel geschwungen und versucht sich seither in den eigenartigsten Dressurkünsten.

Vergangenheitsbewältigung

Die amtliche Darstellung der Bundesregierung präzisiert: “Am 24. Dezember 1959 gegen 23 Uhr wurde auf dem in Köln am Hansaring errichteten Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus mit der Inschrift: ’Hier ruhen sieben Opfer der Gestapo. Dieses Mal erinnert an Deutschlands schandvollste Zeit 1933‑1945, der zweite Satz mit schwarzer Lackfarbe überschmiert. In derselben Nacht, am 25. Dezember 1959, gegen 2.30 Uhr wurde die Synagoge in Köln, Roonstraße, durch folgende Aufschriften besudelt: die Außenmauer des Grundstücks durch die Parolen ’Juden raus’ und ’Deutsche fordern: Juden raus’; die Wand und ein Eingang zur Synagoge durch Hakenkreuze und durch Überschmieren der Inschrift ’Synagogengemeinde Köln’; die Innenseite des Toreingangs zur Synagoge durch ein Hakenkreuz sowie durch Überstreichen der Hausglockentafel und des Türgriffs. Zu diesen Schmierereien wurde weiße und rote Lackfarbe benutzt.” Die beiden mitternächtlichen Täter ‑ sie waren wegen fortgesetzten Betrugs und Autodiebstahls bereits vorbestraft ‑ wurden Anfang Februar 1960 wegen “Beschädigung öffentlicher Sachen” zu 14 bzw. 10 Monaten Gefängnis verurteilt. Man hat von ihnen seither nichts mehr gehört. Die Tat jedoch löste eine weltweite Kampagne aus, die eine Identifizierung der Bundesrepublik mit dem 1945 untergegangenen “Dritten Reich” zum Inhalt und teilweise auch zum Ziel hatte.  . . .

Am 18. Februar 1960 mußte Bundesinnenminister Schröder im Bundestag erklären: “Wir stellen uns ernsthaft die Frage, ob wir den nach 1945, insbesondere seit der Bildung der Bundesrepublik 1949 eingeschlagenen neuen Weg ohne Beeinträchtigung fortsetzen können Die Bundesregierung sah sich plötzlich für Dinge haften, die sie weder veranlaßt hatte noch irgendwie beeinflussen konnte. Mit höchst unzulänglichen Mitteln versuchte sie sich der propagandistischen Sturzflut, die über die Bundesrepublik hereinbrach, entgegenzustemmen. Schröder sagte im Bundestag: “Wir werden heute nicht von neuem vor die persönlichen Entscheidungen der Jahre 1933 bis 1945 gestellt, sondern wir haben 15 Jahre eines konsequent anderen Weges hinter uns … Unter uns kann es und darf es nicht den Maßstab wirklichen oder angeblichen Versagens gegenüber dem totalitären Nationalsozialismus geben, der alle unter sein kaudinisches Joch gezwungen hat, sondern nur einen einzigen Prüfstein: den entschlossenen Willen, den seit 15 Jahren verfolgten neuen Weg unbeirrt fortzusetzen.”

Schröder hatte natürlich seine staatspolitische Rechnung ohne den publizistischen Wirt im deutschen Hause gemacht, und seine Mahnung verhallte wie der Kommentar eines Provinzblattes. Hingegen kam die Erklärung des Bundestagsvizepräsidenten Carlo Schmid dem vom Wirt Erwünschten schon ziemlich nahe.

Zwar, meinte Schmid, habe die Pressekampagne dazu geführt, daß eine Reihe von Halbstarken ähnliche Taten wie die in Köln begangen hätten, was mancherorts bedauert würde: “Vielleicht ist dies aber gut: es gibt Lagen, in denen man die schlafenden Höllenhunde wecken muß, um an ihrem Gebell innezuwerden, wie nahe die Hölle noch ist.”

Wenn ein Mao eine “Hundert‑Blumen-Kampagne” einleiten kann, die die Parteifeinde hervorlockt, um sie dann desto besser zerschmettern zu können, so wollte Carlo Schmid nur “innewerden”. Ihm ging es um die Demonstration, daß es “unter der Schwelle des Bewußtseins noch unaufgeräumte Unratecken gibt”. Allerdings definiert die Aufgabe der Aufräumung von Unratecken unter der Schwelle des Bewußtseins das Wesen des Staates neu, dessen nunmehriger tiefenpädagogischer Beruf sich mit dem alten der Gewährleistung der Rechtsgemeinschaft und deren Schutz gegen Angriffe, auch von außen, nicht vereinbaren läßt. Der Konflikt zwischen den Staatsaufgaben wurde von Carlo Schmid auch gesehen und einseitig entschieden, wenn er denjenigen ein “Versagen” vorwarf, die die Vorgänge “nicht unter dem Aspekt der Moral, sondern unter dem Gesichtswinkel des möglichen Schadens betrachten, den die Bundesrepublik erlitten haben mag”. Neben den beiden diametral einander gegenüberstehenden Äußerungen, die auf eine vollkommen verschiedene Auffassung über die Aufgaben des Staatswesens zurückgehen, druckte die amtliche Publikation noch ein beinahe rührendes Zeugnis des Verkennens der Situation ab.

Bundespräsident Lübke sagte: “Wenn die Weltpresse die deutschen Gegenaktionen, die sich auf eine geschlossene Volksmeinung stützen, ebenso breit in der Öffentlichkeit behandelt hätte wie die einzelnen Schändungen, so wäre das Gesamtbild für Deutschland günstiger.”
Man konnte aus “moralischen” Gründen bewußt politische Risiken eingehen, man konnte versuchen, diese Risiken zu begrenzen, aber man konnte nun wirklich nicht an den Gerechtigkeitssinn der “Weltpresse” appellieren. Der Topos “Nazi Germany” erfüllte eine ganz bestimmte, nüchtern kalkulierte Funktion bei dem Versuch, mit den Russen ins politische Geschäft zu kommen. Hitler war der Katalysator der russisch‑amerikanischen Allianz im Zweiten Weltkrieg gewesen. Warum sollte er nicht den gleichen Dienst ein zweites Mal leisten?

Interessant an der Erklärung Carlo Schmids ist, daß er sich über die Struktur der Massenmedien nicht im klaren war. Er spricht an einer Stelle von “Wochenschau” (also Kino) und “Zeitung”, an anderer Stelle von der “Presse”, die “viel Aufhebens von diesem Schmutze” gemacht habe, und verkennt völlig, daß zum Zeitpunkt des Kölner Ereignisses die Schwelle zum Fernsehzeitalter überschritten war. Die Erhebung des Zeigefingers begann auch mit einer Fernsehansprache des nordrhein‑westfälischen Innenministers Dufhues am ersten Weihnachtsfeiertag. Die Sendezeit konnte kaum günstiger liegen, da die Zahl der Fernsehempfänger sich gerade so vermehrt hatte, daß man von einer allgemeinen Verbreitung sprechen konnte, und der Weihnachtsfeiertag der Tag des großen Ausprobierens war. Es ist kein Zufall, daß der Durchbruch der Kampagne durch Ausnutzung eines optischen (Hakenkreuz) und nicht eines akustischen Anlasses gelang. Die Kölner Hakenkreuzschmiererei und die durch sie ausgelöste weltweite Kampagne ist das erste große telekausale politische Ereignis, dem im folgenden Jahr das noch bedeutendere der Wahl des Präsidenten John F. Kennedy folgen sollte.

Die Weihnachten 1959 anlaufende Agitation gab einer Kampagne den offiziösen Stempel, die in privaten Bereichen schon einige Jahre zuvor Fuß gefaßt hatte. Sie trug den recht kuriosen Namen “Bewältigung der Vergangenheit”.
Der Name stammt aus dem Mekka der Gesprächspilger, den Evangelischen Akademien. 1955 war er erstmals von Erich Müller‑Gangloff auf eine Einladung zu einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin gesetzt worden, im Oktober 1955 Thema einer Tagung der Grenzakademie Sankelmark, dann am 20. Juli 1956 als “Hitler oder die unbewältigte Vergangenheit” Thema einer Tagung in Berlin. Er tauchte auf dem siebenten Evangelischen Kirchentag des gleichen Jahres in Diskussionsbeiträgen auf und verbreitete sich wie ein Buschfeuer.

Theodor W. Adorno gab im Herbst 1959 folgende Exegese: “Die narzißtischen Triebregungen der einzelnen, denen die verhärtete Welt immer weniger Befriedigung verspricht und die doch ungemindert fortbestehen, solange die Zivilisation ihnen sonst soviel versagt, finden Ersatzbefriedigung in der Identifikation mit dem Ganzen. Dieser kollektive Narzißmus ist durch den Zusammenbruch des Hitlerregimes aufs schwerste geschädigt worden. Seine Schädigung ereignete sich im Bereich der bloßen Tatsächlichkeit, ohne daß die einzelnen sie sich bewußt gemacht hätten und dadurch mit ihr fertig geworden wären. Das ist der sozialpsychologisch zutreffende Sinn der Rede von der unbewältigten Vergangenheit.”

Die Vergangenheitsbewältigung ist die Anwendung sozialpsychologischer Erkenntnisse in einer Massentherapie, die eine krankhafte Einstellung der Deutschen (Sozialpathologie) durch Bewußtmachung ihrer “Vergangenheit” zum Verschwinden bringen will. Die Deutschen hätten den Nationalsozialismus im allgemeinen, “Hitler ‑ das gesamtdeutsche Trauma” (Gert Kalow) im speziellen verdrängt und leisteten Widerstand, wenn man sie mit dieser Vergangenheit, also mit sich selber, konfrontierte. Hitler werde eingekapselt, mit bösen Etiketten versehen, abgelehnt. Dadurch sei die Vergangenheit aber keineswegs bewältigt, sondern eben unbewältigt, da die gebotene “Trauerarbeit” (Alexander Mitscherlich) verhindert werde.

Wenn die Assimilation Hitlers und seine fortschreitende seelische Überwindung in das Zentrum einer Sozialreligion gerückt wird, ordnen sich alle Gegenstände um den Glaubenshauptgegenstand herum an. Alles und jedes ist entweder Trauerarbeit oder Flucht vor ihr. Schließlich tritt an die Stelle des Kalten Krieges der neue Ost‑West‑Konflikt der verschiedenen Aufarbeitungssysteme: “Während es für den Christen selbstverständlich ist, daß die Abkehr von diesem Gestern nur im Gegenüber zur bewußten Erinnerung erfolgen kann, ist für den Marxisten mit dem Eintritt in die Welt des Sozialismus jede Verbindlichkeit von gestern her erloschen” (Erich Müller‑Gangloff. Dieser Gedanke kann dahingehend entwickelt werden, daß ein innerdeutscher Ost‑West‑Ausgleich, der nicht notwendig eine staatliche Wiedervereinigung bedeutet, dadurch erreicht werden kann, daß sich östlicher Marxismus und westliche Bewältigung vermählen. Mancher “Dialog” steuert deutlich in diese Richtung. …

Für die Trauerarbeit ist Voraussetzung, daß Hitler nicht sterben darf. Für die weltpolitische Situation war er schon 1944 tot, es ging nur noch um sein Erbe. Damit öffnet sich eine Schere zwischen den vermeintlichen psychologischen und therapeutischen Erfordernissen und der sich aus der politischen Weltkonstellation ergebenden Gegenwartssituation. …

Der Bewältigung der Vergangenheit liegt ein geschlossenes System eines geistigen Kreislaufs zugrunde. Ein moralisches Postulat wird in der Gegenwart aufgestellt. Aufgrund dieses Postulats werden das “Dritte Reich” und die deutsche Geschichte gedeutet. Aus der so gedeuteten Geschichte werden Lehren für die Gegenwart gezogen, die zu verschärften moralischen Postulaten und damit zu erneut rigoroseren Deutungen der Vergangenheit führen, und so weiter, immer im Kreis herum, bis eines Tages das auf sich selbst bezogene Gebilde am Fels der Realität zerschellt. Die moralische Eskalation kann auf Inhalte weitgehend verzichten. Die Verwendung der Geschichte des “Dritten Reiches” in der Trauerarbeit hat eine Begegnung mit Geschichte nicht in ihrem Gefolge, im Gegenteil. Hans Buchheim, der über ein Jahrzehnt im “Institut für Zeitgeschichte” tätig war, kommt zum Schluß: “Alles in allem muß man also leider feststellen, daß mit zunehmendem zeitlichem Abstand vom Dritten Reich die Vorstellungen über jene Zeit nicht etwa zutreffender werden, sondern vielmehr immer abwegiger.” Es grassiere eine spekulative Betrachungsweise, die “Geschichte nur als Stoff benutzt, an dem sie ein Prinzip demonstrieren kann”.

Die Betrachtung des Dritten Reiches durch die Älteren sei völlig unreflektiert, nur durch persönliche Eindrücke bestimmt, die der jüngeren nur reflektiert. “Die Jüngeren halten eine differenzierende Betrachtungsweise von vorne herein für apologetisch und unmoralisch, weil für ihre Begriffe die Moralität des Urteils in dem Maße zunimmt, in dem alle Aspekte eines Problems auf einen Aspekt konzentriert werden”. Der Aspekt, auf den alle Aspekte des Dritten Reiches konzentriert werden, ist nach Buchheim der Aspekt des Verbrechens, zusammengefaßt im Symbolbegriff Auschwitz. Vom Aspekt des Verbrechens wird ein Dispens des politischen Denkens abgeleitet, der jede nüchterne Erwägung in der Gegenwart und jede Einbeziehung des Selbstinteresses schon als Ansatz zum Verbrechen wertet. …

Der Verfasser besitzt eine von Werner Hilgemann herausgegebene Schulwandkarte, die auf vier Quadratmetern mit Judensternen, SS‑Fähnchen, Wachtürmen und Galgen bedeckt ist, ihr Titel: “Deutschland unter der Hitlerdiktatur 1933‑1945.” (Verlag J. Perthes, 1963). Als 1960 das propagandistische Gewitter über der Bundesrepublik losbrach, war ein Blitzableiter vonnöten. Die Schulen waren aufgrund der bestehenden staatlichen Schulhoheit der Ort, wo ohne Störung der Rechtsordnung, die bei einer zweiten Entnazifizierung unvermeidbar gewesen wäre, bewältigt werden konnte.
Schon am Januar 1960 setzten nach dem Bericht der Bundesregierung die “systematischen Belehrungen in den Schulen” ein. Eine Flut von Anweisungen folgte. Am 29. September 1960 kam die “Rahmenvereinbarung” der Kultusministerkonferenz in Saarbrücken zustande, die in den Oberstufen der Schulen das Fach “Gemeinschaftskunde” einführte und den Geschichtsunterricht in ihm aufgehen ließ. An die Stelle des chronologischen Geschichtsunterrichts trat der “exemplarische”, der den Stoff benutzte, um an ihm ein Prinzip zu demonstrieren. Die demonstrationsstudentische Bewegung von 1967/68 ist nicht von ungefähr antihistorisch. In der Antifestschrift zum 150 jährigen Jubiläum der Universität Bonn, “150 Jahre Klassenuniversität”, schreibt Bernd Pauly:
“Uns scheint, es würde niemandem auffallen, wenn die Geschichtswissenschaft über Nacht abgeschafft würde. Dort, wo sie gesellschaftliche Effizienz haben soll, an den höheren Schulen, wird sie als autonomes Unterrichtsfach mehr und mehr zurückgedrängt, denn es leuchtet selbst Kultusministern ein, daß die lichtsuchende Jugend kanonisierter Plattheiten über Bismarck und andere füglich entraten kann”.

In der Einführung des Faches “Gemeinschaftskunde” sahen seine Promotoren eine “große neue Aufgabe”, nämlich “die Erziehung des (auch) politischen Menschen, der die Erinnerung bewahrt und aus ihr handelt” (Felix Messerschmid). Sie glaubten allen Ernstes, mit ihrem Unternehmen einen Beitrag zur geistigen Verteidigung des Westens zu leisten, zu der Karl Dietrich Erdmann auf dem Historikerkongreß von Duisburg 1962 in flammenden Worten aufrief.
Eine völlig unübersehbare Literatur über Didaktik und Systematik des politischen Unterrichts ergoß sich über die Pädagogen. Es war vorauszuberechnen, daß etwa im Jahre 1968 zum ersten Mal seit 1945 eine politisch gereifte und demokratisch gebildete Abiturientengeneration in die Universitäten einrücken würde. Tatsächlich wurde diese Generation auch als “erste hoffnungsvolle Generation unseres Volkes” (Müller‑Gangloff) begrüßt. Wenn Messerschmid das Erziehungsziel des Bewahrens der Erinnerung und des Handelns aus ihr aufstellte, übersah er, daß die Jugend ja nicht die Messerschmidschen Erinnerungen bewahren konnte, sondern nur die ihres eigenen Erlebniskreises, und der wurde durch eiertanzende Studienräte gebildet, die als politische Doktrin eine reichlich stümperhafte Rationalisierung von Erlebnissen anderer zu verkünden hatten.

Welche Rolle konnte die “unbewältigte Vergangenheit” als Bildungserlebnis bei einer Generation spielen, die nach dem Krieg geboren und nun z.B. von Pfarrer Franz von Hammerstein vor die Frage gestellt wurde: “Was würden wir tun, wenn man uns zum Selektieren auf die Rampe in Auschwitz‑Birkenau stellte, oder wenn wir als Soldaten die grauenhaften Geiselerschießungen beobachteten?”
Die Antwort mußte, da Auschwitz in unerreichbare Ferne gerückt war, in dem Wurf von Frischeiern auf lebende Staatsmänner, Love‑Ins in Rektoratsräumen und der Auffassung bestehen, daß die ganze Gesellschaft in Verbrechen verstrickt sei. Die bewältigende Generation glaubte, es sich schuldig zu sein, die Jugend in einen Prozeß der Sühne einzubeziehen:

“Man kann stellvertretend für die Väter sühnen, ähnlich wie die Väter oft für ihre Kinder sühnen müssen. Sühne ist nicht identisch mit Strafe verbüßen, sondern bedeutet, die Strafe als gerecht akzeptieren.
Worin besteht eigentlich die Strafe? Einzelne werden bestraft, wenn die Gesetze, die Justiz, dazu zwingen. Das deutsche Volk wurde unter anderem bestraft durch die Wegnahme von Ostpreußen, Schlesien und Pommern, durch die Vertreibung der dortigen Bevölkerung sowie durch die Teilung. Diese Strafen haben nach 1945 mehr oder wenige Schuldige ‑ von Unschuldigen sollte man für die damalige Generation nicht reden ‑ getroffen, und gerade etwa die Teilung trifft auch Unschuldige heute. Welche Strafen uns ein künftiger Friedensvertrag etwa noch auferlegt, wissen wir nicht.”

Die religiöse Aufladung der profanen Geschichte, die Ersetzung des persönlichen Gottes durch den Geschichtslenker, der sich im Zeitgeschehen offenbart und sein Gericht durch die Weltmächte vollzieht, ist in der geschichtlichen Dimension des Christentums, aus der nach Löwith die säkulare Geschichtsphilosophie hervorging, angelegt, so daß der Sühneprotestantismus ‑ auch im Katholizismus kommen Parallelen auf ‑ manchen innerkirchlichen Ansatzpunkt hatte. Politische Differenzen bekamen dadurch kirchensprengende Wirkung.

Die Vergangenheitsbewältigung hat auch Wissenschaftsgeschichte geschrieben und die Fragestellungen, Terminologien und Antworten einer ganzen Reihe von Fächern ‑ von der Psychiatrie bis zur Staatsrechtslehre ‑ beeinflußt. Als Beispiel einer Anwendungsmöglichkeit der Vergangenheitsbewältigung sei das Gebiet der Außenpolitik herausgegriffen. Die auf die Außenpolitik angewandte Vergangenheitsbewältigung hatte, wie die dritte außerparlamentarische Bewegung “Kampf dem Atomtod”, ihren Ausgangspunkt im Göttinger Memorandum der 18 Physiker. In vertraulichen Erörterungen am Dienstsitz von Bischof Hermann Kunst, Militärbischof, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche bei der Bundesregierung und Exponent des Kirchenliberalismus, wurden weitere Aktionen nach Art des Göttinger Memorandums konzipiert. Ein “Tübinger Memorandum” wurde im Herbst 1961 an die Abgeordneten des neuen Bundestages verschickt und mit ihnen erörtert. Unter den Unterzeichnern (Becker, Bismarck, Heisenberg, Howe, Picht, Raiser, Weizsäcker) befanden sich noch zwei Physiker. Die Federführung war jedoch eindeutig an den Tübinger Juristen Prof. Ludwig Raiser übergegangen.

Während das Göttinger Memorandum sich nicht in der Lage sah, einen politischen Rat zu erteilen, und nur die Nichtbeteiligung der Physiker an der atomaren Forschung zu militärischen Zwecken kundtat, weiß die neue Denkschrift‑Bewegung genau, was zu tun ist, und versucht, die politischen Instanzen unter Druck zu setzen, indem sie vorgibt, sie durch Aufhebung des Drucks zum Handeln zu befreien. Der Kernsatz des Memorandums lautet:
“Die deutsche Position in der gegenwärtigen Krise wurde dadurch geschwächt, daß wir an Ansprüchen festgehalten haben, die auch bei unserem Verbündeten keine Zustimmung finden. Wir sagen nichts Neues, wenn wir die Ansicht aussprechen, daß zwar Freiheit der in Berlin lebenden Menschen ein von der ganzen Welt anerkanntes Recht ist, daß aber das nationale Anliegen der Wiedervereinigung in Freiheit heute nicht durchgesetzt werden kann, und daß wir den Souveränitätsanspruch auf die Gebiete jenseits der Oder‑Neiße werden verloren geben müssen.”

Das Tübinger Memorandum brachte Anschauungen zu Papier, die an keinem Punkte über das hinausgingen, was in den Kreisen der Kennedy‑Administration umlief und was von jenen, welche die deutsche Politik den amerikanischen Vorstellungen der KennedyBerater anpassen wollten (z. B. “Die Zeit”), angestrebt wurde. …

Die eigentliche Sensation des Memorandums war jedoch sein theologischer Hintergrund. Diese Sensation steigerte sich noch, als der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands eine “Kammer für öffentliche Verantwortung” unter dem Vorsitz von Prof. Ludwig Raiser und der Geschäftsführung von Oberkirchenrat Erwin Wilkens beauftragte, eine Ost‑Denkschrift auszuarbeiten, die den Titel trug “Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn”.
Die Denkschrift wurde im Oktober 1965, wieder nach der Wahl eines neuen Bundestages, veröffentlicht und führte sofort zu einer lebhaften Debatte, die nach einem halben Jahr schon 40 selbständige Schriften zutage gefördert hatte und heute noch anhält. Die Bielefelder These der Kirchlichen Bruderschaften, daß der Verzicht auf die Ostgebiete eine Erkenntnis sei, zu der “das Evangelium die politische Vernunft” befreit habe, wurde in der Ost‑Denkschrift nicht mit diesen Worten formuliert, aber stand doch derart im Hintergrund, daß die an Verschlüsselungen gewohnten Zeitgenossen zu Recht stutzig wurden. . . .

In harten Grabenkämpfen um jeden Punkt der Denkschrift schälte sich nach und nach heraus, daß die einzelnen Punkte nur die Schale um einen theologisch‑politischen Kern waren, der als “Ja zum Gericht Gottes”, zur Konsequenz der Annahme jeder Forderung und Zumutung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs führte. . . . Die Sühnetheologen mußten in den ihnen Widersprechenden den “alt‑bösen Feind” wittern, der ein verstocktes Nein zum Gericht Gottes sagt. Sie waren daher auch maßgeblich an einer Kampagne beteiligt, die in einer umfangreichen Literatur einem “Nationalismus” den Garaus zu machen suchte, dem zunehmend alle satanischen Züge des Bösen angeschminkt wurden.
Der Kampf gegen Nation, Nationalgefühl, Nationalismus ist seit den Illuminaten und bis hin zum Internationalismus der Sozialdemokratie eine Unterströmung der Linken gewesen. Doch handelt es sich bei dem Bewältigungs‑Anti‑Nationalismus nicht um einfache Anknüpfung an diese Tradition, sondern um eine sehr spezifische Abwandlung. Das geht schon daraus hervor, daß die gleichen Kreise, die in Deutschland in der Bekämpfung des Begriffes der Nation den hauptsächlichen Inhalt der Politik sehen, in Österreich mit gleichem Elan diesen Begriff einführen wollen. Sie rufen diesseits von Inn und Salzach “Fort mit der Nation” und jenseits von Inn und Salzach “Her mit der Nation”.

Umerziehung und Politische Kultur

Politische Kultur (Political Culture) ist der Name eines Ende der fünfziger Jahre an der Universität Princeton entwickelten Forschungskonzeptes amerikanischer Sozialwissenschaftler, das als Spätzünder in der Schlußphase der bundesdeutschen Teilrepublik die öffentliche Diskussion prägte. Die späte, bei “seiner ursprünglichen Rezipierung aus dem Amerikanischen kaum zu ahnende Blüte” wurde dem Fernsehpublikum verdeutlicht, als in der viel beachteten Bundestagsdebatte über den konstruktiven Mißtrauensantrag gegen Helmut Schmidt Redner der SPD (Helmut Schmidt, Willy Brandt) wie der FDP (Gerhard R. Baum, Hildegard Hamm-Brücher) davor warnten, daß der Regierungswechsel die “Politische Kultur” gefährde.
Politische Kultur war in Bonn auf Spielregeln, politischen Stil, ungeschriebene Gesetze im Gegen‑ und Miteinander der Berufspolitiker verkürzt worden, während in Amerika sich die Political‑Culture‑Forschung mit der Gesamtbevölkerung befaßte. Das von Gabriel A. Almond, dem “Founding Father”, seinen namhaften Jüngern Sidney Verba und Lucian W. Pye und einigen anderen entwickelte Forschungskonzept versuchte politisch relevante subjektive Faktoren wie Wertüberzeugungen, Einstellungen, Verhaltensweisen mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung zu erfassen und zu vergleichen. In Deutschland wurde daraus unter Verzicht auf die komparative Zielsetzung ein feuilletongerechter Modeartikel, der klangstark Sinnführungskompetenz belegen sollte. Wer zwischen einem normativen Gebrauch bei Politikern, Leitartiklern und Fernsehkommentatoren, die häufig den Mangel oder den Verfall der Politischen Kultur beklagen und einen “nicht von vornherein wertenden, also deskriptiven und analytischen” Gebrauch in der Sozialwissenschaft unterscheidet, kennt anscheinend seine Pappenheimer nicht. Wir finden unter den Autoren der Politischen Kultur so manche Politikwissenschaftler, die durch normative Überzeugtheiten und entsprechenden volksmissionarischen Drall bekannt sind. Martin Greiffenhagen, Kurt Sontheimer, Wilhelm Weidenfeld, Wilfried Röhrich, Iring Fetscher, Fritz Stern, Christian Graf Krockow, Lord Ralf Dahrendorf e tutti quanti. Die politische Kultur der Bundesrepublik wird hier an der Norm eines nicht näher untersuchten westlichen (de facto) anglo‑amerikanischen Vorbilds gemessen. Das Auftauchen des Paradigmas Politische Kultur in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hilft eine Lücke zu schließen, die sich durch das Verblassen der antikapitalistischen, antiautoritären, antiimperialistischen Faszinationen der 68er Bewegung nach der Tendenzwende von 1973/74 ergeben hatte.  . . .

Deutschland war in den 60er und 70er Jahren kein Mittelpunktthema und kein Anlaß für besondere Besorgnisse. Dennoch spielt es in der Political‑Culture‑Forschung eine wichtige Rolle. Die psychopolitische Sicht war ursprünglich auf Deutschland gerichtet gewesen.  . . .

Das konzeptionelle Umfeld der Re-education der Deutschen war Ausgangspunkt der Political‑Culture‑Forschung. In ihr zeichnet sich nicht nur ein Wandel des Deutschland‑Bildes ab, sondern auch ein Wandel der deutschen Wirklichkeit, soweit sie mit einem sozialwissenschaftlichen Raster einzufangen ist. Re-education und Politische Kultur sind jedoch nicht nur durch eine psychopolitische Traditionslinie verbunden, sondern auch durch eine der empirischen Sozialforschung.  . . .

Kürzungen und die Hervorhebungen im Text wurden von mir vorgenommen. Das vollständige Buch CHARAKTERWÄSCHE ist unter www.amazon.de erhältlich. – Horst Koch, Herborn, im Dezember 2008




Kulturrevolution (China)

Leslie T. Lyall

DER ROTE HIMMEL

– China und die Christen nach der Kulturrevolution –

– Gekürzt und die Hervorhebungen von Horst Koch, Herborn – (Obwohl inzwischen ein halbes Jahrhundert vergangen ist, lehrt uns der “Marsch durch die Instanzen” dennoch, wie auch heute noch “Revolution geschieht”, vor unseren Augen, 2018)

DAS NEUE CHINA
Das Scheitern des »großen Sprungs«
‑ Die Kulturrevolution
– Die »Roten Garden«
‑ Der Mensch nach Maos Vorstellung
‑ Liberalisierung
– Die Verehrung Maos
‑ Die verstörte Kirche
– Die Geschichte der Gesellschaft
‑ Die Situation im veränderten China

Hat die Gemeinde in China überlebt?

Der Rote Himmel
Bringt der Kommunismus den »Himmel auf Erden«, die neue Welt? Die »Mao‑Bibel«, der Katechismus der 800 Millionen, kennt nur ein Thema: Weltrevolution. Und das Feuer dieser Revolution brennt in allen Erdteilen. Es ergreift die Jugend Europas und begeistert sie: »Wir bauen die neue Welt!«
Der religiöse Charakter der roten Revolution ist unverkennbar. Sie kann direkt als Fälschung des Christentums bezeichnet werden. Das Evangelium von Jesus Christus ist die revolutionärste Botschaft, die Menschen und Verhältnisse ändert. Hier liegt das große Versagen der Christen. Sie sind kaum diejenigen, die eine Welt auf den Kopf stellen. Aber von den Kommunisten kann man das behaupten.
Es ist notwendig, daß sich das zerfallende, etablierte Christentum, das dem des Neuen Testaments kaum entspricht, mit der Herausforderung des Kommunismus auseinandersetzt. Die chinesische Revolution ist eine kritische Frage an unser eigenes Christsein: Wo ist bei uns noch etwas zu spüren von der Dynamik des Glaubens? Wo sind die Bauleute einer neuen Welt? – Nur da, wo Jesus Christus das Fundament, der Grundstein ist.
Der totalitären Macht des Kommunismus ist keine Ideologie entgegenzusetzen. Die Lösung heißt auch nicht Antikommunismus. Es gibt nur eins, was dieser Macht gewachsen ist: die totale Nachfolge Jesu.
Die Christen sind heute gefordert wie noch nie. Dabei geht es nicht in erster Linie um eine Revolution der Verhältnisse, sondern um eine Revolution der Herzen. Es geht um den neuen Menschen, den Christus schafft. Und von diesen neuen Menschen soll etwas ausgehen in eine in Unordnung geratene Welt (Matth. 5,13‑16).

1. KAPITEL

DAS NEUE CHINA

1965 war ein Schicksalsjahr für Mao Tse‑tung.
Sieben Jahre waren vergangen, seit der »große Sprung vorwärts« mit viel Propaganda auf dem Parteikongreß im Mai 1958 angekündigt wurde. Dem waren sofort die ersten Versuchskommunen gefolgt. Sie sollten das Sprungbrett für den großen Sprung des wirtschaftlichen Fortschritts werden. Für diesen Versuch nahm das Volk alle Kräfte zusammen.
Aber der eingeschlagene Weg war nicht leicht. Der Aufstand von 1959 in Tibet, der mit dem Tod von fünfundsechzigtausend Tibetanern rücksichtslos unterdrückt wurde, wirft finstere Schatten darauf. Ein Jahr später wandten die Sowjetunion und die osteuropäisdien Länder China den Rücken und machten seine Versuche mit den Kommunen lächerlich. Rußland zog alle Berater und Experten zurück und ließ China sein eigenes »Sampan« (chinesisches Wohnboot) rudern. Das Auftauchen Chruschtschows als Führer Rußlands markierte den Wendepunkt der chinesisch‑sowjetischen Beziehungen, die sich seitdem immer mehr verschlechterten.


Das Scheitern des „großen Sprungs«
1960 sahen sich die chinesischen Führer der unleugbaren Wirklichkeit gegenübergestellt, daß sie versagt hatten. Ihre Landwirtschaftspolitik war völlig gescheltert. Schreckliche Berichte über Hungersnöte in einigen Gebieten und der bedrohliche Mangel an Lebensmitteln zerschlugen ihren früheren Optimismus. Rot orientierte Beamte, die von doppelten Getreideerträgen berichtet hatten, gaben den Betrug zu.
Im Januar 1961 erzählte Ministerpräsident Tschu En‑Lai dem amerikanischen Journalisten Edgar Snow, der lange ein Freund des Vorsitzenden Mao war, daß die Getreideproduktion, weit entfernt von den gesteckten Zielen, unter die vorausgehender Jahre abgesunken sei.
Es war ein sehr, sehr harter Winter für China. Überschwemmungen, Dürre und Insektenplagen hoben den Mißerfolg noch mehr hervor. Die eigentliche Schuld an der schrecklichen Situation trug jedoch das totale Versagen der Regierung und ihrer Wirtschaftspolitik. Freunde und Verwandte der hungernden Bevölkerung auf dem Festland halfen in großem Ausmaß. Annähernd zwölf Millionen Lebensmittelpakete wurden 1961 und fast ebenso viele im folgenden Jahr von Hongkong aus verschickt.
Die Flut der Flüchtlinge nach Hongkong schwoll an. In Schanghai äußerte sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Form von Plakaten, die die Regierung öffentlich für die wiederholten Mißernten verantwortlich machten. Um den Mangel an Lebensmitteln zu beheben, sah sich die Regierung schließlich gezwungen, große Mengen kanadischen und australischen Weizens mit ausländischer Währung, die kaum entbehrt werden konnte, zu kaufen.

Revisionismus
Die Katastrophe war vor allem ein Schlag für das persönliche Ansehen des Vorsitzenden Mao. »Er war ein Gott, der versagt hatte.« Die Mao‑Mystik war zerbrochen. Denn der «große Sprung vorwärts« war sein ureigenster Gedanke gewesen. Nun zwang ihn die öffentliche Meinung, Abwandlungen in dem streng geordneten Kommunensystem gutzuheißen und persönliche Besitztümer und Unternehmen bis zu einem gewissen Grad wiederherzustellen. Der „Ökonomismus« war gegen Mao, sobald er nach «Revisionismus« roch.
Verteidigungsminister Marschall Peng Teh‑huai der sich 1959 auf der Luschan‑Konferenz der Kommunistischen Partei gegen Mao, die Kommunen und ganz besonders gegen den »großen Sprung vorwärts« gewandt hatte und deswegen entlassen worden war, konnte jetzt sagen: »Ich habe es euch vorhergesagt!« Es wird angenommen, daß Peng damals die stillschweigende Unterstützung Liu Schao‑tschis hatte, der trotzdem Ende 1958 Nachfolger Maos als Vorsitzender der Republik, wenn auch nicht der Partei, wurde. Trotz Lius hoher Stellung blieb es aber Marschall Lin Piao, der dem Parteivorsitzenden geistig am nächsten stand.
Mao hatte den Ruf des Unfehlbaren verscherzt, und Teile der Öffentlichkeit, die ihm feindlich gesinnt waren, fuhren fort, an «revisionstischen« Ansichten festzuhalten. Der verärgerte Vorsitzende legte ganz besonders nach 1962 zunehmende Ungeduld mit diesen Intellektuellen an den Tag. Um die junge Generation vor deren Einfluß zu schützen, gründete er die Sozialistische Erziehungsbewegung und verstärkte den Druck eine Anzahl gutbekannter Schriftsteller und Geschichtschreiber in der Partei. Darunter befand sich auch Wu Han, Dramatiker und stellvertretender Bürgermeister von Peking, der die gegenwärtige Situation auf eine Art auslegte, die den Vorsitzenden in ungünstigem Licht erscheinen ließ.

Erneuerung durch Arbeit
1957 trat ein Gesetz in Kraft, das den Landaufenthalt der Intellektuellen forderte. 1960 wurden Millionen Studenten auf die ländlichen Kommunen geschickt, um bei der Überwindung der Krise in der landwirtschaftlichen Produktion zu helfen. 1963 strömten wieder Zehntausende von Beamten, Intellektuellen und Studenten in die ländlichen Gebiete, um eine persönliche Erneuerung ihrer Einstellung und Zielsetzung zu erfahren, während sie landwirtschaftliche Arbeit leisteten. 1965 waren es vierzig Millionen Jugendliche und Intellektuelle, die gegen ihren Willen in der Landwirtschaft beschäftigt wurden. Die meisten von ihnen fanden die rauhen Lebensbedingungen fast unerträglich, während sich die Bauern ihrerseits über deren Anwesenheit ärgerten und sich über die Großtuerei der jugendichen Geistesarbeiter aus der Stadt lustig machten

Verrat der Revolution
Trotz der immer neuen «Berichtigungsaktionen« hielt jedoch der Einfluß der Mao‑Gegner im Zentralkomitee der Partei an. Wiederholt mißlang es Mao, die Gesamtkontrolle über den Parteiapparat, die er so sehr anstrebte, zu gewinnen. Noch nie dagewesene, einschneidende Maßnahmen waren nötig, um die Zukunft der chinesischen Revolution zu sichern.
Darüber hinaus regte die alternde Parteiführung in der nationalen Presse eine Debatte über die notwendige Absicherung an, „daß revolutionäre Nachfolge die Revolution nicht verrät«. Deutlich zeichnete sich eine Krise ab, hauptsächlich wegen der Erhaltung von Maos Auslegung des Marxismus‑Leninismus in der Zukunft. . . .

Die Kulturrevolution
Als sich im Herbst die Bäume um sein Haus rot und golden färbten, berief Mao eine Geheimsitzung des Zentralkomitees der Partei ein, wobei er die normale Parteimaschine übersprang. In aller Eile stellte er Sonderausschüsse als Rahmen für den Beginn eines neuen, turbulenten Kapitels in der Geschichte Chinas auf, ein Kapitel voll großer Gefahren für China selbst und für die ganze Welt.
Nachdem alles andere fehlgeschlagen war, stand der Vorsitzende nun kurz vor seinem letzten Glücksspiel, der «Großen Proletarischen Kulturrevolution«. Er befürclitete, die chinesische Gesellschaft könne auf einen «Revisionismus« sowjetischer Art zuschlittern. Mao, der bei der Annäherung an das Stadium des vollkommenen Kommunismus nie wirklich auf Stalins Theorie des verstärkten Klassenkampfes verzichtet hatte, bereitete neue Klassenkämpfe und Säuberungsaktionen im Stile Stalins vor. (Praktisch jeder Militär‑ oder Staatsbeamte, der in der Volksrepublik China in den letzten elf Jahren prominent wurde, verschwand entweder aus dem öffentlichen Dienst oder war nun heftiger Kritik ausgesetzt.)
Am 10. November ließ Mao von Schanghai aus den «Aufruf zur Großen Proletarischen Kulturrevolution« ergehen, die die Menschen bis an das Innerste ihrer Seele berühren sollte«. Zur gleichen Zeit griff er Wu Han und seine «Schwarze Bande« von Schriftstellern in Peking und damit auch direkt Peng Chen, den Bürgermeister und den Parteiausschuß in Peking an. Danach verschwand Mao aus unerklärlichen Gründen für sechs Monate aus der Öffentlichkeit.
Die Mao‑Anhänger stürzten sich nun in Wortgefechte gegen die «konservativen« Beamten der alten Linie, die sich gegen jegliche Straffung und Radikallsierung der Innenpolitik stellten. Aber ihr Bemühen war umsonst. Mao war sich der Oppositionsstärke, der er gegenüberstand, voll bewußt. Er hatte daher die begeisterte, revolutionäre Jugend als Vorspann eingeplant, um die Welle des intellektuellen Revisionismus einzudämmen, die Intellektuellen von allen bürgerlichen Tendenzen zu säubern und die Gegenrevolution innerhalb der Partei zu besiegen.
Nach seiner Rückkehr nach Peking führte Mao am 16. Mai den Vorsitz bei der Zusammenkunft des Zentralkomitees und gab am 29. Mai seine Zustimmung zur Organisation der ersten Roten‑Garde‑Gruppe, die mit der Tsinghua‑Universität verbunden war. Bald folgten weitere. Am 1. Juni befestigten sieben Studenten und Funktionäre das erste «große Persönlichkeitsplakat« an den Mauern der Universität von Peking, das den Präsidenten Lu Pang und den Parteiausschuß der Universität heftig kritisierte. Zwei Tage später gewannen die Mao‑Anhänger die Kontrolle über die nationale Volkszeitung wieder zurück, säuberten das Parteikomitee von Peking von 165 Prominenten, alles ältere Mitglieder, und enthoben Peng Chen und Wu Han aller Partei‑ und Regierungsposten. Das war der erste Schritt zur Säuberung des gesamten Parteiapparats, die sich zuletzt auf die ganze Nation und auf alle Ebenen erstreckte.
Den Studenten der Universität von Peking wurde die Ehre erteilt, «die erste Gewehrsalve in der «Großen Proletarischen Kulturrevolution« abzufeuern. Die protestierenden Studenten waren fest zur Reformierung der Ausbildungsmethoden entschlossen. Sie kritisierten den Präsidenten der Universität, bis sie sich seiner Entlassung versichert hatten. Danach leiteten sie eine großangelegte Säuberungsaktion unter der Universitätsverwaltung und den Intellektuellen ein. Der neue Erziehungs- und Studienplan räumte Maos Schriften den Hauptplatz ein. Es wurden fünfunddreißig Millionen Ausgaben seiner ausgewählten Werke gedruckt, um sie an die Massen zu verteilen.
„Wir brauchen keinen Verstand. Unsere Köpfe sind bewaffnet mit den Gedanken Mao Tse‑tungs!« war ein Schlachtruf, der den antiintellektuellen Charakter der neuen, gesteigerten Aktivität kennzeichnete. Die Prawda brachte dazu folgenden Kommentar: «Die Rote Garde« hat die Lektion begriffen, daß der Hauptfeind Mao Tse‑tungs derjenige ist, der zu denken versucht! «
Am 16. Juni wurden alle Universitäten und Schulen angewiesen, für sechs Monate zu schließen, damit die Studenten an der Kulturrevolution teilnehmen konnten. ‑ Fast zwei Jahre gingen vorbei, bevor sie wieder in ihre Klassenzimmer zurückkehrten.
Am 16. Juli begab sich Mao (angeblich) mit seinem plumpen Körper in das dahineilende Wasser des Jangtse‑Flusses bei Hankow, um den großen Start der Revolution noch zu unterstreichen und um sein berühmtgewordenes Bad zu nehmen. Die Presse präsentierte einer skeptischen Welt Fotos, auf denen Maos Kopf zwischen denen seiner glühenden Bewunderer und Mitschwimmer immer wieder aus den schlammigen Fluten auftauchte. So war Mao trotz anhaltender Gerüchte kein kranker Mann, sondern ein Führer voller Lebenskraft und bereit, die tiefgreifendste Gleichschaltungskampagne, die China jemals erlebt hatte, zu dirigieren.

Kampf mit Plakaten
Ein Hauptpunkt der Revolution war von Anfang an die öffentliche Debatte in Form von großen Plakaten, die Angriffe und Gegenangriffe enthielten und die neuesten Parolen ausgaben. Riesige Mengen roten Papiers und Fluten von Tinte wurden verbraucht, um die «Revisionisten« mit beißenden Worten öffentlich anzuprangern. Das war eine Art der Kriegsführung, bei der die chinesischen Pinsel mächtiger als Waffen waren. Tag für Tag mündeten die scharfen Angriffe im Radikalismus, während ein Plakat das andere beantwortete. Die öffentliche Waschung des verschmutzten nationalen Gewandes schien für die neue Revolution notwendig, eine Revolution, die den radikalsten Umbruch der chinesischen Erziehung und Kultur, den es je gegeben hatte, hervorbrachte.
Das ganze Unternehmen war in der Tat eine umfassende ideologische Säuberungsaktion, vor der nichts und niemand sicher war. Im November wurde sogar Liu Schao‑tschi der Vorsitzende der Republik, der schon im August seiner Amtsgewalt enthoben worden war, ein Opfer der öffentlichen Angriffe. Diese «führende Parteipersönlichkeit, die den kapitalistischen Weg einschlug«, verschrie man als den »Chruschtschow der Chinesen« und klagte ihn an, den geliebten Führer und Vorsitzenden Mao unaufhörlich angegriffen zu haben. Er wurde außerdem beschuldigt, eine Reihe von schwerwiegenden Verbrechen gegen die Partei und das Volk begangen zu haben und der Anstifter der Juli/August‑Aufstände in Südchina gewesen zu sein. Auch der Generalsekretär der Partei, Marschall Teng Hsiao‑ping, wurde angeklagt. In Wirklichkeit bestanden die Verbrechen des Vorsitzenden Liu Schao‑tschi und des Marschall Peng aus wiederholten Versuchen, Mao von den überspanntesten seiner Vorhaben abzubringen.

Die »Roten Garden«
Während der drückend heißen Tage im August 1966 versetzten neun turbulente Zusammenkünfte der neu gegründeten «Roten Garden« sogar das mittlerweile schon längst gegen Massenzusammenkünfte abgestumpfte Peking in Erstaunen. Vierzehn Millionen Jugendliche marschierten am Tien‑An‑Men (Tor des himmlischen Friedens) der alten Verbotenen Stadt vorbei, in der einst die Kaiser lebten und regierten.
Jetzt stand Mao dort mit Marschall Lin Piao, seinem Gefolgsmann und offensichtlichen Thronfolger, um dem Vorbeimarsch zuzusehen. Die jungen Menschen verehrten Mao als ihren Helden. ja, für sie war er eine himmlische Gottheit, die weit über jeder Kritik stand. überall waren Standbilder von ihm aufgestellt. Sein Bild blickte milde von jedem nur erdenklichen Ort auf achthundert Millionen Menschen herab. Postkarten und Kalender ohne Maos Bild waren eine Seltenheit. In Schao‑schan, Maos Geburtsort in der Nähe von Tschangscha, zeigte ihn ein Bild in weißen Gewändern und Sandalen, umgeben von einem rosigen Schein. «Der Vorsitzende Mao ist die Rote Sonne’ in unseren Herzen« lautete der Titel eines Dokumentarfilms, der zur 17. Wiederkehr des Gründungstags der Volksrepublik China gedreht wurde.
Maos Vergötterung war praktisch vollständig. Ehrerbietig verneigten sich alle vor seinen Bildern. «Wir lieben unsere große Partei und unseren großen Vorsitzenden Mao!« verkündeten die allgegenwärtigen Plakate. Der »Hung weiping«, der Armbinden mit Maos Unterschrift und Mao‑Knöpfe an den blauen Uniformen trug, war das neue Instrument des Vorsitzenden, uni die Revolution unter das Volk zu tragen, seine auserwählten Nachfolger, die nun Kampferfahrung in der Revolution sammeln sollten. Sie waren dazu bestimmt, den Parteiapparat zu ersetzen, zu dem Mao kein Vertrauen mehr hatte.

Das »Rote Buch«
Das »Rote Buch« mit Auszügen aus den Gedanken Mao Tse-tungs wird wie ein heiliges Buch behandelt. Man trägt es bei sich, liest es als erstes am Morgen und als letztes am Abend, entweder allein oder in Gruppen. Die Parolen werden dabei auswendig gelernt und auf jede Tätigkeit während des Tages angewandt.
«Erarbeitet euch die Werke Mao Tse‑tungs!« lautete der nationale Aufruf für das Jahr 1964, als es den Anschein hatte, Maos Einfluß sei im Schwinden. Seine Schriften, so wird behauptet, vereinigen in sich die «ursprüngliche Wahrheit des Marxismus-Leninismus und ihre richtige Anwendung in der chinesischen Revolution«. «Es leben die Gedanken Mao Tse‑tungs!« Sie sind der Prüfstein der Orthodoxie und werden, so wird geglaubt, den Propheten selbst überleben. Jeder Kader muß sie veröffentlichen. Reisende sahen sie an allen erdenklichen Stellen angebracht, sogar an Kinderwagen und am Geschirr der Lasttiere. Sie ersetzten den Reiz vergangener, abergläubischer Zeiten.
Eine Stewardeß, die Maos «Gedanken« vertraut, sieht keine Notwendigkeit, Sicherheitsgurte beim Starten und Landen zu benützen. Sportler führen gute Leistungen auf die «Gedanken« zurück. Sogar die militärische Taktik muß nach ihnen ausgerichtet sein. Und der stellvertretende Vorsitzende Lin Piao kommt gleich hinter Mao, weil er der «engste Waffenkamerad, bester Schüler unseres großen Führers, des Vorsitzenden Mao, ist. Er ist derjenige, der das Große Rote Banner der Gedanken Maos hochhält, Mao Tse‑tungs Gedanken am besten versteht und sie am besten anwendet!«

Der Bildersturm
Die Kulturrevolution richtete sich gegen »vier alte Dinge«: alte Bräuche, alte Gewohnheiten, alte Kultur und alte Denkweise. Am meisten setzten sich die Jugendlichen der »Roten Garden« mit fanatischem Eifer ein, um das neue Ziel zu verwirklichen. Sie waren vom Unterricht und vom Studium befreit und aufgehetzt worden, «Revolution zu machen«.
Jetzt herrschte der Pöbel. In Peking wurde Menschen, die westliche Kleidung trugen, befohlen, einfache Kleider anzuziehen. Mädchen, die ihr Haar im «Honkong‑Stil« trugen, wurden angeprangert und Taxis als «Wohlstandsluxus« erklärt, Privathäuser gestürmt und alle überflüssigen oder gar mondänen Möbel auf die Straße geworfen. Gewalttätigkeiten waren in der Tagesordnung und die überlieferte Ehrfurcht vor dem Alter abgeschaft. Altere Menschen mußten öffentliche Demütigungen hinnehmen. Sie wurden oftmals völlig nackt durch die Straßen getrieben. Menschen, die zur öffentlichen Schändung ausgewählt waren, ließ man mit einem Schandhut auf dem Kopf durch die Straßen marschieren.
Das war nur eine Art der Schändung. Soweit es ihnen erlaubt war, zerstörten die «Roten Garden« jedes Kunstwerk griechischer, römischer und chinesischer «Wohlstandskultur«. Museen waren für die Öffentlichkeit geschlossen. Nur die Volksbefreiungsarmee konnte die jungen Rowdies davon abhalten, die «Verbotene Stadt« und die Ming‑Grabmäler in der Nähe Pekings völlig zu zerstören, die unbezahlbare, herrliche Wahrzeichen des vergangenen Glanzes Chinas darstellen. Kirchen wurden geschlossen und die Kirchenführer mißhandelt und gedemütigt, Bibeln und religiöse Bücher beschlagnahmt und zerstört.
Bald dehnten sich die Aktionen, Beleidigungen und die Zerstörungswut der «Roten Garden« über ganz China aus. Einhundert Millionen Jugendliche stürzten sich in eine ideologische Raserei, wie eine tosende, dahinellende Welle, die über Tausende von Meilen hinwegfegt« (Rote Fahne, 24. April 1967) eine «Art Schreckgespenst eines Kinderkreuzzuges« gegen Religion, gegen Chinas kulturelles Erbe und ganz besonders gegen alle Verdächtigen einer gegen Mao gerichteten Strömung.
Grausamkeiten nahmen zu, als diese überheblichen Jugendlichen sich überall hinbegaben. Ausgerüstet mit Freifahrtscheinen und vom Reisefieber besessen, zerstörten sie sämtliche Verbindungswege und das normale Leben der Nation. Hunderttausende jener, die man zur Arbeit aufs Land geschickt hatte, nützten die Gelegenheit, um mit Freikarten in ihr bequemes Zuhause zu kommen. Zeitungen mußten zeitweise ihr Erscheinen einstellen.
Nach der öffentlichen Anprangerung des Vorsitzenden Liu Schao‑tschi im November breiteten sich die Massenaktionen gegen die Parteiführung im Dezember auf Fabriken und ländliche Kommunen aus. Sogar der Kultusminister, ein stellvertretender Präsident, wurde durch die Straßen geschleift und andere führende Persönlichkeiten der Partei eingesperrt. Die Geschichte bietet keine Parallele einer solchen offiziell unterstützten Gesetzlosigkeit und einer derart massiven Machtdemonstration der Studenten.

Der Mensch nach Maos Vorstellung
Was sollte mit der Kulturrevolution erreicht werden? In der Volkszeitung vom 8. Juni 1967 hieß es: Wir kritisieren die alte Welt … das alte Ausbeutungssystem … die Gelehrten und die Behörden der Wohlstandsgesellschaft … Als Folge der Kritik, die jetzt ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht, taucht eine neue Ära am Horizont auf, in der die siebenhundert Millionen Chinas zu einem Volk der Weisheit werden!«
Schon Karl Marx hatte von der Entstehung einer neuen Gesellschaft und einer neuen, besseren Menschheit geträumt, in der sich selbst die menschliche Natur wandelt. Das große Ziel der Kulturrevolution war daher die Umgestaltung des Menschen und der Gesellschaft durch die Schaffung eines neuartigen Menschen, das Entstehen eines kommunistischen Menschen der Zukunft«. Die alten, tiefverwurzelten, feudalen Merkmale der Nation sollten durch Eigenschaften und Ideale ersetzt werden, die sich besser zur Führung eines sozialistischen Staates auf dem Weg zum Kommunismus eigneten. Mao strebte danach, einen Geist der Nüchternheit, Selbstaufopferung und der Revolutionsbegeisterung nach dem Beispiel von Jenan wiederherzustellen in einer Gesellschaft, die sich wieder der Eigensucht und persönlichen Vorteilen zuwandte.
Sein großes Ziel bestand daher in einer neuen Volkskultur, einer neuen Ethik und einem neuen persönlichen Glauben, der auf Mao gegründet ist, kurzum in einer neuen Pseudoreligion. So war es wichtig, das System der höheren Erziehung gründlich zu überprüfen, damit das ideologische Training zukünftig zu ihrem Mittelpunkt werde.
Jetzt haben sich drei Ziele der Kulturrevolution herauskristallisiert: Sie stellte im Grunde genommen den ideologischen Kampf gegen die Wirtschaftspolitik der Revisionisten dar. Zweitens war sie der Kampf um die Führung und die Bestimmung des weiteren Verlaufs der Revolution und drittens eine Jugendbewegung mit dem puritanischen Wunsch, die menschliche Natur zu erneuern, indem man sie von allem falschen Denken, allen Wünschen und Bräuchen säubert. Aber wo lag der Fehler?

Parteigeist
Das Erstaunlichste an der chinesischen Lage nach der Kulturrevolution war das verwirrende Zunehmen des Parteigeistes. Kein Tag verging in den Anfangsmonaten des Jahres 1968 ohne verschiedene Zeitungsdiskussionen über die große politische Erscheinung des Massenparteigeistes. Ohne Zweifel war der Vorsitzende Mao selbst zutiefst erstaunt über die tiefen Risse, die die Kulturrevolution auf dem Gebilde des politischen Lebens in China hinterlassen hatte.
Mao‑Anhänger hatten 1966 die ersten «Roten Garden« gegründet. Es waren meist unzufriedene studentische Aktivisten, die es darauf angelegt hatten, an der Säuberung des Parteiapparates von maofeindlichen Funktionären teilzunehmen. Im Lauf des Jahres bildeten sich immer mehr Gruppen, bis sie nahezu alle Studenten der Hochschulen und Universitäten umfaßten.
Aber trotz des gemeinsamen Zieles kam es innerhalb der Gruppen zu Rivalitäten, die von Zeit zu Zeit in Gewalttätigkeiten ausarteten. Enttäuscht darüber, daß es ihnen mißlungen war, die ältesten Parteivertreter abzusetzen, erteilten die Mao‑Anhänger in Peking den Massen die Vollmacht, ihre direkten Vorgesetzten zu stürzen und selbst die «Macht zu ergreifen«. Das hatte eine Balgerei um die Macht innerhalb der rivalisierenden Gruppen zur Folge. Dadurch alarmiert, bildeten die bedrohten Beamten zur Selbstverteidigung neue Erwachsenenorganisatioen gegen die Terrorherrschaft der «Roten Garde«. Die Verstreitender Parteien schuf nur noch größere Verwirrung. Diese Revolutionsgruppen waren streitsüchtig, undiszipliniert und ehrgeizig. Sie nannten sich Frühlingsdonner, Wächter der Lehre, Rotes Banner, Revolutionsrebellen, Rote Eisenkämpfer, Große Rebellenarmee, Ostwind, Proletarische Revolutionäre u. ä.

Als sich die Kulturrevolution Anfang 1967 auf die Bauernhöfe und Fabriken ausdehnte, übernahmen die Revolutionsrebellen mit Gewalt die Macht in der Partei und der Stadtverwaltung während der sogenannten «Januar‑Revolution«. Arbeiter, die die Vorteile des «Ökonomisnius« genossen hatten, fürchteten um ihr Leben, wenn dieser von der Lehre Maos abgelöst würde. So formierten auch sie sich zu Gruppen, um den eigenmächtigen «Roten Garden« Widerstand leisten zu können. Die Arbeitsdisziplin brach zusammen, und große Streiks und Sabotage der Inustrie waren das Ergebnis.
In Schanghai waren der Hafen und die Eisenbahn stillgelegt. Die Dinge gerieten außer Kontrolle. Es wurde öffentlich vor der Gefahr der Gesetzlosigkeit gewarnt. In verschiedenen Gebieten brachen Kämpfe aus. In Nanking starben über fünfzig Menschen bei Zusammenstößen, und Hunderte wurden verletzt. Der normale Regierungsapparat konnte mit den zahllosen streitenden «Massenorganisationen« nicht mehr zusammenarbeiten. Kurz nach Beginn der Belagerung der Sowjetischen Botschaft am 26. Januar (war nicht Rußland die giftige Quelle des Revisionismus?) entschied sich der Vorsitzende Mao widerstrebend, die Volksbefreiungsarmee zu verpflichten. Dann gab er seine acht Punkte umfassende Vorschrift heraus.
Diese Entscheidung, die der Kulturrevolution den Anstrich einer spontanen Massenbewegung nahm, war nicht sehr populär. Vom Januar 1967 an spielte die Volksbefreiungsarmee jedoch eine zunehmend wichtige Rolle. Die «Massenorganisationen« begannen, sich jetzt nach Verbündeten unter den anderen Gruppen umzusehen.
Nach dem Zusammenschluß der kleineren Parteien blieben zwei riesige, opponierende Parteiorganisationen übrig, die nach innen immer noch geteilt waren. Die «radikale« Koalition umfaßte die «Roten Garden« und all diejenigen, die durch eine Veränderung des derzeitigen Zustandes an die Macht kommen wollten, während sich die «konservative« Koalition hauptsächlich aus Gruppen zusammensetzte, die eine Rückkehr zum Zustand vor der Kulturrevolution befürworteten. Beide Seiten bekannten sich zu Mao. Als jedoch im August 1967 ausgedehnte Kämpfe zwischen den beiden schwerbewaffneten Koalitionen ausbrachen, sah es nach einem regelrechten Bürgerkrieg aus. Die Armee verhielt sich zurückhaltend. Sie griff nur von Zeit zu Zeit ein, um übermäßige Gewalttaten der Kulturrevolutionäre zu verhindern.
Die Regierung sah sich zunehmend einem Chaos gegenüber. Die etwas vorsichtigeren Führer in Peking überredeten daher den «Steuermann« Mao, sein Schiff in ruhigere Gewässer zu lenken. Befehle ergingen, die Parteikämpfe zu unterlassen, und den «Roten Garden« wurde befohlen , in ihre Lehr‑ und Klassenzimmer zurückzukehren, um Maos Werke und die Kulturrevolution zu studieren. Aber es dauerte bis zum Frühjahr 1968, bevor die meisten Grundschüler und die Hälfte der Mittelschüler wieder an ihren Lernpulten saßen.
Vielleicht hatte Mao das Gefühl, die meisten Ziele des Feldzuges erreicht zu haben. Vor allem war der jüngeren Generation eine Gelegenheit geboten worden, eine Art der Revolution selbst mitzuerleben. Es gelang ihm jedoch nicht, alle auszuschalten, die mit seiner Politik nicht einverstanden waren.

«Drei‑Wege‑Allianzen«
Die Roten Garden« setzten sich größtenteils aus jugendlichen und unerfahrenen Mitgliedern zusammen, aber die Entfesselung ihrer Kräfte als Masse war explosiv und letzten Endes äußerst gefährlich. Ihre Gewalttätigkeiten und der anschwellende, sich gegenseitig vernichtende Kampf hatten die Wirtschaft zerrüttet und schienen eine zweite Katastrophe innerhalb des «großen Sprung vorwärts« heraufzubeschwören. Die Frühjahrsaussaat war behindert und die Ernte erneut gefährdet.
Da nahmen angesehene Persönlichkeiten in der Hauptstadt allen Mut zusammen und fingen an, den Extremismus der «Roten Garde« zu verdammen und das Land vor den Gefahren der Gesetzlosigkeit zu warnen. Diese Versuche zur Einschränkung der Ausschreitungen wurden von neuen Gruppen unternommen, die sich auf «Drei‑Wege‑Allianzen« aufbauten. Ihr gehörten die Revolutionsmassen (Rote Garde usw.), die Revolutionskader (die alten legalen Parteivertreter) und die Armee an. Sogar die Volkszeitung tadelte übereifrige Mao‑Anhänger ihrer «linksorientierten Irrtümer« wegen.
Um die Ordnung wiederherzustellen und die Ausschreitungen der Revolutionäre zu zügeln, sah sich Mao gezwungen, sich wieder der Volksbefreiungsarmee, der einzigen zusammenhaltenden Kraft, die im Lande noch übrig war, zuzuwenden. Die neue, aktive Rolle der Armee war unpopulär und löste viele Spannungen und große Kritik aus. Die lange Belagerung der Sowjetischen Botschaft wurde aufgehoben. Tschu En‑lai, der Mann zwischen der extremen Linken und der extremen Rechten, trat mächtiger denn je als Hauptfigur in dem Versuch auf, zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln und die Wirtschaft wieder funktionsfähig zu machen.

Die Ernüchterung
Es war jedoch leichter gewesen, die Flammen zu entzünden, als sie wieder zu ersticken. Der «antiimperialistische« Kampf dehnte sich im Mai bis nach Hongkong aus, begleitet von Gewalttätigkeiten und Provokationen. Im August 1967 wurde die Britische Gesandtschaft in Peking niedergebrannt. In ganz China gingen die bewaffneten Zusammenstöße weiter.
Das zwang Mao im September zu einer Reise durch das ganze Land, um das Ende der Parteikämpfe zu sichern. Die Studenten kümmerten sich nicht um die früheren Anweisungen, und die meisten Universitäten und Schulen blieben geschlossen. Es war eine zu große Demütigung für sie, ihre wiedereingestellten Lehrer und Lektoren, die sie als Revisionisten verschrien hatten, zu akzeptieren.
Der tote Punkt war da. Entmutigt durch ihre Unfähigkeit, die revolutionären Ziele durchzuführen, enttäuscht über den Erfolg gemäßigter Gruppen in Peking und verärgert, weil sie allmählich zur Seite gedrängt wurden, verspürten die «Roten Garden« keine Lust, in ihre Unterrichtsräume zurückzukehren. Parteigeist und der Zusammenbruch der Ordnung durch das Gesetz hatten in Verbrechen, Sittenlosigkeit und Wuchergeschäfte ausgeartet. Der Schwarzhandel blühte, wie es seit 1949 nicht mehr der Fall gewesen war. Es wird gesagt, Ministerpräsident Tschu En‑Iai habe sich beklagt, daß sich viele Studenten vom Kampf abwendeten, sich dem «Nichtstun und dem Pokerspiel widmeten und ein liederliches Leben führten«. Das sind die Gammler und «Hippies« Chinas: teilnahmslos, ernüchtert und mit zerstörter Hoffnung, jemals ein höheres Amt zu erreichen. Die große Disziplin und die öffentliche Sittenstrenge früherer Jahre befanden sich im Schwinden.

Ausländische Gäste
Inmitten des Tumults gelang es den Drei‑Wege‑Allianzen« des Vorsitzenden Mao im Verlauf des Jahres 1967, in neun Provinzen neue Revolutionsausschüsse zu bilden. Das war immerhin ein gewisser Sieg für den ziemlich ernüchterten Führer. Dank des Einflusses gemäßigter Gruppen, die ihre Macht vereinigten, hatte es den Anschein, als erhebe sich China wieder aus dem Chaos und den Wirren der Kulturrevolution.
Einen Eindruck über das Leben in China vermitteln die Erfahrungen einer Gruppe von 57 Australiern und Neuseeländern, die Kanton, Schanghai, Peking, Hankow, Wuchang und Tschangscha bereisten. Ihr Reiseführer war aktiver Christ. Für diese Menschen war die Reise das anstrengendste, ergreifendste und belastendste Erlebnis ihres Lebens. In Kanton, ihrem ersten Aufenthaltsort, machten sie eine nerventötende Erfahrung mit, als sie stundenlang die Gedanken Maos hören mußten. Bei ihren Besuchen in Schulen, Fabriken und Kommunen mußten sie die berühmtesten «Auszüge« immer wieder über sich ergehen lassen. Ihre «Roten Bücher« hatten schon Eselsohren, bevor sie noch ihre Reise fortsetzten.
Zu dieser Zeit herrschte ein solches Durcheinander, daß die Behörden über die Anwesenheit von Touristen nicht gerade erfreut waren. Das Ergebnis des antirevisionistischen Kampfes war noch immer nicht abzusehen. Nach den äußeren Anzeichen und den Truppenbewegungen auf den Straßen zu schließen, war die Lage vermutlich an ihrem schlimmsten Punkt angekommen, als sie sich in Wuhan aufhielten. Dort war gerade ein Revolutionskomitee errichtet worden. Es war daher sehr schwer, im voraus zu bestimmen, welche Städte ohne Zwischenfälle besucht werden konnten. Es fehlte auch die übliche Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit des fünfzehn Mann zählenden Teams, das vom chinesischen Reisedienst gestellt worden war.

Einige der Gesellschaft hatten schon 1967 an einer Reise teilgenommen, doch die damalige Begeisterung war erloschen. Die «Roten Garden« fielen in der Öffentlichkeit nicht mehr auf, und die einst so stolz getragene Armbinde war im Gegensatz zu früher eine Seltenheit. Doch die australischen und neuseeländischen Besucher, die sich bei den «Roten Garden« an den Universitäten von Futan und Tungschi in Schanghai aufhielten, stellten fest, daß die Gruppe der Futan‑Universität immer noch sehr kriegerisch eingestellt war.
In Schanghai nahm die Reise beinahe ein vorzeitiges Ende, als einer der Australier eine harmlose Karikatur nachzeichnete, in der ein Hund dauernd in die Luft sprang, und auf der zu lesen war: Lang lebe der Vorsitzende Mao!« Die «Rote Garde«, die das sah, untersuchte den Vorfall eingehend, und bevor die Reise weitergehen konnte, fand eine hitzige Sitzung mit Kritik und Selbstkritik statt. Zu einem späteren Zeitpunkt der Reise wurde in Tschangscha in einem Papierkorb eine Bildpostkarte von Mao und ein Mao‑Knopf mit einem eingebrannten Loch gefunden. Garden und Hotelangestellte versammelten sich sofort in dem Zimmer, und ein zorniger Streit erhob sich. ‑
Trotz ihrer Bestürzung über den Personenkult um Mao und die großen Einschränkungen der persönlichen Freiheit, zeigten sich die Studenten sehr vom Experiment der Massenpolitik, der „massiven Einübung der politischen Erziehung« beeindruckt. Aber der Gruppe wurde keine Gelegenheit gegeben, auch nur mit einem einzigen Christen oder mit irgend jemand von der Stelle für Religiöse Angelegenheiten zusammenzutreffen.

Revolutionskomitees
In den ersten vier Monaten des Jahres 1968 bildeten vierzehn andere Provinzen Revolutionskomitees. Doch fehlte diesen in Wirklichkeit jegliche Übereinstimmung untereinander, und auch die früher gegründeten Revolutionskomitees arbeiteten nicht reibungslos. Ende März wurde der Führungsstab der Armee «gesäubert«, als sich der Parteigeist auf die Armee ausdehnte. Im Frühjahr loderte das schwelende Feuer von neuem auf, und Gewalttätigkeiten, die weit über die des Jahres 1967 hinausgingen, brachen im ganzen Land aus.
Die verblichenen Plakate wurden abgerissen und von anderen mit alten und neuen Angriffszielen der Beschimpfung und Kritik abgelöst. Sie brachten neue «Teufel«, «Scheusale«, «Ungeheuer«, «Gespenster« und «Geister« ans Tageslicht und betonten wiederum die Loyalität zu Mao, seinen Gedanken und seiner politischen Linie. Die Extremisten hatten wieder die Kontrolle erlangt, und das Chaos wurde als eine Tugend gepriesen, ohne die die verborgenen Mao‑Gegner nicht entlarvt werden konnten.
Von Mao wurde indessen berichtet, er habe bei einer fünfstündigen Zusammenkunft in seiner Residenz in Peking geweint, als er über die großen Schwierigkeiten der Nation berichtete. Dabei drohte er der extremen «Roten Garde« der Universität von Peking an, daß alle höheren Schulen unter Militärkontrolle gestellt würden, falls sie sich nicht besserten.
Diese Gegenüberstellung hilft das Problem zu beleuchten, das Mao sich selbst und der Nation mit der Mobilmachung der studentischen Kräfte geschaffen hatte, die «Revolution machen« sollten. Alarmiert von den Folgen seiner eigenen Maßnahmen, versuchte er, die Studenten ihrer Macht zu berauben und sie in ihre Schulräume zurückzuzwingen. Dabei mußte er feststellen, daß sich viele von ihnen gegen ihn und seine Politik stellten. Deshalb appellierte Mao schließlich wieder an die Arbeiter. Während Hunderttausende von Intellektuellen der «Roten Garde« auf das Land geschickt wurden, sandte man «Arbeiter- und Bauernpropagandatrupps« an die Universitäten, um die jugendlichen Revolutionäre in ihre Schranken zu verweisen und «die Unordnung der Kulturrevolution zu beseitigen« mit Hilfe der «Kampf‑Kritik‑Umwandlungskampagne«. «Die große Armee der Arbeiterklasse« (so Yao Wen‑yan in seiner Grabschrift für die Kulturrevolution mit dem Titel: «Die Arbeiterklasse muß die Führung in allen Dingen innehaben«) marschiert in alle Ausbildungsstätten, muß sie besetzen und für immer anführen.« Chinas Jugendliche, von denen sich dreihundert Millionen im Studentenalter befinden, sind im Endeffekt die Opfer der Tumulte der letzten drei Jahre.
Szechwan mit seiner siebzig Millionen umfassenden Bevölkerung und seinen reichen Bodenschätzen war, was die Tradition betrifft, die widerspenstigste aller Provinzen. Ihr einflußreicher Gouverneur, der von Anfang an gegen den Extremismus der Kulturrevolution gewesen war, wurde im Mai 1968 abgesetzt und war bei den Massenzusammenkünften oft ein Opfer der Anprangerung, wo er «bleich und zitternd« vorbeimarschieren mußte. Der blutige Kampf zwischen den gegnerischen Gruppen nahm kein Ende, und auch der Einfluß des Gouverneurs konnte ihn nicht verhindern. Alle größeren Städte waren in Mitleidenschaft gezogen. Am 31. Mai wurde schließlich ein Provinzrevolutionskomitee aufgestellt und als großer Sieg gepriesen. Nur fünf der neunundzwanzig Provinzen blieben ohne Revolutionskomitees. Dies waren Fukien (Ostchina), Kwangsi (Südchina), Jünnan (Südwestchina), Tibet und die Nord‑West‑Provinz und Zentrum der Atomindustrie Sinkiang, alles strategisch wichtige Grenzbezirke.
Im Mai brachen im ganzen Land ernsthafte Gewalttätigkeiten der Parteien aus mit den grausamsten Zügen in Kwangsi. Wuchow wurde von einem Großbrand zerstört, und das Blutvergießen nahm erschreckende Ausmaße an. Grausiger Beweis für die ganze Welt waren Tausende von gefesselten und verstümmelten Körpern, die den Perlfluß hinuntertrieben und von denen einige in Hongkong herausgefischt wurden.
Die allgemeine Unterbrechung der Zugverbindungen wirkte sich in Linchow am schlimmsten aus. Dort stapelten sich die Lieferungen nach Vietnam. Überall traten große Verzögerungen beim Transport von Kohle und anderen wichtigen Gütern für die Industrie auf. Die chinesische Wirtschaft wies zunehmende Zeichen der Überbelastung auf als Folge der Zerrüttung des normalen Lebens, zu der noch die schlimmsten Überschwemmungen des Jahrhunderts im Süden Chinas kamen.
Unfähig, das Problem der Gründung von Revolutionskomitees mit Hilfe der örtlichen Massen zu lösen, trafen Vertreter aus Fukien, Kwangsi, Jünnan, Tibet und Sinkiang im August in Peking zusammen, um über eine Regelung der Angelegenheit zu verhandeln. Am 13. August akzeptierte Jünnan ein Revolutionskomitee. Zwei Tage später versammelte man Männer, Frauen und Kinder, um mit einem Marsch durch die Straßen der Hauptstadt einen weiteren großen Sieg des Führers Mao zu feiern. Trotz heftiger Gegenwehr der heimatlichen Bevölkerung folgte Fukien am 19. August diesem Beispiel. Am 26. rief Kwangsi sein eigenes Revolutionskomitee ins Leben, und am 6, September wurden Revolutionskomitees in den beiden letzten Provinzen Tibet und Sinkiang gebildet. Peking feierte wieder, und der Rundfunk rühmte das Ereignis als «endgültigen Sieg der Kulturrevolution«. Der «Sieg« kam noch rechtzeitig zu Chinas Nationalfeiertag am 1. Oktober und verbesserte die Aussichten auf das Zustandekommen eines neunten Parteikongresses vor Ende des Jahres 1968.
Trotzdem ging der Parteikampf unvermindert weiter. Diesmal wurde jedoch nicht mehr um Politik, sondern um Macht gekämpft. Politische Angriffe von außen und Streitigkeiten von innen hinderten die Revolutionskomitees, sich Ansehen und Autorität zu verschaffen. Der Vorsitzende Mao sah sich gezwungen, seinen Wunschtraum von Massenaktivisten zu verschieben und sich mit der starken Unterstützung der Volksbefreiungsarmee der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu widmen.
Mit Hilfe der Kulturrevolution mag es ihm zwar gelungen sein, die Hauptelemente innerhalb der Parteihierarchie, die er für seine Ziele für äußerst gefährlich hielt, auszusondern und zu vernichten. Aber die grundlegenden Unterschiede zwischen der Gedankenschulung der «Roten« und der «Experten« bleiben bestehen. Soll politischen Theorien oder praktischer Politik und technischer Leistungsfähigkeit der Vorrang gegeben werden? Diese Debatte wird noch lange Zeit anhalten und gewiß Anlaß für neue Streitigkeiten und endlose Säuberungsaktionen geben. In der Zwischenzeit fehlt jede Erklärung für das Geheimnis um Liu Schao‑tschi, den «Chruschtschow Chinas«, das verleumdete, aber unabgesetzte Staatsoberhaupt.

Liberalisierung
Nach fünfzigjähriger kommunistischer Tyrannisierung brodelt es in der ganzen kommunistischen Welt vor Unzufriedenheit. Chruschtschow führte den Kampf gegen den Stalinismus und vermittelte Rußland das Gefühl einer gewissen Milderung der unmenschlichen Gesetze und Vorschriften. Jugoslawien war schon mit gutem Beispiel vorausgegangen. Das Fieber erwies sich als ansteckend. Im Januar 1968 entstieg die Tschechoslowakei den Jahren der Dunkelheit. Presse, Rundfunk, Fernsehen und die Kirchen nutzten plötzlich ihre Freiheit. Die jüngere Generation Rumäniens erklärte sich solidarisch mit dieser erregenden Entwicklung. Polen, Bulgarien, Ungarn und Ostdeutschland zeigten ebenfalls Anzeichen für die «Infektion«. Aller Hoffnung richtete sich auf einen «Sozialismus der Humanität«.
Aber Rußlands alte Dogmatiker waren aufmerksam geworden. Ihre Art, den Kommunismus auszulegen, führt die UdSSR einen weiten Weg zum Stalinismus zurück. Kann man «Revisionisten« und «liberalisierende Politik« dulden, ohne die endgültige Zerstörung des Kommunismus selbst zu riskieren? Aus Furcht vor den Kräften der Veränderung und mit Hilfe des «Konterrevolutionsgespenstes« setzte sich Rußland mit der verräterischen Invasion und Besetzung der Tschechoslowakei über die Charta der Vereinten Nationen und die Weltmeinung hinweg.
Die Maske ist gefallen und das wahre Gesicht des Kommunismus offenbar geworden. Wo aber werden die Kommunisten bei ihrem Vormarsch zur Weltherrschaft als nächstes zuschlagen? In Europa oder im Vorderen Orient?
Doch die Gezeiten wechseln. Achtundsechzig russische Schriftsteller und Intellektuelle verdammten heimlich den Verrat ihres eigenen Landes. Für die junge Weltgeneration heißt es: «Demokratischer Sozialismus ‑ ja! Tyrannischer Kommunismus nein!« Die Männer im Kreml sind Männer, die sich fürchten.
Der sechsundsiebzigjährige Vorsitzende Mao verliert ganz offensichtlich an Einfluß nach seinen beiden spektakulären Mißerfolgen und seinem Pyrrhussieg in der Kulturrevolution. Im April beschuldigte ihn die russische Presse mit harten Worten, er zerstöre die kommunistische Bewegung in China. Als Rußland die Tschechoslowakei besetzte, antwortete China darauf mit der Verurteilung der Invasion, obwohl es gleichzeitig auch die neue tschechische Führung angriff. Diese Ereignisse werden zweifellos Maos Entschlossenheit stärken, jeglicher Liberalisierung in seinem eigenen Land entgegenzutreten, Die Frage, ob die «Revolution« sich langsam einem Wendepunkt nähert, steht sicherlich noch weit offen. Es hat nicht den Anschein, daß sein Nachfolger Lin Piao von der Statur Maos ist, der seine Position nach seinem Tod einnehmen kann. Während nun die Mao‑Ära ihrem Ende zugeht, steht China vor einer neuen Übergangsperiode. Die Führer der chinesischen Kommunisten sind in großen Nöten.
Der Psalmist beschreibt sehr anschaulich (Psalm 2) die letzte Erhebung des Menschen gegen Gott: Die Herrscher beraten miteinander gegen den Herrn, um sich seiner göttlichen Herrschaft zu entledigen. Aber der alleinige Herrscher der Welt blickt von seinem Thron auf die lächerliche und doch so tragische Haltung des rebellierenden Menschen herab und vereitelt seine Pläne. Denn Gott hat dem auferstandenen Herrn das Gericht über die Völker und die Königsherrschaft über die Welt gegeben.
China, das in sich selbst geteilte Reich, kann auf die Dauer nicht bestehen bleiben. Seines militanten Atheismus wegen birgt der Kommunismus den Samen seines eigenen Verfalls in sich und ist zur endgültigen Vernichtung verdammt. Denn Gott herrscht, und selig sind alle, die ihr Vertrauen auf ihn setzen«!

2. Kapitel

EINE KIRCHE GEHT IN DEN SCHATTEN
1967 blieben in ganz China die Weihnachtsglocken stumm. Es war kein Platz für das Christuskind in irgendeiner kommunistischen Herberge. Kirchengebäude, aus denen einst Choräle und «Der Messias« schallten, waren mit Brettern vernagelt oder dienten den «Roten Garden« als Schulen und Hallen. Scharlachrote Plakate schmückten die Wände. Das war das Werk von Jugendlichen, die nie einen christlichen Missionar aus Übersee zu Gesicht bekommen hatten und glaubten, Christus sei nur irgendein berühmter Jude. Die «Jesus‑Religion« wie die «Buddha-Religion«, «Tao‑Religion«, «Konfuzius‑Religion« und «Hui-Religion« (Islam) waren eines der vier alten Dinge«, die verschwinden mußten. So hatte es der Vorsitzende Mao Tse‑tung angeordnet. Daraufhin wurden die Kirchen geschlossen, religiöse Symbole entfernt und die Häuser der Christen systematisch nach Bibeln und christlicher Literatur durchwühlt, einige sogar mehrere Male. Was man dabei fand, wurde verbrannt.
«Wenn die Grundfesten zerstört werden«, fragte David, «was kann der Gerechte dann tun?« David gibt dazu selbst die Antwort: «Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, der Thron des Herrn ist im Himmel!«

Die Verehrung Maos
Der Thron des Vorsitzenden Mao steht in Peking. Seine Worte ersetzen die Heilige Schrift. Lin Piao, Maos Nachfolger, drückt sich in seinem Vorwort zum «Roten Buch« so aus: «Wenn die Massen einmal Mao Tse‑tungs Gedanken begriffen haben, werden sie zu einer unerschöpflichen Kraftquelle und zu einer geistigen Atombombe von unbegrenzter Macht.«
Die Militärmusik schmettert die Botschaft der gegenwärtigen Nationalhymne «Der Osten erglüht« mehrmals am Tage aus jedem Radio:
«Vom Osten her erstrahlt die Sonne,
in China erscheint Mao Tse‑tung.
Er wirkt für die Wohlfahrt des Volkes.
Er ist des Volkes großer Erlöser.
Die Kommunistische Partei ist gleich der Sonne.
Wo immer ihr Schein, da ist Licht.
Wohin die Kommunistische Partei auch geht,
da wird befreites Volk.«
Die Städte waren mit roten Plakaten überschwemmt, die frisch geschriebene Schlachtrufe zur Erstickung der traditionellen Fröhlichkeit am Mond‑Neujahrsfest enthielten. China wurde das ganze Jahr über zu einem roten Meer. Tag für Tag übertönten der unermüdliche Rhythmus der Trommeln, das Singen und die lauten Rufe: «Lang lebe der Vorsitzende Mao!« den Verkehrslärm, als Gruppen von «Roten Garden« und Jugendlichen mit dem Bild ihres Heldengottes und ihren Bannern durch die Straßen marschierten.
Michael Browne, ein christlichen Journalist, der sich dort aufhielt, beschreibt das tiefe Feuer in den Herzen der Jugendlichen für «unsern großen Führer, Lehrer, Oberkommandierenden und Steuermann« mit folgenden Worten: «Es war eine Atmosphäre, als ob alte Zeiten neu erstanden wären. ‑ Musik, Leidenschaft, Bekehrungszeugnisse, Hingabe und Opfer. Mit dem Herrn Jesus Christus als Ziel der Verehrung würde China eine Massenbewegung der Umkehr erleben!«  . . .

Die verstörte Kirche
Schon über zwanzig Jahre sind seit der Machtergreifung des Kommunismus vergangen. Die ersten zehn Jahre waren für die Kirche ein Schock. Zunächst unvorbereitet, furchtsam, umworben und verwirrt von einem noch nie dagewesenen gönnerhaften Benehmen der Regierung, sah sich die christliche Kirche nun völlig durcheinandergebracht der ausgeklügelten Taktik der kommunistischen Regierung gegenübergestellt.
Einige führende Männer der Kirche benutzten das Wort der Bibel: «Seid untertan aller Obrigkeit, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott!«, um ihre Haltung zu rechtfertigen; denn , «die Obrigkeiten sind von Gott eingesetzt!« Andere rechtfertigten mit der Schrift ihre Haltung des passiven Widerstandes und bekannten sich mit den Worten: «Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen!« zur Einstellung der verfolgten ersten Gemeinde. Einige wählten aus Gewissensgründen das Gefängnis oder den Tod. Andere anerkannten reinen Gewissens die Zuständigkeit der Regierung und setzten den Dienst in ihren Kirchen mit Einschränkungen fort. Männer aller theologischen Richtungen fanden sich plötzlich auf beiden Seiten des Zaunes. Katholiken mußten für ihre Überzeugung zweifellos mehr leiden als ihre protestantischen Mitbürger.

Die gefesselte Kirche
Bei der Gründung der ersten Kommune 1958 war die christliche Kirche schon eine Kirche in Fesseln, obwohl ihre Führer nicht aufhörten, gegen die neu gefundene «Freiheit« zu protestieren. Befreit von aller missionarischen «Kontrolle« aus dem Ausland, befand sie sich nun um so fester in der Hand des Staates. Bekannten Christen immer noch ihre Liebe zur Kirche, so wurden sie aufgefordert, die Vaterlandsliebe an die erste Stelle zu setzen: «Liebe das Vaterland, so liebst du die Kirche!« lautete die Parole. Wo die Christen einst gejubelt hatten: «Übergebt euer Herz Christus!«, nötigte man sie jetzt, «ihr Herz der Partei zu ergeben«. Vorher bestanden sie auf der Wirklichkeit der sichtbaren Dinge. Nun war diese Welt alles, was zählte. Soziale Verbesserungen ersetzten die geistliche Erneuerung. Materialismus trat an die Stelle des Idealismus. Marxistischer Realismus verdrängte das Wissen, aus einer anderen Welt zu sein. Der gegenwärtige Himmel versprach mehr als der zukünftige.
Die machtvolle Propagandamaschine mit ihrer großen Überzeugungskraft faßte die Sache des Kommunismus in glaubwürdige Worte. Den Kindern erklärte man in der Schule alles in rosigen Bildern. Populäre Lieder gaben dem Kommunismus einen anziehenden Charakter. Theater, Kino und Ballett hoben die Helden der Revolution in den Himmel. Der Rundfunk trug den Imperialistenhaß, wobei ganz besonders die USA gemeint waren, in jedes Haus. 1959 schlossen sich die Fernsehsender in Peking, Schanghai, Kanton und Hankow der Kampagne an. Selbst Eisenbahnreisen brachten keine Befreiung von Marschmusik und endlosen Propagandareden, die unaufhörlich aus den Lautsprechern eines jeden Zuges tönten. Von Zeit zu Zeit gingen unendliche Propagandisten singend, tanzend und den Vorsitzenden Mao preisend durch die Wagen.

Die schwindende Kirche
Zwar überlebte die christliche Kirche, aber nur unter großen Einschränkungen. Die Zahl der Gemeinden in größeren Städten ging drastisch zurück, und es blieben nur wenige andere Städte die mehr als eine Gemeinde haben durften. Die übermäßigen Kirchengebäude wurden für andere Zwecke verwendet. Das mußte zwangsläufig zu einem gewissen Maß an Vereinigung unter den protestantischen Kirchen führen, was auch bezweckt werden sollte.
Soziale und politische Tätigkeiten, die auf Sonntage angesetzt wurden, machten den regelmäßigen Kirchenbesuche für die Mehrzahl der Christen und ganz besonders die Jugendlichen unter ihnen fast unmöglich. Volle achtzig Prozent der ordinierten Pfarrer waren überflüssig. Man schickte sie daher in Fabriken und auf Bauernhöfe zur Arbeit. Die öffentliche Brandmarkung, bestimmter Pfarrer als «Rechtsler« und «Reaktionäre« durch andere Pfarrer in der einzigen Kirchenzeitschrift «Tien Feng« führte bei vielen zum Selbstmord.
Sechs australische kirchliche Vertreter bereisten China im Juli 1959, dem ersten Jahr des «großen Sprung vorwärts«. Im Gegensatz zu der wahren Situation gaben sie einen begeisterten Bericht über das, was ihnen zu sehen erlaubt worden war und was sie von gutinstruierten Kirchensprechern zu hören bekommen hatten. Andere ausländische Besucher täuschte man auf ähnliche Weise. Offene Opposition gegen die «Patriotische Drei-Selbst‑Bewegung« gab es nicht mehr, und die verschiedenen Zweige der christlichen Kirche waren unter einen Hut gebracht.
Die protestantische Organisation, die vom Büro für Religiöse Angelegenheiten unterstützt wird, heißt «Drei‑Selbst‑Bewegung«. «Drei‑Selbst« bedeutet, daß sich diese Kirche selbst verwaltet, selbst gestaltet und selbst entfaltet. Damit hatte man das Ziel ausländischer Missionare für die chinesische Kirche neu verdreht. Dieses Schlagwort bedeutete nun den Bruch aller Finanz‑ und Verwaltungsverbindungen zur Missionsbewegung und den fremden «imperialistischen« Ländern.

Die politische Kirche
Y. T. Wu, der frühere CVJM‑Generalsekretär und Hauptfigur der neuen Bewegung, gab einen begeisterten Bericht über den Fortschritt der Kirche im ersten «großen Jahrzehnt« der kommunistischen Herrschaft nach der Entledigung der imperialistischen Fesseln. Auf dem zweiten Nationalen Volkskongreß 1960 sprach er über die Notwendigkeit der Selbstreform unter den Christen. Die christliche Presse folgte dem Beispiel der nationalen Presse, indem sie die Hölle des früheren Regimes mit dem Himmel der neuen Gesellschaft verglich. Und auch die heftige Verleumdung der Missionare als Agenten des Imperialismus ging weiter.
Fräulein Gerde Büge hatte Gelegenheit, Westchina noch einmal zu besuchen und mit ein paar alten Freunden zusammenzutreffen. Was sie vorfand, war eine erschreckende Minderheit der Christen. Sie war erstaunt, daß die Arbeit der Kirchen inmitten der großangelegten nationalen Bemühungen, dem Wirtschaftsstandard der Welt durch den «großen Sprung vorwärts« gleichzukommen, überhaupt überlebt hatte. Sie hörte von Pastoren, die in Gurkenfabriken, in der Milchwirtschaft, in Ziegeleien und in der Landwirtschaft beschäftigt waren. Einige von ihnen waren jedoch von der Bevölkerung zu ihren örtlichen Vertretern ernannt worden.
Eine frühere Missionarin, Frau Esther Nystrom, kehrte 1960 ebenfalls besuchsweise mit einer Kulturgruppe aus Schweden nach China zurück. Sie nahm in jeder Stadt an Gottesdiensten teil und besuchte die Theologischen Fakultäten von Peking und Nanking. Bischof K. H. Ting, ein Vizepräsident der «Drei-Selbst‑Bewegung«, war dort Rektor. Im neuen China begegnete sie keinen Bettlern, keiner Prostitution, keiner Trunksucht und keinem Verbrechertum. Frau Nystrom erfuhr auch, daß eine Kommission, die 1956 von der «Patriotischen Drei‑Selbst‑Bewegung« gegründet worden war, an einer neuen Bibelübersetzung arbeite.
Im Januar 1960 berief die «Drei‑Selbst‑Bewegung« die zweite nationale Konferenz nach Schanghai ein. Dreihundertneunzehn Delegierte aus allen Teilen Chinas nahmen daran teil und wählten ein neues Nationalkomitee von hundertfünfundvierzig Mitgliedern.
Der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Wu Yi‑fang, berichtete, daß mit der Sprengung des «gegenrevolutionären Rings«, angeführt von Wang Ming‑tao und Watchman Nee, die meisten reaktionären Kräfte aus der Kirche vertrieben wurden. Obwohl jede Ausübung der Religion umgestaltet wurde, um die sozialistische Produktion nicht zu beeinträchtigen, bezeichnete Dr. Wu die Behauptung, daß die christliche Kirche als Ergebnis des «Großen Sprung vorwärts« einen schweren Schlag erlitten habe, als imperialistische Verleumdung. Die Christen und das andere chinesische Volk atmeten dieselbe Luft. Nicht die Kirche, sondern der Imperialismus habe einen tödlichen Schlag erhalten.
Der Ton der Konferenz ließ klar erkennen, daß sie sich nicht so sehr damit befaßte, wie die Kirche ihr Zeugnis in eine kommunistische Gesellschaft hineintragen sollte. Es lag ihr vielmehr daran, sich mit ihrer Funktion als politische Einrichtung zu beschäftigen. Im Blick auf die Universitäten meinte Dr. Wu, «sie hätten einige Änderungen vorgenommen, wobei die Betonung auf politische Angelegenheiten verlagert worden sei« Die folgenden regionalen Konferenzen hackten immer wieder auf dem altbekannten Thema des «Antiimperialismus« und den Gefahren, die der Kirche immer noch von seiten der imperialistischen Aggression drohten, herum.
Kurze Zeit danach wurde das Theologische Seminar von Peking geschlossen und die Studenten an das Nanking‑Seminar versetzt. Zurück blieb ein akademischer Untersuchungsausschuß.
Die Verunglimpfung von Missionaren dauerte auch 1961 noch an. Dabei lag die besondere Betonung auf der Art und Weise, wie de Missionare Sonntagsschulen mißbraucht hätten, um die Gedanken der Kinder mit dem Imperialismus zu vergiften. Christen wurden warnend darauf hingewiesen, daß der missionarische Imperialismus immer noch verbrecherische Sabotage gegen das neue China sei. Bei einer Sitzung des Unionsseminars von Nanking, auf der die theologische Ausbildung in China zur Debatte stand, betonte das Direktorium die Notwendigkeit, den imperialistischen Gebrauch der Religion genau zu untersuchen.

Die übrigbleibende Kirche
Die Kritik der Kirchenzeitung «Tien Feng« an gewissen Landgemeinden in Schantung und Tschekiang läßt vermuten, daß sie ein sehr lebendiges Zeugnis aufrecht erhielten. Folgender Brief von 1961 beschreibt das Gemeindeleben in einigen nördlichen Provinzen zu diesem Zeitpunkt:
«Es ist unmöglich, all meine Erlebnisse in einem kurzen Brief zusammenzufassen. Aber Gott wirkt immer noch auf wunderbare Weise im Leben vieler gläubiger Christen. Wir müssen Gott preisen und ihm für seine gnädige Fürsorge und Bewahrung danken. In früheren Zeiten baute die Gemeinde auf Sand, jetzt ist sie auf Fels, den alleinigen Fels, gegründet. Gott macht keine Fehler. Ich war dankbar, Brüder zu finden, die fest im Glauben stehen. Und es waren hauptsächlich junge Menschen.«
In Schanghai wurde die China‑Bibel‑Gesellschaft aus ihren Räumen vertrieben. Sie setzte ihre Arbeit trotzdem in der Moore‑Gedächtniskirche fort. Der Verkauf und die Verbreitung von Bibelstellen ging stark zurück. Alle fühlten den enormen Verbrauch von Zeit und Kraft bei der Bewältigung materieller Angelegenheiten, aber am meisten bekamen ihn die Christen zu spüren. In einer Gesellschaft, die sämtliche geistlichen Werte ablehnt und jede religiöse Tätigkeit mißbilligt, ist es ein brennendes Problem, das geistliche Leben zu erhalten.
Mädchen, die in der Landwirtschaft arbeiteten, hatten nur eine Möglichkeit zu beten. Sie mußten morgens um drei Uhr aufstehen. Um eine stille Zeit zu haben, ließen die jungen an der Universität ihr Frühstück ausfallen, oder sie lasen ihre Bibel nachts im Schein einer Straßenlaterne.
Sitzungsberichte des «Drei‑Selbst‑Bewegung«‑Ausschusses vom August 1962 lassen deutlich erkennen, daß die Kirche als Beweis für ihre Solidarität mit dem chinesischen Volk immer mehr in politische Aktivität verwickelt wurde. Kirchenabgeordnete, die man zu verschiedenen Konferenzen ins Ausland geschickt hatte, nutzten die Gelegenheit, um die chinesische Regierung zu rühmen. Andere jedoch, wie Markus Cheng und Francis Wei, mußten die übelsten Verleumdungen über sich ergehen lassen, sie die Regierung angriffen. Edgar Snows Buch Red China Today (1962) verweist oft auf die revolutionäre Feindseligkeit, der Religion allgemein und den historischen Kirchen und der Missionsbewegung gegenüber.
1962 erreichten die Welt immer weniger zuverlässige Nachrichten über die chinesische Kirche. Aber ein chinesischer Reporter, der am 3. Dezember 1962 einen Bericht in der «Hongkong Tiger Standard« veröffentlichte, der auf Aussagen von Flüchtlingen beruhte, schrieb von einem Rückgang des Gottesdienstbesuchs. Da der Gottesdienst so formell und voreingenommen ist, treffen sich Christen, laut Bericht, privat in kleinen Hauskreisen. Sie riskieren damit, wegen Verstoßes gegen ein Gesetz, das Privatversammlungen verbot, eingesperrt zu werden. 1958 waren alle Zusammenkünfte außer Sonntagmorgengottesdienste verboten worden; also auch Kindergottesdienst, Frauen- und Bibelstunden.
Aber es gelang nicht, das Licht christlichen Zeugnisses zu ersticken. Aus Tschangscha, Maos eigener Heimat, kam dieser Brief vom Juni 1962:
«Ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut. Wie gut ist es doch, wenn einer an den anderen denkt, auch wenn man über zehn Jahre nichts mehr voneinander gehört hat! Ich hoffe, daß Deine Arbeit gut geht und Deine Familie wohlauf ist. Wenn wir auch voneinander getrennt sind, vergessen wir doch unsere Gemeinschaft im Heiligen Geist nicht.
Meine Gemeindearbeit habe ich in den letzten zehn Jahren ununterbrochen fortgesetzt. Die Verhältnisse an anderen Orten sind geblieben, wie sie waren, und die Gottesdienste nehmen ihren normalen Verlauf. Ich bin jetzt siebenundsiebzig Jahre alt, kann aber noch alle möglichen Arbeiten tun … Ich kann Überfluß haben und niedrig sein. Überall und in allen Dingen habe ich gelernt satt und hungrig zu sein, beides, Überfluß und Mangel zu haben. Ich danke Gott von ganzem Herzen, daß ich zufrieden sein kann, gleichgültig, in welchem Zustand ich mich befinde. Wahrlich, das Mehl in der Tonne ging nie aus, noch mangelte dem Ölkrug etwas, und in Christus ist jeder Mangel voll gedeckt. Möge Gottes Gnade bei Euch allen sein!«

Die verurteilte Kirche
Ein Artikel in der «Tien Feng« vom März 1963 war überschrieben: «Haltet das Banner des Antiimperialismus und Patriotismus hoch und erfüllt unsere jetzigen Aufgaben!« Diesem Bericht zufolge hinkten die Christen in ihrem politischen Denken nach. Außerdem sei es die Aufgabe der Kirche, einen christlichen Antiimperialismus durch das Studium des Sozialismus zu entwickeln und energische Bemühungen in der Selbstreform und der historischen Forschung zu unternehmen.
Ein Jahr später begann die Presse, umfassende Angriffe gegen sämtliche Religionen zu veröffentlichen. Menschen in kirchlichen Diensten wurden angeklagt, ihre Opposition gegen die Regierung unter dem Mantel der Religion zu verbergen, eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit darzustellen, kein Vertrauen zur Politik und den Plänen der Regierung zu haben, dem Einfluß des Imperialismus zu erliegen und eine Machtentfaltung der Religion zu beabsichtigen. «Die Religion ist unser Feind!« «Die Religion ist schuldig! « «Bildet eine geschlossene Front gegen die Religion!« (Rote Flagge.)
Fräulein Gerde Büge besuchte 1965 noch einmal China. Diesmal war ihre Reise auf Peking, Schanghai und Nanking begrenzt. Dort verbrachte sie einige Tage am Theologischen Seminar. Sie war sehr daran interessiert, die dokumentarischen «Beweise der missionarischen Beteiligung an der imperialistischen Aggression« zu sehen, die dort in der Bibliothek in Glaskisten ausgestellt waren. Die Zahl von achtzig anwesenden Studenten war viel zu klein, um den Mangel an Gemeindearbeitern in der Zukunft decken zu können. Man erzählte ihr, die Kirchengemeinden außerhalb der größeren Städte seien sehr klein. Ausländische Besucher wurden jedesmal in dieselbe Kirche geführt und trafen mit denselben christlichen Sprechern zusammen. Für gewöhnlich waren es Li Chu‑wen von der Gemeinschaftskirche in Schanghai, der Generalsekretär der Drei‑Selbst‑Bewegung, Bischof K. H. Ting, Präsident des Theologischen Unionsseminars von Nanking und Vizepräsident der Drei‑Selbst‑Bewegung, und Dr. Y. T. Wu, Vorsitzender der Drei‑Selbst‑Bewegung. Die Kommentare dieser Männer neigten dazu, die Tatsache zu verschleiern, daß die Kirche kaum geduldet war, auch wenn sie ihre Funktionen und Zeremonien noch ausübte. Ihr Tätigkeitsbereich war streng abgegrenzt und ihre Mitgliedschaft nahm nicht mehr zu.
Rev. Li Chu‑wen erzählte einem zu Besuch weilenden schwedischen Angehörigen einer Pfingstgemeinde. Wir sind überzeugt, daß uns die derzeitigen Gegebenheiten dem Kern des Evangeliums nähergebracht haben. Die evangelische Christenheit in China wird ihre innere Lebendigkeit bewahren und ihre Botschaft auf eine Art und Weise verkündigen, die den geistlichen Bedürfnissen des Menschen völlig genügt.
Dagegen boten sich einem indischen Christen, der an den Sportfestspielen teilnahm, die im September 1965 in Peking stattfanden, ganz andere Eindrücke. Nach einem Gottesdienst in einer schlechtbesuchten Kirche sagte er: «Die Kirche des kommunistischen China scheint keine Zukunft zu haben.«

Die verfolgte Kirche
1966 kam der große Schlag: Der Großangriff gegen die Religion hatte schließlich begonnen. Mit ungeheurer Energie fiel die Kulturrevolution über die alten Kulturen her. Alle Religionen mußten ohne Ausnahme die Schändung ihrer Gottesdienstorte, ihrer Tempel, Altäre, Moscheen, Heiligtümer und Kirchen über sich ergehen lassen.
In Lhasa tobte die Zerstörungswut, und auch der historische Tempel des Konfuzius in Schantung wurde erheblich beschädigt. Die Lage aller Christen war zum erstenmal seit 1949 wieder bedrohlich. Im August wurde die römisch‑katholische Südkathedrale in Peking beschlagnahmt und ihre religiösen Symbole durch rote Fahnen, Banner, Statuen oder Bilder von Mao und durch die unvermeidlichen roten Plakate ersetzt. Acht Nonnen des Heiligen‑Herz‑Klosters vertrieb man aus China. Eine von ihnen starb an den Folgen ihrer Behandlung. Alle Statuen von Christus und der Jungfrau Maria wurden zerschlagen. Römisch-katholische und protestantische Kirchen wurden geschlossen und Bibeln, Meßbücher und Gebetbücher auf den Straßen verbrannt.
Der Haß der Roten Garden« gegen die Bibel kam immer zum Vorschein. Sie verbrannten alle, die sie finden konnten, vor Kirchentoren oder in öffentlichen Parks.
Pastor Wongs Geschichte ist nur eine von vielen. Er versah den Dienst in einer glaubensstarken Gemeinde, als die Roten Garden« in seine Stadt kamen. Nachdem sie sich den Pastor und die Gemeinde als «Volksfeinde« ausgesucht hatten, tobten sie rücksichtslos durch das Kirchengebäude und verwandelten es in ein Schlachtfeld. Danach befahlen sie dem Pastor und seiner Frau, alle Bibeln und Gesangbücher auf die Straße zu tragen. Sie mußten niederknien und alles verbrennen. Dann trieb man sie aus ihrem Haus. Jeder, der versuchte, ihnen zu helfen, wurde als «feindlicher Hund« gebrandmarkt.
Herr und Frau Wong nahmen schließlich Stellungen als Arbeiter an, die ihnen kaum das Notwendigste zum Leben einbrachten. War Pastor Wong auch das Predigen verboten, so pries er doch mit seinem Leben unaufhörlich den Herrn Christus.
Gewalttätigkeiten gegen die Kirchen setzten sich auch im April fort. Kaum ein Pfarrer blieb verschont. Die Kirchen in Kanton, Swatow und Schanghai wurden bis Mitte Sommer gesäubert. Darauf folgten Nanking, Peking und andere Großstädte. Die «Drei‑Selbst‑Bewegung« wich den «Roten Garden« aus.
Säuberungsaktionen und fanatische Christenverfolgung gingen Hand in Hand. Viele von ihnen mußten in der Gosse niederknien, wo sie verhöhnt und angespuckt wurden. Anderen schnitt man so die Haare, daß nur noch ein Kreuz als «schmachvolle Kennzeichnung« übrigblieb. Wieder andere zwang man, durch die Stadt zu marschieren als «religiöse, schlechte Elemente«, und die Menge verspottete sie. Einem Pfarrer, der in einer Fabrik arbeitete, hängte man ein Plakat um, auf dem zu lesen war: «Ich bin ein Lügner und Verräter!« Er wurde gezwungen, diese Worte zum Vergnügen seiner Arbeitsgenossen immer wieder herzusagen. Eine Frau, die im Gemeindedienst stand, erhielt brutale Schläge ins Gesicht. Das Haus einer achtzigjährigen Frau wurde durchstöbert und ihre Bibel zerrissen. Uni sie zu verspotten, versuchte man sie zu der Aussage zu zwingen: Es gibt weder Gott noch Christus!« Darauf antwortete sie: «Wie könnte ich so etwas sagen, nachdem ich seit vierzig Jahren an ihn glaube!«
Viele Pastoren brachen zusammen und nahmen sich das Leben. Ein christliches Ehepaar aus Schanghai brandmarkte man als Kapitalisten, vermutlich ihrer früheren Universitätsausbildung wegen, und trieb sie dazu, Gift zu nehmen. In Peking nahmen sich zwei Arzte während der Terrorherrschaft das Leben.
Bischof K. H. Ting von Tschekiang, ein loyaler Regierungsanhänger, verschwand im September aus dem öffentlichen Leben. Bischof Michael Tschang aus Fukien und seine beiden Weihbischöfe steckte man in ein Schulungslager. Auch Dr. James Ting, der Methodistenführer, wurde nach öffentlichen Demütigungen dorthin gebracht.
So war 1966 das erste Jahr seit dem Einzug des Christentums China, in dem Weihnachten außer in der Britischen Botschaft in Peking und den Büros des britischen Geschäftsträgers in Shanghai nirgends gefeiert wurde. Beide Gebäude waren 1967 das Angriffsziel der «Roten Garden«. Dabei verletzte der Pöbel den Geschäftsträger in Schanghai (P. M. Hewitt) ernsthaft.
Herr und Frau Liu haben sechs Kinder. 1961 gelang es Frau Liu, China mit den Kindern zu verlassen, aber Herr Liu erhielt keine Ausreiseerlaubnis. Seine Frau hatte ihn schon mehrmals besucht. Als sie aber das letztemal kam, war ihm seine hübsche Wohnung von den «Roten Garden« weggenommen worden. Er bewohnte ein einziges Zimmer, in dem sie flüstern mußten, damit man sie nicht belauschen konnte. Es war ihm gelungen, seine Bibel im Feuerholz versteckt zu halten, aber sie hatten keine Möglichkeit, laut darin zu lesen oder miteinander zu beten. Um allein zu sein, ging das Ehepaar im Park spazieren. Dieser war aber so überfüllt mit Leuten, daß sie keinen ungestörten Platz zum Beten finden konnten ‑ bis es zu regnen anfing. Bald lag der Park verlassen da, und die Lius waren, wenn auch durchnäßt, allein. Im Regenguß hielten sich die beiden an den Händen und sangen ein altes Lied, das sie einmal auswendig gelernt hatten:
«Trotz aller Trübsal, die ich habe,
trotz aller Dornen, die meine Füße zerstechen,
bleibt der Gedanke überaus lieblich:
Du denkst ja, Herr, an mich.«

Die aufgelöste Kirche
An Ostern 1967 war die Liquidierung der organisierten Kirche in China vollzogen, wie folgende Auszüge andeuten:
Schreiben eines Christen aus Kanton vom November 1967:
«Nun gibt es in Kanton weder Gott noch Buddha. Im letzten Jahr nahm ich gelegentlich an einigen Gottesdiensten teil, aber was ich dort hörte, war alles andere als christliche Botschaft. Jetzt sind alle Kirchen in der Stadt geschlossen. Alle, die im Gemeindedienst standen, hat man eingesperrt, kahlgeschoren und durch die Stadt getrieben. An den Kirchen kleben große Schriftrollen, auf denen geschrieben steht: ,Hängt Gott!’
Bibelworte kann man hier nicht hören. Es ist deshalb natürlich sehr schwer, vom Heiligen Geist geführt zu werden. Wie ich Euch beneide! Ihr könnt Eure Bibel oft lesen, zusammenkommen und das Wort hören.
Meine Lage ist wirklich entmutigend. Wenn man keine Arbeit hat, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, hat das Leben seine Bedeutung verloren. Die Umstände hier halten mich in ihrer Knechtschaft und machen es mir unmöglich, die Wirklichkeit des Herrn zu kosten. Betet, daß der Herr mir gnädig sei, und hofft, daß Ihr mir helfen könnt, auf dem Weg des Kreuzes weiterzugehen.«
Einige Zeit vorher schrieb eine Mutter von vier Kindern:
«Das Geld, das Ihr schicktet, kam pünktlich an. Ich danke Gott, der das Gebet erhörte, und Euch danke ich für Eure Liebe. Gott hat nicht versprochen, daß der Himmel immer unbewölkt sein werde. Es mag sein, daß die Schatten die Erde für einige Zeit bedecken, aber sie werden bald verschwinden. Dann ist der Himmel wieder klar, und die Sonne wärmt unsere Herzen wieder.
Was für einen wahrhaftigen und liebenden Gott wir haben! Wie kurz sind doch ein paar Monate im Vergleich zum Leben! Einmal mehr läßt er uns eine Glaubenslektion erfahren und von neuem die Schwierigkeiten des Lebens kosten. Obwohl man kein Großes Buch mehr lesen kann, ist es doch herrlich, daß der Heilige Geist in uns selbst ist.
Bruder (ihr Mann) kam letztes Jahr einmal zurück. Es war die Gelegenheit aus der Hand Gottes, so daß er seinen besagten Vater noch einmal sehen konnte. Gott sei Dank! Wir dachten, er käme nie mehr nach Hause. Wie konnten wir wissen, daß ihn Gottes allmächtige Hand noch einmal nach Hause bringen würde! Er war tot und doch lebendig, verloren und doch wiedergefunden. Ihm sei zweifacher Dank gesagt! Wir leben durch und durch von der Gnade Gottes. Vergeßt niemals, für uns zu beten. Schreibt aber nur, wenn es wirklich notwendig ist!«
Später schrieb sie:
«Gott ist treu und voll Liebe. Er kann die dunklen Wolken vertreiben, damit das Licht auf uns scheinen kann. Aber oft läßt er zum Wohl seiner Kinder ein paar Kanaaniter für uns übrig, damit wir das Kämpfen nicht verlernen. Das ist ein Geheimnis der geistlichen Welt ‑ und das Bild unseres Lebens. Wenn wir Mangel am Brot des Lebens haben, fühlen wir uns oft bekümmert und murren wie Habakuk: Warum? Mit dem Glauben als Schild verschwinden jedoch alle diese Sorgen. Um uns herum, sogar innerhalb der Familie, verspüren wir oft die Angriffe des Satans. Möge Gott sich über uns erbarmen! Bitte, vergeßt nicht, für uns zu beten. Möge die Gemeinschaft des Heiligen Geistes immer bei uns sein!«
Aber das Leiden hat auch oft eine reinigende und läuternde Wirkung. Ein chinesischer Pastor in Hongkong erhielt 1968 diesen Brief aus dem Norden Chinas:
«Da ich Experte im Ingenieurwesen bin, hatte ich einen gehobenen Posten und bezog ein hohes Gehalt. Dieses Leben gefiel mir ganz gut. Aber als Ergebnis der Kulturrevolution habe ich jetzt meinen gehobenen Posten, mein hohes Gehalt und alles andere verloren. Ich arbeite nun als ganz gewöhnlicher Arbeiter. Aber ich bin glücklich, daß ich die völlige Freude des Christus wiedergefunden habe. Und ich weiß, daß es anderen Freunden genauso erging.«

Die hoffnungsvolle Kirche
Wie sieht die Zukunft der Religion in China aus? Mitglieder einer japanischen Gesandtschaft nach Peking Mitte des Jahres 1967 mußten die Zitate Maos mindestens fünfmal am Tage lesen. Bei dieser Gruppe waren vier Christen. Sie bestätigten, daß alle Kirchen vorläufig geschlossen seien. Aber Frau Anna Louisa Strong, eine alte Autorin und langjährige Bekannte des Vorsitzenden Mao, die in Peking wohnt, äußerte ihnen gegenüber die Meinung, daß die Tore der religiösen Einrichtungen nach der Kulturrevolution wieder geöffnet würden.
Rev. Jan Thomson, der einmal in China gelebt hatte, verbrachte im August 1967 drei Wochen dort. Er hatte aber sehr wenig Bewegungsfreiheit. In jedem Zug und jedem Flugzeug traf er auf die Propaganda der «Roten Garde« und mußte am Studium der Zitate Maos teilnehmen. Die Kirchen, die er sah, waren alle geschlossen; einige waren verlassen, und andere wurden als Schulen benützt. Thomson schließt seinen Bericht mit den Worten: «Zusammenfassend möchte ich sagen. Man kann sich heute nicht in China aufhalten, ohne von diesen glücklichen, wogenden Massen der Millionen Chinesen beeindruckt zu sein. Sie glauben, meiner Meinung nach, wie kein anderes Volk auf dieser Welt, daß sie wissen, wohin sie gehen, und sie sind über diese Aussichten begeistert … Nach vorne getragen auf den Flügeln des Glaubens an Mao und in ihrem ewigen Morgenlicht, erzeugen sie ein Gefühl der Kraft und Hoffnung, das man nur bewundern kann.«
Thomson hatte aber keinen Kontakt mit denen in dieser Gesellschaft, die «in der Welt, aber nicht von der Welt« sind. Für die Christen sieht die Zukunft weniger rosig aus, obwohl auch sie «durch Hoffnung gerettet sind« ‑ eine Hoffnung auf bessere Zeiten, aber letztlich doch eine Hoffnung auf die Wiederkunft Christi. In der Zwischenzeit hängt das überleben des Christentums in China von der «zellenartigen« Kirche ab, in der Christen zu festgesetzten Zeiten in Gruppen von nicht mehr als zehn Personen, oft sogar noch weniger, zusammenkommen.
Man weiß von diesen Gruppen, daß sie sich vermehren und daß ihr Zeugnis wirksam ist. ‑«Erzählt uns vom Christentum«, bat eine Gruppe von Dorfbewohnern, «damit wir den Frieden bekommen, den ihr habt!« ‑«Sage uns, wie man eine solche Freude bekommen kann, wie du sie in so schwerer Trübsal besitzt!« forderte ein Lehrer von einem christlichen Mädchen an einer Pädagogischen Hochschule.
Jemand, der Verbindung zu Christen in China hat, schrieb: «Die Kirche ist stärker als vor zehn Jahren, wenn auch nicht nach außen hin und in sichtbaren Organisationen, sondern im Glauben und in seiner Ausübung . . .«
Wie können wir unseren christlichen Brüdern in China helfen. Ein offensichtlicher Weg sind Rundfunksendungen, die nach China ausgestrahlt werden. Auszüge aus Briefen im Anhang des Buches zeigen die Wirksamkeit dieser Verbindungsmittel.
Der Zerfall zentraler Behörden und die Nachlässigkeit seitens der Polizei machen es den Christen offenbar verhältnismäßig leicht, ausländische Sender zu hören’ und miteinander Gemeinschaft zu haben. Die Heilige Schrift wird z. B. in Diktiergeschwindigkeit gelesen, um den Christen eine Möglichkeit zu geben, ihre verlorengegangenen Bibeln durch eine Anzahl handgeschriebener Schriftteile zu ersetzen. Andere Möglichkeiten stehen zur Zeit nicht offen. Es bleibt nur noch die Fürbitte, die große Macht, die die «Kirche im Schatten« trägt, bis die Sonne eines neuen Tages wieder scheinen wird.

3. KAPITEL

BITTERE LEKTIONEN

Die Verfassung Chinas enthält wie die der Sowjetunion eine Klausel, die dem Volk Glaubensfreiheit zusichert. Die chinesischen Kommunisten machten mit dieser Zusicherung Propaganda, als sie 1949 die Macht an sich rissen. Christen und Andersgläubigen wurde versichert, sie hätten für die Freiheit ihrer Religionsausübung nichts zu befürchten. Die Bestätigung dafür schien 1950 zu kommen, als eine Gruppe von Kirchenführern für drei Tage als Gäste der Regierung nach Peking eingeladen wurde ‑ eine Ehre, die niemals zuvor gewährt worden war, auch nicht unter dem christlichen Staatsoberhaupt des vorhergehenden Regimes.
Ministerpräsident Tschu En‑Lai erklärte, daß die Volksregierung keinen Streit mit der Kirche als solche habe. Die Kritik beziehe sich nur auf die Art und Weise, in der die Kirche von imperialistischen Missionaren ausgebeutet und die Christen von imperialistischen Denkweisen vergiftet worden seien. Wenn sich die Kirche ihrer konstitutionellen Freiheit erfreuen wolle, müsse sie zuerst einmal «das Haus säubern«, d. h., sich der Missionare und ihres schädlichen Einflusses entledigen und die Führung der Partei anerkennen. Das Manifest, das die Annahme dieser Forderungen enthielt, brachte die Kirche in ein Dilemma, aber sie hatte keine andere Wahl, als ihre missionarischen Mitarbeiter aufzufordern, zu gehen.
Als die Missionare China verließen, blieb die Kirche verwirrt und ihre Führung in sich gespalten zurück. Das Manifest verkörperte die offizielle Haltung und enthielt die Politik der neu gegründeten Patriotischen Drei‑Selbst‑Bewegung«. Seinem Wortlaut zufolge gehorchte die chinesische Kirche der Partei, unterstützte die Regierung bei allen sozialen und wirtschaftlichen Reformen als Gegengabe für die Freiheit, ihren eigenen Glauben und ihren Dienst auszuüben. Ein solcher Handel schien der einzige Ausweg zur Erhaltung der Kirche zu sein. Auch konnte man die Bibel zitieren, um diese Aktion zu verteidigen. Die große Mehrheit der Führer schlug daher die offizielle Richtung ein.
Aber es gab auch einige wie Watchman Nee und Wang Mingtao, die nicht bereit waren, den Köder zu schlucken.
Wang Ming‑tao, Pastor der größten Gemeinde in Peking und ein einflußreicher Mann im ganzen Land, unterzog das als «imperialistische Gift« bezeichnete Denken einer genauen Prüfung. Dabei fand er heraus, daß es einige wichtige und grundlegende Wahrheiten des christlichen Glaubens waren, und er äußerte dies auch in der Öffentlichkeit. Seine eigene Gemeinde hatte nie unter missionarischen Einfluß aus dem Ausland gestanden. Obwohl er auf anderen Gebieten nicht frei von jeder Kritik an ausländischen Missionaren war, ließ er die These, sie seien Agenten des Imperialismus gewesen, nicht gelten. Auf der anderen Seite waren die Führer der «Drei‑Selbst‑Bewegung« Männer, die er schon oft wegen ihrer liberalen Theologie angegriffen hatte, und mit deren neuen Aktionen er nicht einverstanden war.

Es war für ihn daher unmöglich, mit diesen Männern am gleichen Joch zu ziehen. Wang glaubte an die Autorität der Heiligen Schrift und daran, daß sich die Politik jener Männer mit der Zeit als verkehrt herausstellen würde. Deshalb weigerte er sich, sich auf Gedeih und Verderb mit der Drei‑Selbst‑Bewegung« zu verbinden, und nahm außerdem eine entschlossene Haltung gegen die Zusammenarbeit mit der Regierung ein, zu der sich die meisten Kirchenführer des Landes bekannt hatten.

Wer behielt recht? Wang Ming‑tao wurde 1955 ins Gefängnis gesperrt, um lebenslänglich für das Festhalten an seinen Grundsätzen zu büßen. Seine Gemeinde wurde aufgelöst. (Nach zwölfjährigem Aufenthalt in einem Pekinger Gefängnis, brachte man den 68jährigen Pastor 1968 in ein Arbeitslager nach Tatung, Nordschansi.) Viele, die Wangs Ansichten teilten, verschwanden wie er im Gefängnis. Die Kirche der Drei‑Selbst-Bewegung« funktionierte jedoch noch weitere zehn Jahre, wenn die Zahl ihrer Mitglieder auch sehr zurückging. Patriotismus wurde zu ihrem Hauptanliegen. Um ihn unter den Christen zu fördern, stellte die Regierung Gelder für die Schulung der Geistlichen zur Verfügung. Die Predigten waren in ihrem Ton immer politischer gehalten, während biblische Lehren über das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi nicht berührt wurden. Diese Atmosphäre führte bei vielen Christen zur Ernüchterung, und sie begannen, frohe wahre Gemeinschaft in nichtöffentlichen Hauszusammenkünften zu suchen.

Es blieb der Kulturrevolution überlassen, die Maske des Kommunismus abzureißen und ihn als erbitterten Gegner der Religion zu entlarven. Alle Kirchen, ungeachtet welcher Zugehörigkeit, wurden geschlossen. Auch die sklavisch ergebenen Anhänger der Regierung fanden sich zu ihrer Enttäuschung im Gefängnis oder in Arbeitslagern.
Diese tragische Geschichte von Männern, die leiden mußten wegen ihrer ablehnenden Haltung der Drei‑Selbst‑Bewegung« gegenüber, aber auch trotz ihres untergebenen Festhaltens an der Parteilinie und der Führung der Drei‑Selbst‑Bewegung«, fordert eine gründliche Durchleuchtung. Sie enthält wichtige Lektionen für die übrige Welt.
Was war die Drei‑Selbst‑Bewegung« wirklich? Eine echte, christliche Kirche oder eine Verzerrung wahren Christentums? Ein spontaner Ausdruck christlicher Überzeugung oder eine von den Kommunisten verpaßte Zwangsjacke? Waren ihre Führer freie Vertreter oder Strohmänner? Was brachte sie in den zehn erkauften Jahren nach der Gefangenschaft Watchman Nees und Wang Ming‑taos zustande?

Von Anfang an gingen die Meinungen ausländischer Beobachter darüber auseinander. Die vierteljährlich erscheinende Zeitung der Anglikaner »East‑West Review« (1960) vertrat die Meinung, die Entwicklungen in der chinesischen Kirche seien das Ergebnis echter christlicher Überzeugung und kein kommunistischer Zwang. Die führenden Persönlichkeiten der Kirche seien, laut dieser Zeitung, entschlossene Männer und keine Strohmänner. Ein früherer Chinamissionar legte dagegen den biblisch‑historischen Maßstab an: das gläubige Predigen des Wortes Gottes und die wahre Handhabung der Sakramente für die Wahrhaftigkeit einer Kirche. Da die Drei‑Selbst‑Bewegung einen wichtigen Teil des Christentums verwische, um den Forderungen des Staates nachzukommen, könne man sie nicht länger als Kirche betrachten.
Diese Meinungen vertreten zwei gegensätzliche Standpunkte. Man muß zugeben, daß es für Außenstehende schwierig ist, ein »gerechtes Urteil« abzugeben, wie es der Apostel Paulus von uns gefordert hätte. Aber im Interesse der Wahrheit müssen wir dies Verständnis für Mitchristen in einer außergewöhnlich schwierigen Lage mit der Beurteilung der Tatsachen, soweit sie uns bekannt sind, abwägen.

Die Drei‑Selbst‑Bewegung erhob große Ansprüche für sich selbst. Ein Artikel in der Kirchenzeitung »Tien Feng« vom 10. Oktober 1959 feiert den »zehnjährigen Kampf gegen den Imperialismus und für die Liebe zu unserem Land«. Er schildert die Kirche von 1947 als Werkzeug der Missionare für private und imperialistische Zwecke. Dann gibt er einen Überblick über die Leistungen der Kirche seit dieser Zeit. Die Ablehnung des Manifestes durch die Missionare und seine Begrüßung durch vierhunderttausend Christen. Die Bloßstellung der Religionsmanipulationen des Imperialismus durch die allgemeine Anklagepraxis im Jahre 1951. Der Versuch Wang Ming‑taos und Watchman Nees samt ihren gegenrevolutionären Organisationen, 1953 die Drei‑Selbst‑Bewegung zu zerstören, und wie ihr verrückter Widerstand 1955 gebrochen wurde. Die Entlarvung der »Rechtsler« durch die »Läuterungskampagne« von 1956/57 und der Beginn der Zusammenarbeit »halbkolonialer« Konfessionen.
Die »Sozialistische Erziehungsbewegung« habe sich als wirksam herausgestellt bei der Umformung der christlichen Denkweise und der Vorbereitung auf den großen Sprung vorwärts«. So war die Drei‑Selbst‑Bewegung innerhalb von zehn Jahren .unter der Führung der Partei« zur Reife gelangt und grundlegende Veränderungen in der Kirche vollzogen worden. Es war gelungen, den fremden Imperialismus einzudämmen, rechtsgerichtete Elemente auszuschließen, das Drei‑Selbst‑Programm« für die völlige Selbständigkeit zu erfüllen und die Solidarität mit dem ganzen chinesischen Volk bei seinem Marsch zum Sozialismus zu erreichen.

Christliche Paraden schlossen in vielen Städten als Teil der Feierlichkeiten das «Große Jahrzehnt« ab. Immer wieder hoben Sprecher der Kirche ihre «neugewonnene Freiheit« von der imperialistischen Herrschaft hervor. Sie wiederholten solche Phrasen wie »nackte imperialistische Aggression«, »imperialistische Anwendung der Missionsarbeit« und »Gift des imperialistischen Denkens«, wobei sie sich auf die Mission allgemein bezogen. Missionare bezeichneten sie als »bibellesende Wölfe«. Das Boxer‑Massaker an Christen und ausländischen Missionaren von 1900 rechtfertigten sie als »unvermeidlichen Kampf gegen die Imperialisten, die im größten Teil Chinas Mißbrauch trieben und verbrecherische Tätigkeiten ausgeübt hätten«.
1960 gab Y. T. Wu, der Generalsekretär der Bewegung, die anhaltende Notwendigkeit der Selbstreform unter den Christen zu und forderte die unaufhörliche Wachsamkeit gegen die anhaltenden Gefahren, die der Kirche von seiten der imperialistischen Aggression drohten. Zwei Jahre später beklagte sich die »Tien Feng« immer noch, daß die Christen in ihrem politischen Denken hinterherhinkten und dringend einen «christlichen Antiimperialismus« entwickeln müßten.

Inwieweit sprachen die Kirchenführer wirklich für sich selbst, oder bis zu welchem Grad waren sie Marionetten? Warum sie wirklich für sich selbst sprachen, so hatten sie nichts über die Pflicht der Kirche, das Evangelium von Christus in ihrem Land zu verkünden, wenig wirklich Christliches, aber eine Menge über missionarische Verbrechen und sehr viel über den Sozialismus vorzubringen. Ihr Reden und Schreiben ist der Beweis für einen bemerkenswerten Erfolg des Schulungsprogrammes. Aber sprachen sie wirklich ihre eigenen Gedanken aus?

Ein Überläufer zur freien Welt, Edward C. M. Chen, war zehn Jahre lang Beamter des «Büros für Religiöse Angelegenheiten« gewesen. Das ist eine Regierungsstelle, die für religiöse Einrichtungen zuständig ist und für jede Religion eigene Vertreter und Komitees ernennt. Genosse Chen, der einem Kader angehörte, war schon sehr früh wegen seiner politischen Verläßlichkeit mit der alleinigen Verantwortung für die Handhabung religiöser Angelegenheiten betraut worden. Seine zehnjährige «religiöse Frontarbeit« bot ihm genügend Möglichkeiten, sich ein einmaliges Verständnis der Beziehungen der chinesischen Kommunistischen Partei zur christlichen Kirche anzueignen.
In seinen schriftlichen Äußerungen besteht Chen darauf, die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Christen und Kommunisten seien nicht politischer, sondern philosophischer und sozialer Art gewesen. Der Kampf gegen christliche Ziele würde daher nicht offen und formell ausgetragen, er trage vielmehr den Charakter einer »unsichtbaren Schlacht«. Die offizielle Politik suche nicht die völlige Ausrottung, sondern Einschränkungen, Reformen und die Ausnutzung mit dem Ziel der totalen Kontrolle. «Unter dieser Politik«, sagte Chen, »gingen die religiösen Organisationen einen schweren unnormalen Weg und schwanden langsam dahin.«

Mit diesem klaren Ziel vor Augen war die »Drei‑Selbst‑Bewegung« ins Leben gerufen worden. Nur diejenigen, die «politische Kenntnisse« besaßen, erhielten die Erlaubnis, 1950 in den «Vorbereitungsausschüssen« ihren Dienst zu tun. Widerstand von seiten der Katholiken und einiger protestantischer Bewegungen «gegen das Wort »Reform« führte zu dem Namenszusatz «patriotisch«.
Die «Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung« sollte mit der «Religiösen Unionsfront« zusammenarbeiten. Die offiziellen Richtlinien unterschieden zwischen Katholiken und Protestanten, und bei den Protestanten zwischen der »sozialen« Evangeliumsgruppe (aufgeklärt) und der »geistlichen« Gruppe (konservativ, eigensinnig und Gegner der Drei‑Selbst‑Bewegung.

Genosse Chen wußte zunächst nichts über Religion. Er erhielt den Auftrag, sich über religiöse Organisationen zu informieren. Dabei sollte er ihre Führer befragen, deren Arbeit und Tätigkeiten kontrollieren, Katholiken und Protestanten in die Drei-Selbst‑Bewegung bringen, religiöse Führer über die Regierungspolitik auf dem laufenden halten und dadurch ihr politisches Bewußtsein wecken, die Gläubigen soziale Tätigkeit verwickeln, versteckte Reaktionäre aufspüren, ausländische religiöse Gäste unterhalten und den Einfluß der Religion dämpfen. Im Hinblick auf die »Freiheit des religiösen Glaubens« erklärte man Genosse Chen, alle religiösen Tätigkeiten seien strikt auf öffentliche Gebäude zu beschränken, damit sie nicht mit den Ansichten anderer in Konflikt gerieten. Aus diesem Grund waren alle religiösen Tätigkeiten im Freien und in Privathäusern verboten.
Im Namen der Religionsfreiheit war allen, die einen religiösen Dienst ausübten, jegliche Art der Kirchenzucht oder des sozialen Einflusses auf ihre Anhänger untersagt, eine Einschränkung, die zu häufigen Zusammenstößen und Meinungsverschiedenheiten führte.
Chen beschreibt auch die Methoden, sich in die Kirchen einzuschmuggeln. Man benutzte entweder Spione oder legte Schriftabschnitte ganz offen vom marxistischen Standpunkt her aus. Es war das ausdrückliche Ziel der Regierung, soviele Prediger und Evangelisten wie möglich auf ihre Seite zu ziehen, indem man die Bibel im marxistischen Sinne auslegte. Zu diesem Zweck wurden riesige Summen flüssig gemacht und der Drei‑Selbst-Bewegung zur Verfügung gestellt. Damit sollten die Führer umgeschult und der Glaube dazu gebracht werden, der Politik zu dienen.
Dieses aufschlußreiche Dokument zeigt deutlich, daß sogar Helen Willis in ihrem packenden Buch «Through Encouragement of the Scriptures« (Durch die Ermunterung der Schrift) unrecht hatte, als sie schrieb: »Diese Bewegung war von positiv zur Regierung eingestellten, modernen Intellektuellen der Kirche geplant und wird von ihnen kontrolliert.« Die Kirche hat sie weder geplant noch kontrolliert! Sie war eine Schöpfung der kommunistischen Regierung und von Anfang bis Ende von ihr kontrolliert durch die Beamten des »Büros für Religiöse Angelegenheiten«.
Die »Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung« war ganz offensichtlich keine spontane Schöpfung der Kirchen selbst. Waren ihre Führer zu blind, um dies zu erkennen, völlig überrumpelt von der durchdachten Überredungskunst und den ausgeklügelten Methoden der Kommunisten, oder einfach eingeschüchtert? Strohmänner waren sie unverkennbar. Wurden sie es aber bewußt oder unbewußt, freiwillig oder unfreiwillig?
Wang Ming‑tao war es trotz seines großen Leidens wenigstens erspart geblieben, an der Demütigung der letzten Enttäuschung und dem Mißerfolg der fünfzehnjährigen Bemühungen, die Kirche durch zweifelhafte Kompromisse zu erhalten, beteiligt zu sein.
Dieses bittere Kapitel der Kirchengeschichte lehrt uns zwei Dinge: Erstens, daß es immer richtig ist, fest auf den biblischen Grundsätzen zu beharren, ungeachtet der persönlichen Kosten. Es ist für einen Christen niemals richtig, seine Taten von reiner Zweckmäßigkeit bestimmen zu lassen. Gott wurde sicher mehr verehrt durch Wangs tapfere Haltung und die Gefangenschaft Nees und vieler anderer als durch die Einwilligung in angeblich notwendige Schritte, mit dem Ziel, die Kirche überhaupt funktionsfähig erhalten zu wollen.
Zweitens, daß es falsch ist, den kommunistischen Erklärungen und der Propaganda über Religionsfreiheit Glauben zu schenken. Die kommunistische Auslegung der «Freiheit des religiösen Glaubens« ist folgende: Diejenigen, die einer Religion glauben, haben ihre Freiheit, und die, die sie ablehnen, besitzen ihre religiöse Freiheit ebenso. «Du hast die Freiheit, das zu glauben, was dir gefällt, und wir haben die Freiheit, deinen Glauben anzugreifen«, sagen sie.
Mit diesem Grundsatz wurden Sonderschulungskurse für Pastoren eingerichtet, die ihre christliche Überzeugung erschüttern sollten. Wenn die Freiheit des religiösen Glaubens aber nicht die Freiheit einschließt, diesen Glauben gegen Angriffe zu schütz,‑n und ihn öffentlich zu bekennen, so ist sie bedeutungslos. Aber es ist ein unumstößlicher kommunistischer Grundsatz, daß ‑religiöse Tätigkeiten in die Kirche zurückkehren müssen«. Mit anderen Worten: Die Öffentlichkeit muß, koste es, was es wolle, vor jeder Art christlichen Bekehrungseifers geschützt werden. Das war die unaufhörliche Politik der Kommunisten in China und auch während der letzten zwanzig Jahre in Europa.
Es ist der Welt schon lange, ganz besonders aber seit der Kulturrevolution, klargeworden, daß die Freiheit des religiösen Glaubens« in den orthodoxen kommunistischen Ländern nicht das ist, was wir im Westen darunter verstehen. In China war sie nur ein Stück Schaufensterdekoration, um andere asiatische Nationen zu beeindrucken. Aber es war zu keiner Zeit beabsichtigt, die Ausübung der vollen Religionsfreiheit zu gestatten. Wo in der ganzen kommunistischen Welt gab es jemals eine echte, intellektuelle oder religiöse Freiheit?
Aber vielleicht nähert sich die Nacht ihrem Ende. In Europa, vor allem in der Tschechoslowakei, verspürten die Menschen, auch die Christen, für kurze Zeit die Befreiung von der stalinistischen Tyrannei. Mit der Zeit wird es auch russischen Panzern nicht mehr gelingen, die anschwellende Flut gegen die Gewaltherrschaft aufzuhalten. In China konnte selbst das Ungestüm der Kulturrevolution diejenigen nicht ausrotten, die für eine menschlichere Art des Sozialismus eintreten. Revisionisten und Liberalisierende sind immer noch stark vertreten. Vielleicht ist nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern auch in anderen kommunistischen Ländern, einschließlich China, der Tag der größeren Freiheit näher, als wir denken.

4. KAPITEL

KLEINE ANALYSE DES KOMMUNISMUS

Es ist äußerst wichtig, daß jeder ganz klar und objektiv darüber informiert ist, was Kommunismus oder Marxismus überhaupt ist. Es ist viel leichter, sich gefühlsmäßig von Geschichten über kommunistische Greueltaten und über das Leiden unter dem Kommunismus beeinflussen zu lassen, als sich eine objektive Einschätzung dieses mächtigen Systems anzueignen. So wahr solche Geschichten auch sein mögen, helfen sie uns kaum, die kommunistische Philosophie zu verstehen und das Verhalten der Kommunisten zu begreifen. Auch erklären sensationelle Geschichten nicht, weshalb so viele Millionen Menschen heute ihre Hoffnung auf ein besseres Leben mit den Versprechungen des Kommunismus verbinden. Wir stellten daher ein kleines Lexikon des Kommunismus zusammen. Es soll das Interesse am Lesen der umfassenden Literatur anregen, die es über dieses Thema gibt.

Karl Marx (1818 ‑ 1883)
war deutscher Jude und entstammte einer langen Ahnenreihe von Rabbinern, von denen er auch seine Klugheit erbte. Sein Vater verließ mit seiner Familie die Synagoge, um einer lutherischen Kirche beizutreten. In seinen Jugendjahren schrieb Karl, ein sehr aufgeweckter Junge, eine Broschüre über die Gemeinschaft mit Gott. An der Universität in Bonn verbrachte er ein stürmisches Jahr, gab seinen Glauben an Gott auf und erntete die Mißbilligung seines Vaters, der ihn als Egoist bezeichnete.
An der Berliner Universität verarbeitete er die dialektische These Professor Georg Hegels für seine eigenen Zwecke, indem er «Idee« durch «Materie« ersetzte. Wenn einer These eine Antithese gegenübergestellt wird, so endet diese Auseinandersetzung mit der Entdeckung einer Synthese. Und das ist nach Marx auch das Gesetz des sozialen Fortschritts des Menschen.
Nachdem er seinen Dr. phil. erhalten hatte, zog Marx nach Köln und später nach Paris. Dort heiratete er seine Jugendfreundin. In Paris wurde er Friedrich Engels vorgestellt, der sein lebenslanger Freund und Mitarbeiter wurde. Er studierte Wirtschaftslehre und kam zu dem historischen Schluß, die Wirtschaft sei die einzige Macht hinter dem dialektischen Fortschritt der Gesellschaft. Dieses Gesetz, das er wirtschaftlichen Determinismus (Vorherbestimmung) oder wissenschaftlichen Sozialismus nannte, beinhaltete für ihn die Vorstellung eines unvermeidlichen Fortschritts zu einer endgültigen, vollkommenen menschlichen Gesellschaft. Als er aus Frankreich ausgewiesen wurde, zog er nach Brüssel. Dort wurde sein «Kommunistisches Manifest« veröffentlicht und 1848 die erste Kommunistische Partei gegründet. Marx verlegte seinen Wohnsitz nach London und verbrachte dort den Rest seines Lebens. In persönlicher Hinsicht war sein Leben tragisch, doch schrieb und veröffentlichte er in London sein Hauptwerk: «Das Kapital«.

Wladimir Lenin (1870 ‑ 1924),
ein Russe, war der Mann, der die marxistischen Theorien in die Praxis umsetzte und dem vierunddreißig Jahre nach dem Tode von Marx die erste erfolgreiche Revolution glückte, die Oktoberrevolution von 1917.
Lenin hatte seit 1900 im Exil gelebt. Er und Trotzki waren verschiedener Meinung über Parteidisziplin und die Anwendung von Gewalt in der Revolution. Sie trennten sich schließlich 1912. Als Rußland dann vor einer Niederlage im Krieg gegen Deutschland stand, kehrte Lenin nach Rußland zurück. Trotzki versuchte dort schon, seine Art der Revolution durchzusetzen. Lenin wurde erster Präsident der neuen Republik, mit Trotzki als Außenminister.
Von 1918 bis 1921 tobte der Bürgerkrieg in Rußland, in dem die Kommunisten ausländische Truppen, die den Zar unterstützten, abwehrten. 1922 gründete Lenin die UdSSR.
Sein Beitrag zur kommunistischen Lehre bildet seine Untersuchung des Imperialismus als letzte Stufe des Kapitalismus vor dem Sieg des Sozialismus und den revolutionären Aussichten, die sich aus dieser Situation ergeben. Er starb 1924 an den Folgen der Verletzungen, die ihm bei einem Mordanschlag zugefügt worden waren.

Joseph Stalin (1879‑1953)
wurde vor der Revolution im Jahre 1917 sechsmal des Landes verwiesen. Auch er war sehr selbstherrlich und führte das Werk Lenins fort. Er verwirklichte den ersten Fünfjahresplan, führte die erste Landwirtschaftsrevolution 1922‑33 durch und führte die Kollektivierung der Landwirtschaft ein. Vom Ausland aus dirigierte er die neugegründete Kommunistische Partei Chinas seit ihrer Gründung im Jahre 1921, hatte dabei aber wenig Erfolg.
Die gelungene Verteidigung Rußlands gegen das nazistische Deutschland und die Siege von Leningrad und Stalingrad verhalfen ihm zu großem Ansehen, das die territoriale Ausdehnung Rußlands in der Nachkriegszeit erleichterte. Außerdem sicherte es ihm einen Schutzring kommunistischer Satellitenstaaten, dazu Ostdeutschland und Berlin.
,Stalinismus« wurde der Name für brutale Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Zehntausende wurden ohne Verhandlung nach Sibirien geschickt oder durch die Befehle Stalins zum Tode verurteilt, dessen übertriebener Stolz den Personenkult um seine Person förderte. In China gilt er heute noch als Held.

Nikita Chruschtschow (geboren 1894)
war derjenige, der 1956 Stalin anprangerte, seine Verbrechen aufdeckte, an die Macht kam und die Entstalinisierungspolitik einführte. Dafür erntete er den Haß der Chinesen. Er griff die christliche Kirche in Rußland heftig an. 1964 wurde er aus seinem Amt gedrängt.

Mao Tse‑tung (geboren 1893)
stammt aus Hunan in China. 1911 war er von einem Hügel aus Zeuge der Nationalistischen Revolution in Tschangscha und verschrieb sein Leben der Revolution.
Nach fünfjähriger guter Ausbildung wurde er Bibliothekarsassistent an der Universität von Peking. Er begann, sich für den Marxismus zu interessieren. Während er in Hunan Studentenzeitschriften herausgab, wurde er überzeugter Marxist. Bald nach der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas, 1921, erhielt Mao die Vollmacht, die Bauern seiner Heimatprovinz zu organisieren. Er unterstützte den Nord‑Marsch zum Jangtse-Fluß im Jahre 1926/27 und war in Tschangscha dabei, als es zum Bruch zwischen den Kommunisten und Tschiangkaischek und den Nationalisten kam.
Er führte den Herbstaufstand in Hunan an, erntete aber nur Kritik für seinen Mißerfolg. 1931 war er in den blutigen, erbarmungslosen Machtkampf verwickelt. Dabei begann er auch, seine Partisanenkriegstheorien vorzubringen, die sich auf die Taktiken von Sun Tsu (500 v. Chr) gründeten. Während der Einkreisung der Kuomintang in Kiangsi büßte er einen Teil seiner Autorität wieder ein, war aber einer der Helden des «Langen Marsches« von Kiangsi in Südchina nach Jenan, Schensi, im Norden Chinas im Jahre 1934/35.

Im folgenden Jahr gewann er die Kontrolle über den kommunistischen Parteiapparat und gab Ende desselben Jahres seine Zustimmung zur Entführung Tschiangkaischeks. Daraus folgte eine antijapanische Koalition mit den Kuomintang, die im September 1937 zum Ausbruch des Chinesisch‑Japanischen Krieges führte.
In den Jahren 1938 ‑ 1940 gelangen Mao seine größten literarischen Leistungen. Zur selben Zeit hatten auch seine Partisanenkriegstheorien Erfolg gegen die japanische Armee. 1942‑44 erreichte es Mao, die marxistischen Theorien und Praktiken in einer der ersten Säuberungsaktionen Chinas durchzusetzen. Dadurch erlangte er die Unabhängigkeit der Chinesen von Moskau.
1945 wurden die Gedanken Maos beim siebten Kongreß der Kommunistischen Partei Chinas zur offiziellen Richtlinie der Partei in den Nachkriegsjahren erklärt. Der Mao‑Kult begann zu blühen. In der Zwischenzeit trafen Mao Tse‑tung und Stalin ein Abkommen über ihre Politik. Als sich die japanische Armee dann ergab, fühlten sich die kommunistischen Armeen stark genug, die Kapitulation anzunehmen. Die nationalistischen Streitkräfte befanden sich ja weit weg von diesem Schauplatz im Westen Chinas.
Mao traf nun mit Tschiangkaischek in Tschungking zusammen, um mit ihm die weitere Entwicklung zu besprechen. Diese Gespräche verliefen jedoch erfolglos und führten zum erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges. In dessen Verlauf errangen die schwächeren, aber besser organisierten, idealistischen Streitkräfte der Kommunisten den Sieg über die zahlenmäßig überlegene Armee der anderen mit ihrer schwachen Kampfmoral und ihrer unzulänglichen Führung.
Nach der Besetzung ganz Chinas und dem Rückzug der nationalchinesischen Regierung nach Formosa hielten die Kommunisten im September 1949 die erste Zusammenkunft ihres «Politisch‑Konsultativen Volksrats« ab. Am 1. Oktober rief der Vorsitzende Mao Tse‑tung vom Tien‑An‑Tor« der Verbotenen Stadt in Peking die Gründung der Volksrepublik China aus. Im Dezember desselben Jahres traf Mao mit Stalin zusammen, um einen Freundschaftspakt abzuschließen.
Als Stalin 1953 starb, trat Mao dessen geistige Nachfolge an. Er kritisierte erbittert die «Entstalinisierungspolitik« Chruschtschows. Besonders heftig griff Mao die öffentlich erklärte Bereitschaft Rußlands an, die Revolution durch Gewalt zugunsten der friedlichen Koexistenz aufzugeben. Die Gewaltanwendung zur Erlangung des kommunistischen Zieles ist ein wichtiger marxistischer Lehrsatz, an dem China zäh festhält. Maos berühmter Ausspruch verdient es, in vollem Wortlaut wiedergegeben zu werden:
«Politische Macht kommt aus Gewehrläufen. Die zentrale Aufgabe und die höchste Form der Revolution ist die bewaffnete Machtergreifung, ist die Lösung des Problems durch den Krieg. Nur mit Waffengewalt kann die ganze Welt umgewandelt werden!«
Und so bewundert China auch weiterhin den in Mißkredit geratenen Stalin, dessen Ansehen Mao so stolz hochhielt. Das hatte Spannungen zwischen China und der UdSSR zur Folge, in denen Chruschtschow der Stein des Anstoßes war. 1958 kündigte Mao die Gründung der Kommunen und den großen Sprung vorwärts« an. Zwei Jahre später gab China das Scheitern des Planes zu. 1960 wurde China von der UdSSR und seinen osteuropäischen Satellitenstaaten öffentlich angegriffen. Der diplomatische Bruch zwischen China und Rußland hatte den Abzug aller russischen Berater und Techniker zur Folge. 1960 und 1961 waren für China harte Jahre des Hungers und der Versuche, Ersatz für den fatalen Verlust der technischen Hilfe der Sowjets zu finden. 1963 wurde der Abbruch der diplomatischen Beziehungen endgültig.
Um dem Schwinden seiner Autorität entgegenzuwirken, plante Mao 1965 die Große Sozialistische Kulturrevolution~. Ein Jahr später ließ er dann den revolutionären Kräften der Jugend Chinas, den Roten Garden«, freien Lauf. 1967 und 1968 waren Jahre des Aufruhrs, da sich China in zahlreiche rivalisierende Gruppen aufsplitterte, die nach Macht strebten und sich gegenseitig bekämpften. Obwohl sich alle zu Mao bekennen, gibt es auch eine starke Opposition.
Nachdem sich Mao von seinen extremistischen Freunden abgewandt und der Armee zugewandt hatte, gründete er Drei-Wege‑Allianzen, die ihrerseits Revolutionskomitees« aufstellten, um den alten Parteiapparat zu ersetzen.

Materialismus
bedeutet in der kommunistischen Sprache nicht die Liebe zu materiellen Dingen oder Weltlichkeit, sondern vielmehr die Philosophie, die erklärt, die materielle Welt, der wir angehören, ist die einzige Wirklichkeit« (Marx). Die Materie ist ewig, und der Verstand ist der höchste Ausdruck der Materie, nicht etwas von ihr Getrenntes. Das Universum kann nur durch wissenschaftliche Beobachtungen untersucht und verstanden werden. Deshalb schließt der Kommunismus die Wirklichkeit Gottes und des übernatürlichen aus und leugnet auch die Gottheit Christi. Er schließt jede Möglichkeit der Existenz einer Seele im Menschen, eines Weiterlebens nach dem Tode und eines zukünftigen Gerichts aus. Ebenso lehnt er das Bestehen irgendeines ewig geltenden moralischen Gesetzes ab. Der Atheismus ist daher die Grundlehre des Kommunismus, die seine eigenen umfassenden Ansichten über Universum, Mensch, Leben, Tod, Gesellschaft, Wirtschaft, Religion, Ethik und Kultur ersetzt.

Dialektischer Materialismus
ist die Grundlehre des Kommunismus. Sie sorgt als vorausgesetzte wissenschaftliche Erklärung der Geschichte für einen kommunistischen Ersatz des alleinigen Schöpfers und Herrschers der Menschheit. Der dialektische Materialismus setzt ein materielles Universum voraus, in dem für das übernatürliche kein Platz ist. Marx akzeptierte die ursprüngliche Annahme des deutschen Philosophen Georg Hegel (1770 ‑ 1831) an der Berliner Universität, der die natürliche Entwicklung der Idee als eine Art Debatte oder Argument betrachtete.
Ein allgemeiner Vorschlag oder eine Behauptung wird angefochten und gibt Anlaß zu einer Gegenbehauptung oder Antithese. Eine weitere Debatte vereinigt die Gegensätze in einer Synthese, die sofort zu einer neuen These wird. Dann wiederholt sich der ganze Prozeß von neuem. Marx macht diese Theorie zum Hauptpunkt der inneren Bedeutung der Geschichte. Sein eigener Beitrag war die Entdeckung, daß die Wirtschaft die Kraft ist, die dieses Gesetz der Bewegung in Gang bringt. Da der Grundfaktor der Existenz die Notwendigkeit ist, daß der Mensch, um zu leben, essen muß, dreht sich das ganze Leben um die Lebensmittelproduktion oder um die Herstellung solcher Güter, die gegen Nahrungsmittel ausgetauscht werden können.
Marx fuhr fort mit dem Beweis, daß die Geschichte immer eine Anzahl von Revolutionen hervorgerufen hat, die von Konflikten und Spannungen zweier Klassen herrührten, ‑ derjenigen, denen die Produktionsmittel gehören, und derjenigen, die dafür arbeiten müssen, sie aber nicht besitzen. Diese Tatsache ruft den historischen Fortschritt hervor« (de Koster). Graphisch dargestellt, verläuft der soziale Fortschritt in einer Vor‑ und Aufwärtsbewegung, aber nicht geradlinig, sondern in einem vorherbestimmten Zickzackkurs. Das ist der Rhythmus der Geschichte. Der Fortschritt endet in einer klassenlosen Gesellschaft, wenn der Staat verschwindet und der Mensch schließlich unter utopischen Bedingungen lebt.
Dieses Gesetz der Bewegung, von dem manchmal als wissenschaftlicher Sozialismus« gesprochen wird, soll so unantastbar sein wie die physikalischen oder astronomischen Gesetze. Wenn wir dieses Gesetz der Geschichte verstehen, können wir nicht nur die ganze Vergangenheit der Geschichte auslegen, sondern den zukünftigen Verlauf mit vollkommener Genauigkeit voraussagen.
Aber die Philosophie war für Marx nur ein reiner Wegweiser zur Tat. Indem der Mensch seine Taten mit diesem Gesetz in Einklang bringt, kann er das Entstehen einer vollkommenen, gerechten menschlichen Gesellschaft beschleunigen.

Die Geschichte der Gesellschaft
Der Marxist sieht sie als dialektischen Fortschritt von einer primitiven Stammesgesellschaft (kommunistisch) zu einer Sklavengesellschaft, von einer Sklavengesellschaft zum Feudalsystem (Lehnwesen), vom Feudalsystem zum Kapitalismus, vom Kapitalismus zum Sozialismus und schließlich vom Sozialismus zum Kommunismus. Dieser Verlauf war von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt: von der Entwicklung der Produktionsmittel und dem Kampf um ihre Kontrolle.
Der Mensch erhob sich vom Affenstadium dadurch, daß er Werkzeuge herstellte. Der Fortschritt war dann bestimmt von der sich entwickelnden Erfahrung in der Anwendung der Werkzeuge bei der Produktion und im Kampf, diese Werkzeuge zu besitzen und zu kontrollieren. Die Arbeit des Menschen schuf daher unsere Welt. Diese Geschichtsphilosophie, die auf dem dialektischen Materialismus aufgebaut ist, nennt man historischen Materialismus. Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus und das weltweite Wachstum des Sozialismus ermutigen die Kommunisten in ihrem Vertrauen zur Verläßlichkeit ihrer Prophezeiungen.

Klassenkampf
«Klassen« sind Bevölkerungsteile, die ihren Lebensunterhalt auf dieselbe Art verdienen. Zur Zeit von Karl Marx gab es grundsätzlich zwei Klassen: diejenigen, die Produktionswerkzeuge und Maschinen besaßen, die aber nicht an ihnen arbeiteten (die Kapitalisten), und diejenigen, die an ihnen arbeiteten, sie aber nicht besaßen (Arbeiter oder Proletarier). In der heutigen Zeit ist die Idee der zwei Klassen nicht so leicht zu rechtfertigen.
Das Entstehen von privatem Besitz führte zunächst zu Klassenkämpfen. Folglich bestand die Geschichte aus Klassenkämpfen, und der Höhepunkt der Klassenkämpfe, der Krieg, wird den gewaltsamen Sturz des kapitalistischen Systems zur Folge haben, damit die Arbeiterklasse herrschende Klasse werden kann und eine neue sozialistische Gesellschaft gründen wird: die Diktatur des Proletariats.
Beide, Marx und Lenin, bestanden darauf, daß eine Revolution immer mit Gewalt durchgeführt werden müsse. Den Höhepunkt bildet dann die klassenlose Gesellschaft und das Ende des dialektischen Fortschritts. Dann wird die wahre Geschichte erst beginnen. Die Spannung zwischen den Klassen erzeugt Dynamik, die einen weiteren Fortschritt auslöst. Dasselbe gilt auch für die Widersprüche innerhalb des Kommunismus, Auseinandersetzungen über Politik und die Konflikte zwischen Konservativen und Progressiven innerhalb eines Landes. Es ist wichtig, den Kampf« aufrechtzuerhalten, wenn der Fortschritt anhalten soll.

Sozialismus
Der Aufbau der Gesellschaft nach dem Fall des Kapitalismus als Folge der Revolution wird Sozialismus genannt. Er beinhaltet die totale Nationalisierung aller Produktionsmittel und eine geplante Produktion auf nationaler Basis. In diesem Stadium lautet der Grundsatz des Arbeitsentgelts: Von jedem nach seinen Kräften ‑ für jeden nach seiner Arbeit!«
Es ist klar, daß das Anspornungsmotiv im Sozialismus in den ersten Stadien noch vorherrscht. Aber wenn sich die Produktion steigert und für alle Überfluß da ist, so wird ein neuer Grundsatz eingeführt: «Von jedem nach seinem Können ‑ für jeden nach seinem Bedarf!« Das ist das Stadium des vollkommenen Kommunismus. Dann wird das Anspornungsmotiv nicht mehr benötigt.
Gegenwärtig befindet sich die Welt noch im sozialistischen Stadium, aber sie bewegt sich auf das Ziel des Kommunismus zu. China mit seinen Kommunen hat versucht, den Fortschritt zu beschleunigen, aber Mao hat sich vom Ökonomismus« abgewandt, weil dieser das Anspornungsmotiv in sich schließt, ein Schritt rückwärts in Richtung Kapitalismus ist «und dem kapitalistischen Weg folgt«.

«Das Kapital«
ist das Hauptwerk von Karl Marx und die Bibel des Kommunismus. Es wurde in drei Auflagen nach seinem Tode gedruckt: 1867, 1885 und 1894. In diesem Werk bestätigt Marx noch einmal den Inhalt des Manifests« (1848) und benutzt wirtschaftliche Argumente, um zu beweisen, daß der Kapitalismus unvermeidlich die Minderheit bereichert und die Mehrheit ausbeutet.
Die Hauptthese des Mehrwerts« macht geltend, daß der Wert jeder Ware in der menschlichen Arbeitszeit besteht, die zu ihrer Herstellung benötigt wird. Der Wert wird nur in der Arbeit gefunden.« Um einen Gewinn zu erzielen ‑ das ist der Grund, eine Fabrik zu besitzen ‑, bezahlt der Eigentümer (Kapitalist) den Arbeitern weniger, als ihre Arbeit wert ist. Der Überschuß aus dem Verkauf stellt dann seinen Profit dar. Da die Mechanisierung immer mehr um sich greift, werden weniger menschliche Arbeitskräfte eingestellt, und der Gewinn geht zurück. Um sich selbst zu entschädigen, muß der Eigentümer seine restlichen Arbeitskräfte noch mehr ausbeuten.
Die Umstände werden die Kapitalisten dazu zwingen, sich auf Zusammenschlüsse einzulassen, damit sich das Kapital in den Händen einiger weniger Monopolbesitzer konzentriert. So wird der Arbeiter durch die Wirkung des Arbeitsmarktes bis zum puren Existenzminimum ausgebeutet, während sich der Eigentümer auf Kosten der Arbeiter bereichert. Die zum Feind gemachten Arbeiter (oder Proletarier) beginnen einen zunehmenden Kampf gegen die Eigentümer (oder Bourgeoisie), bis der Zeitpunkt gekommen ist, an dem sie sich erheben und die Kapitalisten in einer gewaltsamen Revolution stürzen. Dann errichten sie die Diktatur des Proletariats, die wiederum den Weg zur endgültigen Beseitigung der Klassen und der Klassengesellschaft vorbereitet.
Marx macht in seinem Buch den Fehler, von isolierten Berichten aus zu verallgemeinern und objektive Wahrheiten durch subjektive Mythen zu ersetzen. Obwohl einige Theorien und Vorhersagen seines Buches nachweislich falsch sind, ist es trotzdem eines der einflußreichsten Bücher, die jemals geschrieben wurden.

Ethik
Da der Mensch nur ein soziales Produkt ist, betrachtet der Marxist die Kultur, Moral, Philosophie und Religion als das Produkt des wirtschaftlichen Stadiums, das die Gesellschaft zu irgendeinem Zeitpunkt erreicht hat«. Die Formen wirtschaftlicher Produktion bestimmen die soziale Existenz. Das ist ,wirtschaftlicher Determinismus« (Vorherbestimmung). Wir weisen daher jeden Versuch zurück uns ein moralisches Dogma irgendeiner Art als ewiges, endgültiges und für alle Zeiten unabänderliches Gesetz aufzubürden« (Manifest).
Der Mensch ist das Produkt wirtschaftlicher Kräfte. Was er glaubt, denkt und gern hat, seine religiösen Ideen, seine Philosophie und seine Ethik sind Ergebnisse der gegenwärtigen wirtschaftlichen Ara. Folglich sind alle moralischen Werte nur relativ. Sie entwickeln sich aus materiellen Bedingungen und befinden sich in einem Zustand anhaltender Wandlungen. Es gibt keine dauerhaften und unveränderlichen Grundsätze für das menschliche Verhalten. Und der Mensch trägt auch nicht die letzte Verantwortung für sein Verhalten. Das Klasseninteresse ist die Mutter der Ethik.~
Das Böse ist daher nicht im Menschen, sondern in einem fehlerhaften wirtschaftlichen System zu suchen. Darum braucht der Mensch als Individuum keine Erlösung. Religion, die ein Produkt der wirtschaftlichen Gegebenheiten ist, stellt ebenfalls eine Widerspiegelung des Klassenkampfes dar. In Revolutionszeiten besteht der einzige ethische Grundsatz in der Überlegung: Dient das, was ich tue, dem Klassenkampf? Fördert es die Sache des Kommunismus? Wenn ja, ist es richtig, wenn nein, so ist es ein Verbrechen gegen die Menschheit. Unser moralisches Verhalten ist den Interessen des Klassenkampfes völlig untergeordnet« (Lenin). Der Zweck heiligt immer die Mittel.
Das erklärt auch die Anwendung von Gewalt und Grausamkeit während des Kampfes um die Macht. Ist diese Macht gewonnen, so läßt ihr Gebrauch gewöhnlich wieder nach. Daraus erklärt sich auch die Rücksichtslosigkeit, mit der jedes Hindernis beseitigt wird, das sich dem Vordringen des Kommunismus in den Weg stellt. Gleichzeitig werden die Kommunisten aber aufgefordert, die Eigensucht einer Klassengesellschaft zu überwinden, ein beispielhaftes Leben zu führen, hart zu arbeiten und dem allgemeinen Wohl zu dienen.
Wenn Christen den Kommunismus ablehnen, sollten sie auch wissen, weshalb. Sie sollten sich zum Beispiel ganz darüber im klaren sein, daß das Christentum weder mit dem Kapitalismus noch mit irgendeiner Art von sozialer oder wirtschaftlicher Theorie verbunden ist. Christentum muß nicht unbedingt gegen soziale Experimente sein, die viel Lobenswertes an sich haben, was vor allem in unterentwickelten Ländern zum Ausdruck kommt. Chinas Leistungen auf diesem Gebiet sind bemerkenswert. Der Kommunismus war in wirtschaftlicher Hinsicht in Rußland und China zum Teil sehr erfolgreich, auch wenn einige westliche Wirtschaftsexperten mit diesen Wirtschaftstheorien nicht übereinstimmen mögen und schnell dabei sind, auf ihre Fehler hinzuweisen. Aber in diesen Punkten, in denen der Westen noch vor seiner eigenen Tür zu kehren hat, wird von Christen keine Verurteilung gefordert. Christen, die in Ländern mit kommunistischen Regierungen leben, müssen sich auf jeden Fall den bestehenden sozialen Anordnungen fügen und loyal unter dem vorherrschenden wirtschaftlichen System leben.
Auch in unseren westlichen Demokratien muß die Nation als Ganzes die Politik der regierenden Partei akzeptieren, auch wenn viele persönlich nicht mit dieser Politik einverstanden sind.
Der Christ wird nicht aufgefordert, Revolutionär im politischen Sinne zu werden, sondern das Salz der Gesellschaft zu sein, in der er lebt. Das Christentum kommt mit dem Kommunismus hauptsächlich wegen seiner nicht zu vereinbarenden Grund-Philosophie in Konflikt. Der Christ lehnt den Kommunismus als eine Lebensart auf ideologischer oder theologischer Basis ab. Er kann seinen Atheismus, Materialismus und auch die falschen Theorien, die er daraus ableitet, nicht akzeptieren.
Die kommunistische Leugnung des alleinigen Anspruches Jesu Christi auf den Menschen würde schon genügen, den Kommunismus aus diesem Grund abzulehnen. Außerdem sind die Rücksichtslosigkeit, der Haß, die unvermeidliche Tyrannei und die’, Einschränkung der persönlichen Freiheit die Hauptbestandteile der orthodoxen kommunistischen Praxis ‑für einen Christen verabscheuungswürdig.
Um den Kommunismus bekämpfen zu können, muß ein Christ den Glauben und die Praktiken seines kommunistischen Nachbarn oder Mitarbeiters kennen und außerdem wissen, was er selbst glaubt.
Die vorhergehende Zusammenfassung des orthodoxen kommunistischen Glaubens mag als Einführung in dieses wichtige Studium dienen.

5. KAPITEL
CHRISTENTUM UND KOMMUNISMUS UNVEREINBAR?

Es gibt in der ganzen Welt naive Menschen, die die guten Seiten des Christentums und des Kommunismus sehen und die Frage stellen: Kann ein Christ zugleich Kommunist sein?«
Die Antwort dazu muß lauten: Unmöglich! Man könnte ebensogut fragen: Kann man zugleich schwarz und weiß sein?«
«Aber der Dekan von Canterbury war beides, nicht wahr?«
«Bei allem Respekt vor ihm, der Dekan war ein irregeführter Mann und ein allzu williges Werkzeug seiner chinesisch‑kommunistischen Bekanntschaften.«
Aber es gab auch andere, die behaupteten, der Kommunismus sei das wahre Christentum mit seinem Drang nach sozialer Gerechtigkeit und den Rechten des Menschen, mit seinem intensiven Streben nach einer vollkommenen sozialen Ordnung, dauerhaftem Frieden und einer Welt, in der wir das Leben voll auskosten können. Sie behaupten sogar, die kommunistischen Länder besäßen eine höhere Moral als die christlichen Länder. Sie beseitigten alle organisierten Laster, das Glücksspiel und die Scheidung: Dinge, die ein schlechtes Licht auf die meisten westlichen Länder werfen. Was sagen Sie dazu?«
Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß der Kommunismus in seinen Anfangsstadien tatsächlich auf eine sehr straffe öffentliche Moral eingestellt ist, und das, was Sie nannten, trifft in China noch zum großen Teil zu. Aber in anderen kommunistischen Ländern wird es damit allem Anschein nach nicht mehr so genau genommen. Ich weiß, daß sie unsere gesunkene, Bourgeoistische Moral’ verachten. Aber es ist falsch, das Christentum mit bestimmten ethisdien Regeln oder einer bestimmten Art der sozialen Ordnung gleichzusetzen, obwohl es ganz eindeutig eine soziale und moralische Anwendung christlicher Wahrheiten gibt. Diese sind von höchster Wichtigkeit. Aber das Hauptanliegen des Christentums besteht nicht in sozialen Ordnungen oder sozialen Reformen.«
«Was ist dann das Hauptanliegen des Christentums?«
,Der lebendige Gott, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat, und die Beziehungen des Menschen zu Gott. Dem Kommunismus liegt natürlich daran, Gottes Existenz und folglich auch die geistliche Natur des Menschen zu leugnen. Statt dessen besitzt der Kommunismus eine Philosophie des Materialismus, die alles Übernatürliche wie Gott, Geist, Seele, das Leben nach dem Tode, Himmel und Hölle völlig ausschließt.«
«So kann man Christentum und Kommunismus nicht vereinbaren?«
«Genau das. Und die Kommunisten sind selbst die ersten, die darauf bestehen. Kommen wir doch einmal auf die Propheten des Kommunismus zu sprechen: Karl Marx erklärte, daß die materielle Welt, der wir angehören, die einzige Wirklichkeit ist’. Auf das Argument, z. B. der Verstand sei von der Materie getrennt, antwortete Marx: Nein! Der Verstand ist nur das höchste Produkt der Materie, und er leugnet gleichzeitig die Möglichkeit eines allerhöchsten Verstandes’, der die Welt geschaffen hat und regiert. Daraus folgt, daß es keinen Gott gibt.
Friedrich Engels, sein bester Freund und Mitarbeiter, drückt seine Meinung so aus: jede Religion ist eine unaussprechliche Anmaßung!’
Douglas Hyde, ein ehemaliger Kommunist und zeitweise Nachrichtenredakteur des Daily Worker, sagte: Der Kommunismus behauptet nicht nur: Es gibt keinen Gott.’ Und fährt mit den Worten fort: Der Mensch muß in der ganzen Welt dazu gebracht werden, seinen Glauben an Gott aufzugeben!’
,Religion’, so argumentierte Marx, ist Opium für das Volk, weil sie wie Opium das Gefühl für gegenwärtige Schmerzen und soziale Mißstände betäubt. Außerdem schafft sie eine nicht existierende Traumwelt eines kommenden Himmels. Deshalb ist sie ein eindeutiges Hindernis für soziale Veränderungen, da sie die Menschen dazu verführt, den derzeitigen Zustand stillschweigend hinzunehmen.«
«So glauben Sie, es sei nicht möglich, sowohl Christ als auch Kommunist zu sein?«
«Ja, denn das ist ganz offensichtlich. Beide Auffassungen wirken einander entgegen. Die eine schließt die andere aus. Dr. Fred Schwartz sagte: Kommunismus ohne Atheismus wäre wie ein bösartiges Geschwür ohne Bösartigkeit, was sich widerspricht.’ Entweder ist die eine richtig oder die andere. Beide können es nicht sein. Der Christ kann in seiner Denkweise keinen Platz für den militanten Atheismus von Marx und Mao finden, und auch der Kommunismus hat im Materialismus keinen Platz für den Idealismus ‑ die höchste Stufe der Idee und auch nicht für die Vorstellung eines allerhöchsten Verstandes’ und die Wirklichkeit Gottes als Schöpfer. Auch wenn man nur die Möglichkeit ins Auge faßt, ein praktizierender Kommunist zu werden und trotzdem überzeugter Christ zu sein, fordert dies entweder äußerste Selbsttäuschung oder eine grenzenlose Unkenntnis des Christentums oder des Kommunismus.«
Als die Roten Garden« ihre Plakate mit dem Schlachtruf «Hängt Gott!« in Schanghai verteilten, erklärten sie eindeutig, was die chinesischen Kommunisten, ebenso wie die Marxisten, immer glaubten: Alle Religion ist Aberglaube und muß im Interesse der Wahrheit ausgerottet werden.
Ihre frühere Toleranz den christlichen Kirchen Chinas gegenüber war nur eine ausgeklügelte Taktik, um ihre endgültige Zerstörung zu erreichen. Die Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung’« stellte nur einen Galgen dar, an dem nicht nur Gott, sondern auch die gesamte christliche Kirche Chinas aufgehängt werden sollte. Sie war ein kommunistisches Komplott zur Versklavung der Kirche, zur Untergrabung des christlichen Glaubens und zur Vorbeugung gegen ein wirksames Zeugnis von Christus innerhalb der chinesischen Gesellschaft.
Diese Wahrheit kam ans Licht, als die Kulturrevolution schließlich die Kirchentüren versperrte und die Führer der Drei-Selbst‑Bewegung« ins Gefängnis oder in Arbeitslager brachte. Auch wenn die Bewegung zeitweise wieder ins Leben gerufen würde, könnte niemand mehr im Zweifel über die eigentliche Absicht des Kommunismus sein. Die Worte Religion« und ,Aberglaube« verschwanden nie aus den Schlagzeilen der chinesischen Presse. Der energische Angriff gegen beide wurde von sehr befähigten Schreibern geführt.
Es gab aber auch andere Gründe für die vorübergehende Bildung der Drei‑Selbst‑Bewegung«. Sie sollte den Haß gegen die Missionare ausdrücken, indem sie alle Beziehungen zu ihnen abbrach. Außerdem diente sie dem Zweck, Patriotismus über jede andere Loyalität zu stellen, ganz gleich ob familiärer oder religiöser Art. Darüber hinaus sollte sie das übrige Asien in bezug auf religiöse Dinge in eine falsche Sicherheit wiegen.
Die asiatischen Länder leiden im allgemeinen unter schwachen, korrupten Regierungen. Deshalb kann die Bevölkerung auch nicht den Lebensstandard erreichen, der möglich wäre. Verspricht Chinas Beispiel des wirtschaftlichen Fortschritts nicht, daß der Kommunismus die Antwort auf dieses Problem ist? Die asiatischen Länder würden die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile begrüßen, deren China sich zu erfreuen beginnt. Aber Hindus, Buddhisten und Moslems hegen alle denselben Argwohn gegenüber dem bekannten Atheismus des Kommunismus. Würden sie diese Pille als Preis für den Fortschritt schlucken müssen?
Das ist genau das Problem und das Haupthindernis für den chinesischen Kommunismus im Ausland. Auf der Afro‑Asiatischen Konferenz 1955 in Bandung versicherten die Delegierten noch einmal, eines der grundlegenden Prinzipien zur friedlichen Zusammenarbeit unter den Völkern sei der Glaube an einen Gott.
So begannen die kommunistischen Führer Chinas, Asien zu überzeugen, der Kommunismus sei allen Religionen gegenüber tolerant. Die Propaganda erzählte den Moslems überall, ihre Glaubensgenossen in China seien frei und die Moscheen unbelästigt. Im Mai 1961 wurde der Staatsbesuch einer buddhistischen Delegation nach China publik gemacht, die gekommen war, um eine heilige Reliquie nach Ceylon zu begleiten. Bei ihrer Rückkehr nach China sollte sie in einer neuen Pagode untergebracht werden.
Solche kommunistischen Täuschungsmanöver sollten Moslems und Buddhisten glauben machen, ihre Glaubensgenossen in China erfreuten sich völliger Freiheit. Auch die christlichen Kirchen in Peking, Schanghai und Nanking dienten dazu, Besuchern vorzuspiegeln, es gäbe die Glaubensfreiheit der Christen in China tatsächlich. Die diesbezügliche Propaganda verleitete 1960 viele chinesische Christen zur Rückkehr nach China, als sich in Indonesien für sie Schwierigkeiten ergaben. Sobald sie jedoch in China angekommen waren, bereuten sie ihre Entscheidung. Ein junge schrieb: Gerade bin ich angekommen, aber es gibt hier keinen Ort für einen Gottesdienst, der außerdem auch gar nicht möglich wäre. Mein geistliches Leben ist nun sehr schwach … betet, daß wir wieder an einen Ort zurückkehren können, an dem es eine Kirche gibt!«
Ministerpräsident Tschu En‑lai besucht auf seinen Auslandsreisen häufig Tempel und Moscheen, um den Eindruck zu erwecken, che Kommunisten respektierten die Religion und könnten schließlich gar nicht so antireligiös eingestellt sein. Sorgfältig ausgewählte, verläßliche christliche Führer wurden zu ähnlichen Missionen in europäische und asiatische Länder geschickt. Diese vorsätzliche Bagatellisierung der kommunistischen, atheistischen und antireligiösen Politik für den Auslandsgebrauch ist nur ein Teil des großen Verrats, eine Taktik im Kampf um die Weltherrschaft und die große Lüge, die vielfach wirklich geglaubt wird.
«Würden Sie sagen, daß die Ereignisse die schlimmsten Befürchtungen der chinesischen Christen bestätigten und die unumstößliche Haltung der Männer von der Art eines Wang Ming‑tao rechtfertigten?«
,Zweifellos! Sie verliehen auch den vielen Vorstößen ausländischer Einzelpersonen und Gruppen vieler konfessioneller, nationaler und politischer Schattierungen bestenfalls einen naiven und schlimmstenfalls einen lächerlichen Beigeschmack. So wie die Dinge liegen, konnte durch einen Dialog zwischen Mitgliedern einer von Kommunisten geschaffenen und kommunistisch dirigierten religiösen Organisation wie die Patriotische Drei-Selbst‑Bewegung und einzelnen oder Gruppen aus anderen Ländern, die völlig freie Kirchen und Organisationen repräsentierten, überhaupt nichts erreicht werden.
Es ist tragisch, daß die chinesischen und russischen Kommunisten Christen nicht als gute und loyale Bürger betrachten und sie bei der Ausübung ihrer Religion hindern. Für die Kommunisten sind sie Konterrevolutionäre, die man nicht in Frieden lassen darf. Orthodoxe Kommunisten betrachten alle Religionen, und ganz besonders die christliche Religion, als erbitterte Feinde und als Haupthindernis auf dem Weg zu ihrem Ziel. Man denke nur an die jüngsten Geschehnisse in Tibet, wo sich der kommunistische Religionshaß in der bisher scheußlichsten bekannten Form an einem ganzen Volk demonstriert. ‑ Ihre grundlegende Unvereinbarkeit ist trotz vieler Gemeinsamkeiten total.«
, «Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß ein Christ nicht Kommunist sein kann. Aber ein Christ verurteilt den Kommunismus doch bestimmt nicht Im ganzen?«
«Darauf möchte ich antworten, daß man sowohl den christlichen Glauben als auch den Kommunismus als Ganzes betrachten und dann ein Urteil darüber abgeben muß. Es geht nicht, nur bestimmte Teile des Glaubens anzunehmen und andere abzulehnen. Denn der christliche Glaube ist eine zusammenhängende Einheit, und als solche steht oder fällt er auch. Mit dem Kommunismus ist es nicht anders. Er hat sein eigenes Dogmensystem, und niemand besitzt die Freiheit, einige Punkte anzuerkennen und die anderen abzulehnen. Das war vielleicht der Fehler des Dekans von Canterbury. Er dachte, es sei möglich, die sozialen und wirtschaftlichen Theorien des Kommunismus anzuerkennen, den zugrundeliegenden Materialismus zu umgehen und sich einen Kommunisten zu nennen. Das war natürlich eine Täuschung.«
«Würden Sie dann die sozialen und wirtschaftlichen Theorien des Kommunismus überhaupt gelten lassen?«
«Meiner Meinung nach kommen wir hier auf einen wichtigen Punkt zu sprechen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, was für einen Christen am Kommunismus abzulehnen ist und was an ihm ein Urteil über die nichtkommunistische Welt und eine Herausforderung an die Kirche darstellt.«
«So sehen Sie doch etwas Gutes am Kommunismus?« ‑ «Ja! Wirklich! Denn ich betrachte den Kommunismus als eine Fälschung des Christentums!«
«Das ist ja interessant. Und inwiefern?«
«Nun, als erstes haben Christentum und Kommunismus ein vergleichbares Ziel. Der Kommunismus wie das Christentum treten für die Armen und Geringen ein und sind der gleichen Meinung, ihr Glaube sei für alle da. Die Propheten des Alten Testaments sagten eine Zeit in der Weltgeschichte voraus, in der die Menschen keine Kriege mehr führen, ihre Schwerter in Pflugscharen’ verwandeln, in der jedermann in seinem eigenen Weinberg’ und unter seinem eigenen Feigenbaum’ wohnt und in der ein König in Gerechtigkeit’ regiert: eine Vision des zukünftigen Königreichs Christi. Später lehrte jesus Christus seine jünger zu beten: Dein Reich komme! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!’ Und die Apostel wußten um den auf Erden regierenden Christus.
Die Kommunisten versuchten seit der prophetischen Vision von Karl Marx, auf dieser Erde eine Welt mit einer gerechten Gesellschaft, frei von aller menschlichen gegenseitigen Ausbeutung zu gründen. Es sollte eine Welt sein, in der der Krieg verboten ist und der Mensch die Freiheit hat, sein Vermögen und seinen Verstand dafür einzusetzen, daß die Kräfte der Natur zum Wohl des Menschen nutzbar gemacht werden. Der Unterschied besteht darin, daß die Kommunisten ein Reich des Menschen und kein Reich Gottes erreichen wollen. Aber der Kommunismus ist ein Glaube, der dem lebensüberdrüssigen Menschen in einer Welt des Krieges, Hungers, der Feindschaft und der Furcht aussichtsreiche Versprechungen macht.«
«Das erklärt das große soziale Interesse aller Marxisten, ob sie nun sozialistisch oder kommunistisch sind.«
«Ja. Soweit die Kommunisten aufrichtig um soziale Gerechtigkeit, angemessene Verteilung des Wohlstandes und um die Verteidigung der Benachteiligten bemüht sind, müssen die Christen die deutliche Übereinstimmung fühlen, auch wenn sie die unehrenhaften, gewalttätigen Methoden ebenso deutlich ablehnen, die die orthodoxen Marxisten zur Veränderung der Gesellschaft für notwendig halten.«
«Was ist der andere Vergleichspunkt?«
«Ich glaube, daß die beiden Systeme auch in historischer Hinsicht vergleichbar sind. Die Propheten des Alten Testaments brachten das Zeitgeschehen mit der Absicht und dem Willen Gottes in Verbindung. Sie betrachteten Gott als aktiv in der Geschichte. Die Eschatologie des Neuen Testaments unterstreicht nur die Tatsache, daß der alleinherrschende Gott einen ewigen Plan hat, den er jetzt in der Zeit auf diesem Planeten durchführt. Dieser Plan wird mit der Rückkehr Christi und einem neuen Himmel und einer neuen Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt, enden. Und der dialektische Materialismus wird als eingebautes Gesetz betrachtet, das das Vorwärtsschreiten einer Gesellschaft auf einem dialektischen Pfad, der auf eine zukünftige diesseitige Welt zugeht, bestimmt.«
«Jetzt ist mir klar, wie diese beiden Begriffe parallel zueinander verlaufen.« – «Außerdem wenden die beiden Systeme vergleichbare Methoden an.«
«Das stimmt aber nicht. Nach allem, was ich über Gehirnwäsche, Folterung, Mord und Gewalttätigkeiten von den Kommunisten gehört habe, kann man diese Methoden überhaupt nicht mit denen des Christentums vergleichen!«
«Sind Sie da sicher? Denken Sie doch einmal an die Kreuzzüge mit ihrem Blutvergießen, die Inquisition und die grausamen Folterungen, an das Martyrium der Katholiken und Protestanten in Großbritannien während der Reformation und Gegenreformation. Außerdem gab es noch den Dreißigjährigen Krieg und andere Religionskriege, die die Seiten der Geschichte beflecken. Christen sollten vorsichtig sein, wenn sie mit dem Finger auf die Kommunisten zeigen. Das soll aber keine Entschuldigung für die erwiesenen kommunistischen Greueltaten sein. Ihre Begründung dafür lautete, daß vor dem Paradies auf Erden Trübsal kommen muß’. Diesen Ausspruch entnahmen sie aber nicht dem christlichen Sprachgebrauch. Sie behaupten, bevor die vollkommene menschliche Gesellschaft entstehen kann, muß die alte Gesellschaft mit Gewalt und Trübsal zerstört werden. ‑ Aber das meinte ich nicht, als ich von Methoden sprach.
Zu Beginn des kommunistischen Regimes in China wandten die Kommunisten Methoden an, die sich fast mit denen decken, die Christen bei Evangelisationen unter einzelnen und bei großen Versammlungen anwenden. Sie hatten ihre eingegebenen Schriften in den Werken von Marx und Lenin. Diese verkündeten sie bei öffentlichen Zusammenkünften und in privaten Studiengruppen. Ihr Ziel war, ein Schuldgefühl über die Dinge der Vergangenheit zu erzeugen und Selbstkritik’ zu erwecken. Daraus sollte eine Säuberung des Geistes von allen falschen Ideen, vgl. Gehirnwäsche, folgen, um den Weg für neue Ideen freizumachen.
Das Wort Buße, Umdenken, hat eine ähnliche Bedeutung. Daraus sollte wiederum eine Veränderung entstehen, die sowohl einzelne als auch Kirchen erfahren könnten. Daran sieht man, wie die Kommunisten den christlichen Ausdruck Wiedergeburt’ entlehnten. Danach sollte der Bekehrte aktiver Propagandist (Zeugnis) für seinen neuen Glauben werden.
Ein katholischer Priester in China berichtete von den erstaunten Worten einer Nonne: Vater, sie benützen unser Unterweisungssystem zur Lehre des Kommunismus!’ Beichte und Buße werden in der Tat eifrig von allen praktiziert.«
«Das ist ja erstaunlich! Gibt es noch andere Ähnlichkeiten?«
«Ja, vielleicht die bemerkenswerteste von allen: Die beiden Glaubensrichtungen erheben dieselben Ansprüche für sich. Ebenso wie das Christentum eine revolutionäre Religion darstellt, da es die Macht hat, Menschen radikal zu verändern und damit auch das häusliche Leben und die Gesellschaft als Ganzes; so behaupten auch die Kommunisten, sie könnten die menschliche Natur verändern. Was am Kommunismus dynamisch ist, weist deutliche christliche Nebentöne auf.
Während der Christ glaubt, daß die Änderung des Menschen die Änderung der Gesellschaft hervorruft, ist der Kommunist davon überzeugt, daß man den Menschen erst durch die Änderung der Gesellschaft ändert. Seiner Meinung nach liegt das Böse nicht im Menschen, sondern im System. Um seine Ansicht zu beweisen, führt er an, daß Dinge wie Prostitution, Diebstahl, Korruption u. ä. ausgerottet wurden, indem man sie wirtschaftlich überflüssig machte. Und er glaubt, daß eine neue Menschenrasse aus der Asche der verdorbenen, kapitalistischen Zivilisation entstehen wird.«
«Das ist ohne Zweifel eine außergewöhnliche Behauptung. Und ich verstehe jetzt auch, was Sie mit der Behauptung meinten, der
Kommunismus sei eine Fälschung des Christentums.«
«Ja, in meinen Augen ist der Kommunismus ein Meisterstück teuflischer Täuschung. Ein Mitarbeiter des Spectator’ drückte es einmal so aus: Die gefährlichsten Widersacher des Christentums waren immer diejenigen, die Ähnlichkeiten oder Geistesverwandtschaft mit ihm hatten … Dasselbe trifft vielleicht auch auf die Kraft und die Herausforderung des Kommunismus zu.«
Ich bin deshalb völlig anderer Meinung als die, die behaupten, der Heilige Geist arbeite im Kommunismus. Ganz im Gegenteil kann man durch die ganze Geschichte der Bibel hindurch die Spur der Irreführung Satans bei den Menschen verfolgen, weniger durch das, was ausgesprochen böse ist, als durch das, was gut zu sein scheint. Die allererste Versuchung war nicht, eine unmoralische Handlung zu vollziehen, sondern das zu probieren, was gut anzusehen war, gut im Geschmack und vielleicht Weisheit spendend.
Wenn man so darüber nachdenkt, ist da vielleicht der Grund zu suchen, weshalb die unzulänglich regierten, hungernden Menschen in Lateinamerika, Afrika und Asien den Kommunismus so anziehend finden. Er bietet so viel Gutes. Die jungen bewundern seinen Realismus und sein Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Sein Erfolg beim Überwinden von politischer Korruption ist beeindruckend. Die völlige Hingabe seiner Anhänger, um das Ziel der Weltherrschaft zu erreichen, und ihre Selbstaufopferung finden keine Parallele. Auch seine praktischen wirtschaftlichen Erfolge sind beachtlich. Ist es daher verwunderlich, wenn sogar die Christen in Asien und Afrika sowie in Lateinamerika enttäuscht und verwirrt sind, wenn Missionare am Kommunismus Kritik üben?
Aber es bringt ohne Zweifel Unheil, wenn man von der verbotenen Frucht ißt. Die Gefahr liegt in der allgemeinen Unkenntnis der Folgen, die sich für den Christen praktisch aus dem Kommunismus ergeben. Für Länder wie Südafrika z. B., in denen die Furcht vor dem Kommunismus unter der weißen Bevölkerung nahezu hysterische Formen annimmt, ist es wichtig, das Ganze auf objektive und ausgeglichene Art zu betrachten. «
«Ja, das stimmt!«
«Ich möchte dem noch hinzufügen, daß die Leistungen Chinas auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet innerhalb der letzten zwanzig Jahre erstaunlich sind. Aus dem Nichts und zuletzt ohne russische Hilfe wurde China Atommacht. Es hatte auch genügend Mittel, um überall, sogar bis in die hügeligsten und verlassensten Gegenden im Südwesten und Nordwesten, ein Eisenbahnnetz aufzubauen, ein ausgedehntes Wasserversorgungsnetz zu konstruieren und eine moderne Industrie zu schaffen. Schon immer waren die Chinesen hervorragende Bauern. Die modernen, wissenschaftlichen Methoden ließen die Produktion sehr schnell ansteigen und sicherten allen einen annehmbaren Lebensstandard. Und das trotz der Rückschläge von 1950‑1960 und dem Terror der Kulturrevolution.
Nicht Indien, sondern viel eher China ist Gegenstand des Neides der anderen asiatischen und vielleicht auch der afrikanischen Länder. Es ist deshalb für Asiaten und Afrikaner äußerst notwendig, ihre Augen offen zu halten, damit sie nicht nur die materiellen Vorzüge, sondern auch die Nachteile sehen, die der Kommunismus mit sich bringt.
Etwas wäre noch zu erwähnen. Wir machen leicht aus der Demokratie in den USA und Europa einen Fetisch. Dasselbe gilt auch für das westliche «Ein Mann ‑ eine Stimme«‑System und die auf diese Weise gebildeten Regierungen, die als Allheilmittel für alle Mißstände und als Grundrecht für alle Völker betrachtet werden. Aber in Wirklichkeit ist die westliche Art der Demokratie für Afrika oder Asien vielleicht gänzlich ungeeignet. Dort ist die väterliche Herrschaft Tradition und eine autoritäre Regierung wie der Kommunismus für die Bevölkerung ganz annehmbar. Eine derartige Regierung wurde in Afrika gewöhnlich nach Erreichung der Unabhängigkeit eingeführt. Und sie herrscht auch in Asien vor.
Wir kritisieren den Kommunismus daher nicht deshalb, weil sich seine spezielle Art der Regierungsform von der unsrigen unterscheidet.«
,Sie sehen also den Kommunismus als eine sehr geschickte teuflische Täuschung. Aber ist er nicht gleichzeitig eine Herausforderung ungeheuren Ausmaßes an die christliche Kirche?«
«Ja, gewiß! Paul Lehmann sagte in der siebten jährlichen John Knox Lecture: Der Kommunismus ist eine christliche Irrlehre im fortgeschrittenen Stadium der Säkularisierung. Bestimmte Ziele, Werte und Gedanken, die den Kern des Christentums bilden, wurden von den Kommunisten übernommen und in Ziele, Werte und Gedanken umgewandelt, die den Kern des Strebens nach voller Humanisierung, allein aus menschlicher Kraft, bilden.’
Und das ist die größte Herausforderung des Kommunismus!«

6. KAPITEL
KOMMUNISMUS KONTRA CHRISTUS
Auch ein Marxist ist ein Mensch, für den Christus starb. Er ist das Opfer dessen, «der die ganze Welt betrügt«. Wenn wir Christus kennen, haben wir deshalb die Pflicht, auch dem Marxisten Christus als Antwort auf das menschliche Dilemma zu bringen. Die Ablehnung des Systems, das er vertritt, sollte keinen Haß gegen den Mensdien aufkommen lassen auf Kosten der drängenden Liebe Christi zu allen Menschen.
Kommunisten, die sich von ihrer Lehre ab‑ und Gott zuwandten, sdirieben dies für gewöhnlich der Liebe Gottes zu, die sich im Leben seines Volkes äußerte. Sehr selten wurden sie durch Beweisgründe dazu gebracht. Trotzdem muß der Christ darauf vorbereitet sein, «jedem eine Antwort über die Hoffnung zu geben, die in ihm ist«. Das gilt vor allem den Marxisten gegenüber, deren Behauptungen so einleuchtend sind. Missionare, die in Ländern arbeiten, für die der Kommunismus eine Bedrohung darstellt, müssen beim Unterrichten der Bevölkerung in diesem Punkt völlig sicher sein. Diese Mensdien sind oft benachteiligt, nicht zuletzt durch eine schlechte Regierung. Daher fühlen sie sich von den Versprechungen des Kommunismus besonders angezogen.
Es wäre unsinnig, zu leugnen, daß wir uns in einem Zeitalter der Revolution befinden. Das 20. Jahrhundert wird sicherlich als das Jahrhundert der Revolution in die Geschichte eingehen. Offensichtlich ist mit der mensdilidien Gemeinschaft etwas von Grund auf nicht in Ordnung. Und die jungen Menschen sind mit dieser Lage nicht zufrieden. Studenten in der ganzen Welt lehnen sidi gegen die derzeitigen Zustände auf. Die mensdilichen Beziehungen können das Gleidigewicht zu den spektakulären Fortsdiritten in der Wissenschaft nicht halten. Familiäre, rassische und internationale Beziehungen sind tragischer und schwieriger als je zuvor. Die Christen teilen daher mit den Kommunisten die große Sorge um die Zukunft der Mensdiheit. Wir sehnen uns alle nach einer Lösung. Aber das ist auch das einzige, was wir gemeinsam haben.

Der Kommunismus kann das Leben nicbt gänzlich ausfüllen
Professor Arnold Toynbee sagt: Der Kommunismus ist die Verehrung der kollektiven Madit der Mensdien, die die Verehrung Gottes ersetzt.« Als Christen halten wir daher die kommunistische Lösung des Weltproblems hauptsächlich aus dem Grund für falsch, weil sie von den falsdien Voraussetzungen ausgeht und ein falsches Vertrauen in die geistigen Kräfte des Menschen setzt. Die Behauptung, der Mensch brauche als erstes Nahrung, und der Kampf, den unmittelbaren Hunger des Menschen zu stillen, sei der Sinn der Geschichte, geht daher von einer verkehrten Annahme aus.
Gerade diesen rohen Materialismus und die Verneinung jedes geistlidien Wertes lehnt der Christ ab. Nach fünfzig Jahren findet selbst die kommunistische Welt heraus, daß die Revolution nicht der einzige Schlüssel zur Zukunft ist. Professor j. L. Hromadka aus der Tschechoslowakei sagte in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution: «Soziale Erneuerung genügt nicht, um das Leben gänzlich auszufüllen … Die soziale, wirtschaftliche oder politische Erneuerung allein garantiert nidit automatisdi die Geburt eines sozialistisdien Mensdien, sein Wachstum oder die Fülle des Lebens. Es ist interessant zu beobachten, daß sich intelligente, verantwortungsvolle Kommunisten heute zum großen Teil mit dieser Frage beschäftigten.«
Ilja Ehrenburg, der 1944 den Lenin‑Preis verliehen bekam, schrieb in seinen Memoiren «Menschen, Jahre, Leben«, Band II: «Der Mensch (das ist meine theologische überzeugung) kann nidit nur in soziale, wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche oder technische Gruppen eingeteilt werden. Er ist ein gewisses Geheimnis, das alles übertrifft, was wir Menschen in unseren Händen haben und über das wir nach unserem eigenen Willen verfügen können.« Der Christ antwortet darauf, daß wir zuerst Gott voraussetzen müssen, wenn wir den Menschen verstehen wollen.
Der idealistische russische Philosoph Nikolaus Berdjajew schreibt in «Der Gott unsrer Zeit«: Wo kein Gott ist, ist auch kein Mensch!«
Die heutige Welt hungert nach Gott, nach einem Lebeii, das wirklich, persönlich und zufriedenstellend ist. Der Mensc’,l ist eine göttliche Schöpfung, nach dem Bilde Gottes gemacht. Er besteht sowohl aus Körper als auch aus Seele. Hier passen Augustliis Worte: «Du hast mich für dich gemacht. Mein Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir!« In jedem Menschen befindet sich ein «gottförmiger« Hohlraum, den nur Gott ausfüllen kann. Der Mensch lebt nicht vorn Brot allein. Sein wirkliches Lebeii stammt von Gott und muß darum von Gott eriiährt werden. Während der Marxismus von einer rein rationalistisdien Hypothese abgeleitet wird, gründet sich das Christentum auf die Offenb‑.trung eines persönlichen Gottes.

Der einzelne ‑ nur ein Mittel zum Zweck
Der marxistische Irrtum, Gott zu verneinen, hat ein falsches Verständnis des Menschen zur Folge. Für den Marxisten ist er nur ein soziales Produkt, das in der Natur verwurzelt ist. Die Gesellschaft, nicht der Mensch, ist die wirkliche Einheit, in der der einzelne nur ein Element darstellt. Der Mensch wird zum Rädcl‑len der riesigen, seelenlosen Maschine. Der einzelne ist daher entbehrlich ‑ und nur Mittel zum Zweck. Das ist Ausbeutung in ihrer schlimmsten Form. Im Gegensatz dazu verleiht ihm die Vorstellung des Menschen als göttliche Schöpfung die Würde, die der Marxist leugnet.
Der Mensch verkörpert kein Produkt materieller Kräfte, sondern er stammt von Gott. Die Natur ist für den Menschen geschaffen und nicht der Mensch für die Natur. Dabei leugnet das Christentum nicht, daß der Mensch ein soziales Wesen ist. Denn das Neue Testament lehrt, daß der Mensch in der Gesellschaft, vor allem in der christlichen Gesellschaft, der Gemeinde, zui‑ri vollen Menschentum gelangt. Im Christentum wird das Materielle durch das Geistliche nicht ausgeschlossen, während der Kommunismus das Geistliche streicht und nur das Materielle übrigläßt.
Willlam Temple sagte einmal: «Das Christentum ist die niateriellste Religion«, weil Gottes Sohn Mensch wurde. Christus würdigte das Menschentuni, indem er selbst Mensch wurde und damit eine neue Rasse christusähnliclier Menschei schuf: die erlöste menschliche Gesellschaft. Was ist der Mensch~ Dies keiii,.zeichnet die wahren Grenzen der Welt.

Die Schuldfrage wird übergangen
Als Karl Marx die Religion seiner jüdischen Vorfahren und die später angenommene christliche Religion ablehnt,‑, suclite er ini dialektischen Materialismus ein Gegenstück zur göttlichen Herrsch.tft in der Geschichte. Er suchte eine pantheistische Vorstellung des Universums und eine mechanische Theorie der Sozialentwicklung. Doch kann sie nicht bewiesen werden. Er wählte nur solche Belege, die seinem Zweck zu dienen schienen. Seine Beispiele stammten aus \Xlest‑Europa, aber die altei‑i Zivillsationcii aus dem Mittleren Osten überging er. Kurzum, sell‑i Geschichtsstandpunkt war zu oberflächlich und zu gesucht. Seine Besdireibung der primitiven menschlichen Gesellschaft wird von Anthropologen nicht unterstützt. Das Dialektische wird nicht überall bestätigt, und es wird auch keine Antwort auf die Frage gegeben, warum der d’ alektische Fortschritt aufhören soll, wenn das kommunistische Zukunftsideal einmal erreicht ist. Logischerweise müßte eine neue Verwerfung, eine neue Antithese folgen. «Wenn die Kommunisten Gott aus dem Himmel nehmen«, sagt Geoffrey Bull, «nehmen sie jeder moralischen Verpflichtung den Schöpfer gegenüber den Sinn.«
Professor Butterfield von der Universität Cambridge sagte, die eigentliche Auswirkung auf ihn beim Lesen der Geschichte sei die Erkenntnis, daß «alle Menschen Sünder sind«.
Die Sünde ist der große, menschliche Faktor, den man nidit ungestraft übergehen kann. Sie allein ist der Grund für soziale und persönliche Unordnung. Die Probleme der Welt sind nur eine Erweiterung unserer eigenen, persönlichen Probleme. Marx und Freud irrten in der Annahme der alten dilnesisdien Vorstellung, der Mensch sei von Natur aus eine Gottheit. Im Innersten des Menschen liegt eine tiefe Widernatürlichkeit. Der Mensch ist daher hilflos und allein und braucht Erlösung.
Der Marxist schiebt die Schuld am Bösen den Folgen einer ungerechten sozialen Ordnung und der Existenz von Privatbesitz zu und übergeht den wahren Ursprung des Bösen im sündigen iiienschlichen Herzen. Einem Arzt, der eine so tragische Fehldiagnose stellt, kann man nicht vertrauen. Nur Christus, der große Arzt, deckt die sdimerzhafte Wahrheit über uns selbst auf und bietet in der Wiedergeburt Heilung und die Schaffung eines neuen Menschen an. Eine Gesellschaft kann nur durch errettete Mensdien erlöst werden. Der Aussprudi: Der Kommunismus ist das Wunder unserer Generation, ein schneller Weg zum Paradies auf Erden!«, ist nur die neue Formulierung für den alten Unsinn.

Eine Prophetie, die nicht eingetroffen ist
Karl Marxs «Manifest« und sein darauf folgendes Hauptwerk «Das Kapital« mögen vielleicht die Armen der Arbeiterklasse seiner Zeit geblendet haben. Beide demonstrieren jedoch die Grenzen des hilflosen menschlidien Verstandes, der die einzige Autorität des Kommunismus ist.
Die Zeit hat die Unriditigkeit seiner «Mehrwerttheorie«, die er lin «Kapital« darlegt, bewiesen. Unter dem Kapitalismus erfreute sich der Arbeiter in Europa und Amerika eines stetig steigenden Lebensstandards, anstatt immer ärmer zu werden. Der Arbeitslohn sank nicht, wie vorausgesagt, auf die Ebene der reinen Existenzmöglichkeit ab. Auch ließ die Mechanisierung der Industrie den Gewinn der Kapitalisten nicht zurückgehen. Statt zwei sidi gegenüberstehender Klassen der Zeit von Karl Marx, lassen sich heute mindestens sechs Klassen mit unterschiedlichen Interessen erkennen, die sich nicht unbedingt widerspredien. Somit ist seine Theorie des Klassenkampfes als überholt erwiesen.
Am wichtigsten ist jedoch die Tatsache, daß Marxs Erklärungen über die Zusammenhänge von Religion, Philosophie und Ethik und der sich entwickelnden produktiven Kraft der Industrie falsch sind. Die Angriffe gegen das Christentum auf dieser Basis waren nidit richtig begründet. Denn das Christentum blühte zweitausend Jahre hindurch in jedem Zeitalter, in verschiedenen Kulturen und in vielen sozialen Umgebungen.
Obwohl die Religion von der herrschenden Klasse oft als Waffe gegen die Arbeiterklasse benützt wurde, so kann man das kaum vom Christentum behaupten. Ebensowenig gibt es heute viele Beweise dafür, das Christentum mit Redit als Rauschmittel zu bezeichnen. Viele Tatsadien beweisen das Gegenteil. Die Kirche in Afrika und Asien z. B. lag ebenso wie die Kirche Europas an der Spitze der sozialen Veränderungen.
So hat sich Marx als ein Prophet erwiesen, der weit von der Unfehlbarkeit entfernt und als Führer nicht verläßlich ist. Seine Argumente stellten sidi als falsdi heraus, seine Wirtschaftsanalysen waren ungenügend, und seine Gesdilchtsanalyse bietet keinen Beweis der geschichtlichen Notwendigkeit und keine solide Grundlage für den Anspruch, die Zukunft voraussagen zu können. So ist der Marxismus einseitil‑, unzulänglich und sdilleßlich unlogisch. «Marx enthüllte unwissentlich und ohne es zu beabsichtigen den letzten Zusammenbruch des rein humanistischen Denkens in seiner besten Form« (D. R. Davies).
Im Leben und Lehren Christi, vor allem aber in seinem Sterben und Auferstehen und in den erfüllten Prophezeiungen des Alten und Neuen Testaments erhalten wir verläßlichere Richtlinien für die Geschichte und deren letzte Vollendung im Reich Gottes. Nur Christus allein ist es wert, daß man ihm vertraut. Die Bibel hat die Prüfung im Verlauf von Jahrhunderten bestanden. Sie ist der Fels, der allen Stürmen widerstanden und alle Kritik überlebt hat.

Eine heile Welt nur für die überlebenden
Obwohl die berühmte marxistische Vision einer Welt ohne Krieg, Armut, Klasse oder Rasse ungeheuerlich ist, so muß man sie doch als unmenschlich bezeichnen. Denn all das können nur diejenigen genießen, die zu dieser Zeit zufällig am Leben sind. Sie allein erfreuen sich an den Frücliten der Arbeit, Sorge, Kämpfe, Opfer und Qualen derer, die für die marxistische Revolution kämpften. Was könnte gefühlloser und ungeheuerlicher sein als der Gedanke einer endgültigen Zukunft für eine begünstigte Minderheit der gesamten menschlichen Rasse?« (D. R. Davies.)
Wie anders ist doch die christliche Hoffnung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in der Gerechtigkeit herrscht ‑ ein himmlischer Staat, an dem sich eine große Menge, die niemand zählen kann« aus allen Generationen erfreuen kann, nämlich alle, die das freie Angebot der Erlösung von Christus angenommen haben! Der Tod ist kein Hindernis. Denn alle Gerechten und alle, die gelitten haben und gestorben sind, werden züm Leben erweckt. Die Erfüllung des erlösten Menschseins liegt nicht in der Weltzeit, sondern jenseits in der großen Auferste.bung der Toten. Doch in jeder Generation hatte der Christ das Vorredit, mit Gott zusammenzuarbeiten, indem er seinen Willeii tat. Und alle werden an dem endgültigen Triumph der Pläne Gottes teilhaben.
Mit diesen revolutionierenden Hoffnungen ist das Christentum nicht kraftlos dem Kommunismus ausgeliefert. Wir sollten in unserem Gespräch mit den Marxisten in einigen Dingen mit ihnen übereinstimmen ‑ ganz besonders in der Notwendigkeit der Gerechtigkeit, des Friedens und einer guten Regierung, um damit ein gutes erstes Verständnis aufzubauen. Jede negative oder feindliche Haltung ist hier nidit angebracht. Dann müssen wir das gemeinsame Problem klar definieren; denn ein gut vorgebrachtes Problem ist schon die halbe Lösung«. Und indem wir die Notwendigkeit grundlegender historischer Voraussetzungen zugeben, müssen wir schließlich auch die Notwendigkeit betonen, zwischen Tatsachen und deren Auslegungen zu unterscheiden.
Sind wir soweit gegangen, so müssen wir immer unsere Grundvoraussetzung verteidigen, d. h.‑ den Ursprung des Universums und des Menschen, die Tatsache des historischen Christus und die wichtige Unterscheidung zwischen falsch und richtig. Unseren Standpunkt können wir gut durch Fragen unterstreichen wie: «können Sie beweisen, daß Krieg und Gewalt jemals Frieden erzeugen werden?« «Woher wissen Sie, daß der dialektisdie Fortschritt absolut ist?« «Was läßt Sie glauben, der Mensch könne sein eigenes Schicksal kontrollieren?« «Können Sie beweisen, daß das Gute sich selbst verneint?«
Kurzum, «die von den Kommunisten aufgeworfenen Probleme sind letztlich religiös. Die praktischen Probleme sind moralischer und die theoretischen Probleme theologischer Art« («Ein christlicher Kommentar zum Kommunismus« von Edward Rogers). Das Christentum ist realistisch. Es steht vor dem Problem der ursprün«lichen Sünde, auf das die einzige Antwort das Alleinrecht Christi ist, Sünden zu vergeben und durch seine Macht die menschliche Natur zu ändern. Erfüllt von der Liebe Christi, müssen wir bereit sein, den Marxisten überall die Hilfe Gottes zu verkünden ‑ ob es nun an unseren eigenen Universitäten und in unseren Kreisen oder unter den glühenden Anhängern des Kommunismus in Europa, China oder Rußland selber ist.

7. KAPITEL
KOMMUNISTISCHER STAAT UND GEWISSEN KONFLIKT DER CHRISTEN UNTER MAO

Ein Jahr nachdem Mao die Gründung der Volksrepublik ausgerufen hatte, lud Ministerpräsident Tschu En‑Ial die Kirchenführer nach Peking ein, um die Bedingungen der Partei für das überleben der Kirche zu diktieren.
Er bestand darauf, daß sie sich von allen Spuren des Imperialismus befreien müsse. Damit meinte er hauptsächlich die Missionare und das Geld, das die Kirchen von «imperialistischen« Ländern erhielten. Ebenso wurde die Kirche aufgefordert, die Führung der Kommunistischen Partei anzuerkennen. Obwohl die kirchliche Abordnung nicht alle Kirchen vertrat, stimmte sie den Forderungen zu. Damit stellte sich die christliche Kirche unter staatliche Kontrolle. Diese Kontrolle übte das «Büro für Religiöse Angelegenheiten« aus, das die Angelegenheiten aller Religionen Chinas überprüfte. Um die Handhabung protestantischer Angelegenheiten zu erleichtern, gründete diese Stelle die ,Patriotische Drei‑Selbst‑Bewegung«. Schließlich blieb auch den widerstrebendsten christlichen Gruppen keine andere Wahl, als sich der Organisation anzuschließen.
Die christliche Presse begann nun, die Leistungen der Volksregierung lobend anzuerkennen. Marx, Lenin und Mao wurden mit den Propheten des Alten Testaments, und die neue Gesellschaft Chinas mit dem Reich Gottes verglichen. Die Tien Feng« wurde das offizielle Organ der kommunistischen Kirchenpolitik und all der Kampagnen gegen Christen, die sich weigerten, der Parteilinie zu folgen. Bis zur vorläufigen Auflösung der Kirche im Jahre 1966 durch die Kulturrevolution hörten die Sprecher und Schreiber nicht auf, ihre loyale Unterstützung der Regierung und ihre Freiheit unter der Volksregierung zu beteuern. Auch erklärten sie ununterbrochen den aufrichtigen Patriotismus der Bewegung und ganz besonders ihre Opposition gegen die amerikanischen Imperialisten. Und trotzdem schlossen die «Roten Garden« die Kirchen, beschimpften und mißhandelten zahlreiche Christen, verschleppten viele Kirchenführer und lösten die Drei‑Selbst‑Bewegung« auf.
Diese Erfahrungen fordern eine neue Überprüfung von Pflicht und Verantwortung. Nämlich der Verpflichtungen der Christen zur Loyalität, die entweder ihren Wunsch nach Befreiung wahrnehmen können oder weiterhin unter einer autoritären, antichristlichen, kommunistischen Regierung leben müssen. Ein paar Führern und Mitgliedern mag es gelingen, das Land vor oder nach einer kommunistischen Machtübernahme zu verlassen, aber die Mehrheit der Christen wird immer notgedrungenermaßen dableiben und die Suppe auslöffeln müssen.
Im Jahre 64 n. Chr., kurz vor Ausbruch der reichsumfassenden Christenverfolgungen unter Kaiser Nero, schrieb der Apostel Petrus seinen ersten Brief. Darin betonte er zuerst die großen Grundwahrheiten des Evangeliums. Dann unterstrich er, daß die letzte christliche Antwort auf Verfolgung, Verleumdung und Kritik ein unsträfliches Leben sei, ein Leben ohne Tadel in guter Bürgerschaft. «Und wer ist, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?« (l. Petr. 3, 13.) «Habt ein gutes Gewissen (l. Petr. 3, 16). «Niemand unter euch leide als ein Übeltäter … « (1. Petr. 4, 15). Insbesondere gibt Petrus jedoch viermal und in vier verschiedenen Zusammenhängen den Befehl: «Seid untertan!« In der Gemeinde (l. Petr. 5, 5), in der Familie (l. Petr. 3, 1), in der Gesellschaft (l. Petr. 2, 18) und im Staat (l. Petr. 2, 13). Unterordnung ist christliche Tugend,
Wenn wir uns vor Augen halten, daß viele Christen tatsächlich Sklaven waren, so ist es sehr bemerkenswert, daß weder Petrus noch Paulus irgendwie aufforderten, sie sollten Befreiung durch politische Tätigkeit suchen (1. Petr. 2, 18‑25). Petrus rät den Sklaven sogar, auch schlechten, grausamen und ungerechten Herren untertan zu sein, und nennt als Beispiel das ungerechte Leiden Christi. Er unterstützt damit nicht die Sklaverei, aber er nennt die richtige Einstellung des Christen auch in einer ungerechten, ungleichen Gesellschaft beim Namen.
Im Zusammenhang mit dem Staat schreibt Petrus: Seid untertan jeder menschlichen Ordnung um des Herrn willen, sei es dem Kaiser (Nero) als dem obersten Herrn oder seinen Beamten … Denn es ist Gottes Wille, daß ihr mit guten Taten die Unwissenheit der törichten Menschen zum Schweigen bringt … fürchtet Gott! Ehrt den Kaiser« (l. Petrus. 2, 13 – 17).
Ein solcher Rat muß für die Christen hart gewesen sein, die wegen der bösartigen, falschen Anklagen Neros, sie hätten Rom angezündet, leiden mußten. Aber das Prinzip kommt klar zum Ausdruck. Die Christen sollen nicht gegen irgendeine Regierung rebellieren, nur weil sie diktatorisch, autoritär oder korrupt ist. Sie müssen die Regierungsvertreter nicht nur als diejenigen achten, die das Gesetz vertreten (Vers 14), sondern sich auch den Gesetzen und Erlassen dieser Regierung unterordnen, um so als „Knechte Gottes zu leben« (Vers 16).
Im Römerbrief wendet sich der Apostel Paulus nach elf Kapiteln der Abhandlung über Dinge des Evangeliums in Kapitel 12 der praktischen Anwendung dieser Wahrheiten zu. Er beschreibt das christliche Leben in der Gemeinde (Vers 3‑8), seine persönliche Haltung (Vers 9‑13), sein Verhalten in Verfolgung (Vers 14‑21), und in Kapitel 13 bringt er die schwierige Angelegenheit des Christen und des Staates zur Sprache.
Seine Aussagen sind denen des Petrus sehr ähnlich, nur noch beträchtlich erweitert. Während Petrus über die von Gott eingesetzte Funktion der Regierung spricht, betont Paulus den göttlichen Ursprung des Staates. Die Aussage lautet in beiden Fällen gleich: «Ordnet euch der Obrigkeit unter, die Gewalt über euch hat« (Vers 1) als die Vertretung des Gesetzes (Vers 3‑4). Dann folgen die Gründe.
1. Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre (Vers 1).
2. Der Christ sündigt, wenn er sich dieser Obrigkeit widersetzt (Vers 2).
3. Unterordnung muß eine Sache des Gewissens und nicht der Furcht vor göttlicher Bestrafung sein. Der christliche Bürger ist ganz besonders dazu verpflichtet, seine Steuern, Abgaben und Zölle zu entrichten und die verantwortlichen Beamten zu respektieren und zu ehren. Damit wird der Christ erstens der Pflicht des bürgerlichen Gehorsams, zweitens dem Grund des bürgerlichen Gehorsams und drittens dem Geist des bürgerlichen Gehorsams gegenübergestellt.
Betrachtet man dies im Zusammenhang mit dem Römischen Reich ‑ der fremden Macht, die oft übermäßige Steuern verlangte und ungerechte Forderungen stellte ‑, so muß diese eingehende Anweisung bei der ersten Gemeinde viel Erforschung des Herzens hervorgerufen haben.
Aber sowohl die Anweisungen des Paulus als auch die des Petrus für die richtige Einstellung und das Verhalten der Christen im Staat beruhen auf der Antwort Jesu Christi, die er denen gab, die ihn des Verrats an der römischen Regierung bezichtigen wollten (Lukas 20, 20). Seine Antwort war so unerwartet, daß die Schriftgelehrten nur staunen konnten (Vers 25): «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!« Auch wenn alles unter der schweren Steuerlast des Kaisers Tiberius stöhnte.
Das umfaßt das allgemeine Prinzip, «daß die Regierung ihren Bürgern gegenüber rechtliche, aber keine letztlichen Ansprüche hat. Diese kann nur Gott stellen. Die Probleme, die diese Forderungen zum Konflikt werden lassen, sind von Land zu Land und von Zeit zu Zeit verschieden. So waren es z. B. die Konzentrationslager in Deutschland während der Hitlerzeit und ist es das Bürgerrechtsproblem in Nordamerika. Sie verändern sich sogar von Christ zu Christ. Der eine spürt diese Auseinandersetzung über einem Problem und der andere nicht. Jesus gibt keine genauen Anweisungen zur Lösung jeder Loyalitätsfrage. Aber der Christ muß alles tun, um die Probleme und ihre Umstände zu erkennen, seine Loyalität zu finden und Gott mit gutem Gewissen zu dienen. Gerät er dabei mit dem Staat oder der öffentlichen Meinung in Konflikt, kann er schließlich seine Rechte, seinen Besitz oder sogar sein Leben verlieren. Wie Petrus auch tatsächlich sagt: «Aber selbst wenn ihr leidet um der Gerechtigkeit willen, werdet ihr gesegnet sein . . .«
Gott ist ein Gott der Ordnung und nicht der Unordnung, Er hat deshalb weltliche Regierung zum allgemeinen Wohl der Menschen eingesetzt. Sie ist in der Tat eine Obrigkeit von Gott (Römer 13, 1). Was könnte einleuchtender sein als die Überzeugung des Petrus, daß nach Gottes Willen die Gesellschaft den Eindruck göttlicher Ordnung auf ihrem Gesicht tragen soll!
Zur Zeit des Neuen Testaments waren die Regierungen nicht «christlich« in dem Sinne, wie wir es im Westen verstehen. Sie waren undemokratisch und heidnisch. Trotzdem rückten sie durch Gottes schicksalhaften Umgang mit den Menschen in die Stellung der Obrigkeiten vor (vgl. Psalm 75, 6. 7), aus der heraus sie Gehorsam und Loyalität fordern konnten. Vielleicht sind sie Diktatoren. Aber selbst dann ist eine solche Regelung besser als die Gesetzlosigkeit. Sollte allerdings eine Regierung Ansprüche stellen, die Gottes Forderungen widersprechen, so sind Christen von der Gehorsamspflicht entbunden. So wie ein Kind, das lasterhafte Eltern hat, ihnen nicht zu gehorchen braucht, auch wenn es dies normalerweise tun muß.
Trotz all ihrer Fehler und Unzulänglichkeiten sind wenige Regierungen von Grund auf schlecht. Man kann an den meisten etwas Gutes finden. Aber ob gut oder böse, die Schreiber des Neuen Testaments bestanden darauf, der bürgerliche Gehorsam sei eine christliche Pflicht, wenn er sich mit einem guten Gewissen vereinen ließe. Er wird den Christen als das eingeschärft, was dem Willen Gottes entspricht. Zu allen Zeiten wurden Christen beschuldigt, sie hätten sich gegen den Staat aufgelehnt. Eines der verbreitetsten Vorurteile gegen wahre Religion, das die Welt hegt, besagt, die Religion sei der Feind des Staates.
Es ist daher eine eindeutige christliche Pflicht, unter jedem Regime, sei es nun buddhistisch, hinduistisch, mohammedanisch, kommunistisch oder christlich, in allen zivilen Angelegenheiten gute, gehorsame Bürger zu sein. Mag ein Christ nun völlig mit der Politik und den Gesetzen seiner Regierung übereinstimmen oder auch nicht, so muß er doch der Obrigkeit in allem gehorchen, was seine religiöse Überzeugung nicht betrifft und was nicht im Widerspruch zu Gottes Willen steht.
Christen leben heute in der ganzen Welt unter schlechten, korrupten, unzulänglichen Regierungen oder auch unter zulänglichen aber autoritären und diktatorischen Regierungen. Und trotzdem: Es kann nicht mit der Beugung unter den Willen Gottes vereinbart werden, den ungesetzlichen gewaltsamen Sturz einer Regierung vorzubereiten oder an irgendeiner Art des bürgerlichen Ungehorsams teilzunehmen.
Die Taiping‑Rebellion, die von den Kommunisten als Bauernaufstand bezeichnet wurde, ging von Christen aus. Aber diese Rebellion war ein Zerrbild wahren Christentums und ist durch nichts zu rechtfertigen. Das Neue Testament schildert Christus oder die Gemeinde nie als Staatsfeinde, obwohl es das Paradoxe anerkennt, daß der Christ zwar in der Welt, aber nicht von der Welt ist. Er besitzt eine zweifache Bürgerschaft: in einem irdischen und in einem himmlischen Staat. Christus, Paulus und Petrus stimmen alle darin überein, daß sie sich der Obrigkeit unterordnen müssen und sie nicht außer acht lassen dürfen.
Der Herr selbst gibt vor Pilatus ein Beispiel des Untertanseins zur Nachahmung durch seine jünger. Das muß das Vorbild in China, Rußland, Osteuropa, Kuba oder auch in den Vereinigten Staaten sein, in denen die christlichen Neger schwerwiegenden Problemen gegenüberstehen.
Die einzige legale Tätigkeit, die im Neuen Testament vorgeschlagen wird, ist die, daß der Christ für die Obrigkeit betet, wenn er ein ruhiges, friedliches Leben in Gottesfurcht und Ehrbarkeit führen will. Es wäre schwierig, für diese Obrigkeit zu beten und gleichzeitig gegen sie zu rebellieren.
So weit, so gut. Wie steht es aber mit den religiösen Angelegenheiten? Ober dieses Thema erhoben sich in der ersten Gemeinde die größten Spannungen. Zu dieser Zeit war der Staat die höchste Macht. Somit mußte sich alles, auch die Religion, ihm unterordnen. Und doch weigerten sich die Christen ausnahmslos und in gemeinsamer Übereinstimmung, den Kaiser anzubeten. Sie weigerten sich ebenso, den örtlichen religiösen Behörden in Jerusalem zu gehorchen und das Predigen des Evangeliums aufzugeben (Apg. 5, 29). Aber es bestand hier doch ein Unterschied, denn hier lag kein Ungehorsam gegen bürgerliche Obrigkeiten vor.
Die Lage wurde durch die römischen Gesetze erschwert, die die Ausübung neuer Religionen und geheime Zusammenschlüsse verboten. «Diese Menschen bringen unsere Stadt in Aufruhr; sie sind Juden und verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen noch zu tun, weil wir Römer sind« (Apg. 16, 20, 21). Die Geheimhaltung von Zusammenkünften wie z. B. das Abendmahl, führte zur offenen Verdächtigung der Christen. Außerdem hatte ihre religiöse Überzeugung und der Wunsch nach einem hohen moralischen Niveau zur Folge, daß sie sich aus sozialen, geschäftlichen und politischen Gruppen zurückzogen, die auf irgendeine Art mit heidnischen Bräuchen zu tun hatten. Die Absage an das Böse und die Weigerung bei der Heirat oder im Geschäftsleben am gleichen Joch mit den Ungläubigen zu ziehen, bereitete den ersten Christen oft eine not.
Eines war jedoch klar: Der Christ kann zwar »Cäsar« seinen Körper unterordnen, jedoch nicht sein Gewissen und seinen Glauben. Unter gewissen Umständen kann der Ungehorsam gegen den Befehl des Staates nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht sein.
Die Schreiber des Neuen Testaments, besonders Petrus, lassen klar erkennen, daß das treue Festhalten an Christus den Christen unausweichlich Schwierigkeiten, Verfolgung und sogar den Tod bringen wird. Darum sagt Petrus: »Wappnet auch euch mit derselben Gesinnung wie Christus, der bereit war zu sterben« (l. Petr. 4, 1); d. h. sei darauf vorbereitet, für deinen Glauben, wenn nötig, auch zu sterben.
Audi während der zaristischen Zeiten übte der Staat in Rußland eine gewisse Kontrolle über die Kirche aus. Unter Lenin waren Kirche und Staat getrennt. Unter Stalin war die Kirche so lange geduldet, wie sie ihre Knie vor der Obrigkeit beugte. In den Jahren nach Stalins Tod war zuerst keine klare Religionspolitik zu erkennen. Aber sobald Chruschtschow 1959/60 seine Machtposition gefestigt hatte, begannen die örtlichen kommunistischen Behörden mit höheren Befugnissen, die sichtbare Struktur der Kirche durch Gewalt und unter Mißachtung des Gesetzes niederzureißen.
1961 (so Michael Bourdeaux in Church Times vom 22. März 1969) berief der Patriarch Alexeis innerhalb weniger als vierundzwanzig Stunden ein Bischofskonzil zu einer formellen Synode ein, die aufgefordert werden sollte, einer neuen Liste von Bestimmungen fast ohne jegliche formelle Diskussion zuzustimmen. Die Entscheidungen wurden der Kirche dann aufgehalst, ohne daß sie Zeit zum überlegen hatte. Man entzog ihr gewaltsam die Kontrolle über das Gemeindeleben und übergab sie einem Laienausschuß von vierundzwanzig Männern, die der Partei genehm waren. So trat eine von Grund auf atheistische Kontrolle an die Stelle der Selbstkontrolle der Kirche, und ihre Zerstörung schritt weiter. Mindestens 50 Prozent der zwanzigtausend orthodoxen Kirchen Rußlands wurden geschlossen.
In einer Diözese, in der des Erzbischofs Yermogen, wurden sie jedoch nicht geschlossen. Er weigerte sich, auch nur eine einzige Kirche zu schließen. Dafür verschwand er ein Jahr. 1965 führte er eine Delegation von acht Bischöfen an, die den Patriarchen aufsuchen wollte, wurde aber abgewiesen. Außerdem «überredete« der Ratsvorsitzende für Religiöse Angelegenheiten« den «Rat der Geistlichen der UdSSR«, Erzbischof Yermogen aus dem Amt zu entfernen. Ein Jahr später veröffentlichten zwei Priester einen Protestbrief und schickten jedem Bischof eine Abschrift. Sie erhielten zwar eine beachtliche Zustimmung, wurden jedoch beide aus dem Amt entlassen. Aber Erzbischof Yermogen hatte sich nicht einschüchtern lassen. Er verweigerte seine Distanzierung von der Haltung der beiden Priester und forderte weiterhin, der Patriarch solle sein Versprechen erfüllen und ihm eine Diözese geben, sobald eine frei werde. Im November 1967 appellierte Erzbischof Yermogen an den Patriarchen, auf dem legalen getrennten Status der Kirche zu bestehen und sich auf die Gesetze von 1929 zu berufen.
Der Patriarch ist neunzig Jahre alt, und die Frage seiner Nachfolge muß alle orthodoxen Christen Rußlands, das sind dreißig Millionen, beschäftigen. Der Staat wird zweifellos seinen eigenen Kandidaten aufstellen wollen, der sich der Regierung fügen würde. Aber eine sehr starke Gruppe unter Führung des Erzbischofs Yermogen fordert eine neue Zusammenkunft des Hauses der Bischöfe, um die Kirche wieder in Ordnung zu bringen.
Erzbischof Yermogen ist durch das Beispiel der russischen Baptisten ermutigt, die von der Regierung das Recht erhielten, alle drei Jahre einen Unionskongreß abhalten zu dürfen. So fordern Baptisten und Orthodoxe eine Rückkehr zur Herrschaft des Gesetzes. Die Stimme Erzbischof Yermogens ist eine Warnung an die ganze Kirche und besonders auch an die sowjetische Regierung.« Große Fragen der religiösen Freiheit stehen auf dem Spiel.
Aber was ist mit China? Bestimmte Tatsachen sind klar. Im Gegensatz zur ersten Gemeinde fehlte der chinesischen Kirche eine starke, geeinigte Führung. Als die kommunistische Regierung gebildet wurde, konnte sie nicht als eine Stimme auftreten um die «Kaiser‑ (oder Staats‑) Verehrung« zu verweigern. Sie war zu keiner Übereinstimmung über die Konsequenzen der Worte des Herrn gelangt: «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!«
Deshalb hatte es das «Büro für Religiöse Angelegenheiten« nicht schwer, den protestantischen Kirchen seinen Willen aufzuzwingen, obwohl es bei der katholischen Kirche auf größeren Widerstand stieß, weil sie eine entschlossenere Führung und gutformulierte Grundsätze hatte. Es war daher verhältnismäßig leicht, seine Politik, die protestantischen Kirchen unwirksam zu machen, durchzusetzen. Denn sie waren offenbar durch die ausgeklügelten Machenschaften der Patriotischen Drei‑Selbst‑Bewegung hilflos und bedeutungslos geworden.
Zu Beginn des Jahres 1968 führte die Liberalisierungspolitik Alexander Dubceks in der Tschechoslowakei zur Freude der Christen zu einer Freiheit von Kontrollen, die sie zwanzig Jahre hatten spüren müssen. Die Zukunft war voller Hoffnung. In Rumänien wünschten die Menschen eine ähnliche Liberalisierung, und die Regierung schien darauf einzugehen. Am 5. April 1968 prophezeite der Daily Telegraph« in der Tschechoslowakei, obwohl noch unter der Führung einer kommunistischen Partei, ein Erwachen geistiger Freiheit, das Nachlassen der Polizeikontrollen, eine freiere Presse und ein gewisses Recht, öffentlich zu protestieren.
Aber in Rußland wurde die sogenannte Liberalisierung« als Konterrevolution verleumdet, die eine Herausforderung an die orthodoxe marxistische Lehre, eine Bedrohung des Warschauer Pakts und eine Waffe gegen die UdSSR selbst darstellte. Und am 21. August besetzten die Staaten des Warschauer Pakts unter Anweisung Rußlands verräterisch die Tschechoslowakei. Kommunistische Parteien in der ganzen Welt verurteilten die Invasion und gaben ihrem Mitgefühl für die Menschen und die Kommunistische Partei in der Tschechoslowakei und deren Liberalisierungspläne Ausdruck. Das kommunistische China verurteilte zwar die Invasion, aber auch die ketzerische«, liberalisierende« und revisionistische« Politik Dubceks, die die Tschechoslowakei ‑ so behauptete China ‑ von den Russen gelernt habe.
Professor Hromadka, der tschechische Führer der Christen, protestierte bei der Sowjetischen Botschaft aufs heftigste gegen die Aktion Rußlands. Gleichzeitig appellierte er an alle Christen, in der neuen, veränderten Lage christliche Würde und Solidarität zu bewahren. Und doch sehen die Tschechen seit der Besetzung ihres Landes durch fremde Truppen der Zukunft mit bösen Ahnungen entgegen, wenn die Russen ihre Haltung nicht grundlegend ändern.
Die kommunistische Welt ist uneins. Die ausbrechende Revolte gegen die stalinistische Gewaltherrschaft ist mächtig. Sollte die Zeit kommen, in der sich in China eine liberale Politik durchsetzt und die Kirche ihre konstitutionelle Freiheit wiedererlangt, so möchte man innig hoffen und beten, daß das Beispiel der russischen und tschechischen Kirchen zur Kenntnis genommen wird, daß die chinesischen Christen ihre von der Regierung aufgezwungene Zwangsjacke ablehnen, in echter Freiheit ihre kirchlichen Angelegenheiten versehen und ihr religiöses Leben ohne Einmischung des Staates führen können.

8. KAPITEL
MISSIONARISCHE ARBEIT IN DEN AUGEN DES KOMMUNISMUS

1950 holten die chinesischen Kommunisten zu ihrem Schlag gegen christliche Missionen und Missionare aus. Achtzehn Jahre dauerte die Verleumdungskampagne, die das Ziel hatte, die missionarische Tätigkeit von Grund auf in Mißkredit zu bringen. Der Missionsbewegung wurden alle Arten von Verbrechen vorgeworfen, und das mit einer solchen Beharrlichkeit, daß manchmal sogar die chinesische Kirche von der Wahrheit überzeugt werden mußte. Tatsächlich brachten Y. T. Wu und andere führende Christen diese Verleumdungen in der nationalen Presse und in öffentlichen Verlautbarungen eindeutig zum Ausdruck.
Was werfen die Kommunisten den Christen, besonders den Missionaren, vor? Es ist nötig, uns mit dieser Kritik auseinanderzusetzen, sie genau zu untersuchen, um herauszufinden, wieweit sie zutrifft, anstatt diese Vorwürfe nur abzustreiten. Ehrlichkeit ist das mindeste, das von uns verlangt wird, und Selbstkritik ist kein kommunistisches Monopol.
Die Kritik kann unter sieben Punkten zusammengefaßt werden:
1. Das missionariscbe Unternehmen war von Anfang an ein Werkzeug der kolonialen Ausdehnung im Ausland und unzertrennlich mit der imperialistischen Politik und Aggression verbunden.
2. Missionare standen im Dienst imperialistischer Regierungen und sollten diese in ihrer Aggression unterstützen.
3. Missionare benutzten das Geld, um chinesische Christen zu bestechen und sie zu zwingen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Folglich war die Kirche ein Werkzeug des Imperialismus.
4. Missionare verbreiteten Lehren, die nichts anderes als imperialistisches Gift in den Gedanken derjenigen waren, die sie annahmen.
5. Missionare gebrauchten Schulen und Sonntagsschulen, um die Gedanken der Jugend mit dem Imperialismus zu verderben.
6. Missionare beherrschten und kontrollierten die Kirchen auf imperialistische Art.
7. Missionare benützten konfessionelle Unterschiede als Plan zur Spaltung und Herrschaft.
Wir sollten auf jeden dieser Punkte der Reihe nach verständnisvoll und ehrlich eingehen.

1. Das missionarische Unternehmen war vor Anfang an ein Werkzeug der kolonialen Ausdehnung im Ausland und unzertrennlich mit der imperialistischen Politik und Aggression verbunden.
Wenn man dies vom Standpunkt eines nichtchristlichen Afrikaners oder Asiaten betrachtet, so trifft es zu. Geschichtlich gesehen verlief die Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt parallel zur imperialistischen und kolonialen Ausdehnung des Westens. Im Falle Afrikas erforschte der Missionar David Livingstone das riesige Innere des Landes, und es folgten koloniale Regierungen. China wurde als Folge der Opiumkriege eine Abmachung aufgezwungen, die ausländische Kaufleute berechtigte, in China zu wohnen und Handel zu treiben. Dadurch wurde der Weg für Missionare frei, um allen Menschen die Frohe Botschaft von Christus zu bringen.
Vom christlichen Standpunkt aus gesehen, war das Vordringen des Evangeliums nach China im ganzen gesehen etwas Gutes, auch wenn es den Kaufleuten auf dem Fuße folgte. Es ist jedoch leicht zu erkennen, daß dieses Zusammentreffen von Sun Yat-sen bis Mao Tse‑tung falsch ausgelegt wurde, als wären die christliche Mission und ihre Missionare ein Bestandteil des imperialistischen Expansionsprogrammes. Dieses zeitliche Zusammentreffen ist zwar unglücklich, aber es wurde von den Feinden des Christentums völlig falsch ausgelegt. Die Geschichte Chinas wurde neu geschrieben, um die Missionsbewegung darin in das möglichst schlechteste Licht zu stellen.

2. Missionare standen im Dienst imperialistischer Regierungen und sollten diese in ihrer Aggression unterstützen.
Die meisten chinesischen Christen konnten es kaum verstehen, daß die Missionare nicht direkt von ihren Regierungen angestellt und bezahlt wurden. Alle Versuche, sie vom Gegenteil zu überzeugen, schlugen fehl. Die Folge war, daß man glaubte, die Missionare seien alle in politische und kulturelle Tätigkeiten für den Imperialismus verwickelt.
Das ist jedoch völlig falsch. In Wirklichkeit waren Missionare in der ersten Zeit von ihren Regierungsvertretern überhaupt nicht gern gesehen, und das Britische Unterhaus protestierte sogar gegen ihre Anwesenheit in China. Keiner von ihnen erhielt jemals direkte oder indirekte Bezahlung von Regierungen, sondern sie wurden vom freiwilligen Opfer der Christen in aller Welt unterstützt. Die Anklage wurde manchmal aus Unwissenheit und manchmal aus Bosheit erhoben.
Einige der Tätigkeiten und Einstellungen, die damals vollkommen harmlos waren, können im Licht des heutigen Nationalismus als verdächtig, wenn nicht sogar als staatsgefährdend angesehen werden. Aber es ist ungerecht, heutige Kriterien auf Dinge anzuwenden, die fünfzig oder mehr Jahre zurückliegen.
Es ist als unwahr erwiesen, daß Missionare dem amerikanischen Geheimdienst angehörten, auch wenn einige ihrer Berufung untreu wurden und andere zum Kommunismus überwechselten.

3. Missionare benutzten das Geld, um chinesische Christen zu bestechen und sie zu zwingen, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Folglich war die Kirche ein Werkzeug des Imperialismus.
Ohne Zweifel verwandten Missionare große Geldsummen auf die Schulung und Unterstützung der chinesischen Christen als Pfarrer, Evangelisten, Gemeindehelfer, Lehrer, Ärzte, Zeitschriftenhändler, Verwalter usw. Damit brachten sie diese Menschen unabsichtlich in die Lage, von den antichristlichen Nationalisten und Kommunisten nach dem ersten Weltkrieg als “laufende Hunde der Imperialisten” angesehen zu werden.
Die Missionsgelder dienten zu nichts anderem; ihr alleiniger Zweck war, die Kirche aufzubauen und das Evangelium zu verbreiten. Aber es ist auch ganz natürlich, daß die Missionare durch die Kontrolle der Gelder auch die Kontrolle über andere Dinge erhielten. Sie haben hoffentlich ihre Lektion in der dornigen Angelegenheit der Verwaltung von Missionsgeldern gelernt. Geld von ausländischen Quellen, das nationalen Kirchen geschenkt wird, bedeutet fast immer einen Mühlstein um den Hals der Kirche und ein großes Hindernis auf dem Wege des Fortschritts.

4. Missionare verbreiteten Lehren, die nichts anderes als imperialistisches Gift in den Gedanken derjenigen waren, die sie annahmen.
Eine genaue Überprüfung der sog. “giftigen Lehren” ergab, daß sie von einer Art waren, die nicht in die kommunistische Ideologie paßte. Z. B.: Alle Menschen sind Sünder; der Mensch kann sich nicht selbst erretten; der Zustand der Gesellschaft wird immer schlimmer; die Zeiten verfinstern sich; Christus kommt wieder, um seine Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens zu bringen.
Als man erkannte, daß diese Gedanken im Gegensatz zur kommunistischen Lehre standen, wurden sie schnell als “Gift” abgestempelt. Aber christliche Gedanken, die zufällig nicht mit dem Marxismus‑Leninismus übereinstimmen, sind nur Gift für Kommunisten. Für andere sind sie das Wasser und Brot des Lebens.

5. Missionare gebrauchten Schulen und Sonntagsschulen, um die Gedanken der Jugend mit dem Imperialismus zu verderben.
Die Missionare gebrauchten zweifellos die Schulen, um für eine gute Erziel‑iung der Kinder aus christlichen und auch aus niditchristlidien Familien zu sorgen, wenn diese es wollten. Man lehrte sie die Wahrheiten des Christentums, und nach der Nationalistischen Revolution von 1911 wurde ein Lehrplan eingeführt, der sich an den des Westens anlehnte. Das geschah auf die allgemeine Forderung des chinesischenVolkes hin.
Die Missionare schämen sich des großen Beitrags zur modernen Erziehung Chinas nicht, deren Pioniere sie waren. Wenn zeitweise die Versuchung nahe lag, zu glauben, die Verbreitung der westlichen Kulturen und der westlichen Lebensart bildeten einen Teil der missionarischen Ziele, so handelten sie manchmal fälschlicherweise in dem Glauben, dies sei für das chinesische Volk am besten. Die Sonntagsschulen waren bestimmt kein “unehrenhaftes System zum Schaden der Kinder”, und ihr Lehrplan umfaßte keinen politischen Unterricht, obwohl natürlich vieles, was die Kinder hörten, nicht mit der kommunistischen Ideologie übereinstimmte.

6. Missionare beherrschten und kontrollierten die Kirchen auf imperialistische Art.
Hier würden nur wenige die Richtigkeit der Anklage abstreiten. Am Anfang brachten die Missionare größeres Wissen, Erfahrung und Charakterstärke mit sich nach China und übernahmen deshalb automatisch die Führung innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Im allgemeinen nahmen die Chinesen die Lage als selbstverständlich hin. Aber man sieht jetzt deutlich, und gibt es auch ohne Umschweife zu, daß die Missionare viel zu lange an ihrem Recht festhielten und versäumten, geeignete Männer der chinesischen Kirche mit der Führung und der Verantwortung zu betrauen.

7. Missionare benützten konfessionelle Unterschiede als Plan zur Spaltung und Herrschaft.
Trotz früherer Versuche der London Missionary Society, Missionsgesellschaften ohne konfessionelle Vorurteile zu gründen, war vor hundert Jahren das Gewissen über “unsere Spaltungssünden” nicht so empfindsam wie heute. Es schien ziemlich natürlich, ja sogar unvermeidlich, den Grundsatz der Konfessionen zusammen mit dem Evangelium ins Ausland zu tragen. Im Lichte der Geschichte ist es nun leicht, die Verwirrung zu sehen, die dieses Unternehmen anrichtete und noch anrichtet. Aber die Behauptung, Missionare hätten die Konfessionen ausgenützt, um ihre Kontrolle über die Kirche zu erhalten, ist offenkundig falsch.
Um noch einmal zusammenzufassen: Während es Tatsachen gibt, die es Menschen mit bösen Absichten und Feinden des Evangeliums ermöglichen, die Anklage zu rechtfertigen, die Missionare seien imperialistische Agenten gewesen und bildeten immer noch einen Teil eines imperialistischen Anschlags auf die chinesische Kirche, so hätte doch ein unparteiischer Richter alle Tatsachen erörtert und diese Anschuldigung für völlig unwahrhaftig erklärt, soweit es sich um China handelt. Daß die Missionare die Gedanken und kulturellen Bräuche des “imperialistischen” Westens und besonders der viktorianischen Zeit mit sich brachten, war unvermeidbar. Aber in keiner Weise verbreiteten sie absichtlich den Imperialismus. Und in den letzten Jahrzehnten vollzog sich ein stetiger Umschwung der früheren Tendenzen.

9. KAPITEL
DIE ENTWICKLUNG CHINAS – UNSERE ZUKUNFT

China ist eine Nation und seine Bevölkerung eine Rasse, die man nicht übergehen kann. Es wird eine zunehmend bedeutende Rolle in der Welt spielen. Im Guten oder im Bösen werden die Ereignisse in China unsere Zukunft und besonders die unserer Kinder und Kindeskinder bestimmen. Die alte Kultur, die hervorragenden Fähigkeiten, die verschiedenen Geschicklichkeiten, die Industrie, die riesigen Bodenschätze, die Anpassungsfähigkeit und die rein zahlenmäßige Bedeutung des chinesischen Volkes machen es vielleicht zur größten Rasse der Erde. Seine überlieferte, tolerante Menschlichkeit könnte vielleicht einen Einfluß darstellen, der zur Harmonie und zum Wohl der Welt beitragen könnte. Anderseits sind der geschürte Haß, die sklavische Unterwerfung und die verantwortungslose kommunistische Führung eine ernste Bedrohung für die übrige Welt, ganz besonders, seit China Atommacht ist.

Verschiedene Meinungen
Chinakenner in Hongkong sind verschiedener Meinung über die Zukunft der Kirche Jesu Christi in China. Einige befürchten, sie werde ähnlich wie die Gemeinde in Nordafrika und Kleinasien im ersten Jahrhundert allmählich zerstört, wozu auch starke Gemeinden wie Ephesus, Smyrna und Philadelphia gehörten. Andere sehen die Zukunft der chinesischen Kirche etwas optimistischer und erwarten eine Zeit, in der eine beschränkte Rückkehr nach China für Chinesen und andere Asiaten möglich wird. Eine dritte Gruppe ist jedoch der Meinung, daß nur Chinesen, die die Revolution miterlebten, in der Lage sein werden, ihrem Volk zu dienen, und daß die Zeit für Angehörige des Westens, ja sogar für die im Westen geschulten und westlich orientierten Chinesen endgültig vorüber ist. Dann gilt es noch diejenigen, die glauben, daß wir uns auf jede Möglichkeit vorbereiten müssen, auch auf die Möglichkeit der Rückkehr westlicher Christen nach China.
China ist mit einem Viertel der Weltbevölkerung das größte nichtevangelisierte Gebiet der Welt. Aber jetzt sind die Tore nach China fest verschlossen, und die chinesische Kirche ist von anderen Kirchen völlig, getrennt. Gegenwärtig liegt die Aussicht, der chinesischen Kirche Hilfe zu bringen, nach menschlichem Ermessen in weiter Ferne. Wenn auch die Tumulte in China, die zeitweise in Bürgerkriege ausarteten, die Hoffnung des “Freien China” oder Taiwans schürten, daß der Zusammenbruch und eine nationalistische Rückkehr auf das Festland in Sicht komme, so übersehen doch diese Wunschgedanken die Tatsache, daß der gegenwärtige Kampf kein Kampf zwischen Kommunisten und deren Gegnern ist, sondern ein ideologischer Kampf zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Kommunistischen Partei. Kampf ist ein Teil der kommunistischen Ideologie, und es ist Vorsicht geboten, wenn man die Ergebnisse des gegenwärtigen Durcheinanders voraussagen will. Und doch ist bei Gott kein Ding unmöglich!

Ist eine Liberalisierung möglich?
Man kann die zukünftige Entwicklung nur sehr vorsichtig abschätzen. Wenn die Ereignisse den traditionellen chinesischen Weg einschlagen, so wird zuletzt der gemäßigte, praktische Menschenverstand der Chinesen über die Dogmatik siegen. Mao Tse‑tungs Nachfolger wird mit großer Wahrscheinlichkeit die intellektuelle, gemäßigtere Gruppe des chinesischen Kommunismus vertreten. Diese wünscht eine beschleunigte Mechanisierung der Wirtschaft und der Streitkräfte, vielleicht sogar mit russischer Hilfe. Wäre es denkbar, daß ein derartiges neues Regime die konstitutionelle Freiheit der religiösen Einrichtungen Chinas wiederherstellt, wie wir es auch nach der Liberallsierung in der Tschechoslowakei sahen, oder wäre eine neue kommunistische Staatsform kaum liberaler als in Rußland, wo heute an eine Missionierung nicht zu denken ist? Vielleicht erhalten die Christen ihre Kirchengebäude zurück und können ihre Gemeinden neu sammeln, wie von mancher Seite vermutet wird. Möglicherweise ist es von Bedeutung, daß die “Drei‑Selbst‑Bewegung” auf dem Papier noch besteht. Sie könnte wiederbelebt werden, klüger vielleicht und unter einer anderen Führung, befreit von aller Vorherrschaft der Regierung und mit einem evangeliumsgemäßeren Programm als vorher. Die Zukunft könnte damit ungeheure Möglichkeiten für die Kirche Christi mit sich bringen. Wenn sich das bewahrheitet, wird die Kirche der größten evangelistischen Herausforderung aller Zeiten gegenüberstehen.

Wer könnte zurückkehren?
Sollte sich diese Hoffnung erfüllen, so wird die chinesische Kirche jede Hilfe benötigen, die ihre Schwesterkirchen im Ausland aufbringen können. Sie wird zweifellos die Hunderte von chinesischen Christen aus Hongkong, Taiwan und von anderen Gebieten auf dem Festland willkommen heißen, die sich auf diese Möglichkeit vorbereitet haben. Kann nicht die Existenz so vieler Mensdien mit derselben Vision ein Anzeichen dafür sein, daß Gott ihre Gebete erhören wird und die Tore zum Festland wieder öffnet? Außer den Chinesen würde das Willkommen gewiß audi anderen Asiaten gelten wie z. B. Koreanern, Japanern, Indonesiern oder Indern. Seit 1950 machte sich das chinesische Volk mit dem Kommen und Gehen großer Mengen »ausländischer Gäste« aus aller Welt vertraut. Und auch die »christlichen« Gäste aus anderen asiatischen Ländern waren im neuen China nicht verdächtig.
Jedoch muß ein Willkommen für Amerikaner von seiten des chinesischen Volkes als eine weit entfernte Möglichkeit betrachtet werden. Zwanzig Jahre eingeimpften Hasses gegen die sog. “US‑Imperialisten”, die Bitterkeit über den Vietnamkrieg, der US‑Schutz Taiwans und der Rassenkampf in den USA entfremdeten die Amerikaner und das chinesische Volk völlig. Kanada und Großbritannien hielten die diplomatischen Beziehungen zu China aufrecht. Australien und Neuseeland werden von Peking etwas wohlwollender als andere westliche Nationen betrachtet. Aber das Willkommen für Angehörige des britischen Commonwealth würde in China bestimmt nicht überschwenglich ausfallen.
Auf jeden Fall sollten wir uns folgende Fragen stellen:
Ist die christliche Kirche darauf vorbereitet, wenn sich die Tore Chinas plötzlich öffnen sollten? Haben wir eine gut durchdachte Strategie oder einen Plan? Was für eine Kampftruppe wird ausgebildet? In welcher Lage würden wir uns befinden? Wie würden wir das Evangelium in einem von Grund auf veränderten China vortragen? Welche Fehler der Vergangenheit würden wir zu vermeiden suchen?
Dies sind Fragen von mehr als akademischem Interesse. Sie sind von größter Bedeutung, wenn wir glauben, daß Gott die über eine Milliarde Menschen in China nicht verworfen hat. Solche Fragen müssen betend erörtert und von entsprechenden Taten gefolgt sein. Es wäre verbrecherisch, wieder so unvorbereitet eine Arbeit aufzunehmen, wie es bei der christlichen Kirche z. B. nach dem letzten Krieg in Japan der Fall war. Und wie tragisch wäre es, eine bunte Horde schlecht vorbereiteter und schlecht ausgerüsteter, ungeordneter und unbesonnener, wenn auch begeisterter “Missionare”, Asiaten, Amerikaner oder Europäer, auf eine argwöhnische, ja feindlich eingestellte Bevölkerung loszulassen! Der Gedanke an Hunderte von Gesellschaften unter verschiedenen Fahnen und verschiedenen Erkennungszeichen auf dem Marsch in die Höhle des kommunistischen Löwen läßt den Verstand stutzen. Wie gut ist die Kirche wirklich vorbereitet?

Die Situation im veränderten China
Können wir uns zunächst einmal ein Bild über das China machen, das wir vorfinden werden, wenn die gegenwärtigen Unruhen als Folge der Kulturrevolution aufhören? Es wäre ein China, das sich so vom China unterscheidet, das die Missionare 1951 verließen, wie sich Deutschland heute von dem vor hundert Jahren unterscheidet. Fortschritte, die im Westen einige Generationen andauerten, bewältigte China in einer einzigen Generation. Die Fortschritte der Industrie, der Landwirtschaft, im Verkehrswesen, in der Technik, im Gesundheits‑ und Sozialwesen sind überwältigend. Das nette China ist in vieler Hinsicht fast nicht mehr wiederzuerkennen. Während der letzten Jahre wurden in Europa und Asien Zentren zum Studium des Kornmunismus errichtet. Die Christen können es sich nicht leisten, im Studium der chinesischen Gesellschaft, Wirtschaft und der Auslandsbeziehungen hinter den anderen zurückzustehen, wenn sie begreifen wollen, was mit den Christen auf dem chinesischen Festland geschieht, und wenn sie die Bedingungen erfüllen wollen, die sie bei ihrer Rückkehr nach China vorfinden werden.

Tatsachen zum Nachdenken
1. Wir sollten uns mehr Zucht und Ordnung, Reinheit und Disziplin zu eigen machen. Alle Besucher Chinas, ob Geschäftsleute, Wissenschaftler oder Angehörige einer Kirche, sind von dem Unterschied zwischen dem heutigen China und dem alten China mit seinen Mängeln und der tatenlosen Regierung beeindruckt. Staatserziehung, Gesundheits‑ und Wohlfahrtsorganisationen übernahmen oder ersetzten die missionarischen Einrichtungen, für die kein Platz mehr vorhanden ist.
Was auch immer die Christen nach China bringen wollen, es wird bestimmt nicht nur Menschenliebe, soziale Wohlfahrt oder Wohltätigkeit sein können. Diese institutionelle Art des Beitrags ist für immer vorbei.
2. Die zwanzigjährige, gründliche Umschulung hat das Denken des ganzen Volkes, auch der Christen, weitgehend beeinflußt. Ihre politischen und internationalen Ansichten werden sehr eng sein, da ihnen objektive Informationen und freie Diskussionen verweigert wurden. In der Industrie des neuen China war die Propaganda am wirkungsvollsten.
3. Wir würden auf abgrundtiefen Haß gegen die Amerikaner und andere “imperialistische Länder” stoßen, die beschuldigt werden, hinter den Mißständen dieser Welt zu stehen und das Haupthindernis der neuen, sozialen Ordnung auf der Grundlage der Gerechtigkeit zu sein. Als Imperialisten” würden auch unsere Beweggründe zu einer Rückkehr nach China höchst verdächtig erscheinen.
4. Die meisten von uns würden sich noch schwerer tun, die Zeitungen zu verstehen. Einmal führten die Chinesen eine neue, vereinfachte Schrift ein, die nicht sehr leicht ohne Studium zu lesen ist. Aber was die Dinge noch erschwert, ist, daß die Ausdrücke des täglichen Lebens, die Redewendungen und der Wortschatz große Veränderungen durchmachten. Es wird allgemein eine kommunistische Umgangssprache verwendet. Die Sprache der einfachen Menschen wurde so anders, daß eine normale Verständigung am Anfang äußerst schwierig wäre. Ein gemeinsamer Punkt der Verständigung könnte nur sehr schwer erreicht werden.
5. Bei den Kindern würden die “großen” Nasen der Menschen aus dem Westen dieselben alten Kommentare hervorrufen. Aber auch in anderen Beziehungen erscheinen wir ihnen wie Leute von einem anderen Planeten. Die jüngeren Chinesen wurden schon fast von der Wiege an vom dialektischen Materialismus bestimmt. Sie kennen keine andere Philosophie als den Materialismus. Wir fänden also zum größten Teil Atheisten vor, die die Christen als Dummköpfe und unwissenschaflliche “rückständige Elemente” verachten. Der Unterschied zwischen den Generationen käme viel deutlicher als im Westen zum Ausdruck, und es wäre so gut wie unmöglich, die Kluft zu überbrücken.
6. Aber wir könnten auch sehen, daß Dingen wie Aberglauben, Ahnenverehrung und Götzendienst, die einst das große Hindernis auf dem Wege des Evangeliums darstellten, ein tödlicher Schlag erteilt wurde. Wir stünden daher in sozialer, intellektueller, religiöser und psychologischer Hinsicht einer Situation gegenüber, die wir nur mit der Weisheit und Kraft Gottes, die er seinen Knechten gewährt, bewältigen könnten. Jeder, der ungenügend vorbereitet wäre, erhielte vor Ablauf einiger Wochen einen ernsthaften »Kulturschock«. Diese Aufgabe ist ungeheuer. Aber unter der Führung des Geistes Gottes, der für jede Situation ausreicht, würden die Christen von den sich anhäufenden Schwierigkeiten nicht erdrückt. Evangelische Christen sollten zusammen beten, zusammen planen und eine gründlich ausgerüstete, internationale Truppe ausbilden, die bereit ist, wenn die Zeit kommt, einzurücken.

Strategie einer Verkündigung für Kommunisten
1. Die Rückkehr nach China sollte sich nicht auf eine Missionsgesellschaft gründen, sondern ein Unternehmen auf Kirchenbasis sein. Keine ausländische Missionsgesellschaft, kein Missionskomitee sollte als solches versuchen, auf einer Gesellschaftsgrundlage zurückzukehren. Es darf keine Wiederholung der vielschichtigen Gesellschaftssituation mehr geben. Es wäre daher ratsam, die evangelischen Kirchen Hongkongs zu vereinen, damit sie für Christen der Kanal nach China werden können. Ihr Gegenüber in China bildeten dann die sie willkommen heißenden Kirchen auf dem Festland. Ist dies zu idealistisch gedacht, so bestände vielleicht folgende Möglichkeit:
2. Ein gemeinsamer Annäherungsversuch an die Kirche Chinas könnte von einer repräsentativen Einrichtung im Ausland vorgenommen werden, die die Rückkehr ausgewählter Missionsarbeiter einleitet. In diesem Falle müßte jedoch eine chinesische Kirchenorganisation die gesamte Kirche Chinas vertreten können und die Verhandlungsgruppe genauso alle Organisationen mit dem größten Interesse an China repräsentieren.
Nicht jeder wird die Vorschläge akzeptieren, die ein katholischer Priester in den USA während einer Vorlesung machte. Aber er hat im Grunde genommen recht, wenn er sagt: »Ich bin der Meinung, wenn der Tag der Wiederaufnahme der Kontakte zur chinesischen Kirche wirklich kommt, so sollten diese nicht über einen Missionsausschuß oder durch nationale Missionsgesellschaften hergestellt werden. Meine Hoffnung richtet sich auf eine internationale, neutrale Gruppe von nichtnationalem Charakter. Es wäre auch zu wünschen, daß die ökumenische Bewegung bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Festland der missionarischen Tätigkeit wieder offensteht, einen solchen Entwicklungsstand erreicht hat, daß das Wort Gottes ohne Wiederholung der Bemühungen und ohne den Konkurrenzkampf, der heute in vielen Ländern auftritt, gepredigt wird.«
Es liegt Weisheit in diesen Worten, aber sie weisen auch auf eines der heikelsten Probleme hin, das die Rückkehr nach China erschwert. Ganz besonders für die voraussichtlichen Missionare, und das ist die Mehrheit, die dem Weltkirchenrat nicht angegliedert sind. Trotzdem ist etwas Derartiges gewiß wichtig, um eine so unglückliche Verwirrung wie vor der kommunistischen Ära zu verhindern. Auch wenn es Evangelischen schwerfällt, mit denen zusammenzuarbeiten, die ein »anderes Evangelium« predigen, so sollte es wenigstens nicht zu schwierig sein, sich untereinander auf eine gemeinsame Politik zu einigen.
3. Bevor ein endgültiges Programm festgelegt wird, müßte als erster Schritt die Gemeinschaft mit den Kirchen Chinas gesucht werden.
Die trennende Kluft ist breit und tief. Es wird viel Zeit brauchen, die enge Gemeinschaft in Christus zu erneuern. Mißverständnisse müssen gefunden und die Kritik anerkannt werden. Demut ist auf beiden Seiten wichtig. Wir, die wir keine Verfolgung durch den Kommunismus erlitten, werden uns zu Füßen der chinesischen Christen setzen müssen und die Lektionen mit ihnen teilen, die sie Gott im Leiden gelehrt hat. Sie wiederum werden nach dem Trost des Wortes hungern, nachdem sie so lange ohne Bibeln und ohne biblische Seelsorge auskommen mußten. Wir wären außerdem auf ihren Rat angewiesen, wie wir sieben‑ bis achthundert Millionen Menschen mit dem Evangelium erreichen und die neue Lage in China erfassen können. Stürzten wir uns mit unseren eigenen Plänen darauflos und übergingen dabei den zutiefst verwundeten Körper Christi in China, so hieße das, den Mißerfolg heraufbeschwören.
4. Im Austausch mit der Kirche würde uns bald klar, daß kein Gedanke daran sein kann, einfach zur Lage vor 1948 zurückzukehren.
Das Evangelium veränderte sich nicht, aber einige Formen, die früher in der Verkündigung angewandt wurden, wären höchstwahrscheinlich nicht mehr annehmbar. Die übliche Verfahrensweise und die evangelistische Umgangssprache würden das Eis bei einer Generation, die nur Marx und Mao kennt, nicht auftauen. Ein paar Methoden könnte man vom Kommunismus borgen, der sie ja ursprünglich vom Christentum entlehnte und für sich anwandte.
Man müßte auch ein Bibelverständnis übermitteln in der Art, wie Kommunisten die Gedanken Maos einimpfen.
Bei einem Zusammentreffen mit einigen Führern der China-Inland‑Mission in Schanghai im Jahre 1951 wurde Watchman Nee, der von einigen Kollegen begleitet wurde, gefragt, in welcher Funktion wir nach China zurückkehren sollten, falls sich die Tore jemals wieder öffneten. Darauf antwortete er: “Als lehrende Alteste in unseren Kirchen!” Er erklärte, die Evangelisierung würde am besten von den Chinesen selbst unternomrnen. Aber das Lehren der Bibel in den Kirchen sei ein Amt, für das uns unsere Erfahrung und jüngerschaft ausgerüstet habe. Die Beschaffung von Literatur und Rundfunkseiiduti”cn wäre von großer Bedeutung, soweit sie erlaubt würden, aber auch sie müßten den Bedürfnissen und dem Charakter des neuen China entsprechen.
5. Es ist wichtig, die kommunistische Ideologie zu verstehen, damit wir das Evangelium entsprechend kraftvoll verkündigen können. Evangellsten sind manchmal der Meinung, das Predigen des Evangeliums bestehe nur in der Wiederholung bestimmter Lehren über Gott, Mensch, Sünde, Kreuz, Glaube, Himmel und Hölle (und das für gewöhnlich in der abendländischen Denkweise). Für Moslems, Buddhisten oder Hindus scheinen wir dasselbe Thema zu haben wie sie, nur daß sie es in östlicher Form tun. Oder sie empfinden es als seltsames Märchen einer fremden Religion: interessant, aber nicht annähernd so befriedigend wie die ihrige. Eine Verkündigung unter dem Kommunismus wäre mit ähnlichen Problemen verbunden. Er befaßt sich mit dieser Welt, nicht mit der zukünftigen, mit Armut, Hunger und Ungerechtigkeit, nicht mit der Sünde, mit dem Körper und nicht mit der Seele.
Bei einer Konferenz, die vor einiger Zeit in Malaya stattfand, enthüllte die Gruppendiskussion unter jungen chinesischen Christen, wie wenig sie über das Zeugnis gegenüber Andersgläubigen in ihrem eigenen Land wußten. Es ist daher ein viel eingehenderes Studium des Kommunismus notwendig als nur über die Grundzüge, die im 4. und 5. Kapitel dieses Buches beschrieben sind. Erst dann kann man die Fehler und wunden Punkte des Marxismus richtig einschätzen.
Der Christ muß auf Debatten, Zwiegespräche und Diskussionen vorbereitet sein, wenn er diejenigen überzeugen will, die der christlichen Wahrheit gegenüber voreingenommen sind. Aber sind wir auf all diese Anforderungen verstandesmäßig und geistlich vorbereitet? Eine rein negative antikommunistische Einstellung würde nur Widerspruch hervorrufen und das Ziel verfehlen, die harten Herzen und verfinsterten Gedanken dem Evangelium zugänglich zu machen.
Mitglieder des Kampftrupps müssen nicht nur in der christlichen Apologetik und der marxistischen Dialektik Bescheid wissen, sondern es müssen auch vom Geist Gottes erfüllte Männer und Frauen sein, wenn sie es mit den chinesischen Massen, deren Gedanken vom Kommunismus erfüllt sind, aufnehmen wollen.
6. Es ist wichtig, nicht nur halbe Wahrheiten und zweifelhafte Behauptungen zu verbreiten, wie es in der Vergangenheit verschiedentlich der Fall war, sondern die positive Gewißheit des christlichen Glaubens zu verkünden.
Es wäre verheerend, brächten wir die theologischen Zweifel und gegenwärtigen verschleierten Theorien, die unsere westlichen Kirchen plagen und sowohl die Kirchenstühle als auch die Kanzeln leerfegen.
Um gegen die eindeutigen Behauptungen und die tiefe überzeugung der Marxisten anzukommen, müssen die Christen eine eindeutige, maßgebende, kompromißlose biblische Botschaft verkündigen. Christlicher Liberalismus bietet der Welt, ganz besonders der kommunistischen, eine völlig unzulängliche Botschaft. Wir müssen zeigen, daß Gott lebendig und nicht tot ist. Christus muß als der Herr der Welt und als einziger Retter der Menschheit verkündet werden.
7. Unter Jugendlichen wäre es ratsam, kleine Gruppen oder zellenartige Zusammenkünfte zu bilden, wie es ihnen von den Kommunisten her vertraut ist.
Schon bevor der Kommunismus in China an die Macht kam, übten christliche Studenten in Peking eine seiner Verfahrensweisen. Einige ihrer Führer pflegten Zusammenkünfte, in denen von allen eine aufriditige selbstkritische Beteiligung gefordert wurde. Solange man die Gefahren kennt, kann man diese typische kommunistische Übung mit Gewinn praktizieren, um eine enge Gemeinschaft unter den Christen zu schaffen.
Christliche Gemeinschaft muß mehr sein als nur ein Gegenstück zu der glühenden Kameradschaft innerhalb der kommunistische Gesellschaft. Sie sollte den Charakter der Gemeinschaft haben, die an vielen Universitäten in der Nachkriegszeit unter christlichen Studenten zu finden war, bevor sich der Kommunismus durchsetzte.
8. Wir müßten einen einfachen Lebensstil annehmen und jede Selbstgefälligkeit meiden.
Es ist eigentlich überflüssig zu betonen, daß Missionsausschüsse nicht versuchen sollten, ihre früheren Grundstücke, Häuser oder Finrichtuiigen zurück zu bekommen. Es wäre in einer sozialistischen Gesellschaft untragbar, eine Ausnahmestellung und größereii Reichtum zur Schau zu tragen oder sich gar dem Luxus hinzugeben und auf Erleichterungen zu bestehen. Die)’enigen, die hlissionsarbeit in kommunistischen Ländern tun wollen, inüßten darauf vorbereitet sein, die Unterkunft und die Bedingungen anzunehmen, für die die einheimischen Kirchen gesorgt haben.Es istnötig,daß siemitspartanischereinfachheitzufriedell sind und ein enges Verhältnis zu der Bevölkerung suchen.
9. Es wäre ratsam, daß Missionare so wie der Apostel Paulus ihren Unterhalt selbst verdienen würden.
Die bisherige Vorstellung der Eingeborenen über Missionare ist oft nicht gerade schmeichelhaft: wohlhabend, verhältnismäßig müßig, ziemlich überlegen und zurückhaltend und nicht gewillt, ihre Hände an Dingen schmutzig zu machen, für die Diener angestellt waren.
Diejenigen, die nach China zurückkehrten, müßten das Predigen des Evangeliums mit einem praktischen Ausdruck des sozialen Interesses an der Entwicklung einer Gesellschaft verbinden. Missionskrankenhäuser gehören der Vergangenheit an, aber Arzte und Schwestern könnten in China in staatlichen Einrichtungen arbeiten. Missionsschulen oder Universitäten gibt es nicht mehr, aber Lehrer, Landwirtschaftsexperten, Ingenieure, Sozialarbeiter und Universitätslektoren könnten in Regierungsinst‑»tutionen willkommen sein.
Eines ist sicher: Christen der Zukunft müssen klüger als Schlangen und argloser als Tauben sein.
10. Diejenigen, die auf eine Rückkehr nach China hoffen, müssen nicht nur auf ihre Arbeit vorbereitet sein, sondern auch auf jedes Opfer.
Ein Aufsatz von Herbert Kane, »Der Konflikt ist unvermeidlich«, besagt unter anderem: Die christliche Kirche muß darauf vorbereitet sein, die Kommunisten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, sie zu übertreffen, noch wagemutiger zu sein, sie zu überleben und wenn nötig auch noch zu übersterben’!”
Am 150. Jahrestag der Bibelgesellschaft hielt Professor James Stewart von Edinburgh vor der Königin und Prinz Philipp in der Westminster Abbey den Festgottesdienst. Sein Thema anläßlich dieses großen Ereignisses war, daß in Anbetracht der gegenwärtigen heidnischen Bedrohung der Welt das entkräftete, formelle, traditionelle heutige Christentum nutzlos sei. Man könne den antichristlichen Kräften nur durch die Macht des Wortes Gottes begegnen und durch Christen, die an seine Wahrheit glaubten. Diese müßten davon völlig überzeugt sein und bere’ t, notfalls für ihren Glauben zu sterben.
Solche Männer und Frauen brauchen wir, um dem Kommunismus die Botschaft von Christus wirkungsvoll entgegenzusetzen. Sie könnten auch nadi China zurückkehren, in ein China, das seine alten Fundamente zerstörte und dann herausfand, daß der atheistische Kommunismus nichts bieten kann. Nichts, das die leeren Herzen der Menschen befriedigen und den Hohlraum ausfüllen könnte, den der Kommunismus selbst geschaffen hat. Die Chinesen sind wie wir von Gott geschaffen und auf Gott angelegt. Wenn sie das wüßten, so würden sie in den Ruf ausbrechen:
Du, o Christus, bist alles, was ich will;
mehr als alles finde ich in dir!

10. KAPITEL
DER KOMMUNISMUS ‑ HERAUSFORDERUNG AN DIE CHRISTENHEIT

In einem der vorausgehenden Kapitel versuchten wir zu beweisen, daß der Kommunismus eine Pseudoreligion, eine ausgeklügelte Fälschung des Christentums ist. Er trägt viele Grundzüge der ersten Gemeinde, die längst aus dem modernen Christentum verschwunden sind. Vielleicht ist das Ausmaß des Erfolgs der kommunistischen Bewegung während der letzten fünfzig Jahre der Maßstab für das Versagen der Kirche. Trotz des Risikos, einiges zu wiederholen, könnte eine Betrachtung der verschiedenen Arten, auf die der Kommunismus eine Herausforderung an die Christenheit darstellt, dazu dienen, das Thema zusammenzufassen.

Die Herausforderung seines Idealismus
Die treibende Kraft des Kommunismus ist der brennende Haß gegen die derzeitigen Verhältnisse der Welt und der große Glaube, die vollkommene Gesellschaft sei ein erreichbares Ideal. Der wahre Kommunismus tritt leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit ein. Und er wird in seiner Gewißheit durch seinen Glauben an ein natürliches Gesetz bestärkt, das den Menschen unausweichlich auf sein utopisches Ziel zutreibt. Es ist das Gesetz des dialektischen Materialismus oder des wirtschaftlichen Determinismus.
Von dieser utopischen Ära erwartet er vollkommene Gerechtigkeit, das Ende des aufreibenden Klassenkampfes, die Ausschaltung des Krieges, volle Genüge für alle, die Enthüllung der letzten Naturgeheimnisse, den endgültigen Sieg über Zerfallserscheinungen, die Vervollkommnung der menschlichen Natur und den Verzicht auf Polizei und jede Art des Zwangs. Dieser Plan wirkt besonders anziehend auf Menschen, die unter schlechten Regierungen, korrupten Beamten und ungerechten wirtschaftlichen Systemen leiden.
Aber weshalb hat die Welt nichts vom christlichen Ziel, von der Herrschaft Christi auf Erden erfahren? Weil die Christen nur zur Hälfte daran glauben? Warum ließen wir es zu, daß uns die Zeugen Jehovas den Wind aus den Segeln nahmen? Jesaja und die anderen Propheten schilderten das Nahen des Reiches Gottes in glühenden Worten. Der Apostel Paulus sah einen »neuen Himmel und eine neue Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt«. Und unser Herr lehrte uns zu beten: »Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!«
Fordert uns nicht der Kommunismus dazu heraus, klarer über die persönliche Rückkehr Christi und über das Reich zu sprechen, das er auf Erden errichten wird?

Die Herausforderung seiner Dynamik
Ein Vertreter eines bekannten britischen Chemiebetriebs, der Christ ist, gehörte einer Gruppe an, die Peking 1966 geschäftlich besuchte. Er war zutiefst beeindruckt, ja fast erschrocken über diese Nation, die vor ungeheurer Aktivität und starkem Orientierungsvermögen überschäumte. Die Leute arbeiteten mit Begeisterung, weil sie zu wissen glaubten, wohin sie gehen. Es gelang China, der früheren Schmach der Rückständigkeit ein Ende zu setzen, und es machte innerhalb von zwanzig Jahren riesige materielle Fortschritte.
Trotz häufiger Fehler und schwerwiegender Rückschläge kam der Fortschritt nicht zum Stillstand, und wir alle können die Beweise dafür sehen. Unter einer dynamischen Führung mit erstaunlichen organisatorischen Fähigkeiten krempelt das chinesische Volk sein eigenes Land in jeder Hinsicht um. Wirtschaftlich gesehen holt es den übrigen Ländern gegenüber rapide auf. Ein Ziel, das es sich gesetzt hat, ist, bis 1975 die Stahlproduktion Großbritanniens übertroffen zu haben. Experten sind der Ansicht, daß China mit seiner riesigen Bevölkerung, seiner großen Geschicklichkeit und seinen ungeheuren Bodenschätzen lange vor Ende des Jahrhunderts der größte Exporteur der Welt sein wird.
Die heutigen Christen sind kaum diejenigen, die die Welt auf den Kopf stellen. Von den Kommunisten kann man das wohl behaupten. Nicht als könnten wir unsere Hingabe an Christi Sache am Eifer der Kommunisten entzünden. Der Christ muß vom Kommunismus nichts lernen. Aber das verfallene, orthodoxe Christentum, das dem Christentum des Neuen Testaments kaum ähnelt, muß sich mit der Herausforderung des kriegerischen Kommunismus auseinandersetzen. Und das Christentum tut wohl daran, dieser Herausforderung zu begegnen und sie anzunehmen.

Die Herausforderung seines Materialismus
Diese Welt ist die einzige, die existiert, behauptet der Marxist. Der Mensch ist ein Körper ohne Seele. Der Tod ist das Ende. Daher sind die Bedürfnisse des Menschen auf seine körperlichen, sozialen und kulturellen Erfordernisse begrenzt, auf Nahrung, Geschlechtlichkeit, ein Haus, Arbeit und lohnende Freizeit. Stille diese Bedürfnisse, so stillst du alle Forderungen des Menschen. Der Mensch lebt allein vom Brot.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was es für einen Christen bedeutet, in einer solchen Atmosphäre zu leben und zu wissen, daß der Mensch doch nicht vom Brot allein lebt, daß er und alle seine Mitmenschen unsterbliche Seelen haben, für deren Errettung Christus gestorben ist. Andere um ihn her vertrauen auf das Sichtbare. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf die unsichtbaren, ewigen Dinge. Es ist daher äußerst schwierig, in einer materiellen, atheistischen Gesellschaft am christlichen Glauben festzuhalten.
In Deutschland scheint die größte Herausforderung die zu sein, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung, wenn auch nicht aus theoretischen oder philosophischen, so doch aus praktischen Materialisten besteht. Gott ist keine Wirklichkeit. Die Seele zählt anscheinend nicht. Das Wichtigste ist für uns Nahrung, Sex, ein Haus, Arbeit und Freizeit, mit der jeder anfangen kann, was er will.
Die Gefahr liegt darin, daß wir unsere erste Verteidigungslinie gegen den Kommunismus preisgaben, als wir den Materialismus als Lebensweise annahmen. Wenn sich nun herausstellt, daß eine sozialistische (kommunistische) Regierung unser materielles Leben besser in die Hand nehmen kann als jedes andere System, warum lassen wir es dann nicht zu? Im Gegensatz zu den Christen haben die Humanisten keine Bedenken gegen den Kommunismus, was Religion betrifft, auch wenn sie sich vor seiner Tyrannei fürchten.
Die Herausforderung an die Christen ist deshalb, in ihrem Leben deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß ihr Hauptanliegen nicht wie das ihrer Nachbarn und Kollegen der materielle Wohlstand ist. Die Liebe ihres Herzens richtet sich fest auf himmlische und nicht auf weltliche Dinge.

Die Herausforderung seines Atheismus
Während der letzten Zeit des nationalistischen Regimes in Peking war ich in eine Diskussion mit einer Studentengruppe der Universität Peking verwickelt. Es ging um das Thema »Die letzte Wirklichkeit«. Für einen Christen ist es naheliegend, mit der Antwort schnell bei der Hand zu sein, daß Gott die letzte Wirklichkeit ist. Aber einen Kommunisten, der im materialistischen Erklären der Welt geschult ist, überzeugt diese Antwort nicht.
Marx und die ersten kommunistischen Propheten lehnten Gott als eine Voraussetzung ab und bauten eine Philosophie auf seinem Nichtsein auf. Religion und Glaube wurden sogar als eindeutiges Hindernis auf dem Weg zum kommunistischen Ziel bezeichnet. »Die Religion ist das Opium des Volkes«, sagte Marx, das sie so betäubt, daß man sie dazu überreden kann, den sozialen Ungerechtigkeiten völlig gleichgültig gegenüberzustehen und nichts zur Anderung der Lage beizutragen.
Kommunisten tolerieren die Religion daher niemals. Genauer gesagt, sie sind militante Atheisten. Daher liegt ihre »letzte Wirklichkeit« nicht in der Religion und noch viel weniger bei Gott, sondern im dialektischen Fortschritt, der das menschliche Vorrücken in Richtung der vollkommenen Gesellschaft zusichert. Nach dieser Theorie ist der Mittelpunkt des Universums nicht Gott, sondern der Mensch selbst.
Wie begegnet ein Christ dieser Herausforderung? Er sollte diesem philosophischen Argument ein eigenes entgegensetzen können. In 1. Petr. 3, 15 wird uns gesagt, wir sollten immer bereit sein, jedem, der uns fragt, eine Antwort zu geben über die Hoffnung, die in uns ist. Aber letztlich ist diese Frage nicht geistig, sondern experimentell. Wie wirklich ist Gott für mich? Welcher Erfahrungen Gottes erfreue ich mich? Habe ich seine Macht in Zeiten der Not ausprobiert: im Leiden und in Schwierigkeiten? Ist mein religiöser Glaube mehr als eine lindernde Arznei für mich? Erweckt mein Glaube an Gott in mir ein praktisches Interesse an meiner Umwelt und ihren Problemen?

Die Herausforderung seines Evangeliums
Die tiefe Überzeugung, kühne Zusicherung und der brennende Haß der Kommunisten gegen soziale und politische Mißstände und gegen die dafür verantwortlichen Personen machen sie zu begeisterten Missionaren. Die »Roten Garden« gaben ein Beispiel für die ungeheure Glut, deren die junge Generation fähig ist, wenn sie den Wert einer Sache spürt. Michael Brownes Eindrücke über seinen Kantonbesuch 1967 sind es wert, wiedergegeben zu werden:
»Mao ist Gott, die Partei die Kirche und die Kreuzzugsevangelisten diese jugendlichen »Roten Garden«. Die »Auszüge« ersetzen die eingegebenen Schriften, und der Ruhm der Weltrevolution und des Weltkommunismus stellen ihren »Himmel« dar. Ungläubige sind Revisionisten und Klassenfeinde, die normalerweise als Ungeheuer oder Geister bezeichnet werden. Propagandamethoden haben Ähnlichkeit mit christlichen Kampagnen: Straßenversammlungen, Hausdienst, Traktatvertellung, Zeugnisse und sogar Gesangblätter …
Im Lichte dessen, was wir in China sahen, kommen wir zu dem Schluß, daß nichts in dem gegenwärtigen luxusliebenden, evangelischen Christentum im Westen auch nur entfernt an den furchterregenden Eifer herankommt, wie man ihn bei der politisch inspirierten Jugend Chinas findet. Wenn wir Christen nicht wenigstens eine annähernde Hingabe und Überzeugung für das Evangelium aufbringen können, zu dem wir uns bekennen, so wird unsere Botschaft wenig Eindruck bei einer Generation hinterlassen, die sich so leidenschaftlich ihrer glühenden Bestimmung hingibt.«
Das sind harte Worte, aber wer könnte ihre Richtigkeit anfechten?

Die Herausforderung seiner Sittenstrenge
Die kommunistische Ethik ist sachlich. Der Kommunist glaubt nicht an ein ewiges, unveränderliches moralisches Gesetz. Seine Vorstellungen von falsch und richtig sind völlig relativ. Da die Ethik einer bestimmten Ära die Widerspiegelung eines Stadiums des wirtschaftlichen Fortschritts darstellt, folgt daraus, daß sich der ethische Standard von Zeitalter zu Zeitalter verändert.
Im wesentlichen ist das richtig, was die Sache der kommunistischen Revolution fördert, und alles andere ist falsch. Das mag in manchen Fällen die Anwendung von Täuschung, Lüge, Grausamkeit, Mord und Quälerei rechtfertigen, aber nur, soweit dies dem angestrebten Ziel dient. Unter anderen Umständen werden diese Dinge als böse betrachtet, vor allem, wenn sie den Fortschritt des Sozialismus in Richtung auf sein Ziel behindern.
Die Kommunisten können in Wirklichkeit in ihren Ansichten sehr puritanisch sein, und sie sind es auch. Prostitution, Glücksspiel und leichter Diebstahl waren z. B. die ersten Angriffsziele des neuen Regimes. In erstaunlich kurzer Zeit verschwanden das berüchtigte organisierte Verbrechertum und das Glücksspielgewerbe aus Schanghai. Derartige “bourgeoisistischen” Mißstände wie sexueller Partneraustausch, Scheidung und Jugendkriminalität werden mit Verachtung betrachtet.
1967 stellte Rev. Jan Thomson fest »Im Verlauf der drei ausgefüllten Wochen unter Tausenden von Menschen und unter verschiedenen Umständen erlebte ich keinen einzigen Vorfall von Unanständigkeit oder etwas, das einen in Verlegenheit hätte bringen können. In dieser Hinsicht ist China eine gesund eingestellte moralische Gesellschaft. Die Jugend ist mit der Revolution beschäftigt und ihr einziger, brennender Wunsch, dem Volke zu dienen, steht in bemerkenswertem Kontrast zu den Schlagzeilen der Zeitungen über Love‑in in England und Miniröcke in Moskau, was beides die Chinesen in ihrer Annahme über den Zerfall der Zielbewußtheit des Westens bestätigt haben würde.«
Die Kulturrevolution zielte darauf ab, die Gesellschaft von schlechten Angewohnheiten und von falschen Denkweisen zu säubern. Die alte marxistisclie Theorie argumentierte immer, es sei möglich, die menschliche Natur zu verändern, indem man die Umgebung des Menschen ändert, da das Böse einer falsch geordneten Gesellschaft entspringt. Und weil der Kapitalismus die Wurzel alles menschlichen Übels ist, wird dieses Übel mit der Zerstörung des kapitalistischen Systems verschwinden. Eine kapitalistische Gesellschaft, so behaupten sie, ermutigt den Egoismus, wohingegen eine sozialistische Gesellschaft (einer für alle und alle für einen) zur Selbstlosigkeit erzieht. In der endgültigen, vollkommenen sozialistischen Welt wird der Mensch seine Ichbezogenheit ablegen, und der vollkommene sozialistische Mensch wird schließlich die ideale, glückliche Gesellschaft zur Wirklichkeit machen.
Ein Traum, aber auch eine ungeheure Herausforderung an die christliche Gesellschaft, die revolutionäre Macht der selbstlosen Liebe Christi in allen menschlichen Beziehungen und in praktischen Versuchen, die menschlichen Probleme in Angriff zu nehmen, die die Sünde aufgeworfen hat, zu beweisen. Nur dann wird sich ein Kommunist überzeugen lassen, daß das Christentum tatsächlich funktioniert. »Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt« (Joh. 13, 35).

Die Herausforderung seines Nationalismus
Ein Student des Polytechnikums Woolwich forderte mich vor einiger Zeit im Verlauf einer Vorlesung über »Das China heute« heraus, die Unrichtigkeit der Vorwürfe zu beweisen, das Christentum und der Imperialismus steckten unter einer Decke.
Es ist unmöglich, das Gegenteil dessen zu beweisen, was in Afrika so offenkundig der Fall war. Dort waren die Missionen sehr oft Handlanger der Kolonialregierungen, deren großzügige Unterstützung von Anfang an Missionsschulen und Krankenhäuser unterhielt. Für die Missionen in China ließen sich bessere Argumente vorbringen, weil dort keine Regierungen aus dem Ausland christliche Einrichtungen finanzierten. Aber der Schmutz klebt den Missionen immer noch an, und vieles muß noch überwunden werden.
Die Herausforderung an die Missionen lautet hier eindeutig, die einheimischen Kirchen völlig unbeeinflußt zu lassen; sowohl in Verwaltungs‑ als auch in Finanzangelegenheiten eine frühere, väterlich herablassende Haltung zu meiden und eine neue Annäherung an die nationalen Kirchen der Welt zu suchen, indem wir ihnen unsere Kenntnis und Erfahrung und unseren demütigen Dienst anbieten.
In China wird sich die Kirche nie wieder vom Ausland kontrollieren lassen. In Afrika ist es höchste Zeit, darauf zu bestehen, daß die ausländische Kontrolle sofort aufhören muß, wenn in diesem Land das wahre Christentum überleben soll. Westliche Muster und Traditionen müssen verschwinden. Indien und Japan sollten sehr wohl in der Lage sein, ihre eigene biblische und doch asiatische Form der Theologie zu finden.
Die chinesische Kirche hat vielleicht damit begonnen, eine neue Ausdrucksweise des unveränderlichen Evangeliums zu prägen, die der dynamischen sozialistischen Gesellschaft entspricht. Könnten andere Chinesen, Asiaten und Angehörige des Westens, wenn sie das Vorrecht bekämen, die chinesische Kirche in ihrem Vorhaben, das Evangelium zu verbreiten, zu unterstützen, sich selbst von der traditionellen, westlich‑orientierten Form des Christentums befreien, die an eine fremde Kultur gebunden ist? Könnten sie die Kirche in China wiederaufbauen helfen, die nicht länger eine »fremde Religion« vertreten soll, sondern tief im Leben, dem Boden und der Kultur Chinas verwurzelt Ist und dem chinesischen Volk die tiefe Befriedigung anbietet, die es in den materialistischen Antworten des Kommunismus nicht finden kann?

11. KAPITEL

KONFRONTATION

Präsident Sukarno aus Indonesien mag zwar das “Konfrontasi” geprägt haben, um seine ablehnende Haltung gegenüber dem neuen Staat Malaysia auszudrücken, aber der Gedanke stammte nicht von ihm.
In Offenbarung 12 verfolgt Satan eine Konfrontationspolltik der Kirche Jesu Christi gegenüber. Dies ist das Thema der ganzen Offenbarung, ja sogar der ganzen menschlichen Geschichte seit dem Sündenfall. Aber hier werden die beiden Wunder beschrieben: die Frau, die ein Kind gebiert, und der Drache, der seine Vernichtung sucht. Das Kind ist Christus, der eines Tages die Völker regieren wird (Vers 5), aber das Kind ist auch die Kirche. Ebenso wie Satan das Kind Jesus kurz nach seiner Geburt vernichten wollte, so versuchte er auch ‑ wie es die Apostelgeschichte beschreibt ‑, die Gemeinde kurz nach ihrer Geburt an Pfingsten durch heftige Verfolgung zu zerstören.
In der ganzen heutigen Welt ‑ und am deutlichsten in China – steht der große rote Drache der Kirche Christi feindlich gegenüber. Der anhaltende Krieg eilt seinem Höhepunkt zu (Vers 7). Satan, der Betrüger, der die Menschen mit seinen trügerischen Ideologien und attraktiven Kulten verwirrte, wurde auf die Erde geworfen als ein besiegter Widersacher (Vers 9‑10). Er ist von tiefem Haß erfüllt, weil er weiß, daß ihm nur noch kurze Zeit bleibt (Vers 12), und er dehnt seine Verfolgung aus (Vers 13).
Zeiten zunehmender Bedrängnisse nahen. ‑ »Wehe den Bewohnern der Erde …« (Vers 12). Aber dies ist die Stunde des Sieges für die Gemeinde: »Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus« (Vers 10). Das Blut des Lammes und das Wort unseres Zeugnisses werden uns den Sieg bringen unter der Bedingung: » …sie haben ihr Leben nicht geliebt bis in den Tod« (Vers 11). 
In dem, was sich als Schicksalsstunde der Weltgeschichte herausstellen mag, sieht Gott nach denen, die bereit sind, wenn nötig das höchste Opfer darzubringen, nach Männern und Frauen, die frei von jeder Selbstliebe und voller Liebe zu Jesus Christus darauf vorbereitet sind, ihm zu gehorchen, koste es, was es wolle.

Hat die Gemeinde in China überlebt?
1950 gab es in China 11470 örtliche Gemeinden, mehr als 7500 evangelistische Zentren, über eine Million getaufter, protestantischer Christen, mehr als zweitausend ordinierte chinesische Pastoren und über 10500 Evangelisten. Achtundvierzig theologische Universitäten und einundzwanzig Bibelschulen unterrichteten Tausende von Studenten. Außerdem gab es noch achtzehn christliche Universitäten und Hochschulen und über siebzig christliche Krankenhäuser.
Ist heute noch etwas davon übrig? Besaß die Kirche irgendwelche dauerhaften Eigenschaften? Wie überall in der bekennenden Kirche, ist dies verschieden zu beantworten. Es gab einerseits viel Formales. Und der Nominalismus war allzusehr verbreitet. Liberalismus und moderne Theologie hatten das Fundament weitgehend untergraben. Aber dort, wo die Kirche fest auf eine biblische Theologie gegründet war, zeichnete sie sich aus durch aufrichtige Hingabe, den Geist des Gebets, die Liebe zur Bibel, den Willen, ein aufopferungsvolles Leben zu führen, den Evangelisationseifer, durch die herzliche christliche Gemeinschaft, durch eine auf den Geist ausgerichtete Führung, durch die ungewöhnliche Fähigkeit, die Schrift auszulegen, und die leidenschaftliche Hingabe an Jesus Christus.
Ich werde die wenigen Jahre in Peking, die ich mit Studenten vor der kommunistischen Übernahme verbrachte, niemals vergessen. Die angeführten Eigenschaften kamen am deutlichsten unter diesen begeisterten jungen Leuten zum Ausdruck. Es waren ungefähr zweihundert, die gut wußten, was ihnen die Zukunft brachte.
Charles C. West vom ökumenischen Institut Bossey, Schweiz, verglich sie mit anderen Studentenorganisationen in seinem Buch Das christliche Zeugnis im kommunistischen China: »Der christliche Liberalismus verwandelte sich allzuleicht in einen christlich‑kommunistischen Liberalismus in China. Der christliche Liberalismus versäumte es, die Tiefe der Sünde und daher die Notwendigkeit der persönlichen Errettung, der Demut und der Grenzen der sozialen Macht zu erkennen.
Heute ist das kraftvollste christliche Leben in Peking nicht in den Kirchen, sondern in den von Universitäten organisierten Studentengruppen und Religionsgemeinschaften zu finden.«
Die gesamte Kirche Chinas konnte in groben Zügen wie folgt unterteilt werden: Liberalismus mit einer fast fehlenden Botschaft der Erlösung und Evangelismus mit Bibeltheologie und einer mächtigen, klaren Botschaft über Sünde und Gottes Antwort darauf in der Erlösung Christi.
Hat die »geistliche Partei« (der beleidigende Beiname, der den Evangelischen gegeben wird) überlebt, trotz Gefangenschaft, Verfolgung (nicht zuletzt durch ihre Mitchristen), Verbannung in Arbeitslager, Arbeitsverlust, Zerstörung der Bibeln, Schließung der Gotteshäuser und systematischer Umschulung, die ihren Glauben untergraben und zerstören sollte? Gegenwärtig kann auf diese Frage keine vollständige Antwort gegeben werden. Aber aus dem dünnen Strom der Briefe, die die Außenwelt erreichten, bietet sich uns der Eindruck, daß es in China einen Überrest gibt mit einem starken Glauben, der bis ans Ende beharren wird und geläutert aus dem Feuer kommen und seine wichtige Rolle übernehmen wird in der zukünftigen Geschichte der Kirche.

Briefe aus China
1960 zog es eine große Anzahl Chinesen, die in Indonesien unterdrückt wurde, vor, nach China zurückzukehren. Einige schrieben über ihre Erfahrungen:
Hainan 1961
“Geliebte Brüder und Schwestern in dem Herrn!
Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Gerade bin ich aus Indonesien angekommen, aber hier gibt es keinen Ort, um Gott zu verehren und seinen Namen zu rühmen. Mein geistliches Leben ist sehr schwach. Betet für uns, daß wir einen Weg finden, um an einen Ort zurückzukehren, an dem sich eine Kirche befindet, in der die Botschaft des teuren Blutes Christi verkündet wird und wir wieder hören können, daß der Mensch vom Tode zum Leben erlöst wurde, und daß wir sehen, daß Gott sich um uns kümmert … Das ist meine Hoffnung. Emmanuel!”
Peking 1961
Lieber Pastor!
Obwohl ich in Indonesien ein guter Student war, fiel ich bei der Aufnahmeprüfung für die Universität hier durch, weil ich nicht genügend »fortschrittlich« bin und immer noch religiöse Gedanken habe. Jetzt weiß ich, daß Sie recht hatten, als Sie mich warnten, nach China zu gehen, aber jetzt kann ich nicht mehr fort. Als wir in Tientsin in die Kirche gingen, weinte der Pfarrer, als er uns hereinkommen sah. Es waren außer uns nur ein paar alte Frauen anwesend.”
Peking 1964
»Lieber Bruder Te‑hsing!
Ich war vor Freude überwältigt, als ich Deinen Brief erhielt. Es sind nun schon fast vier Jahre her, seit ich Indonesien verließ. Ich kenne jedoch ein wenig Deine Lage und weiß, daß wir durch die große Liebe des Herrn und ein geistliches Leben verbunden sind. Aus der Ferne wünsche ich Dir seinen ewigen Frieden, geistlichen Segen und Erneuerung und eine größere Liebe zum Herrn.
Diejenigen, die in dieses Land zurückkehrten, haben sich sehr verändert. Einige wandten sogar dem Herrn und seiner Wahrheit den Rücken. Darüber bin ich zutiefst traurig. Aber es gibt auch eine kleine Gruppe in meiner Umgebung, die immer noch stark und tapfer für den Herrn eintritt und ihm weiter nachfolgt. Durch ihren Glauben sind sie siegreich.
Letzten Sommer war ich in Schanghai und besuchte drei Kirchen. Die Lage in den Kirchen ist dort zufriedenstellender als in den Kirchen von Peking. Die Internationale Kirche hatte einen Chor von zwanzig Leuten. Es ist möglich, daß im ganzen Land nur noch zwei Kirchenchöre existieren. Ja, wir liebten es, den Chor singen zu hören, und wir lauschten mit tiefer Ergriffenheit.
Was meine Schule anbetrifft, bin ich sehr zufrieden mit den Bedingungen hier. Obwohl mein Studium viel Zeit benötigt, kann ich doch jeden Tag beten und meine Bibel lesen und manchmal auch zur Kirche gehen. Ich gehe fröhlich und willig auf der Straße nach Golgatha und trage mein Kreuz für ihn. Nur diese Art des Lebens ist völlig befriedigend und nicht vergeblich. Ich danke Gott auch für seine Macht und seinen Schutz, als er mich davor bewahrte, dem Kommunistischen-Jugend‑Korps beizutreten. Ich kenne den Grund dafür. Denn wäre ich beigetreten, so hätte das bedeutet, daß ich öffentlich meinen Herrn vor den anderen hätte verleugnen müssen. – Bitte bete für diesen schwachen Bruder. Emmanuel!«

Briefe aus der Zeit der Sozialistischen Erziehungsbewegung
Nanking 1965
»Neulich schaltete ich ein Radiogerät ein. Eines Tages hörte ich zufällig eine Predigtsendung … Aus bestimmten Gründen nahm ich seit einigen Jahren an keinen Versammlungen mehr teil. Ich sehne mich aber nach der Botschaft und der Predigt des Evangeliums, wie ich sie im Rundfunk hören kann. Für gewöhnlich lese ich nur die Bibel und bete zu Hause. Ich gehöre aktiv keiner Gruppe an. Aber in meinem Herzen ist ein großes Bedürfnis nach Gemeinschaft mit anderen Brüdern und Schwestern.«
Yunnan 1965
»Zuerst möchte ich Dich grüßen. Ich danke Gott für seine treuen Diener, die täglich durch das rettende Evangelium die Nachricht der großen Liebe Gottes, seiner Gnade, Macht und Tat für die verlorenen Menschen senden. In diesei Zeit der sich verdunkelnden Nacht und des nahenden Tages, in der die Herzen der Menschen von Sünde und Schmerzen erfüllt sind, ist es erfrischend, Gottes Wort und Evangeliumslieder hören zu können. Wie tröstend das doch ist! Ich hoffe, daß das Wort Gottes immer in die Welt ausgestrahlt werden kann und wie ein Regen auf das ausgedorrte Leben der Menschen wirkt, damit sie beständig den Berg Zion im Auge behalten. Amen!«

Briefe aus der Zeit der Kulturrevolution
Yunnan 1966
»Liebe Tante!
Vater schrieb in seinem Brief, daß Du ein paar Weihnachtskarten an mich geschrieben hättest, die er aber nicht abzuschicken wagte, da die vom letzten Jahr beschlagnahmt wurden. Das macht nichts. Gottes Wort ist in unseren Herzen, und niemand kann es beschlagnahmen. Wir werden ihm immer in seinen Fußtapfen folgen. Bitte, liebe Tante, sei nicht traurig darüber.
Hattest Du ein schönes Weihnachtsfest? Ich feierte in meinem Herzen. Einen Tag vorher ging ich in die Berge und pflückte etwas Löwengras. Damit schmückte ich meine kleine Wohnung. Und ich sang die Weihnachtslieder, die wir zu singen pflegten, als ich noch klein war, und rief mir alle Weihnachten, die Du mit uns feiertest, ins Gedächtnis zurück.
Nun habe ich noch eine gute Nachricht für Dich. Als ich einmal das Radio einschaltete, hörte ich zufällig eine Evangeliumssendung aus dem Ausland: Gesang, Gebet und Schriftlesung … Nur konnte ich nicht lange zuhören, und ich verstand auch die fremde Sprache nicht. In der Stadt, in der ich lebe, wohnt eine Frau, die wirklich gläubig ist und in ihrem Haus Zeugnis gibt. Ich gehe immer dorthin, und sie ermutigt mich sehr. Jedesmal wenn wir uns sehen, halten wir zusammen eine kurze Andacht. Ihre ganze Familie ist gläubig. Möge der Herr dieser winzigen Kirche seinen Segen geben und sie ein kleines Licht in dieser Welt sein lassen! Friede sei mir dir … «

Aus einem Arbeitslager 1966
»Schwester in S. geht es gar nicht gut. Sie hat große Schwierigkeiten, die schwere Last der ganzen Familie auf ihren Schultern zu tragen. Das Gefühl, daß ihr Mann von zu Hause fort ist, plagt sie am allermeisten. Sie sind wie Waisen und Witwen vor Gott. Wir sollten viel für sie beten, daß ihnen Kraft gegeben wird, standhaft zu sein. Aber schreibe ihr bitte nicht. Es könnte ihr Leiden nur noch vertiefen. Ich weiß nicht, wann ich wieder mit meiner Familie vereint sein werde. Alles liegt in Gottes Hand.«
Aus einem Gefängnis 1967
»Es geht mir gut, und ich bin glücklich. Bitte, seid guten Mutes. Meine Gefühle sind dieselben wie die Deinigen. Du mußt sehr froh sein, das zu hören. Alle Dinge greifen ineinander zum Guten. Sei guten Mutes! Ich bin mehr wert als die Spatzen.«
Kanton Januar 1968
»Vielen Dank für Ihren Brief und den Kalender. Darf ich Sie etwas fragen? Ich wurde 1966 getauft und wurde Christ. Aber ich war in keiner Kirche mehr, seit ich Indonesien verließ, weil alle Kirchen geschlossen sind. Stimmt das, daß mich Christus verlassen hat? Diese Frage ängstigt mich, denn die gegenwärtigen Umstände treiben mich immer wieder dazu, zu sündigen.«
Januar 1968
»Ihr Brief und der schöne, bedeutungsvolle Kalender kamen sicher an. Nachdem wir beides angeschaut hatten, empfanden wir Freude und Trost wie beim Hören des Wortes Gottes. Dieser Brief brachte tiefe Gemeinschaft, traurige Erinnerungen und herzliche Gefühle. Ich kann Ihnen nicht genug danken für die Hinweise. Ich kam erst 1962 zum wahren Glauben an den Herrn, nachdem mich die Wahrheit dazu bewegt hatte. Ich bin noch jung und weiß nur wenig über den Weg und die Wahrheit . . . Ich brachte 1966 die Mittelschule hinter mich, aber die Schule wurde für ein Jahr geschlossen. Ich fühle mich traurig und bedrückt.«
April 1968
»Wenn immer ich sehr bedrückt bin und mein Herz verwirrt ist, erquicken mich die Stimme und der Ruf Gottes immer wieder. Er hilft mir, die Grundsätze zu verstehen, die mir nicht klar sind, und gibt mir auch ein besseres Verständnis der Welt um mich her. Ich glaube, es gibt auf der Welt zu viel Sünde, und Gott warnt uns …«
Mai 1968
»Ich sammle Weihnachtsbriefmarken. Bitte schicke mir den neuesten neuseeländischen Satz. Immer, wenn ich an all unsere Brüder und Schwestern denke, fühle ich mich sehr froh. Seit 1964 konnten wir keine Bibel mehr lesen. Die meisten Bibeln wurden verbrannt. Denkst Du nicht auch, daß dies ein Jammer ist? Die Zeit ist vorbei. Ich bete immer. Ein Student.«
Mai 1968
»Der Brief kam schon vor langer Zeit an. Aus verschiedenen Gründen habe ich bis heute nicht geantwortet. Viele Grüße an Deine Familie. Bitte erzähle den Leuten von unserer Lage und bitte sie, zu dem Einen zu beten, der unsere Nöte kennt. Dankt auch dafür, daß der Herr mir meinen Glauben, meine Liebe und meine Hoffnung erhalten und uns bewahrt hat, als wir in großen Schwierigkeiten waren. Er führte auch ein paar verlorene Schafe zu sich zurück, denn er hatte sie erwählt.
Was mich aber bedrückt, ist, daß es in letzter Zeit an der Harmonie fehlte. Christen verleumdeten einander auch innerhalb der Familien, und es mangelte an objektiver Haltung, an der Großzügigkeit und der Liebe, die der Sünden Menge bedeckt. Auch ich falle oft und begehe in meiner Schwachheit Sünden. Ich möchte ’Ägypten’, den Ort der bitteren Niederlage, verlassen.
In den letzten Monaten war es tatsächlich etwas besser. Dem Herrn sei Dank, der mich in diesen Monaten der Schwierigkeiten bewahrte. Um ehrlich zu sein, gibt es auch unter den Christen viele, die unvorstellbar tief gesunken sind. Aber ohne die Liebe Gottes wären sie hoffnungslos verloren.
Selbst kann ich, wenn ich meine Schwachheit sehe, nur auf den Einen trauen, der durch das dunkle Tal dieser Welt ging, und ihm vertrauen, daß er mich durch das Tor seiner Verheißung und Errettung bringen wird. Und ich hoffe, daß er am letzten Ende meine Seele aufnehmen wird.
Lieber Bruder, ich verbrachte sechsundzwanzig Jahre, und ich mußte viel bitteren Wein trinken. Aber jetzt verstehe ich die Bedeutung des Wortes: ’Stellt euch nicht dieser Welt gleich!’ Tief in meinem Herzen halte ich viel wichtige Lehren verborgen, und deshalb ist mein Herz nicht zu enttäuscht. Ich wünschte, ich könnte mit Paulus sagen: Ich habe den guten Kampf gekämpft. Ich habe den Lauf vollendet Alles liegt in der Hand des Herrn.
Unglücklicherweise mußte ich mein geliehenes Radio wieder zurückgeben. Aber ich kann immer noch die Bibel lesen und in meinem Herzen Lieder singen. Bitte verzeih die Länge dieses Briefes. Ich hoffe, daß ich Dir eines Tages persönlich die Hand geben kann. Emmanuel!«
Mai 1968
»Am 28. dieses Monats freute ich mich sehr, Deinen Brief zu erhalten. Er machte mich wirklich sehr glücklich. Ich glaube, daß Gott dafür die Ehre gegeben werden sollte. Es war seine Macht und sein Wille, der uns zusammenbrachte. Niemand kann ihn an seiner Macht und an seinem Willen hindern. Laßt uns hier den Herrn mit Ernst preisen, der uns zu Bekannten gemacht hat, auch wenn wir uns noch nie trafen. Möge unsere Freundschaft immer tiefer und stärker werden.
Du hast recht, wenn Du sagst, daß die Macht des Bösen, die uns umgibt, die endlosen Trübsale, der steinige Pfad alles Versuchungen sind, die der Herr zuläßt, damit unser Glaube und unsere Entschlossenheit um so größer werden. In unserem Leben erlebten wir viele Gefahren und viele Hindernisse. In der Vergangenheit verlor ich ein paarmal fast meinen Glauben und meine Hoffnung für die Zukunft. Dies konnte geschehen, weil mein Geist zu schwach war. Und trotzdem bin ich darauf vorbereitet, noch größere Versuchungen über mich ergehen zu lassen. Denn mein Leiden kann überhaupt nicht mit dem des Herrn Jesus Christus verglichen werden. Und außerdem muß sich mein schwacher Geist in ausgeprägte Stärke verwandeln.
Mein Freund, vor kurzem war mein Geist sehr bedrückt. Denn ich sah, wie im angrenzenden Fluß eine Anzahl Leichen aus der Provinz Kwangsi hinuntertrieben. Diese Menschen, junge und alte, Frauen und Kinder, die vom Satan irregeführt wurden und ihr Leben verloren, sind in eine verlorene Ewigkeit eingegangen. Was könnten wir tun? Wer hat jemals für sie gebetet, daß sie errettet werden mögen? – Freude sei mir Dir von Gott!«
Sie stiegen den steilen Weg zum Himmel empor,
durch Gefahr, Plage und Schmerzen.
Möge uns, o Gott, die Kraft gegeben werden,
ihrem Vorbild zu folgen!

Die Hervorhebungen im Text habe ich vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Januar 2009

Weitere Beiträge auf meiner Internetseite zum Thema Kommunismus und Christentum:
1. Atheismus – ein Weg? – von Pfr. Richard Wurmbrand
2. Das blutbeschmutzte Evangelium – R. Wurmbrand
3. Warum bin ich Revolutionär? – R. Wurmbrand
4. Christus wird siegen, was immer geschieht – R. Wurmbrand
5. Zerstörte Jahre (China) –
6. Der Weltkommunismus – Kurt E. Koch

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Neomarxismus (Dr. Penner)

Dr. Hans Penner

Neomarxismus

Stand: 12.09.2007

Der Begriff „Neomarxismus“ wurde von Max Horkheimer geprägt, der seit 1931 das Frankfurter “Institut für Sozialforschung”, bekannt unter der Bezeichnung “Frankfurter Schule”, leitete. Im Gegensatz zum klassischen Marxismus wendet sich der Neomarxismus nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern insgesamt gegen die christlich-abendländische Kultur. Der Neomarxismus bildete das ideologische Fundament der Kulturrevolution von 1968, deren Exponenten nach 30 Jahren “Marsch durch die Institutionen” die Bundesregierung übernahmen. Der derzeitige kulturelle und wirtschaftliche Verfall Deutschlands dürfte in erheblichem Maße auf den Einfluß des Neomarxismus zurückzuführen seien.

Inhaltsverzeichnis
1. Frankfurter Schule
2. Ablehnung der abendländische Kultur
3. Antijudaismus
4. Neomarxismus und Bundesregierung
5. Wertewandel
6. Theorie der Selbstverwirklichung
7. Sexualisierung der Gesellschaft
8. Feminismus  und Familie
9. Einfluß auf die Sozial-Philosophie
10. Widerstand gegen die friedliche Kernenergie-Nutzung
11. Gewaltbereitschaft
12. Feindbild von der Kriegsgeneration
13. Feindbild von der Bundesrepublik Deutschland
14. Feindbild vom Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland
15. Propagierung des Sozialismus
16. Förderung durch die DDR
17. Quellen

 

1. Frankfurter Schule

Im Jahre 1923 gründete der ungarische Kommunist Georg Lukács (1885 -1971) mit Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei in Frankfurt am Main das “Institut für Marxismus-Forschung”, das kurz nach der Gründung umbenannt wurde in “Institut für Sozialforschung”. Das Frankfurter Institut war dem Moskauer “Marx-Engels-Institut” nachgebildet worden. Lucács war in Ungarn Professor für Philosophie und Literaturhistoriker. Von 1933 bis 1938 und von 1942 bis 1945 war Lukács auch Mitarbeiter am Philosophischen Institut in Moskau.
Im Institut für Sozialforschung wurde später die als “Frankfurter Schule” bekannt gewordene neomarxistische, dialektische „Kritische Theorie“ von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno entwickelt.

Max Horkheimer (1895 -1973) erhielt 1931 den Lehrstuhl für Sozialphilosophie an der Universität Frankfurt am Main, gleichzeitig auch die Leitung des Instituts für Sozialforschung. Horkheimer wich von der reinen Lehre des Marxismus ab und kam zu der Überzeugung, daß die Arbeiterklasse als Trägerin einer Revolution nicht in Frage käme. Horkheimer erkannte früh den gesellschaftlichen Wandel der Arbeitnehmerschaft zu einem Teil des Bürgertums, deshalb gab Horkheimer den Rat, den Marxismus neu zu definieren und zwar in kulturellen Begriffen als Neomarxismus.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verlor das Institut für Sozialforschung seine Existenzmöglichkeit, zumal ein erheblicher Teil den Mitarbeiter nicht nur Marxisten, sondern auch Juden waren. Diese Mitarbeiter waren nicht im jüdischen Glauben verwurzelt, sondern sie waren säkularisierte Juden. Das Institut siedelte 1933 nach Genf, 1934 nach New York und 1940 nach Kalifornien um.

Im Jahr 1951 wurde das “Institut für Sozialforschung” in Frankfurt am Main mit Unterstützung der US-amerikanischen Besatzungsregierung neu gegründet.
Eine erhebliche Bedeutung erhielt die Frankfurter Schule und ihre Ideologie des Neomarxismus durch die studentische Kulturrevolution, die 1968 einen Höhepunkt erreichte:
„Man kann mit Fug und Recht von einer Kulturrevolution sprechen, da sich der Protest gegen das gesamte kulturelle Establishment richtet“ (Herbert Marcuse).
Der Neomarxismus bildete das geistige Fundament dieser Bewegung, die auch unter Bezeichnungen wie “Neue Linke” oder “Außerparlamentarische Opposition” bekannt wurde. Ein Teil dieser Bewegung radikalisierte sich und beging als “Rote Armee Fraktion” (RAF) scheußliche Morde. Bei dem größeren Teil der Bewegung setzte sich die Auffassung durch, daß der Weg zur Macht und zur Regierungsverantwortung nicht im Sturz einer bestehenden Regierung zu gehen sei, sondern nur gewaltlos durch einen beharrlichen “Marsch durch die Institutionen”. Genau 30 Jahre später, zur Bundestagswahl 1998, wurde dieses Ziel erreicht.
Der Neomarxismus selbst bezeichnet seine Ideologie nicht als „Neomarxismus“ sondern als „Kritische Theorie“.

2. Ablehnung der abendländische Kultur

Wie der Marxismus wendet sich der Neomarxismus sowohl gegen den „Kapitalismus“ als auch gegen die abendländische Kultur im weitesten Sinne des Wortes. Da die abendländische Kultur wesentlich durch das Christentum geprägt wurde, ist der Neomarxismus zwangsläufig eine antichristliche Ideologie.
Der Neomarxismus distanziert sich von Friedrich Engels und knüpft beim “jungen Marx“ an. Er wendete sich gegen den dogmatischen Wissenschaftsanspruch des herrschenden Marxismus, z.B. des Leninismus und gegen das Geschichtsverständnis des Marxismus.
Politische Konsequenzen der Kulturfeindlichkeit des Neomarxismus sind die Bestrebungen, eine „multikulturelle“ Gesellschaft zu etablieren, die Immigration zu fördern und das Deutschtum zu bekämpfen.
Um das Christentum zu überwinden, war es erforderlich die Institutionen der Medien, der Kultur und der Erziehung mit Anhängern des Neomarxismus zu besetzen. Insbesondere die Lehrerschaft wurde vom Neomarxismus beeinflußt.
Der “kulturpessimistische Part der Gegenwartsdiagnostik (wurde)… immer mehr von der als ‘links’ wahrgenommenen ‘Frankfurter Schule’.. gespielt… Tatsächlich lag die politisch-ideologische Wirkung der Präzeptoren des Instituts auf ihre jugendlichen Auditorien… in einer hermeneutischen Kulturkritik, deren implizite oder explizite Stoßrichtung sich zum Teil gegen die rapide Verwestlichung oder Amerikanisierung der Bundesrepublik richtete. Die Frankfurter Kritischen Theoretiker waren Teil eines wachsenden intellektuellen Gegenlagers zur ‘Adenauer-Republik’… Ein beachtliches und zunehmend meinungsführendes Segment der Schriftsteller, Publizisten, Künstler und Wissenschaftler begann in diesen Jahren, die Kulturkritik in eine erneuerte Kritik von Klassen- und Produktionsverhältnissen zu überführen… Man findet in den Zeitumständen mancherlei Plausibilitäten, aber kaum zwingende Gründe für diese forcierte neu- (oder auch pseudo-) marxistische Linkswendung” (Koenen 2001:111).

Der Neomarxismus ist wie der Marxismus atheistisch und antichristlich. Das Christentum wurde als Katholizismus wahrgenommen, für die biblischen Grundlagen interessierte man sich nicht.
Seitens der Bundesregierung wurden “traditionelle Kollektivwerte von Familie, Religion und Eigentum ins Feld geführt. So bildete eine weitgehend anachronistische Ideologie des ‘christlichen Abendlandes’ auch das Fundament der ersten Phase der europäischen Einigung”.
So beurteilt der ehemalige KBW-Funktionär Koenen heute die 70er Jahre (Koenen 2001:72). Dieses Zitat verdeutlicht, wie das Ausreißen der christlichen Wurzel des Abendlandes durch den Neomarxismus die Gegenwart prägt. Die gegenwärtige Bundesregierung lehnte überwiegend bei ihrer Vereidigung die Hilfe Gottes zur Durchführung ihrer Dienstgeschäfte ab.

3. Antijudaismus

Nach dem Untergang der NSDAP wird der Antijudaismus von den arabischen Palästinensern fortgesetzt. Nach der Beendigung des Vietnam-Krieges mußte der Neomarxismus eine neue Begründung für seine revolutionären Ambitionen finden:
“Kurze Zeit später verlagerte sich die entscheidende Kampffront dann bereits von Vietnam nach Palästina, wo ein heimatvertriebenes, entrechtetes Volk gegen den allmächtigen Welt-Zionismus kämpfte” (Koenen 2001:122).
Die Neomarxisten identifizierten sich damit mit Zielen von A. Hitler, der ebenfalls gegen den Welt-Zionismus kämpfte:
“Eine große Bewegung unter ihnen (den Juden), die in Wien nicht wenig umfangreich war, trat auf das schärfste für die Bestätigung des völkischen Charakters der Judenschaft ein: der Zionismus” (Hitler 1934:60).
Am 09.11.69 wurde ein Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Westberlin verübt. 1969 reisten Neomarxisten zur Al Fatah nach Jordanien, um mit Yassir Arafat zu sprechen und um sich in Palästinenserlagern einer paramilitärischen Ausbildung zu unterziehen.

Am … reiste eine SDS-Delegation zu einer internationalen Konferenz nach Algier, um die Solidarität mit der PLO zu bekunden. An dieser Konferenz nahm auch der spätere Vizekanzler J. M. Fischer teil. Heute nehmen die Medien  vorwiegend eine antiisraelische und propalästinensische Stellung ein.

4. Neomarxismus und Bundesregierung

Die Bundesregierung Deutschland seit 1998, 30 Jahre nach Beginn des “Marsches durch die Institutionen” der Bewegung, ist stark vom Neomarxismus geprägt. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich selbst als Marxist bezeichnet. Sein Stellvertreter Joseph Fischer (Deckname Joschka) war an terroristischen Aktivitäten beteiligt, die bis heute nicht hinreichend aufgeklärt sind.
“Das halbe Kabinett und prominente Figuren der Parlaments- und Parteiszene haben ihre politische Biographie als Marxisten, Kommunisten und sozialistische Systemveränderer verschiedener Couleur begonnen, als Sponti-Militante oder K-Grüppler, RAF-Anwälte, SHB-Aktivisten oder Juso-Antirevisionisten”. Auch Verantwortungsträger “in staatlichen Behörden und privaten Verbänden, in Justiz und Anwaltskanzleien, in Medien oder Universitäten, in Gewerkschaften und selbst in den Vorstandsetagen der Wirtschaft” wurden vom “Geist von ’68” geprägt, der “längst Teil der Lebensluft dieses Landes geworden ist” (Koenen 2001).
Dieser mephistophelische “Teil von jenem Geist, der stets verneint” hat Blut, Tränen und Werteverfall gebracht, aber keine konstruktiven Beiträge zur Gestaltung unseres Gemeinwesens:
“Daß irgendwer ihrer (der siebziger Jahre) mit Nachsicht gedächte, wäre zuviel verlangt” (H.M.Enzensberger).

5. Wertewandel
Die Frankfurter Schule dürfte entscheidend den negativen Wertewandel der Bundesrepublik verursacht haben.

6. Theorie der Selbstverwirklichung
Abraham Maoslow, Carl Rogers und Rolo May lehrten, daß die wichtigste Quelle der Autorität im Menschen selbst liegt, daß man nur auf sich selbst hören muß. Zur Theorie der Selbstverwirklichung gehört die uneingeschränkte Befriedigung der Bedürfnisse und die sofortige Befriedigung der Bedürfnisse. Die Theorie der Selbstverwirklichung gehört zum Kern des Neomarxismus. Die Gesellschaft ist jedoch auf monogame, von Treue geprägte Ehen, angewiesen. Die Theorie der Selbstverwirklichung zerstört die Basis von Familie und Gesellschaft. 
Der Neomarxismus war von Anfang an durch einen extremen Egozentrismus gekennzeichnet. Nie wurden die Interessen anderer vertreten, sondern nur der Wille zur eigenen Macht. Gemeinschaft oder Kameradschaft wurden pervertiert zur Komplizenschaft oder Kumpelhaftigkeit. Ein Symptom dieser Bewegung sind die sechs Ehescheidungen des Bundeskanzlers und seines Stellvertreters.
Auf dem Gebiet des Bildungswesens wird zwar die Vorstellung vertreten, daß alle Menschen gleich begabt sind und daß Kinder kollektivistisch erzogen werden müssen. Alle Aufgaben müssen kollektivistisch gelöst werden. Andererseits wird unter dem Ideal der Freiheit das Ausleben der individuellen Bedürfnisse verstanden. Subjektunabhängige Werte werden verneint.

7. Sexualisierung der Gesellschaft
Ein wesentliches Ziel des Neomarxismus ist die sexuelle Freizügigkeit, die als Ausdruck der Freiheit des Menschen betrachtet wird. Judentum und Christentum konzentrieren die Sexualität auf die Ehe. Der Neomarxismus entkoppelt Sexualität und Ehe. Die gesellschaftlichen Folgen sind weitreichende. Wir beobachtern einen dramatischen Rückgang der Ehen und Familien. Bevölkerungswissenschaftler sprechen von einer “Demographischen Katastrophe”.
“Im Begriff ‘antiautoritär’ verband sich die Kampfansage gegen einen ‘autoritären Staat’ mit der Denunziation von ‘autoritären Strukturen’ in allen gesellschaftlichen Bereichen, besonders in der Familie, dem primären Hort der ‘autoritären Persönlichkeit’. “…die’autoritäre Kleinfamilie’ (wurde) als Hort eines alltäglichen Faschismus und einer permanenten Unterdrückung jugendlicher Lebenstriebe entlarvt” (Koenen 2001:80). “Die bürgerliche Familie, hieß es… , bestehe aus dem ‘Mann als Bourgeois und der Frau als Prolet – Herr und Knecht’, was objektiv auf die ‘Funktion der Männer als Klassenfeind’ hinauslaufe” (Koenen 2001:126).
Die famiIienfeindliche Ideologie des Neomarxismus wurde von der Bundesregierung Schröder/Fischer weitgehend übernommen. Die Praxis der Trennung auch kleiner Kinder von der Familie wurde aus der DDR übernommen. Die Folge ist eine Zunahme von psychischen Störungen.

8. Feminismus  und Familie
Aus dem Neomarxismus ging eine feministische Bewegung hervor.
“Jedenfalls, was 1968 mit der Gründung der ersten Weiberräte, Kinderläden, Sexpol-Gruppen usw. begonnen hatte, wurde nach dem Zerfall von APO und SDS endgültig zu einer Bewegung im gesamtgesellschaftlichen Maßstab” (Koenen 2001:233).
Eines der Ziele dieser Bewegung war die Legalisierung der Tötung ungeborener Menschen. Eine herausragende Gestalt ist Alice Schwarzer:
“Ein einschneidendes Datum ist der Moment, als 1977 ‘Emma’ die Bühne betritt. Emma ist eine Zeitschrift, die mit der Person ihrer Herausgeberin Alice Schwarzer weitgehend verschmilzt… Nach der erfolgreichen “Stern”-Kampagne ‘Ich habe abgetrieben’ (1972) landete sie mit ihrem Buch ‘Der kleine Unterschied und seine großen Folgen’ (1975) einen Bestseller, in keinem der neuen Frauenverlage, sondern in einem großen Verlagshaus” (Koenen 2001:255,256).
Der Neomarxismus hat erreicht, daß die Tötung ungeborener Menschen zwar rechtswidrig, aber nicht strafbar ist, wenn sogenannte Beratungsscheine ausgestellt werden. Diese Regelung bedeutet eine Aushöhlung des Rechtsstaates. Gegenwärtig werden werktäglich etwa tausend ungeborene Menschen getötet. 
„Bekanntlich ist die Bewegung der 68er dann nahtlos in den Feminismus übergegangen, und was beide verknüpft hat, ist der Angriff auf die bürgerliche Familie. All das war so erfolgreich, daß sich seither kein ernstzunehmender Konservativismus mehr formierer konnte. Und auch wenn heute in den Sonntagsreden der Politiker wieder viel über die Bedeutsamkeit von Kindern zu hörer ist, so sehen sich Eltern,. die ihre Kinder tatsächlich in den Mittelpunkt des Lebens rücken, einem sehr abweisenden kulturellen Klima ausgesetzt. Die Kultur der Jobs verachtet die Kultur der Familie. …
Eine Frau, die arbeitet, ist unserer Gesellschaft heute mehr wert als eine Hausfrau und Mutter. Die höchste Wertschätzung genießt das berufstätige Paar mit ganztätig betreutem Kind. Dann folgt die alleinerziehende, berufstätige Mutter – sie ist die eigentliche Heldin des sozialdemokratischen Alltags. Ihr folgen die Singles bzw. Dinks. Am unterer Ende der Werteskala rangiert die klassische Familie mit arbeitendem Ehemann und Mutter/Hausfrau. Ihr gilt nur noch der Spott der neuen Kulturrevolutionäre, die die Lufthoheit über den Kinderbetten längst erobert haben. … Frauen arbeiten, weil die staatliche Förderung von Kindertagesstätten es billiger macht, die eigenen Kinder betreuen zu lassen. Damit sind wir bei der aktuellsten Politik, beim neuen Kulturkampf um die Kinder. Als hätte die DDR einen späten ideologischen Sieg errungen, predigen die meisten Politiker heute ganz selbstverständlich die Verstaatlichung der Kinder. Denn Kinderkrippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen sind nicht als Hilfestellungen für notleidende Eltern, sondern als neue familienpolitische Norm konzipiert. Die Schule wird zum Kinderbetreuungszentrum, in dem die Kinder nicht primär lernen sollen, sondern integriert’ werden”. (Bolz 2006)

9. Einfluß auf die Sozial-Philosophie
Der Neomarxismus hat stark die Sozial-Philosophie beeinflußt. Unter Gerechtigkeit wird verstanden, daß niemand für irgendetwas verurteilt werden darf. Jede Meinung ist so gut wie irgendeine andere. Jeder hat das Recht zu definieren, was für ihn richtig ist. Durch Verwerfen der Strafe kann die Schuldhaftigkeit ausgelöscht werden. Eine absolute Wahrheit gibt es nicht. Was für den einen wahr ist, braucht nicht für den anderen wahr zu sein. Diese Ideologie führt zur Desintegration der Gesellschaft, zur Erhöhung der Kriminalität und zur Verminderung der innenpolitischen Sicherheit.

10. Widerstand gegen die friedliche Kernenergie-Nutzung  
Die Neomarxisten organisierten zahlreiche Sabotageakte gegen Einrichtungen der Kernenergie-Nutzung (z.B Brokdorf oder Grohnde 1976/77). Diese Sabotageakte wurden nicht aus Sorge um Sicherheit oder Umweltschutz durchgeführt – Fachfragen wurden nicht diskutiert -, sondern hatten ausschließlich die Schädigung der Wirtschaftoder die “Entlarving der Gewalttätigkeit des Staates” zum Zweck . Der Unterschied zwischen Atombomben und friedlicher Nutzung der Kernenergie wurde nicht wahrgenommen:
“In der Bilderwelt der Gedichte Enzensbergers war die Radioaktivität allgegenwärtig” (Koenen 2001:98).
Eine späte Folge der Sabotageakte der Neomarxisten gegen die Kernenergie ist das Bestreben des ehemaligen Bundeskanzlers G. Schröder, die deutschen Kernkraftwerke, die 30% des elektrischen Stromes erzeugen, stillzulegen. Die Folge ist eine Verlagerung der deutschen Stromerzeugung ins Ausland, ein unabsehbarer volkswirtschaftlicher Schaden. Im März 2001 hat das Bayernwerk mit Russland die jährliche Lieferung einer Strommenge vereinbart, die der Leistung eines halben deutschen Kernkraftwerkes entspricht.

11. Gewaltbereitschaft
Wenn Demokratie eine Form des politischen Lebens ist, die von der Gleichheit und Freiheit aller Bürger ausgeht, waren die Neomarxisten nie demokratisch, sondern versuchten ihren Willen stets durch irgendeine Form von Zwang durchzusetzen, sei es durch Psychoterror, durch Blockaden, durch Diffamierungen, durch Wahlmanipulationen, durch Vandalisierung oder durch brachiale Gewalt.
“Unsere Alternative zu der herrschenden Gewalt ist die sich steigernde Gegengewalt” (Dutschke, zit. Koenen 2001:130).
Die Neomarxisten verhielten sich wie die Sturmabteilungen (SA) der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik: In der “Schlacht am Tegeler Berg” am 04.11.1968 wurden 130 Polizisten verletzt. 
Nach einer Parabel von Mao Tse Tung vermehren sich die Fische im Teich von selbst, wenn die Temperatur steigt. Durchaus friedliche intellektuelle Kreise wärmten konzentrisch das geistige Klima auf, in welchem Terrorismus gedeihen mußte.
“Adorno hatte schon recht, als er in einem Interview sagte, er habe doch schlechterdings ‘nicht ahnen können’, daß Leute seine Theorien ‘mit Molotow-Cocktails verwirklichen’ wollten” (Koenen 2001:116).
Über den Einfluß von Professor Renate Riemeck, Vorstandsmitglied der DFU, auf das Schicksal ihrer Pflegetochter Ulrike Meinhoff können nur Mutmaßungen angestellt werden.
“Die volle Identifikation mit der Notwendigkeit des revolutionären Terrorismus… in der Dritten Welt ist unerläßliche Bedingung… für die Entwicklung der Formen des Widerstandes bei uns…” (Dutschke, zit. Koenen 2001:49).
Dutschke, die Schlüsselfigur der neomarxistischen 68er Bewegung, kann man als theoretischen Terroristen bezeichnen.

12. Feindbild von der Kriegsgeneration
Aus der Sicht der Neomarxisten waren in der Zeit des Dritten Reiches alle erwachsenen Deutsche Kriminelle, jeder hatte Kenntnis von den Konzentrationslagern, jeder befürwortete sie, jeder wollte die Juden vernichten, jeder wollte den Krieg. Die Kriminalität der Vätergeneration hatte, so meinte man, zu schrecklichen psychischen Schäden der Nachkriegsgeneration geführt. Die Nachkriegsgeneration sah sich deshalb gezwungen, durch einen totalen Bruch mit der Vätergeneration diese Schäden zu heilen. Der Nationalsozialismus wurde mit der Bezeichnung der italienischen nationalistischen Bewegung des Faschismus benannt, wahrscheinlich, um die nahe Verwandtschaft zwischen Nationalsozialismus und Lenin-Sozialismus zu verhüllen.  
Die Wehrmachtsausstellung hält an diesem Feindbild durch teilweise gefälschte Bilder bis in die Gegenwart fest. Die Rote Armee hatte den Befehl, im Feindesland Frauen zu vergewaltigen. Die Wehrmacht hatte diesen Befehl nicht.

13. Feindbild von der Bundesrepublik Deutschland
Weil aus der Sicht der Neomarxisten alle älteren Deutschen Faschisten waren, waren auch alle Verantwortungsträger der Bundesrepublik Faschisten. Also war auch die Bundesrepublik Deutschland ein faschistischer Staat.
“Alles in dieser neuen Bonner Republik war doppelbödig, nichts war wörtlich zu nehmen”, so ist heute noch die Ansicht von G. Koenen (Koenen 2001:105).
“Der ‘latente Faschismus’ des Systems oder eine universelle Tendenz der ‘Faschisierung’ wurden damit zu einem Hauptvorwurf gegen die bürgerliche Gesellschaft, wo ‘Ausbeutung’ oder ‘Entfremdung’ alleine nicht ausreichten, um eine derart radikale Fundamentalkritik und Gegnerschaft zu begründen. In einer flankierenden Operation wurde der geläufige Begriff des ‘Totalitarismus’ von den kommunistischen Diktaturen des Ostens abgezogen und auf den Faschismus als Form einer offenen bürgerlichen Klassendiktatur konzentriert… Faschismus war somit der Inbegriff der ‘repressiven’, ‘autoritären’, kurz der ‘totalitären’ Tendenzen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft selbst” (Koenen 2001:113).
Die Sowjetunion wollte die Teilung Deutschlands nicht, die Teilung Deutschlands ist aus der Sicht der Neomarxisten vielmehr deshalb erfolgt, weil Konrad Adenauer Verträge mit den USA abschloß. Aus Gründen der Selbstverteidigung war die Sowjetunion angeblich gezwungen, die Mauer zu bauen. Jeder freiheitsliebende Mensch wurde deshalb aufgefordert, mit allen Mitteln gegen den Staat der Bundesrepublik zu kämpfen, der “strukturelle Gewalt” ausübt und die zwischenmenschlichen Beziehungen “repressiv entstellt”.

“Faschistisch” waren auch die USA: Hans Magnus Enzensberger kündigte seine Gastdozentenstelle an einer US-amerikanischen Universität mit den Worten:
“Der Zustand der Vereinigten Staaten erinnert mich heute, in mehr als einer Hinsicht, an die deutsche Situation in den dreißiger Jahren… Die Methoden der Unterdrückung haben sich seit jenen primitiven Zeiten phantastisch verfeinert…” (zit. Koenen 2001:84).
Der Einsatz von Gewalt gegen den Staat hatte auch den Zweck, die sonst verborgene Gewaltbereitschaft des Staates offenbar zu machen. Die diesbezüglichen Tätigkeitsfelder waren der “Fahrpreiskampf”, der “Häuserkampf”, die “§218-Kampagnen” und die “Anti-AKW-Bewegung”.
“Das Ziel war immer und unverrückbar ‘die Revolution’, die natürlich nur als eine internationale gedacht werden konnte, als Weltrevolution mithin” (Koenen 2001:19).  
Der Einsatz von Gewalt gegen den Staat der Bundesrepublik durch die Anti-AKW-Bewegung dauert bis in die Gegenwart an und wird zur Verschrotten der deutschen KKW führen.

14. Feindbild vom Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland
Aus der Sicht der Neomarxisten war das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik ein kapitalistisches und ein Subsystem der US-amerikanischen Wirtschaft. Dieses System wird von wenigen Kapitalisten gesteuert. Diese Kapitalisten diktieren den Konsum:
“Denn ‘totalitär’ ist.. auch eine nicht-terroristische Gleichschaltung der Gesellschaft, die sich in der Manikulation von Bedürfnissen… geltend macht” (Marcuse, zit. Koenen 2001).

Das System ist eine totalitäre Diktatur, nur mit anderen Mitteln als das Dritte Reich. Die Arbeiter werden ausgebeutet und unterdrückt, allerdings sind sie sich dessen nicht bewußt:
“Das Proletariat… war unfähig geworden, sein Unglück überhaupt noch zu empfinden” (Koenen 2001:51).

Die Bewußtseinsveränderung der Arbeiter ist eine dringliche Aufgabe der Neomarxisten. Diesbezügliche Aktivitäten wurden “Betriebsarbeit” genannt.
Um das Bewußtsein der Arbeiter der Opelwerke zu verändern, nahm der heutige Vizekanzler J.L.Fischer zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben eine geordnete Berufstätigkeit auf sich (bisher war er als Pflastermaler, Taxifahrer und Bücherdieb tätig). Weil er zu einem Streik aufrief, wurde er schon nach einem halben Jahr aus den Opelwerken hinausgeworfen.

Die Soziale Marktwirtschaft, die als dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus den Wiederaufbau, die Integration der Heimatvertriebenen und einen Wohlstand für alle ermöglichte, wurde von den Neomarxisten nicht wahrgenommen. Auch die heutige Bundesregierung zeigt kein Verständnis für die Soziale Marktwirtschaft. Die unwirtschaftliche Windenergienutzung wurde durch planwirtschaftliche Gesetze erzwungen.
Ein wichtiger Repräsentant der Frankfurter Schule war T. Adorno, der die These vertrat:
“Die moderne technische Zivilisation selbst bringe autoritäre, manipulative, emotionslose, technokratische Charaktere vom Schlage eines Höss oder Eichmann en masse hervor” (Koenen 2001:115).
Aus der Sicht von Adorno wird Kriminalität durch die gesellschaftlichen Verhältnisse erzeugt.

In logischer Folge ergibt sich aus dem Neomarxismus eine industriefeindliche Einstellung. Ergebnisse dieser Ideologie schlugen sich nieder in der Deindustrialisierungpolitik der Regierung Schröder. die versuchte Vernichtung der kerntechnologie, die Subventionierung der unwirtschaftlichen Windenergienutzung über die Strompreise und die de facto Besteuerung der Kohlendioxidproduktion bewirken eine drastische Verschlechterung des Industriestandortes Deutschlands.

15. Propagierung des Sozialismus
Von den Opfern totalitärer Parteien des 20. Jahrhunderts wurden etwa 10 % von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und etwa 90% von der Kommunistischen Partei der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken (KPdSU) und anderen kommunistischen Parteien ermordet. Im Vernichtungslager Auschwitz starben die Menschen einen schnellen Tod durch Giftgas, im Vernichtungslager Spassk des KARLAG (mit 1,5 Millionen Insassen) einen langsamen Tod durch Hunger und Kälte.

Trotz Kenntnis der kommunistischen Greueltaten legten sich die neomarxistischen Organisationen vorwiegend kommunistische, sozialistische oder von der Roten Armee (Armee der UdSSR) entlehnte Bezeichnungen zu: Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW), Linkssozialisten, Maoisten, Neoleninisten, Rote Armee Fraktion (RAF), Rote Zellen, Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), Trotzkisten. Andere Bezeichnungen brachten die Demokratiefeindlichkeit zum Ausdruck wie Außerparlamentarische Opposition (APO) oder Revolutionäre Zellen (RZ). Die Greueltaten der KPdSU wurden total verdrängt. Das Messen mit zweierlei Maß ist auch für die Bundesregierung unter Schröder/Fischer charakteristisch. Nationalistische Gewalttaten werden stark übertrieben dargestellt, während die verbrecherische sozialistische Partei SED/PDS als Koalitionspartner akzeptiert wurde.

16. Förderung durch die DDR
“Eine linke Zeitschrift wie ‘Konkret’, die bis 1964 von der DDR finanziert worden war, konnte unter ihrem Herausgeber Klaus Rainer Röhl ihre Finanzlücke schlagartig durch eine neuartige Mischung von Politik und Sex schließen” (Koenen 2001:74).

17. Quellen
Bolz,N.; die Helden der Familie; München 2006
Hitler, A.; Mein Kampf; 115. Auflage; München 1934
Koenen, G.; Das rote Jahrzehnt; Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977; Köln 2001
Lang,N.; Sozialwissenschaftliches Grundwissen im Web, Juni 2001, www.socioweb.de




Flüchtlingsströme nach Europa (E.Kleina)

Eberhardt Kleina

Flüchtlingsströme nach Europa: Eine getarnte Masseneinwanderung?

Gegenwärtige Lage, Ursachen und Hintergründe

Der Ansturm ist gewaltig. Woche für Woche kommen mehrere zehntausend Menschen in Deutschland an. Abends sieht man in den Fernsehnachrichten Menschenmassen, die mit dem Zug aus Österreich kommen, jubelnd begrüßt von einigen hundert Einheimischen: „Refugees welcome!“ – Flüchtlinge willkommen, steht auf buntbemalten Schildern und Spruchbändern. Gespendete Lebensmittel, Kleidung, Spielsachen für Kinder und anderes stapeln sich für die, die aus ihren Heimatländern geflohen sind, wo Krieg, Zerstörung, Elend, Not und Verfolgung herrschen, wie immer wieder von Politik und Medien im Einklang betont wird, um im sicheren Europa Schutz und Asyl zu suchen. Sie kommen auf der sog. Balkan-Route aus dem Nahen Osten, aus Afghanistan, Irak, Syrien, Libanon und anderen Ländern.

Die Balkan-Route beginnt in der Türkei, verläuft über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich bis hin nach Deutschland. Ihnen schließen sich viele Menschen aus den West-Balkanstaaten Kosovo, Albanien, Serbien und Mazedonien an. Die andere Flüchtlingsroute verläuft über das Mittelmeer, ausgehend von Nord-Afrika, besonders Libyen. Die Menschen kommen auf halb abgewrackten, aber gestopft vollen Booten und betreten auf der italienischen Insel Lampedusa europäischen Boden, ziehen in aller Regel weiter nach Norden, ungehindert von den Staaten mit EU- Außengrenzen, etwa Griechenland und Italien. Man kommt auf zwei Routen, hat aber in der Regel ein und dasselbe Ziel: Einige wollen in westeuropäische Länder, beliebt ist auch Schweden, die meisten aber wollen nach Deutschland. „Germany! Germany!“, ruft man begeistert in die Fernsehkameras oder auf arabisch „Almaniya!“ Mindestens zwei Drittel aller Ankommenden sind Muslime.

Die Menschen kommen aus Ländern, die seit Jahrzehnten eine Bevölkerungsexplosion erleben. Allein Afrika hat momentan 1,4 Milliarden Einwohner, 2030 rechnet man mit 2,4 und 2050 mit unvorstellbaren 4,4 Milliarden Menschen, so der Afrika- Experte Volker Seitz in der Wochenzeitung Junge Freiheit (11.9.2015).
Die Massen strömen in das alternde Europa mit seinem Bevölkerungsrückgang. In den letzten vierzig Jahren hat es keine deutsche Regierung geschafft, die Zahl der Geburten in Deutschland durch familien- und kinderfreundliche Maßnahmen nachhaltig zu erhöhen, man wollte es wohl auch nicht wirklich. Erschwerend kommt hinzu, daß Jahr um Jahr etwa einhunderttausend Kinder nach staatlichen Gesetzen legal schon vor ihrer Geburt getötet werden, die Dunkelziffer dürfte noch einmal so hoch sein. Sind es fünf, sechs oder gar sieben Millionen Kinder, deren Leben in den letzten vier Jahrzehnten vernichtet wurde?

Im Jahre 2012 kamen 77.000 Menschen aus den genannten Regionen nach Deutschland. Zwei Jahre später waren es schon 200.000, explosionsartig stieg ihre Zahl aber seit dem Frühjahr 2015 an und erreichte bis September immer neue Höhepunkte. Im Laufe dieses Jahres wurde die Zahl der prognostizierten Ankömmlinge mehrfach regierungsamtlich nach oben korrigiert. Im Augenblick erwartet man bis Ende des Jahres 800.000, es können aber auch 1.000.000 werden, im Jahre 2016 voraussichtlich noch mehr.
Allein am ersten Septemberwochenende 2015 kamen rund 20.000 Menschen in Deutschland an, am darauffolgenden Montag weitere 10.000 plus x, wie der oberbayerische Regierungspräsident Christoph Hillenbrand sagte (Bild online, 7.9.2015).

In Ungarn hatte die Regierung sie vorübergehend an der Weiterreise gehindert, bis die deutsche Bundeskanzlerin am 5.9.2015 zugesagt hatte, alle einreisen zu lassen, aus humanitären Gründen, wie sie betonte. „Wir schaffen das“, so Frau Merkel, eine Obergrenze für Flüchtlinge gebe es nicht.

Ungarn ist derzeit das einzige Land, das die EU-Vorschriften bezüglich Einreise und Asyl ernst nimmt, wird dafür aber von anderen EU- Staaten und der Brüsseler EU-Zentrale kritisiert. Die deutsche Einreisegenehmigung sprach sich in Windeseile herum. So berichtete am 11.9.2015 das ZDF aus dem Nordirak: „Seit die arabischen Nachrichtensender von deutscher Willkommenskultur berichten, werden die Erwartungen an Deutschland grenzenlos.“
Schilder tauchten auf: „Danke, Frau Merkel.“ In arabischen Ländern genießt die deutsche Regierungschefin derzeit die größte Verehrung. Weitere Menschen werden hereinströmen. Der Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht das nicht als ein Problem, hält 500.000 Einwanderer pro Jahr über einige Jahre hinweg für verkraftbar (Spiegel.de, 8.9.2015).

Man fragt sich, ob diese Entscheidungsträger eigentlich an ihren Amtseid gedacht haben, ihre Kraft dem Wohl des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.
Die Situation ist momentan außer Kontrolle, die Behörden wissen oftmals nicht, wer da einreist. Schwierig ist es für die normalen Bürger, einen Durchblick zu bekommen, ein Gefühl der Angst, Ohnmacht und auch Wut macht sich breit angesichts der hereindrängenden Menschenmassen.

Ist es nun eine zwangsläufige Entwicklung, daß in das kinderarme und alternde Europa die Menschen aus den Ländern mit einem hohen Geburtenüberschuß einwandern, sozusagen ein Bevölkerungsausgleich stattfindet, wobei der europäische Wohlstand noch einen zusätzlichen Anreiz bietet?
Immer öfter wird dagegen die Vermutung angestellt, es könnte eine gewollte Maßnahme sein, daß so viele Menschen einreisen. Beweise gibt es natürlich keine, höchstens Indizien, aber auch da muß man schon genau hinschauen. Gehen wir der Reihe nach vor.

Die Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika kommen sehr oft aus Ländern, wo in der Vergangenheit die USA und mit ihnen eine Koalition der Willigen kriegerisch eingegriffen, Regime gestürzt und große Zerstörungen angerichtet haben. Die Initialzündung war der Terrorangriff gläubiger Muslime auf die Türme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001. Die USA intervenierten daraufhin militärisch in Afghanistan, 2003 im Irak und 2011 in Libyen. Oder sie agierten mehr im Hintergrund wie im sog. Arabischen Frühling oder in Syrien, wo man regimefeindliche Gruppen mit Waffen versorgte, um das von Amerika abgelehnte Assad-Regime zu stürzen. Die Folge war und ist ein grausamer syrischer Bürgerkrieg.

Nach Meinung vieler Beobachter sind die USA damit der Auslöser der gegenwärtigen Wanderungswelle. Man wollte Demokratie und Freiheit bringen und beseitigte deswegen die arabischen Diktaturen. Aber erst dadurch brach das Chaos aus.
Der libysche Diktator Gaddafi hatte gewarnt, daß sich nach seinem Sturz Millionen Menschen aus Afrika nach Europa aufmachen würden, die bis dahin mit Zwangsmaßnahmen zurückgehalten worden waren. Nun ist es geschehen, die Wanderung ist in Gang gekommen und übt eine Sogwirkung aus auch auf Länder, wo die USA nicht direkt eingegriffen haben.
Es ist eine Völkerwanderung, die die Völkerwanderung der Antike schon jetzt übertrifft, welche die damalige Welt umgepflügt und das Weströmische Reich zum Einsturz gebracht hat. Sie ist vergleichbar mit der Völkerwanderung weißer Europäer nach Amerika im 18./19. Jahrhundert, wo als Ergebnis die Ureinwohner heute nur noch in Reservaten leben. Die gegenwärtigen Wandermassen werden das Gesicht Europas und insbesondere Deutschlands auf das nachhaltigste verändern. In wenigen Jahren werden wir unser vertrautes Land kaum mehr wiedererkennen.

War die gegenwärtige Völkerwanderung beabsichtigt oder nicht?  Für Normalbürger schwer zu durchschauen. Wenn nicht, dann war es eine beispiellose Leichtfertigkeit und Verantwortungslosigkeit, in die genannten Länder militärisch einzugreifen.
Wenn ja, aber mit welchem Ziel? Will man Europa, insbesondere Deutschland, destabilisieren, das trotz der desaströsen Euro-Rettungsmaßnahmen immer noch wirtschaftlich zu stark ist?
Tatsache ist: Die Wanderströme gehen nicht nach Amerika, nicht nach Asien, nicht nach Australien, sie gehen allein nach Europa, West- und Mitteleuropa, vornehmlich nach Deutschland. Welche politischen Kräfte spielen hier eine verdeckte Rolle? Historiker werden später eine Antwort finden.

Mit offenen Karten spielt hingegen der sog. „Islamische Staat“. Diese brutale Terror-Organisation, die am 29.6.2014 ein Kalifat unter dem selbsternannten Kalif Al-Bagdadi ausrief, hat gedroht, 500.000 Menschen nach Europa zu schicken, um Chaos zu stiften (Daily Mail online, 6.9.2015). Die Zeitung Sunday Express berichtete am 7.9.2015, daß bereits etwa 4.000 IS-Kämpfer als Flüchtlinge getarnt in Europa angekommen seien. Die ersten IS-Terroristen wurden schon in Bulgarien verhaftet. Nicht nur Chaos in Europa ist das Ziel des IS, man will auch den Nahen Osten und Nordafrika von Ungläubigen säubern, worunter man vornehmlich Christen und Juden versteht, aber auch Moslems, die nicht gläubig genug sind. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an einen Geheimbeschluß der „Panislamischen Konferenz“ aus dem Jahre 1980 im pakistanischen Lahore:

„Das ganze Gebiet (Naher Osten) ist bis zum Jahre 2000 völlig zu islamisieren, und zwar im Mittleren Osten dergestalt, daß alle Lebenden, die nicht Muslime sind, die koptischen Christen in Ägypten, die Christen im Irak, Iran, in der Türkei, im Libanon, Syrien . . . und insbesondere die Israelis völlig ausgelöscht werden müssen.“ (Europe News, 13.10.2009)

Genau das versucht man heute, nur um 15 Jahre verspätet. Die „Panislamische Konferenz“ umfaßte damals 42 Länder, der Beschluß wurde unter dem Vorsitz der Türkei gefaßt. Was damals noch geheim geschah, propagiert der IS heute öffentlich, ganz auf der Linie des Koran, um den Islam „über jede andere Religion siegreich zu machen.“ (Sure 61,9)

Auf das Bestreben, insbesondere Europa dem Islam zu unterwerfen, wies auch der Islamwissenschaftler Bassam Tibi bereits im Jahre 1996 hin in seinem Buch „Der wahre Imam“, demzufolge die islamische Welt-Liga sowie der Welt-Moschee- Rat im Juli 1993 in Kairo ein Arbeitspapier verabschiedet haben, wonach die Einwanderung nach Europa und der Aufbau islamischer Zentren als Mittel der Islamisierung Europas gesehen werden (S.64).

Ernst genommen haben das nur wenige, leider. Seit seiner Entstehung ist der Islam eine Eroberungs- und Unterwerfungsideologie, getarnt als Religion, er will die Weltherrschaft (siehe neben Sure 61,9 auch Sure 2,193; 8,39). Nach einem Buhari-Hadith lautet ein Ausspruch Mohammeds: „Der Islam herrscht, er wird nicht beherrscht.“ Die Gelegenheit jetzt scheint günstig, den Nahen Osten juden- und christenfrei zu machen und Europa zu erobern. Danach sieht man weiter.

Auch der türkische Staatspräsident Erdogan verbirgt seine Meinung nicht. Für ihn sind die Menschenmassen eine Art politisch-religiöse Waffe. In Reden stellt er sich als Beschützer der muslimischen Flüchtlinge dar, die Türkei sei Schutzraum für alle Rechtgläubigen, das gebiete der Koran. Ein hochrangiger Nato-Vertreter aus Brüssel kommentiert, Erdogan spiele mit der Migrationswaffe und befördere die gezielte Massenflucht von Muslimen nach Europa, das passe in sein missionarisches Weltbild, wonach jeder Muslim in Europa die islamische Sache stärke (N-TV, 25.8.2015).

Dem gläubigen Moslem Erdogan dürfte sehr wohl bekannt sein, daß schon am Anfang des Islam die Masseneinwanderung ein probates Eroberungsmittel war (Einwanderungs-Dschihad), das als erster Mohammed erfolgreich im Jahre 622 n.Chr. anwendete. Nach seiner Flucht aus Mekka fiel die Stadt Medina durch die Einwanderung seiner Anhänger kampflos in seine Hand.
Daß die Massenimmigration von Muslimen in der Tat eine Islamisierung bewirkt, bestätigt indirekt der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek: „Die Zahl der Muslime in Deutschland wird signifikant wachsen. Schon jetzt haben wir Moscheegemeinden, die sich wegen der Flüchtlinge innerhalb eines Monats verdoppelt haben.“ (Tagesspiegel, 27.8.2015)

Herr Mazyek freut sich über bis jetzt schon 600.000 weitere Muslime. Wenn der Zustrom weiter anhält werden in absehbarer Zukunft nicht nur die bisherigen vier Millionen Muslime hier wohnen, sondern sechs, sieben oder noch mehr, bedingt auch durch ihre hohe Geburtenzahl. Langsam, aber sicher wird dann eine kritische Grenze überschritten, die das soziale Gefüge hier völlig umkrempelt. Man wird mehr Mitsprache, Macht und Einfluß einfordern. Schon im Jahre 1996 schrieb El-Zayat, Generalsekretär des Dachverbandes „Islamisches Konzil“: „Ich glaube nicht, daß es unmöglich ist, daß der Bundeskanzler im Jahre 2020 ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Muslim ist, daß wir im Bundesverfassungsgericht einen muslimischen Richter oder eine muslimische Richterin haben… Dieses Land ist unser Land und es ist unsere Pflicht, es positiv zu verändern. Mit der Hilfe Allahs werden wir es zu unserem Paradies auf der Erde machen und der islamischen Ummah (Weltgemeinschaft) und der Menschheit insgesamt zur Verfügung stellen.“ (Jugendmagazin der Muslimischen Jugend TNT, Nr. 1/9, 1996).

Die Islamisierung Deutschlands ist in vollem Gange.
Jeder Moslem ist aufgefordert, die Herrschaft Allahs auszudehnen. Diese Anstrengung für die Sache Allahs, Dschihad genannt, kann mit kriegerischen Mitteln durchgeführt werden, wie es Mohammed in rund 60 Kriegen machte und der IS heute durch beispiellos grausamen Terror, oder mit unkriegerischen Mitteln, eben durch Einwanderung. Die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien gehen mit Einwanderern, Flüchtlingen und Asylsuchenden ganz anders um. Niemand, der bestimmten Kriterien nicht genügt, kommt ins Land. Auch Polen, Ungarn, Tschechen und andere weigern sich, die jetzt Ankommenden aufzunehmen, wenn überhaupt, dann nur christliche Flüchtlinge.

Wer könnte sonst noch ein Interesse haben, möglichst viele Fremde, besonders Muslime, hier aufzunehmen? Bei einem Blick ins linke politische Spektrum wird man schnell fündig. Hier träumt man seit langem von einem bunten, multikulturellen und multireligiösen Deutschland. Deutschland soll entnationalisiert und internationalisiert werden. Vorreiter sind Grüne und Linke, aber auch die SPD und selbst CDU und FDP als (einstmals) bürgerliche Parteien scheinen irgendwie offen für diesen Trend zu sein. Schnell erklären sich so die euphorischen Willkommensgrüße, wenn Züge aus Österreich eintreffen, so erklärt sich auch die Meinung eines Herrn Gabriel bezüglich der Zuwanderung, so erklärt sich, wenn der frühere Bundespräsident Wulff und Frau Merkel betonen, der Islam gehöre zu Deutschland. So erklären sich auch die folgenden Stellungnahmen grüner Politiker:

„Deutschland muß von außen eingehegt und von innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi verdünnt werden.“ (Joschka Fischer, Bundnis90/Die Grünen, ehemaliger Außenminister).

„Deutschland verschwindet jeden Tag immer mehr, und das finde ich einfach großartig.“ (Jürgen Trittin, Bundnis90/Die Grünen, ehemaliger niedersächsischer Landesminister, danach Bundesminister).

„Deutsche sind Nicht-Migranten, mehr nicht.“ (Claudia Roth, amtierende Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages).

„Der deutsche Nachwuchs heißt jetzt Mustafa, Giovanni und Ali.“ (Cem Özdemir, Bündnis90/Die Grünen).

„Ich wollte, daß Frankreich bis zur Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.“ (Sieglinde Frieß, Grüne und Verdi-Funktionärin).

„Wir, die Grünen, müssen dafür sorgen, so viele Ausländer wie möglich nach Deutschland zu holen. Wenn sie in Deutschland sind, müssen wir für ihr Wahlrecht kämpfen. Wenn wir das erreicht haben, werden wir den Stimmenanteil haben, den wir brauchen, um diese Republik zu verändern.“ (Daniel Cohn-Bendit, Bündnis90/Die Grünen, Abgeordneter des Europa-Parlaments).

So ist es nicht verwunderlich, daß man von linken Demonstranten auf der Straße Sprechchöre hört wie: „Deutschland verrecke!“ Es soll an dieser Stelle nicht behauptet werden, daß alle Grünen solche extremen Meinungen vertreten, aber es ist bezeichnend, daß man diese Stellungnahmen einfach stehen läßt und nicht vehement kritisiert.

Den Grund für diese Ablehnung, ja manchmal schon Deutschenhaß, muß man wohl in der Hitlerzeit suchen. In linken Kreisen wird Deutschland als Aggressor und als böse schlechthin angesehen, der immenses Unheil über die Welt gebracht hat. Deutschland in seiner bisherigen Form muß völlig umgebaut, soll bunt werden, damit es nie wieder Unheil anrichten kann. Welch eine verquere Weltsicht.

Das Unheil in bezug auf den 2.Weltkrieg soll nicht in Frage gestellt werden – die Verbrechen anderer Staaten seien hier nicht thematisiert – aber die linken Meinungsführer begreifen offensichtlich nicht, daß Jesus am Kreuz von Golgatha alle Schuld der Welt auf sich genommen hat und nach Buße und Umkehr Vergebung gewährt.

Auch ein Volk kann sich ändern (Jona, Kap.3), und Deutschland hat sich geändert, wie die Neuansiedlung vieler Juden aus Osteuropa zeigt. Auch für Deutschland und seine Menschen gibt es Vergebung. Warum blendet man das aus? Zudem sind längst Nachkriegsgenerationen herangewachsen, und Schuld ist individuell und kann nicht vererbt werden, darauf weist Gott ausdrücklich hin. (Hes. 18, 1- 24). Das immer erneute Hinweisen dagegen auf deutsche Greuel im 3. Reich ist zu einem probaten Mittel geworden, das deutsche Volk in einem Schuldkomplex gefangen und das schlechte Gewissen wach zu halten, wodurch es leichter politisch zu lenken ist.

Durch das neue bunte Deutschland hofft man zugleich einen neuen Menschen zu erziehen, wenn Deutschland ethnisch und religiös durchmischt wird. In diese Richtung weist auch die staatlich verordnete Gender-Erziehung in der Schule, eine gottfeindliche Ideologie, die die normale Familie zerstören soll. Mit der eigenen christlich geprägten Kultur steht man auf Kriegsfuß, sie ist zugunsten des Islam zurückzudrängen.

Geradezu grotesk erscheint es, wenn Gregor Gysi am 9.9.2015 im Bundestag ausgerechnet auf die Bergpredigt der Bibel hinweist, um die gegenwärtige Masseneinwanderung zu unterstützen. In Fragen der Homo-Ehe und Abtreibung schweigt man sich über die Bibel lieber aus. Tatkräftige Unterstützung für linke Positionen gewährt auch die evangelische Kirche. Die Gender-Ideologie hat man übernommen, und seit Jahrzehnten fährt man hier einen Annäherungskurs an den Islam.

Gott, der Vater Jesu Christi, und Allah im Koran seien identisch. Anschläge, Massaker und andere Greueltaten im Namen Allahs erklärt man als Mißbrauch des eigentlich friedlichen Islam und als Einzelfälle. Letzter Stand der Annäherung: Der EKD-Chef Bischof Bedford-Strohm ist Mitglied im Kuratorium des Münchener Islam-Zentrums. Leider ist auch die katholische Kirche im Islam-Zentrum vertreten, allerdings nicht mit einem Bischof. Auch hier ist man seit dem 2. Vatikanischen Konzil überzeugt, mit den Muslimen denselben Gott zu verehren, eine biblisch unhaltbare Position.

Aktuell erklärte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Reinhard Marx im NDR-Info-Radio am 24.9.2015, Christen müßten die heutigen Flüchtlinge schon deshalb aufnehmen, weil der neugeborene Jesus mit seinen menschlichen Eltern auch ein Flüchtling gewesen sei, nach Ägypten fliehen mußte, weil Herodes ihn umbringen wollte. Das stimmt. Dennoch ist dieser Hinweis völlig unangebracht. Denn Joseph, Maria und Jesus kehrten nach Hause zurück, als die Gefahr vorüber war. Die heutigen Flüchtlinge aber werden bleiben und sollen es wohl auch.

Starke politische Kräfte streben die Utopie einer neuen Gesellschaft an. Es soll ein multiethnisches, multikulturelles, multireligiöses Paradies sein, wo alle Gegensätze und Konflikte aufgehoben sind und immerwährender Friede einkehrt, auf der Basis von Gleichheit, Toleranz und gegenseitiger Achtung. Konservative und bibeltreue Meinungen stören hingegen, weil sie die Utopie in Frage stellen.

Vor unseren Augen läuft ein gesellschaftspolitisches Großexperiment ab. Aber es wird scheitern an der Herrschaftsideologie Islam.

Von solchen Bestrebungen geht indes eine enorme Gefahr aus. Aus dem kommunistischen Großexperiment des 20. Jahrhunderts hat man anscheinend nichts gelernt, wo in der früheren Sowjetunion und im China Mao-Tse-Tungs die verschiedensten Völker und Kulturen vermischt und auch ein neuer Mensch geschaffen werden sollte. Das Ergebnis waren gigantische Ströme von Blut.

Auch die Verhältnisse im früheren Jugoslawien und im Libanon blendet man beharrlich aus, die Christenverfolgungen in der islamischen Welt behandelt man eher am Rande. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban aber warnt:
„Die europäischen Spitzenpolitiker…. haben keine Ahnung von der tatsächlichen Gefahr, die die Einwanderer für uns bedeuten, auch nicht von der Größenordnung des Problems. Wir reden hier über zig Millionen Menschen. Der Nachschub ist endlos, aus Pakistan, Bangladesch, Mali, Äthiopien, Nigeria. Wenn wir die alle reinlassen, geht Europa zugrunde.“ (Bild online, 12. 9.2015)

Da solche Stimmen die Utopie stören, überhört man sie, schließlich hält man Orban eh für einen Nationalisten, irgendwie braun angehaucht. Aber er hat recht. Tatsächlich sitzen Millionen Menschen auf gepackten Koffern. Allein 38% der Afrikaner wollen laut Umfragen nach Europa (FAZ, 13.9.2015). Wenn die alle kommen, geht Europa zugrunde. Am 13.9.2015 zog die deutsche Regierung die Notbremse und führte wieder Grenzkontrollen ein. Es bleibt abzuwarten, wie effektiv sie sind.

Schon jetzt haben Städte und Gemeinden die größten Probleme, die lawinenartig hereinströmenden Menschenmassen unterzubringen. Turnhallen werden beschlagnahmt und als Unterkünfte hergerichtet, leerstehende Gebäude mit beträchtlichem Kostenaufwand renoviert. Private Hauseigentümer fordert man bereits auf, nichtgenutzten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, das sei „Gold wert für die Integration“, so Katrin Göring-Eckhardt von den Grünen (Junge Freiheit, 6.9.2015).
Da voraussichtlich zu wenig privater Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, sind schon Zwangseinquartierungen angedacht. Hamburg will noch im Oktober ein Gesetz verabschieden, wonach leerstehende Gewerbeimmobilien im Privatbesitz beschlagnahmt werden können (N-TV, 23. 9. 2015).
Die ersten Städte werfen Mieter aus stadteigenen Wohnungen, melden Eigenbedarf für die Neuankömmlinge an, wie in Paderborn (Neue Westfälische, 28.7.2015), oder quartieren eine ganze Schule aus, wie in Lübbecke, wo Hals über Kopf innerhalb einer Stunde die Realschüler ihr Schulgebäude verlassen mußten, also vertrieben wurden, um Platz zu schaffen (Westfalenblatt, 18.9.2015), bundesweit bisher einmalig. So geht man nicht mit Menschen um, die Eltern dieser Schüler sind Steuerzahler, der Staat hat eine Fürsorgepflicht für seine Bürger.
Die ursächliche Schuld liegt natürlich bei der Regierung, die die Fremden massenweise ins Land läßt, ausbaden muß es das Volk. Man hat den Eindruck, daß die Behörden völlig überfordert sind. Mit derartigen Zuständen hatte niemand gerechnet. Der Winter steht vor der Tür, viele Menschen in Zeltstädten müssen in feste Quartiere, aber wohin? Schon jetzt brodelt es im Volk, wie man in Gesprächen leicht herausfinden kann.

Haben die Zuwanderer ein Recht, hier zu sein?
Ganz deutlich muß man sagen: Nein! Juristisch gesehen sind es Illegale, die jetzt ins Land strömen. Sie hätten laut EU- Gesetzgebung (Dublin-Abkommen) in dem Land Asyl beantragen müssen, wo sie zuerst den Boden eines EU- Mitgliedslandes betreten haben. Sie sind Rechtsbrecher. Als Illegale haben sie mehrere sichere EU-Staaten durchquert, wenn sie in Deutschland ankommen. Auch das deutsche Grundgesetz legt in Artikel 16a, Absatz 2 fest: „Ausländer, welche über einen Staat der EU oder einen sonstigen sicheren Drittstaat einreisen, können sich nicht auf das Asylrecht berufen.“ In gigantischem Maß wird demnach Rechtsbruch begangen und zugelassen. Interessant ist, daß die Einreisenden in allen Medien und politischen Verlautbarungen als Flüchtlinge bezeichnet werden. Diese Bezeichnung ist mit Absicht gewählt, eine Manipulation durch Sprache, um die Aufnahmebereitschaft der Einheimischen zu erhöhen. Denn ein Flüchtling ist nach allgemeiner Auffassung und Sprachgebrauch ein Mensch, der ein schweres Schicksal hinter sich hat, dem man helfen muß, alles andere wäre unmenschlich, so bestimmt es unsere christlich geprägte Kultur, Nächstenliebe und Humanität. Das Handeln des barmherzigen Samariters (Lk. 10, 30ff) ist Grundbestandteil unserer Ethik.
Die Frage aber, ob diese Menschen wirklich Flüchtlinge sind, wird gar nicht erst gestellt. Sie sind es zu einem großen Teil nicht, und ein Anrecht auf Asyl hat keiner, da sie bereits aus einem Lager in einem sicheren Land kommen. Nur wenige dürften direkt aus dem Kriegsgebiet kommen, aber auch sie hätten im ersten EU-Land Asyl beantragen müssen. Nach internationalem Recht ist für Kriegsflüchtlinge der UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, zuständig. Er wird von den Mitgliedern der Vereinten Nationen mit einem Milliardenbudget ausgestattet, damit er hilft, wo Hilfe geboten ist. Und wo Hilfe geboten ist, ist im internationalen Recht ebenfalls genau festgelegt: Flüchtlingen wird im Nachbarland des Krieges geholfen bzw. im ersten Land, in dem Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der Menschen gewährleistet sind. Und das ist im Falle Syriens zum Beispiel die Türkei und Jordanien. Deutschland ist es nicht. Nun kann sich Deutschland ganz abgesehen vom internationalen Recht natürlich freiwillig bereit erklären, die Türkei oder Jordanien zu unterstützen und Flüchtlinge aufnehmen. Das ginge ohne weiteres, der UNHCR würde es organisieren. Die Menschen würden dann ganz regulär etwa mit Flugzeugen nach Deutschland gebracht. Erhöht es aber die Aufnahmebereitschaft der Einheimischen und ist es medienwirksamer zu berichten, sie seien Tausende Kilometer unter großen Strapazen zu Fuß hierher gekommen?

In dem besagten Interview antwortet der ungarische Ministerpräsident Orban auf die Frage, wohin denn die Menschen gehen sollen, wenn ab dem 15.9.2015 Ungarn, wie angekündigt, seine Grenzen dicht macht. Orban: „Dorthin, wo sie herkommen. Diese Migranten kommen ja nicht aus dem Kriegsgebiet zu uns, sondern aus Lagern in den Nachbarstaaten Syriens… Dort waren sie in Sicherheit. Diese Menschen fliehen also nicht vor der Gefahr, sie sind bereits geflohen und mußten nicht mehr um ihr Leben fürchten. Diese Menschen kommen nicht nach Europa, weil sie Sicherheit suchen, sondern sie wollen ein besseres Leben als in den Lagern. Sie wollen ein deutsches Leben, vielleicht ein schwedisches. Die Lebensumstände in Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich genügen ihnen nicht. Persönlich kann ich das verstehen. Aber es gibt kein Grundrecht auf ein besseres Leben, nur ein Recht auf Sicherheit und Menschenwürde.“ (Bild online, 12.9.2015) Mit anderen Worten: Es sind Wirtschaftsflüchtlinge, etwa 80% der Ankommenden sind aus diesem Grund hier. Das aber verschweigt man oder sagt es nur ganz kleinlaut.

Alle, die hierher kommen, müssen einen Asylantrag stellen. Viele haben unterwegs allerdings ihre Papiere „verloren“. Wer angibt, er komme aus dem Bürgerkriegsland Syrien, hat gute Aufnahmechancen. Oder er legt sogar gefälschte Papiere vor, für 750 Euro erhältlich in zwei Tagen, hergestellt wahrscheinlich in der Türkei, wie der niederländische Journalist Harald Doornbos recherchierte (N24.de, 17.9.2015). Spiegel online meldete am 11.9.2015, die deutsche Botschaft in Kabul/Afghanistan habe mitgeteilt, es gebe Anzeichen, daß die afghanische Regierung eine Million Pässe ausgestellt habe, die die Ausreise nach Europa ermöglichten. Die Personen aus den Westbalkanstaaten fliehen definitiv nicht vor Krieg und Terror, ihre Anträge dürften abgelehnt werden. Aber die Aussicht, selbst bei Ablehnung wieder abgeschoben zu werden, ist gering. Die 145.000 abgelehnten Asylbewerber der Vorjahre sind immer noch hier (Bild.de, 5.10.2014). Abschiebungen werden nur in etwa 10% der Fälle durchgeführt, zudem oft verhindert von Einheimischen aus dem linken politischen Lager.

Die besondere Attraktivität Deutschlands erklärt sich aus den hohen Leistungen, die die Einwanderer hier erhalten, nur wenig unter Hartz-IV-Niveau, was man zu Hause durch reguläre Erwerbsarbeit meist nicht erreicht. Von Anfang an werden sie in die Sozialsysteme aufgenommen, faktisch gleichgestellt den Mitgliedern der Solidargemeinschaft, die jahre- und jahrzehntelang in die Sozialkassen eingezahlt haben.
Auch die medizinische Versorgung, die Unterbringung in hier üblichen Wohnungen, die Bildungseinrichtungen und anderes sind für die Menschen sehr attraktiv. Deutschland aber wird angesichts der zu erwartenden Menschenmassen schnell überfordert sein, es kann nicht die Rolle des Welt- Sozialamtes spielen.
Dies und die beinahe bedingungslose Aufnahmebereitschaft für alle, die kommen, üben eine starke Sogwirkung aus. Almaniya scheint das „gelobte Land“ zu sein. Klar ist, die Menschen sind gekommen, um zu bleiben. Und die gegenwärtige Politik läßt das zu. Es sei ausdrücklich vermerkt, daß unter den Hunderttausenden mit Sicherheit viele Menschen sind, die in ihrem Heimatland verfolgt werden und um Gesundheit und Leben fürchten müssen, etwa Jesiden und andere Minderheiten, insbesondere aber Christen. Wir erleben seit vielen Jahren eine in der Geschichte noch nie dagewesene, brutale Christenverfolgung weltweit, ein Christen-Schlachten, nicht nur, aber insbesondere in islamischen Ländern. Pro Jahr werden etwa 100.000 nur ihres christlichen Glaubens wegen umgebracht, ein Ende ist nicht absehbar. Aber auch politisch Verfolgte sind unter ihnen. Für alle diese Menschen gilt ohne wenn und aber, daß man ihnen hier Schutz gewähren muß. Man kann ihnen ohne weiteres freiwillig ein Bleiberecht einräumen, selbst wenn sie als Illegale ins Land gekommen sind. Denn ein Zurückschicken würde ihren fast sicheren Tod zu Hause bedeuten. Das geht selbstverständlich nicht.

Die Rolle der Medien
Wer die Berichterstattung in den Medien aufmerksam verfolgt, wird feststellen, daß sie in ihrer Mehrheit positiv über die gegenwärtige Einwanderungswelle sprechen. Sie stehen auf der Seite des linkspolitischen Gesellschaftsexperimentes. Das ist nicht verwunderlich, da die meisten Journalisten politisch im linksgrünen Lager zu Hause sind. Problematisch für die Medien ist nur, daß den Einheimischen keineswegs verborgen blieb, daß die Masse der ankommenden Menschen keinen abgekämpften und erschöpften Eindruck macht. Man sieht keine Kriegsverletzten, dafür aber viele, die mit Smartphone, sauberen Jeans und neuen Adidas ausgestattet sind.
Woher haben sie das? Andererseits gibt es Bilder, wo gespendete Lebensmittel achtlos weggeworfen, manchmal gar vernichtet wurden. Auch gespendete Kleidung fand sich schon zahlreich in Müllcontainern, Straßengräben und auf Bahngleisen, Lebensmittelpakete des Roten Kreuzes wurden an der mazedonischen Grenze abgelehnt, weil auf die Kästen ein Kreuz aufgedruckt war, was für Muslime ein verabscheuungswürdiges Symbol ist.
Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete am 24.9.2015, daß 30 Asylsuchende nur zwei Tage nach ihrer Ankunft in einem Ort bei Wittenberg in einen Hunger- und Sitzstreik traten, weil ihnen die Unterkunft, eine Turnhalle, nicht gefiel, sie wollten keine Sammelunterkunft, sondern Wohnungen mit Privatsphäre. Was werden sie wohl in einem Jahr fordern? Schwer zu vermitteln, daß hier der Satz Jesu zutreffen soll, wonach Christen die Hungrigen speisen, den Durstigen zu trinken geben, Nackte kleiden und Fremde aufnehmen sollen (Mt. 25,31ff). Denn so verhalten sich nicht Menschen, die in großer Not Elend und Verfolgung entkommen sind.

Die Stimmung unter den Einheimischen hier ist natürlich nicht verborgen geblieben. Vereint nach Art eines Kartells halten Politik und Medien dagegen. Ein besonders deutliches Beispiel ist die Plakataktion „Refugees welcome“- Ihr seid willkommen“, eine Aktion der Kieler Nachrichten, der Segeberger Zeitung, unterstützt von der Landeshauptstadt Kiel, der Stadt Neumünster, den Kreisen Plön, Rendsburg- Eckernförde und Segeberg. Die Plakate wurden an alle Haushalte verteilt, waren gedacht für die Haustüren, man sah aber nur wenige, außer an einigen Geschäften und natürlich öffentlichen Gebäuden, sonst nirgends. Unablässig mahnen Politik und Medien eine Willkommenskultur an. Man stellt die Hilfsbereitschaft in Form von Sachspenden als beispielhaft heraus, zeigt Bilder, wie Flüchtlinge im Bahnhof begeistert willkommen geheißen werden. Viele haben auch den Eindruck, daß traurige Schicksale instrumentalisiert werden, um Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tagelang sah man in den Medien das Bild des kleinen ertrunkenen Jungen, der in Bodrum an die türkische Küste gespült wurde. Der Tod des kleinen Aylan, der nur drei Jahre alt wurde, ist ein trauriges Geschick, ohne Frage, aber gehört so ein Bild in die öffentlichen Medien? Viele empfinden das als pietätlos. Sollte damit signalisiert werden: Wer nicht hartherzig sein will, kritisiere bitte nicht mehr die gängige Aufnahmepraxis der Flüchtlinge. Man täusche sich nicht, Bilder haben eine große Wirkung, man denke nur an das Foto des kleinen Mädchens, das 1972 durch einen amerikanischen Napalmangriff in Vietnam schwer verletzt wurde. Auch das Bild ging um die Welt. Verschwiegen wurde im Falle des kleinen Aylan allerdings, daß sein Vater aus der Türkei kam und nach Europa wollte, weil er neue Zähne brauchte, für etwa 14.000 Euro, die er nicht hatte, aber 4.000 für Schlepper bezahlen mußte, so hat die Tante des Kleinen im kanadischen Fernsehen erklärt, von Sky News veröffentlicht. Es ist bitter, jetzt hat er Frau und zwei Kinder verloren und hat sie in Kobane regulär beerdigt, will auch in Syrien bleiben. Tage später tauchten Meldungen auf, der Vater selbst sei ein Schlepper, habe leichtfertig den Tod von Menschen riskiert. Auch sei der kleine Aylan an ganz anderer Stelle an die Küste getrieben worden, medienwirksam habe man ihn an eine gut überschaubare Küstenstelle gelegt und dann „geborgen“. Die Wahrheit wird wohl nie herauskommen. Aber so oder so: Es fällt schwer, an eine verfolgte Familie zu glauben. Warum berichteten die Hauptmedien das nicht, als es bekannt wurde? Die vielen, brutal vom IS ermordeten Christenkinder kamen fast gar nicht in den Medien vor.

Eine sachliche Auseinandersetzung über den Flüchtlingsstrom ist im Augenblick kaum möglich. Ganze Fragenkomplexe werden nicht thematisiert: Wieso gerade jetzt diese Flüchtlingsmassen? Sind diese Menschen wirklich Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und des deutschen Grundgesetzes? Wieso gehen sie nicht, da die allermeisten Muslime sind, in die reichen muslimischen Ölstaaten, sondern ausgerechnet in das säkulare und christlich geprägte Europa? Woher haben sie das Geld für die Schlepperbanden? 4.000 bis 5.000 Dollar und mehr sind für den Transfer zu entrichten. Wieso kommen überwiegend junge Männer, deren Leistungsfähigkeit doch eigentlich zu Hause gebraucht würde? Hier sind sie ohne Frauen, wie wirkt sich das aus? Wieso lassen sie ihre Familien zurück, wenn diese in der Heimat bedroht sind? Wieso zeigen die Medien aber vornehmlich selektiv Familien mit kleinen Kindern, wie es der Journalist Claus Cancel vom dänischen Radiosender „Radio 24.7“ beobachtet hat, der in Mazedonien und Serbien mit den Menschenströmen nach Norden zog. Sickern mit den faktisch unkontrollierten Massen auch IS-Terroristen ins Land? Fragen über Fragen. Auch die Frage nach den Kosten des Einwanderungsstromes wird nicht öffentlich in den Medien thematisiert. Man erfährt nichts Genaues. Mancherorts zerfällt die Infrastruktur, Brücken und Straßen müssen saniert werden, manche Schulen sind dringend renovierungsbedürftig. Geld ist keines da. Aber für die Flüchtlinge jetzt plötzlich doch. Wie kann das sein? Weiter hört man im Umkreis von Aufnahmeeinrichtungen immer wieder von Problemen mit den neuen Mitbürgern: Nachbarn beschweren sich über laute nächtliche Musik und über Vermüllung der Umgebung. Man hört von Streitereien, die untereinander mit Brachialgewalt ausgetragen werden, hört von Drogenkriminalität, sexuellen Belästigungen und sogar von Vergewaltigungen einheimischer Frauen. Christliche Flüchtlinge werden von muslimischen in den Unterkünften belästigt oder gar angegriffen Warum wird darüber nicht offen gesprochen?

Wer kritische Fragen stellt, gerät indes leicht in den unangenehmen Ruf, ein Ausländerfeind zu sein bzw. ein Rassist oder ein Rechtspopulist. Mit der Nazi-Keule wird jede noch so sachliche Kritik an der Flüchtlings- und Ausländerproblematik vom Tisch gefegt. Alles wird niedergebügelt, was nach Kritik und Widerstand aussieht, bis hin zu üblen Beschimpfungen durch die Politik („Pack“, „Mischpoke“, „Dunkeldeutsche“), was die Medien ausführlich darstellen. Eine kontroverse, mit sachlichen Argumenten geführte Auseinandersetzung ist kaum mehr möglich. Ein schwerer Fehler. Natürlich sind Brandstiftungen in Unterkünften ein schlimmer Rechtsbruch, man hat aber den Eindruck, daß die Medien so berichten, daß Rechte die Täter gewesen sein könnten, indes die Aufklärungsquote ganz minimal ist. Nicht selten sollen Flüchtlinge selbst schon Feuer gelegt haben. Und was ist mit linker Gewalt? Die redet man eher klein. Es ist besorgniserregend, wie groß die Kluft zwischen „denen da oben“ und „dem Volk da unten“ inzwischen geworden ist. Die Sorgen und Ängste der Einheimischen dürfen offensichtlich keine Rolle spielen, Ängste der Eltern um ihre Kinder, Ängste der Großeltern um Kinder und Enkelkinder. Auch seit Jahren oder gar Jahrzehnten gut integrierte Ausländer sind entsetzt über die gegenwärtigen Ereignisse in Deutschland und besorgt, was die Zukunft bringt. Da die Medien ganz offensichtlich einseitig berichten, weichen immer mehr Leute auf das Internet als Informationsquelle aus.

Sind die Ankommenden integrationsfähig?
Alle treten für eine rasche Integration der Neuankömmlinge ein. Aber wie realistisch ist das? Wer soll die Hunderttausende Schüler unterrichten, die kein Deutsch sprechen? Die Wirtschaft hofft auf billige Arbeitskräfte, was selbst die Arbeitsministerin Nahles kritisch sieht (Junge Freiheit, 11.9.2015). Diejenigen, die einen christlichen Hintergrund haben, sind in der Regel sicherlich integrationsbereit und – fähig, werden es aber nicht leicht haben. Anders sieht es bei den Muslimen aus, und die stellen die Masse der Neuankömmlinge. Schon im Jahre 2005 sagte Bassam Tibi: „Man muß offen sagen, die Religion des Islam erlaubt die Integration nicht. Ein Muslim darf sich einem Nicht-Muslim nicht fügen. Wenn er in der Diaspora lebt, dann ist das eine Notsituation, und er kann sich absondern. Das sagt die normale Religion und nicht eine fundamentalistische Variante.“ (Focus 29/2005) Sogar bei den bereits seit vielen Jahren hier lebenden Muslimen sieht es mit der Integration nicht besonders gut aus. Waren die Einwanderer der 70er und 80er Jahre durchaus noch offen für die Integration, so sind es die jungen der dritten oder vierten Generation immer weniger, Parallelgesellschaften sind entstanden. Diese verfestigen sich natürlich durch die Massen der neu hinzukommenden Muslime. In vielen Städten ist die Integration schon heute gescheitert.

Im Jahre 2008 wurde in Duisburg-Marxloh die bis dahin größte Moschee in Deutschland eröffnet, die Merkez-Moschee, hohe Repräsentanten aus Politik und Kirche waren anwesend. Der Bau war von der EU und dem Land NRW mit 3,2 Millionen Euro gefördert worden (Idea, 29.10.2008). Man sprach vom „Wunder von Marxloh“, es sollte eine Begegnungsstätte und Vorzeigeprojekt für das reibungslose Zusammenleben verschiedener Kulturen sein, wie auch der Stadtteil Marxloh überhaupt ein Vorzeigeviertel der Einwanderung werden sollte. Die Moschee wurde gelobt für ihre gute Integrationsarbeit (Armin Laschet, CDU). Aber schon zwei Jahre später kamen erste Zweifel auf.

Heute, nur sieben Jahre später, ist die ursprünglich ansässige deutsche Bevölkerung zum großen Teil weggezogen und eine Art muslimisches Ghetto entstanden, in dem andere Werte und Verhaltensmaßstäbe gelten, in das sich selbst Polizisten nur mit Vorsichtsmaßnahmen hineintrauen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert ein Gegensteuern, spricht von rechtsfreien Räumen, Polizeibeamte werden „ohne jeden erkennbaren Grund von einer größeren Menschenmenge bedroht und angegriffen.“ (Blu-News, 30.6.2015; siehe auch Focus vom 30.6.2015 und news.de vom 20.8.2015). Duisburg-Marxloh, nur ein verunglückter Einzelfall? Keineswegs.

Auch in Dortmund, Essen, Berlin-Neukölln und anderswo klagt die Polizeigewerkschaft über ähnliche Zustände. Niemand hat damals auf warnende Stimmen gehört. Natürlich gibt es säkularisierte Muslime, die nur noch Namens-Muslime sind, aber wie werden diese sich verhalten, wenn die Islamisierung zügig voranschreitet, wenn Salafisten und ähnliche Gruppen immer mehr Einfluß bei uns gewinnen?
Der Islam, ein Integrationshindernis? Man muß die Frage leider bejahen. Es hat keinen Zweck mehr, darum herumzureden. Der Glaube ist für die allermeisten Muslime eminent wichtig, was nur die wenigsten im Westen verstehen. Muslime, die in westliche Länder kommen, erleben einen Kulturschock, sind empört über westliche Lebensweise, Werte und Moralvorstellungen, die man für dekadent hält. Homo- Ehen verachtet man, auch sexuelle Freizügigkeiten der Geschlechter und manches andere. Als Reaktion besinnt man sich verstärkt auf die eigenen islamischen Werte, fühlt sich erhaben über diese verwahrloste Kultur, die man als identisch mit dem Christentum ansieht. Normalerweise liest ein Moslem seinen Koran nicht. Aber koranische Grundsätze und Werte prägen durch die Tradition und Erziehung in der Familie, durch Koranschule, Moscheebesuche usw. fest das Leben dieser Menschen. Allahs Wille ist ewig gültig, und zwar für alle Menschen, er bestimmt das Leben bis in Einzelheiten hinein.

Allah hat festgelegt, daß Juden und Christen Ungläubige und Verfluchte sind (Sure 9,30), die schlechtesten Geschöpfe, die garantiert in die Hölle kommen (Sure 98,6), sie stehen noch unter dem Vieh (Sure 8,55; 7,179; 47,12), einige von ihnen hat Allah gar in Affen und Schweine verwandelt (2,65; 5,60; 7,166). Sie sind Muslimen zu Tribut verpflichtet (Sure 9,29). Von sich selbst nimmt man dagegen an, daß man als Moslem zur besten Gesellschaft gehört, die es überhaupt gibt (Sure 3,110). Gewarnt werden Muslime vor einer Freundschaft mit Ungläubigen: „O ihr, die ihr glaubt, nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden, sie sind untereinander Freunde, und wer von euch sie zu Freunden nimmt, siehe, der ist von ihnen. Siehe, Allah leitet nicht ungerechte Leute.“ (Sure 5,51; siehe auch 3,118; 60,13) Menschen, die diese Grundsätze verinnerlicht haben, können eben nicht integrationsfähig sein. Die Angst vor Allahs Zorn ist zu groß.
Die Flüchtlinge von heute, unsere Herren von morgen? Durch eine Willkommenskultur begeistert aufgenommen? Leider spricht vieles dafür. Während viele noch ihren gesellschaftspolitischen, multikulturellen, multireligiösen und mehr oder weniger antichristlichen und antideutschen Träumen nachhängen, hat die Gegenseite längst die völlige Islamisierung Europas im Auge.

Schon 1980 erklärte der „Europäische Islamrat“ in London: „Islam ist ein Glaube, eine Bewegung zur Aufrichtung der islamischen Ordnung in der Welt.“ (Evang. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Nr. 7, 1.7.1980).
Aktuell hat der Scheich Mohammed Ayad, einer der führenden Imame in Jerusalem, die muslimischen Flüchtlinge öffentlich aufgerufen, Europa zu erobern, indem sie sich mit den Europäern verschmelzen: „Wir werden sie fruchtbar machen. Wir werden Kinder mit ihnen zur Welt bringen, weil wir ihre Länder erobern werden“, (Sputniknews.com, 22.9.2015).
Das kann man nur als Bedrohung empfinden, zumal die Bürger hier merken, daß der eigene Staat die Islamisierung stillschweigend zuläßt oder gar fördert, worauf oben hingewiesen wurde.

Das Beispiel des Libanon, der bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch ein überwiegend christlicher Staat war, ist ein Menetekel, durch islamische Einwanderungswellen und einen daraus resultierenden Bürgerkrieg führen die dort zurückgebliebenen Christen heute ein unterdrücktes Schattendasein. Bürgerkriegsähnliche Unruhen drohen auch unserem Land, von der Regierung schon seit 2009 erwartet (Udo Ulfkotte, Vorsicht Bürgerkrieg, S. 47ff).

Der Erzbischof der Stadt Mossul/Irak, Amel Shimon Nona, wendet sich mit eindringlichen Worten an die Europäer und Christen des Westens: „Unser heutiges Leiden (Anm.: das der Christen im Irak) ist ein Vorgeschmack darauf, was ihr Europäer und Christen in naher Zukunft erleiden werdet. Ich habe mein Bistum verloren…… doch meine Gemeinde ist noch am Leben. Der Islam sagt nicht, daß alle Menschen gleich sind. Eure Werte sind nicht die seinigen. Wenn ihr das nicht schnell genug versteht, werdet ihr zum Opfer des Feindes, den ihr bei euch zu Hause willkommen geheißen habt.“ (Unsertirol24.com, 18.9.2015)

Die Masseneinwanderung als Gottesgericht
Durch den gegenwärtigen Massenansturm bahnt sich ein Gericht Gottes über das einstmals christliche Europa und das einstmals christliche Deutschland an. Der Glaubensabfall ist immens in unserem Volk, Kirchen werden geschlossen und abgerissen. In dem Maße, wie sich der Glaube an den drei- einigen Gott der Bibel verflüchtigt, macht er einem Zeitgeist Platz, nach dem der autonome Mensch glaubt, selbst bestimmen zu können, was gut und böse, richtig und falsch ist. Die Gebote Gottes spielen eine immer geringere Rolle im Leben der meisten Menschen. In den Kirchen hat eine linksliberale Theologie das Sagen. Durch die historisch- kritische Theologie hat man einen Selbst- Säkularisierungsprozeß ausgelöst, der vom christlichen Glauben nicht viel mehr übrig läßt als die Aufforderung, ein guter Mensch zu sein und gut zu handeln. Der Sühnetod Jesu Christi am Kreuz von Golgatha und seine Auferstehung, Kernpunkte christlichen Glaubens, sind längst nicht mehr selbstverständlich für viele Pfarrer. Wenn die frühere Bischöfin und jetzige „Reformationsbotschafterin“, Frau Käßmann, öffentlich ausspricht, ihrer Meinung nach sei Maria, die Mutter Jesu, keine Jungfrau und Joseph sei der leibliche Vater von Jesus gewesen (Spiegel-Interview 30/2013), dann muß man schon die Frage stellen, ob sie überhaupt noch auf dem Boden der Bibel und des Apostolischen Glaubensbekenntnisses steht. Von Kirchenleitungsseite hat man noch keine Kritik an Frau Käßmann gehört. Wie viele Theologen mögen denken wie sie? Gott allein weiß es.

Dem Gericht Gottes geht immer ein Glaubensabfall voraus. Dem Volk Israel hatte Gott Segen und Fluch vorgelegt: „Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch: Den Segen, wenn ihr gehorcht den Geboten des Herrn, eures Gottes, die ich euch heute gebiete, den Fluch aber, wenn ihr nicht gehorchen werdet den Geboten des Herrn, eures Gottes, und abweicht von dem Wege, den ich euch heute gebiete, daß ihr anderen Göttern nachwandelt, die ihr nicht kennt.“ (5. Mose, 11,26-28) Dazu zwei Beispiele: Immer wieder hat Gott sein Volk Israel in Zeiten des Glaubensabfalls durch Propheten zur Umkehr gerufen. „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“, rief der Bußprediger Jeremia dem Volk seiner Zeit zu (Jer. 22,29). Vergeblich. Das Volk war verblendet und wandelte neben dem lebendigen Gott auch weiterhin anderen Göttern nach, die Konsequenz war das Gericht, die Babylonische Gefangenschaft.
„Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt“, ermahnte Jesus zu seiner Zeit das Volk (Mt. 23,37).
Vergeblich. Das Volk Israel war verblendet und wandelte seinen eigenen Vorstellungen vom Messias nach. Die hochgerüstete römische Kriegsmaschinerie vollzog das Gottesgericht im Jahre 70 n.Chr., eine fast 2.000jährige Diaspora folgte.

Was für das Volk des Alten Bundes galt, gilt auch für das Volk des Neuen Bundes. Gott läßt nicht zu, daß wir außer IHM noch Allah nachfolgen, gar erklären, ER und Allah seinen identisch, wie dies viele Kirchenleitungen tun. Das Erste Gebot steht dem entgegen. Daran gibt es keinen Zweifel. „Was der Mensch sät, das wird er ernten“, sagt die Bibel (Gal. 6,7). Gott ist ein Gott nicht außerhalb unseres Lebens, er ist ein lebendiger Gott und greift in das Leben ganzer Völker ein.

Aus dem Glaubensabfall folgt die Verblendung, danach das Gericht. Ausgerechnet den zutiefst juden- und christenfeindlichen Islam läßt er durch die Masseneinwanderung über unser Volk kommen. Es wird verheerend sein, wenn wir nicht umkehren. Gibt es die Chance der Umkehr noch? Im Prinzip ja, aber danach sieht es überhaupt nicht aus. Man huldigt vor wie nach seinen multikulturellen und multireligiösen Ideen, will die dunklen Seiten des Islam nicht sehen. Man hat den Eindruck, daß Politik, Medien und überhaupt die Öffentlichkeit gar nicht so genau wissen wollen, was im Islam steckt, wer Allah ist, man ist regelrecht informationsresistent. Hat Gott uns schon dahingegeben? (Röm. 1,24-28) Die euphorische Willkommensbegrüßung für die Einwanderer und die Aufrufe zur Willkommenskultur sollte man als Verblendung sehen. Gott gebraucht andere Völker, um sein Gericht zu vollstrecken, seien es in der Antike die Babylonier, die Römer oder eben heute ganze Völkerscharen aus islamischen Ländern. ER ist souverän und allmächtig, auch wenn das vielen lächerlich sein mag.

Wie gehen Christen mit der gegenwärtigen und zukünftigen Situation um? Die Gemeinde Jesu Christi hat keine Machtmittel. Sie lebt das Wort Gottes im Alltag, schließt sich unbiblischen Strömungen nicht an, ruft auf zur Umkehr und betet zum drei-einigen Gott für die verantwortlichen Entscheidungsträger in Staat, Kirchen und Gesellschaft, sind so Salz der Erde, das eine bewahrende, konservierende Funktion hat, und Licht der Welt, weisen auf das wahre Licht, Jesus Christus, hin. Sie versuchen, die hereinströmenden Moslems mit dem Wort Gottes zu erreichen, gemäß dem Missionsauftrag Jesu (Mt. 28,19f), da nur Jesus der alleinige Heiland für alle Menschen ist, auch für Moslems, die laut Koran alle in die Hölle kommen (Sure 19,71). Es ist zu unterscheiden zwischen dem antichristlichen Islam und dem Moslem als Mensch, der nicht selten besser als seine Religion ist. Es gilt das Interesse vieler Moslems am christlichen Glauben aufzugreifen. Denn ernüchtert durch die entsetzlichen Greueltaten von Allahs Kriegern besonders im Nahen Osten und in Afrika (IS, Boko Haram usw.) haben noch nie in der Geschichte des Islam so viele Allah-Anhänger ihrer Religion den Rücken gekehrt und sind zum christlichen Glauben konvertiert wie heute, unter Gefahr für Leib und Leben.

Für Christen ist die bestehende Staatsgewalt eine von Gott gegebene Ordnungsmacht zum Schutz vor Anarchie und Chaos (Röm. 13,1ff). Daß diese Staatsgewalt selbst dem christen- und judenhassenden Islam Tür und Tor öffnet, ist bereits Zeichen des göttlichen Gerichtes und ein deutlicher Hinweis Gottes auf gebotene Umkehr. Das muß in öffentlichen Verlautbarungen und in Gottesdiensten deutlich gesagt werden. Christen haben aber noch eine weitere Möglichkeit. Grundlegend für unsere staatlich-demokratische Ordnung ist das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Und das bestimmt in Artikel 20: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ (GG, Art. 20,4)

Leider ist mit Gewaltausbrüchen zu rechnen. Das kommt für Christen jedoch nicht in Frage, auch nicht die Teilnahme an Putsch- und Umsturzversuchen. Als stärkste Waffe des Widerstandes haben Christen das Gebet. Sie können sich aber auch als Bürger des Staates in Briefen, Telefonanrufen usw. an die Politiker und ihre Abgeordneten wenden, können ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Gesprächen, Leserbriefen und öffentlichen Vorträgen wahrnehmen, Petitionen unterschreiben, an friedlichen Demonstrationen, Mahnwachen und Info-Ständen in Fußgängerzonen teilnehmen. Sie können Mitglied in islamkritischen, nicht fremdenhassenden Bewegungen sein. Sie haben das Wahlrecht und überlegen bei der nächsten Wahl genau, welche Partei sie auf dem Wahlzettel ankreuzen. Nicht zur Wahl zu gehen, bringt nichts, es stärkt nur die Parteien, die uns in diese heutige Lage gebracht haben.

Wird ein Umdenken und eine Umkehr erfolgen zu dem lebendigen Gott, um Gottes Gericht noch abzuwenden?

„Herr, unser Gott, wir wissen nicht, was jetzt auf uns zukommt, du aber weißt es. Wenn es sein kann, schenke unserem Volk Buße und Umkehr zu dir, dem einzigen und ewigen Gott. Wenn dies nicht mehr dein Wille ist, sei uns gnädig im Gericht. Amen.“

Lübbecke, im September 2015
Eberhard Kleina, Berufsschulpfarrer i.R. 


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Gesetzlosigkeit+New Age

Erfüllung der Prophetie im New Age?

Vortrag von Peter P. J. Beyerhaus

Unsere diesjährige Osterakademie möchte ihren Blick auf das Ende der Geschichte richten. Aber nicht um ein uns völlig verhülltes Ereignis in ferner Zukunft soll es gehen, sondern um ein Geschehen, dessen Anbruch wir in zahlreichen Entwicklungen in unserer Gegenwart bereits deutlich verspüren. Wer wollte leugnen, dass die „schlimmen Zeiten“, von denen der Apostel Paulus an Timotheus (2Tim 3,1 ff) schreibt, in allem, was sie in seiner Sicht kennzeichnen, auch uns heutige Christen beständig beunruhigen und innerlich quälen?
Es entspricht ja durchaus biblischer Sicht, dass die Eschatologie von uns nicht wie ein spekulatives Schlußkapitelchen behandelt werden darf. Die Eschata, die „letzten Dinge, bilden vielmehr einen dynamisch bewegten Prozeß, der mit dem Hereinbrechen des Neuen Äons durch die Auferstehung Jesu Christi bereits begonnen hat und darum unsere ganze christliche Existenz im Wachen, verantwortlichem Handeln, im Kämpfen und Erleiden bestimmen soll.
So sieht es auch Jesus selber, und aus diesem Grunde hat er die letzte große Rede, von der uns die drei synoptischen Evangelien in deutlicher Übereinstimmung berichten eben der Endzeit und ihren Vorzeichen gewidmet. Unter diesen nennt er auf der einen Seite eine Reihe von unheilvollen Geschehnisse , die sich im Bereich der Natur, der Weltpolitik , der Kultur und auch der Kirchengeschichte abspielen.
Sie flauen mit der Zeit nicht etwa ab; vielmehr nehmen sie an Ausmaß zu und markieren somit das letzte Aufbäumen des von Teufel, Sünde und Tod bestimmten alten Äons.

Dem gegenüber steht nun aber das positive Zeichen der Endzeit – im Grunde genommen ist es nur dieses Eine, aber um so wichtigere – nämlich die weltweite Verkündigung der Heilsbotschaft vom Reich Gottes, das in durch Christi vollbrachtes Heilswerk schon angekommen ist  und bei seiner Wiederkunft in Herrlichkeit aufgerichtet werden wird (Matth 24,14).

Nach dieser einleitenden Schau auf das eschatologische Panorama wende ich mich nun konzentrierend der Aussage in Jesu Ölbergrede (Matth 24,12) zu, den die Veranstalter unserer Tagung lapidar in das Thema meines Referates aufgenommen haben:
„Weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe in vielen erkalten“ .

I. Das Wesen der Anomia
Der negative Kernbegriff in diesem Zitat ist das im Tagungsprogramm mit „Gesetzlosigkeit“ wiedergegebene griechische Wort anomia. Es wird in den zahlreichen Bibelübersetzung unterschiedlich verdolmetscht. Luther übersetzt „Ungerechtigkeit“, die Zürcher Bibel schreibt „Gesetzesverachtung“, und die Einheitsübersetzung paraphrasiert „die Mißachtung von Gottes Gesetz“. Diese Mannigfaltigkeit liegt sicher daran, dass es im allgemeinen Wortgebrauch tatsächlich Bedeutungsunterschiede gibt, angefangen bei dem objektiven Tatbestand, dass es Situationen gibt, in denen kein verbindliches Gesetz vorliegt. In anderen Fällen ist gemeint, dass Menschen handeln, ohne auf ein ihnen mehr oder weniger bekanntes Gesetz zu achten. Liegt ein höherer Bewußtseinsgrad vor, wäre zunächst sträflicher von „Gesetzwidrigkeit“ zu sprechen. Anomia kann aber auch bedeuten, dass bestimmte Menschen sich ganz bewußt gegen das herrschende Gesetz auflehnen, und hier träfen die Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung ins Schwarze.

1. Der neutestamentliche Gebrauch des Wortes Anomia
Das Wort anomia kommt in den Schriften des NT häufig vor, und zwar niemals in einem neutralen, sonders stets im negativen, verurteilenden Sinne. Es ist eine Bezeichnung für das Verhalten von Übeltätern, die sich bewußt des Bruches sowohl des staatlichen Gesetze wie auch der göttlichen Gebote schuldig machen und deswegen Bestrafung verdienen. In einem qualifiziert geistlich-theologischen Sinn bildet Anomia ein erklärendes Pendant zu einem andern negativen Zentralbegriff, nämlich der Hamartia, der Sünde. So lesen wir in 1Jo 3,4; „Jeder, der die Hamartia, d.h. die Sünde begeht, der begeht auch die Anomia, die Übertretung des Gesetzes, und die Hamartia ist die Anomia.“
„Hamartia“ meint ja wörtlich übersetzt die „Zielverfehlung“, d. h. das Verfehlen der von Gott dem Menschen als seinem Ihm zum Ebenbild und zur Gemeinschaft mit Ihm gesetzten Lebensbestimmung. Wer bewußt die Sünde tut, trennt sich damit von Gott, lebt in einem heillosen Zustande. Er steht außerhalb des Nomos, des Gebotes, mit dem Gott das Bundesverhältnis zwischen Ihm und der Menschheit und speziell dem Volk Israel regelt.
Dabei handelt es sich nicht immer um den Zustand eines einzelnen Menschen, sondern vielmals auch um einen kollektiven Zustand, der das Verhältnis einer sich von Gott abwendenden menschlichen Gemeinschaft kennzeichnet. Paulus zeigt im 2. Korintherbrief 6,14-15 anhand einer Reihe von Gegensatzpaaren ein dualistisches Weltbild auf, das die gegenwärtige Zwischenzeit der Überlappung der beiden Äonen bestimmt: des  prinzipiell überwundenen alten Äons einerseits und des schon begonnenen neuen Äons anderseits. Sie liegen  miteinander im Streit, bis schließlich mit der glorreichen Wiederkunft Christi zum Gericht der alte Äon mit allen ihn bestimmenden Mächten überwunden und abgetan sein wird. Die Gegensätze heißen:
Gerechtigkeit – Gesetzwidrigkeit;
 Licht – Finsternis;
Christus – Belial
Gläubige – Ungläubige;
Tempel des lebendigen Gottes – Tempel der Abgötter .

Es muß im Auge behalten werden, dass nach biblischem Verständnis der eigentliche Geber des Gesetzes kein Geringer als Gott selber ist. Das gilt für alle echten Gestalten des Gesetzes:
Es betrifft erstens das allen Menschen eingepflanzte Naturgesetz (Röm 2,14-15), zweitens die durch die staatlichen Autoritäten der Völker erlassenen Gesetze (Röm 13,1. 8-10),
drittens das dem Volk Israel auf dem Sinai in Gestalt der 10 Gebote gegebene mosaische Gesetz (Exodus 19,1-17), dann
viertens im Neuen Testament das in der Bergpredigt durch Jesus geistlich vertiefte Gesetz (Matth 5,17-48)  wie schließlich
fünftens das in Römer 8 von Paulus entfaltete Gesetz des Geistes (Röm 8,2).
Dieses enthält – im Unterschied zum mosaischen Gesetz – nicht nur die ethische und religiöse Forderung, sondern auch die Kraft, sie zu erfüllen.

In dieser grundlegenden biblischen Schau richtet sich die Anomia nur vordergründig gegen das kodifizierte Gesetz, das ja in seiner konkreten Gestalt im Blick auf sich wandelnde Situationen durch regierungsamtliche Gesetzesreform von Zeit zu Zeit aktualisiert werden muß. Im tiefsten Sinne richtet sich die bewußte Anomia gegen Gott selber; sie ist prinzipielle Empörung gegen Ihn, Bestreitung Seiner Herrschaft. Das geschieht meist im Namen einer vom Menschen beanspruchten Autonomie, letztlich aber auf Inspiration des satanischen Gegenspieler Gottes, des „Fürsten dieser Welt“ (Joh 14,12.31; 14,30; Eph 2,2). Dieser stellt dem Herrschaftsanspruch Gottes hybrid seinen eigenen entgegen. Wer sich aber dieser Ursünde allen göttlichen Warnungen zum trotz bleibend und unbußfertig verschreibt und sich dem Aufruf zur Buße, zum Sinneswandel, trotzig verweigert, auf den erwartet im Endgericht, wie Jesus selber in großem Ernst sogar den äußerlich frommen und gesetzestreuen Pharisäern vorgehalten hat (Matth 7,22-23), nichts Milderes als die Verdammnis.

2. Die geschichts-theologische Schau des Neuen Testaments
Eines der auf dieser Tagung gehaltenen Referate soll sich mit einer christlichen Theologie der Geschichte, und dies in Verbindung mit der biblischen Lehre vom Antichrist beschäftigen. Ohne dem vorgreifen zu wollen, möchte ich aufgrund des mir thematisch vorgegeben Bibelverses doch schon einige Grundzüge der biblischen Geschichtsschau andeuten.

Im Gegensatz zu einer in der zeitgenössischen akademischen Theologie und leider auch der kirchlichen Verkündigung verbreiteten Überzeugung vertreten die Autoren der neutestamentlichen Schriften wie schon die eschatologischen Aussagen der alttestamentlichen Propheten keine optimistisch -monistische, sondern eine realistisch-dualistische Schau. Damit meine ich keinen zeitlosen metaphysischen Dualismus wie im Manichäismus, sondern einen zeitlich begrenzten heilsgeschichtlichen Dualismus. Dieser besteht sowohl in der weltgeschichtlichen Epoche seit der Urrebellion Luzifers mit seinen Engeln und dem ihm im irdischen Bereich folgenden Sündenfall Adams. Der alte Äon wirkt aber auch nach dem Kommen Christi fort, nämlich  in der qualifiziert heilsgeschichtlichen Zwischenzeit zwischen dem unsichtbaren Herrschaftsantritt Christi bei seiner Auferstehung (vgl. Matth 28,18) und seiner Parusie zur Aufrichtung seiner auch universal sichtbaren Herrschaft (vgl. 1Kor 15,24-28).

Noch also hat Satan, der einst neben Michael der mächtigste Fürst der Engelscharen war und es nach seinem Sturz über die mit ihm abgefallenen finsteren Engelheere blieb (Judas 6), einen beträchtlichen Teil seiner ursprünglichen Macht behalten. Das tat er auch noch nach seiner grundlegenden Entrechtung und Entmachtung durch den Sieg, den Jesus Christus am Kreuz und in seiner Auferstehung über ihn gewonnen hat. Denn immer noch nennt Jesus selbst ihn den „Fürsten dieser Welt“ (Joh 12,31; 14,30; 16,11).
Das gilt uneingeschränkt für alle Bereiche, wo sich Menschen bewußt gegen die ihnen in Christus angebotene Erlösung von der Macht der Sünde und des Teufels sträuben und es vorziehen, im dämonischen Bereich der Finsternis zurück zu bleiben. Vorläufig stehen also der alte und der neue Äon gegenüber Apg. 26,18) und liegen, angeführt von ihrem je eigenen Oberhaupt Christus oder Belial, im Widerstreit.

In diesem also noch existenten alten Äon waltet die Anomia, die Auflehnung gegen die Gebote und den göttlichen Gebieter wie auch gegen die von Ihm eingesetzten staatlichen Ordnungsmächte. Was noch beunruhigender ist: Anomia tritt als Störungsfaktor leider immer wieder auch im Bereich der Kirche ein, wie das ja schon Mose und die Propheten beim alttestamentlichen Bundesvolk beklagten. Auseinandersetzung mit solcher auch in die Gemeinden eindringende Anomia bestimmen weitgehend die Ermahnungen und Warnungen in den apostolischen Schriften.
Ein äußerst beachtlicher Wesenszug in der neutestamentlichen Geschichtsschau ist die prophetische Erwartung, dass die Anomia nicht etwa im Gefolge der weltweiten missionarischen Ausbreitung der Kirche und der christlichen Durchdringung der ethnischen Kulturen immer mehr gebändigt und zurückgedrängt werden und schließlich fast zum Verschwinden kommen wird. Ganz im Gegenteil: Jesus kündigt in seiner Ölbergrede ein Anwachsen der Anomia an, die sich bis zum Ende der Geschichte ins Unerträgliche steigern werde (Matth 24,12-13). Nur eine Minderzahl von Menschen, die Auserwählten, werden dem standhalten; ja, wenn Gott diese allerletzte antichristliche Periode nicht um ihretwillen verkürzte (Matth 24,22), würden auch sie in den Strudel des Abfalls hineingerissen werden. Nun aber bleiben sie in ihrer Geduld und Leidensbereitschaft bewahrt, bis ihr wiederkommende Herr sie aus all ihren Bedrängnissen erlösen und mit sich für ewig zu seiner Brautgemeinde vereinen wird.
Wachsende Anomia ist also ein zentrales Kennzeichen des unheilsgeschichtlichen Abfalls in der Welt und auch in der Kirche. Es markiert das endzeitliche Stadium im Vorfeld der Parusie Jesu.

Eine unheilvolle Auswirkung der in die Gemeinde Christi selbst eindringenden Anomia ist, dass die „Liebe in vielen erkalten“ wird. Abgekühlte, lauwarme und für Christus inakzeptable Liebe ist das Kennzeichen der in Offb 3,14-2 angeredeten kleinasiatischen Gemeinde Laodizäa, welcher Jesus ausrichten läßt:
„Weil du aber lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ …

Unter den Bibelexegeten wird diskutiert, ob es sich bei der zu erkalten drohenden Agape um die Nächstenliebe oder die Liebe zu Gott handele. Die meisten neigen dazu; sie auf ihre beiden Objekte zu beziehen, jedoch der Liebe zu Gott, die eine Widerspiegelung Seiner eigenen erbarmenden Liebe zu uns ist, den Vorrang zu geben. Da, wo man die Gebote Gottes zu vernachlässigen beginnt, wirkt sich diese beginnende Anomia auch im Abkühlen der Liebe zu Ihm aus, der doch schon dem Volk Israel das Grundgebot gegeben hat:
„Höre Israel: der Herr unser Gott ist  e i n  Herr, und du sollst den Herrn deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“ (Dt 6,4-5). Jesus bekräftigt dieses Grundgebot als das vornehmlichste und fügt ihm dann als gleich wichtig untrennbar an „… und deinen Nächten wie dich selbst.“ (Matth 22.36.38). Wo das nicht mehr ernst genommen wird, beginnt das Absterben der Lebensverbindung der Gemeinde und ihrer einzelnen Glieder mit Gott und droht ihnen der geistliche Tod. Das Erkalten der Liebe läßt alle Frömmigkeit und Ethik dahinschwinden, je länger, desto mehr.

Dies ist jedoch nicht einfach Ergebnis eines spontanen Verfallsprozesses, einer immanenten Müdigkeit und Erschlaffung. Vielmehr ist es gleichzeitig bewirkt durch dämonische Einflüsse, mit denen auch die Gemeinde permanent zu ringen hat. Da, wo die Gemeinde nicht wachsam ist, da, wo sie Anteil gewinnt an einer allgemeinen geistig-ethischen Orientierungslosigkeit, da wird sie empfänglich für auftretende Pseudopropheten und Pseudo-Messiasse. Schon in der Bergpredigt (Matth 7,15) warnt Jesus vor pseudo-prophetischen Verführungen. Ausdrücklich als endzeitliche Bedrohung kündigt er das Auftreten falscher Propheten und Pseudomessiasgestalten in unserm vorliegenden Textzusammenhang (Mt 24,5) an:
“Viele werden auftreten in meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und werden viele irreführen“; und wenig später (V.11): „Und viele falsche Propheten werden auftreten und werden viele irreführen.“ Unmittelbar darauf  setzt Jesus in V. 12 fort: „und weil die Anomia überhand nimmt, wird die Liebe in vielen erkalten.“
Adolf Schlatter schreibt zu dieser Stelle: „…die innere Unruhe und Glaubenslosigkeit wird viele gegen schlimme Verführer wehrlos machen. Solche Zeiten sind die günstigen Gelegenheiten, wo falsches Prophetentum entstehen und Glauben finden kann. Unter dem Druck der Not streckt sich der Mensch begierig nach Zeichen und Offenbarungen aus, die ihm Licht von oben bringen sollen.“
Und hier stehen wir auch schon mitten in der New-Age-Bewegung. Diejenigen, die sich gründlich mit ihr beschäftigt und nach den Ursachen ihrer raschen Aufnahme in alle Schichten der Gesellschaft und sogar in die Kirchen geforscht haben, kamen zu dem Schluß, dass es die gegenwärtig so weit verbreitete Sinnkrise sei, die diese Rezeptivität fördere.
Das aber bestätigt zugleich die Notwendigkeit der Geisterunterscheidung, welche die Apostel Paulus und Johannes ihren Gemeinden so dringlich ans Herz gelegt haben 1Kor12,10; 1Joh4,1-2. Denn die pseudoprophetischen Verführer kommen nicht mit Schwertgerassel, sondern auf leiden Sohlen, und sie verbergen bewußt ihre eigentlichen Zielsetzungen.
Das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt der Anomia, nämlich ihrem
Geheimnischarakter.

3. Anomia als (un)heilsgeschichtliches Mysterium
Wir haben bereits verstanden, dass wir das Überhandnehmen der Anomia in einem biblisch-heilsgeschichtlichen Zusammenhang zu verstehen haben. Die Autoren des NTs sehen die Geschichte im Paradigma eines großen sich entfaltenden und eschatologisch zuspitzenden Dramas mit letztlich kosmischen Dimensionen. Die beiden Hauptgegenspieler darin sind Gott in seinem dreigestaltigen geschichtlichen Offenbarungs- und Heilshandeln auf der einen, der Teufel auf der anderen Seite.
Gott hält jedoch seinen schon vor aller Zeit gefaßten Heilsratschluß, besonders aber die Heilsstrategie, mit der Er ihn verwirklichen will, zunächst verborgen als ein Mysterium, wie Paulus im Epheserbrief (Eph 1,9f.) erklärt. Der Inhalt des Geheimnisses soll aber nicht für immer verborgen bleiben. Vielmehr ist der Sinn des heilsgeschichtlichen Mysteriums der zu seiner Zeit offenbart und von den anfänglichen  Offenbarungsempfängern schließlich sogar weltweit verkündigt zu werden.
Nun erfahren wir von Paulus und Johannes, dass auch Gottes Widerpart, Satan, sein eigenes Mysterium bzw. seine Mysterien hat, deren Inhalte nach Zielsetzung und Verwirklichung er geheim hält, bis er den günstigen Augenblick zur Entfesselung seiner Mächte und zum Losschlagen gekommen sieht. Denn er will die Menschen ja über seine wahren Absichten und deren verhängnisvollen Folgen im Dunkeln lassen, bis sie ihm wehrlos verfallen sind und ihr Schicksal nicht mehr abwehren können. Dem satanisch Bösen haftet also etwas Unheimliches, zugleich aber auch Faszinierendes, d. h. Verzauberndes an. Darum können Menschen danach greifen, als ob es sich hier um eine Quelle des Glückes handele, und können Menschen sich Satan und seinen Geistermächten ausliefern, als ob sie es in ihm wirklich um eine Lichtgestalt 2Kor 11,14) und einen universalen Beglücker der Menschheit handele.

Es gibt drei Inhalte  der Mysterien Satans. Dem ersten begegnen wir in der Anomia, wobei Paulus vom „Mysterion der Anomia“ spricht. Dieses ist das vorbereitende Wirken auf das personale Auftreten des „Menschen der Anomia“, also des Antichrist, hin.
In der Johannesoffenbarung wird der Begriff Mysterion unheilsgeschichtlich noch auf eine dritte apokalyptische Erscheinung bezogen. In Kap 17, 3 lesen wir: „Und ich sah ein Weib auf einem scharlachroten Tier sitzen …, und sie hatte einen goldenen Becher in ihrer Hand, voll von Greueln und Unzucht, und an ihrer Stirn stand ein Name geschrieben, ein Geheimnis, das große Babylon, die Mutter der Buhlerinnen und der Greuel der Erde“.
Der Seher Johannes bezeugt: „ich verwunderte mich sehr, als ich sie sah“. Er steht hier also fassungslos vor einem Mysterium tremendum, einem Geheimnis, das Furcht und Zittern erregt. Der Angelus interpres (Gottes Deuteengel) geht darauf ein und sagt (V. 7) zu dem Seher Johannes: „Warum verwunderst du dich? Ich will dir das Geheimnis des Weibes und des Tieres zeigen, das sie trägt ….“
Die Bibelausleger rätseln bis zum heutigen Tage, wer oder was wohl mit dem babylonischen Weib gemeint sei. Viele haben dabei an eine in der Endzeit pervertierte Kirche, eine dämonisch inspirierte Antikirche, die der wahren Kirche, der Braut Christi, feindlich gegenüber steht. Es gibt aber daneben auch die Deutung, dass es sich hier um die um eine von ihren christlichen Wurzeln total losgelöste Kultur handele, die zugleich auch eine politische und wirtschaftliche Macht darstellt. Es könnte sich aber auch um eine synkretistische Weltreligion handeln, zu der sich alle bestehenden Gestalten konkreter Religion verbinden.
Wenn man davon ausgeht, dass in dieser Verbindung die Kirche, bzw. ein abgefallener Teil von ihr selber eine integrierende Rolle spielen könnte, so würden sich die drei genannten Deutungsversuche nicht widersprechen, sondern gegenseitig ergänzen.
Wir stehen also vor einer geschichtlichen Gesamtschau, in welcher Anomia als menschliche Auflehnung gegen Gott, der Mensch der Anomia als deren personale Verkörperung und eine der Sittenlosigkeit verfallene Weltkultur zu einer apokalyptischen Trias verbinden.
Dieser Tage sandte mir ein Bekannter ein diesen Zustand treffend beschreibendes Zitat unbekannter Herkunft:

„Wenn die Menschen gottlos leben, sind die Sitten zügellos,
ist die Mode schamlos, sind die Lügen grenzenlos,
die Verbrechen maßlos, die Völker friedlos,
die Schulden zahllos, die Regierungen ratlos,
ist die Politik charakterlos, sind die Beratungen ergebnislos,
die Konferenzen endlos und die Aussichten trostlos!“

Gerade eine solche Situation wird dereinst die geschichtlichen Voraussetzungen bieten, die dem zu erwartenden universalen Tyrannen der Endzeit Tore und Türen  öffnen. Denn für den Zusammenhalt jeglicher sozialpolitischer Gemeinschaft wären ja die hier angesprochenen Verhältnisse schlechthin unerträglich. Sie würden geradezu schreien nach einer durchgreifenden Ordnungsmacht, die diesem anarchischen Chaos ein Ende setzt, und sei es durch eine diktatorische Zwangsordnung

4. Der Anthropos tees Anomias, d.h. der Mensch der Widergesetzlichkeit
Da wir auf dieser Tagung noch einen eigenen Vortrag über die Bedeutung des Antichristen für eine christliche Geschichtstheologie hören werden, möchte ich als für unsere heutige Thematik wesentlich die folgenden 6 Kennzeichen nennen:

Der Antichrist ist die abschließende Verkörperung einer zuerst von Daniel (Kap. 2, 7 und 9) prophetisch geschauten weltgeschichtlichen Entwicklung, in der nacheinander ein irdisches Weltreich das vorangegangene verdrängt, um im vierten Weltreich – gemeint ist in Dan 2,40-43 offenbar das Imperium Romanum –   ihre Vollendung und im letzten Monarchen ihre personale Spitze zu finden.

• Es handelt sich um eine satanisch inspirierte Gestalt, die in Konkurrenz zum authentischen Christus und dessen Königtum steht und ihn teils subtil, teils brutal zu verdrängen sucht. Es geht also um den entscheidenden Schlussakt des uralten Kampfes des Teufels mit Gott um die Weltherrschaft.

• Seine beiden  Grundmotive sind ein maßloser Selbstverwirklichungsdrang und in Verbindung damit der Haß gegen Gott und seine Ordnungen. Er wird ihn lästern (Dan 7, 20. 25; 2Thess 2,4; Offb 13,5f.) und seine Gebote auflösen, also als großer Verführer Gottlosigkeit und Immoralität verbreiten –  soweit diese sich mit seiner eigenen Vergötterung und dem von ihm diktatorisch verfügten Verhaltenskodex vereinen lassen.

• Er tritt mit einem sich selbst vergötternden Herrschaftsanspruch auf und verlangt von allen Menschen unbedingte Gefolgschaft und Verehrung, die sich in der Anbetung seines Idols und der Aufnahme seiner Zahl 666 als Erkennungszeichen beweist.

• Er macht sich zum Haupt eines durch globale Machtzusammenballung geschaffenen politischen und ideologischen Einheitssystems, eines zentralistischen Zehnstaatenbundes Offb 17,3. 12-14). Schließlich wird seine Herrschaft in Terror umschlagen.

• Er nimmt täuschend die Stellung des wiedergekommenen Christus ein. Er imitiert dessen Werke und kommt in der ersten Phase seines insgesamt dreieinhalbjährigen Wirkens unter der Maske des die Menschheit beglückenden Wohltäters. So wird es ihm –  unterstützt durch dämonische Wundertaten (Mt 24,24; 2Thess 2,9) –  gelingen, den Großteil auch der Christenheit zum Abfall zu verführen. Er wird sich in den Tempel Gottes setzen und von der gesamten Menschheit angebeten lassen (2Thess 2,4; Offb 13,3-4).
Man könnte in ihm  die Erfüllung der in vielen Religionen vorhandenen Hoffnung auf eine das Goldene Zeitalter heraufführende Rettergestalt unter Namen wie Maitreya, Krischna oder Mahdi erblicken. Das führt uns zum zweiten und dritten Teil unseres Themas:

II. Synkretistische Religiosität im Zuge der Postmoderne

1. Die neue Spiritualität
Eine erstaunliche Beobachtung, die wir seit drei Jahrzehnten bei der Analyse unserer westlichen Kultur anstellen können, ist das Wiedererwachen eines religiösen Interesses bei vielen Zeitgenossen. Die beiden Jahrhunderte, welche der Aufklärung und der Französischen Revolution folgten, wurden allgemein als das Zeitalter der Moderne bezeichnet. Sie standen wesentlich im Zeichen eines sich naturwissenschaftlich begründenden materialistischen Rationalismus, eines atheistischen Humanismus und einer unaufhaltsamen Säkularisation des öffentlichen wie des privaten Lebens. Dietrich Bonhoeffer zog daraus den Schlußsatz, dass wir nun am Beginn eines völlig religionslosen Zeitalters stünden. Der moderne Mensch sei zu seiner vollen rationalen Mündigkeit erwacht und habe zur Erklärung und Bewältigung seines Lebens die Hypothese „Gott“ nicht mehr nötig: Einflußreiche Philosophen wie Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, sowie die Schüler von Charles Darwin und Siegmund Freud, hatten das schon lange vor ihm behauptet.
Anfang der 1970er Jahre aber geschah nun das Unwahrscheinliche: Immer mehr Menschen wollten sich mit unserm rein rationalistischen Wirklichkeitsverständnis nicht mehr zufrieden geben; denn von ihm her konnten sie auf die zentralen Fragen ihres Lebens, besonders in den Grenzsituationen von Krankheit, Leid und Tod keine Antwort gewinnen. Junge Menschen wurden der materialistischen Konsumzivilisation überdrüssig und wandten sich aus Neugier und Erlebnishunger Erfahrung mit der Transzendenz zu. Durch diese – so hofften sie – würden sich ihnen ungeahnte Dimensionen erschließen, vermittels derer sie zu „Gipfelerfahrungen“ gelangen können – z. T. ganz ähnlich den durch Drogeneinnahme ausgelösten Rauschzuständen. Das Thema „Ekstase“ begegnet schlagartig in den unterschiedlichsten Zusammenhängen: Im Rauschgiftmilieu. In Sexualorgien, in der jugendlichen Diskoszene von Beat, Rock und Psychodelik, in spiritistischen Seancen, in Experimenten mit Yoga, Zen und anderen asiatischen Meditationsformen.

2. Auf dem Wege zu einer synkretistischen Religionssynthese
Der dänische Professor für Ökumenische Theologie und Religionswissenschaft Johannes Aagaard hat die These aufgestellt, dass gegenwärtig eine neue Weltreligion im Entstehen begriffen sei oder bewußt erschaffen werde. Sie habe ihre Wurzeln in den klassischen Religionen, von denen aber keine ausschließlich zur Herrschaft gelange. Vielmehr holen sich die Anhänger diejenigen Stücke aus einzelnen Religionen heraus, die ihnen für ihre Bedürfnisse passend erscheinen: Medien, Gurus, Propheten, Unsterblichkeit, Reinkarnation, Aura, geistige Meister, Yoga, Karma, Wiedergeburt, Biorhythmus, Tarotkarten und Astrologie. Die „neue Spiritualität“ entsteht nicht durch eine Rückkehr zu einer historischen Religion, d.h. auch nicht etwa durch eine christliche Erweckungsbewegung, sondern durch eine Vermischung aus verschiedenen Weltanschauungen und Religionen, aus Esoterik, Magie und Okkultismus.
Ich glaube, dass Aagaard hier richtig beobachtet hat. Es muß allerdings eine zweite Beobachtung hinzugefügt werden: Das religionsvermengende Geschehen läuft gleichzeitig auf zwei unterschiedlichen Ebenen ab. Die eine ist die private. Auf dieser wählt sich jede einzelne interessierte Person in Selbstbedienung auf dem Jahrmarkt bzw. der Weltausstellung religiöser Möglichkeiten diejenigen Elemente aus, die dem persönlichen Geschmack entsprechen bzw. zum Erreichen eigener Zwecke nützlich erscheinen. – z. B. einer gesundheitlichen Lebensreform oder einer künstlerischen Inspiration, und sei sie noch so schockierend!

3. Modelle synkretistischer Zukunftsgestaltung
Von dem soeben beschriebenen Geschehen auf privater Ebene zu unterscheiden – wenn auch nicht zu trennen – ist die Ebene programmatischer Gestaltungsbemühungen. Auf dieser Ebene verbindet sich der religions-pluralistische Prozeß mit einer visionären Zielsetzung seiner menschlichen Betreiber. Das trifft in vollem Maße für die theosophisch inspirierte Hauptrichtung zu, die sich mit den Namen Alice Bailey, David Spangler sowie Marilyn Ferguson und ihrem Buch „Die sanfte Verschwörung“ verbindet.
Ähnliche Bemühungen gibt es jedoch auch in anderen Bewegungen; die es z: T. sogar zu offizieller Anerkennung gebracht haben. Der schwedische Theologe Folke Olofsson hat dafür den Begriff das „synkretistische Projekt“ geprägt. Dieses sei dabei, das bisherige moderne „Projekt der Säkularisierung“ abzulösen.
Der Synkretismus erscheint danach weniger als ein Vorgang der sich ungewollt aus dem Zusammenfließen verschiedener Religionen und religiöser Kulturen ergibt. Vielmehr stellt er ein von bestimmten einflußreichen Persönlichkeiten absichtsvoll entwickeltes Programm dar, in dem ein innerweltlicher Zweck verfolgt wird, wie z. B. der Zusammenhalt verschiedener Völkerschaften in einem gemeinsamen Staatswesen oder auch eine moralische Reform wie schließlich das Überleben der Menschheit angesichts bevorstehender Weltkatastrophen. Die Absicht kann also subjektiv höchst respektabel sein.
Allerdings, und das ist das Entscheidende: Ein Projekt ist stets ein Vorhaben von Menschen, die es aus ihrer jeweiligen eigenen Perspektive verfolgen. „Von sich selbst aus“, schreibt Olofsson, „projiziert der Mensch seine Gedanken, Träume, Hoffnungen, seine Ideologie hinaus in Zeit und Raum.“ Im synkretistischen Projekt bemühen sich also einzelne Visionäre, ideologische Gruppierungen oder auch politische, kulturelle und religiöse Organisationen darum, in regionaler oder internationaler Perspektive die Zukunft der Menschheit nach ihren eigenen Leitbildern in den Griff zu bekommen und zu gestalten. Ein solches Beispiel bietet die NAB.

III. Anomia in der synkretistischen Vision von New Age

1. Identitätsmystik als Grundlage der New Age-Bewegung
In meinem früheren Vortrag an dieser Stelle habe ich darauf hingewiesen, dass eine wichtige Quelle der New Age-Bewegung in der wesentlich vom Hinduismus und Buddhismus Anleihen nehmenden Theosophie der Damen Helena Blavatsky und ihrer Schülering Alice Bailey zu suchen ist. Mit diesen teilt New Age die Grundkonzeption von der apersonalen Einheit alles Seienden, von Gottheit, Kosmos und Mensch. Auch hier geht es also um Identitätsmystik. Der menschlichen Seele eignet selbst Göttlichkeit, dem Menschen steht kein personaler Gott gegenüber, vor dem er sich zu verantworten hat. Vielmehr findet er Göttlichkeit, meist „Spiritualität“ genannt, in der Tiefe seiner eigenen Seele. Sie ist die Quelle seiner religiösen Erfahrung, sie bestimmt sein religiöses und moralisches Verhalten, in ihr findet er auch die Kraft zu seiner eigenen Befreiung von den Banden stofflicher Einhüllung. Erlösung bzw. Heil, wenn man diese christlichen Begriffe aus Gründen der Analogie überhaupt gebrauchen will, ist Bewußtseinerweiterung, ist Erlangung eines göttlichen Bewußtseins im Erkennen der wesentlichen Einheit von Atman = Seele und Brahman = Göttlichem. Methoden dafür sind Entspannungs- und Meditationsübungen, wie wir sie in den mannigfaltigen Yoga-Systemen des Hinduismus kennen und wie sie im Westen von den Gurubewegungen popularisiert werden.
In dem Maße, wie der Mensch auf diesem Wege voranschreitet, kommt es zu einer Auslöschung aller Gegensätze zwischen Makrokosmos und Mirokosmos, zwischen allen Einzelwesen. Das hat zur Folge auch die Leugnung des Dualismus von Licht und Finsternis, von Gutem und Bösem, von Engeln und Dämonen.

2. Auffälliges Fehlen ethischer Maßstäbe
Der in die NAB eintretende Christ eliminiert im vermeintlichen Erkennen seiner Göttlichkeit auch seine bisherigen Schuldgefühle sowie sein Sündenbewußtsein. Denn er ist ja im Wesen gut, und Fehlverhalten ist lediglich eine Folge eines mangelhaft entwickelten kosmischen Bewußtseins.
Um dieses Bewußtsein um die Einheit mit dem All zu erreichen, darf der New-Age-Anhänger jedes Mittel benutzen, was diesem Zwecke dienlich ist. Einer dieser Wege ist das aus Tibet kommende Tantra-Yoga.  Hier werden auch sexuelle Ausschweifungen empfohlen und praktiziert, die zu einer Ekstaseerfahrung führen. Das ist auch unter den Anhängern wie auch Seelenführern geduldet und verbreitet, wie das Ehepaar Victor und Victoria Trimundi in seinem Buch „Der Schatten des Dalai Lama” ausführlich dargelegt hat. Es trägt den Untertitel: „Sexualität, Magie und Politik im tibetanischen Buddhismus“.
Hinduistische Gurus Yogis können sich auf ihrem spirituellen Streben nach Selbstvergottung zu spirituellen Egoisten entwickeln. In ihrer kontemplativen Konzentration auf ihre Einheit mit Brahman erscheinen sie in ihrer Yoga-Position wie leblose Figuren. Dabei lassen offenbar völlig gefühllos, bar jeglicher Liebesregung alle persönlichen Verbindungen sogar zu ihren nächsten Familienangehörigen absterben, sich in ihrem mystischen Hochmut von diesen aber gleichzeitig wie Götter in Menschengestalt bedienen und kultisch verehren. Das hat der nach schlimmen geistig-ethischen Verirrungen durch ein geistliches Wunder zum lebendigen Christusglauben gekommene Inder Rabindranath R. Maharaj sehr anschaulich erzählt in seinem autobiographischen Buch „Tod eines Gurus“. Darin berichtet er auch, wie es ihm zum Bewußtsein kam, dass er durch seine Yoga-Praktiken in okkulte Bindungen geraten war, aus denen  er nur durch eine völlige Lebensübergabe an Jesus Christus gelöst werden konnte. Auch nachher versuchten ihn die unsichtbaren Mächte immer wieder, ihn  in ihren Bann zurückzuziehen.

3. Die Zukunftsschau der New Age-Bewegung
Auch in der NAB geht es für jeden Einzelnen wie auch für eine ganze Gemeinschaft darum, zunächst selbst zum „Krishna-Bewußtsein“ zu gelangen und danach dieses auch anderen zu vermitteln. Der Weg dazu führt zunächst über meditative und asketische Übungen, pausenloses Chanting von Mantras und tänzerische Ekstasetechniken. Darüber hinaus gehört auf einer gehobenen Stufe dazu die Kontaktaufnahme mit transzendenten Geistern, die in der NAB als „aufgestiegene Meister“ bezeichnet werden und irgendwo in der transzendenten Überwelt (genannt wird oft die mythische Stadt Schambala) eine „Weiße Hierarchie“ bilden. Es handelt sich dabei um Parallelen zu den hinduistischen Avataras und den buddhistischen Bodhisattvas, also Menschen, welche ihre mystische Erleuchtung schon erreicht haben und dadurch in einen erhöhten spirituellen Zustand hinübergekommen sind. Sie stehen mit ihren irdischen Adepten medial in Verbindung und leiten sie dazu an, durch immer weitere Vernetzung der Menschheit nach und nach ein kosmisches Bewußtsein zu vermitteln. Dieses bildet die Grundlage für die Verwirklichung einer grandiosen Zukunftsvision.
New Age bedeutet ja Neues Zeitalter, und die NAB ist die Gemeinschaft derjenigen, die sich berufen fühlen, dazu beizutragen, das universale Kommen dieses Zeitalters zu beschleunigen. Dass es überhaupt kommen wird, steht für die Anhänger außer Frage; denn aufgrund eines kosmischen astrologischen Gesetzes ist dieses sogar bereits angebrochen. Es ist Zeitalter des Wassermanns, welches das abgelaufene Zeitalter Fische, also die Epoche des Christentums, abzulösen bestimmt ist. Die menschliche Unterstützung seitens der NAB geschieht vermittels einer „sanften („aquarischen“) Verschwörung“. Sie betreibt zunächst heimlich, dann offen eine Revolution, die nicht  mit terroristischen Methoden vorgeht, sondern vermittels medialer Einweihungen. Verlockt werden die Menschen dadurch, dass ihnen als Ziel dieser Bewegung eine friedliche Weltgemeinschaft versprochen wird, in der alle bisherigen sozialen, politischen und auch religiösen Trennmauern abgerissen und einer allgemeinen Harmonie in allen mitmenschlichen Beziehungen gewichen sein werden.
Das Aquarius-Lied im Musical Hair bringt diese New Age Vision auf ihre klassische Formel:
„Harmonie und Recht und Klarheit

Sympathie und Licht und Wahrheit
niemand will die Freiheit knebeln
niemand mehr den Geist umnebeln
Mystik wird uns Einsicht schenken
und der Mensch lernt wieder Denken
dank dem Wassermann.“
Es handelt sich also um ein großartiges utopisches Erlösungsprogramm durch spirituelle menschliche Selbstverwirklichung – jedoch ohne persönlichen Gott.

 4. Das pseudomessianische Element der New Age-Bewegung
Wir sprachen von der Rolle, welche in den Plänen der NAB die Weiße Hierarchie der aufgestiegenen Meister einnimmt. Unter diesen Meistern gibt es nun einige herausragende Große Meister, die in der Geschichte als Stifter von Weltreligionen aufgetreten sind und in der Mythologie der NAB eine wichtige Rolle spielen. Sie tun dies teils nach- und nebeneinander, teils werden sie einfach miteinander identifiziert, und ihre Namen werden austauschbar verwendet. Zu diesen Großen Meistern gehört auch Christus, meist mit dem bestimmten Artikel als „Der Christus“ angeführt. Dieser der Theosophie und der Anthroposophie Rudolf Steiners verdankte Christus ist eine überzeitliche und übergreifende Gestalt, die sich in den Gestalten verschiedener Religionsstiftern offenbart. Darunter findet sich auch Jesus. Mit ihm ist „der Christus“ jedoch nicht identisch, anders als es der biblisch-historische Jesus Christus aufgrund der bleibenden Inkarnation des göttlichen Logos ist.
Das wohl wichtigste Werk unter den im Lucis Trust (ursprünglich Lucifer Trust) erschienenen 24 Bänden der Esoterischen Philosophie von Alice Bailey’s  trägt den Titel: „The Re-Appearance of Christ“. In der Zusammenfassung wird die Rolle dieses wiederkommenden bzw. besser wieder erscheinenden Christus wie folgt beschrieben:

„Die Menschheit erlebt eine ihren Höhepunkt erreichenden Zeit des Wandels mit allen Formen von  Schmerz, Chaos und Auflösung, die diesen begleiten. …. Jedesmal in solchen Zeiten erscheint ein Lehrer, um das neue Zeitalter heraufzuführen, eine Welterlöser, ein Erleuchtender, ein Avatar, ein Vermittler von Kundgebungen, ein Christus. Auch unser Heute bildet keine Ausnahme von diesem uralten universalen Gesetz. Seit Jahrhunderten ist das Wiedererscheinen eines Avatars von den Gläubigen in aller Welt vorausgesehen worden, sowohl seitens der Christen als auch derer, die den Maitreya, den Boddhisattva, den Messias und den Imam Mahdi erwarten … Der kommende Weltlehrer wird eine Offenbarung bringen, die in unsere Gegenwart hinein spricht, indem er das internationale Kommunikationssystem benutzt , so dass „jedes Auge sehen und jedes Ohr hören wird“. Der Weltlehrer wird den Glauben an Gottes Liebe und an das Leben unserer gemeinsamen Göttlichkeit wiederherstellen, sowie in die enge unauflösliche Beziehung zwischen allen Völkern dieser Erde.“

Die gemeinsame Nennung dieser verschiedenen Namen und deren Identifizierung beweist, dass es sich hier, obwohl die christliche Wiederkunftserwartung positiv angesprochen wird, keineswegs um den biblischen Jesus Christus handelt. Vielmehr geschieht ein semantisches, synkretistisches Täuschungsmanöver. Letztlich ist dieser Maitreya-Christus nur die Verkörperung aller dem menschlichen Wesen innewohnenden spirituellen Potenzen. „Der Christus“ der NAB ist der Idealtypus der neuen Menschheit – zugleich eine korporative und eine individuelle Persönlichkeit. Bailey verrät sich durch ihr eigenes Vokabular. Wenn der Glauben an Gottes Liebe zugleich der an das Leben unserer gemeinsamen Göttlichkeit ist, so handelt es sich bei dem erwarteten und durch die sog. Große Invokation täglich von Hundertausenden von NAB-Anhängern herbeigerufenen Weltlehrer um die kollektive Selbstvergötterung der Menschheit.

Schaut man dann noch etwas näher auch in die Ausführungsbestimmungen, die wir bei David Spangler finden, so weist die vom Maitreya-Christus aufgerichtete Friedensordnung auf ein zutiefst totalitäres System hin. In ihm haben nur diejenigen Lebensraum, die den Grundvoraussetzungen der New-Age-Philosophie zustimmen, nämlich der wesentlichen Einheit aller Religionen, ihres spirituellen Ursprungs und ihrer Zielsetzung. Das erfordert inhaltliche Toleranz gegenüber allen religiösen Ausdrucksformen. Dagegen wird es für konservative Anhänger historischer Glaubenssysteme, Menschen, die sich weigern, die „Bewußtseinstransformation ins Neue Zeitalter“ mitzumachen, in der kommenden Weltgemeinschaft keinen Platz geben. Durch eine dem „Neuen Zeitalter” vorausgehende Säuberungsaktion werden sie aus dem Lebens- und Wirkensbereich der neuen Menschheit entfernt werden. Sie sollen entweder auf eine andere Ebene des Bewußtseins der Erde ausquartiert oder sogar ganz von dieser Erde genommen werden. Hauptsache ist, schreibt Spangler, dass sie „vorläufig die Fähigkeit verlieren, die Entwicklung dieser Erde zu lenken und zu beeinflussen.“
Keine Toleranz also für Bekenner des biblischen Christus und treue Glieder seiner ihm gehorsam bleibenden Kirche!

Ich behaupte keineswegs, dass es die New Age-Bewegung  ist, welche ihre bizarren Vorstellungen in historische Realität umsetzen wird; im Gegenteil: angesichts ihrer Diffusion und Verebbung schließe ich das sogar aus.
Aber der Geist, aus dem sie geboren wurde, und die Konzepte, die hier spekulativ entwickelt wurden, sind auch in anderen durchsetzungsfähigeren Bewegungen und System wirksam. Jene Glaubensunterdrückung und Verfolgung, die ich eben andeutete, wird  in der Tat dereinst das Schicksal der Gemeinde unter der Weltherrschaft des Antichrist und in dessen Einheitsideologie sein. Das können wir dem Buch der Johannesoffenbarung entnehmen, wo es in Kap. 12,17 heißt:
„Und der Drache ergrimmte über das Weib und ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer Nachkommenschaft, die das Gebot Gottes und das Zeugnis Jesu festhalten.“

Sehen wir Tendenzen in dieser Richtung nicht schon in unserer heutigen Gesellschaft walten?
Werden nicht Menschen, die sich dem Diktat der „political correctness“ bzw. auch der „clerical correctness“ nicht beugen, als Fundamentalisten und Friedensstörer verächtlich gemacht und werden ihnen die Möglichkeit öffentlicher Einflußnahme nicht systematisch entzogen?
Ich glaube, jedem von uns fallen aus seinem eigenen Horizont sofort Namen wie z. B. Eva Herman ein, von Christen mit Zivilcourage, die in unsern Tagen genau diese Erfahrung machen müssen!

Die Hervorhebungen stammen von mir. Horst Koch, Herborn.

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