Paavo – Gottes Bote in Finnland

Burkard Krug

Paavo Ruotsalainen – Ein Zeuge der Erweckung in Finnland

 

Einbandtext:

PAAVO RUOTSALAINEN (1777 – 1852), ein schlichter finnischer Bauer, war von Gott dazu ausersehen, der gesegnete Träger einer Erweckungs-bewegung in seiner Heimat zu werden. Gleich nach seiner eigenen Bekehrung begann er seine Tätigkeit als Laienseelsorger, die nicht nur auf seine Heimatgemeinde beschränkt blieb. Auf ausgedehnten Reisen durchquerte er ganz Finnland mit der Botschaft des Evangeliums.
Bald erhob sich auch der Widerstand seitens der Pfarrerschaft und der Behörden gegen die sich ausbreitende Erweckungsbewegung. Paavo und seine Anhänger wurden in Kämpfe und Prozesse verwickelt, die aber den Siegeszug der Erweckung nicht aufhalten konnten. Als Paavo mit zunehmendem Alter selbst nicht mehr reisen konnte, betätigte er sich vornehmlich durch seelsorgerlichen Briefwechsel mit seinen Freunden und Mitarbeitern und vielen Ratsuchenden. Nach seinem Tode erlebte die Erweckungsbewegung zunächst mancherlei Rückschläge, wurde aber in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts neu belebt, so daß heute etwa ein Drittel der finnischen Pfarrerschaft und die Hälfte der Bischöfe zu den Erweckten gehören.
Der treue Dienst des „Rufers in der Wildmark” Paavo Ruotsalainen ist nicht vergeblich gewesen.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Herbst 2023

INHALT
Wenn Gottes Winde wehen

Paavos Jugend

Die Hochschule der “Kiefernfabrik”

Reisender im Auftrag Gottes

Mitarbeiter und Freunde

Kämpfe und Prozesse

Der große Seelsorger

Glaube und Humor

Wie es weiterging


Vorwort
Finnland, das Land der tausend Seen und der unermeßlichen Wälder, der Mitternachtssonne und des Nordlichts, hat in den letzten Jahren schon viele Reisende aus Deutschland angelockt. Aber nur wenige von ihnen wissen etwas über das Glaubensleben der finnischen Kirche und die in ihr so lebendige Erweckungsbewegung, die nun schon über 170 Jahre wirksam ist.
Um eine geistige Bewegung recht verstehen zu können, ist es nötig, auch etwas über ihren geographischen Hintergrund zu wissen. Darum sei dieser Arbeit ein Gedicht von dem finnischen Dichter Eino Leino über Finnland vorangestellt:


Finnland
Einst zog der Heiland auch nach Norden weit,

wo Finnland liegt in seiner Einsamkeit.

Nur zögernd folgte Petrus seinem Herrn;

Wacholderpfade wandelt er nicht gern.

“Ach Herr, in welches Land sind wir gelangt!

Welch Volk, das ohne Kraft und Willen schwankt!

Das Moor verhöhnt den Pflug, Schutt deckt die Felder,

Frucht tragen hierzulande nur die Wälder.”

Doch mild und leise redete Herr Christ:

“Daß dieses Land ein wenig ärmlich ist

und allzu karge Ernten trägt, macht Sorgen;

doch Zukunft ist in dieser Art verborgen.”

Es lächelte der Herr, indem er sprach.

Und sieh! Ein Schimmer überm Wasser lag,
der Urwald wich, der Frost ward endlich müde,

der Sumpf vertrocknete, die Wildmark blühte.

Der Herr und Petrus zogen ihren Weg.

Gehst du am Strande deinen Birkensteg

in unsrer Sommernacht, so siehst du weh’n

des Herren Lächeln um die stillen Seen.

Nachdem meine Doktorarbeit über Paavo Ruotsalainen und seine Rechtfertigungslehre schon seit einigen Jahren vergriffen ist, wurde ich wiederholt aufgefordert, doch einmal ein kurzes Lebensbild über diesen Zeugen Gottes im hohen Norden zu schreiben.
Bad Hersfeld, 1969,  Burkard Krug

Wenn Gottes Winde wehen

Es war im Sommer des Jahres 1796, demselben Jahr, in dem der Bauernsohn Hans Nielsen Hauge, der Erwecker Norwegens, mit seiner segensreichen Tätigkeit begann. An einem schönen, heißen Julitag befanden sich viel Leute des Dorfes Savojärvi im Kirchspiel Iisalmi auf einer großen Wiese, um das Heu zu bergen.
Plötzlich wurden sie von einer unsichtbaren, übernatürlichen Kraft zu Boden geworfen. Ein wunderbares Gefühl bemächtigte sich ihrer. Einige sahen Gesichte, andere sprachen in Zungen, wieder andere hatten ein starkes Sündenbewußtsein und Schuldgefühl.
Dies war der Anfang der Erweckung in Nordsavo, einer Gegend Mittelfinnlands, die man wegen ihrer großen Wälder, ihrer vielen Seen und Sümpfe als „die Wildnis” bezeichnet. Der erste Leiter der Erweckten Nordsavos war Johan Martikainen, der von Zeit zu Zeit in Ekstase versank und dann wie tot zu Boden stürzte. Er konnte gut predigen und eindringlich Gottes Gericht verkündigen. Aber es fehlte ihm das nötige Wissen und Können für eine Führerstellung.
So trat er bald die Leitung der Versammlungen an den Stellmacher Johan Puustijärvi ab, der seit seiner Soldatenzeit Lustig genannt wurde. Lustig stammte aus Ylitomio und kam 1787 mit siebzehn Jahren nach Nordsavo. Als die Erweckung begann, war er also etwa 26 Jahre alt. Er war in seiner Heimat, dem Torniotal nahe der schwedischen Grenze, Brüdern aus Herrnhut begegnet und auch mit anderen Erweckungskreisen in Berührung gekommen. Er war ein guter Redner und in der Bibel sehr bewandert.

1734 waren zum ersten Male drei Brüder aus Herrnhut nach Finnland gekommen. Ihr eigentliches Ziel war Lappland, wo sie missionieren sollten. Doch als sie sahen, daß die Arbeit dort zu schwer für sie war, blieben sie in Oulu und im Torniotal.
Lustig machte seinem Namen alle Ehre. Er dämpfte in keiner Weise die ekstatischen Elemente unter den Erweckten, sondern förderte sie vielmehr. Nach den Versammlungen spielte er auf seiner Violine zum Tanze auf, was er mit dem Psalmwort begründete:
„Lobet ihn mit Pauken und Reigen;
lobet ihn mit Saiten und Pfeifen !” (Psalm 150, 4.)
Leider war daher auch Lustig nicht der richtige Führer für die Erweckten. Er wurde immer hochmütiger, während das geistliche Leben in vielen Erweckten erlosch.
Unter den Besuchern der Versammlungen fiel seit einiger Zeit ein junger Mann auf, der sich still und bescheiden in den Hintergrund setzte, aber den Worten Lustigs aufmerksam zuhörte. Es war Paavo Ruotsalainen, der wegen seiner vielen Grübeleien „verrückt” oder „töricht” genannt wurde.
Sein Vater, der Bauer Vilppu Ruotsalainen, sah es nicht gern, wenn sein Sohn zu den Versammlungen der Erweckten ging. Er rief ihm dann nach: „Na, beginnt der Wolf schon wieder zu laufen, nachdem seine Krallen einmal geschliffen sind?”

Eines Tages – es war im Jahre 1809 – trat dieser so still wirkende Paavo Ruotsalainen in einer Versammlung der Erweckten öffentlich auf und hielt eine gewaltige Ansprache gegen Lustigs Lehre, die mit den Worten schloß:

„Wenn wir nicht auf das schnellste zum Herrn zurückkehren, bringt uns Lustigs Lehre in die Hölle. Amen.”

Die Wirkung dieser Rede war groß. Alle Zuhörer, außer zwei Frauen, schlossen sich Paavo an und folgten seiner Lehre. Eine Einigung mit Lustig war nicht mehr möglich. Doch hielt auch Lustig weiterhin noch da und dort Versammlungen ab.
Wer war dieser Paavo, der so mit Vollmacht sprechen, eine Irrlehre erkennen und die Menschen an sich ziehen konnte?


Paavos Jugend
Paavo (Paulus) Ruotsalainen wurde am 9. Juli 1777 in Tölvänniemi im Kirchspiel Iisalmi geboren. Seine Eltern entstammten einfachen Bauernfamilien, wenn auch einige Vorfahren einmal der führenden Bevölkerungsschicht angehört hatten. Routsalainen heißt auf deutsch: „der Schwede”. Paavo war das älteste Kind einer großen Kinderschar, und so fiel ihm oft die Aufgabe zu, seine jüngeren Geschwister zu hüten.
Er war ein aufgeweckter Junge, der mit einem sehrguten Gedächtnis begabt war. Schon früh zeigte sich bei ihm eine tiefe Frömmigkeit. Einen unvergeßlichen Eindruck übte eine Karfreitagspredigt auf ihn aus, die er als Sechsjähriger hörte. Sein Onkel hatte ihn zum ersten Mal mit in die Kirche genommen. Als der Pfarrer über das Leiden und Sterben Christi sprach, fragte Paavo ganz laut und vernehmbar seinen Nachbarn in der Kirchenbank: „Wer ist ermordet worden?“
Sein Onkel, der seine Frömmigkeit und seinen Eifer bemerkte, brachte ihm das Lesen bei und schenkte dem Sechsjährigen eine Bibel, die 1776 gedruckt war. Diese Bibel kann noch heute auf der Insel Aholansaari, dem letzten Wohnort Paavos, eingesehen werden. Sie trägt die folgende Inschrift:
„Paavali Ruotsalainen von Tahkomäki im Kirchspiel Nilsiä ist der rechtmäßige Besitzer dieses Buches. In diesem Buch steht das ganze Geheimnis darin und der Inhalt des Weges zum Leben. Und dieses große und teure Geheimnis dürfen keine anderen wissen noch verstehen als die, deren Augen geöffnet wurden, ihre eigene Schlechtigkeit zu sehen, aber nicht die Guten, auch nicht die Weisen.
Ehe Paavo das sechzehnte Lebensjahr vollendete, hatte er seine Bibel schon dreimal durchgelesen. Welchen Eindruck der Konfirmandenunterricht auf ihn gemacht hat, ist leider unbekannt. Doch bat er den Pfarrer, seinen zweiten Taufnamen „Henrik“ (Heinrich) zu streichen. Er wollte nur Paavo heißen im Andenken an den großen Heidenapostel Paulus.
Das Lesen der geliebten Bibel brachte ihm aber keinen rechten Frieden, sondern führte ihn in mancherlei innere Nöte und Schwierigkeiten. Oft ging er für viele Stunden allein in den Wald, um dort in der Stille über Glaubensfragen nachzudenken.

“Eins aber fehlt dir!”
Da hörte er eines Tages von dem Schmied Jakob Högman in Jyväskylä, der als Laienseelsorger großes Ansehen und Vertrauen genoß. Häufig kamen Menschen zu ihm, um sich bei ihm seelsorgerlichen Rat zu holen. Sein Auftreten war ruhig und still. Er wollte nicht die Neugier der Menschen wecken, wohl aber ihr Sehnen nach ewigem Leben. Seine Lieblingslektüre war das Büchlein „Ein köstlicher Honigtropfen aus dem Felsen Christus” von dem Puritaner Thomas Wilcox (geb.1522). Die Kunde von diesem begnadeten Schmied Högman drang auch an Paavos Ohr. So brach er im Winter 1799 ohne Wissen seiner Eltern auf, um nach Jyväskylä zu gehen. Diese lange Reise von über zweihundert Kilometern legte er zu Fuß und ohne genügend Wegzehrung zurück. Nur etwas Rindenbrot war in seinem Rucksack. So mußte er unterwegs oft betteln.
Der Schmied fuhr ihn zunächst hart und barsch an. Als er aber erfuhr, warum Paavo gekommen war, nahm er ihn freundlich auf, bewirtete ihn und sagte zu ihm die entscheidenden Worte: „Eins aber fehlt dir und mit diesem einen alles: Du hast Christus noch nicht in deinem Inneren erfahren.” Högman wies ihn dann hin auf die Gnade Gottes in Christus, auf die er in aller Sündhaftigkeit vertrauen sollte. Er erinnerte an die Worte Jesu: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken” (Matth. 11, 28) und „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen” (Joh. 6,37).
Auch sprach er zu Paavo über die enge Pforte, die Notwendigkeit der Bekehrung und der täglichen Buße. Als Lektüre empfahl er ihm neben der Bibel den „Köstlichen Honigtropfen” von Thomas Wilcox. Wer heute nach Jyväskylä kommt, kann auf dem Friedhof der Landgemeinde einen Gedenkstein sehen, auf dem die Worte des Schmiedes verzeichnet sind: Eins aber fehlt dir und mit diesem einen alles: Du hast Christus noch nicht in deinem Inneren erfahren.
Befreit und froh machte sich Paavo auf den Heimweg. Ihm war die Sonne der Gnade aufgegangen. Selber sagte er später von diesem Ereignis: „ Als ich mich danach anschickte, das Wort Gottes zu lesen, da war alles wie eine neue Auflage. Auch brauchte ich von da ab niemanden mehr um Rat zu fragen, sondern habe selber dem einen und anderen einen Rat erteilt.”
Schon auf dem Rückweg wies er einen alten Bauern, in dessen Haus er übernachtete, auf den Heilsweg hin und begann damit seine Tätigkeit als Laienseelsorger.
Ehe es jedoch zu der oben erwähnten Auseinandersetzung mit Lustig kam, war er noch ein oder zweimal in Jyväskylä bei dem Schmied Jakob Högman, um sich Rat zu holen. Högman erkannte Paavos große Gaben und ermahnte ihn, die Erweckten in ihren geistlichen Fragen zu betreuen. Er machte ihm den Unterschied klar zwischen einem wahren und einem Scheinchristen und betonte, daß wir durch viel Trübsal und Kampf in das Reich Gottes eingehen müßten.

Die Hochschule der „Kiefernfabrik“
Wie schon erwähnt, lernte Paavo mit sechs Jahren von seinem Onkel das Lesen. Ob er jemals schreiben gelernt hat, wissen wir nicht genau. Seine vielen seelsorgerlichen Briefe, die er im Laufe seines Lebens schrieb, hat er in der Regel seinen Freunden und Mitarbeitern diktiert. Die einzige Hochschule, die er besucht hat, so pflegte er zu sagen, war die „Hochschule der Kiefernfabrik”.
In Zeiten der Hungersnot, wenn Hagel und Nachtfröste die Ernte vernichtet hatten, waren die Menschen gezwungen, Rinde ins Brot zu backen. Es war das eine gewisse Schicht der Kiefernrinde zwischen dem inneren Baumstamm und der äußeren Borkenrinde, die gemahlen wurde und dann ein feines, weißes Mehl ergab. Es hatte zwar keinen großen Nährwert, sättigte aber. Diese Notzeiten mit Rindenbrot meinte Paavo, wenn er von der „Hochschule der Kiefernfabrik” sprach.
Der finnische Nationaldichter Johan Ludwig Runeberg hat darüber ein schönes Gedicht geschrieben, das vermutlich sogar Paavo selber meint, wenn auch sein Name in der deutschen Übersetzung nicht erwähnt wird. Im schwedischen Original lautet die Überschrift: „Bonden Paavo” („Bauer Paavo” ).

Die Prüfung
Hoch im Norden zwischen Finnlands Mooren
lag das Gütchen eines alten Bauern.
Fleißig brach sein Arm den kargen Boden.
Doch zum Himmel flehte er um Wachstum.
Gräben zog er, pflügte und besäte.
Als der Lenz vom Schnee das Feld befreite,
schwemmte er die Hälfte von der Saat mit.
Als der Sommer kam mit Hagelschauern,
lagen viele Halme auf dem Boden.
Als der Herbst kam, nahm den Rest die Kälte.
Und die Frau des Alten rief verzweifelt:
„O wir armen, ganz verlaßnen Menschen!
Not ist bitter, doch Verhungern schlimmer.”
Aber er nahm ihre Hand und sagte:
„Prüfen will der Herr uns, nicht verstoßen.
Misch zur Hälfte Rinde in das Brotmehl!
Ich will doppelt fleißig Gräben ziehen.
Doch zum Himmel flehe ich um Wachstum.”
Rinde buk die Frau ins Brot zur Hälfte.
Doppelt fleißig zog der Alte Gräben,
tauschte Schafe gegen Korn und säte. -
Als der Lenz das Feld vom Schnee befreite,
schwemmte diesmal nichts er von der Saat mit.
Als der Sommer kam mit Hagelschauern,
lag jedoch das halbe Feld zerschmettert.
Als der Herbst kam, nahm den Rest die Kälte.
Seine Frau schlug sich die Brust und klagte:
„O wir armen, ganz verlaßnen Menschen!
Laß uns sterben! Gott hat uns verstoßen.
Tod ist bitter, schwerer noch, zu leben!”
Doch er nahm der Hausfrau Hand und sagte:
„Prüfen will der Herr uns, nicht verstoßen.
Mische doppelt Rinde in das Brotmehl!
Ich will doppelt längre Gräben ziehen,
und zum Himmel will ich flehn um Wachstum.”
Rinde buk die Frau ins Brot nun doppelt,
doppelt längre Gräben grub der Alte.
Als der Lenz das Feld vom Schnee befreite,
schwemmte er auch diesmal keine Saat mit.
Als der Sommer kam mit Hagelschauern,
schlug er keinen einz’gen Halm zu Boden,
und im Herbst verschont’ der Frost den Acker,
ließ ihn stehn in Gold bis auf die Ernte.
Da fiel er auf seine Knie und sagte:
„Prüfen wollte Gott uns, nicht verstoßen.”
Und die Frau sank auf die Knie und sagte:
„Prüfen wollte Gott uns, nicht verstoßen.”
Doch voll Freude bat sie dann den Alten:
„Ach, nun greife stark und froh zur Sense!
Frohe Tage sind nunmehr gekommen.
Jetzt ist’s Zeit, die Rinde wegzuwerfen
und das Brot aus reinem Korn zu backen.”
Da nahm er die Hand der Frau und mahnte:
„Weib, o Weib, nur die bestehn die Prüfung,
die den armen Bruder nicht vergessen!
Misch zur Hälfte Rinde in das Brotmehl!
Denn erfroren ist des Nachbarn Ernte.”

Runeberg schildert uns hier die Not eines Bauern Paavo, der sich eine Neusiedlerstelle angelegt hatte und dessen Felder besonders durch den Nachtfrost gefährdet wurden. Das alles hat Paavo Routsalainen zur Genüge kennengelernt.
Im Jahre 1800 heiratete er die Kleinbauerntochter Riitta Ollikainen, die ziemlich unduldsam und streitsüchtig war und seinen Bemühungen um die Erweckungsbewegung verständnislos gegenüberstand. Sein Vater verschaffte ihm eine Neubauernstelle in der Nähe seiner Heimat. Aber dieses Leben als Neusiedler war eben sehr hart und schwierig. Oft vernichtete der Frost die gesamte Ernte, und es mußte Rindenbrot gebacken werden. Seine Nachbarn waren häufig nicht gewillt, ihm mit Getreide auszuhelfen.
So ging Paavo wieder einmal zu einem reichen Nachbarn, um sich Weizen zu leihen. „Keinen Eimer voll für den Ketzer!” antwortete dieser barsch. Doch Paavo setzte sich vor die Scheunentür und sagte: „Von hier gehe ich nicht fort, ohne Hilfe empfangen zu haben. Du hast immerhin die Mühe, meinen Körper beiseite zu schaffen.“ Dieses Mal öffnete sich der Weizenspeicher, und Paavo bekam das erbetene Brotgetreide.
Eines Tages verkaufte er die Neubauernstelle, die zu sehr der Frostgefahr ausgesetzt war. Dann versuchte er, den Hof des Schwiegervaters zu bewirtschaften. Aber auch das gelang nicht recht.
Die Familie wuchs und die Armut auch. Finanzielle Schwierigkeiten zwangen ihn, den Hof des Sd1wieger16vaters an seinen Schwager zu verkaufen. Schließlich unternahm Paavo eine Tat der Verzweiflung. Gerüchte besagten, daß in Polen für finnische Neusiedler kostenlos Land abgegeben werde. Paavo lud seine wenigen Sachen auf den Wagen und zog mit seiner Familie nach Süden. Doch in Viipuri (Wiborg) fand die Reise ihr schnelles Ende. Der Gouverneur gab den Auswanderern keinen Paß. Paavo selbst erkrankte schwer. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach Nordsavo zurückzukehren. Paavo kam sich vor wie vorzeiten der Prophet Jona, der sich auf die Flucht begeben hatte, auch ohne Befehl und Erlaubnis Gottes.
Zunächst bewohnte Paavo jetzt die Häuslerstelle Soukka im Kirchspiel Nilsiä. Seit 1820 bewirtschaftete er einen Teil des Hofes Tahkomäki im selben Kirchspiel. 1830 kaufte er mit seinem Schwiegersohn einen Hof auf der Insel Aholansaari im Syväri- See, wo er bis an sein Lebensende blieb. 1833 starb seine Frau. Einige Zeit später heiratete er Anna Lovisa Savolainen, eine Anhängerin der Erweckungsbewegung. Die zweite Ehe blieb ohne Kinder.

Reisender im Auftrag Gottes
Paavos Einfluß als Leiter der Erweckten blieb nicht auf seine Heimatgemeinde beschränkt. Bald rief man ihn in andere Gegenden. Gottes Winde begannen zuwehen über diese unfruchtbaren Einödsgemeinden. Von verschiedenen Seiten, sogar von Nordkarelien, kam ehe Kunde von Erweckungen.
So machte er 1816 seine erste längere Reise nach dem Osten Finnlands, nach Nordkarelien. Die Erweckung dort war etwas anderer Art. Der Bauer Paavo Kuosmanen aus der Gegend von Nurmes hatte, als er im See fischen wollte, die Vision eines Engels mit einem glühenden Span in der Hand. Der Engel, der am Ufer stand, ermahnte ihn, selbst Buße zu tun und dann auch anderen Umkehr von ihrem bösen Wege zu predigen. Diese verschiedenen Bewegungen lenkte nun Paavo Ruotsalainen durch seine vielen Reisen und Besuche in nüchterne und gesunde Bahnen. Paavo ist während seines ganzen Lebens sehr vielgereist: zu Fuß, zu Pferde, auf Skiern, im Schlitten und im Boot. Er hat dabei im ganzen etwa 40.000 Kilometer zurückgelegt, was bei den damaligen sehr schlechten Wegeverhältnissen in Finnland eine erstaunliche Leistung war. Der Heidenapostel Paulus – sein großes Vorbild – hat auf den drei Missionsreisen und der Fahrt als Gefangener nach Rom rund 20 000 Kilometer zurückgelegt.
Oft reiste Paavo nach Karelien, später auch nach Pohjanmaa in Westfinnland nahe dem Bottnischen Meerbusen, in die Gemeinden der beiden erweckten Pfarrer Jonas Lagus und Nils Gustav Malmberg. Dies geschah besonders nach dem Jahre 1834. Sogar nach Südfinnland fuhr er. Dreimal besuchte er die Hauptstadt Helsinki, um im Kreis der dortigen erweckten Studenten zu sprechen.
Überall, wohin Paavo als Gast und als Seelsorger kam, herrschte Feststimmung. Von weit her strömten die Erweckten herbei, um an der Versammlung teilzunehmen, ob alt oder jung, Mann oder Frau, reich oder arm. Schon Säuglinge sieht man unter ihnen, ebenso auch Greise. Als einmal gefragt wurde: „Warum nehmt ihr denn schon die kleinen Kinder mit in die Versammlung? Sie schlafen dort doch nur!” antwortete ein Laienführer der Erweckten: „Nun, wenn sie schlafen, so schlafen sie nicht an einem schlechten Ort.”
Bei den Zusammenkünften wird aus dem Kirchengesangbuch und aus den „Zions-Gesängen”, dem Liederbuch der Erweckten, gesungen. Die „Zions-Gesänge” enthielten in den ersten Auflagen auch viele Lieder von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Heute sind es fast ausschließlich typisch finnische geistliche Lieder. Zwischen den Liedern werden kurze Ansprachen gehalten, die nicht länger als fünf bis zehn Minuten dauern. So können bei einer Versammlung drei bis sechs Ansprachen gehalten werden, ohne daß sie länger als eine Stunde dauert. Die Versammlung findet auf dem Lande in der „tupa”, der sog. „Rauchstube”, dem größten Raum im finnischen Bauernhause, statt.
Einmal war Paavo wieder auf einer Reise durch Nordkarelien. Mitten in die Versammlung stürzte ein Mann hinein, der mitteilte, daß Paavos einziger Sohn Juhani von den Feinden der Erweckung im Walde ermordet wurde. Paavo hat dieses Ereignis später oft als Warnung für die Gläubigen erwähnt: „Hängt euer Herz nicht an die Welt! Ich tat es, aber Gott nahm mir meinen Sohn fort.” Und noch etwas pflegte Paavo in diesem Zusammenhang zu sagen: „Gott hat mich Hund mein ganzes Leben lang mit Eisenpeitschen geschlagen, und das war notwendig für mich.”
Um Paavo die vielen Reisen zu erleichtern, schenkten ihm seine Freunde ein Pferd. Er nahm das Geschenk zwar gern und dankbar an, befürchtete aber, daß er dadurch hochmütig und stolz werden könnte. Wenn später einmal die Erweckten sich zu sehr mit ihren Heilserfahrungen brüsteten, dann sagte er zu ihnen: „ Nun, auch mein Wallach wiehert, wenn er Hafer bekommt.”
Als Paavo eines Sonntagmorgens mit seinem stattlichen schwarzen Hengst zur Kirche fuhr, ertappte er sich dabei, wie er dessen stolzen Lauf auf dem Eis des Syväri-Sees bewunderte. Daraufhin wendete ersein Pferd nach Hause zurück und rief bei seiner Ankunft seinen Familienmitgliedern zu: „Kommt nun Hausgenossen, um euch anzuschauen, wie mein Gott aus sieht! Ich habe meinen Gottesdienst schon auf dem Syväri-See gehalten.

Mitarbeiter und Freunde
Die Erweckten Finnlands waren sich bewußt, daß sie ihren Glaubenskampf nicht allein auf sich gestellt durchfechten konnten. Darum suchten sie die Gemeinschaft der Brüder. Deshalb strömten sie so zahlreich zu den Versammlungen. Hier war nie die Frage, wer mitgehen sollte. Alle wollten stets gern mit. Die Frage war höchstens, wer unbedingt zu Hause bleiben mußte, etwa wegen der Säuglinge oder des Viehs.
Auch Paavo konnte die Leitung der Erweckten nicht allein tragen. Gar bald gewann er Mitarbeiter und Freunde, die ihm dabei halfen.
Hier ist zunächst einmal Johan Niskanen (geb.1794) zu nennen, der zu den besten Freunden Paavos gehörte. Er hatte bereits als Kind die Bibel und einige Andachtsbücher gelesen. Im Jahre 1817 schloß er sich den Erweckten an, die damals noch unter der Leitung Lustigs standen. 1819 ging er dann zu Paavo über und begleitete ihn seit dieser Zeit oft auf seinen Reisen. Er schrieb auch seine Erinnerungen an Paavo und die Anfänge der Erweckungsbewegung auf unter dem Titel „Erinnerungsbuch über geistliche Angelegenheiten” . Paavo selber war zwar gegen dieses Buch. Er sagte zu Niskanen: „Sollen denn die Erweckten von dem schimmeligen Manna leben, das du ihnen während der Verlobungszeit gesammelt hast?” Paavo blieb mit Niskanen, den er wegen seiner vielen guten Eigenschaften sehr schätzte, bis an sein Lebensende in herzlicher Freundschaft verbunden.
Zu den Pfarrern, die mit Paavo befreundet waren, gehörte zunächst Nils Gustav Malmberg. Er war 1807 als Pfarrerssohn geboren. Sein Vater starb, als er zwei Jahre alt war. Mit zwanzig Jahren wurde er Student. Entscheidend für sein Leben wurde sein Aufenthalt in Petersburg im Jahre 1829. Der schwedische Pfarrer Ehrström von Petersburg hatte nämlich einen Theologiestudenten zu seiner Hilfe angefordert und Malmberg war dazu ausersehen worden. Er kam in Petersburg mit erweckten Deutschen zusammen, die zu dem Goßnerschen Kreis gehörten. Sie kümmerten sich viel um ihn und gaben ihm auch Bücher von Goßner, der 1820-1824 in Petersburg weilte, zu lesen. Hier in Petersburg erlebte Malmberg seine Bekehrung. Er predigte nicht nur in der Stadt selber, sondern auch in der Umgebung. Seine Predigten waren so gewaltig, daß sogar seine deutschen Freunde, die ja die Sprache nicht verstanden, beeindruck waren. Er erregte dadurch jedoch zu viel Aufsehen und mußte nach zehn Monaten Petersburg innerhalb 24 Stunden verlassen.
1830 wurde er ordiniert und kam zunächst nach Kalajoki in Pohjanmaa. 1833 wurde er nach Nivala versetzt, wo er Pfingsten 1834 zum ersten Mal mit Paavo zusammentraf.
Malmberg selber schilderte diese erste Begegnung ausführlich und schrieb u. a. folgendes darüber: „Als ich ihn sah, kam es mir vor, als ob Barnabas von Jerusalem herabgekommen sei, und ich fühlte mich wunderbar belebt allein durch seinen Anblick.” 1838 wurde Malmberg nach Lapua in Südpohjanmaa versetzt, wo heute noch ein Mittelpunkt der Erweckungsbewegung zu finden ist. Auch in Lapua hinterließen Malmbergs Predigten einen tiefen Eindruck und trugen reiche Früchte. Die Kirchen waren, wenn er predigte, stets voll, und auch die sittlichen Zustände im Kirchspiel besserten sich. Malmberg starb 1858 nach einer längeren Krankheit.
Um einen kleinen Eindruck von der Predigtweise Malmbergs zu vermitteln, sei ein Stück einer Beichtansprache über Johannes 14, 6 zitiert, die er in der Kirche zu Nurmo gehalten hat: „Wenn, mein Freund, der Weg deines Lebens einmal sich ganz steil so erhebt, daß du nicht weißt, wohin du gehen sollst, von welchem Ende du vorwärts gelangen kannst, wenn der eine hierhin rät und der andere dorthin und du nicht weißt, welcher von beiden recht rät und welcher falsch – dann denke daran, daß es einen gibt, der da sagt: Ich bin der Weg! Und wenn allerlei verwirrende Gedanken deinen Sinn verfinstern und du nicht weißt, was wahr ist, was Lüge, und nur ungeduldig fragst: Was ist Wahrheit?, dann höre die Stimme des Herrn, der bezeugt: Ich bin die Wahrheit! Und wenn die Schrecken des Todes dich umgeben und du in deinem Herzen seine eisige Kälte spürst, wenn du nach Leben verlangst in dir selbst und in deiner Umgebung und nirgends etwas anderes als nur Tod findest, wenn dein Tag endet und der Abend naht und wenn du nichts vor dir siehst als Dunkelheit, ein stummes Grab – höre, mein Freund, auch dann lebt ER, der gesagt hat: Ich bin das Leben!”
Noch fünfzig Jahre nach seinem Tode erinnerten sich Gemeindeglieder an Teile aus seinen Predigten. Malmbergs Mitstreiter in Pohjanmaa war Jonas Lagus. Lagus war 1798 in Pohjanmaa geboren und wurde bereits mit vierzehn Jahren Student in Turku. Ein Auslandsstudium war ihm, wie auch den meisten anderen Erweckten, aus finanziellen Gründen nicht möglich. Sie studierten daher in Turku, das natürlich viele Einflüsse von Schweden erhielt. Nach dem Brand der dortigen Universität im Jahre 1828 mußten sie an die nach der Hauptstadt Helsinki verlegte Hochschule umziehen. Lagus hatte großes Interesse für Poesie und Philosophie und las viele deutsche, französische und englische Schriftsteller.
Mit neunzehn Jahren wurde er bereits ordiniert und kam als Hilfspfarrer nach Vöra. Entscheidend für seine Erweckung und Bekehrung wurde ein Krankenbesuch, zu dem er aus einer Gesellschaft herausgerufen wurde. Er machte sich aber nicht gleich auf den Weg. Als er dann endlich ins Krankenzimmer trat, war der Todkranke bereits verstorben. Ein älterer Mann sagte darauf zu ihm: „Verflucht sei der, der des Herrn Werk lässig tut!” Lagus führte dann noch ein Gespräch mit dem gottesfürchtigen Bauern, der ihn zu dem Krankenbesuch geholt hatte
1828 wurde Jonas Lagus Pfarrer in Ylivieska. Hier begann seine eigentliche Prüfungszeit; denn er verlor seine Frau, seine Mutter und mehrere Kinder durch den Tod. Doch erlebte er auch manche Freude. In seiner Gemeinde brach 1831/32 die Erweckung aus, und er fand manche Amtsbrüder, die mit ihm den gleichen Weg gingen. Paavo gegenüber verhielt sich Lagus zunächst zurückhaltend. Doch als sie sich 1836 in Pyhäjärvi zum ersten Mal trafen, wurden sie Freunde und blieben es bis an ihr Lebensende. Die Freundschaft mit Paavo bedeutete für Lagus eine innere Erneuerung
1845 war Lagus zum Pfarrer von Pyhäjärvi gewählt worden, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1857 blieb. Auch in Pyhäjärvi mußte er durch eine schwere Leidensschule gehen. Seine zweite Frau und einige seiner Kinder starben ihm. Er selbst war auch oft recht krank. Zu diesen persönlichen Sorgen und Leiden kam die Sorge um das Fortbestehen der Erweckungsbewegung, die sich in verschiedene Richtungen zu spalten drohte. Eines seiner letzten Worte vor seinem Tode war folgendes: „Ich habe zwei leere Hände; aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich am Jüngsten Tag auferwecken.”
Zu dem Kreis der erweckten Studenten in Helsinki, den Paavo dreimal besuchte, gehörte auch Lars Stenbäck (geb. 1811). Sein Vater, der ebenfalls Pfarrer war, zog 1823 von Kuortane nach Vörä um. Dadurch kam die Familie Stenbäck in Berührung mit Jonas Lagus und der Erweckungsbewegung. Lars Stenbäck der sehr begabt war, wurde mit sechzehn Jahren Student. Drei Jahre studierte er an der Universität von Uppsala, die übrige Zeit in Finnland. Schon früh zeigte sich seine poetische Begabung. Entscheidend für seine innere Entwicklung war ein Ereignis an der Universität von Helsinki im Jahre 1834. Einige Studenten hatten nämlich bei einem Treffen u. a. gegen einen Universitätslehrer opponiert. Die Folge davon war, daß sechs Studenten, unter ihnen auch Lars Stenbäck, für ein halbes Jahr vom Studium ausgeschlossen wurden. In diesen Monaten der Stille erwachte einneues Leben in ihm.
Ganz verändert kehrte er 1835 nach Helsinki zurück. Er schloß sich jetzt der Erweckungsbewegung an und unterstützte sie. Als er einmal mit Paavo zusammenkam, sagte dieser ihm unter Bezugnahme auf 1. Joh. 2, 20: „Du hast die Salbung und weißt alles.”
Stenbäcks späterer Lebensweg war recht verwickelt. Sein Plan, Pfarrer in Helsinki zu werden, erfüllte sich nicht. Auch die erhoffte Professur erhielt er nicht.1848 bis 1852 war er Rektor in Vasa. Für kurze Zeit war er dann Professor für Pädagogik in Helsinki und zuletzt Pfarrer in Isokyrö, wo er 1870 starb. Er war der Dichter unter den Erweckten. Auch war er der einzige Dichter Finnlands, der die Natur nicht besungen hat, sondern fast ausschließlich geistliche Lieder und Gedichte geschaffen hat. Bekannt ist von ihm u. a. folgendes Kirchenlied:
Jesu Augen
Vor Jesu milde Augen
stell’ ich in meiner Armut mich,
und meine Lasten trag’ ich
vor Jesu milde Augen.
Vor Jesu milden Augen
drückt sich danieder Schuld und Tod.
Mit Sehnsucht seh’ ich in der Not
in Jesu milde Augen.
Vor Jesu milden Augen
hab’ ich verletzt Gottes Gebot.
Nun wart’ ich, welches Urteil droht
vor Jesu milden Augen.
In Jesu milde Augen
seh’ ich allezeit. Und will er mich
verstoßen, sinkend sehe ich
in Jesu milde Augen.
Zu dem Kreis der erweckten Studenten gehörte auch Carl Gustav von Essen (1815-1895). Die Sommer1831 und 1832 verbrachte er bei Jonas Lagus in Ylivieska, durch den er stark beeinflußt wurde. C. G. von Essen war sehr eifrig und wirkte wie ein zündender Funke der Erweckung, wohin er auch immer kam. Aufsehen erregte sein Auftreten im Herbst 1832 bei einer Hochzeit in Malax, wo er sich gegen das Tanzen aussprach und die Hochzeitsgäste ermahnte, „das einzig Notwendige” zu suchen. 1840 wurde er ordiniert. 1849 wurde er zum Pfarrer von Ylihärmä ernannt und 1862 zum Pfarrer von Ilmajoki. Nachdem er 1864 promoviert hatte, wurde er 1867 Professor für praktische Theologie an der Universität in Helsinki.

Kämpfe und Prozesse
Überall, wo Gottes Geist am Wirken ist, ist auch der Feind auf dem Plan. Je mehr sich die Erweckungsbewegung ausbreitete, desto stärker wurden der Widerstand und die Verfolgungsmaßnahmen der Pfarrerschaft und der Behörden, obwohl Paavo und seine Anhänger sich treu zur Kirche hielten und die Gottesdienste eifrig besuchten.
Man wandte gegen sie vor allem das sog. Konventikelplakat an, das 1726 – noch unter schwedischer Herrschaft – erlassen worden war und alle privaten erbaulichen Versammlungen außer den Hausandachten verbot. Das Konventikelplakat blieb auch in Kraft, als Finnland nach 1809 ein Großfürstentum des zaristischen Rußlands wurde.
Wie sah das kirchliche Leben zu Beginn der Erweckungsbewegung aus? Die führenden Männer der Kirche und der Theologie vertraten in der Zeit von etwa1750 bis 1820 die Gedanken der Aufklärung, die vor allem über Schweden nach Finnland gekommen waren. So fand z. B. der große schwedische Naturforscher Linne in Finnland viele Anhänger. Typisch für diese Epoche ist u. a., daß drei Bischöfe von Turku ihre wissenschaftliche Laufbahn als Professor für Physik und Schüler Linnes an der Universität von Turku begannen.
Die Gedanken der Aufklärung verbreiteten sich durch die Universitäten auch unter der Pfarrer und Lehrerschaft des Landes. In den Predigten sprach man von „Vorsehung” und dem „höchsten Wesen”. Man vertrat eine recht flache Moral und eine Tugendlehre, die vom Nützlichkeitsstandpunkt beherrscht war. Neologische Predigtsammlungen wurden von den Pfarrem eifrig benutzt und angewandt. Um die Seelsorge kümmerten sich die Pastoren weniger. Dagegen interessierte sie die praktische Arbeit, vor allem die Landwirtschaft.
Ein gutes Bild dieser Zeit gibt Juhani Aho in seinem historischen Roman „Frühling und Nachwinter”. Propst Martin, ein Vertreter der Neologie, schildert in einer Rede an seine Gäste, womit er sich in der Hauptsache beschäftigte: „Ich verwalte, so gut ich eben kann, mein Amt, ich besorge meine Landwirtschaft, pflüge meinen Acker und mache Sümpfe urbar- ich bitte um Entschuldigung, aber wes das Herz voll ist, des geht der Mund über -, ich kaufe und verkaufe auf dem Markt. So ist mein Leben.”
Das Hauptlaster jener Zeit war die Trunksucht. Der Branntweinverbrauch im Jahre 1815 betrug etwa24 Liter pro Person. Bis zu den zwanziger Jahren war noch eine weitere Steigerung zu beobachten. Die verderbliche Wirkung des Alkohols blieb nicht aus. Laster und Verbrechen nahmen zu. Sogar in die Kirche kamen die Menschen in betrunkenem Zustand. Der Sonntag wurde wenig geheiligt. Zwar ging man am Vormittag noch in die Kirche. Doch war die Aufmerksamkeit und Ruhe während des Gottesdienstes sehr schlecht. Nachmittags und abends wurde getanzt, mit Karten gespielt und getrunken. Daß es im Anschluß an solche Feste und Feiern oft zu Schlägereien kam, ist wohl verständlich.
Leider waren die meisten Pfarrer kein gutes Vorbild für ihre Gemeinden. Im Pfarrhaus herrschte oft dasselbe Treiben wie in den Häusern der Gemeindeglieder. Auch hiervon gibt Juhani Aho in seinem eben erwähnten Roman ein sehr anschauliches Bild: „Im ganzen Kirchspiel war das Mitsommerfest der Pfarrherrschaft berühmt und berüchtigt, dieses Fest, wo man sang und tanzte und wo jeder zu Leckereien und Trinkereien eingeladen wurde und wo man zum Schluß ein munteres Tänzchen machen konnte.”
Es ist erklärlich, daß Pfarrer dieser Art, wie Propst Martin, für die Erweckung wenig Verständnis aufbrachten und versuchten, sie zu bekämpfen. Schon wurde ein Anhänger Paavos, Heikki Martikainen aus Iisalmi, auf Grund des Konventikelplakats zu einer Geldstrafe verurteilt.
Da reiste Paavo mit seinem Freund Niskanen bis nach Petersburg, um die Sache der Erweckung vor den Zaren Alexander I. zu bringen, der ja der Erweckungsbewegung gegenüber wohlgesinnt war und eine liberale Religionspolitik ausübte. Paavo und Niskanen wurden auch vor Bischof Cygnaeus, den Bischof der lutherischen Gemeinden in Rußland, vorgelassen, der ihnen seine Hilfe versprach und die Angelegenheit dem Kaiser vortragen wollte. Die Strafe wurde dann zwar auch aus der kaiserlichen Kasse bezahlt, doch blieb eine durchgreifende Hilfe aus. Bischof Cygnaeus, selber ein Finne, zögerte, die Sache dem Kaiser darzulegen. Er war durch einen Brief des Pfarrers von Iisalmi beeinflußt worden. So kam es nicht zu einer offiziellen Anerkennung der Erweckten durch den kaiserlichen Hof.
Im Gegenteil, bereits im folgenden Jahr erschien ein amtliches Verbot, in dem das Abhalten von Andachten in den Häusern untersagt wurde. In einem Beschwerdebrief der Erweckten heißt es dazu: „ Wir haben die Absicht, eher den Geist aufzugeben, als von unserem lebendigen Glauben zu lassen, den der Herr unter uns gewirkt hat.”
Achtzehn Jahre später begann daher ein zweiter Prozeß, der weitaus größere Bedeutung gewann. Es war der Prozeß von Kalajoki (1838/39), bei dem fünf Pfarrer, unter ihnen Jonas Lagus und Nils Gustav Malmberg, sowie über sechzig Laien, unter ihnen auch Paavo, angeklagt und 144 Zeugen verhört wurden. Paavo war ja seit 1834 mit Nils Gustav Malmberg und seit 1836 mit Jonas Lagus befreundet und besuchte ihre Gemeinden öfter. Da nun in zwei Hauptgegenden Finnlands die Erweckungsbewegung besonders lebendig war, nannte sich Paavo im Scherz „Bischof zweier Bistümer”.
Gegen diese sich immer stärker ausdehnende Bewegung sollte mit dem Prozeß von Kalajoki ein Generalangriff geführt werden. Die politische Lage hatte sich gegenüber 1820 geändert. Der russische Zar Alexander I. war 1825 gestorben. Sein Nachfolger, Nikolaus I., führte ein strenges Regiment und setzte die liberale Religionspolitik seines Bruders nicht fort.
Als Anklagepunkt wurde nicht nur das Abhalten von unerlaubten Zusammenkünften erwähnt, sondern auch das Einsammeln von Geldern für die Heidenmission, was besonders Jonas Lagus mit großem Eifer betrieben hatte. Viele der angeklagten Laien wurden zum Teil zu recht hohen Geldstrafen verurteilt, die jedoch in der nächst höheren Instanz etwas abgemildert wurden. Die Pfarrer traf, außer einem, eine halbjährige Amtsenthebung.
Als am 31. August 1839 das letzte Verhör stattgefunden hatte, versammelten sich die Angeklagten mit ihren Freunden im Hof des Gerichtsgebäudes und stimmten Martin Luthers Schutz- und Trutzlied „Ein’ feste Burg ist unser Gott, ein’ gute Wehr und Waffen” an. Dann fielen Paavo und seine Anhänger auf die Knie, und Paavo pries im Gebet die Gnade Gottes, die sie würdigte, für Christus zu leiden.
Auch literarisch ging man jetzt gegen die Erweckten vor. So veröffentlichte Finnlands Nationaldichter J. L. Runeberg, dessen Gedicht „Die Prüfung” weiter vorne abgedruckt wurde, 1837 im „Helsingforser Morgenblatt” eine Artikelserie unter der Überschrift „Brief des alten Gärtners”. Er schildert in diesen Briefen die Erweckung als eine düstere, freudlose und kulturfeindliche Erscheinung, die das gesunde Leben abtöte. Lars Stenbäck, der Dichter unter den Erweckten, blieb ihm aber die Antwort nicht schuldig. Er veröffentlichte entsprechende Gegenartikel mit dem Titel „Antwort an den alten Gärtner”.
Alle diese Angriffe konnten jedoch die Ausbreitung der Erweckungsbewegung nicht hindern. Im Gegenteil! Die Zahl der Anhänger wuchs ständig. Wegen des Konventikelplakats sah man freilich mehr und mehr von größeren Versammlungen ab. Dafür traf man sich bei Märkten, Hochzeiten, Beerdigungen, Pfarrereinführungen und anderen Gelegenheiten desto zahlreicher. Paavo selber riet sogar von größeren Versammlungen, außer bei solchen Anlässen, ab. Aber er ermahnte die Erweckten ständig, die Gottesdienste zu besuchen, auch wenn ein Pfarrer dort predigte, der tieferes geistliches Leben nicht verstand. Wenn jemand geringschätzig über die Predigt eines solchen Pfarrers sprach, sagte Paavo: „Iß den Kern und überlaß die Schale ihrem Schicksal!”
Im Winter 1842 machten die des Amtes enthobenen Pfarrer eine Reise zu ihrem Freund Paavo nach Aholansaari. Als die Gäste spät am Abend ankamen, war Paavo schon zur Ruhe gegangen, aber er erwachte durch das Klirren des Schlittens. Er erkannte sofort Pfarrer Malmbergs tiefe Stimme, rief aber doch sehr erzürnt: „Was für Zigeuner seid ihr, die ihr solch einen Lärm mitten in der Nacht verursacht?”„Des Amtes enthobene Pfarrer”, erwiderte Jonas Lagus. „Na, noch schlimmer als Zigeuner”, setzte Paavo seine kleine Seherzrede fort, „aber man muß euch wohl trotzdem ein Nachtlager bereiten.” Mit glaubensfrohem Sinn verbrachten diese „Amtsbrüder” ihre gemeinsamen unfreiwilligen „Urlaubstage” dort im Herzen von Nordsavo.
Als Jonas Lagus nach seiner halbjährigen Amtsenthebung zum ersten Mal wieder auf der Kanzel stand, begann er seine Predigt mit den ergreifenden Worten: „Ich bin euer Bruder Joseph, den ihr nach Ägypten verkauft habt; lebt mein Vater noch? O ja, ER lebt, euer Vater, mein Vater und der Vater über alles, was im Himmel und auf Erden Vater genannt wird. Er lebt gerecht, barmherzig, geduldig und sehr gut. Und jetzt, da meine Zunge wieder losgebunden ist, darf ich zusammen mit euch ihm danken und ihn loben.”
Aber nicht nur bei diesen Prozessen spürte Paavo, daß das Glaubensleben ein Kampf sei. Seine ganze Verkündigung wurde von dem Gedanken des Glaubenskampfes beherrscht. Immer wieder ermahnt Paavo seine Hörer und Leser, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen (1. Tim. 6, 12). Sie sollen gute Streiter Jesu Christi sein (2. Tim. 2, 3). Gerade die Pastoralbriefe, aus denen die Worte vom Glaubenskampf und vom Streiter Christi stammen, wurden von Paavo viel gelesen und den Erweckten sehr empfohlen. Eine weitere Bibelstelle, die diesen Kampf des Christen ausdrückt, fand Paavo in Hiob 7, 1:
„Muß nicht der Mensch immer im Streit sein auf Erden, und sind seine Tage nicht wie eines Tagelöhners ?”

Das Leben des Christen ist also ein ständiger Kampf, ja sogar ein „geistlicher Krieg”. Darum fragten sich die Erweckten auch, wenn sie sich trafen, zuerst: „Wie ist es jetzt um deinen Krieg bestellt?”
In diesem Kämpfen und Ringen bleibt der Mensch sein Leben lang. Der Glaube ist in ständiger Bewegung. Er ist nie fertig. Er ist nie vollendet. Hierin aber liegt gerade die Gefahr für viele Erweckte. Sie wollen gleich Heilige werden. Sie möchten von einer Rechtfertigung, von einer täglichen Buße nichts wissen. Darum ermahnte sie Paavo:
„Das freiwillige Herantreten zum Gnadenthron, das unter Kampf und Streit geschieht, in beständiger Übung und unaufhörlicher Erneuerung, ist die tägliche Besserung, die alle, auch die liebsten Kinder Gottes, üben müssen, solange sie leben. “
Gerade auch nach der ersten Buße und Bekehrung schickt Gott den Erweckten in die Schule des Kreuzes und in das Trauerhaus. So sagte Paavo zu einem Leiter der nordkarelischen Erweckten:
„Mit Met und Honig bist du auf den Weg geführt worden; aber Pechöl und Teer wirst du als Wegzehrung mitbekommen.“
Das freilich gefällt den Erweckten oft nicht. Sie wollen ein angenehmes, herrschaftliches Leben führen, was Paavo sehr treffend schildert:
„Ihr Herren wollt nur auf dem Sofa sitzen und Leckerbissen essen; ich magerer Hund dagegen muß weite Strecken laufen und meinem Glück danken, wenn ich mit Mühe dann und wann nach vielen Meilen ein kleines, trockenes Brotstückchen bekomme.”
Paavo war im Blick auf seine eigenen Glaubenserfahrungen sehr bescheiden. So sagte er einmal: „ Mögen sich andere Gottes Gnade fertig wie vom Regal nehmen. Ich habe sie stets suchen müssen, wie man eine Nadel in einer Fußbodenritze sucht.“
Der große Seelsorger
Paavo Ruotsalainen war selber, wie bereits geschildert, über zweihundert Kilometer gewandert, um bei dem Schmied Jakob Högman Rat und Hilfe zu suchen. Dieser Schmied war ein begnadeter Laienseelsorger, und in seinem Sinne wollte auch Paavo wirken. So hatte er ja schon auf dem Rückweg von Jyväskylä in seine Heimat einem alten Bauern den Weg zum Heil gewiesen.
Für immer mehr Menschen wurde Paavo dann zum Seelsorger und Ratgeber. Paavo konnte die Menschen ganz persönlich beraten, weil er die Gabe Gottes besaß, die Menschen richtig zu erkennen und zu durchschauen. Er sah bis in die Tiefen des Herzens. Seine Seelsorge trug daher einen prophetischen Zug. Er besaß die Gnadengabe, die Geister zu unterscheiden (1. Kor. 12,10). Es gibt viele Beispiele dafür, wie Paavo – und auch andere Erweckte – durch eine göttliche Eingebung die Seele des anderen völlig durchschauten und dann den richtigen Rat geben konnten.
So kam eines Tages ein junger Mann in voller Verzweiflung und mit Selbstmordgedanken zu Paavo. Noch als er sich der Insel Aholansaari näherte, auf der Paavo ja zuletzt wohnte, sah er sich nach einem Baum um, an dem er sich hätte aufhängen können. Doch dann sagte er sich, daß er das ja noch auf dem Rückweg machen könnte, wenn er keine Hilfe fände. Als Paavo aus der Sauna kam und den Blick des jungen Mannes sah, setzte er sich auf seine Haustreppe, wandte dem Jungen den Rücken zu und sagte: „Wieviel Kiefernäste hast du dir, mein Freund, bei deinem Kommen angeschaut, an denen du dich hast aufhängen wollen?” Nach dem er dann die Klagen und Sorgen des jungen Mannes gehört hatte, sagte er tiefgerührt : „Höre, mein Freund : Glaube an den Herrn Jesus, dann wirst du selig!” Da war für den Jungen die Sache klar, und die schwere Last fiel von ihm ab.
Zu einem anderen jungen Mann dagegen, der bei einer Marktreise auf Paavos Schlittenkufe gesprungen war und von dort seine Klagen und Nöte vorbrachte, sagte er: „Bleibe, mein Junge, unter diesen Schmerzen ; denn in ihnen wird der neue Mensch geboren.“ Durch diese wenigen Worte wurde dem jungen Mann geholfen.
Hatte Paavo es mit angefochtenen und vom Gewissen gequälten Menschen zu tun, so forderte er sie auf, sich sogleich an Christus zu wenden und nur zu denken: „Ich bin ein Sünder, aber Christus ist der Retter der Sünder.” In solchen Fällen stand die Botschaft vom Kreuz im Mittelpunkt seiner Ratschläge.
So erzählte er z. B. einmal, um seine angefochtenen und betrübten Gäste aufzurichten, folgenden Traum:
„Es war, als ob das Jüngste Gericht im Kommen war. Schwermütig, niedergeschlagen und traurig standen große Menschenmengen und warteten, daß etwas Großes geschähe. Da sagten einige aus meiner Umgebung : ,Hier fehlt doch irgend etwas !’ Und in demselben Augenblick ragte inmitten der unzählbaren Menschenmenge ein Kreuz empor, das vor Helligkeit blendete. Die Menschen hoben ihre Häupter empor, wurden fröhlich, und die schwermütigen und niedergeschlagenen Sinne waren sogleich vergangen.”
Aber nicht immer ist es dem Seelsorger gegeben, dem Nächsten bis auf den Grund des Herzens zusehen. Er muß dann versuchen zu erfahren, wie es mit seinem Gegenüber steht. Zu diesem Zweck hat Paavo öfter die sog. „Examina” angewandt. Diese Examina sind nicht nur eine Hilfe für den Seelsorger, sondern auch für den Hilfesuchenden, der dadurch seinen eigenen Zustand besser erkennen kann und dann leichter den Weg zum Heil findet. Oft gebrauchte Paavo hierbei recht scharfe Worte. Sehr bekannt ist etwa ein Examen, daß Paavo mit dem Pfarrer und Doktor der Theologie aus Koupio, Julius Immanuel Bergh, anstellte, das er mit den Worten abschloß: „In deinem Kopf befindet sich, was die Dinge der Buße betrifft, nicht so viel Verstand wie in diesem Pferd.” Bergh aber spürte, was Paavo meinte, und sie wurden gute Freunde.
Solche „Examina” begann Paavo häufig mit folgenden Fragen: „Glaubst du, daß du selig würdest, wenn du in diesem Augenblick stürbest?” oder: „Bist du geboren aus dem Heiligen Geist, von heiligen Eltern oder von Adam?
Eine Frau, die öffentlich über ihre Sünden klagte, fragte Paavo einmal : „Hat die Last deiner Sünde das Gewicht jenes Hauses?” Und als die Frau dann antwortete:
„Mit dieser Sache soll man nicht spaßen”, sagte Paavo: Man paßt nicht in die Hölle mit einer großen Last; denn dort sind die Löcher recht klein.“ Aber noch bei derselben Gelegenheit veränderte Paavo das benutzte Gleichnis ein wenig und sagte: Nun, du paßt schon hinein in die Hölle, die Löcher dort sind doch ziemlich weit.
Paavos Seelsorge konnte auch manchmal recht radikal und mit einer symbolischen Handlung verbunden sein. Klassisch dafür ist folgendes Beispiel: Ein Mann hatte ein Nüchternheitsgelübde abgelegt, das etwa so lautete:
„Wenn ich noch einmal saufe, dann soll mich der Teufel holen!”
Dennoch aber fiel er wieder in die alte Leidenschaft zurück und kam sehr bedrückt zu Paavo. Als dieser ihm nach dem Brauch der Zeit einen Trunk anbot, weigerte sich der Mann und erzählte von seinem Gelübde und seinem Fall. Da wurde Paavo eifrig, seine Augen funkelten, und er rief: „Jetzt kann man endlich einmal mit eigenen Augen sehen, wie der Teufel einen Menschen mit Haut und Haaren nimmt. Das sieht man nicht so oft.” Dann brach Paavo in ein schallendes Gelächter aus und gab weiter keinen Rat. Schließlich wagte der Mann, den angebotenen Trunk zu nehmen. Paavo stand eine Weile, blickte ganz ernst drein und fragte schließlich:
Fährt er nicht schon ab? Fährt er nicht schon ab? Nein, er begibt sich gar nicht fort. Er müßte es doch schon längst tun.” Auf diese merkwürdige Weise wurde dem Manne geholfen. Paavo handelte hier aus der Freiheit Christi heraus, der allein die Gebundenen wirklich befreien kann.
Bezeichnend für die Ratschläge, die Paavo bei solch einem „Examen” oder bei einer anderen Gelegenheit gab, ist, daß es kurze und treffende Worte waren. Nur so blieben sie im Gedächtnis haften und konnten für den Hilfesuchenden zum Segen werden. Diese Worte waren oft recht scharf. Dennoch fehlte ihnen der Hinweis auf den lebendigen Christus und die Frohe Botschaft nicht. Paavo gab mit Absicht solche kurzen Ratschläge und ermahnte auch seine Schüler dazu: „Wenn du anders lehrst, so lehre nicht mit vielen und langen Reden!“ Paavos Seelsorge wurde so mehr und mehr zu einer Seelsorge an den Seelsorgern. Sie galt in erster Linie den Pfarrern und Laienführern der Erweckungsbewegung.
Für die Seelsorge Paavos und seiner Mitarbeiter gab es noch eine besondere Form, nämlich die „Kammergespräche”. Während die Versammlungen im allgemeinen im größten Raum des Hauses, in der sog. Rauchstube („tupa”), stattfanden, wurden die Kammergespräche in der Regel in einem kleineren Raum des Bauernhauses, in einer Kammer („kamari “) abgehalten. So ist die Bezeichnung „Kammergespräche” von dem Ort her, wo sie stattfanden, entstanden. Doch sind sie nicht auf die Kammer beschränkt, sie können auch in der Rauchstube stattfinden oder im Freien, was besonders im Sommer öfter der Fall ist.
In der Regel werden die Kammergespräche im Anschluß an die Versammlungen abgehalten, doch können sie auch schon vor den Versammlungen beginnen. Zu diesen Kammergesprächen hat jeder freien Zutritt. Jeder, der in der Versammlung war und noch etwas auf dem Herzen hat oder sich noch weiter über Glaubensfragen unterhalten will, kann an ihnen teilnehmen. Keiner wird abgewiesen. Darum hat man die Seelsorge, die bei diesen Kammergesprächen geübt wird, eine „Seelsorge bei offenen Türen” genannt. Gerade die Kammergespräche bieten den Erweckten Gelegenheit, das allgemeine Priestertum auszuüben.
Lars Stenbäck gibt eine gute Schilderung seiner ersten Eindrücke von den Kammergesprächen im Kreis der erweckten Studenten von Helsinki. Es heißt dort u.a.: „Selten und dann auch nur ausnahmsweise wurde ein Wort des Trostes einem ganz zerknirschten Gewissen geschenkt, aber auch dann folgten so strenge und ernste Ermahnungen, daß sie beinahe ganz die Wirkung des Trostes wegnahmen. Aber es strahlte doch so klar aus einer entlegenen, vielleicht unerreichbaren Feme die Hoffnung von einem Frieden und einer Seligkeit auf, die wir nicht einmal aus den kühnsten Träumen der Jugend heraus ahnen konnten und gegen die alle Pracht und Herrlichkeit der Erde einem wie lauter Staub und Elend vorkam.”
Der Trost wurde zwar nicht so häufig ausgesprochen, aber er fehlte doch nicht. Und gerade Paavoverstand es sehr gut, die angefochtenen Seelen zutrösten. Solche angefochtenen Menschen redete er etwa mit den Worten an: „Mein Junge”, „Liebes Kind”, „Lieber Freund”.
Gerade die Angefochtenen und die, die im Glaubenskampf schwach und müde zu werden drohten, blieben zu den Kammergesprächen. Sie hofften, daß so wie der von der Reise müde Christus sich dennoch mit der Samariterin am Brunnen von Sichar unterhalten hat, er auch zu ihnen kommen würde, um ihnen lebendiges Wasser zu bringen.
In den Kammergesprächen wurde viel über Sünden und Anfechtungen, über Nöte und Kämpfe gesprochen. Aber eine eigentliche Beichte und Absolution gab es dort nicht. Die Beichte spielte in der Seelsorge der Erweckten – im Gegensatz zu der Seelsorge der Laestadianer – keine so große Rolle. Doch war ja in gewisser Hinsicht alles, was in den Kammergesprächen gesagt wurde, eine Art Beichte.
Lars Stenbäck schrieb in seiner bereits eben zitierten Schilderung des erweckten Studentenkreises in Helsinki noch folgendes: „Schließlich ging man zu einer Art freiwilliger Beichte vor allen Kameraden über. Man legte einfach und, nach meiner vollen Überzeugung und Erfahrung, auch ganz aufrichtig seinen Seelenzustand von der Zeit an dar, die seit der letzten Zusammenkunft verflossen war. Man verglich seine geistliche Erfahrung mit der der Kameraden, gab und nahm Rat entgegen, wobei man sich genau daran erinnerte, daß, nach dem Wort des Apostels, nur der, der sich gern strafen läßt, Hoffnung hegen kann, schließlich eine wahre Besserung und Buße zu tun und das so innerlich ersehnte ,verborgene Leben in Gott’ gewinnen zu können, das4 2ihnen allen so schön vorschwebte und nach dem sie alle so ernst strebten.“
Glaube und Humor
Paavos seelsorgerliche Ratschläge waren oft gewürzt mit Humor. Paavo war, wie auch unser Reformator D. Martin Luther, ein Mann des Humors. Die Landschaft Savo, seine Heimat, ist das gelobte Land des finnischen Volkshumors. 
Während des Marktes in Kuopio gingen einmal zwei fromme Mädchen zusammen mit Paavo in die Stadt. Bei der einen von ihnen glaubte er heimlichen Stolz zu bemerken. Als ihnen einige junge Männer entgegen kamen, die mit Mädchen Arm in Arm gingen, rief Paavo ihnen zu: „Jungens, tauschen wir die Bräute!“ Das nahm ihm die eine der beiden Begleiterinnen sehr übel und lief davon. Die andere aber verstand den wahren Sinn der Worte Paavos.
Als Paavo einmal von zwei Frauen nach seiner Lehre gefragt wurde, klopfte er die Aschenreste aus seiner Pfeife in seine Hand, steckte die Pfeife hinter seine Backe und sagte: „So beschaffen ist meine Lehre“ Ihm kam es nicht so auf die Lehre an, die sich von der Lehre der lutherischen Staatskirche Finnlands nicht unterschied, sondern auf das Glaubensleben im Alltag.
Berühmt und bekannt wurde Paavos Antwort an den Philosophen Johan Wilhelm Snellman, als dieser auf Paavo mit seiner Hegelschen Philosophie einwirken wollte: „Ihr Philosophen behandelt die Bibel wie das Schwein das Kartoffelfeld.“ Der Grundsatz gesunder Natürlichkeit wird auch bei Paavos Einstellung zur Bekleidungsfrage sichtbar.
Nach seiner Ansicht soll jeder bei der seinem Standangemessenen Kleidung bleiben, ohne sich herauszuputzen. Die von den Erweckten noch heute bevorzugte Männerkleidung, der sog. „ Schoßrock” mit hinten dreimal geschlitzten Schoß, ist ursprünglich eine altfinnische Bauerntracht. „ Was zum Teufel bist du denn für ein General?“ fuhr Paavo einmal einen Bauern aus seinem heimatlichen Kirchspiel an, der eines Winters im Pelz und mit einem eleganten roten Gürtel nach der Insel Aholansaari kam.
Paavos Humor spiegelte sich auch in dem wider, wie er über sich selber dachte. So sprach er einmal beim Schwimmen zu sich selber: „Soll vielleicht dieser nackte alte Knacker ein Tempel des Heiligen Geistes sein?“
Vor seinem Tode gab er seiner Tochter den Auftrag, auf seinem Grab einen Nadelbaum zu pflanzen. Er sagte: „Auf mein Grab muß man den allerstachligsten Baum setzen; denn ich bin der allerstachligste Mensch gewesen.” Auch bei den Freunden und Mitarbeitern Paavos fand sich dieser Humor. So hatte sich der recht vermögende Bauer und Laienprediger Juho Malkamäki einen neuen Hof erbaut. Ein Gast aus Savo, der ihn besuchte, sagte: „Von solch einem stattlichen Hof kommt man sicher in die Hölle.“ Daraufhin antwortete Malkamäki: „Baue du einen Hof, von dem aus man direkt in den Himmel kommt, so will ich sofort meinen hier niederbrennen.“
Dieser Juho Malkamäki hat auch einmal zu einem Pfarrer gesagt: „Ich habe gedacht, daß wohl auch der Humor zwischendurch gut ist, wenn er zur rechten Zeit gesagt wird. Dann erfreut er das Gemüt und erquickt.“

Das Boot liegt am Ufer.
Im Jahre 1846 besuchte Paavo zum letzten Mal Pohjanmaa. Dort fand die Hochzeit zweier Pfarrer der Erweckten im Hause von Nils Gustav Malmberg in Lapua statt. Gottes Winde wehten jetzt in den weiten Ebenen von Süd-Pohjanmaa. Paavo hatte seinen Lebensabend erreicht. Das Boot, das so viele Reisen von Aholansaari aus gemacht hatte, wartete jetzt vergeblich auf den Reisenden. Doch kamen noch viele Besucher zur Insel, um bei Paavo Trost, Rat und Hilfe zu suchen.
Während so das Boot am Ufer lag, ruhte doch der Federhalter noch nicht. Paavo stand noch in regem Briefwechsel mit seinen Freunden und Mitarbeitern und vielen Ratsuchenden. Immer wieder diktierte er einem seiner Mitarbeiter, der gerade bei ihm auf der Insel Aholansaari weilte, eine Reihe von seelsorgerlichen Briefen.
Paavo dachte hierin genauso wie sein Mitstreiter Jonas Lagus, der im Jahre 1833 über den Sinn seines Briefwechsels mit den Amtsbrüdern an J. M. Topelius folgendes schrieb: „Wir sind noch dazu Diener bei demselben Herrn, und nichts soll uns lieber sein, als unsere geistlichen Erfahrungen in seinem Dienst einander mitteilen zu können und so wie Wächter in der dunklen Nacht einander zuzurufen, damit wir dadurch viele ermuntern, bis der Morgen anbricht. „
Mit den seelsorgerlichen Briefen von Paavo und Jonas Lagus ist uns ein großer Schatz geschenkt worden. Von Paavo sind uns dreiundachtzig solcher seelsorgerlichen Briefe erhalten. Dagegen hat sich Lagus ausdrücklich gegen eine Verbreitung seiner Zeilen gewandt: „Obwohl ich es für unbegründet halten will, möchte ich jedoch vor jeglicher Verbreitung meiner geringen Zeilen warnen.” So ließ Lagus selbst vor seinem Tode eine große Sammlung Briefe, die er empfangen hatte, verbrennen und sagte, als es geschehen war: „Jetzt ist das Brandopfer verrichtet; jetzt muß das Dankopfer geschehen.”
Auch in den seelsorgerlichen Briefen der Erweckten wurde manches harte und ernste Wort geschrieben. Aber der Briefschreiber hat sich nie für besser gehalten als den Empfänger des Briefes. Auch die Briefschreiber waren sich dessen bewußt, daß sie arm und krank sind und der Hilfe desselben Herrn und Heilandes bedürfen wie die Empfänger. So schreibt Jonas46Lagus im Jahre 1853: „Nicht habe ich mehr, als Ihr habt, aber noch wandern wir draußen und müssen einander zurufen und warnen.” Und Paavo schrieb einige Jahre vorher: „Ich bin ein listigerer Sünder, als Ihr jemals in Eurem Leben gesehen habt, aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“
Paavo wußte also, daß er in der gleichen Lage ist wie der Empfänger seines Briefes. Auch ihm fehlte oft der Glaube. So schrieb er einmal: „Ja, lieber Freund im Herrn, ich weiß, daß Euch oft der Glaube fehlt wie auch mir, den man doch für einen Glaubenshelden hält.“
Der Alte, der für Tausende geistlicher Lehrer und Vater sein durfte, geriet am Ende seines Lebens in große innere Anfechtungen. Er hatte viele Kämpfe und Versuchungen zu durchstehen. Oft verbrachte er schlaflose Nächte, weil er sich fragte, ob er denn den Menschen, die zu ihm kamen, eine richtige Antwort gegeben habe. Und gerade in den letzten Jahren seines Lebens wurde er von solchen Fragen gequält: „Was soll ich am Rechenschaftstage antworten, da ich so oft getröstet habe, wo ich hätte warnen sollen, und gewarnt habe, wo ich hätte trösten sollen?”
Die Anfechtung gehört in das Leben eines jeden Christen. Das erfuhr Paavo genauso wie einst Martin Luther. Je mehr Glauben der Christ hat, desto mehr Anfechtungen hat er auch. Die Gefahr der Anfechtung besteht darin, daß in ihr der Unglaube über den Glauben den Sieg erringt. So kann in der „Hitze des Unglaubens” der Angefochtene leicht ermatten. Darum ermahnte Paavo die Angefochtenen: „Halte den Kopf hoch, wenn auch die Füße in der Hölle brennen!“
Das ist die einzige Hilfe, die es für den Angefochtenen gibt. Er muß aufblicken, und zwar aufblicken auf Christus. Auf dem schnellsten Wege soll er zu Christus eilen. Er soll im Neuen Testament von dem Schächer am Kreuz und dem verlorenen Sohn lesen. Dann wird er schon eine Antwort und die rechte Hilfe finden.
Das hat Paavo alles in den letzten Jahren seines Lebens ganz persönlich erfahren. Am 27. Januar 1852 erlöste ihn der Tod von aller Anfechtung und Krankheit. Eins seiner letzten Worte soll gewesen sein: „Ich habe dennoch gesiegt, alles ist verklärt. Jetzt darf ich heimgehen. Ich kann Gott nicht so danken, wie ich es gern möchte. Jesus Christus, sei du mein Dankopfer vor dem himmlischen Vater!”
Paavo Routsalainen wurde unter großer Anteilnahme seines Freundeskreises auf dem Friedhof in Nilsiä begraben, wo man heute noch sein Grab sehen kann. Auf dem Gedenkstein ist Paavos Lieblingslied verzeichnet, das er sich oft vor seinen Ansprachen in den Versammlungen als Eingangslied erbat. Es ist der Choral des Schweden Haquin Spegel mit Gedanken aus Psalm 71. In diesem Kirchenlied heißt es u.a.: „Deine Kraft möchte ich verkündigen und deiner Gnade danken, so daß auch Kindeskinder noch deine Ehre sehen mögen.” Die Erweckungsbewegung, deren Begründer Paavo Ruotsalainen, der „Prophet der Wildnis”, sein durfte, hat tatsächlich dem finnischen Volk immer wieder lebendiges Wasser der Gnade Gottes dargereicht.

Wie es weiterging

Nach dem Tode von Paavo Ruotsalainen erlebte die Erweckungsbewegung mancherlei Rückschläge. Es kam zu Spaltungen und vergeblichen Einigungsversuchen. Schon zu Paavos Lebzeiten gab es einige Differenzen, und die Bildung verschiedener Richtungen bahnte sich an.
Als erstes ist hier die Bewegung der sog. „Beter” zu nennen, deren Führer der Pfarrer Henrik Renqvist war. Renqvist war im Jahre 1817 als Pfarrer nach Liperi in Karelien gekommen, wo er seine Gemeindearbeit mit großem Eifer und Nachdruck betrieb. Erlegte besonderes Gewicht auf das Gebet in kniender Stellung, das wenigstens fünfmal am Tage verrichtet werden sollte. Seine Grundthese lautete: „Bete, dann erwachst du und bekommst Glauben.” Ferner war er ein Kämpfer für die Nüchternheit. Er verbot jeglichen Alkoholgenuß. In seiner Verkündigung herrschte die Gesetzlichkeit vor.
Paavo reiste 1822 nach Liperi, um Henrik Renqvist und seine Arbeit persönlich kennenzulernen. Beiden Zusammenkünften und Andachtsstunden, die in Liperi gehalten wurden, wunderte sich Paavo sehr darüber, daß alle Teilnehmer von Zeit zu Zeit auf die Knie fielen, um zu beten, was sie sogar in der Kirchewährend des Gottesdienstes taten. Paavo, der hierin die Gefahr einer Werkgerechtigkeit sah, hielt eine eindrucksvolle Rede über die Rechtfertigung des Menschen durch den Glauben ohne des Gesetzes Werke (nach Röm. 3, 23-31). So kam es zu einem Bruch zwischen Renqvist, der die Gefahr der Gesetzlichkeit nicht einsehen wollte, und Paavo, die nun gegenseitig die Arbeit und Lehre des andern verwarfen.
Alle Vermittlungsversuche, die später noch gemacht wurden – so traf man sich im Jahre 1824 in Kuopio und 1838 in der Hauptstadt Helsinki scheiterten. Eine Einigung dieser beiden Richtungen gelang leider nicht.
Von noch größerer Bedeutung als der Bruch mit Renqvist war die Spaltung, die 1844 eintrat. Im Jahre 1836 hatte sich nämlich der Pfarrer Fredrik Gabriel Hedberg den Erweckten angeschlossen. Hedberg hatte in Turku und Helsinki studiert und kam 1834 als Hilfspfarrer nach Lohja. Hier kam er mit den Erweckten und besonders mit Jonas Lagus in Berührung. Als seine pietistischen Bestrebungen der Kirchenleitung bekannt wurden, versetzte man ihn 1840 als Gefängnisprediger nach Oulu.
Als er im Jahre 1842 zum ersten Mal mit Paavo zusammen traf, war er zunächst ganz von ihm eingenommen. Er schrieb darüber folgendes: „Gott ließ mich unter dem gebrechlichen Äußeren eine Tiefe der geistlichen Erfahrung und wahres Glaubensleben sehen, das nicht nur mich mit Seele und Herz dem Alten ergeben machte, sondern mir auch ein neues Licht öffnete auf dem verborgenen Weg des Glaubens.“
Aber bald regte sich bei ihm auch die Kritik an der Lehre, die von den „Vätern der Erweckungsbewegung” vorgetragen wurde. In seinem Briefwechsel mit Jonas Lagus und anderen Erweckten brachte er manchmal seine Bedenken vor, etwa gegen die Lehre von der täglichen Reue und Buße. Doch billigten die Erweckten im allgemeinen noch seine Anschauungen. Sein erstes Buch „Glaubenslehre zur Seligkeit” wurde von Jonas Lagus und Paavo Ruotsalainen voll und ganz anerkannt. Erst nach dem Bruch im Jahre 1844 wurde es von ihnen verworfen.
Zu diesem Bruch kam es durch folgende Ereignisse. Zu einem Pietistentreffen anläßlich einer Doppelhochzeit in Esbo im Jahre 1843 war auch der Reichsschwede C.O. Rosenius eingeladen worden, der in Schweden für die Erweckung arbeitete. Paavo aber verstand es nicht recht, mit Rosenius zu verhandeln. Er stieß diesen durch seine vielen Fragen so vor den Kopf, daß er bald wieder enttäuscht nach Schweden abreiste. Hedberg dagegen trat bald darauf mit Rosenius in engere Verbindung.
Im Juni 1843 fand ferner die Einführung von Hedberg in der Gemeinde Pöytis statt, zu der viele erweckte Pfarrer kamen. Am Abend vorher sprach man über den Weg zur Seligkeit. Da legte Hedberg seine Gedanken dar von dem Verdienst Christi und der Rechtfertigung durch den Glauben. Er schrieb darüber später folgendes: „So ging mir deutlich das Licht des Wortes Gottes auf, daß alles dieses mir schon vollkommen von Christus erworben war und daß ich nichts anderes dazu brauchte, als allein im Glauben das Wort des Evangeliums zu umfassen, das Gnade und Rechtfertigung predigt.
Noch zwei weitere Ereignisse führten dann zu dem endgültigen Bruch zwischen Paavo und Hedberg. Leider versuchte Hedberg nicht, die Sache persönlich mit Paavo im Gespräch zu klären. Er reiste nicht selber zu Paavo, sondern schickte nur zwei seiner Anhänger zu ihm nach Nilsiä. Dieses Treffen wurde aber zu einem großen Fiasko und besiegelte dann den endgültigen Bruch.
Paavo schickte an Hedberg eine offizielle „Bannbulle”, in der er ihn als einen Philosophen, Judas Ischarioth und Ananias bezeichnete. Ebenso schrieben Lagus und Malmberg harte Briefe an ihn. Die Antworten Hedbergs darauf sind dann auch nicht gerade milde gehalten. So gingen ihre Wege auseinander.
Hedberg wurde der Führer der „ Evangelischen Bewegung”, die sich 1873 in der „Lutherischen Evangeliumsvereinigung in Finnland” zusammenschloß. Ihr Ziel war es, das Evangelium von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, lauter und rein zu verkündigen. Das Schwergewicht ihrer Arbeit legten sie darum auf den Gottesdienst und auf die Austeilung der Sakramente. Seelsorge wird bei ihnen weniger geübt. Beim Gebet benutzen sie meistens formulierte Gebete, weniger das freie Gebet.
Als dritte Bewegung seien hier noch die Laestadianer erwähnt. Sie gehen zurück auf den reichsschwedischen Pastor Lars Levi Laestadius (1800-1861). Er war ein sehr begabter Mensch, der auch als Botaniker über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt wurde. Im Jahre 1843 wurde er Propst und Visitator der Lappmarksgemeinden. Bei der Visitation in Asele im Januar 1844 fand er durch das einfache Lappenmädchen Maria eine neue Einsicht in die Heilsordnung.
Er selber schildert dieses einschneidende Ereignis seines Lebens sehr anschaulich: „Und jetzt erst dachte ich, jetzt sehe ich den Weg, der zum Leben führt; er ist verborgen gewesen, bis daß ich mit Maria sprechen durfte. Ihr einfältiger Bericht über ihre Wanderungen und Erfahrungen machten so einen tiefen Eindruck auf mein Herz, daß es auch für mich aufleuchtete. Ich durfte an diesem Abend, den ich zusammen mit Maria verbrachte, einen Vorgeschmack der himmlischen Freude spüren.”
Seit dieser Zeit hielt Laestadius gewaltige Bußpredigten und setzte sich mit allen Kräften für eine Erweckung Lapplands ein. Auf sittlichem Gebiet bekämpfte er hauptsächlich die Trunksucht, die dort im hohen Norden sehr verbreitet war. Bald fand er eine Reihe Anhänger – unter ihnen der finnische Lehrer Johan Raattamaa -, die in Lappland umherzogen und seine Lehre verbreiteten. Eine Erweckung, die besonders am Anfang stark ekstatische Züge trug, brach auf und drang auch nach Norwegen und Finnland. Heute gibt es auch in Nordamerika Laestadianer, aber die meisten von ihnen leben in Finnland. Hier ist es eine rein finnischsprachige Bewegung.
Paavo und Laestadius standen zunächst in freundschaftlichem Briefwechsel. Später aber kam es zu einer Auseinandersetzung und Trennung, da Laestadius – ebenso wie Henrik Renqvist – jeglichen Alkoholgenuß verbot. Im Jahre 1854 sagte Laestadius in einer Predigt: „Die Trinker dürfen in der Hölle mehr Feuer und Schwefel trinken, als durch die Gurgel geht ” Paavo dagegen kritisierte Laestadius als einen Gesetzesprediger, dessen Lehre zum Papsttum führe. Leider haben sich beide persönlich nie kennengelernt. Auch Jonas Lagus äußerte sich scharf gegen die Laestadianer. 1855 schrieb er an einen Freund: „Mit den Verrückten des Laestadius laß dich nicht ein! Sie mögen nun rasen, solange sie können!“
Mit diesen Spaltungen und dem Sterben der Führer der Erweckungsbewegung in den fünfziger Jahren:

1852 Paavo Ruotsalainen,
1857 Jonas Lagus und 
1858 Nils Gustav Malmberg
begann für die finnische Erweckungsbewegung die sog. „Zeit der Greise”. Die Leitung der Bewegung lag jetzt in den Händen von älteren Laien.
Jonas Lagus hatte etwas von dem Niedergang der Bewegung in den fünfziger Jahren geahnt. Er sagte wenige Stunden vor seinem Tode u. a. folgendes: „Mit mir stirbt diese Lehre; noch ist der Schatten eine Zeitlang da, aber dann verschwindet auch er.” Doch Lagus sollte nicht recht behalten.
Neues Leben erhielt die Erweckungsbewegung, als in den achtziger Jahren Wilhelm Malmivaara (1854 bis 1921), der Sohn Nils Gustav Malmbergs, die Leitung übernahm. Während er in Kiuruvesi als Pfarrer tätig war, brach dort eine neue Erweckung auf. Von Wilhelmi Malmivaara (Malmivaara ist der finnische Name für Malmberg) stammen viele Lieder in den „Zions-Gesängen”, dem Liederbuch der Erweckten Finnlands. In den ersten Auflagen fanden sich dort auch viele Lieder von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Heute sind es jedoch fast ausschließlich finnische Lieder.
Eines der schönsten geistlichen Lieder von Wilhelmi Malmivaara in den „Zions-Gesängen” ist die Nr. 167, ein Pilgerlied, das übersetzt etwa so lautet:
Ach, Herr, wenn wir am Ende der Erdenreise dich
sehen könnten! Ach, wenn wir einmal den Herrn
in seiner Königsherrlichkeit schauen dürften!
Nach dir sehnt sich mein Herz;
nach dir schreit mein Geist.
Ich bin allein hier in Trauer und Tränen.
Alles andere vergeht, nur du nicht.
Hilfe bekommt mein Herz allein von dir.
Du zählst auch meine Tränen.
Hilf mir, Herr, ich glaube nur,
auch wenn kein Glaube mehr wäre.
Ich laß dich nicht, du segnest mich denn!
Ach, Herr, gewähre mir deine Gnade
und Kraft für die Erdenreise!
Vergib mir, trage mich und führe mich ans Ziel!
Ach, käme im mit der Schar der Erlösten,
auch mit meinen Freunden und Verwandten
einst bei dir droben an, o Herr!
Wenn es doch geschähe!
Um die Predigtweise Malmivaaras zu kennzeichnen, seien einige Sätze aus einer Ansprache zitiert, in der er von einem Kranken berichtet, der sagte, daß er noch am Ende seiner Lebensreise und seines Kampfes am selben Punkte sei wie am Anfang. Malmivaara fuhr dann fort :
„Ach, nach meiner Meinung war auch dieser Kranke in den zwanzig Jahren unerhört vorwärtsgekommen und hatte viel gelernt, war in eine hohe Schule gegangen, obwohl es ihm selbst unbewußt war, und auf eine Weise, die ihm verborgen war! Wenn er nicht diese zwanzig Jahre gekämpft hätte, so hätte er nicht gelernt, daß er am selben Punkt stand, von wo aus er angefangen hatte. Und wenn wir vor dem Herrn meinen, daß wir nicht einen Schritt vorwärtsgekommen sind, wo haben wir wohl dieses gelernt? Das ist keine Aufgabe zum Auswendiglernen, keiner kann es für einen anderen garantieren. Das lernt man in keinem Buch, sondern nur in der Schule des Heiligen Geistes.“
Seit 1888 erscheint die „Geistliche Monatszeitschrift”, die ein Organ der Erweckten Finnlands ist. Dazu erscheinen heute auch noch eine Jugendzeitschrift und andere Blätter.
Mit der „Geistlichen Monatszeitschrift” war ein lang gehegter Wunsch der Erweckten in Erfüllung gegangen. Schon Johan Fredrik Bergh und Henrik Renqvist hatten den Plan der Herausgabe einer christlichen Zeitschrift gehabt.
Jonas Lagus schrieb dazu im Jahre 1834 an seinen Freund J. F. Bergh: „ Dieser Gedanke ist Euch von Gott eingegeben. Von einer solchen Zeitung erwarte ich die gesegnetsten Früchte. In den Gemeinden, in denen das Wort nicht lebendig verkündigt wird, würde dadurch helles Licht verbreitet werden. Viele unkundige und schlafende Lehrer könnten durch Gottes Gnade zur Sorge um ihr Heil erweckt werden. Der liebreiche Erlöser mache uns zu reinen und demütigen Gefäßen, in die er seine Gnade und seinen Geist gießen kann! Will er, ruft er, sendet er uns, so sollen wir durch seine Kraft gegen das Heer der Finsternis kämpfen. Vielleicht wird etwas Saat in gute Erde fallen und Frucht zum ewigen Leben bringen.“
Als Voraussetzung für diesen Zeitungsplan schrieb Lagus in demselben Brief über den geistlichen Zustand im damaligen Finnland folgendes:
„Die Wächter auf den Mauem Zions schlafen; sie sind zum Schweigen gebracht von Weltliebe und Menschenfurcht; Dunkel bedeckt das Volk; das Evangelium wird zur Sicherheit gepredigt ; Jesus ist unbekannt. Gottes Heiliger Geist wird als unwirksam angesehen, und wo er auftritt in Kraft und Stärke, wird er als Hirngespinst, als das Spiel einer entflammten Phantasie angesehen. So ist der allgemeine Zustand in unserem christlichen Finnland. Aber der Teufel weicht nicht vor einer kraftlosen Klage; mit Jammerrufen wird Gottes Tempel nicht erbaut. Laßt uns darum in Jesu Namen und im Vertrauen auf seinen Beistand mit gemeinsamen Kräften ins Feld ziehen gegen die Mächte der Finsternis, die in uns und um uns sind! Laßt uns unser anvertrautes Pfand nichtvergraben, damit wir es mit Zuwachs vorbringen können zu dem Herrn Jesus Christus am Tage seiner großen Ankunft!“
In diesem Sinne trieb Jonas Lagus die Sache eifrig voran, nachdem auch Nils Gustav Malmberg seine Mithilfe zugesagt hatte. J. F. Berg übernahm mit seinem Bruder hauptsächlich die praktischen und technischen Seiten. Im Juli 1 83 5 erhielten sie die Genehmigung des Senats und die des Domkapitels von Porvoo (Borgä) .
Ab 1836 erschien die Zeitschrift unter dem Titel „Zeitung für geistliche Themen“. Die Zensur war jedoch streng, und die Herausgabe der Zeitung brachte mancherlei Schwierigkeiten mit sich. Auch waren die Einnahmen aus dem Verkauf der Zeitung gering. Die finnische Ausgabe erschien bis Mitte 1839 und wurde dann wegen Lesermangels eingestellt. Die schwedische Ausgabe erschien mit verändertem Programm und unter dem Titel „ Evangelisches Wochenblatt” noch bis 1841. Auch Zeitungspläne von Lars Stenbäck aus dem Jahre 1846 gingen nicht in Erfüllung.
1912 wurde die „Erweckungsvereinigung” gegründet, die ihren Sitz in Lapua in Pohjanmaa hat. Dort befindet sich auch der Verlag und die Buchhandlung der Erweckten.
Seit 1893 wird alljährlich in der ersten vollen Juliwoche ein großes Sommerfest der Erweckten abgehalten, an dem etwa 25 000 bis 30 000 Menschen aus fast allen Teilen Finnlands teilnehmen. So fand z.B.1968 das Sommerfest der Erweckten in dem Kirchspiel Ylistaro statt und stand unter dem Gesamtthema aus Jes. 52,12b: „Denn der Herr wird vor euch herziehen.“
Im Jahre 1 965 fand das Sommerfest in dem Städtchen Iisalmi statt unter der Losung aus Psalm 30, 11 : „ Herr, höre und sei mir gnädig ! ” 1962 wurde das Fest in der Stadt Pori in Westfinnland abgehalten.
Einen besonderen Wert legt man auf die Erziehung der Jugend. So wurde 1914 die erste Heimvolkshochschule nach dänischem Vorbild (Pastor N. F. S. Grundtvig) in der Gemeinde Lapua eingeweiht. Es wurden später noch weitere Heimvolkshochschulen gegründet. Die letzte wurde nach dem zweiten Weltkrieg in Valkeala-Selänpää erbaut. Im ganzen gehören den Erweckten heute acht Heimvolkshochschulen, die jeweils von einem Pfarrer geleitet werden.
Etwa ein Drittel der finnischen Pfarrerschaft und die Hälfte der finnischen Bischöfe gehören zu den Erweckten. Die übrigen Pfarrer stehen der Erweckungsbewegung auch wohlwollend gegenüber.
Viele Diakonissen kommen aus erweckten Familien, und so wurde Finnland das Land, in dem es keinen Mangel an Diakonissen und Krankenschwestern gibt. Auch ist die evangelischtheologische Fakultät der Universität von Helsinki die größte der Welt mit übertausend Theologiestudenten, von denen viele aus den erweckten Kreisen stammen.
Möge etwas von dem Geist der finnischen Erweckung auch bei uns in Deutschland lebendig werden!

Anhang
Außer den vielen seelsorgerlichen Briefen (etwa 83), die Paavo Ruotsalainen hinterlassen hat, besitzen wir von ihm nur eine kleine Schrift, die nachfolgend aus ihrer schwedischen Fassung übersetzt und wiedergegeben wird:
Warum werden nicht alle Erweckten selig?
Von einem Finnen, Piteä.
Gedruckt bei Nygren und Johansson, 1847.
Hier folgt eine kurze Ansprache an den geehrten Bauernstand: Was ist die Ursache dafür, daß nicht alle vom Herrn Erweckten selig werden? Diese Ursachen sind nun schon vorher beschrieben und gedruckt worden; aber ihr seid ein hartherziges Volk, ihr meine Mitbrüder! Ihr habt noch nicht die Liebe zur Wahrheit angenommen, wie es in der Bibel geschrieben steht.
Jetzt habe ich in großer Schwachheit in dieser kleinen Schrift zu erkennen gegeben eure, der Bauern, Sorglosigkeit und listige Ränke. Die Betrügereien der Bauern versteht kein anderer besser als ich, der ich der Listigste von allen bin. Aus diesem Grunde schrieb ich einige Zeilen im Namen des Herrn, damit ihr euch nicht verirrt.
Und nun inzwischen, der Herr sei Richter und Zeuge : Wenn diese wenigen Zeilen unrecht geschrieben sind, so bezeugt, daß es unrecht ist und verzeiht meine Beschuldigung ; wenn es aber wahr ist, so tutschnelle Besserung, ehe Gott in seinen gerechten Gerichten euch unter das Gericht der Verhärtung schlägt!
Nun, leb wohl, geliebte Gemeinde, in der Fürsorge des Herrn, der am Kreuze ausrief: „Jetzt ist alles vollbracht!“ Was ist vollbracht? Der allergrößte Sünder, der zu dem Heiland kommt, der am Kreuze hing, soll volle Vergebung für seine Sünden haben. Mit diesen Worten, unser geringer Stand, leb wohl!
Ich komme zu dir, du Bauernstand mit einer kurzen Frage: Was ist die Ursache dafür, daß nicht alle Erweckten selig werden? Im glaube aber wohl, daß die Hauptursache dafür darin liegt, daß sie – obwohl sie gerade erweckt sind -, nicht sofort durch die enge Pforte gegangen sind, die gleich am Anfang des Weges zum Leben liegt.
Jetzt folgt sogleich wieder die nächste Frage :Warum sind sie nicht durch die enge Pforte gekommen, obwohl sie vom Herrn erweckt sind? Die Ursache dafür ist folgende: Dieses Volk ist ein halsstarriges Volk. Es geht ihm so wie dem Volk zur Zeit des Mose, das gegen Gottes Verbot begann, ins Land Kanaan zu ziehen, ohne die Führung des Herrn. Der Bauernstand hat zur Zeit die gleiche Gesinnung.
Jetzt bleibt noch die Frage : Wie mag das wohl unter ihnen zugehen? Es geht dort auf folgende Weise zu : Wenn sie erweckt sind von der Finsternis zum Licht, nämlich zur Erkenntnis ihrer Sünden, so sind sie demütig und bußfertig, so wie Bunyan von ihnen folgendermaßen schreibt : „Wenn die Flammen der Hölle ihnen um die Ohren schlagen, dann sind sie bußfertig.”
Nun ist die nochmalige Frage: Was ist die Ursache dafür, daß es so geht, obwohl sie von Gott erweckt sind? Die Hauptsache liegt darin : Wenn das Gericht des Gesetzes im Gewissen nachläßt, so nehmen sie an – wie es ein jeder gerade braucht -, auf dem Lebensweg der Gerechtigkeit zu sein, der jetzt ihrem eingebildeten Glauben folgen sollte. Aber da nun die Gerechtigkeit des Lebens keinen Fortschritt zeigt nach der Erleuchtung des Gewissens, so fällt ein Teil dieser Menschen in knechtische Furcht, die wiederum Unglauben gebiert. Ein anderer Teil dieser Menschen, die eine weisere Vernunft haben, sind betrübt unter Anfechtungen und Bestrafungen, aber während ihres täglichen Lebens sind sie dennoch leichtsinnig und sicher. Fragst du: Warum sind sie so? Darum, weil sie nicht durch die enge Pforte hineingekommen sind, die am Anfang des Lebensweges liegt, von der Bunyan viel berichtet und von der auch Christus selbst sagt:„ Viele suchen hineinzukommen durch die enge Pforte und werden es nicht können.“
Die Ursache dazu liegt in dem vorher Genannten, daß sie vorzeitig von der Sorge der Buße zu heiligen Übungen übergehen ; und ein Teil mit Gesang, andere mit Gebeten und ähnlichen Mitteln ersticken diese Sorgen nach Gottes Sinn, obwohl sie ihren Taufbundgebrochen haben. Und durch diese Mittel geht nun bei ihnen die rechte Sündenerkenntnis verloren, die Gott in ihnen zu wirken begann.
Nun, es gibt doch jetzt in Finnland erweckte Pfarrer: Können diese sie nicht zum Rechten führen? Nein, die können sie keineswegs zum Rechten führen; denn sie betrügen die Pfarrer und kommen zum Pfarrer wie das Volk, das bereits die Rechtfertigung erlangt hat. Diese fordern vom Pfarrer freudeweckende Seelennahrung.
Der erweckte Pfarrer wiederum ist von Herzen mitleidig. Er bietet sich an, sie aus ihrer knechtischen Betrübnis mit der Milch des Evangeliums zu nähren und zu heilen; was aber nicht auf die Dauer ausreicht. Aus welchem Grunde nicht? Darum, weil sie nicht durch die enge Pforte auf den Weg des Lebens gekommen sind.
Jetzt kommt wieder eine neue Frage : Welches ist die enge Pforte, von der die Schrift so viel spricht? Ist dieses nicht die enge Pforte: Weil der Sünder Gottes Zorn auf sich ruhen sieht und er ein Übertreter des Taufbundes ist, sollte er darum nicht hier gern vordem Herrn stehenbleiben unter allen Bestrafungen, die sich im Gewissen vollziehen, stille stehen vor dem Herrn so lange, bis er inwendig erfahren darf, daß er die fühlbare Gnade rühmen kann?
Nun, warum geben die erweckten Pfarrer ihnen nicht diesen Rat? Die Ursache dazu liegt darin, daß die philosophischen Lehren sie daran hindern. Diese wissen selbst, wie eine große Mühe es kostet, s ich auf dem Weg des Kreuzes zu erniedrigen, welches ja die Beschaffenheit des Reiches Christi so erfordert. Aber mein Ziel ist es nicht, zu Philosophen oder Gelehrten zu reden. Sie wissen am besten selbst, ob ihr Weg gerade oder krumm ist.
Aber jetzt ist hier schon wieder eine neue Frage: Haben diese denn gar keine Gnade mehr, die in die eben erwähnten Irrungen geraten sind? Hierauf mußgeantwortet werden : Sie haben die große Gnade nach der eigenen Verheißung des Herrn, wenn sie sich von ganzem Herzen zum Herrn bekehren. So bezeugt es ja der Herr selbst: An welchem Tag der größte Sünder zu ihm kommt, soll seiner Übertretungen nicht mehr gedacht werden; so wie auch der Heiland selbst seine Güte erwies dem Schächer am Kreuz in letzter Stunde und dem verlorenen Sohn; alle wurden errettet als ein ermutigendes Beispiel.
Jetzt möchtest du gern die einfältige Ordnung zur Seligkeit wissen, du Bauernstand ! Aber ich antworte dir in Kürze: Du mußt in dieser Zeit des großen Lichtes dir eine rechte Kenntnis von Gottes Wort zulegen, in welcher Ordnung Gott auch den allergrößten Sünder gerechtsprechen will. Du mußt erkennen lernen die Ursache der Erlösung Christi; obwohl die Pfarrer viel Aufhebens von dieser Erlösung machen, so sagen sie doch nur selten den rechten Anfang davon für den einfältigen Bauernstand. Nun, wenn wir uns einerechte Kenntnis davon verschaffen wollen, dann müssen wir uns zur Geschichte der Heiligen Schrift wenden, wo das Wort lautet: „Welches Tages du von der Frucht des verbotenen Baumes issest, wirst du des Todes sterben.” Nun, wie ging es? Der Menschbrach das Gebot und fürchtete nicht den berechtigten Zorn Gottes.
Nun, du willst jetzt wiederum von Gott wissen, da geschrieben steht: Er ist barmherzig, konnte er nicht in diesem Zusammenhang Adams Übertretung verzeihen? Nein, das konnte er auf keine Weise, ohne seine eigene Heiligkeit aufzuheben. Aber jetzt erbarmte sich der Herr über Adam, er gab die Verheißung von Christus, der vor dem gerechten Gott Adams Verbrechen bezahlte. Jetzt bleibt noch die Frage: Wie ist denn dieser Christus? Das, lieber Freund, hast du doch schon gewußt von deiner Kindheit an und vom Konfirmandenunterricht. Der allmächtige Gott ließ einen Teil seines Geistes als Mensch geboren werden, der leiden und sterben sollte.
Da taucht jetzt die Frage auf: Warum konnte nicht auch ein heiliger Mensch dieses ausrichten? Die Schuld war zu groß, als das ein bloßer Mensch deren Bezahlung vollbringen konnte, was du ja aus dem Katechismus weißt. Hierin liegt nun die Ursache, warum unsere Gerechtigkeit vor dem Herrn nichts taugt. Da ein bloßer Mensch nicht dazu taugte, Adams Schuld zu bezahlen, so taugt noch viel weniger unsere Gerechtigkeit zu irgend etwas, es sei denn zur Wiedergeburt. Aber diese Kunst siehst du gering an, obwohl die Pfarrer so viel davon predigen und poltern.
Nun, möchtest du wiederum gern wissen wollen, was die neue Geburt ist. Der erste Schritt zur neuen Geburt ist folgendermaßen: Sobald du in deinem Gewissen in größerem oder geringerem Maße spürst, ich kann nicht glückselig werden in diesem Zustand, so wisse, daß dieses Gottes Ruf ist! So gib auch dem Ruf die Ehre! Aber auf welche Weise kannst du ihm Ehre geben, wenn du doch geistlich tot bist? Hier folgt ein kurzer Rat: Stell’ Gottes Allwissenheit vor die Augen deines Verstandes! Du kennst ihn nicht, aber er kennt dich. Und wenn du nicht beten kannst, wie das Wort es fordert, so sehne dich danach, daß der Herr in Gnaden dich ansehen möge ! Wackle hierbei nicht hierin und dorthin, wenn du keine Antwort bekommst! Halte so lange vor dem Herrn aus mit deinem Sehnen, bis du innerlich erfahren kannst: „Jetzt wage ich es, Christus innerlich als meinen Helfer anzueignen, auch wenn ich ein noch so großer Sünder bin.“
Das ist nun das, was in der Heiligen Schrift als Kindschaft bezeichnet wird. Und wenn der Herr es dann für gut befinden sollte, dich länger im „Trauerhaus” bleiben zu lassen, so ist das für dich heilsam und nützlich, damit du schon am Anfang dein Verderben gründlich kennenlernst, wovon der Heiland schon sagt, gerade in bezug auf diese Trübsale. „Selig sind die Trauernden, selig sind die geistlich Armen.“
Aber warum bist du trotzdem so ungeduldig? Wenn du nicht nach deinem Sinn Trost und Erquickung bekommst, so fällst du schnell in sklavische Furcht, die dann in dir Unglauben erzeugt. Und in diesem Zustand läufst du, um Hilfe bei Menschen zusuchen und nicht in aller Einfalt beim Erlöser, obwohl du schon von Anfang an den einfältigen Weg kennengelernt hast.
Doch wie kann es zugehen, daß du Hilfe bei Menschen suchst? Das geschieht auf diese Weise: Du zählst den Gelehrten auf alle Gewissensübertretungen und betrüglichen Ränke in der Absicht, daß du auf diese Weise Seelenruhe und Frieden bekommen würdest. Aber diese brauchen nur dem allwissenden Erlöser und nicht den Menschen aufgezählt zu werden.
Aber ihr habt entgegen Gottes Warnung euer betrügerisches Herz zu einem Abgott für euch selber gemacht. Wie geht das zu? Das geht auf diese Weise zu: Wenn von euren Herzen gute Gedanken aufsteigen sollten, da setzt ihr euer Vertrauen auf den Heiland. Aber wenn daraus böse Gedanken aufkommen, weil das Herz die Wohnung alles Bösen ist, so versteckt ihr euch in diesem Zustand vor dem Herrn wie Adam im Paradiese. In diesem Zustand sucht ihr mehr Hilfe von Menschen als von Gott, wie eben gesagt.
Nun, gewiß raten euch auch die Gelehrten, zu Christus zu gehen . Aber warum hilft dieser Rat euch nicht? Der Rat hilft nicht, und der Grund dafür ist dieser: Wenn du dir Sorgen machst, im Sinne Gottes, zum Unglauben, so erquickt das dich keineswegs, auch wenn Hunderte von Erlösern sich mit dir verloben würden. Lies die Schriften der Apostel, in welchen folgendes geschrieben steht: „Daß ihr betrübt seid nach Gottes Sinn, welche Sorge hat das in euch hervorgerufen! „Und solange du ungeduldig bist über die göttliche Sorge, so bist du gehorsam deinem eigenen betrüglichen Herzen, das allezeit nur aus dir heraus Furcht vor Gott und vollen Unglauben gebiert.
Jetzt wende ich mich, liebe Freunde, in großer Schwachheit an euch. Ich bin von all diesen Versuchungen auch geplagt, die ich euch hier vorhalte, aber ich habe mich nicht als Sklave unter diese Versuchungen begeben. Ich habe auf das Beispiel de alten Heiligen gesetzt, die der Herr züchtigen mußte bis zum Sterben des Fleisches, die sich im Glauben an Gott gerühmt haben : „Wenn auch der Herr töten sollte” ; das ist ihr Zeugnis.
Ich gönne euch Besseres, meine Freunde, daß ihr solltet lieber öffentlich zu der Welt übergehen, nachdem ihr nicht mit dem Weg des Kreuzes zufrieden seid. Und dieses, liebe Freunde, diese wenigen Zeilenhabe ich nicht auf irgendeine Weise euch zur Verärge68rung schreiben wollen, sondern um euch eure angeborene Trägheit zu zeigen, wie wenig ihr geistliche Bücher lieben wollt, aus denen für uns alle der einfaltige Weg vorgeschrieben ist, so wie in den Schriften des verstorbenen Fresenius sich alles findet, was ein Christ braucht.
Und jetzt sage ich zum Schluß zu euch:
„Demütigt euch unter die allmächtige Hand Gottes, daß er euch auch erhöhe zu seiner Zeit”, wie er versprochen hat. Lebt nun wohl, liebe Mitbrüder, im Namen des Herrn, der euch erweckt hat!

PAAVO RUOTSALAINEN (1777 – 1852), ein schlichter finnischer Bauer, war von Gott dazu ausersehen, der gesegnete Träger einer Erweckungsbewegung in seiner Heimat zu werden. Gleich noch seiner eigenen Bekehrung begann er seine Tätigkeit als Laienseelsorger, die nicht nur auf seine Heimatgemeinde beschränkt blieb. Auf ausgedehnten Reisen durchquerte er ganz Finnland mit der Botschaft des Evangeliums. Bald erhob sich auch der Widerstand seitens der Pfarrerschaft und der Behörden gegen die sich ausbreitende Erweckungsbewegung. Paavo und seine Anhänger wurden in Kämpfe und Prozesse verwickelt, die aber den Siegeszug der Erweckung nicht aufhalten konnten. Als Paavo mit zunehmendem Alter selbst nicht mehr reisen konnte, betätigte er sich vornehmlich durch seelsorgerlichen Briefwechsel mit seinen Freunden und Mitarbeitern und vielen Ratsuchenden. Noch seinem Tode erlebte die Erweckungsbewegung zunächst mancherlei Rückschläge, wurde aber in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts neu belebt, so daß heute etwa ein Drittel der finnischen Pfarrerschaft und die Hälfte der Bischöfe zu den Erweckten gehören. Der treue Dienst des „Rufers in der Wildmark” Paavo Ruotsalainen ist nicht vergeblich gewesen.




Kontakt mit dem Höchsten (K.E.Koch)

Kurt E. Koch

KONTAKT MIT DEM HÖCHSTEN

INHALT
1. OHNE KONTAKT

2. HERGESTELLTER KONTAKT
3. DER NOTSCHREI DER UNGLÄUBIGEN
4. DAS FLEHEN DER GLÄUBIGEN
5. GEBET UNTER DANKSAGUNG

6. IM FEUEROFEN DER ANFECHTUNG

7. DIE FÜRBITTE

8. DAS EROBERNDE GEBET

9. BETEN UND FASTEN

10. DIE ANBETUNG
11. GEBETSZEITEN UND GEBETSLEBEN

12. GEBETSERHÖRUNGEN
13. DIE MACHT DES GEBETES
14. NICHT ERHÖRTES GEBET
15. GOTT ALS PARTNER UND VATER

1. OHNE KONTAKT
Im Frühjahr 1977 brachte eine Tageszeitung die Meldung von der Heimkehr eines ehemaligen Kriegsgefangenen aus Sibirien. 33 Jahre lang war er von seiner Frau getrennt. Über drei Jahrzehnte ohne Kontakt mit Menschen, die er liebt. Der Ehefrau war es nach dem Krieg gelungen, nach dem Westen zu fliehen. Ihre wartende Treue wurde belohnt. Im Zuge der Familienzusammenführung durfte der Mann in die Bundesrepublik ausreisen.
Unterbrochene oder verhinderte Kontakte können zu schmerzlichen Erlebnissen führen. Abertausende von Menschen haben das nach dem Krieg erlebt. Es gibt aber auch zu normalen Zeiten solche enttäuschenden Ereignisse des Kontaktmangels oder der Kontaktbehinderung. Ich will ein bißchen erzählen.
Vor einer Reihe von Jahren hatte ich in Lima, der Hauptstadt Perus, einige Vorträge, sowohl in der deutschen Evangelischen Kirche, als auch in einer peruanischen Gemeinde. Mein Gastgeber war ein Peruaner. Während dieses Aufenthaltes suchte der damalige Bundespräsident Lübke einige südamerikanische Hauptstädte auf und kam auch nach Lima. Ich war wie aus allen Wolken gefallen, als mir ein Bote die Einladung zu einem Festbankett mit Bundespräsident Lübke brachte. Wie ich zu dieser Einladung gekommen war, habe ich nie erfahren. In der politischen Welt bin ich völlig unbekannt.
Natürlich hatte ich die Absicht, diese Einladung anzunehmen. Abends 6 Uhr sollte das Bankett mit einer Rede Lübkes steigen. Mein südamerikanischer Gastgeber machte mir klar, daß alle politischen Anlässe in Südamerika zwei Stunden früher angesetzt werden, weil man der südamerikanischen p‑a-t‑i‑e‑n‑c‑i‑a (Geduld) Rechnung trägt. Ich antwortete dem Peruaner: “Lübke ist aber ein Deutscher und kein Südamerikaner. Bei uns in Deutschland gibt es so etwas wie eine preußische Pünktlichkeit.” Ich konnte meinen Gastgeber nicht überzeugen und nicht überreden, mich vor 6 Uhr zu dem Bankett zu fahren. Da ich dauernd drängte, fuhr er 20 Minuten vor 8 Uhr los. Pünktlich um 8 Uhr waren wir da. Die Festversammlung war zu Ende, die Gäste schon verschwunden. Die Kellner waren gerade dabei, die Tische abzuräumen.
Es war gut, daß der Peruaner nicht in mein Herz sehen konnte. Dieser Mann hatte mir diesen wünschenswerten Kontakt durch seine südamerikanische Langweiligkeit zerstört.
Ein andermal zerstörte ich mir selbst einen Kontakt. Nach einer Vortragstour in USA erhielt ich einen Brief von Arthur Rubinstein. Er schrieb, daß er im Zusammenhang mit meinem Buch Between Christ and Satan einige Fragen habe, um deren Beantwortung er bitte. Was nun folgt, ist für Musikfreunde ein Skandal. Ich bekomme seit Jahren so viele Zuschriften aus aller Welt, daß ich die Briefe nicht mehr alle lesen, geschweige denn beantworten kann. Seelsorgebriefe haben den Vorrang. Briefe mit Fragen, Auskünften und Diskussionen bleiben gewöhnlich unbeantwortet und werden ein Opfer des Papierofens. So ging es mit dem Brief von Rubinstein. Als ich später erfuhr, wer Arthur Rubinstein ist, raufte ich mir die Haare. Ich Greenhorn hatte es nicht gewußt. Ein unverzeihlicher Bildungsmangel, für den ich hart bestraft worden war. Selbstverständlich hätte ich diesem berühmten Pianisten Antwort gegeben.

Wenn mancher Mann wüßte,

wer mancher Mann wär,

gäb mancher Mann manchem Mann

manchmal mehr Ehr.

So lautet der Kehrreim. Ich hatte durch meine Bildungslücke mir einen großartigen Kontakt zerstört.
Ein anderes Erlebnis war für mich zuerst verletzend, habe es aber doch zuletzt verstanden. 1955 sprach Billy Graham in Mannheim. Zu jener Zeit war ich Jugendpfarrer in dieser Stadt und bekam vom Dekan der Evangelischen Kirche den Auftrag, mit meinen Mitarbeitern die Veranstaltung von Billy Graham vorzubereiten. Es gab eine Menge Arbeit. Wir mieteten das Stadion, das rund 45.000 Menschen fassen kann. Zehn Wochen lang hatten wir alle Hände voll zu tun. Riesige Transparente standen vor dem Eingang:

Jesus der Weg

Jesus die Wahrheit

Jesus das Leben

Mit Handzetteln, Plakaten, Inseraten, Artikeln hatten wir ganz Nordbaden überschwemmt. Mit dem Erfolg waren wir zufrieden. 42 000 Besucher füllten das Stadion, in dem Billy eine zentrale packende Heilsbotschaft gab.
Einige Wochen nach dieser Großversammlung traten noch einige Fragen der Nacharbeit auf. Ich schrieb Billy Graham an. Keine Antwort. Ich versuchte es ein zweites Mal und sandte ihm mein Buch Seelsorge und Okkultismus und wiederholte die Fragen. Keine Reaktion. Ich schüttelte den Kopf und sagte einem Freund: “Jetzt habe ich mit meinem ganzen Stab zehn Wochen für die Veranstaltung dieses Mannes gearbeitet, und er würdigt mich nicht einer Antwort.”

Viel später entdeckte ich des Rätsels Lösung. In dem Artikel eines amerikanischen Blattes stand, daß jährlich etwa fünf Millionen Zuschriften Billy Graham erreichen. Das gibt rund gerechnet pro Tag 13 700 Schreiben. Soll das ein Mann lesen können? Werden zehn Menschen an einem Tag damit fertig? Nein, hundert Menschen hätten täglich 137 Briefe zu lesen und zu beantworten. Auch das ist unmöglich. Als ich diese Notiz gelesen hatte, zerrann jegliche Verstimmung in ein Nichts. Aber nicht nur Billy Graham stöhnt unter der Last der Zuschriften, auch kleine Evangelisten leiden oft unter den gleichen Nöten. Das ist der Grund, warum ich einmal in einem Rundbrief veröffentlichte: “Bitte, nach Möglichkeit mich nicht anschreiben.”

Es gibt nun einmal Situationen, in denen keine Kontakte von Mensch zu Mensch möglich sind oder durch menschliche Begrenztheiten zunichte gemacht werden.
Damit Billy Graham hier nicht beschattet wird, noch ein kleiner Hinweis. Der damals unmöglich erscheinende Kontakt ist heute hergestellt. Billy schrieb das Vorwort zu meinem Buch Koreas Beter und sendet mir an Weihnachten und bei anderen festlichen Anlässen schon 12 Jahre seine Grüße.

Den Menschen o h n e K o n t a k t gilt mein Mitgefühl. Es gibt so viele Leidende, Kranke, Einsame, vom Leben Enttäuschte, die zu ihrer Umgebung keinen Kontakt haben! Sie leiden mehr, als ihre Umwelt das weiß. Inmitten vieler Menschen sind sie einsam und unverstanden. Ich habe dieser Tragödie mein Taschenbuch Angst und Einsamkeit gewidmet. Das beste Beispiel dieser Kontaktlosigkeit haben wir in der Bibel.
In Johannes Kapitel 5 wird berichtet, daß Jesus am Teich Bethesda einen Schwerkranken anredete. Der Kranke antwortete ihm: ‘Herr ich habe keinen Menschen.’ (Vers 7) Mit niemand Gemeinschaft, mit niemand ein Verhältnis der Freundschaft, mit niemand K o n t a k t !

Gibt es in dieser chaotischen Zeit nicht Hunderttausende, die dieses Bekenntnis ablegen könnten? Muß es bei dieser Kontaktlosigkeit bleiben? ‑ Nein!

2. HERGESTELLTER KONTAKT
An einer Stelle funktioniert die Verbindung. Ein technisches Bild soll in den Fragenkreis einführen. Vor Jahren brachte Readers Digest die Nachricht, daß zwischen Washington und Moskau eine direkte Kabelverbindung besteht. Man nennt sie den heißen Draht. Bei Kriegsgefahr oder politischen Verwicklungen globalen Ausmaßes kann der Präsident der Vereinigten Staaten den russischen Staatschef ohne Zwischeninstanz in wenigen Sekunden erreichen. Was soll allerdings Gutes dabei herauskommen, da einer dem anderen nicht traut oder gar als Weltfeind Nr. 1 ansieht?
Immerhin kann diese technische Einrichtung die Brücke zu einer biblischen Wahrheit andeuten.
Es gibt einen anderen heißen Draht, bei dem nicht Mißtrauen, sondern Vertrauen zwischen den Gesprächspartnern besteht.
Von dieser Direktleitung steht oft in der Bibel. In Jeremia 33, 3 sagt Gott:

Rufe mich an, so will ich dir antworten.


Man hat diese Stelle Jer. 33,3 schon die Telefonnummer Gottes genannt. In einer Sekunde erreichen wir nicht den nächsten Kontinent, sondern den Himmel, den lebendigen Gott. Welch ein ungeheures Ausmaß hat diese Direktleitung! Kein Fernamt, kein überlastetes Kabel, keine verschwommene Satellitenübertragung kann dieses Direktgespräch stören.
In welch einer glücklichen Lage sind die Kinder Gottes! Wir haben in Psalm 91, 14‑15 die feste Zusage:

Er begehrt mein, so will ich ihm aushelfen.

Er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.

Er ruft mich an, so will ich ihn erhören.

Ich bin bei ihm in der Not.

Ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.

Hier ist die Leitung nicht besetzt. Hier kann sich niemand dazwischenschieben, kein Bischof, kein Priester, kein Pharisäer, kein Gemeinschaftspapst.
Zum Glück kann keine Kirche, keine Missionsleitung und keine Sektengruppe die Passierscheine zum Himmel verteilen, sonst wären die Elenden, die Zertretenen, die Ausgestoßenen abgeschrieben.
Wir haben einen Gott, der die Elenden hört, einen Herrn, der denen eine Direktleitung freihält, denen die Frommen die Türe vor der Nase zuschlagen.
Hören wir davon aus dem Wort Gottes:

Ps. 10,17    Das Verlangen der Elenden hörst du Herr.

Ps. 34,7      Da dieser Elende rief, hörte der Herr.

Jes. 49,13   Der Herr erbarmt sich seiner Elenden.

Wie bin ich froh über diese Zeugnisse der Bibel! Sie sind meine Rettung.
Ich bin ein Teilnehmer der Direktleitung zum Vater im Himmel. Diese Direktleitung hat viele Formen.

Nennen wir einige:

3. DER NOTSCHREI DER UNGLÄUBIGEN

Not lehrt beten, sagt das Sprichwort. In der letzten Sekunde des Lebens hat sogar schon mancher das Schreien gelernt, auch das Schreien zu Gott.
Im Bombenhagel des Krieges, im russischen Sperrfeuer, beim Absturz von einer hohen Felswand haben schon viele das Schreien gelernt.

Ich erinnere mich an ein Erlebnis aus meiner Kindheit. In unserer Kreisstadt, nur 7 km von dem elterlichen Haus entfernt, war ein Tag für Kunstflug angesetzt. Dabei gab es auch Absprünge mit dem Fallschirm. Ein solcher Springer ‑ er hieß Fußhöller ‑ sprang aus 500 in Höhe ab, und sein Fallschirm öffnete sich nicht. Er schrie aus Leibeskräften, so daß alle Zuschauer es hören konnten. Es war umsonst. Wer hätte Hilfe bringen können? Sein Körper schlug auf, so daß die Grasnarbe den deutlichen Abdruck zeigte. Für mich, der damals nur elf Jahre alt war, bedeutete das ein aufwühlendes Erlebnis, das ich viele Jahre nicht vergessen konnte. Darum kann ich mich noch heute mit 64 Jahren an den Namen des tödlich abgestürzten Mannes erinnern.

Das Schreien in den letzten Momenten des Lebens wird oft nicht mehr gehört. Darum verlasse sich niemand auf die sogenannte “Schächergnade”. Mein langjähriger Freund und Seelsorger, der vor einigen Jahren starb, Gottlieb Weiland, rief bei Evangelisationen oft in die Zuhörermenge hinein:

Heut lebst du, heut bekehre dich,

eh’s morgen kommt, kann’s ändern sich!

Wer heut gesund ist, frisch und rot,

ist morgen krank, vielleicht gar tot.
Wenn du dann sterbest ohne Buß,

dein Leib und Seel verderben muß.

Auch andere Ereignisse sind mir bekannt, da Gott solche Notschreie erhört hat. Ich kenne von Kind auf eine Missionarin, die als 17-jähriges Mädchen in der Nähe von Karlsruhe im Rhein badete. Sie geriet in einen Strudel, der sie herumwirbelte und dann in die Tiefe zog. Sie war eine gute Schwimmerin und warf sich quer über den Wirbel, doch der Sog war stärker. In diesem Kampf um ihr Leben schrie sie zu Gott und versprach: “Mein Leben soll dir gehören, wenn du mich hier rettest.” Zunächst wurde sie von der Strömung unter der Wasseroberfläche ein großes Stück mitgerissen. Sie konnte so lange gar nicht die Luft anhalten und schluckte einige Male Wasser. Dann trieb die Strömung sie wieder an die Oberfläche. Sie erreichte das Ufer und brach dort erschöpft zusammen. Sie überstand diesen lebensbedrohlichen Unfall. Durch ein weiteres Eingreifen Gottes übergab sie dann ihr Leben Jesus und dient ihm bis heute.
Man mag fragen, warum hat Gott den Notschrei des Fallschirmspringers nicht erhört, dagegen den des Mädchens.

Manche werden prompt antworten: “Bei dem ersten Fall war nichts zu machen, beim zweiten Fall war die Rettung nichts Ungewöhnliches.”
So einfach darf man es sich nicht machen. Mir sind allein vier Fälle bekannt, da Menschen bei einem Absturz aus einigen tausend Metern mit dem Leben davongekommen sind. Als ehemaliger Flieger habe ich mir diese Fälle wohlgemerkt:
Ein Engländer sprang während des Krieges in 6400 m Höhe aus seiner brennenden Lancaster ohne Fallschirm ab und landete unverletzt im Gestrüpp und Schnee eines Waldes.
Juliane Köpke, die Tochter des bekannten Ornithologen in Pucallpa, den ich kenne, stürzte im Urwald der Shipibo ab, brach sich das Schlüsselbein, kam aber mit dem Leben davon.
Eine tschechische Stewardeß stürzte mit einem Jet aus 10 000 in Höhe ab und blieb am Leben.
Im Sommer 1976 wurde berichtet, daß ein Fallschirmspringer aus 2000 in sprang. Es öffnete sich weder der Hauptschirm noch der zweite Notschirm. Er brach sich ein Bein und erlitt innere Verletzungen, kam aber mit dem Leben davon.
Damit ist die gedankenlose Antwort abgewehrt, als könne Gott nicht auch einen Menschen retten, dessen Fallschirm sich nicht öffnet.
Der Unterschied zwischen Fußhöller und dem 17jährigen Mädchen kann viele andere Gründe haben.
Oft habe ich im Leben der Menschen beobachtet, daß junge Menschen bewahrt bleiben, wenn Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern Beter waren. Entschieden gläubige Menschen beten mindestens vier Generationen voraus. Gott kann über viele Generationen hinweg Gebet erhören. Der Herr kann den Notschrei eines Ungläubigen erhören, wenn er an die betende Großmutter oder Urgroßmutter denkt.

Ein biblisches Beispiel liegt in dieser Richtung. In 1. Mos. 19, 29 heißt es:
“Da Gott die Städte in der Gegend verderbte, gedachte er an Abraham und geleitete Lot aus den Städten, die er umkehrte, darin Lot wohnte.”
Nächst der Barmherzigkeit Gottes war es die Rettung Lots, daß er einen betenden Onkel besaß.

Es gibt noch viele Antworten auf die Fragen nach den Unterschieden. Der Kernpunkt ist der Wille und die Planung Gottes, in die wir nicht hineinsehen können. Bei der Siebzehnjährigen war es so, daß Gott sie als Missionarin haben wollte. Und er kam damit zum Ziel. In manchen Fällen geht es nicht anders, als daß der Herr solche Ungläubige bis zum äußersten Stadium der Lebensbedrohung führen muß, bis der Ungläubige vor ihm kapituliert.

4. DAS FLEHEN DER GLÄUBIGEN
Die echte Voraussetzung des Kontaktes mit Gott ist das Kindschaftsverhältnis zum Vater im Himmel. Das Kindschaftsverhältnis zum himmlischen Vater entsteht nicht durch unsere natürliche Geburt, sondern durch unsere Wiedergeburt.
Was verstehen wir unter einer Wiedergeburt? Es ist schon viel über diesen Begriff diskutiert und geschrieben worden. Eines steht fest ‑ und das sage ich als einer, der von der lutherischen Theologie herkommt ‑, daß wir in der Bibel keine Stelle finden, die davon zeugt, daß die Kindertaufe die Wiedergeburt darstellt. Als ein unumstößlicher Felsblock steht in Markus 16, 16:
“Wer da glaubt und getauft wird, der wird errettet werden.”

Es soll hier nicht gestritten werden. Selbst den Lutheranern sollte es zu denken geben, daß der berühmte lutherische Bischof Bezzel sagte:
“Die Taufe, die nicht zur Bekehrung führt, hat keinen Wert.”

Was bedeutet die Wiedergeburt? Um das Wort geht es nicht. Wir können dafür auch Bekehrung sagen, Umkehr, Lebenserneuerung, geistliche Umorientierung oder sogar das anrüchige Wort “Umfunktionierung” gebrauchen. Es geht nicht um Wortklauberei, sondern um die Tatsache, daß der sündige Mensch vom Geist Gottes erfaßt und erneuert wird.

Man hat mich oft gefragt, wie man dazu kommt.
Im Rahmen dieser kleinen Schrift kann ich nicht ausführlich darüber sprechen. Kurz zusammengefaßt finden wir eine Antwort in 1. Joh. 1, 9:

So wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu, daß er unsere Sünde vergibt und reinigt uns.
Ich will es in Befehlsform ausdrücken: Bitte darum, daß Gott dir die Augen über deiner Schuld öffnet, sprich dich mit einem Seelsorger aus! Bitte um Vergebung, übergib dein Leben Jesus! Folge ihm nach diesem ersten Schritt treu nach!
Dieser Vorgang ist ein Werk des Heiligen Geistes, ein Geschenk der Gnade Gottes, um das wir ernstlich bitten dürfen und müssen, um es dann im Glauben anzunehmen.
Dann ist der große Kontakt mit Gott hergestellt, und wir haben die wunderbare, gewaltige Voraussetzung für erhörliches Beten.

Wer Kindesrecht hat, gehört zur Gottesfamilie und darf allezeit seine Nöte und Anliegen dem Vater vortragen. Das habe ich selbst reichlich in meinem Leben ausgenützt und ausprobiert.
Vor einigen Jahren hatte ich in New York eine Vortragswoche. Der Pastor der Presbyterianischen Kirche hatte Themen über den Okkultismus verlangt, weil die Umgegend voller Zauberei steckt. Mir sind solche Themenreihen unangenehm, weil man da stets mit harten Angriffen Satans zu rechnen hat.
Beim fünften Vortrag bekam ich plötzlich einen Blutsturz aus den Bronchien oder der Lunge. Ich mußte die Vortragswoche abbrechen. In der Nacht erbrach ich wieder viel Blut. Am nächsten Morgen brachten mich meine Gastgeber in ein Spital zu einem Lungenfacharzt. Nach der Untersuchung erklärte er: “Sofort hier im Krankenhaus bleiben!” Ich fragte vorsichtig nach den Preisen. In New York geht ja das berüchtigte Sprichwort: “Bleibe einen Monat im Krankenhaus, und du stehst vor einem Konkurs.” Nach der Auskunft, daß mich der Tag 1000 bis 1200 Mark kosten würde, fragte ich weiter: “Kann ich in diesem Zustand noch nach Deutschland zurückfliegen?” Die Antwort des Spezialisten: “Es ist ein Risiko. Es kann sich alles wiederholen.”
Trotz der Warnung flog ich sofort zurück und hatte im Flugzeug nochmals zwei Blutstürze. Daheim angekommen, rief ich fünf verschiedene Krankenhäuser an und bat, aufgenommen zu werden. Alle fünf lehnten ab mit dem Hinweis, es sei alles besetzt. Eine Heidelberger Klinik sagte: “Wir können höchstens ein Bett auf den Flur stellen.” Inzwischen bekam ich daheim noch einmal fünf Blutungen. Ich verlor insgesamt etwa 2 Liter Blut. Da kam mir der Gedanke, einen Schweizer Freund anzurufen. Was in Deutschland nicht möglich war, geschah in der Schweiz. Zwei Spezialkliniken sagten sofort zu. Ich entschied mich für die Bernische Höhenklinik in Montana. Das neue Problem war die weite Strecke dorthin mit der Gefahr neuer Blutstürze. Insgesamt hatte ich elf, bis ich Montana erreicht hatte.
Viele gläubige Freunde, die ich informiert hatte, beteten für mich. Das schmerzlichste war mir, daß ich mein Programm in USA nicht weiterführen konnte. Als mein Organisator in Minneapolis von meiner Erkrankung informiert wurde, antwortete er: “Ich habe 1500 Dollar (damals zwischen 5000 und 6000 DM) für die Werbung ausgegeben. Wer kommt nun dafür auf?”
Als ich bei der Einlieferung in Montana mit dem Chefarzt Dr. Frühberger sprach, fragte ich sofort: “Wie lange muß ich hierbleiben?” Er antwortete: “Mindestens fünf Wochen.” Ich hielt aber eifrig Zwiesprache mit dem Arzt aller Ärzte. Nach neun Tagen verließ ich Montana, flog zurück nach USA und hielt meine Reich‑Gottes‑Arbeiterkonferenz in Mineapolis, die größte, die ich je hatte. So hatte mein Organisator Quinton Alfors nicht einen Dollar an mir verloren, ich aber hatte die beglückende Erfahrung gemacht, daß der Herr in der schwierigsten Situation helfen kann. Die Blutstürze wiederholten sich nie wieder.
Wohl uns, wenn wir Kindesrecht haben und rufen dürfen: “Abba, lieber Vater!” (Röm. 8, 15)

5. GEBET UNTER DANKSAGUNG

Der Apostel Paulus schreibt in Epheser 5,20: “Saget Gott Dank allezeit für alles!” Allezeit für alles? Das will gelernt sein.
Paulus hat das nicht nur geschrieben, sondern auch praktiziert. Als Paulus und Silas in Philippi ins Gefängnis geworfen worden waren, und ihre Füße im Stock steckten, dankten sie Gott. Es heißt in Apg. 16, 25: “Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott.”
Unsere Gebete können sehr egoistisch sein. Es dreht sich alles um unser Wohlbefinden. Die Erfüllung unserer Wünsche steht obenan. Damit machen wir uns zu Bettlern und versäumen, daß wir das “königliche Priestertum” vor Gott wahrnehmen (l. Petr. 2,9).
Danken dürfen wir. Wofür? Zuerst, daß Jesus an einen Holzbalken genagelt wurde und unsere Schuld auf sich nahm.
Danken, daß wir eine lebendige Hoffnung seiner Wiederkunft und des ewigen Lebens haben.
Danken, daß die Verheißungen der Bibel wahr sind und wir sie in allen Lebenslagen gebrauchen dürfen. Die Reihe kann endlos fortgesetzt werden.

Vor einigen Jahren hatte einer meiner Freunde einen Dienst der Verkündigung in Berlin. Er fuhr mit der U‑Bahn, die zur Rushhour (Berufsverkehr) vollbesetzt war. Beim Anhalten drängten sich viele zur Tür. Er war einer der letzten. Die automatischen Türen schlossen sich, und sein flatternder Mantel wurde eingeklemmt. Der Zug schleppte ihn 400 Meter weit mit, bis endlich einer die Notbremse zog. Wie fand man ihn? Beide Beine waren unter dem Knie total abgetrennt, dazu kamen weitere schwere Verletzungen. Als er endlich im Krankenhaus nach der chirurgischen Versorgung seiner Beinstümpfe aus der Narkose erwachte, dankte er: “Herr, du hast mich durchgebracht.” Danken, wenn einem beide Beine abgefahren worden sind?

In Soddo in Äthiopien sprach ich in einer Blindenschule vor 120 blinden Kindern und drei blinden Lehrern. Einige der Blinden haben es gelernt, dafür zu danken, daß der Herr Jesus in der Dunkelheit ihr Licht ist (Micha 7,8).

Danken für alles! An dieser Lektion bin ich oft zuschanden geworden. Nachdem ich zweimal in Neuseeland in rund 15 Städten evangelisiert hatte, wurde ich zum drittenmal eingeladen. Aufgrund der ersten Erfahrungen sandte ich für einige tausend Mark Bücher voraus. Dann kam auf Betreiben einer extremen Gruppe eine Absage. Meine Bücher waren aber in Neuseeland. Sie wurden weder bezahlt, noch kamen sie zurück. Ich schrieb mehrere Briefe nach Neuseeland und richtete nichts aus. Mein Gesamtschaden war rund 7200 DM. Paulus aber sagte: “Allezeit danken für alles.” Ich tat wenigstens das eine. Ich betete, daß der Herr die Bücher gebrauche und segne, damit Leser den Herrn Jesus finden und frei werden könnten. Dann sind die Bücher vom Himmel her bezahlt. Das sind durchaus keine absurden Gedanken. Ein Beispiel, das in dieser Richtung liegt, soll erwähnt werden.

Vor vielen Jahren evangelisierte ich in der Marienkirche in Minden (Westfalen). Etwa ein halbes Jahr später erhielt ich von einem jungen Mann von Minden einen Brief. Er bekannte: “Ich habe bei Ihrer Evangelisation in der Marienkirche Bücher im Wert von 20,‑ DM gestohlen. Nach dem Lesen fand ich den Herrn Jesus. Nun will ich diesen Diebstahl beichten und Ihnen die Bücher bezahlen.” Ich dachte, um diesen Preis, daß Bücherdiebe sich bekehren, dürfen mir alle Bücher gestohlen werden.

Nach mehreren Vortragstouren in den Vereinigten Staaten bestellte ein Missionar bei mir 5000 Broschüren. Mein Verlag sandte sie nach USA. Sie wurden nie bezahlt. Und das Ganze blieb an mir hängen. Danken allezeit für alles! Das ist mir oft sehr schwer gefallen.
Paulus hat die Lektion vom Danken oft erwähnt. So schrieb er in 1. Thess. 5, 18: “Seid dankbar in allen Dingen!”

Mir stehen dabei viele Dinge vor Augen. Ich bin brieflich mit einer querschnittgelähmten Frau in Verbindung, die qualvolle Schmerzen hat. Die Ärzte geben ihr nur noch Betäubungsmittel. Und sie soll für ihre Qualen danken?

Ein entfernter Verwandter starb an Krebs. Die letzten Wochen waren für ihn eine Hölle von Schmerzen. Und dafür danken?

Wenn die Bibel das von uns verlangt, muß es auch eine Möglichkeit geben, das zu vollziehen. In eigener Kraft ist das allerdings nicht möglich. Da müssen wir schon die Kraft des Gekreuzigten und Auferstandenen in Anspruch nehmen. Aber auch er wußte, was Schmerzen sind.

In Hebräer 5, 7 steht: “Er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der ihm von dem Tode konnte aushelfen, und er ist auch erhört.”

Danken unter Schmerzen, danken unter Tränen, danken unter starkem Geschrei.
Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob wir unter Schmerzen hadern, fluchen, murren, klagen oder im Aufblick zum Herrn danken.
Nicht alle Lebenslagen sind aber so extrem. Wir dürfen und sollen auch für das Alltägliche, das Unscheinbare, das Unbeachtete danken. Danken für unsere gesunden Sinne und Glieder, danken für das Augenlicht, danken für jede Stunde ohne Schmerzen, danken für jede Stunde Schlaf, danken für das tägliche Sattwerden, danken vor allem für liebe Menschen und Freunde, die wir haben dürfen. Die Liste reicht nicht aus. Jeder kann sie nach seiner Erkenntnis fortsetzen.
Schließen wir mit einem dritten Pauluswort Phil. 4, 6: “In allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit D a n k s a g u n g vor Gott kundwerden.”

6. IM FEUEROFEN DER ANFECHTUNG

Vom Notschrei der Ungläubigen hörten wir im dritten Kapitel. Es gibt auch ein Schreien der Gläubigen, das Gottes Herz erreicht.
In Jesaja 37 wird berichtet, daß der assyrische Feldherr Sanherib König Hiskia einen Droh- und Schmähbrief sandte. Der König und das Volk in Jerusalem war in höchster Gefahr. Hiskia hatte niemand mehr, wo er Hilfe finden konnte. Aber ein Zufluchtsort war ihm geblieben.
Er ging hinauf in das Haus des Herrn und breitete den Brief aus vor dem Herrn. (Jes. 37, 14)
Wie viele “Sanherib‑Briefe” habe ich in meinem Leben bekommen! Es ist ein Geschenk Gottes, wenn Christen unter dem “Kesseltreiben” der “Frommen” nicht zusammenbrechen.
Pfarrer Wilhelm Busch, mit dem ich befreundet war, hat eine ähnliche Bemerkung gemacht. Er war einmal im Erholungsheim von Hans Krebs in Oberstdorf im Urlaub. Bei einem Spaziergang mit Hans Krebs im Oytal sagte Pfarrer Busch: “Die gläubigen Brüder haben mir manchmal große Not bereitet.”

Zur Zeit der Entstehung dieses Taschenbuches erreichte mich wieder ein solcher “Sanherib‑Brief” von einem Pfarrer J.J. Sw. aus einem afrikanischen Land.
Dieser Pfarrer unterstellte mir viele unlauteren Motive in meiner Arbeit. Er bezweifelte meinen Missionsauftrag und verdächtigte mich in jeder Weise. Dieser Brief war derart häßlich und voller Verleumdungen, daß ich tagelang wie verstört herumlief und nachts nicht schlafen konnte.
Der Evangelist Pahls sagte mir einmal, ich soll auf alle Angriffe nicht reagieren und es dem Herrn überlassen. Das hat vielfach seine Berechtigung, aber nicht in allen Fällen. Manche Probleme lassen sich aus der Welt schaffen, wenn man dem Verleumder einige Fotokopien vorlegt, aus denen die Haltlosigkeit der Anklagen hervorgeht.
In meiner Studentenzeit kaufte ich mir einmal die Biographie von Spurgeon. Darin las ich, daß Spurgeon drei Mappen führte, in denen er seine Zuschriften sammelte. Diese Mappen brachte er am Sonntag auf die Kanzel und informierte daraus seine Gemeinde. Die erste Mappe enthielt Briefe mit Wahrheiten. Die zweite Mappe enthielt Zuschriften mit einem Körnchen Wahrheit. Die dritte Mappe war die Sammlung der Verleumdungen und Lügen.

Damit ließ der Gottesmann seine Gemeinde teilhaben an seinen Nöten. Er hat also nicht das Rezept von Pahls eingehalten, obwohl Pahls mit seiner Meinung meistens recht hat.
Wiederholt erinnerte ich an das persönliche Ergehen von Pastor Louis Harms. Er wurde in seiner Amtszeit 62mal von seinen neidischen Amtsbrüdern beim Konsistorium verklagt. In jedem Fall konnten die Anklagen nicht bewiesen werden. Was muß dieser gesegnete Missionsmann aber innerlich durchgemacht haben!
Während dieser Niederschrift erreichte mich der Brief einer gläubigen Frau. Der Inhalt erschreckte mich. Sie ist schon viele Jahre gläubig, kann aber ihr Schicksal nicht mehr meistern. Ein Satz in ihrem Brief lautet: “Ist es nicht furchtbar, daß die Teufelsmacht doch stärker ist als Gottes Kraft. Ich bin jetzt am Ende.” Natürlich habe ich postwendend geantwortet, daß ich diese Aussage weit von mir weise. Paulus triumphiert: “Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat.” “Ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.” Was muß aber alles geschehen sein, daß eine gläubige Frau zu diesem falschen Schluß gekommen ist?
Bei all diesen schweren Erlebnissen bei andern und bei mir dachte ich oft an das Bekenntnis von Apostel Paulus in Apg. 26, 11: “Durch alle Synagogen peinigte ich die Christen oft und zwang sie zu lästern.” So handelte der Pharisäer Saulus, ehe ihm Christus begegnet war. Welche seelischen und körperlichen Folterungen hatte er angewandt, bis die Christen ihrer nicht mehr mächtig waren und Christus fluchten. Man hat mich schon gefragt, ob diese Christen dennoch das ewige Leben erhielten. In USA streiten sich die Pastoren um diese Frage. Meine Stellung ist die der Barmherzigkeit. Sollte Gott in einem solchen Fall nicht auch Barmherzigkeit üben können?
Bei diesen seelischen und körperlichen Qualen dieser ersten Christen denke ich an ihre Schreie zu Gott. Sie waren in einem Feuerofen glühender Anfechtung. Und nun kommt eine neue Anfechtung hinzu. Der Versucher fragte sie: “Wo ist euer Gott? Es heißt doch in der Schrift

Ps. 34, 16: Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien.
Ps. 34, 18: Wenn die Gerechten schreien, so hört der Herr und errettet sie aus all ihrer Not.

Ihr habt zu Gott geschrien, und dieser Wüterich Saul hat euch geplagt, bis ihr zerbrochen seid. Ist die Bibel nicht eine einzige Lüge?
Diese Einflüsterungen Satans kamen bei diesen unglücklichen Christen zu all der Peinigung durch Saul.
Sollen wir dem Feind Gehör schenken und der Bibel mitsamt ihren Verheißungen den Abschied geben? Wollen wir Gott anklagen und ihm vorwerfen: “Warum läßt du das alles zu, der du ein gerechter Gott sein willst?”
Die Theologen nennen diese Zweifelsfragen das Theodizeeproblem. Eine fertige Antwort gibt es oft nicht, aber dennoch eine Lösung des Problems.
Der Psalmdichter Asaph gibt uns in Psalm 73 eine Antwort, die wir annehmen dürfen. Es gibt Führungen Gottes, die für uns unverständlich sind. Asaph schreibt Ps. 73, 2:

“Ich aber hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen; mein Tritt wäre beinahe geglitten, da ich sah, daß es den Gottlosen so wohl ging.”

Wir könnten hinzufügen, und da ich beobachtete, daß die Gläubigen soviel leiden müssen. Welche Antwort erhalten wir nun von diesem glaubensstarken Psalmdichter?

Dennoch bleibe ich stets an dir,
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.
Du leitest mich nach deinem Rat
und nimmst mich endlich mit Ehren an.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Psalm 73.

Im Feuerofen das Schreien zu dem, der uns hört, wenn er auch nicht nach unseren Gedanken uns erhört! In der Gluthitze der Anfechtung das D e n n o c h des Glaubens, auch wenn es bis zur Zerreißprobe geht und uns die körperlichen und seelischen Kräfte verlassen!
Das Stichwort “Zerreißprobe” erinnert mich an ein leidvolles fünfzigjähriges Jubiläum, das dennoch voll Herrlichkeit Gottes war.
Es handelt sich um die Geschichte einer gläubigen Frau, der Gott ein “voll gerüttelt Maß” an Anfechtung und Leid auferlegen konnte, ohne daß sie daran zerbrochen ist.
Bei einer Vortragswoche im norddeutschen Raum wies man mich zu einer Schwerkranken, die 50 Jahre schon an ein Schmerzenslager gebunden war. In ihrem Krankenzimmerchen hörte ich von einem Dennoch des Glaubens, wie es mir zuvor nicht begegnet war.
Von Beruf war die Kranke Näherin. Mit 24 Jahren war sie verlobt. Durch eine schwere Erkrankung wurde sie total gelähmt. Damit begann eine Kette von Anfechtungen und Heimsuchungen. Da keine Hoffnung auf Genesung bestand, löste sich ihr Verlobter von ihr. Die Frage der Frührente war damals noch nicht so erträglich geregelt wie heute. Die Krankenkasse hörte bald auf, die Rechnungen des Krankenhauses zu zahlen. Die Rentenversicherung und Sozialversicherung sprangen nicht ein. Sie war noch nicht lange genug berufstätig gewesen.
Familienangehörige waren nicht in der Lage, die Pflege der total Gelähmten zu übernehmen oder zu finanzieren. Nicht lange danach starben auch alle, die aus verwandtschaftlichen Gründen hätten helfen können.
In dieser Notlage rührte Gott das Herz des Chefarztes an. Die Schwerkranke durfte kostenlos im Krankenhaus bleiben. Sie erhielt sogar ein kleines Einzelzimmerchen.
Nach Jahrzehnten trat dieser gütige Arzt in den Ruhestand. Der Nachfolger zeigte nicht die gleiche Hilfsbereitschaft. Die Gelähmte wurde bedrängt, das Krankenhaus zu verlassen.
Die schwergeprüfte Frau hatte keine Möglichkeit der Selbsthilfe. Sie kannte aber den, von dem es heißt: “Bei dem Herrn findet man Hilfe.” (Psalm 3,9) Im Feuerofen der Anfechtung hatte sie sich zu einer glaubensstarken Beterin entwickelt.
Eine Christin, die sie kannte, erklärte sich bereit, das leidgepeinigte Menschenkind kostenlos aufzunehmen. So hatte der barmherzige Herr wieder für ein Einzelzimmer gesorgt.
In diesem Zimmer saß ich nun bei der Kranken und hörte die Geschichte einer fünfzigjährigen Leidenszeit ‑ nein, einer fünfzigjährigen Herrlichkeit. Ich bin nie in meinem Leben so an einem Krankenbett gesegnet worden wie hier. Kein Wort der Klage aus dem Mund der gelähmten Frau! Nur ein Lobpreis des Herrn, der sie 50 Jahre hindurch getragen hat!
Eine bessere Auslegung von Asaphs Psalm habe ich nie erfahren: ,,Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet . . .” ‑ so bist du doch da! Im Feuerofen der Anfechtung der Sieg und die Herrlichkeit des Herrn!

7. DIE FÜRBITTE

Jeder Jünger Jesu übt Fürbitte. Wer diesen Priesterdienst nicht pflegt, nenne sich nicht Jünger Jesu. Natürlich sind Christen im Todeskampf oder in irrsinnigen Schmerzen ausgenommen.
Aus der christlichen Literatur sind uns wundervolle Beispiele der Fürbitte bekannt. Eigene Erlebnisse sprechen natürlich den Leser oft direkter an. Berichte eigener Erfahrungen enthalten nur die Gefahr des Hochmutes und der Prahlerei. Es lassen sich aber auch Erlebnisse mit dem Herrn Jesu berichten, ohne in den Abgrund des Eigenlobes zu fallen. Der Psalmdichter (Ps. 121) bezeugt: “Meine Hilfe kommt von dem Herrn.” Wenn uns das bis ins Letzte hinein bewußt ist, daß die Hilfe nicht von uns kommt, dürfen wir zur Ehre Gottes auch eigene Erfahrungen bringen.

Vor einigen Jahren schrieb mich eine Mutter, die Frau eines Arztes an, ihr Sohn Thorsten habe einen Tumor. Der junge litt wochenlang, monatelang zunehmend an furchtbaren Schmerzen. Die Schmerzen nahmen ein Ausmaß an, daß der Junge seine Mutter oft anbettelte: “Mutter, töte mich, ich halte es nicht mehr aus.”
Die Bitte des verzweifelten Jungen griff meiner ganzen Familie ans Herz. Von diesem Tag an beteten wir alle um die Heilung des Jungen. Besonders meiner jüngsten Tochter, die mit Thorsten gleichaltrig ist, lag es am Herzen. Sie betete jeden Abend für den furchtbar geplagten Jungen.
Es dauerte einige Monate, da erhielt ich einen zweiten Brief der Mutter mit der Nachricht, daß die Schmerzen nachgelassen hätten und der Tumor sich zurückbilden würde. Es blieb nicht bei der halben Heilung. Laufend bekam ich die Berichte. Der letzte Brief kam erst kurz vor dieser Niederschrift, daß in einer Klinik in Zürich festgestellt wurde, daß von dem Tumor überhaupt nichts mehr festzustellen sei. Mutter und Sohn sind überglücklich. Von Zeit zu Zeit sandte die dankbare Frau meiner Familie einen Blumenstrauß und Missionsgaben für meine Bibel-Mission.
Wir kennen diese Familie von Angesicht nicht. Der Fürbitte sind aber keine räumlichen und zeitlichen Schranken gesetzt. Es sei hinzugefügt, daß wir die Fürbitte nicht aufgesteckt haben. Es geht ja auch darum, daß der Tumor kein zweites Mal sich bildet, wie es schon vorgekommen ist.
Über die Fürbitte ließe sich ein Kapitel wie Hebräer 11 schreiben, wo es heißt:
Hebr. 11, 34: “Sie haben des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwertes Schärfe entronnen, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im Streit, haben der Fremden Heere darniedergelegt . .  .

Im Januar 1977 hielt ich in Wittlingen bei Urach eine Vortragswoche. Bei dieser Gelegenheit besuchte ich auch die Burgruinen von Hohen‑Wittlingen. Eine Gedenktafel zeigt an, daß der Reformator Johannes Brenz sich 1548 hier versteckt hielt. Von Pfarrer Stücklen in Wittlingen bekam ich zwei Bücher über Brenz geschenkt. Die Ortsnamen, die in diesen Büchern genannt sind, sind mir wohlvertraut. Brenz war nicht nur auf Hohen‑Wittlingen, er war auch als Flüchtling in Straßburg, in Basel, auf der Burg Hornberg, einer Stadt, der meine erste Liebe als Vikar der Badischen Kirche galt. Brenz war immer auf der Flucht vor seinen Häschern. Ein Erlebnis hat sich mir besonders eingeprägt.
Als die spanischen Soldaten des Kaisers in Stuttgart 14 Tage lang Hausdurchsuchungen hielten, um Brenz zu fangen, hatte sich der geplagte Mann hinter einem Holzstoß auf einem Speicher versteckt gehalten. Als Vorrat hatte er nur ein Lailblein Brot, das bald aufgezehrt war. Da sandte aber Gott die bekannten “Raben des Ella” in Gestalt eines Huhns, das jeden Tag in sein Versteck kam und dort ohne zu gackern ein Ei legte. Damit erhielt es den Reformator am Leben. Der Höhepunkt war, daß die spanischen Häscher auch diesen Speicher durchsuchten. Brenz mußte sogar einem Säbel ausweichen, den ein Soldat durch den Holzstoß stach. Brenz lag gerade, wie fast immer in diesen Tagen der Razzia, auf den Knien und betete. Als die Spanier endlich nach zwei Wochen unverrichteter Sache abzogen, kam das Huhn nicht mehr. Brenz war durch Gottes Hand bewahrt und versorgt worden.

O der unerkannten Macht

von der Heil’gen Beten.
Ohne das wird nichts vollbracht
so in Freud als Nöten.

Schritt für Schritt

wirkt es mit,

so zum Sieg der Freunde,

wie zum End der Feinde.

Die Reformation wäre nicht zustande gekommen oder von der katholischen Gegenreformation erstickt worden, wenn nicht die Reformatoren Männer des Gebets gewesen wären, die das junge Pflänzchen des evangelischen Glaubens hindurchgebetet hätten. In der Evangelischen Weltmission herrscht genau das gleiche Prinzip.

Horst Flachsmeier hat die Geschichte der Evangelischen Weltmission geschrieben. In diesem Buch schreibt er auf Seite 171: “Vielmehr hing der Erfolg ihrer Aussendung (Aussendung der Missionare) jeweils immer mit der Bewährung einzelner Persönlichkeiten zusammen.”
Einer von diesen Bewährten war David Brainard. Er arbeitete unter den Indianern in Massachusetts und am Delaware. Er war ein Beter, wie wir nur wenige kennen. Tag und Nacht rang er um die Rettung der Indianer. Seine Wirkungszeit war nur kurz, von 1743 bis 1747. Dann starb er. Seine Freunde sagten, er habe sich zu Tode gebetet. Über seinem Grabe weinten die Indianer, und es begann eine große Erweckung unter ihnen. Brainard hatte die Erweckung nicht erleben dürfen ‑ und doch vom Himmel her sehen dürfen.
Eine Geschichte der Beter könnte man schreiben, nicht zu ihrer Ehre, sondern zu Gottes Lob und Preis.
John Hyde in Pakistan widmete jeden Morgen von 4 Uhr bis 10 Uhr sechs Stunden dem Gebet.
Der Gründer der Hermannsburger Mission, Louis Harms, war ein Frühaufsteher. Als er starb, sah man seine “Lederknie”. Er hatte sie hart gebetet. Es fehlen uns solche Männer mit Lederknien.
Hätte Georg Müller, der Waisenvater von Bristol, seine zehntausend Waisen ernähren können ohne die tägliche ausgiebige Audienz beim Vater im Himmel?
Wäre Spurgeon der vollmächtige Prediger gewesen, wenn nicht während seiner Verkündigung jedesmal 400 Brüder im Saal hinter seiner Kanzel für ihn gebetet hätten?
Fast alle Erweckungen haben ihre Vorgeschichte in der Fürbitte einiger Gläubigen.
Auf den Hebriden haben zwei gläubige Frauen 30 Jahre um Erweckung gebetet. Und sie kam.
Die koreanische Erweckung wurde geschenkt, als die Missionare der Presbyterianer und Methodisten von Ostern bis Pfingsten 1906 tägliche Gebetsstunden hielten. In meinem Taschenbuch “Koreas Beter” ist es nachzulesen.
Auch die Erweckung in Kanada, die 1971 einsetzte, hatte ihre Vorgeschichte in der Fürbitte, Bill McLeod, einer meiner Freunde, blieb zwei Jahre lang in Saskatoon jeden Morgen von 6 bis 10 Uhr im Bibelstudium und im Gebet. Er flehte um eine Erweckung, und sie kam.
Wie oft schon habe ich auch Mutter Knies erwähnt, die eine “Hanna war, die Tag und Nacht nimmer vom Tempel wich”. Sie konnte, als sie noch körperlich dazu fähig war, acht Stunden am Tage beten. Ihr Sohn Franz erzählte mir einmal, daß seine Mutter von den Knien aufstand und sagte: “Nun habe ich zwei Stunden für Kurt Koch und seine Arbeit gebetet.” Hätte ich doch mehr solcher Beter in meinem Leben gehabt, mein Leben wäre anders verlaufen. Ich habe leider mehr steinewerfende Schwestern und Brüder als solche, die vor Gottes Thron Fürbitte üben.
Dem Herrn sei Dank, ich habe auch einen betenden Freundeskreis, dem ich an dieser Stelle herzlich danke.

Beter sind Wundervollbringer

Beter sind Wundervollbringer,

einsam in finsterer Nacht,

Beter sind Weltenbezwinger,

wartend auf stiller Wacht.

Beter sind sterbende Krieger,

trotzend dem König zugut,

Beter sind Satansbesieger,

Priester aus edlem Blut.

Beter sind bettelnde Fürsten,

haben viel Güter sie gleich.

Glüht doch in ihnen ein Dürsten:

Seelen für Gottes Reich!

Stehen die Beter zusammen

glaubend mit Vollmacht am Thron,

mächtig dann lodern die Flammen,

königlich ist ihr Lohn.

Toben auch teuflische Kräfte,

kennst du den nächtlichen Schrei?

Beter tun Siegesgeschäfte.

Beten den Tag herbei.

8. DAS EROBERNDE GEBET

Wir betreten hier ein umstrittenes und gefährliches Gebiet. Eroberndes Gebet heißt nicht, daß wir Gott unseren Willen aufzwingen dürfen.

Ich kenne die Geschichte eines Bischofs. Sein einziger Sohn erkrankte schwer an einer Meningitis (Hirnhautentzündung). Die Ärzte hatten wenig Hoffnung auf eine Genesung. Der Bischof rang mit Gott um die Heilung seines Sohnes. Er bat ihn: “Es ist mein einziger Sohn. Du darfst ihn mir nicht nehmen. Du mußt ihn mir lassen.” Der Bischof versuchte also, Gott seinen eigenen Willen aufzuzwingen. Der Sohn genas, war aber seit dieser Krankheit verblödet. Welches Los wäre schwerer zu ertragen gewesen, der Tod des Sohnes oder seine Verblödung auf Lebenszeit?

In der Auseinandersetzung mit Extremisten bin ich oft auf das Beten gestoßen, das Gott zwingen will, die Wünsche des Beters zu erfüllen. Wie oft hat man mir die Stelle Lukas 11, 11 vorgehalten: wenn ein Sohn den Vater um ein Brot bittet, erhält er keinen Stein. Diese Stelle wird von Gliedern der charismatischen Bewegung so ausgelegt: wenn man Gott um die Gabe des Zungenredens bittet, dann gibt er die echte Gabe und nicht eine Imitation. Ich habe bereits in meinen Büchern “Die Geistesgaben” und “Das okkulte ABC” dazu Stellung genommen. Hier nur einige Stichworte:

a. Ich glaube an die Existenz der Geistesgaben auch heute noch. Es müssen aber Gaben des Heiligen Geistes sein und nicht menschliche oder gar dämonische Nachahmungen.
b. Für jede echte Gabe des Heiligen Geistes hat Satan eine dämonische Gegengabe produziert, um die Gläubigen zu verführen.
c. Wir haben im NT keine Aufforderung, daß wir um die Zungengabe beten sollen. Paulus sagt in 1. Kor. 14, 1: “Strebet nach der Liebe. Fleißiget euch der geistlichen Gaben, am meisten aber, daß ihr weissagen möget.
d. Gott ist in seinen Gaben souverän. Er läßt sich von niemand zwingen. Wenn ein Mensch versucht, von Gott etwas ertrotzen zu wollen, dann passiert es zu leicht und zu oft, daß ein Geist von unten einsteigt. Wir dürfen nicht 1. Joh. 5, 14 vergessen: “So wir etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns.”
e. Das hartnäckige Bitten um die Gabe des Zungenredens hat oft einen geistlichen Hochmut im Hintergrund oder eine unbiblische Sensationslust oder eine falsche Theologie.
f. Das Bekenntnis, unter a gegeben, muß in zwei Punkten eingeschränkt werden. Die Gabe der eschatologischen Prophetie (Endvollendung der Heilsgeschichte) ist mit der Kanonbildung (Vollständige Sammlung der biblischen Schriften) abgeschlossen. Die Gabe des Zungenredens hat ebenfalls mit der Kanonbildung ihre spezielle Bedeutung verloren. Sie kann aber als Möglichkeit der Anbetung im privaten Gebet auch heute noch gegeben werden. Weiteres ist im erwähnten Buch Die Geistesgaben nachzulesen.

Sinn dieser einzelnen Punkte ist die Erfahrung, daß Gläubige auf Irrwege geraten, wenn sie etwas gegen den Willen Gottes erzwingen wollen.
Geistlicher Hochmut und ein Beten, das nicht im Einklang mit dem Willen Gottes steht, erhält tatsächlich einen Stein statt Brot.

Man mag mir vorhalten: “Warum kommst du oft auf das Thema Zungenreden zurück?” Die Antwort ist sehr einfach, weil die sogenannte charismatische Bewegung in der ganzen Welt zunimmt und überall Verwirrung anrichtet.

Wenn wir in der Lage sind, Irrwege und echte Wege des Betens unterscheiden zu können, dann dürfen wir auch von einem echten erobernden Gebet sprechen.
Es gibt solche Beispiele in der Bibel. War nicht das Gebet Gideons eine Herausforderung Gottes (Richter 6, 37‑40), daß einmal das Fell vom Tau naß war und die Umgebung trocken und in der nächsten Nacht umgekehrt? Es sieht aus wie eine Versuchung Gottes. Warum erhörte ihn der Herr? Weil es sein Plan war, Israel durch die Hand Gideons zu retten.

Ist es nicht eine Ermunterung für alle ernsthaften Beter, daß Gott dem König Hiskia 15 Jahre zusetzte, nachdem schon Jesaja dem König mitgeteilt hatte: “Bestelle dein Haus, du mußt sterben.” Hiskia hatte sich mit seinem Weinen und Flehen 15 Jahre erobert. (Jes. 38)
Die Güte Gottes kennt keine Grenzen, darum wage ich es, ein kleines Beispiel meines unvergeßlichen Freundes Gottlieb Weiland zu bringen, auch wenn manche darüber lächeln mögen. Gottlieb hatte manchmal gebetet: “Herr, lasse mich mitten aus der Arbeit herausgeholt werden und nicht als untätiger Greis sterben. Bitte erspare mir ein langes Krankenlager. Du weißt, daß ich ungeduldig bin. Und mache das Maß deiner Barmherzigkeit voll und schenke mir einen Tod in der warmen Zeit, daß die Beerdigungsgäste nicht auf dem Friedhof frieren müssen.”
Wenn wir schon einen Vater im Himmel haben, dem wir kindlich alles anvertrauen dürfen, dann kümmert er sich um große und kleine Dinge. Gottlieb wurde in allen drei Punkten erhört. Er stand noch am 12. Mai 1974 auf dem Podium, um das Evangelium zu verkündigen. Zehn Tage später lag er todkrank im Krankenhaus, und 36 Stunden später war er tot. Seine Beerdigung erfolgte an einem sonnigen Maitag. Mitten aus der Arbeit ‑ nur ein Krankenlager von weniger als zwei Tagen ‑, und eine strahlende Sonne über der Beerdigung!
Wer seinen Gott nie in ernsthaftem Gebet erprobt hat, mag an diesem Beispiel Anstoß nehmen. Seit ein Waldarbeiter mir die Vorfahrt nahm, quer in meinen Wagen fuhr, ihn zertrümmerte und mir drei Rippen brach, bete ich auch darum, daß ich nicht bei einem Autounfall sterben muß. Wenn uns schon ein Kontakt mit dem Höchsten geschenkt worden ist, dann ist ihm nichts zuviel und nichts zuwenig. Jesus sagte:
“Nicht einmal ein Sperling fällt auf die Erde ohne den Willen des Vaters.” (Mt. 10,29)
Wir kennen aus der Kirchengeschichte Beispiele erobernden Betens.
John Knox, der schottische Reformator, hatte viele adelige Freunde, die den evangelischen Glauben angenommen hatten. Einer von ihnen, noch ein junger Mann, ragte durch seinen Eifer hervor. Dieser junge Freund wurde todkrank und starb. John Knox kniete 36 Stunden am Sterbelager und schrie zu Gott: “Herr, was soll aus deiner Sache werden, wenn du mir diesen tatkräftigen Mitarbeiter nimmst.” John Knox wich nicht vom Sterbelager. Der Herr hörte und erhörte sein Schreien. Der Tote kam wieder zu sich. Natürlich weiß ich um den Einwand der Mediziner, die sagen, dann lag der “Tote” eben nur in einem Koma oder einer kataleptischen Starre. Lagen der junge Mann von Nain, Lazarus und die Tochter des Jairus auch nur in einem Koma oder einer totalen Starre? Wir lassen uns von dem Unglauben der meisten Mediziner nicht abhalten, unserem Herrn alles zuzutrauen!
Luther hatte ein ähnliches Erlebnis mit seinem Freund Mykonius. Mykonius war ein guter Kenner der biblischen Sprachen. Er wurde sterbenskrank. Luther lag vor seinem Krankenbett drei Stunden auf den Knien und betete um die Erhaltung seines Lebens. Luther betete so kühn, wie wir es nie nachahmen dürfen. Er betete zuletzt: “Herr, ich werfe dir den Sack vor die Füße, wenn du mir diesen Freund und notwendigen Mitarbeiter nimmst.” Mykonius wurde gesund und starb erst nach Luther. Die schriftliche Quelle dieses Vorganges kenne ich nicht. Prof. Dr. Köhler, Kirchenhistoriker an der Universität Heidelberg, trug uns das im Sommersemester 1934 vor. Köhler war kein Phantast, sondern ein nüchterner Forscher, der die Quellen angeben konnte.
Jesus hat Beispiele gegeben oder Worte gebraucht, die auf das erobernde Gebet hinweisen.
In Mt. 11, 12 sagt er: “Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt tun, reißen es an sich.
In Lukas 18 erzählt der Herr das Gleichnis von der Witwe, die einem Richter zusetzte, bis er sich der Mühe unterzog und sich ihrer annahm.
In Lukas 11, 5‑8 gibt uns Jesus die Geschichte von dem Mann, der um Mitternacht seinen Freund weckte, um sich Brot auszuleihen. Wer von uns will schon in der besten Schlafzeit geweckt werden? Jesus schließt sein Gleichnis mit dem Hinweis: “Ob er nicht aufsteht und gibt ihm, darum daß er sein Freund ist, so wird er doch um seines unverschämten Geilens willen aufstehen und ihm geben, wieviel er bedarf.
Welch einen Herrn haben wir, daß wir so intensiv bitten dürfen!
An dieser Stelle sei noch ein Beispiel gebracht, das ich in meinem Buch über “Heinrich Coerper und sein Werk” auf Seite 248 bereits erwähnte. Es ist die Lebensgeschichte der Schwester Lina Stahl. Sie stammte aus einem echten, kernigen schwäbischen Pfarrhaus. Sie wurde Schwester und diente in der Schlayerburg in Bad Liebenzell. Dieser Schwester hatte der Herr es aufs Herz gelegt, für den Berg zu beten, der vor der Tür der Schlayerburg liegt. Ihr tägliches Flehen war: “Herr, mache aus diesem Berg einen feuerspeienden Berg.” Schwester Lina stand mit dieser Bitte allein. Sie hatte aber den allermächtigsten Bundesgenossen, den Vater im Himmel, der ihr tägliches Flehen hörte und erhörte. Als eines Tages ein Pforzheimer Fabrikant auf diesem Berg eine Silberwarenfabrik bauen wollte, erklärte eine Freundin Schwester Lina: “Da siehst du, es wird kein Bethaus daraus.” Schwester Lina antwortete: “Und ich glaube, daß dieser Berg noch ganz für den Heiland da sein wird, weil mir der Herr den Auftrag gegeben hat, dafür zu beten.”
Schwester Lina behielt recht ‑ ganz genau gesagt, der Heiland behielt recht und seine stahlharte Beterin. Sie hieß Lina Stahl, und ihr Beten war aus Stahl.
Sie bekam ihren feuerspeienden Berg. Die Baugenehmigung für die Fabrik wurde zurückgezogen. Die Schwester bekam auch den rechten Mann, ein Missionswerk zu gründen und zu leiten, Pfarrer Heinrich Coerper.

Es gibt eine “Härte”, die aus dem Heiligen Geist kommt, es gibt aber auch die Härte einer pharisäischen, gesetzlichen Selbstgerechtigkeit. Viele Erweckungen haben im Heiligen Geist begonnen und sind zur geistlosen Tradition und Gesetzlichkeit erstarrt.
Ich wage den Aufruf, für die noch bestehenden ehemaligen Erweckungszentren wie Chrischona, Marburg, Liebenzell, Aidlinger Mutterhaus, Korea zu beten, daß die “Vulkane nicht erlöschen”. Und ein zweiter Aufruf zur Fürbitte für die Erweckungen, die erst in den letzten Jahrzehnten geschenkt worden sind, wie Indonesien, Formosa, Madras (Daniel), Asbury College usw.
Eroberndes Beten ist nicht jedem Jünger Jesu gegeben, kann aber jedem geschenkt werden.
Am Schluß dieses Kapitels ein selbsterlebtes Beispiel. Ich wurde als junger Pfarrer in ein Dorf versetzt, das in dem betreffenden Dekanat als Strafstelle galt. Beim ersten Pfarrkonvent fragten mich die anderen Pfarrer ganz derb: “Was hast du ausgefressen, daß man dich dahin abgeschoben hat?” Ich konnte keine Antwort geben. Um meine Gemeinde kennenzulernen, machte ich viele Hausbesuche. In einem Filialort betrat ich das Haus einer Familie, die aus Württemberg zugewandert war. Sie stammte aus dem schwäbischen Pietismus. Dieses Elternpaar war über den trostlosen geistlichen Zustand ihrer neuen Heimat überaus traurig. Die Predigten in der Kirche empfanden sie als Strohdreschen, obwohl sie durchaus nicht geistlich überheblich waren. Da fingen diese beiden Menschen zu beten an: “Herr, sende uns einen gläubigen Mann! Herr, lasse in dieser Gegend einmal dein Evangelium erschallen!” Bei diesem ersten Besuch empfingen mich diese beiden Beter mit dem Willkommgruß: “Herr Pfarrer, Gott hat uns erhört. Wir haben jetzt 29 Jahre um einen gläubigen Mann gebetet.”
Diese beiden Beter haben 29 Jahre durchgehalten. Sie sind nun beide in der Ewigkeit, und ich freue mich darauf, sie einmal wiederzusehen.
Meine “Strafversetzung” war die Gebetserhörung für die unentwegten Beter. Vier ihrer fünf Kinder waren dann die ersten, die sich in meiner Amtszeit bekehrten. Bald folgten viele andere nach. Ein kleines Feuer hatte zu brennen begonnen, so daß sonntags aus der ganzen Umgebung Menschen zum Gottesdienst kamen. Nach den Gottesdiensten hatte ich seelsorgerliche Aussprachen im Pfarrhaus. Menschen kamen ohne Aufforderung, beichteten und übergaben ihr Leben Jesus.
Das Himmelreich leidet Gewalt. Gehören wir zu denen, die dem Himmelreich in demütiger, aber beharrlicher Weise Gewalt antun?

9. BETEN UND FASTEN

Zum erobernden Gebet gehört auch das Beten unter Fasten. (Mt. 17, 21) Es gibt ein wucherndes, kämpferisches Beten, das alle Verheißungen der Bibel in Anspruch nimmt. Luther gebrauchte einmal den derben Ausdruck: “Man muß Gott die Verheißungen um die Ohren reiben.”
Ein Beispiel dieser Art erlebte ich in der Gemeinschaft mit Bakht Singh. Wir waren 14 Tage zusammen in Ostjava und hatten täglich Gebetsgemeinschaft. Er pflegte bei seinen Bitten stets Verheißungen mit Angaben von, Kapitel und Vers zu erwähnen und zu sagen: “Herr, aufgrund dieses Wortes bitte ich um Gehör.”
Bakht Singh
war ein energischer Beter und ein vollmächtiger Beter. Er war auch einer der wenigen, der sehr frühzeitig vor der sogenannten charismatischen Bewegung warnte.

a. Zur Geschichte des Fastens müssen einige Anmerkungen gemacht werden. Der griechische Arzt Äskulap übte schon 1000 Jahre vor Christus das Heilfasten. Das Fasten hat also in der Medizin eine schon dreitausendjährige Geschichte.
Das Fasten findet sich auch in fast allen großen Weltreligionen. Bei den indischen Büßern sind es die Jogi (Yogi), die das Fasten als einen Weg der Selbsterlösung betreiben. Bei den Mohammedanern sind es die Sufi, die auf Alkohol, Fleisch und Ehe verzichten, um sich einen Platz im Paradies zu sichern.
Eine religiöse Form des Fastens finden wir auch im vorchristlichen Judentum. Es war feste Ordnung, daß einmal im Jahr gefastet wurde (3. Mos. 16, 29). Ein ergreifendes Buß‑ und Fastengebet haben wir in Daniel 9. Der Prophet tut stellvertretend Buße für sein Volk und fastet.
Neben dem echten Fasten als intensive Unterstützung ernstlichen Gebetes finden wir auch in der Bibel das heuchlerische Fasten mit verdienstlichem Charakter. Die Propheten im alten Bund haben sich gegen das verdienstliche Fasten gewehrt (Jes. 58, 3‑7). Der Mißbrauch des Fastens wird im NT vor allem in dem Pharisäergebet (Luk. 18, 12) deutlich.
Das am meisten herausragende Beispiel von Beten und Fasten ist die stille Zeit, die Jesus mit seinem Vater hatte. In Mt. 4 wird berichtet, daß er 40 Tage in der Wüste fastete. In Luk. 6, 12 und an anderen Stellen wird berichtet, daß er über Nacht im Gebet blieb.

Manche Christen meinen, sie könnten das Fasten Jesu einfach nachahmen.
So hörte ich von einer jungen Missionarin, die erklärte, sie habe vom Herrn den Auftrag, 40 Tage in Israel zu fasten und zu beten. Sie reiste nach Jerusalem und begann ihr Fasten. Sie nahm weder Speise noch Trank zu sich. Nach 12 Tagen brach sie zusammen. Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht. Die ärztliche Hilfe kam zu spät. Sie starb. Also war es kein Auftrag des Herrn, sondern ihr eigener religiöser Fanatismus.

b. Erfahrungen mit Fasten und Beten
In Süddeutschland lernte ich einen Kreis treuer Christen kennen, die einmal im Monat eine Nacht hindurch im Gebet zusammenblieben. Ich nahm einmal daran teil. Um 4 Uhr morgens war ich dann zu müde und begab mich zur Ruhe.
Eine andere Form sagte mir mehr zu, nicht jeden Monat eine Gebetsnacht durchzuführen, sondern einen Gebetstag zu halten. Natürlich lagen wir nicht 12 Stunden auf den Knien, sondern wechselten mit Bibelstudium, Singen, Stillesein im Nachdenken und dann wieder gemeinsames Gebet. Im einzelnen habe ich das in meiner kleinen Broschüre “Beten und Fasten” beschrieben. Bei diesen Gebetstagen haben wir auch gefastet. Ich hatte stets einen großen Segen davon.
Nur einmal in meinem Leben fastete ich sieben Tage, allerdings mit dem täglichen Bedarf an Flüssigkeit. Diese Fastenwoche war nicht nur eine Zeit des Gebetes und der Meditation, sondern hatte auch einen Heileffekt. Ich nahm in dieser einen Woche 18 Pfund ab, und mein zu hoher Blutzuckerspiegel sank beträchtlich. Ich warne aber davor, das nachzumachen. Wir hörten ja, wie es der jungen Missionarin ergangen ist.

Das Fasten und Beten wird unter den Gläubigen mehr geübt, als in der Öffentlichkeit bekannt ist. Als ich vor Jahren in schwierigen Verhältnissen stand und einige Freunde zur Fürbitte aufgefordert hatte, schrieb mir ein Gebetskreis aus Dortmund: “Wir haben an dem betreffenden Tag für Sie gebetet und gefastet.” Mich hat das tief bewegt.
Das eindrucksvollste Erlebnis auf dem Gebiet des Fastens war mir die Begegnung mit Vater Daniel in Madras. Er ist nun schon lange beim Herrn. Vater Daniel hielt jedes Jahr den Monat Juni als Fastenmonat. Er nahm 30 Tage keine Nahrung zu sich, sondern nur die tägliche Menge an Wasser, die der Körper braucht. Diese verborgene Zubereitung hat sich mächtig ausgewirkt. Unter der Verkündigung von Vater Daniel kamen viele zum Glauben. Auch Kranke wurden unter Gebet und Handauflegung gesund (Jak. 5, 14‑15). Ich habe die Geschichte von Vater Daniel in dem Buch Jesus auf allen Kontinenten berichtet, ferner in dem englischen Buch The Wine of God.
Die intensivste Gebetspraxis lernte ich in der koreanischen Erweckung kennen. In meinem Taschenbuch “Koreas Beter” berichtete ich davon. Nirgends in der Welt fand ich solche gewaltigen Gebetsversammlungen, die durch Jahrzehnte hindurch jeden Morgen von 4 bis 6 oder 5 bis 7 Uhr zusammen waren. Die Versammlungen fanden gewöhnlich im Freien statt, weil keine Kirche groß genug war.
Wir im Westen fragen oft, warum wir keine Erweckung erleben dürfen. Es liegt zum größten Teil an unserer Gebetslauheit und mangelnden Bereitschaft, dem Herrn die Zeit zu geben, die ihm gehört und gebührt.

c. Sinn des Fastens und Betens ist nicht, daß wir uns geistlich aufblähen und das Gefühl der “Firstclass Christans” (Erste‑Klasse‑Christen) nähren.
Fasten und Beten vor dem Angesicht des Herrn hat viele Bedeutungen. Wir werden entspannt, gelockert, enthemmt von allem Materiellen. Fasten bedeutet Stille in der täglichen Hetze. Fasten bereitet den Boden zur Selbsterkenntnis und schafft dem Reden Gottes Gehör. Prof. Hallesby sagt in seinem Buch “Vom Beten” (S. 98):
“Der Sinn des Fastens besteht darin, für kürzere oder längere Zeit die Bande zu lösen, die uns an die materielle Welt und an unsere Umgebung knüpfen, um auf diese Weise die ganze Kraft der Seele auf das Unsichtbare und Ewige zu konzentrieren.”

Durch Fasten und Beten werden Alltagsdinge aus dem Weg geräumt, damit wir Gottes Willen besser erkennen. Als Paulus und Barnabas zur Missionsreise ausgesandt wurden, hatten die Brüder in Jerusalem zuvor gebetet und gefastet (Apg. 13, 2). Auch der Apostel Paulus betete und fastete, ehe er die Ältesten für die neugegründeten Gemeinden ernannte (Apg. 14, 23).
Diese Art, in seinen Entscheidungen durch Beten und Fasten Klarheit zu bekommen, ist nicht mit der Apostelzeit zu Ende gegangen. Ich kenne einen Missionsdirektor, der manchmal drei Tage betete und fastete, wenn er eine schwierige Entscheidung zu treffen hatte.

Fasten und Beten führt, wenn es lange durchgeführt wird, zu einer körperlichen Schwäche. Damit kann auch eine geistliche Wahrheit angedeutet oder angebahnt werden. Wir sollen vor Gott zerbrochen werden. Gott kann nur zerbrochene Werkzeuge gebrauchen. Bei den Zerbrochenen, Zerschlagenen stellt Gott am schnellsten den Kontakt von oben her. Der Psalmist bestätigt diese Wahrheit
Ps. 34, 19: “Der Herr ist nahe bei denen, die zerbrochenen Herzens sind.” Diese Botschaft hören wir oft in der Bibel:
Ps. 147, 3: Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind.

Jes. 61, 1 ‑. Er hat mich gesandt, die zerbrochenen Herzen zu verbinden.

Jes. 66, 2: Ich sehe an den Elenden und der zerbrochenen Geistes ist.

Ps. 34, 19: Der Herr hilft denen, die ein zerschlagen Gemüt haben.

Jes. 57, 15: Ich wohne bei denen, die zerschlagen und demütigen Geistes sind.

Das allbekannte Sprichwort sagt: “Das Wasser sucht die tiefste Stelle.” Gott, der Allmächtige, stellt seinen Kontakt am ersten nicht mit den Hohen und Gewaltigen her, sondern mit den Niedrigsten, den Niedergetretenen, den Zerschlagenen, den Zerbrochenen. Das wird uns im Fasten und Beten deutlich gemacht.

10. DIE ANBETUNG
Die Schöpfung Gottes hat mich oft das Staunen gelehrt. Vor allem waren es die hochaufragenden Berge, die meine Gedanken hochzogen und zu dem Ewigen lenkten.
Vor dem Mount Kinley in Alaska stand ich, ein Sechstausender, von dem zwei Drittel immer von Schnee und Eis bedeckt sind. An seinem Fuße befindet sich ein artenreiches Tierreservat, ein Nationalpark, der mir zu einem Fotoparadies wurde.
Im Süden Chiles bestaunte ich die höchste Erhebung der Anden, den Siebentausender Aconcagua. Welch wunderbare Wahrzeichen seiner Schöpfermacht hat Gott in aller Welt gesetzt! Am meisten aber von allen Gebirgen der Erde zogen mich die Achttausender des Himalaja in ihren Bann. Die glitzernden Schneeriesen hoben mein Herz empor zu dem, der über aller Herrlichkeit des Universums und der Erde thront.
Den Höhepunkt des Staunens erlebte ich auf dem Südpolkontinent. Die dickste Eisschicht dieses weißen Kontinentes ist 3200 m stark. Die wissenschaftlichen Stationen, die erfolgversprechenden Forschungsaufgaben nachgehen, erklärten mir folgendes: Pro Jahr wird durch den Schneefall die Eisschicht 30 cm höher. Gleichzeitig aber schmelzen an der Basis etwa 30 cm weg. So bleibt die Stärke der Eishülle konstant.
Nun kommt aber das Eigentliche. Die Holzbaracken von den Wissenschaftlern, auf Eis gebaut, sinken pro Jahr 30 cm in die Tiefe. Sie folgen dem Maß der Niederschläge. In zehn Jahren liegen sie 3 m unter der Schnee‑ und Eisdecke. Was sagt uns dieser Trend zur Tiefe? Bohrt man an der Oberfläche einen Schacht senkrecht in die Tiefe, dann stellen immer 3 m zehn Jahre dar. 300 m bedeuten 1000-fache. Bei 600 in finden wir das Eis aus der Zeit Jesu. In 900 m Tiefe haben wir das Eis aus der Zeit Davids. Bei 1200 m sind wir in der Zeit Abrahams angelangt. Einige Wissenschaftler reizte dieses Experiment. Sie holten sich Eis aus der Zeit Jesu herauf und sandten es in Kühlbehältern an verschiedene Labors der westlichen Welt, um es untersuchen zu lassen.
Die wissenschaftliche Seite interessiert mich aber weniger als die Tatsachen, daß wir nicht nur uralte Tempelruinen als Zeugen der Vergangenheit haben, sondern auch eine Eisuhr auf dem Südpol.
Darüber soll man nicht staunen? Dieses Staunen hat mich schon lange zur Anbetung geführt.
Stets neu wird mir da die Größe des Schöpfers.

König David singt in Psalm 65, 6‑7:

Gott, unser Heil, der du bist Zuversicht

aller auf Erden und ferne am Meer,

der die Berge fest setzt in seiner Kraft

und gerüstet ist mit Macht

Es ist wieder an der Zeit, daß wir den Schöpfungspsalm 104 betend lesen. Ich zitiere nur die Verse 5‑9.

Der du das Erdreich gegründet hast auf seinen Boden, daß es bleibt immer und ewiglich.
Mit der Tiefe decktest du es wie mit einem Kleide, und Wasser standen über den Bergen.
Aber von deinem Schelten flohen sie, von deinem Donner fuhren sie dahin.
Die Berge gingen hoch hervor, und die Täler setzten sich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet hast.
Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie nicht und dürfen nicht wiederum das Erdreich bedecken.


Paulus schreibt in Römer 1, 19‑20:
“Was man von Gott weiß, ist ihnen (den Heiden) offenbar; denn Gott hat es ihnen geoffenbart.
Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt, also daß sie keine Entschuldigung haben.“

Gottes Herrlichkeit wird nicht nur an den Werken seiner Schöpfung erkannt, sondern tritt noch deutlicher in seinem Heilsplan, in seinen Heilsratschlüssen und Heilstaten hervor.
Das Kernstück des Evangeliums wird in Joh. 3,16 kurz zusammengefaßt:

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.

D a h i n g e g e b e n
Der Sohn Gottes uns Sündern ausgeliefert zu unserer Errettung! In den letzten Jahren sind mir die Leiden Jesu immer größer geworden.

Sein Schweiß wie Blutstropfen Luk. 22,44

Gegeißelt Mt. 27,26

Angespien Mt. 27,30

Geschlagen Mt. 27,30,
Verspottet Mt. 27, 39

Verlästert Mt. 27, 31

Hände und Füße durchbohrt Mt. 27, 35.

Ausgestoßen aus der Menschheit, wie der übelste Verbrecher behandelt, mißachtet, verleumdet ‑ alles um unseretwillen! Und wir sollten ihn nicht darüber anbeten?

Sogar der heidnische Hauptmann, der Römer, der die Exekution leitete, lernte das bereits unter dem Kreuz. In Lukas 23, 47 lesen wir.
Da der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott.

Mir sind die Leiden Jesu so wichtig geworden, daß ich für mein pseudonymes Buch BEI IHM dem Grafiker die Idee für seinen Umschlagsentwurf gab. Ich schrieb ihm: “Stellen Sie einen Mann dar, der am Boden kniet und die durchbohrten Füße Jesu betrachtet.” Eigentlich wollte ich es noch besser haben, daß der Mann die Füße Jesu umschlingt. Im Gebet habe ich das oft im Geiste vollzogen, vor allem dann, wenn christliche Brüder und Schwestern, wenn fromme Pharisäer auf mir “herumgetrampelt” sind. Jesus hat es nicht verdient, ich habe es aber verdient.

Wer sich durch die Kraft des Heiligen Geistes in die Anbetung hineinleben will, der lese die Psalmen oder Kirchenlieder von gottbegnadeten Sängern. Ich gebe nur einzelne Anfänge von solchen Liedern:

Rühmet ihr Menschen den hohen Namen …

Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten …

Wir beten an und loben dich …

Großer Gott wir loben dich …

Dieses Tedeum wurde von Millionen von Gläubigen seit mehr als 1500 Jahren betend gesungen.

Die Anbetung nimmt im letzten Buch der Bibel einen großen Raum ein. In der Ewigkeit werden viele Gebetsformen aufhören. Dort gibt es keine Angstgebete mehr, keinen Notschrei von Gläubigen, aber die Anbetung bleibt. Nehmen wir nur ein einziges Beispiel aus der Offenbarung (5, 12):
“Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.”

Mit der Anbetung können wir aber nicht warten, bis wir beim Herrn sind. Wer hier auf Erden es nicht gelernt hat, wird es drüben auch nicht können. Stehen wir in den Reihen der Anbeter im Geist und in der Wahrheit?

11. GEBETSZEITEN UND GEBETSLEBEN

Die Bibel gibt uns Anweisung über die Häufigkeit und die Zeiten des Gebetes. Der Prophet Daniel hatte die Gewohnheit, dreimal am Tage zu beten. Wir lesen in Daniel 6, 11:
“Daniel hatte an seinem Söller offene Fenster gegen Jerusalem; und er fiel des Tages dreimal auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Gott, wie er denn bisher zu tun pflegte.”
Dieser Vers zeigt, daß die Anbetung, Lob und Dank ein fester Bestandteil im Gebet Daniels war. Ferner wird deutlich, daß der Prophet viele Jahre diese feste Gebetssitte übte. Wie in Kapitel 9 berichtet wurde, hatte Daniel auch die Gewohnheit, unter Fasten zu beten.
Der Verfasser des “Goldenen Abc”, Psalm 119, bekennt in Vers 164:
Ich lobe dich des Tages siebenmal.

Dieser Vers hatte in der Kirchengeschichte große Auswirkungen gehabt. Viele Klosterorden richteten für die Mönche sieben Gebetszeiten ein. Sie hatten lateinische Bezeichnungen: Mette, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Kompletorium.
Diese Gebetszeiten waren: Mette = Mitternacht, Laudes (Lobgesänge) = 3 Uhr morgens, Prim 6 Uhr, Terz = 9 Uhr, Sext = 12 Uhr, Non 15 Uhr, Vesper (Abend) -18 Uhr, Kompletorium (Tagesschluß) = 21 Uhr.

Prim, Terz, Sext, Non entsprechen der römischen Tageseintellung, die wir auch bei der Kreuzigung Jesu erwähnt finden. (Mt. 27,45‑46)
Wenn diese sieben Gebetszeiten nur eine Tradition darstellen und nicht von einer drängenden Inbrunst begleitet sind, haben sie kaum eine geistliche Bedeutung.

Bei dem Psalmisten, der uns hier in sein Herz und Gebetsleben blicken läßt, war es auf jeden Fall eine heilige, gottwohlgefällige Gewohnheit.
Es gibt auch evangelische Bewegungen, die das Horen‑Gebet, wie man es nennt, wieder eingeführt haben. Ja, es gibt sogar Gruppen, die eine dauernde Gebetskette gebildet haben. Zwei oder drei Christen beten eine Stunde, bis sie von anderen abgelöst werden. Ich kenne solche Gruppen, will sie aber nicht nennen, weil ich sie nicht dem Spott der “Laodizea‑Christen” ausliefern will. Zum andern ist das ein Dienst im Heiligtum, den man nicht in der Öffentlichkeit breitschlägt. Ich selbst habe an einer Bibelschule am Horen-Gebet teilgenommen. Bei der Gebetskette handelt es sich nicht um sieben Gebetszelten am Tag, sondern um das 24‑Stunden‑Gebet mit dem stündlichen Wechsel der Beter.
Es gibt noch eine andere Form des Betens, die nicht an bestimmte Zeiten gebunden ist. Ein gläubiger Christ, der in einer Fabrik arbeitet, die in drei Schichten zu je acht Stunden ihren Betrieb führt, kann schwerlich feste Gebetszeiten einhalten. Die Schichten wechseln ja jede Woche. Im gleichen Dilemma befindet sich eine Mutter mit vielen Kindern. Wenn sie sich gerade zum Gebet zurückziehen will, kommt ein Kleinkind und verlangt nach ihr. Es gibt genug ähnliche Fälle im Alltagsleben. Müssen nun solche Christen ein verkümmertes, unterentwickeltes Gebetsleben führen? Nein!
Außer den festen Gebetszeiten gibt es eine ununterbrochene Gebetsverbindung mit dem Herrn.
Gerhard Tersteegen hat es in seinem Lied Gott ist gegenwärtig so ausgedrückt:

Herr, komm in mir wohnen!

Laß mein Geist auf Erden

Dir ein Heiligtum noch werden!

Komm, du nahes Wesen,

Dich in mir verkläre,

daß ich dich stets lieb und ehre!

Wo ich geh, Sitz und steh,

Laß mich dich erblicken

und vor dir mich bücken!

Eine ununterbrochene Gebetsverbindung kann uns geschenkt werden ‑ hinter dem Kochherd, hinter dem Pflug, hinter dem Steuer des Autos, auf dem Weg zum Einkaufen. Tausend Möglichkeiten des Alltages, wenn unser Geist, unser Herz ein Heiligtum des Gebetes geworden ist! Das ist ein Wandel mit Jesus, in Jesus, ein Leben in der dauernden Verbindung mit ihm.

12. GEBETSERHÖRUNGEN

Es gehört immer zum Schönsten, wenn man die Frucht des Betens erleben darf. Oft, wenn wir niedergeschlagen und verzweifelt sind, richtet uns der barmherzige Gott durch eine Gebetserhörung auf. Wenn Menschen Wunden schlagen, weiß der Herr diese Wunden zu heilen.
Nun stehe ich vor der Wahl, Erlebnisse von Freunden zu bringen oder eigene Erfahrungen. Eigene Erlebnisse sind wirkungsvoller, bergen aber die Gefahr des geistlichen Hochmutes in sich. Man setzt sich beim Erzählen eigener Erlebnisse auch der Gefahr gehässiger Kritik aus. Dennoch, “wes das Herz voll ist, des geht der Mund über”.
Petrus und Johannes haben angesichts von Drohungen (Apg. 4, 20) bezeugt: “Wir können’s Ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben.“
Alle Bedenken beiseite, mein Leben ist voll eigener Schuld ‑ aber noch mehr voll der Herrlichkeit des Herrn.

Es war in London. Ich hatte etwa 80 anglikanische Priester vor mir. Ich warnte vor dem Spiritismus, weil ich weiß, daß leider einige hundert anglikanische Priester im Spiritismus stecken. Was zu erwarten war, trat ein. Ein Priester in der vordersten Reihe stand auf und griff mich an. Er meinte, die. Bibel habe nicht verboten, mit den guten Geistern Kontakt zu pflegen. Ich antwortete ihm: Die guten Geister, die Engel Gottes, wissen, daß Gott den Geisterverkehr verboten hat. Sie würden sich nie zu einem Geisterverkehr durch Tischrücken und anderen medialen Vorgängen hergeben. Meine Argumente zogen nicht. Da bekam ich Hilfe von einem Bruder, der viele Jahre im Spiritismus gesteckt hatte und durch Gottes Tat frei geworden war. Ich kann die ganze Geschichte nicht erzählen. Sie steht in einem meiner Bücher.
Bei meinem Gastgeber angekommen, vereinigten wir uns zum Gebet und baten den Herrn, diesem anglikanischen Priester die Augen zu öffnen. Die Erhörung kam schneller, als wir erwarteten. Am nächsten Tag kam ein Anruf von diesem Priester mit der Bitte um eine Unterredung. Was ich kaum zu glauben gewagt hatte, trat ein. Dieser Priester beichtete seine Schuld und sagte sich vom Spiritismus los. Dann lud er mich in seine Gemeinde ein. Ich konnte vor einem überfüllten Gotteshaus zu seiner Gemeinde sprechen. Über Bitten und Verstehen hatte der Herr auf unser Flehen geantwortet.

Eine andere Pfarrergeschichte nahm folgenden Verlauf. Ich hielt in einer Gemeinde mehrere Vorträge. Ein Pfarrer aus einer benachbarten Stadt war einige Male unter den Zuhörern. Was ich nicht erwartet hatte, trat ein. Der Pfarrer kam zur Seelsorge und beichtete. Bei Pfarrern kommt das äußerst selten vor, weil viele von ihnen meinen, das sei nicht notwendig oder würde ihrem Ansehen schaden. Nach dieser seelsorgerlichen Aussprache traf dieser Pfarrer eine radikale Entscheidung, die ich ihm nicht geraten habe. Bei seinem nächsten Sonntagsgottesdienst sagte er in der Predigt: “Liebe Gemeinde, ich war bisher ein blinder Blindenleiter. Ich habe euch in die Irre geführt und euch Steine statt Brot gegeben. Bitte vergebt mir. Mit Gottes Hilfe will ich in Zukunft euch ein rechter Hirte sein.”

Ich gebe sein Zeugnis hier verkürzt wieder. Er sagte in seiner Predigt mehr und legte der erstaunten Gemeinde den Heilsweg aus.
In Jesaja 65, 24 steht ein Wort, dessen Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit ich oft erlebte. Es heißt:

Ehe sie rufen, will ich antworten.

Es war an dem schwärzesten Tag meines Lebens, an dem ich zugleich eine ungeheure finanzielle Einbuße erlitt. Das Datum will ich nicht nennen. Ich kam zerschlagen und verstört nach Hause. Müde sah ich die Post durch. Ich hatte keine Kraft, alle Briefe zu lesen. Da nahm mich aber ein Schreiben gefangen. Die Briefschreiberin war eine Frau, die ich bis dahin nicht persönlich kannte. Sie schrieb: “Ich stehe unter dem Eindruck, daß Sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Ich bin bereit, Ihnen 20.000 DM zu geben.” Größer als diese Gabe, die tatsächlich eintraf, war mir die Führung des Herrn, daß dieser Brief mit der Ankündigung der Gabe auf dem Schreibtisch lag, als ich zermürbt, gedemütigt und geschädigt nach Hause kam. Die Spenderin hatte von der Bedeutung und dem Termin dieses Unglückstages nichts gewußt. Es gibt also nicht nur eine Inspiration bei den Männern der Bibel. Es gibt auch heute noch eine Geistesleitung.
Erst drei Jahre später erfuhr ich, warum diese edle Spenderin mir eine so große Summe anbot und gab. Diese Frau hat vor einem Jahrzehnt bei einer Missionskonferenz in Bad Liebenzell einige meiner Bücher gekauft. Da sie ein langjähriges unheilbares Leiden hatte, nahm sie die Bücher über die Frage der Glaubensheilung. Meine Berichte haben sie so ermuntert, daß sie Jesus ihre Heilung zutraute und auch erleben durfte. Das war der Anlaß zu ihrer Spende einige Jahre später. Und es hatte wieder einige Jahre gedauert, bis ich alle Zusammenhänge erfuhr. Erst drei Monate vor der Niederschrift dieses Berichtes habe ich alles gehört.

Jesus sagte der Martha (Joh. 11, 40):

“Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen?”

Die Herrlichkeit Gottes ist erfahrbar ‑ ich habe sie oft in kleinen und großen Dingen erlebt. Welch ein Herr, der sich heute noch so wunderbar an denen beweist, die ihm alles zutrauen!

13. DIE MACHT DES GEBETS

In meinem Rundbriefkreis habe ich viele treue Beter, die mich seit Jahren in all meinen Anliegen durchtragen. Eine von ihnen ist Mina Siegenthaler aus der Schweiz, eine Rentnerin, die ich persönlich nicht kenne. Aber ihre Fürbitte ist mir eine besondere Hilfe. Während der Niederschrift dieser Broschüre sandte sie mir die Abschrift eines Kalenderblattes vom 30. Nov. 1976 (Der evangelische Bücherfreund). Bei all meinen Büchern hat mir der Herr stets das Material zugeschoben, das ich benötigte.
Dieses Kalenderblatt hat die Überschrift “Die Macht des Gebetes”. Ich gebe es nur auszugsweise:

Abraham betete, und ‑ Lot wurde errettet.

Isaak betete und ‑ wurde Stammvater zweier Völker.

Jakob betete, und ‑ sein Bruder wurde versöhnlich.

Joseph betete und ‑ wurde Ministerpräsident von Ägypten.

Josua betete, und – Sonne und Mond erhellten die Nacht.

Samuel betete, und ‑ ein Gewitter verjagte die Philister.

David betete, und ‑ Absalom erhielt seine Strafe.

Elia betete, und ‑ Feuer und Regen fielen vom Himmel.

Hiskia betete, und ‑ die Feinde lagen tot auf dem Felde.

Daniel betete und ‑ bekam prophetische Durchblicke.

Jesus betete, und ‑ Tausende wurden gesättigt.

Jesus betete am Grabe, und ‑ Lazarus wird lebendig.

Petrus betete, und ‑ die tote Tabea wurde auferweckt.

Stephanus betete und ‑ sah den Himmel offen.

Das sind nur wenige Beispiele der Bibel, die um Tausende vermehrt werden könnten.

Und wir?


Welche Kraft hat unser Gebet? Ich habe in meinem Leben an vielen Gebetsversammlungen teilgenommen. Manche sind so, daß man davonlaufen möchte.
Im “Herold” vom April 1977 stehen folgende Sätze: “Unsere Kirchen haben nahezu alles – außer Kraft. Wir haben Kultur, Gebäude, Geld, Talente, Bildung ‑ alles, was man ohne Gebet haben kann. Das aufopfernde Gebetsleben aber ist durch die Bequemlichkeit des 20. Jahrhunderts verlorengegangen. Dem Gebet fehlt es heute an der drängenden Inbrunst, wie sie den großen Gottesmännern der Vergangenheit eigen war. Es mangelt an geistlichem Feuer. Die Art des Betens eines Abraham, Jakob, David, Daniel, Paulus, Luther, Zinzendorf, Wesley, Brainard etc. würde heute als Schwärmerei bezeichnet werden, sollten diese Männer einmal plötzlich an einer unserer Gebetsversammlungen teilnehmen.” Vielleicht werfen wir jetzt einmal einen Blick auf das Titelblatt. Es zeigt den betenden Elia. Wir lesen dazu in Jakobus 5, 16‑18:

Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. Elia war ein Mensch wie wir, und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und er betete abermals, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre Frucht.

Ein Mensch ‑ wie wir! Wir brauchen nicht Elia zu sein. Wir haben aber den gleichen Gott, die gleichen Verheißungen, die gleichen Möglichkeiten. Nützen wir sie aus zum Bau seines Reiches und zu unserer Zubereitung für die Ewigkeit?

14. NICHT ERHÖRTES GEBET

Die intensiven Gebete, die keine Erhörung finden, verursachen oft große Anfechtungen. Es gibt verschiedene Gründe, die eine Erhörung hindern können.
In diesem Taschenbuch wird von den Kontakten zum Höchsten gesprochen. Kontakte können unterbrochen werden.
Im Alltagsleben gibt es dazu viele Hinweise. Mein Rasenmäher zum Beispiel hat mir manche Predigt gehalten. Einmal zog ich 40mal den Starterzug, bis der Motor ansprang. Es war zum Verzweifeln. Und die Ursache? Die Zündkerze war verrußt, so daß der zündende Funke nicht überspringen konnte. Eine winzige Oxidationsschicht, vielleicht nur ein fünftel Millimeter stark, kann das Hindernis sein, daß der Motor nicht anspringt.
Bei nicht erhörten Gebeten kann eine winzige, unscheinbare Störschicht der Grund sein, daß unser Beten Gottes Arm nicht bewegen kann.
Es gibt mannigfaltige Störschichten wie Hochmut, Ehrgeiz, Pharisäismus, Richtgeist, Geschwätzigkeit, Unlauterkeit, Trägheit, Weltverflochtenheit, Ungehorsam, unreine Phantasie und hundert andere Hindernisse.
Jesaja sagt im Kapitel 59:
Eure Untugenden scheiden euch und euren Gott voneinander, und eure Sünden verbergen sein Angesicht vor euch, daß ihr nicht gehört werdet.

Man hüte sich aber auf diesem Gebiet vor Kurzschlüssen. Von extremen Christen habe ich schon folgende Schlußfolgerung gehört: “Sein Gebet wurde nicht erhört, also muß bei ihm eine Sünde vorliegen.”
Damit kann man rechtschaffene Christen quälen und in die Enge treiben. Die kurzschlüssige Theologie der Extremisten kann furchtbar grausam sein.

Nicht erhörtes Gebet kann auch seinen Grund im anders gerichteten Willen Gottes haben. Denken wir an Jesus, der in Gethsemane (Luk. 22, 42) betete:

“Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.”

Jesus hatte aber nach dem Willen des Vaters den schweren Leidenskelch auszutrinken. Uns ist damit eine entscheidende Lektion gegeben. Wenn eine Gebetserhörung nicht im Plan und Willen Gottes liegt, dann rennen wir vergeblich dagegen an.
Das schmälert aber nicht die Tatsache, daß Gott in seiner Barmherzigkeit auch seinen Willen ändern könnte. Das ist kein Widerspruch. In der Bibel liegt oft die Wahrheit in der Mitte oder in der Spannung zwischen entgegengerichteten Aussagen. Es fehlt in dieser Kurzdarstellung der Raum, dieses theologische Problem zu erörtern.
Es gibt aber für uns kurzsichtige Menschen beim nicht erhörten Gebet Probleme, die blindes Vertrauen fordern, auch wenn wir die Führung Gottes nicht verstehen können.

Ein furchtbares Beispiel wurde mir bei der Niederschrift dieses Kapitels von meinem Freund Albert Lörcher mitgeteilt. Der Liebenzeller Missionar Werner war in Bangladesh eingesetzt. Er wurde im März 1977 von Banditen erschossen. Er hinterläßt eine Frau mit fünf minderjährigen Kindern.
Bei dieser gräßlichen Heimsuchung entstehen viele Fragen. Kann Gott nicht seine Boten beschützen?
Warum hat Gott nicht die vielen Gebete dieser Familie um seinen Schutz erhört? Warum hat Gott nicht auf die Fürbitte der Missionsfreunde in der Heimat geachtet?

Solche Fragen sind seit 1900 Jahren gestellt worden. Die Christen wurden von den Pharisäern verfolgt, von den Römern, von den Heiden auf den Missionsfeldern, von der katholischen Kirche etwa mit der gräßlichen, fanatischen Mordgier der Inquisition. Christen wurden zu Tausenden umgebracht, von den Kommunisten in Rotchina, in Rußland, in Nordkorea oder jetzt von dem größenwahnsinnigen Verbrecher Idi Amin.

Auf diese notvollen Fragen gibt es keine befriedigende Antwort. Der Meistersinger Hans Sachs von Nürnberg hat uns ein Stück geschenkt, das ähnliche Fragen anschneidet. Ein himmlischer Bote sagt seinem Begleiter, der rätselhafte Dinge erlebt:


Schweig, sei still, du wirst es hernach erfahren.

Für uns stellt sich die Frage, ob wir unserm Herrn volles Vertrauen schenken, auch wenn wir seine Führungen nicht verstehen.

Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel. Bei einer Stickerei ist die Unterseite oft ein Gewirr von Fäden, die kreuz und quer laufen. Die Oberseite aber stellt ein harmonisches Muster dar. Unser Leben gleicht oft der krausen Unterseite. Blicken wir aber in der Ewigkeit von oben her auf unser Leben, dann stellen wir eine sinnvolle Führung nach dem Plan Gottes fest.

In dem Lied “Gott mein Trost und mein Vertrauen” ringt sich der Verfasser zu dem Entschluß durch:

Ich empfehl mich deinen Händen,

Vater, voll Zufriedenheit.

Jede Klage wird sich enden,

Jeder Schmerz wird Seligkeit.

Kann ich von des Himmels Höhen

Einst mein Schicksal übersehen,

O dann sprech ich tiefgerührt:

Selig hast du mich geführt.

15. GOTT ALS PARTNER

Der Kontakt mit dem Höchsten enthält die große Wahrheit, daß wir Gott zum Partner, zum Bundesgenossen haben.
Auf einer Tagung der Theologen sagte ein früherer Studentenpfarrer: “Beten ist sinnlos. Es fehlt das Du, das hören und antworten könnte. Beten ist höchstens Meditation, eine Art Selbstbesinnung, eine Selbsthilfe.”
Armer Tropf! Wir haben das Du, das hört und antwortet. Wir haben den Partner. Wir haben einen Gott, dessen Arm vom Beter bewegt wird. Wir haben einen Herrn, der Wunder tut. Wir stehen nicht auf verlorenem Posten. Wir sind nicht abgeschrieben. Wir sind nicht vergessen. Wir haben den, der gesagt hat:
Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.


König David hat diese tröstliche Wahrheit erlebt. Er bekannte in Psalm 23:

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal

fürchte ich kein Unglück;

denn Du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

Gott selbst hat zwischen uns Menschen und sich den Kontakt hergestellt. Das geschah auf Golgatha. Nehmen wir diese Kontaktbildung an?

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Herbst 2023
Die Textbetonungen sind von mir

info@horst-koch.de




Das Jenseits

Dr. René Pache

DAS JENSEITS

– Leicht gekürzt für meine Webseite. Auch die Hervorhebungen sind von mir. Horst Koch, Herborn, im Herbst 2023 –

 

I N H A L T S VE R Z E I C H N I S
(Gekürzt)

Erster Teil: Einführung

Kapitel I: Die Bedeutung des Jenseits
1. Das Leben ist viel zu kurz, um uns zu genügen

2. Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt

3. Wenn es kein Jenseits gibt, ist unser Diesseits ohne Sinn
5. Endlich, nachdem wir Trauer und Trennung auf Erden erfahren haben, brauchen wir die tröstliche Gewißheit, unsere im Glauben verstorbenen Lieben wiederzusehen

Kapitel II: Der Mensch und seine Bestimmung
1. Der Mensch ist zum Bilde Gottes geschaffen

2. Der Mensch ist eine lebendige Seele

3. Leib, Seele und Geist

4. Ist die Seele unsterblich?

Zweiter Teil: Der Tod und die Toten

Kapitel I: Der Tod


1. Der ursprüngliche Plan Gottes

2. Warum ist der Tod zu uns gekommen?

5. Vom Tode zum Leben
b) der Selbstmord
d) die Todesstrafe

11. Der Sieg über den Tod
12. Bereiten wir uns auf ein seliges Sterben vor


Kapitel II: Der Aufenthalt der Toten
1. Wo sind die Toten?

4. Sehen uns die Verstorbenen?

5. Sind die Verstorbenen um uns?

6. Was sollen wir vom Spiritismus denken?

7. Was sagt die Bibel zu der Anrufung der Heiligen und der Mutter Gottes?

9. Sollen wir für die Verstorbenen beten

Dritter Teil : Die Welt der Geister

Kapitel I: Die Engel
1. Was sind die Engel?

Kapitel II: Satan

1. Wer ist Satan?
5. Aus der Gewalt des Satans erlöst

Kapitel III: Die Dämonen

1. Ursprung und Sturz der Dämonen

3. Das Reich der Finsternis

4. Der Kampf der Dämonen gegen Gott

5. Der Kampf der Dämonen gegen die Menschen

7. Der Sieg der Gläubigen über die Dämonen

Vierter Teil: Die Auferstehung

Kapitel I: Die Auferstehung Jesu Christi
2. Die Auferstehung Christi wird im Alten Testament angekündigt

5. Die Zeugen der Auferstehung Christi

6. Andere Tatsachen, die die Auferstehung begleiteten und bestätigten


Kapitel II: Die Auferstehung der Gläubigen
1. Gott hat uns für das Leben und nicht für den Tod bestimmt

2. Die Auferstehung nach dem Alten Testament
3. Die Auferweckungen In den Evangelien und in der Apostelgeschichte

4. Auch die Natur lehrt uns die Auferstehung

5. Wie wird der Auferstehungsleib sein?

6. Wann wird die Auferstehung der Gläubigen stattfinden?

Fünfter Teil : Die ewige Verdammnis

Kapitel I: Die Auferstehung der Ungläubigen
1. Die Heilige Schrift lehrt klar, daß es zwei Auferstehungen gibt.

Kapitel II : Das Jüngste Gericht
1. Was ist das Jüngste Gericht?

3. Die Zerstörung der Erde und des Himmels

5. Jeder wird nach seinen Werken gerichtet
6. Wie werden diejenigen gerichtet, die das Evangelium nicht gehört haben?

7. Das Buch des Lebens


Kapitel III: Die Hölle
1. Welche biblischen Bezeichnungen schildern die Hölle?

2. Worin besteht die Hölle?

3. Die Leiden der Hölle
4. Verträgt sich die ewige Hölle mit der Liebe Gottes?

Sechster Teil: Der Himmel

1. Wie wird der Himmel beschrieben

3. Charakteristik des Himmels

4. Das Wiedersehn im Himmel

5. Was wird aus den Familienbanden?

6. Was werden wir im Himmel tun? 

9. Wem steht der Himmel offen?

10. Welche Wirkung wird die Aussicht auf den Himmel in uns haben?

(Aus dem Französischen. Übersetzt von Anny Wienbruch. 1957)

 

VORWORT
Wir freuen uns, dieses Buch veröffentlichen zu können. Es ist die Fortsetzung unseres Buches – Die Wiederkunft Jesu Christi –, das die Prophetie bis zum Ende des Tausendjährigen Reiches zum Gegenstand hat.
Eine Vorschau auf die Zukunft hätte nur geringen Wert, wenn sie sich auf das – wenn auch herrliche – Ende des irdischen Geschehens beschränkte. Gott hat in unsere Herzen die Sehnsucht nach der Ewigkeit gegeben, die allein durch Seine unmittelbare und ewige Gegenwart befriedigt werden kann.
In dem vorliegenden Buch wird versucht, die zahlreichen biblischen Texte, die über die zukünftige Welt aussagen, zusammenzustellen und soweit wie möglich zu erklären. Sie sind wunderbar und furchtbar zugleich. Wenn wir auf ewig in der jenseitigen Welt leben sollen, wäre es mehr als unvernünftig, wenn wir die biblischen Offenbarungen über dieses wichtige Gebiet vernachläßigten.  . . .
René Pache


 – Für meine Webseite gekürzt. Auch die Hervorhebungen sind von mir. Im Herbst 2023. Horst Koch, Herborn –

ERSTER TEIL 


Kapitel 1 DIE BEDEUTUNG DES JENSEITS

Ein Buch über das Jenseits! Ist es nicht gefährlich, sich mit der an deren Welt zu beschäftigen? warnen die einen. Können wir überhaupt etwas Genaues über dieses geheimnisvolle Gebiet wissen? fragen die anderen. Genügt uns die Erde nicht? Solche Redensarten verraten, wie erschreckend unwissend der Mensch über die Bedeutung der Ewigkeit ist, über die Weite der biblischen Offenbarungen und über die Gefahr, in welcher sich die Seelen befinden, die sich nicht darum kümmern.


1. Das Leben ist viel zu kurz, um uns zu genügen.

Was bedeutet schon ein Menschenalter! Die äußerste Frist, die Gott ihm setzt, sind hundertundzwanzig Jahre. 1. Mose 6, 3. Aber wie wenige von uns werden hundert Jahre alt! Wir müssen mit dem Psalmisten sprechen: „Herr, lehre doch mich, daß es ein Ende mit mir haben muß…“ (Ps.39,5)
 
“Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährst schnell dahin, als flögen wir davon . . . Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden!” Psalm 90, 9-10. 12.

„Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, denn des Herrn Geist bläst darein . . . aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“ Jes. 40, 6-8.
Nicht allein unser eigenes Leben ist ein Nichts. Was sind die paar Jahrtausende der menschlichen Geschichte? Wo waren wir vor wenigen Jahrzehnten? Und wo werden wir nach einigen Jahrzehnten sein? Drängt sich uns da nicht die Frage auf, ob uns nach dem Tode noch etwas erwartet? Wenn wir nahezu unsere gesamte Existenz anderswo verbringen sollten, ist es da nicht dringend nötig, daß wir uns mit dieser anderen Welt befassen? Denn was sind siebzig oder achtzig Jahre im Vergleich zur Ewigkeit?


2. Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt (Prediger 3,11).

Nach Seinem Bilde hat Er uns geschaffen, Er hat uns den Sinn für das gegeben, was ewig und vollkommen ist. Nichts Vergängliches, nichts Unvollkommenes kann uns befriedigen. Wir möchten ohne Vorbehalt lieben und geliebt werden. … Die Jugend wähnt, noch eine unendliche Lebenszeit vor sich zu haben. Kaum zu überschauen dünkt sie ein einziges Jahr. Die Alten hingegen sehen die Zeit dahineilen. Sie klammern sich um so mehr an das irdische Leben, je rascher es ihnen entschwindet.  . . .

 Das menschliche Herz ist unersättlich – das ist seine Tragik. Der Lebemann rast von einem Vergnügen zum anderen, der Geschäftsmann trachtet Tag und Nacht danach, immer mehr zu gewinnen. . . . Gott hat uns bestimmt für die ganze Herrlichkeit des ewigen Lebens. Darum wird das Irdische unser Herz niemals ausfüllen können.

Jesus sagte zu der Samariterin, die wahrlich viel erlebt hatte: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinken wird, daß Ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten, sondern das Wasser, das Ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Joh. 4, 13-14.
Wie wahr ist das Wort des heiligen Augustin: „Unser Herz ist unruhig, bis es ruht in Gott.“

3. Wenn es kein Jenseits gibt, ist das Diesseits ohne Sinn.

Nur von der Ewigkeit her erhält unser Dasein seine Bedeutung. Wenn alles im Grabe endete, was hätten dann alle Anstrengungen, alle Bemühungen für einen Sinn?

Der Prediger sagt das in tiefer Enttäuschung: „Es ist alles ganz eitel. Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt . . . Ich sah alles Tun, das unter der Sonne geschieht. Und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind.“ Pred. 1,3-4.14.
Mehr als irgendein anderer hat dieser Mann aus allen Bechern getrunken: Vergnügungen, Gelage, Häuser, Länder, Reichtümer, Liebe, Ruhm, Wissenschaft. Und das Endergebnis ist, daß kein Gewinn ist unter der Sonne.  . . . Da nichts von Dauer ist und wir doch bald alles verlassen müssen, „laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ 1. Kor. 15, 32.

So denken die Materialisten. Diese Philosophie der Existentialisten ist der Ausdruck großer Empörung und Verzweiflung. Es ist leicht, zu essen und zu trinken, so lange man jung ist . . . Aber was macht man, wenn die Gebrechen des Alters einen zu einer elenden Jammergestalt gemacht haben? Wenn dann der Glaube an ein besseres Jenseits fehlt, bleibt nur der gähnende Abgrund . . . 


4. Die Gerechtigkeit dieser Erde befriedigt uns nicht!
Sie stillt unseren Durst nach vollkommener Gerechtigkeit nicht. Wieviel Ungerechtigkeit wird hier auf Erden niemals ausgeglichen! Dieses Problem hat schon den Psalmisten beunruhigt: „Ich aber hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen . . . da ich sah, daß es den Gottlosen so gut ging. . . .  bis . . . ich merkte auf ihr Ende. . . . Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken“. Psalm 73, 2-4.
Manche Sünden werden sogleich bestraft, aber die große Abrechnung wird erst in der anderen Welt stattfinden. Gott läßt dem Menschen die Freiheit, seinen eigenen Weg zu gehen. Er schiebt Sein Gericht auch noch auf, damit der Sünder Raum zur Buße finde. Aber es wäre unmoralisch und höchst ungerecht, wenn nicht einmal der Tag der großen Vergeltung käme.
Auch die Gerechten finden hier auf Erden nicht immer schon den Lohn ihrer Taten. Prüfungen und Verfolgungen bleiben ihnen nicht erspart. Nicht zu zählen sind die Märtyrer und die unschuldigen Opfer. Sollte es für sie niemals eine gerechte Wiedergutmachung geben?

Die Bibel sagt, daß Gott diese Prüfungen zuläßt, um die Leidenden zu läutern und zu heiligen. Aber das hätte ja gar keinen Sinn, wenn mit dem Tode alles aus wäre. Dann wären die Gläubigen die elendesten unter allen Menschen . . .


5. Endlich, nachdem wir Trauer und Trennung auf Erden erfahren haben, brauchen wir die tröstliche Gewißheit, unsere im Glauben verstorbenen Lieben wiederzusehen.

An einem offenen Grabe brauchen wir die Gewißheit, daß wir den wiedersehen werden, der uns verlassen hat. Allezeit und unter allen Himmeln ist die Menschheit von einer wunderbaren Hoffnung aufgerichtet worden, hat sie in sich den Gedanken an ein Weiterleben, ein Wiedersehen gehegt. Welches Glück, daß die Bibel uns hierüber solche Gewißheit gibt, wie sie das Wort der Wahrheit nur geben kann.


6. Gott hat den Menschen ausersehen, Ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen und Ihm gleich zu sein.

Gott hat uns nicht nur für das Ewige geschaffen, für die Gerechtigkeit und für die Vollkommenheit: Er hat uns für sich selbst geschaffen. Auf der Erde sind wir durch die Wand der Materie und die Ketten der Sünde von Ihm getrennt.
Wie wäre unser Gesichtskreis begrenzt, wenn wir nicht die herrliche Gewißheit hätten, die Ewigkeit in der Gegenwart des Schöpfers aller Dinge verbringen zu dürfen!
Es genügt aber nicht, daß wir die Notwendigkeit des Jenseits bejahen. Das Jenseits existiert wirklich! Gott selber spricht davon, und wir müssen mit Eifer Seinen Offenbarungen nachforschen.
Wenn wir die verschiedenen Religionen betrachten, stellen wir fest, daß die sich selbst überlassene Menschheit angesichts dieser Frage im dunkeln tappt.
Wieviel Unsinniges, Gefährliches ist gerade über dieses Gebiet schon gesagt worden! Heute ist die Verwirrung größer als jemals, selbst in den sogenannten christlichen Kreisen. Wenn man sich von der klaren Botschaft der Heiligen Schrift entfernt, kann man nur ein irriges Bild von der anderen Welt geben, auch von unserer Verbindung mit den Verstorbenen und den Möglichkeiten nach diesem Leben. Man nimmt die feierlichen Erklärungen der Bibel nicht mehr ernst, man leugnet die Verdammnis und fälscht so den klaren Blick für die Ewigkeit.
Überspannte Sekten machen sich diese Verwirrung zunutze. Sie verführen unsichere Menschen, die unwahrscheinlichsten, der Heiligen Schrift widersprechenden Dinge zu glauben.
Darum möchten wir uns in Demut unter die alleinige Wahrheit der Schrift beugen. Mit Petrus wollen wir sprechen:
„Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ Joh. 6, 68.

Wir werden uns bemühen alle biblischen Texte zu sammeln, die sich mit diesen großen Dingen befassen. Mit Hilfe zahlreicher klarer Schriftstellen werden wir versuchen, auch die weniger klaren Schriftworte zu verstehen. Wir wollen uns dabei erinnern, daß „das Geheimnis ist des Herrn, unseres Gottes, was aber offenbar ist, das ist unser und unserer Kinder ewiglich“. 5. Mose 29, 29.

Kapitel II

DER MENSCH UND SEINE BESTIMMUNG

Um zu verstehen, was den Menschen im Jenseits erwartet, müssen wir erst seine Beschaffenheit und seine ewige Bestimmung kennen.

1. Der Mensch ist zum Bilde Gottes geschaffen.
„Gott sprach: Lasset Uns Menschen machen, ein Bild, das Uns gleich sei . . . Und Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er ihn, und schuf sie, einen Mann und ein Weib.“ 1. Mose 1, 26-27.
In diesen beiden Versen versichert Gott viermal, daß Er als Schöpfer den Menschen ins Leben gerufen hat, und Er wiederholt auch viermal, daß Er ihn nach Seinem Bilde geschaffen hat. Wenn auch die körperliche Beschaffenheit des Menschen in mancher Beziehung der der Tiere gleichen mag, so ist seine Persönlichkeit selbst doch von ganz anderer Art.
Gott gab ihm: 

einen Geist, der mit Ihm in Verbindung treten kann,

einen Verstand, der Seine Werke und Seine Offenbarungen verstehen kann,

ein Gewissen, das ihn auf den Weg des Heils führt,

einen Willen, der ihm erlaubt, sich frei zu entscheiden,

einen künstlerischen Sinn, die wahre Schönheit zu würdigen, und endlich

ein Herz, das fähig ist, seinen Schöpfer zu lieben.

Auf die Frage: Warum hat Gott den Menschen geschaffen? könnten wir so antworten: Gott, der die Liebe ist, wollte einen Widerschein Seiner selbst, ein Wesen, das Ihm gleich sei, um Seine Liebe zu empfangen und Ihm zurückgeben.
 Der Herr setzte Sein Geschöpf in das Paradies, um mit ihm die engste Verbindung zu pflegen. Als der Sündenfall diese Verbindung zerrissen hatte, zielten alle Bemühungen des göttlichen Erlösers darauf hin, sie durch das Kreuz wiederherzustellen, auf daß sie im Himmel endgültig und auf ewig bestehe.

Das Jenseits ist also nicht eine Art Anhängsel, das an das irdische Leben angefügt wird, um es fortzusetzen oder zu vervollständigen. Es ist im Gegenteil das Ziel, das unser ganzes Dasein bestimmt. Ein Wesen, das aus der Hand Gottes hervorgegangen und nach Seinem Bilde geschaffen worden ist, kann nur zu Ihm zurückkehren.
„Der Staub muß wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“ Pred. 12, 7.


2. Der Mensch ist eine lebendige Seele.
Der Mensch ist vor allem zum Leben bestimmt: Nachdem Gott ihn aus dem Staub der Erde gebildet hat, „blies Er ihm den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele“ (oder: ein lebendiges Wesen). Dann pflanzte Gott in die Mitte des Gartens Eden den Baum des Lebens, durch den der Mensch eines Tages das ewige Leben erhalten sollte. 1. Mose 2, 7.9; 3, 22.

Tod und Verdammnis waren also nicht für Adam bestimmt. Erst als Folge seines Sündenfalles ist er davon betroffen worden. Wäre er nicht der Sünde verfallen, so hätte er wahrscheinlich, nachdem er eine Zeitlang im Garten verbracht hätte, vom Baume des Lebens essen dürfen und wäre dann der unmittelbaren Gegenwart Gottes teilhaftig geworden. Das Beispiel Henochs, der nach einem Leben in der Verbindung mit Gott hinweggenommen wurde, ohne den Tod zu schmecken, zeigt uns, wie die Menschen eigentlich hätten in den Himmel versetzt werden sollen. 1. Mose 5, 24; Hebr. 11, 5.


3. Leib, Seele und Geist.

Der Text 1. Mose 2, 7 unterscheidet beim Menschen:
den Leib, der aus dem Erdenstaub geschaffen wurde,

den Atem (oder Geist) des Lebens, den Gott ihm gab,
die lebendige Seele, die er dann wurde.

Zwei andere Bibelstellen unterscheiden zwei bzw. drei dieser Grundstoffe des Menschen:

„Euer Geist ganz samt Seele und Leib müsse bewahrt werden unsträflich auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi.“ 1. Thess. 5, 23. 

„Das Wort Gottes . . . dringt durch, bis daß es scheidet Seele und Geist . . . und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ Hebr. 4, 12.

Es ist leicht, die Rolle zu verstehen, die unser Leib in unserem gegenwärtigen Leben spielt. Als Werkzeug unseres Willens dient er mehr dem Bösen als dem Guten. Wenn wir wiedergeboren sind, sollen wir ihn Gott als Opfer darbringen, da er der Tempel Seines Geistes ist. Röm. 12,1; 1. Kor. 6,9.

Paulus sagt, daß unser gegenwärtiger Leib „seelisch“ ist (im Griechischen psychisch), das heißt: belebt durch die Seele, die Psyche. . . . Durch die Auferstehung werden wir einen „geistlichen Leib“ erhalten. Was die Bezeichnung „Seele“ und „Geist“ betrifft, so ist es nicht immer leicht, sie in der Heiligen Schrift zu unterscheiden. Betrachten wir zuerst einmal, welche verschiedenen Bedeutungen das Wort „Seele“ hat! (Im Hebräischen: nephesh, im Griechischen: psyche.)


 a) Die Seele ist der lebendige Odem, der Ursprung des Lebens.
1. Mose 2, 7: „Er blies ihm ein den lebendigen Odem, und also ward der Mensch eine lebendige Seele.“


1. Mose 9, 4-5: „Esset das Fleisch nicht, das noch lebt mit seiner Seele, mit seinem Blut! Auch will Ich eures Leibes Blut rächen … und will’s an allen Tieren rächen.“ (Hiernach haben auch die Tiere eine Seele, d.h. sie sind lebendig und nicht leblos wie tote Gegenstände.)


3. Mose 17,11: „Des Leibes Leben (Seele) ist im Blut . . . das Blut ist die Versöhnung, weil das Leben (die Seele) in ihm ist.“ (Das heißt: Das Blut ist der Grundstoff alles Lebens; wer eines Menschen Blut vergießt, nimmt ihm das Leben. Es genügt, wenn das Blut in das Heiligtum gebracht wird, um zu bezeugen, daß das Leben des Opfertieres dargebracht worden ist.)
Apg. 20, 10): Paulus aber ging hinunter, warf sich über ihn . . . und sagte: „Beunruhigt euch nicht! seine Seele ist (wieder) in ihm.“ 


b) „Seele“ in der Bedeutung „Person“, „Mensch“.
Dieser Sinn erscheint klar im Urtext:


2. Mose 1, 5: „Aller Seelen, die aus den Lenden Jakobs gekommen waren, deren waren siebzig.“

2. Mose 12, 4: Das Osterlamm sollte nach der Zahl der Seelen (das heißt der Personen) genommen werden.

3. Mose 4, 2: „Wenn eine Seele sündigen würde aus Versehen . . .“

3. Mose 21,11 ist noch charakteristischer: Der Hohepriester „soll zu keinem Toten kommen“. Wörtlich übersetzt heißt es: „zu keiner toten Seele“, obwohl er doch nur den unbeseelten Körper berühren könnte.

Im gleichen Sinne sagen wir selbst: eine Stadt von zehntausend Seelen.


 c) Die Seele ist der Träger des Gefühls.
1. Mose 34, 3: Seine Seele (Luther übersetzt: sein Herz) hing an ihr, und er hatte die Dirne lieb, und er wußte zu ihrem Herzen zu sprechen. (Luther übersetzt: er redete freundlich mit ihr; hier werden die beiden Worte „Seele“ und „Herz“ füreinander gebraucht.)

Psalm 42, 3, 6: „Meine Seele dürstet nach Gott . … Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?“

Luk. 2, 35: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dringen.“

Matth. 26, 38: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“


 d) Die Seele wird – nach einigen Bibelstellen – dem Geist gleichgesetzt. Verschiedene Schriftsteller haben versucht, den Unterschied zwischen Seele und Geist folgendermaßen darzulegen:


Die Seele ist der Träger des Lebens. Sie belebt unseren Leib. Auch der nicht wiedergeborene Mensch hat eine Seele. Sie ist außerdem der Sitz der Gefühle, des Verstandes, des Willens und der menschlichen Wünsche.

Der Geist hingegen ist der Teil unseres Wesens, der am höchsten, Gott am nächsten ist und mit Ihm in Verbindung treten kann. Beim unbekehrten Sünder ist dieser Geist „tot“. Bei der Wiedergeburt wird er durch den Einbruch des Geistes Gottes wieder erweckt und erhält die Fähigkeit, mit dem Göttlichen in Verbindung zu treten.

Der Geist des Menschen wird so das Gefäß des übernatürlichen Lebens und der Gegenwart des Herrn. 
Der Geist überlebt den Tod des Leibes und geht zu Gott. Er wird den „geistlichen Leib“, den Auferstehungsleib bewohnen.
Bei unserer Frömmigkeit ist das Seelische menschlich und fleischlich: zum Beispiel die sentimentalen religiösen Gefühle, persönliche Wünsche, ein nur verstandesmäßiges Erfassen der ewigen Wahrheit, ein noch nicht ausgelieferter Wille. Alles das kommt noch aus unserer eigenen Natur.
Die Frömmigkeit hingegen, die vor Gott gilt, hat ihren Sitz in unserer neuen Natur, unserem wiedergeborenen Geist, der vom Heiligen Geist erfüllt und fähig ist, in einem neuen Leben zu wandeln.
Diese Unterscheidung von „Seele“ und „Geist“ ist interessant, und wir glauben, daß sie in manchem der Wirklichkeit entspricht. Aber wir müssen auch feststellen, daß die Heilige Schrift, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, häufig diese beiden Worte füreinander gebraucht:


Pred. 12, 7: „Der Staub (Leib) muß wieder zu der Erde kommen . . . und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“ (Hier ist es der Geist, der in die andere Welt geht und zu Gott zurückkehrt.)


Psalm 16, 10: „Du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, daß Dein Heiliger verwese.“

Petrus erklärt, daß es sich hierum ein prophetisches Wort handelt, das sich auf Jesus Christus bezieht, dessen Seele nicht im Totenreich bleiben sollte und dessen Leib auferstände. Apg. 2, 24-31. Der Psalmist und der Apostel hätten ebensogut von dem Geist reden können, den Jesus am Kreuz in Seines Vaters Hände gab. Matth. 27, 50; Luk. 23, 46; „Meine Seele erhebet den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes . . .“ – Es ist schwierig, hier einen Unterschied zwischen beiden Bezeichnungen zu erkennen.
Matth. 10, 28: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht töten können.“ Die Seele ist hier nicht der einfache lebendige Odem, der mit dem Leib stirbt. Es handelt sich hier vielmehr um das, was man sonst „Geist“ nennt, den nicht materiellen Teil unseres Wesens, der in die andere Welt hinübergeht.
Apg. 7, 58: Stephanus rief und sprach: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“
Hebr. 12, 23. Im himmlischen Jerusalem befinden sich „die Geister der vollendeten Gerechten“.
Offb. 6, 9-10. Das hindert Johannes nicht, in der anderen Welt die „Seelen derer“ zu sehen, „die erwürgt waren um des Wortes Gottes willen und um des Zeugnisses willen, das sie hatten. Und sie schrieen mit großer Stimme . . .“ Diese Seelen werden zu Beginn des Tausendjährigen Reiches wieder auferstehen!
Offb. 20, 4: „Die Seelen derer, die enthauptet sind um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen.“ 

Endlich spricht Petrus von der Seele als dem geistlichen Teil unseres Wesens, den Gott heiligt und für die Ewigkeit errettet: „Ihr werdet das Ende eures Glaubens davonbringen, nämlich der Seelen Seligkeit . . . und machet keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit . . . .enthaltet euch von den fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten . . . Welche da leiden nach Gottes Willen, die sollen Ihm ihre Seelen befehlen als dem treuen Schöpfer in guten Werken.“ 1. Petr. 1, 9. 22; 2,11; 4,19.
Derselbe Apostel sagt auch, daß die Geister der Gottlosen im Gefängnis sind. 1. Petr. 3, 19.
Kurzum, es scheint uns schwierig, diese Unterscheidung zwischen Seele und Geist streng durchzuführen. Die Hauptsache ist, daß wir die wichtige und vollkommen klare Lehre der Heiligen Schrift festhalten: Ein Teil unseres Wesens ist geistlich, ist bestimmt, Gott zu erkennen und den Tod des Leibes zu überleben.


4. Ist die Seele unsterblich?
Wenn man auf gewissen Bibelstellen fußt, erhebt sich einem die Frage, ob die Seele nicht schließlich doch sterblich sei. Nach Paulus hat „Gott allein Unsterblichkeit“ 1.Tim. 6,16. Der Mensch hätte demnach kein Recht auf Unsterblichkeit. An anderer Stelle sagt die Heilige Schrift: „Welche Seele sündigt, die soll sterben.“ Hes.18,4. „Der Tod ist der Sünde Sold.“ Röm. 6,23.
Gleichwie der Leib stirbt – so denken manche -, wird auch die Seele durch den Tod vernichtet. Sie wäre also nicht unsterblich. Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, weit davon entfernt, biblisch zu sein, sei heidnischen, vor allem griechischen Einflüssen zuzuschreiben. Nach der Lehre der Konditionalisten hinge unsere Unsterblichkeit ganz und gar von unserem Glauben ab: Der sterbliche Mensch wäre nur ein Anwärter auf die Unsterblichkeit und seine „Unsterblichwerden“ wäre sogar das Ziel der Erlösung. Das Leben der Gottlosen würde zwar über das Grab hinausreichen, aber doch nur vergänglich sein und endlich völlig auslöschen. . . .


Zuvor wollen wir einige erklärende Worte zu den Lehren der Griechen, vor allem Platos geben.
Die Griechen (und viele andere heidnische Völker) glaubten an das Weiterleben der Seele, aber nicht im gleichen Sinn wie die Heilige Schrift.
 Plato sieht die Materie als ein Übel an. Die Seele besteht vor dem Leib, da sie von Natur göttlich und unsterblich ist. Sie ist in dem sinnlichen Leib eine Gefangene, eine Fremde. Ihr Heil besteht in ihrer Erlösung aus dieser Leiblichkeit. Wenn die Seele völlig gereinigt worden ist, lebt sie in Ewigkeit ohne Leib.

Solche Lehren sind augenscheinlich eine Verneinung des biblischen Begriffes von der Auferstehung des Leibes, die mit der Wiedergeburt der Seele verbunden ist. Andererseits verachtet die Bibel die Materie nicht. Sie sagt nicht, daß der Leib an sich schlecht sei. Ist er doch von Gott vollkommen geschaffen und kann durch den Heiligen Geist, der in ihm wohnt, geheiligt werden. Außerdem besteht die Seele nicht vor der Geburt des Menschen, noch ist sie selber göttlich. Daß diese Lehren Platos gewisse Theologen und Kirchenväter beeinflußt haben, beweist die Geschichte. Aber sie sind nicht in das Neue Testament eingedrungen. Indem wir diese Lehren verwerfen, bekennen wir uns zu dem völlig anderen Zeugnis der Offenbarung.

Kehren wir zu unserer Frage zurück: Lehrt die Bibel die Unsterblichkeit der Seele? Wir haben gesehen, daß Gott allein „Unsterblichkeit hat“, denn Er ist die Quelle des Lebens, Er ist Seinem Wesen nach das Leben selbst und allein. Er ist ewig. Joh. 1,4; 14,6; Psalm 90,2. Paulus aber sagt nicht nur, daß Gott allein unsterblich ist. Er besitzt die Unsterblichkeit und Er verfügt darüber als einer Gabe, die Er als Schöpfer Seinen Geschöpfen gewährt. Die biblischen Texte scheinen dies in der Tat klar zu bestätigen:

1. Es gibt ein Weiterleben in der anderen Welt für die Gerechten wie für die Ungerechten. Was die Gerechten betrifft, so brauchen wir uns nur auf das Wort Christi zu berufen, wonach die Patriarchen alle leben, obwohl sie vor Hunderten oder Tausenden von Jahren die Erde verlassen haben. Luk. 20, 37-38.
Was die Ungerechten betrifft, so leben sie weiter im Totenreich nach Jes. 14, 9.10 und Hes. 32, 21-32. Jesus lehrt uns, daß sie dort seit ihrem Abscheiden in voller Bewußtheit leiden. Luk. 16, 19-31. Alle Gottlosen werden aus dem Totenreich hervorkommen, um das letzte Gericht und die Pein der Hölle zu erdulden. Offb. 20,12-15.
2. Dieses Weiterleben wird für die einen wie für die anderen kein Ende haben. Es ist selbstverständlich, daß das ewige Leben der Auserwählten allezeit dauern wird. Wir werden weiter sehen, daß die Qual und die Verdammnis die gleiche Dauer haben werden, denn die einen werden in das ewige Leben gehen und die anderen in die ewige Pein. Matth. 25,46. In dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt, werden die Gottlosen Tag und Nacht gequält werden von Ewigkeit zu Ewigkeit. Offb. 14,10-11; 20,10; 21,8.
3. Die Bezeichnung „Unsterblichkeit“ wird von der Heiligen Schrift nur auf den auferstandenen Leib angewendet und nicht auf die Seele.
Der verwesliche Körper wird zerstört und vergeht. Er hat es nötig, unverweslich und unsterblich zu werden. Wenn auch die Seele den „geistlichen Tod“ kennt, so hört sie doch niemals auf, zu bestehen, weder in dieser noch in der anderen Welt. Wir werden reichlich Gelegenheit haben, dies umfassend zu beweisen.
Als Anregung könnte man folgende Übersicht geben:


Der Mensch empfängt:
bei seiner Geburt – mit seiner Seele – die Existenz ohne Ende,

bei seiner Wiedergeburt – mit seinem Geist – das ewige Leben

bei seiner Auferstehung – mit seinem Leib – die Unsterblichkeit.

4. Bemerkenswert ist auch, daß niemals von der Unsterblichkeit der Engel gesprochen wird. Es sind Geister, die ohne Zweifel für eine ewige Existenz geschaffen und bestimmt sind. Die Tatsache, daß die Bibel sie nicht „unsterbliche Engel“ nennt, bedeutet nicht, daß sie nicht ewig in der anderen Welt leben werden.
5. Obwohl sie für eine ewige Existenz bestimmt sind, haben die unbußfertigen Sünder doch nicht das wahre Leben, das in einer lebendigen Gemeinschaft mit Gott besteht. „Das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Joh.17,3. „Dieser (Jesus Christus) ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.“ 1.Joh.5,20. Schon auf Erden ist der Gottlose im geistlichen Tod. Er ist getrennt von Gott, tot in seinen Übertretungen und Sünden nach Eph. 2,1; „lebendig tot“ nach 1.Tim. 5,6. Zusammenfassend bedeutet in der Sprache der Bibel
das Leben – die Existenz mit Gott,

der Tod – die Existenz ohne Gott.
Das Leben empfängt seinen Wert und sein Glück von Gott, dem Brunnquell aller Güter. Der „Tod“ besteht in dem Verlust der Liebe, der Freude und des Friedens, die Gott allein gibt. Wir können mit der Heiligen Schrift sagen, daß der Gläubige schon hier auf Erden das ewige Leben hat. Er genießt den Himmel schon auf Erden. Er hat Gott in seinem Herzen, bevor er mit Ihm für immer dort oben vereint wird. Dagegen ist der Gottlose schon jetzt im Tode. Er weiß schon etwas von der Hölle auf der Erde, von der der Herr mehr und mehr vertrieben wird. Im Jenseits wird dieser Gottlose den ganzen Schmerz erdulden, den die ewige Trennung von Gott in sich schließt.

6. Da die Bibel die Bezeichnung „Unsterblichkeit der Seele“ nicht anwendet, wollen wir sie auch nicht gebrauchen. Aber wie sie wollen wir mit aller Kraft das ewige Leben bezeugen, zu dem der Mensch, das Ebenbild Gottes, berufen ist. Vinet hat geschrieben: „Ich glaube nicht an die Unsterblichkeit der Seele, aber an die Unsterblichkeit des Menschen, der Leib und Seele ist.“ Dies gilt sowohl für die Gerechten wie für die Ungerechten, da es eine Auferstehung des Leibes für die einen wie für die anderen geben wird. Joh. 5, 28-29.

ZWEITER TEIL

Der Tod und die Toten

Kapitel I   DER TOD

1. Der ursprüngliche Plan Gottes.
Der Herr ist ein Gott der Liebe und des Lebens. Er bestimmte für die Menschheit – wie für alle Seine Geschöpfe – ein herrliches Los, ein Los voller Glück und in der beständigen Gemeinschaft mit Ihm.
Der Mensch, „zu Seinem Bilde geschaffen“ und „eine lebendige Seele“, war nicht zum Tode und zur Verdammnis bestimmt. Wir haben gesehen, daß er eines Tages von dem Baum des Lebens hätte essen dürfen und dann das ewige Leben erlangt hätte. und wie Henoch in den Himmel versetzt worden wäre, ohne den Tod gesehen zu haben. 1. Mose 3,22; Hebr. 11,5.
Selbst nach dem Sündenfall bezeugt Gott, daß Er vor allem und immer noch die Rettung aller Menschen will: „So wahr Ich lebe, spricht der Herr Herr, Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen.“
 „Gott, unser Heiland, will, daß allen Menschen geholfen werde.“ 1. Tim. 2, 3-4.
Wenn wir also soweit gekommen sind, daß wir von Tod und ewiger Verdammnis sprechen, so deswegen, weil ein furchtbares Ereignis Gottes ursprünglichen Plan erschüttert hat.



2. Warum ist der Tod zu uns gekommen?
Da er als Ebenbild Gottes geschaffen worden war, hatte der Mensch auch einen Willen und die Freiheit, danach zu handeln. Der Gott der Liebe will, daß Seine Geschöpfe Ihn mit Freuden lieben und Ihm freiwillig dienen. Er zwingt sie nicht, Seine Sklaven zu werden. Er stellt ihnen frei, auch einen anderen Weg zu wählen. Die Engel. Adam und Eva, Jesus selber sind versucht worden. Gott wollte den Garten Eden nicht zu einem goldenen Käfig machen, aus dem niemand hätte entweichen können. Er ließ das Tor halb offenstehen, aber Er hoffte, der Mensch wäre gebührend gewarnt und durch soviel Wohltat gewonnen, daß er sich freiwillig für den Gehorsam und die Gemeinschaft mit seinem Herrn entscheiden würde. Adam und Eva haben in völliger Freiheit des Willens gesündigt und erlebten dann, wie sich die furchtbare Drohung an ihnen erfüllte: „Von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen, denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.“ 1 . Mose 2, 17.

3. Der leibliche Tod.
Am Tage des Sündenfalls sagt Gott zu dem Menschen: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ 1. Mose 3, 19.
Paulus bekräftigt diese Worte, indem er schreibt: „Wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben.“ Röm. 5, 12.
Das Gesetz des Todes ist nunmehr unabweislich: Alle Menschen sind Sünder, und alle wandern dem Grabe zu. Und über der schönsten Erdenlaufbahn ertönt wie eine Totenglocke als letztes Wort: „ . . . und er starb.“ 1.Mose 5, 5.8.11 usw. Der Tod wird uns alle eines Tages treffen, und unsere größte Sorge sollte sein, uns auf ein seliges Sterben vorzubereiten, denn „es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“. Hebr. 9, 27.
Aber der leibliche Tod ist nicht endgültig. Für die Gläubigen wird es die herrliche Auferstehung nach dem Erstling Jesus Christus geben und für die Gottlosen die Auferstehung zum Gericht.



4. Der geistliche Tod.
Adam (wie auch wir) ist nicht am Tage seiner ersten Sünde vom Tod ereilt worden. Aber an demselben Tage wurde er vom geistlichen Tod ereilt, d.h., er wurde aus der Gegenwart Gottes, aus dem Garten Eden vertrieben. (1. Mose 3, 22-24.) Denn der geistliche Tod, der die Seele trifft, ist nicht die Vernichtung, sondern die Trennung von Gott. („Denn das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen“. Joh. 17,3) Darum sehen wir seit dem Sündenfall, daß die Sünder leben, handeln, das Dasein genießen, ja sogar eine Religion haben und trotzdem im geistlichen Tode sind. Paulus schreibt an die Epheser: „Ihr waret tot durch Übertretungen und Sünden . . . gedenket daran, daß ihr zu derselben Zeit ohne Christum waret, daher ihr keine Hoffnung hattet und waret ohne Gott in der Welt.“ Eph. 2, 1.12.
Als er Timotheus von den Witwen schreibt, deren Lebenswandel tadelnswert war, erklärt derselbe Apostel: „Welche aber in Wollüsten lebt, die ist lebendig tot.“ 1. Tim. 5, 6.
Derart ist der furchtbare Zustand aller Menschen, die nicht wieder geboren sind: Sie sind lebendig tot! Tot, was ihren Geist betrifft; und was ihren Leib betrifft, so sind sie Anwärter des Todes. Ist das auch noch unser Zustand?
Auf alle Fälle war es der Zustand des verlorenen Sohnes, als er sein Geld verpraßte. Der Vater ruft bei seiner Rückkehr aus: „Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden.“ Luk. 15, 24. Tot bedeutet bei ihm: leben, aber im Elend, fern dem Vaterhause.



5. Vom Tode zum Leben
Alle Sünder sind dem geistlichen und leiblichen Tode verfallen. Sie alle bedürfen der Wiedergeburt der Seele und der Auferstehung des Leibes.
Die Heilige Schrift betont immer wieder die Notwendigkeit der neuen Geburt, das heißt der geistlichen Wiedergeburt des Sünders, der in den Augen Gottes tot ist. Jesus sagt zu Nikodemus, der ein frommer und gelehrter Mann, aber noch nicht wiedergeboren war: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.“ Joh. 3, 3-8.

Später erklärt der Herr, wie allein durch den Glauben und das Wirken des Geistes diese Wiedergeburt möglich ist: „Wer Mein Wort hört und glaubt Dem, der Mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“
Johannes hebt immer wieder diese herrliche Erfahrung hervor, die uns das ewige Leben gibt und uns zu Kindern Gottes macht:
„Wie viele Ihn aber aufnahmen, denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben.“ Joh. 1,12.
Paulus verbreitete sich auch über das Thema der geistlichen Auferstehung der Gläubigen: „Ihr waret tot durch Übertretungen und Sünden . . . aber Gott . . . durch Seine große Liebe, damit Er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat uns samt Christo lebendig gemacht . . . und hat uns samt Ihm auferweckt.“ Eph. 2, 1. 4-6.
„Indem ihr mit Ihm begraben seid durch die Taufe, in welchem ihr auch auferstanden seid durch den Glauben, den Gott wirkt, welcher Ihn auferweckt hat von den Toten. Und Er hat euch mit Ihm lebendig gemacht, die ihr tot waret in den Sünden und in eurem unbeschnittenen Fleische, und hat uns geschenkt alle Sünden.“ Kol. 2, 12-13.

Die Taufe, von der hier die Rede ist, ist in erster Linie die Taufe des Geistes, die durch den Glauben empfangen wird und von der die Wassertaufe nur Sinnbild und Zeichen ist. Wer also von Herzen glaubt, der wird aus dem geistlichen Tod errettet, in Christus „eingetaucht“ und mit Ihm auferstehen.
„So sind wir ja mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln . . . Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit Ihm leben werden . . . Begebet euch selbst Gott als die da aus den Toten lebendig sind.“ Röm. 6. 4. 8. 13.
Erwähnen wir auch noch die Worte Petri, nach welchen wir wiedergeboren sind durch das lebendige und ewige Wort Gottes und der göttlichen Natur teilhaftig geworden sind. 1. Petr. 1,23 und 2. Petr. 1,4.
Die Botschaft all dieser Bibeltexte ist klar: Die Wiedergeburt ist das einzige Mittel gegen den geistlichen Tod, dem jeder Sünder verfallen ist. Diese Wiedergeburt wird im gleichen Augenblick vollzogen, in dem wir durch den Glauben Jesus Christus als unseren persönlichen Erlöser annehmen.  . . .

6. Der Tod des Gottlosen.
Alle Menschen, gläubige und ungläubige, wandern dem Ziel ihres Erdenlebens zu. Aber welch eine Kluft ist zwischen dem Tod eines Gotteskindes, das zu seinem Vater geht, und dem Tod des Sünders, der plötzlich vor seinem Richter erscheinen muß!
Das unendlich Tragische hierbei ist auch noch, daß der Ungläubige vom Tod ereilt wird, ohne darauf vorbereitet zu sein. Er sieht sich jäh in die eine oder andere Lage versetzt, die wir folgendermaßen beschreiben können:
In seinem Erdenleben hat er soviel Schätze wie möglich zusammen gerafft. Und Gott sagt ihm: „Du Narr! Wes wird’s sein, das du bereitet hast?“ Luk. 12, 20. . . .
Der Weltmensch stirbt, wie er gelebt hat. Isebel hat ein Leben der Zügellosigkeit und des wilden Egoismus geführt. . . . Sie, die Naboth kaltblütig ermorden ließ, wird zum Fenster hinausgeworfen, und die Hunde fressen sie auf dem Acker ihres Opfers. (2. Könige 9, 30-37.)
Die Aufrührer, in ihrem Gewissen beunruhigt, sehen mit Entsetzen die Stunde nahen, da sie Rechenschaft ablegen müssen. Als Saul von Samuel erfährt, daß er in der Schlacht sterben wird, fällt er vor Schrecken der Länge nach zu Boden. (1.Sam. 28, 20.) Als Belsazar die Hand sieht, die an die Wand schreibt: „Gezählt, gewogen, zerteilt!“, verfärbt er sich, „seine Gedanken erschreckten ihn, daß ihm die Lenden schütterten und die Beine zitterten“, er wird in derselben Nacht getötet. Dan. 5,6. 25. 30. . . .
Die tragischste Situation ist unstreitig die des scheinbar Gläubigen, des sogenannten „ehrenhaften Mannes“, desjenigen, der „recht tut und niemand scheut“, wie er sagt, der in einer falschen Sicherheit lebt und sich einbildet, vor seinem Gott vollkommen dazustehen. Wie zahlreich sind diese sogenannten „religiösen“ Menschen, . . .
An alle diese, die sich weigern, an Ihn zu glauben, richtet der Herr die furchtbaren Worte:
„Ihr werdet in euren Sünden sterben!“ Joh. 8, 24.
Diese Drohung wird auf ergreifende Art durch die bekannte Erzählung von Lazarus und dem reichen Manne veranschaulicht. Luk.16, 19-31.
Man hat schon angenommen, daß es sich hier um eine wahre Geschichte handele, da Jesus den Namen des Armen nennt, was Er in anderen Gleichnissen nie getan hat. Wie auch die Meinung hierüber sein mag, das eine steht fest: Jesus selbst gibt uns hier sehr genaue Einzelheiten über den Zustand der Seelen unmittelbar nach dem Tode. Es geht klar aus diesem Bibeltext hervor, daß, sobald sie diese Welt verlassen haben: die Gottlosen leiden, sie bei vollem Bewußtsein sind (Vers 23-24), sie ihr volles Erinnerungsvermögen haben (Vers 2), sie von niemand erquickt werden können (26), es ihnen unmöglich ist, den Ort der Qual zu verlassen (V. 26) sie vollkommen verantwortlich sind, wenn sie nicht zur rechten Zeit auf die Warnungen der Schrift gehört haben (Vers 27-31)
Wer erzittert nicht angesichts solch eines schrecklichen Loses? 


7. Der Tod des Gerechten
Es ist unmöglich, sich einen größeren Gegensatz vorzustellen. Der Gläubige hat dieselbe Verdammnis verdient. Aber er hat sich vor Gott gedemütigt. Er hat sein Vertrauen in Den gesetzt, dessen Tod ihn von den Folgen der Sünde erlöst. Von nun an ist der Tod für ihn nicht mehr der König der Schrecken. Er ist am Tage seiner Wiedergeburt der Macht des Todes entronnen.
„Wer Mein Wort hört und glaubt Dem, der Mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ Joh. 5, 24.
„So jemand Mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich . .  .” Joh. 8, 51.
Der Gläubige kann die Erde verlassen, das hat keine Bedeutung. Er hat das ewige Leben, und wenn er diese Erde verläßt, nimmt er noch mehr Besitz davon. Für ihn gibt es keinen Tod. Auch sein Leib wird am Jüngsten Tage auferstehen.
Der arme Lazarus stirbt und „ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß“, d.h. an den Ort der seligen Toten. Luk. 16, 22. 25.
Warum sollten wir denn einen Übergang fürchten, der uns unserem göttlichen Meister nur noch näher bringt?


Stephanus, der von zähneknirschenden Feinden umringt war, hatte nicht die geringste Furcht vor dem Tode. Sein Angesicht war wie eines Engels Angesicht. Er sah die Herrlichkeit Gottes und betete: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“ Apg. 6,15; 7,54-60.
Wie fern sind uns die düsteren Gedanken und der wahnsinnige Schrecken, den der Tod im allgemeinen hervorruft. Aber das ist nicht alles:
Paulus erklärt den Korinthern, daß der Leib uns für diese Zeit als Hütte dient, die wir mit einer ewigen Wohnung vertauschen werden.

„Wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet“. . . 2. Kor. 5,1-5.


Das ist wahrlich klar und wunderbar. Seit durch Seine Auferstehung und Himmelfahrt Jesus die Gläubigen, die bis dahin im Totenreich gefangen waren, mit sich in den Himmel gezogen hat, werden die Gotteskinder im Augenblick ihres Todes in die Gegenwart des Herrn versetzt. Wie Paulus betrachten sie ihr Scheiden als einen Gewinn, denn „abscheiden und bei Christus sein ist viel besser“. Sie möchten lieber diesen Leib des Leidens verlassen und beim Herrn weilen, nicht mehr im Glauben, sondern im Schauen wandeln.
Hinfort geht derselbe Apostel seinen Weg, ohne im geringsten von dem Gedanken an den Tod beunruhigt zu sein. Er erklärt: „Ich halte mein Leben auch nicht selbst teuer, auf daß ich vollende meinen Lauf mit Freuden, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes . . . Ich bin bereit … auch zu sterben zu Jerusalem um des Namens willen des Herrn Jesu.“ Apg. 20, 24.

Und als seine Stunde schlägt, erscheint Paulus womöglich noch ungetrübter:
„Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit.“ 2. Tim. 4, 6-8.
Wenn ein Kind zur Welt kommt, liegt vor ihm ein Leben voll schöner Hoffnungen, aber auch voller Unsicherheit, Gefahr, Versuchung zur Sünde, Unglück, ja vielleicht sogar ewiges Verderben. Für den Gläubigen hingegen, der siegreich im Hafen landet, gibt es keine Unruhe mehr, die Schlacht ist gewonnen. Nun geht er ein in die Herrlichkeit. Welcher Christ, der im Begriff ist, zu seinem Gott zurückzukehren, möchte noch einmal seinen Lauf hier unten beginnen? Und wer möchte den geliebten Menschen zurückrufen, der ihn verlassen hat und in die Gegenwart des Herrn versetzt wurde?

Du, der du einst warst meines Erdenlebens Glück,

o kehre wieder! Komm zu mir zurück!

Was sagte ich? Zurück zur dunklen Erde aus des Himmels Licht?

Zurück in Schmerz und Not? Nein, das erfleh ich nicht!

Zurück auf unsere Dornenwege, unsere stein’gen Pfade,

da du schon trägst das weiße Kleid der Gnade?

Da dich schon Jesus führt auf grünen Auen,

zum frischen Quell, Sein Angesicht zu schauen?

Nein, nein! Kehr nicht zurück! Ich harre auf die Zeit,

da glaubend uns vereint die Ewigkeit.
(Nach Theodore Monod)

Wer sich Christus ganz übergeben hat, der hat sein eigenes Leben aufgegeben – er hat mit seinem Herrn den Tod erlitten, aber zu gleicher Zeit hat er das ewige Leben erlangt. Weder der Tod selbst noch die Art des Todes können ihn noch schrecken. Er gehört zu denen, die „ihr Leben nicht geliebt haben bis an den Tod.“ Offb. 12,11. Er fürchtet sich vor Dem, „der Leib und Seele verderben kann in die Hölle“, aber er fürchtet sich nicht vor denen, „die den Leib töten und die Seele nicht können töten“. Matth.10,28.
Wie es auch kommen mag, wer getreu ist bis zum Tode, wird niemals allein den letzten Weg gehen müssen. 
„Ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich.“ Psalm 23.


8. Welchen Tod möchten wir sterben?
Wir wollen, um ganz klar zu sehen, noch einmal gegenüberstellen, was beide, den Gerechten und den Ungerechten, nach dem Tode erwartet.

Was den Gerechten erwartet:

1. Das Blut Jesu Christi macht uns rein von allen Sünde. 1.Joh. 1,7.9.

2. Er kommt nicht ins Gericht. Joh. 5,24.

3. Er kommt zum Frieden und ruht. Jes. 57, 2.

4. Er wird von den Engeln in Abrahams Schoß getragen… Luk. 16, 22 und 25.

5. Kommt her, ihr gesegneten Meines Vaters! Matth. 25, 34

6. Ihr werdet die unverwelkliche Krone der Ehren empfangen. 1. Petr. 5, 4.

11. Wer auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. Gal. 6.

12. Bei Christo sein ist viel besser. Phil. 1, 23.

13. Für Paulus ist Sterben ein Gewinn. Er hat Lust, abzuscheiden. Phil. 1, 21.

Was den Gottlosen erwartet:
Eure Sünde wird euch finden. 4. Mose 32, 23.

Das Gericht wartet seiner. 2. Petr. 2, 9.

Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun. Röm. 2, 9.

Als er im Totenreich und in der Qual war, rief er: „Ich leide Pein in dieser Flamme.“ Luk.16,23-29.

Sie werden aufwachen zu ewiger Schmach und Schande. Dan. 12, 2.


Das sollt ihr wissen, daß kein . . .Unreiner oder Geiziger, welcher ist ein Götzendiener, Erbe hat in dem Reich Christi und Gottes. Eph. 5, 5.

Wer auf das Fleisch sät, wird von dem Fleisch das Verderben ernten. Gal. 6, 8.

Sie sitzen in der Finsternis und Schatten des Todes. Luk. 1, 7 9.

Der Teufel hat die Gewalt des Todes. Er unterdrückt alle diejenigen, die durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. Hebr. 2, 14-15.

Der Gottlose ruft: Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Hebr. 10, 31.


9. Der Trost im Sterben.
Mag sein Glaube auch noch so triumphierend gewesen sein, mag der Gläubige auch voller Heilsgewißheit zu seinem Herrn gegangen sein, für seine Angehörigen bedeutet sein Tod doch einen herben Verlust.

Wohl glauben wir an ein Wiedersehen,
aber unser „Fleisch ist schwach“, und wir sind oftmals wie zerschmettert von dem Schmerz der Trennung. Gott ist nicht unempfindlich für unser Leid. Als Jesus Marias Tränen sieht, „ergrimmt Er im Geist und betrübt sich selbst, und die Augen gehen Ihm über“, obwohl Er einige Augenblicke später Lazarus auferwecken wird. Joh. 11, 33-35.

ER selbst hat den Schmerz gekannt, die Sterbensnot, den Tod. Mehr als wir hat Er unter dieser grausamen Macht gelitten, „denn worin Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die versucht werden“. Hebr. 2, 18.
Er sendet uns den Heiligen Geist, dem Jesus den schönen Namen „Tröster“ gibt. Joh.14,16.
So können wir mitten im Leid die übernatürliche Hilfe Dessen erfahren, der „dem Tode die Macht hat genommen und das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium“ 2.Tim.1,10.

Dieser Trost möge uns helfen, das Leid der anderen zu verstehen und sie zu der einzigen Quelle des Sieges und des Friedens zu führen. Wir werden samt ihnen die Erfahrung machen, daß die Prüfung niemals über unsere Kräfte geht, und die Hoffnung auf das ewige Heil wird uns aufrecht halten, bis Gott abwischen wird alle Tränen.

10. Die Todesstunde.
a) Gott hat unserem Leben eine Zeit gesetzt.
Niemand kennt seine Sterbestunde. Das ist ein Geheimnis, das Gott allein weiß.
„Ein jegliches hat seine Zeit . . . geboren werden und sterben . . . Ein Mensch hat nicht Macht über den Geist, den Geist zurückzuhalten, und hat nicht Macht über den Tag des Todes . . . .“ Pred. 3, 1-2.
„Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht . . . Er hat seine bestimmte Zeit, Du hast ein Ziel gesetzt, das wird er nicht überschreiten.“ Siehe Hiob 14, 1-6; 16,22.
Und der Psalmist sagt: „Meine Zeit steht in Deinen Händen.“ Psalm 31,16.
Für jeden von uns, er sei weise oder töricht, kommt die Stunde, da Gott zu ihm spricht: „Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern!“ Luk. 12, 20. . . . 


b) Was denken wir vom Selbstmord?
Die Heilige Schrift verurteilt es, daß ein Mensch der Stunde Gottes zuvorkommt und sich selber das Leben nimmt. Die Beispiele von Saul 1. Sam. 31, 4, Ahitophel. 2. Sam. 17, 23, und von Judas Matth. 27, 5, zeigen uns das. „Die Traurigkeit der Welt wirkt den Tod, die göttliche Traurigkeit wirkt zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut.“ 2. Kor.7, 10. Der Herr gebietet uns: „Du sollst nicht töten!“ 2. Mose 20, 13.
Der Selbstmörder setzt seinem Leben in einem Augenblick der Auflehnung oder der Verzweiflung ein Ende. Er nimmt sich selber die Gelegenheit, von Gott die Erlösung aus aller seiner Not zu erlangen. Vor allem verscherzt er durch seine eigene Schuld die Gnade der Buße und des Glaubens. Welch eine Torheit, sich freiwillig in einen Abgrund zu stürzen, den Gott uns ersparen wollte!
Manche Menschen, auch sogar Gläubige, werden von Selbstmordgedanken gequält. Sie dürfen gewiß sein, daß dies eine besondere Art der Versuchung ist. Der Teufel, unser geschworener Feind, ist „ein Mörder von Anfang“. Joh. 8, 44. Er ist niemals glücklicher, als wenn er ein Geschöpf Gottes verderben kann. Wir müssen ihm fest im Glauben widerstehen, 1. Petr. 5, 8-9, und uns im Gebet Dem anbefehlen, der „unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu bewahren kann.“ Phil. 4, 6-7.
Mörder wie der Schächer am Kreuz haben Gnade gefunden. Luk.23, 41-43.
Durch die wunderbare Gnade Gottes sind sogar Selbstmörder mit dem Leben davongekommen und haben sich noch von ganzem Herzen bekehrt. Andere haben vor dem Sterben noch einige lichte Augenblicke gehabt und konnten zu Gott schreien und durch den Glauben Seine Vergebung erlangen.
Darum wollen wir nicht richten! Der Herr allein weiß, was im letzten Augenblick zwischen Ihm und einer Seele vorgeht. Wir wollen jedoch mit allem Nachdruck wiederholen, daß nach der Bibel der Selbstmord ein Verbrechen ist und daß es töricht ist, sein Leben mit einer Herausforderung Gottes zu beenden.

c) Ist es erlaubt, aus Mitleid den Tod eines Menschen zu beschleunigen?
Wir befassen uns hierbei nicht mit einem offenbaren Mord, der von der Bibel klar verdammt wird. Aber in unseren Tagen verbreitet sich die Ansicht immer mehr, daß es erlaubt und richtig sei, das Ende einer Krankheit durch „Euthanasie“ zu beschleunigen, das heißt durch einen sanften Tod, der große Schmerzen erspart. Was sollen wir hierzu sagen?
Zuerst einmal, daß einen Menschen töten immer ein Mord ist, und wenn man ihn auch mit einem schönen griechischen Namen schmückt. Gott erlaubt niemandem, willkürlich in das Leben seines Nächsten einzugreifen. „Du sollst nicht töten!“ Dieses Gebot hat ewige Gültigkeit.
„Ich will eures Leibes Blut rächen an einem jeglichen Menschen als dem, der sein Bruder ist . . . denn Gott hat den Menschen zu Seinem Bilde gemacht.“ 1. Mose 9, 5-6.
Die Totschläger sind bei denen, „deren Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt“. Offb. 21,8; 22,15.
Könnte man außerdem nicht auch dadurch, daß man eines Menschen Leben verkürzt, ihm die letzte Gelegenheit nehmen, sich zu bekehren und für die Ewigkeit errettet zu werden?
Und wer weiß schließlich mit Bestimmtheit, ob der Kranke nicht doch noch würde geheilt werden können? Ärzte können sich täuschen und jemanden als unheilbar bezeichnen, der es gar nicht ist. Und wenn er es auch nach menschlichem Ermessen und wissenschaftlicher Erkenntnis wäre, könnte ihn nicht doch noch ein Wunder Gottes retten? „Wo noch Leben ist, ist auch noch Hoffnung“, sagt der Volksmund. – Aber wenn es auch verboten ist, das Leben unseres Nächsten anzutasten, dürften wir es dann nicht doch auf seine ausdrückliche Bitte tun?
Es gibt in der Tat Kranke und Verletzte, die inständig flehen, ihrem Leid ein Ende zu machen.
Wir glauben, daß auch hierfür dieselben Gründe gelten, die wir soeben angeführt haben, und daß dies nicht weniger untersagt ist. Wir würden ja auch niemandem bei einem Diebstahl Beistand leisten, wenn er uns anflehte, ihm dadurch aus der Not zu helfen.
Aber wir wollen eine zweifache Antwort geben: Wir werden alles, was in unseren Kräften steht, tun, um die Leiden des Kranken zu lindern – und zu gleicher Zeit werden wir uns bemühen, ihm mit Gottes Hilfe all den geistlichen Trost zu vermitteln, dessen er bedarf. Wer weiß – das sei nochmals betont -, ob der Herr nicht in Seiner Allmacht wunderbar eingreifen und ob das Gebet des Glaubens den Kranken nicht erretten wird? Jak. 5, 15. In jedem Falle hat die Prüfung einen geistlichen Sinn, Hebr. 12, 5-11, und Gott hat in Seiner Güte feierlich versprochen, daß sie unsere Kräfte nicht übersteigen wird, 1. Kor. 10,13, selbst wenn im gegebenen Augenblick diese Kräfte auf übernatürliche Weise vermehrt werden müßten.


d) Was denken wir von der Todesstrafe?
Wenn es dem einzelnen nicht erlaubt ist, seinem Leben ein Ende zu machen, darf dann die menschliche Gesellschaft einen Verbrecher zum Tode verurteilen?
Stellen wir zuerst einmal fest, daß die Todesstrafe im Alten Testament gebräuchlich war. Gott erklärt Noah schon: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu Seinem Bilde gemacht.“ 1. Mose 9, 6.
Im Gesetz Moses war die Todesstrafe für zahlreiche Vergehen vorgesehen, zum Beispiel für

den Mord, 3. Mose 24, 17;

den Ehebruch, 3. Mose 20, 10;
die Zauberei und Wahrsagerei, 2. Mose 22, 18; 3. Mose 20, 27;

die Gotteslästerung, 3. Mose 24,16;

den Ungehorsam gegen die Eltern, 3. Mose 20, 9; 5. Mose 21, 21;

die Sabbatschändung, 2. Mose 35,2

den Götzendienst, 5. Mose 17, 2-6 usw.

So wurde „das Böse aus Israel getan“, 5. Mose 17,12, und im Brief an die Hebräer wird zusammenfassend erklärt: „Wenn jemand das Gesetz Moses bricht, der muß sterben ohne Barmherzigkeit durch zwei oder drei Zeugen.“ Hebr. 10,28.
Im Neuen Testament sind die vorgesehenen Strafen nicht mehr in erster Linie leiblich und zeitlich, sondern geistlich und ewig, also unendlich ernster. (Siehe dieselbe Stelle Hebr. 10, 28-31.)
Jedoch, wenn das göttliche Gericht – das ja allein gerecht und vollkommen ist – auch zur anderen Welt gehört, so schließt das nicht aus, daß Gott einen Vermessenen hier unmittelbar schlägt wie Herodes, Apg. 12, 3, oder auch daß Er irdischen Richtern Gewalt gibt, die Todesstrafe zu vollziehen.

„Die Obrigkeit ist Gottes Dienerin dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.“ Röm. 13, 4.
Hier handelt es sich offenbar nicht um die Gemeinde, die von der Liebe Christi erfüllt sein soll und die da handeln soll gemäß Matth. 3, 8-48: dem Übel nicht widerstreben, ihre Feinde lieben und denen wohltun, die sie verfolgen (was nicht der Geist der Inquisition ist).
Der Text Röm. 13, 4 bezieht sich ohne Zweifel auf die Welt und auf den Staat, die nicht christlich sind. Trotzdem sind sie verpflichtet, soweit es möglich ist, dem Gesetz und dem Guten Achtung zu verschaffen und Verbrechen zu ahnden. Sonst wäre ein Leben in unserer zerrütteten Gesellschaft überhaupt nicht mehr möglich.
Selbstverständlich wäre es besser, wenn der Staat die Ordnung aufrechterhalten könnte, ohne auf die Todesstrafe zurückzugreifen. Dies wäre aber nur möglich bei Ländern, die noch mehr vom Geist des Evangeliums durchdrungen sind.
Was den Christen an der Todesstrafe mißfällt, ist nicht allein das Blutvergießen. Ihn bewegt auch der Gedanke, daß man das Leben des Schuldigen nicht abkürzen soll, um ihm nicht die Zeit zur Buße und zur Rettung seiner Seele zu nehmen. Unter dem Einfluß der christlichen Ideen hat sich der Begriff der Strafe in neuerer Zeit immer mehr gewandelt. Sie soll, wenn möglich, nicht Strafe allein, sondern Erziehungsmaßnahme sein. Der schlimmste Verbrecher kann sich bessern und durch die Wiedergeburt ein neuer Mensch werden. Der Schächer am Kreuz ist ein klarer Beweis dafür. Luk. 23, 42-43 .
Dann aber müßten sich die Christen ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet mehr bewußt werden. Sie müßten die Verurteilten mit dem Evangelium viel mehr vertraut machen. Ein ernster Einwand gegen die Todesstrafe ist auch noch die Tatsache, daß ein Justizirrtum nicht wieder gutgemacht werden kann, wenn der Unschuldige hingerichtet worden ist.

e) Kann ein Mensch seine Todesstunde gegen seinen Willen beschleunigen?
Selbstverständlich. Ein Wüstling, der seine Gesundheit ruiniert, ein Sportsmann, der Gott versucht, indem er sinnlos sein Leben aufs Spiel setzt, können durch eigene Schuld einen verfrühten Tod herbeiführen. Aber auch geistliche Ursachen können dieselben Folgen zeitigen. Hier zu bietet die Bibel zahlreiche Beispiele:
„Ger (der Erstgeborene Judas) war böse vor dem Herrn, darum tötete ihn der Herr . . .da gefiel dem Herrn übel, was er (sein Bruder Onan) tat, und Er tötete ihn auch.“ 1.Mose 3 8, 7-10.
Die Söhne Elis hatten schwer gesündigt und „gehorchten ihres Vaters Stimme nicht, denn der Herr war willens, sie zu töten.“ Und der Herr sprach zu Eli: „Alle Menge deines Hauses sollen sterben, wenn sie Männer geworden sind. Und das soll dir ein Zeichen sein, das über deine zwei Söhne Hophni und Pinehas kommen wird: auf einen Tag werden sie beide sterben.“ 1. Sam. 2, 25. 33.  . . .

Schrecklich ist es, daß auch Christen ihr Leben verkürzen können. Paulus schreibt vom Abendmahl: „Welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket sich selber zum Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn. Darum sind auch viele Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil entschlafen. Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir von dem Herrn gezüchtigt, auf daß wir nicht samt der Welt verdammt werden.“ 1. Kor.11, 29-32.
Wenn der Apostel einer der urchristlichen Gemeinden, die voller Leben und Glauben waren, so schreibt, was würde er dann in unseren Tagen sagen?
Noch strenger äußert er sich über ein Ärgernis, das eines der Glieder derselben Gemeinde verursacht hat: „Ein solcher sei übergeben dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist selig werde am Tage des Herrn Jesu.“ 1.Kor. 5,5. Wenn ein Gläubiger es ablehnt, sich zu bessern, kann ihn der Herr an seinem Leibe schlagen, ja sogar sein Leben verkürzen, um ihn auf dem Wege des Verderbens aufzuhalten und wenigstens seine Seele zu retten.

f) Kann man auch sein Leben verlängern?
Ja, auch das sagt die Bibel. Nicht allein dadurch, daß man seinen Leib, den Tempel des Heiligen Geistes, pflegt, sondern auch indem man gewisse geistliche Regeln beachtet.
„Halte Seine Rechte und Seine Gebote, die ich dir heute gebiete, so wird dir’s und deinen Kindern nach dir wohlgehen, daß dein Leben lang währe in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt ewiglich.“ 5. Mose 4, 40.
Und das Wort 5. Mose 16 wird Eph. 6, 2-3 wiederholt:
„Ehre Vater und Mutter (das ist das erste Gebot, das Verheißung hat), auf daß dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.“
„Die Furcht des Herrn mehrt die Tage, aber die Jahre der Gottlosen werden verkürzt.“ Spr. 10, 2 7 .
Gott kann auch ein Gebet erhören und einen Totkranken heilen und sein Leben verlängern. Das typische Beispiel hierfür ist Hiskia, dessen Leben der Herr auf seine Tränen und auf sein Flehen hin fünfzehn Jahre zusetzt. 2. Kön. 20, 1-6. Leider macht der König von dieser neuen Lebensspanne keinen guten Gebrauch. Er läßt sich vor den Gesandten des Königs zu Babel zum Hochmut verleiten. 2. Kön. 20, 12-19. Vor allem wird ihm in diesen fünfzehn Jahren der Sohn geboren, der ihm auf den Thron folgt. Dieser Manasse ist so gottlos, daß um seinetwillen Gott Jerusalem nicht fernerhin verzeiht, sondern es zerstören läßt. 2. Kön. 21, 1; 24, 3-4.
Ist man da nicht versucht zu denken, daß es für Hiskia und sein Volk besser gewesen wäre, wenn Gott ihn zu dem Zeitpunkt abgerufen hätte, den Er ihm bestimmt hatte?
Bemerkenswert ist auch noch der Fall von Epaphroditus, von dem Paulus schreibt: „Er war todkrank, aber Gott hat sich über ihn erbarmt, nicht allein über ihn, sondern auch über mich, auf daß ich nicht eine Traurigkeit über die andere hätte.“ Phil. 2, 27.
Dies ermutigt uns, gläubig zu bitten, uns aber auch demütig unter den vollkommenen Willen Gottes zu beugen.

11. Der Sieg über den Tod.
„Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod.“ 1. Kor. 15,26. Die Herrschaft des Todes währt nicht ewig. Wir sehen schon ihr Ende nahen.
Jesus Christus hat den Tod schon bei Seinem ersten Erscheinen besiegt.
Die Gnade Gottes ist jetzt schon offenbart worden durch die Erscheinung unseres Heilandes Jesu Christi, „der dem Tode die Macht hat genommen und das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium“. 2.Tim. 1,10.
Jesus ist Mensch geworden, „auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel, und erlöset die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten“. Hebr. 2, 14-15.
Die Auferstehung wird die Gläubigen von den letzten Fesseln des Todes befreien.
Wenn sie bei der Wiederkunft Christi mit dem neuen herrlichen Leib bekleidet werden, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ 1. Kor. 15, 54-55.
Während des Tausendjährigen Reiches wird der leibliche Tod weniger Macht haben.
Wir haben gesehen, daß Gott der Sünde wegen nicht allein dem Tode Macht gegeben hat, sondern auch das Leben des Menschen auf hundertundzwanzig Jahre beschränkt hat, 1. Mose 6, 3, ja sogar im allgemeinen nur auf siebzig oder achtzig Jahre. Psalm 90, 10.
Während der glorreichen Herrschaft Christi hier auf Erden wird der Satan gebunden sein und das menschliche Leben wieder beträchtlich verlängert werden. Es wird keinen frühzeitigen Tod mehr geben, und ein Mensch von hundert Jahren wird jung sein: „Es sollen nicht mehr da sein Kinder, die nur etliche Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern die Knaben sollen hundert Jahre alt sterben . . . die Tage Meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes.“ Jes. 65, 20-22.
Aber dies wird nur die letzte Etappe vor dem endgültigen Triumph sein.
Endlich wird der erste Tod aufhören zu sein.
Nach den beiden Auferstehungen und der Vernichtung der Erde wird keiner mehr da sein, der den leiblichen Tod erfahren könnte. Darum schreibt Johannes, nachdem er das jüngste Gericht geschildert hat: „Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl.“ Offb. 20, 14.
„Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn das erste ist vergangen.“ Offb. 21, 4. Der Leib der Auserwählten wird mit Unsterblichkeit überkleidet werden. 1. Kor. 15, 53. Welch glorreicher Triumph wird das sein!
Leider wird für die Verdammten anstelle des leiblichen Todes, der nun nicht mehr ist, der Pfuhl treten, der mit Feuer und Schwefel brennt, der „andere Tod“. Offb. 20, 14; 21,8. Herrliche Wahrheit ist es für uns, daß wir aus der Gewalt des Todes befreit sind, jetzt und immerdar, durch Jesus Christus, der das ewige Leben ist!


12. Bereiten wir uns auf ein seliges Sterben vor.
Besser: Wir wollen so leben, daß wir dem Tod ohne Furcht entgegensehen können. Das Schicksal des Menschen entscheidet sich hier auf Erden. Es ist daher überaus wichtig, daß wir uns heute noch entscheiden, auf welche Weise wir der Ewigkeit begegnen wollen. „Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden!“ Ps. 90.
Wir wollen allezeit Dessen gewärtig sein, der dem Tode die Macht genommen hat, und jeden Tag von Seinem ewigen Leben zehren. Wenn wir dann einmal von hier scheiden müssen, wird es kein Tod für uns sein.
Sagte Adele Kamm nicht: „Ich liebe das Leben. Ich genieße es vollbewußt. Aber ebenso liebe ich den Tod, den Heimgang zu Gott. Für mich bedeutet Leben und Sterben dieselbe Freude.“

Kapitel II   DER AUFENTHALT DER TOTEN

1. Der Aufenthalt der Toten vor dem ersten Erscheinen Christi.
Wohin sind die Seelen der Verstorbenen vor dem ersten Erscheinen Christi gekommen, und wohin kommen sie dann, um Seine herrliche Wiederkunft oder das Jüngste Gericht zu erwarten?
Wir wollen versuchen, diese Fragen eine nach der anderen zu untersuchen.

a) Die Juden nannten den Ort, wohin sich alle Verstorbenen, die Seligen und die Unseligen, begaben, Scheol. (Das entsprechende Wort heißt im griechischen Neuen Testament „Hades“.)
Wenn ein Patriarch starb, sagte man, daß er „zu seinem Volk gesammelt wurde“, 1. Mo. 25, 8.17; 35,29; 49,33.
David beweint sein Kind und sagt: „Nun es aber tot ist . . . kann ich es auch wiederum holen? Ich werde wohl zu ihm fahren, es kommt aber nicht wieder zu mir.“ 2. Sam. 12,23.
Am Ende seines Lebens „entschlief der König mit seinen Vätern“, wie es der übliche Ausdruck im Buch der Könige ist. (1. Kön. 2,10; 11, 43; 14,20 usw.)

b) Das Alte Testament betrachtet den Aufenthalt der Toten als Stätte des Vergessens und der Ruhe – vor allem für den Gläubigen. Hiob wünscht sich seinen Tod mit folgenden Worten: „So läge ich doch nun und wäre still, schliefe und hätte Ruhe, mit den Königen und Ratsherren auf Erden . . . Hiob 3,13.
Dies spricht der Prediger voll irdischer Hoffnungslosigkeit aus. Für ihn wird alles wieder zu Staub, der Mensch wie das Vieh. Pred. 3, 19-21. Die Toten wissen nichts, sie sind vergessen, sie haben kein Teil mehr an dem, was unter der Sonne geschieht . . .

c) Dennoch ist es nach anderen Bibelstellen augenscheinlich, daß die Toten im Reich der Toten weiterleben. 

Samuel, den wir schon erwähnten, kommt herauf und spricht mit Saul. 1. Sam. 28. 
Mose und Elia, die vor langer Zeit die Erde verlassen haben, erscheinen mit Jesus auf dem Berge der Verklärung. (Matth. 17, 3.)

Gott sagt zu Mose: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“
Jesus stützt sich in Seiner Beweisführung auf die Zeitform des Wortes: Gott hätte „Ich war“, gesagt, wenn die Patriarchen nicht mehr lebten. Aber, fügt der Herr hinzu, „Gott ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott, denn sie leben Ihm alle.“ Luk. 20, 38.
Auch die Gottlosen behalten am Ort der Toten ihre Persönlichkeit. Jes. 14, 9-10 und Hesek. 32, 21- 31 berichten uns, wie die Verstorbenen einander empfangen und miteinander reden. Wir haben schon durch den Bericht Luk. 16, 19-31 erfahren, daß die seligen und unseligen Toten in der andern Welt ihre Persönlichkeit, ihre Erinnerung und das Bewußtsein ihres Zustandes bewahren. Lazarus wird getröstet, der schlechte Reiche leidet, und Abraham ermahnt ihn in voller Geistesklarheit.

d) In dem Zeitalter, das dem Erscheinen Christi vorausging, unterschieden die Juden zwei Teile des Totenreiches: in dem einen wurden die Gottlosen nach ihrem Tode gequält, der andere war für die Seligen bestimmt. Man nannte ihn „Paradies“ oder „Abrahams Schoß“.
Jesus selbst gebraucht diese beiden Bezeichnungen und bestätigt diese Lehre damit. Er zeigt uns Lazarus und den reichen Mann an grundverschiedenen Orten und getrennt durch eine unüberschreitbare Kluft. Luk. 16, 22-23. Andererseits verspricht Er dem Schächer am Kreuz, daß dieser mit Ihm am selben Tage im Paradies sein werde. Luk. 23, 43.

2. Die Veränderung, die Christi Niederfahrt zum Totenreich hervorrief.
Christus, der sündlose Sohn Gottes, ist gewiß nicht in den Teil des „Scheol“ hinabgestiegen, wo die Gottlosen gequält werden. Dort hat sich nichts geändert, und die Bibelstellen, die davon handeln, vor allem Luk. 16, 19-31, schildern das Los aller unbußfertigen Toten, wie es heute noch ist.
Hingegen ist Christus zu den seligen Toten hinabgestiegen, zugleich mit dem Schächer am Kreuz, dem Er dies herrliche Wiedersehen zugesagt hatte: „Heute noch wirst du mit Mir im Paradiese sein!“ Luk. 23, 43.
Nach drei Tagen „hat Gott Den auferweckt und aufgelöst die Schmerzen des Todes, wie es denn unmöglich war, daß Er sollte von ihm gehalten werden.“ Apg. 2, 24.


Der Siegesheld hat den größten Feind bezwungen und die Pforten des Grabes zerbrochen.
„Er ist aufgefahren in die Höhe und hat das Gefängnis gefangengeführt und hat den Menschen Gaben gegeben.“ Eph. 4, 8-10. Seit langem nehmen die Bibelausleger an, daß Christus nach Seiner Verklärung die gläubigen Toten aus dem Scheol befreit und mit sich in den Himmel geführt hat. Von nun an werden alle, die im Glauben sterben, nicht mehr ins Totenreich hinabsteigen, sondern sofort zum Herrn gehen. Wir haben das bereits festgestellt: Paulus schreibt: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn . . . Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein, was auch viel besser wäre.“ Phil. 1, 21.  . . .
Wissen wir, wohin wir nach unserem Tode gehen werden?

Kapitel III   WAS TUN DIE TOTEN?

Wenn sie die Erde verlassen, werden die Toten nicht vernichtet. Aber wissen wir mehr von ihnen? Die Art, wie uns unsere Lieben entrissen werden, ist so bitter. Darum überrascht es nicht, wenn an allen Orten die Völker und die Religionen angstvoll an die eherne Pforte der anderen Welt klopfen, um mit den Entschlafenen in Verbindung zu bleiben oder wenigstens zu erfahren, was aus ihnen geworden ist. Wie viele trauernde Herzen sind voller Bitterkeit und voller Auflehnung!
Viele klagen wie David: „Mein Sohn Absalom! Mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! O Absalom, mein Sohn, mein Sohn!“ 2. Sam. 18, 33; 19,1.  . . .
In solch einer Betrübnis scheint es zu hart, nur auf ein Wiedersehen zu hoffen, das einmal in einer fernen Zukunft sein wird. Man ersehnt um jeden Preis, daß die Verbindung nicht unterbrochen werde und daß die Vereinigung sogleich geschehe. Gott in Seiner Liebe weiß um dieses Sehnen unseres Herzens. Er weiß auch, was am besten für uns und unsere Lieben ist, und Er hat nicht versäumt, es uns zu offenbaren.
Wir wollen wieder einmal nachforschen, was uns die Schrift sagt, die von Seinem Heiligen Geist eingegeben wurde. Aber wir wollen auch in Ehrfurcht verharren, wenn sie schweigt.

1. Wo sind die Toten?
Die Antwort der Heiligen Schrift ist klar: Die Gottlosen sind am Ort der Unseligen und warten auf das Jüngste Gericht und die Hölle. Die Gläubigen sind beim Herrn und warten auf die herrliche Auferstehung.
Wir wollen jedoch auch die Lehre prüfen, die zum Beispiel von den Adventisten verbreitet wird, nach welcher der ganze Mensch, Leib und Geist, im Grabe ist und bis zur Auferstehung schläft.
Es ist gewiß, daß der Leib im Grabe oder in der Erde ist. Joh. 5,28; Dan. 12,2. Aber der Geist ist nicht darin, und er ist weit davon entfernt, zu schlafen. Nach Luk. 16, 22-23 wird Lazarus von den Engeln in Abrahams Schoß getragen, indessen der reiche Mann an einem Ort der Qual ist.
Der bekehrte Schächer wird Jesus sofort im Paradies wiedersehen, das bestimmt nicht das Grab ist. Nach dem großen Ostersieg möchte Paulus lieber abscheiden, um bei Christus zu sein, und bei dem Herrn bleiben. Phil.1, 23; 2.Kor. 5, 8. Gewiß ist Christus nicht unter der Erde, sondern zur Rechten Gottes in der Herrlichkeit des Himmels.
Es ist andererseits klar, daß der leibliche Tod darin besteht, daß die Seele vom Leib getrennt wird. Nach dem Prediger kehrt der Leib wieder zur Erde zurück und der Geist zu Gott, der ihn gegeben hat. Pred. 12, 7.
Wir lesen, daß die Seele des Kindes, das Elia auferweckte, „wieder zu ihm kam, und es ward lebendig“. 1.Kön.17, 22. Auch von Jairi Töchterlein heißt es: „Ihr Geist kam wieder.“ Luk. 8, 55. Jesus selbst befiehlt Seinen Geist in Seines Vaters Hände und hält sich kurze Zeit im Reich der Toten auf, während Sein Leib im Grabe ruht. Luk. 23, 46; Joh. 19, 30; Apg. 2, 27.
Stephanus ruft sterbend: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf“. Apg.7, 58.
Wieviel tröstlicher ist dieser Gedanke als die Aussicht, bis zum Ende der Zeiten in Verwesung und Bewußtlosigkeit zu versinken!

2. Schlafen die Toten?
Wir wollen die Bibeltexte näher betrachten, die vom Todesschlaf und von denen, die schlafen, sprechen. Psalm 13,4; 1. Thess. 4,13 usw.
Wir glauben, daß sie sich auf den Leib beziehen, dessen Augen für das irdische Licht geschlossen sind und der bis zu seiner Auferstehung im Grabe schläft. So heißt es von Stephanus, daß er, nachdem er seinen Geist dem Herrn Jesus übergeben hatte, „entschlief“, Apg. 7,59.
Dan. 12,2 spricht von der Auferstehung derer, so unter der Erde schlafen liegen.
Wir sagten schon, daß es der Leib ist, der zur Erde zurückkehrt, indessen der Geist zu Gott zurückkehrt. Pred. 12,7.
Die Männer des Alten Testaments stellen sich zuweilen auf den irdischen Standpunkt und nennen den Ort der Toten „das Land, da man nichts gedenkt“, Psalm 88,13, „den Ort der Stille“, Psalm 115, 17.
Der Prediger sagt: ,,Die Toten aber wissen nichts . . . ihr Gedächtnis ist vergessen . . . und haben keinen Teil mehr auf der Welt an allem, was unter der Sonne geschieht . . .“ Pred. 9, 5-6. 10. . . .
Vom irdischen Standpunkt aus wird das Los derer, die der Gemeinschaft der Lebenden entrissen worden sind, so betrachtet: Sie haben keinen Teil mehr am Gottesdienst und am Opfer des Volkes, sie sind für immer vom irdischen Geschehen abgeschnitten.
Aber wir wollen die anderen Bibeltexte nicht vergessen, wonach die Seelen in der anderen Welt weit davon entfernt sind, zu schlafen:
Samuel
ist bei vollem Bewußtsein, als er zurückkehrt und mit Saul redet. 1. Sam. 28, 12-19.
Mose und Elia kommen aus dem Jenseits und unterhalten sich mit Jesus auf dem Berge der Verklärung. Luk. 9,30.
Der reiche Mann erleidet die Qual in vollem Besitz seiner Geistesklarheit und seiner Erinnerung, während Abraham ihm antwortet und Lazarus getröstet wird. Luk. 16, 23-31.
Dem reuigen Schächer wird versprochen, daß er sogleich ins „Paradies“ eingeht. Sollte dies „Paradies“ denn der Name für die Bewußtlosigkeit des Schlafes und der Verwesung sein? Luk. 23, 43.

Paulus betrachtet den Tod als einen Gewinn. Sollte damit der Schlaf im Grabe von ihm gemeint sein? , “Abscheiden und bei Christus sein“, „außer dem Leibe wallen und daheim sein bei dem Herrn“, damit kann doch keinesfalls der Schlaf bezeichnet werden! Phil. 1, 21-23; 2. Kor. 5, 6-8.
Wäre man denn wirklich bei Christus, daheim bei dem Herrn, wenn man – vielleicht für Tausende von Jahren – in vollkommene Bewußtlosigkeit versunken wäre? Und was wäre ein ewiges Leben, wenn es von Jahrhunderten des Nicht-Daseins unterbrochen wäre?
Johannes sieht auch die Seelen der Märtyrer vor Gott: „Sie schrieen mit großer Stimme: Herr, Du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest Du nicht und rächest unser Blut an denen, die auf Erden wohnen? . . . und ward zu ihnen gesagt, daß sie noch ruhten eine kleine Zeit, bis daß vollends dazukämen ihre Mitknechte und Brüder.“ Offb. 6, 10-11.
Es kommt demnach nicht in Frage, daß – wie einige lehren – die Seele des Gläubigen mit seinem Leib bis zum Tage der Auferstehung im Grabe schläft. Übrigens hat diese Lehre niemals in weiten Kreisen der Gemeinde Fuß gefaßt. Sie steht im Gegensatz zu den katholischen Vorstellungen, und sie wurde von Calvin kräftig in seiner Abhandlung „De Psychopannychia“ bekämpft.
Für die Männer der Reformation wie für uns steht fest, daß die Seele unverzüglich nach dem Tode die Gnade oder die Verdammnis erfahren wird. Die Auferstehung am Jüngsten Tage wird die Herrlichkeit oder die Qual nur noch endgültig bestätigen.


3. Die Ruhe der seligen Toten.
Die verstorbenen Gläubigen wissen noch nichts von dem Wirken und der Herrschaft, die der Auferstehung folgen werden. Sie genießen hingegen seit ihrer Ankunft in der andern Welt die Ruhe nach den Leiden und dem Kampf hienieden.
Samuel, den Saul zurückgerufen hat, macht ihm den Vorwurf: „Warum hast du mich unruhig gemacht, daß du mich heraufbringen lässest?“ 1.Sam. 28, 15.
Der arme Lazarus wird sogleich nach seinem Verscheiden von den Engeln in Abrahams Schoß getragen, was für die Juden den Gipfel der Seligkeit bedeutete. Abraham erklärt, daß Lazarus nun getröstet wird, nachdem er in seinem Leben soviel Böses empfangen hat. Luk. 16, 22. 25.
Der bekehrte Schächer am Kreuz wird am gleichen Tag in das Paradies (den Ort der Seligen) aufgenommen, um dort Ruhe und Seligkeit zu genießen.
Die Offenbarung berichtet, daß den Märtyrern gesagt wird, „daß sie ruhten eine kleine Zeit“ bis zum Tage des Gerichts und dem Ende der Verfolgungen. Offb. 6, 10-11. Und dann lesen wir das trostreiche Wort: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Offb.14, 13.
Diese Ruhe wird durch die reine Gnade Gottes denen gewährt, die das Heil empfangen haben. Wir freuen uns in der Gewißheit, daß unsere Toten, die im Glauben starben, die Gegenwart des Herrn genießen.


4. Sehen uns die Verstorbenen?
Viele Menschen finden einen großen Trost in dem Gedanken, daß ihre Verstorbenen sie auch fernerhin sehen und die innige Verbindung, die so rauh unterbrochen wurde, im Grunde doch nicht zerstört ist. Dieser Gedanke ist zwar rührend, aber wie verhält es sich damit in Wirklichkeit?
Wir müssen feststellen, daß die Bibel darüber vollkommen schweigt.
Sie wird dafür gute Gründe haben.
Wir sprachen von der Ruhe der gläubigen Verstorbenen. Es scheint wohl sicher, daß sie keine Ruhe fänden, wenn sie alles sähen, was wir machen. Samuel hat Saul sehr geliebt. Trotzdem macht er ihm Vorwürfe, daß er ihn beunruhigt hat, als er ihn zur Hilfe rief. Welche Enttäuschung würde es für manche Verstorbenen bedeuten, wenn sie sehen müßten, wie sich ihre Angehörigen betragen, die kurz zuvor noch so laut ihren Tod beklagt haben! Welche Unruhe empfänden sie, wenn sie sähen, wie ihre Lieben in Gefahren und Versuchungen sind.
Andererseits können unsere Verstorbenen auch gar nicht alles sehen: alles, was im Himmel geschieht, alles, was an soviel verschiedenen Orten der Erde in den Herzen und in dem Leben derer, die sie verlassen haben, vor sich geht.
Nichts in der Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann läßt darauf schließen, daß die abgeschiedenen Seelen sehen, was auf Erden geschieht.
Wenn die Toten uns auch nicht sehen, so bedeutet das doch nicht, daß sie uns vergessen haben. Wir erwähnten gerade den reichen Mann, der sich um die Gleichgültigkeit seiner Brüder Sorgen macht, aber doch nicht eingreifen kann. Luk. 16, 27-3 1.
Auch die Seligen haben ihr Erinnerungsvermögen in völliger Klarheit behalten.


5. Sind die Verstorbenen um uns?
Ohne dabei an Spiritismus zu denken (ein Thema, das wir später behandeln werden), drücken manche Trauernden folgenden Gedanken aus: „Ich bin überzeugt, daß meine Mutter (zum Beispiel) mich nicht wirklich verlassen hat. Sie ist immer um mich.“ Wenn wir auch verstehen, wieviel menschlichen Trost dieser Gedanke gibt, so müssen wir doch wiederum feststellen, daß die Heilige Schrift etwas Derartiges nicht bestätigt. Wir haben schon gesagt, daß unsere Verstorbenen keine wahre Ruhe hätten, wenn es so wäre. Wir müssen zudem noch die Tatsache betonen, daß sie nicht allgegenwärtig sind. Die Bibeltexte erklären ausdrücklich, daß die Toten entweder beim Herrn sind oder am Ort der Qual, aus dem sie nicht entweichen können. Wie könnten sie zu gleicher Zeit auf der Erde sein und dort auch noch gleichzeitig überall, wo ihre Angehörigen verstreut sind?
Wie läßt sich dann aber das Wort erklären: „Darum auch wir, dieweil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, . . . lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist.“ Hebr. 12,1. Will es doch sagen, daß die gläubigen Verstorbenen uns umgeben und sehen? Wenn wir den übrigen Text und das ganze Kapitel 11 durchlesen, glauben wir es nicht. Der Verfasser hat von all den Helden des Alten Testaments gesprochen, die uns auf dem Weg des Glaubens vorangegangen sind. Wir sollen durch ihr Beispiel und ihre Erfahrung angespornt und gestärkt werden. Wir sollen, wie sie, den Weg des Sieges beschreiten und „aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens“. Hebr.12,2. Dieser Bibeltext sagt durchaus nicht, daß unsere eigenen Verstorbenen weiterhin ihr Leben mit uns teilen.
Bei diesem Thema – die Verbindung mit den Verstorbenen und den Geistern – sind wir der Wahrheit schuldig, zu sagen, daß Sadhu Sundar Singh in einigen seiner Bücher Behauptungen aufgestellt hat, die vom biblischen Gesichtspunkt aus wirklich unhaltbar sind. Das überrascht bei einem Manne, der im übrigen so tief gläubig im evangelischen Geiste ist.

6. Was sollen wir vom Spiritismus denken?
Es ist in den heidnischen Religionen sehr gebräuchlich, Verbindung mit den Abgeschiedenen zu suchen, um von ihnen Offenbarungen, Hilfe und Trost zu erlangen. In unseren Tagen beschwört eine erschreckend große Zahl von Christen die Geister, sei es, weil sie um jeden Preis Verbindung mit ihren Verstorbenen behalten wollen, sei es, weil sie durchaus erfahren wollen, was die Bibel ihnen verschweigt.
Sie möchten insbesondere Erleuchtungen empfangen, Erleuchtungen über die Zukunft, die Entscheidungen, die sie zu treffen haben, ihre Liebesgeschichten und Geldangelegenheiten, Geheimnisse jenseits des Grabes usw. Ist es wirklich möglich, durch Medien, Tischrücken, die sogenannte Planchette, das Pendel, Klopfzeichen usw. mit den Geistern in Verbindung zu treten? Und vor allem: Was lehrt die Bibel darüber? 


a) Wir wollen zuerst einmal feststellen, daß sich mit dem Spiritismus viel Betrug vermischt.
Wie bei jedem Okkultismus ist die Versuchung für die Scharlatane groß, die unermeßliche Leichtgläubigkeit des guten Publikums zu mißbrauchen.
Wie leicht kann man aus der Verwirrung, die das Geheimnisvolle hervorruft, Nutzen ziehen und die Geister das sagen lassen, was man gesagt haben möchte! . . . 

b) Die Spiritisten,
Allan Kardec zum Beispiel, geben zu, daß sie manchmal von boshaften Geistern genarrt werden, die anstelle der gerufenen Seelen sprechen und sich zuweilen auch auf seltsame und gefährliche Art offenbaren.
Wie viele Menschen haben sogar ihren Verstand durch diese gefährliche Verbindung verloren.
Camille Flammarion schreibt in seinem Buche „Apres Ja mort“: „Die bei allen Okkultisten wohlbekannte Herzogin von Pomar ist durch ihre Studien derart verwirrt worden, daß sie sich selber für Maria Stuart hielt, aber trotzdem den Geist dieser unglücklichen Königin weiterhin beschwor.“ Flammarion berichtet auch von Verstorbenen, die durch Klopfzeichen um Messen und Rosenkranzgebete baten, aber nur in katholischen Familien.
Wer mag ihnen wohl diese Forderungen eingegeben haben?

c) Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß im Spiritismus eine unbestreitbare Wirklichkeit ist.
Die Bibel spricht in unmißverständlichen Worten von den „Totenbeschwörern“ (3. Mo. 20,6) und von denen, „die die Toten befragen“. 5. Mose 18, 11.
Sie spricht von Männern und Frauen, die „einen Geist der Totenbeschwörung oder einen Wahrsagergeist in sich“ haben. 3. Mose 20, 27. Dies bedeutet, daß sie Medien sind, die die Zukunft erforschen, indem sie die Toten beschwören, ähnlich wie das Weib, das Saul befragen wollte. Sogar in der Apostelgeschichte wird von einem Medium erzählt, von einer „Magd, die hatte einen Wahrsagergeist und trug ihren Herren viel Gewinst zu mit Wahrsagen.“ Apg. 16,16.
Diese Frau war das, was man heutzutage eine Hellseherin nennt, und ihre Tätigkeit ist auch noch in unseren Tagen sehr einträglich.

d) Das Alte Testament verbietet Okkultismus und Spiritismus bei Todesstrafe.
Jedes Mal, wenn die Heilige Schrift davon spricht, spricht sie von tödlicher Gefahr.
Die Totenbeschwörung war bei den Kanaanitern gang und gäbe, und Israel wurde feierlich ermahnt, sich von ihnen vollkommen fernzuhalten. . . .  „Wenn du in das Land kommst, das der Herr, dein Gott, dir geben wird, so sollst du dich nicht daran gewöhnen, die Greuel der betreffenden Völkerschaften nachzuahmen. Es soll sich niemand unter dir finden, der Wahrsagerei, Zeichendeuterei oder Zauberei treibt, niemand, der Geister bannt und einen Wahrsagergeist befragt oder sich an die Toten wendet. Denn ein jeder, der sich mit solchen Dingen befaßt, ist für den Herrn ein Greuel . . .“ 5. Mose 18, 9-13.
Es ergibt sich aus diesen Bibeltexten:
1 . Der Spiritismus ist eine Verunreinigung, eine Befleckung, ein Greuel vor Gott.

2. Darum und ihres Okkultismus wegen sind die Kanaaniter ausgerottet worden.

3. Die Beschwörung der Toten und Geister wurde in Israel mit dem Tode bestraft.

4. Es ist ebenso verboten, Spiritisten und Medien zu befragen wie selber solche zu sein.
5. Der Gläubige gehört völlig Gott. Für ihn ist der Spiritismus eine Untreue und ein Götzendienst.

6. Der Okkultismus, das Hellsehen, die Astrologie sind ebenso gefährlich wie der Spiritismus, denn sie stehen in Verbindung mit der Versuchung des Feindes.

e) Wie sollen wir 1. Samuel 28 verstehen?
Die Spiritisten führen oft die Geschichte von Saul an, der den verstorbenen Samuel befragt. Sie wollen damit beweisen, wie berechtigt und wohlbegründet ihre Handlungen sind. In Wirklichkeit verdammt dieses Beispiel sie ganz und gar, wie wir nun zeigen wollen:
1. Zuerst einmal wäre zu fragen, ob es auch wirklich Samuel war, der aus dem Grab zurückkehrt und mit Saul redet. Das glauben wir allerdings auf Grund der unmißverständlichen Worte des Textes: Der König sagte: „Bringe mir Samuel herauf! . . . Da nun das Weib Samuel sah, schrie sie laut . . . Saul erkannte, daß es Samuel war, und neigte sich zur Erde und fiel nieder. Samuel aber sprach zu Saul: Warum hast du mich unruhig gemacht, daß du mich heraufbringen lässest? . . . Morgen wirst du und deine Söhne mit mir sein. Da fiel Saul zur Erde, so lang er war, und erschrak sehr vor den Worten Samuels.“ 1. Sam. 28, 11-20.
Kein Vorbehalt in diesem Text läßt die Vermutung zu, daß eine andere Persönlichkeit – ein Dämon zum Beispiel – die Gestalt Samuels angenommen hätte, um Saul zu täuschen.
Das Weib ist vollkommen fassungslos, als sie Samuel sieht. Sie erkennt sofort, daß sich etwas Ungewöhnliches ereignet und daß der König sie betrogen hat. Dann beschreibt sie die Erscheinung des alten Mannes, der mit einem Priesterrock bekleidet ist. Vers 12-14. Sie gibt dann sofort ihre gewöhnliche Rolle als Medium auf und Saul spricht unmittelbar mit Samuel.
Wir müssen hierbei auf alle Fälle anerkennen, daß dies in der ganzen Bibel das einzige Beispiel ist, daß ein Toter derart zurückkehrt und mit einem Lebenden spricht. Es scheint uns, daß Gott dieses einmalige Wunder zugelassen hat, um durch eine Ausnahme die Regel zu bestätigen und uns zu zeigen, welch tragische Folgen solch ein Versuch hat.
2. Saul und das Weib wußten sehr gut, daß sie wider Gott sündigten und ungehorsam waren. In der Zeit, da er Gott noch treu und gehorsam war, hatte Saul „die Totenbeschwörer und Wahrsager im Lande ausgerottet“ und damit das Gesetz Mose befolgt. 3. Mose 20, 27. Das Weib wußte auch, daß sie selber ihr Leben damit aufs Spiel setzte. Welches Gute oder welche Erleuchtung konnte aus solch offenbarem Ungehorsam kommen?
3. Saul wendet sich an die Toten, weil er weiß, daß er von Gott verstoßen ist. Schon zu Samuels Lebzeiten war er als König verworfen worden und hatte niemals wahre Reue und Buße gezeigt noch sein Leben geändert. 1. Sam. 15, 11. 22-23. Jetzt, „da aber Saul der Philister Heer sah, fürchtete er sich, und sein Herz verzagte sehr. Und er ratfragte den Herrn, aber der Herr antwortete ihm nicht, weder durch Träume noch durchs Licht noch durch Propheten. Da sprach Saul zu seinen Knechten: „Sucht mir ein Weib, die einen Wahrsagergeist hat.“ 1. Sam. 28, 5-7.
Dann erklärt er Samuel: „Gott ist von mir gewichen . . . darum habe ich dich rufen lassen, daß du mir weisest, was ich tun soll. Samuel sprach: Was willst du mich fragen, weil der Herr von dir gewichen und dein Feind geworden ist?” Vers 15-16.
Es ist durchaus bezeichnend, daß man an anderer Stelle Hilfe und Erleuchtung sucht, weil man fühlt, daß man mit Gott nicht in Ordnung ist, oder weil Seine Offenbarungen einen nicht befriedigen. Saul hätte sich von ganzem Herzen bekehren und die Vergebung des Herrn suchen sollen. Weil er das nicht gewollt hat (wie sein Leben zeigt), hatte Gott keine andere Botschaft mehr für ihn. Wenn man um jeden Preis eine andere Offenbarung erzwingen will, so bedeutet das heute wie damals, daß man sich immer mehr vom Worte Gottes abwendet.

4. Die Totenbeschwörung war vollkommen erfolglos.
Samuel weigert sich, etwas anderes zu sagen, als was er schon früher dem König im Auftrage Gottes verkündigt hatte. „Der Herr wird dir tun, wie Er durch mich geredet hat . . . darum, daß du Seiner Stimme nicht gehorcht hast . . . darum hat dir der Herr solches jetzt getan.“ Vers 17-18. Es war durchaus nicht nötig, sein Leben und sein ewiges Heil aufs Spiel zu setzen, um etwas zu erfahren, was ihm längst schon gesagt worden war.

5. Noch etwas Schlimmeres ist dabei: Das einzige, was Saul noch nicht wußte und was ihm Samuel verkündigt, ist, daß er und seine Söhne ins Totenreich hinabsteigen werden. Vers 19. Wir lesen darüber im ersten Buch der Chronik 10, 13-14 : „Also starb Saul in seiner Missetat, die er wider den Herrn getan hatte an dem Wort des Herrn, das er nicht hielt, auch daß er die Wahrsagerin fragte und fragte den Herrn nicht, darum tötete Er ihn und wandte das Königreich zu David, dem Sohne Isais.“
Dieser Bibeltext sagt ausdrücklich, daß Gott Saul schlug, weil er die Toten beschworen hatte. Wenn er das nicht getan hätte, wäre er vielleicht in der Schlacht verschont worden. Das einzige, was ihm seine Unterhaltung mit Samuel einbrachte, war sein Todesurteil. Welche Warnung für uns!

6. Samuel sprach zu Saul: „Warum hast du mich unruhig gemacht?“ (In der französischen Übersetzung von Darby steht: Warum störst du mich in meiner Ruhe?) . . .
Die Zuflucht zu den Toten (wie zu der heiligen Jungfrau und den Heiligen, worüber wir noch später sprechen werden) birgt außerdem die ungeheure Gefahr des Götzendienstes in sich. Der Herr wiederholt immer wieder: Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben, du sollst Ihn suchen, du sollst Ihm allein dienen, du sollst keine anderen Götter haben neben Ihm. Sich den Geschöpfen zuwenden bedeutet einen Schimpf, den wir dem einzigen Herrn und Gott antun.

f) Warum bestraft Gott die Beschwörung der Toten und Geister so streng ?
Zu allem, was wir bisher angeführt haben, müssen wir noch folgendes hinzufügen: Wir glauben, daß im Spiritismus mehr Dämonen als Verstorbene ihr Wesen treiben. Nach Lukas 16, 26 befinden sich die gottlosen Verstorbenen schon an einem Ort der Qual, aus dem man nicht entweichen kann. Die Toten aber, die schon beim Herrn sind, werden sich nicht zu einer Verbindung mit den Lebenden hergeben, die von der Heiligen Schrift so ausdrücklich verboten ist. Wenn man also glaubt, diesen oder jenen Verstorbenen reden zu hören, so ist es ein böser Geist, welcher antwortet und mehr oder weniger leichtgläubige Seelen verführt. Ein Medium, wie die Frau in Apostelgeschichte 16 war unzweifelhaft von einem Dämon besessen. Darum wird eine solche Verbindung ein Greuel, eine Verunreinigung, genannt. Wer die Toten und die Geister beschwört, liefert sich in der Tat Satan, dem Fürsten der bösen Geister aus, er setzt sein ewiges Heil aufs Spiel – und auch seinen Verstand sowie die Gesundheit seiner Nerven. Wie viele Menschen sind uns selber bekannt, die der Spiritismus vom rechten Wege gebracht hat und die völlig gleichgültig gegenüber dem Evangelium wurden. Wir wollen auch dies nicht vergessen: Wenn Gott einst diejenigen aus Seinem Volke ausmerzte, die sich an die Toten und Geister wandten, 3. Mose 20, 6, was wird Er heute tun?

g) Was versteht man unter dem „Astralleib“, von dem die Spiritisten sprechen ?
In unserm äußerlichen grobstofflichen Leib soll eine Art zweiter feinerer Leib, der Fluidal- oder Ätherleib, verborgen sein, der auch als Astralleib oder metaphysischer Leib bezeichnet wird. Dieser zweite Leib soll fähig sein, sich von dem ersten Leib zu lösen und sich mehr oder weniger weit und mehr oder weniger lange Zeit zu entfernen. In einem Zustand der Ekstase oder des Halbwachens soll sich die Persönlichkeit des Eingeweihten dergestalt teilen und dann die seltsamen Erlebnisse haben, deren sich gewisse indische „Weisen“ rühmen. Dieser Art wären auch die „Erscheinungen“ in den spiritistischen Sitzungen (Seancen), und eine Anzahl Spiritisten behaupten, manchmal Hände oder Körperteile dieses „Astralleibes“ berührt zu haben, dessen sich die herbeigerufenen Geister zu ihrer Erscheinung bedienen.
Wir entgegnen hierauf, daß nach der Heiligen Schrift der Teufel und die Dämonen wohl fähig sind, Wunder zu tun, um die Freunde des verbotenen Spiritismus zu verführen und in das Verderben zu locken. Matth.24, 24; 2. Thess. 2, 9-10 usw.
Diese angeblichen „Materialisierungen“ beweisen die Wahrheit der spiritistischen Lehre nicht.
Es ist auch leicht zu erkennen, daß die Bibelstelle 2. Kor. 12, 1-4, die hierzu häufig angeführt wird, nichts mit einem sogenannten „Astralleib“ zu tun hat, worin Paulus bis in den dritten Himmel gestiegen sein soll. Der Apostel schreibt, daß er „entzückt ward in das Paradies“ und nicht weiß, „ist er in dem Leibe oder außer dem Leibe gewesen“. Das heißt: er wußte nichts mehr von seinem Leibe. In dieser Ekstase hat er angesichts Gottes „unaussprechliche Worte“ gehört. Nach dieser Bibelstelle (und auch noch anderen wie Apg. 10, 10 und 22, 17 zum Beispiel) ist eine Ekstase wohl möglich, und Gott bedient sich zuweilen ihrer, um sich Seinen Dienern zu offenbaren. Aber wir müssen betonen, daß ein Abgrund zwischen solch einer Begegnung mit dem Herrn und der seltsamen Lehre der Spiritisten ist.
Außerdem nennt Paulus als Grundbestandteile unserer Persönlichkeit „Leib, Seele und Geist“. 1. Thess. 5, 23. Er spricht nicht wie die Okkultisten, die in dem Menschen eine Dreiheit sehen, 1. von dem physischen Leib, 2. der Geist-Seele, 3. dem metaphysischen Leib, der aus 60 einem Stoff ohne Gewicht und Maß, vielleicht aus Äther oder etwas Ähnlichem gebildet ist.
Man fragt sich wirklich, woher sie solche Offenbarungen haben!

h) Die außerordentliche Plattheit der spiritistischen „Offenbarungen“.
Die Lektüre der spiritistischen Bücher hinterläßt einen verwirrenden Eindruck. Man braucht dicke Bände, um die wirkliche Gegenwart der Geister „wissenschaftlich“ zu beweisen. Man zählt eintönig und unendlich ausführlich immer wieder dieselben Tatsachen auf: Klopfzeichen, mehr oder weniger bewiesene Erscheinungen, warnende Träume, Botschaften, die auf verschiedene Art übermittelt worden sind. Für Christen, die sowieso an das Jenseits und das Übernatürliche glauben, ergibt sich daraus höchstens, daß diese Geister wirklich da sind und sich offenbaren können, vor allem dann, wenn man sich ihnen aus liefert.
Der Inhalt der angeblichen „Offenbarungen“ ist von einer bemerkenswerten Plattheit. In einem seiner Bücher versucht der spiritistische Meister, Allan Kardec, einen Grundriß der angeblich von den Geistern gelehrten Religion zu geben. Es ist dabei merkwürdig, daß diese Lehre genau die Ideen enthält, die vor etwa fünfzig Jahren ein deistischer französischer Bürger hätte haben können, der von der menschlichen Fortentwicklung und den menschlichen Erfolgen überzeugt war. (Deismus = Glaube an einen nicht offenbarten Gott.) Hundert Seiten dieses Buches lehren uns viel weniger von Gott, Jesus Christus, der Verdammnis und dem Heil des Menschen als einige Zeilen aus dem Evangelium. Wir müssen noch hinzufügen, daß die Spiritisten häufig – nach ihrem eigenen Geständnis – von boshaften Geistern gefoppt werden. Man muß den Sinn für die Vollkommenheit und den Reichtum der biblischen Offenbarung verloren haben, um aus diesem Abgrund Erleuchtung holen zu wollen. Wer kein Vertrauen mehr in den Heiligen Geist hat, der begibt sich in die Schule der Geister.

i) Breitet sich der Spiritismus wirklich wieder mehr aus?
Wir müssen das leider bejahen. Unser alter Feind bleibt seiner bewährten Taktik treu. Er verstellt sich einmal wieder zum Engel des Lichts. 2. Kor. 11,13-15. Unter wunderbar evangelischem Äußeren bietet er uns eine wachsende Menge von „Botschaften“ aus dem Jenseits, die nichts mit Spiritismus zu tun haben scheinen. . . . Man ist erschüttert, wenn man sieht, welchen Einfluß diese Werke der Finsternis haben. . . .
Spricht die Heilige Schrift nicht von einem Großangriff der Geister der Verführung in der Letzten Zeit? 1.Tim. 4,1; 2.Thess. 2, 9-10 ; Offb. 16,14. 


7. Was sagt die Bibel zu der Anrufung der Heiligen und der Mutter Gottes?
In der römisch-katholischen und in der orthodoxen Kirche nimmt die Verehrung der Heiligen und Marias einen großen Raum ein. Wie steht die Bibel dazu?

a) Die „Heiligen“ sind tot.
Keiner von ihnen ist schon wieder auferstanden. Darum fallen alle Bemühungen, mit ihnen in Verbindung zu treten, unter das Verbot 3. Mose 20, 6 und 5. Mose 18, 11-12. Für Saul und Israel war Samuel unbestreitbar ein „Heiliger“. Trotzdem wird Saul von Gott mit dem Tode bestraft, weil er Samuels und nicht die Hilfe des Herrn selber gesucht hat.

b) Die Heilige Jungfrau selber ist noch bei den Toten.
Wir glauben von ganzem Herzen, daß Jesus „empfangen ist vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Wir haben eine tiefe Ehrfurcht vor Maria. Aber wir stellen im Evangelium fest, daß sie nicht ohne Sünde ist. Sie selber nennt Gott ihren Heiland, Luk. 1,47, was Jesus niemals getan hat. Nach der Geburt Christi ist sie wirklich die Frau Josephs geworden und hat ihm noch andere Kinder geboren. Matth. 1,25; 13,55-56. Sie wird zum letzten Mal als ein Glied der ersten Christengemeinde erwähnt, und zwar vor Pfingsten. Apg. 1,14. Sie hat also nicht die Rolle gespielt, die man ihr zuschreibt. Sie verleiht weder den Heiligen Geist noch andere göttliche Gnaden. Die Heilige Schrift erzählt nichts von ihrem Tode und erst recht nichts von ihrer „Himmelfahrt“ , durch welche sie sofort nach ihrem Tode als Auferstandene in den Himmel versetzt worden sein soll. Im Gegenteil, Paulus erklärt ausdrücklich, daß vorläufig nur Christus auferstanden ist „als Erstling derer, die schlafen“. Diejenigen, die Ihm angehören – Seine Mutter inbegriffen -, werden erst bei Seiner herrlichen Wiederkunft auferstehen. 1. Kor. 15,20.23.
Maria ist also noch bei den Toten, deren Geist beim Herrn ist, deren Leib aber noch in der Erde schlummert.


c) Die Heiligen sind wie alle andern Toten weder allwissend noch allgegenwärtig.
Wie könnten sie an so vielen verschiedenen Orten die Gebete hören und erhören, die angeblich zu ihnen emporsteigen? Nur Gott allein kann es, denn Er allein ist allwissend, allgegenwärtig und allmächtig.


d) Die Tatsache, daß die Anrufung der Heiligen und der Mutter Gottes ständig mit der Verehrung der Bildwerke verbunden ist, verschärft das Problem.
Es ist nicht allein verboten, sich an die Toten zu wenden, sondern auch – durch die Zehn Gebote -, sich irgendein Bildnis oder ein Gleichnis zu machen, das irgendwelcher Verehrung dient. „Du sollst dir kein Bildnis machen, keinerlei Gleichnis, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden ist. Du sollst sie nicht anbeten, noch ihnen dienen. Denn Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott . . . 5. Mose, 8-9.

Ein ausdrückliches Verbot ist mit dem ersten Gebot verbunden: „Du sollst keine andern Götter neben Mir haben.“ 5. Mose 5, 7. Der Herr verlangt eifersüchtig unsere völlige Anbetung. Er will, daß unser Gottesdienst nur Ihm allein geweiht ist. . . .

Außerdem steht geschrieben: ,,Gott ist Geist, und die Ihn anbeten, die müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Joh. 4, 24. Er will nicht, daß wir unseren Gottesdienst materialisieren, mit Bildwerken oder Bildern in Verbindung bringen.
Er verbietet uns, dafür ein Bildnis oder Gleichnis des, das oben im Himmel ist, eines Mannes oder einer Frau zu machen. Das bedeutet, daß die Bildwerke Christi, des Heiligen Herzens, der Heiligen Jungfrau, der Heiligen, des Kreuzes, wie auch die Medaillen verboten sind. Sie werden notgedrungen zu Götzenbildern, denen man eine magische Macht zuschreibt. Wie könnte man sich sonst erklären, daß die Schwarze Muttergottes von Chartres Wunder tut, daß die Muttergottes von Boulogne angeblich den Frieden bringen soll und daß das Bildwerk des einen Heiligen an diesem Ort mächtiger ist als an einem anderen?
Die römisch-katholische Kirche entschuldigt sich damit, daß sie vorgibt, daß sie allein Gott anbete und die Jungfrau samt den Heiligen nur verehre (was durchaus noch zu beweisen wäre). Aber die Zehn Gebote verbieten nicht allein die Bildwerke anzubeten, sondern auch, sie zu verehren und ihnen zu dienen. Es ist also völlig verboten, sie auf die Altäre zu erheben, ihnen Kerzen anzuzünden und Gebete an sie zu richten. Der römisch-katholische Katechismus geht mit Stillschweigen über das zweite Gebot hinweg zum dritten über (das folglich das „zweite“ genannt wird) zu dem Verbot, den Namen des Herrn zu mißbrauchen. Das zehnte Gebot über die Begehrlichkeit wird darum in zwei aufgeteilt. 2. Mose 20, 17; 5.Mose 5, 21.

e) Welches ist die größte Gefahr, die mit der Verehrung der Bildwerke verbunden ist?
Zur Zeit der Apostel opferten die Griechen den Götzenbildern und gaben vor, daß diese Bildwerke die großen Götter des Olymps darstellten.
Für die Christen gab es diese Götter nicht, und diese Bildwerke bedeuteten ihnen nur ein wenig Stein, Marmor oder Metall.
Aber was sagt Paulus dazu?
„Was soll ich denn nun sagen? Soll ich sagen, daß der Götze etwas sei oder daß das Götzenopfer etwas sei? Aber ich sage: Was die Heiden opfern, das opfern sie den Teufeln (Schlachter: den Dämonen) und nicht Gott. Nun will ich nicht, daß ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt. Ihr könnt nicht zugleich trinken des Herrn Kelch und der Teufel (Dämonen) Kelch. Ihr könnt nicht zugleich teilhaftig sein des Tisches des Herrn und des Tisches der Teufel.“ 1. Kor. 10, 19-22.

Die verbotene Verehrung der Götzenbilder gilt in Wirklichkeit nicht diesen Göttern, die ja gar nicht vorhanden sind, sondern den Dämonen. Dieser Gedanke ist furchtbar im Hinblick auf den Irrglauben unserer Tage.

Die Verehrung der Heiligenbilder ist zwiefach untersagt: Die Heiligen sind Tote, und ihre Bildwerke sind verboten. Die Verehrung, die man ihnen erweist, kann weder Gott gefallen noch sich mittelbar oder unmittelbar an Ihn wenden. An wen wendet sie sich denn?
Wir wagen es von uns aus nicht zu sagen, aber unser Bibeltext tut es an unserer Statt. Diese Bildwerke sind an sich nichts, aber man macht sie zu Gegenständen der Verehrung, das heißt zu Götzenbildern, und diese Verehrung bedeutet daher sowohl Götzendienst wie Spiritismus. Viele treuherzige, aufrichtige Menschen, die man diesen Glauben gelehrt hat, sind sich dessen garnicht bewußt. Ohne Zweifel kann Gott sogar solche Gebete erhören, obwohl ihre Form – ohne daß die Beter es ahnen und wollen – abergläubisch ist. Nichtsdestoweniger halten wir daran fest, daß solch eine Verehrung ein ungeheures Hindernis ist, den Herrn persönlich kennenzulernen.

f) Die Anrufung anderer Mittler ruft die Eifersucht des Herrn hervor.
Als Er verbietet, andere Götter zu haben und ihren Bildwerken Verehrung zu erweisen, fügt der Herr hinzu: „Denn Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott!“ 2. Mose 20, 5. Er eifert auch für Seinen Sohn, den einzigen Mann, dem die Gemeinde vertraut worden ist. „Der Geist, der in euch wohnt, begehret und eifert.“ Jak. 4, 5. Er gibt weder Seinen Ruhm noch Seinen Platz einem andern.
Wir haben dafür eine Veranschaulichung in der Art, wie Gott ein greift, um das Hohepriestertum Aarons zu verteidigen. 4. Mose 16.
Korah und zweihundertfünfzig Vornehme in der Gemeinde murren wider Aaron, sie erklären sich selber als ebenso heilig und verlangen ihr Teil am Priestertum. Vers 3. 10-11. Mose antwortet: „Welchen der Herr erwählt, der sei heilig.“ Vers 7. „Korah und seine Rotte stellen sich vor die Tür der Hütte des Stifts“, um dem Herrn den „süßen Geruch“ zu opfern (Sinnbild der Fürbitte, die Jesus, unser Hoherpriester, unaufhörlich für uns darbringt). Sie werden sofort für ihre Vermessenheit bestraft: Die Erde verschlingt die einen, und ein Feuer verzehrt die anderen. 4. Mose 16, 18. 32-35.  . . .
„Es ist ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus. “ 1. Tim. 2, 5.

8. Bitten die Verstorbenen für uns?
Die Anrufung der Mutter Gottes und der Heiligen gründet sich auf den Glauben, daß diese ihrerseits bei Gott eine wirksame Fürbitte für ihre Getreuen einlegen. Man stellt sich den Herrn als übermäßig heilig, streng und furchtbar vor. Wenn man sich an Seine Mutter, die Vermittlerin aller Gnaden, wendet, werde man besser verstanden und angenommen. Der Herr kann doch ihr, deren mütterliches Herz so voller Liebe ist, nichts verweigern.
Oder auch Gott erscheint einem so weit, so sehr in Anspruch genommen, daß Er sich für all unsere kleinen Nöte garnicht interessieren kann. Es sei daher gut, verschiedene Heilige zu haben, zu denen man mit diesen unbedeutenden Anliegen kommen darf.

So gibt es zum Beispiel in Belgien besondere Heilige (mit einem bevorzugten Standbild und einem eigenen Wallfahrtsort) für alle Lebenslagen. Die Heilige Anna sorgt für Kindersegen, die Heilige Maria von Augnies für eine glückliche Entbindung, der Heilige Claudius heilt die Blutgeschwüre und Furunkel, die Heilige Klara Augenleiden, der Heilige Blasius Hitzblattern, der Heilige Lambertus Lähmungen, die Heilige Appollonia Zahnschmerzen, der Heilige Hiob Geschwüre, der Heilige Laurentius Brandwunden, der Heilige Erasmus Leibschmerzen und die Heilige Rita nimmt sich noch ganz verzweifelterer Fälle an. Die Muttergottes von Blois hilft in Examensnöten. Der Heilige Eligius beschützt die Hüttenmänner, der Heilige Joseph die Zimmerleute, die Heilige Cäcilia die Musiker, die Heilige Barbara die Bergleute, der Heilige Christoph die Reisenden, der Heilige Hubertus die Jäger usw. So ist es in Italien, in Spanien, in Südamerika und in allen stark katholischen Ländern. Sehr beunruhigend ist, daß im großen Kongo-Museum in Tervueren bei Brüssel riesengroße Säle voller Fetische der Eingeborenen sind, die genau denselben Zwecken dienen.
Was sagt die Bibel zu dieser Fürbitte der Heiligen und der Mutter Gottes, das heißt: der Toten? Die Wahrheit ist, daß sie davon überhaupt nicht spricht. Der reiche Mann versucht zwar, Abraham um seine Vermittlung zugunsten seiner Brüder zu bitten, aber er erhält eine abweisende Antwort. „Sie haben Mose und die Propheten, laß sie die selben hören.“ Luk. 16,29. Wenn Gott den Menschen Christus und die Heilige Schrift gibt, braucht Er ihnen nicht noch mehr zu gewähren.  . . .
In der Heiligen Schrift gibt es kein Beispiel, daß ein Gläubiger, der schon im Himmel ist, bei Gott für die Menschen auf Erden eintritt.
Als die Reformatoren dringlich danach fragten, wo in der Bibel etwas von einer Fürbitte der Heiligen stünde, geriet die katholische Kirche in außerordentliche Verlegenheit. Auf dem Konzil in Trient im Jahre 1546 sah sie sich gezwungen, die Apokryphen des Alten Testaments in die Reihe der kanonischen Bücher aufzunehmen. Diese Apokryphen sind bis dahin weder von den Juden noch von der christlichen Gemeinde jemals als von Gott eingegeben betrachtet worden. Die katholische Kirche glaubte in 2. Makkabäer 15, 11-16 einen Beweis für ihre Lehre zu haben. Dort bitten Jeremias und der Hohepriester Onias im Himmel für das verfolgte jüdische Volk. Es erübrigt sich, zu sagen, daß diese Bücher der Apokryphen, die nur aus dieser Notwendigkeit heraus den kanonischen Büchern eingereiht wurden und von geringerem Wert sind, für uns nicht maßgebend sind.
Die Heilige Schrift selbst sagt nichts über die Fürbitte der Heiligen, aber sie wiederholt unaufhörlich, daß wir einen Mittler haben, einen einzigen und vollkommenen Fürsprecher „Es ist e i n Gott und e i n Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Jesus Christus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.“ 1. Tim. 2, 5-6. Er ist der alleinige Heiland. Die Liebe und das Mitleid, die Er für uns empfindet, kann kein Geschöpf für uns empfinden. Er erklärt selber: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch Mich . . . Ich bin die Tür, so jemand durch Mich eingeht, der wird selig werden . . .“ Joh.14,6;
1. Petrus, voll des Heiligen Geistes, verkündet:

„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden.“ Apg. 4, 12.
Wenn wir sagen, wir brauchten andere Mittler, um zu Gott zu kommen, so mißachten wir die vollkommene Fürsprache unseres Herrn Jesu Christi. . . .

9. Sollen wir für die Verstorbenen beten?
Wir werden die Antwort der Bibel auf diese Frage besser verstehen, wenn wir die Themen „Fegfeuer“ und „Hölle“ behandelt haben. Trotzdem müssen wir auch hier schon einige Worte darüber sagen. Wir haben gesehen, was sich beim Tode des Gerechten und des Ungerechten ereignet. Für die gläubigen Verstorbenen brauchen wir nichts zu bitten, denn sie sind schon in der Seligkeit beim Herrn. Sie sind bei Christus, und „das ist viel besser“ als dies irdische Leben. Sie ruhen und harren der herrlichen Auferstehung. Es ist durchaus nicht nötig, Gott in langen Litaneien anzuflehen, ihnen „die ewige Ruhe zu geben“. Sie sind sogar schon zu dieser Ruhe gekommen, als sie hier auf Erden ihr Vertrauen in Jesus Christus gesetzt haben, der sie von allen Sünden reinigte.
Die gottlosen Verstorbenen dagegen sind schon in der Qual. Jesus berichtet uns, daß der reiche Mann vergebens darum bittet, daß jemand seine Leiden lindere. Es ist unmöglich, daß einer zu ihnen vom Himmel herniederkommt, und ebenso unmöglich ist es, daß ein Verdammter aus dem Ort der Qual entweicht. Luk. 16, 23-26.

Wir werden später sehen, daß es ein Fegfeuer überhaupt nicht gibt, daß die Bibel nirgends davon spricht. Es bleibt für die unbußfertigen Sünder also nur die Aussicht auf die ewige Hölle. Was nützt es darum, für sie zu beten? Das einzige, was wir tun können, ist, sie der vollkommenen Gerechtigkeit Gottes anzuempfehlen. Der Herr hat Seine Liebe zu allen Seinen Geschöpfen bewiesen. Er wird nichts tun, was Seiner göttlichen Vollkommenheit widerspricht. 

Womit begründet die katholische Kirche ihre Gebete für die Verstorbenen, die einen so großen Raum in ihrer Frömmigkeit einnehmen? Sie nimmt wieder einmal – in Ermangelung von etwas Besserem – einen Text aus den Apokryphen, die erst nach der Reformation den kanonischen Büchern angereiht wurden. Nach den Makkabäern bitten die Juden für die in einer Schlacht Gefallenen und bringen ein Sühnopfer dar, auf daß ihre Sünden vergeben werden. 2. Makkb. 12, 39-46. Wenn also dieses Gebet erlaubt und dienlich ist – so erklärt man -, so kann auch das Sühnopfer der Messe für die Verstorbenen dargebracht werden, und es muß einen Ort geben – das Fegfeuer -, wo die Seelen sich völlig reinigen können. Es ist seltsam, daß diese so wenig biblischen Ideen nach und nach in gewisse protestantische Kreise eingedrungen sind.
Das beweist, bis zu welchem Punkte schon für viele die von Gott eingegebene Heilige Schrift aufgehört hat, einzige und höchste Autorität zu sein.

11. Gibt es eine Reinkarnation?
Von Indien aus ist die Lehre von der Reinkarnation (Rückkehr ins Fleisch) wieder in unser Abendland eingedrungen. Alle Arten von Philosophien und Sekten sind davon begeistert, und wir müssen erfahren, was die Bibel davon sagt.
Es ist klar, daß nach der Heiligen Schrift der Mensch nur einmal hier auf Erden lebt. „Es ist den Menschen gesetzt, einmal (und nicht hundertmal) zu sterben, danach aber das Gericht.“ Hebr.. 9, 27. „Der Tod ist der Sünde Sold“, und nicht unzählige Tode. Es gibt unzweifelhaft nur einen leiblichen Tod, dem in der anderen Welt der zweite Tod, die ewige Verdammnis, folgt. Jesus selber lehrt uns, daß der Gottlose sogleich nach seinem Tode an einen Ort des Gerichts versetzt wird und daß ihn eine unübersteigbare Kluft umschließt. Die Gerechten erwarten beim Herrn in Ruhe den herrlichen Tag ihrer Auferstehung.
Die ganze Lehre von der Reinkarnation gründet sich auf den heidnischen Begriff von der langsamen Vervollkommnung des Menschen, der sich durch eigenes Bemühen und durch sühnendes Leiden immer weiter entwickelt. Von einem Dasein zum andern reinigt sich der Mensch immer mehr und wird sich zuletzt selber erlösen. Ganz widersinnig ist jedoch hierbei, daß er gar keine Erinnerung an seine früheren Leben hat, also büßt, ohne zu wissen, wofür. Andererseits tröstet er sich bei Verfehlungen damit, daß er sie in einem zukünftigen Leben ja wiedergutmachen kann. Die einen lehren, daß ein Mensch nur als Mensch wiedergeboren werden kann, die andern, daß er in allen möglichen Tieren wieder erscheinen kann.
Diese beinahe unendliche Kette von Reinkarnation bringt den Menschen zur Mutlosigkeit und Verzweiflung. Er verlangt nur noch danach, davon befreit zu werden. Er sehnt sich nach dem Nirwana, der Wunschlosigkeit, Empfindungslosigkeit, kurzum dem Ende aller Leiden, dem Versinken in das große All. Es gibt wohl kaum noch eine Lehre, die sinnloser, lebensfeindlicher ist und die der biblischen Lehre derart widerspricht. Die gute Aufnahme, die sie und ihr Gefolge von indischen Lehren und Unterweisungen bei uns finden, beweist die Abtrünnigkeit unserer einst „christlichen“ Welt.
Alles das ist recht gut, mögen einige sagen, aber steht nicht in der Bibel wenigstens ein Beispiel von Reinkarnation? War Johannes der Täufer nicht der wiedererschienene Elia? Wir wollen uns die betreffen den Bibeltexte näher ansehen!
Die letzten Verse des Alten Testaments künden an, daß der Prophet Elia vor dem Tag des Herrn wiederkommen werde, um die Herzen der Väter und der Kinder zu bekehren. Mal.3, 23-24. Der Engel, der die Geburt des Johannes ankündigt, sagt: „Er wird vor Ihm hergehen im Geist und Kraft Elias, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern . . . zuzurichten dem Herrn ein bereitet Volk.“ Luk. 1, 17. Als man jedoch Johannes den Täufer zu Beginn seiner Wirksamkeit fragt: „Bist du Elia?“, antwortet er ausdrücklich: „Ich bin es nicht!“ Joh.1, 21.
Was bedeuten dann aber die Worte Jesu: „Und so ihr’s wollt annehmen, er (Johannes der Täufer) ist Elia, der da soll zukünftig sein“, Matth.11,14 ?

Und vor allem folgende Stelle: „Und Seine Jünger fragten Ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, Elia müsse zuvor kommen? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elia soll ja zuvor kommen und alles zurechtbringen. Doch Ich sage euch – es ist Elia schon gekommen, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben an ihm getan, was sie wollten . . . Da verstanden die Jünger, daß Er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte.“ Matth. 17, 10-13. Jesus sagt hier zweierlei:

a) Elia ist schon gekommen.
Jesus Christus hatte bei Seinem ersten Erscheinen Johannes den Täufer als Vorläufer, der erschienen ist „mit dem Geist und der Kraft des Elia“. In diesem Sinne war Johannes wie Elia.

b) Elia soll kommen.
Die wirkliche Wiederkehr des Elia wird in der Tat in der Zukunft sein und der Wiederkehr des Herrn vorausgehen. Johannes der Täufer hat selber geantwortet, daß er nicht Elia in Person wäre. Joh. 1,21. Und Jesus hat deutlich ausgesprochen: „Elia soll ja zuvor kommen und alles zurechtbringen.“ Es ist klar, daß dieser Teil der Prophetie noch nicht eingetroffen ist. Er wird sich unmittelbar vor dem großen Tag des Herrn erfüllen, nach Mal. 3. Wir glauben, daß Elia eine besondere Aufgabe bei der Bekehrung der Juden haben wird. Er wird in dem Augenblick sein Amt antreten, in dem die „Wiederherstellung aller Dinge“ beginnen wird, daß heißt also bei der Aufrichtung des Tausendjährigen Reiches. (Siehe Apg. 3, 19 und Röm. 11, 12. 15.) Wir denken auch, daß Elia einer der Zeugen von Offb. 11, 1-12 sein wird. Seine Aufgabe wird dann sein, zur Zeit der großen Drangsal in Jerusalem ( der Heiligen Stadt, da auch ihr Herr gekreuzigt ist, Vers 8) mit großer Macht Zeugnis abzulegen. Nach unserer Ansicht würde der zweite dieser Zeugen Henoch sein, und zwar aus folgendem Grunde: Henoch und Elia sind die einzigen Menschen, die den Tod nicht erlitten haben, obgleich auch sie Sünder waren. Sie sind für ihre besondere Aufgabe am Ende der Zeiten aufbewahrt worden und werden dann auch sterben müssen. Vers 7.
Zum Abschluß möchten wir feststellen, daß die ganze Geschichte von Elia keinen einzigen Beweis für die Reinkarnation erbringt. Die Reinkarnation ist dem Buchstaben und dem Geist der Heiligen Schrift durchaus fremd.

12. Das Gedächtnis der Gerechten bleibt im Segen.
Das Kapitel, das wir nun beenden, hat vielleicht einige Leser enttäuscht. Die Bibel erscheint ihnen zu schweigsam, was die Verbindung mit unseren Toten betrifft. Mögen wir auch diesen Eindruck haben, wir dürfen darum doch nicht an der Weisheit und der Wahrheit der Heiligen Schrift zweifeln. Aber steht denn geschrieben, daß wir bei ihrem Tode unsere Verstorbenen ganz und gar verlieren und daß wir sie und sogar das Gedenken an sie vollständig verbannen sollen?
Durchaus nicht!
Die Bibel sagt zuerst einmal: „Das Gedächtnis der Gerechten bleibt im Segen“, Spr. 10,7, und sogar: „Des Gerechten wird nimmermehr vergessen.“ Psalm 112, 6. Sie fügt hinzu: „Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, ihr Ende schauet an, und folget ihrem Wandel nach.“ Hebr. 13, 7. Welchen Trost und welche Stärkung schöpfen wir aus der Erinnerung an geliebte Menschen, deren Beispiel und deren Zeugnis uns soviel auf dem Wege geholfen haben!
Wir werden bis an das Ende unserer Tage nicht aufhören, Gott dafür zu danken. Dieweil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, wollen wir wie sie treu und tapfer in den Fußstapfen unseres Herrn wandeln. Hebr. 12, 1-2.
Auch sind die Toten, deren wir uns erinnern, in Christo, wie auch wir es durch den Glauben sind. Sie sind ebenso wie wir Glieder am Leibe des Herrn, in welchem eine ewige Einheit herrscht, die durch nichts zerstört werden kann.
Wir möchten jedoch nicht mißverstanden werden: Nach allem, was wir zuvor gesagt haben, ist es klar, daß die Toten in einer anderen Welt sind und keine unmittelbare Verbindung mit uns haben. Aber wir geben sie in völligem Vertrauen Gott zurück und wissen, daß sie in Seinen Armen herrlich bewahrt und getröstet sind. Ihm allein können wir allezeit unsere Nöte, unsere Wünsche, unser Bedürfnis nach Gemeinschaft und nach Trost anvertrauen. Es ist uns nicht gesagt, was der Herr diejenigen wissen läßt, die bei Ihm auf ein Wiedersehen und auf ihre Auferstehung warten. Aber es genügt uns, zu wissen, daß wir alle von der mächtigen Hand Dessen behütet und vereint werden, Der alles in allem ist.
In diesem Sinne verstehen wir Hebr. 12, 22-24. Wir sind durch den Glauben nicht zu dem Berge Sinai gekommen, der im Feuer der göttlichen Gerechtigkeit brannte, sondern zu dem Berge Zion, zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, das uns durch das Blut der Besprengung zugänglich geworden ist. Dort finden wir mit der Menge vieler tausend Engel die Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, . . . und die Geister der vollendeten Gerechten. Es ist für uns ein großer Trost, zu wissen, daß unsere gläubigen Verstorbenen schon in der Herrlichkeit sind, wohin wir selber heute schon im Geist und durch den Glauben gesetzt sind in Christo Jesu. Und wir freuen uns in dem Gedanken, daß die gegenwärtige Zeit der Trennung und des Schweigens nicht lange dauern wird. Bald werden wir uns alle in himmlischer Vollkommenheit und Unvergänglichkeit wiederfinden.

DRITTER TEIL

Die Welt der Geister


Kapitel I   DIE ENGEL

1. Was sind die Engel?
Die Engel werden hundertachtmal im Alten Testament und hundertfünfundsechzigmal im Neuen Testament genannt. Ihr Dasein kann also nicht in Zweifel gezogen werden, obwohl es auch heute noch von gewissen Kreisen geleugnet wird, so wie es einst die Sadduzäer abstritten. Wenn es aber eine Welt der irdischen Körper – der Pflanzen, Tiere, Menschen – gibt, warum sollte es dann nicht auch eine Welt der himmlischen Geister geben? Nach der Erklärung Hebräer 1, 14 sind die Engel „dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit“.

2. Das Wesen der Engel.

a) Ihre Macht. Sie haben größere Stärke und Macht als die Menschen. 2. Petr. 2,11. Sie sind „starke Helden“. Psalm 103,20. In bezug auf Christus werden sie die „Engel Seiner Kraft“ genannt. 2. Thess. 1,7.

b) Ihre Weisheit. Sie sind sehr weise. Man sagt: „Weise wie die Weisheit eines Engels Gottes.“ 2. Sam. 14, 20. Aber sie sind nicht allwissend. Sie wissen zum Beispiel nicht den Tag der Wiederkunft Christi. Mark. 13,32. Sie lernen „an der Gemeinde die mannigfache Weisheit Gottes“ noch besser kennen. Eph. 3,10. Es gelüstet sie, die Wunder zu schauen, wovon die Propheten geweissagt haben und die von den Aposteln verkündigt worden sind. 1.Petr.1,10-12.

c) Ihre Heiligkeit. Die Engel sind heilig. Apg. 10, 22. Sonst könnten sie ohne Zweifel nicht vor Gott stehen. Ihre weißen Kleider sind das Sinnbild ihrer Heiligkeit.
d) Ihre Herrlichkeit. Sie sind von leuchtender Herrlichkeit umgeben. Daniel beschreibt die Erscheinung eines Engels: „Sein Leib war wie ein Türkis, sein Antlitz sah aus wie ein Blitz, seine Augen wie feurige Fackeln, seine Arme und Füße wie helles, glattes Erz, und seine Rede war wie ein großes Getönt.“ Dan. 10,6. Vor dieser blendenden Lichtgestalt ergreifen die Gefährten des Propheten voller Schrecken die Flucht. . . .

e) Ihre Erwählung. Sie sind auserwählt worden. 1. Tim. 5,21. Alle Engel sind versucht worden. Einige von ihnen haben sich empört und sind Satan gefolgt.
Es ist wohl anzunehmen, daß die anderen nach dem vollkommenen Vorherwissen Gottes auserwählt worden sind. Diese Erwählung der Engel steht in Beziehung zu Christus, denn Paulus sagt uns: „Auf daß alle Dinge zusammengefaßt würden in Christo, beides, das im Himmel und auf Erden ist, durch Ihn.“ Eph. 1,10. „Es ist das Wohlgefallen gewesen, daß . . . alles durch Ihn versöhnt würde zu Ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel, damit Er Frieden machte durch das Blut an Seinem Kreuz, durch sich selbst.“ Kol. 1,19-20. Das Heil, das Christus so teuer erkauft hat, erstreckt sich nicht auf die Dämonen. Wir werden noch feststellen, daß es für sie weder Erlösung noch Bekehrung gibt.
Was wollen also die obigen Verse sagen? Wir glauben, daß die Erlösungstat Christi eine ungeheure Rückwirkung im Himmel hatte: Dort hat sie der Empörung der Engel Einhalt geboten und die Treue und die Ergebenheit der auserwählten Engel bestätigt. In diesem Sinne betont das Neue Testament die besondere Herrschaft Christi, die Er durch das Kreuz über die Engel erhalten hat. Eph. 1, 20-21; Hebr. 1, 3-4 ; 1. Petr. 3, 22.
„Auf daß alle Dinge zusammengefaßt würden in Christo, beides, das im Himmel oder auf Erden ist“ (Eph. 1,10 und Kol. 1,20), scheint uns auch noch dies sagen zu wollen: Durch die Sünde ist die ganze Welt zerrissen. Der Krieg wütet im Himmel und auf der Erde. Die Menschen haben sich gegen ihren Schöpfer empört. Sie haben den Zugang zum Paradies verloren. Das Kreuz nimmt die Sünde hinweg, es stellt den Frieden und die Einheit wieder her. . . .

f) Ihre Demut. Die treuen Engel sind demütig. Sie bedecken vor Gott ihr Antlitz und ihre Füße. Jes. 6, 2. Von den Menschen lehnen sie alle Huldigung ab, die allein dem Herrn gebührt. Offb. 22, 8-9. Satan und seine Engel dagegen haben nur den einen Wunsch: Sie wollen angebetet und an Gottes Stelle gesetzt werden. Jes. 14, 12-14.

g) Ihr Gehorsam. Wenn der Herr sagt: „Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel“, Matth. 6,10, von welchem Gehorsam spricht Er denn, wenn nicht von dem der Engel? . . .

h) Ihre Rangordnung und ihre Gliederung. Die Bibel nennt verschiedene Klassen von himmlischen Geistern. „Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Obrigkeiten“ Kol. 1, 16. Paulus bezieht die beiden Bezeichnungen „Fürstentümer, Obrigkeiten“ auf satanische Mächte, über die Christus am Kreuz triumphiert hat, Kol.2,15, und welche heute noch gegen uns an himmlischen Orten kämpfen. Eph. 6,12. Petrus und Judas sprechen von „Majestäten“, die zu lästern anmaßend sei, obwohl sie gestürzt sind und viel von ihrer Macht verloren haben. 2. Petr. 2, 10 und Jud. 8-9.
Michael trägt den Titel Erzengel. Er wird „der vornehmsten der Fürsten einer“, der „große Fürst“ genannt. Judas 9 und Daniel 10,13; 12,1. Die Offenbarung zeigt uns Michael, wie er mit seinen Engeln gegen den Drachen und seine Engel streitet. Offb. 12, 7-9.
Es wird auch von der „Menge vieler tausend Engel“ gesprochen, die den Chor der Engel bilden, Hebr.12,22; von „Legionen Engel“, Matth. 26, 53 ; von der „Menge der himmlischen Heerscharen“. (Luk. 2,13. 1.Kön. 22,19).
Wir wollen uns noch über zwei Gruppen von Engeln näher unter halten. Die Cherubim werden mehrmals genannt, sie „bewahren mit dem bloßen hauenden Schwert ” den Weg zum verlorenen Paradies. 1. Mose 3, 22-24. Sie sind auf dem Vorhang dargestellt, der den Eintritt zum Allerheiligsten versperrt, und sie sind auf der Bundeslade, wo ihre Flügel den Gnadenstuhl bedecken und „ihre Antlitze auf den Gnadenstuhl sehn“, wo das sühnende Blut den Weg wieder frei macht und ihnen die Waffen aus der Hand nimmt. 2. Mose 26,31; 25,17-20.
Wir finden sie wieder in dem Gesicht Hesekiels, wo die „Tiere“ (lebendige Wesen) ausdrücklich Cherubim genannt werden. Hes. 1; 10,18-20. Sie scheinen dort bereit zu sein, auf einer Art feurigem Wagen die durch die Sünde beschimpfte Herrlichkeit des Herrn davonzutragen. Die vier „Tiere“ der Offenbarung 4, 6-8, ähneln sehr denen Hesekiels. Sie beten ohne Unterlaß den Herrn an und verkündigen Seine Heiligkeit. Sie nehmen auch an der Erfüllung Seiner Gerichte teil. Man fragt sich, ob Daniel in seinem vierten Kapitel mit den „heiligen Wächtern“ nicht himmlische Wesen ähnlich den Cherubim meint.
Nebukadnezar erzählt seinen Traum von dem großen Baum und berichtet: Und ich sah einen Geist auf meinem Bett, und siehe, ein heiliger Wächter fuhr vom Himmel herab . . . Solches (nämlich den Baum abzuhauen) ist im Rat der Wächter beschlossen und im Gespräch der Heiligen beratschlagt, auf daß die Lebendigen erkennen, daß der Höchste Gewalt hat über der Menschen Königreiche.“ Dan. 4,10.14. Weiter fügt der Prophet hinzu: „Ich hörte aber einen Heiligen reden, und ein Heiliger sprach zu dem, der da redete: Wie lange soll doch währen solch Gesicht?“ Dan. 8,13.
Die Engel können sich also Fragen über die Prophetie stellen, im Sinne von 1. Petr.1,12. Sie können auch wachen und einschreiten, wenn es die erhabene Majestät Gottes verlangt.
Die Seraphim (das heißt die Brennenden) werden nur Jes. 6, 1-7 genannt. Als „Tiere“ der Offenbarung 4 haben sie sechs Flügel und verkündigen in Anbetung und Beugung die Heiligkeit des Herrn.


i) Ihre Persönlichkeit. Die Engel sind alle bestimmte Persönlichkeiten. Wir wissen den Namen von wenigstens drei von ihnen: Michael, den wir schon erwähnten, der „Wer ist wie Gott?“ bedeutet, Gabriel, „Der Herr ist mächtig“ steht vor dem Herrn, Luk. 1,19.26; Dan. 8, 16; 9,21 und endlich Satan. Die Art, wie die Engel handeln, gehorchen, sich empören, gerichtet werden, zeigt hinreichend, was für Persönlichkeiten sie sind. 


k) Ihre Individualität. Zum Schluß wollen noch folgende interessanten Vergleiche geben:
Die Pflanze richtet sich ganz nach ihrer Art, wovon die einzelne Pflanze nur ein Teil ist.
Das Tier ist zwar schon mehr als Einzelwesen zu betrachten, wird aber von dem Instinkt und den Gesetzen seiner Art gelenkt.
Der Mensch ist eine Persönlichkeit, die den Gesetzen ihrer Rasse nicht mehr willenlos unterworfen ist.
Der Engel ist nur ein Einzelwesen und gehört keiner Rasse an. Die himmlischen Geister werden zuweilen „Söhne Gottes“ genannt, aber niemals „Söhne der Engel“. Sie sind keiner Vererbung unterworfen und sind daher für ihre Handlungen voll verantwortlich – und kennen keine Erlösung.


3. Die Aufgabe der Engel.

a) Im Dienste Gottes.
,,Sind sie nicht allzumal dienstbare Geister, zum Dienst ausgesandt?“ Hebr. 1,14. Wir sehen, wie sie beständig den Herrn umgeben, Seinen Willen ausführen und an Seinem Werk mitarbeiten.
Sie wohnen jauchzend der Schöpfung der Welt bei. Hiob 38,4-7. Sie übergeben Mose auf dem Sinai das Gesetz. Gal. 3,19; Apg. 7,53. Sie führen die Errettungen und die Gerichte aus, die der Herr befiehlt. 1. Mose 10,15-22; 2. Samuel 24,16. Sie führen die Befehle Gottes aus. Psalm 103, 20.
Sie nehmen an der Regierung der Nationen teil. Engel unterstützen verschiedene Völker wie Israel, Dan.12,1, die Perser, die Meder, die Griechen, Dan. 10,13. 20-21. Sie kämpfen gegen böse Geistesmächte, die versuchen, die Nation zu verderben.
Die Engel kämpfen auch gegen Satan und sein Heer bis zum Endsieg. Offb. 12,7-9. Ein Engel bindet den Teufel und wirft ihn in den Abgrund. Offb. 20,1-3.
Vor Gottes Thron sind die Engel vereint und beten und loben ohne Unterlaß. Offb. 5, 11; Dan. 7,10 usw.

b) Im Dienste Jesu Christi.
Wir sehen, wie die Engel unseren Herrn vom Anfang bis zum Ende Seiner Laufbahn begleiten.
Der Engel Gabriel verkündigt Maria die Geburt des Heilands, wie er schon die Geburt Seines Vorläufers Johannes verkündigt hat. Luk. 1,11-20; 26-38.
Joseph wird gleichfalls durch einen Boten benachrichtigt. Matth. 1, 20-21.
Ein Engel erscheint den Hirten in der Weihnachtsnacht, und die Menge der himmlischen Heerscharen stimmt das Lob Gottes an. Luk. 2, 9-15.
Die Flucht aus Ägypten und die Rückkehr aus diesem Land geschieht auch auf Befehl eines Engels. Matth. 2,13.19-20. Als Jesus siegreich die Versuchung bestanden hat, treten die Engel zu Ihm und dienen Ihm. Matth. 4, 11.
Während Seines Todeskampfes im Garten Gethsemane erscheint ein Engel vom Himmel und stärkt Ihn. Luk. 22,43.
Bei der Auferstehung steigt ein Engel des Herrn vom Himmel und wälzt den Stein von des Grabes Tür. Matth. 28, 2. Zwei Engel erscheinen den Frauen und verkündigen die herrliche Auferstehungsbotschaft. Luk. 24,4-7.
Bei der Himmelfahrt künden die Engel an, daß Er wiederkommen wird, wie Er gen Himmel gefahren ist. Apg.1,11.
Der Herr wird vom Himmel her wiederkommen, um Seine Gemeinde „mit der Stimme des Erzengels“ zu holen. 1.Thess. 4,16.
Er wird Seine Engel senden, und sie werden Seine Auserwählten sammeln von den vier Winden. Matth. 24,31.
Er wird offenbart werden vom Himmel „samt den Engeln Seiner Kraft“, um die Gottlosen zu richten. 2. Thess. 1,7-8. Er wird kommen in Seiner Herrlichkeit „und alle heiligen Engel mit Ihm, dann wird Er sitzen auf dem Stuhle der Herrlichkeit.“ Matth. 25,31.
Das Jüngste Gericht wird in Gegenwart der Engel von Christus gehalten werden: Wer Christus verleugnet hat, der wird dann verleugnet werden vor den Engeln Gottes. Luk. 12,9; 9,26.
Endlich wird Jesus im Himmel vor Seinem Vater und vor Seinen Engeln die Namen der Überwinder verkündigen. Offb. 3,5.
Sehen wir nicht voller Ehrfurcht und Staunen, mit welcher Treue und Verehrung die Engel auf Schritt und Tritt den Weg ihres und unseres Meisters begleiten? . . .
Nachdem Jesus in den Himmel zurückgekehrt ist, sind Ihm in unmittelbarer Weise „die Engel und die Gewaltigen und die Kräfte“ untertan. 1. Petr. 3,22; Eph. 1,21. . . .


c) Im Dienste der Gläubigen.
Nach Hebräer 1,14 sind die Engel „dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit“. Die Engel, die in Jakobs Traum die Leiter auf- und niedersteigen, geben ein schönes Bild ihrer unermüdlichen Tätigkeit im Dienste der Gläubigen. 1. Mose 28,12. Beispiele hierfür sind reichlich in der Bibel vorhanden:
Sie sorgen für die körperlichen Bedürfnisse der Gläubigen wie im Falle der Hagar, 1. Mose 21, 15-19, und des Elias unter dem Wacholder. 1. Kön. 19, 5-7.
Sie bewahren in Gefahr wie bei Lot, den sie aus Sodom hinausführen, 1. Mose 19, 15-16, oder bei den Männern im Feuerofen, bei Daniel in der Löwengrube. Dan. 3, 24-2’5; 6, 23.
Sie befreien Petrus aus dem Gefängnis und aus der Gewalt des Hero des. Apg. 12, 7-10. Siehe auch Apg. 5, 19 1 Sie führen die Diener Gottes, zum Beispiel Philippus, damit er mit dem Kämmerer aus dem Mohrenland rede. Apg. 8, 26. Sie offenbaren die Pläne Gottes dem Propheten Daniel, Dan. 9, 21-27, dem Kornelius, Apg. 10, 3-6, und auch dem Johannes, Offb.1,1.
Sie verkündigen glückliche Ereignisse wie die Geburt des Johannes und des Heilands. Luk. 1,11-20; 2,10-12. Sie ermutigen Paulus inmitten der Ängste des Schiffbruches. Apg. 27, 23-24. Sie nehmen die Seele des armen Lazarus und tragen sie in Abrahams Schoß. Luk. 16, 22.
Sie sammeln die Auserwählten bei der Wiederkunft des Herrn. Matth. 24, 31.
Wir können zusammenfassend feststellen, daß der Herr durch Seine Diener unablässig über Seinen Geliebten wacht: „Er hat Seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Psalm 91,11. „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so Ihn fürchten, und hilft ihnen aus.“ Psalm 34, 8. Man kann sich fragen, ob nach Matth. 18,10 nicht jedes Kind – jeder der „Kleinen“ vor Gott – einen Engel hat, der „allzeit das Angesicht unseres Vaters im Himmel“ sieht. Aber die Bibel sagt nicht noch mehr, das uns erlauben könnte, den Gedanken an einen „Schutzengel“ weiterauszuspinnen.
Ein Bibeltext spricht allerdings davon, daß ein himmlischer Geist für einen Menschen in Todesnot als Fürsprecher eintreten kann: „So dann ein Engel für ihn als Mittler eintritt, einer aus tausend, zu verkündigen dem Menschen, wie er solle recht tun, so wird Er ihm gnädig sein und sagen: Erlöse ihn, daß er nicht hinunterfahre ins Verderben, denn Ich habe eine Versöhnung gefunden.“ Hiob 33, 23-24.


4. Die Zahl der Engel.
Um so viele Aufgaben zu erfüllen, müssen die Engel sehr zahlreich sein. Als Daniel den Herrn auf Seinem Thron sieht, dienten Ihm „tausendmal tausend, und zehntausendmal zehntausend standen vor Ihm“ Dan. 7,10. Johannes schreibt: „Und ich sah und hörte die Stimme vieler Engel um den Stuhl, und ihre Zahl war vieltausendmal tausend.“ Offb. 5,11. Wir haben schon von der Menge der himmlischen Heerscharen gesprochen, die in der Heiligen Nacht den Hirten sangen. Luk. 2,13. Elisa sagt zu seinem Diener, der über die Menge der Feinde tief erschrocken ist: „Fürchte dich nicht! denn derer ist mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind . . . Da öffnete der Herr dem Diener die Augen, daß er sah, und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her.“ 2. Kön.6, 16-17. . . .

5. Haben die Engel ein Geschlecht?
Sie pflanzen sich nicht fort und bilden keine Rasse. Die Erscheinungen der Engel in der Bibel sind niemals weiblich. Jesus selber sagt klar und unmißverständlich: „In der Auferstehung werden sie (die Menschen) weder freien noch sich freien lassen, sondern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Himmel.“ Matth. 22, 30. Sie „werden weder freien noch sich freien lassen, . . . denn sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung“. Luk. 20,35-36.
Was sollen wir dann aber von der Stelle 1. Mose 6, 1-4 denken, wonach unmittelbar vor der Sintflut die „Söhne Gottes“ die „Töchter der Menschen“ zu Weibern nahmen und Riesen zeugten? Man hat schon angenommen, daß es sich hierbei um die abgefallenen Engel handelte, die nach Judas 6 „ihr Fürstentum nicht bewahrten, sondern ihre Behausung verließen“. Wir sind nicht sicher, daß sich dieser Vers des Judas auf etwas anderes bezieht als auf den Sündenfall der Engel im Himmel. Andererseits hätten diese Engel auch Fleisch und Blut annehmen müssen, um auf Erden Kinder zeugen zu können. Es ist wohl möglich, daß Menschen von bösen Geistern besessen sind. Aber niemals ist dabei von einer wirklichen Fleischwerdung die Rede. Das Wunder, außerhalb des natürlichen Weges einen Körper zu schaffen, ist nur dem Schöpfer selber möglich, und es ist nur in Jesus Christus vollbracht worden.
Die „Söhne Gottes“, von denen 1. Mose 6 die Rede ist, scheinen uns vielmehr die frommen und treuen Nachkommen des Seth zu sein, die im fünften Kapitel erwähnt werden. Als sich sogar diese bessere Menschheitslinie von der Schönheit und Verderbtheit der „Töchter der Menschen“, der Nachkommen Kains, verführen ließ, wurde die ganze Menschheit befleckt, und das Gericht der Sintflut wurde unvermeidlich. Vers 5-7. Man könnte vielleicht einwenden, daß diese Auslegung nicht erklärt, warum aus dieser Vereinigung Riesen geboren wurden. Stellen wir zuerst einmal fest, daß Vers 4 nur sagt: „Zu jener Zeit waren die Riesen auf der Erde und auch später noch, solange die Gottessöhne mit den Menschentöchtern verkehrten und diese ihnen Kinder gebaren.“ Es war also zur Zeit solcher Ehen, daß Riesen auftauchten. Warum diese Riesen geboren wurden, „die Helden, die in der Vorzeit lebten, die hochberühmten Männer“, können wir nicht erklären.
Aber wir stellen nach verschiedenen Bibel stellen fest, daß sie wirklich gelebt haben. Auch nach der Sintflut gab es noch Riesen in Palästina. 4. Mose 13, 33; Mose 2, 10 usw. Man hat in diesem Lande Überreste von wahrhaft riesenhaften Bauten gefunden. Mehrere andere Völker, die Griechen zum Beispiel, haben gleichfalls die Erinnerung an besonders große und besonders gottlose Menschen bewahrt. So erzählen sie, daß die Titanen versuchten, den Himmel zu stürmen und dem höchsten Gott den Blitzstrahl zu rauben. Heute noch gibt es die Pygmäen, anomal kleine Menschen. Wir können diese Veränderung der üblichen menschlichen Maße auch nicht mit dem Eingreifen teuflischer Gewalten erklären.

6. Die Wohnung der Engel.
Eine sehr große Anzahl von Bibelstellen nennt als Wohnung der Engel den Himmel. Bei der Geburt Christi erscheint den Hirten die Menge der himmlischen Heerscharen. Dann fahren die Engel wieder gen Himmel. Luk. 2,13-15. Am Ostermorgen kam der Engel des Herrn vom Himmel herab und wälzte den Stein von der Tür des Grabes. Matth. 28, 2. Paulus gebraucht die Bezeichnung „Engel vom Himmel“. Gal. 1,8. Er sieht im Himmel die Fürstentümer und geistlichen Herrschaften, denen an der Gemeinde die mannigfache Weisheit Gottes kund wird, Eph. 3,10. Im Buch Hiob treten zweimal die „Kinder Gottes“ vor den Herrn. Hiob 1,6; 2,1. Der Prophet Micha sieht den Herrn „sitzen auf Seinem Stuhl und alles himmlische Heer neben Ihm stehen zu Seiner Rechten und Linken“. 1. Kön. 22, 9. Jesus selber sagt, daß im Himmel die Engel der Kleinen allezeit das Angesicht Seines Vaters im Himmel sehen.Matth.18,10. Er fügt hinzu, daß wir bald auch wie die Engel Gottes im Himmel sein werden. Matth. 22,30. Die Engel haben demnach eine solch außerordentlich hohe Stellung, daß Gott diejenigen sehr hart bestrafen wird, „die ihre Fürstentümer nicht bewahrten, sondern verließen ihre Behausung“. Judas 6.

7. Die Erscheinungen der Engel.
Sie sind in der Bibel sehr häufig. Die Engel sind Geister, aber um mit den Menschen in Verbindung zu treten, nehmen sie menschliche Gestalt an. Manchmal hält man sie sogar zuerst für Menschen. Wenn sie dann aber ihre Aufgabe erfüllen, enthüllen sie ihr wahres Wesen. So haben schon Gläubige „ohne ihr Wissen Engel beherbergt“, Hebr. 13,2, wie zum Beispiel auch Abraham, als er die „drei Männer” bewirtete“, oder Lot, der die beiden aufnahm. 1. Mose 18,2; 19,1-3.
Manchmal ist ihre Erscheinung trotz der menschlichen Gestalt himmlisch und herrlich. Wer sie wahrnimmt, erschrickt und erbebt. Dan. 10, 5-9. Als der Engel des Herrn Bileam in den Weg tritt, sieht ihn zuerst nur die Eselin mit dem bloßen Schwert in der Hand. Der Herr muß erst Bileam die Augen öffnen, daß er den Engel des Herrn sieht. 4. Mose 22, 23.
Elisa sieht auch zuerst nur allein das himmlische Heer, das zu seiner Hilfe gekommen ist. Er muß Gott bitten, daß sein erschreckter Diener es gleichfalls sehe. 2. Kön. 6,16-17. Wie oft umgeben uns himmlische Geister zu unserer Hilfe und wir ahnen es nicht.
Sehr viele glaubwürdige Diener Gottes haben erzählt, wie sie aus großen Gefahren durch ihr unerwartetes Eingreifen errettet worden sind. Eines Tages werden wir gewiß erfahren, was wir solch einem gütigen Helfer zu verdanken haben.
Aber wie kommt es eigentlich, daß Erscheinungen der Engel – wie überhaupt alles übernatürliche – in unserer Gemeinde so selten geworden sind? Es gibt dafür wohl verschiedene Gründe. Gott hat den Alten wie den Neuen Bund anfänglich durch zahlreiche Wunder beglaubigt, die sich späterhin nicht dauernd wiederholt haben. Andererseits war im Alten Testament der Herr selber den Menschen noch fern und sandte ihnen Seine Boten auf sichtbare Weise. Seit Christi Fleischwerdung und besonders seit Pfingsten wohnt der Heilige Geist in der Gemeinde und im Herzen eines jeden Gläubigen. Er führt, überzeugt, beschützt, erleuchtet. Kein Bibeltext erwähnt die Aufgabe der Engel während des Tausendjährigen Reiches, denn dann wird sich der Herr uns unmittelbar offenbaren.
Zum Schluß noch eine allerdings ziemlich nebensächliche Frage: Haben die Engel bei ihrem Erscheinen Flügel? Die Maler stellen sie immer mit Flügeln dar. Was sagt die Bibel dazu? Zweimal wenigstens redet sie vom Flug eines himmlischen Boten: „Da ich so redete in meinem Gebet, flog daher der Mann Gabriel.“ Dan. 9,21. „Ich sah einen Engel fliegen mitten durch den Himmel.“ Offb. 14, 6.
Sie spricht von den sechs Flügeln der Cherubim und der „Tiere“. Jes. 6,2 und Offb. 4,8. Sie erwähnt auch die vier Flügel der Tiere, die Hesekiel Cherubim nennt, Hes. 1, 6; 10, 19-20. Die beiden Cherubim, die an der Bundeslade in der Stiftshütte und später im Tempel Salomos waren, hatten zwei Flügel. 2. Mose 25, 18-20; 2. Chron. 3, 10-12.
Was sollen diese Flügel darstellen? Nichts Stoffliches, denn die Engel sind Geister und bedürfen keiner Flügel, um sich fortzubewegen. Aber sie sind ohne Zweifel die Sinnbilder der Schnelligkeit und Sicherheit, mit der die Engel eingreifen. In Jesaja 6, 2 dienen die Flügel außerdem noch dazu, die Füße und das Antlitz des Seraphims zu bedecken, da sie unwürdig sind, unbedeckt vor der erhabenen Heiligkeit Gottes zu erscheinen.

8. Der Engel des Herrn.
Eine der auffallendsten Erscheinungen im Alten Testament ist der Engel des Herrn. Es scheint, daß dieser Engel in Wirklichkeit der Herr selber ist, der sich den Menschen offenbart. Er spricht zu Hagar in der ersten Person Einzahl, als er ihr sagt: „Ich will deinen Samen also mehren, daß er vor großer Menge nicht soll gezählt werden.“ 1.Mo.16,7.10. Einer der drei Engel, die Abraham bewirtet hat, verspricht ihm einen Sohn mit folgenden Worten: „Ich will wieder zu dir kommen über ein Jahr, siehe, so soll Sara, dein Weib, einen Sohn haben. . . Sara lachte . . Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara? . . . Um diese Zeit will Ich wieder zu dir kommen.“ 1. Mose 18,10. Die beiden anderen Engel gehen fort. 19,1. Der dritte, der der Herr selber ist, bleibt bei Abraham und hört seine Fürbitte für Sodom an. 18,22.

Der Engel des Herrn hält den Arm Abrahams in dem Augenblick zurück, als er seinen Sohn Isaak schlachten will. Dann ruft er: „Du hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um Meinetwillen . . . Ich habe bei Mir selbst geschworen . . . daß Ich deinen Samen segnen und mehren will . . . darum, daß du Meiner Stimme gehorcht hast.“ 22, 11-18.

Der Engel, mit welchem Jakob gekämpft hat, sagt: „Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft.“ Und Jakob spricht: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen.“ 32, 29-31.

Als Jakob Joseph segnet, nennt er Gott und den Engel, der ihn erlöst hat von allem Übel, als einen und denselben.
Der Engel des Herrn erscheint Mose in einer feurigen Flamme aus dem Busch. 2. Mose 3. Er offenbart sich ihm als Gott selber. Vers 4-6.

Auch im Buch der Richter sind zwei auffallende Beispiele: Der Engel des Herrn erscheint Gideon. Aber Gideon antwortet mutlos. Dann fährt der Text fort: „Der Herr aber wandte sich zu ihm und sprach: Gehe hin in dieser deiner Kraft!“ . . . Gideon aber sprach: „ . . . Mache mir doch ein Zeichen, daß Du es seiest, der mit mir redet, weiche nicht, bis ich zu Dir komme“. Er sprach: ,,Ich will bleiben, bis daß du wiederkommst“ . . . Richter 6, 12-22.
Nachdem die Eltern Simsons den Engel des Herrn gesehen haben, sprechen sie: „Wir müssen des Todes sterben, daß wir Gott gesehen haben.“ Richter 13, 3-22.

Aus diesem allen geht hervor, daß man diese Erscheinungen wohl Gotteserscheinungen nennen darf.
Man fragt sich, ob in diesen Fällen der Herr die Gestalt eines Engels oder eines Menschen annahm, damit Ihn das menschliche Auge sehen konnte, oder ob es sich schon um zeitweilige Erscheinungen Dessen handelte, der dann eines Tages um unserer Seelen Seligkeit willen völlig ins Fleisch kam. Ohne Zweifel greift Christus im ganzen Alten Testament handelnd ein. Er nimmt an der Schöpfung teil. Hebr. 1,2. Paulus bezeichnete Ihn als den „geistlichen Felsen“, der mit den Israeliten zog und sie tränkte. 1. Kor.10,4. . . .
Eine herrliche Stelle, die von dem Engel des Herrn spricht, finden wir Sacharja 3, 1-5. Hier tritt der Engel des Herrn, Jesus, unser Fürsprecher, vor Gott für Josua ein, der vom Satan verklagt wird. (Vergleiche auch Sach. 3, 1-5 mit Offb. 12, 10 und 1. Joh. 2, 1-2.)

9. Die Stellung der Engel.
Nach dieser kurzen Studie über die Erscheinungen Gottes als Engel kehren wir zu den Engeln selbst zurück. Welches ist ihre Stellung in bezug auf Christus und auf die Gläubigen?

a) In bezug auf Christus.
Es ist klar, daß der Herr ihr Schöpfer ist und daß sie Ihn im Himmel als ihren Schöpfer anbeten. Kol.1,16. Im Fleisch ist Christus uns ähnlich geworden und darum eine kleine Zeit niedriger gewesen als die Engel. Hebr. 2, 6-7.9. Wir haben jedoch gesehen, mit welcher Ehrfurcht die Engel Ihn auf Seiner Erdenbahn begleitet haben. Nach Seinem Kreuzestod ist Jesus über alles erhöht worden und „ist so viel besser geworden denn die Engel. so viel höher der Name ist, den Er vor ihnen ererbt hat“. Hebr. 1,4. Als der Vater nach der Auferstehung und der Verherrlichung wieder den Erstgeborenen in die Welt einführt, spricht Er: „Und es sollen Ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Hebr. 1,6. Das werden sie ohne Unterlaß tun von Ewigkeit zu Ewigkeit.

b) In bezug auf die Gläubigen.
Aus dem, was wir angeführt haben, ergibt sich, daß uns die Engel gegenwärtig nach vielen Gesichtspunkten an Heiligkeit, Macht, Weisheit und Herrlichkeit überlegen sind. Hebr. 2, 6-7. Der Herr hat jedoch den Menschen einen einzigartigen Adel und eine besondere Stellung verliehen. Sie haben den Vorzug der Erlösung, wie Hebräer 2,16 von Christus geschrieben steht: „Denn Er nimmt sich ja nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams nimmt Er sich an.“ Im Alten Testament werden die Engel wiederholt „Söhne“ oder „Kinder Gottes“ genannt. (Hiob 1,6; 2,1; 38,7.) Im Neuen Testament versteht man unter ihnen vor allem die Diener, „ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit“. Hebr. 1,14. Ja, es geht noch weiter: Nach Paulus „werden wir über die Engel richten“. 1. Kor. 6,3. Wir können kaum fassen, daß uns Sündern eine solche Rolle zugedacht ist. Das ist die Folge davon, daß uns der Herr auf unbegreifliche Weise wiedergeboren hat, daß Er uns der göttlichen Natur teilhaftig werden ließ und uns in Sein Bild umgestaltete. 2. Petr. 1,4; Röm. 8, 29. Er macht uns zu Seiner Braut, die mit Ihm auf Seinem Stuhl sitzt und mit Ihm regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Eph. 5, 25-26.
Angesichts solcher Verheißungen ist es zu verstehen, daß Hebräer 2,5 hinzufügt: „Denn Er hat nicht den Engeln untergetan die zukünftige Welt.“ Wir können wohl sagen: Wenn wir uns auch augenblicklich unter den Engeln befinden, so werden wir doch bald weit über sie erhöht werden.
Paulus ist sich derart des Wertes seines Evangeliums bewußt, daß er schreibt: „Aber wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch würden das Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht!“ Gal. 1,8. 
Die Offenbarungen des Heiligen Geistes, die uns durch den treuen geisterfüllten Apostel übermittelt worden sind, sind also mehr wert als alles, was uns ein Engel lehren könnte. . . .

10. Die Verehrung der Engel.
Es ist nicht erstaunlich, daß der Mensch versucht ist, solche mächtigen und herrlichen himmlischen Wesen zu verehren. Der Apostel Johannes fällt – obwohl er so geisterfüllt ist – zweimal dem Engel, der ihn führt, zu Füßen, um ihn anzubeten. Offb. 19,10; 22,8-9. Aber jedesmal wehrt der Engel ab: „Siehe zu, tu es nicht! Ich bin dein Mitknecht und deiner Brüder, die das Zeugnis Jesu haben. Bete Gott an!“
Wenn die Engel unsere Mitknechte sind und einen Dienst um unsertwillen ausüben, wie sollten wir sie dann anbeten? Ausdrücklich warnt Paulus: „Niemand soll euch verurteilen, indem er sich in Verehrung der Engel gefällt . . . und sich nicht an das Haupt hält.“ Kol. 2,18-19. Diese Anbetung der Engel ist also durchaus verboten. Die einfache Tatsache, daß sie Geschöpfe sind, müßte genügen, um uns an die Zehn Gebote zu erinnern, wonach sich unsere Anbetung nur auf Gott allein richten soll.
Trotz dieser klaren Richtlinien hat die katholische Kirche die Verehrung der Engel in gleicher Weise wie die der Heiligen eingeführt. Sie betont vor allem die Lehre von dem Schutzengel. Der Gläubige hat nach dem Katechismus „seine Gegenwart zu achten, vertrauensvoll in allen Versuchungen und Gefahren zu ihm zu beten, ihn um Rat zu fragen, seinen Eingebungen zu folgen und seine höhere Klugheit und seine Barmherzigkeit dankbar zu genießen“.
Im „Confiteor“, der Bekenntnisformel, bekennt der Gläubige seine Sünden Gott, der Heiligen Jungfrau, dem Heiligen Erzengel Michael, Johannes dem Täufer, den Aposteln Peter und Paul und allen Heiligen. Dann bittet er all diese letzteren Persönlichkeiten, für ihn Gott anzuflehen. (Catechisme pour Ja Suisse Romande, Cours superieur, Seite 189.)
Man versucht, diese Verehrung der Engel mit der Haltung Daniels zu rechtfertigen: Als ihm ein besonders herrlicher Engel erscheint, sinkt er ohnmächtig auf sein Angesicht zur Erde. Dan. 10, 5-9. Wir sollten seinem Beispiel folgen und uns vor den Engeln beugen. Wir haben jedoch schon festgestellt, daß zwei Stellen in der Offenbarung diesen Gedanken klar widerlegen. Offb. 19,10 und 22,8. Denn wenn man schon die Engel verehrt, wer kann dann sagen, wo die Anbetung der Engel beginnt? Man führt auch Offenbarung 8, 3-4 an, wo ein Engel an den himmlischen Altar tritt: „Ihm ward viel Räuchwerk gegeben, daß er es gäbe zum Gebet aller Heiligen auf den goldenen Altar vor dem Stuhl. Und der Rauch des Räuchwerks vom Gebet der Heiligen ging auf von der Hand des Engels vor Gott.“ Diese Bibelstelle, die wir schon einmal erwähnt haben, steht einmalig in der Bibel. Sie bedeutet durch aus nicht, daß diese Heiligen (die Gläubigen, die noch auf Erden leben), ihre Gebete an den Engel oder an die Engel gerichtet haben. Dafür haben wir kein Beispiel. Sie haben zu Gott selbst gebetet, und das sollen wir auch tun, welche Rolle auch die Engel in der unsichtbaren Welt spielen mögen. Wir wollen noch hinzufügen, daß die katholische Kirche einen großen Teil ihrer Lehren über dieses Gebiet auf die Apokryphen gründet, vor allem auf das Buch Tobias, worin die Engel eine besondere Rolle spielen.
Zum Abschluß möchten wir noch folgendes sagen: Wir glauben, daß die Engel hauptsächlich darum unsichtbar bleiben, weil sie die Aufmerksamkeit der Gläubigen nicht auf sich ziehen wollen. Es könnte sein, warnt Paulus, sie könnten uns dadurch das Ziel verrücken, die Krone rauben und uns Gesichten und eitlen fleischlichen Gedanken hingeben. Unser Glaube und unsere Verehrung soll jedoch immer und allein Dem dargebracht werden, der unser Haupt ist, Christus. Kol. 2,18-19.

Kapitel II   SATAN

I. Wer ist Satan?
Die Heilige Schrift hat für den Feind Gottes und der Menschen wenigstens vierzig verschiedene Namen. Wir bringen hier einige der treffendsten, die zugleich viel über diese furchtbare Persönlichkeit lehren.wir schon recht ausführlich von Satan, dem Fürsten dieser Welt, gesprochen, und wir raten unseren Lesern, noch einmal darin die Seiten 118 bis 126 durchzulesen. Wir haben hier einige Hauptpunkte wiederholt, um das erste Bild noch zu vervollständigen).

1. Satan (nach einem hebräischen Wort, das „Feind ” bedeutet): derjenige, der haßt, der widersteht, der Gegner.

2. der Versucher, Matth. 4, 3.

3. der Teufel, Matth. 4, 5: der Verleumder.

4. der Feind, Matth.13, 25. 39.

5. der Bösewicht, Matth.13, 38; Eph.6, 16: der Böse.

6. der Drache, Offb. 12, 9.

7. die alte Schlange, Offb. 12, 9 (im Hebräischen nahasch, das heißt „der Glänzende”) die flüchtige und gewundene Schlange, Jes. 27, 1.

8. der Verkläger, Offb. 12, 10.
9. der Verführer, Offb. 12, 9.

12. der Vater der Lüge, Joh. 8, 44.

16. der Sohn der Morgenröte, Jes. 14, 12.

20. Beelzebub, Matth. 12, 24.

25. der Fürst dieser Welt, Joh. 14, 3 0.

28. der Gott dieser Welt, 2. Kor. 4, 4.

29. der Engel des Lichts, 2. Kor. 11, 14. 

33. der brüllende Löwe, 1 . Petr. 5, 8, usw.

Satan wird in der Bibel so oft genannt wie alle Engel zusammen. Wir finden ihn von der ersten bis zur letzten Seite der Geschichte der Menschheit und des Weltalls. Er besitzt in auffallender Weise die Eigenschaften einer Persönlichkeit. Die angeführten Stellen zeigen es uns, und die Handlungen, die ihm zugeschrieben werden, beweisen es noch viel klarer. Die Rationalisten behaupten, der Teufel wäre nur ein bildlicher Ausdruck, eine erdachte Verkörperung (Personifikation) der Idee des Bösen.
Aber wie könnte dieses Sinnbild des Bösen denn sprechen, handeln, Christus, die Engel und die Menschen versuchen, mit unerhörter List und Macht gegen Gott kämpfen und endlich von Ewigkeit zu Ewigkeit gequält werden?
Wir müssen feststellen, daß die Bibel nicht eine der grotesken Darstellungen des Teufels und der Hölle kennt, wie sie im Mittelalter gebräuchlich waren. Der große Verführer wendet abwechselnd zwei Methoden an, um die Seelen über sich zu täuschen: entweder macht er sich in ihren Augen so lächerlich, daß die Menschen ihn nicht fürchten, oder er überzeugt sie davon, daß es überhaupt keinen Teufel gibt. Dadurch werden sie dann unfähig, seinen Angriffen zu widerstehen.
Wer sich über den Teufel lustig macht, braucht nur noch einen Schritt weiter zu gehen, um auch unseren Herrn und Sein Wort zu verachten, denn beide warnen beständig vor ihm. Nach Judas 9 wagt sogar der Erzengel Michael nicht, über Satan „das Urteil der Lästerung zu fällen“. Wir wollen um unseres ewigen Heils willen klug sein und aufmerksam sehen, daß wir einen gefährlichen Feind haben, aber auch, daß Gott uns den Sieg über ihn gegeben hat.


2. Die Laufbahn des Satans.
Es ist eine einzigartige Tatsache, daß uns die Heilige Schrift die Laufbahn Satans von seiner Erschaffung bis in die Ewigkeit zeigt.
Was wissen wir von seinem Ursprung?
Er ist ein Geschöpf. Hes. 28, 15.
Er war ursprünglich vollkommen. Hes. 28, 12b.15.
Er bekleidete eine überaus hohe Stellung.
Er war ein (oder der) Cherub, der den Garten Eden behütete auf dem heiligen Berge Gottes. Hes. 28, 13-14.
Jesus nennt ihn den Fürsten dieser Welt, Joh. 14, 30, und die Heilige Schrift bestätigt, daß ihm alle Macht und alle Herrlichkeit der Reiche der ganzen Welt übergeben worden sind. Luk. 4, 6.
Durch seinen Hochmut ist er zu Fall gekommen. Er wollte in seiner Vermessenheit Gott gleich sein, ja Ihn verdrängen. Jes. 14,13-14.
Das erste Urteil hat ihn gestürzt.
Gott sprach zu ihm: „Du hast dich versündigt. Darum will Ich dich entheiligen von dem Berge Gottes und will dich ausgebreiteten Cherub aus den feurigen Steinen verstoßen.“ Hes. 28,16. Satan wird als der Aufwiegler, der Anführer der Empörer bezeichnet, als der Oberste der Fürsten, die in der Finsternis dieser Welt herrschen. Eph. 2,2; 6,12. Er ist also schon der herrlichen Stellung verlustig, die er im Licht und in der Gegenwart Gottes innehatte.
Ein zweites, noch viel schrecklicheres Gericht erleidet er bei Christi Kreuzestod.
Christus hat wahrlich „ausgezogen die Fürstentümer und die Gewaltigen und sie schaugetragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst“. Kol. 2,15. Jesus sagt: „Jetzt geht das Gericht über die Welt, nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.“ Joh. 12,31. Der Herr hat Fleisch und Blut angenommen, „auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel“. Hebr. 2,14. So zertritt Er den Kopf der Schlange in dem Augenblick, da sie Ihn in die Ferse sticht. 1. Mose 3,15. Satan ist also im Grunde schon ein besiegter Feind, und alle seine Opfer, die im Blute des Lammes gewaschen sind, sind seiner Macht entronnen.
Während unserer Prüfungszeit kann er uns noch versuchen. Er kann auch diejenigen in seiner Sklaverei festhalten, die ungläubig bleiben. Er hat sogar noch Zutritt zum Himmel bis vor das Angesicht Gottes und verklagt uns dort. Eph. 6,12; Hiob 1,6-12 ; Offb. 12,10. Aber diese unbegreifliche Langmut des Herrn wird bald ein Ende haben.
Ein drittes Gericht wirft ihn zur Zeit der großen Trübsal vom Himmel herab auf die Erde. „Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und seine Engel im Himmel, und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen . . . Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht Seines Christus, weil der Verkläger unsrer Brüder verworfen ist, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott . . . Wehe denen, die auf der Erde wohnen und auf dem Meer, denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.“ Offb. 12, 7-12.

Die furchtbarsten Schrecken der dreieinhalbjährigen Regierung des Antichrists sind also den letzten Zuckungen des ohnmächtigen Zorns unseres Feindes zuzuschreiben.
Durch ein viertes Gericht wird der Satan für tausend Jahre gefesselt und im Abgrund verschlossen. Offb. 20,1-3. Während der herrlichen Regierung des Herrn hier auf Erden verführt der Satan die Nationen nicht mehr. Nach diesen tausend Jahren wird er jedoch noch einmal losgelassen, um die Menschen zu versuchen, die noch nicht frei zwischen Gott und ihm wählen konnten. Tausend Jahre Gefängnis haben ihn nicht geändert. Ebensowenig haben tausend Jahre Glückseligkeit die menschliche Natur geändert, die jetzt wieder sich selbst überlassen wird. Das Ergebnis dieser letzten Versuchung ist noch ungeheurer und verwirrend. Aber das ist das Ende. Offb. 20, 7-9.
Ein fünftes und letztes Gericht bricht über den Teufel herein. Er wird in den feurigen Pfuhl geworfen und „wird dort gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Offb. 20, 10. Dieses Los ist ihm seit langer Zeit bestimmt. Das ewige Feuer ist ausdrücklich „für ihn und seine Engel bereitet worden“. Matth. 25, 41. 


3. Die Kampfweise unseres Widersachers.
Solange der Feind nicht endgültig außerstande ist, uns zu schaden, warnt uns die Heilige Schrift unaufhörlich vor ihm. Es ist daher unerläßlich, daß wir seine Kampfweise kennenlernen.

a) Der Versucher.
Seit Satan gefallen ist, kennt er keine größere Freude, als auch andere zu Fall zu bringen. Er war ohne Zweifel der oberste Engel (der „ausgebreitete Cherub“ Hes. 28.14; der „schirmende Cherub“ Hes. 28,16;. Er hat die anderen himmlischen Geister versucht. So ist er der Fürst der Dämonen geworden, die auch „seine Engel“ genannt werden. Matth. 25,41 ; Offb.12,7.
Der oberste Engel hat auch die ersten Menschen versucht und zu Fall gebracht. 1. Mose 3. Welch ein Triumph war es für ihn, der Schöpfung ihre Krone zu rauben, nachdem sie der Herr so vollkommen erschaffen hatte! Danach hat Satan erbittert versucht, den Sohn Gottes ins Verderben zu stoßen. Nachdem er Ihn dreimal in der Wüste versucht hatte, „wich er von Ihm eine Zeitlang“. Luk. 4,1-13. Wenn Jesus „allenthalben gleichwie wir“ versucht worden ist, wenn „Er gelitten hat und versucht ist“ (unendlich mehr als wir, Hebr. 4,15; 2,8), so können wir uns wohl denken, daß der Feind auch uns die Versuchung nicht ersparen wird.
Petrus schreibt den Gläubigen : „Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge.“ 1. Petr. 5, 8.
Der Versucher greift vor allem die Diener Gottes und die Gläubigen an, die ihm besonders gefährlich sind. Er wird das bis an ihr Lebensende tun, denn es wäre für ihn ein schöner Sieg, eine bis dahin treue und machtvolle Zeugenschaft zu vernichten.
Die Ungläubigen sind auf jeden Fall die Opfer Satans. Sie werden schon „Kinder des Teufels“ genannt. 1.Joh. 3 8-10. Er hat ihren Sinn verblendet, „daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Klarheit Christi“. 2.Kor.4,4. Er verführt die Nationen und führt die Welt in das Verderben. Offb. 20, 3. Kein Geschöpf ist vor seinen Angriffen sicher, aber wir können nicht sagen, daß wir nicht gewarnt sind.

b) Der Böse.
1. „Erlöse uns von dem Bösen!“ Matth. 6,13 . Obwohl Satans Macht ungeheuer groß ist, ist sie doch für den gebrochen, der sein Vertrauen in Christus setzt. Wir müssen darum vor allem seine List fürchten, die uns überraschen und von unserem Herrn trennen will. „Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt gegen die listigen Anläufe des Teufels!“ Eph. 6,11. Das zeigt sich vor allem in den bekanntesten Versuchungsgeschichten:
Eva wird versucht, als sie allein ist. Die Schlange weckt ihre leiblichen Gelüste, ihren Geschmacks- und Schönheitssinn. Sie beginnt mit einer anscheinend harmlosen Frage über Gott und Sein Wort. Dann, als sie sieht, daß das Weib an dieser gefährlichen Unterhaltung Interesse bekommt, fügt sie zum Zweifel die Verneinung, die Verleumdung und endlich die unverschleierte Aufforderung zum Hochmut, zur Auflehnung. 1. Mose 3, 1-5 .
Hiob wird vom Feind versucht, an der Liebe Gottes zu zweifeln. Der Satan hat geschworen, ihn so weit zu bringen, daß er Gott „ins Angesicht absagt“. Hiob 1,11. Er nimmt ihm seine Kinder, sein Hab und Gut, seine Diener, seine Gesundheit. Er zerstört sein Heim, nimmt ihm sein Wohlbefinden und seinen Frieden. Er bedient sich sogar Hiobs Weibes, um ihn dahin zu bringen, daß er Gott fluchen und sein Leben aufgeben soll. Hiob 1 und 2. Wie viele haben in ähnlichen Lagen nicht erkennen können, woher diese Schläge kamen, und haben nicht im Glauben widerstehen können!
Jesus Christus besteht Versuchungen, die zuerst ganz natürlich erscheinen: Er soll die leiblichen Bedürfnisse nach einer sehr ausgedehnten Fastenzeit befriedigen, Er soll Seine Gottheit durch ein auffallendes Wunder bezeugen, um sich von vornherein den Erfolg zu sichern, Er soll zu der gewünschten Herrschaft gelangen, ohne den Kreuzestod erleiden zu müssen. Luk. 4, 1-7.
Als Jesus eben von den Leiden spricht, die Seiner warten, wird Petrus von Satan getrieben auszurufen: „Das widerfahre Dir ja nicht!“ Matth. 16, 23. Wie könnte auch ein Gott der Liebe Seinen einzigen Sohn solchen Qualen ausliefern! Die Versuchung besteht im Grunde also darin, daß wir nicht Gottes Gedanken folgen, sondern den Gedanken der Menschen und letztens denen Satans.

2. Die menschliche Werkzeuge des Widersachers.
Eine der schrecklichsten Listen Satans ist, daß er sich zu unserer Versuchung der Personen bedient, die wir zuallerletzt als seine Werkzeuge verdächtigen würden. Es ist eine uralte Kriegslist, die Verräter und die fünfte Kolonne so gut wie nur möglich zu tarnen.
Eva, die Adam als Gehilfin zur Seite gestellt worden war, wird in der Hand des Versuchers zum Werkzeug seines Falles. 1. Mose 2,18; 3,6.
Die Frau Hiobs, die ihn in seiner Prüfung ermutigen sollte, versucht statt dessen, ihn von Gott abzubringen. Hiob 2, 9-10.
Die Propheten, denen ein falscher Geist in ihren Mund gegeben worden ist, überreden und verführen den König Ahab. 1. Kön. 22, 22.
Die Verwandten Jesu kamen, um Ihn zu halten und Seinem Amt ein Ende zu machen, denn sie sprachen: „Er ist von Sinnen.“ Mark. 3, 21.
Die Volksmenge, die durch das Brotwunder gespeist worden war, wollte Jesus „haschen, daß sie Ihn zum König machten“. Diese Menschen handelten ohne Zweifel in Übereinstimmung mit den Jüngern, denn „alsbald trieb Jesus Seine Jünger, daß sie vor Ihm hinüberfuhren, bis Er das Volk von sich ließe“. Joh. 6,15 und Matth. 14, 22. Viele christlichen Führer sind der Versuchung erlegen, die Jesus hier überwunden hat: dem Erfolg ohne Kreuz.
Petrus, der gerade so herrlich seinen Glauben bekannt hat, will Ihn überreden, gerade diesem blutigen Tod auszuweichen, der allein unser Heil bewirkt. Und er erhält die Antwort: „Hebe dich, Satan, von Mir!“ Matth. 16,15-23 .
Die Griechen, die so dringend gebeten haben, Jesus zu sehen, erhalten nur diese Antwort:
„Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt’s allein . . . Jetzt ist Meine Seele betrübt. Und was soll Ich sagen? Vater, hilf Mir aus dieser Stundel Doch darum bin Ich in diese Stunde gekommen . . . Jetzt geht das Gericht über die Welt. Nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden. Und Ich, wenn Ich erhöht werde von der Erde, so will Ich sie alle zu Mir ziehen. Das sagte Er aber, zu deuten, welches Todes Er sterben würde.“ Joh. 12, 20-33. Christus war für das Heil der Menge der Heiden wie der Juden gekommen. Als die Griechen Ihn vor Seinem Kreuzestod aufnehmen wollten, wiederholten sie für Ihn die Versuchung, ohne das Kreuz über die Nationen zu herrschen. Deshalb war Seine Seele so betrübt. Deshalb bezeugte Er noch einmal mit aller Kraft, daß Sein Tod unvermeidlich war und der Sieg über den Fürsten dieser Welt dicht bevorstand.

c) Der Lügner.
„Er ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben.“ Joh. 8,44. . . .
Der Teufel ist einst das „Glanzgestirn, der Sohn der Morgenröte“ gewesen. Jes. 14, 12.
Er ist gefallen, weil er Gottes Platz einnehmen wollte. Heute noch ist er davon besessen, Ihn nachzuahmen, für Gott gehalten zu werden. Zu diesem Zweck schmückt sich der gefallene Engel mit dem Gewande seiner verlorenen Unschuld. Als Vater der Lüge blendet er durch beständige Täuschung. Joh. 8,44.
Er hat unaufhörlich das Wort Gottes im Munde. Es ist sein erster Gesprächsstoff mit Eva. Er führt es arglistig bei Jesus in der Wüste an, als wolle er Ihm den Glauben an Gott predigen: Vertraue Ihm! Wirf Dich von den Zinnen des Tempels hinab, denn es ist so von Dir geweissagt worden! Matth. 4, 5-6.  . . .
Wie oft ist es auch Satan gelungen, daß wir unseren eigenen Willen für Gottes Willen gehalten haben! Es ist übrigens der Gipfel der Anmaßung, wenn wir überzeugt sind, daß unsere eigenen Wünsche der Ausdruck der höchsten Weisheit und Wahrheit sind. Hierbei können wir uns die Worte vor Augen stellen, die an den König von Tyrus, ein Abbild des Satans, gerichtet sind: „Darum, daß sich dein Herz erhebt und spricht: Ich bin Gott, ich sitze auf dem Thron Gottes, . . . so du doch ein Mensch und nicht Gott bist -, doch erhebt sich dein Herz, als wäre es eines Gottes Herz . . .“ Hes. 28, 2.
Der Feind wagt es sogar, in verblendeten Menschen den Eifer für Gott zu erregen, einen Eifer, der unfruchtbar und unklug ist. Er treibt sie sogar, recht viele gute Werke zu tun, aber diese Werke der nicht wiedergeborenen Seelen sind tot. (Hebr. 9,14.) Er gibt ihnen eine ungeheure Liebe zu den Enterbten ins Herz und läßt sie dabei nur an den Leib und nicht an das ewige Heil denken. Er sagt ihnen: „Hier ist die Wahrheit!“ und treibt sie in schädliche und fanatische Sekten.
Er fügt dem Evangelium eine Kleinigkeit hinzu, „um das Gesetz besser zu erfüllen“ und trennt dadurch die Seelen von Christus und läßt sie von der Gnade abfallen. Gal. 5,2-4.
Unter dem Vorwand, die Liebe Gottes noch höher zu setzen, will er davon überzeugen, daß es keine Verdammnis gibt: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon essen werdet, . . . so werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott.“ 1. Mose 3, 4-5.
Auf ähnliche Weise sucht er heute zu beweisen, daß es keine Hölle gibt und daß alle Gottlosen – er selber inbegriffen – gerettet werden, auf daß der Triumph Gottes wahrhaft vollkommen sei. Unsere dem Satan ausgelieferte Welt entwickelt sich sichtbar im Zeichen der Lüge. Die moderne Propaganda weiß immer besser die Massen mit den kunstvollsten und wirksamsten Mitteln zu täuschen . . .
Der Gipfel der Lüge und der Tarnung wird die Erscheinung des Antichrists mit dem falschen Propheten sein. Dieser Antichrist wird durch die Macht Satans große Wunder vollbringen und viele Menschen – Juden und Heiden – davon überzeugen, daß er der wahre Christus ist. Er wird göttliche Verehrung für sich fordern und die Menschen dahin bringen, daß sie den Teufel selber anbeten. 2. Thess. 2, 3-4; Offb. 13,4.8.
Wir finden hier die höchste Ehrsucht, die der Feind von Anfang an gehabt hat: er will nicht nur als Engel des Lichts aufgenommen werden, sondern als der Herr selbst, er will dem Höchsten gleich sein. Jes. 14,14. Ein einziges Mal und für eine kurze Zeit wird es dem Gott dieser Welt (2. Kor. 4,4) gelingen, die verblendeten Menschen davon zu überzeugen, daß er der wahre Gott wäre. . . .


d) Der Verkläger.
Als Johannes den Endsieg voraussieht, ruft er aus: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht Seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott.“ Offb. 12,10. . . .
Und wenn wir auf Ansuchen des Widersachers auf die Probe gestellt werden, so sagt uns der Herr: „Der Satanas hat euer begehrt, daß er euch möchte sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre.“ Luk. 22, 31-32. . . .

e) Der Mörder.
Jesus sagt zu den Juden: „Ihr sucht Mich zu töten . . . Ihr seid von dem Vater, dem Teufel . . . Der ist ein Mörder von Anfang.“ Joh. 8,37.44.
Gott, der Schöpfer und gute Hirte, verleiht das Leben. Satan hat nur ein Verlangen: zu würgen und umzubringen. Joh. 10,10. Diese blut dürstige Wut zeigt er von Anfang an.
Abel war unschuldig. Kain war vom Bösen und tötete ihn. Der Sündenfall Adams und Evas war demnach nicht so harmlos. Seine erste Folge war ein Brudermord. Von da an ist der Haß die Wurzel allen Mordens und aller Kriege. 1.Joh. 3,12.15. Satan wußte, daß das Weib den gebären sollte, der ihm den Kopf zertreten würde. In Abel versuchte er, wenn nicht den Messias selber, so doch das erste Glied der Kette zu vernichten, die zu unserem Erlöser führen konnte. . . .
Kaum ist Jesus geboren, als Herodes schon, um Ihn zu vernichten, alle kleinen Kinder in Bethlehem töten läßt. Matth.2,16. Als der Herr Seinen Dienst in Nazareth beginnen will, wollen Ihn Seine Landsleute von einem Felsen hinabstürzen. Luk. 4,29. Und Johannes berichtet uns, wie oft die Juden danach trachteten, Ihn zu töten, weil sie nicht hören wollten, daß Er Seine Gottheit verkündete. Joh.5,18. Die Auferweckung des Lazarus reizt sie zum äußersten und bringt sie so weit, daß sie nicht nur Christus, sondern auch Lazarus selber töten wollen. Joh. 11,53.
Endlich erreicht Satan sein Ziel, als sich die Römer mit den Feinden Jesu vereinen, um Ihn ans Kreuz zu schlagen. Joh.19,15. Der Herr hat wahrlich recht gehabt, als Er den Feind als den Mörder von Anfang bezeichnete.


4. Dem Satan übergeben.
Was bedeutet diese beunruhigende Bezeichnung, die Paulus zweimal gebraucht? „Ich habe beschlossen, ihn (den Blutschänder von Korinth) zu übergeben dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist selig werde am Tage des Herrn Jesu.“ 1. Kor.5,5.
„Sie haben am Glauben Schiffbruch erlitten, welche ich. habe dem Satan übergeben, daß sie gezüchtigt werden, nicht mehr zu lästern.“ 1.Tim. 1,19-20.
Im ersten Falle handelt es sich um einen verirrten Christen. Paulus hat genügend Vollmacht und Urteilsfähigkeit, um diesen Menschen dem Satan übergeben zu können, wie es einst Hiob geschehen ist. Der Feind wird seinen Leib antasten, ja ihm sogar das Leben nehmen dürfen, auf daß sein Geist für die Ewigkeit gerettet werde.
Es ist schrecklich, daß Gott es oft so weit kommen lassen muß, weil sich die Christen nicht selber richten wollen. 1.Kor. 11, 30.
Im zweiten Falle handelt es sich um Menschen, die am Glauben Schiffbruch. erlitten haben. Sie sind also keine Gläubigen, und Paulus übergibt sie dem Satan, „daß sie gezüchtigt werden, nicht mehr zu lästern“. Man denkt dabei unwillkürlich an den Zauberer Elymas, den Paulus Kind des Teufels nennt und erblinden läßt, auf daß er dem Evangelium nicht mehr widerstehen kann. Apg. 13, 8-11.
Satan kann also zum Werkzeug des Gerichts werden, das einen Gläubigen auf den rechten Weg zurückführt oder die Lästerungen eines Gottlosen zum Schweigen bringt. So kann sogar die Wut des Feindes dazu dienen, den Herrn zu verherrlichen. Aber schrecklich ist es, in die Hände eines solchen Henkers zu fallen. Wir wollen in jedem Falle mit diesen Opfern Mitleid haben und sie mit Güte wieder aufrichten in der Hoffnung, „daß ihnen Gott dermaleinst Buße gebe, die Wahrheit zu erkennen, und sie wieder nüchtern würden aus des Teufels Strick, von dem sie gefangen sind zu seinem Willen“. 2. Tim. 2, 2,-26.
Ständig streicht der Widersacher um uns herum, um uns zu versuchen. Er ist darauf bedacht, bei uns Einlaß zu finden. Dafür genügt ein sündiger Gedanke, an dem wir Gefallen finden, ein schlechtes Gefühl. das wir nicht verurteilen und aufgeben, eine Gewohnheit, die ein Bann in unserem Leben wird. Am liebsten treibt uns Satan in die vornehmste Sünde, die ihn selber zu Fall gebracht hat – in den Hochmut und das 109 Gefühl der Unabhängigkeit von Gott. Paulus schreibt darüber in bezug auf die Wahl eines Dieners Gottes: ,,Er sei nicht ein Neuling, auf daß er sich nicht aufblase und ins Urteil des Lästerers falle (das heißt: das Urteil, das den Feind selber und seinen Hochmut treffen wird). Er muß aber auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draußen sind, auf daß er nicht falle dem Lästerer in Schmach und Strick ” 1. Tim. 3, 6-7.
Wir sind genügend gewarnt. Wir müssen nur noch lernen, wie wir den Netzen eines so gefährlichen Widersachers entgehen können.

5. Aus der Gewalt des Satans erlöst.
Wir haben erkannt, daß seit dem Kreuz Satan ein besiegter Feind ist. Durch die Fleischwerdung Christi und Seinen Opfertod ist die Macht des Feindes zerbrochen worden. Er hat Fleisch und Blut angenommen, „auf daß Er durch den Tod die Macht nähme (oder wirkungslos machte) dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel…“ Hebr.2,14. „Danksaget dem Vater . . . , welcher uns errrettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes.“ Kol. 1,12. Der Weg der täglichen Erlösung ist der des Gehorsams und des Glaubens: „So seid nun Gott untertänig. Widerstehet dem Teufel, so flieht er von euch.“ Jak. 4,7.
„Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge. Dem widerstehet fest im Glauben, und wisset, daß eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.“ 1. Petr. 5, 8-9.
Da Luzifer selber dadurch gefallen ist, daß er seinen Willen vermessen gegen Gottes Willen setzte, ist das beste Mittel, um allen seinen Fallstricken zu entgehen, sich entschlossen auf den Boden der völligen Unterwerfung unter den Herrn zu stellen. Wir wollen Jesus nachfolgen und wiederholen, was Er in Seiner schlimmsten Versuchung gesagt hat: „Nicht wie Ich will, sondern wie Du willst!“ Matth. 26, 39.
Andererseits wollen wir allezeit der Macht und der Gegenwart des Heiligen Geistes gewiß sein, der jeden Kampf siegreich bestehen kann. „Kindlein, ihr seid von Gott und habt jene überwunden, denn der in euch ist, ist größer, denn der in der Welt ist, . . . der Teufel sündigt von Anfang. Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß Er die Werke des Teufels zerstöre.“ 1. Joh. 4,4; 3,8.


Wir wollen noch weniger vergessen, daß der Teufel ein Geschöpf ist. Er ist nicht allgegenwärtig, nicht allwissend, nicht allmächtig, so groß auch seine Macht ist. Gott bleibt sein Meister und setzt ihm die Grenzen, die er nicht überschreiten darf. Zweimal bestimmt der Herr genau, bis zu welchem Punkt er eingreifen darf. (Hiob 1,12; 2,6.) Satan kann nichts gegen Jesus selber tun, solange Seine Stunde noch nicht gekommen ist. Auch kann kein Haar von unserem Haupte fallen, ohne Gottes Willen. Wir dürfen mit Paulus die Gewißheit haben, daß „weder Engel noch Fürstentümer (teuflische Mächte) noch Gewalten,. . . noch keine andere Kreatur (also der Teufel auch nicht) mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn“. Röm. 8, 38-39.
Deshalb dürfen wir kühn den Feind mit den Waffen zurückschlagen, die uns gegeben sind: „Sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und das Wort ihres Zeugnisses“. Offb. 12, 11.
„Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt gegen die listigen Anläufe des Teufels . . . So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichts, und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Wachet dazu mit allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen.” Eph.6,11-19.
Wie unser Herr wollen wir die Einflüsterungen des Widersachers kurz abschneiden und ihm antworten : „Es steht geschrieben . .. wiederum steht auch geschrieben …“ Matth. 4,4; 7,10. Wir wollen uns allezeit Jesus Christus als Vorbild nehmen, der in besonderen Versuchungen Stunden und Tage lang betete und fastete und der den Jüngern, die erstaunt waren, daß sie einen Teufel nicht austreiben konnten, antwortete: „Um eures Unglaubens willen. Diese Art fährt nicht aus denn durch Beten und Fasten.“ Matth. 17,19-21.
Wir können heute schon durch den Glauben des Endsieges gewiß sein. Er ist schon nahe: „Der Gott des Friedens zertrete den Satan unter eure Füße in kurzem.“ Röm. 16, 20.

Kapitel III  DIE DÄMONEN


1. Ursprung und Sturz der Dämonen.
Was wir vom Ursprung Satans gesagt haben, bezieht sich gleicherweise auf die Dämonen. Sie waren zuerst himmlische Geister, die zum Dienst Gottes vollkommen erschaffen worden waren. Dann hat sie die Empörung Luzifers, des obersten Cherubims, angezogen und mitgezogen. Sie sind jene Engel geworden, von denen Judas sagt: „ . . . die Engel, die ihre Fürstentümer nicht bewahren, sondern verließen ihre Behausung.“ Judas 6. Petrus nennt sie auch „die Engel, die gesündigt haben“. 2. Petr.2,4.
Es ist schwierig zu sagen, wann dieser Sturz der Engel stattgefunden hat, auf jeden Fall jedoch zwischen dem Sturz Satans und der Erschaffung des Menschen. Mehrere Bibelausleger verlegen ihn zwischen Vers 1 und 2 des ersten Buches Mose. Gott hätte danach alles zuerst vollkommen erschaffen. Nach dem Sturz der Engel und dem ersten Gericht über Satan, den Fürst dieser Welt, wäre die Erde „wüst und leer“ geworden. In den sechs Tagen 1. Mose 1 hätte Gott unseren Planeten im Hinblick auf die Erscheinung des Menschen neu geordnet. Diese Auslegung würde auch erklären, warum unter den Tieren schon vor Adams und Evas Sündenfall Kampf, Leiden und Tod, die Zeichen einer schon bestehenden Unordnung, geherrscht hätten. Man hat auch fest gestellt, daß die einzige andere Bibelstelle, die gleichfalls Ausdrücke „wüst und leer“ enthält, auch von Verwüstungen spricht, die durch ein Gericht hervorgerufen wurden. (Jer. 4, 23-26.)
So könnte auch das Chaos, von dem 1. Mose 1, 2 spricht, nicht das Ergebnis einer natürlichen Fortentwicklung gewesen sein.
Wie dem auch sei, der Sturz der Dämonen hat gezeigt, daß der Herr sich nicht auf die himmlischen Geister verlassen konnte. So sind die Worte des Buches Hiob zu verstehen: „Siehe, unter Seinen Knechten ist keiner ohne Tadel, und Seine Boten (die himmlischen Geister) zeiht Er der Torheit . . . Siehe, unter Seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel, und die Himmel sind nicht rein vor Ihm. Wieviel weniger ein Mensch, der ein Greuel und schnöde ist, der Unrecht säuft wie Wasser.“ Hiob 4,18; 15,15-16.

2. Sind die Dämonen zahlreich?
Wie die treuen Engel nach Myriaden zählen, so scheinen auch die Dämonen sehr zahlreich zu sein. Ein einziger Mensch war von einer Legion böser Geister besessen. Mark. 5,9. Johannes zeigt uns, daß sich Satan und seine Engel für stark genug hielten, um offen gegen Michael und seine Engel zu kämpfen. Offb. 12,7. Nach derselben Stelle zog der Schwanz des großen Drachen – Bild des Teufels – den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Vers 4. Man fragt sich, ob das nicht bedeutet, daß ein Drittel der Engel sich mit Satan empört habe. Eines ist gewiß: Die Bibel betont häufig nicht allein das Vorhandensein, sondern auch die Macht und das unaufhörliche Wirken der Dämonen. Wir wären unklug, wenn wir diesen Warnungen nicht Rechnung trügen.

3. Das Reich der Finsternis.
Wie die Engel haben auch die Dämonen ihre Rangordnung und ihre Gliederungen. Die Bibel spricht von Satan und „seinen Engeln“, Offb. 12,9 ; Matth. 25, 41, ebenso wie von Michael, der die himmlischen Heerscharen befehligt. Offb. 12, 7. Es ist gleichfalls die Rede von „der Teufel Obersten“, Matth. 9,34. Paulus unterscheidet bei den abgefallenen Engeln „Fürsten und Gewaltige, die Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, die bösen Geister unter dem Himmel“ , Eph. 6,12. Diese „Majestäten“ sind jetzt zwar gestürzt, aber es wäre töricht, sie zu verachten.
Selbst die an Macht und Stärke überlegenen treuen Engel wagen nicht über sie das Urteil der Lästerung zu fällen. Judas 9; 2. Petr. 2,11. Das steht allein Gott zu. So wie es eine Rangordnung unter den gefallenen Engeln gibt, so gibt es auch verschiedene Grade ihrer Bosheit. Der Geist, der aus seinem Haus verjagt worden ist, nimmt sieben andere schlimmere Geister mit, um es wieder einzunehmen, und Jesus spricht von einer Art, die nur durch Fasten und Beten ausfährt. Matth. 17, 21; Luk. 11,24-26. Alle teuflischen Geister zusammen bilden das Reich des „Fürsten, der in der Luft herrscht“, und der „Obrigkeit der Finsternis“. Eph. 2,2 und Kol.1,13.
Dieses Reich Satans, das dem Reiche Gottes gegenübersteht, ist nicht mit sich selbst uneins, und daher ist seine Macht so gefährlich. Um es zu besiegen, mußte Jesus zuerst durch die Kraft des Heiligen Geistes und durch Seinen eigenen Tod am Kreuz sein Oberhaupt, den „Starken“, binden. Matth. 12,24-29 ; Hebr. 2,14.

4. Der Kampf der Dämonen gegen Gott.
Seit Satan das Banner der Empörung aufgerichtet hat, führen seine Engel mit ihm einen erbitterten Kampf gegen den Herrn. Daniel enthüllt uns, wie furchtbare Gewalten versuchen, das Werk auch der herrlichsten Engel zu hindern. Ein himmlischer Bote sagt dem Propheten: „Der (satanische) Fürst des Königreichs im Perserland hat mir einundzwanzig Tage widerstanden, und siehe, Michael, der vornehmsten Fürsten einer, kam mir zu Hilfe . . . Nun aber komme ich, daß ich dich unterrichte, wie es deinem Volke hernach gehen wird . . . Jetzt will ich wieder hin und mit dem Fürsten im Perserland streiten, aber wenn ich wegziehe, so wird der Fürst von Griechenland kommen. . . Und es ist keiner, der mir hilft wider jene, denn euer Fürst Michael.“ Dan. 10,13-14. 20-21.
Der wahre Kampf wird also vor allem auf geistlichem Gebiet ausgefochten, in der unsichtbaren Sphäre, die Paulus „Himmelswelt“ nennt. Eph. 6,12. Was sich in dieser höheren Sphäre ereignet, hat Rückwirkung hier auf Erden, und umgekehrt. Da sie den verklärten Herrn nicht mehr angreifen können, kämpfen die Dämonen mit aller Wut gegen Seinen Leib, die Gemeinde.
Wenn die Gläubigen hier einen Sieg davontragen, so wirkt das bis „unter den Himmel“ und treibt den Gegner zurück.
Das erste Kommen Christi auf die Erde war das Zeichen zu einem großen Gegenangriff aller Mächte der Hölle. Nach den Evangelien hat man den Eindruck, als wenn sich eine Unmenge böser Geister in Palästina eingefunden hätte, um dem Wirken des Herrn zu widerstehen und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Einsatz war wirklich ganz groß. Als die Versuchung Jesu in der Wüste ihm mißglückt war, wollte Satan vor Ihm eine Sperre aufrichten, zu der er alle seine Verbündeten herbeiholte. Dieses teuflische Aufbrausen setzt sich bis in die Apostelgeschichte und wohl auch noch weiterhin fort.
Die Propheten künden für die Endzeit ebenfalls einen verstärkten Angriff der höllischen Gewalten an: Satan und seine Engel werden ein letztes Mal im Himmel gegen Michael und seine Engel kämpfen und dann auf die Erde herabgeworfen werden. Johannes schreibt darüber: „Wehe denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer, denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.“ Offb. 12,7-9.12. Paulus fügt hinzu:
„Der Geist aber sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel durch die, so in Gleisnerei Lügen reden.“ 1. Tim. 4,1-2. Durch die Hand des Antichrists und des falschen Propheten werden „nach der Wirkung Satans“ allerlei Wunder geschehen „mit allerlei lügenhaften Kräften und Zeichen und Wundern und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit“. 2. Thess. 2, 9-10. (Siehe hierzu auch Offb. 13,2. 14-15.)

Bei ihrem Fall wird die große Babylon „eine Behausung der Teufel . . . und ein Behältnis aller unreinen und verhaßten Vögel“ sein. Offb. 18,2. Wenn sich die herrliche Erscheinung Jesu Christi naht, werden sich die Boten der Hölle bemühen, die Heere der ganzen Erde in Palästina zu vereinen, dort, wo der Herr dann den Sieg davontragen wird: „Es sind Geister der Teufel, die tun Zeichen und gehen aus zu den Königen auf dem ganzen Kreis der Welt, sie zu versammeln in den Streit auf jenen großen Tag des Allmächtigen . . . Und er hat sie versammelt an einen Ort, der da heißt auf Hebräisch Harmagedon.“ Offb. 16,14.16. Aber der Endsieg des Herrn über alle Seine vereinigten Feinde wird um so größer sein.
Man fragt sich, warum der Herr mit den Dämonen – und mit Satan – solange Geduld hat. Er zeigt sich ihnen gegenüber, wie Er auch an uns handelt. Als die Vernichtung der Amoriter im Lande Kanaan schon beschlossen war, gewährte ihnen Gott noch eine Frist von vierhundert Jahren (von Abraham bis Josua), denn „ihre Missetat war noch nicht voll“. 1. Mose 15,16. Das Unkraut darf mit dem Weizen bis zur Ernte wachsen. Matth. 13,30.

Der Antichrist wird erst „zu seiner Zeit“ erscheinen, wenn die vollkommene Verderbtheit des Menschengeschlechtes das Gericht auslösen wird, 2. Thess. 2,6. Satan und seine Engel haben gleichfalls einen Zeitraum vor sich, der vor Gott kurz, vor den Menschen lang erscheint und der ihnen erlaubt, all ihre Sündhaftigkeit zu entfalten und dadurch die unabweisliche Offenbarung der göttlichen Gerechtigkeit hervorzurufen. Selbstverständlich hätte Gott sofort Seine Gegner zermalmen können. Aber Seine Herrlichkeit hätte sich dann nicht so offenbaren können. Satan beschuldigt den Herrn, daß Er ein Tyrann sei und Ihm Seine Geschöpfe nur aus Furcht oder Gewinnsucht dienen. Hiob.1,9. Darauf antwortet der Herr mit der Fleischwerdung, dem Leiden Seines einzigen Sohnes und mit dem Wunder, daß aus Sündern und Empörern Glieder Seiner Gemeinde werden. Nachdem Er derart Seine Liebe und Heiligkeit bewiesen hat, kann der Herr auch in einer Ihm würdigen Weise Seine Macht offenbaren. und Satan und die Dämonen in den feurigen Pfuhl werfen.

5. Der Kampf der Dämonen gegen die Menschen.
Da sie nicht mehr gegen den Herrn der Herrlichkeit kämpfen können, machen die bösen Geister die Menschen zu ihrer Zielscheibe. Sie kämpfen gegen sie auf die verschiedensten Weisen und unterstützen mit allen Kräften das Werk des großen Versuchers.
a) Der dämonische Einfluß.
Es ist sicher, daß jeder Sünder unter dämonischem Einfluß steht; denn alle Menschen, die nicht wiedergeboren sind, sind „Söhne des Teufels“. Joh. 8,44; 1.Joh.3,8.10. Wenn sie sich von Gott nicht durch Buße und Glauben ihrem Henker entreißen lassen, gehören sie diesem immer mehr. Deshalb hofft Paulus, daß „ihnen Gott dermaleinst Buße gebe, die Wahrheit zu erkennen, und sie wieder nüchtern würden aus des Teufels Strick, von dem sie gefangen sind zu seinem Willen“. 2.Tim. 2, 25-26.
Unbestreitbar ist es der Geist des Bösen, der „sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens“. Eph. 2,2. Um diesen bösen Geist auszutreiben, genügt es nicht, wie die Pharisäer und Schriftgelehrten zu handeln, an die sich Jesus, Matth.12,38. 43-45, wendet. Sie wollten den unreinen Geist durch ihre eigenen Anstrengungen, durch ihre Religion und ihre religiösen Gebräuche aus ihrem Herzen jagen und bemühten sich, ihr Haus zu „kehren und zu schmücken“. Aber dieses Haus war leer geblieben, da sie Jesus beiseite gelassen hatten. Da sie nicht alleine der bösen Macht Herr werden konnten, hatten siebenmal mehr Dämonen ihre Seele eingenommen und hatten sie sündiger und unglücklicher gemacht denn zuvor. Diese Juden, die zunächst selbstgerechte und strenge Befolgter des Gesetzes gewesen waren, sind schnell und eigentlich gegen ihren Willen hochmütig, heuchlerisch, hartherzig und schließlich zu Mördern des Gottessohnes geworden
So geschieht es jedem Sünder, der trotz aller eigenen Anstrengungen sein leeres Haus nicht bewahren kann: Wird sein Herz nicht von dem Herrn bewohnt, der daraus Seinen Tempel machen will, dann wird es immer mehr das Spielzeug des Satans.
b) Die Besessenen.
An vielen Beispielen zeigt uns die Bibel, daß die bösen Geister fähig sind, im wahren Sinne des Wortes von einem Sünder, der sich ihnen ausliefert, Besitz zu ergreifen. Die Erfahrung mit Judas zeigt, wie eine solche „Besessenheit“ stufenweise vorwärtsschreitet.
Dieser Mensch war einer der Zwölf. Er war gewiß wie seine Mitjünger vom Herrn wegen seiner Frömmigkeit und seines ernsten Strebens erwählt worden. Die gemeinsame Kasse war ihm anvertraut worden, was wohl ein Zeichen des Vertrauens war. Joh. 13,29.
Da er zur Habsucht, ja sogar zum Diebstahl neigte, war er dazu gekommen, für sich zu nehmen, was hineingetan wurde. Darum bedauerte er so sehr den Verlust der dreihundert Dinare, die Maria für die Salbung des Herrn ausgegeben hatte. Joh. 12,5.
Dann flüsterte ihm der Satan den Plan ein, Jesus für eine elende Summe Geldes zu verraten. Joh. 13,2. Der unglückselige Jünger widersteht während des letzten Mahles allen Warnungen des Herrn, und wir lesen über ihn die furchtbaren Worte: „Nach dem Bissen (der ihn als Verräter entlarvte) fuhr der Satan in ihn.“ Joh. 13,27; Luk. 22,3-6. Von nun an ist er zu allem fähig: Er liefert nicht nur den Herrn dem Tode aus, er wagt es auch, Ihn in der Dunkelheit des Gartens durch einen Kuß zu verraten. Matth. 26, 48-49.
Danach, als seine verspätete Reue ihn in die Verzweiflung getrieben hat, nimmt er sich das Leben. Matth. 27, 3 -5. So werden seine Opfer von dem behandelt, der ein Lügner und Mörder von Anfang ist. Das tragischste Wort über Judas ist von Jesus ausgesprochen worden: „Habe Ich nicht euch Zwölf erwählt, und euer einer ist ein Teufel!“ Joh. 6, 70
Hier erkennen wir den furchtbaren Ausgang der Besessenheit: Der Mensch hat nicht nur einen Teufel, er ist ein Teufel. Wer an Jesus glaubt, wird der göttlichen Natur teilhaftig und dem Herrn gleich. 2. Petr. 1,4; 1. Joh.3,2. Für den Gottlosen gibt es die gegenteilige Umwandlung, die ihn seinem Vater, dem Teufel, gleichmacht. Die Böcke und die Schafe, die das Jüngste Gericht scheidet, sind nicht von der gleichen Art (sonst müßte es Schafe und Widder oder Ziegen und Böcke heißen). Und der Herr wird zu denen zur Linken sagen: „Gehet hin von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Matth. 25,41.
Der Gottlose geht in die Verdammnis, weil er es vorgezogen hat, sich dem Satan auszuliefern und völlig einer der Seinen zu werden.
Was die Besessenheit betrifft, so scheint es, als ob die Dämonen, die ohne Leib sind, ein wildes Verlangen haben, sich eines Wesens zu bemächtigen, durch welches sie ein neues Mittel finden, ihre Leidenschaften zu befriedigen. Diese Geister werden oft als „unsauber“ bezeichnet. Mark. 1, 23; 3,11; 5,2; 7,25 usw.
Eine eigenartige Stelle Judas 6-7 spricht von „Engeln, die ihr Fürstentum nicht bewahrten, sondern ihre Behausung verlassen haben“ und von „Sodom und Gomorra, die gleicherweise wie diese Unzucht getrieben haben und nach einem andern Fleisch gegangen sind“. Man fragt sich, ob dieser Text nicht mit der bereits angeführten Stelle 1.Mose 6, 1-4 in Beziehung zu bringen ist, die von der Vereinigung der „Söhne Gottes“ mit den „Töchtern der Menschen“ spricht. Selbst wenn wir glauben, daß hier die Nachkommen Seths die Töchter der Kainiter heirateten, können wir doch annehmen, daß hierbei die Dämonen im Spiel waren. Es ist sehr wohl möglich, daß die bösen Geister, die nicht Fleisch und Blut annehmen können, aber gierig danach sind, leibliche Wesen zu besitzen, die Menschen der Sintflut und später die Sodomiter in Unzucht und widernatürliche Laster getrieben haben.
Die Bezeichnung „unsauber“ kann aber auch eine mehr allgemeine Bedeutung haben und sich auf ihre von Grund aus sündhafte Natur beziehen.
Das rasende Verlangen, von einem Körper Besitz zu ergreifen, zeigt sich auch bei der Legion von Dämonen, die aus dem besessenen Gadarener ausgefahren waren. Sie flehten Jesus an, daß Er sie nicht hieße in die Tiefe fahren, sondern ihnen erlaubte, in die Säue zu fahren, wozu sie der Herr auch ermächtigte. Luk. 8, 31-32.
Die Heilige Schrift sagt, daß die Gottlosen keinen Frieden haben. Jes. 57,21. Noch weniger Frieden haben die Dämonen, das beweist ihre fieberhafte Tätigkeit. „Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausgefahren ist, durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht. Da spricht er denn: Ich will wieder umkehren in mein Haus.“ Matth. 12, 43-44.
Alles das erklärt, daß die Geisterbeschwörungen der Spiritisten sooft und so leicht wahre Besessenheiten zur Folge haben. Die Dämonen sind auf der Lauer nach Herzen und Körpern, die sich ihnen ausliefern. Nichts ist demnach gefährlicher als der Zustand der Passivität und der Erwartung derjenigen, die unklugerweise diese Verbindung suchen.
Man verzeihe uns, wenn wir hier eine Warnung hinzufügen, die wir nicht mißverstanden wissen möchten. Es ist nicht abzustreiten, daß in gewissen Versammlungen, die sichtbare Offenbarungen des Heiligen Geistes anstreben, Störungen auftreten, die nicht von Gott kommen. Sind diese Störungen nicht darauf zurückzuführen, daß man den Neulingen befahl: „Schafft eine Leere in euch! Liefert euch ganz aus! Laßt eure Zunge sich frei bewegen! Ihr müßt um jeden Preis in Zungen reden!“
Diese Art, seinen Willen, seine Urteilskraft auszuschalten, ist fleischlich und ist grundverschieden von der bewußten völligen Hingabe an Gottes Willen, die geistlich ist. In gewissen Fällen kann dadurch der Einbruch böser Geister erleichtert werden. Nicht nur Störungen werden dadurch herbeigeführt, sondern auch wahre Belästigungen durch böse Geister, ja sogar regelrechte Besessenheit. Und das geschieht dann bei Menschen, die harmlos treuherzig geglaubt haben, nichts anderes als den Heiligen Geist zu suchen. Dies soll uns natürlich nicht aufhalten, nach den Gaben des Heiligen Geistes zu streben, soweit sie nach dem Willen Gottes verliehen werden. Diese Gabe des Heiligen Geistes kann für jeden von uns eine andere Auswirkung haben, aber immer wirkt Er in Ordnung, Frieden und Schicklichkeit. 1. Kor. 12,7-11; 14,33. 40.
Das Ganze ist ein wenig unheimlich, und man fragt sich, ob es für die dämonische Besessenheit eine Grenze gibt. Die Heilige Schrift berichtet, daß Jesus aus Maria Magdalena sieben Teufel ausgetrieben hat. Luk. 8,2. Der besessene Gadarener beherbergt noch mehr, sogar eine Legion. Luk. 8,30. Wir haben schon jenen Menschen erwähnt, dessen Haus gekehrt, aber leer war und dann von acht bösen Geistern eingenommen wurde. Matth. 12, 43-45. Petrus sagt zu Ananias: „Warum hat der Satan dein Herz erfüllt, daß du dem Heiligen Geiste lögest?“ Apostelg. 5, 3.
Der Antichrist wird das hervorragendste Beispiel eines Menschen sein, der sich dem Satan vollkommen übergeben hat. Der Teufel wird ihm dafür „seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht geben“. Offb. 13,2. Dieser Mensch wird für einen solchen Preis die Herrschaft über alle Reiche der Welt annehmen, die Jesus bei Seiner Versuchung in der Wüste zurückgewiesen hat. Voll satanischer Kraft wird der Antichrist eine Menge lügenhafter Zeichen und Wunder tun und diejenigen verführen, die verloren werden, „dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben“. 2. Thess. 2, 9-10. Vertraute Hitlers haben oft von ihm erzählt, daß er den Eindruck eines Besessenen machte. Der große Gewaltherrscher, der in nicht ferner Zeit das Erdreich regieren wird, wird es noch mehr sein. Wir wollen uns noch einmal vor Augen halten, daß uns der Schlüssel zu der ernsten Frage der Besessenheit mit den beiden einfachen und klaren Worten gegeben ist:
„Gebet nicht Raum dem Lästerer!“ Eph.4, 27.
„Werdet voll Heiligen Geistes!“ Eph. 5, 18.

c) Gewisse Krankheiten.
Nicht alle Krankheiten sind unmittelbare Folgen der Sünde (zum Beispiel diejenige des Blindgeborenen, Joh. 9, 2-3) und können auf satanische Einwirkungen zurückgeführt werden. Nur einige Male stellt die Heilige Schrift eine Beziehung zwischen einer Krankheit oder einem körperlichen Gebrechen und dämonischen Einflüssen fest.
Die bösen Geschwüre Hiobs waren mit Erlaubnis Gottes vom Teufel hervorgerufen worden. Hiob 2, 6-7. Denen, die Ihm die Heilung am Sabbat zum Vorwurf machen, antwortet Jesus: „Sollte nicht gelöst werden am Sabbat diese, die doch Abrahams Tochter ist, von diesem Bande, welche Satanas gebunden hatte nun wohl achtzehn Jahre?“ Luk.13,16. Petrus predigt den Heiden, die bei Kornelius versammelt sind, von „Jesus von Nazareth …, der umhergezogen ist . . . und hat gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältigt waren“. Apg. 10, 38. Paulus nennt seinen „Pfahl im Fleisch“ des „Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe“. 2.Kor.12,7.
Nach den Evangelien zogen gewisse Besessenheiten besondere Krankheiten nach sich. So war ein Besessener stumm und konnte reden, nachdem der Teufel ausgetrieben war. Matth. 9, 32-33. Ein anderer war blind und stumm. Matth. 12,22. Die Tochter der Kanaaniterin wurde „vom Teufel übel geplagt“, aber es wird nicht gesagt, welcher Art diese Plagen waren. Matth. 15,22. Das Kind, das Jesus nach der Verklärung heilte, war mondsüchtig und hatte einen sprachlosen Geist. Während seiner plötzlich auftretenden Anfälle (ähnlich der Epilepsie) fiel es ins Feuer und Wasser, wälzte sich auf der Erde, schäumte, schrie, knirschte mit den Zähnen, wurde ganz steif und blieb zuletzt leblos liegen. (Siehe die drei Berichte Matth. 17,15; Mark. 9,17-26; Luk. 9,39.42.)
In anderen Fällen handelt es sich um ausgesprochenen Wahnsinn. Die beiden Besessenen Matth. 8, 28 „kamen aus den Totengräbern und waren so grimmig, daß niemand diese Straße wandeln konnte“. Derjenige, von dem Markus besonders ausführlich erzählt, konnte nicht gebunden werden, auch nicht mit Ketten. „Er war oft mit Fesseln und Ketten gebunden gewesen und hatte die Ketten abgerissen und die Fesseln zerrieben, und niemand konnte ihn zähmen. Und er war allezeit Tag und Nacht auf den Bergen und in den Gräbern, schrie und schlug sich mit Steinen.“ Mark.5,3-5.
Unsere Irrenanstalten kennen ganz ähnliche Fälle, wobei man Zwangsjacken und Gummizellen anwenden muß. Ich bin hierin Laie und kann über die Geisteskranken nicht als Wissenschaftler sprechen. Aber ich werde nie vergessen, was ich auf einer Ausstellung von Gemälden Geisteskranker gesehen habe. Die meisten hatten religiöse Stoffe gewählt, die sie in verwirrter und erschreckender Weise behandelt hatten. Ohne Zweifel gibt es eine Art der Geisteskrankheit, die man als religiösen Wahnsinn bezeichnet. – Welch ein Gegenstand für das Studium eines christlichen Psychiaters!

d) Die Verführung.
Eine eigenartige Bibelstelle finden wir 1. Kön. 22,19-23. Der König Ahab, der durch die Sünde verhärtet ist, will sich nicht vom Propheten Micha warnen lassen und hört lieber auf die schmeichlerischen Worte der falschen Propheten. Woher haben sie ihre Einstimmigkeit und ihre Sicherheit? Durch ein unmittelbares Einwirken böser Geister. Micha sagt: „Ich sah den Herrn sitzen auf Seinem Stuhl und alles himmlische Heer neben Ihm stehen zu Seiner Rechten und Linken. Und der Herr sprach: Wer will Ahab überreden, daß er hinaufziehe und falle zu Ramoth in Gilead? – Und einer sagte dies, der andere das. Da ging ein Geist heraus und trat vor den Herrn und sprach: Ich will ihn überreden. – Der Herr sprach: Womit? – Er sprach: Ich will ausgehen und will ein falscher Geist sein in aller seiner Propheten Munde. – Er sprach: Du sollst ihn überreden und sollst’s ausrichten, gehe aus und tue also!”
Die Tatsache, daß Gott eine solche Macht der Lüge handeln läßt, beunruhigt zuerst. Aber im Falle Ahabs erkennen wir, daß der Herr ihn gleichzeitig feierlich warnte. Der König wußte also genau, was er wählte.
Paulus kündet in der schon erwähnten Stelle ungefähr dasselbe vom Antichristen an: Seine Zukunft geschieht „nach der Wirkung Satans mit allerlei lügenhaften Kräften und Zeichen und Wundern und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit unter denen, die verloren werden dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, auf daß sie selig würden. Darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer senden, daß sie glauben der Lüge, auf daß gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glauben, sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit.“ 2. Thess. 2, 9-12.
Die Verführung der bösen Geister treibt die Menschen nicht allein zur Unreinheit und zu verbrecherischen Handlungen. Sie löst eine furchtbare Macht der Verwirrung und der Lüge aus. Nach Paulus werden die Menschen der letzten Zeiten „von dem Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel durch die, so in Gleisnerei Lügen reden . . .“. 1. Tim.4,1-3. Der Mensch kann ohne die göttliche Wahrheit weder gerettet noch befreit werden. Die Dämonen versuchen daher mit aller Gewalt, ihn um jeden Preis von der göttlichen Offenbarung abzuwenden und ihn falschen Lehren zuzuwenden, die das ewige Heil unmöglich machen. Der Herr wendet sich an die von Thyatira, die „nicht haben solche Lehre und die nicht erkannt haben die Tiefen des Satans“. . . .
Die bösen Geister vollbringen damit ein Meisterwerk der Verführung und gewinnen harmlose Seelen zum Raube, die ihnen der Aberglaube und der Irrtum wehrlos ausliefern.
Wie viele werden auch durch die Wahrsagerei und alle Mittel des Okkultismus getäuscht! Die Menschen fiebern danach, um jeden Preis den Schleier der Zukunft zu heben. . . .

e) Die unmittelbaren Angriffe.
Wenn es Satan und seinen Engeln nicht gelingt, die Christen mit listigen Anschlägen zu Fall zu bringen, gehen sie zur offenen Gewalt über. „Fürchte dich nicht vor der keinem, das du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf daß ihr versucht werdet . . . Sei getreu bis an den Tod!“ Offb.2,10.
Ein anderes Mal erregt der Feind Unruhen und hindert dadurch die Diener Gottes an der Verkündigung des Evangeliums: „Als die Juden von Thessalonich erfuhren, daß auch zu Beröa das Wort Gottes von Paulus verkündigt würde, kamen sie und bewegten auch allda das Volk. Aber da fertigten die Brüder Paulus alsobald ab, daß er ginge bis an das Meer.“ Apg. 17,13. Wahrscheinlich berichtet Paulus aus ähnlichen Gründen an die Thessalonicher: „Darum haben wir wollen zu euch kommen zweimal. und Satan hat uns verhindert.“ 1.Thess.2,18.

6. Das Gericht über die Dämonen.

1. Der Sturz der Engel und der Sündenfall der Menschen haben ähnliche Folgen gehabt: Adam und Eva wurden sofort aus dem Paradies gewiesen, aber sie lebten weiterhin auf der Erde, die für sie geschaffen, aber von da an verflucht war. Die gestürzten Engel wurden sofort aus der Gemeinschaft mit dem dreimal heiligen Gott ausgeschlossen, sie können jedoch aus ihrem Reich der Finsternis noch kommen und vor Gott im Himmel erscheinen. Hiob.1,6; 1.Kön. 22,19-22; Eph.6,12. . . . „Die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten . . . hat Er behalten zum Gerichte des großen Tages mit ewigen Banden in der Finsternis.” Judas 6.

2. Die Bezeichnung „Abgrund“ bedeutet zuweilen den Ort, wohin die Dämonen verbannt sind und den sie ohne Gottes Erlaubnis nicht verlassen dürfen. Ihr Schrecken ist es, dort für immer eingeschlossen zu sein. . . .
. . . „und hatten über sich den Engel des Abgrunds, des Name heißt auf Hebräisch Abaddon und auf Griechisch hat er den Namen Apollyon (Zerstörung) Offb. 9,1. Dieser Engel kann kein anderer als Satan selbst sein. Um den höllischen Ursprung des Tieres, des Antichrists, zu kennzeichnen, ist von ihm gesagt, daß er „wird wiederkommen aus dem Abgrund und fahren in die Verdammnis“. Offb. 17,8. . . .

3. Seit der Erscheinung Christi zu Beginn der Evangelien wissen die Dämonen, daß die Stunde ihres Gerichtes schlägt. Besser als die Menschen wissen sie, wer der Herr ist. Sie zittern und können nicht verhindern, daß sie Seinen Namen ausrufen. Der Mensch, der einen unsauberen Geist hatte, schrie: „Halt, was haben wir mit Dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich weiß, wer Du bist: der Heilige Gottes . . . Es fuhren auch die Teufel aus von ihnen, schrien und sprachen: Du bist Christus, der Sohn Gottes. Und Er bedrohte sie. . .” Luk. 4, 33. Die besessenen Gadarener schrien: „Ach Jesus, Du Sohn Gottes, was haben wir mit Dir zu tun? Bist du hergekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist?“ Matth. 8,29.
Dieses Wissen der Dämonen führt sie weder zur Buße noch zur Heiligung. Jakobus schreibt hierzu: „Du glaubst, daß ein einiger Gott ist? Du tust wohl daran, die Teufel glauben’s auch und – zittern. 2,19. Viele Menschen, die sich damit begnügen, an das Dasein Gottes zu glauben, haben also keinen anderen Glauben als die Dämonen. Dieser Glaube ändert in keiner Weise ihr Leben. Wenn sie sich nur einen Augenblick Zeit nähmen und nachdächten, würden sie schon bei dem Gedanken an das unausweichbare Gericht zittern. Wir müssen noch feststellen, daß der Kampf gegen die bösen Geister in Jesu Wirken einen großen Raum einnimmt.

Wenn wir nur in Matthäus nachlesen, so finden wir,
daß Er Besessene und Mondsüchtige heilt; 4,24;
Er treibt durch Sein Wort Geister aus; 8,16;
Er befreit die beiden unglücklichen Gadarener. 8, 28-32; den stummen Besessenen; 9, 32-33;
dann einen anderen blinden und stummen Besessenen; 12,22;
die Tochter des kanaanäischen Weibes; 15, 22-28; das mondsüchtige Kind; 17, 15-18.
Wie Petrus berichtet, so ist Er wirklich umhergezogen „und hat wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältigt waren, denn Gott war mit Ihm“. Apg.10,38. „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß Er die Werke des Teufels zerstöre.“ 1.Joh.3,8.

4. Das Kreuz zerstört das Reich der Finsternis. Christus „hat ausgezogen die Fürstentümer und Gewaltigen und hat sie schaugetragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst“. Kol. 2, 15. Von nun an können die bösen Geister nur noch dem Endgericht entgegengehen. Wenn sie zu Christus sagen: „Bist Du hergekommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit ist“, so zeigen die Dämonen, daß sie in der ständigen Angst vor jenem verhängnisvollen Augenblick leben.

5. Die herrliche Wiederkunft unseres Herrn wird die große Abrechnung herbeiführen. Satan und seine Engel werden dann zum letzten Mal im Himmel kämpfen und von Michael und seinen himmlischen Heerscharen ausgestoßen werden. Offb. 12, 7-9. Noch einmal werden sie während der Herrschaft des Antichrists und der Schlacht von Harmagedon freies Feld für ihre Wut haben. Offb. 12,12; 16,14. Doch zu Beginn des Tausendjährigen Reiches werden sie von der Erde verjagt werden. „Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen das hohe Heer, das in der Höhe ist, und die Könige der Erde, die auf Erden sind, daß sie versammelt werden als Gefangene in der Grube und verschlossen werden im Kerker und nach langer Zeit wieder heimgesucht werden . . . Der Herr Zebaoth wird König sein auf dem Berge Zion und zu Jerusalem.“ Jes. 24, 21-23. Nach diesem Bibeltext werden die Dämonen mit ihrem Oberhaupt eingeschlossen werden. Mit ihm werden sie auch am Ende der tausend Jahre „in den feurigen Pfuhl geworfen werden, . . . von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Offb. 20, 10.
Sie werden nach den eigenen Worten Christi „in das ewige Feuer gehen, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“ Matth. 25,41. . . Schon auf Erden bekennen die Dämonen mit Zittern die Herrschaft Christi. In der anderen Welt wird das Wort Philipper 2,10-11 vollkommen erfüllt werden: Bis in die Hölle hinab werden alle Knie sich beugen und alle Zungen bekennen, „daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters“.

7. Der Sieg der Gläubigen über die Dämonen. Unsere Befreiung aus dem Reich der Finsternis ist eine vollendete Tatsache. „Danksaget dem Vater . . . welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes.“ Kol. 1,12-13. Aber es handelt sich um mehr als nur darum, daß wir ohne unser eigenes Dazutun befreit wurden: die Gläubigen sind aufgerufen, durch den Glauben am Siege des Herrn teilzunehmen und entschlossen zum Angriff überzugehen. Jesus wiederholt es immer wieder den Seinen: „Er rief Seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unsaubern Geister.“ Matth. 10,1. „ . . . Und sie gingen aus . . . und trieben viele Teufel aus.“ Mark. 3,14; 6,7. 12-13. Der Herr erklärt nach Seiner Auferstehung: ,,Die Zeichen aber, die da folgen werden denen, die da glauben, sind die: in Meinem Namen werden sie Teufel aus treiben … ” Mark. 16, 17. . . doch darin freuet euch nicht, daß euch die Geister untertan sind. Freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Luk. 10,17-20.
Immerhin bleibt es ein gefährliches Unterfangen, die bösen Geister anzugreifen. Die Jünger erlebten bei dem mondsüchtigen Knaben eine Niederlage und fragten Jesus nach dem Grunde. Er antwortete ihnen: „Um eures Unglaubens willen . . . Diese Art fährt nicht aus denn durch Fasten und Beten.“ Matth. 17, 14-21. . . .
Um höllische Mächte angreifen zu können, muß man ganz und gar dem großen Sieger angehören und wie Paulus Sein gereinigtes Werkzeug sein. Sonst ist es sehr gefährlich, dies zu tun.
Die ersten Christen haben übrigens nicht gezögert, die Kraft zur Hilfe zu nehmen, mit der sie der Herr bekleidet hatte. Wir lesen in der Apostelgeschichte: „Es geschahen aber viele Zeichen und Wunder im Volk durch der Apostel Hände . . . Es kamen auch herzu viele von den umliegenden Städten gen Jerusalem und brachten die Kranken und die von unsaubern Geistern gepeinigt waren, und wurden alle gesund . . . ” Apg. 5,12.16. . . .
Wir möchten hier eine Frage stellen, die uns selber bewegt:

Ist die Gabe, Geister auszutreiben, eine der Ausnahmeerscheinungen, die den Beginn der neuen Gnadenzeit kennzeichnen (wie gewisse Wunder Jesu, verschiedene Erdbeben, einige Totenerweckungen, der Wind und die Feuerzungen am Pfingsttage usw.)?
Oder wird diese Gabe auch fernerhin in der Gemeinde Christi bleiben? Wir müssen feststellen, daß sie niemals in den Briefen erwähnt wird. Paulus spricht wohl von der Gabe, Geister zu unterscheiden, aber nicht von der, sie auszutreiben, 1. Kor. 12,10
Johannes sagt: „Prüfet die Geister!”, aber er spricht auch nicht davon, sie auszutreiben. 1. Joh. 4,1. Dieses Schweigen darüber im ganzen letzten Teil des Neuen Testamentes (der besonders für die Gemeinde geschrieben wurde) soll uns zweifellos auf diesem heiklen Gebiet vorsichtig machen. Wir glauben jedoch, daß alle die angeführten Stellen kräftig genug betonen, daß glaubensstarke und berufene Christen den Fall der Besessenheit entschlossen vor Gott bringen können. Im vorigen Jahrhundert haben uns die beiden Blumhardt nicht nur gezeigt, daß es Fälle von Besessenheit noch heute gibt, sondern auch, daß sie wirklich durch den Glauben, durch Fasten und Beten geheilt werden können.
Selbst angesichts aller Macht der Finsternis dürfen wir in unbeirrbarer Sicherheit und vollkommener Unterwerfung unter Gottes Willen ausharren. Er allein ist Herr über alle Geschöpfe, und Er wird Seine Versprechen treu halten. Wohl ist Paulus von dem Engel des Satans, der ihn mit Fäusten schlug, nicht erlöst worden, aber er ist in dieser Prüfung wunderbar unterstützt und gestärkt worden, so daß sich der Sieg des Herrn in ihm wunderbar bezeugt hat. 2. Kor. 12, 7-10.

VIERTER TEIL  Die Auferstehung

Kapitel I DIE AUFERSTEHUNG JESU CHRISTI.

1. Ihre Bedeutung.
Die Auferstehung Jesu Christi ist der Eckstein der ganzen christlichen Lehre über das Jenseits. Wenn Jesus auferstanden ist und sich nach Seinem Tode den Seinen lebend gezeigt hat, gibt es wirklich etwas jenseits des Grabes. Als Gegenbeweis führen die Ungläubigen vor allem an, daß „noch keiner aus dem Grabe zurückgekehrt ist“, und daß folglich auch eine jenseitige Welt gar nicht vorhanden sei. „Wenn man tot ist“, so sagen sie, „dann ist man tot. Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ 1. Kor. 15, 32.
Das Ostergeschehen macht diese Folgerungen zunichte und gibt uns den unwiderlegbaren Beweis eines ewigen Lebens.
Darum faßt Paulus das Wesentliche des christlichen Glaubens im Kreuz und in der Auferstehung des Heilands zusammen: „Ich habe euch zuvörderst gegeben, was ich auch empfangen habe: daß Christus gestorben sei für unsere Sünden nach der Schrift, und daß Er begraben sei und daß Er auferstanden sei am dritten Tage nach der Schrift. …Also predigen wir, und also habt ihr geglaubt.“ 1. Kor. 15, 3. „Wir glauben an Den, der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten, welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt.“ Röm. 4, 24-25 . (Siehe auch 2. Kor. 5,15.)

Petrus geht sogar so weit zu sagen, daß Gott uns durch die Auferstehung Jesu Christi rettet. 1. Petr. 3, 21. Wir wollen sehen, warum diese Auferstehung so gewiß und so wesentlich ist

2. Die Auferstehung Christi wird im Alten Testament angekündigt.
Nach Paulus ist Christus auferstanden „nach der Schrift“. 1. Kor. 15, 4. Am Ostertag sagt Jesus zu den Jüngern, als Er ihnen das Verständnis öffnet, damit sie die Schrift verstehen: „ . . . Es muß alles erfüllt werden, was von Mir geschrieben ist im Gesetze Mose, in den Propheten und in den Psalmen . . . Also ist’s geschrieben und also mußte Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tage. Luk. 24, 44.
Das Gesetz Mose, wie bei den Juden die fünf Bücher Mose hießen, enthält zwei treffende Bilder der Auferstehung Jesu:

a) Isaak auf dem Berge Morija.
Gott verspricht Abraham, daß der Bund und das verheißene Heil durch seinen Sohn Isaak gewährleistet sein wird, 1. Mose 17,19, andererseits verlangt er diesen Sohn als Opfer. 1. Mose 22, 2. Als er seine Knechte am Fuße des Berges zurückläßt, sagt ihnen Abraham: „Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen w i r wieder zu euch kommen.“ Vers 5. Er glaubte demnach, daß Gott ihm auf irgendeine Weise Isaak wieder zurückgeben würde. Hebr. 11,19 erklärt: „Er dachte, Gott kann auch wohl von den Toten erwecken, daher er ihn auch zum Vorbilde wiederbekam.“ Abraham hatte den Befehl erhalten, sich auf einen der Berge des Landes Morita zu begeben. Der Tempel Salomos wurde gleichfalls auf dem Berge Morija erbaut. 2. Chron. 3,1. Da es dort mehrere Hügel gibt, fragt man sich, ob der Hügel Golgatha nicht sogar die Stätte der Opferung Isaaks ist. Auf jeden Fall hat der ewige Vater Seinen Sohn als vollkommenes Opfer am Kreuz dargebracht. Durch die wahrhaftige Auferstehung hat Er Ihn zurückbekommen.

b) Der Stab Aarons.
Nach dem Hebräerbrief war Aaron ein Vorbild auf unseren Hohenpriester Jesus. Aber verschiedene Leviten und Vornehmste des Volkes wurden von Korah, Dathan und Abiram verführt, daß sie ihm sein Priesteramt neideten und sich gegen die göttliche Wahl empörten. 4. Mose 16,1-3. 8-11. Um diese Wahl zu bestätigen, ließ der Herr einen Stab für jeden Stamm und einen für Aaron in das Heiligtum bringen. „Des Morgens aber, da Mose in die Hütte des Zeugnisses ging, fand er den Stecken Aarons, des Hauses Levi (einen einfachen trockenen toten Stab), grünen, und die Blüten aufgegangen und Mandeln tragen.“ 4. Mose 17, 16-23.
Die Wahl Jesu als Messias und Hoherpriester ist von den Obersten der Juden heftig bestritten worden. Aber Gott hat sie herrlich bestätigt, indem Er Seinen toten Leib aus dem Grabe wieder auferweckte. Christus „ist kräftig erwiesen . . . ein Sohn Gottes . . . da Er auferstanden ist von den Toten“. Röm. 1,4. . . .
Jona ist sogar nach den eigenen Worten Jesu ein Vorbild auf diese Auferstehung: „Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen, und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn gleichwie Jona war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch, also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein.“ Matth. 12, 39-40.
Die Psalmen lehren dasselbe. David schreibt: „Darum freut sich mein Herz, auch mein Fleisch wird sicher liegen, denn Du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, daß Dein Heiliger verwese.“ Psalm 16,10.
Petrus erklärt diese Stelle am Pfingsttage. Er erinnert daran, daß David in seinem Grab geblieben ist und daher nicht von sich selbst gesprochen haben kann. „Da er nun ein Prophet war und wußte, daß ihm Gott verheißen hatte, daß die Frucht seiner Lenden sollte auf seinem Stuhl sitzen, hat er’s zuvor gesehen und geredet von der Auferstehung Christi, daß Seine Seele nicht dem Tode gelassen ist und Sein Fleisch die Verwesung nicht gesehen hat.“ Apg. 2, 29.
Paulus sieht in Psalm 2, Vers 7 eine Anspielung auf die Tatsache, daß der Vater den Sohn gezeugt hat, um Ihn zum Erstgeborenen unter den Toten zu machen. – „Wir verkünden euch die Verheißung, die zu unsern Vätern geschehen ist, daß sie Gott uns, ihren Kindern, erfüllt hat indem, daß Er Jesus auferweckte, wie denn im zweiten Psalm geschrieben steht: Du bist Mein Sohn, heute habe Ich Dich gezeuget.“ Apg. 13,32. . . .
Das Alte Testament bestätigt also, daß die Auferstehung Christi weit davon entfernt ist, eine Erfindung oder eine Sinnestäuschung verstörter Jünger zu sein, sondern daß sie von Anfang an im Heilsplan Gottes vorgesehen war. Für uns, die wir an die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift glauben, ist dies Zeugnis von größter Bedeutung. . . .

3. Jesus kündet selber Seine Auferstehung an.
Jesus war sich des Endes Seiner Erdenlaufbahn voll bewußt. Er kündete immer wieder sowohl Seinen Tod wie auch Seine Auferstehung an, die drei Tage darauf folgen würde. (Siehe z. B. Matth. 16, 21; 17, 22-23 ; 20, 19 usw.)
Am Ostermorgen erinnern die Engel die Frauen an die Worte des Herrn. Luk. 24, 6-8. . . .
Bei der Verklärung, die Seine Herrlichkeit bezeugte, unterhielten sich Mose und Elia mit Christus „von dem Ausgang, welchen Er sollte er• füllen zu Jerusalem”. Luk. 9, 31.
Schließlich hat Jesus auch immer wieder die Wirksamkeit erwähnt, die Er nach dem Kreuzestode ausüben würde: Seine Wiederkehr, Seine Gerichte, Seine Herrschaft, Seine Herrlichkeit. Matth. 16, 27; 24,30; 25, 31; usw. Er hat also beständig verkündet, daß Er auferstehen werde. Und wenn sich dies nicht erfüllt hätte, wie könnten wir dann noch an Ihn glauben?

4. Der Auferstehung ist ein gebührend und öffentlich festgestellter Tod voraufgegangen.
Viele Ungläubige vermuten, daß Jesus, als Er vom Kreuz abgenommen wurde, nur ohnmächtig war. Er wäre durch die Ruhe und Kühle im Grabe wieder belebt worden und aufgewacht. Somit hätte Er dann aus eigener Kraft verschwinden können. Der Tod des Herrn ist jedoch durch zahlreiche Zeugen und vielfache Beweise bestätigt worden:
1. Der Hauptmann und die Kriegsknechte „erschraken sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ Matth.27,54.
2. Die Frauen mit den beiden Marien waren da und sahen zu. Luk. 23, 49.
3. „Alle Seine Bekannten standen auch da.“ Luk. 23, 48 .
4. „Alles Volk, das dabei war und zusah, schlugen sich an ihre Brust und wandten wieder um.“ Luk. 23, 48.
5. Um ein Ende zu machen, brechen die Kriegsknechte den Schächern die Beine, aber als sie zu Jesus kommen und sehen, daß Er schon gestorben ist, öffnen sie Seine Seite mit einem Speer. Joh. 19, 32.
7. Pilatus will der Bitte Josephs entsprechen, er verwundert sich, daß Jesus schon tot ist und läßt es sich von dem Hauptmann bestätigen. Mark.15, 44-45;
8. Joseph von Arimathia, ein ehrbarer Ratsherr, nimmt Jesus vom Kreuz. Er wickelt Ihn in ein Leintuch und legt Ihn in das Grab. Mark. 1, 43-46.
9. Er wird von einer anderen angesehenen Persönlichkeit dabei unterstützt, nämlich von Nikodemus. Joh.19,39
12. Ein großer Stein wird vor die Tür des Grabes gewälzt. Matth. 27,60.
14. Die Hohenpriester und Pharisäer sind völlig überzeugt, daß Jesus tot ist, und fürchten, daß Seine Jünger kommen könnten und den Leichnam stehlen, um eine Auferstehung vorzutäuschen. Matth. 27, 62-64.
15. Pilatus erlaubt ihnen, eine Wache vor das Grab zu stellen. Matth. 27, 65-66.
17. Besondere Wunder ziehen die Aufmerksamkeit auf Jesu Tod, der nicht unbemerkt geschehen kann: Der Vorhang des Tempels zerreißt, die Erde bebt, „viele Leiber der Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern und kamen in die Heilige Stadt und erschienen vielen“. Matth. 27,51-53 .
Diese Tatsache ist also unwiderlegbar. Wir wollen sehen, ob das mit der Auferstehung auch der Fall ist.

5. Die Zeugen der Auferstehung Christi.
Petrus erklärt: „Den hat Gott auferweckt am dritten Tage und Ihn lassen offenbar werden den vorerwählten Zeugen vor Gott, die wir mit Ihm gegessen haben, nach dem Er auferstanden war von den Toten.“ Apg. 10, 40-41.
Wer sind diese Zeugen und welche Gewähr bieten sie?
1. Die Frauen sehen gemeinsam das leere Grab. Mark. 16, 1-8.

2. Maria Magdalena begegnet als erste dem lebendigen Jesus und spricht mit Ihm. Mark. 16, 9-10; Joh. 20, 11-18.
3. Petrus läuft zum Grabe, wo er als erster eintritt. Luk. 24, 12. Kurz danach erscheint ihm Jesus selber. Luk. 24,34.

4. Johannes, der mit Petrus zum Grabe gelaufen ist, tritt ebenfalls ein. Er ist sofort überzeugt, denn der Text fügt hinzu: „Er sah und glaubte es.“ Joh. 20, 8.

5. Die Hüter „erschraken und wurden, als wären sie tot“. Dann gehen sie zu den Hohenpriestern und verkündigen, was geschehen ist. Matth. 28,4.
6.
Die Hohenpriester und Ältesten geben den Kriegsknechten eine große Summe, damit sie ein falsches Gerücht verbreiten, und sie versprechen ihnen, den Landpfleger zu beruhigen. Matth. 28,12-15. Wenn die Ältesten nicht davon überzeugt gewesen wären, daß die Kriegsknechte die Wahrheit sagten, so hätten sie weder diese Summe geopfert, noch sich in diese Gefahr gewagt.

7. Die beiden Emmaus-Jünger. Luk. 24, 13-33.

8. Die Elf und die mit ihnen versammelt waren. Mark. 16, 14-19; Luk. 24, 36-51.

9. Die Jünger mit Thomas acht Tage später.

10. Die Elf in Galiläa. Matth. 28, 16-20.

11. Mehr denn fünfhundert Brüder auf einmal, von denen Paulus sagt, daß „deren noch viele leben“. 1. Kor. 15,6. Es ist also noch lange möglich gewesen, ihr Zeugnis zu prüfen. Wahrscheinlich hat diese Begegnung gleichfalls in Galiläa stattgefunden, wohin Jesus und Seine Engel die Jünger und Brüder ausdrücklich bestellt hatten. Matth. 28, 7. In Anbetracht der schrecklichen Verfolgung, die in Jerusalem wütete, und des Zustandes der Jünger vor dem Pfingstwunder könnte man sich eine solch große und daher auch öffentliche Versammlung in der Hauptstadt kaum vorstellen. Es wird auch häufig angenommen, daß diese Erscheinung, die die fünfhundert Brüder erlebten, mit der Begegnung mit den Elfen, die wir schon erwähnten, zusammenfiel. Matth. 28,16.
12. Die elf Jünger am See Tiberias. Joh. 21, 1-23.
13. Jakobus. 1. Kor.15, 7.

14. Die Apostel, von denen mehrfach berichtet wird, daß sie den auferstandenen Herrn vierzig Tage lang sahen und bis zu Seiner Himmelfahrt auf dem Ölberg bei Ihm waren. 1. Kor. 15,7 ; Apg. 1,3-12.
15. Saulus von Tarsus auf dem Wege nach Damaskus. 1. Kor.15,8.

Diese Menge von mehreren hundert Zeugen, die Gott zuvor erwählt hatte, ist äußerst eindrucksvoll, und es ist unmöglich zu widerlegen, was sie uns zu sagen hat. Ihr Zeugnis wiegt um so schwerer, als die Jünger selber die allergrößte Mühe hatten, es zu glauben, und schließlich – sozusagen gegen ihren Willen – sich der unbestreitbaren augenscheinlichen Wahrheit fügen mußten. Dies geht aus zahlreichen Stellen her vor:

Ehe Jesus zu ihnen trat zweifelten etliche. Mark. 16,8: Die Frauen „gingen schnell heraus und flohen von dem Grabe, denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen und sagten niemand etwas, denn sie fürchteten sich“. Mark. 16,10;
Maria Magdalena „ging hin und verkündigte es denen, die mit Ihm gewesen waren, die da Leid trugen und weinten, und diese, da sie hörten, daß Er lebte und wäre ihr erschienen, glaubten sie nicht“.
Mark. 16, 13: Die Emmaus-Jünger „gingen auch hin und verkündigten das den andern, denen glaubten sie auch nicht. Zuletzt, da die Elf zu Tische saßen, offenbarte Er sich und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härtigkeit, daß sie nicht geglaubt hatten denen, die Ihn gesehen hatten auferstanden“.
Luk. 24, 3-5: Die Frauen „fanden den Leib des Herrn Jesu nicht . . . und da sie darum bekümmert waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Engel . . . und sie erschraken und schlugen ihre Angesichter nieder zur Erde“.
Luk. 24, 11: Als endlich die Frauen – anscheinend von Maria Magdalena ermutigt – davon sprechen, deuchten den Jüngern „ihre Worte eben, als wären es Märlein, und sie glaubten ihnen nicht“.
Luk. 24, 22-25: Die beiden Emmaus-Jünger wissen um das Zeugnis der Frauen und derer, die das leere Grab gesehen haben, aber sie glauben es nicht. Jesus sagte ihnen darauf: „O ihr Toren und trägen Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben . . .“ Und erst bei ihrer Rückkehr nach Jerusalem hören sie zum ersten Mal die Jünger sprechen: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ Luk. 24, 34.
Luk. 24, 36-41: Als endlich Jesus mitten unter sie tritt, „erschraken sie und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist“. Wenn es auch eine Freude für sie bedeutete, so glaubten sie doch nicht und staunten nur. Er legte Wert darauf. vor ihnen zu essen.
Joh. 20, 6-9: Voller Unruhe treten Petrus und Johannes in das Grab. Johannes „sah und glaubte es. Denn sie wußten die Schrift noch nicht, daß Er von den Toten auferstehen müßte”.
Joh. 20, 11-18: Maria Magdalena ist in ihrer Verwirrung wohl kaum imstande, die Auferstehung zu begreifen. Sie weint und ist davon überzeugt, daß Feinde den Herrn weggetragen haben. Ihre Augen sind so voller Tränen, daß sie Jesus zuerst für den Gärtner hält, bis sie Ihn dann plötzlich am Klang Seiner Stimme erkennt.
Joh. 20,19: Die Jünger hatten am Osterabend die Türen verschlossen „aus Furcht vor den Juden ” . Sie glaubten also auch dann noch nicht an die Auferstehung des Herrn.
Joh. 20, 24-29: Thomas erklärt deutlich: „Es sei denn, daß ich in Seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meine Hand in Seine Seite, will ich’s nicht glauben.“ Und Jesus antwortet darauf : „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Eine solche Aufzählung von Bibeltexten macht die Einwendung zunichte, wonach die Jünger derart danach verlangt hätten, um jeden Preis den lebendigen Jesus wiederzusehen, daß sie Sinnestäuschungen für Wirklichkeit gehalten hätten; wie man in der Dunkelheit mit einem unbekannten Wanderer spricht, wie man in der Dämmerung von fern eine Weide ihre Zweige bewegen sieht, so hätten sie sich vorgestellt, den zu sprechen und zu sehen, den sie durchaus nicht verloren haben wollten. – Die Bibeltexte haben uns nun aber gerade das Gegenteil bewiesen. Die Jünger rechneten so wenig mit einer Auferstehung, sie glaubten den Versprechen Jesu so wenig, daß sie sich nur mit Mühe überzeugen ließen. Erst durch die Fülle der Beweise wurde endlich ihr Glaube an die Auferstehung Jesu unerschütterlich und einmütig.
Nicht allein der Unglaube der Jünger fällt auf, sondern auch ihr Schrecken, ihre grenzenlose Verwirrung bei diesem Ereignis, das sie ganz und gar aus der Fassung bringt. Darum müssen die Engel und Jesus selber sie immer wieder beruhigen:
Der Engel sagt zu den Frauen: „Fürchtet euch nicht! Entsetzet euch nicht!“ Matth. 28, 5; Mark. 16,6.
Jesus selber betont noch eindringlicher: „Fürchtet euch nicht! . . . Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? . . . Friede sei mit euch!“ Joh. 20,19.
Die seelische Haltung der Zeugen der Auferstehung ist also nicht die von Menschen, die wünschen, warten und schließlich mit aller Gewalt ein eingebildetes Ereignis zurechtzimmern.
Brauchen wir noch zu betonen, daß Zeugen, die Gott selber auserwählt, durch Ernst und Besonnenheit gekennzeichnet sind? Diese gesunden Fischer aus Galiäa waren gewiß nicht überspannt. Die Apostel und Saulus von Tarsus haben während ihres ganzen Lebens ihre gesunden Sinne und ihre Aufrichtigkeit bewiesen. Die Frauen haben Selbstverleugnung und Mut gezeigt. Selbst die Wachen und die Priester sprechen trotz allem gegen ihr eigenes Interesse. Wenn irgendein Ereignis vor einem gewöhnlichen Gericht von so vielen und beachtenswerten Zeugen bezeugt würde, erklärte man es ohne Zögern und Zweifel für wahr. Was die Auferstehung betrifft, so liegt hier noch mehr vor.

6. Andere Tatsachen, die die Auferstehung Christi begleiteten und bestätigten.
1. Der abgewälzte Stein. Dieser Stein war sehr groß, und die Frauen sprachen untereinander: „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“ Als sie aber ankamen, „wurden sie gewahr, daß der Stein abgewälzt war“. Mark. 16, 3-4.
2. Das Zeugnis der Engel. Alle Berichte sagen ausdrücklich: Engel haben zu den Jüngern gesprochen, in oder vor dem Grabe, um sie in ihrem Schrecken zu beruhigen und ihnen die Auferstehung des Herrn zu verkündigen. Es waren ein oder zwei Engel zugleich – worin aber kein Widerspruch liegt. Nach Matthäus hat einer von ihnen den Stein von des Grabes Tür gewälzt und die Wachen so erschreckt, daß sie wie tot wurden. Matth. 28, 2-4. Nach Lukas sprechen die Engel dies schöne Wort : „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ Luk. 24, 5.
3. Ein Erdbeben begleitet das Abwälzen des Steins, Matth. 28, 2, so daß das Ereignis nicht unbemerkt bleiben kann.
4. Das leere Grab ist wohl das stärkste Beweismittel. Wie könnte man dies leere Grab erklären, nachdem die Juden das größte Interesse daran hatten, die Auferstehung abzuleugnen und daher derartige Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatten? Warum haben sie niemals den Leichnam Jesu herbeibringen können, was alle Erörterungen sogleich abgeschlossen hätte? . . .
5. Die Leinen lagen samt den Binden am Boden, und „das Schweißtuch, das Jesus um das Haupt gebunden war, nicht zu den Leinen gelegt, sondern beiseite, zusammengewickelt an einem besonderen Ort“. Joh. 20, 5-7. Diese Einzelheiten sind von Augenzeugen festgehalten worden. . . .
6. Die Stimme Jesu und die Art, wie Er den Namen Maria Magdalenas ausspricht, läßt sie Ihn erkennen. Joh. 20,16. Die Stimme ist eines der sichersten Mittel, jemanden ohne Zögern zu erkennen.
7. Die ihnen vertraute Art, wie der Herr das Brot bricht und dankt, öffnet den Emmaus-Jüngern plötzlich die Augen. Luk. 24, 30-31.
8. Um ihnen zu beweisen, daß Er nicht nur eine Erscheinung ist, läßt Jesus die Jünger Seinen Leib und die Wundmale berühren. „Sehet Meine Hände und Meine Füße, Ich bin’s selber. Fühlet Mich an und sehet . . .” Luk. 24, 39.
9. Um Seine Jünger völlig zu überzeugen, läßt sich Jesus „ein Stück von gebratenem Fisch und Honigseim“ von Seinen Jüngern vorlegen, und „Er nahm’s und aß vor ihnen“. Luk. 24, 41-49. Diese Tatsache hat auf Petrus solchen Eindruck gemacht, daß er sie im Hause des Kornelius wiedererzählt. Apg. 10, 41.
10. Nach Seiner Auferstehung vollbringt der Heiland das berühmte Wunder des wunderbaren Fischzuges, das Johannes sofort ausrufen läßt: „Es ist der Herr !“ Joh. 21, 6-8,11. Es wird uns sogar genau angegeben, daß in dem Netz hundertunddreiundfünfzig große Fische waren.
11. Wie allezeit, ist Er auch jetzt voller Fürsorge für die Seinen. Er hat für Seine hungrigen Jünger „Kohlen gelegt und Fische darauf und Brot . . . Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl ! Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische“. Joh. 21, 5. 9-13.
12. Die Unterhaltung, in deren Verlauf Jesus Petrus wieder in Ehren einsetzt, läßt keinen Zweifel an der Wirklichkeit des Auferstandenen. Joh. 21, 15-24. Der Apostel erwähnt sie noch in seinem zweiten Brief. 1, 14.
13. Vierzig Tage lang erscheint der lebendige Herr Seinen Jüngern, gibt ihnen verschiedene Beweise, „erzeigt sich ihnen lebendig, . . . und redete mit ihnen vom Reiche Gottes“. Apg. 1, 3. . . . 


14. Das Wunder der Himmelfahrt vertieft noch – wenn es überhaupt möglich ist – ihre Überzeugung. Mit ihren eigenen Augen sehen die Jünger gemeinsam, wie der lebendige Herr in die Herrlichkeit emporgehoben wird, und sie hören dazu noch einmal das Zeugnis der Engel. Luk. 24, 50-52; Apg. 1, 9-11 .
Sie haben also den Beweis, daß der Herr endgültig auferstanden ist und daß Er, wie Er verkündigt hat, von nun an mit Seinem verklärten Leibe zur Rechten Gottes sitzen wird.
15. Endlich ist für den Gläubigen das Pfingstwunder nicht ohne die Auferstehung möglich, deren Krönung es ist. Petrus sagt: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, des sind wir alle Zeugen. Nun Er durch die Rechte Gottes erhöht ist und empfangen hat die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater, hat Er ausgegossen dies, das ihr sehet und höret . . . So wisse nun das ganze Haus Israel gewiß, daß Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem Herrn und Christus gemacht hat.“ Apg. 2, 32-36. . . .
Das große Beweismittel für diejenigen, die zweifeln, ist dies: Kommt her und seht! Die Engel haben es angewandt, als sie den Frauen das leere Grab zeigten. Jesus hat zu Seinen Jüngern gesagt: „Sehet . . . Ich bin’s selber, fühlet Mich an und sehet Mich!”. . . .
Und was tun wir? 


7. Wie wird uns der Leib des Auferstandenen geschildert?
Diese Frage ist in zweifacher Hinsicht sehr wichtig:
a) Hatte Jesus bei Seinen Erscheinungen wirklich einen Leib oder kehrte Er nur „geistlich“ zurück?
b) Wenn unser Leib dem verklärten Leib des Auferstandenen ähnlich werden soll, wie wird er dann gestaltet sein? Phil. 3, 20-21.
1. Als Jesus aus dem Grabe auferstanden war, hatte Er wirklich einen Leib, den Er berühren ließ: „Sie erschraken aber und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist. Und Er sprach zu ihnen: . . . Sehet Meine Hände und Meine Füße, Ich bin’s selber. Fühlet Mich an und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, daß Ich habe“
2. In diesem Leib war etwas Neues, anderes, und darum haben die Jünger zuerst gezögert, Ihn zu erkennen:
„Etliche aber zweifelten, und Jesus trat zu ihnen und redete mit ihnen.” Matth. 28, 17-18. ,,Danach, da zwei aus ihnen wandelten, offenbarte Er sich unter einer andern Gestalt, da sie aufs Feld gingen . . . Und es geschah, da sie so redeten . . . . nahte Jesus zu ihnen und wandelte mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, daß sie Ihn nicht kannten.“ Mark. 16, 12. Maria Magdalena „wandte sich zurück und sieht Jesus stehen und weiß nicht, daß es Jesus ist . . .“ Ihr erster Gedanke war sogar, daß es er Gärtner wäre.
Jesus stand am Ufer, „aber die Jünger wußten nicht, daß es Jesus war“. Joh. 21, 4.
Diese Texte sagen uns, daß etwas an Ihm verändert war. Aber es ist wohl zu verstehen, daß die Auferstehung Seinem Leib ein anderes Aussehen gegeben hatte.
3. Ohne Zweifel war da aber auch zu gleicher Zeit noch etwas von dem alten Leib, so daß die Jünger nach einem Augenblick des Zögerns davon überzeugt waren, daß Er es war. Jesus konnte ihnen sagen: „Ich bin’s. Fühlet Mich an und sehet.“ Die Emmaus Jünger, deren Herz schon in ihnen brannte, da Er mit ihnen redete, erkannten Ihn unzweifelhaft an der vertrauten Art, mit der Er das Brot brach und dankte. Luk. 24, 30-35.
Maria Magdalena war verzweifelt, sie erkannte Ihn nicht, sah Ihn wahrscheinlich auch kaum an. Als Er das einzige Wort: „Maria!“ sagte, wußte sie sofort, daß Er es war, wandte sich um und sagte zu Ihm: „Meister!“ Irgend etwas im Klang der Stimme war ihr ein unwiderlegbarer Beweis.
4. Jesus trug die Wundmale Seines Todes. Er hatte Seinen Jüngern „Seine Hände und Seine Füße“ gezeigt. . . .
5. Hatte der auferstandene Christus wirklich das Bedürfnis, zu essen, wie Er es vor Seinen Jüngern tat? Diese Stelle sagt uns nicht, daß Er Hunger hatte, sondern daß Er auf eine faßbare Art und Weise die wirkliche Gegenwart Seines Leibes beweisen wollte. Er hat gegessen, um Seine Jünger zu überzeugen. Angesichts anderer Bibelstellen, die vom geistlichen Auferstehungsleib handeln, können wir uns kaum vorstellen, daß der Herr und Seine Auserwählten in der anderen Welt materieller Nahrung bedürfen.
6. Wenn auch der Leib Jesu greifbare Wirklichkeit war, so hatte er doch neue, für uns unerklärbare Eigenschaften. Als die Emmaus Jünger Ihn erkannten, verschwand Er vor ihnen. Luk. 24, 31 . Zweimal trat Er unter Seine Jünger, obwohl die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden. Am Himmelfahrtstage steigt Er sogar vor den Augen der Apostel gen Himmel. Die Gesetze der Schwerkraft bestehen für Ihn nicht mehr. Gott, der Schöpfer der Welten, kann nach Seinem Wohlgefallen Seinem Sohn einen neuen Leib geben, der von dem unseren verschieden ist. Die neuesten Entdeckungen über die Kraft, welche die Materie zusammenhält, lassen unerhörte Möglichkeiten der Entwicklung gerade dieser Kraft voraussehen.
7. Wenn Jesus Seine Jünger auffordert, Ihn zu berühren, auf daß sie nicht mehr zweifeln, warum sagt Er dann ganz klar zu Maria: „Rühre Mich nicht an?“ Der Herr läßt sich, wie gesagt, von den Jüngern anrühren, um sie von der wirklichen Gegenwart Seines Leibes zu überzeugen. Andererseits aber gibt Er Maria zu verstehen, daß Er tatsächlich diese Welt verlassen hat. Er will nicht, daß sie Ihn in der Aufwallung eines irdischen Gefühls berührt. Bald wird Er wieder zum Vater zurückgekehrt sein, um sich zur Rechten der göttlichen Majestät zu setzen, bald wird Johannes, der Lieblingsjünger, als er des Menschen Sohn in Seiner Herrlichkeit wiedersieht, zu Seinen Füßen fallen wie ein Toter. Offb. 1, 17. In diesem Sinne schreibt Paulus: „ Ob wir auch Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir Ihn doch jetzt nicht mehr.“ 2. Kor. 5, 16.
8. Hat Jesus Christus nach der Himmelfahrt Seinen auferstandenen Leib behalten?
Gewiß! Die Heilige Schrift bezeugt es. Als Hesekiel im Himmel den Thron des Ewigen sieht, erblickt er „Einen, gleichwie ein Mensch gestaltet“, ringsum von strahlendem Licht umgeben, „dies war das Ansehen der Herrlichkeit des Herrn“. Hes. 1, 26-28 .
Daniel schreibt: „Siehe, es kam Einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn bis zu dem Alten (Gott-Vater) . . . Der gab Ihm Gewalt, Ehre und Reich.“ Dan. 7, 13-14.
Johannes sieht auf Patmos den auferstandenen Christus: „Ich sah Einen, Der war eines Menschen Sohn gleich.“ Dann gibt uns der Apostel eine ausführliche Beschreibung des verklärten Leibes des Herrn. Er spricht von Seinem Haupte, Seinen Augen, Seinen Füßen, Seiner Stimme, Seiner Hand, Seinem Mund, Seinem Angesicht. Er sagt, daß Ihn bald alle Augen sehen werden. Jesus selbst behält den Namen „Menschen Sohn“ bei, wenn Er von Seiner herrlichen Wiederkehr spricht: „Es wird geschehen, daß des Menschen Sohn komme in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen Engeln . . .
Wie glücklich macht uns die Gewißheit, daß wir im Himmel nicht allein von der erhabenen göttlichen Majestät empfangen werden, sondern von einem von uns, dem auferstandenen Menschensohn. Jesus ist wahrlich nicht nur hier auf Erden Mensch geworden, Er hat auch bis in die Ewigkeit die Züge unseres verklärten Menschentums bewahrt.
9. Von wem ist Jesus auferweckt worden? Jesus ist „die Auferstehung und das Leben“. Joh. 11, 25. . . .
Er sagt: ,,Ich lasse Mein Leben, auf daß Ich’s wiedernehme. . . . Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Solch Gebot habe Ich empfangen von Meinem Vater.“ Joh. 10, 17-18.
„Den hat Gott auferweckt und aufgelöst die Schmerzen des Todes . . . Diesen Jesus hat Gott auferweckt“, Apg. 2, 24. 32 usw. . . . „Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters.“ Röm. 6, 4.
Endlich sagt die Heilige Schrift: Durch den Geist geschieht die Auferstehung. „So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß Sein Geist in euch wohnt. Röm. 8,11. „Der Geist ist’s, der da lebendig macht.“ Joh. 6, 63.
Die Bibel schreibt demnach die Auferweckung allen drei Personen der Dreieinigkeit zugleich zu. Sie sind unzertrennlich und wirken nur gemeinsam.
Die Erschaffung der Welt wird dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist zugeschrieben. 1. Mose 1,1. 2; Hebr. 1, 2. 10.
Das Erlösungswerk wird ebenfalls allen drei göttlichen Personen zugeschrieben: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab.“ Joh. 3,16.
„Es ist in keinem anderen Heil (Jesus).“ Apg. 4, 12 .
„Der Geist ist’s, der lebendig macht . . . Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Joh. 6,63; 3,5.
Es ist daher nicht verwunderlich, daß es auch der Zusammenarbeit der ganzen Dreieinigkeit bedurfte, um das große Osterwunder zu vollbringen. 


10. Welche Folgen haben sich für Jesus Christus aus Seiner Auferstehung ergeben?
1. „Er ist kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes . . . , der da heiligt seit der Zeit, da Er auferstanden ist von den Toten.“ Röm. 1, 4.
Gewiß, die Gottessohnschaft Jesu Christi war bis dahin schon immer von der Heiligen Schrift, von Gott-Vater und vom Heiland bezeugt worden. Aber solche Erklärungen wären vollkommen nichtig, wenn Jesus im Grabe geblieben wäre. 
Wenn Er nicht auferstanden wäre, so hätte Er bewiesen, daß die Heilige Schrift sich getäuscht hätte und daß Er selber nur ein machtloser Mensch gewesen wäre. Aber als Er Ihn aus dem Grabe zog, hat Gott bewiesen, daß Sein Wort wahr ist und daß Er die Person und das Werk Seines Sohnes vollkommen bejahte. . . .
2. Alle Gewalt ist dem auferstandenen Herrn gegeben worden. Jesus sagt Seinen Jüngern: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden . . . Und siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ Matth. 28, 18.
Von nun an sitzt Jesus zur Rechten Gottes. . . .
3. „Christus, von den Toten erweckt, stirbt hinfort nicht, der Tod wird hinfort nicht über Ihn herrschen.“ Röm. 6, 9. . . .
Ohne die Auferstehung gäbe es für uns heute weder Gegenwärtigsein noch Jesu Christi Wirksamkeit.

4. Der Herr ist dank Seiner Auferstehung tätiger und gegenwärtiger denn je. Die Apostelgeschichte ist im Grunde nicht richtig benannt. Der Titel dieses Buches müßte heißen: „Die Geschichte des lebendigen Christus, der kraft des Heiligen Geistes durch Seine Jünger wirkt.“
Der Herr wirkt in der Tat mit Seinen Jüngern.
Er gibt Seinen Zeugen Seine Befehle und sendet sie aus.
Er nimmt den Geist Stephanus’, des ersten Blutzeugen, auf.
Er bekehrt und ruft Saulus von Tarsus.
Er ermutigt Seinen Apostel zu Korinth.
Dann sendet Er ihn bis nach Rom.
Diese „Geschichte des Herrn“ wird erst bei Seiner Wiederkunft enden, denn Er lebt in dem Herzen eines jeden Seiner Jünger: „Christus lebt in mir.“ Gal. 2,20. „Christus in euch, der da ist die Hoffnung der Herrlichkeit.“ Kol. 1,27.
Alle diese Zeugnisse, alle diese Bibeltexte wären sinnlos, wenn Christus nicht auferstanden wäre.


11. Welche Folgen ergeben sich für die Gläubigen aus der Auferstehung Christi?
Um uns im nächsten Kapitel nicht zu wiederholen, erwähnen wir hier nur drei Punkte:
a) Die Auferstehung Christi schafft unser Heil und unsere eigene Auferstehung.
Jesus „ist um unserer Sünde willen dahingegeben und um unsrer Gerechtigkeit willen auferweckt“. Röm. 4, 25. Die Auferstehung hat bewiesen, daß Gott die Opfertat am Kreuz angenommen hat. Sonst hätten wir keinen Heiland, der uns rechtfertigt.
„Denn so wir Gott versöhnt sind durch den Tod Seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, viel mehr werden wir selig werden durch Sein Leben, so wir nun versöhnt sind.“ Röm. 5,10. Das Kreuz nimmt unsere Sünden hinweg und versöhnt uns mit Gott. Die Auferstehung vollendet in uns das gute Werk und läßt uns vor Gott leben. . . .
„Der, so den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken durch Jesum und wird uns darstellen samt euch.“ 2. Kor. 4,14.
Man versteht nunmehr die kräftigen Zeugnisse der Apostel. Petrus erklärt, daß wir durch die Auferstehung Jesu Christi die Seligkeit er langt haben. 1. Petr. 3, 21. Und Paulus wiederholt eindringlich, daß, wenn Christus nicht auferstanden wäre, unser Glaube vergeblich wäre und daß wir die elendesten unter allen Menschen wären. 1. Kor. 15,14…
b) Christus, der letzte Adam, schafft eine neue Menschheit.
Paulus vergleicht in Römer 5, 12-21 Adam mit Jesus Christus. Der erste Mensch hat durch eine Übertretung alle Menschen in die Verdammnis gezogen, Christus durch eine Gerechtigkeit – Seinen Kreuzestod – allen Menschen die Rechtfertigung gebracht.
1. Korinther 15 geht der Apostel noch weiter. Er unterstreicht noch mehr die Wirkung der Auferstehung Jesu Christi auf die ganze Menschheit: „Sintemal durch einen Menschen der Tod und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten kommt, denn gleichwie in Adam alle sterben, also werden in Christo alle lebendig gemacht werden.“ 1. Kor. 15, 21-22.
Adam, der erste Mensch, wurde eine lebendige Seele.
Christus, der letzte Adam, wurde ein Geist, der da lebendig macht.
Adam ist irdisch, .,natürlich”, und seine Söhne sind nach seinem Bilde irdisch.
Christus, der zweite Mensch, ist vom Himmel. Diejenigen, die Er zeugt, werden nach Seinem Bilde auch himmlisch sein. 1. Kor.15, 45-49.
c) Christus ist der Erstling unter denen, die da schlafen. 1.Kor. 15,20 und Apg. 26,23.
Es hat vor und nach Jesus Christus mehrere Auferstandene gegeben, aber alle ohne Ausnahme mußten ins Grab zurückkehren. Christus allein, „von den Toten erweckt, stirbt hinfort nicht“, Röm. 6, 9.

Er allein ist als Siegesheld in das Jenseits eingegangen. Alle entschlafenen Gläubigen, selbst die allerheiligsten, sind im Augenblick noch – was ihren Leib betrifft – unter der Herrschaft des Todes.
Gewiß, ihre Seele ist gerettet und beim Herrn, aber ihr Leib ist im Grabe, und sie warten auf ihres „Leibes Erlösung“. Röm. 8, 23. Am Ende der Zeiten wird sich das ändern. „Sie werden in Christo alle lebendig gemacht werden. Ein jeglicher aber in seiner Ordnung: der Erstling Christus, danach die Christo angehören, wenn Er kommen wird.“ 1. Kor. 15, 22-23.
Eines wollen wir zum Schluß noch festhalten: Wenn Christus der Erstling ist unter denen, die da schlafen, so ist das eine feierliche Gewähr für die Auferstehung dieser Entschlafenen. Wenn die Erstlingsfrüchte eingebracht sind, wird die Ernte nicht säumen.

12. Welche Wirkung hatte die Auferstehung Christi auf die ersten Jünger?
Wir haben die Traurigkeit, das Entsetzen, den Unglauben gesehen, womit die Jünger zuerst die Auferstehung aufnahmen. Aber als sie von der unwiderleglichen Tatsache überzeugt werden, vollzieht sich in ihnen eine außerordentliche Veränderung: Die Frauen werden von unsagbarer Freude erfüllt. Als sie den Auferstandenen erblicken, fallen sie vor Ihm nieder, desgleichen die Jünger. Die Emmaus-Jünger fühlen ihr Herz in sich brennen, sie kehren zu derselben Stunde wieder nach Jerusalem zurück, um von Ihm zu zeugen. Luk. 24. Thomas ruft: ,,Mein Herr und mein Gott!“. Nachdem sie den scheidenden Christus angebetet haben, kehren die Brüder wieder nach Jerusalem zurück mit großer Freude, und sind allewege im Tempel, preisen und loben Gott. Dann verkündigen sie allenthalben die gute Botschaft. Von nun an ist Jesus für Seine treue Gemeinde nicht mehr der Zimmermann, der bescheidene Prophet von Nazareth. Er ist der, dessen vollkommene Gottheit für uns den Tod besiegt hat.
Man kann sagen, daß die Jünger in einem besonderen Sinne die Zeugen der Auferstehung werden. Zuerst und vor allem sind diejenigen, die am Ostertag das leere Grab und den lebendigen Herrn gesehen haben, damit beauftragt, die Botschaft überall zu verkündigen:
Matth. 28, 7-8: Gehet eilend hin und sagt es Seinen Jüngern, daß Er auferstanden sei von den Toten . . . und sie gingen eilend . . . daß sie es Seinen Jüngern verkündigten.

Mark. 16, 7: Gehet hin und sagt es Seinen Jüngern und Petrus!

Luk. 24, 9: Sie verkündigten das alles den Elfen.

Luk. 24, 3 5: Sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war, und wie Er von ihnen erkannt wäre.
Als die Gemeinde entsteht und sich entfaltet, sind die Jünger die „Zeugen der Auferstehung“.
Apg. 2, 32: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, des sind wir alle Zeugen.“

Apg. 4, 33: Mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus.
Darum ist es leicht zu erkennen, wie diese Osterbotschaft – neben dem Kreuz – den Mittelpunkt in den Predigten der Apostelgeschichte bildet. Siehe zum Beispiel die des Petrus (Apg. 2, 24-36) und die des Paulus (Apg. 13, 32-37). . . . Messen wir in unserem Leben und in unserer Zeugenschaft der Auferstehung auch eine solche Bedeutung bei?

13. Die Leugnung der Auferstehung und ihre Folgen.
Der die Macht des Todes hat der Teufel, und er hat vor Wut geschnaubt, als er sah, wie ihm seine Beute entrann. Von da an versucht der große Lügner erbittert, die beiden großen Tatsachen zu leugnen, die sein Reich vernichten: das Kreuz und die Auferstehung.


Zur Zeit der Apostel wie auch heute sind immer wieder viele aufgestanden und haben behauptet, daß die Ostergeschichte nur eine Legende sei. Diese Leugner befinden sich nicht nur unter den Gottesleugnern, sondern selbst unter den Predigern. In einem bekannten Werk schreibt einer der bedeutendsten modernen Theologen, daß die Mythen aus dem Neuen Testament ausgemerzt werden müßten, und nennt als eine der größten die Auferstehung Christi. (Bultmann: Die Entmythologisierung des Neuen Testaments). Jesus – so behauptet man – wäre nur geistlich auferstanden, Sein Leib wäre im Grabe geblieben, da das Wunder einer leiblichen Auferstehung durchaus unmöglich sei. Aber Jesus hätte im Geiste Seiner Jünger weitergelebt, der von der Erinnerung an Ihn, von Seinem Beispiel und Seiner Lehre ganz durchdrungen gewesen wäre. Sie wären derartig von Seiner geistigen Gegenwart erfüllt gewesen, daß die Legende der Evangelien entstanden wäre.
Sagen wir ganz klar: Eine „geistliche“ Auferstehung Jesu ist eine Sinnlosigkeit. Gewiß, die Seele des Herrn ist im Totenreich gewesen, aber ohne jemals tot zu sein. Apg. 2, 27. Der Leib Jesu ist wieder zum Leben erweckt worden – und ohne diese Auferstehung wäre die ganze evangelische Verkündigung nichtig.
So aber Christus gepredigt wird, daß Er sei von den Toten auferstanden, wie sagen denn etliche unter euch, die Auferstehung der Toten sei nichts? Ist aber die Auferstehung der Toten nichts, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist auch unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. ” 1.Kor. 15, 12-14.
In dieser berühmten Stelle steht Paulus gegen die Leugnung der Auferstehung auf und schildert ihre furchtbaren Folgen:
1. Die Auferstehung Christi ist mit der Auferstehung der Toten eng verbunden. Vers 12.

2. Wenn die eine fällt, so gibt es auch die andere nicht. Vers 13. 16.

3. Die Predigt und die Briefe der Apostel wären in diesem Falle nur Lügen falscher Zeugen. Vers 14-15.
Die Heilige Schrift selber hätte sich getäuscht, und wir hätten weder ein Altes noch ein Neues Testament.
4. Unser Glaube wäre vergeblich und das Evangelium ohne Inhalt. Vers 14. 17. Könnten wir an einen Heiland glauben, der noch im Grabe und demnach ein machtloser Sünder ist?

5. Das Erlösungswerk Christi wäre nichtig, wir wären noch in unseren Sünden und die, so in Christo entschlafen sind, wären verloren. Vers 17. 18.

6. Wir Gläubigen wären die elendesten unter allen Menschen. Wir wären in diesem Leben getäuscht und hätten unsere Hoffnung auf einen Wahn gesetzt – und hätten auch in der andern Welt kein Heil zu erwarten. Vers 19.

7. Der Glaube der ersten Gemeinde an die Auferstehung würde dadurch zum Gespött. Vers 29.

8. Die Leiden und die Kämpfe der Diener Gottes (um seines Glaubens willen hat Paulus sogar zu Ephesus mit wilden Tieren gefochten) wären vollkommen zwecklos. Vers 30-32. Und wo bliebe die göttliche Gerechtigkeit?

9. Wenn wirklich die Toten nicht auferständen, so hätten die Weltmenschen recht, wenn sie sagen: ,.Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.” Das Leben hätte keinen Sinn mehr. Nur die irdischen Güter hätten Wert. Aber wir haben gesehen, wie sie – weit davon entfernt, uns zu befriedigen – uns schließlich allein lassen angesichts der Verzweiflung. Wenn sich für die Ungläubigen das „morgen sind wir tot” in „heute ” verwandelt, so bedeutet dies die furchtbare Begegnung mit Gott und die ewige Verdammnis.
10. Diejenigen, die die Auferstehung unseres Herrn leugnen – und damit auch unsere eigene Auferstehung -, sind schlechte Gesellschaft und verderben gute Sitten. Wer sich mit solchen Menschen einläßt, setzt seinen Glauben und endlich auch seinen Lebenswandel aufs Spiel. Haben wir uns durch solch einen Verkehr beeinflussen lassen, so wollen wir uns wieder auf uns selbst besinnen und nicht mehr sündigen. Diejenigen, die Ostern leugnen, kennen Gott nicht, sie sind ohne Christus, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt. Eph. 2, 12
Wir wollen für sie beten und versuchen, ihnen unseren Glauben mitzuteilen, wir, die wir aus Erfahrung wissen:


Christus ist wahrhaftig auferstanden!

Kapitel II DIE AUFESTEHUNG DER GLÄUBIGEN

1. Gott hat uns für das Leben und nicht für den Tod bestimmt.
Der Tod, so sagten wir, war nicht im ursprünglichen Plan Gottes. Der Mensch hat ihn als seiner Sünde Sold kennengelernt. Aber der Herr läßt es dabei nicht bewenden. Er versäumt niemals, Seine Pläne auszuführen. Durch die Auferstehung des Leibes und der Seele schafft Er sich Genugtuung und versetzt uns in einen noch höheren Stand als den im Garten Eden. Gott wird ausführen, was Er gesagt hat, Er wird wiederherstellen (Apg. 3, 21) und darüber hinaus noch mehr schaffen:
„So wahr Ich lebe, spricht der Herr, Herr, Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von Seinem Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen…“ Hesek. 33, 11.

2. Die Auferstehung nach dem Alten Testament.
Man hat oft gesagt, daß das Alte Testament wenig vom Jenseits spricht. Das ist in gewissem Sinne richtig, denn die Offenbarung schreitet allmählich fort, und das meiste Licht über diesen Punkt haben uns Jesus Christus und Seine Apostel gegeben.
Bei den Juden war die unmittelbare Gegenwart des Ewigen solch eine Wirklichkeit, daß sie den Ausblick auf das zukünftige Leben überstrahlte. Das Alte Testament gibt keine bestimmte Lehre über die Unsterblichkeit, aber es stellt den Gläubigen in die Verbindung mit dem lebendigen Gott, der ihn zur Unsterblichkeit führen wird. Man kann von den Männern des Alten Bundes sagen, daß sie hauptsächlich folgendes voraussahen:
– den Ort der Toten – unter der Erde -, aber noch nicht die Hölle, und zu gleicher Zeit

- das messianische Reich – auf der Erde -, aber noch nicht den Himmel.
Wenn man sich jedoch in das Alte Testament vertieft, so ist man erstaunt, wieviel es – immer in bestimmter Form – von der Auferstehung verkündigt.
a) Die Auferweckungen im Alten Testament.
Drei Beispiele von Auferweckungen bezeugen in der Geschichte Israels, daß der Tod – wenn Gott es will – nicht endgültig ist.
– 1. Kön. 17, 20-22: Elia erweckt den Sohn der Witwe zu Zarpath.

– 2. Kön.4, 34-35: Elisa tut das gleiche mit dem Sohn der Sunamitin.

– 2. Kön. 13, 21: Allein die Berührung mit den Gebeinen Elisas erweckt einen Toten, den man in Elisas Grab warf.

b) Die Entrückungen.
Henoch (1. Mose 5, 24) und Elia (2. Kön. 2, 11) werden in den Himmel entrückt, ohne den Tod zu schmecken. (Hebr. 11,5.)
Diese verschiedenen Beispiele von Auferweckungen und Entrückungen künden zugleich prophetisch an, was einst den Gläubigen widerfahren wird: Die Toten in Christo werden auferstehen – die lebenden Gläubigen werden zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken, ohne durch den Tod zu gehen.

1. Thess. 4, 16-17.

c) Die Sinnbilder der Auferstehung.
Wir haben schon drei erwähnt, nämlich:
Isaak, 1. Mose 22, 5.

den Stab Aarons, 4. Mose 17, 8.

Jona, Matth. 12, 39-40.

Wir finden auch noch eines in dem Gesicht von den verdorrten Totengebeinen, Hesekiel 37, 1-14. Der Prophet sieht ein weites Feld voller Totengebeine, die das Haus Israel darstellen. „Des Gebeins lag sehr viel auf dem Felde, und sie waren sehr verdorrt.“ Gott fragt ihn: „Meinst du auch, daß diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Und Hesekiel antwortet: „Herr HErr, das weißt Du wohl“ (Das bedeutet, daß eine solche Möglichkeit das Fassungsvermögen und die Macht des Menschen übersteigt.) Dann läßt der Herr zweimal Seinen Geist über diese Gebeine wehen. Sie kommen wieder zusammen, Fleisch und Haut wachsen auf ihnen, der Odem tritt in sie ein, sie werden wieder lebendig, sie richten sich auf ihre Füße, und ihrer ist ein sehr großes Heer. Und Gott beschließt dieses Gesicht mit dem herrlichen Versprechen: „Ich will eure Gräber auftun und will euch, Mein Volk, aus denselben herausholen . . . und Ich will Meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt.“ Vers 12. 14.
Über diese Weissagung von der nationalen Wiedererstehung Israels hinaus enthält diese Stelle eine für das Alte Testament erstaunliche Vorschau auf die Auferstehung. Bald wird der Geist Gottes über alle die Totengebeine wehen, die nicht nur zerstreut, sondern sogar wieder zu Erdenstaub zerfallen sind. Er wird die Toten wieder zum Leben erwecken, und das wird wahrlich ein großes, sehr großes Heer sein. Hes. 37, 15-28.

d) Andere Versprechen und Anspielungen auf die Auferstehung.
Jesus gibt folgende Erläuterungen zu der Geschichte von dem brennenden Busch, 2. Mose 3, 6: „Daß aber die Toten auferstehen, hat auch Mose gedeutet bei dem Busch, da er den Herrn heißt Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs. Gott aber ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott, denn sie leben Ihm alle.“ Luk. 20, 37-38. . . Wenn die Toten für Gott nicht „lebend“ und für die Auferstehung bestimmt wären, so würde Er nicht „Ich bin“, sondern „Ich war der Gott Abrahams“ sagen.
Wahrhaft erhaben ist der Jubelruf Hiobs: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird Er sich über den Staub erheben. Und nach dem diese meine Haut zerschlagen ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen. Denselben werde ich mir sehen, und meine Augen werden Ihn schauen und kein Fremder…“ Hiob 19, 25-27.
Jesaja kündet die Auferstehung des Messias an und sagt weiter: „Und Er wird auf diesem Berge die Hülle wegtun, damit alle Völker verhüllt sind . . . und Er wird den Tod verschlingen ewiglich und der Herr HErr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen.“ Jes. 25, 7-8.
Daniel schreibt: „Viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen – etliche zum ewigen Leben, etliche zu ewiger Schmach und Schande . . . Dan. 12, 2.
Hosea 13,14 steht geschrieben: „Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Tod erretten. Tod, Ich will dir ein Gift sein, Hölle, Ich will dir eine Pestilenz sein.“
Dank solcher Offenbarungen des Alten Testamentes glaubten die Juden zur Zeit Jesu Christi an die Auferstehung mit Ausnahme der Sadduzäer, der damaligen Liberalen. . . .
Paulus sagt zu Felix: „Ich diene also dem Gott meiner Väter, daß ich glaube allem, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten und habe die Hoffnung zu Gott, auf welche auch sie selbst warten, daß zukünftig sei die Auferstehung der Toten, der Gerechten und Ungerechten.“ Apg. 24, 14-15.

3. Die Auferweckungen in den Evangelien und in der Apostelgeschichte.
Zu den drei Auferweckungen im Alten Testament finden wir noch sechs im Neuen Testament:
1. der Sohn der Witwe zu Nain, Luk. 7, 13-15;

2. Jairi Töchterlein, Luk. 8, 54-55 ;

3. Lazarus, Joh. 11, 41-44;

4. die Heiligen, die beim Tode Jesu auferstanden, Matth. 27, 52-53;

5. Tabea, Apg. 9, 40;

6. Eutychus, Apg. 20, 9-12.

Hierzu möchten wir einige Anmerkungen machen:
a) Die Auferweckungen bildeten einen Teil der Wunder, die dazu bestimmt waren, den Auftrag dessen, der die „Auferstehung“ war, und Seiner Apostel zu bestätigen. Joh. 5, 36.
b) Sie waren verhältnismäßig zahlreich und wohl hinreichend, um zu gleicher Zeit die Möglichkeit und die Wirklichkeit eines Lebens nach dem Tode zu beweisen. Sie bereiteten die vollkommeneren Offenbarungen vor, die bald danach gegeben werden sollten.
c) Wie wir schon bemerkten, waren sie alle nur zeitweilig. Alle diese Auferweckten haben noch ein zweites Mal sterben müssen (eine unangenehme Erfahrung, die die Heilige Schrift in keinem Falle schildert). Christus ist und bleibt bis zu Seiner Wiederkehr der einzige wahrhaft Auferstandene, der Erstling unter denen, die da schlafen.
d) Keiner der Auferweckten, weder des Alten noch des Neuen Testamentes, gibt uns irgendwelche Kunde, erzählt irgend etwas von Seinem Todesweg und von dem Ort der Toten. Unsere Neugier hätte sie wohl gerne fragen mögen, aber die Heilige Schrift ist wortkarg über das Gebiet des Jenseits, und was sie sagt, muß uns genügen.
e) So außerordentlich für die Verstorbenen und ihre Familien ihre Auferstehung auch war, uns hat Gott noch unendlich Besseres vorbehalten. Das elfte Kapitel des Hebräerbriefes sagt uns: „Weiber haben ihre Toten durch Auferstehung wiederbekommen, andere aber sind zerschlagen und haben keine Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten.“ Vers 35.
Ist es wirklich so wünschenswert, seinen Tod einige Jahre zu verzögern und auf diese Erde zurückzukehren, nachdem man schon Abschied genommen hat? Für Paulus ist abzuscheiden und bei Christus sein viel besser. Wir wollen uns mit ihm darüber freuen, daß uns Gott die bessere Auferstehung vorbehalten hat.

4. Auch die Natur lehrt uns die Auferstehung.
Ein einziger Gott hat die irdische und die geistliche Welt geschaffen. Es ist also nicht erstaunlich, daß diese beiden Sphären oft dieselben Gesetze haben. Nachdem er die Heilige Schrift zum Zeugen angerufen hat, sucht Paulus in der Natur Beweise und Veranschaulichungen für das, was er behauptet. 1. Kor. 15, 4. 35-41.
a) Der Tod erzeugt das Leben. „Möchte aber jemand sagen: Wie werden die Toten auferstehen, und mit welchem Leibe werden sie kommen? Du Narr! Was du säst, wird nicht lebendig, es sterbe denn.“ 1. Kor. 15, 35-36.
„Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt’s allein, wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.“ Joh. 12, 24.
Zu diesem großen allgemeinen Gesetz wollen wir zwei bestimmte Beispiele anführen:
Das Weizenkorn.
Wir haben auf der Bibelkonferenz zu Morges über diesen Gegenstand zwei Vorträge des hervorragenden Gelehrten Professor Henri Devaux, Bordeaux, gehört. In meisterhafter Weise hat unser Freund uns die vollkommene wissenschaftliche Genauigkeit des Verses Johannes 12,24 bewiesen. Das Weizenkorn stirbt buchstäblich. Sein Tod bedeutet die Geburt der neuen Pflanze, die Frucht bringen wird.
Die Kartoffel.
Wer hat noch nicht bei der Kartoffelernte zugesehen? Manchmal findet man dabei die Knolle wieder, die man im Frühjahr in die Erde gelegt hat. Sie ist braun, hart, sie scheint beinahe unverändert. In diesem Falle hat sie keinen Ertrag gebracht. Die Kartoffel dagegen, die eine reiche Ernte gebracht hat, ist im Grunde gar nicht mehr vorhanden. Sie hat ihre Kraft, ihr Leben für die neue Pflanze dahingegeben. Von ihr ist nur noch ein unkenntliches, verfaultes Überbleibsel vorhanden.
Der Tod erzeugt also Leben. Wenn dieses Gesetz in der irdischen, natürlichen Welt herrscht, warum erscheint es uns dann in der geistlichen Welt sinnlos oder erschreckend?
b) Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Samen und der Pflanze oder dem Leib, den er hervorbringt.
„Was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern ein bloßes Korn, etwa Weizen oder der andern eines. Gott aber gibt ihm einen Leib, wie Er will, und einem jeglichen Samen seinen eigenen Leib.“ 1. Kor. 15, 37-38. Das Senfkorn „ist das kleinste unter allem Samen, wenn es aber erwächst, so ist es größer als der Kohl und wird ein Baum, daß die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen unter seinen Zweigen”. Matth. 13, 31-32. Wenn wir nachdenken, finden wir, daß das Samenkorn uns etwas Besonderes lehrt:
Der Größenunterschied zwischen dem oft kaum wahrnehmbaren Samenkorn und der neuen Pflanze ist ungeheuer. Aus einer Eichel erwächst ein riesengroßer Baum.
So wird auch ein unerhörter Unterschied zwischen dem Leib, den wir in die Erde legen, und dem Auferstehungsleib sein.
Der Samen birgt unter scheinbarem Tod das Leben.
Ein trockenes hartes Korn, ein Samenstaub, Fruchtkerne, alle Arten von Samen scheinen tot und bergen doch in sich das Leben. Um die wirklich toten Samenkörner zu erkennen, gibt es nur ein Mittel: wir müssen sie alle in die Erde legen und abwarten, welche von ihnen noch keimfähig sind.
Wenn dem so ist, warum sollten wir dann staunen, wenn Gott unseren Leib als Samenkorn betrachtet, den Leib, der in die Erde gelegt wird und in sich die außerordentliche Fähigkeit birgt, zu einem künftigen Leben zu erstehen?
Der Samen bewahrt sehr lange seine Keimkraft. . . .

Derselbe Gott, der diese Wunder wirkt, kann auch nach Tausenden von Jahren die schlafenden Leiber wieder zum Leben erwecken.
Wenn auch der Unterschied zwischen dem Samenkorn und der neuen Pflanze so groß ist, so kann derselbe Same doch nur immer dieselbe Pflanze hervorbringen.
Was der Mensch sät, wird er ernten und nichts anderes. Aus einem Karottensamen wird kein Salat und aus einer Bohne keine Erbse. Es überrascht uns daher nicht, wenn Paulus schreibt: „Was der Mensch sät, das wird er ernten . . . Wer auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.“
Das Leben, das wir hier führen, wird in der anderen Welt fortgesetzt werden und dieselben Folgen zeitigen. Die einen haben für Gott gelebt und werden zur herrlichen Ewigkeit auferstehen, die andern haben für sich selbst gelebt und werden zum Gericht auferstehen.
Die Umwandlung des Samenkorns in die neue Pflanze ist für uns ein Geheimnis.
In einem kleinen Samenkorn sind als Keim alle die wesentlichen Bestandteile enthalten, (Information) die das Einzelwesen und die Art bilden: Form, Größenverhältnis, Farbe, unterscheidende Eigenschaften. Das ist für jeden unvoreingenommenen Geist ein wahres, ein unerklärliches Wunder. Wie aus der Hülle, die im Grabe liegt, der Auferstehungsleib wird, können wir nicht erklären. Wie die Grundstoffe des in Staub zerfallenen Leibes sich wieder zusammenfinden, das weiß Gott allein, aber für Ihn wird es keine Schwierigkeit bedeuten.
Alte Kirchenväter und verschiedene katholische Gottesgelehrte sind der Ansicht, daß sich die kleinsten Teilchen (Partikel) unseres gegenwärtigen Leibes wieder zusammenfinden und den Auferstehungsleib bilden werden. Darum sind sie auch so scharfe Gegner der Einäscherung. Der Leib Jesu Christi ist allerdings so schnell wieder auferstanden und verwandelt worden, daß er sich nicht aufgelöst hat. Wie ist es aber zum Beispiel mit dem Leib Adams und der Patriarchen? Was würde aus den Leibern derer, die in Bombennächten verbrannt sind, wenn das Feuer die Auferstehung des Leibes verhinderte? Wenn man sich auf solch ein Gebiet wagt, könnte man schließlich auch fragen, welcher Körper denn nun eigentlich auferstehen sollte, der Leib der Jugend, des hohen Alters oder der Leib, den wir gerade bei unserem Tode haben? Man sagt, daß sich unser Leib abnutzt, daß sich seine Zellen im Zeitraum von sieben Jahren vollkommen erneuern und andere Körper bilden. Welche dieser Zeugen werden an unserer eigenen Auferstehung teilhaben? Es genügt, diese Fragen aufzuwerfen, um zu verstehen, daß hier nur Gott allein zu bestimmen hat.
Er, der soviel für uns Unverständliches erschuf, wird auch erfüllen, was Er uns versprochen hat. Er wird durch Seine Macht einen neuen Leib ins Leben rufen, der die herrliche Fortsetzung unseres gegenwärtigen Leibes sein wird. – Da wir die Einäscherung erwähnt haben, wollen wir noch folgendes hinzufügen: Im Altertum war die Einäscherung mit heidnischen Bräuchen verbunden und daher für die Juden ein Greuel.
Die Kanaaniter verbrannten ihre Kinder lebendig zu Ehren ihres Götzen Moloch. 5. Mose 12, 31. In unseren Tagen haben noch einige heidnische Religionen die Totenverbrennungen beibehalten, und es ist noch nicht lange her, daß die indischen Witwen sich auf den Scheiterhaufen ihres Gatten warfen.
Darum haben manche Christen Bedenken gegen die Einäscherung. Die Beerdigung erscheint ihnen eine natürliche Art, die Worte 1. Mose 3,19 zu erfüllen: „ .. . bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist.“
Wir wollen Achtung vor diesen Bedenken haben, aber auf alle Fälle wissen, daß diese Fragen unsere Seligkeit nicht ausmachen.

c) Die Tierwelt lehrt uns auch die Auferstehung.
Nachdem er von Samen und Pflanzen gesprochen hat, erwähnt Paulus das Fleisch des Menschen, das Vieh, die Vögel, die Fische, 1. Kor. 15,39. Es gibt verschiedene Zeiträume im Leben dieser Wesen: Befruchtung, Schwangerschaft oder Trächtigkeit, Geburt, und dann ein voll entfaltetes Leben.
Wir können den gegenwärtigen Zustand des Menschen mit dem Zustand der Schwangerschaft vergleichen. Das Leben ist ihm zwar gegeben, aber es ist begrenzt. Es verlangt danach, täglich zu wachsen. Bald wird uns die Auferstehung frei machen, und wir werden für immer das voll entfaltete vollkommene himmlische Leben genießen.
Die Insekten haben uns ebenfalls viel zu sagen, vor allem die Raupe, die zum Schmetterling wird. Ihre Entwicklung durchläuft drei Phasen: die Raupe, die oft ein sehr unscheinbares Äußeres hat, schwerfällig ein herkriecht und Blätter frißt, die Puppe, worin das Tier unbeweglich und gleichsam tot wie in einem Sarge liegt, der Schmetterling mit leuchten den Flügeln, der im Sonnenschein daherfliegt und Blütensaft trinkt. Wenn wir es nicht aus Erfahrung wüßten, wie könnten wir dann glauben, daß diese drei Wesen im Grunde ein und dasselbe sind, das verschiedene Entwicklungsstufen durchläuft? So ist auch manchem Menschen ein trübes, trauriges Erdenleben beschieden, er wird ins Grab gelegt, und alles scheint zu Ende zu sein, aber dann folgt die herrliche Auferstehung in der Gegenwart Gottes.
Die Larve der Libelle lebt im Wasser, und das fertige Insekt verläßt das niedere Element und schwingt sich in die Luft. Ist es denn außergewöhnlicher, wenn der Mensch die Erde verläßt und dafür den Himmel eintauscht?

d) Das ganze Weltall ist von unendlich verschiedenen Körpern bevölkert.
Es gibt die Pflanzen, den Menschen, die verschiedenen Tierarten: Vieh, Vögel, Fische usw. 1. Kor. 15, 37-38. Die modernen Gelehrten haben siebenhunderttausend verschiedene Arten festgestellt. Dieselbe Verschiedenheit weisen die unbelebten Körper, die irdischen so wohl wie die himmlischen, auf. Die Sonne, der Mond, die Milliarden Sterne zeigen einen unerschöpflichen Reichtum der Schöpfung. Und der Gott, der das alles geschaffen hat, ist wohl imstande, uns nach dem ersten Leib einen anderen, neuen Leib zu gewähren.
Wenn wir über den Text des Paulus hinausgehen, können wir in der Natur noch andere Gleichnisse der Auferstehung finden, zum Beispiel die Jahreszeiten.
Frühling, Jugend des Jahres – Jugend, Frühling des Lebens!
Sommer, die mit Früchten beladene Reife!
Herbst, die Ernte, der Verlust
Winter, der scheinbare Tod, den der Schnee mit seinem eisigen Leintuch bedeckt.
Dann aber beginnt ein neuer Kreislauf. Wie von einem Zauberstab berührt, springen die Knospen auf, alles grünt und blüht, die Vögel singen, die Blumen duften, und alles ist voller Freude. Der Mensch und die Menschheit selber durchlaufen einen ähnlichen Kreis. Jugend, Reife, Verlust, Tod. Aber dieser Tod ist nur scheinbar und vorübergehend.
Bald folgt die Auferstehung und der ewige Frühling.
Diese große Lehre der Natur ist wunderbar und klar. Selbst die Kinder können sie verstehen, während sich die Erwachsenen die Ohren verstopfen, um nichts davon zu hören.
Demjenigen, welcher fragt: „Wie werden die Toten auferstehen, und mit welcherlei Leib werden sie kommen?“ antwortet Paulus rücksichtslos: „Du Narr!“ 1. Kor. 15, 35. Dann erinnert er an die einfachen Tatsachen, die wir gerade behandelt haben. Werden wir unter den Klugen sein, die sich vor den Gesetzen der geistlichen und der irdischen Welt beugen, oder unter den Narren, die nur annehmen, was ihnen gefällt, und leugnen, was sonnenklar ist


5. Wie wird der Auferstehungsleib sein?
„Möchte aber jemand sagen: Werden die Toten auferstehn, und mit welcherlei Leib werden sie kommen?“
Diese Frage hat uns die Heilige Schrift auf eine Weise beantwortet, daß wir voll befriedigt sein müssen.
Sie betont zuerst einmal, daß die Auferstehung durchaus leiblich sein wird, nachdem die geistliche Auferstehung bei unserer Wiedergeburt stattgefunden hat. Der leibliche Tod ist durch die Sünde gekommen und nicht nach dem ursprünglichen Willen Gottes. Wenn die Erlösung vollkommen sein soll, so muß sie gleicherweise auch den Leib wiederherstellen. Sie ist nicht eine Erlösung „außer dem Leibe“, sondern die Erlösung des Leibes selbst. Röm. 8, 23.
Wir wollen nun zur Beschreibung des Auferstehungsleibes übergehen!

a) Der Leib wird gesät verweslich und wird auferstehn unverweslich.
Unser sterblicher Leib ist aus verweslichem Stoff. Welches Kampfes bedarf es, ihn vor gefährlichen Ansteckungen zu schützen, vor den Bazillen, die ihn unablässig bedrohen! Wenn ihn dann der Geist nicht mehr belebt, wenn das Herz still steht, zersetzt er sich erschreckend schnell. Alles Fleisch ist wie Gras: es welkt und verschwindet. Schönheit, Kraft, Jugend, alles versinkt im Grabe.
Aber „die Toten werden auferstehn unverweslich . . denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit“. 1. Kor. 15, 52. Bald wird es keine Krankheiten, keine eitrigen Wunden, keine Verwesung mehr geben. Das wird die Sicherheit und Unverweslichkeit sein.

b) Es wird gesät in Unehre und wird auferstehn in Herrlichkeit. 1. Kor. 15, 43.
Die Bibel lehrt nicht, daß wir den Leib verachten sollen. Der Leib an sich ist nicht schlecht. Er ist mit all seinen Organen ein Wunderwerk des Schöpfers, der alles gut geschaffen hat. Der Leib des Gläubigen ist überdies auch noch der Tempel des Heiligen Geistes. 1. Kor. 6, 19.
Paulus warnt vor einer gewissen Askese und vor einer Verachtung des Leibes, „welche des Leibes nicht schonen und dem Fleisch nicht seine Ehre tun zu seiner Notdurft“. Kol. 2, 20-23.
Warum sagt dann aber derselbe Apostel an anderer Stelle, daß der Leib in Unehre gesät wird? Weil der Leib, der an sich gut ist, das Werkzeug der Sünde und unseres aufrührerischen Willens geworden ist. Mit ihm befriedigen wir unsere schändlichen Lüste, mit ihm reden und handeln wir, wie es nicht recht ist. Darum müssen wir diesen Leib fest am Zügel halten, daß er den rechten Weg nicht verläßt: ,.Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, daß ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde.” 1. Kor. 9, 27. “Wo ihr durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben.” Röm. 8, 13. Eines Tages wird dieser Leib in Herrlichkeit auferstehn. Er wird weder Flecken noch Runzeln haben. Er wird den Willen des Herrn vollkommen erfüllen, da er Ihm als lebendiges, heiliges und angenehmes Opfer dargeboten wird.
Die Sünde hat unseren Leib nicht nur beschmutzt, sondern auch häßlich gemacht. Als Adam und Eva aus der Hand des Schöpfers hervor gegangen waren, müssen sie wunderbar schön gewesen sein. Heute ist die Häßlichkeit unter den Menschen verbreiteter als die Schönheit. Das müssen wir wohl zugeben, auch wenn uns persönlich unser Spiegel viel leicht etwas Schmeichelhaftes sagt. Der Herrlichkeitskörper wird zweifellos vollkommen und strahlend schön sein. Hier auf Erden wird die körperliche Schönheit oft mißbraucht, sie ist für viele ein wahrer Fall strick. Dort oben wird sie nur den Herrn verherrlichen und zu unserer Seligkeit beitragen.

c) Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehn in Kraft. 1. Kor. 15, 43.
Unser dem Tode geweihter Leib ist „schwach“, das heißt ohne Kraft. Von Geburt an – so können wir sagen -, verdirbt unser äußerlicher Mensch. 2. Kor. 4, 16.
Die Lebenskraft nimmt ab, Krankheiten stellen sich ein und dann das Alter mit seinen Gebrechen und Schwächen. So sagte einmal ein geistreicher achtzigjähriger Senator: „Ich bin ein junger Mann, der sich in einem alten Leib herumquält.“ Viele Menschen haben sich niemals völliger Gesundheit erfreuen können, sie sind mit irgendeinem Gebrechen behaftet, ein Unglücksfall hat sie für ihr Leben zum Krüppel gemacht, es fehlt ihnen einer der Hauptsinne. Viele sind beständig von körperlichen Schmerzen geplagt und können sich – menschlich gesprochen – niemals ihres Lebens freuen. . . .
Dieser Leib wird in Kraft auferstehen. Er wird weder Krankheit noch Schwachheit mehr kennen. Wir dürfen wohl glauben, daß er für die Auserwählten vollkommen sein wird. Alle, die ganz jung, krank oder verkrüppelt gestorben sind, werden einen vollkommenen Leib empfangen, der dem des Herrn gleich sein wird.

d) Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehn ein geistlicher Leib. 1. Kor. 15, 44.
Die von Paulus gebrauchten Bezeichnungen verlangen eine Erklärung. Der Ausdruck „natürlicher Leib“ heißt eigentlich im griechischen Urtext „psychischer Leib“ – Psyche bedeutet Seele. – Dieser Leib ist also von der Psyche, der Seele, belebt. Auch 1. Kor. 2, 14 spricht Paulus vom „natürlichen Menschen“ (in diesem Falle dem nicht wiedergeborenen) im Gegensatz zu dem „geistlichen Menschen“, der vom Geist Gottes geleitet wird.
Aus diesem „natürlichen Leib“ wird also ein „geistlicher Leib“ werden. Ist nicht ein Widerspruch in diesen beiden letzten Worten?
Was leiblich ist, kann doch nicht auch geistlich sein! Wir wollen uns zuerst vor Augen stellen, daß Gott imstande ist, nach Seinem Wohlgefallen unendlich viele und unendlich verschiedene Körper zu schaffen. In unserem Beispiel von der Raupe und dem Schmetterling könnte der Leib der Raupe als „natürlicher Leib“ bezeichnet werden. Wäre es zu gewagt, wenn wir uns den Leib des Schmetterlings als einem „geistlichen Leib“ vorstellten?

Von diesem Leib, den ein Windhauch gen Himmel trägt? Bei der Entrückung der Gemeinde wird der neue, geistliche Leib der Auferstandenen durch den Hauch des Heiligen Geistes gen Himmel „dem Herrn entgegen getragen werden.“ 1. Thess. 4, 16-18.
Wenn wir auferstanden sind, wird der Geist Gottes nicht nur über unsere Geister und Herzen herrschen, sondern auch über unseren Leib, den Er von den irdischen und fleischlichen Banden befreien wird.
Andererseits hat sich das Wissen um die Zusammensetzung der Körper immer weiter entwickelt. Die Strahlen X, die Radiowellen durchdringen Körper und Mauern, durcheilen unablässig den Weltraum, ohne darum aufzuhören, körperliche Ausstrahlungen zu sein. Die Entdeckungen auf dem Gebiete der Atomwissenschaft führten zu der Behauptung, daß der Stoff (die Materie) aus einer Kraft besteht, die sich in Bewegung befindet, vielleicht aus zusammengeballter Elektrizität.
Es wird für Gott leicht sein, die Kraft, die unseren augenblicklichen Leib bildet, zu dem „geistlichen Leib“ umzugestalten, von dem Paulus schreibt.
Ein moderner Astronom schreibt über diesen Punkt:
„Die Naturwissenschaftler haben bewiesen (oder glauben bewiesen zu haben. R.P.), daß die Materie aus unwägbaren Teilchen von Elektrizität besteht, die eigentlich selber nur Teilchen einer Kraft sind. Aber was ist diese Kraft und woher rührt sie? Das ist ein Geheimnis! . . . So hat in gewissem Sinn die moderne Naturwissenschaft die Materie vergeistigt oder wenigstens entstofflicht. Und die Zeit und der Raum, an denen wir uns wie an starken Seilen hielten, um uns vor dem Schwindel zu bewahren, entweichen, lösen sich in einem metaphysischen Nebel auf.
Man sieht, wie groß der Irrtum derer ist, die die Wissenschaft in Gegensatz zum Mystizismus stellen. Der Mystizismus: das Gefühl, das Erahnen eines Unkennbaren, Unfaßbaren, Unaussprechbaren; er ist das Endziel selbst, der folgerichtige Abschluß der modernen Wissenschaft.“(Charles Nordmann, L’Au-dela, Hachette Paris, 1927)
Hiernach erscheint es uns eigenartig, wie weit Paulus den menschlichen Vorstellungen voraus war. – Ein Vergleich kann uns auch noch helfen, die Bibelstelle vom natürlichen und geistlichen Leib zu verstehen:
Das Wasser zeigt drei verschiedene Formen. Es ist:

Eis – Wasser – Dampf
Fest – flüssig – gasförmig
berührbar – sichtbar – unsichtbar

hart – weich – unfühlbar.
Und trotzdem ist es immer derselbe Körper.

Welcher vernünftige Mensch könnte Gott dem Schöpfer die Macht abstreiten, den Stoffen, die unseren gegenwärtigen natürlichen Leib bilden, eine andere Form zu geben?
Bei dem ersten Leib ist die Betonung auf Seele gelegt. Natürlicher Leib – seelischer Leib – „ … der erste Mensch ward eine lebendige Seele.“

Bei dem neuen Leib ist die Betonung auf Geist gelegt: geistlicher Leib – „der letzte Adam (Jesus) ward zum Geist, der da lebendig macht“. 1. Kor. 15, 45 „ … Aber der geistliche Leib ist nicht der erste, sondern der natürliche, danach der geistliche.“ Vers 46.
Dieser Vers spricht eines der Gesetze aus, die von Gott ständig bei der Ausführung Seines Menschheitsplanes befolgt werden. Er hat Seinen Geschöpfen immer die Gelegenheit gegeben, ihren Willen und ihre Freiheit zu gebrauchen. Aber der Herr behält sich vor, einzugreifen, um wiedergutzumachen, was falsch gemacht worden ist, und um Seinen Plan herrlich hinauszuführen.
Es gibt zuerst:                                      –   Es gibt dann:
den Himmel und die Erde                 –   den neuen Himmel und die neue Erde
das irdische Paradies                         –   das himmlische Paradies
den ersten Adam                                 –  den letzten Adam, Jesus
Hagar, den ersten Bund                     –   Sara, den Neuen Bund, Gal. 4, 24-25
Ismael, den Sohn des Unglaubens   –   Isaak, den Sohn des Glaubens
Esau, den Weltmenschen                   –    Jakob, den von Gott Zerbrochenen
Israel                                                      –    die Gemeinde
Aaron, den Hohenpriester                 –   Jesus, den wahren Hohenpriester
die leibliche Geburt                             –   die Wiedergeburt
den natürlichen Leib                           –   den geistlichen Leib

Ist es notwendig, den Fortschritt zu unterstreichen, der sich von einem Begriff zum anderen vollzieht, und den endgültigen Charakter von alledem, was Gott im Reiche des Geistes vollzieht?
Was die Rolle der Seele in unserem alten und in unserem neuen Leibe betrifft, so schreibt Erich Sauer darüber, nachdem er daran erinnert hat, daß die Atome unseres irdischen Leibes alle sieben Jahre erneuert werden:
„Die Seele baut in der Kraft, die ihr der Schöpfer gibt, aus dem Stoff ihrer Umwelt fort und fort einen neuen Leib, und dennoch ist es derselbe Leib. Die Seele ist gleichsam der »Magnet« des Leibes, der den geheimnisvollen Zusammenschluß seiner Atome bewirkt. Im Tode verliert er seine magnetische Kraft, . . . in der Auferstehung aber empfängt er sie wieder zurück, und zwar in weit höherem, vollendeterem Maße. Der himmlische »Stoff« verhält sich zum irdischen Stoff wie der blitzende Diamant zur Steinkohle.“
(Erich Sauer, Der Triumph des Gekreuzigten.)

Bevor wir diesen Punkt verlassen, möchten wir noch feststellen, daß unserer Ansicht nach das „Glaubensbekenntnis“ zu Unrecht von der „Auferstehung des Fleisches“ spricht. Dieser Ausdruck ist nicht biblisch. Die Bibel spricht von einer Auferstehung des Leibes, aber genauer gesagt, von der Auferstehung des geistlichen, nicht des fleischlichen Leibes. Aus dieser Tatsache ergeben sich ungeheure Folgen, im besonderen:
Die Gläubigen werden von den fleischlichen Versuchungen erlöst sein, die Gottlosen werden der fleischlichen Lüste beraubt sein.

e) Der neue Leib wird dem Leib des auferstandenen Jesus gleich sein.
Der erste Mensch, Adam, der von der Erde genommen war, ist irdisch. Der zweite Mensch, Jesus, ist vom Himmel. „ … und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen.“ 1. Kor.15, 48.
„Unser Wandel aber ist im Himmel“, von dannen wir auch warten des Heilandes Jesu Christi, welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe nach …“ Phil. 3, 21. Im vorigen Kapitel haben wir gesehn, mit welch verwandeltem und verklärtem Leibe Jesus in den Himmel eingegangen ist. Welche Seligkeit ist es zu wissen, daß unser Leib dem Seinen gleich sein wird!
Welche Demütigung ist es für eine schöne Seele, die ihre Klarheit, für einen edlen Geist, der sein tiefes Wissen bewahrt hat, wenn sie ihren Leib schwach und krank werden sehen, wenn sie zuletzt nur noch eine Ruine sind.
… Gott wird Sein Versprechen halten: „Wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“ 1. Joh. 3, 2. Diese Worte bedeuten nicht nur, daß wir mit der geistlichen Vollkommenheit des Herrn überkleidet werden. Gott hat einst den Menschen zu Seinem Bilde geschaffen. Als Jesus ins Fleisch kam, ist Er in allen Dingen uns gleich geworden. Hebr. 2, 17. Er will uns jetzt in unserem Geist und unserem auferstandenen Leib sich selbst gleich machen.

f) Der neue Leib wird mit Unsterblichkeit bekleidet werden.
„Dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.“ Die Auferstehung wird endgültig sein. Im Himmel wird „der Tod nicht mehr sein“. Offb. 21, 4. Diese Tatsache wird eine schwerwiegende Folge haben: „Welche würdig sein werden, jene Welt zu erlangen und die Auferstehung von den Toten, die werden weder freien noch sich freien lassen. Denn sie können hinfort nicht sterben, denn sie sind den Engeln gleich, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung.“ Luk. 20, 36.
Das wird uns nicht hindern, mit Freuden die wiederzufinden, die wir auf Erden geliebt haben. . . .

g) Wir warten noch auf unseres Leibes Erlösung.
„Das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes . . . Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst . . . sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft, und warten auf unsres Leibes Erlösung. . ,“ Röm. 8, 19-24. . . .
Man sagt weiter: . . . könne und dürfe der Gläubige nicht mehr krank sein. Gott wolle nichts anderes, als uns heilen, und wir beleidigten Ihn, wenn wir zu Ihm sagen: „Herr, heile mich, wenn es Dein Wille ist!“ – Wenn man hierbei logisch wäre, müßte man noch weiter gehen und behaupten, daß ein treuer Jünger auch nicht altern und sterben kann, wenn er schon die Erlösung seines Leibes besitzt.
Gott behüte uns davor, etwas wider die Glaubensheilungen zu sagen! Wir müßten uns schämen, unsere Zuflucht nicht mehr zu dem großen Arzt zu nehmen und dagegen unser Vertrauen mehr in menschliche Kunst zu setzen – oder durch unseren Unglauben die im Stich zu lassen, die unter ihrem traurigen Los leiden. Wir wollen die Ermahnungen des Apostels Jakobus, über den Kranken zu beten, mehr befolgen (Jak. 5, 14), und die Gabe, gesund zu machen, von der Paulus schreibt (1 . Kor. 12, 9), anerkennen, wenn sie Gott wirklich verliehen hat. Aber wir wollen nicht weitergehen, als die Heilige Schrift sagt. Solange wir noch auf unsere Auferstehung warten, haben wir noch nicht den Herrlichkeitsleib, wie ihn Paulus beschreibt. Wir müssen uns damit abfinden, daß unser äußerer Mensch verdirbt, daß wir altern und daß wir, wenn das Kommen des Herrn sich noch verzögert, eines Tages sterben müssen. Paulus, Timotheus und Trophimus hatten körperliche Leiden (2. Kor. 12, 7-10; 1. Tim. 5, 23; 2. Tim. 4, 20), und Gott hat anscheinend nicht eingegriffen, wie es heutzutage einige möchten. Paulus hat Lukas den „Arzt, den geliebten“, genannt. Kol. 4, 14.
Wir wollen voller Glauben sein, aber zugleich auch voller Ergebung in Gottes Willen und voller Besonnenheit. Wir wollen Gott nicht durch Unglauben hindern, in unserm Leibe zu wirken. Aber wir wollen uns Seinem Willen unterwerfen, der immer gut und heilig ist. Wir wollen eingedenk sein, daß wir mit Freuden auf die Erlösung unseres Leibes warten.
Erich Sauer schreibt hierzu:
„Alles, was wir haben, erwarten wir noch, und was wir erwarten, haben wir schon.“


Wir haben das ewige Leben         – und sollen es ergreifen.

Wir haben die Erlösung                – und wir warten darauf.

Wir sind Kinder                              – und wir warten auf die Kindschaft.

Wir sind im Reich Gottes              – und wir werden es ererben

Wir empfangen dieses Reich       – und wir werden es ererben

Wir sind herrlich gemacht           – und wir sollen es werden.

So haben wir schon alles, aber wir genießen es erst teilweise. Bis zur Erlösung unseres Leibes, unserer „Volljährigkeitserklärung“ wird unser festgelegtes Kapital im Himmel aufbewahrt. (Kol. 1, 5.) Bis dahin genießen wir die Zinsen. Daß wir sie aber schon haben, ist ein Beweis, daß das Gesamtkapital unser ist, und so wird unser gegenwärtiger Besitz eine Garantie des zukünftigen, eine „Erstlingsgabe“ der Vollernte (Röm. 8, 23), ein „Angeld“ des kommenden Gesamten. (Eph. 1, 14)   (Der Triumph des Gekreuzigten, Seite 110.)

h) Wenn wir den Auferstehungsleib empfangen, werden wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden.
2. Kor. 4, 16 bis 5, 4 spricht Paulus von unserem „äußerlichen Menschen“ – dem Leib -, der verdirbt, indes der innerliche von Tag zu Tag erneuert wird. Er vergleicht dann unseren Leib mit einem Zelt, das auch zerstört werden wird. Dagegen haben wir im Himmel „einen Bau, von Gott erbauet, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist.“ . . .

6. Wann wird die Auferstehung der Gläubigen stattfinden?
Man muß hier einen Unterschied machen. Die geistliche Auferstehung der Seele findet für den Gläubigen in dem Augenblick seiner Wiedergeburt statt. Er dringt in diesem Augenblick vom Tode zum Leben durch. Er empfängt das ewige Leben. Joh. 5, 24.

Aber wann wird die Auferstehung des Leibes stattfinden? Die Heilige Schrift gibt uns eine klare Antwort.
a) Am Jüngsten Tag.
esus erklärt viermal feierlich, daß Er am Jüngsten Tage alle auferwecken wird, die an Ihn glauben. Joh. 6, 40; 44. 54.
b) Bei Christi Wiederkunft.
„Also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden, ein jeglicher aber in seiner Ordnung: der Erstling Christus, danach die Christo angehören, wenn Er kommen wird.“ 1. Kor. 15, 22.
c) Bei der Entrückung der Gemeinde.
Paulus bestätigt das in den beiden bekannten Stellen 1. Kor. 15, 51-53 und 1. Thess. 4, 13-1 8 . (Wir haben über die Entrückung der Gemeinde ausführlich in unserm Buch Die Wiederkunft Jesu Christi geschrieben.)

Paulus beschreibt dies große Ereignis folgendermaßen:

1. Zu einem von Gott festgesetzten Zeitpunkt, den Er allein kennt,

2. in einem Augenblick,

3. wird Jesus vom Himmel herniederkommen,

4. Er wird die „Toten in Christo“ mit sich führen und wird ihnen den Auferstehungsleib geben.

5. Er wird den Leib der Gläubigen, die zu diesem Zeitpunkt auf der Erde leben, „verwandeln“ , so daß sie nicht durch das Grab zu gehen brauchen. 1. Kor. 15, 51-52.

6. Alle Gläubigen, ob verwandelt oder auferstanden, werden zugleich hingerückt in den Wolken dem Herrn entgegen und werden also bei dem Herrn sein allezeit. 1. Thess. 4, 17. . . .

Wenn es erstaunlich erscheint, daß die erste Auferstehung in zwei durch die Trübsalszeit voneinander getrennten Phasen stattfindet, so können wir dazu folgendes anführen: Jesus spricht von der geistlichen Auferstehung, die allen Sündern, die an den Sohn Gottes glauben, von nun an gewährt wird: „Wer glaubt ist vom Tode zum Leben durchgedrungen. . . .“ Joh. 5, 24-25. Diese „Stunde“ der Gnade, in der die Wiedergeburt möglich ist, hat nun schon mehr als neunzehn Jahrhunderte gedauert.

Dann spricht Jesus weiter von der leiblichen Auferstehung: „Es kommt die Stunde, . . . und werden hervorgehen, zur Auferstehung des Lebens und zur Auferstehung des Gerichts.“ Vers 28 -29.
d) Bei der ersten Auferstehung , Offb. 20, 5-6.
Die Auferstehung der Gläubigen wird die „erste“ genannt im Gegensatz zu der Auferstehung der Verdammten, die tausend Jahre später stattfindet. Die beiden oben angeführten Verse sind die einzigen Bibelstellen, die ihr diesen Namen geben. Aber es ist klar, daß diese „erste Auferstehung“ sowohl für die entrückte Gemeinde wie für die dreieinhalb Jahre später nach der Trübsal auferweckten Blutzeugen gilt – wenn wir recht verstehen. An ihr haben alle die Überwinder teil, die zuerst mit Christus hier auf Erden tausend Jahre regieren werden und dann auf ewig im Himmel. Offb. 2, 27; 3, 21; 22, 5. Über sie alle wird der zweite Tod keine Macht haben. Ihre Namen sind im Buch des Lebens geschrieben. Offb. 2, 11 20, 6. . . .
Welch wunderbare Aussicht Wie sehnen wir diesen Tag herbei!


7. Von wem werden wir auferweckt werden?
Wir haben gesehen, daß die Auferweckung Jesu Christi durch das vereinte Wirken der Dreieinigkeit geschah. So wird es auch bei unserer eigenen Auferstehung sein.

„Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird uns auch auferwecken durch Seine Kraft.“ 1. Kor. 6, 14.
Gott wird auch die da entschlafen sind, durch Jesum mit Ihm führen. „Derselbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, wird auch eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß Sein Geist in euch wohnet.“ Röm. 8, 11.
Jesus Christus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an Mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ Joh. 11, 25. „Wie der Vater das Leben hat in Ihm selber, also hat Er dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in Ihm selber . . . Joh. 5, 26. Der Herr Jesus Christus „wird unsern nichtigen Leib verklären, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, mit der Er auch kann alle Dinge sich untertänig machen“. Phil. 3, 21.
Der Heilige Geist ist’s, der lebendig macht. Joh. 6, 63. Wenn unsere Seele durch Ihn wiedergeboren wird, so wird Gott durch Ihn auch unseren Leib wieder lebendig machen: „So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch der selbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß Sein Geist in euch wohnt.“ Röm.8, 11.
Es ist durchaus nicht erstaunlich, daß die Heilige Schrift derart von dem Wirken des Heiligen Geistes schreibt. . . .
Alle Werke Gottes sind vollkommen. Sie entstanden alle durch die vereinte Kraft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

8. Wer wird teilhaben an der herrlichen ersten Auferstehung?
Es ist klar, daß nicht alle so auferstehen werden, wie wir es gerade geschildert haben. Wir werden demnächst von der zweiten Auferstehung, der Auferstehung der Ungläubigen, sprechen. Um teilzuhaben an der ersten Auferstehung, muß man:
a) Gutes getan haben.
„Diese werden hervorgehen zur Auferstehung des Lebens.“ Joh. 5, 29. „Preis und Ehre denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben.“ Röm. 2, 7.
b) Jesus Christus angehören.
„Das ist aber der Wille des Vaters, daß Ich nichts verliere von allem, was Er Mir gegeben hat, sondern daß Ich’s auferwecke am Jüngsten Tag . . . Joh. 6, 39. „Also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden . . . die Christo angehören, wenn Er kommen wird.“ 1. Kor. 15, 22.
c) an Jesus Christus und Sein Opfer glauben.
„Wer den Sohn sieht und glaubt an Ihn . . . Ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag . . . und Ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.“ Joh. 6, 40. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an Mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ Joh. 11, 25.
d) bereits sein, sein Leben hier zu verlieren, um es dort oben zu finden. Matth. 10, 39. „Sterben wir mit, so werden wir mitleben.“ 2. Tim. 2, 11.
e) unter den Gerechten sein. Apg. 24, 15.
Wir wissen, was diese Bezeichnung bedeutet. Alle Menschen sind Sünder, da ist nicht einer, der „gerecht“ ist. Röm. 3, 10. Wer aber an Jesus Christus glaubt, wird „gerechtfertigt“ und ohne Verdienst vollkommen gerecht. Röm. 3, 24.
f) den Heiligen Geist empfangen haben, der uns mit Christus vereint und bald unsere sterblichen Leiber lebendig machen wird. Röm. 8, 9.
Erfüllen wir diese Bedingungen? Die Tatsache, daß nicht alle an der ersten Auferstehung teilhaben werden, erklärt, warum die Heilige Schrift diese erste Auferstehung als „Auferstehung von den Toten“ bezeichnet. Dieser Ausdruck kommt neunundvierzigmal in der Bibel vor und immer in bezug auf Christus und die Gläubigen.
Sie stehen von den Toten auf und lassen die Ungläubigen weiter in ihren Gräbern schlafen bis zur Auferstehung der Toten (das heißt aller Toten), zum Jüngsten Gericht. Gott hat „Jesum auferweckt von den Toten“. Röm. 8, 11; 1,4. Als die Jünger zum ersten Mal Jesus sagen hören, daß Er „von den Toten auferstehen“ wird, das heißt „aus der Menge der Toten“, verstehen sie dies nicht. Mark. 9, 9-10. Sie hatten bis dahin ohne Zweifel nur mit einer allgemeinen Auferstehung aller Toten gerechnet, und sie hätten verstanden, wenn Jesus von einer Auferstehung „mit den Toten“ gesprochen hätte. Paulus dagegen begnügt sich nicht mit solch einer Auferstehung. Er will zur Auferstehung von den Toten gelangen, die allein selig und herrlich ist. Er sagt Phil. 3, 11 wörtlich: „ . . . zu der außergewöhnlichen Auferstehung gelangen, welche die von den Toten ist.“

9. In welchem Maße haben wir schon hier auf Erde an der Auferstehung Jesu Christi teil?
Wir haben von der Auferstehung des Herrn und von unserer eigenen Auferstehung gesprochen. Es bleibt uns noch ein wichtiger Punkt zu erörtern: Wir sind berufen, schon jetzt an dem Tode und an der Auferstehung Jesu Christi teilzuhaben, und diese Teilhaftigkeit ist sogar die wichtigste Bedingung zu unserm Siege über den Tod. „So sind wir ja mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. So wir aber samt Ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode, so werden wir auch Seiner Auferstehung gleich sein . . . Sind wir aber mit Christo gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit Ihm leben werden . . . Also auch ihr, haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid, und lebet Gott in Christo Jesu, unserm Herrn.“ Röm. 6, 4-5. 8.11. „Das ist gewißlich wahr: sterben wir mit, so werden wir mitleben.“ 2. Tim. 2, 11.
Wenn wir bereit sind, durch die völlige Aufopferung unseres Lebens und Willens mit Christo zu sterben, so sind wir im Grunde schon mit Ihm durch den Glauben auferstanden: „Da wir tot waren in den Sünden, hat Er (Gott) uns samt Christo lebendig gemacht . . . und hat uns samt Ihm auferweckt und samt Ihm in das himmlische Wesen gesetzt in Christo Jesu.“ Eph. 2, 5-6.
Unsere Seele ist wiedergeboren, und wir sind von nun an „mit dem Heiligen Geist Gottes versiegelt auf den Tag der Erlösung“. Eph. 4, 30.
„Indem ihr mit Ihm begraben seid durch die Taufe, in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirkt, welcher Ihn auferweckt hat von den Toten. Und Er hat euch mit Ihm lebendig gemacht, da ihr tot waret in den Sünden…“ Kol. 2, 12-13.
Von nun an lebt der lebendige Christus in uns. Wir dürfen mit Paulus sprechen: „Ich bin aber durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe. Ich bin mit Christo gekreuzigt. Ich lebe aber, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Gal. 2, 19-20.
Diese herrliche Erfahrung kann jeder gewinnen, aber sie ist immer an diese Bedingung geknüpft: ,,Wir tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserm Leibe, auf daß auch das Leben des Herrn Jesu an unserm Leibe offenbar werde. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, auf daß auch das Leben Jesu offenbar werde an unserm sterblichen Fleisch. Darum ist nun der Tod mächtig in uns, aber das Leben in euch. ” 2. Kor. 4, 10-12.
Sobald er diesen Preis bezahlt hat, lebt der Gläubige schon jetzt als ein wahrhaft Auferstandener, der zu der oberen Welt gehört und den herrlichen Tag Jesu Christi erwartet: „Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so suchet, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes . . . Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit Ihm.“ Kol. 3, 1-4.

10. Abschluß.
Nachdem wir über so viele Bibelstellen nachgedacht haben, verstehen wir um so besser die ungeheure Bedeutung der Auferstehung: sie ist eine der Hauptsäulen des christlichen Glaubens. . . .
Gott helfe uns, daß wir auf alles verzichten können, um Christus zu erkennen „und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden, daß wir Seinem Tode ähnlich werden, damit wir entgegenkommen zur Auferstehung von den Toten“. Phil. 3, 8-11.
. . . Wir aber wollen, gestärkt durch den Heiligen Geist, überall wie die ersten Jünger die Zeugen Seiner Auferstehung sein. Dann werden wir bald mit allen Gläubigen den Triumphgesang über den letzten Feind anstimmen:

„Der Tod ist verschlungen in den Sieg.

Tod, wo ist dein Stachel?

Hölle, wo ist dein Sieg? . . . 

Gott aber sei Dank, der uns den Sieg

gegeben hat durch unsern Herrn Jesus Christus!“   –   1 . Kor. 15, 54-57.

KAPITEL III
DAS GERICHT CHRISTI UND DER LOHN DES GLÄUBIGEN

1. Die Gläubigen kommen nicht in das Gericht und in die Verdammnis.
Was geschieht in dem Augenblick, da die auferstandenen Gläubigen ihrem Herrn begegnen? Für jeden Sünder ist es furchtbar, vor dem großen Richter zu erscheinen. Aber die Erlösten haben weder den göttlichen Zorn noch die Verdammnis zu fürchten. Christus ist vor allem nicht um zu richten, sondern um zu retten gekommen. „Wer an Ihn glaubt, der wird nicht gerichtet . . . Wer Mein Wort hört und glaubt Dem, der Mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ Joh. 3, 17-18; 5, 24.
Die Gläubigen werden begnadigt, gerechtfertigt, abgewaschen und von aller Sünde durch das Blut des Erlösers gereinigt. „So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind.“ Röm. 8, 1. . . .
Mit unendlicher Freude und in der Gewißheit ihres ewigen Heils sehen die wahrhaft Gläubigen der Begegnung mit ihrem Herrn entgegen. . . .


2. Das Gericht Christi.
Wenn wir auch aus reiner Gnade dem Gericht entgehen, so sagt doch die Heilige Schrift mit ebenso großer Klarheit, daß Jesus Christus unsere Werke und unseren Dienst prüfen wird, um festzustellen, ob wir einen Lohn verdienen.
Der Herr selber sagt: ,,Siehe, Ich komme bald und Mein Lohn mit Mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.“ Offb. 22, 12.
Für die Gottlosen ist der „Lohn” der Sünde Sold: der Tod und die ewige Verdammnis. . . .

„ . . . Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi, auf daß ein jeglicher empfange, nachdem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse. ” 2. Kor. 5, 9-10. Beständig lehren uns die Gleichnisse der Evangelien, daß der Herr einst von seinen Dienern Rechenschaft fordern wird: „Darum ist das Himmelreich gleich einem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte . . . ” Der Herr dieser Knechte kam zurück und hielt Rechenschaft mit ihnen.“ Matth. 18, 23-35. . . .
„Alles Gericht hat der Vater dem Sohn übergeben . . .“ Joh. 5, 22. 27. . . . Paulus hat sich bis an sein Ende bemüht, ein gutes Gewissen zu bewahren, und trotz seiner Schwächen fürchtet er den großen Richter nicht, der zugleich sein Heiland ist. Er schreibt in ruhiger Sicherheit: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter geben wird.“ 2. Tim. 4, 8.

Worauf gründet sich das Urteil des Gerichts Christi?
Das Leben und der Dienst eines jeden Gläubigen werden gründlich geprüft werden, denn der Herr ist nicht ungerecht, daß Er eine einzige gute Tat vergesse und ohne die versprochene Belohnung lasse. Hebr. 6, 10. Andererseits aber ist Er zu heilig, daß Er eine Unvollkommenheit an denen duldete, die Seiner Gegenwart teilhaftig werden sollen.

a) Die Werke.
Wir sind aus Gnaden selig geworden, nicht aus den Werken. Aber da wir in Christo wiedergeboren sind, sind wir in Ihm „zu guten Werken geschaffen, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“. Eph. 2, 8-10. Es ist ganz natürlich, daß der Herr eines jeglichen Werke prüfen wird: „Was ein jeglicher Gutes tun wird, das wird er von dem Herrn empfangen, er sei ein Knecht oder ein Freier.“ Eph. 6, 8. . . . „Lasset uns aber Gutes tun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören, so lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ Gal. 6, 9-10.
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ Offb. 14, 13 .

b) Die Arbeit.
Gott, der unaufhörlich wirkt, hat uns das Vorrecht gewährt, mit Ihm arbeiten zu dürfen. Unsere Arbeit ist das Maß unseres Eifers und unserer Dankbarkeit. Sie wird nicht unbelohnt bleiben: „Ein jeglicher aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit, denn wir sind Gottes Mitarbeiter . . . Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unbeweglich, und nehmet immer zu in dem Werk des Herrn, sintemal ihr wisset, daß eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ 1 . Kor. 3, 8-9.
„Es soll aber der Ackermann, der den Acker baut, die Früchte am ersten genießen.“ 2. Tim. 2, 6. Der Herr im Gleichnis teilt seine Güter seinen Dienern aus und rechnet mit ihrer fleißigen Arbeit.“ . . .
Paulus, das Vorbild der Gläubigen, kann erklären, daß er „viel mehr gearbeitet hat denn sie alle“. 1. Kor. 15, 10. Werden auch wir dem Herrn eine Arbeit darbringen können?

c) Die Anstrengung des Wettkämpfers.
Paulus vergleicht das Christenleben mit der Anstrengung eines Wettkämpfers, der sich übt und läuft, um den Preis zu gewinnen: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist, und jage – nach dem vorgesteckten Ziel – nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo.“ Phil. 3, 13-14. Das Gericht Christi wird enthüllen, ob wir nur schwache Anfänger oder ernsthafte Läufer waren.

d) Die Zeugenschaft.
Christus sagt ausdrücklich: „Wer Mich bekennet vor den Menschen, den will Ich bekennen vor Meinem himmlischen Vater.“ Matth. 10, 32. Der Herr wird prüfen, ob wir in Worten und Werken Seinen Namen hier auf Erden verkündigt haben.

e) Das Amt.
Alle Gläubigen sind zur Zeugenschaft und zum Dienst im allgemeinen Sinne berufen. Wem aber Gott ein besonderes Amt anvertraut hat, der hat natürlich auch eine größere Verantwortung:
„Unterwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein, und wisset, daß wir desto mehr Urteil empfangen werden.“ Jak. 3. 1. „Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen, denn sie wachen über eure Seelen. als die da Rechenschaft dafür geben sollen.“ Hebr. 13, 17. . . .
Der Wert eines Amtes erweist sich auch an den – sichtbaren oder nur Gott bekannten – Früchten und an den gewonnenen Seelen. Paulus schreibt den Philippern: „Ihr scheinet als Lichter in der Welt . . . mir zu einem Ruhme an dem Tage Christi, als der ich nicht vergeblich gearbeitet habe.“ Phil. 2, 15-16.

f) Der Gebrauch der empfangenen Gaben.
Jedem der Glieder am Leibe Christi gewährt der Herr eine Gabe, mit der es durch die Kraft des Heiligen Geistes wirken darf. 1. Kor. 12, 7. 11. 27. Diese Gabe soll verwertet und im Dienste der andern zum allgemeinen Nutzen gebraucht werde. . . .
Gott gewährt uns auch noch andere Gaben: Verstand, künstlerisches, musikalisches Talent, Gesundheit, Schönheit usw.
Das Gleichnis von den an vertrauten Pfunden lehrt uns, daß wir diese Talente eingedenk der großen zukünftigen Abrechnung nicht vergraben sollen. Matth. 25, 15-18.
Wenn man die Armut unserer christlichen Kreise betrachtet, den Mangel an Hingabe, an ernsthaften Mitarbeitern, so sagt man sich, daß unbestreitbar viele der sogenannten Christen ihre Talente verbergen, um sie nicht in den Dienst stellen zu müssen. Man zittert, wenn man an den Tag denkt, da der Herr kommen und Rechenschaft fordern wird über das, was Ihm gehört. . . .
Wie traurig würde es sein, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi mit einer verkümmerten Gabe erscheinen müßten, die wenig Frucht getragen hat, während der Herr doch von uns viel Frucht erwartet.

g) Der Gebrauch unserer irdischen Güter.
Die Menschen sind seltsam: entweder machen sie aus dem Geld einen Götzen, oder sie behaupten, es sei zu irdisch, um es mit dem geistlichen Leben in irgendeine Verbindung zu bringen. Das sagen sie, um es weiterhin nach Belieben genießen zu können. . . . Er will, daß Seine Kinder Ihm ihr Hab und Gut zur Verfügung stellen und nach Seinem Willen verwenden. Dieser Gebrauch der zeitlichen Güter wird am Jüngsten Tag belohnt werden. . . .
„Den Reichen von dieser Welt gebiete, . . . daß sie Gutes tun, reich werden an guten Werken, gern geben, behilflich seien, Schätze sammeln, sich selbst einen guten Grund aufs Zukünftige, daß sie ergreifen das wahre Leben.“ 1. Tim. 6, 17-19. . . .
Wir wollen uns noch einen wichtigen Grundsatz, der von der Freigebigkeit handelt, merken: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten, und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen . . . Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ 2. Kor. 9, 6-7. . . .

h) Die Leiden.
Das Leben des treuen Christen ist immer von Leiden begleitet, in den Fußstapfen seines Herrn hat er teil an Seinem Kreuz, um einst auch an Seiner Herrlichkeit teilzuhaben.
„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um Meinetwillen schmähen und verfolgen . . . Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnt werden.“ „Freut euch, daß ihr mit Christo leidet, auf daß ihr auch zur Zeit der Offenbarung Seiner Herrlichkeit Freude haben möget.” 1. Petr. 4,13.
„Unsere Trübsal, die zeitlich ist, schafft eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit.“ 2. Kor. 4, 17.
Es ist nicht leicht, sich seiner Leiden zu freuen. Wir können es nur mit Gottes Hilfe, wenn wir die Überzeugung haben, daß „dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden“. Röm. 8, 18.

i) Der feste Glaube und die lebendige Hoffnung des Gläubigen.
„Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.“ Hebr. 10, 35. „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir bei gelegt die Krone der Gerechtigkeit, . . .“ 2. Tim. 4, 7-8.

5. Wie groß wird der Lohn sein?
Er wird nach dem Dienst zugemessen werden. Das Heil ist nach dem Gleichnis Matth. 20, 1-16 für alle dasselbe.
Alle Arbeiter erhalten einen Groschen, ob sie nun den ganzen Tag, einige Stunden oder nur die letzte Stunde gearbeitet haben. Es gibt nur ein ewiges Leben und einen Himmel, die sowohl dem Schächer am Kreuz wie dem Apostel Paulus gewährt werden, der „mehr gearbeitet hat denn sie alle“. 1. Kor. 15,10.
Der Lohn aber wird sich nach dem Dienst des Einzelnen richten: „Ein jeglicher aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit.“ 1. Kor. 3, 8. . . .

6. Wie werden die verschiedenen Löhne sein?
a) D i e K r o n e n.
Der Herr verspricht:
die Krone des Lebens denen, die die Anfechtung erduldet haben und getreu bis an den Tod gewesen sind. Jak. 1, 12; Offb. 2, 10.
die Krone der Gerechtigkeit denen, die Seine Erscheinung liebhaben. 2. Tim. 4, 8.
die unverwelkliche Krone der Ehren denen, die Vorbilder der Herde waren. 1. Petr. 5, 4. Hier auf Erden welken die Lorbeeren und der Ruhm verblaßt bald. Dort oben wird unsere Krone niemals ihren Glanz verlieren, und wir werden nicht um eine vergängliche Krone gelaufen sein. 1. Kor. 9, 25.
Diese Siegerkrone wird durch beständige Bemühungen erworben und bewahrt: „Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme!“ Offb. 3, 11. . . .
b) Die Herrrschaft  . . .
c) Das Erbe.
„Ihr Knechte, seid gehorsam . . . Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, und wisset, daß ihr von dem Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes.“ Kol. 3, 22-24. . . . Das Siegel des Heiligen Geistes ist das Pfand unseres Erbes. Eph. 1, 14.
„Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi . . . Röm. 8, 17.
Diese Gabe ist so unerhört, daß uns Gott erleuchtete Augen unseres Verständnisses geben muß, daß wir erkennen mögen, „welcher sei der Reichtum Seines herrlichen Erbes bei Seinen Heiligen.“ Eph. 1, 18.
Unendliche Segnungen sind in dies Erbe einbegriffen:
d) Die Ernte.
„Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Alle unsere gegenwärtigen Handlungen werden ihre ewige Vergeltung finden, sei es als Segen oder als Fluch. „Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten, wer aber auf den Geist sät, der wird das ewige Leben ernten. Lasset uns aber Gutes tun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten…“ Gal. 6, 7-9.
Jesus sagt, daß die Ernte am Ende der Welt stattfinden wird. Matth. 13, 39. Dann wird uns der Herr unsere guten Taten vergelten. Aber die Ernte wird auch in den Seelen bestehen, die durch unsere Zeugenschaft gewonnen worden sind und die dann in die himmlische Scheuer gesammelt werden. . . .
Die Zeugenschaft des Christen ist oft von Leiden und Schmach begleitet. Aber „die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen . . .” Psalm 126, 5-6. Welche Freude wird es für uns als Eltern, Prediger oder Freunde sein, wenn wir mit denen vor Gott erscheinen können, die wir durch Seine Gnade zum Glauben gebracht haben!
e) Das Lob.   . . .
g) Die Herrlichkeit.
Denen, die Ihm in Leiden und Niedrigkeit dienen, verspricht der Herr einen herrlichen Lohn: „Unsere Trübsal, die zeitlich ist, schafft eine ewige Herrlichkeit . . .“ 2. Kor. 4, 17-18. . . .

7. Wann wird der Lohn verliehen werden?
8. Der Verlust des Lohnes
9. Prüfung verschiedener Fragen über den Lohn.

Zum Schluß möchten wir noch einige Fragen erörtern, die sich bei dem Gedanken an den Lohn erheben.
1. Macht nicht gerade eine solche Lehre die Religion zu dem, was man „Opium fürs Volk“ nennt? Ihr sagt zu den Arbeitern und zu dem Armen: Seid untertänig, leidet in der Stille, indes sich eure Arbeitgeber die Taschen füllen. Und ihr werdet einen herrlichen Lohn im Himmel haben.
Diese Spitzfindigkeit vereint zweierlei, was nichts Gemeinsames hat:
a) Die sozialen Belange der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber werden von der Bibel nach dem Grundsatz strengster Gerechtigkeit beurteilt. Die Herren wie die Knechte werden für ihre unrechten Taten hart bestraft werden. Eph. 6, 5-9; Jak. 5, 1-6 usw. –
b) Der Lohn soll dazu anregen, Gutes zu tun. Sollte das unmoralisch und nicht sozial gedacht sein?
Wer in diesem Punkte den Willen Gottes verstanden hat, wird auf allen Gebieten ein um so sozialeres und vorbildlicheres Betragen zeigen! Er wird das Wohl aller anderen seinem Wohl gleichsetzen.

2. Andere sagen uns dagegen: „Ihr tut das Gute nur aus Selbstsucht, wenn ihr dabei mit dem Lohn rechnet! Wir tun das Gute um des Guten willen, aus reiner Liebe.“ Wir antworten darauf, daß unser Lohn keine Auszeichnung für unsere Selbstsucht ist, denn wenn wir Christus wahrhaft dienen, so müssen wir gerade unser eigenes Ich verleugnen und unser Leben für andere aufopfern. Andererseits ist es nicht zu bestreiten, daß die großen selbstlosen Werke der Nächstenliebe vor allem von überzeugten Christen ins Leben gerufen worden sind: Krankenhäuser, Waisenhäuser, das Rote Kreuz, Gefangenenhilfe, Arbeit unter den gefallenen Mädchen usw. und „Reine Liebe“ , die sich nicht auf Glauben und Gottesfurcht gründet, findet man hier selten auf Erden. . . .
3. Wir empfangen zwar den Lohn hauptsächlich im Jenseits. Aber wird er nicht auch oft schon hier auf Erden gewährt? Gewiß!
Im Neuen Testament wird das Hauptgewicht auf das ewige Leben gelegt. Aber trotzdem werden viele Segnungen dem Gläubigen auch schon hier auf Erden zuteil: es ist niemand, so er verläßt Haus oder Vater oder Mutter… um Meinetwillen . . . der nicht hundertfältig empfange jetzt in dieser Zeit Häuser und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ Mark. 10, 29-30. 
„Ehre Vater und Mutter, das ist das erste Gebot, das Verheißung hat, auf daß dir’s wohl gehe und du lange lebest auf Erden.“ Eph. 6, 2-3.
Wohl verstanden: der irdische Lohn kann nur das Aufgeld des herrlichen himmlischen Lohnes sein.
4. Manche bescheidenen Christen sagen nun vielleicht seufzend: „Das ist alles sehr schön, aber das gilt nicht für mich. Ich gehöre nicht zu denen, die wie Paulus auf einen großen Lohn warten dürfen.“ Das stimmt nicht. Es kommt vor allem – wie wir schon betont haben – darauf an, daß der Knecht treu erfunden werde und zwar zuerst im Geringen. Wie viele Verheißungen Gottes gelten allen Gotteskindern und vor allem auch den demütigen: „Wer einen Gerechten aufnimmt in eines Gerechten Namen, wird eines Gerechten Lohn empfangen. Und wer dieser Geringsten einen nur mit einem Becher kalten Wassers tränkt in eines Jüngers Namen, wahrlich, Ich sage euch, es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.“ Matth. 10, 41-42. 
Es werden also nicht nur die Gerechten ihren Lohn empfangen, sondern auch diejenigen, die sie aufgenommen haben. Und wer hätte nicht schon tausendmal die Gelegenheit gehabt, ein Glas kalten Wassers zu geben, etwas, was nichts kostet, dessen Wert aber in der Liebe und in dem Lächeln liegt, das diese Gabe begleitet. . . .

10. Abschluß.
Schenken wir der Frage des Lohnes die Aufmerksamkeit, die sie verdient? Wir wollen sie nicht zu leicht nehmen, da ihr das Wort Gottes solch eine Bedeutung beimißt. . . .
Wir wollen bereit sein, dem Herrn überall und bis zum Ziele zu folgen, mit den Füßen auf der Erde, aber die Augen auf die Belohnung gerichtet. Dann wird sich an uns das Wort erfüllen, das einst zu Ruth gesagt worden ist: „Der Herr vergelte dir deine Tat, und dein Lohn müsse vollkommen sein bei dem Herrn, dem Gott Israels, zu welchem du gekommen bist, daß du unter Seinen Flügeln Zuversicht hättest.“ Ruth 2, 12.

KAPITEL IV
DIE HOCHZEIT DES LAMMES

1. Gott wünscht sich mit dem Menschen zu vereinen.
Gott ist Liebe, und man darf wohl annehmen, daß Er den Menschen geschaffen hat, um ihn zu lieben. Nach der Schrift ist es nicht gut, daß der Mensch allein sei“. 1. Mose 2, 18. Aber da der Herr den Menschen zu Seinem Bilde geschaffen hat, darf man wohl annehmen, daß Er auch nicht allein bleiben wollte.
Nach dem Sündenfall stellt das Alte Testament den Herrn ständig als Bräutigam Israels dar, der danach strebt, Sein Volk in eine innige Gemeinschaft mit sich zu ziehen: „Ich habe euch getragen auf Adlerflügeln und habe euch zu Mir gebracht . . . so sollt ihr Mein Eigentum sein vor allen Völkern.“ 2. Mose 19, 4-5.
Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann. Jes. 54, 5.
Die Bücher der Propheten enthalten herrliche Worte der Liebe, die Gott an das Volk Israel gerichtet hat. . . .
Diese Liebe schließt eine andere aus und verlangt danach, erwidert zu werden: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen . . . Du aber sollst rechtschaffen sein mit dem Herrn, deinem Gott . . . Der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer und ein eifriger Gott.“ 5. Mose 6,5; 18,3.
Israel war leider untreu.
Das Volk hat Ehebruch mit „Stein und Holz“ (das heißt mit Götzenbildern) getrieben. Darum hat Gott es verstoßen und ihm einen Scheidebrief gegeben. Jer. 3, 6-9. Aber Er verspricht, sich am Ende der Zeiten wieder mit ihm zu vereinen: „Alsdann, spricht der Herr, wirst du Mich heißen »mein Mann!« und Mich nicht mehr »mein Baal!« heißen . . . Ich will Mich mit dir verloben in Ewigkeit.“ Hos. 2, 18-21. (Siehe Jes. 54, 5-8.) . . .

2. Jesus Christus, der himmlische Bräutigam.
Der Bräutigam, von dem die Propheten geweissagt haben, kann nur der fleischgewordene Gott Jesus Christus sein. Schon der Psalmist schreibt ein Lied der Liebe zu Ehren dessen, den die Gemeinde erwartet: „Du bist der Schönste unter den Menschenkindern . . . Gott, Dein Stuhl bleibt immer und ewig . . . Darum hat Dich Gott, Dein Gott, gesalbt mit Freudenöl . . . Die Braut steht zu Deiner Rechten in eitel köstlichem Gold.“ Psalm 45, 3. 7-10 . . .
Im Neuen Testament spricht Johannes der Täufer von der großen Freude „über des Bräutigams Stimme“, dem die Braut gehört. Joh. 3, 29.
Jesus nennt sich selber mehrmals in Seinen Gleichnissen den Bräutigam. Matth. 9,15; 22,2; 25,1.

Jesus vereint in Seiner Person alle göttlichen Eigenschaften: Er ist der Schöpfer, der Herr und Meister, das geschlachtete Lamm, der Richter. Aber wie wunderbar ist es für Seine Gemeinde, Ihn als ihren Bräutigam betrachten zu dürfen.

3. Die Gemeinde, die Braut Christi.
Die Braut, von der Johannes der Täufer spricht, ist ohne Zweifel die Gemeinde, der Leib Jesu Christi, der aus allen denen besteht, die Er wiedererkauft hat.


Paulus veranschaulicht im Bilde der Ehe die Beziehungen Christi zu den Seinen: So wie der Mann des Weibes Haupt ist, so ist Christus das Haupt der Gemeinde, die Ihm untertan ist. Er liebt sie bis an den Tod, Er nährt und pflegt sie. Eph. 5, 23-32.
Die Offenbarung spricht von der „Braut des Lammes“. 19, 7.
Das Gebet, das die Bibel beschließt, erfleht mit Inbrunst die Rückkehr des Bräutigams: „Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! . . . Amen, ja komm, Herr Jesus!“ 22, 17. 20. . . .

5. Die Vorbereitungen zur Hochzeit.
Der Abstand ist kaum auszumessen, der den Herrn der Herrlichkeit von Seiner Braut trennt, die Er sich unter den Sündern auserwählt hat. Diese Kluft kann nur durch die Gnade dessen überbrückt werden, der für uns die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Heiligung und Erlösung ist. Der Herr verlangt jedoch, daß Seine Braut gleichfalls alles, was in ihren Kräften steht, tut, um sich auf solche eine herrliche Vereinigung vorzubereiten
a) Die Braut bekleidet sich mit ihrem Festgewand.
„Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und Sein Weib hat sich bereitet, und es ward ihr gegeben, sich anzutun mit reiner und schöner Leinwand.“ (Die köstliche Leinwand aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen.) Offb.19, 7-8.
Der Rock der Gerechtigkeit. Jes. 61, 10. Dieses Kleid ist also im gewissen Sinne reine Gnade, und wir verstehen den Satz, den wir soeben in der Offenbarung gelesen haben: „Und es ward ihr gegeben, sich anzutun mit reiner und schöner Leinwand.“ 19, 8.
Und wenn wir alles getan haben, was in unseren Kräften steht, so sollen wir einesteils eingedenk sein, daß wir nur unnütze Knechte sind, die nur getan haben, was sie zu tun schuldig waren, Luk. 17,10, und andererseits, daß wir unsere unvollkommenen Werke unter das Kreuz Christi stellen müssen. Wir wollen denen nacheifern, die nach den Worten der Offenbarung ihre Kleider gewaschen haben im Blut des Lammes . . . auf daß sie Macht haben an dem Holz des Lebens und zu den Toren eingehen in die Stadt“. Offb. 7,14; 22,14. Mit ihnen werden wir selig werden. . . .
b) Ohne Heiligung wird niemand den Herrn sehen.
Dieses Wort, Hebr.12,14, bezieht sich sowohl auf die Gemeinde wie auf den einzelnen Gläubigen. Christus will „eine Gemeinde, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel, sondern daß sie heilig sei und unsträflich“, nachdem Er selbst sie geheiligt hat. Eph. 5, 26-27. . . .
Wir wollen an unserer Heiligung mit Furcht und Zittern arbeiten und uns gleichwohl erinnern, daß – wenn wir glauben und gehorchen – Jesus uns durch und durch heiligen wird, unseren Geist ganz samt Seele und Leib auf den Tag, da Er Seine Vereinigung mit uns feiern wird.

9. Wann wird die Hochzeit des Lammes stattfinden?
Die angeführten Bibelstellen sagen klar: Sogleich nach ihrer Entrückung wird die Gemeinde durch das Gericht ihrer Werke gehen. Sie wird sich vorbereiten, und sie wird sich mit reiner und köstlicher Leinwand bekleiden. Dann wird die Hochzeit im Himmel gefeiert werden. Während dieser Zeit ist auf Erden die große Trübsal, die Herrschaft des Antichrists, und das Gericht über die große Buhlerin, die große Babylon, und ihr Fall. Dann wird Christus mit Seiner geheiligten Braut vom Himmel herniedersteigen und Sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens herrlich aufrichten. Offb. 19,1 bis 20, 6. . . .
10. Wo wird die Hochzeit gefeiert werden?
Selbstverständlich im Himmel. Die Königin und ihre Gefährtinnen werden mitten in die Freuden hineingeführt: „Sie gehen in des Königs Palast.“ Psalm 45, 14-16. . . .
Zu Beginn von Offenbarung 19 versetzt uns Johannes in den Himmel. Nach der Hochzeit öffnet sich dann der Himmel, und Christus steigt mit den himmlischen Heerscharen zur Schlacht von Harrnagedon hernieder.
Alle weiteren Erläuterungen sind überflüssig. Die ewige Vereinigung Christi und Seiner Gemeinde kann nur in der Herrlichkeit des göttlichen Hauses stattfinden. Jesus ist uns vorangegangen, um uns die Stätte zu bereiten, bald wird Er wiederkommen, um uns für immer zu sich zu nehmen. Joh. 14, 3. . . .
„Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“, erklärt Jesus am Ende des Gleichnisses von der königlichen Hochzeit. Luk. 14, 24.
Wer ist schuld daran? 
Selig sind, die zur Hochzeit des Lammes berufen sind und demütig und fröhlich diese Einladung annehmen!

F Ü N F T E R   T E I L    Die ewige Verdammnis

KAPITEL I

DIE AUFERSTEHUNG DER UNGLÄUBIGEN

1. Die Heilige Schrift lehrt klar, daß es zwei Auferstehungen gibt.
Im vorhergehenden Teil haben wir von der herrlichen Auferstehung der Gläubigen gesprochen. Leider müssen wir auch noch von der Auferstehung der unbußfertigen Sünder sprechen:
„Viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen: etliche zum ewigen Leben, etliche zu ewiger Schmach und Schande.“ Dan. 12, 2.
„Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden Seine Stimme hören (die Stimme des Menschensohnes) und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“ Joh. 5, 28-29. . . .


2. Wann wird die zweite Auferstehung stattfinden?
In den vorhergehenden Texten künden Daniel, Jesus und Paulus die beiden Auferstehungen an, ohne sie zeitlich voneinander zu unterscheiden.
Johannes, der letzte Seher der Bibel, vervollständigt die Offenbarung und sagt folgendes deutlich und ausdrücklich darüber:
Die erste Auferstehung findet vor dem Tausendjährigen Reich statt, und zwar vor dem Antritt der Herrschaft Jesu.
Die zweite Auferstehung findet tausend Jahre später statt, und zwar vor dem Gericht. Offb. 20, 5.
Man könnte dagegen einwenden, daß ein derart wichtiger Punkt durch mehr als eine einzige Bibelstelle untermauert sein müßte. Darauf erwidern wir folgendes: Im Alten Testament hatten die Juden nur eine einzige Stelle, die die Geburt des Messias in Bethlehem ankündigte. Micha 5, 1. Trotzdem haben sie sie ohne Zögern angeführt. Matth. 2, 5-6. Nur ein einziger Vers sagte voraus, daß Jesus von einer Jungfrau geboren würde. Jes. 7,14; dazu Matth. 1, 22-23.
Wenn der Herr Seine Wiedergutmachung ausgeführt und den Menschen hier auf Erden tausend Jahre des Glückes und der Gerechtigkeit gewährt hat, wird Er die unbußfertigen Sünder aller Zeiten auferwecken. Sie werden vor Ihm zum Jüngsten Gericht erscheinen müssen.

3. Was wissen wir vom Leib der auferstandenen Verdammten?
Es ist vor allem ganz sicher, daß diese Verdammten einen Leib haben werden. Wenn die Heilige Schrift vom Ende der Zeiten spricht, spricht sie von der Auferstehung nur immer im leiblichen Sinne. Außerdem wäre es aus folgenden Gründen sinnlos, von einer geistlichen Auferstehung der Ungläubigen zu sprechen:
1. Die Seele der Gottlosen bedarf keiner Auferstehung, um weiterzubestehn. Am Ort der Toten ist sie vollkommen bewußt und in der Qual. Luk. 16, 19-31.
2. Die geistliche Auferstehung verleiht das ewige Leben. Joh. 5, 24. Dieses ewige Leben ist aber gerade das, was den Ungläubigen fehlen wird. Joh. 3, 36.
Es steht klar geschrieben, daß die Gottlosen und Ungläubigen sich aus der Erde erheben und aus den Gräbern hervorgehen werden. Joh. 5, 28-29.
Wenn wir zwar viel über den neuen Leib der Auserwählten erfahren, so finden wir doch keine Beschreibung des Leibes der auferstandenen Ungläubigen.
Jesus spricht von Dem, „der Leib und Seele verderben kann in die Hölle“. Matth. 10, 28. Es wird demnach einen Leib geben, der fähig ist, die Strafen der Hölle zu erleiden. . . .

4. Für wen ist diese zweite Auferstehung bestimmt?
Die schon erwähnten Bibelstellen sagen es uns:
für die, die Übles getan haben, Joh. 5, 29; 
für die Ungerechten, Apg. 24, 15 ;
für die, die nicht würdig erfunden wurden, teilzuhaben an der ersten Auferstehung, Offb. 20, 5;
für die, die nicht durch den Glauben gerettet werden, sondern nach ihren Werken gerichtet werden, Offb. 20,13.
Nachdem er die herrliche Auferstehung beschrieben hat, fügt Paulus hinzu, daß „Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben, auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche“. 1.Kor. 1 5, 50.
Der Ausdruck „Fleisch und Blut“ bedeutet hier die nicht wiedergeborene menschliche Natur. Diejenigen, die Gottes Kinder durch den Glauben an Jesus werden, sind wiedergeboren, „nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott“. Joh. 1, 12. Der Mensch, der „vom Fleisch geboren“ ist und nicht „vom Geist geboren“ ist, kann nicht in das Reich Gottes kommen. Joh. 3, 5-8. Das will heißen, daß kein Unbekehrter mit Christus auferstehen kann.
Unser Herz ist traurig, wenn wir hierüber nachdenken.
Wenn Johannes als selig und heilig diejenigen bezeichnet, die teilhaben an der ersten Auferstehung, wie unglückselig werden dagegen die Sünder sein, die ihre Verfehlungen nicht abgewaschen haben und zum Gericht auferstehen müssen!

KAPITEL II   DAS JÜNGSTE GERICHT

1. Was ist das Jüngste Gericht?
Es ist die große und letzte Abrechnung am Ende des Tausendjährigen Reiches, der große Gerichtstag, wo sämtliche Gottlosen aller Zeiten er scheinen müssen. Danach wird es nur noch die ewige Hölle und den ewigen Himmel geben.
Die Zeit der göttlichen Geduld hat ein Ende. Seit dem Aufstand der Engel im Himmel und dem Sündenfall der Menschen im Paradiese hat der Herr mit der Offenbarung Seiner Gerechtigkeit verzogen. Er hat lange gewartet, daß die Sünder sich bekehren und Seine Gnade an nehmen. Er hat mit unfaßbarer Langmut die Ungerechten weiterhin ihren bösen Weg gehen und sich immer wieder gegen Ihn erheben lassen. Jetzt ist der Augenblick des Jüngsten Gerichts gekommen. Lange ist die Gerechtigkeit verhöhnt worden, und die Opfer des Bösen haben anscheinend umsonst gen Himmel geschrien. Offb. 6, 10.

2. Wer ist der Richter des Jüngsten Gerichts?
„Und ich sah einen großen weißen Stuhl und Den, der darauf saß.“ Offb. 20, 11. Diese erhabene Persönlichkeit ist niemand anderes als Christus, dessen Herrschaft und Gericht schon so lange von den Propheten angekündigt worden ist.
„Der sich erhöht hat, soll erniedrigt werden, und der sich erniedrigt hat, soll erhöht werden, Ich will die Krone zunichte machen, bis Der komme, der sie haben soll, dem will Ich sie geben.“ Hesek. 21, 31-32.
„Der Vater . . . hat alles Gericht dem Sohn gegeben . . . und hat Ihm Macht gegeben, auch das Gericht zu halten, darum daß Er des Menschen Sohn ist.“ Joh. 5, 22. „Gott wird das Verborgene der Menschen durch Jesus Christus richten.“ Röm. 2, 16. . . .

3. Die Zerstörung der Erde und des Himmels.
„Vor des Angesicht floh die Erde und der Himmel, und ihnen ward keine Stätte gefunden.“ „Der erste Himmel und die erste Erde verging.“ Offb. 20, 11; 21,1.
Die Erde hat zu viele Sünden gesehen und zuviel Blut getrunken, sie muß zerstört werden. Desgleichen muß der Himmel, der durch den Aufstand der Engel besudelt worden ist, völlig erneuert werden.
Dies Gericht wird durch Feuer vollzogen werden. So wie die Welt einst durch die Wasser der Sintflut verderbt wurde, „also auch der Himmel der jetzt ist, und die Erde werden durch Sein Wort gespart, daß sie zum Feuer behalten werden auf den Tag des Gerichts . . . Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb in der Nacht, an welchem die Himmel zergehen werden mit großem Krachen, die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen. . . . 2. Petr. 3, 7. 10-12.
„Himmel und Erde werden vergehen.“ Matth. 24, 35. 8.
Lehren uns nicht die jüngsten Atomentdeckungen begreifen, wie eines Tages die in Brand geratenen Elemente schmelzen und sich auflösen können? Wenn Gott durch eine furchtbare Explosion alle im Weltall befindliche Energie auflöst, kann Er sie dann nicht auch aufs neue benutzen, um daraus eine neue Welt zu schaffen?
„Das Wesen dieser Welt vergeht“ 1. Kor. 7, 31, das heißt ihre Form, ihr Äußeres. Aber das hat sehr wenig Bedeutung, da der Schöpfer ewig derselbe bleibt.

4. Die gottlosen Toten erscheinen vor Gericht.
„Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott . . . Das Meer gab die Toten, die darin waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren.“ Offb. 20, 12-13.
So wie alle Gläubigen vor dem Richtstuhl Christi erscheinen, um das Urteil über ihren Dienst zu empfangen, so werden auch alle Ungläubigen sich vor ihrem Richter zu verantworten haben. „Wir werden alle vor den Richterstuhl Christi gestellt werden, denn es steht geschrieben: So wahr als Ich lebe, spricht der Herr, Mir sollen alle Knie gebeugt werden, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ Röm. 14, 10-11. . . .
„So wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widersacher verzehren wird . . . Wieviel meinet ihr, ärgere Strafe (als die des Gesetzes Mose) wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Testamentes unrein achtet, durch welches er geheiligt ist, und den Geist der Gnade schmäht? Denn wir kennen Den, der da sagte: Die Rache ist Mein, Ich will vergelten . . .“ Hebr.10, 26-31.
So werden alle, die hier auf Erden Gott geleugnet haben, vor ihrem Richter erscheinen. Eine feierliche Gegenüberstellung, der sich keiner entziehen kann. Luk. 21, 26. . . .
Wie wird es erst beim Jüngsten Gericht sein, wenn das ewige Los eines jeden unveränderbar festgelegt wird?

5. Jeder wird nach seinen Werken gerichtet.
„Bücher wurden aufgetan . . . und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern . . . ein jeglicher nach seinen Werken.“ Offb. 20, 12-13
a) Gott führt genau Buch über unsere Werke.
Diese „Bücher“ sind zweifellos ein Bild, denn Gottes Gedächtnis ist gut genug, um nicht aufschreiben zu brauchen, woran Er sich erinnern will. Aber furchtbar ist es zu denken, daß von dem Sünder nichts, aber auch gar nichts vergessen wird. . . .
Auf schreckliche Weise wird sich das warnende Wort des Propheten erfüllen: „Ihr werdet eurer Sünde innewerden, wenn sie euch finden wird.“ 4. Mose 32, 23.
b) Alle Werke ohne Ausnahme kommen ins Gericht.
Gott richtet:
1. Das Verborgene der Menschen: Röm. 2, 16.
2. Die unnützen Worte: „Die Menschen müssen Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben.“ Matth. 12, 36. . . .
c) Alle, die nicht glauben, sind verloren. „Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht . . . denn es steht geschrieben: Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, das geschrieben steht in dem Buche des Gesetzes, daß er’s tue.“ Gal. 2, 16. . . .
„Du aber nach deinem unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken . . .“ Röm. 2, 5-8. . . .

6. Wie werden diejenigen gerichtet, die das Evangelium nicht gehört haben?
Man fragt sich in der Tat oft, welches das Schicksal und die Verantwortlichkeit derer sei, die vor Christus gelebt oder das Evangelium nicht gehört haben? Die Heilige Schrift läßt uns darüber nicht ohne Antwort.
a) Jeder wird nach dem Licht gerichtet, das er empfangen hat.
„Welche ohne Gesetz gesündigt haben, die werden auch ohne Gesetz verloren werden, und welche unter dem Gesetz gesündigt haben, die werden durchs Gesetz verurteilt werden.“ Röm. 2, 12. Was Paulus hier vom Gesetz sagt, trifft noch mehr für das Evangelium zu. Wer es gehört hat, ist vor Gott noch unendlich mehr verantwortlich. Das Geschlecht, das die Botschaft und die Wunder Jesu zurückgestoßen hat, wird am Tage des Gerichts von der Königin von Mittag (Saba) und den Leuten von Ninive verdammt werden. Luk. 11, 31-32.
„Wehe dir, Bethsaida! Wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, wie bei euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten im Sack und in der Asche Buße getan. Doch Ich sage euch: Es wird Tyrus und Sidon erträglicher gehen am Jüngsten Gericht als euch!“ Matth. 11, 21.
Und Jesus sagt auch zu Seinen Jüngern: „Wo euch jemand nicht annehmen wird noch eure Rede hören, so geht heraus von demselben Hause oder der Stadt und schüttelt den Staub von den Füßen! Wahrlich, Ich sage euch: Dem Lande der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher gehen am Jüngsten Gericht denn solcher Stadt.“ Matth. 10, 14. . . .
b) Die Heiden sind jedoch auch ohne Evangelium verantwortlich.
Nach Paulus hat der Herr den Menschen drei Offenbarungen gewährt:
1. Die Schöpfung, „wo Gottes unsichtbares Wesen, das ist Seine ewige Kraft und Gottheit, ersehen wird“. Röm. 1, 20.
2. Das Gewissen, in das Gott „des Gesetzes Werk“ geschrieben hat, die Begriffe von Gut und Böse. Röm. 2, 14.
3. Die Heilige Schrift, die höchste Offenbarung, worin dem Sünder die Liebe und die Gerechtigkeit Gottes, Sein Heil und Seine Strafe verkündigt werden. Röm.2, 17.
Die Heiden genießen nun aber die ersten beiden Offenbarungen. Sie sind alle ungehorsam gewesen und haben vor Gott keine Entschuldigung. Röm.1, 20.
c) Gott läßt keines Seiner Geschöpfe, sondern versucht, sie mit allen Mitteln zu gewinnen.
Jesus lehrt uns, daß die Dreieinigkeit mit vereinten Kräften versucht, alle Menschen zum Heil zu leiten.
Der Vater: „Sie werden alle von Gott gelehret sein“. Joh. 6, 4,.
Der Sohn: „Wenn Ich erhöhet werde von der Erde, so will Ich sie alle zu Mir ziehen.“ Joh. 12, 3 2. „Siehe, Ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand Meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde Ich eingehen.“ Offb. 3, 20.
Der Heilige Geist: „Er wird die Welt strafen um die Sünde und um die Gerechtigkeit und um das Gericht.“ Joh. 16, 8.
Wir sind überzeugt, daß es in eines jeden Menschen Leben einen Augenblick gibt, wo er, wenn er aufrichtig ist, wie die Zauberer Ägyptenlands ausrufen muß: „Das ist Gottes Finger!“ 2. Mose 8, 15.

Die Natur hat zu ihm gesprochen, sein Gewissen hat ihn von seinen Sünden überzeugt und der Heilige Geist klopft an seine Tür, um in ihm das Sehnen nach dem ewigen Leben zu wecken. Leider bleiben dann die meisten Menschen lieber in der Finsternis, weil sie nicht von ihren Sünden lassen wollen. Joh.3, 19.
Für die aufrichtigen Seelen aber (von denen es glücklicherweise allezeit noch welche gibt) wird das herrliche Versprechen sich bewahrheiten: „Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis.“ Psalm 112, 4. Auf wunderbare Weise wird sich ihnen Gott besonders offenbaren oder Er wird ihnen einen Boten schicken, wie Er es bei Kornelius und dem Kämmerer aus dem Mohrenland getan hat. Apg. 10, 10-20.
Wenn seine Stunde schlägt, hat jeder Mensch genügend Licht empfangen, um Gott anzunehmen oder abzulehnen, so daß er auch die volle Verantwortung trägt.

d) Kann ein unwissender, aber aufrichtiger Heide gerettet werden?
Was geschieht mit einem Heiden, der von seinen Sünden überzeugt ist und aufrichtig bereut, aber nie die Gelegenheit gehabt hat, eine klare Verkündigung des Evangeliums zu hören? Wir glauben, daß der allwissende Gott weiß, ob dieser Mensch, wenn ihm die Wahrheit kundgeworden wäre, sie angenommen hätte oder nicht. Zudem wissen wir nicht, was Gott alles vor dem Tode dieses Sünders tun wird, um an ihm das Versprechen Joh. 6, 45 und 12, 32 zu erfüllen. Wenn Er diesem Menschen vergibt, so wird Er das aber auf keinen Fall um seiner Aufrichtigkeit willen tun, sondern um des Opfertodes Jesu Christi willen, der für die Sünden der ganzen Welt gebüßt hat. 1. Joh. 2, 2.
In ähnlicher Weise werden die bußfertigen Sünder des Alten Testamentes Vergebung erlangen um des Messias willen, der eines Tages kommen sollte, um an ihrer Stelle den Tod zu erleiden. Der ehebrecherische und sündige David hat gewußt, daß ihm seine Übertretungen vergeben waren. Psalm 32, 1-5. Nach dem Gesetz wäre das ungerecht, und man könnte fragen, ob sich Gott damit nicht zum Genossen des Bösen machte. Aber als Er später Seinen eigenen Sohn für uns alle am Kreuz sterben ließ, zeigte Gott Seine volle Gerechtigkeit, nachdem bisher die Sünde „geblieben war unter göttlicher Geduld“. Röm. 3, 25.
Wenn Christi Opfer die wenig erleuchteten Menschen des Alten Testamentes retten konnte, wird es dann nicht auch den unwissenden Heiden, die von ganzem Herzen gemäß der Erleuchtung, die ihnen wurde, gehorchen, etwas sein können?
Man könnte vielleicht sagen: „Wenn dem so ist, warum evangelisiert man dann unter den Heiden? Die Aufrichtigen unter ihnen werden ja doch selig werden.“ Wer so spricht, verkennt zweierlei:
1. Wieviel „aufrichtige“ Heiden wird es in der furchtbaren Finsternis geben, worin sie leben? Ihre Leiber sind beschmutzt, ihre Gewissen verderbt, ihre Herzen von bösen Geistern besessen. Wir wollen Mitleid mit ihren Leiden haben und uns beeilen, ihnen das Heil zu bringen. Wir haben so viel empfangen, daß auch unendlich viel von uns gefordert wird. Wir wollen uns davor hüten, dem ergreifenden Ruf des Apostels Paulus unser Ohr zu verschließen: „Wie sollen sie aber Den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an Den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? . . . So kommt der Glaube aus der Predigt.“ Röm. 10, 14. 17. Wie können wir uns entschuldigen, wenn wir unterlassen, ein so großes Heil weiterzugeben?
2. Ist nicht das Leben auch des besten Heiden von der eigenen und der ihn umgebenden Sünde furchtbar belastet und ohne Ewigkeitshoffnung? Wie kann dieser Mensch die Freude und den Frieden des Heils genießen, wonach ihn so verlangt? Und können wir selbstsüchtig diese Segnungen genießen, ohne den brennenden Wunsch zu fühlen, sie mit dem Heiden zu teilen?
Nein, nichts kann uns von der Pflicht befreien, allen Seelen das Evangelium zu bringen, allen zu helfen, die noch unter der Herrschaft Satans und der drohenden ewigen Strafen sind.

7. Das Buch des Lebens.
Wir kehren zu der Schilderung des Jüngsten Gerichts zurück: „Und ein andrer Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens . . .Und so jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl . . . Wer überwindet . . . Ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens . . Und alle, die auf Erden wohnen, beten es (das Tier) an, deren Namen nicht geschrieben sind in dem Lebensbuch des Lammes, das erwürgt ist.“ Offb. 20, 12.15.
„Zur selben Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen.“ Dan.12,1.
Paulus spricht von seinen Gehilfen, „welcher Namen sind in dem Buch des Lebens“. Phil.4,3. . . .
Jesus spricht: „ . . . Freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Luk.10, 20
Demnach schreibt Gott alle, die durch den Glauben gerettet werden, in Sein Buch. Aber es ist zu spät, erst im Augenblick des Jüngsten Gerichts zu glauben. Dann wird das Buch des Lebens geöffnet, und wessen Name nicht darin geschrieben steht, der ist endgültig verloren. . . .
Gott kennt die Namen derer im voraus, die an Seinen Sohn glauben werden, und hat sie vor Anbeginn der Welt in Sein Buch geschrieben. Röm. 8, 29. Aber so widersinnig es auch unserem beschränkten Verstand erscheinen mag, so werden wir doch ermahnt, heute zu glauben und den Heiland jetzt anzunehmen. 2. Kor. 5,20; 6,2; Hebr. 3,12-15 . So werden wir wissen, daß unsere Namen im Himmel geschrieben sind, und unser Herz wird voller Freude sein.
Wie töricht sind die Menschen, die das einzige Mittel, das Heil zu erlangen, zurückstoßen. Und wie leicht wird es ihnen gemacht! . . .
Beim letzten Gericht ist es zu spät, in das Buch des Lebens eingeschrieben zu werden. Aber es scheint auch, als ob keiner der eingetragenen Auserwählten vor dem Richter erscheine. . . .

8. Das Ende des Todes und der Hölle.
„Der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren . . . Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der andere Tod.“ Offb.20,13-14.
Der erste Tod ist der leibliche Tod, durch den wir diese Welt verlassen.
Der zweite Tod trifft die Gottlosen in der anderen Welt. . . .
Da die andere Welt der Erde folgt, ist es natürlich, daß der erste Tod dem zweiten Platz macht. Die einstigen „Sterblichen“ sind von nun an für immer im Himmel oder im feurigen Pfuhl. Dann erfüllt sich das Wort des Apostels Paulus: „Er muß aber herrschen, bis daß Er alle Seine Feinde unter Seine Füße lege. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod.“ 1.Kor.1,25-26.
Mit der „Hölle” (genau übersetzt: Ort der Toten) ist hier eine Art Untersuchungsgefängnis gemeint, worin die Ungläubigen bis zum Jüngsten Gericht behalten werden. In jenem Augenblick hört alles Vorübergehende auf und die Bewohner des Totenreichs werden „in den feurigen Pfuhl“ geworfen, das heißt in die ewige Hölle, die nun beginnt.

9. Der Urteilsspruch.
„So jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“ Offb.20,15.
Wir müssen hier einen scheinbaren Widerspruch klarstellen: Jesus ist gekommen, um die Sünder zu retten und die Sünden der ganzen Welt zu büßen. Die Menschen gehen also nicht um ihrer Sünde willen verloren, sondern weil sie die göttliche Gnade nicht annehmen wollten: „Wer an Ihn glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des ein geborenen Sohnes Gottes . . “ Joh. 3, 18.
Man wird also durch den Glauben gerettet und geht durch den Unglauben verloren, durch die Weigerung, sich in das Buch des Lebens eintragen zu lassen. Wer die Gnade zurückstößt, bleibt auf dem Boden des Gesetzes. Auf diesem Boden kann man nur nach seinen Werken gerichtet werden. Wie wir schon gesehen haben, wird er genau das erhalten, was er verdient, und das Gesetz wird ihn ohne Gnade verdammen.
Wie wichtig ist es doch, im Buch des Lebens geschrieben zu sein! Manche geben sich hierüber bis zum letzten Augenblick falschen Hoffnungen hin, denn sie werden an jenem Tage sagen: ,,Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben, haben wir nicht in Deinem Namen viel Taten getan?“ „Und der Herr wird ihnen antworten: Ich habe euch noch nie erkannt, weichet alle von Mir, ihr Übeltäter!“ Matth. 7, 22-23. . . .

KAPITEL III   DIE HÖLLE

1. Welche biblischen Bezeichnungen schildern die Hölle?
Die Bezeichnung „Hölle“ heißt im Französischen „Enfer“ und kommt von dem lateinischen Wort, das „unten“ bedeutet. (Das deutsche Wort Hölle kommt von Hel, dem germanischen Wort für das Totenreich. D.Übers.) Epheser 4, 9 heißt es: „Er (Christus) ist hinuntergefahren in die untersten Örter der Erde.“ . . .
Dieser Ort wird von einer überraschend großen Zahl von Bibelstellen und biblischen Bezeichnungen geschildert:
a) Der Scheiterhaufen, den der Odem des Herrn anzündet.
An einer Stelle, die vom Los spricht, das dem großen Feind Israels Assyrien (und vielleicht auch dem Antichrist) beschieden ist, sagt Jesaja: „Die Grube ist von gestern her zugerichtet, ja, sie ist auch dem König bereitet, tief und weit genug, der Scheiterhaufen darin hat Feuer und Holz die Menge. Der Odem des Herrn wird ihn anzünden wie ein Schwefelstrom.“ Jes. 30, 33.
b) Die ewige Glut, die ewigen Flammen.
„Die Sünder zu Zion sind erschrocken, Zittern ist die Heuchler angekommen: Wer ist unter uns, der bei einem verzehrenden Feuer wohnen möge? Wer ist unter uns, der bei der ewigen Glut wohne?“ Jes. 33, 14.
„Erbarme dich, denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ Luk. 16, 24 . . .
c) Der Wurm, der nicht stirbt.
Am Ende eines Kapitels, das von der Herrlichkeit des Tausendjährigen Reiches spricht, fügt Jesaja hinzu: „Sie werden hinausgehen und schauen die Leichname der Leute, die an Mir übel gehandelt haben, denn ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen und werden allem Fleisch ein Greuel sein.“ Jes. 66, 24.

Jesus gebraucht denselben Ausdruck und wendet ihn unstreitig auf die Strafe in der anderen Welt an: Er spricht vom höllischen Feuer, „…da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht“. Mark. 9, 48 .
e) Das Feuer, das nie verlöscht, oder das ewige Feuer.
Diese Bezeichnung, der wir schon Jesaja 66, 24 begegnen, wird von Johannes dem Täufer und von Jesus selber wieder aufgenommen: Der Sohn Gottes wird „die Spreu verbrennen mit ewigem Feuer“. Matth. 3, 12.

„Es ist dir besser, daß du als ein Krüppel zum Leben eingehest, denn daß du zwei Hände habest und fahrest in die Hölle, in das ewige Feuer.“ Mark. 9, 43.
„ . . . Gebet hin von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Matth. 18, 8; 25, 41.
„Denn so wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widersacher verzehren wird.“ Hebr. 10, 26.
f) Die Hölle oder das höllische Feuer.
„Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.“ Matth. 5, 29. 
„Fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle!“ Matth. 10, 28.
„Daß du werdest in das höllische Feuer geworfen.“ Matth. 18, 9.
Dieses Wort „Hölle“ bedarf einer Erklärung. (Luther hat hier mit „Hölle“ übersetzt, was im Urtext als Gegensatz zum Totenreich „Gehenna“ heißt.) Das Wort „Gehenna“ kommt von dem hebräischen Namen „Ge-Hinnom“ – Tal der Kinder Hinnom -, das den verfluchten Ort bezeichnete, wo Israel und seine ungetreuen Könige ihre Söhne und Töchter dem Moloch durchs Feuer gehen ließen. 2. Kön. 23, 10. Zur Zeit Jesu hat man dort wahrscheinlich den Unrat der Stadt Jerusalem verbrannt. Der Christ gebraucht das Wort Gehenna, um vom Feuer der Hölle zu sprechen, so wie die Bibel die Bilder der „Finsternis“, des „Pfuhls“ anwendet.
g) Die Verdammnis.
„Die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis ab führet, und ihrer sind viele, die darauf wandeln.“ Matth. 7, 13. Gott „hat mit großer Geduld getragen die Gefäße des Zorns, die da zugerichtet sind zur Verdammnis“. Röm. 9, 22. „Welcher Ende ist die Verdammnis.“ Phil. 3, 19.
j) Die ewige Pein.
„Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“ Matth. 25, 46.
k) Die Finsternis. „Bindet ihm die Hände und Füße und werfet ihn in die Finsternis hinaus Da wird sein Heulen und Zähneklappen.“ Matth. 22, 13. „Denn Gott hat die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen und übergeben, daß sie zum Gericht behalten werden . . . welchen behalten ist eine dunkle Finsternis in Ewigkeit.“ 2.Petr. 2, 4. 17.
i) Der zukünftige Zorn.
,.Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, daß ihr dem zu künftigen Zorn entrinnen werdet?“ Luk. 3, 7. 
„Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. Aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade und Zorn. Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, . . . So werden wir ja vielmehr durch Ihn (Jesus Christus) bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir durch Sein Blut gerecht geworden sind.“ Röm. 2, 5. 8-9.
p) Das ewige Gericht.
Die Stelle Hebräer 5, 11 bis 6, 1-2 reiht die Lehre vom ewigen Gericht unter die Lehren „vom Anfang christlichen Lebens“. Dem Verfasser erscheinen diese Lehren vom Anfang christlichen Lebens so einfach und klar, daß er es nicht für nötig hält, sie den „Vollkommenen“ noch lange zu erklären.
r) Die Zerstörung.
„Es ist gekommen Dein Zorn und die Zeit der Toten, zu richten und zu geben ihren Lohn Deinen Knechten, . . . und zu verderben (zerstören), die die Erde verderbt (zerstört) haben. ” Offb. 11, 18. ,,Als dann wird der Boshafte offenbart werden, welchen der Herr umbringen (zerstören) wird mit dem Geist Seines Mundes und wird durch die Erscheinung Seiner Zukunft ihm ein Ende machen. ” 2. Thess. 2, 8.
s) Die Verleugnung.
„Wer Mich aber verleugnet vor den Menschen, den will Ich auch verleugnen vor Meinem himmlischen Vater.“ „Verleugnen wir, so wird Er uns auch verleugnen.“ 2. Tim. 2, 12.
t) Das Anathema, der Fluch.
„So jemand euch Evangelium predigt anders, denn als ihr empfangen habt, der sei verflucht!“ Gal. 1, 9.
„Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, das geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, daß er’s tue.“
u) Die Vergeltung.
„Welcher Ende sein wird nach ihren Werken.“ 2. Kor. 11, 15. „Siehe, Ich komme bald und Mein Lohn mit Mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.“ Offb. 22, 1 2.
v) Wehe
„Weh dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird.“ Matth. 26, 24 „Es ist unmöglich, daß nicht Ärgernisse kommen, weh aber dem, durch welchen sie kommen. Es wäre ihm besser, daß man einen Mühlstein an seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer, denn daß er dieser Kleinen einen ärgert.“ Luk. 17, 1-2. 

z) Der feurige Pfuhl.
„Lebendig werden diese beiden in den feurigen Pfuhl geworfen, der mit Schwefel brannte . . . So jemand nicht ward gefunden in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“ Offb. 19, 20.
aa) Der andere Tod. „Der feurige Pfuhl. das ist der andere Tod . . . deren Teil wird sein in dem Pfuhl. der mit Feuer und Schwefel brennt, das ist der andere Tod.“ Offb. 20, 14.

Was bedeutet diese letzte Bezeichnung? Mit dem ersten Tod verlassen die Sünder diese Erde. Der zweite wird die Gottlosen nach dem Jüngsten Gericht treffen. Er ist in der Heiligen Schrift sinnverwandt mit Hölle. Wenn aber der erste Tod den Leib zersetzt, wird dann der zweite Tod nicht die unbußfertige Seele vernichten?
Lassen wir die Heilige Schrift hierauf antworten! Zweimal bezeichnet die Offenbarung den anderen Tod und den feurigen Pfuhl als gleichbedeutend: „Der feurige Pfuhl. das ist der andere Tod.“ Offb. 20, 14. Wir werden bald sehen, daß in dem feurigen Pfuhl die Seelen – weit davon entfernt, vernichtet zu sein – Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit leiden werden. Offb. 14, 10-11. Darum heißt es auch „den anderen Tod leiden“. Offb. 2, 11.


2. Worin besteht die Hölle?
a) Die Wirklichkeit der Hölle.
Aus allen Bibelstellen geht hervor, daß die Hölle eine schreckliche Wirklichkeit ist. Manche Leute empören sich über die harten Strafen, die im Alten Testament die Menschen der Sintflut, von Sodom und Gomorra, von Kanaan, sogar von Israel getroffen haben, und sie erklären, sie könnten hierbei nicht den Gott der Liebe der Evangelien erkennen.
Sie vergessen, daß die Gerichte des Neuen Testaments viel ernster sind als die des Alten Testaments: „Wenn jemand das Gesetz Moses bricht, der muß sterben ohne Barmherzigkeit durch zwei oder drei Zeugen. Wieviel. meinet ihr, ärgere Strafen wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt . . . Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Hebr. 10, 28-31.
Die Strafen, die man in der Geschichte des Alten Testaments bemängelt, waren leiblich und irdisch, also zeitlich, sie ließen oft dem Sünder die Möglichkeit, sich noch sterbend zu bekehren und so seine Seele zu retten. Die Strafen jedoch, worauf das Neue Testament vor allem dringt, sind hauptsächlich geistlich und ewig, sie sind unendlich furchtbarer.

b) Die Bilder, welche die Hölle darstellen.
Das Feuer: Unter den Bezeichnungen für Hölle, die wir angeführt haben, sind sieben, die den Gedanken an ein Feuer erwecken: der Scheiterhaufen, die Flammen, das ewige Feuer, Gehenna, der Feuerofen, Feuer und Schwefel, der feurige Pfuhl. Aber auch andere Bilder werden angewandt:
Der nagende Wurm, die ewige Schmach, das Heulen und Zähne klappen, die Finsternis, die Vernichtung, „draußen“ usw.
Die Bibel muß eine menschliche Sprache anwenden, um uns einen Begriff von der anderen Welt zu vermitteln. Aber trotzdem ist ihre Schilderung des Jenseits geistlich und weit entfernt von den derben Darstellungen des Mittelalters. In der Bibel finden wir keine grotesken Bilder, die die Hölle wie einen großen Kochtopf schildern, worin die Verdammten gekocht und von grinsenden Teufeln mit Gabeln gestochen und gequält werden. Wenn die biblischen Bezeichnungen auch bildlich gemeint sind, so lassen sie doch eine entsetzliche Wirklichkeit klar erkennen. Wenn auch das Feuer, der nagende Wurm, die Finsternis usw. mehr geistlich als leiblich sind, so lassen sie doch nur um so mehr Gedanken an glühende Schmerzen, an Gewissensbisse, Unseligkeit, Finsternis und Gottferne aufkommen. Wenn es übrigens für die Ungläubigen auch eine Auferstehung des Leibes gibt, wird in ihrer Qual auch noch leibliches Leiden einbegriffen sein.

c) Worin besteht eigentlich die Hölle?
Wir sagen: In allen biblischen Bezeichnungen herrscht der Gedanke vor, daß die unbußfertigen Sünder auf ewig von Gott getrennt sind. Die beste Deutung der Hölle scheint uns in 2.Thess. 1, 9 gegeben: „Sie werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem Angesichte des Herrn.“
Das ewige Leben ist das Erkennen und die Gegenwart Gottes. Der andere Tod ist die endgültige Trennung von Gott. Mit dieser Deutung stimmt alles überein, was die Heilige Schrift von der Qual und der Dauer der Hölle lehrt.


3. Die Leiden der Hölle.
a) Wie werden sie beschrieben ?
Nehmen wir noch einmal die unter 1. angeführten Stellen und die dazu gemachten Anmerkungen:
„Als er nun in der Hölle und in der Qual war, . . . rief er: . . . Erbarme dich mein, . . . denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ Luk. 16, 23-24.
„Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun.“ Röm. 2, 9. . . .
b) Worin besteht ein solches Leiden?
Was wir vom Zustand des reichen Mannes im Totenreich gehört haben, bringt uns auf einen Gedanken: Der Verdammte ist vom Ort der Seligkeit durch eine unübersteigbare Kluft getrennt. Er ist bei vollem Bewußtsein und hat sein völliges Erinnerungsvermögen. Er ist sich durchaus klar, daß er sein Heil verloren hat. Sein Leiden ist um so heftiger, da es ohne Hoffnung ist. Die Antwort Abrahams auf sein Flehen ist durchaus ablehnend. Nichts und niemand kann ihm vom Himmel zur Hilfe kommen, und keine Seele verläßt den Ort der Qual, um höher zu steigen.
Manche Leute haben schon gesagt: Wie kann ein Gott der Liebe daran Seine Lust haben, Seine Geschöpfe – wenn sie auch aufständisch waren – in alle Ewigkeit zu quälen? Die Bibel sagt nirgends, daß Gott sie quält. Er braucht rein garnichts dazu zu tun, daß sie leiden. Sie haben sich hartnäckig und freiwillig von Gott und Seiner Gnade abgewandt. Sie haben Ihn zurückgestoßen, und ihre Qual besteht einfach darin, daß sie der Seligkeit, der Freude, der Vergebung, des Friedens verlustig sind, die allein der Heiland geben kann. . . .
Als Gott zu den Israeliten spricht, die sich aus Unglauben geweigert haben, in das verheißene Land zu gehen, kündet Er ihnen die Strafe an, die während vierzig Jahren in der Wüste auf ihnen lasten wird: „Auf daß ihr inne werdet, was es sei, wenn Ich die Hand abziehe.“ „Und sollt erfahren, was es auf sich hat, wenn Ich Mich von euch abwende.“ 4. Mose 14, 34. Man könnte die Höllenqual nicht besser ausdrücken: für immer der Gegenwart des Herrn verlustig sein.
Gott hat alles getan, um die Menschen zu retten. Er hat Seinen Sohn für sie dahingegeben, Er hat zu ihnen durch die dreifache Offenbarung der Natur, des Gewissens, der Heiligen Schrift gesprochen. Er hat sie durch Seinen Heiligen Geist überzeugt und angefleht, sich Ihm zu übergeben.
Wenn sie sich hartnäckig von Ihm entfernen, zieht Er sich schließlich auch von ihnen zurück und über läßt sie sich selbst. Das ist dann die Hölle. Wenn Jesus am Kreuz rief: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?“ Matth. 27, 46, so wußte Er, was die Hölle ist. Er erduldete ihre Qual an unserer Statt. . . .



4. Die Dauer der Hölle.
Was wir gerade gesagt haben, ist schrecklich, aber noch entsetzlicher ist, was uns noch zu sagen bleibt. Leiden ist immer unangenehm. Aber so groß es auch sein mag, die Hoffnung, davon befreit zu werden, hilft es doch ertragen. Von der Dauer der Höllenqual dagegen sagt die Bibel ausdrücklich, daß sie nie aufhören wird. Wir werden später von den Einwendungen sprechen, die gegen diese Lehre gemacht worden sind. Zuerst wollen wir wieder die Bibeltexte sprechen lassen!
a) Wo steht von der ewigen Qual geschrieben?
1. Jesaja spricht von dem verzehrenden Feuer, der ewigen Glut, dem Wurm, der nicht stirbt. Jes. 33, 14.
2. Daniel sagt, daß etliche zum ewigen Leben aufwachen werden, die andern zur ewigen Schmach und Schande. Dan. 12, 2.
3. Johannes der Täufer und Jesus sprechen einer wie der andere vom ewigen Feuer. Wir zeigen etwas später, daß Gott selber ein verzehrendes Feuer ist. Das heißt, daß Seine Heiligkeit und unbedingte Gerechtigkeit nicht anders können, als den unbußfertigen Sünder zu verdammen. Diese Eigenschaft Gottes ist unwandelbar wie Er selbst – und das Feuer Seiner Gerechtigkeit wird nach den Worten Christi nie verlöschen.
4. Der Herr wird sagen: „Gehet hin . . . in das ewige Feuer . . . Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“ Matth. 25, 41.
5. „Wer den Heiligen Geist lästert, der hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen Gerichts.“ Mk. 3, 29. . . .
7. Das „ewige Gericht“ gehört nach Hebräer 6, 2 zu der „Lehre vom Anfang christlichen Lebens“.
8. „Er hat behalten zum Gerichte des großen Tages mit ewigen Banden in der Finsternis die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten . . . Sodom und Gomorra . . . sind zum Beispiel gesetzt und leiden des ewigen Feuers Pein . . . diese Menschen sind irre Sterne, welchen behalten ist das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit.“ Jud. 6. 7. 13. . . .
Wer diese Texte, so wie sie sind, liest, gewinnt daraus den unabweislichen Eindruck, daß die Höllenqual niemals ein Ende haben wird. Dieser Gedanke ist jedoch für unseren menschlichen Geist so entsetzlich, daß viele Einwendungen dagegen erhoben worden sind, um diese Überzeugung umzustoßen.

b) Was wendet man gegen die Lehre von der ewigen Qual ein?
1. Man führt an, daß im Alten Testament die Worte „allezeit, ewig, Ewigkeit“ nicht unbedingt und notwendigerweise den Sinn haben, den wir ihnen heute verleihen. Zum Beispiel: „Ihr habt ein Feuer Meines Zorns angezündet, das ewiglich brennen wird . . . auf daß ihr Land zur Wüste werde, ihnen zur ewigen Schande . . . Bekehret euch . . . so sollt ihr in dem Lande, das der Herr euch und euren Vätern gegeben hat, immer und ewiglich bleiben.“ Jer. 17, 4.
Darauf kann man antworten, daß einerseits wir auch zuweilen solche Ausdrücke in einem übertriebenen Sinne gebrauchen, und daß andererseits Gott, wenn Er so spricht, die wahrhaft ewigen Rückwirkungen Seiner Versprechungen und Drohungen ins Auge fassen kann. Es ist jedoch außer Zweifel, daß diese Worte ihren unbedingten Sinn annehmen, wenn sie von dem Herrn und ewigen Dingen handeln. Warum sollte es dann bei der Verdammnis anders sein?
„Bist Du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit !“ Psalm 90, 2. „Ich will mit euch einen ewigen Bund machen.“ Jes. 55, 3.
Es ist auch bedeutsam, daß Daniel 12, 2 zweimal dasselbe Wort „ewig“ gebraucht, um sowohl das Leben ohne Ende der Auserwählten wie auch die Schmach der Verdammten zu bezeichnen.
2. Man gibt an, daß im Neuen Testament das griechische Wort „ewig“ – aiönios – nur „von langer Dauer“ bedeutet, im Zusammenhang mit dem kommenden Zeitalter. (Das Wort „aiön“ wird mit Zeitalter übersetzt.)
Das zwischen dem kommenden Zeitalter und dem, was „ewig“ ist, ein Zusammenhang besteht, wird wohl von keinem bezweifelt. Aber das Neue Testament läßt uns nicht im unklaren, in welchem Sinne es diese Bezeichnung, die es einundsiebzigmal anwendet, gebraucht. Es wendet sie vierundsechzigmal auf himmlische und selige Wirklichkeiten der anderen Welt an:
der ewige Gott, Seine ewige Macht, der ewige Geist, das ewige Leben, das ewige Evangelium, das ewige Reich, das ewige Heil, die ewige Erlösung, der ewige Bund, das ewige Erbe, die ewige Herrlichkeit, der ewige Trost, die ewigen Hütten, ewige Zeiten, die ewigen unsichtbaren Dinge.

In allen Fällen ist es ohne Zweifel, daß es sich um eine Dauer ohne Ende handelt. Siebenmal wird dagegen dasselbe Wort auf die Verdammnis angewandt. Matth. 18, 8; 25, 41; Jud. 7: das ewige Feuer; Matth. 25, 46: die ewige Pein; Hebr. 6, 2: das ewige Gericht; 2. Thess. 1, 9: das ewige Verderben.
Wie kann ein Wort, das vierundsechzigmal „ewig“ bedeutet, sieben andere Male einen anderen Sinn haben? Jesus gebraucht übrigens dieselbe Bezeichnung Matth. 25, 46 für das ewige Leben und die ewige Pein. Wenn das erste immer dauern soll. warum dann nicht auch das andere?
3. Derselbe Einwand wird bei dem Ausdruck von „Ewigkeit zu Ewigkeit“ gemacht. Man sagt, daß er „eine gewisse Anzahl von Zeitaltern“, aber nicht die Ewigkeit bedeute. Wir wollen sehen, welche Bedeutung diesem Ausdruck in der Offenbarung gegeben wird, wo er immer wieder vorkommt! Jesus Christus und Gott leben von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sie werden von Ewigkeit zu Ewigkeit angebetet.
Die Auserwählten werden mit Ihm regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit. Bis hierhin bedeutet dieser Ausdruck ohne Zweifel: immer.
Warum sollte er einen anderen Sinn annehmen, wenn er auf die Hölle an gewandt wird? „Der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Wir stellen noch fest, daß der Ausdruck „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ in der Offenbarung im Griechischen zwölfmal durch „eis tous aiö nas tön aiönon“ und nur ein einziges Mal durch „eis aiönas aiönon“ dargestellt wird. Wir glauben nicht, daß ein Unterschied in der Bedeutung besteht, und alle Beweisgründe des obigen Absatzes, die wir schon sooft wiederholt haben, führen daraufhin, daß eine ewige Dauer gemeint ist.

4. Man kann genau dasselbe von den Worten „Ewigkeit“ oder „ewig“ sagen.
Das Neue Testament gebraucht sie unbestreitbar im unbedingten Sinne. „Das Wort aber des Eides, . . . setzt den Sohn ein, der ewig und vollkommen ist. Er bleibt ewiglich . . . Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ Hebr. 7, 28. 24; 13, 8. „Vielleicht aber ist er darum eine Zeitlang von dir gekommen, daß du ihn ewig wieder hättest.“ Philem. 15.
Warum verändern diese Worte plötzlich ihren Sinn, wenn Judas sie auf die Hölle anwendet? Vers 6 und 13. . . .

5. Der Wurm, der nicht stirbt, das Feuer, das nicht verlöscht, sind nur bildliche Ausdrücke . . .
In dem Tal Hinnom bei Jerusalem wurde der Unrat verbrannt. Das Feuer dauerte nicht länger, als man es nährte. Dieser Schluß ist durchaus richtig für das irdische Feuer und den irdischen Brennstoff. Aber er stimmt nicht mit dem, was die Bibel vom Jenseits sagt, überein. Wenn die Seelen und die Qual ewig dauern, warum sollte dann „das Feuer“ verlöschen? Wir sehen, daß das Tier und der falsche Prophet bei der Schlacht von Harmagedon lebendig in den feurigen Pfuhl. der mit Schwefel brennt, geworfen werden. Offb. 19, 20. Tausend Jahre später sind diese beiden (es sind Menschen!) noch darin und wir lesen, daß sie mit dem Teufel dort gequält werden „Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Offb. 20, 10. Der feurige Pfuhl selbst wird also wohl auch immer währen.
(Wir behandelten hier die Dauer der Qual und werden auf die „Vernichtung ” später zurückkommen.)
Wir sind uns wohl bewußt, daß die Behauptungen der Bibel über die Ewigkeit und die Höllenqual zweifellos sehr schwer anzunehmen sind. Aber da sie es so schreibt, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu beugen und es wie Adolphe Monod zu machen, der uns folgende Erfahrung weitergab:
Der große Prediger erklärt: „Ich habe alles, was in meinen Kräften stand, getan, um im Wort Gottes die ewige Qual nicht zu finden. Aber es ist mir nicht gelungen . . . Als ich Jesus Christus selber sagen hörte, daß die Bösen in die ewige Pein, die Gerechten in das ewige Leben gehen und daß also die Qual der einen so ewig sein werde wie die Seligkeit der anderen, . . . da habe ich nachgegeben, ich habe mein Haupt gebeut, ich habe meine Hand auf meinen Mund gelegt, ich habe an die ewige Qual geglaubt.“ (Premiere Serrie des Sermons, Seite 391.)

5. Prüfung einiger Fragen über die Hölle.

a) Verträgt sich die ewige Hölle mit der Liebe Gottes ?
Wir haben schon die landläufige Meinung erwähnt, wonach Gott viel zu gut ist, um die Sünder ewig zu strafen.
Hierbei müssen wir von vornherein einen schweren Irrtum ausmerzen: Es gibt keinen „lieben Gott“. Der schwache, nachsichtige Gott, der Seine Zeit damit zubringt, „irgend etwas“ ohne strenge Prüfung zu vergeben, ist in Wirklichkeit ein Götzenbild. Es ist ein falscher Gott, der von denen erfunden worden ist, die sich in ihren Sünden gefallen und den Gott der Bibel nicht kennen. Die Heilige Schrift offenbart uns Ihn, der zugleich der Gott der Liebe und der Heiligkeit ist. In Seiner Liebe hat uns der Vater Seinen eingeborenen Sohn dahingegeben und in Seiner Heiligkeit hat Er Ihn an unserer Statt verdammt. 1. Joh. 4, 8-10; Gal. 3 , 10-13. Wer den Sohn Gottes mit Füßen tritt und Seine Liebe zurückstößt, wird das schreckliche Feuer des Gerichts kennenlernen.
Die ganze Geschichte der Menschheit und Israels zeigt, daß die Gerichte Gottes furchtbar sind. Der das Geschlecht der Sintflut, Sodom, Ägypten, Babylon, Jerusalem geschlagen hat, der in unseren Tagen den Tod von Millionen Seiner Geschöpfe zugelassen und die Verheerung unserer stolzen „Zivilisation“ durch eine „Flut von Feuer“ erlaubt hat, dieser Gott ist nicht der „liebe Gott“. Er ist ganz einfach der Gott, der mit einer unfaßbaren Liebe und Geduld versucht hat, Seine Geschöpfe zu retten, der aber eines Tages Seine Drohungen wahrmacht. Und Seine Strenge ist leider um so größer, je länger die Menschen Seine Langmut verhöhnt haben. Die Hölle wird nur die Fortsetzung dessen sein, was wir jetzt schon hier auf Erden sehen.
Der beste Beweis dafür, daß das Gericht und die Verurteilung zur Hölle nicht der heiligen Liebe Gottes widersprechen, ist, daß Jesus Christus selber der Vollzieher sein wird. Er selber wird zu den Verdammten zu Seiner Linken sagen: „gehet hin von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer.“ Und die Unseligen werden mit Feuer und Schwefel gequält werden „vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm“. Im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden sagt Jesus: „Doch jene, Meine Feinde, die nicht wollten, daß Ich über sie herrschen sollte, bringet her und erwürget sie vor Mir!“ Luk. 19, 27.
Wir wollen schließlich auch nicht vergessen, daß unser Gott selber „ein verzehrendes Feuer“ ist. Hebr. 12, 29.
Das gibt von der Liebe und der Gerechtigkeit eine ganz andere Vorstellung, als sie die meisten unserer Zeitgenossen haben.


b) Werden die Gottlosen früher oder später in der anderen Welt vernichtet ?
Dies behaupten die Anhänger der Lehre, die man „Konditionalismus“ nennt. Gott allein – so sagen sie – hat Unsterblichkeit. Er will wohl die Menschen daran teilhaben lassen, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie glauben. „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“
Dieselben Leute fügen hinzu, daß nach der Bibel die Seele, die sündigt, sterben soll. Demnach wird diese Seele in der anderen Welt vernichtet, wie der Leib hier auf Erden zerstört wird. Es wird von der Vernichtung der Gottlosen als von ihrer Verdammnis und ihrem Verderben gesprochen. 2. Thess. 1, 9. Man soll Den fürchten, „der Leib und Seele verderben kann in die Hölle.
Wenn wir die Heilige Schrift richtig verstehen, können wir jede dieser Behauptungen widerlegen:
1. Wir haben gesehen, daß in der Tat Gott allein das wahre Leben ist und daß Er es nur Seinen Gläubigen verleiht, denn das ewige Leben ist: den Vater und den Sohn erkennen. Gott nicht kennen, das bedeutet, daß man tief im geistlichen Tod versunken ist. Aber wir haben gleichfalls gesehen, daß die Menschen, die den „zweiten Tod ” erleiden, durchaus nicht vernichtet, sondern im Gegenteil gequält werden „Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit“.

2. Der Gedanke an ein Weiterleben der Seele ist allgemein und findet sich auch in allen heidnischen Religionen, diejenige der Griechen mit einbegriffen. Aber allein die Bibel lehrt klar, daß durch die Auferstehung jeder Mensch, der Leib sowohl wie die Seele, in der anderen Welt weiterbestehen wird. Sie behauptet gleichfalls, daß es eine Auferstehung der Ungerechten wie der Gerechten gibt.
3. Wenn die Heilige Schrift die Vernichtung, die Verdammnis, das Verderben der Gottlosen erwähnt, so müssen wir verstehen, welchen Sinn sie diesen Ausdrücken gibt. Die Offenbarung spricht von der Zeit, da die verderbt werden, die die Erde verderbt haben. Es ist klar, daß die Gottlosen die Erde nicht vernichten. Sie verderben sie, sie machen sie unglücklich, und genau das wird Gott mit ihnen machen. . . .
Wir wollen auch noch einen Ausdruck erwähnen, den wir Matth. 10, 28 finden: „Fürchtet euch aber viel mehr vor Dem, der Leib und Seele »verderben« kann in die Hölle.“ Im Griechischen bedeutet das Wort „apollumi“ gleichfalls „verlieren“ und wird im gleichen Kapitel auf die „verlorenen“ Schafe aus dem Hause Israel angewandt, ebenfalls auf das „verlorene“ Schaf und den „verlorenen“ Sohn. Luk. 15, 6. 9. 24. „Des Menschen Sohn ist gekommen, selig zu machen, das verloren ist.“ Matth. 18, 11. Der verlorene Sohn lebte wohl noch vor seiner Rückkehr, aber er war fern vom Vater, verderbt und unglücklich. So wird es auch mit den Sündern in der Hölle sein. . . .

c) Werden nicht eines Tages alle Geschöpfe gerettet werden ?
Eine andere Lehre, die sogenannte Wiederbringungslehre, behauptet, daß nach einigen Strafen, die die menschliche Sündhaftigkeit und Gottes Heiligkeit erfordern, schließlich alle selig werden. Der Herr – so wiederholt man – ist zu gut, um Seine Geschöpfe, die so kurze Zeit auf Erden gesündigt haben, dafür ewig in der Hölle leiden zu lassen. Man führt auch an: „Gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden . . . auf daß Gott sei alles in allen.“ 1. Kor. 15, 22. 28. Christus ist erhöht worden, „daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes, des Vaters“, Phil. 2, 10-11.
„Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf daß Er sich aller erbarme.“ Röm. 11, 32.
Dies bedeutete, daß eines Tages selbst in der Hölle sich alle Geschöpfe, der Teufel und die Dämonen einbegriffen, dem Heiland zuwendeten und Seiner Gnade teilhaftig würden. Denn – sagt man – der Triumph Jesu Christi wäre nicht vollkommen und Gott wäre nicht allmächtig, wenn noch ein einziges Geschöpf – und wäre es auch das verhärtetste – in der Hölle bliebe und nicht von Ihm zurückgebracht werden könnte. E. F. Ströter, einer der glühendsten Anhänger der Wiederbringungslehre, behauptet, daß Gott gerade durch das höllische Feuer, den Tod, das Verderben und die Verdammnis am Ende alle Menschen rettet. So verstanden, wäre die Hölle ein augenscheinlicher und unsäglich kostbarer Beweis Seiner heiligen Liebe . . .
Der Herr sagt von Judas: „Es wäre ihm besser gewesen, er wäre nicht geboren worden.“ Matth. 26, 24. Das wäre aber durchaus nicht der Fall, wenn er vor sich eine selige Ewigkeit hätte.

Aber wir wollen einige andere Beweisgründe der Wiederbringer prüfen!
1. Sie behaupten, daß es ungerecht wäre, Menschen für die Ewigkeit zu strafen, die nur in der Zeit gesündigt haben. Aber wir müssen verstehen, daß die Sünde unendlich schwerwiegend ist: Sie beleidigt eine unendliche Persönlichkeit, und andererseits wird sie von dem Menschen begangen, der zum Bilde Gottes geschaffen worden ist und sich schon selber im Plan der Ewigkeit befindet. Der Sündenfall Adams und das Kreuz Christi sind beide zeitlich sehr begrenzte Ereignisse und haben doch unendliche Folgen. Röm. 5, 17-19.
Die Lehre der Wiederbringer widerspricht zudem allen Bibelstellen, die von den ewigen Leiden in der anderen Welt sprechen. Außerdem ist es leicht übereinstimmend mit dem Zusammenhang in der Heiligen Schrift, diese Stellen, worauf man sich zu stützen versucht, ganz anders zu erklären.

2. Um 1. Kor. 15, 22 zu verstehen, muß man auch Vers 23 lesen: Es werden nur die „in Christo alle lebendig gemacht werden . . . die Christo angehören“. In ihnen auch wird Gott alles in allen sein, während Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben. . . .
3. Wenn sich im Himmel, auf Erden, unter der Erde alle Knie beugen und alle Zungen bekennen sollen, daß Christus der Herr sei, so bedeutet das nicht notwendigerweise, daß alle bekehrt werden. Beim ersten Kommen Christi waren die Dämonen die ersten, die verkündeten, wer Er war, und die Ihm gehorchten. So wird auch der Augenblick kommen, daß in der anderen Welt alle Feinde des Herrn Seine Macht anerkennen und sich vor Ihm beugen müssen. Aber das wird leider zu spät für ihre Rettung sein.
4. Man könnte noch viele andere Bibelstellen anführen, die alle Gottes Willen bezeugen, alle Menschen durch das völlig genügende Opfer am Kreuz zu retten. Aber trotz dieses Verlangens wird der Herr niemals diejenigen mit Gewalt zum Glauben zwingen, die hartnäckig das Heil zurückstoßen. Jesus ruft aus: „Jerusalem . . . wie oft habe Ich deine Kinder versammeln wollen . . . und ihr habt nicht gewollt.“ Matth. 23, 37.
Wenn Seelen in die Hölle kommen, so geschieht es darum, weil Gott ihre Freiheit und ihren aufrührerischen Willen achtet und ihnen kein anderes Heil anzubieten hat. Hebr. 10, 26-31. Das Heil wird nur durch den Glauben erlangt. In der anderen Welt kann man es leider nicht mehr empfangen, da dann das Schauen dem Glauben folgt.

5. Nach den Worten Jesu in Lukas 16, 26 ist zwischen dem Ort der Qual und dem Ort der Ruhe eine große Kluft, so daß ein Hinüber oder Herüber ausgeschlossen ist. Wie könnten demnach die Verdammten jemals in den Himmel hinübergelangen?
So verführerisch die Lehre von der Wiederbringung auch dasteht, so müssen wir doch feststellen, daß sie nicht biblisch ist. Ihre Ideen von der Wiederbringung aller Dinge sind vielmehr dem Pantheismus verwandt.
Wenn es eine Möglichkeit der Errettung nach dem Tode gäbe, so könnte sie nur auf zwei Arten geschehen:
Entweder müßten sich die Menschen sozusagen gezwungenermaßen für Christus entscheiden. Wo bliebe dann aber ihre Freiheit und welchen moralischen Wert hätte diese Entscheidung?
Oder es wäre wie auf der Erde, und es gäbe auch die Möglichkeit der Ablehnung. Was sollte dann aber noch diese Wiederholung, und wie viele aufeinanderfolgende oder ähnliche Proben hätte der unbußfertige Sünder dann noch zu bestehen?
Nein, die ganze Bibel sagt uns, daß wir uns heute entscheiden müssen. Morgen ist es zu spät.
Die Warnungen der Propheten,

die Tränen Jesu,

die Mahnungen der Apostel,

die leidenschaftliche Beweisführung des Paulus,

die erschütternden Bilder der Offenbarung,
alle rufen uns zu:
„Heute, so ihr Seine Stimme höret, verstockt eure Herzen nicht!“
„Jetzt ist der Tag des Heils“
Nach dem Tage des Heils kommt der Tag des Gerichts, und die Himmelstür wird verschlossen werden wie einst die Tür der Arche. Dann werden viele „danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden’s nicht tun können“. . . .

d) Was denken wir über das Fegefeuer?
Die katholische Kirche lehrt sehr streng, daß es eine ewige Hölle gibt, aus der keiner wieder entweichen kann. Aber sie fügt hinzu, daß zwischen Himmel und Hölle noch ein Zwischenreich, das Fegefeuer, besteht. Dorthin gehen nach ihrem Tode alle die Seelen, die durch Jesus Christus von der ewigen Strafe gerettet sind, aber noch nicht rein genug sind, um sogleich in den Himmel eintreten zu dürfen. Um ganz gewiß im Paradiese zu sein, muß ein Mensch erst heilig gesprochen werden, und heute noch werden Messen für die Seelenruhe von Päpsten gelesen, die schon seit Jahrhunderten tot sind. Es genügt, die Heilige Schrift zu fragen, um festzustellen, daß das Fegefeuer eine reine Einbildung ist. Alle Stellen, die klar vom Jenseits sprechen, zeigen uns nur zwei Möglichkeiten:

Der breite Weg führt zur Verdammnis. – Die enge Pforte zum Leben. Matth. 7, 13-14.

Die Spreu wird ins Feuer geworfen. – Der Weizen wird in die Scheuer gesammelt. Matth.13, 30. 

Die törichten Jungfrauen bleiben draußen. – Die klugen Jungfrauen gehen hin ein zur Hochzeit. Matth. 25, 10. 

Der reiche Mann ist in der Qual. – Lazarus wird in Abrahams Schoß getröstet. Luk. 16, 22-23.

Die einen stehen auf zum Gericht. – Die andern zum Leben. Joh. 5, 29.
Nirgends ist neben Himmel und Hölle von einem dritten Ort im Jenseits die Rede.
Die wenigen Bibeltexte, die Rom für seine Fegefeuerlehre anführt, beziehen sich nicht darauf, was man in sie hineinlegt.


1. „Es wird durchs Feuer offenbar werden, welcherlei das Werk eines jeglichen sei . . . Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden . . . er selbst aber wird selig werden, so doch wie durchs Feuer.“ 1. Kor. 3, 13. Es handelt sich hier um Menschen, die gerettet sind, da sie ihr Leben auf den einzigen Grund, Jesus Christus, gestellt haben. Paulus spricht hier von der Belohnung, die die Gotteskinder im Himmel empfangen werden: Er wird ihrer Liebe und ihrem Eifer entsprechend verschieden sein, ja er kann sogar bei manchen fehlen. Aber wenn sie trotzdem fest an ihrem Heiland hängen, wird sie die unverdiente und freie Gnade des Herrn wie durchs Feuer in den Himmel tragen.

Es ist an dieser Stelle nicht die Rede davon, daß Sünder durch läuternde und sühnende Leiden gereinigt werden. Dieser Gedanke widerspricht völlig der biblischen Lehre. Allein die Leiden Christi sind sühnend und hinreichend. Er starb mit den Worten: „Es ist voll bracht!“ Der Mensch wird „ohne Verdienst gerecht aus Seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist . . . ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben . . . Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an Den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. Röm. 3, 24. 28. Unsere Verdienste, unsere Bemühungen, unsere Leiden können in keiner Weise unsere Sünden sühnen. Aber wenn wir an die völlige Vergebung auf Golgatha glauben, vermögen wir durch den Heiligen Geist Werke zu vollbringen, die Ihn verherrlichen und die Er belohnen wird. Eph. 2, 8-10. . . .

2. „Sei willfährig deinem Widersacher bald .. . , auf daß du . . . nicht werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir wahrlich: Du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlt hast.“ Matth. 5, 25-26. Der Herr des unbarmherzigen Knechtes „überantwortete ihn den Peinigern, bis daß er bezahlte alles, was er ihm schuldig war“.
Diese Stellen sprechen zuerst von den Härten der menschlichen Gerechtigkeit. Die erstere warnt vor den Prozessen und ihren Folgen, die es für richtig erscheinen lassen, einen solchen selbst um den Preis einer demütigenden Versöhnung zu vermeiden. Der Text vom unbarmherzigen Knecht zeigt, daß die irdischen Richter in der unbeugsamen Ausführung des Gesetzes auch unbarmherzig sein können. Gott kann sich gleichfalls bei der Vollstreckung Seines Urteilsspruches unerbittlich zeigen. Diese beiden Stellen müssen übrigens im Lichte anderer zahlreicher Bibeltexte verstanden werden, die alle nur zwei Möglichkeiten im Jenseits nennen und eindringlich von der ewigen Hölle sprechen. Wenn der Gedanke vom Fegefeuer biblisch wäre, müßte er doch irgendwo klar ausgesprochen wer den. Das ist nicht der Fall. Er steht also im Widerspruch zu allen ausdrücklich anders lautenden Bibelstellen.

3. „Wer etwas redet wider den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt.“ Matth. 12, 32. Wenn eine gewisse Sünde in der anderen Welt nicht vergeben werden kann – so sagt die katholische Kirche -, so beweist dies, das andere Sünden dort noch vergeben werden können. – Unser Text sagt das auf alle Fälle nicht. Wir glauben übrigens, daß es nur eine einzige unverzeihliche Sünde gibt, nämlich die gegen den Heiligen Geist, die in der hartnäckigen Ablehnung der göttlichen Gnade besteht. Matth. 13,13-15 ; Joh. 12, 37-40. Gott möchte die ganze Welt retten, und Christus ist zur Sühne aller Sünden gestorben. Die einzige Sünde, die niemals Vergebung erlangt, ist die Ablehnung dieser Vergebung, die Gott niemandem aufzwingt. Alle, die in die Verdammnis gehen, haben diese Sünde begangen und können davon nicht losgesprochen werden. Das bedeutet auch die Verneinung eines Fegefeuers.

4. Da sie in den kanonischen Büchern der Heiligen Schrift keine Stütze für ihre von den Reformatoren angegriffene Lehre fand, sah sich die katholische Kirche gezwungen, Texte in den jüdischen Apokryphen zu suchen. Sie erklärte die Apokryphen dann auf dem Konzil von Trient 1546 als „kanonisch“. Nach 2. Makkab. 12, 39-46 beten die Juden und bringen ein Sühnopfer für ihre in einer Schlacht gefallenen Kameraden dar. Dies soll heute das Bestehen eines Ortes im Jenseits beweisen, wo die Sünder sich völlig reinigen, und soll die Gebete und Messen rechtfertigen, die man für die Toten liest. Es ist erstaunlich, daß man, um so etwas zum Dogma zu erheben, fünfzehn Jahrhunderte warten und dann plötzlich Bücher als von Gott eingegeben erklären mußte, die bis dahin weder die jüdische Synagoge noch die christliche Gemeinde als solche erkannt hatten. Wenn wir diese Bücher lesen, sind wir rasch davon überzeugt, daß sie von geringerer Güte sind. Der Text, der daraus angeführt wird, beeindruckt uns also durchaus nicht. Im Gegenteil: wir sind nicht erstaunt, daß er der Schrift selbst widerspricht.
„Aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben – und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es.“ Eph. 2, 8.
„Wisset, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid . . .sondern mit dem teuren Blut Christi.“ 1. Petr. 1, 18. . . .
Wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Offb. 22, 17.
Angesichts der so beredten Sprache – und des ebenso beredten Schweigens – der Heiligen Schrift erschauert man vor der tödlichen Gefahr, in die die Lehre vom Fegefeuer die Seelen bringt. Die meisten Menschen sind sich klar darüber, daß sie nicht heilig genug sind, um in den Himmel zu kommen. Aber sie halten sich auch nicht für so schlecht, daß sie die Hölle verdienen. Sie trösten sich damit, daß ein Aufenthalt im Fegefeuer genügen wird, um sie in Ordnung zu bringen. Sie verlegen demnach die Entscheidung, sich zu Gott zu bekehren, in die andere Welt und vernachlässigen hier auf Erden das einzige Heil, das ihnen jemals geboten wird, nämlich die Reinigung von ihren Sünden durch den Glauben an das Blut Christi und die völlige Änderung ihres Lebens.
Sie sterben, ohne gerettet zu sein, und stürzen mit geschlossenen Augen in die Verdammnis. In unseren Tagen lassen sich sogar viele Protestanten von diesem unheilvollen Irrtum verführen. Sie geben ihm zwar nicht den Namen Fegefeuer, aber im Grunde kommt es auf dasselbe heraus: Sie glauben nicht mehr an eine ewige Hölle, sondern sind davon über zeugt, daß nach einer Läuterungszeit in der anderen Welt alle in den Himmel kommen. . . .

e) Was versteht man unter dem „Vorhimmel“?
Nach dem katholischen Katechismus ist das der Ort, wohin die ungetauft gestorbenen Kinder für die Ewigkeit kommen. Jesus sagt, daß ein Mensch nur in das Reich Gottes kommen kann, wenn er aus Wasser und Geist geboren wird. Dem erstaunten Nikodemus fügt Er hinzu, daß man nur durch den Glauben das ewige Leben empfängt und von neuem geboren werden muß. Die katholische Kirche lehrt dagegen, daß der Vollzug der Taufe schon einem unbewußten Kind die Wiedergeburt verleiht. Die Kleinkinder, die ungetauft sterben, können daher niemals in den Himmel kommen. Der Katechismus fügt hinzu: „Aber es ist erlaubt, anzunehmen, daß sie nicht in die Hölle kommen. Das ist die Ansicht des Heiligen Augustin, die im allgemeinen von den Kirchenlehrern als wahrscheinlich angenommen und gelehrt worden ist. Sie sind an einem Zwischenort, dem Vorhimmel, wo sie Gott nicht schauen, aber auch nicht leiden. Unter diesen Bedingungen ist ihr Schicksal nach Ansicht des Heiligen Augustin einem Nicht-mehr-Bestehen vorzuziehen.“ 
Im obigen Text beweisen die mehrfach wiederholte Möglichkeitsform und der vollständige Mangel an biblischer Bestätigung, daß der Vorhimmel wie das Fegefeuer nur in der Einbildungskraft der Menschen bestehen. Was wäre übrigens ein Dasein ohne Gott im Jenseits? Und wäre es nicht entsetzlich unmoralisch, wenn solch ein furchtbares Dasein für die Ewigkeit armen unschuldigen Wesen auferlegt würde, die nur durch die Schuld ihrer Umgebung noch nicht getauft waren? Andererseits zeigt sich die Kirche den Erwachsenen gegenüber weniger streng. Sie sagt wohl, daß die Taufe zum ewigen Heil derer notwendig ist, die das Christentum kennen. Aber von den Erwachsenen, die noch in der Finsternis des Heidentums befangen sind, sagt sie: „Sie werden nach ihren Werken gerichtet werden. Gott wird von ihnen nicht die Taufe verlangen, die sie nicht kennen; und wenn sie ihre Pflichten nach ihrem Gewissen und ihrer Religion treu erfüllt haben, können sie gerettet werden.“
Ein Glück, daß derart unzulässige Ungerechtigkeit nicht in der Heiligen Schrift bestätigt wird.
Im Gegenteil! Wir sehen, daß nach der Bibel ein jeder nach seinen Werken und dem Licht, das er empfangen hat, gerichtet werden wird. Die Menschen haben keine Entschuldigung, „dieweil sie wußten, daß ein Gott ist, und haben Ihn nicht gepriesen als einen Gott, noch Ihm gedankt.“ Nun haben die unbewußten Kinder weder „Licht“ noch Handlungsfähigkeit erhalten. Sie haben zwar von Geburt eine sündige Natur, die sie eines Tages zum schlechten Gebrauch ihres Willens führen wird. Aber solange ihr Bewußtsein noch nicht erwacht ist und solange sie die Gnade weder annehmen noch ablehnen können, wird die Heilige Schritt sie selbstverständlich nicht als verantwortlich bezeichnen.
Jesus hat gesagt, daß wir wie die Kinder werden müssen, um in das Himmelreich zu kommen. Matth. 18, 3. Ist es nicht merkwürdig, daß gerade die einzig Unschuldigen unter ihnen vom Himmelreich für ewig ausgeschlossen sein sollen? Wir wollen Gott für die Gewißheit danken, daß der gute Hirte selber die zartesten Seiner Lämmer auf Seine Arme nehmen wird.

f) Ist das Evangelium nicht den Toten gepredigt worden ?
Zwei Texte von Petrus verdienen in dieser Hinsicht geprüft zu werden:
1. „Sintemal auch Christus einmal für unsere Sünden gelitten hat . . . und ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist. In demselben ist Er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis, die vorzeiten nicht glaubten, da Gott harrte und Geduld hatte zu den Zeiten Noahs, da man die Arche zurüstete.“ 1.Petr. 3,18-20. Man hat sich gefragt, ob dieser Text (einer der schwierigsten der Heiligen Schrift) auf das Wirken Christi im Totenreich in der Zeit zwischen Seinem Tod und Seiner Auferstehung anspielt. Sollte Er dann den Seelen des Alten Bundes, die bis dahin noch nichts vom Evangelium gewußt hatten, Seine Botschaft verkündigt haben? Aber warum sagt Petrus dann, daß diese Predigt sich nur an das Geschlecht der Sintflut gewandt hat?
Eine andere Erklärung erscheint uns annehmbarer. Anstelle von „Er ist gegangen“ kann man ebenso richtig „Er war gegangen“ übersetzen. . . . Man kann sich denken, daß Petrus hier darauf anspielt, daß Christus zur Zeit Noahs vermitteln wollte, um – wenn möglich – die von der Sintflut bedrohten Ungläubigen noch zu retten. Eine solche Handlung wäre für uns nicht erstaunlich, denn das Alte Testament zeigt uns Jesus Christus schon mehrmals am Werke.
Zum Beispiel nimmt Er an der Schöpfung teil, Er zeigt sich den Patriarchen als Melchisedek und Engel des Herrn. 1. Mose 14, 18-20; Hebr. 7, 2. Aber Er kann zu den Menschen der Sintflut noch auf andere Art gesprochen haben. Petrus sagt zu Beginn seines Briefes, daß die alten Propheten durch den Geist Christi weissagten, der in ihnen war. 1. Petr.1, 10-11. Er nennt auch Noah „den Prediger der Gerechtigkeit“. 2. Petr. 2, 5.
Ohne Zweifel will er in dem Text, der uns beschäftigt, sagen, daß der Geist Christi die Ungläubigen jener Zeit durch Noah eine Botschaft hören ließ, diejenigen, die jetzt im Gefängnis sind.
Auf alle Fälle handelt es sich hier um etwas Vergangenes, und nichts in diesem Text erlaubt zu behaupten, daß das Evangelium heute noch oder später den Ungläubigen in der anderen Welt gepredigt wird.

2. Wie wäre dann der folgende Text zu erklären? „Sie (die die Christen verleumden und lästern) werden Rechenschaft geben Dem, der bereit ist, zu richten die Lebendigen und die Toten. Denn dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündigt, auf daß sie gerichtet werden nach dem Menschen am Fleisch, aber im Geist Gott leben.“ 1. Petr. 4, 4-6. Bei Seiner Wiederkunft wird Jesus mit der ganzen Menschheit abrechnen, mit den Toten, die Er auferwecken wird, und mit den Lebenden, die Er noch auf Erden finden wird. Auch die Toten sind verantwortlich, denn das Evangelium ist ihnen gepredigt worden. Aber der Text sagt nicht wo und wann, und wir nehmen an, daß es während ihres Erdenlebens geschehen ist. Auf alle Fälle handelt es sich wieder um etwas Vergangenes, und Petrus sagt nicht, daß das Evangelium jetzt den Toten verkündigt wird, noch daß es später geschehen wird. Diese ganze Frage betrifft uns übrigens gar nicht unmittelbar. Denn wer das Evangelium gehört hat (wie wir alle, die diese Zeilen lesen), hat keine Entschuldigung vor Gott und wird nach der ganzen Bibel keine Aussicht haben, nach dem Tode noch das Heil zu erlangen. „Denn so wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein anderes Opfer mehr für unsere Sünden, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widersacher verzehren wird . . . Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Hebr. 10, 26-27. 31

g) Können wir im Himmel glücklich sein, wenn wir an die Verdammten in der Hölle denken ?
Viele sind davon überzeugt, daß sie im Himmel keine Ruhe haben könnten, wenn sie dort nicht alle wiederfänden, die sie auf Erden geliebt haben.
Zu dieser ernsten Frage möchten wir wieder die Antwort der Heiligen Schrift anführen.
1. Wir werden im Himmel auf dieselbe Weise glücklich sein wie der Herr selbst. Paulus nennt Gott „selig“ trotz aller furchtbaren Wirklichkeit der Sünde, des Todes und der Verdammnis. 1. Tim. 6, 15.
Denken wir genug an die furchtbare Macht des Todes? Jedes Jahr sterben ungefähr fünfzig Millionen Menschen und jeden Tag mehr als zehntausend. Wenn es den Tod gibt, kann es auch eine Hölle geben. Wenn Gott den Tod zuläßt und das Gericht anordnet, so müssen die mit Seiner Gegenwart Begnadeten sie auch gutheißen.
2. Gott versichert andererseits feierlich, daß Er alle Tränen von unseren Augen abwischen wird. Offb. 21, 4. Jeder Kummer und jede Sorge werden aus unseren Herzen verbannt sein.
3. Es scheint gewiß, daß in der anderen Welt die Auserwählten und die Verdammten nichts Gemeinsames mehr haben. Schon hier auf Erden werden die wiedergeborenen Gläubigen Kinder Gottes und haben teil an der göttlichen Natur. Bald werden sie sogar dem Herrn gleich sein. . . .
4. Wenn wir im Himmel Gott auf vollkommene und ausschließliche Weise lieben, wie können wir dann noch denen zugetan sein, die bis zum Schluß Seine Feinde bleiben wollten? Das Wort Jesu wird dann ein letztes Mal erfüllt werden: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn Mich, der ist Mein nicht wert.“ Matth. 10, 37. Wenn die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Verdammten sich nicht miteinander vertragen werden, muß die letztere aufhören. . . .
5. Abschluß.
Eine wenn auch nur kurze Betrachtung aller Bibelstellen, die sich mit der Hölle befassen, drückt uns nieder. Wir sind nach diesen Texten gezwungen, zuzugeben, daß die ewige Qual eine schreckliche Wirklichkeit ist. Aber wir behaupten nicht, daß wir all die ernsten Fragen entscheiden können, die solch eine furchtbare Behauptung nach sich zieht. Wir glauben jedoch, noch folgendes hinzufügen zu können:
a) Gott wird uns später verstehen lehren, was uns jetzt noch in Seinen Gerichten unverständlich ist.
Es ist tatsächlich auf Erden unmöglich, Gott immer wahrhaft zu verstehen: „Soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch Meine Wege höher denn eure Wege und Meine Gedanken denn eure Gedanken.“ Jes. 55, 9.
Ich vermag Gott, den Schöpfer, nicht zu verstehen: Seine Werke sind unendlich, und mein Auge kann sie kaum fassen, geschweige mein Verstand sie erklären. Ich vermag auch Gott, den Heiland, nicht zu verstehen: Wie unfaßbar ist Seine Liebe und wie unvorstellbar Seine Barmherzigkeit
Wie könnte ich dann den höchsten Richter verstehen! Wie sagt Paulus? „Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unerforschlich Seine Wege!“ Röm. 11, 33.
Einst wird jedoch der Augenblick kommen, da wir erkennen, gleich wie wir erkannt sind. 1. Kor. 13, 12. Dann wird das, was uns im Plane Gottes noch unverständlich erscheint, uns vollkommen erklärt werden.
Alles, was Gott tut, entspricht vollkommen Seiner unbedingten Heiligkeit, Gerechtigkeit und Liebe. „Recht muß doch Recht bleiben, und dem werden alle frommen Herzen zufallen.“ Psalm 94, 15. . . .
Wir bewundern vielmehr die große Geduld, womit Gott „die Gefäße des Zorns“ getragen hat. Und wir preisen Ihn, daß Er kundtat den „Reichtum Seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die Er bereitet hat zur Herrlichkeit“. Röm. 9, 22-23 .
Auf der Erde sind wir noch inmitten der Sünde und in Gemeinschaft mit denen, die Böses tun. Es macht uns viel Mühe, die Strenge Gottes gutzuheißen. Aber Johannes zeigt uns, daß im Himmel alle Geschöpfe den Herrn um Seiner großen Gerichte willen loben und sie sogar von Ihm fordern: „Herr, Du bist gerecht, der da ist, und der da war, und heilig, daß Du solches geurteilt hast . . . Ja, Herr, allmächtiger Gott, Deine Gerichte sind wahrhaftig und gerecht . . . .“ Offb. 16, 5-7. 19, 1-3.
b) Inzwischen brauchen wir uns nicht um unsere Toten zu beunruhigen, denn Gott allein weiß, wo sie sind.
Es ist selbstverständlich, daß im allgemeinen ein wahrer Gläubiger seinen Brüdern bekannt ist. Sein Leben und seine Worte sollen von seinem Glauben ein klares Zeugnis ablegen. Die ihn nach seinem Scheiden beweinen, haben wenigstens den Trost, ihn beim Herrn zu wissen. Aber der äußere Schein trügt zuweilen, und wahrscheinlich werden wir im Himmel Überraschungen in dieser Hinsicht erleben. Einer, den wir bestimmt dort oben anzutreffen glaubten, wird nicht da sein. Einem anderen, den wir niemals dort zu treffen dachten, werden wir dort begegnen. Ein Augenblick genügt, um zu glauben, und wir wissen nicht, was sich im letzten Augenblick zwischen einer Seele und Gott ereignen kann. Der Vater eines meiner Freunde, ein angesehener Prediger, hat einen ungläubigen Seemann sehr gut gekannt, der eines Tages ins Meer stürzte. Als er sich verloren sah, warf er sich in die Arme des Heilands. Er wurde bewußtlos aus dem Wasser gezogen. Als er wieder zu sich kam, bekannte er, daß er sich wirklich bekehrt hatte. Wenn er nun im Wasser geblieben wäre, wie viele hätten ihn dann nicht schon in der Hölle gesehen! Wir wollen nicht versuchen, den Schleier zu heben, der unsere Abgeschiedenen verhüllt. Gott liebt sie mehr als wir, und Er weiß, wo sie sind, denn Er kennt die Seinen. 2. Tim. 2, 19. Wir wollen Seiner Gerechtigkeit und Seiner Barmherzigkeit vertrauen und indessen des großen Tages harren, der uns alles offenbaren wird.
So allein wird unsere Seele Ruhe finden. Überdies ändert unsere Sorge um unsere Verstorbenen nichts an ihrem Los. Wir wollen nicht die Kühnheit haben wie jene Dame, die uns eines Tages sagte: „Mein Mann ist ungläubig gestorben, wenn er nicht im Himmel sein soll, will ich auch nicht hineinkommen.“ Wenn man so etwas sagt, beleidigt man Gott und zieht Ihm das Geschöpf vor. Vielleicht ist man damit auch in einem großen Irrtum befangen. Was würde diese Dame sagen, wenn sich nun ihr Mann ohne ihr Wissen bekehrt hätte und sie allein in die Hölle gehen müßte? Dieser Mann könnte ja auch wie der reiche Mann des Gleichnisses denken und sich darum sorgen, daß die Seinen auch zu ihm in die Hölle kommen müßten. Luk.16, 27-28.
Hierbei dürfen wir aber nicht denken, daß es uns gewiß auch noch möglich sein würde, uns im letzten Augenblick zu bekehren. Der Tod kann uns wie ein Blitzstrahl treffen, und die Bibel berichtet mehrmals von Menschen, die ihr Herz derart verhärtet hatten, daß sie vor ihrem Tod sogar nicht mehr glauben konnten. Matth. 13,13; Joh. 12, 39-40. Wir wollen den Tag des Heils nicht versäumen. Wir wollen schließlich noch anführen, was der große Geschichtslehrer Guizot über seine geliebten Abgeschiedenen geschrieben hat: „Ich habe mich lange bemüht, zu ergründen, wo sie sind. Ich erntete bei diesem Suchen nur Finsternis und Angst . . . Seit ich mich in dem Glauben an Gott barg, seit ich zu Seinen Füßen die Anmaßungen meines Verstandes und selbst das verfrühte Streben meiner Seele niederwarf, ziehe ich in Frieden weiter, wenn es auch Nacht um mich ist. Ich habe Gewißheit erlangt, indem ich mir an meiner Unwissenheit genügen ließ. . . .
d) Die Leugnung der ewigen Hölle ist der erste Schritt zum Unglauben und zur religiösen Untreue.
Trotz der gewichtigen Aussagen der Heiligen Schrift glaubt eine sehr große Menge sogenannter Christen im Grunde nicht mehr an die Hölle. Zu allen Zeiten hat der Teufel mit Fleiß die Behauptung verbreitet, daß es keine Hölle gibt. Gott hatte Adam und Eva ernst gewarnt, aber die Schlange hat ihnen frech gesagt: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben . . . eure Augen werden aufgetan . . . ihr werdet sein wie Gott.“ 1.Mose 3, 4-5.
Dieselbe Widerrede hat sie auch heute noch für die Menschen unserer Zeit. Unsere Zeitgenossen finden es viel bequemer, nicht an Gottes Strenge zu glauben. Man gibt an – wie wir gesehen haben -, daß die Gottlosen vernichtet werden (genau das, was sie wünschen), oder daß sie später alle gerettet werden. Dies erscheint uns als der erste Schritt zum religiösen Liberalismus. Man geht dann mit seinen Vernunftschlüssen noch weiter: Da es keine Hölle gibt, brauchen wir auch keinen göttlichen Erlöser, der uns davor rettet. Jesus kann nur ein einfacher Mensch, Josephs Sohn, gewesen sein, der wohl genügt hat, um uns den guten Weg zu zeigen, der uns zum Heil des Menschen für den Menschen führt . . . Brauchen wir überhaupt noch ein Heil, wenn es doch keine Verdammnis gibt? Soll man die Bibel, die solch veraltete Dinge lehrt, denn wörtlich nehmen?
Die „moderne Weisheit“ weiß besser als sie, wie es im Jenseits sein wird. Und darum suchen diese Leugner der ewigen Pein vor allem außerbiblische Beweise, die sich auf Verstand und Gefühl berufen: „Der Gott der Liebe sollte . . . Er sollte nicht . . . Seine Herrlichkeit wäre größer, wenn . . . an Seiner Stelle würden wir gerne vergeben . . . die Sünde ist nicht so groß . . . die Prüfungszeit auf Erden ist so kurz im Vergleich zu der ewigen Zeit der Qual . . . darum kann es keine Hölle geben, es muß eine Möglichkeit geben, nach dem Tode gerettet zu werden.“ Wir haben diese Reden schon bis zum Überdruß gehört.
Es ist besonders bemerkenswert, daß die Annahme der Lehre von der Verdammnis, wie die Bibel sie lehrt, einer der Prüfsteine des wahren Glaubens ist. Wenn sie fehlt, sind die anderen Lehren unmerklich erschüttert und das ganze Gebäude wankt. Für uns Gläubige gibt es meiner Ansicht nach nur eine Frage: Wenn die Lehre von der Hölle uns auch nicht zusagt, wird sie in der Bibel gelehrt oder nicht?

Wir haben die Antwort darauf in einer eindrucksvollen Anzahl von Bibeltexten gefunden. Und da Gott uns in Seinem Wort dies so eindringlich offenbart hat, müssen wir uns ohne Vorbehalt darunter beugen.

e) Die Wirklichkeit der ewigen Verdammnis ist einer der zwingendsten Beweggründe zu predigen.
Wenn es keine Verdammnis gibt, wenn eines Tages alle Ungläubigen – selbst der Teufel – gerettet werden sollen, warum sollen wir uns dann soviel Mühe geben, sie schon vorher zu bekehren? Wenn alle Seelen doch einmal zu ihrem Heil gelangen müssen, so lassen wir sie doch tun, was sie wollen! Alles wird schon gut werden. Aber wenn ihnen wirklich die ewige Hölle droht, dann dürfen wir uns keine Ruhe gönnen. Wir wollen unserem Herrn nacheifern, der den Abgrund kannte, der uns verschlingen wollte, und der herniederstieg, um uns ihm zu entreißen.
Setzen wir uns selbst ein, predigen wir, ermahnen wir zur Zeit und zur Unzeit, flehen wir die Sünder an, sich zu bekehren, beten wir Tag und Nacht dafür, daß eine größere Zahl von Seelen gerettet werde!
Wenn wir an die Verdammnis glauben, machen wir uns strafbar, falls wir in unserem bequemen Sessel sitzenbleiben. Wir wollen Paulus nachfolgen, der sagte: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte . . . Ich habe große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlaß in meinem Herzen. . .“ 1. Kor. 9,16; Röm. 9, 2-3.
Treten wir in die Fußtapfen der großen Vorkämpfer wie Taylor, Coillard, Carey und vieler anderer, die der Ruf all der Millionen, die in die ewige Verdammnis gehen, immer weiter vorwärts trieb! Dann werden wir an dem großen Tag nicht allein vor Gott treten!

f) Sind wir ganz gewiß, der Hölle zu entgehen ?
Um verlorenzugehen, braucht der Mensch nichts zu tun: Er ist ein Sünder, ist durch das Gesetz Gottes verdammt, er braucht nur so zu bleiben, wie er ist, um sogleich in die Hölle zu gehen. Dafür ist es nicht nötig – wie man landläufig sagt – „gemordet oder gestohlen“ zu haben. . . .
„Da ist nicht einer, der gerecht sei, auch nicht einer . . . Es ist hier kein Unterschied: Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ Röm. 3, 10. 23.
Wir müssen an Christus glauben und Ihn von ganzem Herzen annehmen, sonst bleiben wir in der Verdammnis. In diesem Falle geht der Mensch nicht durch seine Sünden verloren, sondern durch seine Ablehnung des Heils, durch seinen Unglauben. Darum sind auf der Liste derer, die in die Hölle kommen, die Verzagten und die Ungläubigen an der Spitze. Die Verzagten, die niemals den Mut gehabt haben, sich für Christus zu entscheiden und Seine Schmach zu tragen. Dazu die Ungläubigen, die sich freiwillig vom Heil ausschließen und somit die unverzeihliche Sünde begehen.
Und dennoch ist es leicht, mit Gottes Hilfe der Hölle zu entgehen. Christus hat alles am Kreuz vollbracht, und Er bittet uns nur, Seine Gnade anzunehmen.
„Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Offb. 22, 17.
Ihr habt keine Aussicht, in der anderen Welt noch das Heil zu erlangen. Ergreifet endlich die Gnade! Nehmt das Heil durch den Glauben an!
„Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben – und das nicht durch euch: Gottes Gabe ist es.“ Eph. 2, 8. . . .
Sobald ihr durch den Glauben die herrliche Heilsgewißheit erlangt habt, wird euch Gott die Aufgabe anvertrauen, andere zu warnen und zu retten:
„Wer den Sünder bekehrt hat von dem Irrtum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen und wird bedecken die Menge der Sünden.“ Jak. 5, 20.
„Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Joh. 3, 16.

S E C H S T E R   T E I L

Der Himmel

Es ist schwieriger, über den Himmel als über jedes andere Gebiet zu sprechen. Vor allem sind es himmlische Dinge, „die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat.“ 1. Kor. 2, 9. Als Paulus in das Paradies entrückt war, hörte er dort „unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann!“ 2. Kor. 12, 4. Hier auf Erden kann kein Mensch leben, der Gott sieht. 2. Mose 33, 20. Darum dürfen wir nicht überrascht sein, wenn die Bibel, um uns den Himmel zu beschreiben, sich auf Bilder und Ausdrücke unserer menschlichen Sprache beschränkt, während wir die Herrlichkeit der himmlischen Dinge nur ahnen können.
Wenn wir uns jedoch einfach von der Bibel führen lassen, werden wir trotzdem staunend überwältigt und erbaut werden von dem, was uns der Herr schon jetzt offenbaren will.

1. Wie wird der Himmel beschrieben ?
Wir wollen einmal sehen, welche Ausdrücke die Heilige Schrift gebraucht, um uns verständlich zu machen, was einst sein wird.
a) Der neue Himmel und die neue Erde.
Ein ganz neuer Aufenthaltsort ist für uns bestimmt. Der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen . . . und Gott macht alles neu. Offb. 21, 1.5. 
Das ist die große Wiederbringung aller Dinge, die schon die Propheten angekündigt haben und worauf Petrus anspielt. Jes. 65, 17; Apg. 3, 21. Die Erde ist schon während des Tausendjährigen Reiches teilweise erneuert worden, aber sie wird jetzt ebenso wie der Himmel zerstört, auf daß jede Spur der früheren Empörung verschwindet.
“Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach Seiner Verheißung, in welcher Gerechtigkeit wohnt.“ 2. Petr. 3, 1 3 .
Es wird uns gesagt, daß bei der Erschaffung der Welt „die Morgensterne miteinander lobten und alle Kinder Gottes (ohne Zweifel die Engel) jauchzten“. Hiob 38, 7. Danach ist diese Freude durch den Sündenfall und den Fluch der Sünde verdunkelt worden, indessen die ganze Schöpfung seufzt und in Kindesnöten leidet.
Wenn endlich der neue Himmel und die neue Erde erscheinen werden, wird das ganze Weltall von Lobgesängen widerhallen. Die Myriaden, die Tausende und Abertausende, die um den himmlischen Thron stehen, haben schon dem Gott der Schöpfung, der Erlösung und des Gerichts gesungen. Offb. 4,11; Hallelujas erschallen bei der Hochzeit des Lammes. Offb. 19, 6-7. Sie werden ertönen, wenn alles neu geworden ist und aus dem Himmel von Gott das neue Jerusalem herniederfahren wird, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne. Offb. 21, 1-2.
b) Das neue Jerusalem.
Jerusalem bedeutete für die Israeliten die Wohnung des Herrn und der Ort der größten Segnungen. Wir jedoch werden das Vorrecht haben, in das himmlische Jerusalem einzuziehen, in die Stadt des lebendigen Gottes, die Gott uns zubereitet hat.Hebr.12, 22; 11,16. Johannes hat uns eine Beschreibung dieser Stadt in einer bildlichen Sprache gegeben, die auch dem Einfachsten verständlich sein soll.
Der Baumeister und Schöpfer dieser Stadt ist Gott selbst. Hebr. 11,10. 
Das Baumaterial dieser Stadt ist reines Gold, Perlen, köstliche Steine in allen Farben, die Sinnbilder unzerstörbarer Schönheit und unerschöpflichen Reichtums. Es ist überraschend, daß wir mit diesen selben Baustoffen nach Paulus auch unser Leben hier auf Erden bauen sollen, denn sie allein bleiben im Feuer des Gerichts bestehen. 1. Kor. 3, 12-14.
Eine siebzig Meter hohe Mauer aus Jaspis umgibt die Stadt. Sie bedeutet ihre vollkommene Sicherheit, aber auch die Trennung von allem, was unwürdig ist einzutreten. „Ich will, spricht der Herr, eine feurige Mauer umher sein und will Mich herrlich erzeigen.“ Sach. 2, 9. Die zwölf Grundsteine der Mauer, die die Namen der zwölf Apostel tragen bürgen für ihre Festigkeit. Offb. 21,14. Das gemahnt uns an das Wort des Apostels Paulus: Ihr seid „erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist.“ Eph. 2, 20. . . .
. . . Eine so ungeheuer große Stadt kann nicht von dieser Welt sein. Sie ist weit genug, um alle Geschlechter aller Zeiten zu fassen.
Sie hat zwölf Tore, drei an jeder Seite. Sie bedeuten, daß die Stadt allen, die aus allen Himmelsrichtungen zu ihr kommen, weit geöffnet ist. Auf den Toren sind die Namen der zwölf Geschlechter Israels geschrieben. Johannes zeigt damit, daß das „Heil von den Juden“ kommt und – andererseits, daß der Himmel den Gläubigen des Alten und des Neuen Bundes offen ist. . . . Unter den Dienern Gottes, die Johannes nach Offenbarung 7 sieht, sind hundertvierundvierzigtausend aus den zwölf Stämmen Israels und die unzählbare Menge, die aus allen Völkern kommt. Jedes Tor ist aus einer einzigen Perle gemacht, dem Sinnbild der Einheit, der Reinheit, der Schönheit und Kostbarkeit. 21, 21. . . . Die Straßen der Stadt sind auch aus lauterem Gold, . . . und alles ist dort wie durchscheinend Glas. . . .
Hier gibt es keinen Tempel, vielmehr ist die Stadt selber zum Heiligtum geworden:
„Der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, und das Lamm.“ Vers 22. . . .
Wer sind die Bewohner dieser himmlischen Stadt? Nur die geschrieben sind in dem Lebensbuch des Lammes. 21, 27.
Das neue Jerusalem wird erleuchtet von der Herrlichkeit und der Gegenwart Gottes. „Die Stadt bedarf keiner Sonne, … denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm. Und die Heiden, die da selig werden, wandeln in ihrem Licht . . . Und wird keine Nacht da sein… Offb. 21, 23. . . .
Die Juden liebten – und lieben noch heute – ausschließlich das irdische Jerusalem. Sie beteuerten in ihrer Gefangenschaft: „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wo ich dein nicht gedenke…“ Psalm 137, 5-6.

Sollten wir als Bürger einer unvergleichlich herrlicheren Stadt sie nicht noch viel mehr ersehnen und lieben? Um ihr heiligendes Bild ständig vor Augen zu haben, wollen wir wie Johannes auf den Berg des Glaubens steigen. Offb. 21, 10. Wir wollen wie die Patriarchen auf die feste Stadt warten, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Wie der Christ in Bunyans berühmter „Pilgerreise“ wollen wir unser ganzes Leben lang zu der herrlichen Stadt hin pilgern. Hebr.11,10.16.

c) Das Paradies.
Das irdische Eden, der Aufenthaltsort der sündlosen Menschen, die noch in unmittelbarer Verbindung mit Gott lebten, ist das Vorbild der himmlischen Seligkeit geblieben. Schon die Juden nannten Paradies – oder Abrahams Schoß – den Ort, der die gläubigen Toten bis zur Auferweckung durch Christus aufnehmen sollte. Luk. 23, 43; 16, 22.

Aber die Heilige Schrift nennt vor allem den Himmel Paradies, den Ort, wo Gott uns erwartet. Dorthin ist Paulus versetzt worden, 2. Kor. 12, 4, als er „entrückt“ war. Und Christus hat uns das Versprechen gegeben: „Wer überwindet, dem will Ich zu essen geben von dem Baume des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ Offb. 2, 7. Wir wollen die bemerkenswerte Gegenüberstellung betrachten, die die Bibel 1. Mose 2 und Offb. 22, 1-5 macht, und ermessen, welch großer Unterschied zwischen Eden und dem himmlischen Paradiese besteht.
Der Strom des lebendigen Wassers geht nicht einfach von Eden aus, sondern von dem Thron Gottes und des Lammes. 22, 1. Hesekiel hatte schon gesehen, wie das lebendige Wasser vom Altar des Tempels aus floß und überall auf seinem Lauf das Leben brachte. Hesek. 47, 1.9.
Der Baum des Lebens steht „mitten auf ihrer Gasse auf beiden Seiten des Stroms“ . Offb. 22, 2. Er genügt, um das Leben aller Auserwählten zu erhalten. Er bringt seine Früchte alle Monate. Sie sind ein Zeichen der ständig erneuerten Fruchtbarkeit und Frische. Auf Erden muß man von der Blüte bis zur Reife warten, vom Versprechen bis zur Erfüllung. Hier ist die göttliche Speise immer bereit, und die Blätter des Baumes genügen, um eine beständige Gesundheit zu erhalten.
„Wer überwindet, dem will Ich zu essen geben vom Baume des Lebens, der im Paradies Gottes ist . . . Selig sind, die ein Anrecht an dem Baum des Lebens erlangen.“ Offb. 2, 7.17; 22,14. Bemerkenswert ist auch, daß der „Weg zum Baum des Lebens“ wieder vollkommen frei ist. Nach dem Sündenfall bewahrten die Cherubim mit dem Schwert den Weg zu dem Baum des Lebens. 1. Mose 3, 24. Im Himmel gibt es weder Verbanntes noch Verbotenes für die Auserwählten.
Was stellt eigentlich dieser Baum des Lebens dar? Wir könnten wohl sagen: Es ist der HERR selber, der schon in der Bibel durch das Manna, den Felsen Horeb, das lebendige Wasser, das Osterlamm usw. sinnbildlich dargestellt war.
Das ewige Leben, das unsere Seelen nährt, ist der Herr selber. Offb. 2, 7. „Wer Mich isset, der wird auch leben um Meinetwillen.“ Joh. 6, 57.
„Das ist aber das ewige Leben, daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und Den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Joh. 17, 3.
Das Leben von Gott wird für uns im Paradies Speise und Trank sein, das Manna und das lebendige Wasser, der Baum und der Strom, wie hier auf Erden das Brot und der Wein, Fleisch und Blut des Abendmahls. Was könnten wir mehr wünschen?
Zwischen irdischem und himmlischem Paradies läßt sich ein interessanter Vergleich ziehen. Wir entnehmen darüber einige Ideen aus dem beachtenswerten Buch von Erich Sauer: Der Triumph des Gekreuzigten, Seite 222:


„Das letzte Blatt der Bibel entspricht dem ersten. Mit dem Paradies fängt die Heilige Schrift an, mit dem Paradies endet sie auch. Aber der Abschluß ist größer als der Anfang. Das Omega ist gewaltiger als das Alpha. Das zukünftige Paradies ist nicht nur das verlorene und wiedergefundene, sondern vor allem das himmlische und ewig verklärte.“ (Anmerkung von Horst Koch: Dies Buch meines Lieblingstheologen E. Sauer ist auf meiner HP)


d) ,.Die Hütte Gottes bei den Menschen.” Offb. 21. 3
Im Alten Testament ließ Gott die Stiftshütte errichten, um Seine Gegenwart inmitten des Volkes kundzutun. Er hatte Mose ausdrücklich damit beauftragt, sie „nach dem Vorbild“ zu erbauen, das Er ihm auf dem Berge Sinai gezeigt hatte. 2. Mose 25, 8-9. 26.30.
Der Hebräerbrief sagt dazu, daß die Stiftshütte und ihr Gottesdienst „dienen dem Vorbilde und dem Schatten des Himmlischen“. Im Himmel befindet sich „die wahrhaftige Hütte . . . eine größere und vollkommnere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist.“ Hebr. 8,2. Sie ist die Wohnung Gottes.
Sogleich nach Seinem Kreuzestod ist Jesus „durch Sein eigen Blut einmal in das Heilige eingegangen vor das Angesicht Gottes“. (Er ist nicht 1844 wiedergekommen, „um das Heiligtum zu reinigen“, Hebr. 9, 12, wie die Adventisten vorgeben) Dort lebt nun unser Hoherpriester immerdar und bittet für uns. Als Bild Seines auf Golgatha geopferten Fleisches ist der Vorhang, der den Zugang zum Allerheiligsten versperrte, zerrissen worden. Hebr. 10, 19. Darum können wir nun mit Freudigkeit durch den Glauben zu dem Thron Gottes hinzutreten und darauf warten, daß Jesus wieder erscheinen wird und uns endgültig in die Wohnung des großen Königs führt. Hebr. 4, 14.
Der Herr selbst erwähnt „die ewigen Hütten“, in die wir aufgenommen werden sollen. Es ist von Anfang an der Wunsch des Herrn gewesen, inmitten der Menschen zu wohnen und in inniger Verbindung mit ihnen zu bleiben. Nach dem wiederholten Mißlingen des irdischen Paradieses und der ersten Stiftshütte ward „das Wort (Jesus) Fleisch und wohnte unter uns . . . Joh. 1, 14. Christus hat Immanuel – Gott mit uns – sein wollen, um durch den Heiligen Geist die göttliche Gegenwart in uns wohnen lassen zu können. Der Leib des Gläubigen wird Sein Tempel, und die Gemeinde selbst wird eine „Behausung Gottes im Geist“. 1. Kor. 6, 19; Eph. 2, 22.
Auf der ganzen Linie wird sich der Plan Gottes wunderbar verwirklichen. . . . welches die größte Segnung des Tausendjährigen Reiches sein wird, die sich vollkommen und ewig im Himmel fortsetzt: „Johannes ruft aus: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“ Offb. 21. 3. . . .
Jesus selber sagt in der Offenbarung: „Wer überwindet, den will Ich machen zum Pfeiler in dem Tempel Meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen.“ Offb. 3, 12.

e) Das himmlische Vaterland.
Die Patriarchen sind Fremdlinge und Pilger auf Erden gewesen. Abraham und die Seinen verlassen Ur, dann Haran. Nach einem kurzen Aufenthalt in Palästina lernen seine Nachkommen die lange Dienstbarkeit in Ägypten kennen. Nachdem ihnen Gott auf dem Sinai begegnet ist, bleiben sie noch vierzig Jahre in der Wüste, ehe sie endlich das verheißene Land einnehmen. Der Hebräerbrief sagt von ihnen: „Alle sind gestorben im Glauben und haben die Verheißungen nicht empfangen, sondern sie von ferne gesehen und sich ihrer getröstet . .. sie geben zu verstehen, daß sie ein Vaterland suchen. . . . Nun aber begehren sie eines besseren, nämlich eines himmlischen.“ Hebr. 11, 13-16. Wie die Patriarchen sind wir „Fremdlinge und Pilgrime“. 1. Petr. 2,11.


f) Der Berg Zion.
Der Hebräerbrief vergleicht zwei Berge miteinander: den Berg Sinai und den Berg Zion. Hebr. 12, 18-24.
Der Sinai offenbarte den furchtbaren Gott des Gesetzes, der von dem Dunkel, der Finsternis und dem Ungewitter des Gerichts umgeben war. Das Volk und sogar Mose waren sehr erschrocken, und die Tiere, die den Berg anrührten, sollten gesteinigt werden.
„Aber ihr“ – so sagt der Text weiter – „seid gekommen zu dem Berge Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge vieler tausend Engel und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des Neuen Testaments, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet denn das Abels.“ Hebr. 12, 22-24.
Dieses Wunder ist für uns durch das Blut des Kreuzes vollbracht worden: Wir kommen jetzt zu dem Berg der Gnade, ohne noch vor dem Richter zu zittern, den wir erzürnt hatten. Dort treten wir in die Gemeinschaft der vielen tausend Engel und aller vom Herrn Erlösten ein, die die „Erstgeborenen“ der Menschheit sind. Offb. 14, 1. Jak. 1,18 . Dort werden wir uns mit den Geistern der vollendeten Gerechten vereinen und vollkommen werden wie sie. Jeder von uns wird bald vor dem Herrn erscheinen.
Wollen wir uns nicht alle entschließen, dem Gott der Gnade auf dem Berge Zion zu begegnen, anstatt dem Gott des Gerichts auf dem Sinai?

g) Der Himmel – oder die Himmel.
Im Gegensatz zur Erde ist der Himmel der Ort der Herrlichkeit, wo Gott wohnt und Sein Wille vollkommen erfüllt wird. Jesus ist vom Himmel herniedergekommen und wieder dorthin zurückgekehrt. Von dort wird Er am herrlichen Tage Seiner Wiederkunft wieder herniederkommen. 1. Thess. 4, 16.
Dort erwartet uns auch unser ewiger Bau anstelle der zerbrechlichen irdischen Hütte. Und unsere Namen sind im Himmel angeschrieben. . . .
Augenscheinlich hat das Wort „Himmel“ in der Heiligen Schrift verschiedene Bedeutungen. Die Juden unterschieden drei Arten:
1. Den Himmel der Lufthülle über unseren Häuptern, wo die Wolken ziehen und die Vögel fliegen. Es ist die Rede von dem Regen vom Himmel. 5. Mose 11,11, den Vögeln unter dem Himmel usw.
2. Den Sternenhimmel, das Firmament, dessen Unendlichkeit unsere Augen nicht ergründen können. 1. Mose 15,5. Aber so weit er auch ist, der „Himmel und aller Himmel Himmel können Gott nicht fassen“. 1. Kön. 8, 27. Es gibt also
3. den dritten Himmel, der die Gegenwart Gottes selber ist. Dort hin wurde Paulus entrückt und hörte unaussprechliche Worte. Dieser Himmel öffnete sich vor den Augen des sterbenden Stephanus und ließ ihn die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes sehen. Apg. 7, 55-56.
Bald werden wir alle wie die Engel Gottes im Himmel sein, da wir Kinder der Auferstehung sind. Matth. 22, 30.

h) Das himmlische Reich. Wenn unser Glaube aufrichtig ist, können wir mit Paulus sprechen: „Der Herr aber wird mich erlösen von allem Übel und mir aushelfen zu Seinem himmlischen Reich.“ 2. Tim. 4,18. Dort werden wir im Reiche Gottes zu Tisch sitzen, denn es ist unsres Vaters Wohlgefallen, Seiner kleinen Herde das Reich zu geben. . . .

i) Droben. „Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.“ Kol. 3, 2. Jesus sagt zu den Juden: „Wo Ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen . . . Ihr seid von untenher, Ich bin von obenher, ihr seid von dieser Welt, Ich bin nicht von dieser Welt.“ Joh. 8, 21.23. Diese Sprache ist sehr klar. Wir kennen sehr viele niederdrückende und häßliche Dinge, die uns so leicht nach unten ziehen, ja sogar bis in den Abgrund. Wir wollen uns alle dem zuwenden, das uns einen Aufschwung nach oben gibt, zum Himmel hin.

k) Das Vaterhaus. „In Meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, so wollte Ich es euch sagen. Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten . . . Ich will wiederkommen und euch zu Mir nehmen.“ Joh. 14, 2.
Welch herrliches Wort!
Der Himmel ist für uns nicht ein riesiger Palast eines fernen Gottes, worin wir uns wie verloren vorkämen. Er ist das Haus unseres Vaters in Jesu Christo, das Heim, wo Seine Liebe und Seine Fürsorge uns umhegen will. – Was können diese „vielen Wohnungen“ bedeuten?
Im Hause des Vaters ist Raum geschaffen, der nicht nur die gläubigen Israeliten und die ersten Jünger aufnehmen soll, sondern auch alle Heiden, die durch das Evangelium gewonnen werden. Den Juden fiel es sehr schwer, diese Wahrheit anzunehmen. Darum betont sie Jesus mit den Worten:
„Ich habe auch noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle, und dieselben muß Ich herführen . . . und wird eine Herde und ein Hirte werden.“ Joh. 10, 16. . . .
m) Vor dem Thron. Der Himmel ist vor allem der Ort, wo Gott regiert, von wo aus Er das Weltall lenkt. In den Gesichten der Propeten sitzt der Herr auf Seinem Thron. „Ich sah den Herrn sitzen auf Seinem Stuhl und alles himmlische Heer neben Ihm stehen zu Seiner Rechten und Linken.“ 1. Kön. 22,19.
„Ich sah den Herrn sitzen auf einem erhabenen Stuhl . . . Seraphim standen über Ihm . . . und einer rief zum andern: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind Seiner Ehre voll.“ Jes. 6, 1-3.
Inmitten der Erschütterungen der Offenbarung zeigt uns Johannes immer wieder den unerschütterlichen Thron Gottes. . . . Alle Anbetung und alle Gebete des Himmels laufen zusammen auf den Thron hin. Von ihm gehen die Gerichte, die Befehle, das Leben aus. . . .

n) Bei dem Herrn.
„Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein, was auch viel besser wäre.“ Phil. 1, 23.
Schon Jesus hatte zu dem Schächer am Kreuz sagen können, als er mit Ihm zu dem Ort der Seligen hinabstieg:
„Heute wirst du mit Mir im Paradiese sein.“ . . .


2. Gott im Himmel.
Wir sagten: Der Himmel ist die Gegenwart Gottes. Dort mehr als irgendwo anders nimmt Er den ersten Platz ein. . . .
Gott Vater wird uns oft als Beherrscher des Weltalls gezeigt.
„Der Herr hat Seinen Stuhl im Himmel bereitet, und Sein Reich herrscht über alles.” Psalm 103, 19.
Paulus faßt in folgenden Worten einige Eigenschaften des Weltenherrschers zusammen:
der Selige und allein Gewaltige,
der König aller Könige und Herr aller Herren,
der allein Unsterblichkeit hat,
der da wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann,
welchen kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann,
Dem sei Ehre und ewiges Reich. Amen! 1. Tim. 6, 15-16.
Dieser große Gott, da niemand zukommen kann, will uns für immer in Seiner Gegenwart haben und mit uns Seine Herrschaft teilen. Jesus Christus teilt mit Seinem Vater vollkommen den ersten Platz im Himmel.
Der Prophet Hesekiel scheint schon den fleischgewordenen und dann verherrlichten Gottessohn gesehen zu haben, als er schreibt: „Über dem Himmel . . . war es gestaltet wie ein Saphir, gleichwie ein Stuhl; und auf dem Stuhl saß einer, gleichwie ein Mensch gestaltet. Und ich sah, und es war lichthell, und inwendig war es gestaltet wie ein Feuer um und um. Von Seinen Lenden überwärts und unterwärts sah ich’s wie Feuer glänzen um und um. Gleichwie der Regenbogen sieht in den Wolken, wenn es geregnet hat, also glänzte es um und um. Dies war das Ansehen der Herrlichkeit des Herrn. Und da ich’s gesehen hatte, fiel ich auf mein Angesicht . . . ” Hes. 1, 26-28. Wir sind nicht er staunt, daß der eingeborene Sohn an der Herrschaft über das Weltall teilhat, da Er nach so vielen Bibeltexten auch an der Schöpfung teilgenommen hat. Joh. 1,3; Kol. 1,16.
Die Offenbarung – die Offenbarung Jesu Christi – spricht uns viel von Seiner Rolle im Himmel. Sie zeigt Ihn uns auch immer wieder auf dem Thron: „Ich habe überwunden und Mich gesetzt mit Meinem Vater auf Seinen Stuhl.“
“Und ich sah, und siehe, mitten zwischen dem Stuhl und den vier Tieren und zwischen den Ältesten stand ein Lamm, wie wenn es erwürgt wäre, und hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande.“ (Das heißt, Er hat alle Gewalt, Allwissenheit und die Fülle der Gottheit.) Bis in die Herrlichkeit des ewigen Himmels ist Jesus um des Todes willen, den Er erlitten hat, erhoben und dort angebetet worden: ,,Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob . . . Dem, der auf dem Stuhle sitzt (Gott Vater) und dem Lamme sei Lob und Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit, . . .“ Offb. 6-14.
Christus ist um Seines Sühneopfers willen nicht allein in den Himmel erhoben worden, Er hat dort auch das Äußere Seiner verklärten Menschlichkeit behalten. Wenn von Seinem auferstandenen Leib die Rede ist, so haben wir im ersten Kapitel der Offenbarung gesehen, daß Johannes Ihn immer als eines Menschen Sohn schildert.

Welch ein Glück bedeutet es für die Erlösten, daß sie im Himmel von einem der ihren empfangen werden, von Ihm, der aus Liebe einer ihres Geschlechts werden wollte.
Wenn Christus all die Seinen in der Herrlichkeit des Himmels versammelt hat, hat Er Sein Erlösungswerk beendet. Er hatte Seinen Vater verlassen, um durch Seinen Tod der Empörung der Sünder ein Ende zu bereiten und an allen Orten das Reich Gottes aufzurichten. Nach der Bekehrung und der Auferstehung aller Auserwählten, nach der großen Wiedergutmachung des Tausendjährigen Reiches, den großen Gerichten und dem Sieg über alle Feinde, den Tod einbegriffen, wird „das Ende“ kommen, „wenn Er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn Er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt . . . “ 1. Kor. 15, 24.
Der Heilige Geist, der innig mit dem Vater und dem Sohne vereint ist, setzt mit ihnen Sein Werk in der Ewigkeit fort. Wir wollen vor allem unterstreichen, was Er für die Erlösten tut. Wenn wir hier auf Erden das Pfand des Geistes erhalten, Röm. 8, 23; 2. Kor. 1, 22, so bedeutet das, daß Er bei unserem Eintritt in den Himmel vollkommen von uns Besitz ergreifen wird. Dann werden wir durch den Heiligen Geist „erfüllt werden mit allerlei Gottesfülle.“ Eph. 3 ,19.
Wenn wir zusammenfassen und den Himmel mit einem Wort schildern wollen, so können wir aufs neue sagen, daß er die Gegenwart des Herrn ist.
Gott alles in allen.
Das Licht des Himmels wird das Angesicht Gottes und des Lammes sein,
die Freude des Himmels die Gegenwart des Herrn,
die Schönheit des Himmels die Vollkommenheit Gottes,
die Dauer des Himmels die Ewigkeit Gottes,
die Wärme des Himmels die Liebe Gottes,
die Harmonie des Himmels der Lobpreis des Herrn,
die Melodie des Himmels der Name Jesu,
das Thema des Himmels das Werk Jesu,
die Arbeit des Himmels der Dienst Jesu,
die Fülle des Himmels der unergründliche Gott in Person.

3. Charakteristik des Himmels.
In allen biblischen Beschreibungen des Himmels treten folgende Punkte klar hervor: Der Aufenthaltsort der Erlösten ist gekennzeichnet durch:
a) Die Herrlichkeit.
„Vater, Ich will, daß, wo Ich bin, auch die bei Mir seien, die Du Mir gegeben hast, daß sie Meine Herrlichkeit sehen.“ Joh. 17, 24. „Ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden.“ Röm. 8, 18. . . .
Als Jesus derart vor Seinen Jüngern verklärt wurde, wurden Seine Kleider „hell und sehr weiß wie der Schnee, daß sie kein Färber auf Erden kann so weiß machen“. Mark. 9, 3.
Paulus sagt: ,,Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild von einer Klarheit zu der andern, als vom Herrn, der der Geist ist.“ 2. Kor. 3,18. . . .
Kann es eine erhebendere Zukunftsaussicht geben?
b) Die Heiligkeit.
Gott sagt: “Ich wohne im Heiligtum.”  . . . “Jaget nach … der Heligung, ohne welche wqird niemand den HErrn sehen”. Hebr. 12, 14.  . . .
c) Die Schönheit.
Schon die Werke Gottes in der Schöpfung sind wunderbar. „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes . . . Wie herrlich ist Dein Name in allen Landen!“ . . .
Die himmlische Stadt strahlt von Schönheit, obwohl sie nur ein Widerschein ist. Denn der Glanz des Himmels kommt von der Schönheit Gottes, der Quelle aller Herrlichkeit. „Ich will reden von Deiner herrlichen Pracht und von Deinen Wundern.“ Psalm 145,5.
Diese Schönheit wird auch auf unsere Stirnen geprägt werden. Satan selbst war in Eden „von vollendeter Schönheit“, ein Siegel der Vollkommenheit. Hes. 28, 12. Adam und Eva waren, als sie aus der Hand des Schöpfers hervorgingen, vollkommen, schön, ohne Fehl. 1. Mose 1,31. Wenn die Gläubigen herrlich geworden sind, „ohne Flecken oder Runzel“, Eph. 5, 27, dürfen wir wohl annehmen, daß nicht nur ihr Geist zu solch moralischer Vollkommenheit gelangt ist, sondern auch ihr neuer Leib strahlend schön ist. Soll dieser Leib nicht unverweslich, herrlich und voller Kraft auferstehen? 1. Kor.15,43.

d) Die Unsterblichkeit. Gott allein „hat Unsterblichkeit.“ 1. Tim. 6, 16. Er rettet alle Gläubigen von dem zweiten Tod und verleiht ihnen das ewige Leben. Offb. 20,6. . . . Für die Bewohner des Himmels wird es keinen Schmerz und keine Trennung mehr geben. Sie sind von nun an nicht nur fern vom Tode, sondern auch außer der Zeit unter dem Zeichen der Ewigkeit.

e) Die Klarheit.
„Mache dich auf, werde licht! denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir . . . Und die Heiden . . . wandeln in ihrem Licht . . . da wird keine Nacht sein.“ Offb. 21,23-25.
Wie könnte es auch anders in der Wohnstätte Gottes sein, die Licht ist. . . . Im Vaterhause Dessen, der gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt.“ Am ersten Tage der irdischen Schöpfung hat Gott gesagt: „Es werde Licht!“ und es ward Licht. . . .
Alle diese Verkündigungen bedeuten zuerst einmal, daß im Himmel alles hell, rein und klar ist. Es kann und darf dort nichts im Dunkel verborgen werden. Aber andererseits wird auch nichts in der Finsternis der Unwissenheit bleiben. . . .
Dann wird es keine Fragen ohne Antwort, keine unlösbaren Rätsel mehr geben. Nichts mehr, wovor wir uns fürchten müssen, keine Unwissenheit, keinen Irrtum mehr! Endlich werden wir Den von Angesicht zu Angesicht sehen, der die Wahrheit selbst ist.

f. Die Einheit.
In Gott ist alles Harmonie und Einheit. Der Vater und der Sohn sind eins, und die Schöpfung bildet eine wunderbare Ordnung und Verbundenheit. Wenn die letzten Spuren der Empörung beseitigt sein werden, wird alles wieder in einer wunderbaren Harmonie sein. Die Schöpfung wird „frei werden vom Dienst des vergänglichen Wesens”. Röm. 8, 21. . . .
Es wird keine Sekten mehr geben. Die Schranken, die die wahren Gläubigen trennten, sind gefallen. Der Leib Christi zeigt sich endlich geeint. Aber warum kann das nur in der anderen Welt so sein?
Wenn wir die Ewigkeit miteinander verbringen sollen, ist es dann nicht dringend nötig, daß wir uns schon hier in der Zeit lieben, einander verstehen und daß die Welt hierfür Zeuge sei?

g) Die Vollkommenheit.
Seit dem Sündenfall ist alles hier auf Erden unvollkommen. Bald wird das Vollkommene kommen. 1. Kor. 13,10. „Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.“ Phil. 1, 6.
Nicht hier auf Erden erreichen wir diese Vollkommenheit, es bleibt immer noch etwas zu erreichen. Der Gedanke der Vollkommenheit schließt unseres Erachtens ein, daß sich unsere Persönlichkeit im Himmel voll entfalten darf. Auf Erden können nur wenige alle ihre Gaben zur Geltung bringen. . . . Augenblicklich sind wir erst Kinder, dann werden wir zur Reife und Fülle gelangen und werden „ein vollkommener Mann werden, der da sei im vollkommenen Maße des Alters Christi“. (Siehe Eph. 4, 13-14; Kol. 1, 28.)
Wir wollen noch eine oft gestellte Frage beantworten: Werden die ganz jung gestorbenen Kinder als Kinder im Himmel sein?
Kein Bibeltext erlaubt, das zu bejahen. Im Gegenteil. Wenn wir diese Erde verlassen, kann sich keiner von uns rühmen, schon die Vollkommenheit erlangt zu haben. Wir haben festgestellt, daß uns das, was zu unserer Vollkommenheit fehlt, durch die göttliche Gnade bei der Wiederkunft Christi gewährt werden wird. Dann werden wir Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist. . . . Dieses Wunder der vollkommenen leiblichen und geistlichen Reife wird für den Herrn kaum größer sein, ob es sich um einen jüngeren oder älteren Menschen handelt. Gott weiß vollkommen, was Er für einen Keim in Sein Geschöpf gelegt hat, und Er hat versprochen, Sein Werk zu vollenden zu dem Tage Jesu Christi. Phil. 1. 6. Sollten wir aus dem Schweigen der Heiligen Schrift falsche Schlüsse ziehen, so müssen wir doch bemerken, daß uns keine biblische Schilderung im Himmel spielende Kinder zeigt.

h) Die Liebe.
Wenn der Himmel die Gegenwart Gottes ist, so hat er auch alle Seine Vollkommenheiten. Vor allem wird er der Ort der vollkommenen Liebe sein. Die Weissagungen, die Sprachen, die Erkenntnis werden aufhören, aber die Liebe höret nimmer auf. 1. Kor.13. Gott selber ist die Liebe, und Er wird damit den ganzen Himmel erfüllen. . . .


i) Die Freude.
Schon hier auf Erden ist die Frucht des Geistes Liebe, Freude, Frieden. Um wieviel mehr wird sie es in der Gegenwart Gottes sein! Die Freude kennzeichnet den Gläubigen, und ein trauriger Gläubiger ist ein trauriger Christ. Darum lesen wir: ., Siehe, Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen . . . Sie werden sich ewiglich freuen und fröhlich sein über dem, was Ich schaffe. Denn siehe, Ich will Jerusalem schaffen … zur Freude. Und Ich will fröhlich sein über Jerusalem und Mich freuen über Mein Volk . . .“ Jes. 65, 17-19. . . .
„Jauchze, du Tochter Zion! Freue dich, und sei fröhlich von ganzem Herzen! . . . Denn der Herr hat deine Strafe abgewendet . . .“ Zeph. 3, 14-17.
„Solches rede Ich zu euch, auf daß Meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“ Joh. 15, 11.
Es ist nicht zuviel gesagt, wenn wir behaupten, daß die Freude das Klima des Himmels ist. Bei der Schöpfung lobten alle Morgensterne miteinander, und alle Kinder Gottes jauchzten. Hiob 38.
„Jauchzet dem Herrn alle Welt! Dienet dem Herrn mit Freuden! Kommt vor Sein Angesicht mit Frohlocken! . . .“ Psalm 100.

k) Der Trost.
Wenn wir eine solche Freude genießen, wird unser Herz völlig über allem irdischen Leid getröstet sein. Dieser Trost wird uns immer wieder in der Heiligen Schrift versprochen. „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ Matth. 5. . . .
Und in der himmlischen Stadt wird Gott „abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ Offb. 21, 4. Wie sollten unsere Leiden nicht schon jetzt durch solche tröstlichen Aussichten gelindert werden!

l) Die vollkommene Glückseligkeit.
Ist es noch nötig, zu sagen, daß im Himmel all unsere Wünsche erfüllt sein und unsere Herzen von vollkommener Glückseligkeit überströmen werden?
Neunmal erklärt Jesus die selig, die hier auf Erden leiden. . . Matth. 5. Was wird Er erst von den Überwindern sagen, die der Gegenwart des Herrn teilhaftig geworden sind? 
„Selig ist, der teilhat an der ersten Auferstehung. . . . und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Offb. 20.

m) Die Ewigkeit.
Hier auf Erden ist alles durch die Zeit begrenzt. Alles beginnt und alles endet. Es schmerzt uns, wenn wir sehen müssen, wie die schönsten Dinge nur einen Morgen lang währen, und oft möchten wir den schnellen Flug der Stunden einhalten. Hier auf Erden – besonders noch in unserem modernen Leben – beunruhigt uns immer der Mangel an Zeit. Das Beste, was wir machen können, ist, „die Zeit auskaufen“ (Eph. 5, 16) und „unsere Tage zählen“ (Psalm 90,12) da wir so wenige zur Verfügung haben.
Welchen Trost und welche Freude gibt uns dagegen der Gedanke, daß es im Himmel keine Zeit, keine Hast, keinen Zeitmangel, keine Unterbrechung der schönsten Augenblicke mehr geben wird, denn alles wird dort nach dem Bilde des Ewigen sein:
Die Gläubigen werden das ewige Leben haben,
sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit, Offb. 22, 5 ,
sie werden niemals mehr von Gott getrennt sein. 1. Thess. 4, 17 .
4. Das Wiedersehen im Himmel.
Viele fürchten, ihre Lieben im Himmel nicht wiederzuerkennen. Sie meinen, wenn der alte fleischliche Leib nicht mehr wäre, so könnten sie einander nicht mehr wiedererkennen.
Solch eine Befürchtung ist durchaus nichtig, und es wird uns leicht sein, das aus der Heiligen Schrift zu beweisen.
Der Hauptbestandteil unserer Persönlichkeit ist nicht unsere schwache und dem Tode geweihte fleischliche Hülle, sondern der Geist, dieser „inwendige Mensch“, der „von Tag zu Tag erneuert“ wird. Ein Mensch kann körperlich leiden und altern, indessen sein Geist jung und lebendig bleibt. Diese Persönlichkeit werden wir in der anderen Welt wiederfinden. Schon hier auf Erden können wir jemanden wiedererkennen, ohne ihn von Angesicht zu sehen. Maria Magdalena erkannte Jesus an Seiner Stimme, als ihre Augen voller Tränen waren und sie sich noch nicht nach Ihm umgewandt hatte. Am Fernsprecher wissen wir recht gut, wer mit uns redet, und die Schrift eines Bekannten täuscht uns nicht.
Es ist selbstverständlich, daß die Engel, obwohl sie keinen Leib haben, eine ausgesprochene Persönlichkeit besitzen. Wir kennen die Namen Michaels und Gabriels – wie auch den Satans. In den Gesichten Daniels und Johannes reden und handeln die Engel auf ganz persönliche Art.
Andererseits nennt die Bibel eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die im Jenseits weiterleben:
Jakob sagt, daß er zu seinem Sohne hinunterfahren wird. 1. Mose 37, 35.
Samuel kehrt zurück und spricht mit Saul. 1. Sam. 28, 15.
David erklärt, daß er zu dem Kind, das er verloren hat, hinunterfahren wird. 2. Sam. 12, 23.
Mose und Elia werden auf dem Berge der Verklärung erkannt. Luk. 9, 30.
Abraham, Lazarus und der reiche Mann unterhalten sich in der anderen Welt. Luk. 16, 24-31.
Gott hält Abraham, Isaak und Jakob für lebend. Matth. 22, 3 2.
Der auferstandene Christus zwingt Seine Jünger gewissermaßen dazu, Ihn wiederzuerkennen, obwohl Er mit Seinem neuen Leibe überkleidet ist: „Seht Meine Hände und Meine Füße, Ich bin’s selber.“ Luk. 24, 39.
Jesus sagt außerdem, daß wir Abraham, Isaak und alle Propheten im Reich Gottes sehen werden. Luk. 13, 28. 
Paulus schreibt an die Thessalonicher: „Denn wer ist unsre Hoffnung oder Freude oder Krone des Lebens? Seid nicht auch ihr es vor unserm Herrn Jesus Christus zu Seiner Zukunft? 1. Thess. 2, 19.
Welche Seligkeit wird es sein, die Patriarchen, die Propheten und die Apostel anzutreffen, die uns durch ihr Beispiel und durch ihre Schriften soviel Gutes getan haben!
Welches Vorrecht, David, Paulus, Johannes und so viele Glaubenshelden aller Zeiten zu sehen!
Welchen Trost würde denn diese Aussicht geben, wenn man die Seinen nicht erkennte?


5. Was wird aus den Familienbanden?
Die Bande des Herzens ändern sich nicht. Wir werden unsere Ehegatten, unsere Eltern und Kinder wiederfinden und werden sie noch besser lieben als auf Erden.
Aber es ist klar, daß die ehelichen Beziehungen nicht mehr sein werden. Um Sein zu spotten, erzählen die ungläubigen Sadduzäer Jesus die abgeschmackte Geschichte von einer Frau, die nacheinander sieben Brüder zum Manne gehabt haben soll und fragen Ihn, wessen Weib sie nach der Auferstehung sein würde. Der Herr antwortet ihnen: „Welche würdig sein werden, jene Welt zu erlangen und die Auferstehung von den Toten, die werden weder freien, noch sich freien lassen, denn sie können hinfort nicht sterben, denn sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung.“ Luk. 20, 36. Das ergibt sich von selber, denn die Zeugung wird nicht mehr nötig sein, um das Geschlecht fortzupflanzen, das unsterblich geworden ist.

6. Was werden wir im Himmel tun?
Diese Frage setzt manche Christen, die ohne Einbildungskraft und ohne biblische Kenntnisse sind, recht in Verlegenheit. Sie glauben beinahe, sie müßten sich langweilen, wenn sie die ganze Ewigkeit so brav und sittsam bleiben müßten.
Aber läßt uns die Heilige Schrift nichts anderes erwarten? Wir wollen sehen, welch herrliche Aussichten sie vor uns er öffnet. Wir finden im Himmel:

a) Die Anbetung.
Wenn uns die Bibel in den Himmel, vor den Thron Gottes versetzt, zeigt sie uns den Herrn immer von einer Menge von Geschöpfen umgeben, die Ihn anbeten. Es entspricht auch der Natur Gottes, Anbetung zu empfangen . . . „Gott ist Geist, und die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Joh. 4, 24. Was könnten Geschöpfe vor der göttlichen Majestät anders tun als sich beugen, loben und danken? Die Anbetung ist die höchste Form des Dienstes. Durch sie befassen wir uns mit Gott selbst und erweisen Ihm die Ehre, die Ihm gebührt.
Die Betrachtung ist eine der Arten der Anbetung. Im Himmel werden die Knechte Gottes „Sein Angesicht sehen, und Sein Name wird an ihren Stirnen sein.“ Offb. 22, 4. . . .

Im Himmel jedoch wird die Gnade ihr Werk vollendet haben. Der Mensch wird durch das Blut Christi gereinigt und durch den Heiligen Geist geheiligt sein. So wird er vor dem Herrn erscheinen können und Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen. Auf Erden können wir oft unsere Blicke nicht von den schönen Dingen losreißen: eine wunderbare Blume, eine herrliche Aussicht, ein außerordentliches Kunstwerk setzen uns in Entzücken. Wie wird es erst sein, wenn wir den Schöpfer alles Schönen und Vollkommenen von Angesicht zu Angesicht sehen?
Außerdem wird uns die Betrachtung des Herrn in Sein Bild umgestalten. Wenn die Auserwählten Sein Angesicht sehen, wird „Sein Name an ihren Stirnen sein“. Nachdem er vierzig Tage in der Gegenwart Gottes verbracht hatte, war das Angesicht Moses glänzend von Seiner Herrlichkeit. 2. Mose 34, 28-29. . . .
Jetzt ist das Geheimnis unseres Sieges, immer auf Jesus aufzusehen, Hebr. 12, 2, aber wir wenden gar oft unsere Blicke von Ihm ab. Im Himmel werden die Augen aller Geschöpfe unaufhörlich und ohne Ablenkung auf den Herrn gerichtet sein. . . . Paulus sagt uns: „Also weiß auch niemand, was in Gott ist, als der Geist Gottes.“ 1. Kor. 2, 10.
Bedarf es nicht der ganzen Ewigkeit, um zu einer besseren Erkenntnis des unendlichen Gottes zu gelangen? . . .
„Ich aber will schauen Dein Antlitz in Gerechtigkeit; ich will satt werden, wenn ich erwache, an Deinem Bilde.“ Psalm 17, 15. . . .
Lob und Dank sind auch wichtige Teile der Anbetung. „Wer Dank opfert, der preiset Mich, und da ist der Weg, daß Ich ihm zeige das Heil Gottes.“ Psalm 50, 23. . . . „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“. . . .
Die Offenbarung zeigt uns immer wieder die Menge der Engel und Auserwählten, die den Vater und den Sohn loben und preisen. „Der uns geliebt hat . . . Dem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit . . . . und sprachen: Herr, Du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn Du hast alle Dinge geschaffen, und durch Deinen Willen haben sie das Wesen und sind geschaffen

Dieses „neue“ Lied preist den Erlöser, dessen Name durch das Kreuz noch viel würdiger geworden ist, hochgelobt zu werden. „ . . . Ich hörte sagen: Dem, der auf dem Stuhl sitzt, und dem Lamm sei Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Es ist bemerkenswert, daß nicht nur der Gott der Schöpfung und der Erlösung gepriesen wird. Das vierfache Halleluja des Kapitels 19, Vers 1-6, verherrlichtet den Gott des Gerichts, der die große Babel verurteilt und Sein Reich eingenommen hat.
Es gefällt dem Herrn, daß der Lobgesang von der Musik, dieser Tochter des Himmels, begleitet und getragen wird. Im ehemaligen Tempel mußten zweihundertachtundachtzig Sänger den Gottesdienst mit ihrem Gesang und dem Spiel verschiedener Musikinstrumente, Harfen, Psaltern und Zimbeln, verschönern. 1. Chron. 25, 1-8. Hiskia ruft aus: „Herr, hilf mir, so wollen wir meine Lieder singen, so lange wir leben, im Hause des Herrn!“ Jes. 38, 20.

Jesus selber hat mit Seinen Jüngern die Psalmen gesungen – oder die Lobgesänge, die zum Osterfest üblich waren. Mark. 14, 26. Paulus sagt uns: „Redet untereinander in Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singet und spielet dem Herrn in euren Herzen!” Eph. 5, 19. Jakobus schreibt : „Ist jemand guten Muts, der singe Psalmen!“ Jak. 5, 13.
Im Grunde haben nur die christlichen Völker eine richtige Musik – und häufig sind die bedeutendsten und fröhlichsten Komponisten lebendige Gläubige gewesen, um nur Bach und Händel anzuführen. Wenn das Herz frei von aller Furcht und voller Freude des Heiligen Geistes ist, kann es am besten Lieder singen. – Darum verwundert es uns nicht, daß bei den Schilderungen des Himmels die Musik solch großen Platz einnimmt.
Sie „standen an dem gläsernen Meer und hatten Harfen Gottes und sangen das Lied Moses, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes”. Offb. 15, 2-3. . . . Im Himmel wird derselbe Lobgesang der Erlösten widerhallen, der dann aber von denen gesungen wird, die die göttliche Gnade empfangen haben. In allen Zeiten werden unser Lobgesang und unsere Lieder zu Dem aufsteigen, der uns errettet hat. Und die vollkommene Harmonie des Himmels wird bald die der irdischen Musik weit hinter sich lassen.

b) Die Ruhe.
Eden war ein Ort des Friedens und der Glückseligkeit. Seit dem Sündenfall ist die Arbeit mühsam geworden. Der Erdboden ist verflucht und unser ganzes Leben spielt sich unter dem Zeichen erschöpfender Anstrengungen ab. Wir sind alle „mühselig und beladen“, Sklaven unerbittlicher Gesetze dieser Welt, von dem Versucher verfolgt. Jesus selber hatte keinen Ort, wo Er Sein Haupt hinlegen konnte. Aber Seine Gnade gibt jedem Ruhe und Erquickung, der Sein sanftes und leichtes Joch auf sich nehmen will. Matth. 11, 28-30.
Wir sind jedoch nur in der Hoffnung gerettet und müssen den Kampf bis zum Ende durchstehen. Bald werden wir für immer in die ewige Ruhe eingehen, die weder Versuchung noch Sündenfall jemals stören werden. . . . „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Offb. 14, 13. . . .

8. Werden viele Auserwählte im Himmel sein?
Diese Frage, die manchen quält, ist schon Jesus gestellt worden: „Herr, meinst Du, daß wenige selig werden?“ Der Heiland hat darauf geantwortet: „Ringet danach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet!“ Luk. 13, 23. . . .
Wohl sagt Jesus, daß viele berufen, aber wenige auserwählt sind, Matth. 22, 14; und daß viele auf dem breiten Weg zur Verdammnis gehen und wenige auf dem schmalen Weg zum Leben. Matth. 7, 13. Diese Worte scheinen der Wirklichkeit zu entsprechen. Aber ist es tatsächlich so, wie viele denken, daß in dem großen Himmel nur wenige Erlöste sind?
Nein, die Bibel erklärt genau das Gegenteil. Denn in dem Gleichnis von der königlichen Hochzeit legt der König großen Wert darauf, daß sein Mahl gut besucht wird. Ohne mutlos zu werden, sendet Er mehrmals Seine Diener aus, um einzuladen, wen sie finden, „und die Tische wurden alle voll“. Matth. 22, 10. . . . Die verstockten Juden sind verworfen worden, dennoch kündet Paulus an, daß sie sich eines Tages alle bekehren werden und daß somit das ganze Israel (die in jenem Augenblick Lebenden) errettet würde. Der Apostel sagt gleichfalls, daß die Verstockung der Juden solange dauern werde, „bis die Fülle der Heiden eingegangen sei“, Röm. 11, 2 5, das heißt, die volle Zahl der gläubigen Seelen, die aus dem Heidentum kommen.
Deshalb spricht die Heilige Schrift sooft von der riesigen Menge, die den Himmel bevölkern wird. Johannes sieht eine große Schar, welche niemand zählen konnte, aus allen Heiden und Völkern und Sprachen vor dem Throne und vor dem Lamm stehen. Offb. 7, 9. . . . Hatte Er nicht Abraham, dem Vater der Gläubigen, versprochen, daß sein Same so zahlreich werden sollte wie der Sand am Ufer des Meeres und die Sterne am Himmel?
In unseren Tagen bewahrheitet sich auf einigen Missionsfeldern das Wort, daß die Letzten die Ersten sein werden, und die Seelen dürsten dort nach der Wahrheit. Er scheint uns auch wahrscheinlich, daß das Tausendjährige Reich unerhörte Ernten haben wird. Zuerst einmal werden Krieg und Sterblichkeit zurückgedrängt werden und dadurch die Bevölkerung ungeheuer anwachsen. Da der Satan gebunden ist, wird die Erde voller Erkenntnis des Herrn sein, wie Wasser das Meer bedeckt, und sogar die Heiden werden nach Christus fragen. Jes. 11, 9-10. . . .
Zum Schluß wollen wir wiederholen, daß die Zahl der Auserwählten allein Gottes Sache ist. Unsere Sorge muß sein, das Heil anzunehmen, um nicht draußen bleiben zu müssen, und so viele Seelen wie möglich zu gewinnen, die den Himmel bevölkern werden.

9. Wem steht der Himmel offen?
Gott „will, daß allen Menschen geholfen werde“. 1. Tim. 2, 4. . . . Sein Wunsch ist ausdrücklich: Alle Sünder sind eingeladen, durch die Buße und durch den Glauben an Jesus Christus in den Himmel zu kommen. Der König läßt allen, den Bösen und Guten, sagen: „Alles ist bereit, kommt zur Hochzeit!“ Wer die Einladung annimmt, wird sofort aufgenommen. Matth. 22, 4.10. Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch Mich.“ Und Er sagt weiter, „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten . . .so will Ich wiederkommen und euch zu Mir nehmen, auf daß ihr seid, wo Ich bin.“ Joh 14.
„Und wen dürstet, der komme, und wer da will,
der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Offb. 22, 17.
Kann man es einfacher sagen? Durst haben nach Vergebung und dem ewigen Leben – zu Jesus kommen – sich Ihm übergeben wollen – Sein Heil jetzt nehmen und das umsonst, ohne irgendein eigenes Verdienst – das sind die fünf Schritte, die zum Erlangen des Heils führen. Ein Kind kann sie verstehen – und sie sogleich ausführen.
Wie steht es mit dir, der du diese Zeilen lieset?
Und ein letztes Mal wollen wir die ergreifende Frage Jesu an Jerusalem anführen:
„Wie oft habe Ich deine Kinder versammeln wollen . . . und ihr habt nicht gewollt!“ Matth. 23, 37.
Im Augenblick ist die Tür der Gnade weit geöffnet, und Jesus stößt keinen hinaus, der zu Ihm kommt. Aber der Augenblick naht, da die Tür verschlossen sein wird und es zu spät ist, um gerettet zu werden. Die Bibel betont diesen furchtbaren Gedanken:
Noah ging mit den Seinen und sogar mit den Tieren in die Arche. Noch sieben Tage vergingen. In dieser Zeit hätten sich noch viele retten können. Dann schloß der Herr hinter ihm zu, und die Gottlosen kamen alle um. 1. Mose 7,7.
„Ringet danach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet, denn viele werden . . . danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden’s nicht können. . . .
„Dem aber, der euch behüten kann ohne Fehl und stellen vor das Angesicht Seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden, dem Gott, der allein weise ist, unserm Heiland, sei Ehre und Majestät und Gewalt und Macht nun und zu aller Ewigkeit! Amen !” Judas 24-25.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Herbst 2023 Der Text wurde unwesentlich gekürzt. Die Textbetonungen sind von mir. 
info@horst-koch.de




Psychologie im Licht der Bibel (W. Plock)

Wilfried Plock



Psychologie im Licht der Bibel

Teil 1: Die Geschichte der Psychologie

1. Die Psychologie als Bestandteil der Philosophie (ca. 500 v. Chr. bis 1875)
Die heutige Psychologie hat also eine lange Vorgeschichte. Die historische Wurzel ist liegt vor allem in der griechischen Philosophie der Antike (schon ab etwa 5. bis 6. Jahrhundert v. Chr.). Die moderne Psychologie geht aus von der historischen, philosophischen Voraussetzung über den Ursprung des Menschen, über die Seele des Menschen und über das Verhältnis von Leib und Seele.
Die griechische Philosophie hatte sich ganz bewußt von allen religiösen, übernatürlichen Vorstellungen des Menschen losgesagt. Es war eine emanzipierte Philosophie, die also nicht von einem übernatürlichen Weltbild ausgeht, sondern ausging von einem natürlichen: der autonome Mensch in einem geschlossenen Weltbild.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Psychologie immer wieder gewandelt, und zwar sehr gewandelt.

II. Die Psychologie als eine von der Philosophie getrennte, selbstständige experimentelle Wissenschaft (ab 1875 bzw. 1879 bis heute)
1873/74 schrieb der Mediziner Wilhelm Wundt (1832-1920) sein bahnbrechendes Werk „Grundzüge der physiologischen Psychologie“, und damit wurde er der erste Psychologe. 1875 wurde Wundt Professor in Leipzig und eröffnete dort im selben Jahr das erste „psychologische Laboratorium“. Dort wurde zum ersten Mal psychologisch mit Menschen experimentiert. Übrigens gab es dort auch die ersten Psychologiestudenten.

Einen weiteren starken Einfluß auf die Psychologie jener Zeit übte die Einführung der Statistik nach dem Beispiel der Mathematik aus. Seelische Prozesse werden statistisch wiedergegeben, und die Statistik gilt dann als eine interpretierende Wissenschaft.

Lange Zeit bedeutete Psychologie noch so etwas wie Seelenkunde, die Lehre der Psyche. Aber seit jener Zeit hat man das Wort Seele ganz bewußt weggelassen.
Weil die Seele zu philosophisch belastet war und nicht wahrnehmbar ist und deshalb als unwissenschaftlich galt, war sie experimentell nicht brauchbar.
Erst am Ende des letzten Jahrhunderts wurde Psychologie als die Lehre vom Bewußtsein definiert.

Die Psychoanalyse von Sigmund Freud (1856-1939), die völlig unabhängig von Wundt´s Schule entstand, sieht den Menschen als ein geschichtliches Wesen, unter anderem mit einem Unbewussten, das den größten Teil ausmachen würde, und das wichtigste im Menschenleben ist. Die Psychoanalyse hat also als Objekt ihrer Forschung das Unbewusste. Unter Freud wurde die Psychologie zur Lehre vom Unbewussten.

Aber der Behaviorismus (Iwan P. Pawlow, Watson, Skinner), der zweite Zweig, der sagte: Das Unbewusste ist unbewiesen, unbeweisbar, es ist ja unsichtbar. Das ist also für die Wissenschaft unbrauchbar, was man beobachten und beschreiben und interpretieren kann, ist nur das, was ich weiß, und was sichtbar ist, unser Verhalten. Darum heißt der Behaviorismus auch Verhaltenspsychologie. 

Und die Humanistische Psychologie, der dritte Zweig, sagt: Der Mensch ist ein Wesen mit ungeahnten Möglichkeiten. Und was muß man da also forschen? Eben diese ungeahnten, verborgenen Möglichkeiten des Menschen sind zu erforschen, damit es zum Wachstum und zur Entfaltung und zur Selbstverwirklichung kommt. Jede Richtung hat also ihr anderes Thema und jede Richtung hat auch ihre eigene Methode.

Die heutige Psychologie (von etwa 1950 bis heute)
In zunehmendem Maße gibt es neue Richtungen. Jeder Hauptzweig hat eine Menge Nebenzweige. Ein anderes Kennzeichen der Psychologie in der letzten Zeit, ist, daß es sehr rasche Veränderungen gibt. Das was heute noch gültig ist, kann morgen schon ganz altmodisch und verworfen sein. Ein anderes Kennzeichen ist es, daß die Psychologie nicht nur theoretisch geblieben ist, sondern daß es eine angewandte Psychologie gibt. Und die angewandte Psychologie hat sehr stark zugenommen. Sie droht sogar größer zu werden, als die theoretische Psychologie. Sie ist sozusagen von der Universität in das öffentliche, alltägliche Leben umgezogen. Man kann sich eigentlich keine Einrichtung oder Institut mehr denken, ohne einen Psychologen. Es gibt sogar Psychologenschulen für den Kindergarten, für die Schule, für die Universität und sogar für den Betrieb und die Firma. Kurz gesagt, es gibt für alle Richtungen und Sparten. Man kann sich kaum noch ein Leben ohne Psychologen vorstellen. Man spricht von der „psychologischen Gesellschaft“.

Psychologie im biblischen Licht
Die Psychologie ist durch und durch unchristlich, teilweise sogar antichristlich.
Das Menschenbild der Psychologie ist atheistisch, evolutionistisch, materialistisch und humanistisch. 


Der Mensch sei ein Wesen:

1. – . . . ohne grundsätzliche Beziehung zu Gott, seinem Schöpfer, aber mit einer
Grundbeziehung zum Tier (das sog. Tiermodell).
Die Bibel: wir sind vom Geschlecht Gottes (Apostelgeschichte.17, 29)

2. – . . . ohne grundsätzlichen Bezug zu Gottes Wort, von dem der Mensch leben soll (Matth. 4, 4)
Absolute Normen gibt es nicht, Gewissen im biblischen Sinn gibt es nicht, Schuld
gegenüber Gott gibt es nicht (nur „Schuldgefühle“ gegenüber dem Nächsten)

3. –  . . . ohne die innewohnende Sünde oder „alte Natur“ (Römer 7)

4. –  . . . ohne Einfluß des Satans und seiner Dämonen

5. –  . . . ohne die Möglichkeit der „neuen Natur“ und der Wirkung des Heiligen Geistes

Teil 2:  Sigmund Freud und die Psychoanalyse

Allgemeines:
Sigmund Freud (1856-1939), in der Tschechoslowakei geborener Jude, Arzt und
Psychologe, Professor in Wien, Begründer der Psychoanalyse, Werke: Die
Traumdeutung, Totem und Tabu, Jenseits des Lustprinzips, Das Unbehagen in der
Kultur…. Bekannteste Schüler: Alfred Adler (Individualpsychologie) und Carl Gustav Jung (Komplexe Psychologie).

I. Freud´’s Persönlichkeitstheorie
Freud sah den Menschen in einem ständigen Konflikt zwischen seinen auf Lust
ausgerichteten Instinkten und der Unterdrückung derselben durch die Gesellschaft.
Die Folge seien Neurosen (wissenschaftliche Bezeichnung für krankhafte
Erscheinungen des Seelenlebens, die meistens als Folge einer gestörten Erlebnis-
verarbeitung in der frühen Kindheit gesehen werden). Jede Neurose, ja sogar das
gesamte Verhalten, stamme aus dem Unbewussten.
Der Mensch sei geschichtet. Die Seele des Menschen sei wie ein Eisberg. Nur etwa ein Sechstel sei sichtbar (das Bewußte), dann ein bißchen Unterbewusstes und der größte Teil werde vom Unbewussten gebildet.
Die Seele des Menschen – Das Bewußte – Das Unterbewusste – Das Unbewusste

II. Das Menschenbild des Sigmund Freud
Der Psychoanalyse liegt ein materialistisches Menschenbild zugrunde, d.h. der
Mensch wird nur als stoffliches und immanentes Wesen verstanden. Der Geist des Menschen wird nicht als eine vom Leib unabhängige Wesenheit betrachtet. Eine höhere Daseinsbestimmung des Menschen sah Freud nicht.

Das Unbewusste bilde den größten Teil des Menschen. In ihm liege der Kern der
Persönlichkeit, nämlich die Triebe, die Motivation. Der Mensch sei völlig determiniert (bestimmt, festgelegt) von seinen Erlebnissen in Kindheit und Jugend.

1. Freud´’s Triebmodell
Freud hatte in seiner Kindheit ein Verhältnis der Hassliebe zu seinem gleichaltrigen Neffen Johann. Später verallgemeinerte er Liebe und Hass zu den beiden fundamentalen Trieben im Leben eines Menschen. Der Mensch werde nicht von seinem Willen bestimmt, sondern von einem „Lust-Unlust-Prinzip“. D.h. der Mensch werde von angeborenen Instinkten dazu getrieben, Lust zu suchen („Libido“) und Unlust zu vermeiden.

Die Bibel zeigt als Ursache der menschlichen Not nicht ein Lust / Unlust-Prinzip,
sondern das in uns wohnende Gesetz der Sünde (Röm.7, 23).
Fünfzehn Jahre lang arbeitete Freud nur mit der Libido-Theorie, bis er 1920 die
Bedeutung des zweiten Triebes erkannte, nämlich „Thanatos“ (der Todestrieb mit der Tochter „Aggression“ – Zerstörungslust). Freud behauptete, die Triebe kämen aus den Organen, nämlich aus den Drüsen mit ihrem Stoffwechsel (biologischer Determinismus).

2. Freud´’s Erkenntnisse aus seiner Selbstanalyse

Freud war der Liebling seiner Mutter (die zweite Frau seines Vaters). Er hatte eine leidenschaftliche, erotische Neigung zu seiner jungen Mutter – kombiniert mit Hass gegen seinen Vater, der vom Alter her sein Großvater hätte sein können. Diese Dinge entdeckte Freud bei seiner Selbstanalyse, die er mit 42 Jahren begann.

Freud war ein Mann der Verallgemeinerung. Wenn er bei sich etwas entdeckt
hatte, übertrug er es oft auf die ganze Menschheit. Hatte er bei einem Neurotiker
etwas entdeckt, dann meinte er, alle Neurotiker, ja alle Menschen, sind so.
Aus seiner Selbstanalyse folgerte Freud zum Beispiel, jedes Kind habe eine
erotische Liebe zum Elternteil des anderen Geschlechtes und einen Hass zum
Elternteil des gleichen Geschlechtes. Die Erfahrungen und Sünden seines eigenen
Herzens wurden also Grundlage für eine umfassende psychologische Theorie
(Theorie des „Ödipus-Komplexes“). So entstand Freud´s psycho-sexuelles
Menschenbild.
Ein zweiter Grund für dieses Menschenbild liegt wohl im gesellschaftlichen
Hintergrund seiner Zeit. Freud befaßte sich zuerst mit hysterischen Frauen. Die
Wurzel für ihr Verhalten meinte er in dem Konflikt zwischen triebhaften Begierden und den gesellschaftlichen Tabus der Umgebung gefunden zu haben (der verlogenen viktorianischen Doppelmoral seiner Tage). Darum nahm die Sexualität allmählich einen immer größeren Raum in Freuds Theorien ein.


3. Freud´s Phasenmodell der frühkindlichen Sexualität

a) Die orale Phase (die ersten 12 Monate)
b) Die anale Phase (zweites Lebensjahr)
Die Reaktionen der Mutter auf das, was auf dem Töpfchen geschieht, seien sehr
wichtig!

c) Die ödipale Phase (drittes bis fünftes Lebensjahr)
Jeder Junge möchte seine Mutter „heiraten“ und haßt darum seinen Vater.
Mit etwa fünf Jahren erfasse er aber, daß das unmöglich ist und identifiziere
sich dann mit dem Vater. Die elterlichen Normen würden so zum Über-Ich.
Die Reaktionen der Eltern in dieser Phase würden in besonderer Weise den
Charakter und das Verhalten des Kindes für sein gesamtes Leben prägen.
Die Bibel zeigt uns, daß die Reaktionen der Eltern wichtig sind;
aber nicht nur in den ersten fünf Lebensjahren.
Abgesehen davon gibt es viele weitere prägende Faktoren in der Erziehung,
wie das Gebet der Eltern, das Wort Gottes, den Einfluß der Gemeinde, etc.

III. Die Freud´’sche Psychoanalyse

Man kann hinsichtlich seines Wirkens drei Phasen bei Freud unterscheiden.

Die erste von 1886 bis 1900; in der Freud kokainsüchtig war (in dieser Periode
entstanden die Grundlagen seiner größtenteils absurden Theorien).


Die zweite Phase erstreckte sich von 1900 bis 1923, und die dritte von 1923 bis zu
seinem Tode 1939 (Freud litt 12 Jahre lang an Kieferkrebs).

Nach 1923 (also in der dritten Periode) unterschied Freud zwischen dem Es (den
unbewussten Instinkten oder Trieben), dem Ich (dem „Ich“-Bewusstsein) und dem Über-Ich (dem größtenteils unbewussten „Gewissen“, das uns durch die Normen und Tabus der Umgebung auferlegt werde, vor allem während der Erziehung).
Freud sah den Menschen im ständigen Konflikt zwischen den egoistischen
Ansprüchen des Es und den durch Erziehung und Gesellschaft geprägten Normen des Über-Ich („Gewissen“). Das Kind sei zunächst nur Es. Das Über-Ich entstünde etwa mit fünf Jahren – nach der Überwindung des „ödipalen Konfliktes“ – allein durch die Gebote und Verbote der Eltern (intra-psychisches Konfliktmodell).

Nun behauptete Freud, daß weder der betroffene Mensch selbst, noch ein anderer Mensch, noch ein christlicher Seelsorger Zugang zum Unbewussten habe, sondern einzig und allein der Psychoanalytiker. Dieser sei der notwendige und unentbehrliche Mittler. Nur er sei kompetent, die verborgenen neurotischen Konflikte und Verdrängungen offenbar zu machen und dadurch zu heilen. Übrigens, jeder Psychoanalytiker muß zuerst an sich eine Selbstanalyse durchführen oder von einem Kollegen durchführen lassen. Nur dann darf er andere analysieren.
Auf diese Weise wird aber der Mensch / Patient unmündig und in die Abhängigkeit der Psychiatrie getrieben.


IV. Freud´’s Nichtverantwortlichkeits-Modell


1. Die Konstruktion des Unbewussten
Alles geschehe unbewusst (Triebe, Verdrängung, etc.). Wer könne für Dinge
verantwortlich gemacht werden, die außerhalb seines Bewußtseins vor sich
gingen?

2. Die biologische Triebtheorie
Die Triebe Libido und Thanatos kämen aus dem Körper des Menschen. Wer
könne für hormonelle Vorgänge verantwortlich gemacht werden? (Bibel: Matthäus 15, 19)

3. Die historische Theorie
Der Mensch sei ein Produkt der Geschichte, angefangen vom Tierreich über
die Urhorde der Menschheit bis zu den unmittelbaren Erbanlagen.
Wer könne dafür persönlich verantwortlich gemacht werden?

4. Freud´’s Krankheitsmodell
Neurosen kämen letztlich von außen. Gäbe es keine Normen, dann gäbe es
keinen Konflikt zwischen Es und Über-Ich, also gäbe es auch keine Neurosen.
Dieses Krankheitsmodell kennt nur die Psychoanalyse.


V. Freud´’s Schuldmodell
Weil der Mensch determiniert sei, sei er nicht verantwortlich für sein Tun. Schuld hätten grundsätzlich die Eltern und die Gesellschaft. Durch die psychoanalytische Behandlung bekommen die Patienten oft einen Hass auf ihre Eltern.


VI. Das biblische Menschenbild

Der Mensch ist ein von Gott geschaffenes und geliebtes Geschöpf. Er wird von vielen Faktoren geprägt, z. B. von seinen Erbanlagen, von Erziehung und Umwelteinflüssen, aber auch von seinem eigenen Willen. Jeder gesunde Mensch ist voll moralisch verantwortlich für sein Tun und Lassen. Er ist ein Sünder, der Erlösung braucht.


VII. Wie können wir auf biblische Weise zu einem wahrheitsgetreuen
Selbst- und Menschenbild kommen?
„Trügerisch ist das Herz, mehr als alles, und unheilbar ist es. Wer kennt sich
mit ihm aus? Ich, der HErr, bin es, der das Herz erforscht…“ (Jeremia 17, 9-10).


1. Gott gibt Selbsterkenntnis durch sein Wort (Joh.16, 9; Hebr. 4, 12;
Jak. 1, 23)


2. Gott gibt Selbsterkenntnis durch Prüfungen (5. Mose 8, 2-3)

3. Gott gibt Selbsterkenntnis durch das Zusammenleben mit anderen in Ehe,
Familie, Gemeinde und Gesellschaft (Kolosser 3, 13; 1. Joh. 1, 7)

4. Gott gibt Selbsterkenntnis durch Seelsorge (Psalm 139, 1.23-24)


Zusammenfassung:
Wir Menschen des 20. Jahrhunderts sind fast ausnahmslos Produkte der Freudschen Ethik. Ausdrücke wie Verdrängung, Hemmung, Frustration, Freudsche Fehlleistung, oder Unbewusstes sind unter uns Gemeingut geworden.
Außerdem haben Freuds Schriften kräftig zur Entchristlichung der westlichen Welt beigetragen. Lindsay und Carlson nennen in ihrem Buch „Satan kämpft um diese Welt“ (Verlag HSW, 1973) sechs Männer, die mit ihren Theorien einen starken, verhängnisvollen Einfluß auf unsere Welt ausgeübt haben, nämlich: Kant, Hegel, Kierkegaard, Marx, Darwin und Freud (S. 101-119).

Freud war überzeugter Evolutionist. Wie Darwin Gott aus der Biologie entfernte, so verbannte Freud Gott aus der Psychologie.

Freud´’s ganzes Leben war gekennzeichnet von einer militanten Rebellion gegen
Gott, gegen Gottes Normen und gegen jegliche Autorität. Freud schrieb drei Bücher als Angriff auf Gott und sein Wort: z.B. Totem und Tabu (1912). Freud nannte sich „einen gottlosen Juden und einen unverbesserlichen Heiden“. Er hat einmal selbst gesagt: „Ich bin ein Rechtsanwalt des Teufels!“

Ouweneel schreibt: „Freud ist der Psychologe gewesen, der vielleicht am meisten dafür verantwortlich ist, daß in unserem Jahrhundert die Begriffe von echter moralischer Schuld und persönlicher Verantwortung stark an Wert eingebüßt haben, indem er den Menschen als Spielball unbewusster Kräfte von innen und der strengen Tabus der Umgebung darstellte. Der Freudianismus schiebt die Schuld grundsätzlich auf die Eltern und die Gesellschaft ab“ (Herz und Seele, S. 66).

Teil 3: C. G. Jung und die Analytische Psychologie

Einleitung:
Carl Gustav Jung war ein Schweizer Psychiater und lebte von 1875 – 1961. Jung, ein Schüler Freuds, gilt als der Grundleger der „Analytischen Psychologie“.
Jungs Psychologie ist unzertrennbar von seiner Person und vom Okkultismus.

Was waren die Quellen der Jung´schen Analyse? Diese Quellen nennt er selbst in seiner Autobiographie „Erinnerungen, Träume und Visionen“:


1. Die Selbstanalyse
Jung war durch und durch okkult. Er analysierte bei sich seine Träume,
Visionen, Phantasien und inneren Stimmen.

2. Ein intensives Studium des Okkultismus, vor allem des Spiritismus, der
Wahrsagerei, der Astrologie, der Alchimie und der Magie
1916 gab er ein Buch heraus über seine Gespräche mit den Toten.

3. Studium der griechischen Philosophie, der okkultistischen Schriften von
Paracelsus, Swedenborg und Goethe

4. Ein intensives Studium der Gnostik, der Mythologie sowie der primitiven und der asiatischen Religionen (besonders des Hinduismus und des Zen-Buddhismus)

5. Viele persönliche Begegnungen und Reiseerlebnisse bei seinen vier großen
Weltreisen

6. Die Tiefenpsychologie Siegmund Freuds (Jung war sechs Jahre sehr eng mit
Freud befreundet, dann kam es zum Bruch zwischen den beiden)

Jungs Elternhaus und Jugenderlebnisse
Jung wuchs in der Nähe von Basel in einer christlichen Familie auf. Sein Vater war Pfarrer, aber sein Großvater war Großmeister einer Freimaurerloge und – wie Jung selbst schreibt – ein uneheliches Kind von Goethe (Goethe war ebenfalls Okkultist und Mitglied des Illuminaten-Ordens).
Jungs Mutter war sehr okkult gebunden und auch medial begabt. Sie hatte hell-seherische Gaben. Von ihr bekam Jung die „Gabe“ des Hellsehens, Hellwissens und Hellfühlens.

Im Alter von vier Jahren hat der kleine Carl Gustav einen Traum. In diesem Traum, der für sein ganzes Leben prägend war, bekam er die Einweihung in das Reich der Finsternis. Er sieht eine Gestalt, vor der er furchtbare Angst bekommt. Aber darauf sagt seine Mutter zu ihm: „Schau ihn gut an; er ist ein Menschenfresser.“ Dann erwacht Jung in Schweiß gebadet. Jung schreibt weiter über die Gestalt dieses Traumes: „Als unterirdischer Gott ist er über meine gesamte Jugendzeit dagewesen. Und immer wieder fühlte ich seinen Einfluß, sobald etwas zu betont über den „Herrn Jesus“ gesprochen wurde. Der „Herr Jesus“ ist für mich nie eine Wirklichkeit gewesen, nie ganz akzeptierbar, nie wirklich sympathisch. Immer wieder mußte ich an seinen unterirdischen Gegenspieler denken. Das war die Einweihung in das Reich der Finsternis. Von da an hat mein geistliches Leben seinen unbewußten Anfang genommen.“

Ein weiteres Erlebnis Jungs, als zwölfjähriger Gymnasiast in Basel:
Er wartet auf den Bus und sieht dann den Kirchturm des Baseler Doms. Er muß an Gott denken und fängt an zu philosophieren. Er stellt sich Gott auf einem goldenen Thron vor. Auf einmal kommt ein erstickendes Gefühl über ihn. Jung steht wie gelähmt da und fühlt sich gezwungen, „die Sünde gegen den Heiligen Geist“ zu begehen, eine Gotteslästerung zu denken und auszusprechen. Da Jung von seiner christlichen Erziehung her nicht so denken und reden wollte, kommt er zu dem Schluß, daß Gott ihn zu dieser Lästerung gezwungen habe.
Von diesem Erlebnis her kam Jung später zu einer ganz neuen Deutung des Sündenfalles (1. Mose 3). Er behauptete, es wäre Gottes Absicht gewesen, daß Adam und Eva sündigten. Das übertrug er dann auf sich selbst. Darum gab er den gotteslästerlichen Gedanken nach und sprach öffentlich darüber.
Jung beschrieb sein Empfinden folgendermaßen: „Ich verspürte eine unwahrscheinliche Erleichterung und Erlösung. Anstelle des erwarteten Gerichtes kam Gnade über mich, ja, ich wurde überschüttet mit Gottes Gnade. Und ich bekam eine Seligkeit, die ich nie gekannt hatte. Ich hatte das Gefühl, einer göttlichen Offenbarung teilhaftig geworden zu sein.“

Folgen und Auswirkungen von Jungs okkulter Belastung

1. Er bekommt ein Überlegenheitsgefühl gegenüber Christen, die diese Erfahrung (Gnade durch Gotteslästerung) nicht gehabt haben.

2. Jung zweifelt alle herkömmlichen Formen der christlichen Lehre und Erfahrung an – auch die Frömmigkeit und Verkündigung seines Vaters.

3. Jung entwickelt allmählich völlig falsche Vorstellungen über Gott, Christus und
das christliche Leben. Er bekommt einen regelrechten Widerwillen gegen Gottes
Wort. Jung schreibt eigentlich nie über Gott, sondern immer über das Gottesbild in der menschlichen Seele. „Gott ist für mich alles – nur nichts Frommes!“
Nach seinem Traum als Vierjähriger entwickelte Jung einen zunehmenden Wider-willen gegen Jesus Christus: „Die Geschichten vom „Herrn Jesus“ kamen mir immer verdächtig vor; nie habe ich ihnen wirklich geglaubt.“ „Der „Herr Jesus“ war für mich ohne Zweifel ein Mensch und deshalb fehlbar.“

4. Die erste Teilnahme am Abendmahl bei seiner Konfirmation nannte Jung später „die größte Niederlage seines Lebens“. Nach seiner Konfirmation kommt es zum Bruch mit der Kirche und mit seinem Vater. Er tritt aus der Kirche aus.

5. Zur gleichen Zeit erwacht sein Interesse an der griechischen Philosophie, an Goethes Faust und am Spiritismus. Er schreibt über Faust: „Endlich entdeckte ich einen Menschen, der den Gegenspieler ernst nahm und sogar einen Blutspakt mit ihm schloß. Goethe wurde mir zum Propheten.“
Jung liest alle sieben Bände von dem Spiritisten Swedenborg.

6. Während seines Medizinstudiums beteiligt sich Jung zwei Jahre lang jeden
Samstag an spiritistischen Sitzungen bei Bekannten. Die Erlebnisse in jenem
Zirkel werden Grundlage für seine Dissertation. Durch den Spiritismus verlagert
sich sein Interesse von der Medizin auf die Psychiatrie. Jung wird Psychiater.

7. Immer wieder beschäftigt ihn die Frage: Was geht in einem Geisteskranken vor ?, weil er vieles davon in seinem Leben auch entdeckt. Jung spricht z.B. von seiner Person als Nr. 1 und Nr. 2.

Jungs Seelenstruktur
Zum persönlichen Teil des Menschen gehören nicht nur das Bewußtsein, sondern das darunterliegende persönliche Unbewußte, und noch tiefer das kollektive Unbewußte, jenes große Reservoir alten Erfahrungsbesitzes der ganzen Menschheit.
Für Jung ist das Unbewußte nicht nur Behälter für Verdrängtes – wie bei Freud -, sondern auch die schöpferische Mutter des Bewußtseins.
Das kollektive Unbewußte sei die tiefste und unzugänglichste Schicht der Persönlichkeit, die „Urschicht“ der menschlichen Seele, das, was nie bewußt gewesen ist. Dieses universale Unbewußte der Menschheit verdanke seine Existenz der Evolution und enthalte die Erfahrungen aller tierischen und menschlichen Ahnen, quasi die Urvergangenheit der Menschheit. Gleichzeitig sei das Kollektivunbewußte auch die Verbindung zur „göttlichen Weltseele“. Das kollektive Unbewußte – Vorsicht, Jung nennt es manchmal den „inneren Menschen“ – sei also ein gewaltiger kollektiver Lagerraum der Vergangenheit. Von hier werde der einzelne Mensch im Wesentlichen gesteuert.
Jung sieht die Selbstwerdung des Einzelnen (Individuation) als höchste Lebensaufgabe. Auf dem Weg dorthin muß der Mensch von der Suggestivgewalt unbewußter Bilder (Archetypen) befreit werden.

Jungs Theorie der Archetypen
Das kollektive Unbewußte bestehe aus Archetypen (Anfangs- oder Ursprungsbilder). Diese Urbilder der Seele seien Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erfahrungen. Z.B.: Vater, Mutter, Kind, Held, der weise alte Mann, Hexe, Magier, Geburt, Tod, aber auch Paradies, Sündenfall, Jungfrauengeburt, Wiedergeburt, der sterbende und auferstehende Gott, Geister, Götter, Dämonen und der Teufel. Diese und andere „Projektionen archetypischer Inhalte“ seien auf der ganzen Welt die gleichen. Das gesamte menschliche Verhalten (auch das religiöse Verhalten) werde also durch die Archetypen des kollektiven Unbewußten gesteuert.
Der „Archetypus Gott“ in der „Kollektivseele“ eines jeden Menschen bilde zusammen mit seiner persönlichen „Gotteserfahrung“ den „Gotteskomplex“, der das ganze Verhalten beeinflusse, sodaß alles in den Kategorien von Gut und Böse, Tugend und Untugend betrachtet werde. Die Herkunft der Archetypen sei nicht erklärbar.

Jungs Theorie der Individuation
Unter Individuation versteht Jung den Entwicklungsweg zum individuellen Selbst und schließlich zum Welt-Selbst. Jungs Erlösungsweg geht über die Stationen der Selbstwerdung, Selbstverwirklichung bis hin zum „Jenseits von Gut und Böse“ (der Buddhanatur).
Jung meint, der Mensch sei bis zur Lebensmitte extrovertiert. Dann käme die Wende, nach der sich der Mensch introvertiert auf sein kollektives Unbewußtes konzentriere. Das Alter sei dann das Endstadium der Persönlichkeitsentwicklung (Individuation).

Das Ziel der Jung´schen Psychotherapie ist der individuierte Mensch.
Gemäß Jungs Theorien müßte er folgendermaßen beschrieben werden:

– Der individuierte Mensch ist mittleren oder älteren Alters

– er hat sich mit seinem kollektiven Unbewußten auseinandergesetzt und dadurch wahre, gründliche Selbsterkenntnis erhalten

– er ist zur völligen Selbstannahme gelangt, einschließlich seiner animalischen
Natur und seiner verdrängten Bisexualität

– er hat alle polaren Aspekte miteinander versöhnt und vereint; er ist zum „ganz-
heitlichen“ (holistischen) Menschen geworden

– durch Integration seines kollektiven Unbewußten ist er zu einem „höheren
Bewußtsein“ gekommen und hat sein wahres Selbst entdeckt

– schließlich ist er zu einer „universalen Persönlichkeit“ geworden, deren ganz-
heitliche Mentalität in völliger Toleranz jede Verabsolutierung und Polarisierung
ausschließt…

Abschließende Beurteilung
Jungs Psychologie ist eine Heilslehre, eine Religion im psychologischen Gewand. Gerade das macht sie so gefährlich. Jung leugnet den einen biblischen Gott, die totale Sündhaftigkeit des Menschen, die vollkommene Erlösung Jesu Christi und die Tatsache einer letzten Verantwortung vor dem Schöpfer. Gerade Jungs Vermischung von „christlichen“ Gedanken mit griechischer Philosophie, fernöstlichen Religionen und allerhand Okkultismus machen uns die Verwendung seiner Psychologie und Psychotherapie absolut unmöglich.


Teil 4: Die Verhaltenspsychologie (Behaviorismus)

Einleitung:
Der Behaviorismus (von behavior = Verhalten) ist die Lehre vom erlernbaren Verhalten (Konditionierung oder Programmierung des Verhaltens) und zwar durch Lern- bzw. Programmierungstechniken.
Lernen meint hier nicht das schulische Lernen, auch nicht das Lernen durch Reife, sondern Verhaltensänderung durch Programmierung und Training.
Basis des Behaviorismus sind Tierversuche im Laboratorium. Die bekanntesten Experimente liefen mit Hunden, Katzen, Ratten und Tauben.
Die Verhaltenspsychologie hat heute einen ungeheuren Einfluß, besonders in den Berufen, die mit dem Menschen zu tun haben.

I. Geschichte und Hauptvertreter
Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936), russischer Reflexologe,
Vater der „Klassischen Konditionierung“, überzeugter Darwinist,
1904 Nobelpreis. Er führte das berühmte Speichelfluss-Experiment durch (Reiz-Reaktions-Schema):
– ein Hund riecht oder sieht Fleisch: – > Speichelfluß (unbedingter Reiz)
– Pawlow gibt ihm Fleisch u. klingelt mit einer Glocke (verknüpft mit bedingtem Reiz)
– nach einiger Zeit klingelt Pawlow nur mit der Glocke – Ergebnis: Speichelfluß!

Schlußfolgerung: Tiere (und Menschen) können zu angeborenem, logischen Verhalten nichtangeborenes, unlogisches Verhalten hinzulernen – und zwar unabhängig vom Willen!
Pawlow meinte, seine Tierexperimente seien die Basis für eine objektive Psychologie. Der Mensch besitze kein Inneres, sondern bestehe nur aus Verhalten. Am Ende seiner Tätigkeit sprach Pawlow nie mehr von der Seele eines Menschen und verbot auch seinen Mitarbeitern im Laboratorium je wieder die Begriffe Seele oder Seelisches zu gebrauchen.


Edward Thorndike (1874-1949), ein amerikanischer Psychologe, führte unabhängig von Pawlow ebenfalls Tierversuche durch, und zwar mit Hilfe des „Problemkäfigs“.
– eine Katze sitzt im Käfig; außerhalb steht Futter
– der Käfig öffnet sich, wenn die Katze an einer Schlinge zieht
– die Katze „begreift“ die Sache und findet immer schneller aus dem Käfig
– Thorndike nannte diese Art Lernverhalten „trial and error“ (Versuch und Irrtum)
– er meinte, daß solche Erfolgserlebnisse zur Bildung bestimmter
Nervenverbindungen im Gehirn führen würden, die bei weiteren Erfolgen
zunehmend verstärkt würden (Reinforcement).

John B. Watson (1878-1958), ein amerikanischer Psychologe, der Begründer des „Behaviorismus“, war zuerst Leiter eines tier-psychologischen Laboratoriums und später Professor für Psychologie. Watson schrieb 1913 sein „Behavioristisches Manifest“, in dem er behauptete, die Psychologie sei ein reiner Zweig der Naturwissenschaft. Er sah als Gegenstand der Psychologie nur das beobachtbare Verhalten, lehnte die psychoanalytische Bewusstseinslehre ab. Alles andere sei nicht „objektiv“. Watson kam zu der Sicht, daß der Mensch nichts anderes als ein Roboter sei. Selbst die edelsten Gefühle des Menschen oder auch Fähigkeiten wie Sprechen und Denken seien letztlich nur „konditionierte Reflexe“.
In den zwanziger Jahren beherrschte Watsons Schule die gesamte amerikanische Psychologie. In den dreißiger Jahren rückten viele Psychologen vom radikalen Behaviorismus ab und entwickelten die gemäßigter Form des Neo-Behaviorismus.

B. F. Skinner (1904-1990), ein amerikanischer Psychologe, war der Hauptvertreter des „Neo-Behaviorismus“. Er arbeitete vor allem mit Tauben und Ratten in der „Skinner-Box“.
– eine Taube sitzt im Käfig
– wenn sie gegen eine Platte pickt, rollt Nahrung in ihren Käfig…

Pawlows Tiere blieben bei den Versuchen immer passiv. Skinner hingegen entwickelte scharfsinnige Versuche, bei denen das Versuchstier aktiv bestimmte Verhaltensweisen erlernte, die nützlich für es waren. Pawlow war der Vater der „Klassischen Konditionierung“.
Skinners Konditionierung wird „Operante Konditionierung“ genannt. Er arbeitete viel mit Belohnung und Verstärkung, die seiner Meinung nach mehr motivierten als Strafe.
Skinners Hauptwerk: „Jenseits von Freiheit und Würde“ (1971). Skinner wollte die restlose Steuerung und Programmierung mit Hilfe der Lerntechniken.

Francis Schaeffer schrieb ein Buch gegen Skinners Buch mit dem Titel: „Zurück zur Freiheit und Würde“.

II. Die Lerntechnik im Behaviorismus
Die Studien über Versuche mit Tieren im Laboratorium führten zu lerntheoretischen Erkenntnissen und zu Programmierungstechniken (eine dieser Techniken ist z.B. die „Gehirnwäsche“), die beim Menschen angewendet wurden und werden. Die Verhaltenspsychologie ist also die Anwendung von Lerntheorien und Lerntechniken des Tieres, angewendet auf den Menschen.
Technisch-methodische De-Programmierung wird in der heutigen Psychotherapie angewandt
– bei Phobien
– bei Süchten
– bei Sekten-Mitgliedschaft (z.B. Scientology)

III. Geistige Ziele des Behaviorismus
Durch konditioniertes bzw. de-konditioniertes Verhalten soll der Mensch im Sinne einer neuen Gesellschaft verändert werden. Er soll seine gesellschaftliche Rolle besser spielen können.
Der Begriff Rolle entspringt der Theaterwelt und meint ein bestimmtes Verhalten, das vom Drehbuch vorgeschrieben ist.
In der Soziologie versteht man unter „Rolle“ eine bestimmte Verhaltensnorm, die von der Gesellschaft für jeden Menschen vorgeschrieben ist.
– wenn ein Mann Kinder hat, dann ist er nicht Vater, sondern „er spielt die Vater – Rolle“…
– wenn man Hausfrau ist, dann spielt man die Rolle einer Hausfrau…
– wenn man Christ ist, spielt man nur die Rolle eines Christen…

Die Gesellschaft knüpft an die einzelnen Rollen bestimmte Erwartungen, und die gilt es zu erfüllen. Höhere Normen gibt es nicht. Jedes Verhalten eines Menschen ist Rollenverhalten, vom Kindes- bis zum Greisenalter.
Der Mensch ist erst dann richtig Mensch, wenn er sich in einem Prozeß der Sozialisierung allen Rollenerwartungen der Gesellschaft völlig angepaßt hat. Der sozialisierte, angepaßte, neue Mensch ist der perfekte Rollenspieler, programmiert für die neue Gesellschaft.

IV. Das Menschenbild des Behaviorismus:
Grundlage des Behaviorismus ist die Evolutionstheorie. Da der Mensch nur ein höher entwickeltes Tier ist, haben Tier und Mensch das gleiche Verhalten und lernen unter den gleichen Bedingungen.
Der Behaviorismus lehrt das „Automatenmodell“. Der Mensch ist ein Automat. Man steckt etwas bestimmtes hinein, und ein bestimmtes Verhalten kommt heraus (das Input – Output -Modell oder Reiz-Reaktions-Schema).

1. Alles ist Verhalten (Alkoholiker haben ein bestimmtes „Trinkverhalten“)

2. Alles heutige Verhalten ist von der Umwelt erlernt.
– das normale, gewünschte Verhalten
– aber auch das abnorme oder kriminelle Verhalten

3. Alles gewünschte zukünftige Verhalten ist technisch-methodisch erlernbar und
unerwünschtes Verhalten kann verlernt werden (Lernpsychologie).
Bei Erfolg gibt es Belohnung (z.B. Aufnahme in die Gruppe), bei Versagen Strafe
(z.B. Isolierung oder Ausschluß aus der Gruppe).

Aber der Mensch hat ganz andere Eigenschaften wie das Tier. Wie will der Behaviorismus folgende menschlichen Züge erklären: Liebe, Humor, Schönheit, Ideale, Kultur, Musik, Gewissen, Scham, Schuld, Selbstaufopferung,….?

V. Eine Beurteilung des Behaviorismus aus christlicher Sicht


* Der Behaviorismus basiert auf der falschen Grundlage der Evolution und deren materialistischem Menschenbild.
* Der Behaviorismus überträgt das Verhalten von Tieren im Laboratorium auf das tatsächliche oder erwünschte Verhalten von Menschen und übersieht dabei die völlige Verschiedenheit von Mensch und Tier.


Teil 5: Die Humanistische Psychologie

I. Biographie des Begründers Abraham Maslow

Abraham Maslow (1908-1970), amerikanischer Psychologe russisch-jüdischer Herkunft, wuchs in New York auf. Er hatte – im Gegensatz zu Freud und Jung – ein gutes Verhältnis zu seinem Vater; aber seine Mutter hielt er für schizophren. Sie brachte sieben Kinder zur Welt, und sobald ein neues Kind geboren wurde, vergaß sie die anderen. Mutter Maslow war sehr abergläubisch. Der junge Abraham entwickelte eine starke Abneigung gegen diese Dinge. Sein frühster Traum war, „allen religiösen Aberglauben auszumerzen“ (1963 machte er sein Vorhaben wahr und schrieb ein fürchterliches Buch gegen jede Art von Glauben und Aberglauben).

Maslow litt unter dem Antisemitismus und fühlte sich als Jude oft sehr einsam. Er flüchtete sich in die Literatur, die Bibliothek wurde zu seiner Wohnung.
Später er beschrieb seinen damaligen Zustand folgendermaßen:
„Ich war während meiner ersten zwanzig Lebensjahre zweifellos neurotisch, sogar sehr neurotisch, depressiv, schrecklich unglücklich, einsam, allein. Und ich verwarf mich selbst.“
Diese existenzielle Krise des jungen Maslow wurde später bestimmend für die Humanistische Psychologie. Man meint, Neurosen hätten ihren Ursprung in einem negativen Selbstbild. Und die Therapie ist darauf ausgerichtet, daß man ein positives Selbstbild von sich bekommt und sich selbst annimmt.

Nach zwischenzeitiger Beschäftigung mit Jura und Politik (idealer Sozialismus) stieß Maslow durch Bücher von Watson auf die Psychologie. Maslow war begeistert vom Behaviorismus. Er schrieb:
„Die Auffassung, daß der Mensch eine Maschine ist, wies mich darauf hin, daß er wissenschaftlich verbessert werden kann. Es war dieser Aspekt der Verhaltenspsychologie, der meine Phantasie reizte. Meine Ziele waren nun aufs entschiedenste utopisch, messianisch, weltverbessernd, menschverbessernd.“
Maslow studierte Psychologie. Er begann als völlig überzeugter Behaviorist. Als Assistent von Thorndike experimentierte er vor allem mit Ratten. Als er Familienvater wurde, beobachtete er an seinen Kindern ganz verschiedene Persönlichkeitstypen. Das veranlaßte ihn, zu Freud umzuschwenken. Maslow wurde Psychoanalytiker.
Von 1936-1950 war er Dozent in New York. Wegen des Dritten Reiches mußten viele Juden aus Europa emigrieren; die meisten kamen in die USA. Maslow lernte u.a. Adler (Individualpsychologie), Fromm (Neo-Psychoanalyse) und Bühler (Ganzheitspsychologie) kennen. Er übernahm in synthetischer Haltung von jedem etwas. Das Ergebnis wird seither „the third force psychology“ (der dritte Weg) genannt, oder Humanistische Psychologie oder Sozial-Behaviorismus.

II. Das Modell der Humanistischen Psychologie


A. Die Wurzeln der Humanistischen Psychologie


1. Die Philosophie des Evolutionismus
Maslow war durch und durch Evolutionist: „Der Mensch ist ein Tier, aber ein höher entwickeltes Tier.
2. Die Philosophie des Humanismus (der Mensch ist gut und autonom)
3. Die Philosophie des Existenzialismus (Jaspers, Heidegger, Satre)
Der Existenzialismus legt die Betonung nicht wie Freud auf die Vergangenheit, sondern auf das so genannte „Hier und Jetzt“, sowie auf die zwischenmenschlichen Beziehungen.
4. Die Idee der Selbstverwirklichung
Diese Idee kommt ursprünglich aus dem Evolutionismus. Was auf biologischem
Niveau möglich sei, sei auch auf psychologischem Niveau möglich.
5. Die vorangegangenen psychologischen Richtungen (bes. Freud, Adler, Watson)

Maslow warf Freud vor, daß die Psychoanalyse vom kranken Menschen ausgehe (das intra-psychische Konfliktmodell).
Dem Behaviorismus warf er vor, daß er vom Durchschnittsmenschen ausgehe (das mechanistische Input-Output-Modell).
Dem setzte Maslow nun das „innere Harmonie-Modell“ der Humanistischen Psychologie entgegen. Maslow und seine Humanistische Psychologie geht von den „besten Menschen“ aus. Er studierte 20 Biographien von herausragenden Persönlichkeiten (Lincoln, Livingstone, Spinoza, Einstein, Albert Schweitzer, etc.).
Maslow glaubte wie Freud auch an das Unbewusste, nur sah er es als positiv und kreativ an. Der Mensch hätte tief innen ein großes Potential an positiven menschlichen Möglichkeiten (Human potential movement). Diese gälte es zu entfalten. Dabei wolle die Humanistische Psychologie helfen.

Körperliche Bedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen, etc.)
Kritik: Maslow dringt zu der eigentlichen Bestimmung des Menschen, der Gemeinschaft mit Gott, überhaupt nicht durch. Darum ist seine Pyramide letztlich irreführend. Ouweneel schreibt:
„Bei Maslow steht in typisch humanistischer Weise der Mensch im Mittelpunkt mit der Befriedigung seiner auf sich selbst gerichteten Bedürfnisse und mit seiner Selbst-Verwirklichung“ (S.72).

Die Bibel zeigt uns einen anderen Weg: die Christus-Verwirklichung in unserem Leben (Römer 14,7-8; Galater 2, 19-20). „Herr Jesus, lebe Du Dein Leben in mir!“

Zusammenfassung des bisher Gesagten
Die Psychoanalyse fragt nach dem Warum (Wissenschaft des dynamischen Unbewussten). Der Behaviorismus fragt nach dem Was (Wissenschaft des äußeren Verhaltens). Die Humanistische Psychologie fragt nach dem Wozu (Wissenschaft der ungeahnten menschlichen Möglichkeiten).

III. Carl Rogers und die Gesprächspsychotherapie

Carl Rogers (1902-1987) war ebenfalls ein amerikanischer Psychologe. Er entstammte einer gut-christlichen, harmonischen Familie und wuchs auf einer Farm auf. Dort machte er eines Tages eine Beobachtung, die zum Schlüsselerlebnis für seine spätere Psychologie wurde. Er hatte mit Saatgut experimentiert und kam zu dem Ergebnis: wenn man die richtigen Bedingungen schafft, kommt aus dem Samen das heraus, was drin steckt!
Rogers studierte zunächst Landwirtschaft, dann Theologie. Er suchte sich bewußt die liberalste Universität aus. Nach eigener Aussage hatte er eine tiefe Abneigung gegen jede Art von Dogmen.

Die Gesprächsmethodik der Humanistischen Psychologie
– Bei Rogers ist der Hilfesuchende nicht der Patient, sondern der „Klient“. Rogers
betont, daß sich der Therapeut in den Klient einfühlen muß. Er geht im Blick auf
das Einfühlen soweit, daß der Therapeut im Idealfall zum „zweiten Ich“ (Alter-Ego) des Klienten werden soll.
Biblische Seelsorge: mit den Augen Jesu sehen, mit den Ohren Jesu hören, mit
dem Herzen Jesu lieben, etc.

– Bei Rogers gibt es keine Schuld, sondern nur Schuldgefühle.
– Der Therapeut darf nicht direktiv werden. Weil der Klient als autonom angesehen wird, darf der Therapeut allenfalls einen Rat geben, aber auf keinen Fall ermahnen. Jede Ermahnung würde einer Bevormundung gleichkommen (Bitte nicht mit Gottes Wort kommen!).
– Der Klient muß akzeptiert werden, wie er ist (samt unbiblischen Normen und
Verhalten). Beispiel: Wenn eine Frau kommt, die abtreiben will, dann muß der
Therapeut ethisch-religiös neutral bleiben und eine völlig „undogmatische“ Haltung einnehmen.
– Rogers führte auch so genannte „Encounter-Gruppen“ ein (Begegnungsgruppen). Unter der Gesprächssteuerung eine Gruppenleiters (und ggf. eines Kotherapeuten) sollen die Teilnehmer zu einer tieferen persönlichen Begegnung und zu neuer Selbsterfahrung geführt werden.


Schlußwort von Viktor Frankl (Wiener Psychologe):
„Der ganze Rummel um die Selbstverwirklichung ist ein Symptom des Scheiterns. Selbstverwirklichung sucht nur derjenige, der unfähig ist, den Sinn seines Lebens in etwas anderem zu finden als in seinem Egoismus.“
09/96 Wilfried Plock, Mannheim

Quellen:
Antholzer, Roland: Plädoyer für eine biblische Seelsorge, Schwengeler Verlag 1986
Berger, Klaus: Siegmund Freud – Vergewaltigung der Seele, Schwengeler Verlag
Bertelsmann: „Lexikon der Psychologie“, Bertelsm. Lexikon Verlag, Gütersloh 1995
Bobgan, Dr. Martin u. D.: Psychoheresy, EAS Gate Publishers, Santa Barbara 1987
Bobgan, Dr. Martin u. Deidre: Psychotherapie oder biblische Seelsorge, CLV 1991
Krüger, Dr. Hartmut: Couch oder Kreuz?, Schwengeler Verlag 1994
Nannen, Els: Psychologie im biblischen Licht, Bibel und Gemeinde, 1987/1
Nannen, Els: Psychologie im biblischen Licht, Kassettenvorträge, Liebenzell 1992
Ouweneel, Dr. Wim: Herz und Seele, Gibt es eine christl. Psychologie?, Dillbg. 1991

 

Teil 6   Der Psycho-Klerus

Kritische Anmerkungen zum BTS-Kongreß 96 in Fellbach

Vom 24.-27. Juni 1996 fand in Fellbach bei Stuttgart der diesjährige Kongreß der “Deutschen Gesellschaft für Biblisch-Therapeutische Seelsorge” (DGBTS) statt. Er stand unter der Gesamtthematik: „Der Mensch in der Gemeinschaft – Seelsorge am System in Familie und Gemeinde“. Die Gesellschaft, 1985 im Auftrag der Ludwig-Hofacker-Vereinigung gegründet, wird von Univ.-Prof. Dr. Michael Dieterich und seinen Mitarbeitern geleitet. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Interessierte aus verschiedenen Gemeinden zum Seelsorgedienst auszubilden. BTS bietet dazu gestaffelte Kurse an, die in Seminarform an verschiedenen Orten stattfinden. Wer alle Kurse erfolgreich absolviert, schließt mit dem BTS-Diplom ab. Inzwischen existieren auch österreichische und schweizerische Zweige der Gesellschaft.

BTS und die Psychologie
BTS nahm von Anfang an eine offene Haltung zur Psychologie ein. Die Gesellschaft will Erkenntnisse der modernen Psychologie und Therapie mit der Verpflichtung zu einem biblischen Menschenbild verbinden. Dr. Dieterich ist davon überzeugt, daß es dabei „keine Schwierigkeiten mit möglicherweise damit verbundenen Ideologien gibt“ (Vorwort zum BTS-Kursprogramm 1996).
Welches Ausmaß der Einfluß (oder das Diktat?) der Psychologie jedoch inzwischen angenommen hat, wurde auf dem Fellbacher Kongreß deutlich. Die hilfreichen Vorträge einiger Gastreferenten (z.B. Prof. Jay Adams), hoben sich auffallend positiv von denen der BTS-Mitarbeiter ab. Insbesondere dürfen die Ausführungen von Dr. Ulrich Giesekus über “Krankmachende Strukturen in der Gemeinde” nicht unwidersprochen bleiben, weil der Gesamttenor der Aussagen nach meinem Dafürhalten die Ehre Gottes und seiner Gemeinde verletzt. Dieser Vortrag stand richtungsweisend am Anfang der Konferenz und wurde mit lang anhaltendem Beifall bedacht.
Wenn ich im Folgenden jenen Vortrag nach einer Kassettenaufnahme kritisch kommentiere, so will ich damit weder über den persönlichen Glauben, noch über die Motive des Referenten (bzw. der BTS-Leitung) urteilen. Das steht allein Gott zu.
Giesekus studierte in den USA Erziehungs- und Sozialwissenschaften sowie Psychologie. Bei der Deutschen Gesellschaft für Biblisch-Therapeutische Seelsorge (DGBTS) ist er seit 1988 Mitarbeiter und inzwischen Studienleiter für Psychologie und Psychotherapie.

Macht Glaube krank?
A. Im Vorspann des Vortrages von Dr. Giesekus werden von einer Sprecherin zwei Extrempositionen gegenübergestellt. Auf der einen Seite stehe Siegmund Freud (und seine Vertreter), der Glaube als “neurotische Störung” und Religion als “kollektive Neurose” bezeichnete. Auf der anderen Seite befänden sich jene Christen, die behaupteten: “Wer richtig glaubt, der wird nicht krank.”
Dr. Giesekus, der in den Staaten Erziehungs- und Sozialwissenschaften, sowie Psychologie studierte, erzählt in seiner Einführung, daß er vor 20 Jahren Zivildienst in einer Psychiatrischen Klinik ableistete. Zitat: “Ich war entsetzt als frommer Mensch, wie viele Menschen aus meinen Gemeindekreisen, frommen Gemeinschaftsbewegungen und Freikirchen, Brüder und Schwestern, dort als Patienten waren, weil ich gedacht hatte, so etwas gibt es bei uns gar nicht….”

1. Von Dr. Giesekus wird hier einerseits der Eindruck erweckt, daß die Psychiatrischen Kliniken und Praxen von überdurchschnittlich vielen Gläubigen bevölkert werden. Den statistischen Nachweis – geschweige denn einen objektiven Beweis – bleibt er aber schuldig.
2. Andererseits behauptet er, daß diese Christen wegen “pathogener Strukturen ihrer Gemeinde“ dorthin gekommen sind. Könnte es nicht auch zutreffen, daß viele Gläubige wegen ihrer Persönlichkeitsstruktur oder wegen schwerer Erlebnisse, mit denen sie nicht fertig wurden, in die Klinik mußten? Warum differenziert Dr. Giesekus in diesem Zusammenhang nicht? Will er vielleicht mit Absicht dieses Bild in solch schwarzer Farbe malen?

B. Dr. Giesekus führt dann weiter aus, daß er in Nachgesprächen mit ehemaligen Patienten folgende Beobachtung machte: Nach Beendigung des Klinikaufenthalt fühlten sich diese Christen gut; doch durch die Seelsorge ihrer Heimatgemeinde wurden sie wieder krank.

1. Mit wie vielen solcher ehemaligen Patienten mag der damalige Zivildienstleistende Giesekus wohl solche Nachgespräche geführt haben?
2. Bei wie viel Prozent dieser Gespräche trat wirklich das oben geschilderte Ergebnis zu Tage? Schloß Herr Giesekus hier vielleicht von Einzelfällen auf die Allgemeinheit?

C. Dr. Giesekus berichtet weiter, wie Eberhard Schätzing und Klaus Thomas als erste der Frage nachgingen: “Warum werden die Leute in der Gemeinde so häufig krank?” Diese beiden prägten bereits 1955 den Begriff “Ekklesiogene Neurose” (mit diesem Begriff meinten die Autoren jene Störungen, die überwiegend oder ausschließlich in christlichen Sozialisationen vorkommen).
Anschließend führt Giesekus den Tiefenpsychologen Helmut Harck als Kronzeugen an und zitiert: “Es gibt eine bestimmte Form neurotischer Erziehung, die mit sehr viel Enge zu tun hat. Sie tendiert dazu, bestimmte Glaubensformen zu suchen, und diese Glaubensformen tendieren wieder dazu, diese Enge zu fördern.”
Anschließend zitiert Giesekus aus dem Buch “Gottesvergiftung” von Tilmann Moser:
“Du, Gott, bist in mich eingezogen wie eine schwer heilbare Krankheit, als mein Körper und meine Seele klein waren. Beide wurden entgegen einer freien Bestimmung zu deiner Wohnung gemacht, und ich war stolz, daß du auch in mir kleinem Jungen Wohnung nehmen möchtest. Es gab Jahre, wo ich dir mein Leben weihen wollte, wo zwischen dir und mir verhandelt wurde über einen Erwählungsvertrag. Du hast schon ganz früh mit meinem Größenwahn gespielt, ihn genährt, ihn an geheiligten Vorbildern gesteigert, die mir in deinem Namen vor Augen gehalten wurden. Ich habe dir so schreckliche Opfer gebracht an Fröhlichkeit, Freude an mir und anderen, und der Lohn war – neben der Steigerung des Erwähltheitsgefühles oder dem Sieg darum – ein Quentchen Geliebtsein vielleicht, vielleicht ein Quentchen weniger Verdammnis.”

1. Auch wenn Dr. Giesekus die in den schwerwiegenden vorangegangenen Zitaten zum Ausdruck gebrachte Sichtweise ekklesiogener Neurosen in einem Nachsatz als unzureichend bezeichnet, so bleiben doch die Fragen offen: Welche Form religiöser Erziehung meinte Harck? Und welche religiöse Erziehung genoß Moser? Handelt es sich um die einer altpietistisch geprägten Familie oder die katholischer Ordensschwestern?
2. Welchen Eindruck suggeriert Giesekus (absichtlich oder unabsichtlich) mit dem Zitat von Tilmann Moser? Werden hier nicht gottesfürchtige Eltern verunsichert, auf die Bekehrung ihrer Kinder hinzuwirken? Wird ihnen nicht unterschwellig abgeraten, ihren Kindern an Christus hingegebene Vorbilder aus Bibel und Geschichte vor Augen zu stellen?
3. Welches Gottesbild vermittelt Giesekus, wenn er den falschen und bösen Satz aus Mosers kranker Seele “Du, Gott, hast schon ganz früh mit meinem Größenwahn gespielt, ihn genährt, ihn an geheiligten Vorbildern gesteigert…” unkommentiert im Raum stehen läßt? Diesen Gott, von dem da gesprochen wurde, gibt es nicht!

D. Dann kommt Dr. Giesekus auf den Punkt. Er verkündet, daß BTS seit einiger Zeit “Gemeindetherapie” anbietet. Sie soll den Gemeinden helfen, ihre krankmachenden Strukturen zu erkennen, bzw. abzubauen.

1. Alle, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, wissen, daß „die Gemeinde Jesu in irdischer Gestalt“ mit mancherlei Schwachheit behaftet ist. Diesen Aspekt wollen wir weder negieren, noch beschönigen. An dieser Stelle sind alle Verantwortlichen in der Gemeindearbeit gefordert.
2. Aber erweckt Dr. Giesekus mit seiner Aussage nicht den Eindruck, als seien die Gemeinden ohne „Psycho-Fachleute“ aufgeschmissen?
3. Soll mit BTS gar eine Art “Psycho-Klerus” aufgebaut werden, der die armen, hilflosen Gemeinden von den krankmachenden Strukturen befreit?

E. Dr. Giesekus hebt dann auf so genannte sozial-psychologische Aspekte eines Gemeindelebens ab. Er behauptet, daß Gruppen, die sich in bestimmter Hinsicht von ihrer Umwelt abgrenzen, unter Umständen in einer Art von gruppendynamischen Prozeß ein geschlossenes Gruppendenken (engl.: group think) entwickeln würden, das sehr verhängnisvoll werden könnte.

1. Natürlich sind solche Phänomene von sektiererischen Gruppen und Psychokulten hinreichend bekannt. Aber warum differenziert Giesekus hier wiederum nicht? Will er wirklich jede Gemeinde, die im Blick auf Bereiche, die den Lebensstil betreffen, feste Überzeugungen hat, in die Nähe sektiererischer Entartung rücken?
2. Ist es vor Gott verantwortlich, wenn Giesekus in diesem Zusammenhang sogar von “Gehirnwäsche” spricht? Wird hier nicht unterschwellig suggeriert: „Hüte dich vor Gemeinden mit klar definierten Schriftüberzeugungen; du könntest dort unter starken Konformitätsdruck geraten!“?

F. Danach kommt Dr. Giesekus zum Thema „Persönlichkeitsstruktur eines Menschen“ und führt Riemann an. Dieser stellte die These auf, daß der Mensch zwar in seinen Wesenszügen, nicht aber in seiner Tiefenstruktur anpassungsfähig sei. Giesekus folgert daraus, daß sich in bestimmten Gemeinden nur bestimmte Persönlichkeitstypen sammeln würden. Dr. Giesekus spricht dann weiter über soziale Normen. Er behauptet, daß die theologische Richtung einer Gemeinde enorm geprägt sei von der Persönlichkeitsstruktur ihrer Mitglieder, und daß die Persönlichkeitsstruktur der nächsten Generation wiederum geprägt sei von der Gemeinde.

1. Wo ist hier wiederum der klare Beweis, daß dem so ist? Ich persönlich bin überzeugt, daß in einer Gemeinde ab einer bestimmten Größe alle möglichen Charaktere zu finden sind.
2. Giesekus sieht auch die Zusammensetzung einer Gemeinde ausschließlich durch die sozial-psychologische Brille. Daß sich Christen anschließen, weil sie dort das neutestamentliche Gemeindeleben am weitesten verwirklicht sehen und Gott am meisten verherrlichen können, kommt für Giesekus überhaupt nicht in Betracht.

3. Giesekus läßt hier erneut wichtige Faktoren außer acht, die einer Gemeinde theologisch Richtung geben. Seine Sichtweise klingt sehr deterministisch.
Weiß er nicht, daß der souveräne Gott immer wieder Christen (und sogar ganze Gemeinden) erweckt und sie zum Gehorsam gegenüber neutestamentlichen Grundsätzen zurückführt?

4. Hat nicht das Wort Gottes mehr Kraft, als die von Generationen gepflegten Traditionen und Gewohnheiten?

5. Wenn Gemeinden geistlich degenerieren, liegt m.E. der Hauptgrund in der Vernachlässigung des Wortes Gottes und nicht in sozial-psychologischen Defiziten.

G. Dr. Giesekus führt eine Reihe von “sozialen Normen” an, deren vollständige Kommentierung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Ein Beispiel möchte ich herausgreifen. Giesekus konstatiert, daß in vielen Gemeinden der Großteil der Arbeit von einigen wenigen getan würde. Diese litten dann häufig an „Erschöpfungsdepressionen“, während viele Gemeindeglieder passiv seien und Sinnlosigkeitsgefühle hätten. Ursache dafür sei die Tatsache, daß viele Christen keine Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Entspannung, zwischen Leistung und Genus praktizierten.

1. Leider hat Dr. Giesekus mit seiner Beobachtung nicht Unrecht. Tatsächlich tun in vielen Gemeinden zu wenige zu viel.

2. Aber er irrt sowohl in der Diagnose, als auch in der Therapie. Ursache für dieses Phänomen ist nicht mangelnde Genussfähigkeit bei christlichen Leitern, sondern die völlig ungenügende Umsetzung des Leib-Glieder-Prinzips von 1. Korinther 12. In Gemeinden, die das allgemeine Priestertum der Gläubigen (1. Petrus 2, 9) in Struktur und Leben konsequent zu verwirklichen suchen, dienen viele Glieder aktiv dem Herrn. Ihre Leiter tragen zwar dann immer noch die Last der Verantwortung, müssen aber nicht notwendigerweise überarbeitet sein.

H. Die abschließende Zusammenfassung des BTS-Therapeuten Giesekus zitiere ich wörtlich:
“Ich glaube, das ist der Ansatzpunkt der Gemeindetherapie, daß wir Gemeinden erstens gründlich diagnostizieren müssen und sehen müssen: wo stehen die von den sozialen Normen, sozialpsychologisch, wo stehen die geistlich, und daß wir dann aufgrund einer solchen Diagnose eigentlich eine Art von Selbstwahrnehmung fördern müssen, die ich glaube bei uns Frommen besonders den Schwerpunkt haben wird, daß wir diese sozial-psychologischen Aspekte deutlicher wahrnehmen.”

1. Was sagt dieses Schlußzitat über das Selbstverständnis der BTS-Therapeuten? Drängt sich hier nicht der Eindruck auf, daß sich die BTS-Leute quasi als „Retter in der Not“ verstehen, die der Gemeinde Jesu endlich ihre sozial-psychologischen Defizite nehmen können? Da fragt man sich wirklich, wie der Leib Christi 1900 Jahre lang ohne Hilfestellung der modernen Psychologie zurechtgekommen ist!

2. Ich bin persönlich davon überzeugt, daß das schlichte Wort Gottes genügt, um Christen zur richtigen Selbstwahrnehmung zu führen.

3. Ich würde mich hierin gerne täuschen; aber ich hege die Befürchtung, daß besonders die „Chef-Ideologen“ von BTS mehr die Bibel durch die Brille der Psychologie betrachten, als die Psychologie durch die Brille der Heiligen Schrift. Aber echtes Christentum und Psychologie lassen sich nicht gut vermischen. Wer das tut, erhält nicht eine christliche Psychologie, sondern ein verwässertes Christentum.

Ich will noch einmal betonen, daß ich Dr. Giesekus und den anderen BTS-Mitarbeitern weder den Glauben abspreche, noch Ihnen böse Motive unterstellen will. Aber ich habe mich schon gefragt, welches Gemeindebild sie haben, insbesondere Herr Giesekus.

Gibt es eine Alternative?
Ich persönlich bin der Auffassung, daß die Gemeinde Jesu Grund hat, sich in diesem Zusammenhang vor dem Herrn zu beugen. In unserer Wissenschafts- und Ideologieanfälligkeit haben wir der Psychologie und Psychotherapie allzu leichtfertig die Türen geöffnet. Gleichzeitig haben wir versäumt, in schlichtem Vertrauen und Gehorsam biblische Seelsorge zu üben. In der gemeinde-internen Ausbildung und Zurüstung von Seelsorgern haben wir ebenfalls größtenteils versagt.
Nur so ist es zu erklären, daß sich heute selbsternannte Fachleute aufschwingen, um den Leib Christi in einer Art von „Psycho-Klerus“ zu therapieren. Klerus meint hier eine elitäre Schicht, die eine andere Schicht kraft ihrer Überlegenheit an Wissen und Macht beherrscht.

Dr. Martin und Deidre Bobgan zeigen in ihrem Buch „Psychotherapie oder biblische Seelsorge“ (CLV Bielefeld, 1991) im 17. Kapitel wie ein Seelsorgedienst innerhalb einer Gemeinde geplant und aufgebaut werden kann. Im Unterschied zu BTS verzichtet Ehepaar Bobgan auf die sehr zweifelhaften Erkenntnisse der Psychologie. Die Autoren zeigen in ihrem Buch, wie – ohne die Hilfestellung christlicher Psychologen von außen – allein auf der Grundlage der Schrift zuverlässige Seelsorger ausgebildet werden können.
Diplom-Psychologe Roland Antholzer und seine Mitarbeiter verfolgen mit ihrer „Gemeindeorientierten Initiative für Biblische Beratung“ (GIBB) ein ähnliches Ziel.

Ich schließe mit einem Zitat aus dem o.a. Buch von Ehepaar Bobgan (S.233):

„Was der Herr durch seine Gemeinde, sein Wort und den Heiligen Geist zur Verfügung gestellt hat, reicht aus, um seelisch geistliche Gesundheit zu bringen und zu erhalten. Statt Psychologen hinterherzulaufen, die ihren psychologischen Weg predigen, sollten wir zum biblischen geistlichen Weg zurückkehren und den Seelsorgedienst in der Gemeinde wieder einrichten.“

Wilfried Plock, Mannheim

 




Die zwei Naturen im Kinde Gottes (Bullinger)

Ethelbert W. Bullinger

Die zwei Naturen im Kinde Gottes

– Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Dr. Paul Müller, 1957 –


Vorwort von E.W. Bullinger:
Die Erfahrung des Kindes Gottes ist in Gal. 5,17 mit folgenden Worten beschrieben:


“Das Fleisch gelüstet wider den Geist,

und den Geist wider das Fleisch;

und diese sind wider einander,

auf daß ihr nicht das tut, was ihr wollt:”



In allem andern kann der bloße Bekenner das wahre Kind Gottes nachahmen; aber gerade das unterscheidet den nur Religiösen von dem wahren Christen: Jedes wahre Jedes wahre Kind Gottes erlebt ständig den Konflikt, der Gal. 5,17 beschrieben ist. Aber nicht jedes Kind Gottes begreift, was es daraus lernen soll.

Wer den Kampf erlebt, ohne seinen Sinn zu erkennen, wird aus der Verwirrung, Unruhe und Entmutigung nie herauskommen. Wer dagegen nur verstandesmäßig die Lehre erfaßt hat, ohne den Kampf zu erleben, schreitet einem ewigen Verhängnis entgegen.
Die einzige Hilfe besteht darin, daß man unmittelbar aus Gottes Wort lernt, was dort über die Adamsgeburt steht, sowohl über ihre Natur als auch über ihr Erbe, andererseits aber auch über die durch Wiedergeburt von Gott geschenkte Natur.
Das allein vermittelt dem Gläubigen die wahre Erkenntnis von „Gottes Werk“ (Eph. 2,10) und den Schlüssel zu diesen Erfahrungen, die ihm andernfalls unerklärlich bleiben.
Wenn die Lehre von den zwei Naturen klar verstanden wird, dann ist nicht nur eine Quelle des Zweifels beseitigt, sondern die Grundlage der Gewißheit gefunden. Das ist dann in der Tat die beste Versicherung, die der Mensch dafür bekommen kann, daß er Gottes Werk ist und daß Gott tatsächlich das gute Werk in ihm angefangen hat, das er selbst vollenden wird.
Das Ziel der folgenden Seiten ist, die Erkenntnis dieser Lehre zu vermitteln, so daß die Erfahrung, die sonst Zweifel und Furcht erzeugt, eine Quelle des Friedens und der Freude werde.
London-W.

E.W. Bullinger

INHALTSVERZEICHNIS
I. Namen und Kennzeichen der alten Natur

1. Das Fleisch

2. Der natürliche Mensch

3. Der alte Mensch

4. Der äußere Mensch

5. Das Herz

6. Die fleischliche Gesinnung

7. Die Sünde

II. Wesen und Ende der alten Natur

1. Sie kann nicht verändert werden

2.Ihr Ende ist der Tod

3. Wer auf sie sät, wird Verderben enden

III. Namen und Kennzeichen der neuen Natur
1. Geist

2. Die göttliche Natur

3. Der neue Mensch
4. Der innere Mensch

5. Der Sinn

6. Christi Geist
7. Gottes Geist

IV. Wesen und Ende der neuen Natur

1. Sie kann verändert werden

2. Sie ist Leben und Frieden

3. Ihr Ende ist Entrückung und Auferstehung


V. Der Kampf zwischen den zwei Naturen

Die Erfahrung des Widerstreits. Römer 7

Wir sind nicht in unseren Sünden, aber „Sünde“ ist noch in uns

VI. Unsere Aufgaben der alten Natur gegenüber
VII. Unsere Aufgaben der neue Natur gegenüber
VIII. Praktische Schlußfolgerungen

Die zwei Naturen in dem Kind Gottes




Einleitung


„Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch;
was aus dem Geist geboren ist, ist Geist!“ (Joh. 3, 6)

Wir hören heutzutage viel über die sogenannte „Lehre Jesu“, und es wird der Versuch gemacht. Dieselbe über und gegen die Lehre des Apostels Paulus zu stellen, wobei man die Tatsache übersieht, daß sowohl die Evangelien als auch die Briefe durch die Inspiration desselben Heiligen Geistes gegeben wurden.

Jene Leute sagen das aber nicht, weil sie die Lehre des Herrn Jesus kennen lernen oder ihr gehorchen möchten, sondern sie die Autorität der Botschaft Gottes durch Paulus herabsetzen wollen, um die sogenannte Paulinische Theologie loszuwerden. Stellt man sie vor die tatsächliche Lehre des Herrn Jesu, so wollen sie nichts von derselben wissen. Sie gehen zurück und wandeln nicht mehr mit ihm, oder sie werden „mit Wut erfüllt“ und suchen ihn hinauszustoßen.
Johannes 3, 6 erfahren wir aus dem Munde des Herrn Jesus eine entscheidende Wahrheit mit ewigem Grund. Es ist jedoch gerade die Wahrheit , die der natürliche Mensch nicht hören will. Sie erklärt, daß wir unserer Natur nach von dem gefallenen Adam abstammen, (1.Mose 5,3) daß wir nach seinem Bilde gezeugt und seiner gefallenen Natur teilhaftig sind. Als Fleischgeborene besitzen wir die Natur unseres Stammvaters und sind Fleisch. Dieses Fleisch, so sagt Jesus, „nützt nichts“ und in ihm „wohnt nichts Gutes“. (Römer 7, 18)
Aber, wie gesagt, das ist die Lehre, die der Mensch nicht annehmen will.  . . .
Wenn im Menschen etwas Gutes gefunden werden soll, muß es zuerst durch Gott in ihn hineingelegt werden. Es muß „vom Geist geboren“ werden, und wenn dieses „Gute“ so geboren und im Menschen vorhanden ist, zeigt sich, daß es der Natur seines himmlischen Vaters teilhaftig ist. Es ist Geist. Es ist göttlich.
Diese zwei Naturen sind in ihrem Ursprung, ihrem Wesen und ihrem Charakter nach entgegengesetzt; beide haben verschiedene Namen. Dabei enthüllt jeder Name einen neuen Zug und eine weitere Wahrheit.

I. Namen und Kennzeichen der alten Natur

1. „Das Fleisch“, wie es Joh. 3,6 heißt: „Was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch“. Es entsteht durch Geburt, nachdem es von einem gefallenen Wesen gezeugt ward. Über das Fleisch wird uns gesagt:


Es „kann Gott nicht gefallen“. (Röm.8, 8).

Es „nützt nichts“ (Joh. 6, 63).

Es wohnt „nichts Gutes“ in ihm (Röm.7, 18).



Hier haben wir eine wesentliche Wahrheit vor uns. Dabei fragt es sich: Glauben wir das? Glauben wir Gott oder den Menschen? Wenn wir Gott glauben, werden wir sehen, daß der größte Teil des sogenannten „Öffentlichen Gottesdienstes“ Eitelkeit ist. Der Gottesdienst kommt ganz aus dem Geiste, aus der neuen Natur hervor Wir müssen mit Maria sagen können:

„Meine Seele erhebt den Herrn,

mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland“. (Lukas 1, 46-47)

Nur Erlöste können wahrhaftig anbeten. Wenn das Fleisch an sich „nichts nützt“, ist es klar, daß wir Gott nicht mit unseren Sinnen anbeten können, welche alle dem Fleisch angehören. Wir können nicht anbeten mit unseren Augen, indem wir ein Sakrament anschauen. Wir können nicht mit unseren Nasen anbeten, indem wir Weihrauch riechen. Wir können nicht mit unseren Ohren anbeten, indem wir auf Musik lauschen; ebenso wenig können wir mit unseren Kehlen anbeten, indem wir singen. Alles, was aus dem Fleische kommt, „nützt nichts“. Gott „sieht es nicht an“; es ist vergebliche Mühe. Protestantische Christen werden mit uns übereinstimmen, wenn wir vom Anschauen der Sakramente oder über das Riechen des Weihrauchs sprechen. Aber was sagen dieselben über die anderen Sinne des Fleisches? Was über die Ohren und Kehlen? In fast allen Gemeinschaften und Kirchen scheint die Musik den ersten Platz einzunehmen. Mit den „1000 Personen starken Chören“, „Streichorchestern“, „Solos“ und „Posaunenchören“ und mit dem neuen sogenannten „Gesungenen Evangelium“ sind wir in eine Zeit eingetreten, in der das Fleisch die allgemeine Herrschaft auszuüben scheint in dem, was noch den Namen „Gottesdienst“ trägt.
Aber das alles „nützt nichts“.

Diese ganze Flut ist im Steigen, zusammen mit einer anderen, deren Ruf ist: „Werdet mit dem Geist erfüllt.“
Hier wird jedoch das „Wort der Wahrheit“ falsch geteilt. Denn hinter dem Wort „erfüllt“ steht kein Punkt. Daran erkennt man, daß, wenn wir mit dem Geist erfüllt sind, es an den Wirkungen gesehen wird, nämlich: „Redend zueinander in Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern, singend und spielend in euren Herzen (nicht nur mit euren Kehlen) und das nicht vor einer Zuhörerschaft oder Gemeinde, sondern dem Herrn“.
Wir brauchen nicht ein „Ohr für Musik“, sondern ein Herz für Musik.
Aus dem von der „alten Natur“ Gesagten erfahren wir, daß „das Fleisch nichts nützt“. Dies ist eine Grundwahrheit für den Christenglauben, während die Religion auf dem Gegenteil fußt. Religion hat es mit dem Fleisch zu tun, der Christenglaube aber hat es mit Christus und der neuen Natur zu tun, welche pneuma-Christou oder Christi Geist ist. Wir werden später über diese neue Natur mehr zu sagen haben.

Die alte Natur wird ferner genannt:
2. „Der natürliche Mensch“. Es wird uns gesagt, daß „der natürliche Mensch nicht vernimmt, was des Geistes Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“. (1.Kor. 2,14)

In diesem Kapitel (1.Kor.2) steht Vers 14 im Zusammenhang mit Vers 8, daß „keiner von den Fürsten dieser Welt die Weisheit Gottes erkannt hat“, nämlich: „Das große Geheimnis“, denn es war „verborgen“ in Gott, und kein Auge hat es je gesehen, noch ein Ohr gehört; und selbst jetzt, da es „geoffenbart“ ist, kann der natürliche Mensch nichts davon erkennen, weil es allein vom Geist wahrgenommen wird oder von der neuen Natur in uns, die vom Heiligen Geist geschaffen und erleuchtet ist. (Eph.3,9)
Das ist entscheidend für den Charakter, die Kraft, die Neigung und den Zustand des „natürlichen Menschen“. Dieser Ausdruck bezeichnet den Menschen, wie er naturgemäß in diese Welt herein geboren wird.

Sodann wird er weiter genannt
3. „Der alte Mensch“. Was hören über ihn? Er „ist verdorben nach den betrügerischen Lüsten“, so wird uns gesagt. (Eph.4,23). Der alte Mensch ist voll von Wünschen und Lüsten. Diese Lüste sind betrügerisch und verführerisch. Sie sind in allem wider Gott, wider seinen Geist und sein Wort, und dadurch auch gegen die neue Natur, den Geist, wenn sie einmal in uns eingepflanzt ist. In dieser Beziehung wird er genannt

4. „Der äußere Mensch“ als der, welcher gesehen wird und welcher tatsächlich zerfällt, und zwar „Tag für Tag“. Daraus folgt daß wir diese „Last“ tragen müssen, solange wir in dem Fleische sind und daß keine Satzung aus der vergänglichen Welt in jenem Bereich von Nutzen ist, wo alles geistlich ist und sein muß. (2. Kor. 4, 16)
5. „Das Herz“, das ist das natürliche Herz, welches mehr als alles arglistig und verderbt ist (Jer. 17, 9), so betrügerisch, daß es uns beständig verführt und täuscht, so arglistig, daß niemand außer Gott es wirklich kennt. Matth. 15, 19 zeigt der Herr Jesus uns das Herz des natürlichen Menschen: „Aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen“.
Ausleger mögen von „einer Veränderung des Herzens“ reden, aber es wird nie verändert. Ein „neues Herz“ muß gegeben werden. Sie mögen über die Verbesserung des menschlichen Herzen oder der menschlichen Natur reden, aber das alte Herz kann nicht verbessert werden, und das neue Herz hat keine Verbesserung nötig.
Die Spiritisten und Theosophen mögen von dem „Göttlichen im Menschen“ reden und zeigen, wie dieser „alte Gedanke des Ostens, der Wiege aller Philosophie im Begriff ist, die Religionen des Westens zu durchdringen“. Dies ist eine nur allzu wahre Tatsache, wir aber stellen dieser Lüge Satans die Wahrheit Gottes entgegen und bekennen, daß all seine Anstrengungen „das Herz“ des Menschen zu verbessern, im Bankrott enden.

Ein anderer Name, den das Wort Gottes der alten Natur gibt, ist
6. „Die fleischliche Gesinnung“. Diese Seite der alten Natur ist noch bedenklicher als die anderen. Jene beziehen sich mehr auf die Taten, die Zustände und den Charakter; aber hier haben wir es mit den Gedanken zu tun, mit der Verstandestätigkeit, der Urteilskraft und den Vorstellungen des natürlichen Menschen.
Daß diese das Gegenteil der Gedanken Gottes sind, zeigte sich schon von jeher. „Alles Dichten und Trachten des Menschenherzens war nur böse immerdar (1. Mose 6,5). Gerade von dieser Gesinnung des Fleisches erklärte Gott: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege nicht meine Wege.“ (Jes. 55,8).
Römer 8 Vers 7+8 lesen wir: „Fleischlich gesinnt sein, ist eine Feindschaft wider Gott; sintemal es dem Gesetze Gottes nicht untertan ist; denn es vermag es auch nicht. Die fleischlich sind, können Gott nicht gefallen“.
Die „Gesinnung des Fleisches“ ist also: „Feindschaft gegen Gott“. – „Dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“.
Aus der Gesinnung gehen die Gedanken hervor. Aus den Gedanken entspringen die Handlungen. „Die Gesinnung des Fleisches“ ist daher jener Teil des Fleisches, der denkt, und seine Gedanken sind stets wider Gott und haben „die Natur der Sünde“.

7. Nun kommen wir zu dem letzten Namen, den die Schrift der alten Natur gibt: „Die Sünde.“
Wir müssen unterscheiden zwischen „Sünde“ und „Sünde“. Die Sünde ist die Wurzel, „die Sünden“ sind die Früchte. Von Römer 1, 16 bis 5, 11 ist von den „Sünden“ die Rede, welche hier als Frucht der alten Natur betrachtet werden. Zugleich wird uns gezeigt, wie Gott gerecht sein kann, indem er die Sünden hinwegtut und zudem noch der Rechtfertiger des Sünders ist, welcher auf Grund des Glaubens statt auf Grund des Gesetzes errettet wird.

Von Kapitel 5, 12 bis 8, 39 handelt es sich um die Sünde, die alte Natur. Denn obgleich der Sünder in Christus gerechtfertigt ist, fühlt er noch die Wirksamkeit der alten Natur und erfährt den Streit zwischen dieser und der neuen Natur. Das Ziel dieses Abschnittes ist, zu zeigen, daß wir den alten Baum als abgestorben betrachten sollen, obschon wir noch seine Früchte sehen und daß wir uns dafür halten sollen, daß wir mit Christus gestorben sind. Es ist dabei keine Veränderung vor sich gegangen. Die Wurzel ist noch vorhanden. Der Unterschied liegt in unserer Stellung Gott gegenüber. Jetzt stehen wir auf einem anderen Boden, „wir wandeln im Glauben“, und im Glauben rechnen wir damit, daß, obwohl das Fleisch in uns ist, wir „nicht in dem Fleische“ sind, und trotz den Früchten, die wir von Zeit zu Zeit sehen, glauben wir es Gott, wenn er uns sagt, daß der Baum in seinen Augen verurteilt ist. Ein neuer Reis ist eingepfropft worden, das nur für „Gott Frucht“ bringen kann, während alles, was aus dem Baum – unterhalb des Pfropfreises – erzeugt wird, wertlos ist und von des großen Gärtners Hand abgeschnitten wird. Wir sind sein „Ackerwerk“. Er pflanzt in uns die neue Natur, und wir glauben ihm, wenn er uns von all den Wundern sagt, die er vollbracht hat.

II. Wesen und Ende der alten Natur

Nachdem wir die verschiedenen Namen betrachtet haben, welche der alten Natur in Schrift gegeben werden, wollen wir nun sehen, was über diese Natur selbst und über ihr Ende gesagt wird.
Das erste, was wir erfahren, ist

1. Sie kann nicht verändert werden.
„Was aus dem Fleisch geboren (oder gezeugt) ist, ist Fleisch“ und bleibt Fleisch. Keine bekannte Macht kann es in Geist verwandeln. Die Menschen reden von einer Veränderung der Natur; aber es ist im Grund nur ein Geschwätz, das an den Tatsachen nichts ändert. Die Menschen werden nicht müde in ihren Anstrengungen, das Fleisch zu verbessern, aber sie erleben stets bittere Enttäuschungen. Immer wieder beweisen sie die Tatsache, daß weder Erziehung noch Religion die alte Natur verändern oder eine neue mitteilen können.

Das Fleisch kann bis zu ein einem hohen Grade ausgebildet werden. Neben den groben „Lüsten“ des Fleisches stehen die verfeinerten Wünsche des Gemüts; (Griechisch: dianoia: Gedanken, Denkart) aber sie sind gleicherweise „fern“ von Gott (Eph. 2 13) und unter seinem „Zorn“. Das Fleisch kann sehr religiös gemacht werden. Diese beiden können in der Tat sehr wohl zusammengehen, denn Religiosität besteht aus Satzungen, Gebräuchen und Zeremonien. Sie besteht in Essen und Trinken. Sie gedeiht bei Gelübden, Verpflichtungen und Abzeichen. All das ist äußerlich und ist für das Fleisch. Alles dies liegt unter der Macht des Fleisches. Dasselbe kann Tage halten und Feste und Fastenzeiten. Es hat Freude an „Lebensregeln“ und schwelgt in „Satzungen“. Alles dient dem Fleische und das religiöse Fleisch neigt zu diesen Dingen genau so wie das gottlose.

Daher die Gefahr eines sogenannten religiösen Dienstes, in welchem etwas ist, das dem Fleische dient, oder wo Vorsorge für das Fleisch getroffen ist. Hinreißende Musik, herzzerbrechende Geschichten, feurige Aufforderungen, das alles vermag sogenannte „Bekehrungen“ hervorzurufen; es ist aber Menschenwerk, daher halten solche „Bekehrte“ auch nicht aus. Daher auch die große Sorge, ob solche Bekehrungen von Dauer sind. Sie mögen für Wochen oder Monate oder auch Jahre anhalten, sie werden aber nie für die Ewigkeit bestehen. Alle diese äußeren Dinge werden „durch den Gebrauch zerstört“. Sie sind aus dem Fleische geboren.
Nur „was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist“. „Was Gott tut, wird für ewig sein“; und „Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerottet werden“ (Matth. 15,13). Diese Worte wurden von dem Herrn zu denen gesprochen, deren Religion aus dem Fleische war und in Waschungen und in der Verrichtung langer Gebete bestand, zu solchen, die Gott mit ihren Lippen ehrten und behaupteten, der Mensch werde durch das verunreinigt, „was in den Mund eingeht“.
Sie bestrafen die „Schriftgelehrten und Pharisäer von Jerusalem“, dem Ort der religiösen Gebräuche und sie gelten heute allen, welche Lehren verbreiten, die nichts als „Menschengebote“ sind (Matth.15,9); welche die Menschen religiös machen durch Einwirkung auf die Gefühle des Fleisches und sie auch heilig zu machen suchen, indem sie sagen: „Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht.“ Sie gelten denen, die „das, was in den Mund eingeht“ mehr beachten, als „das, was aus dem Herzen kommt“.. als ob das eine übernatürliche Macht besäße, welche das andere beeinflussen könnte.

Nein! Die Natur des alten Menschen kann nicht verändert werden. „Denn sie ist dem Gesetze Gottes nicht untertan; denn sie vermag es auch nicht“. (Röm. 8, 7). Das löst die Frage endgültig für jeden, der dem Worte Gottes untertan ist.
Hat man dies einmal erfaßt, so wird es uns unmöglich, zu bitten „Reinige unsere Herzen in uns“; denn es erhebt sich natürlich die Frage: Welches „Herz“? Das alte oder das neue? Wenn das alte: Das kann nicht gereinigt werden. Wenn das neue: Das hat keine Reinigung nötig. David konnte sagen: “Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz”, aber das ist etwas ganz anderes. Ein neu geschaffenes Herz ist gerade das Gegenteil davon, daß das alte Herz gereinigt werde.

Diese einfache Tatsache und Wahrheit aus Gottes Wort ist eine Axt, die der ganzen modernen Lehre von dem „reinen Herzen“ an die Wurzel gelegt ist, der Lehre von jenen, die durch Werke gerechtfertigt werden möchten, obwohl sie aus Gnaden gerechtfertigt wurden. Ihnen allen gilt der Tadel von Gal. 3, 3: „Seid ihr so unverständig? Im Geiste (oder der neuen Natur) habt ihr angefangen; wollt ihr es denn nun im Fleische vollenden?“

Gerade diese Hauptlehre von den zwei Naturen in dem Kinde Gottes berichtigt jenes moderne Gerede, das so viele Seelen beunruhigt. Anstatt daß die letzteren in dem Kampfe, über welchen sie trauern, gerade die Grundlage ihres Glaubenslebens sehen, suchen sie die Frage dadurch zu lösen, daß sie die alte Natur reinigen und verbessern, was gänzlich unmöglich ist.
Das andere, was wir erfahren, ist, daß die alte Natur nur ein Ende hat:

2. Ihr Ende ist der Tod! Das Fleisch und alles, was dazu gehört, seine Religion und seine Gottlosigkeit, seine Tugenden und seine Laster, das alles endet im Tod. Alles ist für die Zeit bestimmt und nicht für die Ewigkeit.
„In Adam sterben alle“ (1.Kor. 15, 22; Röm. 8,6)“Die Gesinnung des Fleisches ist der Tod“.

Verbunden mit dem Leibe heißt die alte Natur „dieser Leib des Todes“.
Nichts als der Tod kann das Ende all dessen sein, was vom Fleische ist. Vom Fleisch ist es geboren. Der „erste Adam“ wurde vom der Erde gemacht. Zum Staube kehren alle seine Nachkommen zurück.

3. Die dritte Tatsache ergibt sich aus der zweiten:
„Wer auf sein Fleisch sät, wird vom dem Fleische Verderben ernten.“ Alle Anstrengungen, das Fleisch zu verbessern, sie enden alle in Verderben und Tod. (Kol. 2,22) Sie sind dazu bestimmt, durch den Gebrauch abgenutzt und zerstört zu werden. Doch hat unser Thema auch eine glücklichere und gesegnetere Seite.

Es gibt nämlich eine neue Natur, wie wir in unserem nächsten Kapitel sehen werden.

III. Namen und Kennzeichen der neuen Natur

Es ist eine große beglückende Tatsache, daß es nicht nur Menschliches, sondern auch Göttliches gibt; nicht nur das vom Menschen Geborene, sondern auch das von Gott Erzeugte, nicht nur „Fleisch“, sondern auch „Geist“. „Was vom Geist geboren ist, das ist Geist!“ (Joh. 3, 6)

Diese neue Natur (Geist) hat, wie die alte, verschiedene Namen. Dieselben stehen im Gegensatz und Widerspruch zueinander.

1. Die neue Natur wird „Geist“ genannt. Dieser steht im Gegensatz zu dem „Fleische“, (der alten Natur), und er wird so genannt, weil er von dem Heiligen Geist geboren oder gezeugt ist. Wie das „Fleisch“ die Natur Adams hat, von dem es abstammt, so hat der Geist die Natur des Heiligen Geistes, da er aus dem Geiste geboren wurde.

2. Daher wird diese neue Natur, welche göttlichen Ursprungs ist, die göttliche Natur genannt. (2. Petrus 1,4) Deshalb wird von ihr gesagt, daß sie „vollkommen sei, und unfähig, Sünde zu tun“. „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same (die neue Natur) bleibt in ihm; und er (der neue Mensch) kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren (oder: gezeugt) ist”.

„Wir wissen, daß jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt, sondern der aus Gott geboren ist, bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an. Wir wissen (als eine Tatsache), daß wir aus Gott sind; und die ganze Welt liegt in dem Bösen in der Gewalt desselben).“
In diesen Schriftstellen wird von der neuen Natur als Person gesprochen. Das kann sich nicht auf den Gläubigen als Ganzheit beziehen; denn, wenn wir sagen daß „wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner und sein Wort ist nicht in uns“; über unsere Sünden finden wir in 1. Joh. 2,1+2 Aufschluß. Aber die neue Natur ist aus Gott geboren und tut nicht Sünde und liegt nicht in dem Bösen (in der Gewalt desselben).
Die neue Natur ist also „Geist“. Sie wurde in dem Gläubigen durch die Macht des Heiligen Geistes erzeugt und geboren. Sie ist göttlich und heißt daher

3. Der neue Mensch. Derselbe steht im Gegensatz zu „dem alten Menschen“, einem der Namen für die alte Natur, wie, wie wir sahen. Da er durchaus neu ist, wird er „eine neue Schöpfung“ genannt, und es wird von ihm gesagt, daß er „nach dem Bilde dessen ist, der ihn erschaffen hat“. Nichts Geringeres als das genügt in den Augen Gottes. Wie sehr auch immer die Menschen mit der Pracht des Fleisches glänzen mögen, „es nützt nichts“, denn in Christus Jesus ist weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern eine neue Schöpfung. (Gal. 6,12). In diesem Zusammenhang heißt die neue Natur:

4. „Der inwendige (innere) Mensch“ (Röm. 7, 22).
Dieser steht im Gegensatz zu „dem äußeren Menschen“, der von Tag zu Tag verfällt, während der „innere Mensch von Tag zu Tag erneuert wird“. (Eph. 3,16). Anstatt zu verfallen, wird er ständig durch den Heiligen Geist mit Gnade und Kraft erfüllt, so daß Christus auf diese Weise durch Glauben in dem Herzen wohnt und wir etwas von seiner Liebe erfahren, die doch alle Erkenntnis übertrifft, und wir mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt werden. Dies erläutert Eph.1,23 und zeigt, wie die Gemeinde, der Leib Christi, „die Fülle dessen ist, der alle (die Glieder seines Leibes) mit allem (aller nötigen geistlichen Gaben und Kraft) erfüllt“.
Der innere Mensch hat Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes. Der alte „ist dem Gesetz Gottes nicht untertan“. Daher der Kampf zwischen beiden. Er muß währen, bis der Tod dem Ringen ein Ende macht. Diese Tatsache veranlaßte den Apostel Paulus (und alle, welche den gleichen Glauben haben) zu der Wehklage: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes“, oder, diesem Leibe des Todes. Römer 7, 24) Der Genitiv „des Todes“ ist wahrscheinlich der Genitiv der Beziehung, wie in Röm. 8, 36, wo das Griechische „Schafe des Schlachtens“ bedeutet und übersetzt wird mit „Schlachtschafe“ /d.h. zum Schlachten bestimmte Schafe). Ebenso hier: „der Leib des Todes“ bedeutet der zum Tod bestimmte Leib. Die Klage lautet dann: „Wer wird mich von diesem erlösen?“ Die frohlockende Antwort ist „Ich danke Gott durch Jesum Christus, unserem Herrn.“ (Röm. 7, 24)
Der nächste Vers gibt uns eine weitere Bezeichnung:

5. „Der Sinn“. Das hier für „Sinn“ gebrauchte Wort (nous=Denksinn) bezeichnet die neue Natur. Es wird wie „der Geist“ im Gegensatz zum „Fleisch“ angewandt, weil es das Inwendige und Unsichtbare bezeichnet. Dieser „Sinn“ dient dem Gesetz Gottes und hat Wohlgefallen an ihm (Vers 22). Deshalb steht in Vers 23 „das Gesetz des Sinnes“ für „das Gesetzt Gottes“.

6. Eine andere Bezeichnung ist „Christi Geist“. Dieses „Pneuma Christou“ ist die neue Natur, die uns zu „Söhnen Gottes“ macht, wie er „der Sohn Gottes“ ist. Im Galaterbrief finden wir näheren Aufschluß, über die Lehre des Römerbriefes, und in Gal. 4, 6 erhalten wir die Erläuterung von Röm.8, 15: „Weil ihr denn Söhne seid, so hat Gott den Geist (pneuma) seines Sohnes in eure Herzen gesandt, welcher ruft Abba, d.h. mein Vater“.
Darum ist Christus-Geist ein anderer Name für den „Geist der Sohnschaft“ (pneuma whyothesias).
So wird die neue Schöpfung in uns Christus-Geist (Pneuma Christou) benannt, weil „der Heilige Geist selbst mit unserem Geiste (oder mit unserer neuen Natur) bezeugt, daß wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi“.
Daher kann man in Wahrheit sagen: „Wenn jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein“. (Römer 8,9) Denn Christus ist der Sohn Gottes. Und alle Söhne Gottes besitzen die kostbare Gabe eines „Geistes der Sohnschaft“.

Wenn wir Söhne sind, sind wir mit Christus „auch Erben, nicht allein Erben Gottes, sondern Miterben Christi, wenn wir anders mitleiden, auf daß wir auch mitverherrlicht werden“. Diese kostbare Wahrheit wird uns durch den Namen Christus-Geist mitgeteilt. Daß die neue Natur so heißt, ist ein Zeichen und Merkmal dafür, daß es sich um den Geist der Sohnschaft handelt, weil „er die. Welche er zuvor erkannt hat, auch zuvorbestimmt hat, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter den Brüdern“.

Welch hohes Glück ist es doch, zu den Söhnen Gottes zu gehören! Sind wir uns darüber klar, daß Pneuma Christou (oder die neue Natur) unser Recht auf diesen hohen Namen besiegelt? Nicht nur das Volk Gottes, sondern die „Söhne Gottes“? Daß wir Anteil haben an allen Segnungen seines geliebten Sohnes? Ja, daß wir Teilhaber sind:

Seiner Sohnschaft.
Seiner vollkommenen Gerechtigkeit.

Seiner Heiligkeit.

Seines Friedens.
Seines Vaters geheime Pläne.

Seines Vaters Liebe.
Seines herrlichen Auferstehungsleibes.

Seiner zukünftigen Herrlichkeit.

Seiner selbst.

Und das alles, weil Gott in uns eine neue Natur geschaffen hat, die er Christus-Geist (Pneuma-Christou) nennt.
Aber unterdessen ist es hier auf der Erde unser Vorrecht, an seiner Verwerfung teilzunehmen. 1. Joh. 3,1: „Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat“.

Laßt uns darüber nicht niedergeschlagen sein; freuen wir uns vielmehr darüber, daß wir eines so hohen Vorrechtes würdig geachtet werden. Gerade diese Tatsache verbindet uns mit ihm aufs engste im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. „Denn ich halte dafür, daß die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Röm. 8,18).

Daß wir durch eine religiöse Welt und eine verweltlichte Kirche abgelehnt werden, muß für uns das beglückende Zeichen dafür sein, daß wir Söhne Gottes sind und darum Teilhaber des Christus-Geistes, oder der neuen Natur, welche die Gabe Gottes ist. (Röm. 8,9)
In ein und demselben Vers und in Verbindung mit diesem Namen wird der neue Natur ein anderer kenne Name gegeben. Dieser ist

7. Gottes Geist
nicht „der Geist“, – denn es ist kein Artikel davor -, sondern „Gottes Geist“. Das zweimalige Vorkommen dieses Ausdrucks in Römer 8 sagt uns alles, was wir über diese Seite der neuen Natur erfahren können. Sie heißt deshalb so, – das ist der damit verbundene Gedanke -, weil sie von Gott stammt.

Gott ist es, der die neue Natur schafft und schenkt.
Sie ist „neu“ im Gegensatz zur alten.
Sie ist „Geist“, weil sie im Widerspruch zum „Fleisch“ ist. 
Sie ist „inwendig“ im Gegensatz zum äußeren Menschen.
Sie ist „unsichtbarer Sinn“ im Gegensatz zum sichtbaren Leibe.
Sie ist „Geist Christi“ oder Geist der Sohnschaft im Gegensatz zum Geist der Knechtschaft.
Sie ist „Gottes Geist“, weil sie von oben, von Gott stammt.; sie ist geboren, nicht „aus dem Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott“.
Diejenigen, die so geboren sind, sind „Söhne Gottes“ und haben das Recht, so genannt zu werden.
Die Verse Römer 8,9 und 14, in welchen diese Bezeichnung für die neue Natur gebraucht ist, sagen uns alles, was wir hierüber erfahren können.
„Ihr seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt“. „Welche der Geist Gottes leitet, sie sind Söhne Gottes“, Römer 8, 14.
Damit sind die Namen der neuen Natur vollständig. Aus Ihnen erfahren wie die kostbaren Wahrheiten, die ihnen geoffenbart sind. Jeder Name zeigt uns eine neue Seite und eröffnet uns eine besondere Wahrheit, die mit ihm verbunden ist.

Wie wir zuerst die Namen und Kennzeichen der alten Natur und damit ihr Wesen und ihr Ende und dargestellt haben, so haben wir nun das Erstere bezüglich der neuen Natur getan und werden unsere Bemerkung über das Letztere im nächsten Kapitel vortragen.

IV. Wesen und Ende der neuen Natur.

Jetzt sind wir in der Lage, zu betrachten, was über uns über die neue Natur selbst gesagt wird. Wir haben ihre verschiedenen Namen und Merkmale betrachtet und möchten nun erfahren, was über ihr Wesen und der Ende ausgesagt ist.

1. Sie kann nicht verändert werden.
In dieser Hinsicht ist sie der alten Natur gleich. „Was aus dem Geist geboren ist, ist Geist“ und bleibt Geist. Keine bekannte Macht vermag sie jemals in Fleisch umzuwandeln oder ihr Wesen zu verändern. Sie ist göttlich in ihrem Ursprung und vollkommen in ihrer Natur.
Ihr Ursprung ist der Geist Gottes.


Ihre Urkunde ist das Wort Gottes.
Sie wird nicht verändert oder beeinflusst durch irgendwelche Schwächen, Fehler oder Sünden des Fleisches.
Durch sie sind wir zu Söhnen Gottes gemacht, sie ist das Kennzeichen dafür, daß Gott unser Vater ist. Die Gabe dieser neuen Natur oder des Geistes, wird unsere „Versiegelung“ genannt, die im Glauben unser ist.
Sobald wir einmal diese herrliche Wahrheit erkennen und glauben, wird es für uns schwierig, wenn nicht unmöglich, zu bitten. „Nimm deinen Geist nicht von uns“.
Nein! Gott wird niemals seinen Kindern den neuen Geist wegnehmen, den er in sie gepflanzt hat, denn die Gnadengaben und Berufung Gottes sind unbereubar. Wenn Israel, obgleich für eine Zeit bei Seite gesetzt, (nicht weggeworfen) „geliebt ist um der Väter willen“, so sind die Söhne Gottes geliebt, um seiner selbst willen. Denn, wie geschrieben steht: “Welche er zuvor bestimmt hat (dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein), diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; und welche er gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht”.
Die Gnade verbürgt die Herrlichkeit, denn:
„Der Herr wird Gnade und Herrlichkeit geben“. Psalm 84, 11. Wenn er die Gnade gibt, so ist dies das Unterpfand, daß er die Herrlichkeit geben wird. So muß es sein. Er wird uns nicht “vollkommen in Christus” machen und dann als unvollkommen verwerfen. Er wird nicht Christus zu unserer Gerechtigkeit und Heiligkeit machen und dann sein eigenes Werk wieder zerstören.
1. Kor. 1,30. Wenn wir einmal in Christus „vollendet“ sind, können wir eben nicht unvollendet sein. Kol. 2,10.

Er wird das Werk seiner Hände nicht verleugnen oder aufgeben. Psalm 138,8.

Dieses Geheimnis war „zuvor bestimmt durch Gott vor den Zeitaltern“, und es geschah, wie ausdrücklich erklärt wird, „zu unserer Herrlichkeit“. Wir können daher völlig sicher sein, daß sein Plan nicht mißlingen kann und wird. Und daß er „in unserer Herrlichkeit“ enden wird.

Die neue Natur ist ein Geschenk der freien Gnade Gottes. Sie wird notwendigerweise in der ewigen Herrlichkeit Gottes enden. Sie kam von Gott und muß zu Gott zurückkehren. Diese neue Natur kann nicht verwirkt werden, nein, nicht einmal durch Sünde, denn gerade für diese Möglichkeit ist in 1. Joh. 2,1+2 Vorsorge getroffen. „Wenn jemand sündigt – wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten, und er ist und bleibt die Versöhnung für unsere Sünden“.
Gerade in dem Zusammenhang mit dem Sündigen werden wir daran erinnert, daß Gott noch unser „Vater“ ist und wir noch seine Kinder sind: daß unsere Verwandtschaft nicht aufgehoben worden ist.
„Wenn jemand sündigt“. Was dann? In diesem Fall wird uns dann nicht gesagt, was wir sind, sondern was Christus ist.
Wir werden nicht daran erinnert, was wir getan haben , sondern was er getan hat. Wir werden nicht auf uns selbst und unser Bekenntnis gewiesen, vielmehr werden unsere Blicke aufwärts auf Christus und sein Amt gerichtet. Unsere Gedanken werden nicht mit unserer Demütigung beschäftigt, sondern mit der „Versöhnung Christi“, welche stets vor dem Vater ist; denn Christus ist dort, und wir sind in ihm auch dort.

Unser Bekenntnis geschah ein für allemal, als wir, aus Gnaden, den Platz des verlorenen Sünders einnahmen und als wir, im Glauben unsere Hand auf Christus, als das Sühnopfer legten und uns dort als verlorene Sünder bekannten.

Damals wurden wir „versiegelt“ und unsere Lage und Stellung vor Gott wurde gesichert und versichert durch die Gabe der neuen Natur.

So sicher ist unsere Stellung in Christus, daß zwei Fürsprecher oder Tröster vorgesehen sind. Das Wort heißt Parakletos und bedeutet einen, der dazu berufen ist, jemand beizustehen, sei es zum Trost oder zur Verteidigung, oder wozu auch immer er gebraucht wird. Es kommt nur in den Schriften des Johannes vor, und ist in seinem Evangelium durch „Tröster“ und in seinem ersten Brief durch „Fürsprecher“ übersetzt.
Doch die Tatsache bleibt, daß Christus in dem Evangelium uns sagt, daß wir einen Fürsprecher (den Heiligen Geist) bei uns haben, auf daß wir nicht sündigen, und der Heilige Geist sagt uns in dem Brief, daß wir einen anderen Fürsprecher (Jesus Christus) bei dem Vater haben, wenn wir sündigen. Demnach ist alles vorher bekannt und vorhergesehen, auch ist für alles Vorsorge getroffen, und nichts kann diese wunderbare Gottes Gabe Gottes verwirken. Noch wird Gott je seine Gabe zurücknehmen oder den Geist, die neue Natur, von uns nehmen, welche er in uns, seine Söhne, eingepflanzt hat, da er uns als seine Kinder versiegelte.


2. Die neue Natur ist “Leben und Friede”.
Der Leib ist tot (d.h. geachtet als gestorben zu sein) der Sünde wegen, aber der Geist (oder die neue Natur) ist Leben der Gerechtigkeit wegen.
Die Gabe der neuen Natur – für alle, die mit Christus gestorben und dadurch hinfort gerecht sind in seiner Gerechtigkeit -, ist “Ewiges Leben”. Gerade deshalb, sagt der Herr Jesus: (Joh. 10, 28)
“Sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.” Dies sagte er, weil sie die Gabe des ewigen Lebens empfangen hatten.
Wie das Ende der alten Natur, “der Tod” ist, so ist das Ende der neuen Natur “das Leben” – “ewiges Leben”, welches kein Ende hat. Daher steht geschrieben.
“Wer auf sein Fleisch (die alte Natur) sät, der wird von dem Fleische das Verderben ernten. Wer aber auf den Pneuma (oder die neue Natur) sät, der wird von dem Pneuma ewiges Leben ernten”. (Gal. 6,8)
Darin ist eine dritte Wahrheit und Tatsache enthalten, die das Ende der neuen Natur betrifft. Sie ist das größte und gesegnetste Ereignis des Besitzes dieser unschätzbaren Gabe, nämlich

3. Der Ausgang und das Ende der neuen Natur wird Entrückung und Auferstehung sein.
Denn „wenn der Pneuma, (d.h. die Gabe des Geistes oder die neue Natur) dessen, der Jesum aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er der Christum aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes, d.h. der neuen Natur“.
Beachten wir, daß zweimal in diesem einen Vers die Auferstehung des Herrn erwähnt ist. Zuerst die Tatsache seiner eigenen Auferstehung, als Jesus (der Demütige, erniedrigt bis zum Tode), dann die Lehre, daß er als Christus, der Verherrlichte, als Haupt des Leibes erhöht wurde, und so die Auferstehung aller Glieder dieses Leibes notwendig macht. Weil diese Glieder Gottes Geist besitzen, werden sie als solche betrachtet, die damals mit auferstanden, als er das Haupt des Leibes, auferstand. Das ist die Erkenntnis „der Kraft seiner Auferstehung“. Phil. 3,10.
Das ist etwas ganz anderes als die Erkenntnis, welche durch Tradition heutzutage gelehrt wird. Der Besitz dieser neuen Natur ist, wenn richtig verstanden, daß sichere und gewisse Pfand, daß wir tatsächlich wieder lebendig gemacht werden und daß die sterblichen Leiber, die wir in unserer jetzigen Erniedrigung haben, dem herrlichen Leibe des auferstandenen Christus gleich gemacht werden.

Kein Wunder, daß diejenigen, welche die Lehre von den zwei Naturen nicht verstehen, auch die Lehre von der Auferstehung nicht verstehen können. Kein Wunder, daß sie durch falsche Hoffnungen sowohl für diese als auch für jenes Leben irre geführt werden. Phil. 3, 10.
In diesem Leben werden sie von der falschen Hoffnung beherrscht, das zu verbessern, was niemals verbessert werden kann. Für das andere Leben haben sie die falsche Hoffnung auf eine Herrlichkeit ohne Auferstehung, die nie in Erfüllung gehen kann.

Das eine ist eine vergebliche Arbeit, das andere eine grundlose Hoffnung.
Beide machen die sicheren und gewissen Worte der Schrift unwirksam, denn „unsere sterblichen Leiber werden lebendig gemacht“, wenn wir, mit unserer vom Himmel stammenden Behausung, (oder unserem geistlichen Leibe) überkleidet werden, auf daß das Sterbliche verschlungen werden von dem Leben. (2. Kor. 5, 2-4). Und zwar geschieht das in der Auferstehung, nicht vorher und deshalb nicht im Tode, daß „dieses Verwesliche (dieser Leib) Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird“. 1. Kor.15, 54.

Wer an der hergebracht Mahnungen festhalten will, untergräbt diese köstliche Wahrheit und behauptet, daß das alles im Tode vor sich gehe. So wird die Lehre von den zwei Naturen ihrer herrlichen Krone beraubt, nämlich der seligen Hoffnung, daß er, der Christum aus den Toten auferweckt hat, auch unsere sterblichen Leiber lebendig machen wird, um seiner göttlichen Natur willen, die in uns wohnt. So wird die gesegnete Hoffnung auf die Entrückung und Auferstehung dadurch beseitigt, daß tatsächlich gesagt wird, „die Auferstehung sei schon geschehen“. (2. Tim. 2,18)

Statt sich die modernen Lehrer mit der Sprache der Heiligen Schrift begnügen, nehmen sie Zuflucht zu der Sprache der Heiden und der Idealisten. Statt der gewissen und sicheren Wortes Gottes werden die Ausdrücke der Letzteren angenommen.
So wird das Menschen Wort „heimgehen“, anstelle des Schriftwortes „entschlafen“ gesetzt. 1. Kor. 15, 51
„Kein Tod“ heißt es da, statt des Wortes Gottes „Tod“. Und ein gegenwärtiger „Übergang“ steht an der Stelle der zukünftigen „Verwandlung“.

„Es gibt keinen Tod,
was so scheint, ist Übergang“.

Diese falschen Ausdrücke sind vom Idealismus entlehnt. Das Zitat stammt von dem platonischen Dichter, und beide stehen in völligem Widerspruch mit der Sprache des Wortes Gottes. Die Schrift nennt es „das Wort Gottes verfälschen“ (2. Kor. 4, 2).
Auf einen Verstorbenen wurde der Text angewandt: „Er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn hinweg“.
Dieses wird jedoch in der Schrift von Henoch gesagt, welcher gar nicht starb und deshalb nie eine Auferstehung brauchte. Er Henoch war „entrückt“, damit er den Tode nicht „sähe“, was in 1. Mose 5, 24 mit anderen Worten heißt: „Er war nicht mehr, denn Gott, nahm ihn hinweg“.
Heute aber werden diese Wörter auf jemanden angewandt, der tatsächlich starb. Was ist damit anders gesagt, als daß der Verstorbene durch den Tod das erlangte, was Henoch nur durch die Entrückung zuteil ward? Was ist das im Grunde anders als die Leugnung der Auferstehung überhaupt, und statt dessen zu sagen (wenigstens mit Bezug auf den Verstorbenen): „Die Auferstehung ist schon geschehen“? Was ist das anders, als die Lehre derer, „deren Wort um sich fressen wird wie ein Krebs, …welche von der Wahrheit abgeirrt sind … und den Glauben umkehren“, , nicht etlicher, sondern vieler? (2.Tim. 2, 18).
Die Schrift versichert uns, daß „wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herren, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden“.

Nach der obigen „altmodischen Lehre“ jedoch werden wir ihnen zuvorkommen, weil wir ohne Auferstehung und ohne Entrückung „zu einem Heiland eilen“ werden; nach dieser Lehre aber geht es durch Sterben und nicht, in dem wir leben und übrigbleiben, bis „zur Ankunft des Herrn“.
Nach obiger „Lehre“ müßte es in 1. Thess. 4, 16 geschrieben heißen: „Wir, die wir leben und übrigbleiben…, werden denen folgen, welche uns vorausgegangen sind“.
Aber so steht es nicht geschrieben. Und diejenigen, welche mit dem Worte Gottes sich begnügen, werden auch fernerhin hin die glückselige Hoffnung festhalten und den Sohn Gottes vom Himmel erwarten. Wir wollen „die glückselige Hoffnung“ festhalten und „den Sohn Gottes vom Himmel erwarten“. Wir wollen die „glückselige Hoffnung“, welche Gott uns in seinem Wort gegeben hat, nicht vertauschen mit dieser falschen und grundlosen Hoffnung, welche der große Feind der Wahrheit erfunden hat, den Irrtum, der in Babel geboren, in der Tradition genährt und durch religiöse Menschen aller Art verteidigt wurde.
Eine falsche Hoffnung, die den Heiden und Idealisten, wie auch jedem großen falschen Religionssystem gemeinsam, dem sicheren Worte Gottes aber unbekannt ist.

Wohl sagte der Heiland von eben dieser Auferstehungslehre: „Ihr irret, indem ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes“. Nein. Wir möchten wie der Apostel Paulus nicht „entkleidet“ werden im Tode, sondern möchten warten auf unsere Entrückung, wenn „der Herr selbst vom Himmel herniederkommen wird“. Wenn wir nach Gottes Willen entschlafen sollen, so haben wir die sichere Hoffnung auf die Auferstehung „und sehnen uns mit unserer vom Himmel stammenden Behausung überkleidet zu werden, auf daß das Sterbliche verschlungen würde von dem Leben“ und daß wir in unseren, dem herrlichen Leib des Herrn gleichförmig gemachten Auferstehungsleibern allezeit „daheim sein werden bei dem Herrn“. Zweite Korinther fünf Vers vier und Phil.3, 21.

Der Abschnitt 2. Korinther 5, 1-9, der mit einem „denn“ einsetzt, ist die Schlußfolgerung aus der Darlegung, welche 2. Korinther 4, 14 begann, mit den Worten:

„Indem wir wissen, daß er, der den Herrn Jesus auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und mit euch darstellen wird“.

Das ist das herrliche Ende der neuen Natur. Wie die alte Natur in Tod und Verderben endet, so wird die neue Natur in Entrückung und Auferstehung enden. Denn der „Lohn der Sünde ist der Tod und die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus, Jesus, unserem Herrn”.

Das eine ist Gottes Gericht, das andere ist Gottes Gnade. Das eine ist der „Lohn“ der Sünde, das andere ist die „Gabe“ der Gnade. Diese Gabe besitzen nur diejenigen, denen sie „gegeben“ ist. Der Herr Jesus erklärte in seinem letzten Gebet, daß der Vater ihm Vollmacht gegeben hat, „daß er das ewige Leben gebe“ allen, welche der Vater ihm gegeben hat. Darum steht geschrieben:
 „Dies ist das Zeugnis, daß Gott uns das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben. Wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht“.
Diese Worte enthalten eine göttliche Universalwahrheit, und sie gelten nicht nur für die Gemeinde, sondern auch für alle, welchen diesen „Gnade gegeben“ werden wird.
Insbesondere gelten sie für die, welche „in Christus“ Söhne Gottes, Erben Gottes Miterben Christi sind .


V. Der Kampf zwischen den zwei Naturen

Nachdem wir in Römer 6-8 so mancherlei über die Kennzeichen der zwei Naturen gehört haben, wollen wir nun untersuchen, was Erfahrung und Schrift darüber sagen, wie sie in derselben Persönlichkeit zusammen wohnen. Dies finden wir hauptsächlich in Römer 7.
Jedes Kind Gottes hat die Erfahrung, aber nicht jedes kennt die lehre der Schrift. Dadurch entstehen Unruhe und Verwirrung, Zweifel und Angst. Wir werden keine Ruhe finden und keinen Frieden haben, bis wir aus dem Wort Gottes gelernt haben, was dort über den Kampf zwischen den Naturen gesagt ist.

Die Erfahrung dieses Kampfes ist Kummer und Unruhe, und nur die Erkenntnis der wahren Lehre darüber kann diese Not beseitigen. Und sie wird nicht nur beseitigt, sondern wir werden gleichzeitig mit einer unerschütterlichen Gewißheit unserer Gotteskindschaft erfüllt, wie sie größer hier auf Erden nicht möglich ist. Die Erfahrung dieses Kampfes ist das einzige, worin das wahre Kind Gottes sich vom bloßen Bekenner unterscheidet. Der letztere weiß davon nichts, noch von dem dauernden Bewußtsein des inneren Verderbens, welches diese Erfahrung immer verursacht. Gerade diese Tatsache der Erfahrung dieses Kampfes ist daher die beste und einzige wirkliche Versicherung, welche wir haben können, daß wir „aus Gott geboren“ sind, daß wir „sein Werk“ sind und daß er das gute Werk in uns begonnen hat, welches er fortsetzen und zur Vollendung hinausführen wird.

Das richtige Verständnis der Lehre über diese Erfahrung gibt uns Frieden und Trost, ohne sie ist alles Kummer, Unruhe und Verwirrung.
Das bildet den Inhalt von Römer 7. Laßt uns nun sehen, wie sich dieses Kapitel zum ganzen Aufbau des Briefes verhält. Er bildet den Teil eines größeren Abschnitts, der mit Kapitel 5, 12 beginnt und bis zum Ende des 8. Kapitels reicht. Der Gegenstand desselben ist die Sünde (oder die sündige Natur).

Der Aufbau von Röm. 5, 12 bis 8, 39:

A: 5, 12-21. Verdammnis vieler zum Tod durch den Ungehorsam eines einzigen, aber Leben und Gerechtigkeit durch den Gehorsam eines einzigen – Jesus Christus.
B: 6,1 – 7, 6. Wir sind nicht in der Sünde, weil gestorben mit Christus
C: 7, 7 – 25 Die Sünde ist in uns, obschon wir mit Christus auferstanden sind
D: 8, 1 – 39. Verdammnis der Sünde in dem Fleische, aber keine Verdammnis derer, welche Leben und Gerechtigkeit haben.

Aus dem Aufbau dieser Stelle ersehen wir, daß der Kampf durch die Sünde (d.i. die alte sündige Natur) entsteht, welche in uns ist, obgleich wir mit Christus auferstanden sind. Das ist der Inhalt von Kapitel 7, vom siebenten Verse des Kapitels an (nicht des ganzen Kapitels). Die ersten sechs Verse des Kap. 7 gehören zu Kap. 6 und der Zweck des Teiles C ist, zu zeigen, daß wir nicht mehr in der Sünde sind oder nicht mehr als unter der Verdammnis der Sünde stehend angesehen werden, sofern wir in Christus gestorben sind.

Der Zweck dieser Verse ist, zu zeigen, daß die Herrschaft des Gesetzes nur zu Lebzeiten ausgeübt werden kann (Vers 1). Der Tod macht uns los von dem Anspruch des Gesetzes auf uns (Vers 2). Dies wird erläutert durch den Vergleich mit einer Ehefrau, die sich wieder rechtmäßig verheiraten darf, wenn ihr Ehemann gestorben ist (Vers 3). Die Schlußfolgerung ist, daß wir, die wir mit Christus gestorben sind (Vers 4), frei sind von dem Gesetz und mit Christus in einer ganz neuen Lebenssphäre oder einem ganz neuen Boden – Auferstehungsleben (Vers 4) – vereinigt werden können. Wir sind, als mit Christus gestorben, gänzlich frei von der Autorität, der Macht und den Forderungen des Gesetzes.
Dieser Gedankengang kann auf folgende Weise dargestellt werden:
Römer 7, 1-6;
7, 1. – Die Herrschaft des Gesetzes während des Lebens
7, 2. – Der Tod befreit die Frau von den Forderungen des Gesetzes
7, 3. – Ergebnis: Verbindung mit einem anderen Ehemann
7, 4. – Unser Tod in Christus befreit uns von den Forderungen des Gesetzes
7, 4. – Ergebnis: Verbindung mit Christus
7, 5 +6. – Befreiung von der Herrschaft des Gesetzes durch den Tod

Jetzt verstehen wir, daß, obgleich wir nicht mehr in unseren Sünden sind, die Sünde doch in uns ist; und daß von dem Augenblick an, da unsere neue Natur in uns gepflanzt ist, das Dasein der alten Natur offenbar wird, und der Kampf zwischen den beiden beginnt. „Dieselben sind widereinander, so daß ihr nicht das tun könnt, was ihr wollt“. Dir zwei Naturen wohnen also nebeneinander in derselben Persönlichkeit. Wenn das Pfropfreis einer Rose auf einen wilden Rosenstock oder eines Apfels auf ein Holzapfelbäumchen gesetzt wird, so ist es ein Baum, aber alles, was von dem Pfropfreis hervorgebracht wird, ist die neue Fruchtart, während alles, was von dem alten Strauch, unterhalb des Pfropfreises, hervorgebracht wird, von der Natur des alten Baumes ist und mit dem Messer sorgfältig und beständig abgeschnitten wird.

Die Erfahrung ist so sehr verwickelt, daß es für die Sprache des Menschen schwierig ist, sie zu beschreiben oder zu erklären. Nur „das Wort Gottes“ vermag dies, sonst nichts. „Es scheidet das, was von der Seele (von der alten Natur) ist, und das, was vom Geist (der neuen Natur) ist, und vermag zu richten die Gedanken und Gesinnungen des Herzens (d.i. der alten Natur“).

Aus dem Herzen (der alten Natur) kommen alle bösen Gedanken. Das Wort Gottes ist fähig, diese „Gedanken und Gesinnungen“ zu “richten“; und es befähigt uns, sie zu richten und zu verurteilen; ja es befähigt uns, zu beurteilen und zu scheiden, was zur alten und was zur neuen Natur gehört.

Da die zwei Naturen in derselben Person sind, bezieht sich das „Ich“ in Römer 7 bald auf die eine und bald auf die andere Natur. Daher lesen wir (Vers 18): „Denn ich weiß, (als eine Tatsache aus dem Wort Gottes), daß in mir, in meinem Fleische (meiner alten Natur), nichts Gutes wohnt. Denn das Wollen (des Guten) habe ich wohl, aber das Vollbringen dessen, was gut ist (des guten Willens), finde ich nicht. (19): Denn das Gute, das ich will, über ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. (20): Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die Sünde, welche in mir wohnt. (21): So finde ich nun das Gesetz in mir, der ich das Gute ausüben will, daß mir das Böse anhanget. (22): Denn ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inwendigen Menschen (der neuen Natur); (23): aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes (oder der neuen Natur) widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“.
Hier haben wir die ganz ausdrückliche Erklärung , daß die neue Natur (der „inwendige Mensch“ und der „Sinn“ genannt) „Wohlgefallen hat an dem Gesetz Gottes“, während gleichzeitig die alte Natur (das Fleisch) da ist, welcher es gefällt, ihrem eigenen Gesetze zu gehorchen und welche einen beständigen Krieg führt gegen die neue Natur.
Das Ergebnis dieser unaufhörlichen Fehde ist das Elend, welches das Ich veranlaßt, im nächsten Vers auszurufen: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Leibe des Todes (diesem zum Tode bestimmten Leib)? Ich danke Gott, durch Jesum Christum, unseren Herrn“.
Ja, er wird alle, welche diesen Kampf in sich haben, auf dem einzig möglichen Weg erlösen: entweder durch Tod, Entrückung oder Auferstehung. Nur in der Entrückung oder in der Auferstehung wird der Tod „verschlungen in den Sieg“. Dann werden wir nicht mehr rufen: „Ich elender Mensch“, sondern: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Das wird das Ende dieses Kampfes sein. „Ich danke Gott (er wird mich erlösen) durch Jesus Christus; so rufen die Gläubigen jetzt in Geduld und Glauben. Der Augenblick aber wird kommen, wo sie gewißlich ausrufen werden: „Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus“. (1. Kor. 15, 54-57)

Im Blick auf diese beglückende Hoffnung schließt diese Enthüllung wohl mit der Ermahnung: „Seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werke des Herrn.“ Lasset euch nicht irremachen durch die wechselnden Erfahrungen in diesem Kampfe. Freuet euch aber über die gegenwärtige Zusicherung der Gnade, daß ihr vollkommen werden sollt in Christo Jesu: freuet euch über die Verheißung des zukünftigen Sieges, wenn wir gleich sein werden seinem eigenen Leibe in Herrlichkeit. So werden wir frei sein für die Arbeit im Werke des Herrn; ja, wir werden dann „überströmen“ in demselben. Wir werden uns nicht länger abmühen, den Feind zu vernichten oder einen zeitweiligen Sieg über ihn zu erringen, wir werden vielmehr vorwärts blicken auf den großen Endsieg, welchen er verheißen hat, zu „geben“.

Es gibt eine Richtung der modernen Heiligungslehre, bei der diese Wahrheit ihrer ganzen Schönheit und Kraft beraubt wird. Sie gibt die Tatsache des Kampfes in uns zu, will uns aber zu dem hoffnungslosen Versuch antreiben, die alte Natur zu verbessern oder auszurotten. Im besten Falle bringt dies uns dahin, daß wir uns mit uns selbst beschäftigen, aber die ausdrücklichen Versicherungen des Wortes Gottes mißachten, nämlich, daß die alte Natur, oder das Fleisch, niemals verwandelt werden können.

Vorausgesetzt, die alte Natur könnte ausgerottet werden, wohin soll sie denn gehen? Was wird aus ihr? Sie ist „Fleisch“ und nichts außer Tod und Auferstehung oder Entrückung kann die Bürde des „Fleisches“ beenden. Weder die vollkommene Hingabe, noch der höchste Grad des Glaubens kann „das Fleisch“ hinwegtun. Es ist aus dem Fleisch geboren und ist Fleisch. Es ist so viele Zentner schwer. Wie kann es ausgerottet werden? Und wer sollte es ausrotten?
Zu solchen Verwirrungen kommen wir, sobald wir Ausdrücke gebrauchen, die nicht schriftgemäß sind. Das Wort „Ausrottung“ ist jedoch nicht nur nicht schriftgemäß, es ist sogar schriftwidrig. Das Schriftwort heißt: „Befreiung“ und „Sieg“ und zwar nicht Sieg über „Sünden“ als solche, sondern über die Sünde selbst, über diesen zum Tode bestimmten Leib. Diese „Befreiung“ wird nur in der Entrückung oder der Auferstehung erfahren werden.
Wir sind hier erlöst von unseren Sünden, und zwar jetzt schon. Unsere Errettung durch und in Christus macht uns dessen gewiß. Gerade um dieser Sünden willen wurde er dahingegeben. Gott hat sie ausgetilgt, sie sind alle vergeben und zugedeckt. Wir sind nicht mehr in unseren Übertretungen und Sünden. Wir waren einmal in ihnen, wie geschrieben steht: „Auch euch hat er lebendig gemacht, als ihr tot waret in euren Sünden, in welcher ihr einst wandeltet nach dem Lauf dieser Welt, nach dem Fürsten, der in der Luft herrscht, nach dem Geist, der jetzt wirket in den Söhnen des Ungehorsams; unter welchen auch wir einst alle unsern Wandel hatten, in den Lüsten unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken (unseres Herzens) taten und von Natur Kinder des Zorns waren, wie auch die übrigen“. Kol. 2,13 + Eph. 2, 1-3: Eph. 5,6).

Von allen diesen „Sünden“ sind wir erlöst worden und aus der „weiten“ Ferne „nahe gebracht durch das Blut Christi“. Eph. 2, 13.

Es handelt sich nicht um „die Sünden“; sondern um „die Sünde“.
Wir sind nicht „in unseren Sünden“; aber „Sünde“ ist noch in uns.
Das ist das große Thema von Römer 7.
Wir fühlen die Triebe und den Hang zur „Sünde“; ja, wir fühlen sie am meisten dann, wenn wir Gutes tun wollen.
Dies Erfahrung ist allerdings traurig. Es scheint, als ob die alte Natur viel bösartiger sei, weil die neue vorhanden ist. Die neue Natur scheint die alte aufzureizen und ihren Widerstand noch erbitterter zu machen. Es ist gerade, wie ein alter Mieter den Einzug eines neuen übelnimmt. Erst wenn der neue Mieter sein gesegnetes Licht im Hause verbreitet, sehen und erkennen wir die Schäden und Mängel des alten. Dann sind wir ganz erstaunt, Neigungen und Lüste in uns wahrzunehmen, von deren Vorhandensein wir vorher keine Ahnung hatten. Einst ließen wir diesen Lüsten freien Lauf und hatten keine Empfindung für ihr wahres Wesen und ihre häßlich Art. Jetzt ist aber ein neuer Wille da, der die Glieder leitet. Diese standen einst unter der unumschränkten Herrschaft des alten Willens; nun aber sind sie von seiner Knechtschaft freigeworden. Der alte Wille herrscht nicht mehr über sie. Der alte Wille ist zwar noch in uns und tut, was er kann, um unsere Glieder zu beeinflussen, aber er hat nicht mehr die Macht über sie (Röm. 6,14). . . .
Wir wurden nicht nur von unseren Sünden erlöst, sondern auch diesem Vorbild oder dieser Lehre unterstellt, wenn wir „Christus also gelernt“ haben in allen Dingen.

Die Frage ist aber die: Haben wir „Christus so gelernt“? und haben wir eine Erfahrung von der wunderbaren Erlösung, welche wir in ihm und durch ihn erlangt haben? Das ist die Anwendung, welche der Apostel von diesem „Vorbilde der Lehre“ macht, die Römer 6 gegeben ist. Nachdem er davon sprach, wie „die anderen Heiden wandeln“, welche die Erlösung nicht kennen, wendet er sich an diese Heiligen in Ephesus und sagt:

„Ihr aber habt Christum nicht also gelernt, wenn ihr anders ihn gehört habt und von ihm gelehrt worden seid, wie die Wahrheit in dem Jesus ist: daß ihr von euch habt alles nach dem vorigen Wandel, den alten Menschen, der nach seinen betrügerischen Lüsten verdorben ist, aber erneuert werdet in dem Geiste eurer Gesinnung (oder neuen Natur), und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. Deshalb, da ihr die Lüge abgelegt habt, redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder untereinander“ Epheser 4, 20 – 25.

Diese Stelle spricht von dem, was die Epheser infolge des Empfangs der neuen Natur getan hatten. Sie sagt ihnen nicht, was sie tun sollten. Es wurde ihnen nicht gesagt, sie sollten den alten Menschen ablegen. Das war schon geschehen. Sie werden erinnert an das, was sie bereits von oder über Christus „gelernt“ haben, und an die glückliche Lage des Gläubigen in dem Widerstreit zwischen den zwei Naturen. Dies ist die „Wahrheit“, worüber die Glieder des einen Leibes miteinander reden sollten. Wir sollen einander daran erinnern, daß der alte Mensch seiner Herrschaft enthoben worden ist, und daß wir unter die Herrschaft des neuen Menschen gebracht worden sind.

Die Aussageweisen und Zeitformen in dieser Stelle müssen sorgfältig beachtet werden. Denn, wenn wir die Lehre von den zwei Naturen nicht genau kennen, so entgeht uns der ganze Sinn dieses Abschnittes; und wird der Sinn nicht richtig erkannt, so können wir die Aussageweisen und Zeitformen nicht verstehen. Es handelt sich durchweg um Infinitive (Grundformen) der Vergangenheit und nicht um Imperative (Befehlsformen) der Gegenwart. Es sind nicht Gebote für uns, das zu tun, was bereits getan worden ist. Diesen Heiligen in Ephesus wurde hier nicht gesagt, etwas „abzulegen“ oder „anzuziehen“, sondern, da alles für sie und für uns von Gott getan ist, wird ihnen geboten, von dieser kostbaren „Wahrheit“ mit den anderen Gliedern des einen Leibes zu „reden“. Das sollen wir tun, wenn wir „so den Christus“ geistlich und innerlich „gelernt“ und „ihn gehört“ haben und in ihm gelehrt worden sind. Eph. 4, 21.

Wir werden dies nicht tun, wenn wir auf Menschen gehört haben und durch Menschen gelehrt worden sind. Menschen werden uns lehren und sagen, daß wir die Pflicht haben, unser Leben daran zu setzen, „den alten Menschen auszuziehen“, und uns zu bemühen, „den neuen Menschen anzuziehen“. Sie werden uns in diese hoffnungslose Arbeit hineintreiben und unter eine neue Art Knechtschaft bringen, welche um so betrügerischer und gefährlicher ist, weil sie ein gutes Werk zu sein scheint. Es ist aber gleichwohl Knechtschaft.
Es ist nicht die „Wahrheit“, welche wir von Christus lernen. Es ist nicht „das Vorbild der Lehre“, dem wir unterstellt worden sind. Wir wurden nicht von einer Knechtschaft erlöst, um in eine andere zu geraten, so einleuchtend dies auch scheinen mag.

Entweder wissen die Menschen, die so lehren, nichts über die Lehre von den zwei Naturen und sind in den Regeln und Vorschriften unterworfen, welche die alte Natur (die einzige, die diese Menschen kennen) beherrschen; oder, wenn man diese Lehre kennt, ist sie verdorben durch die Unkenntnis alles dessen, was „durch ihn gelehrt“ ist über unsere gegenwärtige Erlösung von der Herrschaft des alten Menschen durch das „Dafürhalten des Glaubens“ und über die zukünftige Befreiung von ihr in der Auferstehung. Demgemäß verkehren die Menschen diese gesegnete Lehre, indem sie versprechen, daß, wenn wir ihre Vorschriften befolgen, wir jetzt die alte Natur loswerden können durch das eigene Tun der „Übergabe“; und so bahnen sie den Weg für eine gänzliche Mißachtung und Ausschaltung der einzigen Erlösung, welche Gott mit der Entrückung oder Auferstehung durch unseren Herrn Jesus Christus“ verheißen hat, indem Tod als unsere Hoffnung an deren Stelle gesetzt wird. (Röm. 6, 11)

Aus diesem Grunde ging für die große Mehrheit der Gläubigen so lange „die selige Hoffnung“ auf das Kommen des Herrn verloren. Aus diesem Grunde wurde „die Hoffnung der Auferstehung“ durch die babylonische Überlieferung vom Tod und seinem „Zwischenzustand“ ausgeschaltet. Leider wird diese Überlieferung allgemein an die Stelle des Wortes Gottes gesetzt.

Es gibt Verpflichtungen, welche die Lehre über die zwei Naturen uns auferlegt, und es gibt praktische Unterweisungen in bezug auf die beiden Naturen, dieselben sind aber alle in voller Übereinstimmung mit den Lektionen, welche wir in der Schule der Gnade lernen, wo die Gnade selbst unser Heil und unser Lehrer zugleich ist.

VI. Unsere Aufgaben der alten Natur gegenüber

Wir haben folgendes gesehen. Wenn auch die zwei Naturen in derselben Person nebeneinander wohnen, haben wir für jede derselben eine gewisse Verantwortlichkeit, welche nichts zu tun hat mit den Vorschriften, Grundsätzen, Anweisungen und Geboten der Menschen.

1. Unsere erste Aufgabe ist: Gottes Urteil über dieselbe anzuerkennen, sie als mit Christus gestorben zu betrachten.
Das Wort Gottes gibt uns keine Lehre, ohne uns die nötige Erklärung zu geben. Die Heilige Schrift ist „zu beidem nütze“. Die Erklärung sagt uns, wie wir die Lehre anwenden sollen und zeigt uns, wie wir unsere Pflichten zu unserem Nutzen und Frieden erfüllen sollen. Wenn wir also dies als unsere erste Aufgabe anerkennen, dann werden wir dafür halten, daß unsere alte Natur „mit Christus gestorben ist“.
Wir werden nicht im Zweifel darüber gelassen, was damit gemeint ist. Der Vers beginnt: „Also auch ihr“. Worauf bezieht sich „Also auch“? Die vorhergehenden Verse sagen es uns:
„Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. Wenn wir aber mit Christo gestorben sind, so glauben wir, daß wir auch mit ihm (wieder) leben werden, da wir wissen, daß Christus, aus (den) Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über ihn. Denn was er gestorben ist, das ist er ein für allemal der Sünde gestorben; was er aber lebt, lebt er Gott. Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christo Jesu.“

Beachten wir, daß nicht gesagt ist, daß wir uns selbst als tot fühlen, oder daß wir das zu verwirklichen haben; sondern wir sollen uns „dafür halten „ (ansehen, schätzen), daß wir in Gottes Augen wirklich tot sind und zwar so, als ob es eine vollendete Tatsache wäre.
Diese fünf Verse folgen als eine Erklärung und Veranschaulichung der im vorhergehenden Verse festgestellten Tatsache:
„Indem wir dieses wissen, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist (mit Christo).“

Dieselbe Tatsache finden wir auch in Römer 7, 6. „Jetzt aber sind wir von dem Gesetz (den Forderungen des Gesetzes) losgemacht, da wir dem gestorben sind, in welchem wir festgehalten wurden.“
Dasselbe wird bezeugt in Gal. 2, 20, wo der Apostel eine wichtige und selbständige Wahrheit betont durch Anwendung einer Redefigur (Epanadiplosis), welche im Griechischen mit demselben Wort „Christus“ den Satz beginnt und schließt, was diese Wahrheit verstärkt und hervorhebt, wodurch unsere Aufmerksamkeit auf sie gelenkt und an ihr festgehalten wird.
„Christus, ich bin mit (ihm) gekreuzigt; doch ich lebe, (und doch) nicht mehr ich, sondern er lebt in mir, Christus“.

So „hielt“ sich der Apostel „dafür“, daß er dem Gesetze gestorben war. Deshalb sagt er, er würde tatsächlich ein Sünder sein, wenn er nun suchen sollte, „in Christo gerechtfertigt zu werden“ (Vers 17); weil er vom Gesetz freigemacht ist, wenn er mit Christo starb. Sein nachträgliches Suchen nach Rechtfertigung, sogar durch Christum, würde eine praktische Verleugnung dieser großen geoffenbarten Tatsache sein, welche doch bereits vollendet ist.

So ist es auch unsere erste Pflicht, uns dafür zu halten, als ob wir tot Personen wären im Blick auf das Gesetz und alle seine Ansprüche an uns.
Das ist keine Sache des Gefühls, sondern des Glaubens. Solange wir uns von unseren Gefühlen leiten lassen, kommen wir nicht in den Genuß dieser Wahrheit. Wir sollten einfach Gott glauben. „Der Glaube kommt aus der Verkündigung (dem Hören der Predigt), die Verkündigung aber durch das Wort Gottes“. Gott hat diese große Tatsache in seinem Wort kundgetan (sonst hätten wir sie nie erfahren); wir hören das Wort; der Glaube nimmt es an und hat Freude an dem, was er hört, und glaubt Gott, ganz abgesehen vom Gefühl. Unsere erste Aufgabe hinsichtlich der alten Natur ist die, daß wir Gottes Urteil über dieselbe annehmen und sie so ansehen (wie er es tut), nämlich daß sie mit Christo starb, als er gekreuzigt wurde.

2. Unsere weitere Aufgabe ist, den alten Menschen sowohl für das Gute wie für das Böse als tot zu betrachten.



Wenn wir sagen „gut“, so meinen wir natürlich gut für Gott, gut in Gottes Augen, gut für die Ewigkeit, gut in Gottes Meinung, gut, was er als solches ansieht und anerkennen kann. In seinen Augen ist in der alten Natur (wie wir bereits gesehen haben) “nichts Gutes“. Wenn wir also sagen, wir haben das Gute in ihr nicht zu pflegen, so meinen wir nicht das, was der Mensch „gut“ heißen würde, sondern das, was Gott als „gut“ betrachtet. Wir haben die alte Natur in ihrer ganzen Güte wie in ihrer Schlechtigkeit für tot zu halten und alle Hoffnung aufzugeben, für Gott etwas aus ihr hervorzubringen, da unsere alte Natur vor ihm tatsächlich tot und begraben ist. Wenn Gott sagt, sie ist tot, so erwartet er von uns, zu glauben, daß sie tot ist, weil er sagt, sie ist es. Er erwartet von uns, daß wir sie als begraben ansehen.
Der natürliche Mensch mag religiöse und liebenswürdige Eigenschaften besitzen und pflegen, das Kind Gottes aber braucht und darf dies nicht. Denn wenn wir nach der neuen Natur wandeln und von ihr geleitet werden, was brauchen wir dann noch das Fleisch zu pflegen? Die neue Natur hat Christus und den „Sinn Christi“ an Stelle der „Religion“. Das übertrifft bei weitem alles, was wir je durch Ausbildung der alten Natur hervorbringen könnten.

3. Dies führt zu einer dritten Aufgabe, nämlich: „nicht Vorsorge für das Fleisch zu treiben“, sondern sich immer daran zu erinnern, daß „das Fleisch nichts nützt“. Das nennt man „die Lehre Jesu“, unseres anbetungswürdigen Herrn und Meister.  . . .

Das Fleisch kann sehr religiös gemacht werden. Und gerade darin unterscheidet sich die „Religion“ vom Christentum. Die Religion hat es nur mit dem Fleisch zu tun. Alle ihre Satzungen sind von dem Fleisch oder stehen in Verbindung mit demselben. Es sind lauter Dinge, welche das Fleisch erfüllen kann. In Jesaja 1 haben wir ein Bild von dem, was „Religion“ ist. Als unser Herr auf die Erde kam, war diese Art der Religionsübung auf ihrem Höhepunkt. Nie gab es eine genauere und peinlichere Beobachtung aller ihrer Satzungen und Gebräuche. Aber daß dies keine neue Natur geben, noch die alte ändern kann, zeigt die Tatsache, daß es gerade der religiöse Teil des Volkes war, der den Herrn Jesus kreuzigte. Dahin bringt es eine Religion, selbst wenn sie von Gott gegeben ist, wenn sie durch die alte Natur verdorben und mißbraucht wird.

Darauf beziehen sich Stellen, wie die folgende: „Hat der Herr Lust an Brandopfern und Schlachtopfern, gleichwie am Gehorsam der Stimme des Herrn? Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer und Aufmerken besser als das Fett von Widdern.“ (1. Sam. 15, 22).
„Ein reicher und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist der; Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich von der Welt unbefleckt erhalten.“ (Jak. 1, 27). Das will sagen: Wenn es sich um Religion handelt, d.h. um äußere Handlungen und Übungen, so sind Taten der Barmherzigkeit und Güte weit besser als alle äußeren gottesdienstlichen Handlungen, wie Verneigungen und Kniebeugen; Bekreuzungen und das gedankenlose Beten des Rosenkranzes; das Sichnahen mit den Lippen, die Beobachtungen von Tagen und das Halten von Festen.
Dies ist der wesentliche Inhalt des Briefes an die Kolosser, der gerade in dieser Frage gipfelt: „Wenn ihr mit Christus den religiösen Satzungen der Welt gestorben seid, was unterwerft ihr euch Satzungen (berühre nicht, koste nicht, betaste nicht, welches alles mit dem Gebrauch umkommt) nach Geboten und Lehren der Menschen?“

Der natürliche Mensch (das Fleisch) kann diese Satzungen verstehen und ihnen untertan sein, denn sie alle betreffen „irdische Dinge“.

“Wenn ihr nun mit Christus auferstanden seid, so suchet was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das was auf der Erde ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“ Kol. 2, 20-23)

So unterweist uns die Schrift, als neue Naturen nicht Vorsorge für das Fleisch zu treffen, es nicht mit der Nahrung großzuziehen, die es gerne hat, ihm nicht seinen Willen zu tun, auch nicht mit dem, was die Leute für „gut“ halten. Die alte Natur ist durch und durch hochmütig. Darum sind alle jene Versammlungen gedrängt voll, wo „praktisch“ gesprochen wird, wie man sagt, und wo die Zuhörer aufgefordert werden, dies und das zu „tun“ (nicht, daß sie sich notwendigerweise hernach viel um das Tun bekümmern); doch immerhin befriedigt dies die alte Natur des religiösen Menschen.
Die alte Natur, sogar im Kinde Gottes, liebt es, „Vorschrift auf Vorschrift“ zu hören. (Jes. 28, 10). Sobald man jedoch Gott ehrt und Christum verherrlicht, sein Wort erhöht und den Menschen erniedrigt – will es die alte Natur nicht hören. Wenn es nach ihr ginge, würden die Kirchen und Kapellen veröden, wo diese Lehre gepredigt wird und wo die Anbetung wahrhaftig im Geiste geschieht. Alles das ist ihr verhaßt, und sie wird es offen heraus sagen, daß ihr das ganz und gar mißfällt. Umgekehrt: Wo Vorsorge für die getroffen wird, wo reichlich Musik gemacht wird, wo „Vorschrift auf Vorschrift“ von der Kanzel verkündigt wird, da findet sich der alte Mensch in Massen ein.

4. Der fünfte Vers redet von einer weiteren Aufgabe: „tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind“. Das klingt zunächst sehr sonderbar, nachdem uns doch wiederholt gesagt worden ist, daß wir mit Christo gestorben sind. Es klingt auch praktisch. Aber wenn etwas praktisch sein soll, so muß es ausführbar sein. Es muß etwas sein, was wir wirklich tun können.

Das Wort „töten“ (im Grundtext nekroo), bedeutet hier so viel als „behandeln, ansehen als getötet“. Was die Schrift hier mit dem Worte meint, das ergibt sich deutlich aus den beiden andern Stellen, wo es von Abraham gebraucht ist: „Er war nicht schwach im Glauben, sah auch nicht auf seinen eigenen, schon erstorbenen Leib (er war fast 100 Jahre alt), noch auf das Abgestorbensein des Mutterleibes der Sarah.“
Und Hebräer 11, 12: „Darum sind auch von einem, und zwar einem Gestorbenen viele geboren worden.“

Es handelt sich nicht darum, was das Wort im Lexikon bedeutet, oder wie es von den Griechen angewandt wurde, sondern, wie der Heilige Geist es gebraucht. Und wir sehen aus den eben genannten zwei Stellen, daß es auf jemand angewandt wurde, der tatsächlich noch am Leben war, aber „erstorben“ (es kann mit „so gut wie tot“ übersetzt werden), d.h. unfähig, Leben zu erzeugen oder praktische Aufgaben zu erfüllen.

Weiter wird das Wort Kol. 3,5 gebraucht und zwar nicht von der alten Natur selbst, sondern von ihren „Glieder“, und die Ermahnung schließt sich folgerichtig an die Aussage in den vorhergehenden Versen an.
Sie beginnen mit „nur“ (daher), und die Schlußfolgerung ist: Da ihr sehet, daß ihr mit Christus gestorben seid, so beschäftigt euch mit himmlischen und nicht mit irdischen Dingen, richtet euren Sinn auf Christus und auf die selige Tatsache, daß ihr „in ihm vollendet“ seid und daß, wenn er in Herrlichkeit erscheint, ihr auch in Herrlichkeit geoffenbart werdet. Seid nicht schwach im Glauben; betrachtet nicht eure Glieder, welche auf Erden sind, sondern haltet sie für „erstorben“ (so gut wie tot), „da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zu der völligen Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat“.

Alle sogenannt „guten“ Werke, die von der alten Natur getan werden, sind „tote Werke“. Sie werden durch unsere Glieder gewirkt, welche (in Gottes Urteil) „erstorben“ sind. Nur das sind „gute Werke“, welche Gott selbst „zuvor bereitet hat, daß wir darinnen wandeln sollen“ und welche in der geistlichen Kraft der neuen Natur vollbracht worden sind.
O, daß Gottes Urteil auch das unsere wäre! Daß wir gleich wie Abraham in dieser wichtigen Sache nicht „schwach im Glauben“ sein möchten, sondern stark, Gott zu glauben, und unsere Wünsche auf das zu richten, was droben ist, wo Christus sitzt, zur Rechten Gottes.

VII. Unsere Aufgaben der neuen Natur gegenüber

Unsere Verpflichtungen der neuen Natur gegenüber sind genau das Gegenteil von denen, die wir der alten Natur gegenüber haben. Was wir bei der alten Natur als erstes zu beachten hatten, war, daß wir sie ansehen als mit Christus gestorben. Unsere erste große Pflicht bezüglich der neuen Natur ist:

1. uns für lebendig zu betrachten, und zwar in einem neuen Leben.

Die neue Natur ist Leben – neues Leben, geistliches Leben, göttliches Leben, ewiges Leben. Und wir sollten damit rechnen, daß wir nun „lebendig“ sind, und in diesem neuen Leben stehen, also in einer ganz neuen Art des Lebens zu Gott hin und für Gott, und daß dieses Leben „in Christo Jesu“ ist. Nicht in „Jesu Christo“ wie in manchen Übersetzungen: Im Grundtext ist ein deutlicher Unterschied. Von dem Gläubigen heißt es nie er sei „in Jesus“. Wir stehen nicht in einem toten Jesus, sondern in dem lebendigen und auferstandenen „Christus“.
Und wir sollen nun im Glauben (nicht im Gefühl) „uns dafür halten“, denn wir werden keine Ursache sehen, warum er uns diese wunderbare „Gabe“ je geschenkt haben sollte. Wir werden dafür in allem, was wir je getan haben, keine Ursache finden.

Wenn wir dieses Dafürhalten verwirklichen sollen, werden wir „Gott glauben“ müssen. Eph. 2, 4-6 werden wir sehr ermutigt, das zu tun; denn dort erinnert er uns, daß damals, als wir noch Kinder des Zorns und unfähig waren, einen guten Gedanken zu denken, oder eine gute Tat zu tun, daß es damals vielmehr Gott war, der da reich ist an Barmherzigkeit wegen seiner großen Liebe, womit er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Vergehungen, der uns mit dem Christus lebendig gemacht (denn aus Gnaden seid ihr errettet worden) und uns samt ihm auferweckt und samt ihm in das Himmlische versetzt hat in Christo Jesu, auf daß er erzeigte in den kommenden Zeitaltern die überschwenglichen Reichtümer seiner Gnade durch seine Güte über uns in Christo Jesu. Denn aus Gnaden seid ihr gerettet worden und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, auf daß sich nicht jemand rühme. Eph. 2, 4-9.
Wenn dies nicht durch „Werke“ geschah, dann gewiß nicht durch Gefühle. Nur durch das „Dafürhalten“ des Glaubens können wir in diese kostbare Verkündigung einer vollendeten Erlösung eindringen und uns ihrer erfreuen.
Dies führt uns indessen zu einer anderen Pflicht, von welcher der folgende Vers redet. (Eph. 2,10):
„Wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, daß wir in diesen wandeln sollen“.

2. Wir sollen in diesem neuen Leben wandeln. Das Griechische für „neu“ ist hier kainotes (Neuheit). Es kommt von kainos (neu oder frisch gemacht, welches neos heißt, verschieden von dem was zuvor gewesen ist), neu in dem Sinne, daß es an die Stelle dessen tritt, was zuvor gewesen ist. Kainotes kommt nur Römer 6,4 und 7, 6 vor, wird aber an beiden Stellen in verschiedener Verbindung oder Beziehung gebraucht, In Röm. 6,4 bezieht es sich auf unseren Wandel und Röm. 7,6 auf unseren Dienst.

a) Unser Wandel soll sein „in Neuheit des Lebens“, d.h. in einer ganz anderen Art des Lebens; nicht mehr bloß im körperlichen Leben, sondern nun im geistlichen Leben. Nicht mehr in dem vom ersten Adam, sondern in dem vom letzten Adam, von Christo abstammenden Leben. Es ist dies eine ganz neue Lebenssphäre. Jene war von der Erde und irdisch, diese ist himmlisch in ihrem Ursprung, ihrem Weg und ihrem Ende. Unser Regierungssitz ist jetzt im Himmel, und unser „Wandel“ soll durch das himmlische Regiment geleitet werden und nicht durch eine irdische Obrigkeit. Indem wir in der Welt wandeln, wollen wir immer daran denken und uns daran erinnern, daß wir in ihr, aber nicht von ihr sind; und wie man beim Gehen darauf sehen muß, wohin man geht, so müssen wir nach unserem Heiland, dem Herrn Jesus Christus, ausschauen, und dies hat unseren Wandel zu leiten.

b) Römer 7,6 wird diese neue Lebenssphäre in Verbindung mit dem Dienst gebracht: „jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, das uns gefangen hielt, so daß wir jetzt das Vorrecht haben zu dienen in Neuheit des Geistes (d.h. in dem neuen Gebiet der neuen Natur) und nicht in dem alten Wesen des Buchstabens (des Gesetzes)“.

Dies sagt uns, daß unser Dienst nicht mehr durch den „Buchstaben“ des Gesetzes geleitet wird, sondern durch dessen „Geist“; und daß unser Dienst einem ganz neuen Beweggrund entspringt; der andere ist alt, veraltet, nicht mehr zeitgemäß. Nun geschieht der Dienst nicht mehr aus Zwang, sondern aus Liebe; nicht durch die Beobachtung von Regeln und Vorschriften, sondern mit Lust; nicht infolge von Gelübden und Verpflichtungen, sondern in vollkommener Handlungsfreiheit; nicht, weil wir Sklaven, sondern weil wir Söhne sind. Ein ganz neues Dienstverhältnis ist uns mit der neuen Natur gegeben, und es ist hinfort unsere Aufgabe, Gott auf diese Art und Weise zu dienen. Wenn wir nicht sehr wachsam sind, werden wir finden, daß wir beständig in Gefahr sind, in die Knechtschaft des alten Buchstabens zurückzufallen und in dem Geist der Knechtschaft, statt der Kindschaft zu handeln.

c) Aber es ist noch ein dritter Wandel verbunden mit dieser „Neuheit“, oder diesem neuen Leben, in das die neue Natur uns bringt: die Anbetung.
Davon ist Gal. 5, 25 die Rede. Das ist ein weiterer Gedanke zu dem neuen Leben im Geist. Es handelt sich darum, daß unser Wandel und Gottesdienst in „Christus“ sind und nicht nach religiösen Satzungen der Welt geschehen.

Wenn wir im Geist leben, so laßt uns auch im Geist wandeln. Gal. 5, 25. Das will sagen, daß alle, die diese neue Natur haben, dementsprechend leben sollen. Das hier gebrauchte Zeitwort „wandeln“ ist verschieden von dem, was Röm. 6,4 und Röm. 7,6 gehabt haben.
Das Wort hat Bezug auf alles, was in den religiösen Übungen äußerlich ist, auf alle religiösen Handlungen, welche es mit dem Fleisch zu tun haben.  . . .

Es gibt also drei verschiedene Verpflichtungen, was unseren Wandel nach der neuen Natur betrifft; das sind: Leben, Dienst und Anbetung; sie beziehen sich auf das, was nach innen, nach außen und nach oben geht.
Was das Innere betrifft, so sollen wir wandeln nach dem neuen Wesen des Lebens, in welches die neue Natur uns bringt.
In bezug auf das Äußere sollen wir dienen gemäß der Neuheit der geistlich oder neuen Natur.
Im Blick auf das Obere sollen wir „Gott anbeten im Geist“ und nicht nach den religiösen Überlieferungen, Satzungen und Geboten der Menschen.

Das sind dieselben drei Wirkungskreise, wie uns Titus 2, 11-13 lehrt; und es sind dieselben drei Lehren, welche die Gnade lehrt. Denn die Gnade bringt uns nicht nur die Erlösung, sondern sie lehrt uns, „daß wir, indem wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnen, züchtig, gerecht und gottselig leben sollen in dieser jetzigen Weltzeit, indem wir die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes erwarten“
Hier werden wir gelehrt, wie wir in unserer neuen Lebenssphäre leben sollen.

a) Was das inwendige Leben betrifft, so soll unser Wandel „züchtig“ sein.  . . .
Wenn wir diese Selbstbeherrschung z.B. nur auf diejenigen unserer Wünsche beschränken, welche durch den Durst erzeugt werden, so verfehlen wir den ganzen Nachdruck der Ermahnung und lassen alle unsere anderen Lüste des Fleisches und des Gemüts ohne Zwang und Aufsicht; oder wir handeln wenigstens so, als ob sie wohl gelassen werden könnten. Jedoch das Größere schließt das Geringere ein. Um das wahre Evangelium der Mäßigkeit schließt in die Selbstbeherrschung nicht nur das Trinken, sondern auch Essen, Kleidung, Lektüre, Verbrauch, Sparsamkeit, Reisen, Reden, Aufsuchen von Sehenswürdigkeiten, Besuche machen, Singen usw. ein, und erstreckt sich auf alles, was unter den Begriff „Reinheit“ fällt. Es umfaßt jede Seite unseres täglichen Lebens, nicht nur die groben Lüste des Fleisches, sondern auch die verfeinerten Wünsche des Gemütes; es umfaßt nicht nur das Unerlaubte, sondern auch das Erlaubte. Es beherrscht nicht nur das Erlaubte, sondern auch das Nützliche.
Die sogenannte Temperenz-Bewegung stammt aus dem Fleisch und nicht aus dem Geist. Dadurch wird nur eine unserer Lüste beherrscht und die Tür zu allen anderen offengelassen. Geld, das nicht für Getränke ausgegeben wird, kann dann wohl für andere unsittliche Zwecke verwendet werden. Geld, das nicht vertrunken wird, geht dann im Glücksspiel verloren. So nimmt der bloß ethische Reformator nur hie und da ein verdorrtes Blatt oder eine faule Frucht weg, während das Böse an der Wurzel liegen bleibt. Nicht Reformation brauchen wir, sondern Regeneration, Wiedergeburt. Ein „gebesserter Charakter“ ist fern davon, ein geretteter Sünder zu sein. Ein solches Werk ist gut für die Welt, sie mag sich damit beschäftigen, ohne das höhere und einzige Werk, für das er bestellt ist, zu vernachlässigen.
Nein! Der Wandel nach der neuen Natur löst für das Kind Gottes alle diese Fragen und schließt das Ganze ein, während ein Wandel nach dem Fleische nur mit einem gewissen Teil des Ganzen beschäftigt ist.
Was also das inwendige Leben betrifft, so haben wir mit Selbstbeherrschung auf allen Gebieten zu wandeln.

b) In bezug auf das äußere Leben soll unser Wandel „gerecht“ sein. Und das nicht zur Gerechtigkeit, sondern aus Gerechtigkeit. Nicht, weil es die Gesetze und Gebote der Menschen erfordern, sondern weil es das Verlangen der neuen Natur ist. Nicht das Pflichtgefühl, sondern aus der Macht der Liebe. Nicht als Knechte, sondern als Kinder. Nicht erzwungen durch Verpflichtungen, Abzueichen und Gelübde, sondern aus dem Drang der göttlichen Natur in uns, in der Welt draußen gerecht zu wandeln.

c) Im Blick auf das Obere sollen wir „gottselig“ wandeln, d.h. Gott soll unser ein und alles sein. Der Wandel wird deshalb nicht in den Satzungen und in religiösen Überlieferungen der Menschen bestehen, sondern in der Entfaltung der neuen Natur; mit einem Worte: es ist Christus allein, statt alles dessen, was den Namen Religion trägt. Es ist Christus, und sogar nicht einmal die „Christliche Religion“ als eine unter den vielen anderen Religionen, sondern Christus oder wahres Christentum.
So und nur so allein werden wir dieser Verpflichtung gegenüber unserer neuen Natur gerecht werden und zu denen gehören. „Welche Gott im Geist anbeten, sich in Christo Jesu rühmen und nicht auf das Fleisch vertrauen“ Phil. 3,3.


3. Die dritte Verpflichtung der Neuen Natur gegenüber ist: sie mit der rechten, passenden Nahrung zu versorgen.
Wie die alte Natur, das Fleisch, durch das ernährt wird, das von außen kommt (denn sie kann sich nicht aus sich selbst heraus nähren)m so ist es auch mit der neuen Natur. Ihre Nahrung muß von außen kommen. Sie muß beständig mit der Speise unterhalten werden, welche für sie bestimmt und angepaßt ist. Diese Speise ist das Wort Gottes.
Daher wird uns gesagt, daß wir wie neugeborene Kindlein nach der vernünftigen, lauteren Milch des Worts begierig sein sollen, auf daß wir dadurch zunehmen. Das Wort Gottes ist die Speise der neuen Natur. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Worte, das aus dem Munde Gottes geht“. In ihm ist Nahrung aller Art enthalten, Milch für kleine Kinder und feste Speise für Erwachsene; Trost für Leidtragende; Hilfe für Schwache. Wie die neugeborenen Kindlein nach Milch verlangen, so bedarf das neugeborene Kind Gottes der Milch des Wortes, und es sehnt sich nach derselben.
Dies ist die einzige Nahrung der neuen Natur, sie muß jedoch „lauter“ sein: das lebendige Wort, der Herr Jesus Christus; und das geschriebene Wort, die Heilige Schrift. Das eine nicht ohne das andere. „Ich bin das Brot des Lebens“, d.h. das Brot, welches das Leben enthält. „Das Brot Gottes ist er, der aus dem Himmel herniedergekommen ist“ (Joh. 6,33).

So konnte Jeremia von dem geschriebenen Worte Gottes sagen: „Deine Worte waren vorhanden, und ich habe sie gegessen, und dein Wort war meines Herzens Freude und Wonne“ Jer. 15, 16).
Wenn so ein Mann des Alten Bundes sprechen konnte, wieviel mehr können es die, welche dem Neuen Bund angehören und welche der „Göttlichen Natur“ teilhaftig sind.
Wenn das Manna vom Himmel „Brot der Engel“ genannt wird, wieviel mehr kann das Wort „das Brot Gottes“ genannt werden.
Nur durch die Nahrung aus dem Worte kann die neue Natur richtig unterhalten werden. Sie kann nicht gedeihen an den Worten der Menschen, noch an all seinen „großen Gedanken“. Dieselben sind in dem geistlichen Leben nutzlos. An der menschlichen Vernunft und der weltlichen Literatur würde die neue Natur verhungern. Alles das würde im besten Fall zu einem Idealmenschen führen. Wer sich aber mit der von Gott eingegebenen Schrift ernährt, wird ein „Mensch Gottes“ werden, durchaus gerüstet für jedes Ereignis, jede Schwierigkeit und jeden Kampf, beschirmt gegen jede Gefahr, gewappnet gegen jede Versuchung, vorbereitet auf jede Prüfung.

Als der Sohn Gottes versucht wurde, berief er sich auf das Wort Gottes. Seine ersten amtlichen Worte waren: „Es steht geschrieben“ und seine erste amtliche Äußerung geschah mit den Worten der Schrift aus 5. Mose 8, 3.

In seiner letzten amtlichen Äußerung bezieht er sich wiederum dreimal auf das Wort. „Dein Wort ist Wahrheit“. Joh. 17,17. „Ich habe ihnen dein Wort gegeben“ Joh. 17,14. Und Joh. 17 Vers 8: „Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben“.
Hier haben wir wiederum „die Worte“ und „das Wort“; denn das Wort ist aus Worten zusammengesetzt und es ist unmöglich, das eine ohne das andere zu besitzen. Wenn damit andere Worte vermengt werden, so wird das Wort als Ganzes verfälscht.

Kein Wunder, daß die Gläubigen so schwach und kraftlos sind, sowohl darin, dem Bösen zu widerstehen als auch das Gute hervorzubringen. So offenbar ist diese Schwäche, daß besondere Zusammenkünfte eingeführt worden sind zu dem ausdrücklichen Zweck der „Vertiefung des geistlichen Lebens“. Diese bilden den Beweis des niedrigen Standes des geistlichen Lebens und des unbefriedigten Zustands sehr vieler Christen. Das sind auch die plausiblen Gründe dafür, daß solche besonderen Anstrengungen erforderlich sind. . . . Es beweist dies alles eine Vergeßlichkeit gegenüber die Schrift, welche erklärt, daß diese neue Natur „vollkommen“ und „göttlich“ ist, und daher nicht „vertieft“ oder vermehrt werden kann.
Sie kann unterhalten, genährt und gekräftigt werden: aber dieses kann nur durch die Speise am Worte Gottes und nicht durch das Lauschen auf Menschworte geschehen. Durch die „Erklärung“ des Wortes und nicht durch die Ermahnungen der Menschen kann die neue Natur gestärkt und in guter geistlicher Gesundheit erhalten werden, durch Sinnen auf das, was droben ist, nicht durch Aufmerken auf das, was auf Erden ist, durch Erforschung der Schriften und nicht durch etwas anderes.

Alle anderen und geringeren Mittel, welche angewandt werden, dienen nur dazu, da Fleisch zu weiden und aufzublasen; und die Schlinge ist umso feiner und gefährlicher, weil es so „gut“ scheint und lautet, sowohl in der Sache, als auch in der Art und im Beweggrund. . . .

Viele Gläubige ziehen, anstatt sich selbst am Worte zu nähren, es vor, die Ergebnisse der Studien anderer über dasselbe zu hören. Das ist gerade so, wie wenn jemand Vorträge über Diät besuchen und die Chemie der Nahrungsmittel studieren wollte, anstatt dieselben zu essen und seine täglichen Pflichten zu sammeln.
Von einer anregenden Literatur zu leben, ob sie nun geistlich oder weltlich ist, das wäre dasselbe, als wenn jemand von Kuchen, Süßigkeiten und Nebengerichten leben wollte, statt von einer kräftigen, belebenden, gesunden und zuträglichen Speise.

Daher kommt es, daß so viele den Anforderungen und Pflichten des christlichen Lebens nicht gewachsen sind. Darum stehen so viele machtlos vor den Versuchungen. Sie geben ihrer neuen Natur so wenig Nahrung. Sie genießen die ungesunde Speise ihrer eigenen Erfahrungen oder der Erlebnisse und Lebensbeschreibungen anderer. Sie lesen „gute“ Bücher, Bücher von Menschen und Liederbücher, welche nur Gärung statt Verdauung erzeugen, weil eine solche Speise sich mit der neuen Natur nicht verträgt.

Ist es da zu verwundern, daß man bei dieser Art von Diät und dem unregelmäßigen, nur in Zwischenräumen oder überhaupt selten gepflegten Genuß des Wortes Gottes an so vielen Christen eine wirklich hohe Auffassung des Geistes der Kindschaft der hohen und wunderbaren Vorrechte der Söhne Gottes vermißt, und sie ein wirkliches Gefühl ihrer Verantwortlichkeit in der Welt, in welche sie hineingestellt sind, nicht empfinden?

Seien wir dessen eingedenk, daß, um das Vorrecht der Gotteskindschaft zu verwirklichen, das Wort Christi „reichlich in aller Weisheit in uns wohnen“ muß. (Kol. 3,16). Das geschriebene Wort und das lebendige Wort sind die einzige Speise der neuen Natur, und der Gebrauch derselben darf nicht unregelmäßig oder dem Zufall überlassen sein, indem hin und wieder ein Mund voll davon genommen wird. Unseren Leib behandeln wir nicht so, noch genießen wir so unsere tägliche Speise, denn wir alle wissen ganz gut, daß die richtigen Mahlzeiten in regelmäßigen Zwischenräumen genossen, langsam gekaut und vollständig verdaut werden müssen, um uns ganz einverleibt zu werden. Gerade so muß es im geistlichen Leben sein, welches wir in der Gabe der neuen Natur bekommen haben.
Wenn unser geistlicher Zustand infolge mangelhafter Ernährung schwach ist, dann sind wir versucht, zu allen Arten von Heilmitteln unsere Zuflucht zu nehmen, um die nötige Kraft und Gesundheit zu erlangen. Viele suchen Hilfe bei marktschreierischen Heilmitteln, welche in der religiösen Welt in demselben Überfluß vorhanden sind wie in der natürlichen. Alle Arten neumodischer „Behandlungs“ – Methoden werden empfohlen und alle Arten von „Nahrungsmitteln“ werden als die „besten“ angepriesen.

Das „Lebensbrot“ Gottes, das er für uns bereitet hat, enthält alles, was wir brauchen. Wir behandeln es aber wie das „Korn“ Gottes, das er für unser natürliches Leben bestimmt hat. Bei dem Mahlen dieses Korns hat der Mensch seine Mühlen so eingerichtet, daß er automatisch fast alles ausscheidet, was Gott in das Korn hineingelegt hat. (Die ausgeschiedenen Bestandteile werden an die Getreidehändler besonders verkauft und haben ihre eigenen Bezeichnungen). Was übriggelassen wird, ist größtenteils Stärke (um nicht zu reden von den schädlichen Stoffen, welche hinzugetan werden); und da diese Stärke in gar keinem Verhältnis zu der Diastase steht, einem Teil des Speichels, der sie allein verdauen kann, so gärt sie im Magen, statt zu verdauen, bleibt daher zurück und wird eine Quelle vieler Übel. Mittlerweile wird unser Organismus so schwach ernährt, daß unsere Gesundheit darunter leidet; wir klagen über allerlei Übelstände, wir fühlen uns häufig „unpäßlich“, uns so kommt es, daß wir zu den hoch gepriesenen „Heil- und Nährmitteln“ unsere Zuflucht nehmen, bis viele in einen Zustand kommen, in welchem sie ohne solche Hilfsmittel für ihr leibliches Leben nicht mehr fertig werden können. Zwar haben viele diese Mißstände erkannt, und trachten dann auch, dem Fehler abzuhelfen. Wie tun sie es aber? Anstatt die naheliegenden Mittel anzuwenden und zu dem zurückzukehren, was Gott in dem Weizenkorn gegeben hat, welches alles Nötige enthält, und zwar im richtigen Verhältnis, hat man verschiedene Arten von „Broten“, mit wunderbaren Namen, erfunden. Die Unachtsamen versuchen es mit diesen neumodischen Broten, und obgleich ihre Nahrung mehr kostet, erlangen sie die erhofften Ergebnisse doch nicht.

Das alles geht tatsächlich vor unseren Augen vor sich und hat sein Gegenstück im Geistlichen. Das Wort Gottes wird vernachlässigt; die Menschen gehen auf die verschiedenste Weise damit um. Die Milch des Wortes wird in einen „Separator“ getan; und was nicht von dieser oder jener Partei geglaubt wird, wird sorgfältig ausgeschieden oder umgangen. Menschliche Ersatzmittel werden genossen, und wenn wir merken, daß wir schwach oder nicht gesund sind, dann kehren wir nicht zu der Ursache alles Unheils zurück. Wir vielmehr dasselbe System fort, welches alle diese traurigen Wirkungen hervorgebracht hat. Dann suchen wir sie zu heilen, indem wir zu den Vorschriften der Menschen Zuflucht nehmen und ihren Empfehlungen glauben. Die einen empfehlen eine neue „Behandlungs“ – Art: andere verlegen sich auf „Reizmittel“, und während sie sorgfältig diejenigen der materiellen Welt vermeiden, finden sie Gefallen an geistlichen Genüssen bei Konferenzen usw. Wieder andere tun so, als ob das fortgesetzte Bekennen ihrer Sünden, welche sie bejammern, sie beseitigen oder heilen könnte. Manche meinen auch, eine gemeinsame Besprechung dieser Dinge würde die erwünschte Abhilfe bringen.

Dabei wird gerade von den Anhängern dieser modernen Methoden offen zugegeben, daß sich das Glaubensleben und die evangelische Kraft auf einem sehr niedrigen Standpunkt befinden. Wie ein schlecht genährtes Pferd beständig durch die Peitsche angetrieben werden muß, so peitschen sich diese schlecht genährten Gläubigen selbst oder lassen sich von anderen zu ihren Pflichten antreiben, statt einem gut genährten Pferd zu gleichen, welches keine Peitsche nötig hat und das nur der Leitung und des Zügels bedarf.

Noch weit schlimmer ist es, wenn wir in dem Zustande geistlicher Ohnmacht in dem Werke des Herrn tätig und dabei genötigt sind, dasselbe in der Kraft der alten Natur, des Fleisches, zu tun. Das bringt dann natürlich noch größere Not, bis schließlich viele „zusammenbrechen“ und „fortgeschluckt“ werden oder sie geben es selbst auf.

O, daß wir sie dahin bringen könnten, die einzige und einfache Ursache all dieser Übelstände zu erkennen, welche allgemein anerkannt, zugegeben und beklagt werden. Daß diese vorhanden sind, ergibt sich ja aus den Anstrengungen, die man von die man von allen Seiten macht, um sie abzustellen.
Die Wurzel aller Not ist die Vernachlässigung der göttlich verordneten Mittel, der Nahrung aus dem Wort Gottes.

Diese Wort Gottes hat nur so viel Wert, als wir uns selbst daraus nähren und wir es wirklich in uns aufnehmen. Niemand kann das für uns tun. Denkt darum nicht, daß wir leben können, indem wir andere Leute essen sehen, oder daß wir etwas lernen können, wenn wir nur auf deren Werk blicken und es nachahmen. Wir müssen unsere eigenen Forschungen im Wort anstellen und in unseren eigenen Bibel anstreichen und unsere eigenen Verzeichnisse und Notizen machen. Gewiß, wir können darin von anderen angeleitet und unterwiesen werden, und wir können durch ihre Arbeiten und Beispiele angespornt werden; jeder einzelne muß aber für sich selbst forschen und jeder muß selbst davon essen, damit er stark werde, nachdem er von anderen gehört und gelernt hat, wie sie sich aus dem Worte nähren. (Apg. 17, 11; Joh. 5, 39).

Alles, was wir für unsere geistliche Gesundheit und Kraft brauchen, ist im Worte Gottes enthalten; und der Heilige Geist, welcher es eingegeben hat, ist bei uns wirksam, um uns zu lehren und es unseren Herzen einzugeben, Wir wollen unser ganze Vertrauen auf ihn setzen. Laß uns ihn nicht betrüben, indem wir uns auf Menschen verlassen. Verlaßt euch nicht auf unsere Schriften. Horcht auf sie nur, soweit sie Christus verherrlichen und sein Wort groß machen. Alles, was wir tun können, ist, daß wir Wegweiser sind, die euch sagen, wo Speise zu finden ist und wo die „grünen Auen“ liegen; und die euch auf die Nützlichkeit, die Süßigkeit, die Macht, die Wahrheit und den Gewinn dieser himmlischen Speise hinweisen und euch sagen, wo ihr das finden könnt, was eure Bedürfnisse befriedigt. Wir haben kein Monopol in diesen Dingen. Auch für unsere eigene Nahrung brauchen wir dasselbe Wort. Wir können die Speise vorbereiten und sie für euch zerlegen, aber wir können nicht für euch essen; das müßt ihr selbst tun.

Demnach ist es einfach eine Frage der Diät im geistlichen Leben, wie so oft auch im leiblichen, und die Gesundheit beider kann dadurch festgestellt werden, daß !Appetit“ vorhanden ist. In der natürlichen Welt ist der Appetit das Zeichen von Gesundheit. Wenn er fehlt, ist es ein Zeichen des Krankseins. Ebenso ist es auf dem geistlichen Gebiet. Unser Appetit oder Verlangen nach dem Wort Gottes ist der Gradmesser unserer geistlichen Gesundheit. An diesem Gradmesser können wir uns selbst prüfen. Er ist das Thermometer für unser geistliches Befinden.
In unserer geistlichen Entwicklung hängt alles ab von unserem Appetit nach dem Worte Gottes, das die einzige geistliche Nahrung ist. Es wird uns in dem Maße nützlich sein, in dem wir nicht nur von dem Worte essen, sondern es auch verdauen und es völlig in uns aufnehmen.

Wie das Geld, so hat auch das Wort nur so viel Wert, als wir Freude, Nutzen und wahres Glück daraus bekommen. Was nützt uns ein Bankguthaben von einer Million, wenn wir nie unser Scheckbuch gebrauchen oder das Geld ausgeben? Es ist für uns dann nur ein Buch mit vielen Zahlen; das Geld, als bloße Münzen, hat für uns nicht mehr Wert als ebenso viele Spielmarken!
Gott verhüte, daß es so bei uns stehen sollte mit seinem Worte. Wir haben in demselben alles, was uns befähigen kann, „in Neuheit des Lebens zu wandeln“. Hier finden wir die ganze Waffenrüstung für jeden Kampf, die ganze Kraft für jeden Dienst, den ganzen Trost für jede Sorge, alle Hilfsquellen für jedes Bedürfnis.
O möchte dieses kostbare Wort nicht allein unsere Rüstkammer oder unser Vorratslager sein, sondern auch unser Tisch! O daß wir durch Gottes Gnade wirklich sagen können:

„Du bereites vor mir einen Tisch

im Angesicht meiner Feinde;

Du salbest mein Haupt mit Öl,

und schenkest mir voll ein“.   Psalm 23.


VIII. Praktische Schlußfolgerungen


Was unsere Verantwortlichkeit den zwei Naturen gegenüber betrifft, bleiben nun noch einige Punkte zur Besprechung übrig, welche mehr unter das Kapitel: Praktische Ratschläge fallen und die folgerichtig dem entspringen, was die Schrift uns gelehrt hat. Nicht, daß wir unsere Leser unter irgendwelche regeln oder Vorschriften bringen wollen. Es gibt aber nach dem, was wir aus dem Worte Gottes gelernt haben, gewisse Verpflichtungen, welche nicht umgangen werden dürfen, wenn wir den vollen Segen und die Früchte der Lehre in unserer eigenen Erfahrung genießen wollen.
Es genügt nicht, „die Wahrheit festzuhalten“, welche die zwei Naturen lehrt. Die Wahrheit muß vielmehr uns festhalten, wenn wir ihren Wert und ihre Kraft erfahren sollen. Was bedeutet es, daß die Wahrheit uns festhält?

1. Wir werden täglich das Fleisch unbeachtet lassen und alle seine Lockungen und Ansprüche verleugnen. Wir haben zu bedenken, daß, obgleich wir „nicht im Fleische“ sind, doch das Fleisch in uns ist, und daß wir es nie loswerden können, bis zur Entrückung, zum Tod oder zur Auferstehung.

Wenn wir daran nicht täglich denken, dann sind wir jedem Irrlehrer und Irrtum preisgegeben. Wir laufen Gefahr, durch eine der vielen neuen Moden und modernen Methoden, die verschiedenen Künste und Erfindungen der Religion des Fleisches irregeführt zu werden. Alle diese Irrtümer in Lehre und Praxis stammen aus dieser einen Quelle, nämlich dem Anerkennen der Fähigkeiten und Ansprüche der alten Natur.

Das ist das Wesen und die Grundlage aller falschen Religionen, wie man es in der römisch-kath. Kirche und sonstwo sieht. Wir finden es kurz ausgesprochen in einem röm.- kath. Buche:
„Wir werden aufgefordert durch Jesu Leiden und Sterben für uns, ihn nachzuahmen durch die Kreuzigung unseres Fleisches und die Taten täglicher Abtötung.“
Worin unterscheidet sich dies von der populären Heiligungslehre der heutigen Tage? Die letztere mag sich zwar auf einem anderen Wege befinden, sie mag von anderen Gesichtspunkten aus betrachtet werden; aber dies ist das letzte Ende, Ziel und Anliegen aller, welche die Ansprüche der alten Natur pflegen oder auf sie Rücksicht nehmen.

Die angewandten oder angepriesenen Mittel mögen andere sein, aber das gewünschte Ergebnis ist ein und dasselbe, nämlich einen Zustand größerer oder geringerer Sündlosigkeit zu erreichen. Alles das kommt aus derselben Wurzel, dem Fleische. Das Fleisch mit all seinen Ansprüchen und Forderungen wird nicht unbeachtet gelassen als ob es „erstorben“ (so gut wie tot) wäre.

Wenn diese praktische Pflicht nicht beachtet wird, dann stehen die Türen weit offen für den Irrtum in jeder Form, wie er nur eindringen möchte.
Wenn aber dieser Schuldigkeit täglich eingedenk sind, so werden wir davon bewahrt sein, in irgend welche Anstrengungen, Pläne oder Systeme uns einzulassen, welche die Pflege oder die Verbesserung des Fleisches zum Ziel haben. Das wird uns auch vor jeder modernen Lehre bewahren, welche die Hoffnung weckt, durch das Befolgen gewisser Regeln könne das Fleisch ausgerottet werden.
Beide Hoffnungen sind vollständig grundlos und können nur in schmerzlicher Enttäuschung enden.
Laßt uns hinsichtlich dieser ersten Haupttatsache keinen Fehler machen, dann werden wir nicht durch die falschen Hoffnungen irregeleitet. Werden, daß wir durch richtige Nahrung und durch Übung das Fleisch in Geist verwandeln oder es loswerden können, indem wir es auf irgendeine Weise ertöten.

2, Der beste praktische Weg, die alte Natur zu behandeln, ist, sie darben zu lassen, indem man sie auf magere Kost setzt. Jedoch kann dies nicht unmittelbar dadurch geschehen, daß ein Zweck oder ein „Werk“ daraus gemacht wird. Es kann dies nur mittelbar dadurch gemacht werden, daß wir beständig auf die Ansprüche und Wünsche der neuen Natur achtgeben und ihre stets himmelan gerichteten Wünsche befriedigen.

Wir haben gesehen, daß die Speise der neuen Natur das Wort Gottes ist. Während wir unmittelbar die alte Natur hungern, darben. Denn wir können nicht beide Naturen zur gleichen Zeit speisen.
Bei der Nahrung, durch welche die eine Natur gedeiht, wird die andere darben. Und diese Tatsache trennt beide Wege. Wenn wir die alte Natur mit den Büchern und Lehren der Menschen speisen, wird unsere neue Natur unterernährt, erschöpft und schwach.

Die alte Natur wird mit der allgemeinen Literatur gedeihen. Seine Worte „sind Geist und Leben“, und nur was geistlich ist, kann durch den Geist einverleibt werden.
Viele Christen sind beständig mit menschlichen Gedanken und Büchern beschäftigt; und dann sind sie bestürzt über den niedrigen Stand ihres Christen-Lebens und Wandels. Nun beeilen sie sich, eine neue Methode anzunehmen, welche dem Mangel abzuhelfen und die entstandene Leere auszufüllen verspricht, während es doch nur eine Frage der Diät ist.

Wenn man im körperlichen Leben immer nur essen und trinken will, was einem nicht bekommt, so muß man auch die unausbleiblichen Folgen tragen. Genau dasselbe ist der Fall auf geistlichem Gebiet. Wenn die handgreiflichen Wirkungen in unserem Wandel und Umgang zu Tage treten, dann ist das einzige Heilmittel die Entfernung der Ursache. Das ist viel weniger kostspielig und macht viel weniger Sorge; es erweist sich als vollkommen wirksam und bringt keine Enttäuschung mit sich.
Unsere praktische Schlußfolgerung ist daher: Lies kein Buch, höre auf keinen Redner, Lehrer oder Prediger, wenn du nicht sicher bist, daß du hinterher mehr vom Worte Gottes wissen wirst als vorher. Was sterbliche Menschen denken, hat keinen Wert für dich. Wenn sie dir nicht helfen können, das klarer zu verstehen, was Gott sagt, so werden sie dir ein Hindernis statt eine Hilfe sein. Du kannst nicht leben von den Worten der Menschen. Nur „von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht, wird der Mensch leben“. Wenn du dich von den Worten, welche aus dem Mund der Menschen gehen, nährst, wirst du darben. Gottes Worte sind „Geist und sind Leben“.

Rede nicht so viel über die Schrift. Sei mehr bereit, sie zu dir reden zu lassen. Wenn du dich über Gottes Wort unterhältst, mache es wie Esra, der Schreiber. Anstatt zu versuchen, dich dessen zu erinnern, was das Wort sagt, und es dabei falsch anzuführen, „öffne das Buch“. (Nehemia 8, 3-6). Laß es für sich selbst reden. Seine Worte werden viel gewichtiger sein als deine eigenen, denn Gott ist in ihnen, um sie wirksam zu machen.

Binde das Wort auf dein Herz. Denn:

„Wenn du gehst, wird es dich geleiten.
Wenn du dich niederlegst, wird es dich bewahren,

wenn du erwachst, wird es mit dir reden.

Denn das Gebot ist eine Leuchte,

und das Gesetz ist Licht,

und die Strafen der Zucht sind der Weg des Lebens. Sprüche 6, 21-23.

Du wirst finden, daß die Leute über alles gerne reden, nur nicht über Gott, seinen Christus und sein Wort. Sie sprechen über die Menschen und die Neuigkeiten der Welt. Am Sonntag wechseln sie das Thema und sprechen über Kirchen und Geistliche und Gottesdienste und Predigten, aber das sind eben auch nur Menschen.
Wer die neue Natur hat, weiß daß diese Dinge nicht befriedigen. Sie lassen ein Verlangen nach etwas Besserem zurück. Nichts wird jemals befriedigen und genügen als Gott selbst, und das lebendige und das geschriebene Wort. Wenn „Davids Lobgesang“ für ihn galt, wieviel mehr wird er für uns gelten. Wie sollten wir nicht sagen:


„Ich will dich erheben, mein Gott, du König,
und deinen Namen loben immer und ewiglich.

Ich will täglich loben,

und deinen Namen rühmen immer und ewiglich.

Reden will ich von der herrlichen Pracht deiner Majestät
und von deinen Wundertaten,

und man wird sprechen von der Kraft deiner furchtbaren Taten,

und deine Großtaten werde ich erzählen.
Sie werden das Gedächtnis deiner großen
Güte
 hervorströmen lassen.
Und deine Gerechtigkeit jubelnd preisen. Psalm 145, 5-7.

Dies ist eine ganz andere Sprache als das Schwätzen über die beredten Worte des einen, oder die fragwürdigen Handlungen eines anderen, oder die glänzenden Werke eines dritten. Das erstere ist ein Säen auf den Geist, das letztere ein Säen auf das Fleisch.
Wenn unsere neue Natur gedeihen soll, müssen wir uns von den Worten Gottes nähren und so die alte Natur darben lassen. Entweder sind wir mit dem Geist oder mit dem Fleisch beschäftigt; mit der alten oder mit der neuen Natur; und ja nachdem wir auf die eine oder andere säen, danach werden wir ernten. Das ist die klare Lehre aus Gal. 6, 7.8, sie beginnt mit den Worten:
„Irret euch nicht“;



sie war an die galatischen Heiligen gerichtet, welche ihren Wandel im Geist begonnen hatten, aber im Fleisch vollenden wollten. Einst waren sie „gut gelaufen“, bis sie sich aufhalten ließen und diese wichtige Wahrheit und Lehre, von der wir hier reden, vergaßen und ihr nicht gehorchten. Gal. 5,7.

Wir alle wünschen so zu wandeln, daß wir „die Lüste des Fleisches nicht erfüllen“. Auf welche Weise kommt man nun dazu, diesem Verlangen zu entsprechen? Viele bringen sich selbst unter ein Joch der Knechtschaft und mühen sich ab, Regeln zu gehorchen, Gelübde zu machen, Verpflichtungen zu erfüllen und Abzeichen zu tragen. Das alles ist aber umsonst. Das alles stärkt nur das Fleisch, anstatt es zu schwächen, indem es demselben dienstbar ist und unsere Gedanken damit beschäftigt. Der Weg Gottes ist viel einfacher: „Wandelt im Geist und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen“ Gal. 5, 16.

Das ist Gottes Weisung und Gottes Verheißung. Versuche es! Es wird euch gänzlich aus den Händen der Menschen bringen. Es wird euch aus einer schrecklichen Knechtschaft befreien. Es wird Frieden und Segen in euer Leben bringen. Es wird euch Erquickung und Ruhe geben!
Wandelt nach dem Geist (pneuma); beschäftigt euch mit der neuen Natur; dienet ihren Bedürfnissen; sorget auf jede Weise für sie, für sie allein, und ihr habt das Wort Gottes dafür, daß euer Wunsch erfüllt werden wird. Er versichert euch: „Ihr werdet die Lust des Fleisches nicht (in keiner Weise) vollbringen“.

Der Ausdruck „in keiner Weise“ (griechisch ou me), der hier vorkommt, ist der stärkste, der gebraucht werden kann! Es ist im Grundtext eine wiederholte Verneinung. Sie gibt der Behauptung einen solchen Nachdruck und verstärkt sie bis zu einem solchen Grade, daß sie sich niemals bewahrheitet hat, so oft ein Mensch sie äußerte, (Petrus sagte Matth. 16,22: „Das wird dir keineswegs widerfahren“, – es widerfuhr ihm aber), so oft sie aber von dem Herrn gebraucht wurde, wurde sie gewiß und reichlich erfüllt. Als er sagte: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht (keineswegs) hinausstoßen“, gebrauchte er den Ausdruck „keineswegs“ (ou me), in keiner Hinsicht, wird er hinausstoßen.
Dasselbe gilt von der göttlichen Versicherung: „Ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen“.

Laßt uns glücklich und dankbar ruhen auf dieser göttlichen Versicherung.

3. Wir sollten uns selbst niemals unter das Gesetz stellen. (Röm. 7, 6). Hiervor sollten wir uns sehr hüten! Denn in dem Augenblick, da wir dies vergessen, bringen wir das Fleisch in Tätigkeit. Das Fleisch schwelgt gerne im Gesetz, wie wir gesehen haben.
Das Gesetz wurde für das Fleisch gegeben; aber nur zu dem Zweck, auf daß die „Schwachheit“ des Fleisches offenbar würde. Das Gesetz wurde niemals für einen Menschen „in Christus“ gegeben. Von dem Augenblick an, da wir von unserer hohen Stellung, in welche die Gnade uns gebracht hat, herabsteigen und uns selbst unter das Gesetz stellen, feuern wir dadurch das Fleisch zu größerer Tätigkeit und Kraftentfaltung an.
Gerade das meint die Schrift mit dem Ausdruck „aus der Gnade fallen“. Dies bedeutet nicht Abfall, sondern es bedeutet : wandeln nach der alten Natur, statt nach der neuen; denken an dieselbe, sie pflegen und für sie sorgen, statt für die neue Natur.
„Ihr habt Christum verloren, so viele von euch, die durch das Gesetz gerechtfertigt werden wollen“. Gal. 5, 4. Kein Wunder also, daß dieses wichtige Kapitel mit der ernsten Mahnung beginnt: „Für die Freiheit hat Christus und freigemacht; steht nun fest und laßt euch nicht wiederum in ein Joch der Knechtschaft fangen“. Gal. 5,1.

Bringt euch nicht selbst unter irgendwelche Gelübde und geht auf keinerlei Verpflichtungen ein. Traget keine Abzeichen irgendwelcher Art. Das sind nur Zeichen und Siegel „des Joches der Knechtschaft“, unter welches ihr euch selbst bringen könnt. Das sind Fallstricke und tragen die Behauptung in sich, daß es der Gnade nicht möglich sei, euch ohne solche menschlichen Stützen und Erfindungen zu bewahren. Sie verleugnen in Wirklichkeit die göttliche Versicherung „Meine Gnade ist hinreichend für dich“. Gewiß, da das Fleisch in uns ist, fühlen wir unsere Schwachheit beständig; aber gegen dies alles ist schon durch „den Gott aller Gnade“ Vorsorge getroffen; denn er hat gesagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. 2.Kor. 12,9. Daher meide alle „Lebensregeln“, alle „Anweisungen“ oder Führer für ein „frommes Leben“. Meide sie wie deinen ärgsten Feind. Sie werden sich verhängnisvoll für deinen Frieden erweisen; sie werden allen Sonnenschein aus deinem leben nehmen; sie werden dich aus einem Sohn in einen Sklaven verwandeln und deine geistlichen Kräfte an ihrer Hauptquelle untergraben.

Gib alle Anstrengungen auf, das Fleisch zu verbessern, oder es loszuwerden. Nähre die neue Natur regelmäßig, mit dem für sie bestimmten göttlichen Brot, und alles andere wird sich schon regeln. Habe völliges Vertrauen zu der Gnade Gottes und der Kraft Gottes. Und laß dich auf keine Systeme und Pläne ein, denn das würde heißen: Gottes Wort genügt mit nicht.

4. Endlich, bedenke den Unterschied zwischen Religion und Christentum.
Die Religion hat es mit dem Fleisch zutun, aber die neue Natur kann nur in Christo Genüge finden. Das Fleisch weiß nichts von Christus, dem Sohn Gottes, als unserem Leben. Es hat nur Interesse an dem, was es sehen, hören und begreifen kann. Aber die neue Natur wird mit nichts Geringerem als mit Christus selbst befriedigt, nicht einmal mit dem Christentum oder der „Christlichen Religion“ ohne ihn.
In Phil. 3 finden wir diesen großen Gegensatz klar zum Ausdruck gebracht und erläutert durch die persönliche Erfahrung und das Vorbild des Apostels Paulus. Sein Beispiel wird uns mehr nützen als jede Vorschrift. Er spricht dort von dem mächtigen „Vertrauen auf das Fleisch“, welches er einst als streng religiöser Jude hatte. Wieviel Vertrauen auf das Fleisch auch andere haben mochten, er konnte stets sagen „ich viel mehr“, und zählt sieben einzelne Stücke auf, und doch war er zu dieser Zeit blind. Er hatte damals noch keine neue Natur in sich, um die alte und sündige, obschon sehr religiöse Natur zu erkennen. Als er jedoch die kostbare Gabe der neuen Natur empfing, entdeckte er, daß er in Wirklichkeit „ein Lästerer, ein Verfolger, gewalttätig“ war und der „erste der Sünder“. 1.Tim.1, 13-16.
So konnte er im Blick auf die Religion sagen „ich viel mehr“ und im Blick auf die Sünden „ich der erste“.
Doch als seine Augen geöffnet worden waren und er den Herrn Jesus als seinen Heiland und Herrn erkannte, warf er in übergroßer Dankbarkeit seine bisherige Religion als frommer Jude weg „gegen die überschwengliche Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn“. Er achtete alle Dinge als Verlust und Kot, verglichen um Christus. Er vertauschte nicht die „jüdische Religion“ mit der „christlichen Religion“, sondern er gab dankbar alle Religion auf, – für Christus.
In bezug auf seine Stellung vor Gott, war es jetzt sein Ruhm, „in ihm erfunden“ zu werden. Das Ziel, das er nun als Christ hatte, war, “ihn zu erkennen“, und seine Hoffnung, „ihm gleichförmig“ zu sein in Auferstehungsherrlichkeit.
Christus war ihm alles.
Als Jude hatte er die Hoffnung auf die Auferstehung, aber er gab diese freudig auf für die weit größere Hoffnung, an dem teilzuhaben, was er die „Aus-Auferstehung aus den Toten“ nennt, welche ihm zuteil geworden war als einem Glied des einen geistlichen Leibes Christi. Phil. 3, 11.

Dies bedeutet nicht, daß er als Christ hoffte, er könnte durch gewisse Anstrengungen irgendeinen Vorteil vor anderen Christen erlangen, sondern es bedeutet, daß er als Christ (als Mensch in Christus) eine herrlichere Hoffnung hatte als die „jüdische Religion“ ihm je geben konnte. Er spricht nicht von dem Aufgeben seiner Sünden, sondern von dem Aufgeben seiner „Gewinne“. Alles, was er einst für religiöse Gewinne hielt, hielt er jetzt für Verlust, verglichen mit dem wirklichen „Gewinn“, welchen er hatte in der herrlichen Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn; denn er hatte „die Kraft der Auferstehung Christi“ erfahren, und was diese für alle Glieder des einen Leibes bedeutet, für alle, welche Gemeinschaft seiner Leiden haben und seinem Tod gleichgestaltet werden.
Nur dieses ist Christenleben. Alles andere ist Religion.

Das Christenleben besteht nicht in Religionsartikeln oder Glaubensbekenntnissen, Gemeinschaften oder Gesellschaften, nicht in Kirchen, sondern in einer Person: Christus, Gott gebe, daß jeder unserer Leser durch die Gnade befähigt werde, von allen seinen vermeintlichen Vorzügen im Fleische zu sagen; „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet“. Phil. 3,7.

5. Zum Schluß aber vergeßt nicht, daß dies der Weg der Trübsal und des Kampfes ist; nicht von innen, sondern von außen. Nicht nur Kampf, der aus unserer eigenen alten Natur sich erhebt, sondern aus der alten Natur anderer Menschen. Es bleibt wahr, und wird stets auch in unserer eigenen Erfahrung als wahr erfunden werden: „Aber gleich wie damals der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte, also geht es auch jetzt.“ Gal. 4, 29.

Der Nachdruck liegt auf den zwei Worten „damals“ und „jetzt“, woraus deutlich hervorgeht, daß wir auf eine Änderung der alten Natur nicht zu warten haben, nicht in unseren jetzigen Verhältnissen. Wir werden nur ermahnt, dessen eingedenk zu sein, daß wir Söhne der Freien, nicht der Magd sind, und daß wir „in dieser Freiheit feststehen“ sollen.

Glückselige Freiheit!
Das Wort „damals“, Gal. 4,29, bezieht sich zunächst auf Ismael und Isaak, aber es greift noch weiter zurück auf Kain und Abel und auf den religiösen Haß, welcher im Mord endete, und – wenn es möglich wäre – stets im Mord enden würde.
Es weißt auch auf die Tatsache hin, daß es die religiöse Partei unter den Juden, nicht die Volksmenge war, sondern „die Hohenpriester“, welche den Tod des Herrn Jesus beschlossen hatten. Genau so ist es heute.

Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, müssen Verfolgung leiden. “. Tim. 3, 12.
Dies Verfolgung wird hauptsächlich vom religiösen Fleisch kommen.
Wer unter uns wird nicht mit Trauer bestätigen, daß ihm die größten Schwierigkeiten und Prüfungen durch den fleischlichen Sinn seiner Mit-Christen verursacht wurden? Früher verfolgte die Welt die Gläubigen und brach ihnen die Beine, heute verfolgen Gläubige ihre Mitgläubigen und brechen ihnen das Herz.
Gerade als Saulus seine Religion am eifrigsten ausübte, war er mit der Verfolgung der Christen beschäftigt. Es ist die Religion, welche das Blut der Heiligen vergossen hat. Die Religion ist es, die eine „edle Armee von Märtyrern“ bildete.

„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen. Darum kennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht kennt“. 1.Joh. 3,1.
Mit dieser Stelle steht in Verbindung, was Johannes an anderen Stellen sagt: Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt haßt“. 1. Joh.3, 13.

„Wenn euch die Welt haßt, so wißt, daß sie mich vor euch gehaßt hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch aus der Welt erwählt, darum haßt euch die Welt“. Joh. 15, 18. 19; 17, 14.

Wenn sich die Worte „damals“ bei den Aposteln erfüllten, an die sie gerichtet waren, wieviel mehr werden sie sich „jetzt“ an uns erfüllen!

Daher wollen wir uns als Kinder der neuen Natur „nicht wundern“, weder über den Kampf mit der alten Natur in uns, noch über den Kampf mit denen außer uns. Wir wollen uns vielmehr darüber freuen, daß wir gerade in diesem Kampf die größte Versicherung erblicken dürfen, daß wir „Söhne Gottes“ und „sein Werk“ sind. (Eph. 2.10). Das ist der sicherste Beweis, den wir haben können, daß wir als Kinder Gottes aus der Welt erwählt worden sind. Lasset es uns „für eitel Freude achten“, wenn wir gewürdigt werden, etwas zu leiden für ihn, der alles litt um unseretwillen – „für die vor ihm liegende Freude“. Hebräer 12 Vers 2.

Eingestellt von Horst Koch. Die Textbetonungen sind von mir. Im August 2023

info@horst-koch.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Blicke ins Jenseits (F.Heitmüller)

Blicke ins Jenseits

6 Vorträge von Pastor Friedrich Heitmüller, Hamburg.


Eingestellt von Horst Koch, im Sommer 2023 – Die Hervorhebungen im Text sind auch von mir.

Vorwort.
„Mach dir das Leben hier recht schön.

Kein Jenseits gibts, kein Wiedersehn.“


So oder ähnlich tönt es heraus aus unseren Zeitungen, die keine Gelegenheit vorübergehen lassen, die biblischen Wahrheiten vom Jenseits lächerlich zu machen und alles Göttliche und Ewige mit ihren Lästerungen zu besudeln.
Diesem haltlosen und spöttischen Gerede der Ungläubigen aller Kreise ist in den folgenden sechs Vorträgen die Antwort des biblischen Schriftzeugnisses gegenübergestellt.

Daß viele Leser diese Antwort verstehen, die Wahrheit Gottes an ihrem Herzen erleben und so frei werden von Todesfurcht Ewigkeitsangst, ist mein herzlicher Wunsch.
Hamburg, August 1924
Friedrich Heitmüller.

Vortrag 1

Von der Unsterblichkeit der Seele und der Überwindung der Todesfurcht.

Nach einer alten griechischen Sage hauste in Theben ein Ungeheuer, die Sphinx genannt. Dieses Ungeheurer gab allen vorübergehenden Wanderern ein Rätsel auf. Konnte der Wanderer es nicht lösen, so wurde er von der Sphinx getötet. Da kam alles Tages Ödipus des Weges. Er löste das Rätsel, besiegte dadurch die Sphinx und stürzte sie vom Felsen in die Tiefe. Von dem Tage war das Land von der Plage befreit.

Wie lautete das Rätsel?
Was geht des Morgens auf Vieren, des Mittags auf Zweien und des Abends auf Dreien?
Die Antwort des Ödipus lautete.
„Das ist der Mensch, der am Morgen seines Lebens, in seiner frühsten Kindheit, auf allen Vieren sich kriechend fortbewegt, der im Mannesalter auf seinen zwei Füßen rüstig voranschreitet und am Abend seines Lebens, im Greisenalter, einen Stock zur Hilfe nimmt und so gleichsam auf drei Beinen geht.“

Diese alte, griechische Sage hat einen tiefen Sinn. Das Ungeheuer, das am Wege aller Menschenkinder lauert, ist der Tod. Warum müssen wir sterben?
Wie kommt es, daß ein Mensch, der heranwächst und immer größere Kraft erlangt, schließlich dem Gesetz des Schwachwerdens erliegt, bis der Tod eines Tages seinem Dasein ein Ende macht. Warum ist das so?

Warum müssen wir sterben?
Der Tod ist für den natürlichen Menschen etwas Rätselhaftes, etwas Unbegreifliches. Auch die Wissenschaft kann das Rätsel des Todes nicht lösen. Gott aber hat uns die Antwort auf unsere Frage gegeben. Und wie lautet sie?
Durch einen Menschen ist die Sünde in der Welt gekommen und durch die Sünde der Tod. Römer 5,12.

Der Tod durch die Sünde.

Gott hatte aus dem Willen Seiner Allmacht die Welt geschaffen. Zum Ruhm seine Herrlichkeit durchleuchteten kreisende Sonnen den unendlichen Weltenraum. In jungfräulicher Schönheit prangte die Erde. Als Krone der Schöpfung war der Mensch aus der Hand Gottes hervorgegangen. Er war nach Gottes Bilde geschaffen. Unschuldig und rein war er und ganz frei, zu wählen zwischen Gut und Böse. Auf dem Wege der Prüfungen und des sittlichen Fortschritts sollte er von Stufe zu Stufe emporsteigen und so immer mehr werden, wozu er berufen war: eine Persönlichkeit, ein Herrscher.

Im seligen Kindesglück lebte der Mensch im Paradies. Alles war für ihn da. Kein Leid, keine Träne, keine Krankheit, kein Tod durften sich ihm und seiner Hütte nahen. In der engen Verbindung mit Gott, der Quelle alles Lebens, war er ein Herrscher über alles. Nur eine Schranke war seinem Herzen gesetzt. Der Wille Gottes.
Über alles sollten die Menschen herrschen. Aber willig und dankbar sollten sie sich unter Gott stellen, unter Gottes Gebote und Willen.
Aber es war den Menschen nicht genug, ein Herrscher zu sein unter Gott. Er wollte unabhängig sein, unabhängig auch von Gott, ja er wollte sein wie Gott. Nicht Gottes Wille sollte maßgebend sein, sondern der menschliche Eigenwille. Gott sollte entthront und das menschliche Ich dafür auf den Thron gesetzt werden. Der Mensch ballte gleichsam die Faust und versuchte Gott vom Thron zu stoßen, um sich dann selbst zum Allherrn zu machen.

In demselben Augenblick geschah das Furchtbare: Der rebellische Mensch, der Sünder, verfiel dem Gerichte Gottes. Er verfiel dem Tode, er starb. Das herrliche Leben in der Gemeinschaft mit Gott verlor er in dem Augenblick, als er sich von Gott trennte und eigene Wege einschlug. Tod, Zerrüttung und Verderben traten dafür in das geistige und leibliche Wesen des Menschen ein. Fern von Gott, der einzigen Lichtquelle, muß ja überall Finsternis und Tod herrschen. Gott ist ja die einzige Lebensmöglichkeit für den Menschen, und der Wille Gottes ist des Menschen höchstes Lebensgesetz. Übertretung des göttlichen Willens, Abfall von Gott, muß deshalb Lebensbeschränkung und Verfall der Lebenskräfte und schließlich den gänzlichen Zerfall des Lebens: den Tod bringen.
Warum mußten die ersten Menschen sterben? Weil sie gesündigt hatten, weil sie sich von Gott, der Quelle alles Lebens, getrennt hatten. Was sie danach noch lebten, war nachwirkende Kraft aus der ihrer Verbindung mit Gott vor dem Sündenfall.

Nun spricht die Heilige Schrift von einem dreifachen Tod:

Von dem geistigen Tod,

von dem leiblichen Tod,

von dem ewigen Tod.

Jeder Mensch bringt den geistigen Tod mit auf die Welt. Wir werden geboren – nicht als reine, heilige Gotteskinder, sondern als sündige Menschenkinder, als Menschen die keine Verbindung mit Gott haben. Der geistige Tod ist also unser Zustand, in dem wir uns seit unserer Geburt befinden. Und wenn der Apostel Paulus an die Epheser schreibt, (Kap. 2,12) „Wir waren tot in Sünden und Übertretungen“, so will er damit sagen, daß wir von Haus aus alle geistig tot sind, das heißt, innerlich getrennt von Gott, der Quelle des Lebens, ohne Licht und Verständnis für Gottes Willen und Gottes Absichten und die Dinge des Reiches Gottes. 

Die absolut notwendige Folge des geistigen Todes, des inneren Getrenntseins von Gott ist der leibliche Tod, der gänzliche Zerfall des Leibes und aller Lebenskräfte in der Sterbestunde.

Das Furchtbare aber ist dieses: der geistige Tod mündet in der Sterbestunde durch das Tor des leiblichen Todes hinein in den ewigen Tod, in das ewige Getrenntsein von Gott, in das Versinken in ewiger Nacht und Gottesferne, wo der Wurm des nagenden Gewissens nicht stirbt und die Flamme des gequälten Geistes nicht erlischt.
Die Sünde ist also die Ursache des Todes. Sie scheidet uns von Gott der Quelle des ewigen Lebens. Sie verdirbt und zerrüttet den Leib, die Seele und Geist und ist der dunkle Quell, aus dem aller Jammer und alles Elend quellen. Die Sünde bringt uns allen unsere Sterbestunde, den gänzlichen Zerfall unseres Leibeslebens und trennt uns im Jenseits für immer von Gott. In der Ewigkeit von Gott getrennt sein aber bedeutet: die Qualen der Hölle in sich tragen.


Hier aber erhebt sich nun die große Frage:
Gibt es denn überhaupt ein Jenseits – ein Leben nach dem Tode?
Es gibt in unseren Tagen sehr viele Leute – und namentlich sind es die Materialisten, die rundweg erklären: „Der Mensch hat keine Seele, jedenfalls keine Seele, die etwas wesentlich anderes wäre als die Seele eines Tieres, keine Seele, für die er vor Gott Rechenschaft oder Verantwortung schuldig wäre.“ Diese Leute leben denn auch, als ob sie keine Seele hätten. Und indem sie uns ihre Meinung sagen und für dieselbe eifrig Propaganda machen, berufen sie sich auf die gelehrten Männer der Wissenschaft und behaupten, es wäre durch sie längst bewiesen, daß alles das, was die Frommen Seele nennen, nur Bewegungen der Gehirnzellen seien.
Solche Behauptungen sind in jedem Fall ein Beweis dafür, daß die so sprechenden Menschen von der Wissenschaft nicht viel verstehen. Verständen sie etwas davon, dann müßten sie wissen, daß die Wissenschaft mit unserer Frage nach der Seele und ihrer Unsterblichkeit nichts zu tun hat. Wir wollen deshalb auch nicht den Fehler begehen und sogenannte wissenschaftliche Beweise für das Vorhandensein der Seele und ihre Unsterblichkeit heranziehen. Nicht wollen wir sagen, daß solche Beweise überhaupt keinen Wert hätten, sie können hier und da Steine des Anstoßes aus dem Wege räumen; aber nie werden sie dazu dienen, einen Ungläubigen zu überzeugen und zum Glauben zu führen. Die Wissenschaft kann das Vorhandensein der Seele und ihre Unsterblichkeit weder leugnen noch beweisen.

An den Behauptungen der Materialisten ist folgendes wahr: Die Seele bedarf zu ihrer Tätigkeit des Gehirns, und gewisse Seelenregungen entsprechen gewissen Nervenbewegungen. Wer aber auf Grund dieser Tatsache behauptet, daß Seelentätigkeit nichts anderes sei als Nervenbewegung und Gehirntätigkeit, der muß auch sagen, daß Musik nichts anderes sei als Tätigkeit eines Instrumentes. Nun aber ist Musik doch nicht nur Tätigkeit eines Instrumentes. Wohl ist die Musik an das Instrument gebunden; aber die Musik kann nicht zur Ausübung gebracht werden, wenn kein Meister da ist, der dieses Instrument spielt. So ist das Gehirn ein Instrument, und die Seele ist der Meister, der dieses Instrument benutzt.
Der Mensch hat eine Seele; auch du! Diese deine Seele ist etwas Geheimnisvolles in dir, sie ist nicht das Bewußtsein, nicht der Verstand, nicht der Wille, sondern dein eigenes Selbst. Und doch wieder nur ein Teil deines Selbst. Ich möchte sagen: Deine Seele ist der beste Teil in dir, der edle Teil, von dem ein Dichter sagt:

In dir ein edler Sklave ist,

dem du die Freiheit schuldig bist

Ein Sklave, der sich sehnt nach Erlösung und Reinigung. Nach Freiheit. Frieden Freude und ewiges Leben.


Wie aber verhält es sich mit unserer Seele – stirbt sie in der Sterbestunde wie unser Leib, oder ist sie unsterblich!
Gibt es für uns ein Fortleben nach dem Tode, oder ist mit dem Tode alles aus?
An einem Friedhofstor in Berlin standen die Worte:

Mach dir das Leben hier recht schön!

Kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn.

„Es gibt kein Leben nach dem Tode“, so tönt es heraus aus den Zeitungen, die keine Gelegenheit vorübergehen lassen, das Christentum lächerlich zu machen und mit ihren Lästerungen das Heilige zu besudeln. Und es ist durchaus zu verstehen, daß es in unserer Zeit der Herrschaft der Lüge und Ungerechtigkeit, des Irrtums und des Betrugs, der Unsittlichkeit und der mammonistischen Gesinnung so sehr viele Leute gibt, die das Leben nach dem Tode leugnen. Vielleicht behauptet man, daß man die Lehre vom Leben nach dem Tode aus Gründen der Wissenschaft, der Vernunft und des logischen Denkens ablehnen müsse; in Wirklichkeit aber liegen die Ursachen der Ablehnung dieser biblischen Wahrheit nicht auf dem Gebiete des ernsten wissenschaftlichen Denkens, sondern in den allermeisten Fällen auf dem Gebiete der praktischen, sittlichen bzw. unsittlichen Lebensführung.

Solange es Menschen gibt, haben sie sich mit der Frage nach dem Leben nach dem Tode beschäftigt. Und zu allen Zeiten und in allen Völkern hat man dieselbe Antwort auf diese Frage gefunden: es gibt ein Leben nach dem Tode. Die größten Denker aller Zeiten: Plato, Kant und andere stellten das Fortleben nach dem Tode als eine unabweisbare Forderung der Vernunft auf.

Woher stammt diese Gewißheit vom Fortleben nach dem Tode, diese Unsterblichkeitshoffnung? Woher kommt es, daß wir Menschen den Gedanken an ein Weiterleben nach dem Tode nicht vergessen können, obwohl die Apostel des Unglaubens die Welt erfüllen mit ihrem widersinnigen Geschrei: „Es gibt keine Seele, es gibt kein Leben nach dem Tode!“?


Antwort: Wir Menschen sind göttlichen Geschlechts; Gott hat uns die Ewigkeit ins Herz gelegt. Darum kann auch der ungläubigste Ungläubige in stillen Stunden der Selbstbesinnung den Gedanken an Gott und die Ewigkeit nie ganz loswerden. Es gibt Zeugnisse genug dafür, daß auch die entschiedensten Leugner des Fortlebens nach dem Tode angesichts des eigenen Todes anderer Meinung wurden. Professor Dr. Hornemann sagt in seinem Buch: „Vom Zustand des Menschen kurz vor seinem Tode“, daß kein einziger von den Freidenkern, die er habe sterben sehen, bis zuletzt den Zweifel und die Leugnung des Fortlebens nach dem Tode festgehalten habe.

Professor Dr. Paulus in Heidelberg war als Theologe ein ausgesprochener Vertreter des Unglaubens, der alles Übersinnliche, auch die Unsterblichkeit der Seele leugnete. Er starb im Jahre 1851. Er hatte in seinem Leben der Wissenschaft gedient, er wollte ihr auch noch mit seinem Sterben dienen, das heißt, er wollte einem Kreis von Gelehrten, der sein Bett umstand, sagen, wie es sich sterbe. Am Tage seines Todes lag er mehrer Stunden bewußtlos. Mit einem Male schlug er seine Augen auf, versuchte sich aufzurichten, und während er Dinge zu sehen schien, die keiner von den anwesenden Verwandten und Gelehrten sah, erklärte er: „Es gibt noch ein anderes Leben! Es gibt doch eine Ewigkeit.“ Dann sank er zurück und war tot.

Im letzten Krieg haben ungezählte ungläubige, spottende Kameraden im Angesicht des Todes den Glauben an das Fortleben nach dem Tode wiedergefunden. Ja, der Tod ist der rücksichtsloseste Realist, den es gibt; er duldet keine Einbildung, keine Lüge.

Es liegt doch Wahrheit in dem Satz, den der Volksmund im Blick auf die Ungläubigen geprägt hat:

“
Wenn die klugen Äuglein brechen,

wird das Herze anders sprechen.”


Ende 1922 lag in unserem Krankenhaus ein Polizeibeamter. Nach seiner Meinung war es nicht ernstlich krank. Als ich ihn am Tag vor seiner Operation besuchte und mit ihm auch über das Heil seiner Seele redete, mußte ich unverrichteter Sache weitergehen. Die biblische Wahrheit vom Leben nach dem Tode war für ihn ein überwundener Standpunkt. Am nächsten Tage wurde er operiert. Als der Chirurg den Krankheitsherd im Oberkiefer gefunden hatte, machte er ein bedenkliches Gesicht. Ein gefährlicher Krebs hatte sich bereits tief eingefressen. Die Tage dieses armen Mannes waren gezählt. Als ich am nächsten Tag in sein Zimmer trat und mit dem Todgeweihten über den Ernst seiner Krankheit sprach, zog es seine beiden Hände unter der Bettdecke hervor, faltete sie und deutete mir an, daß ich mit ihm beten solle. Wie kam der Mann dazu? Es hatte sich in ihm angesichts des eigenen Todes das große Umdenken vollzogen. Vor den offenen Toren der Ewigkeit stehend, hatte er seine unsterbliche Seele entdeckt und wollte nun nicht sterben, ohne seine Seele gerettet und selig zu wissen.
Im Anfang des Jahres 1923 lag in unserem Krankenhaus eine junge, todkranke Frau. Auch sie kam als eine Ungläubige. Als ihr Mann sie eines Tages besuchte, empfing sie ihn mit den Worten: „Otto, ich habe gemeint, mit Gott, Jesus und dem Leben nach dem Tode fertig zu sein. Ich habe aber erkannt, daß . . . „ Weiter kam sie nicht. Sie fiel in Ohnmacht, aus der sie nicht wieder erwachte. Von den Schwestern aber, die sie gepflegt hatten, erfuhr ich, daß sie zum Glauben an Jesus und damit zum Glauben an das Leben nach dem Tode gekommen sei.
Es gibt ein Leben nach dem Tode, eben weil wir eine uns von Gott eingehauchte Seele haben, die unsterblich ist, die in der Sterbestunde nicht getötet und vernichtet werden kann.

Lieber Freund, wie steht es um diese deine Seele? Weißt du, daß sie dein einziges Leben ist, das du nur einmal verlieren kannst? Was hülfe und nützte es dir, wenn du die ganze Welt mit ihren Schätzen und Freuden gewönnest und nähmst Schaden an deiner Seele?

Von Kardinal Mazarin, dem bekannten Minister Ludwigs XIV., berichtet die Geschichte, daß der Tod über ihn kam, während er mit seinen Freunden Karten spielte. Die Karten entfielen seiner kraftlosen Hand, und er starb mit dem Ausdruck unsäglicher Verzweiflung: „O meine arme Seele, was wird jetzt aus dir, wohin gehst du jetzt?“ Wie erschütternd ist das!
Jetzt frag ich dich: Wie geht es deiner Seele? In welcher Verfassung., in welchem Zustand ist sie?
Hast du deine Seele schon in Gottes und Jesu Hände gelegt, damit er sie reinige vom Schmutz der Sünde? Oder bist du gerade jetzt im Begriff deine Seele zu verlieren, wie jener Kardinal Mazarin sie verlor?

Es ist ein Trauerspiel ohnegleichen: Menschen, nach dem Bilde Gottes geschaffen, ausgerüstet mit einem wunderbaren Organ für göttliche Dinge: Seele genannt, berufen zum ewigen Leben und zur Gemeinschaft mit Gott – und doch ohne Seelenheimweh nach Gott – und doch ohne Seelenhunger nach den Kräften der unsichtbaren Welt, eben weil sie erfüllt und vollauf beschäftigt sind mit irdischen, nationalen, beruflichen, familiären und anderen Dingen! 
Sie alle verderben und verlieren ihre Seele – die einen durch Sünde, Leidenschaft und Schuld, die anderen durch Gedankenlosigkeit, Trägheit und Lauheit.

Fassen wir das bisher gesagte zusammen, dann ergeben sich folgende Tatbestände:
Weil wir Sünder sind, müssen wir sterben.

Weil wir eine unsterbliche Seele haben, gibt es für uns ein Leben nach dem Tode.

Was im Tode aus unserer Seele wird, wohin sie geht, darüber im nächsten Vortrag mehr.
Jetzt noch eine andere Frage von Bedeutung, die Frage nach der


Überwindung der Todesfurcht.

Nicht wahr, der Gedanke an den Tod erfüllt uns immer mit stiller Scheu. Wenn wir mit dem Tod in Berührung kommen, sei es in einem Sterbezimmer oder sei es an einem offenen Sarge oder Grabe, dann kommen uns ernste Gedanken, Gedanken, die uns an das eigene Sterben erinnern.
Allerdings, es gibt heute nicht wenig Menschen, die sich rühmen, keine Todesfurcht zu kennen. Einer unserer modernen Dichter hat folgenden Vers geschrieben, um sich und anderen dem Tode das Bittere und Herbe zu nehmen.

Legt Rosen mir um meine Stirne.

Im Festgewande will ich von euch gehn!

Und stoßt die Fenster auf, daß die Gestirne,

mit heitrem Lächeln auf mein Lager sehn!

Und dann Musik! Und während Lieder schallen,

von Hand zu Hand der Abschiedsbecher klingt,

Mag ‘mählich über mich der Vorhang fallen,

wie Sommernacht auf reife Felder sinkt.

So denken und sprechen in unseren Tagen nicht wenige im Blick auf den Tod. Sie wollen das Sterben künstlerisch und dichterisch genießen und gehen mit großer Ruhe ihrer Sterbestunde entgegen. Durch den fortgesetzten Dienst in der Atmosphäre der Weltlust und Sünde ist ihr Gewissen so stumpf geworden, daß sie in grenzenloser Gleichgültigkeit scheinbar ganz beruhigt ihren Weg gehen.
Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß der Tod wie ein Bann und schwerer Alp auf der Menschheit lastet. Die Tatsache des Sternenmüssens bereitet den allermeisten Menschen in stillen Stunden der Selbstbesinnung viel Not und Pein. Und was haben die Menschen doch alles unternommen und versucht, um diesen Bann des Todes zu brechen! Medizin und Hygiene haben starke Dämme gebaut gegen die Fluten des Todes, die unser Leben von allen Seiten umbranden. Weltweise haben nachgegrübelt, um Mittel gegen die Todesfurcht zu finden, damit dem Menschen das Sterben erleichtert werde. Aber trotz allem behält Gottes Wort recht, wenn es behauptet, daß alle Menschen Knechte der Todesfurcht seien.

Wenn dir der Sensenmann den Leib hinstreckt,

mäht er dir säuberlich das Gras,

das deine Schuldgeschichte dir verdeckt!

Weil es wahr ist, daß in der Sterbestunde alle Hüllen und Schleier fallen, darum ist das Herz des natürlichen Menschen mit Todesfurcht erfüllt. 
Nun gibt es viele Menschen, die die Todesfurcht bei sich und anderen dadurch zu überwinden suchen, daß sie den Tod als einen Freund, als einen Erlöser und Wohltäter bezeichnen. Aber der Tod ist kein Freund, kein Erlöser und Tröster der Menschen, sondern sein Feind. Und diesen Feind besiegt man nicht mit der Waffe des Spottes und wissenschaftlich Klingender Worte. Mit keinem einzigen gesetzlichen Mittel kannst du die in dir wirksame Todesfurcht bannen und aus deinem Leben schaffen, weder durch Lust und Freude dieser Welt, noch durch schöne Redensarten, noch durch äußere Frömmigkeit. Majestätisch und gewaltig steht es geschrieben im Buche der Wahrheit, daß alle Menschen – also auch du – Knechte der Todesfurcht sind. Und nicht nur in der Bibel steht das geschrieben, sondern auch im Gewissen des Menschen.

Gibt es kein Mittel gegen die Todesfurcht?
Sind wir verurteilt ständig Knechte der Todesfurcht zu bleiben?
Ist es von Gott gewollt und bestimmt, daß wir hinter aller Freude von heute und morgen und übermorgen das unheimliche Gespenst des Todes lauern sehen, sodaß wir unseres Lebens überhaupt nicht mehr froh werden können?

Nein, das ist nicht von Gott gewollt! Es gibt eine Errettung und Befreiung von der Knechtschaft der Todesfurcht. Du findest sie mit wenigen Worten umschrieben im Hebäerbrief, Kap. 2,14 und 15. “Da nun die Kinder alle einen Leib von Fleisch und Blut haben, hat Er gleichfalls einen solchen Leib angenommen, um durch Seinen Tod dem Gewalthaber des Todes, dem Teufel, seine Macht zu rauben und die zu befreien, die durch Todesfurcht ihr ganzes Leben lang in Knechtschaft schmachteten.”

Jesus Christus, der ewige Gottessohn, kam aus den Himmeln in diese Welt, um den Menschen zu bringen, und zu geben, was ihnen fehlte: Erlösung von Sünde und Schuld, Versöhnung mit dem heiligen Gott, Frieden, Freude und ewiges Leben. Um ums Menschenkindern aus unserer Sünden- und Todesnot helfen zu können, mußte Er Fleisch und Blut annehmen, das heißt, Er mußte Mensch werden. Durch Seine einzigartige Geburt wurde Er ohne Erbsünde geboren und so in den Urzustand der Unschuld und Reinheit zurückversetzt, in dem sich die Menschen vor dem Sündenfall befanden. Er wurde dann als Menschensohn versucht, blieb aber Seinem Gott und Vater stets gehorsam und willigte nie in eine Sünde.
Der Endzweck des Kommens Jesu in diese Welt aber war, uns zu erretten aus unserer elenden Sklaverei der Sünde, des Todes und der Todesfurcht. Dazu aber war nötig, daß Er den angriff, der das ganze Menschengeschlecht in seiner Gewalt hatte: den Teufel.
 Die Waffe zur Besiegung des Teufels war zunächst Sein heiliges, sündloses Leben und dann vornehmlich Sein stellvertretendes Sterben. Sein Tod am Kreuz auf Golgatha.

Nach dem einmütigen Zeugnis der Heiligen Schrift hat Jesus durch Seinen Tod auf Golgatha den vernichtet und besiegt, der die Gewalt über den Tod hatte, den Teufel. Und dadurch die befreit, die ihr ganzes Leben hindurch Knechte der Todesfurcht sein mußten.
Jesu Kreuzestod ist die Überwindung unseres Todes und unsere Errettung aus der Sklaverei der Todesfurcht. Wer nun Jesus Christus annimmt als seinen Bürgen und Stellvertreter, findet in Ihm die Erlösung von Sünde und Schuld, die Errettung von der Sklaverei der Todesfurcht. Wer aber Jesus nicht annimmt als seinen Heiland und Herrn, der bleibt in seiner Sünde und infolgedessen auch im Tode und in der Todesfurcht, weil er von Gott getrennt bleibt. Wer Jesus nicht annimmt, muß in seinen Sünden sterben.

Siehe, wenn das Licht der Ewigkeit durch das Tor des Todes auf dein hingebrachtes Leben flutet – wie anders wirst du dann dein Leben sehen und beurteilen als jetzt. Wenn sich deine Augen für diese Welt schließen, wird das Auge deiner Seele hell und offen für die andere Welt. Dann mußt du glauben, auch wenn du zeitlebens der ungläubigste Ungläubige gewesen wärest. Dann mußt du klaren Blickes erkennen, was du zeitlebens geleugnet hast. Was wird das für ein Erwachen sein!
Im Johannes Evangelium 8 Vers 21 steht ein Wort, das wohl mit das ernsteste ist: Jesus spricht da von einem “Sterben in den Sünden”. Er sagt dieses Wort solchen, denen Er nahegetreten war, die Er in Liebe gesucht und umworben hatte. Er hatte sie retten wollen aus ihren Sünden, sie aber wollten diese Errettung durch Jesus aus Sünde und Schuld nicht.

Vor Jahren hielt ich in Basel einen Vortrag über die Wahrheiten Gottes im Evangelium von Jesus. Nach dem Vortrage wurde ich gebeten, eine junge Krankenschwester zu besuchen. Sie hatte durch Monate hindurch in einer schwindsüchtigen Familie gepflegt, bis sie schließlich selbst lungenkrank wurde. Wir machten uns auf den Weg, um der todkranken Schwester einen Liebesdienst zu erweisen. Man führte und in ein Hinterhaus. Wir stiegen die schmale Treppe hinauf und wurden von dem traurigen Vater der Schwester in ein peinlich sauberes Wohnzimmer geführt. Er deutete auf eine offen stehende Tür. Da lag seine sterbende Tochter. Einige Freunde, die ich mitgenommen hatte, stellten sich in der Nähe der geöffneten Tür und sangen mit gedämpften Stimmen das Lied:

Wenn die Berge wanken und ihr Gipfel fällt,

wenn aus ihren Schranken bricht die alte Welt.

Wenn sie, sinnlos rennend, immer vorwärts stürmt,

einend bald, bald trennend, neues Babel türmt:

Eins bleibt unbeweglich, eines hält uns aus,

sonst wär’s unerträglich, in dem wilden Braus.

Jesus und Sein Frieden und Sein teures Wort,
bleiben uns hienieden als ein fester Hort.

“Bis ans End der Tage will Ich bei euch sein!”

Wer ist’s, der verzaget noch im Abendschein,

Wenn uns als Gefährte solch ein Starker naht

und uns auf die Fährte hilft mit Rat und Tat?

Nachdem der Chor dieses Lied gesungen hatte, ging ich leise ins Sterbezimmer und fand die junge Schwester, die vor den offenen Toren der Ewigkeit lag. Nachdem ich ihr einige Worte der Liebe und des Trostes gesagt hatte, las ich ihr das Hohelied des Glaubens, Römer 8, 28-39 vor. Als ich sie dann fragte, ob sie diese selige Gemeinschaft mit Jesus auch habe, sprach sie zu mir im Flüsterton von der Gnade Gottes, die sie am Herzen erlebt, von der Vergebung der Sünden und dem Frieden mit Gott. Ohne jede Todesfurcht ging sie dann kurz darauf heim in die ewigen Hütten des Friedens.

Ungefähr zur selben Zeit war es. Damals lag in einem Berner Krankenhaus ein Lehrer an der gefährlichsten Krebskrankheit danieder. Die Operation war ergebnislos verlaufen. Eines Tages fragte der Kranke den Krankenwärter, was denn der Herr Professor im Blick auf seinen Zustand meine, ob Aussicht vorhanden sei oder nicht. Der Wärter gab eine ausweichende Antwort. Er durfte ja nicht sagen, daß der hoffnungslos Kranke bereits im Begriff war zu sterben. Der Kranke fragte aber immer wieder und fügte hinzu, daß man es ihm doch ganz offen sagen möge, weil er sich durchaus nicht vor dem Tode fürchte. Schließlich sagte ihm der Wärter, daß nach Meinung des Arztes seine Stunden gezählt seien. Daraufhin bat der todkranke Lehrer den Wärter, daß man ihn eine Weile allein lassen möge, damit er sich damit abfinden und auf die letzte Wegstrecke durchs finstere Todestal hindurch rüste. Weiter bat er, daß man unverzüglich seine Frau kommen lassen möge. Nachdem der Todgeweihte eine ganze Weile allein gewesen war und sich in seinem Gott und Heiland gestärkt hatte, drückte er auf den Knopf der Glocke. Bald darauf trat seine Frau ins Zimmer. Er empfing sie mit den Worten:

Christi Blut und Gerechtigkeit,

das ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Damit will ich vor Gott bestehn,
wenn ich zum Himmel werd eingehn.

Inzwischen hatte sich seine Frau auf den Rand des Bettes gesetzt. Sie wußte längst, daß ihr Mann im Begriff war, von ihr zu scheiden. Sie sprachen über dieses und jenes, sonderlich über die Liebe Gottes und die lebendige Hoffnung der Gläubigen. Und dann schlossen sie sich im Gebet zusammen. Auch der Sterbende betete. Nicht betete er um Genesung von seiner Krankheit. Nein, er dankte Gott für die am Herzen erlebte Gnade zur Vergebung der Sünden. Und dann faltete der Sterbende seine Hände und betete mit der letzten Kraft seiner aushauchenden Seele den bekannten Vers:

Erscheine mir zum Schilde,

zum Trost in meinem Tod,

und laß mich sehn Dein Bilde,

in Deiner Kreuzesnot!

Da will ich nach Dir blicken,
da will ich glaubensvoll

Dich fest an mein Herz drücken,

wer so stirbt, der stirbt wohl!

Und dann lehnte er sein müdes Haupt an die Schulter seiner Frau und ging im tiefen Frieden Gottes ohne jede Todesfurcht heim ins Vaterhaus Gottes.
Ja, wer so stirbt, der stirbt wohl.
Kannst auch du deinem letzten Stündlein in dieser seligen Gewißheit des ewigen Lebens entgegengehen?

Kapitel 2
Wo sind unsere Toten


Nachdem im letzten Beitrag (Vortrag) von der Unsterblichkeit der Seele und der Überwindung der Todesfurcht die Rede war, wollen wir uns jetzt mit dem Jenseits beschäftigen und Blicke in dasselbe zu tun versuchen.

Daß es in unserer Zeit der Herrschaft der Lüge und Ungerechtigkeit, des Irrtums und des Betruges, der Unsittlichkeit und der materialistischen und mammonistischen Gesinnung viele Leute gibt, die das Jenseits leugnen, ist durchaus zu verstehen. Wer in lügnerischer und unsittlicher Gesinnung lebt, nur an sich, an die Gewinnung irdischer Besitztümer und die Befriedigung fleischlicher oder geistiger Genußsucht denkt, leugnet ganz natürlich das Leben und die Vergeltung im Jenseits. Die letzten Ursachen der Leugnung des Lebens nach dem Tode im Jenseits liegen niemals auf dem Gebiete des ernsten und gewissenhaften Denkens, sondern auf dem Gebiet der sittlichen bzw. unsittlichen Lebensführung.

Es gibt ein Leben nach dem Tode. Und weil wir Menschen göttlichen Geschlechts sind, weil Gott uns nach Seinem Bilde geschaffen, mit einem wunderbaren Organ für göttliche Dinge: Seele genannt, ausgerüstet und uns die Ewigkeit ins Herz gelegt hat, darum liegt in jedes Menschen Brust, auch in der des ungläubigsten Ungläubigen, ein untügliches Ahnen dieses Lebens, ein Ahnen, das von allen Zweifeln nicht getötet werden kann. Auch der Materialist, der mit dem Brustton der Überzeugung behauptet, mit dem Tode sei alles aus, der Tod sein nichts anderes ein ein Schlußpunkt am Ende eines Satzes, ein Ereignis, mit dem das Leben endgültig beendet sei – er kann das Leben und die Vergeltung im Jenseits nicht absolut leugnen. Sein Gewissen meldet sich immer wieder, um ihn an das Jenseits zu mahnen. Und es gibt genug Zeugnisse dafür, daß auch die entschiedensten Leugner des Fortlebens nach dem Tode im Jenseits angesichts des eigenen Todes anderer Meinung geworden sind. Von all den vielen Ungläubigen und Freidenkern, die ich habe sterben sehen, hat kein einziger bis zuletzt an der Leugnung des Fortlebens im Jenseits festgehalten. Im Angesicht des eigenen Todes wurden sie alle kleinlaut und bestätigten den Satz, den Volksmund geprägt hat:

Wenn die klugen Äuglein brechen,

wird das Herze anders sprechen.

Professor Dr. Paulus in Heidelberg war als Theologe ein ausgesprochener Vertreter des Unglaubens, der alles Übersinnlich, auch die Unsterblichkeit der Seele und das Fortleben nach dem Tode leugnete. Er starb im Jahre 1851. Er hatte mit seinem Leben ,der Wissenschaft gedient, er wollte ihr auch noch mit seinem Sterben diene, das heißt, er wollte einem Kreis von Gelehrten, der sein Bett umstand, sagen, wie es sich sterbe. Am Tage seines Todes lag er mehrere Stunden bewußtlos da. Mit einem Male schlug er seine Augen auf, versuchte sich aufzurichten, und während er Dinge zu sehen schien, die keiner von den anwesenden Verwandten und Gelehrten sah, erklärte er: “Es gibt doch ein anderes Leben! Es gibt doch eine Ewigkeit!” Dann sank er zurück und war tot.

Ja, es gibt ein Leben nach dem Tode.
Wie aber wird sich dieses Leben nach dem Tode für uns Menschen darstellen? Wie sollen wir’ s uns vorstellen? Welche Daseinsformen wird die entkörperte Seele besitzen? Was werden wir dort beginnen? In welchem Zustande werden wir uns nach dem Tode befinden? Und wo werden wir wohnen?

Jetzt soll niemand von mir erwarten, daß ich Phantasiegemälde entwickle! Bei der Behandlung unseres Gegenstandes vom Leben nach dem Tode wollen wir weder die Spiritisten, noch die Theosophen, noch die Vertreter der mancherlei neuzeitlichen Sekten zu Rate ziehen. Wir wollen auch keine neue Lehre über das Jenseits aufstellen. Alles das könnte uns nicht retten und helfen. Schlicht und einfach möchte ich sagen, was die Heilige Schrift, die Quelle aller Wahrheit über diesen Gegenstand andeutet. Und wenn wir jetzt miteinander über diese Frage nachdenken, dann wollen wir und zuvor noch daran erinnern lassen, daß auch wir einmal sterben müssen und zu den Toten gehören werden, und daß es dann von entscheidender Bedeutung ist, wo wir sind und die Ewigkeit zubringen. Es gibt in unseren Tagen Leute, die es ungebildet und rücksichtslos finden, wenn man mit ihnen über Tod und Ewigkeit spricht. Sie meinen, die Tatsache des Sterbenmüssens laste an und für sich schon schwer genug auf dem ganzen Menschengeschlecht, man soll die Last durch vieles Reden über den Tod nicht noch schwerer machen. Nun, ob man immer wieder vom Sterben reden soll, das ist ja eine Sache für sich . Jedenfalls besteht die Tatsache, daß wir einmal sterben müssen. Ob wir den Tod dann rücksichtslos finden, danach werden wir nicht gefragt. Er klopft, er kommt, wir müssen uns mit ihm abfinden. Deshalb ist der Mensch vernünftig und klug, der sich bereits vor seinem Sterben mit dem Tode abgefunden und die Todesfurcht überwunden hat.


Wo sind unsere Toten? Unsere Antwort lautet zunächst: Unsere Toten sind nicht im Grabe. Was im Grabe ruht, ist nur das abgelegte Pilgerkleid, die irdische, zerfallene Hütte. Der eigentliche Bewohner dieser Hütte ist fort. Schon Sokrates sagte, als seine Freunde ihn fragten, wie sie es mit dem Begräbnis halten sollten: “Begrabt mich nur wie und wo ihr wollt!” und dann fügte er lächelnd hinzu. “Wenn ihr mich überhaupt begraben könnt!”
Wenn nun aber die Toten nicht im Grabe sind, wo sind sie denn? Unsere Antwort lautet: Im Totenreich, im Reiche der Geister. Ein solches Toten- und Geisterreich gibt es so gewiß, so gewiß wir Menschen eine unsterbliche Seele und einen unzerstörbaren Geist haben.
Wo haben wir dieses Totenreich zu suchen? Etwas im Luft- und Wolkenhimmel oder im Sternenhimmel? Oder im Inneren der Erde, wie die Menschen zur Zeit Jesu es meinten? Weil uns die Heilige Schrift auf diese Frage keine Antwort gibt. Lassen vorläufig beiseite.

Wie aber sollen wir uns dieses Totenreich vorstellen, und in welchem Zustande werden sich die Seelen und Geister der Verstorbenen im Totenreich befinden? Denken wir jetzt einen Augenblick an die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16, 19-31) Dort beschreibt der Herr Jesus das Geschick und Ergehen zweier Menschen in ihrem Jenseits. Der eine wird im Gefängnis des Totenreiches gepeinigt und leidet namenlos Qual; der andere wird im Paradies des Totenreiches erquickt und getröstet. Beide sind im Totenreich. Der eine im Paradies, am Ort der Freude und Seligkeit, der andere im Gefängnis, am Ort der Not und der Angst. Nach diesem Worte Jesu haben wir uns das Totenreich also in zwei Orte geteilt vorzustellen, in das Paradies für die Seligen und in das Gefängnis für die Unseligen. Beide Orte sind durch eine tiefe, brückenlose Kluft voneinander getrennt.
Es stimmt also mit der lehre Jesus durchaus nicht überein, wenn weitaus die meisten Leute meinen, daß das Totenreich für alle Menschen unterschiedslos ein Ort der Seligkeit und Freude sein werde. So gewiß wir Menschenkinder hier im Erdenleben gar verschiedene Wege gehen, so gewiß werden wir auf diesen Wegen an grundverschiedenen Zielen ankommen, und zwar entweder am Ort der Freude oder am Ort der Not und Angst.

Das also ist die fundamentale Wahrheit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen: Es gibt im Jenseits zwei verschiedene Orte, einen Ort der Freude und einen Ort der Qual.
Im Blick auf den Ort der Not und Qual im Totenreich spricht Jesus von einem Feuer, das nie verlischt (Matth.18,8) und von einem Ort, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird (Matth.8,12). Diese kurzen Andeutungen sind so furchtbar, daß der ganze Leichtsinn fleischlicher Genußsucht und die ganze Trägheit eines rein irdischen Sinnes dazu gehören, um sich diesen schneidenden Worten auf die Dauer zu entziehen.
Wenn das nun so ist, daß es im Jenseits zwei verschiedene Orte und zweierlei Ergehen gibt, dann ist für und seine Frage von allergrößter Bedeutung:
Wo wird dein ewiger Platz sein?

Siehe, einmal kommt die Stunde, in der der Tod auch an die Tür deines Lebens klopft. Wohin wird deine Seele dann gehen? Das mußt du wissen. Siehe, dein Gott und Heiland hat auch dir eine Gnadenzeit zur Errettung aus Sünden und Schuld und zur Vorbereitung auf dein Jenseits und die Ewigkeit gegeben! Hast du über diese ernste Wahrheit schon einmal gründlich nachgedacht?

Von Kardinal Mazarin, dem berühmten Minister Ludwigs XIV. erzählt die Geschichte, daß der Tod über ihn kam, während er mit seinen Freunden Karten spielte. Er starb mit dem Ausdruck unsäglicher Verzweiflung. 
“O meine arme Seele, was wird aus dir; wohin gehst du jetzt?” – Lieber Freund, was wird aus deiner Seele werden, wenn der Tod bei dir klopft und als der Bote Gottes dich ins Totenreich führt? Wohin wird deine Seele gehen? Hast du deine Sachen mit Gott in Ordnung gebracht?

Das Leben nach dem Tode ist also kein Nirwana, kein Dämmerzustand, kein Versinken in ein ewiges Nichts. Nein, dort kann man sehen und hören; dort hat man ein Gedächtnis, das ganz neu erwacht; eine Seele, die klar empfindet und einen Willen. Im ganz wachen Zustand wird unsere Seele im Totenreich ankommen, entweder im Paradies oder im Gefängnis. Das Sterben ist ja nichts anderes als das Ausziehen eines Kleides, das jetzt unsere Seele, unsern Geist umhüllt. Das Sterben an und für sich verändert das innere Sein, die Gesinnung des Menschen nicht, sondern zeigt sie vielmehr in ihrem wirklichen Wert. Aus einer unreinen, mit Sünde und Schuld befleckten, gottlosen und jesusfeindlichen Seele wird durch den Tod keine mit Gott verbundene und selige Seele. Der Charakter und die Gesinnung des Menschenbleiben durch diesen Vorgang des Sterbens völlig unverändert. Und wer in seinem Erdenleben böse Lüste und Begierden zu Leidenschaften großgezogen hat, nimmt sie mit in sein Jenseits und muß furchtbare innere Qualen leiden, weil es dort keine Befriedigung der Lüste und Begierden gibt.
Hinzu kommt noch eins. Die alten Griechen lehrten, daß der Mensch in der Sterbestunde, unmittelbar nach seinem Tode, zuerst aus dem Fluß Leihe vom Wasser der Vergessenheit trinken müsse, und daß daraufhin die Erinnerung an alles, was auf Erden war, ausgelöscht sei. – Diese heidnische Lehre, die das Allgemeingut der modernen Kulturmenschheit geworden ist, stimmt aber nicht. Es haftet unserm Leben die Erinnerung an, und deshalb gibt es kein absolutes Vergessen. In der Sterbestunde, wenn Seele und Geist vom Leibe der Schwachheit getrennt sind, wird das Gedächtnis vollkommen wiederhergestellt sein. Dann wird es überhaupt kein Vergessen mehr geben.

Ein Mann hatte ein Verhältnis zu einem jungen Mädchen, das nicht ohne Folgen blieb. Weil ihm das unangenehm war, löste er das Verhältnis und ließ das junge Mädchen in der Schande und im Elend stecken. Jahre waren vergangen. Das junge Mädchen, das in einem frommen, gottesfürchtigen Hause in Stellung war, starb. Die Frau des Hauses sandte dem in der Nähe wohnenden treulosen Verführer einen Eilbrief und teilte ihm mit, daß er umgehend zu ihr kommen möge, weil sie Wichtigstes mit ihm zu besprechen habe. Der Mann kam und wurde an der Tür des Hauses empfangen. Er wurde in ein Wartezimmer geführt. Da die Frau des Hauses lange auf sich warten ließ, ging der Mann einige Schritte vorwärts, weil er von Neugierde geplagt wurde und sehen wollte, was es etwa im Zimmer nebenan durch die offenstehende Tür zu sehen gab. Und was sah es? Die aufgebahrte Leiche der von ihm verführten und treulos verlassenen jungen Mädchens. In dem Augenblick erlebte jener Mann eine Auferstehung seiner Sünde. All seine Sünden und Vergehungen , die Jahre zurücklagen, standen lebendig vor seinem inneren Auge, als ob sie sich erst gestern zugetragen hätten.
Siehe, mein lieber Freund, ähnlich wird dir’s ergehen beim Scheiden aus dieser Welt in dein Jenseits. Dann wird dein Gedächtnis vollkommen wiederhergestellt. Und wenn Gott, der Allwissende, dir auf der Schwelle der Ewigkeit Sein alles offenbar machendes “Gedenke, mein Sohn!” zuruft, dann gibt es überhaupt kein Vergessen mehr.

Mit dem wiederhergestellten Gedächtnis wird auch das Gewissen wieder erwachen und in Ordnung kommen. Im Erdenleben ist ja das Gewissen der allermeisten Leute zerbrochen. Es schläft. In der Sterbestunde aber, meistens schon kurz vorher, ganz bestimmt aber beim Eintritt ins Jenseits, wacht es auf und macht es sich geltend als die Instanz in uns. Die über alles gut unterrichtet ist, die nichts von alledem, was sic im Erdenleben zutrug, vergessen hat.

Das Gewissen schläft im Leben,
doch im Tode wacht es auf:

dann siehst du vor Augen schweben
deinen ganzen Lebenslauf.

In einem Untersuchungsgefängnis saß seit Monaten ein junger Mann, der im Verdacht stand, einen Lustmord begangen zu haben. Er verstand es meisterhaft, seine Täterschaft zu leugnen. Das Beweismittel reichte nicht aus, ihn des Mordes schuldig zu sprechen. Unter der heimlichen Last des Mordes und durch die qualvollen schlaflosen Nächte, meinte der junge Mann zusammenbrechen zu müssen. Sein einziger Wusch war, daß er die ganze traurige Geschichte seiner Sünde und Schuld seinem vertrautesten Freunde erzählen könnte. Dieser Freund meldete sich eines Tages im Amtszimmer des Untersuchungsgefängnisses zum Besuch an. Es wurde ihnen erlaubt, in einem Zimmer allein zu sein. Als der Gefangene sich mit scheuen Blicken noch einmal überzeugt hatte, daß sie zwei auch wirklich allein und daß Türen und Fenster fest verschlossen seien, rückten sie zusammen. Und dann erzählte er seinem Freund die traurige Geschichte seiner Sünde, die ihn zum Mörder machte. Er tat es, um sein Gewissen zu entlasten. Während er seine Beichte ablegte, stockte er mit einemmal und wurde kreidebleich. Was war geschehen? Hinter der einen Zimmerwand, die aus einer ganz dünnen Holzschicht bestand, saß ein Gerichtsschreiber und schrieb alles auf, was er von dem Bekenntnis des Mörders hören konnte. Beim schnellen Schreiben war seine Stahlfeder hinter dem Papier festgehakt, sodaß es einen kratzenden Laut gab. Durch diesen kratzenden Laut wußte der junge Mann sich verraten und entlarvt.

Und nun höre! Seit der Stunde deines Lebens, in der du zum erstenmal mit Bewußtsein sündigest und die Gebote Gottes übertratest, sind in deinem Gewissen geheimnisvolle Schreibfedern an der Arbeit und schreiben mit unauslöschlicher Schrift deine Sünden- und Schuldgeschichte nieder. Was du auch tun magst, um die Stimme des Gewissens zum Schweigen zu bringen, es wird auf die Dauer alles vergeblich sein. Und wenn du untertauchst im Strom der Lust dieser Welt, um so dein Gewissen zu betäuben, es kommt doch die Stunde, in der dein Gewissen aus dem Schlaf erwachen wird. Laß dich heute warnen. Es könnte über Nacht die Stunde kommen, die dich vor die Gerichtsschranken Gottes fordert und dich deiner gerechten Bestrafung entgegenführt.
Und dann noch eins. Bei einem Festessen fragte ein ungläubiger General den gesegneten Missionar Flattich spöttisch lächelnd, ob er ihm etwas Gewisses über das Jenseits sagen könnte. Flattich antwortete kurz und bündig:
“Gewiß ist, daß Sie dort kein General sein werden”.

Jawohl, gewiß ist, daß es im Jenseits keine Fürsten und hochgestellte Persönlichkeiten, keine Menschen in Amt und Würden gibt. In der anderen Welt, jenseits des Grabes, wird mit ganz andern Maßstäben gemessen als hier. Geld, Titel, Bildung und der dergleichen mehr haben dort keinen Wert. Unser Gott ist unbestechlich. Alles das, was in den Augen irdisch gesinnter Menschen groß und begehrenswert ist, macht auf Ihn durchaus keinen Eindruck. Hast du über alles das schon einmal ernstlich nachgedacht, oder willst du in die Ewigkeit gehen, ohne dich mit diesen Wahrheiten des göttlichen Wortes abgefunden zu haben?

Siehe, jener reiche Mann lebte in guten irdischen Verhältnissen. Sorgen um das tägliche Brot, um Nahrung, Kleidung und Wohnung kannte er nicht. Kein Wunsch blieb ihm versagt, an nichts fehlte es ihm. Aber – dieses Leben in irdischer Herrlichkeit und Freude hatte ein Ende in der Sterbestunde. Und das letzte Gewand, das man ihm anzog, hatte keine Taschen, in denen er seine Gelder und kostbaren Sachen hätte mitnehmen können. Alles, alles mußte er zurücklassen, als er starb und vom Tode ins Jenseits geführt wurde. Auf Erden arm sein an Geld, Gesundheit, Ehre und Freude ist nichts im Vergleich mit der Armut im Jenseits.

Wir haben bis jetzt folgendes auf Grund des Wortes Gottes festgestellt. In unserer Sterbestunde werden Geist und Seele vom Leibe getrennt. Unser Leib verfällt dann der Verwesung, das heißt,: der Auflösung in seine Bestandteile: unsere Seele aber wird dann ins Totenreich geführt, und zwar entweder ins Paradies oder ins Gefängnis. Ins Paradies werden wir geführt, wenn wir im Erdenleben durch den Glauben an Jesus Christus, den Heiland und Erlöser, Vergebung von den Sünden und Versöhnung mit Gott gefunden haben. Ins Gefängnis werden wir geführt, wenn wir die Erlösung und Versöhnung durch den Opfertod Jesu nicht angenommen haben.

Wo aber haben wir diejenigen Seelen zu suchen, an welche der Ruf Gottes zu Jesus Christus hin zu Lebzeiten niemals klar und bestimmt oder überhaupt nie ergangen ist? Es sterben täglich abertausende Heiden, Mohammedaner, Juden und auch sogenannte Christen, denen das Evangelium von Jesus nie verkündigt worden ist oder doch nie so klar, daß sie es verstehen konnten, um sich zu Jesus, dem Hirten und Hüter der Seelen bekehren zu können. Wo haben wir alle die zu suchen? Gehen sie so ohne weiteres verloren? Nein! Wenn der Herr Jesus nach Seinem Tod am Kreuz auf Golgatha ins Totenreich hinabgefahren ist, um denen, die vor Ihm gestorben waren und nichts von Ihm wußten, das Evangelium zu predigen, damit auch ihnen Gelegenheit geboten werde, sich für oder gegen Ihn zu entscheiden, dann dürfen wir annehmen, daß die von Jesus im Totenreich begonnene Predigt fortgesetzt wird für die, die auf Erden nie von Ihm gehört haben. Man vergleiche 1, Petrus 3,19 und 4,6!
Es gibt also im Totenreich ein Gnadenangebot, eine Evangeliumspredigt, eine Möglichkeit zur Bekehrung zu Jesus für die, die in ihrem Erdenleben das Evangelium nie oder doch nie klar und bestimmt gehört haben. Wir wollen uns darüber freuen.
Und nun noch einige Fragen.

1. Hat es Zweck, für Tote zu beten? Auf diese Frage muß mit einem „Nein“ geantwortet werden. – Auf jeden Fall ist die Lehre und Praxis des Betens und Haltens der Seelenmessen für Tote vom biblischen Standpunkt aus durchaus nicht zu halten. Unsere Toten stehen vor dem Gott der Gnade und Wahrheit. – Wir können ihnen weder helfen noch schaden.
2. Ob die selig Verstorbenen im Paradies wohl über unser Ergehen im Erdenleben unterrichtet sind? Ja, ganz gewiß! Wenn die Engel im Himmel es erfahren, wenn sich auf dieser Erde Sünder bekehren, dann werden sicherlich die heimgegangenen Kinder Gottes es noch viel eher erfahren. Ja, der Herr Jesus wird die Seinen im Paradiese alles mitteilen, was sie über das Ergehen ihrer Lieben auf Erden wissen sollen.
3. Werden wir uns im Jenseits wiedererkennen? Diese Frage ist durchaus mit einem „Ja“ zu beantworten. Der reiche Mann erkannte beim Eintritt in sein Jenseits sofort Lazarus.
4. Dürfen wir mit den Toten in Verbindung treten? Nein, auf keinen Fall! Gott hat es in Seiner Weisheit so geordnet, daß wir hier im Glauben und nicht im Schauen wandeln sollen. Wer es dennoch versucht mit den Toten in Verbindung zu treten, übertritt ein klares Gebot Gottes, das 5. Mose 18, 10-12 geschrieben steht. „Es soll unter dir keiner gefunden werden, . . . , der die Toten befragt. Wer solches tut, der ist dem Herrn ein Greuel.“
Der gesamte Spiritismus unserer Tage ist einer von den großen Irrtümern (2.Thess. 2, 11.12), die Gott in dieser letzten Zeit des gegenwärtigen Weltlaufes denen sendet, die die Wahrheit nicht annehmen. Er ist eins der Gerichte Gottes über die verblendeten Sinne der Ungläubigen (2.Kor. 4,3.4), die Gott dahingegeben hat, daß sie reif werden in ihrer Torheit, darum, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben. Wer sich dem Spiritismus öffnet und hingibt, beweist damit, daß er Gottes Wort geringschätzt und von Gott auf das Gebet hin keine Antwort mehr erhält. Er ist in Gefahr, Lügengeistern und Dämonen in die Arme zu fallen, wird in seinen Nerven zerrüttet und gerät oft schon in zeitliches, gewiß aber in ewiges Verderben. Wer sich dem Spiritismus öffnet und an den spiritistischen Sitzungen teilnimmt, mag wohl Botschaften aus dem Jenseits empfangen, aber nie von Gott und guten, seligen Geistern, sondern immer nur vom Satan und von bösen, dämonischen Geistern.

5. Wo aber sind die Toten, die in Jesus Christus entschlafen sind?

Die schlichte Antwort auf diese Frage lautet: Bei Jesus im Licht! Sie sind auch im Totenreich, aber am Ort der Freude, im Paradies, im Vaterhaus Gottes. Dort sind sie in den bereiteten Wohnungen bei unserem Heiland Jesus Christus, Unbeschreiblicher Friede, unaussprechliches Glück und wunderbare Ruhe sind ihr ewiges Teil. Der Apostel Paulus schreibt Philipper 1,12;
„Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein“, und an anderer Stelle schreibt er:
„Wir sind getrost und haben vielmehr Lust, außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn“. (2.Kor. 5, 8)
Und der Heiland sagt zu dem Schächer:
„Wahrlich, Ich sage dir, heute noch wirst du mit Mir im Paradiese sein“ (Luk. 23,43).
Nach diesen drei und vielen anderen Worten der Heiligen Schrift gehen die Gläubigen in ihrer Sterbestunde ins Paradies und werden dort bei Christus sein in Seiner Nähe, in Seinem Frieden.

Die Gläubigen aber, die aus der Zeit in die Ewigkeit abgerufen wurden, ohne das ihnen gesteckte Ziel der Heiligung erreicht zu haben, die es am heiligen Ernst und der völligen Hingabe fehlen ließen, also alle, die wohl eine Erweckung und Bekehrung erlebten, sich aber nicht in Zucht nahmen, sich gehen ließen in ihrem alten, verkehrten Wesen – sie werden im Totenreich wahrscheinlich in einem Zwischenzustand durch ernste und beschämende Erziehungsgerichte hindurch müssen.


Im Frühjahr 1923 mußte sich ein gläubiger Polizeioberwachtmeister einer gefährlichen Operation unterziehen. Als er in der Narkose auf dem Operationstisch lag, sang er in bewußtlosem Zustand das Lied:




Jesus , Heiland meiner Seele,

laß an Deine Brust mich fliehn,
da die Wasser näher rauschen

und die Wetter höher ziehn!

O wie gut ist’s, Dir vertrauen!

Jesu, Dir ergeb ich mich;

Selig droben Dich zu schauen,

dein zu bleiben ewiglich!

Die Operation verlief erfolglos. Als die Schatten des Todes immer länger auf das Sterbebett dieses gläubigen Mannes fielen und er im Begriff war von dieser Welt abzuscheiden und in das Vaterhaus heimzugehen, bedeutete er der Schwester, die ihn pflegte, daß es gerne einen Bleistift und ein Stück Papier haben möchte. Sie brachte ihm beides und dann schrieb er wachen Geistes in vollkommener Freude folgendes:
„Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf grünen Auen und führet mich zu stillen Wassern.
Er erquickt meine Seele.
Er führet mich auf rechte Straße um Seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürcht ich kein Unglück.
Denn Du bist bei mir.
Dein Stecken und Stab – die trösten mich!
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde;
Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt. Mein Becher fließt über.
Nur Gutes und Güte werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

Bald darauf ging er heim ins Vaterhaus Gottes.

Als am nächsten Tag einer meiner Freunde, der von dem Heimgang des Bruders noch nichts wußte, zum Besuch ins Krankenhaus kam, erzählten ihm die Männer, die im selben Krankensaal lagen, daß sie von solch einem Sterben noch nie etwas gehört hätten. Den Herrn Jesus rühmend und Lieder zur Ehre Gottes singend, so sei er gestorben.
Siehe, so können Gottes Kinder sterben. Sie haben ja im Blute Jesu Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott gefunden. Frei von aller Gewissensnot, Todesfurcht und Ewigkeitsangst können sie an der Hand ihres Heilandes das dunkle Tal des Todes durchschreiten, wissend, daß für sie im Vaterhaus Gottes eine Stätte bereitet ist.


Kapitel 3. 

Werden die Toten auferstehen?

Zur Einleitung in die Beantwortung dieser bedeutsamen Frage lesen wir ein Werk des Apostels Paulus, das im 1. Korintherbrief, Kap. 15, 12-20 geschrieben steht:
„So aber Christus gepredigt wird, daß Er sei von den Toten auferstanden, wie sagen denn etliche unter euch, die Auferstehung der Toten sei nichts, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden aber auch erfunden als falsche Zeugen Gottes, daß wir wider Gott gezeugt hätten. Er hätte Christus auferweckt Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christo entschlafen sind verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen.“

Paulus will hier sagen: Wenn Jesus Christus nach Seinem Tode am Kreuz auf Golgatha nicht auferstanden, sondern im Tode geblieben ist, dann gibt es auch keine Auferstehung der Toten. Ist Christus aber von den Toten auferstanden, dann werden auch alle andern Toten nach Ihm auferstehen. Kann es mit geschichtlicher Sicherheit festgestellt werden, daß Christus auferstanden ist, dann ruht das Evangelium auf unerschütterlicher Grundlage. Dann ist unsere Frage: „Werden die Toten auferstehen?“ sofort mit einem bestimmten „ja“ zu beantworten. Wie verhält sich nun die Sache?
Das Wunder der Auferstehung Jesu von den Toten ist nach jeder Seite hin mit geschichtlicher Sicherheit bewiesen und zwar 


1. durch einwandfreie Augenzeugen,

2. durch die Geschichte des Christentums,

3. durch die wunderbare Tatsache, daß der Glaube an Jesus auch den modernen Menschen retten und neu schaffen kann.

1. Gründlicher und glänzender kann ein geschichtliches Ereignis nicht bezeugt werden, als die Auferstehung Jesu von den Toten es ist. Gewiß, wir geben zu, daß die Auferstehung Jesu ein Wunder ist, und zwar das Wunder aller Wunder, das Zentralwunder im Evangelium. Aber warum sollen Wunder unmöglich sein? Kann denn der Gott, der aus dem Wissen Seiner Allmacht die Welt geschaffen hat, zu dessen Ruhm und Preise kreisende Sonnen den unendlichen Weltenraum durchleuchten, dessen Weisheit verkündigend die Gestirne am Himmel ihre Bahn ziehen, dem das Meer sein Sturmlied emporbraust und die zarte Blumen köstliche Rauchopfer still duften – kann denn der Gott nicht fort und fort Wunder tun? Wer an einen lebendigen, persönlichen Gott glaubt, muß konsequenterweise auch an die Möglichkeit des Wunders glauben. Mithin muß er zugeben, daß die Auferstehung Jesu von den Toten jedenfalls im Bereich der Möglichkeit liegt.

Nach neutestamentlichen Urkunden gibt es mindestens 514 Augenzeugen der Auferstehung Jesu. Über 500 Männer haben Jesus nach Seinem Tode als leiblich Auferstandenen gesehen, und zwar nicht nur einmal, sondern mindestens sechsmal in kürzeren und längeren Zeiträumen.. Beachtenswert ist, daß Paulus in dem bekannten 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes die maßgebenden Augenzeugen der Auferstehung ausdrücklich mit Namen nennt. Das Wunder der Auferstehung Jesu von den Toten am Ostermorgen ist also durch einwandfreie Augenzeugen bezeugt und bestätigt.

2. Ein weiterer beweis für die Auferstehung ist die Geschichte des Christentums. Jesus kam aus den Himmeln, um in der Welt die Königsherrschaft Gottes aufzurichten, nicht durch Heer und Kraft, nicht durch Schwert und Blut, sondern durch die Groß0macht Seiner allumfassenden Liebe. Er gründete Sein Reich nach der Art des Weizenkorns (Joh.12, 24) und verzichtete dabei auf alle eigene Ehre, Größe und Herrlichkeit. Er verkündigte der Welt das Evangelium, die Botschaft von der Gnade und Liebe des himmlischen Vaters. Aber man widersprach Ihm, man verachtete und haßte Ihn. Haß und Neid der Menschen zimmerten Ihm das Kreuz. Er starb als ein Verbrecher zwischen Verbrechern. Und dann triumphierten Seine Feinde, weil sie der Überzeugung lebten, daß es mit dem Gekreuzigten und Seiner Mission nun endgültig aus und zu Ende sei. In Wirklichkeit aber errang Jesus sterbend einen Sieg, so großartig und weitgehend, daß wir ausrufen müssen mit dem Apostel Paulus:
„ O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ (Röm. 11,33).
Jesus siegte im Unterliegen. Sterbend überwand Er den Fürsten der Finsternis und das ganze Höllenheer. Sterbend vollbrachte Er eine ewige Erlösung aus grausamen Sündentiefen. Im Unterliegen hat Jesus gesiegt. So ist es bis auf den heutigen Tag in der Reichsgottesarbeit, in der Geschichte des biblischen Christentums geblieben. Wäre Jesus nicht von den Toten auferstanden und lebte Er nicht durch Seinen Geist in den Gläubigen, dann wäre die Geschichte des Christentums nicht zu erklären.

3. Als weiteren Beweis für die Auferstehung deuten wir kurz an die unanfechtbare Tatsache, daß Jesus auch heute noch Menschen in ihrem Innersten erfassen, sie von Sünde und Schuld und Gebundenheit erretten und zu neuen Menschen machen kann. Wer meint, Jesus wäre als religiöser Lehrer in diese Welt gekommen, um den Menschen eine neue Moral oder Sittenlehre zu predigen, der irrt sich sehr. Nein, nicht eine Lehre, sondern ein wunderbares Leben, nicht eine neue Moral, sondern eine wunderbare neue Kraft, die Lehren zu erfüllen, hat Jesus der Menschheit gebracht. 

„Ich lebe, und ihr sollt auch leben!“, das ist die Botschaft des Auferstandenen an eine in Sünden tote Welt. Und wo immer Menschen in Aufrichtigkeit ihres Herzens und im Glauben ihre Zuflucht nehmen zu dem auferstandenen Herrn, da empfangen sie Leben aus Gott, da werden sie neue Menschen; das ganze Leben wird vom innersten Kern her neu gestaltet. Nicht nur die Denkweise wird in neue Bahnen geleitet, auch die Lebensführung wird von Grund auf eine andere, eine neue. Ein toter Jesus könnte das alles nicht zustandebringen. Nun aber lebt Er, darum kann Er für alle, die an Ihn glauben, eine Ursache ewiger Errettung werden. 
Deshalb sagen wir schlicht, aber bestimmt:
Jesus hat durch Seine Auferstehung, durch Sein sieghaftes und glorreiches Hervorgehen aus dem Grabe, für alle Menschen den Weg aus den Gräbern gebahnt. 


Wir kommen nun zu vier tiefgreifenden Fragen:



I. Was haben wir unter der Auferstehung der Toten zu verstehen?

II. Durch wen wird sie veranlaßt?

III. Wann wird sie stattfinden?

IV. Wie wird sie vor sich gehen?



I. Wir haben eine unsterbliche Seele, einen unzerstörbaren Geist. In der Sterbestunde werden Leib und Seele voneinander getrennt. Dann geht die Seele ins Totenreich. Der Leib verfällt in der Sterbestunde der Verwesung und wird ins Grab gebettet. Wird er dort immer bleiben?

Werfen wir zuerst einen Blick in die Natur, in der wir so vieles finden, was uns an die Auferstehung erinnert! Im Herbst stirbt die Vegetation ab. Der Winter bedeckt alles mit seiner Schneedecke, wie mit einem großen Leichentuch. Und wenn das Frühjahr kommt, erwacht überall ein neues Leben. So erlebt die Natur jedes Jahr ein großes Auferstehen.


Wenn im Herbst der Landmann seine Saatkörner in den Acker streut und dann die Erdschollen darüber eggt, setzt auf dem weiten Ackerfeld ein großes Sterben ein. Jedes einzelne Saatkorn stirbt ab, verwest und wird zu einer schwarzen, faulen Masse. Aber siehe da, nach ganz kurzer Zeit ersteht aus diesem verfaulten Saatkorn neues Leben, Leben in einer neuen und höheren Daseinsform! Genau so verhält es sich auch mit unserem Leibe. Er stirbt und verwest im Grabe oder wird von heidnisch denkenden Menschen im Krematorium verbrannt. Am Tage des Herrn aber wird er als ein neuer Leib für unsere Seele auferstehen, andersartig wie der in die Erde gebettete es war. Wie in dem Samenkorn, das in der Erde verwest, ein geheimnisvolles Etwas ist, das nicht verwesen kann, so ist auch in unserm irdischen Leibe ein geheimnisvolles Etwas, das kein Tod töten und keine Verwesungsmacht vernichten kann.


Bei der Auferstehung der Toten handelt es sich also nicht darum, daß die Bestandteile des früheren Leibes, der ins Grab gelegt wurde, wieder zusammengebracht werden. Freilich, wenn Gott es wollte, dann könnte Er das auch tun.

Nun aber spricht sich die Heilige Schrift klar und deutlich darüber aus, daß wir uns die Auferstehung der Toten nicht so vorstellen dürfen. Der Auferstehungsleib wird nicht gebildet werden aus den wieder zusammengebrachten Bestandteilen des früheren Leibes, der ins Grab gelegt wurde. Die Auferstehung wird sich also nicht mechanisch sondern vielmehr organisch vollziehen. Wie aus dem in die Erde gebetteten Samenkorn der Schaft, die Blätter, die Blüten und schließlich die Frucht entstehen, so wird aus dem in die Erde gelegten Samenkorn des irdischen Leibes der neue Auferstehungsleib erstehen. Wie sich die Pflanze zum Samenkorn verhält, so wird sich unser Auferstehungsleib zu unserem irdischen Leib verhalten. Unser Auferstehungsleib wird keine Wiederherstellung des alten Leibes sein, sondern ein Wunder der neuschaffenden Macht und Weisheit Gottes: etwas Neues, Vollkommenes und Herrliches.



Also schon die nachdenkliche Betrachtung der Natur legt uns den Gedanken der Auferstehung des Leibes greifbar nahe.

Soll ich noch hinweisen auf die Raupe, die sich einspinnt uns so gleichsam in einen Sarg legt, um schließlich nach längerer Zeit als Schmetterling aufzustehen!



Und nun lese man mit Bedacht folgende Bibelstellen:
Joh. 5, 28+29:

“Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, Seine Stimme hören werden. Und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“
Römer 8, 11:

„So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnet, so wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswellen, daß Sein Geist in euch wohnet.“

Philipper 3, 20+21:

„Unser Wandel aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi, des Herrn, welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge sich untertänig machen.“


1. Kor. 15 handelt eingehend und unzweideutig von der Auferstehung des Leibes, der als ein Samenkorn ins Grab gelegt wird.

Wie aber verhält sich denn die Sache, wenn der Leib des Menschen von Tieren zerrissen oder wenn er verbrannt und die Asche in alle Winde zerstreut worden ist? Nun, ich gebe zu, daß sich hier für den menschlichen Verstand im ersten Augenblick Schwierigkeiten ergeben können. Der lebendig Glaube an den persönlichen und allmächtigen Gott aber kommt nicht in Verlegenheit. Ihm steht es unerschütterlich fest, daß Gott ohne Schwierigkeit das in unserm sterblichen Leibe geheimnisvoll verborgen liegende Saatkorn bewahren kann bis auf den Tag der Auferstehung.


Der Leib eines jeden Menschen ist also nach der Lehre der heiligen Schrift ein Samenkorn, das wohl verwest, das aber einen unverweslichen Keim in sich birgt. Aus diesem unverweslichen Keim geht bei der Auferstehung der neue Auferstehungsleib hervor. Wie nun das Samenkorn beschaffen ist, so wird auch der neue Leib beschaffen sein. Um das in seiner ganzen Tragweite zu verstehen, brauchen wir nur einen Augenblick nachzudenken. Nicht wahr, wenn wir Distelsamen aussäen, erwarten wir keinen Weizen, und wenn wir Roggen aussäen, erwarten wir keinen Rosenstamm. Das heißt im Bild:


Ein Leib, der hier von Sündenkräften durchsetzt und deshalb ein giftiges Samenkorn ist, kann nun nimmer in Herrlichkeit auferstehen. Wie das Samenkorn ist, so auch die Frucht. Herrscht in unserem Leben die Sünde, bleiben wir in der Gottlosigkeit und Heilandsferne, dann ist unser Leib ein giftiges Samenkorn, das in der Auferstehung zur vollen Entfaltung kommen wird. Denn das ist ja eben die Bedeutung der Auferstehung, daß alles, was jetzt keimartig in uns ist, dann in entwickelter und reifer Gestalt dasteht.
Wir werden für alle Ewigkeit einen Leib haben, der unserer Seele entspricht.



Diese ernste Wahrheit stellt Paulus ins Licht, wenn er 1.Kor. 15,49 schreibt:
„Wie wir getragen haben das Bild des Irdischen, also werden wir auch tragen das Bild des Himmlischen.“
Mit anderen Worten: es ist nicht gleichgültig, wie wir im Erdenleben mit unserem Leib umgehen. Verderben wir ihn, so verderben wir auch das Samenkorn und den Keim der Auferstehung. Die Sünden, in denen wir leben, prägen sich in unserem ganzen inwendigen Menschen aus. Unvergebene Sünden und ungeheilte Sündenschäden werden einst sichtbar sein an unserem Auferstehungsleibe. Er wird das durchsichtige Spiegelbild unseres inwendigen Menschen sein.


Im Blick auf die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes der Gläubigen finden wir in der Heiligen Schrift deutliche Auskunft. Paulus schreibt 1, Kor. 15, 42-44:

“Es wird gesät verweslich, es wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Unehre, und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit, und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib, und wird auferstehen ein geistlicher Leib.”

Es sind also vier Eigenschaften, die der Auferstehungsleib haben wird:
1. Er ist unverweslich. Er kann nicht wieder sterben (Luk.20,35)

2. Er ist herrlich, das heißt, er glänzt in himmlischer Lichtherrlichkeit und wird wunderbar schön sein und dem verklärten Leibe des HErrn Jesu, des Schönsten unter den Menschkindern, gleichen. (Phil. 3,21).
3. Er ist voll Kraft. Keine Krankheit, keine Altersschwäche wird an ihm zu finden sein. Er kann überhaupt nicht mehr krank werden, weil er genährt wird von den Bäumen des Lebens (Offb. 22,2)
4. Er ist geistlich, das heißt durchströmt und durchspulst vom Geist des Lebens, der Jesum von den Toten auferweckt hat (Röm. 8,31)

Im Blick auf den Auferstehungsleib der Gottlosen sagt uns die Heilige Schrift:
“Und viele von denen, die im Erdenstaube schlafen, werden auferstehen. Die einen zum ewigen Leben, die anderen zu ewiger Schmach und Schande”. (Daniel 12,2)

“Und man wird hinausgehen und schauen die Leiber der Leute, die von Mir abtrünnig geworden sind. Ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen. Sie werden ein Gegenstand des Abscheues sein für alles Fleisch“ (Jes. 66,24).


II. Durch wen werden wir auferweckt?

Jesus sagt:
Johannes 6,40: „Denn das ist der Wille des, der mich gesandt hat, daß, wer den Sohn sieht und glaubt an Ihn, habe das ewige Leben. Und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag“.
Joh. 6,44: „Es kann niemand zu Mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der Mich gesandt hat. Und Ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag.“
Joh. 5,21: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und macht sie lebendig, also auch der Sohn macht lebendig, welche Er will.“
Paulus schreibt in 2. Kor. 4,14: „Wir wissen, daß der, so den Herrn Jesum hat auferweckt, wird uns auch auferwecken durch Jesum, und wird uns darstellen samt euch.“
Römer 8,11: „So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß Sein Geist in euch wohnt.“
Auf Grund dieser verschiedenen Bibelstellen müssen wir feststellen, daß die Auferstehung veranlaßt und zustande gebracht werden wird von dem dreieinigen Gott, durch den Herrn Jesus Christus, wie denn ja alle Heilstaten Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes durch Jesus, den Sohn Gottes, hinausgeführt werden.

III.

 Wann wird die Auferstehung der Toten stattfinden?

Auf diese Frage finden sich in der Heiligen Schrift bedeutsame Antworten. Zunächst sagt sie uns, daß es eine 1. Und 2. Auferstehung gibt.
Die 1. Auferstehung ist die Auferstehung des Lebens: die Auferstehung zum ewigen Leben.
Die 2. Auferstehung ist die Auferstehung des Gerichts: die Auferstehung zum Endgericht.

Die 1. Auferstehung wird stattfinden am Morgen des Jüngsten Tages, wenn der Herr Jesus wiederkommt, um Seine Brautgemeinde heimzuholen und das Tausendjährige Friedensreich aufzurichten. Die 2. Auferstehung wird stattfinden am Abend des Jüngsten Tages, wenn der Herr wiederkommt zum Weltgericht.
Die 1. Auferstehung ist nicht das Vorrecht irgendeiner Gemeinde, wie die neuzeitlichen Sekten es zu ihren Gunsten behaupten. Nicht irgendein äußerer Grund berechtigt zur Teilhaberschaft an der 1. Auferstehung. Zur Teilhaberschaft an der 1. Auferstehung und der damit verbundenen Seligkeit und Herrlichkeit sind alle berufen, an die der Ruf der Gnade Gottes in diesem Zeitalter ergeht. Gott will ja, daß allen Menschen geholfen werde und daß alle zur höchsten Stufe der Seligkeit gelangen und das Ziel der 1. Auferstehung erreichen.
Fähig und würdig zur Teilhaberschaft an der 1. Auferstehung ist aber nur der, der durch Buße und Glauben durch die enge Pforte der Bekehrung hindurchgeht und sich seinem Heiland und Erlöser völlig hingibt, um sich dann durch Gottes Wort und Geist in ernster täglicher Heiligung in das Bild Jesu umgestalten zu lassen.
Gehörst du zu in ernster Heiligung wandelnden Gläubigen? Dann höre, was Offenbarung 20,6 geschrieben steht:
„Selig und heilig ist, der teilhat an der ersten Auferstehung; über solche hat der andere Tod keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und Christis sein, und mit Ihm regieren tausend Jahre.“
Die Teilhaber an der ersten Auferstehung erlangen nicht nur die ewige Seligkeit, sie sind zu etwas noch Höherem berufen und geadelt. Sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit Ihm herrschen und regieren im Tausendjährigen Reich.

IV. Am Ende der trausendjährigen Reiches,
also tausend Jahre nach der 1. Auferstehung zum Jüngsten Gericht, an der alle teilhaben, die nicht zur 1. Auferstehung gelangen konnten.
Wie wird diese 2. Und allgemeine Auferstehung der Toten vor sich gehen? Wir finden eine großartige Schilderung derselben in Offenbarung 20, 11-15:
„Und ich sah einen großen weißen Stuhl und den, der darauf saß; vor seinem Angesicht flohen die Erde und der Himmel, und ihnen ward keine Stätte für sie gefunden. Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott; und Bücher wurden aufgetan, und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. . . . Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der andere Tod. So jemand ward nicht gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“

Auf Grund dieser und anderer Bibelstellen ergibt sich folgendes Bild: Der Herr Jesus Christus erscheint in großer Kraft und Herrlichkeit in den Wolken des Himmels. Alle Engel und alle Seligen, die ihre Auferstehungsleiber schon früher, bei der 1. Auferstehung erhielten, begleiten Ihn. Die Stimme des Sohnes Gottes schallt mit Allmachtsgewalt wie das Rauschen großer Wasser und wie das Dröhnen starker Donner über die ganze Erde und durchdringt die Gräber, die Tiefen des Meeres und das ganze Universum. Ein wunderbares Regen und Bewegen entsteht auf dem weiten Erdenrund. Die unverweslichen Lebenskeime aller Menschleiber werden erwachen, und aus ihnen werden die Auferstehungsleiber in einem Augenblick hervorgehen. Die Seelen und Geister aber, die bis dahin im Totenreich warten mußten, nehmen Besitz von ihren Leibern und durchdringen sie voll und ganz.
Auf diese 2. und allgemeine Auferstehung folgt dann das Weltgericht, bei dem das endgültige Urteil über die Unseligen gesprochen werden wird. Darnach werden sie geführt an den Ort der ewigen Not, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird.
Außer dieser 1. und 2. Auferstehung berichtet uns die Schrift noch von einer andern Auferstehung, die unmittelbar nach der Auferstehung des Herrn Jesu stattfand:

„Es standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen. Und gingen aus den Gräbern hervor nach Seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.“ (Matth. 27, 52)
Man kann annehmen, daß die Auferstehung, also die Auferstehung der Gläubigen, mit der Auferstehung Jesu Christi am Ostermorgen begonnen hat, und daß sie in der Stille durch die Jahrhunderte hindurch fortgeht, bis sie ihren großen allgemeinen Abschluß am Tage der Wiederkunft Christi, zur Entrückung Seiner Gemeinde und zur Aufrichtung Seiner Gottesherrschaft findet. Diese Möglichkeit einer fortlaufenden Auferstehung der Heiligen spricht nicht gegen Gottes Wort. Allerdings kann sie auch nicht als absolute biblische Wahrheit bewiesen werden.

Werden die Toten auferstehen? – so lautete die Frage, von der wir ausgingen. Unsere Antwort lautet: Ja ganz gewiß!
Und nun ist dies meine Schlußfrage an dich: Wie stehst du zu all diesen Dingen, die in diesem Vortrag kurz angedeutet wurden? Siehe, auch dir ist gesetzt, einmal zu sterben und darnach das Gericht. Ob du dich dagegen sträubst, ob du darüber lächelst, das kann nichts an der Tatsache ändern.
Es kommt ein Tag, an dem alle Leiber, die in den Gräbern sind, und alle Seelen und Geister, die im Totenreich warten, die Stimme des Sohnes Gottes hören. Dann werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung, zur Auferstehung zum ewigen Leben, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung zum Gericht.
Deshalb gebe ich dir in dieser ernsten Stunde deines Lebens den doppelten Rat:

1. Gib den Widerstand gegen Gott und Jesus auf! Entscheide dich für den Herrn Jesus, der dich liebt und sucht! Komm zu Ihm mit deiner Sünde und Schuld und bitte Ihn um Vergebung!
Und dann folge Ihm nach als ein ernstes Kind Gottes, das die Sünde meidet und sich von der Welt scheidet!

2. Denke daran, daß dein Leib ein Tempel des lebendigen Gottes ist, ein Tempel Gottes, in dem eine unsterbliche Seele wohnt, und in dem auch das Samenkorn für den Auferstehungsleib geheimnisvoll verborgen liegt!
Sündige nicht mehr gegen deinen Leib! Wenn du bisher die Glieder deines Leibes in den Dienst der Unreinigkeit und Ungerechtigkeit gestellt hast, dann stelle sie von heute ab in den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung.

Teil 3

Ein Gottesgericht in Sicht!

Oder: Die Wiederkunft Jesu

Wir gehen durch eine schwere Zeit. Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, Die Menschheit tastet an tiefen Abgründen dahin und sucht vergeblich mit dem flackernden Kerzenlicht ihrer Vernunft den Weg der Zukunft zu erhellen. Die wilden Wasser der Leidenschaft brausen aus den Tiefen, und die Stimmen der Dämonen heulen. Die ganze Weltlage ist verworren und wird von Tag zu Tag verworrener. Es herrscht eine politische Sprachenverwirrung, so daß die Völker sich ganz und gar nicht mehr verstehen. Ein banges Ahnen durchzittert und belastet die Herzen der Menschen. Man fängt an zu verschmachten vor Furcht über dem Warten der Dinge, die kommen sollen. Und ungezählte Zeitgenossen stehen immer stärker unter dem Eindruck, daß die jetzigen Weltkatastrophen unmöglich in den bisherigen Verlauf der Welt- und Menschheitsgeschichte eingereiht werden können.

Wo ist der Faden, der aus unserem Labyrinth herausführt? Die gewiegtesten Köpfe und die größten Geister haben sich im fruchtlosen Raten erschöpft und des großen Rätsels Lösung durch die Kraft der menschlichen Vernunft nicht gefunden. Die ganze Kultur ohne Gott befindet sich in äußerstem Bankrott. Weder der einzelne Mensch kann sich aus seinem Sündenelend helfen, noch kann sich die Menschheit aus der Weltkatastrophe des Zusammenbruchs alles Weltwesens erretten. Die Götter der modernen Welt haben versagt und sind im Weltgewittersturm zusammengebrochen.
Ist das, was jetzt vorgeht, Morgenröte oder Abenddämmerung?
Ist es Morgenröte einer besseren Zeit, oder ist es Abenddämmerung, ist es der letzte verblassende Abendschimmer, und kommen wir mit jedem Schritt tiefer hinein in die Finsternis der Nacht?

Auf diese Frage können uns die Männer der Wissenschaft, der Politik, des Welthandels und der Hochfinanz keine Antwort geben. Aber das prophetische Wort, das wir in unserer Bibel haben, enthält die Antwort.
Einem Scheinwerfer gleich leuchtet dieses Wort hell und immer heller auf. Wohlan denn, laßt uns dieses helle Licht einstellen auf die Weltereignisse der Gegenwart, auf die brausenden Orkane und tobenden Stürme, auf die sprühenden Blitze und krachenden Donner, auf die Nacht der Völker und das ungewisse Dunkel der großen Heerstraße der Menschheit! Dann werden wir mitten in der gewaltigen Weltnot die großen Ziele Gottes mit der Menschheit aufleuchten sehen. Soviel ist gewiß, wer seine Augen im Wahrheitsquell des göttlichen Wortes geschärft hat, um dann die gewaltigen Umwälzungen im Völkerleben und die sonstigen Zeichen der Zeit mit etwas mehr Sorgfalt zu prüfen, der hat längst die Überzeugung gewonnen, daß wir am Vorabend tiefgehender Ereignisse stehen, an denen sich das Schicksal des einzelnen Menschen wie ganzer Völker, ja vielleicht der ganzen Menschheit entscheiden wird.
Die Wiederkunft Jesu ist der Zielpunkt der Welt- und Menschheitsgeschichte. Die Wiederkunft Jesu und die mit ihr in Verbindung stehenden katastrophalen Ereignisse werden das Schicksal der ganzen Welt entscheiden.
Von diesen bereits eingetretenen Ereignissen soll in diesem Vortrag geredet werden. Daß uns allen der Mitternachtsruf: „Siehe, der Bräutigam kommt, gehet aus, Ihm entgegen!“ durch Herz und Gewissen dringen möge – das ist mein Herzenswunsch.
Ein großer Gerichtstag Gottes ist in Sicht. Ein Gerichtstag Gottes, der in gleicher Weise kommen und verlaufen wird wie die Gerichtstage der Sintflut und der Zerstörung Sodoms und Gomorras. Jene beiden Gerichtstage wurden mit ernsten Warnungen Gottes angekündigt, aber die Warnungen wurden höhnend abgelehnt. Und dann brachen die Gottesgerichte unerwartet herein und verliefen unbeschreiblich schrecklich. Wie es damals war, so wird es auch in kommenden Tagen geschehen: Schrecken, Entsetzen und Verderben wird über ein gottloses, christusfeindliches, im Dienst der Sünde und der Ungerechtigkeit gerichtsreif gewordenes Geschlecht hereinbrechen.
Nach dem einmütigen Zeugnis der Heiligen Schrift wird uns die Zukunft die Wiederkunft des Herrn Jesu zum Gericht über ein gottfeindliches, antichristliches Menschengeschlecht bringen. Der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Jesus Christus wird sich sichtbar offenbaren und zwar Seinem gläubigen, betenden Gottesvolk zur Erlösung aus großer Trübsal und Verfolgung, und Seinen dann lebenden Feinden zum vernichtenden Gericht.
Als der Herr der Herrlichkeit wird Jesus erscheinen, die Zügel der Weltregierung in die Hand nehmen und unter furchtbarem Gericht das gegenwärtige Zeitalter beenden und Sein tausendjähriges Gottes- und Friedensreich auf dieser Erde aufrichten. 
Dieser kommende Gerichtstag Gottes und Jesu ist noch nicht der Tag des Endgerichts, noch nicht das letzte Gericht am sogenannten Jüngsten Tage, sondern der Gerichtstag, an dem der Herr Jesus das gegenwärtige, sich immer mehr antichristlich gestaltende Zeitalter richtend abschließen und die Herrschaft der Weltreiche zertrümmern wird.
Nun gibt es freilich in unseren Tagen Menschen in großer Zahl, die den kommenden Gerichtstag Gottes als Träumerei und grundloses Hirngespinst spöttisch lächelnd ablehnen. Wie diesen Leuten das Wort vom Kreuz eine Torheit ist, und wie sie lächeln über die leibliche Auferstehung Jesu, so meinen sie auch die Wiederkunft Jesu mit vornehmer Handbewegung abtun zu können. Allen diesen sei auf Grund der Heiligen Schrift mit Gewißheit bezeugt:

Die Wiederkunft des Herrn Jesu zur Errettung Seiner Gläubigen aus großer Trübsal und Not, zum Gericht über ein gottfeindliches Geschlecht und zur Ergreifung der Zügel der Weltregierung steht bevor.


Bald wir der Tag sich röten,

wie nie ein Tag erschien.

So künden die Propheten,

die wir so gerne fliehn.

Dann rollen alle Himmel

den Vorhang blitzend auf,

dann hemmt dem Schlachtgetümmel

der ew’ge Gott den Lauf.

Wann wird das geschehen?
Wann wird Jesus Christus wiederkommen?
Steht die Wiederkunft nahe bevor?
Leben wir in dieser letzten Zeit?

Wenn wir jetzt an die Beantwortung dieser tief einschneidenden Fragen herantreten, dann möchte ich zunächst eins vorweg sagen. Es liegt mir fern, haltlose Behauptungen aufzustellen und zu reden wie die neuzeitlichen Sekten der Adventisten und der sogenannten Ernsten Bibelforscher es tun. Ich bin weder der Ratgeber Gottes gewesen, noch habe ich in die Geheimakten Gottes hineingeschaut. Den genauen Zeitpunkt des Anbruchs des Tages des Herrn und der Wiederkunft Jesu können wir Menschen nicht angeben. Nach den Worten Jesu ist es auch gar nicht unsere Sache, Zeit und Stunde zu wissen; Gott allein hat sie in Seiner eigenen Macht festgesetzt und sich vorbehalten.
Aber der Herr Jesus selbst hat uns in zwei Kapiteln des Neuen Testamentes (Matth.24 und Luk. 21) die Zeichen Seiner Wiederkunft, das heißt die Ereignisse, die Seiner Wiederkunft vorausgehen werden, bestimmt und scharf umrissen genannt. Und am Schluß Seiner prophetischen Rede sagt Er:

„Am Feigenbaum (Israel) lernt ein Gleichnis! Wenn sein Zweig jetzt saftig wird und Blätter gewinnt, so wißt ihr, daß der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr das alles seht, so wisset, daß er nahe vor der Tür steht.“

Der HErr Jesus meldet also Seine Wiederkunft an, damit die Seinen sich rüsten, um dann als geschmückte Braut dem vom Himmel kommenden Bräutigam entgegengerückt zu werden. Wie der aufgehenden Sonne das Morgenrot vorausgeht, so gehen der Wiederkunft Jesu ganz bestimmte Zeichen und Ereignisse voraus.

Was sind das für Zeichen und Ereignisse?
„Es werden die Kräfte des Himmels erschüttert werden. Störungen im Laufe der Gestirne werden eintreten. Sonne und Mond werden an Lichtstärke verlieren. Auch die Erde wird in Unruhe geraten. Gewaltige Erdbeben werden geschehen. Ebenso wird die Menschheit in Wallung geraten. Ein Volk wird sich gegen das andere erheben, ein Reich gegen das andere aufstehen. . . . Dazu wird eine religiöse Verwirrung anschwellen. Falsche Christusse und falsche Propheten werden aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, und werden viele verführen. Usw.
Es sei mir gestattet, auf die bedeutsamsten Zeichen kurz einzugehen:



1. Das Auftreten von falschen Christussen und falschen Propheten, von Rettern und Volksbeglückern und die damit in Verbindung stehende religiöse Verwirrung. – Solche falschen Christusse sind zu allen Zeiten aufgetreten, aber noch nie in all den vergangenen 1900 Jahren haben sie so viele verführt wie heute. Die Welt ist voller falscher Christusse. Und ihre gefährlichen Stimmen suchen unter einem Deckmantel schönklingender Worte das Ohr und Herz der Menschen, um ihr Leben zu bestimmen. Nicht nur Männer wie Haeußer und andere, sondern auch all die Geistesströmungen unserer Tage, die in philosophischer und politischer Weise den Menschen und Völkern Freiheit und Glückseligkeit schon hier auf Erden versprechen, müssen als falsche Christusse, also als Zeichen der bevorstehenden Wiederkunft Jesu verstanden werden.

2. Als zweites Zeichen der Endzeit nennt Jesus den Krieg, der mit seinem Gefolge: Hungersnot, Weltverarmung und großes Sterben ein furchtbares Elend unter die Menschheit bringen wird.
„Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen; sehet zu und erschreckt nicht. Das muß zum ersten alles geschehen, aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich empören ein Volk über das andere und werden sein Pestilenz und teure Zeit und Erdbeben hin und wieder“ (Matth. 24, 6).
Der hinter uns liegende furchtbare und opferreiche Weltkrieg war entsetzlich. Aber zweifellos steht ein neuer Krieg vor der Tür der Völkerwelt, in dem wahrscheinlich die östlichen Länder eine bedeutsame Rolle spielen werden. Und wer einen entschlossenen Wirklichkeitssinn hat, merkt es immer mehr, wie die Völker der Erde für den nächsten Krieg rüsten.

3. Als weiteres sehr bedeutsames Zeichen der Endzeit nennt Jesus das Volk der Juden. Das jüdische Volk stellt die Völkerpsychologie vor unlösliche Rätsel. Die Juden haben mit der Zerstörung Jerusalems als Staat aufgehört zu existieren, als Volk aber haben sie alle Verfolgungen und Hinmetzelungen überdauert. Zerstreut über die ganze Erde, sind sie nicht unter den Völkern aufgegangen. Und so energisch die Deutsch-Völkischen und die Antisemiten auch arbeiten mögen – das jüdische Volk ist nicht aufzureiben. Die antisemitische Bewegung kann die sich gesteckten Ziele nicht verwirklichen, weil Gott will, daß dieses Volk bestehen bleibt. Man verstehe mich nicht falsch. Auch ich weiß, daß das reform-jüdische Volk ein Fluch ist unter allen Nationen, und daß von diesem unter dem Fluch stehenden Volk ein unheilvoller Einfluß ausgeht. Ich weiß wohl, daß die reform-jüdischen Elemente es sind, die durch die Preise, durch das Theater und durch das Kino fortgesetzt einen breiten Strom des Verderbens in unser Volk, in unsere Häuser leiten, eben weil sie unter dem Fluch stehen. Und wir müssen damit rechnen, daß dieser Fluch des jüdischen Volkes sich in allernächster Zeit noch viel stärker zeigen und auswirken wird, und zwar nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in der ganzen weiten Welt. Es steht aber auf Grund des Wortes Gottes fest, daß dem jüdischen Volk noch große Verheißungen gegeben sind. Das jüdische Volk wird sich in Palästina auf dem Berge Zion sammeln und dort, ausgestattet mit dem Gelde der ganzen Welt, einen neuen Staat gründen.
Und nun ist eins bedeutsam: der jüdische – noch christusfeindliche – Nationalstaat ist im Werden begriffen und trägt wesentlich mit dazu bei, daß das nächste und wichtigste Zeichen der Wiederkunft Jesu in die Erscheinung tritt, nämlich:

4. Der Massenabfall von Gott und das Auftreten des Antichristen.
„Der Tag Christi kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbar werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens“ (2. Thess. 2,3).

Dieses Zeichen der Wiederkunft Christi bahnt sich in unseren Tagen mächtig an. Der persönliche Antichristus, der Mensch der Sünde, ist noch nicht in die Erscheinung getreten; aber sein Offenbarwerden wird gründlich vorbereitet durch die fieberhafte Wirksamkeit der falschen Propheten, die mit ihren gottfeindlichen Lehren landauf, landab ziehen und einen immer gründlicheren Abfall von Gott, eine immer gehässigere Feindschaft gegen Christus und die entschiedenen Christen verursachen. Wer offene Ohren und Augen hat, der merkt es immer deutlicher, wie in unseren Tagen dem Antichristen, dem kommenden Diktator, der Weg zum Thron bereitet wird.

Zur Kennzeichnung dieser falschen Propheten sei folgendes gesagt:


Falsche Propheten sind alle, die den lebendigen, persönlichen Gott und die ewige Gottheit Jesu Christi leugnen.

Falsche Propheten sind alle, die die Jungfrauengeburt Jesu verneinen, das Sühnopfer Jesu auf Golgatha umgehen und die leibliche Auferstehung Jesu Christi leugnen, dabei aber den Idealmenschen Jesus stehen lassen und vor Seinen Lehren scheinbar große Achtung haben, wie z.B. die liberalen Theologen und die fälschlich sogenannten Freunde der evangelischen Freiheit.

Falsche Propheten sind alle, die ohne jede Ehrfurcht vor dem ehrwürdigen Bibelbuch und ohne allen Respekt vor der Wahrheit Gottes ihre Angriffe gegen die Heilige Schrift führen und die Bibel behandeln wie ein Gebäude auf Abbruch.

Falsche Propheten sind alle, die predigen und sagen, daß wir ohne Buße, Bekehrung und Wiedergeburt selig werden können.

Falsche Propheten sind alle, die im Adventismus, in den Kreisen der sogenannten Bibelforscher, im Spiritismus, im Okkultismus, in der Theosophie und Anthroposophie, im Sozialismus und Kommunismus ihre Stimme erheben und den Menschen in kräftige Irrtümer führen.

Weil alle falschen Propheten mehr oder weniger am Kreuze Christi vorbei und infolgedessen von Gott weg führen, ist es kein Wunder, daß der Abfall von Gott und Gottlosigkeit in geradezu erschütternder Weise zunehmen. Früher war der Unglaube das Privilegium der Gelehrten, heute ist es das Gemeingut der Masse geworden, uns es ist eine innere Notwendigkeit, daß uns solche Aussaat Anarchismus und Elend in jeglicher Form hervorgehen.
Der durch die falschen Propheten beschleunigte Abfall von Gott zeigt sich besonders stark in der Lockerung der Sittlichkeit, in der fleischlichen Unreinigkeit und Hurerei. Die Sünde gegen den eigenen Leib ist unter Männern und Frauen heute entsetzlich verbreitet. Die Sünde der Unkeuschheit in jeder Form, der Ehebruch, das Leben in wilder Ehe sind beinahe Selbstverständlichkeiten geworden.
Zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt wird der gegenwärtig mächtig wirksame Abfall von Gott und Christus eine persönliche Spitze erhalten, das heißt:
wie das Reich Gottes eine persönliche Spitze hat in Jesus Christus, so wird auch das Reich Satans, wenn es auf Erden um den entscheidenden Sieg ringt, eine persönliche Spitze erhalten in dem Antichristus.
Ein mit satanischen Fähigkeiten und Kräften ausgerüsteter Mann wird sich an die Spitze der Bewegung gegen Gott und Christus stellen und dann das Maß der Gottlosigkeit voll machen. Man lese Daniel 7 und Offenbarung 13!

Alles schreit heute nach dem großen, starken Mann, nach dem Diktator.
Er wird kommen, viel größer als die Menschen es sich träumen lassen. Er wird kommen als der Mensch der Ruchlosigkeit, als der Sohn des Verderbens, als der Mensch der Sünde. Er wird kommen als der ins Fleisch gekommene Satan, als der Sohn des Vaters der Lüge, der die höchsten Gaben und Kräfte und die höchste politische Macht in sich vereinigt. Er wird nichts unversucht lassen, um den Völkern ein irdisches Reich der Glückseligkeit zu verschaffen.
Was Wilson und seinen Mitgenossen nicht möglich war, das wird dem Antichristus, dem kommenden Diktator gelingen: die Gründung eines Völkerbundes der roten Internationale. Als höchster Wohltäter der Menschheit wird er auftreten und mit Zeichen und Wundern beweisen, daß er übernatürliche Kräfte in sich hat. Und gerade hier liegt die Gefahr der letzten Zeit. Sie liegt nicht zunächst in den Verfolgungen, die über die gläubigen Christen hereinbrechen werden, sondern in der satanischen Wundermacht des Antichristen und seines falschen Propheten.

Welches Volk den Antichristen hervorbringen und dann in der kommenden Weltrevolution die führende Rolle spielen wird, kann im Augenblick niemand sagen. Allgemein ist man der Ansicht, daß der Antichrist ein Jude sein werde. Jedenfalls wird er der ersehnte starke Mann sein, der die Zügel der Weltordnung in die Hand nehmen und seine Machtstellung befestigen wird. Mehr können wir über diesen Punkt nicht sagen. Vielleicht werden wir in nicht fernen Tagen deutlicher sehen. Vielleicht werden wir das bald miterleben.
Endlich und zuletzt, wenn die Not am größten ist, wird sich das herrlichste Zeichen offenbaren:

5. Das Zeichen des Menschensohnes!
„Alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am Himmel, und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden, und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit“ (Matth. 24,30).
„Siehe, Er kommt mit den Wolken, und es werden Ihn sehen alle Augen und die Ihn gestochen haben; und werden heulen alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen“ (Offb. 1,7).

Also! In großer Kraft und Herrlichkeit wird der Herr Jesus Christus in sichtbarer Gestalt vom Himmel herniederkommen als König aller Könige, als der Herr aller Herren, begleitet von den Engeln Seiner Macht und von vielen tausend Heiligen. Man lese 2. Thess. 1, 7-10; Offb. 19, 11-16 und Judas-Brief Vers 14!

Und zwar wird der Herr Jesus dann zu dem ganz bestimmten Zweck kommen, auf Erden das Reich Gottes, das Tausendjährige selige Friedensreich aufzurichten.

Sechs große Ereignisse werden und in der Heiligen Schrift genannt, durch die dieses reich Gottes auf Erden aufgerichtet werden wird.
1. Jesus Christus, der ewige Gottessohn, kommt in königlicher Macht und Herrlichkeit vom Himmel auf die Erde.
2. Der vom Himmel kommende Gottessohn wird bei Seiner Wiederkunft durch Seine königliche Allgewalt die äußere Herrschaft und Macht Satans stürzen und die reiche der Welt einnehmen. Satan, der Urheber und Schürer aller Gottesfeindschaft, wird gefesselt und mit seinem ganzen Dämonenheer für tausend Jahre im Abgrund verschlossen, so daß die Erde und die Luftbefreit und gereinigt sind von all den unheimlichen Satans- und Höllenmächten, die sie schon jetzt, ganz besonders aber in den dreieinhalb Jahren der großen Trübsal, erfüllen und beherrschen.
3. An jenem Tage der Wiederkunft Christi werden sich Gottesworte erfüllen, wie wir sie im Psalm 2; Jesaja 2; und Lukas 19, 17 lesen. Alle Gottlosen, die sich der Gottesherrschaft dann nicht unterwerfen wollen, werden sterben. Zwar wird der Antichrist alle Könige und ihre Kriegsheere aufrufen, um sich der Herrschaft Christi zu widersetzen (Offb. 19,19); aber es wird vergeblich sein.
4. Nach der Bindung Satans findet statt die 1. Auferstehung und die Verwandlung der dann noch lebenden Gläubigen zur Entrückung der ganzen vereinigten Gemeinde dem Herrn entgegen in die Wolken des Himmels. . . . und sie werden bei Ihm sein alle Zeit.
5. Durch eine außergewöhnliche Wirksamkeit des Heiligen Gottesgeistes wird das in Palästina versammelte unbekehrte Volk der Juden den wiederkommenden Gottessohn als seinen Messias und König annehmen.
6. Die ganze Schöpfung wird vom Fluch der Sünde befreit.


Über die Herrlichkeit und die Segnungen dieses Tausendjährigen Friedensreiches wird uns in der Bibel, dem Wort der Wahrheit, viel enthüllt. Im Propheten Jesaja 11, 4-9 wird uns mit wenigen Strichen ein überaus liebliches Bild dieses Reiches entworfen. Sonne, Mond und Sterne werden mit viel größerer Macht und Pracht leuchten und wärmen. Die Pflanzenwelt wird unvergleichlich schöner und üppiger sein als jetzt, und infolge der erhöhten Leuchtkraft und Wärmestärke der Sonne wird eine stark erhöhte Fruchtbarkeit der Erde eintreten (Amos 9, 13-15). Die Wildheit der Raubtiere wird verschwinden, und das gegenwärtige Morden in der seufzenden Tierwelt wird aufhören (Jes.11,6-9; 65,20). Infolge der Verbannung Satans, des Urhebers der Sünde, wird das Böse in jeder Form sehr stark zurückgedrängt sein. Alle dann lebenden Menschen werden in der Furcht Gottes wandeln. Dann werden sich die Zukunftsträume der Pazifisten in ungeahnter Weise erfüllen: Krieg wird nicht mehr sein. Alle Völker der Erde werden ihre Kriegswaffen zu Friedenswerkzeugen umschmieden. „Wenn dann ein Streit zwischen zwei Völkern entsteht, entscheidet nicht mehr das Zwangsmittel des Krieges, sondern Gottes Wort“. Ein Fülle des Friedens wird auf der ganzen Erde herrschen. Ein jeglicher wird im Frieden unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen (Micha4,4). Der und die Hauptstadt wird Jerusalem sein. In Jerusalem wird der Herrscherthron Jesu, des Friedenfürsten, stehen. Von dort aus wird Er herrschen und regieren von einem Ende der Erde bis zum anderen. Ausüben wird Er sein Regiment durch die Gläubigen, die an der Entrückung teilhatten, durch das bekehrte und gläubig gewordene Volk der Juden und durch die heiligen Engel (Sach. 8,7+13; Sach. 14, 16 f).

So gewiß die Gerichtstage Noahs und Lots kamen und kein Sohn der Aufgeklärten sie aufhalten konnte, so gewiß wird der Gerichtstag Gottes über uns kommen.



Zum Abschluß unserer Betrachtung noch einige Worte unseres Herrn Jesu selbst (Luk. 17):
„Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird es auch geschehen in den Tagen des Menschensohnes. Sie aßen, sie tranken, sie freiten bis auf den Tag, da Noah in die Arche ging, und kam die Sintflut, und brachte sie alle um. . . . Auf diese Weise wird es auch gehen an dem Tage, wenn des Menschen Sohn soll offenbar werden.“ . . .
Das Rad der Zeit rollt schneller denn je zuvor. Der Tag der Gnade eilt seinem Ende zu. Was wir in der Ferne aufflackern sehen, ist das Abendrot der Weltgeschichte geworden.
„Darum laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Laßt uns ehrbar wandeln, wie am hellen Tage, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Streit und Eifersucht. Ziehet vielmehr an den Herrn Jesus Christus”. (Röm. 13).

IV.

Gibt es ein Weltgericht?

Man redet viel von großen Tagen in der Weltgeschichte, von Tagen, die wie einsame Berge aufragen aus der Ebene der Jahrhunderte. Eigentlich gibt es nur vier große Tage: den Schöpfungstag, an dem Gott sprach: „Es werde Licht!“, dann den Weihnachtstag, an dem Engelmund der leidenden Menschheit die frohe Botschaft verkündigte: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der HErr!“, dann der Karfreitag, an dem Christus sterbend rief. „Es ist vollbracht!“, und schließlich den Jüngsten Tag, an dem die Stimme Jesu mit dröhnender Allgewalt vom Richterthron her erklingen wird, um nach dem Gericht alles neu zu gestalten und zu vollenden. – Das sind die unvergänglichen Tage der Menschheit. Unvergänglich und unvergeßlich sind sie deshalb, weil an ihnen die Ewigkeit in die Zeit hineinragt und das Tun Gottes in großartiger Weise offenbar wird. Vom Jüngsten Tage und seinen Ereignissen soll in diesem Vortrag die Rede sein.

Den allermeisten Menschen ist der Jüngste Tag mit seinem Geschehen ebenso fremd wie der Tag der Erlösung. Dem modernen Menschen, der sich in besonderer Weise durch Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit ausgezeichnet, dünkt das Weltgericht wie ein Wahn, wie ein Phantasiegebilde. Aber sie irren, die so denken. Wenn es kein Weltgericht gäbe, dann wäre unsere Zeit ein ewig dunkles Rätsel.
Nun hat man gesagt, die Weltgeschichte sei das Weltgericht. Gewiß, es sind furchtbare Gottesgerichte über die Welt ergangen, Gottesgerichte, im Blick auf die das Wort der Schrift gilt: „Er hat die Wurfschaufel in der Hand und wird Seine Tenne gründlich reinigen“ Matth. 3,12). Gottesgerichte war die Sintflut, deren Wasser die alte Erde begruben, die prasselnden Feuerflammen, die Sodom und Gomorra vernichteten, die Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Ein Gottesgericht für das römische Reich war die Zeit der Völkerwanderung. Ein Gottesgericht für den christlichen Osten brach an mit der Zeit Mohammeds. Ein Gottesgericht über das heidnisch gewordene Rom brach herein mit der Reformation. Ein Gottesgericht war die Zeit der französischen Revolution, als Gott die an den Hugenotten begangenen Missetaten der Väter an den Kindern und Kindeskindern heimsuchte. Ein Gottesgericht über unser Volk war die grundstürzende Revolution.

So haben Gottesgerichte seit dem Sündenfall die Geschichte der Menschheit durchwaltet. Aber in diesen mannigfachen Gottesgerichten hat sich das Weltgericht nicht vollzogen. Alle Gerichte Gottes im Laufe der Geschichte haben nur eine zeitliche Bedeutung gehabt, und von den meisten Gerichtsheimsuchungen Gottes im Leben ganzer Völker und im Leben einzelner Menschen werden wir sagen können, daß sie den Zweck haben, vor der Verdammnis im Jüngsten Gericht zu bewahren (1. Kor, 5, 5; 11,32; 1. Tim. 1,20). Nicht die Weltgeschichte ist das Weltgericht, sondern die Weltgeschichte wird mit dem Weltgericht abschließen, und in diesem alles abschließenden Weltgericht wird das gesamte Resultat der ganzen Menschheitsentwicklung gezogen werden. Im Weltgericht werden alle früheren Gerichte ihren Abschluß und ihre Vollendung finden. Im Weltgericht wird jedem Menschen sein ewiges Los angewiesen, und nach dem Weltgericht wird die Ewigkeit anbrechen.

I.  Ist dieses Welt Weltgericht fest verbürgt?

Jawohl. Einmal durch unmißverständliche Gottesworte, sodann durch ein allgemeines Gerechtigkeitsgefühl, das in jedes Menschen Brust wohnt. Tief in unserer Seele steht mit Flammenschrift geschrieben: es kommt ein Tag, der alles offenbar macht; es gibt nichts Verborgenes, das dann nicht ans Licht kommen muß!
Wie dieser Tag im einzelnen kommt, davon können wir uns keine genaue Vorstellung machen. Aber das wissen wir unerschütterlich gewiß, daß er kommt als ein Tag der Abrechnung, an dem Bücher aufgetan werden. Diese Ahnung können wir nicht aus unserem Bewußtsein austilgen, so gern wir es auch möchten. Das Gewissen hält uns den Tag der Abrechnung immer wieder vor Augen, und diese Gewissensahnung, die oft genug zur Gewissensangst wird, ist bestätigt durch unmißverständliche Gottesworte Heiliger Schrift:

Maleachi 3, 19: „ Siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen. Da werden alle Übermütigen und alle die gottlos handeln, sein wie Spreu, und der zukünftige Tag wird sie anzünden“.
2. Kor. 5,10: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf daß ein jeglicher empfangen, nach dem er gehandelt hat im Leibesleben, es sei gut oder böse“.
Matth. 25, 32: „Es werden vor Ihm alle Völker versammelt werden. Und Er wird sie voneinander scheiden, gleich wie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.“

Es ist doch höchst merkwürdig und bedeutsam zugleich. Daß in sehr vielen Fällen Menschen, die bei Lebzeiten den Glauben an das Leben nach dem Tode und ein Weltgericht verworfen hatten, unmittelbar vor ihren Tode ein großes Umdenken vollzogen, so Z.B. auch Heine und Voltaire, die zeitlebens über alles Göttliche mit Vorliebe zu spotten pflegten. Heine hat kurz vor seinem Tode den Glauben an Gott, Unsterblichkeit und Gericht offen bezeugt. Und Voltaire, der viel bewunderte Freigeist des vorigen Jahrhunderts, ließ an sein Sterbebett einen Priester kommen und begehrte den Trost der Kirche, die er bis dahin nur verspottet hatte. An der Spitze der Freidenker und Materialisten seiner Zeit hatte er den Unsterblichkeitsglauben und den Glauben an eine Vergeltung im Jenseits verspottet. Und was sagte er laut und vernehmlich vor seinem Tode. „Je vais chercher un grand Peut-etre.“ (Ich suche ein großes Vielleicht)
In unserer Sterbestunde, unmittelbar nach Eintritt des Todes, ergeht nach Hebräer 9. 27, (Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht) über den Menschen ein Urteil Gottes, nach welchem uns unser seliger oder unseliger Aufenthaltsort angewiesen wird. Kamen wir in unserem Erdenleben zum lebendigen Glauben an den Heiland Jesus Christus, dann werden wir aus dem Gericht der Sterbestunde hervorgehen als solche, denen im Paradies ein Platz der Freude und Wonne bereitet ist.

II.  Wer wird Weltrichter sein?

Zur Einleitung in die Beantwortung dieser Frage lesen wir Joh. 5, 22 und Matth. 25, 31:
„Der Vater richtet niemand, sondern alles Gericht hat Er dem Sohne übergeben“.
Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in Seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit Ihm, dann wird Er sitzen auf dem Thron Seiner Herrlichkeit. Und es werden vor Ihm alle Völker versammelt werden. Und Er wird sie voneinander scheiden, gleichwie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet.“
Aus diesen und anderen Stellen geht deutlich hervor, daß nicht Gott der Vater, sondern Gott der Sohn, Jesus Christus, der Weltrichter sein wird. Und warum wird Jesus Christus es sein? Die Antwort finden wir Johannes 5 Vers 27: „ Der Vater hat Ihm Vollmacht gegeben, auch das Weltgericht zu halten, darum, weil Er des Menschen Sohn ist“.
Weil Jesus des Menschen Sohn ist, darum ist er imstande und geeignet, die Welt gerecht zu richten. Er ist in den Tagen Seines Erdenlebens versucht worden, allenthalben gleichwie wir Menschen. Und weil Er so aus eigener Erfahrung vertraut ist mit den Anfechtungen und Kämpfen mit den Tiefen des menschlichen Herzens, darum kann Er sich ganz in unsere Lage versetzen und von da aus ein gerechtes und mildes Urteil sprechen.
Als der Herr Jesus zum erstenmal vom Himmel herabkam auf diese Erde, da kam Er in erbarmender und langmütiger Liebe und konnte sagen: „Ich bin nicht gekommen, die Welt zu richten, sondern sie zu retten! (Joh. 3,17). Wenn Jesus aber als Weltenrichter erscheint, dann hat Seine Langmut ein Ende. Auf den Wolken des Himmels wird Er dann kommen, angetan mit großer Kraft und Herrlichkeit, eingehüllt in den Feuerglanz vergeltender Gerechtigkeit. – Was ist das doch für ein ergreifender Gedanke! Derselbe Jesus, der einst in Niedrigkeit auf dieser Erde wandelte, . . . der schließlich ans kreuz genagelt wurde, derselbe Jesus wird als Weltenrichter auf dem Thron sitzen. Dann wird Er statt der Dornenkrone eine Herrlichkeitskrone tragen. … Wenn Er dann allen Menschen sichtbar auf dem Richterthron erscheinen wird, angetan mit Herrlichkeit und Kraft, dann wird ein Erschrecken durch die Herzen vieler gehen.

III.  Wen wird Jesus im Weltgericht richten?

Nicht nur Satan und die gefallenen Engelwelt: Die sind schon unmittelbar vor dem Endgericht verurteilt zu ewiger Bestrafung im Feuersee (Offb. 20, 10).
Auch die Gläubigen, die an der 1. Auferstehung teilhatten, kommen nicht in das Endgericht. Wir lesen:
Johannes 3, 18: „ Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“
Joh. 5, 24: „Wahrlich, Ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der Mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“
Gewiß, auch die Gläubigen werden im Weltgericht anwesend sein, aber nicht zu dem Zweck, damit über ihr ewiges Schicksal entschieden werde. Aus verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift geht klar und deutlich hervor, daß die Gläubigen mit Jesus Christus das Weltgericht halten werden:
1. Korinther 6, 2: Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden! So nun die Welt soll gerichtet von euch werden, seid ihr nicht gut genug geringe Sachen zu richten? Wisset ihr nicht, daß wir über die Engel richten werden? Wieviel mehr über die zeitlichen Güter.“
Lukas 22, 30: „Wisset ihr nicht, daß ihr essen und trinken sollt in Meinem Reich und sitzen auf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels?“
Die Gemeinde Jesu, die im gegenwärtigen Zeitalter bis zur herrlichen Wiederkunft Jesu gesammelt, gereinigt und zubereitet wird, hat an der ersten Auferstehung und an der Herrschaft Jesu Christi im Tausendjährigen Reich teil. Am Tage des Weltgerichts ist sie längst geschieden von den Böcken. Dann ist sie längt vollendet. Als vollendete Brautgemeinde wird sie Jesus im Weltgericht umgeben und an der Sprechung des Urteils mitwirken.
Noch eine zweite Klasse von Menschen kommen nicht ins Endgericht, nämlich die, die sich in ihrem Erdenleben mit Wissen und Willen gegen Gott und Seinen Heilsratschluß in dem Erlöser Jesus Christus entschieden haben, die mit vollem Bewußtsein den Erlöser und Versöhner Jesus verworfen haben. Diese Verächter, die nicht wollten, daß Er über sie herrsche, werden bereits im Gericht der Sterbestunde unmittelbar nach dem Tode, als völlig gerichtsreif in den Feuersee, als ihren ewigen Bestimmungsort geführt. An ihnen ist das Gericht bereits vollzogen, so daß sie ins Weltgericht nicht mehr zu kommen brauchen. Markus 16, 16: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet.“

Wer kommt denn nun ins Endgericht des Jüngsten Tages?

1. Alle Ungläubigen, die die Reife für die Verdammnis im Erdenleben noch nicht erreicht haben.

2. Alle diejenigen, die im Erdenleben nicht zum lebendigen Heilsglauben durch Buße und Bekehrung hindurchgedrungen sind, die nicht von neuem geboren sind und darum in die Gemeinde Jesu, deren Namen im Himmel angeschrieben sind, nicht aufgenommen werden konnten, die sich aber auch nicht im krassen Unglauben gegen den Herrn entschieden haben. Es werden also alle diejenigen sein, die in einer landläufigen Frömmigkeit am Christentum festhalten, an Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen teilnehmen und doch als halbe Christen unter der Herrschaft des Satans und der Sünde bleiben; die wohl fromm sind, aber keine Vergebung der Sünden und keine Heilsgewißheit haben. Nach dem Gericht der Sterbestunde wurden sie in das Totenreich mit seinen verschiedenen Abstufungen geführt und mußten dort im bangen Warten auf den Gerichtstag verharren.

3. Endlich kommen in das Endgericht alle die, denen das Evangelium von Jesus in den Tagen ihres Erdenlebens unbekannt geblieben ist, sei es, daß sie in Zentralafrika oder sonst irgendwo in der nacht des Heidentums lebten und starben, oder sei es, daß sie inmitten einer toten Namenschristenheit das Wort von Jesus, dem Heiland der Welt, nie klar und geistesmächtig gehört haben.
Diese drei großen Menschengruppen kommen ins Endgericht und werden von Jesus Christus und Seiner Gemeinde gerichtet werden.

IV.  Nach welchem Maßstabe werden diese drei Menschengruppen im Jüngsten Gericht beurteilt und gerichtet werden?

Die Gläubigen, die Jünger und Jüngerinnen des Herrn Jesus, also die Glieder der Brautgemeinde, die teilhaben an der ersten Auferstehung, an der Herrschaft Christi im Tausendjährigen Reich, und die dann mit Christus zum Endgericht kommen, diese Jünger Jesu müssen von neuem geboren sein und ein Leben der Hingabe an Gott haben.
Ein ganz anderer Maßstab wird im Endgericht an die drei großen Menschengruppen gelegt. Es wird uns angedeutet in folgenden Bibelstellen:
Matth. 25, 35 ff.: “Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt Mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt Mich getränkt. Ich bin Gast gewesen, und ihr habt Mich beherbergt. … Was ihr getan habt einem unter diesen Meinen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir getan.“
Jeremia 32, 19: „Deine Augen stehen offen über alle Wege der Menschenkinder, daß du einem jeglichen gebest nach seinem Wandel und nach der Frucht seines Wesens.“
Matth. 12, 36: „Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, daß sie geredet haben Aus deinen Worten wirst Du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“

Matth. 16, 27: „Denn es wird geschehen, daß des Menschen Sohn komme in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen Engeln; und alsdann wird er einem jeglichen vergelten nach seinen Werken.“

Römer 2, 5-10: „Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken: Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade und Zorn, Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen. Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und Griechen.“

Römer 2, 14-16: „Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, sind dieselbigen, dieweil sie das Gesetz nicht haben, ihnen selbst ein Gesetz, als die da beweisen, des Gesetzes Werk sei beschrieben in ihrem Herzen, sintemal ihr Gewissen ihnen zeuget, dazu auch die Gedanken, die sich untereinander verklagen oder entschuldigen, auf den Tag, da Gott das Verborgene der Menschen durch Jesum Chris richten wird laut meines Evangeliums.“
Offb. 2, 23: „ Und ich will euch geben einem jeden nach euren Werken.“

Off. 20, 12: „Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott. Und Bücher wurden aufgetan, und ein anders Buch ward aufgetan, welches ist des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darinnen waren, und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken.“

Offb. 22, 12: „ Siehe Ich komme bald und Mein Lohn mit Mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.“

Aus allen diesen Schriftworten geht deutlich hervor, daß die Menschen, die ins Endgericht kommen, nach einem anderen Maßstab beurteilt und gerichtet werden als die Jünger und Jüngerinnen Jesu, die an der ersten Auferstehung, an der Entrückung und der Herrschaft Christi im Tausendjährigen Reich teilhaben. „Siehe, Ich komme bald, und Mein Lohn mit mir, zu vergelten einem jeglichen, wie sein Werk sein wird!“ Und zwar ist es das Handeln und Wandeln im Leibesleben auf Erden, das den entscheidenden Ausschlag gibt. Ein jeglicher wird gerichtet nach seinen Werken im Verhältnis zu der ihm dargebotenen Gnade, nach seinem guten oder bösen Werken, die es nach seiner Erkenntnis und nach seinem gewissen getan oder nicht getan hat.
„Und es wurden Bücher aufgetan.“ (Offb. 20,12), so hat es der Prophet Johannes auf Patmos gesehen, Bücher, in denen wahrheitsgetreu alles Tun und Lassen der einzelnen Menschen aufgezeichnet ist. Der Weltrichter wird dabei genau berücksichtigen, was ein jeder an Licht und Gnade empfangen hat: es wird das ganze Leben in allen Einzelheiten entrollt, so daß kein unnützes Wort, das wir redeten, übergangen wird. Dann wird sich jeder erkennen als den, der er wirklich ist. Die Gerichtsverhandlungen werden nicht lange dauern, eben weil alles genau aufgezeichnet ist in den untrüglichen Büchern Gottes.

V.  Wohin kommen die verschiedenen Menschengruppen nach dem Endgericht?

Es ist nicht ganz leicht, diese Frage zu beantworten. Am einfachsten machen es sich die, die sagen: die einen kommen in den Himmel, die andern in die Hölle. Aber so ganz einfach ist die Sache denn doch nicht. Um zur Klarheit zu kommen, fragen wir zunächst:
a.) Wohin kommen nach dem Endgericht des Jüngsten Tages die Gläubigen, die im Erdenleben auf Grund des Opfertodes Jesu durch Buße und Bekehrung fähig und würdig wurden für die erste Auferstehung…., – wohin kommen diese Gläubigen nach dem Weltgericht ?
Antwort: Nach Offenbarung 21 und 22 werden sie auf der neuen Erde wohnen, im neuen Jerusalem, jener herrlichen Stadt, deren Baumeister der Herr selber ist. Ich bitte sehr, diese beiden letzten herrlichen Kapitel der Bibel besinnlich lesen zu wollen!
b.) Wohin kommen die drei großen Menschengruppen, die an der zweiten Auferstehung teilhatten und im Endgericht gerichtet wurden?
Antwort: Sie kommen entweder in das Reich, das ihnen bereitet ist von Anbeginn der Welt (Matth. 25, 34) oder in des ewige Feuer. (Matth. 25, 41).
In das „von Anbeginn der Welt bereitete Reich“, das nach Offenbarung 21, 24 vermutlich auf der neuen Erde sein wird, kommen alle, die im Weltgericht zur Rechten standen, die Jesus anredete als „Gesegnete Meines Vaters“. Wohlverstanden. Diese Seligen der zweiten Auferstehung, die nicht verwechselt werden dürfen mit den Jüngern Jesu, mit den Gliedern der Brautgemeinde, diese Seligen, die im Jüngsten Gericht zur Rechten standen, kommen nicht in den Himmel, nicht in das himmlische Jerusalem, nicht in die Nähe Gottes und Jesu, sondern in das „Reich“, das nach meinem Schriftverständnis irgendwo auf der neuen Erde sein wird.
In das „ewige Feuer“, oder, wie es in der Offenbarung heißt, in den „Feuersee“ kommen alle die, die im Weltgericht zur Linken standen. Es sind die Ungläubigen und Ungerechten, die nicht aus der Wahrheit waren, die die Finsternis mehr liebten als das Licht, weil ihre Werke böse waren und sie davon nicht lassen wollten. Es sind die, die an Jesus undankbar und frivol vorübergingen und nicht wollten, daß Er über sie herrsche. Es sind die, die alle Liebe und Geduld Gottes und Jesu von sich stießen und mit den Füßen traten. Ihnen hat Jesus vom Richterthron die ernsten Worte zugerufen: „Gehet weg von Mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“ (Matth.25, 41).
Die Seligkeit im Reiche Gottes ist den Menschenkindern „von Anbeginn“ bereitet. Die Verdammnis im Feuersee ist nur dem Teufel und seinen Engeln bereitet. Wird sie dennoch den Menschenkindern angewiesen als ewiger Aufenthaltsort, so ist das nicht Gottes Plan, sondern menschliche Schuld. Gott ist und bleibt absolut schuldlos an dem Verlorengehen der Unseligen. Sie haben es ja so mit Gewalt gewollt. Der Herr gibt ihnen dann nur, was sie nach ihrem eigenen Willen erwählt haben. Die Ausführung beider Urteile erfolgt sofort. Die zur Linken werden in die ewige Pein geführt, aber die zur Rechten in das ewige Leben im Reiche Gottes auf Erden.
Wo wird dein ewiger Platz sein?


In unserer Bibel steht ein kurzer Satz, der in diesem Zusammenhang von größter Bedeutung ist. Er heißt: „Herr, Deine Gerichte sind gerecht“ (Offb.16,7). Dieses Wort wird auf allen Gebieten und in der Ewigkeit wahr bleiben. Es steht auch geschrieben über die Pforte zur Hölle, zum Feuersee.
Dies tadellose Gerechtigkeit Gottes wird sich auch darin zeigen, daß es in dem Grad der Verdammnis und Finsternis, der Qual und Pein, Unterschiede geben wird. Der höchste Grad wird dem Satan und seinen beiden greulichsten Werkzeugen: dem Antichristen und dem falschen Propheten zugewiesen (Offb. 20, 10).
Ähnlich wird es denen ergehen, die während der Herrschaft des Antichristen das Malzeichen des Tieres angenommen, als den Antichristen als ihren Herrn anerkannt und angebetet haben (Offb. 14, 9-11). Für die übrigen Verdammten wird der schlimmste Grad nicht ausdrücklich angegeben. Bedeutsam ist aber die Stelle Matthäus 11, 20-24, wo der HErr Jesus den Städten Chorazin, Bethsaida und Kapernaum zuruft, daß es den Städten Tyrus, Sidon und Sodom erträglicher ergehen werde im Jüngsten Gericht als ihnen. An verschiedenen Stellen des Evangeliums (Matth.10, 40-42; Markus 9, 41; Luk. 14, 14+14) redet der HErr Jesus auch von solchen Menschen, denen es in der Ewigkeit vergolten werden soll, daß sie in den Tagen ihres Erdenlebens einen Jünger Jesu aufgenommen, oder daß sie einem Armen und Unglücklichen Gutes getan haben. Hierher gehört auch das bekannte Wort Jesu: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn er euch ausgeht, sie euch aufnehmen in ihren Hütten“ (Luk.16, 9).

VI.  Welches Los teilen die Unseligen in der Hölle, wie wird es ihnen dort ergehen?

Die Heilige Schrift gewährt und durch verschiedene Ausdrücke einen Blick in den Zustand der Verdammnis. Sie spricht im Blick auf sie von einem zweiten Tode. Damit wird angedeutet, daß die Unseligen in der Hölle keinerlei Verbindung mit Gott, der Quelle alles Lebens mehr haben. An anderer Stelle spricht sie von einer Wiedervergeltung für das getane Böse, von einer ewigen Pein und einer nie aufhörenden Qual, von einer äußersten Finsternis und einem Heulen und Zähneknirschen, von einer ohnmächtigen Auflehnung gegen diese furchtbare Pein (Matth.8, 12; 18, 8; 22, 13: 25, 30. 46; Mark. 9,46; Luk. 16, 24; u.a.).Das sind freilich furchtbare Ausdrücke. Sie sollen uns die ganze Schrecklichkeit und Unaussprechlichkeit der Not und Qual derer schildern, die sich selbst für die Verdammnis bestimmt haben.

Und worin wird alle Not und Qual ihre letzte Ursache haben? Nun, zunächst in der Trennung von Gott, der Quelle aller Seligkeit, und in der Trennung von Jesus, der Sonne aller Freude, sodann in dem Verluste alles dessen, worin sie auf Erden Befriedigung suchten. Denken wir nur an den reichen Mann. Er muß Purpur, köstliche Leinwand, Wein, Tanz, Spiel, Paläste, Schätze und alles, was zu seiner Belustigung diente, zurücklassen. Die Leidenschaften der Seele aber, das Verlangen nach irdischen Freuden und Genüssen, nimmt er mit. Wie furchtbar muß das sein! Vielleicht besteht auch für die Unseligen die Möglichkeit, ins reich der Seligen hinüberzuschauen, wie es bei dem reichen Mann im Totenreich der Fall war. Was für eine furchtbare Qual muß das sein, wenn die Verdammten die Seligkeit des Volkes Gottes von weitem sehen und sich dann sagen müssen: Da könnte ich jetzt auch sein, auch mir ist das Heil Gottes in Jesus angeboten! Auch ich hatte Gelegenheit, das Evangelium zu hören und mich zu bekehren, aber ich habe nicht gewollt. Und schließlich wird das Bewußtsein der Hoffnungslosigkeit hinzukommen. Kein Lichtstrahl, der Hoffnung und Erlösung ankündigt, wird in jene Finsternis fallen.

Wie lange wird dieser Zustand dauern?
Die Antwort auf diese Frage lautet:
Ewig!

Denn also steht geschrieben:
Daniel 12, 2: Etliche werden zu ewiger Schande und Schmach aufstehen.
Matthäus 25, 46: Sie werden in die ewige Pein gehen.
Offenbarung 14, 11: „Der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit“.
Markus 9, 43-48: „Ihr Wurm stirbt nicht, und ihr Feuer erlöscht nicht“.
Johannes 3, 36: „Der Zorn Gottes bleibt über ihnen“.
Matthäus 3, 12: „Die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer“.

Wer diese Schriftworte, die durch viele noch vermehrt werden könnten, unbefangen liest, dem kann kein Zweifel darüber bleiben, daß es eine ewige, das heißt endlose Verdammnis gibt. Man hat dies vielfach bestritten Von dem ersten Jahrhundert der christlichen Kirche an bis auf unsere zeit herab, sind die Geister nie ausgestorben, die eine Wiederbringung, das heißt eine schließliche Bekehrung aller Menschen, mit Einschluß Satans und der gefallenen Engel, lehren. Sie meinen aus Gründen der Schrift und der Vernunft glauben und lehren zu müssen, daß nach langen, langen Zeitläufen auch die Verdammten, ja selbst der Teufel, selig werden.

Nun, zu dieser Lehre von der „Wiederbringung aller Dinge“ möchte ich bemerken, daß ich mich selbstverständlich sehr freuen würde, wenn schließlich alle Menschen noch selig werden. Soweit ich aber meine Bibel kenne und verstehe, redet sie an keiner einzigen Stelle mit Deutlichkeit davon. Was Jesus und die Apostel verkündigt haben, ist über allem Zweifel Klar: „Wer glaubt, der wird gerettet, wer aber nicht glaubt. Kommt ins Gericht, ja er ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ (Joh. 3, 18)

Auch die Behauptung, daß die Unseligen am Ort der Qual schließlich vernichtet werden, so daß dann jedes Gewimmer und alles Stöhnen für immer verstummt sei, ist ohne sicheren Schriftgrund. Wir wollen diese Frage mit all den anderen geheimnisvollen Rätseln und Dingen, die unser kleines Herz so schwer fassen und verstehen kann, ruhig in die Hand Gottes und Jesu legen. Er wird das letzte Wort sprechen.
Unendlich viel wichtiger als all diese Fragen nach dem schließlichen Ergehen der Unseligen, ist für uns eine andere Frage: Wie werden wir fähig und würdig, um teilhaben zu können an der ersten Auferstehung und der Entrückung dem Herrn entgegen in die Wolken, um bei Ihm zu sein allezeit, sowohl während des Tausendjährigen Reíches, als auch im Weltgericht und für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten im himmlischen Jerusalem, in der Stadt der goldenen Gassen – wie werden wir dazu fähig?
Antwort: Wenn wir jetzt in der uns von Gott geschenkten Gnadenzeit dem Ruf des Evangeliums folgen und uns mit ganzer Kehrtwendung zu Jesus bekehren..
Siehe, darum handelt es sich jetzt für dich: Du mußt durch Bekehrung und Wiedergeburt ein neuer Mensch, ein Gotteskind werden und dich dann im Gange des Alltaglebens ausweisen als ein Jünger Jesu.

Wenn der Herr Jesus zum Weltgericht kommt, dann werden von Ihm zwei Bücher geöffnet, die Gott selbst geführt hat und in denen wahrheitsgetreu alles Tun und Lassen der einzelnen Menschen geschrieben steht. Diese beiden Bücher werden als „das Lebensbuch“ und „das Schuldbuch“ bezeichnet.
Im „Schuldbuch“ stehen die Namen und Sünden aller Menschen, die in die Welt geboren werden, geschrieben.

Im „Lebensbuch“ stehen die Namen aller Menschen geschrieben, die am Himmel und Seiner Herrlichkeit teilhaben.
In der Stunde des Jüngsten Gerichts nun wird das der Höhepunkt der Spannung unter der des Urteils harrenden Menschheit sein, wenn aus dem Lebensbuch die Namen derer verlesen werden, die eingehen dürfen in die ewige Freude ihres HErrn.

Mein Freund, wirst du dann auch dabei sein dürfen?

V.  Der Himmel und seine Herrlichkeit.

Es ist ein Wagnis, zu Menschen unserer Tage über den Himmel zu reden. Was interessiert den modernen Menschen der Himmel! Er trachtet ja in sehnsüchtiger Verblendung nach dem, was auf Erden ist, und überläßt in völliger Gleichgültigkeit den Himmel „den Engeln und den Spatzen“. Menschen, die die Heiligkeit Gottes und die Abscheulichkeit der Sünde geringschätzen und für das Evangelium Gottes kein Verständnis mehr haben, lehnen natürlich den Himmel als einen längst überwundenen Standpunkt ab. Wir haben mit solchen Menschen herzliches Mitleid und bedauern sie aufrichtig. Aber das sollen diese lieben Freunde wissen, daß ihr überlegenes Lächeln, ihr hochmütiges Gerede vom „intellektuellen Defizit“ der Frommen, vom Mangel an Verstand und „unverzeihlicher Rückständigkeit“ bei uns nicht den geringsten Eindruck macht. Und wenn es heute dank der sogenannten Aufklärungsschriften so weit gekommen ist, daß der gewöhnliche Mensch einen bibelgläubigen Christen, der noch an den Himmel glaubt, bedauert und verlacht, so macht uns das durchaus nicht irre, im Gegenteil, es befestigt uns in unserem Vertrauen zur Bibel, die an einer Stelle sagt: „Der natürliche Mensch versteht nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit“ (1.Kor. 2, 14).
Aber Gott Sei Dank gibt es auch heute noch Menschen die sich nach dem Himmel mit seiner Herrlichkeit sehnen, die auf den Himmel warten wie unsere Kinder auf den Weihnachtsabend. Und gerade in unseren Tagen mehr sich die Zahl derer, die solche Sehsucht im Herzen tragen, die nicht verlorengehen möchten in der Verdammnis, die vielmehr selig werden und sein möchten in der himmlischen Herrlichkeit.
Nun wollen wir in dieser Stunde miteinander nachdenken und zu verstehen suchen, was Gottes Wort uns über diesen Gegenstand sagt.
Wo ist der Himmel?
Wieviel Himmel gibt es?
Wie wird es im Himmel sein?
Was ist uns von der Beschaffenheit und Herrlichkeit des Himmels geoffenbart?
Worin wird für uns die Seligkeit des Himmels bestehen?
Für wen ist der Himmel da?
Wer ist ausgeschlossen vom Himmel und seiner Herrlichkeit?
Das mögen die Fragen sein, die uns jetzt beschäftigen sollen.


I.  Wo ist der Himmel?

Die Heilige Schrift redet von einem dreifachen Himmel:
1. Der Lufthimmel, der wie eine Feste um den Erdball gespannt ist. Er ist mit mehr oder wenige Wasserdünsten angefüllt und befeuchtet die Erde mit fruchtbarem Regen. Diesen sichtbaren Lufthimmel hat Gott am zweiten Schöpfungstag geschaffen (1. Mose1, 6-8). Dann redet die Heilige Schrift
2. Vom Sternenhimmel, der sich in die weitesten fernen ausdehnt. In diesem Himmel schweben die vielen, vielen Himmelskörper: die Sonne, der Mond und all die ungezählten Sternen- und Sonnenwelten. Dieser Sternenhimmel schuf Gott am 4. Schöpfungstage (1. Mose 1, 14-19). Nach 2. Petri 3, 7-12 wird er am Tage des Herrn mit Krachen vergehen. Dann werden die Sterne vom Himmel fallen, gleichwie ein Feigenbaum seine Früchte abwirft (Offb. 6, 13). Schließlich redet die Heilige Schrift
3. Vom Herrlichkeitshimmel, der für uns unsichtbar ist. Dieser unsichtbare Herrlichkeitshimmel wurde „am Anfang“ geschaffen (1. Mose 1,1). Wo er sich befindet, können wir nicht sagen. Vielleicht ist es uns näher, als wir meinen. Als Stephanus starb, sah er den offenen Himmel ganz nahe. In diesem Herrlichkeitshimmel wohnt Gott. Dort sind auch die Wohnungen der Engel, dort ist auch das Vaterhaus unseres Gottes mit den vielen Wohnungen für die durch Jesus erlösten und durch den Heiligen Geist wiedergeborenen Gotteskinder.
Wo also ist der Himmel, das himmlische Vaterhaus Gottes? Unsere Antwort lautet: Nicht im sichtbaren Lufthimmel, nicht auf den Sternen, sondern im für uns unsichtbaren Herrlichkeitshimmel.

II.  Wie viele Herrlichkeitshimmel gibt es?
Zunächst stellen wir fest, daß sowohl im Alten als auch im Neuen Testament das Wort „Himmel“ immer in der Mehrzahl steht: die Himmel. Es gibt also nicht nur einen, sondern mehrere Himmel. Wie viele Herrlichkeitshimmel es im Unsichtbaren gibt, darüber sagt die heilige Schrift nichts Bestimmtes. Aus verschiedenen Andeutungen der Schrift scheint aber hervorzugehen, daß es drei Himmel geben muß. 1. Mose 2, 2ff. werden deutlich unterschieden:
1. Der Garten 2. Eden, 3. die übrige Erde.
Diese Dreiteilung finden wir wieder in der Stiftshütte:
1. Allerheiligstes, 2. Heiliges, 3. Vorhof.
Nach Hebräer 8, 5 und 9, 24 ist aber die Stiftshütte ein Schatten der wahrhaftigen Hütte, nämlich des Himmels. Hinzu kommt, daß Paulus in 2. Kor. 12, 2 von einem dritten Himmel spricht, in den er entrückt wurde. Wir gehen deshalb wohl kaum fehl, wenn wir annehmen, daß es in der unsichtbaren Welt drei Herrlichkeitshimmel gibt: den Thron Gottes und zwei Himmel als Wohn- und Bleibstätte für die Seligen und die Engel.

III.  Wie wird es im Himmel sein?

Durch die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift wissen wir, daß je und je Menschen gewürdigt wurden, einen Blick in den Himmel zu tun. Zum Beispiel Mose, Jesaja und Paulus. Als Mose auf dem Berg Sinai das himmlische Heiligtum sah, wurde sein Angesicht glänzend wie die Sonne (2.Mose 24, 38). Als Jesaja den Allherrn Jehova auf einem hohen und herrlichen Thronhimmel sitzen sah und den Lobgesang der Seraphim hörte, war es so überwältigt, daß er zusammenbrach (Jes. 6,1). Und als Paulus bis in den dritten Himmel entrückt wurde, vernahm er geheimnisvolle Dinge, so kostbar und herrlich, daß Menschen sie nicht begreifen können (2.Kor. 12,1ff).
Aus diesen verschiedenen Offenbarungen Gottes im Leben Seiner Knechte geht zunächst bestimmt hervor, daß der große und herrliche Gott, der mit Seiner Gegenwart alles erfüllt und durchdringt, den aller Himmel Himmel nicht zu fassen vermögen – daß dieser große Gott einen Ort Seiner unmittelbaren Gegenwart hat, einen Ort, wo der Thron Seiner Herrlichkeit steht. Diese Stätte des Thrones Gottes wird uns in der Heiligen Schrift als der höchste und herrlichste Himmel gezeigt. Von dorrt wird die ganze Fülle der Gnade Gottes in Christo Jesu durch den Heiligen Geist in die Welt getragen und den Menschenkindern nahe gebracht, angeboten und zugeeignet.

IV.  In welchem Zustande werden sich die Seligen im Himmel befinden?

Wir beantworten diese für uns so bedeutsame Frage, indem wir sagen:
Die Seligen befinden sich im Himmel im Zustand der Sündlosigkeit und völligen Freiheit von allen Nöten und Sorgen. Gotteskinder sind ja schon jetzt selig im Herrn; aber sie leben noch in einer vom Satan beherrschten Welt und haben noch oft genug, ja täglich Kampf und Angst. Sie werden angefochten und versucht, sie müssen oft genug leiden unter der leichtumstrickenden Sünde. Versuchungen aus der eigenen Lust, Versuchungen von seiten der Welt und Menschen, Versuchungen von seiten des Satans und Prüfungen von Seiten Gottes stellen sie immer wieder in den Kampf des Glaubens, wo es am heißesten ist. Bedrückt von eigener und fremder Not, weinen sie oft Tränen.
Alles das wird im Himmel nicht mehr sein. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn alles ist vergangen“ (Offb. 21, 4). Im Himmel gibt es keinen Glaubenskampf mehr gegen die Sünde und die Folgen der Sünde. Der Satan mit seinen Versuchungen kann an die Seligen im Himmel nicht mehr heran. Er ist verbannt und verdammt in den Feuersee geworfen. . . . Völlige Erlösung von Sünden und jeglicher Not, das ist das erste Stück der himmlischen Herrlichkeit.
Als zweites Stück der himmlischen Herrlichkeit und Seligkeit nennen wir die ungetrübte Erkenntnis des Herrn und aller göttlichen Gedanken und Führungen. Solange wir noch in dieser Welt der Unvollkommenheit leben, ist unsere Erkenntnis Gottes und Seiner Führungen nur Stückwerk. Es ist uns jetzt nicht möglich, das Wesen Gottes selbst zu schauen; wir sehen nur Spiegelbilder und Schattenumrisse. Ein solcher Spiegel sind die Werke der Schöpfung aus denen wir das unsichtbare Wesen Gottes, Seine ewige Kraft und Gottheit einigermaßen wahrnehmen können. Ein hellerer Spiegel ist das Wort Gottes in der Bibel, das uns ein deutliches und klares Bild Gottes vor die Seele stellt; aber es ist doch auch nur ein Spiegelbild. Eben deshalb ist unsere Erkenntnis Gottes Stückwerk. Das eigentliche Wesen Gottes bleibt uns noch dunkel und rätselhaft. Wer kann die Dreieinigkeit Gottes: Vater, Sohn und Heiliger Geist verstehen? Wir müssen mit dem Psalmisten sagen: „Solche Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch. Ich kann es nicht begreifen“ (Psalm 139, 6). Genau so verhält es sich mit den Führungen Gottes in unserem Leben und im Gange der Welt- und Menschheitsgeschichte. Wir können sie beobachten und vielleicht auch gelegentlich anfangsweise verstehen; aber der tiefste Zusammenhang, die letzten Ursachen und Absichten Gottes sind und bleiben uns hier unten verborgen.
Das alles wird im Himmel anders sein. Dort werden wir ohne Spiegel den Herrn von Angesicht zu Angesicht sehen. Alle Rätsel werden licht und aufgeschlossen und gelöst sein. Dann werden wir den ganzen Ratschluß Gottes, auch die verborgensten Wege und dunkelsten Führungen im hellen Lichte erkennen. Dann werden wir vorbehaltlos einstimmen in das Lied Moses und des Lammes: „Groß und wunderbar sind Deine Werke, Herr, allmächtiger Gottgerecht und wahrhaftig sind Deine Wege, Du König der Heiden. Wer sollte Dich nicht fürchten, Herr, und Deinen Namen preisen? Denn Du bist allein heilig; denn alle Heiden werden kommen und anbeten vor Dir; denn Deine Urteile sind offenbar worden“ (Offb. 15, 3-4). Dann werden wir Gott erkennen, gleichwie wir von Gott erkannt sind (1.Kor. 13, 12).
Als drittes Stück der himmlischen Herrlichkeit nenne ich die völlige und ungetrübte Freude der Seligen im Himmel. Schon jetzt im Erdenleben gibt der Herr Jesus den Seinen einen Vorgeschmack der unvergänglichen Freude. Das wissen alle de, die durch Buße und Glauben Gotteskinder geworden sind. Sie haben schon jetzt ein singendes Herz, weil ihnen Schuld- und Sorgenlasten vom Herze genommen sind. Nun aber wird uns diese Freude leider noch oft getrübt durch die verschiedensten Dinge und Ereignisse, durch Krankheit, Not, Tod und Trauer. Im Himmel aber werden wir uns ohne Unterbrechung und ohne jede Trübung freuen. Es steht geschrieben:
„Die Erlösten des Herrn werden wiederkehren und gen Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupt sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauer und Seufzen wird von ihnen fliehen“ (Jes. 51, 11). „Ihr werdet euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, das Ende eures Glaubens davonbringen, nämlich der Seelen Seligkeit“ (1.Petri 1, 8.9).
Als viertes Stück der himmlischen Herrlichkeit nenne ich die Gemeinschaft der Seligen mit allen Seligen und den Engeln. Ohne diese Gemeinschaft würde der Himmel aufhören, ein Ort der Freude zu sein. Nun aber besteht auf Grund vieler Schriftworte die Tatsache, daß wir im Himmel reichlich Gelegenheit haben, mit dem Miterlösten Gemeinschaft zu pflegen.
Werden sich die Seligen, die sich auf Erden gekannt haben, dort wiedererkennen? Nun, darüber kann nach den Worten der Schrift kein Zweifel sein. Im Himmel werden wir und wiedererkennen als solche, die im Erdenleben Beziehungen zueinander hatten. Dort werden wir in köstlicher Gemeinschaft leben mit allen Gläubigen. Wir werden mit ihnen zu Tische sitzen und ein Herz und eine Seele sein.
Diese Gemeinschaft der Seligen untereinander wird im Himmel eine vollkommene sein. Schon hienieden ist die Gemeinschaft der Kinder Gottes untereinander etwas Köstliches und Stärkendes, wenn die einzelnen Gläubigen im Lichte wandeln. Das weiß jeder aus Erfahrung, der die Kinder Gottes liebt und in Beziehungen der Liebe zu ihnen steht. Leider wird die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander oft gestört durch die List Satans und durch die Sünde der Selbstsucht und Kritiksucht, des Ehrgeizes und Neides und dergleichen mehr. Im Himmel wird das nicht mehr der Fall sein.. Dort wandeln wir im Licht, das vom Thron Gottes her leuchtet. Dann wird unseres Heilandes Gebet um die Einheit des Volkes Gottes (Joh.17, 21) erhört sein. Jeder Unterschied, der heute unter dem Volke Gottes durch die verschiedenen Erkenntnisstandpunkte besteht wird verschwunden sein…
Aber nicht nur die Erlösten er Herrn werden wir in innigster Gemeinschaft stehen, sondern auch mit den Engeln; denn also heißt es im Worte Gottes, Hebräer 12, 21.23: „Wir sind gekommen zum Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem und zu der Menge vieler Engel.“ Jetzt dienen und die Engel zu unserer Seligkeit. Im Himmel werden sie die Genossen unserer Freude sein.
Als fünftes Stück der himmlischen Herrlichkeit nenne ich das unvergängliche und unbefleckte und unverwelklichen Erbe. Im Blick auf dieses kostbare Erbe sagt Paulus 1. Kor. 2, 9: „Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und keinem Menschen in den Sinn gekommen ist, das hat Gott denen bereitet die Ihn lieben.“
In der Heiligen Schrift wird dieses kostbare Erbe der Heiligen angedeutet mit dem Satz: „Sie werden Ihm – dem Herrn Jesus – ähnlich sein“ (1.Joh. 3,2; Röm. 8,29). Können wir es uns vorstellen, in welcher Lichtherrlichkeit unser Herr und Heiland ist? Sein Angesicht leuchtet unendlich viel heller als die Sonne in ihrer Kraft, und Sein Herrlichkeitsthron ist mit allen Zeichen der göttlichen Majestät geschmückt. In allen diesen Stücken nun werden die Seligen in den Himmeln ihrem Heiland ähnlich sein. Auch sie werden leuchten wie des Himmels Glanz, wie die Sonne in ihres Vaters Reich (Matth. 13, 43). Auch sie werden herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit (2, Tim. 12; Offb. 3, 21; Offb. 22,5).
In einem Seiner Gleichnisse (Matth. 25) spricht der HErr Jesus vom frommen und getreuen Knecht: „Du bist über wenigem getreu gewesen, Ich will dich über viel setzen“.
Epheser 1, 18 redet der Apostel von einem lauteren Strom lebendigen Wassers, klar wie ein Kristall. Der ausgeht vom Throne Gottes (Offb. 22,1) und von einem gläsernen Meer, gleich mit Feuer gemischtem Kristall (Offb. 4, 6; 15, 2). Und von den Bäumen des Lebens, die zwölferlei Früchte tragen und jeden Monat ihre Früchte bringen (Offb. 22,2).

V.  Für wen ist der Himmel mit seiner Herrlichkeit?

Zur Einleitung in die Beantwortung dieser wichtigen Frage lese ich uns zwei Worte aus dem Munde Jesu:
„Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr“ (Matth. 5, 3).
„Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“ (Matth.5, 8).
Wem also gehört das Himmelreich? Antwort: Den geistlich Armen.
Wer wird Gott schauen im Reich der Himmel? Antwort: Die Reinen im Herzen. …
Der Himmel mit seiner Herrlichkeit ist nicht da für die Wissensstolzen, auch nicht für die Kulturstolzen und nicht für die Tugendstolzen. …
Der Himmel ist da für die, die in Erkenntnis ihres Elend, ihrer Sünde und Schuld ihre Zuflucht genommen haben zu dem HErrn und Heiland Jesus Christus.
Glückselig sind die Armen im Geist!
Glückselig sind die Menschen, die mit all ihrem Meinen und Denken zuschanden geworden und als arme verlorene Sünder zum Heiland gekommen sind! Durch den Glauben an Jesus, den gekreuzigten und auferstandenen Heiland, haben sie Vergebung der Sünden und Reinigung von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes bis in die Tiefen des Herzens hinein erfahren. In das so gereinigte Herz und Leben ist durch den Geist Gottes ewiges Leben geströmt. Die Augen des Herzens sind geöffnet für Gott, für ewige und göttliche Dinge, so daß nun himmlischer Friede, himmlische Freude und die Gewißheit des ewigen Lebens in ihnen sich ausbreiten.
Einst wurde der kranke Lenau von seinem Pfleger durch den Park des Sanatoriums geführt. Eine leichte Schneedecke lag über dem ausgedehnten Park. Nur an einer Stelle hatte man das Blumenbeet vom Schnee befreit. Als Lenau an dieses Beet herantrat zwang es ihn nieder, und mit tränenfeuchten Augen rief er aus: „Es wird Himmel! Es wird Himmel!“ Ein Stück Naturherrlichkeit legte ihm diese Worte auf die Lippen – Liebe Freunde, so ruft auch der geistlich Arme, der zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen ist, wenn Jesus mit Seinem Geist bei ihm einzieht: Es wird Himmel!

VI.  Und wer ist ausgeschlossen vom Himmel und seiner Herrlichkeit?

Um die Beantwortung dieser letzten Frage einzuleiten, lese ich uns ein Wort Heiliger Schrift, das gleichsam als Warnungstafel auf dem letzten Blatt der Bibel steht:
„Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder der die Lüge liebt und tut“ (Offb. 22, 15).
Liebe Freunde. Wir gehört, daß die Heilige Schrift mit großer Deutlichkeit redet von einem „seligen Drinnen“, von einem seligen Geborgensein in der Himmelsherrlichkeit. Nun sein jetzt zum Schluß noch bezeugt, daß die Heilige Schrift mit ebensolcher Deutlichkeit redet von einem „verhängnisvollen Draußen“, von einem Aufenthaltsort der Unseligen außerhalb des Himmels und seiner Herrlichkeit. Wem wird dieses verhängnisvolle Draußen gelten? Wer wird ausgeschlossen sein vom Himmel? Jetzt höre zu. Die soeben verlesene Warnungstafel sagt uns Genaueres über die Menschen, die draußen sind.
Die erste Klasse, der das „Draußen“ zugerufen wird, werden Hunde genannt. Wohlverstanden, es handelt sich um Hunde im buchstäblichen Sinne, nicht um Tiere, sondern um Menschen, die die Kennzeichen der Hundenatur besitzen, nämlich das Bellen und Zerreißen. „Draußen sind die Hunde“, will also sagen, draußen sind die Beller und Kläffer gegen Gott, gegen Jesus Christus und gegen das Volk Gottes. Draußen sind die Spötter und Lästerer.
Draußen sind die Zauberer, genauer gesagt, die Giftmischer. Das sind zunächst Leute, die das Wort Gottes verdrehen, verfälschen und vergiften. Willst du solche Zauberer, solche Giftmischer an der Arbeit sehen, dann schau hinein in das Lager der theologisch-philosophischen Bibelkritiker, der Spiritisten, der Anthroposophen und der vielen neuzeitlichen religiösen Sekten.!
Zu diesen Zauberern gehören auch alle, die Krankheiten besprechen, Sympathiemittel gebrauchen, Amulette verkaufen und durch Kartenlegen und Handlesen Wahrsagerei betreiben. Und in vielen Fällen auch die, die durch Magnetismus und Hypnose Kranke behandeln und unter Bann bringen.
Draußen sind auch die Hurer. Zunächst die Leute, die den Lüsten des Fleisches leben, die Sklaven ihrer Fleischeslust sind. Dann aber auch alle die, die vor der groben Todsünde nicht zurückschrecken, aber mit Augen voll Ehebruchs (2. Petri 2, 14) und verzehrender Begierde erfüllt sind –
Im Westen unseres Vaterlandes lag ein Mann auf dem Sterbebett. Immer wieder stöhnte er: „Ich sollte, aber ich kann nicht!“ Alles Bitten seiner Frau. Er möge doch sagen, was ihn bedrücke, war vergeblich. Nach Tagen furchtbarer Kämpfe starb er in dieser Verfassung. Ein Jahr später fand in jener Stadt eine Evangelisation statt. Unter den erweckten Seelen war auch eine junge Frau. Sie fand den Weg in die Sprechstunde des Evangelisten und bekannt ihm ihre Sünde. Jetzt wurde offenbar, weshalb jener Mann vor Jahresfrist ein so schweres Sterben hatte. Er hatte mit dieser Frau die Ehe gebrochen.
Ach, wie viele Männer und Frauen, junge Männer und junge Mädchen gibt es, die zu dieser Klasse der Unreinen und Unkeuschen, der Hurer und Ehebrecher gehören!
Draußen sind auch die Mörder. Das sind zunächst die tatsächlichen Mörder, wenn sie in ihrer Sünde verharren und nicht zur Buße und zur Bekehrung kommen. Aber Gottes Wort versteht unter Mord viel mehr. Höre zwei Bibelworte:
„Ich sage euch, wer seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig, wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha! Der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig“ (Matth. 5, 22).
„Jeder, der seinen Bruder hasset, ist ein Totschläger und ihr wisset, daß ein Totschläger nicht ewiges Leben in sich bleibend hat“ (1. Joh. 3, 15).
Betrachten wir die Menschen im Licht dieser beiden Gottesworte, dann müssen wir sagen, daß heute Mörder in großer Zahl an der Arbeit sind, indem sie über ihre Mitmenschen in mörderischer Gesinnung mit giftigen und vernichtenden Worten reden und urteilen.
Und wie viele Männer sind durch ihre Lebensführung zu Mördern ihrer Frauen geworden! Wenn ich an all die leidvollen Geschichten denke, die ich in unserem Krankenhaus von Frauen gehört habe, dann muß ich sagen: Ungezählte Männer haben durch ihr Verhalten, durch ihr schandhaftes Leben ihre Frauen in frühen Tod gebracht. Alle diese Mörder werden einst draußen sein.
Draußen sind auch die Mörder und Mörderinnen gegen das keimende Leben.
Auch die Schieber, die Lebensmittelverteurer, Wucherer und alle, die in mammonistischer Gesinnung die Preise künstlich hinauftreiben, auch wenn sie gelegentlich von ihrem Wuchergeld für allerlei wohltätige Zwecke gegeben haben. Sie alle werden draußen sein.
Auch die Götzendiener, jene Leute, die irgendeinen toten oder lebendigen Gegenstand mehr lieben als den lebendigen Gott und Seinen Sohn, werden draußen sein.
Und schließlich auch die Lügner und alle, die die Lüge lieben und üben.
Draußen werden auch sein die Weisen und Verständigen, denen das Wort von Jesus, dem ewigen Gottessohn, und Seinem Kreuz auf Golgatha eine Torheit ist.
Draußen werden auch sein die Selbstgerechten, die da meinen, weder der Buße noch der Erlösung durch Christi Blut zu bedürfen.
Und draußen werden alle sein, die die Sünde mehr liebten als die Erlösung aus Sünde und Schuld.
Sie alle werden einst draußen sein, ferne von Gott und der Himmelsherrlichkeit, am Ort der Not und Qual.

Lieber Freund, wohin neigt sich jetzt dein Herz? Wo wird dein ewiger Platz sein?

info@horst-koch.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




50 Jahre unter Tibetern (G.Heyde)

Gerhard Heyde

50 Jahre unter Tibetern

Das Leben der Pioniermissionare Wilhelm und Maria Heyde, 1857 – 1907

  • Neu eingestellt und leicht gekürzt von Horst Koch. Auch die Heraushebungen sind von mir. Im Juni 2023 –

ZUM GELEIT
Sechzig Jahre vor dem berühmten Sven Hedin überquert ein deutscher Klempnergeselle den Himalaja, aber er führt weder die Botanisiertrommel noch das Notizbuch mit sich, sondern die Bibel und die Herrnhuter Losungen. Wilhelm Heyde ist von der Brüdergemeine beauftragt, zusammen mit einem anderen Missionar in Zentralasien das Werk der Liebe zu beginnen.
Seit jenem Julitag des Jahres 1853, an dem die beiden mit klopfenden Herzen in einem englischen Hafen standen und auf das Schiff warteten, das sie zum fernen Calcutta bringen sollte, ist mehr als ein Jahrhundert vergangen. Weltreiche brachen zusammen, kühne Träume wurden Wirklichkeit, die Kultur des Abendlandes drang bis in die entlegensten Teile der Erde. Die Probleme des Jahres 1860 sind nicht mehr die unseren.
 . . . Gerhard Heyde schrieb das Lebensbild seiner Eltern im Jahre 1921 . . .
So schlugen die Missionare kurzentschlossen ihrer heimatlichen Behörde vor, im indischen Tibet, im unteren Tal von Lahoul, eine Missionsstation zu errichten, und die Erlaubnis hierfür sollte ein mutiger Beginn werden. Aus einer kurzen Durchreise wurde für Wilhelm Heyde ein fünfzigjähriger Aufenthalt im tibetischen Volksraum.
Wir bilden uns heute kaum einen Begriff von dem Maß an Arbeit, das Heyde bewältigt hat. . .  Auf einsamem Posten in einer noch unerschlossenen Gebirgswelt, einem beschwerlichen Winter ausgesetzt, vom Widerstand der buddhistischen Lamas umgeben, so verrichtete er, mehr als einmal vor dem Tod bewahrt, der seine Familie vielfach heimsuchte, seinen Dienst als Seelsorger, Prediger, Bibelübersetzer, Arzt und Geograph. Der äußere Erfolg dieser zähen Arbeit war, an Zahlen gemessen, nur gering; so dauerte es zum Beispiel zehn Jahre, ehe der erste Tibeter vom Geist des Evangeliums überwunden wurde und um die Taufe bat. . . .
So hat sich (Maria Hartmann) die Missionarstocher aus Surinam, die dem Bräutigam einst, ohne ihn zu kennen, über den Ozean gefolgt war, ein halbes Jahrhundert lang als treue Gehilfin ihres Gatten erweisen können. Die Briefe ihrer Mutter aus der Einsamkeit des Urwaldes waren für sie ein kostbares Vermächtnis, das ihr von Kind an bis ins hohe Alter Schutz und Stärke gewährte. (Siehe das Buch von Ruth Schiel: Hochzeit in Tibet)
Gerhard Heyde, Wuppertal-Barmen, April 1960

Auf eigenen Füßen
Es war an einem Sommertag des Jahres 1837. Da fuhr ein hochgetürmter Lastwagen durch die Straßen der kleinen Herrnhuter Kolonie Gnadenfrei in Schlesien. Hoch oben thronte ein ärmlich gekleidetes Büblein von 12 Jahren, das mit dunklen Augen in die Welt hineinschaute. Unten stand die weinende Mutter, eine einfache Bauersfrau, und winkte ihrem Sohn ein letztes Lebewohl zu.
Der Knabe hieß Wilhelm Heyde. Sein höchster Wunsch war es, zu „studieren” und in den Besitz einer Geige zu gelangen. Beides blieb ihm versagt. Die akademische Bildung konnte er nach Jahren durch fleißiges Privatstudium zum Teil noch ersetzen, und die musikalische Begabung ging später auf den ältesten Sohn über, der es auch im Geigen- und Orgelspiel zu einer bedeutenden Fertigkeit brachte. Wilhelm Heyde aber mußte als zwölfjähriges Kind Heimat und Vaterhaus verlassen, um in der Fremde ein Handwerk zu erlernen. Seine Eltern waren nämlich arm und hatten ein Häuflein Kinder zu ernähren.  . . . 
Der Prediger in Gnadenfrei vermittelte es, daß der kleine Wilhelm nach Herrnhut kam, um dort bei dem Klempnermeister Weber in die Lehre zu gehen. Da gerade eine Fahrgelegenheit nach Herrnhut sich bot, wurde der Knabe oben aufgestaut und machte mit dem Fuhrmann die viertägige Reise nach Herrnhut. Seit dem Jahre 1829 hatten sich „die Heydes” der Herrnhuter Gemeinde in Gnadenfrei angeschlossen. Der Vater war bis dahin dem Namen nach katholisch, dem Herzen nach freilich schon längst evangelisch. Er stammte von frommen katholischen Eltern . . .  Auch die Mutter des Knaben war eine Schlesierin, Eleonore geb. Hanke aus Gallowitz.
Die Lehrzeit, die der Knabe in Herrnhut antrat, dauerte sechs Jahre und war sehr hart. Der Geist in dem Hause des Meisters war nichts weniger als christlich, obwohl die Leute auch zur Brüdergemeine gehörten. Die äußere Zugehörigkeit zu einer frommen Gemeinschaft ist eben noch keine Bürgschaft für den christlichen Wandel.  . . .  Auch mußte er oft hungern und Mißhandlungen von dem groben Meister erdulden. Die fernen Eltern wußten nichts davon, denn ihr Sohn schwieg darüber. Er wuchs unter Gottes Schutz trotz mancherlei Versuchungen gesund an Leib und Geist heran; denn „es ist ein köstlich Ding einem Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage”.
Eine heitere Geschichte zeugt von dem kindlichen Gemüt des Knaben: Sein hartes Los hatte das Mitleid der Nachbarn erregt, und eine ältere Herrnhuter Schwester sagte einst zu dem Lehrjungen: „Du mußt dir nicht alles von deinem Meister gefallen lassen.” Das hatte er sich gemerkt, und bei der nächsten Gelegenheit, als ihn der Meister wieder schlug, wurde der bisher so gutmütige Junge aufsässig. Erstaunt fragte ihn der Meister, wie er dazu komme. Prompt lautete die Antwort: „Eine Schwester hat mir gesagt, ich soll mir nicht alles gefallen lassen.” Aber auf die Frage des Meisters konnte er ihren Namen nicht nennen. Einige Zeit darauf geht er mit dem Meister über die Straße und sieht die Schwester von ferne. Kaum daß er sie erkannt hat, so führt er seinen Herrn zu ihr hin, gibt ihr die Hand und spricht zu ihm: „Das ist die Schwester, die mir gesagt hat, ich solle mir nicht alles gefallen lassen.” Die nächste Folge dieser urwüchsigen Offenheit des Knaben war eine etwas peinliche Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten, die des komischen Beigeschmackes nicht entbehrte. Eine weitere Folge aber war, daß sich von da ab die Behandlung besserte.
Auch lernte der Meister den Fleiß, die Zuverlässigkeit und die geschickte Hand seines Lehrlings und späteren Gesellen immer mehr schätzen. Und dieser dachte auch nach vollendeter Lehrzeit nicht daran, das ihm zur zweiten Heimat gewordene Herrnhut zu verlassen.  . . . Hier hat er vor allem den Frieden des Herzens gefunden, den die Welt nicht geben kann. Darüber schreibt er unter dem 13. Juli 1853: „In Herrnhut wurde ich durch die Barmherzigkeit meines Erlösers aus dem Tode ins Leben erweckt, hier lernte ich mein sündiges Herz kennen, aber auch den gekreuzigten Heiland, der mich mit Gott versöhnt hat, und dessen starke Hand mich nun sicher und gewiß führt.”

60 Jahre vor Sven Hedin
Nachdem der Knabe, Jüngling und Mann 15 Jahre in Herrnhut zugebracht hatte, trat die entscheidende Wendung seines Lebens ein. Der „ledige Bruder Wilhelm Heyde” erhielt von der Missionsbehörde der Brüdergemeine den Ruf, mit noch einem anderen Bruder namens Pagell die „Mongolen-Mission” in Zentralasien zu beginnen. Diese Berufung traf den Ahnungslosen wie ein Blitz aus heiterem Himmel und machte ihm viel zu schaffen.
. . . Wenn sie ihm hätten ins Herz schauen können, so hätten sie sich nicht gewundert. Da tobte ein Kampf. Da sprachen die Gedanken dafür und dagegen. Da stand er auf dem Scheideweg: Sollte er den großen Sprung ins Unbekannte wagen oder nicht? —
Es war ja nichts Außergewöhnliches in Herrnhut, daß einfache Laienbrüder in die Mission berufen wurden und den Weg über das Weltmeer antraten. In diesem Fall aber war es doch etwas Besonderes. Inner-Asien und das Mongolenland! Wer kannte damals jene Gebiete, die ein Sven Hedin erst 60 Jahre später erschließen sollte? Wer hatte eine rechte Vorstellung von dem Weg, der dorthin führte, und von den Verhältnissen, die es zu berücksichtigen galt? Uns erscheint der damals gefaßte Missionsplan fast wie ein Abenteuer.  . . .
August Wilhelm Heyde entschied sich damals für den Sprung ins Dunkle. Er tat es im Vertrauen und Gehorsam gegen die Stimme, die er in sich vernahm. Und daß er mit einer außerordentlichen Zähigkeit diese einmal eingeschlagene Richtung seines Lebensweges verfolgte, indem er 50 Jahre in Zentralasien ausharrte, ohne einmal dazwischen europäischen Boden gesehen zu haben, das ist die Tat, mit der er hier auf Erden seinen Gott preisen durfte. —
Der Plan einer „Mongolen-Mission” war im Jahre 1850 infolge einer Anregung des China-Missionars Dr. Gützlaff gefaßt worden. . . . Zu dem Zweck sollten ihre Missionare auf dem Festlandswege über Südrußland nach Asien reisen. Da jedoch die russische Regierung die dazu nötigen Pässe verweigerte, mußte der weite Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung eingeschlagen werden; denn einen Suezkanal gab es damals noch nicht.
Zuvor aber mußten umfassende Vorbereitungen getroffen werden. Denn der diesmalige Auszug aus Heimat und Vaterland war nicht so einfach zu bewerkstelligen wie die Reise, die das 12jährige Büblein einst auf dem Lastwagen von Gnadenfrei nach Herrnhut unternahm. Vor allem galt es die mongolische Sprache zu erlernen und einige medizinische Kenntnisse sich anzueignen. Für beides bot sich 1852 auf 1853 Gelegenheit in dem weltfernen Schwarzwalddörflein Königsfeld. Der Vorsteher jener Brüdergemeine, namens Zwick, war nämlich des Mongolischen mächtig; denn er hatte längere Zeit das Vorsteheramt der Brüdergemeine in Sarepta, unweit des heutigen Stalingrad, versehen und dort im Verkehr mit den Kalmücken deren Sprache erlernt. Der dortige Arzt Dr. Hultsch hatte sich bereiterklärt, die angehenden Missionare im Medizinischen zu unterrichten. Ein praktischer achtwöchiger Kursus in der „Charite” zu Berlin ergänzte später noch die theoretischen Anweisungen des Königsfelder Arztes in wertvoller Weise. Die englische Sprache hatte Heyde bereits als Geselle in Herrnhut von einem dort weilenden Apothekerlehrling aus London zu erlernen begonnen.

Heiligabend auf dem Ganges
Am 13. Juli 1853 konnte endlich die Reise beginnen. Drei Tage vorher waren die beiden Missionare in Herrnhut ordiniert und in feierlicher Weise von der Gemeine verabschiedet worden. Über Berlin und Hamburg ging es nach London, wo die Reisenden mit Missionar Rebsch von der englisch-kirchlichen Missionsgesellschaft zusammentrafen, der mit seiner Familie auf dem Rückweg nach Indien begriffen war. In seiner Begleitung machten sie die weitere Reise bis nach Benares. Natürlich ging dieselbe nicht so rasch und bequem vor sich wie heutzutage. Am 3. August fuhren sie in Portsmouth ab, und am 23. November erreichten sie Calcutta. Die über drei Monate währende Segelfahrt um das Kap der Guten Hoffnung verlief trotz verschiedener Stürme günstig. . . .
Mit klopfendem Herzen und freudiger Erwartung betraten sie das asiatische Festland. . . .  Ihr Reiseplan bestand darin, von Calcutta aus den Nordwest-Himalaja zu erreichen, wo ihnen in Kotghur bei Simla das gastliche Haus des deutschen Missionars Prochnow zur Verfügung stehen sollte. Von dort aus wollten sie dann über das Hochgebirge und die chinesisch-tibetische Grenze in die Mongolei vordringen.
Eine Eisenbahn gab es damals noch nicht, und so mußten sie sich und ihr Gepäck bis Benares dem heiligen Fluß der Inder, dem Ganges, anvertrauen. Sie mieteten sich nach Landessitte zwei große, zum Teil bedeckte Boote.  . . .  Nach etwa neun Tagen fuhren sie in den eigentlichen Ganges ein. Von da ab ist die Wirkung von Ebbe und Flut nicht mehr spürbar, und das Boot mußte fortan vom Ufer aus an langen Seilen flußaufwärts gezogen werden. Ein recht umständliches Verfahren, zumal man oft auf Sandbänke stieß!
Wieviel gab es nun aber währenddessen zu sehen, wieviel neue Eindrücke konnten auf der langsamen Fahrt in Ruhe aufgenommen und verarbeitet werden!
Die Stimmung war gleichwohl freudig und getrost. Das Bewußtsein, als Boten Christi von einer betenden Gemeinde in die Welt des Heidentums hinausgesandt zu sein, erfüllte die Herzen der beiden schlichten Herrnhuter Brüder mit missionarischem Hochgefühl. Weihevoll begingen sie in ihrer Einsamkeit auf dem Boot den Heiligen Abend, deutsche Weihnachtslieder über den Wassern des Ganges anstimmend.
Und von der Neujahrsnacht heißt es: „Sie war uns besonders gesegnet. Wir flehten den Herrn gemeinschaftlich um seinen Segen für uns an, insonderheit für unsere Mongolen-Mission. Und der Herr bekannte sich zu uns mit seiner fühlbaren Nähe. Unsere Herzen waren voll Frieden.”  . . .
Der letzte Teil dieser Reise war für Heyde recht beschwerlich, weil er heftig erkrankte. Hohes Fieber, Appetitlosigkeit, Erbrechen und arge Schmerzen in der Gegend der Leber stellten sich ein und nahmen so zu, daß man an seinem Aufkommen zweifelte. Als das Boot am Abend des 6. Februar seinen Bestimmungsort Benares erreichte, war der Kranke so schwach, daß er sich nicht mehr aufrichten konnte. Ein Wagen brachte ihn in das Haus des Baptisten-Missionars Heinig. Dort fand er die sorgsamste Pflege und ein lieber englischer Arzt besuchte ihn sehr fleißig. Seine Behandlung kostete am Ende „mit Einschluß der Medizinen und Blutegel” weiter nichts als einen herzlichen Dank. Gott segnete die angewandten Mittel, so daß der Kranke genas und nach 14 Tagen die Weiterreise antreten konnte.  . . .
Am 21. Februar verließen Heyde und Pagell die „heilige” Stadt Benares und traten die Fahrt durch die glühendheiße Ebene des Landes an. In drei Wochen legten sie den etwa 300 Kilometer weiten Weg bis nach Meerut zurück. Die meist schnurgerade, breite und an beiden Seiten mit hohen schattigen Mangobäumen bestandene Straße war gut unterhalten, der Verkehr äußerst lebhaft. Oft fuhren mehr als 50 jener landesüblichen zweirädrigen Ochsenwagen in langer Reihe hintereinander, mit Baumwolle und anderen Waren beladen. . . . Tagelang reisten sie mit einem aus Benares kommenden Pilgerzug, der sich aus 40 schönen mit weißen Ochsen bespannten Wagen zusammensetzte.  . . .

Quer durch den Himalaja
Groß war die Freude der zwei Missionare, als sie am 20. März 1854 zum ersten Mal den Himalaja aus der Ferne erblickten, und sieben Tage darauf, am 27. März, sich bei Anbruch des Tages auf allen Seiten von hohen Bergwänden umgeben sahen. In dem kleinen Städtchen Kalka wurden die Wagen übergeladen, denn nun begann die Fußreise durch das Gebirge. Auf 32 Träger wurden die Gepäckstücke verteilt, und am 29. März ging es die steilen Berghänge hinauf, nach Simla!
Am 1. April wurde Simla erreicht, das Juwel des Nordwest-Himalaja. Es gibt wohl wenig Stellen, wo die Herrlichkeit der Natur in so überwältigender Fülle sich dem Auge darbietet wie die Südhänge des Himalaja. Die Monsunwinde, die vom Indischen Ozean herkommend über das Indusgebiet in der nordindischen Tiefebene dahinstreichen, wässern sich erst an dem gewaltigen, bis zu 9000 Meter emporsteigenden Gebirge ab und führen ihm dadurch die ganze Fülle der sommerlichen Monsunregen zu. Deshalb ist der Südhang des Himalaja das prachtvollste Waldgebirge der Erde.  . . .
Simla, die liebliche Villenstadt, liegt wie in einem Paradiesgarten; und unvergleichlich ist von dort aus der Anblick der Bergketten, die in gewaltigen Kulissen, eine immer höher über der anderen, von der tropischen Farbenpracht bis zu den ewigen Schneegipfeln sich aufbauen. — Heute geht eine Eisenbahn bis Simla, damals konnte man die Stadt nur auf der wohlgepflegten Bergstraße erreichen.
Kurz vor der Stadt führt diese Straße durch einen Wald von märchenhafter Pracht. Derselbe besteht aus hohen Alpenrosenbäumen . . .  Heyde schreibt davon in seinem Tagebuch: „Dreierlei hat mich ganz besonders ergriffen und mir die Größe und Herrlichkeit Gottes gepredigt: das Meer mit seinen mächtigen, sturmgepeitschten Wellen, die Schneeberge des Himalaja und — die Pracht des Rhododendronwaldes bei Simla!”
Doch nur einige Stunden rasteten die wandernden Missionare in der schönen Stadt. Dann ging es weiter, dem vorläufigen Ziel ihrer Fahrt entgegen. Das war ein kleines Dörflein, inmitten der Hochgebirgswelt gelegen, namens Kotghur. Dort sollte das Haus des Missionars Prochnow den beiden «Mongolen-Brüdern« eine Unterkunft für die nächsten Monate bieten. Dort sollten sie sich im Englischen vervollkommnen und ihre weiteren Sprachstudien aufnehmen, bevor sie über die tibetische Grenze ihrem eigentlichen Ziel, der Mongolei, zustrebten. Am 4. April 1854 kamen sie nach einer Reise von dreiviertel Jahren in Kotghur an und wurden aufs herzlichste von der Familie Prochnow empfangen. Auch fanden sie dort die ersten europäischen Briefe vor. —
Kotghur wurde nun fast ein Jahr der Aufenthaltsort der beiden Reisenden. Ein Häuschen, eine Stunde oberhalb der Missionsstation, wurde ihnen zur Wohnung überwiesen. . . .  Doch die Umgebung war herrlich. An zwei Seiten des Hauses stand prachtvoller Zedernwald, dessen Untergrund mit wilden Rosen, Jasmin, Efeu bedeckt war…, und über alles ragten die schneebedeckten Berge.
Missionar Prochnow hatte den beiden gesagt, es könne nicht mehr sehr weit bis zur Mongolei sein, da er oft Mongolen-Karawanen an seinem Haus vorüberziehen sehe. Bei näherer Untersuchung zeigte es sich aber, daß die Mongolen-Karawanen aus Tibetern bestanden. Da auch die Karte lehrte, daß man durch Tibet nach der Mongolei reisen mußte, beschlossen die Brüder, zunächst Tibetisch zu lernen. Ein 48jähriger Lama aus Ladakh mit rotem Kleid und langem schwarzem Bart war ihr Sprachlehrer. Es hatte viel Mühe gekostet, bis sie ihn für diesen Zweck gewonnen hatten. . . .

Am 26. März 1855 kam der Tag, an dem Heyde mit seinem Gefährten in Kotghur aufbrach, um in die wilde, damals noch ganz unerschlossene Gebirgswelt des Himalaja einzudringen. Der Weg, den er in den folgenden Jahrzehnten noch oft zurücklegen sollte, war beschwerlich und nicht selten gefährlich. Er führte über die fast 4000 Meter hohe Jalori-Kette und den Rotang-Paß in das Hochgebirgstal von Lahoul; aus der Pracht des tropischen Gebirgswaldes in die Bergwüste des Zentralhimalaja. Vom Rotang-Paß, der die große Grenzscheide bildet, steigt man nach Lahoul hinab. Kahle Berge, nacktes Felsengestein und an den Nordhängen vielfach Eis und Schnee bestimmen jetzt das Landschaftsbild. Erst nach einigen Tagesreisen, den Chandra-Fluß entlang, wird der Anblick freundlicher. Grüne Matten und stattliche Felder umsäumen hier die Ufer des Flusses. Weiden, Pappeln und Aprikosenbäume, die wilde Johannisbeere, sowie zerstreute Kieferngruppen bilden den spärlichen Baumwuchs. Rings an den Berghängen klettern malerisch die tibetischen Dörfer mit ihren fast übereinander stehenden flachgedeckten Lehmhäusern empor. Eines dieser Dörfer, an dem die Missionare vorbeizogen, trägt den Namen Kyelang (Menschen-Nest).

. . .  Steile Felsschluchten, reißende Gebirgsflüsse und immer wieder neue Pässe gilt es zu überwinden. Schwebende Hängebrücken aus Seilen oder Weidengeflecht führen über Abgründe, und hier und da setzt man mit Hilfe von aufgeblasenen Ochsenhäuten über die Ströme. Dazu leuchten jetzt die Berge mit ihrem bunten Tongestein oft in märchenhafter Farbenpracht. Alles in allem: ein ebenso beschwerlicher wie seltsamer Weg für den Fremdling, der ihn zum ersten Mal betritt. Gangbarer wird die Straße erst wieder und bevölkerter die Gegend, wenn das breite Indus-Tal erreicht ist, das in der Richtung von Südosten nach Nordwesten sich zwischen den Ketten des Himalaja hinzieht. Hier sieht man wieder Felder, Dörfer und buddhistische Klöster, die oft, mit großer Kühnheit angelegt, den Felsennestern und Ritterburgen des Mittelalters gleichen. — Die Landschaft trägt den Namen Ladakh, und ihre größte Stadt ist das 3500 m hoch gelegene Leh.
Diese Stadt, auf einer sandigen Ebene erbaut, ist der Schnittpunkt verschiedener Karawanenstraßen. Sie hat einen weitläufigen Marktplatz und wird von einem alten, großen Königsschloß überragt.
Leh war das vorläufige Reiseziel der Missionare. Mehr als 12 Wochen waren sie unterwegs gewesen, bald hier, bald dort freiwillig oder unfreiwillig rastend. Sie hatten den Weg meistens zu Fuß, teilweise auch zu Pferd zurückgelegt. Um sich dem Volke anzupassen, reisten sie in der Tracht der Lamas. Ihre Begleitung bestand aus den immer wechselnden Trägern und aus der Person ihres Sprachlehrers, des oben erwähnten Lama. Er war Führer und Dolmetscher zugleich. Doch kehrte er um, bevor sie das Indus-Tal erreicht hatten, da er fürchtete, die Lamas in Leh würden ihm Vorwürfe machen, daß er die Weißen ihre Sprache gelehrt habe.
Das bisherige Ergebnis der Reise war, daß die durchzogenen Gebiete nicht von Mongolen bewohnt waren. Nur dem Namen nach waren diese den Einheimischen bekannt. Das bisher erkundete Land war von Tibetern besiedelt, den Bewohnern des ehemaligen westtibetischen Reiches, dessen letzte Reste von Kaschmir 1836-41 erobert worden sind. Die Hauptstadt von Westtibet war Leh in Ladakh. Heydes Ziel aber war nicht Tibet, sondern die Mongolei. Darum durfte auch Leh kein längerer Aufenthaltsort sein. „Vorwärts nach dem Norden und zu den Mongolen”, das war die Losung der Missionare. So machten sie sich nach dreiwöchigem Aufenthalt in Leh wieder auf die Wanderschaft, stärkten sich aber zuvor durch den Genuß des heiligen Abendmahls. Daß sie dabei statt des Weines nur Wasser hatten, war wohl ungewöhnlich, aber keine Hinderung des göttlichen Segens.
Von Leh ging es über die Kailas-Berge und den Changsong-Paß (5700 m) zum dunkelblauen, salzigen Pangkong See, den sie nach viertägigem Marsch erreichten. Hier wurde die Gegend immer mehr zur Wüste. Kein Baum, kein Strauch war auf den weiten Sandflächen zu sehen. Die regenarme Hochebene Innerasiens hatte begonnen, und die Grenze von Rudok, einer Provinz Großtibets, war in unmittelbare Nähe gerückt. Damit aber auch das Ende der Reise in die Mongolei. Denn was schon die Lamas in Leh vorausgesagt hatten, traf nun ein: bewaffnete Grenzwächter hinderten die Reisenden an der Überschreitung der Grenze. Kein weißer Mann durfte hinüber. Die Wächter blieben höflich, aber unerbittlich. Alle Versuche der Missionare, vorwärts zu kommen, waren umsonst.
So mußten sie am 1. August den Rückzug antreten. Hartnäckig versuchten sie auf demselben noch oft, über die Grenze nach Großtibet und somit auf den Weg in die Mongolei zu kommen. Aber immer war es vergeblich. So blieb ihnen schließlich nichts anderes übrig, als zum zweiten Mal den Himalaja zu durchqueren. Auf anderen Wegen als beim Ausmarsch strebten sie ihrem Ausgangspunkt wieder zu und kamen am 16. Oktober in Kotghur wohlbehalten an. — Frau Prochnow meinte zwar bei der Begrüßung: „Ach wie mager, wie abgefallen sehen Sie aus!” Der Graf Zinzendorf aber hätte gesagt: „Die Augen klar, die Sinne heiter, schöner ist nichts als bestaubte Streiter!”

Ein fröhlicher Tag
Was aber nun? Sollte Heyde wieder zurück nach Europa, da der Zweck der Reise, den Mongolen das Evangelium zu bringen, unausführbar war? Er war anderen Sinnes und sein Gefährte auch. Sie hatten doch inzwischen die tibetische Sprache gelernt und Land und Leute waren ihnen lieb geworden. So machten sie der heimatlichen Behörde den Vorschlag, in Westtibet eine Missionsstation zu gründen, gleichsam einen Vorposten, von wo aus man vielleicht später, wenn die chinesische Grenze sich öffnen würde, in die Mongolei vorstoßen könnte. Und so hat Heyde auch seine Lebensarbeit nicht unter den Mongolen getan, sondern unter den Bewohnern von Westtibet (Westtibet gehört heute teilweise zu Kaschmir, einem Land, das zwischen Indien und Pakistan heftig umstritten ist). Der untere Teil des Tals Lahoul schien ihnen für eine Ansiedlung am geeignetsten.
Nachdem sie den Winter bei fleißiger Arbeit, aber in völliger Ungewißheit über ihre Zukunft verbracht hatten, kam am 3. März 1856 von Herrnhut die Anweisung zur Gründung einer Missionsstation in Lahoul. Das war ein fröhlicher Tag. Und noch freudiger wurde die Schaffenslust der Missionare, als am 18. April die Erlaubnis der englischen Regierung zur Niederlassung in Lahoul eintraf. Sie sagte jegliche Unterstützung zu. Land und Bauholz versprach sie sogar unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.
Die Sommermonate des Jahres 1856 waren nun ausgefüllt mit dem Hausbau in Lahoul. Am 9. Juni wurde nach langen Verhandlungen ein Feld bei dem Dorfe Kyelang gekauft. 70—80 Arbeiter, die mit dem Fällen der Bäume an den steilen Berghalden und mit dem Heranschaffen der Steine beschäftigt waren, standen unter Heydes Anleitung. Die Zimmerleute waren mit den Missionaren über den Rotang-Paß gekommen. Im September waren die Grundmauern des Hauses fertiggestellt und das Nebenhaus unter Dach gebracht. Da es aber noch unbewohnbar war, kehrten die Missionare Ende Oktober wieder nach Kotghur zurück, um dort noch einmal den Winter zu verbringen. Solange nämlich der Rotang verschneit ist, gewöhnlich vom November bis Mai, ist das Lahouler Tal und somit auch Kyelang von der Außenwelt völlig abgeschnitten.
Im Herbst 1857 war das zweistöckige Missionshaus im Rohbau vollendet. Am 1. Oktober wurde als letzte Arbeit der Kotghurer Zimmerleute die Treppe zum oberen Stockwerk „unter viel Geschrei und Lärm” aufgerichtet. Am 10. Oktober kamen sechs eiserne Öfen an, und da inzwischen auch die Fenster eingesetzt und die Fensterbretter wenigstens zum Teil fertig gestellt waren, beschlossen die Missionare, aus dem Nebengebäude, in dem sie sich bisher aufgehalten hatten, in das Haupthaus überzusiedeln. Es waren dann nicht mehr zwei, sondern drei Männer, die am 11. Oktober feierlichen Einzug hielten. Zu Pagell und Heyde war nämlich im März als dritter im Bunde Heinrich Jäschke gestoßen. Er war Theologe und ein bedeutender Sprachforscher, bisher Lehrer am Pädagogium zu Niesky und nun Leiter der tibetischen Mission.
Die Kyelanger Chronik berichtet über die Einweihung des neuen Missionshauses folgendes: „Nachdem wir am Morgen die Stühle und Tische hinübergeschafft hatten, hielten wir um 10 Uhr den Morgensegen. Die köstlichen Tagestexte lauteten: ,Gesegnet wirst du sein, wenn du eingehst, gesegnet, wenn du ausgehst’ (5. Mose 28,6). Wir dankten dem Herrn für seine bei Anlage dieses Platzes erwiesene Hilfe und Bewahrung und empfahlen uns, unser Werk und alle, die künftig in diesem Hause wohnen werden, seinem Erbarmen. Mit Gesang wurde die schlichte Feier begonnen und beschlossen. — Äußerlich konnten wir freilich nichts Feierliches anstellen, außer einem Glas Wein zu Mittag und einer Pfeife deutschen Tabaks, der zu einem solchen Zweck noch aufgehoben war. Aber die Herzen waren freudig gehoben.”
Dem Herrn war nun auch der Dienst der drei Männer auf einsamem Posten mit ganzem Ernst geweiht. Das Leben im Kyelanger Missionshaus war ausgezeichnet durch äußere Einfachheit und spartanische Strenge. Die Stubeneinrichtung bestand aus Bett, Ofen, Stuhl und Tisch. Eine Tibeterin war die Köchin. Sie kochte, was sie kochen konnte. Was sie nicht zustandebrachte, bereiteten sich die Junggesellen nach ihrem eigenen Kochbuch. In das stete Einerlei der Speiseordnung wurde erst allmählich etwas . . .  Immerhin war es hohe Zeit, daß die Hausfrauen einzogen.
Heyde war wieder einmal von Simla zurückgekehrt. Er hatte dort den Winter von 58 auf 59 verbracht, um die Kunst des Druckens zu erlernen und eine lithographische Presse zur Vervielfältigung der ins Tibetische übersetzten Bibelteile zu kaufen. Mit Hilfe von 29 Trägern brachte er sie im Frühjahr nach Kyelang. Bald nach seiner Ankunft erhielt er einen Brief von seiner Behörde in Herrnhut, der ihn aufs tiefste bewegte. Wir lesen darüber in seinem Tagebuch unter dem 11. Mai: „Heute nach Mittag erhielt ich die Nachricht, daß ich Bräutigam sei!” –

Die Braut aus Surinam
„Dieser Vater zieht sein Kind, / jener seins dagegen auf. / Beide treibt ein sondrer Wind / ihre sondre Bahn und Lauf. / Aber ist die Zeit nun da, / wird’s ein wohlgeratenes Paar.”
So sang einst Paul Gerhardt. So war es auch mit Heyde und seiner Lebensgefährtin. Er wußte nichts von ihr, bevor sie seine Braut war. — Als er sein Vaterland verließ, trug er wohl im Herzen das Bild eines deutschen Mädchens. Er kannte die junge Herrnhuter Schwester nur von ferne, doch hoffte er, daß sie ihm vielleicht später nachfolgen würde. Aber diese Hoffnung blieb unerfüllt. Im Jahr 1856 erfuhr er, daß sie als Missionarsbraut bereits nach Grönland gezogen war. So wußte er niemanden und bat die heimatliche Behörde, ihm eine Braut zu suchen. Vor allem befahl er diese seine Herzensangelegenheit dem himmlischen Vater. Wie einstmals Isaak traute er es Gott zu und bat ihn darum, daß er ihm die rechte Lebensgefährtin zuführen möge. Und dieser Glaube wurde nicht beschämt. Oft hat er es in seinem späteren Leben bezeugt, wie freundlich, ja über alles Erwarten herrlich sein Gott für ihn gesorgt habe.
Am Rand des südamerikanischen Urwaldes, in der holländischen Kolonie Surinam, wuchs das Mädchen auf, das später einmal auf den Höhen des Himalaja in Zentralasien ihre Lebensarbeit tun sollte. Marie Hartmann, so hieß das Kind, wurde am 19. April 1837 in Paramaribo geboren. Ihre Eltern standen im Missionsdienst der Brüdergemeine. Der Vater, Johann Gottlieb Hartmann, stammte aus Gebhardsdorf bei Marklissa in Schlesien, und die Mutter, Maria Lobach, war eine Wendin, gebürtig aus Turnow bei Peitz in der Niederlausitz. Seit 1826 lebten und arbeiteten sie in Surinam.
Das Kinderparadies der kleinen Maria war die Missionsstation Charlottenburg, wo ihre Eltern angestellt waren. Dort wuchs sie unter Palmen und Bananen in goldener Freiheit auf, dort spielte sie mit den Kindern der getauften Neger, dort kramte und blätterte sie, wie sie so gerne tat, in den Büchern des Vaters, dort begleitete sie ihn auf seinen Amtsgängen im Buschland. Aber schon im 7. Jahre verließ sie das Elternhaus und trat die große Reise über das Weltmeer an, um in der Erziehungsanstalt für Missionskinder zu Kleinwelka bei Bautzen in Sachsen ihre weitere Ausbildung zu erhalten. Ein dorthin reisendes Missionarsehepaar nahm sie mit noch sieben anderen Surinamer Küchlein unter die schützenden Fittiche.
Die Erinnerung an die ersten sonnigen Lebensjahre ging mit dem Kind über das Weltmeer, und die treubesorgte Mutter suchte sie nach Kräften lebendig zu erhalten. „Kennst Du noch die Negersprache? Weißt Du noch etwas von der ‚Tante’, die Du so sehr lieb gehabt hast, und von den schwarzen Kindern, wenn sie zur Schule kamen?
Die Jansi, die nun Magdalene getauft ist, hast Du selbst den Vers gelehrt: ,Na ju Kruis mi si, husa ja so mi’ – Weißt Du noch, wie Johanna Dich gewartet hat, als ich mit dem Vater an der Seeküste war?“ So und ähnlich schrieb die Mutter an ihr achtjähriges Töchterchen in Europa.

Geduld und Treue
Stärker als alle anderen Jugendeindrücke wirkte das Bild der Mutter im Herzen der Tochter nach. Die beiden waren im Haus „Charlottenburg” viel allein beieinander gewesen, da die älteren Geschwister Marias schon seit Jahren in Europa weilten. Und als bald nach ihrer Abreise der Vater, ein gesunder, kräftiger Mann, ganz unerwartet dem Tropenfieber erlag, war es nur natürlich, daß die Mutter ihr Herz vor allem der lieben Jüngsten zu wandte, mit der sie sich durch die gemeinsame frische Erinnerung an den Gestorbenen verbunden fühlte. Gesehen haben sich die beiden nicht mehr hier auf Erden, denn die Witwe konnte sich nicht entschließen, nach dem Tode ihres Gatten ihr geliebtes Arbeitsfeld zu verlassen. Aber auch aus der Ferne wurde die Mutter der Tochter je länger je mehr zum Segen.
Sie war eben eine besondere Frau, die Mutter Hartmann im Surinamer Buschland. Ihre Schulbildung war von Haus aus gering, ihre Rechtschreibung oft recht mangelhaft; denn in der wendischen Dorfschule ihrer Heimat wurde das Schreiben den Mädchen nicht gelehrt. Der Lehrer stand auf dem Standpunkt, daß diese Kunst nur für die Buben da sei. So eignete sie sich dieselbe erst später als Köchin im Herrnhuter Schwesternhaus an, und die lateinischen Buchstaben erlernte sie sogar erst im Ehestand. Trotzdem konnte der Leiter der Surinamer Mission nach ihrem Tod 1853 von ihr sagen: „Ich glaube nicht, daß ihresgleichen auf dieser Mission gewesen ist und wieder sein wird. Wo das Klima am gefahrvollsten, wo der Dienst am beschwerlichsten, die Entbehrungen und Verleugnungen am größten waren, dahin eilte sie am liebsten, zu helfen und beizustehen. Sie dachte nicht an sich selbst, sondern an die Sache des Herrn.”
Als zum Beispiel die Christengemeinde im Buschland verwaist war, weil wegen des Klimas kein europäischer Missionar mehr dort wohnen konnte, entschloß sich Mutter Hartmann, die damals als Witwe in der Stadt lebte, wieder in den Urwald zu ziehen. Fünf Jahre wohnte sie dort allein mit ihren geliebten Schwarzen zusammen. Unter vielen Entbehrungen und Widerwärtigkeiten, Fieberanfällen und Strapazen aller Art hielt sie mit unermüdlicher Geduld und Treue die verwaisten Herden zusammen. Weder durch die Feindschaft des weißen Plantagenbesitzers, der sich durch sie in der gewissenlosen Ausbeutung der Neger behindert fühlte, noch durch die Schmerzen einer Negerkrankheit, von der sie bei ihrem ständigen Umgang mit den Kranken angesteckt wurde, ließ sie sich in ihrem mühseligen Wirken abhalten. Es lebte in ihr der Heldengeist der ersten Zeugen, die einst mit dem Entschluß, um der Sklaven willen selbst Sklaven zu werden, nach Amerika gezogen waren.
Nur ein einziges Mal und für einen Tag besuchte sie während jener fünf Jahre die Stadt. Man wollte sie gern für eine längere Zeit zurückhalten; sie aber erklärte, sie fürchte, dadurch verwöhnt zu werden und dann mit geringerer Freudigkeit in die Einsamkeit zurückzukehren. Kein Wunder, daß sich auf diese Weise ihre Kräfte bald verzehrten. In einem Buschnegerdörfchen, Koffiekamp, wo sie die Kinder wieder einmal unterrichten wollte, wurde der Körper der willensstarken Frau von der Krankheit niedergezwungen. Vier Wochen lag sie dort in einer offenen Negerhütte, ohne alle Pflege und ohne die nötigsten Hilfsmittel. Als man schließlich in Paramaribo davon hörte, schickte man ein Boot, um sie zu holen. Todesmatt und doch voll innerer Seligkeit kam sie an.
Es war kurz vor Weihnachten. Noch am Weihnachtsmorgen erzählte sie unter Dank und Freudentränen, welch frohe Stunden sie in der vergangenen Nacht genossen habe bei der Betrachtung des Wunders ohne Maßen, daß Gott für uns Mensch geworden sei. — Am Abend ihres Todestages, dem 30. Dezember 1853, verlangte sie, daß man sie auf ihrem Lager in die Höhe richte. Sie pflegte nämlich nach Negerart ohne Bett und Moskitonetz auf dem Fußboden zu schlafen. „Moro na hei” d. h. „mehr in die Höhe!” das waren ihre letzten Worte. Als sie auf einen Stuhl gehoben wurde, legte sie das Haupt zurück und entschlief im Frieden des Heilandes, mit dem sie hier schon eins gewesen war. —
Eine solche Frau als Mutter zu haben, war das bedeutsamste Erlebnis für die in Europa heranwachsende Tochter. Äußerlich verlief ihre Jugend in Deutschland ohne besondere Zwischenfälle. Nach dem sie die Mädchenanstalt in Kleinwelka durchgemacht hatte, erlernte sie 1851 im Schwesternhaus zu Niesky das Weißnähen. Im Herzen aber tat während dieser Zeit der Geist der Mutter, durch treue Briefe vermittelt, nachhaltige und segensreiche Arbeit.

Briefe aus dem Urwald
Diese Briefe aus der Einsamkeit des Urwaldes waren einzig in ihrer Art. Später begleiteten sie die Tochter auch auf den Himalaja und dienten ihr dort in mancher schweren Stunde zur Stärkung und Erquickung. Denn hinter den Worten, mit ungelenker Hand und ohne die Regeln der Rechtschreibekunst geschrieben, standen göttliches Leben und göttliche Kraft. Die Liebe des Heilandes und die Liebe zum Heiland, der für uns so große Opfer gebracht hat und um dessentwillen darum kein Opfer zu groß ist, das war der immer wiederkehrende Grundgedanke!
Lassen wir einige Proben folgen:
Den schönen Kinderpsalm, — so schrieb sie im Jahr nach der Trennung von der Tochter — den wir am Kinderfest und Deinem Geburtstag miteinander gesungen haben, hab ich dies Jahr ganz allein zu Deinem Andenken recht niedlich abgesungen. Du hast ihn wohl schon vergessen. Ich will Dir darum nur den letzten Vers abschreiben.
Lobt den Herrn, nach wenig Jahren
,
Stehn wir all vor seinem Thron,

Tausend teuer erkaufte Scharen

Singen da dem Menschensohn ….

Betest Du denn auch, mein liebes Kind, so wie Du hier getan hast? Denn nie wolltest Du ins Bett gehen, wenn Du nicht erst für Dich und uns und alle Kinder und alle Menschen gebetet hattest… Meine Bitte für Dich zum Heiland ist, daß Er Dir ein gehorsames Herz schenke und Du Ihn über alles liebest (1845).

Du erzählst mir von der großen Christbescherung, die Du zu Weihnachten bekommst, und von Deiner Geburtstagsfreude; das ist ja recht schön, ich freue mich mit Dir. Aber, meine liebe Maria, denkst Du auch daran, wer die Ursache davon ist, daß Ihr Kinder alle Jahre solche Freude habt und wir Großen mit Euch? Ich weiß, Du wirst sagen, der liebe Heiland ist die Ursache davon. Er gibt uns alles, das ist wahr, mein liebes Kind. Und noch mehr, Er ist auch die Ursach unserer Seligkeit … – Darum, liebe Maria, wenn Du wieder ein Weihnachten erlebst, bitte Ihn, daß Er Dir ein dankbares Herz schenken wolle. Er hat auch für Deine Seele sich ans Kreuz nageln lassen …. (1846).

Du sagst in jedem Brief, daß es Dir Freude macht, wenn Du an mich schreiben kannst. Und so freue ich mich auch, wenn ich Dir wieder einen Brief schreibe. Soeben habe ich wieder Deine letzten Briefe gelesen und ich mußte dabei weinen. Ich bat den lieben Heiland, Er möchte Dich doch ganz zu Seinem Eigentum machen, daß wir dereinst in der Ewigkeit uns erfreuen mögen, wenn wir uns hier 
nicht mehr sehen sollten … (1848).

Dein Brief war von kurzem Inhalt; ich denke, Du solltest Deine Gedanken mehr ausbreiten, doch ich sage das nicht, um Dir einen Verweis darüber zu geben; nein, ich bin dem lieben Heiland recht dankbar, daß Er Dich gesund erhalten hat und daß es Dir gut geht. Aber es kann Dir von Nutzen sein, wenn Du wieder schreibst, daß Dir eins ums andere mehr einfällt, auch besonders darüber, wie Du mit dem lieben Heiland stehst. Das möchte ich gern wissen … Über Dein Lernen gibt mir Euer Inspektor gutes Zeugnis, aber er nennt einen Fehler besonders an Dir, daß Du etwas kommod bist — das mußt Du auch suchen, abzulegen, und lieber anderen dienen als sich dienen lassen; das war auch der Sinn des lieben Kindes Jesu … (1849).  . . .

Du schreibst mir recht schön darüber, wie der Geist Gottes durch den Unterricht Dein hartes Herz erweicht und zubereitet, daß es für die Segnungen, die der Heiland Dir in der Konfirmation und im heiligen Abendmahl zugedacht, empfänglich war … Er hat alles an Dir getan, wie ein Gärtner an den jungen Bäumchen, an denen er später viel Früchte haben will. Bisher hat Er nur die grünen Blätter und Knospen an Euch gesehen. Nun erwartet Er auch Blüten und Früchte! Aber auch dazu muß der Seelengärtner Kraft und Gedeihen geben, denn ohne den Heiland können wir nichts Gutes tun … Nun, meine liebe Maria, der Herr Jesus wolle meine Unterhaltung mit Dir an Deinem Herzen segnen und Dich in Seiner Gnade erhalten (1851).

Nun erst recht!
Diese Briefe der Mutter zeigen uns, in welchem Geist die heranwachsende Tochter von ihrer frühesten Jugend an beeinflußt wurde und sich beeinflussen ließ. In die gleiche Richtung wies eine Erweckungszeit unter den Kindern der Mädchenanstalt zu Kleinwelka, die Maria mit ganzem Herzen miterlebte. Und die Jugendfreundschaften, die sie schloß, hielten zeitlebens stand, weil sie „auf den Heiland gegründet waren”. — Dabei war sie ein fröhliches Mädchen und im Kreis ihrer Jugendgespielinnen beliebt. . . .
Gern malte und zeichnete sie; für Handarbeiten war sie weniger zu haben, um so mehr war sie den Büchern zugetan, und an ihrer französischen Sprachlehrerin hing sie mit Begeisterung.
Um ihrer Gaben willen wurde sie für den Lehrerinnenberuf vorgeschlagen und trat 1853 in die Gnadenfreier Mädchenanstalt ein, die damalige Vorbereitungsstätte für Lehrerinnen.  . . .  Und doch war sie in jenen Gnadenfreier Jahren überaus glücklich. Die Schülerinnen hingen in Liebe an ihr und manche von ihnen blieb noch Jahrzehnte hindurch in schriftlicher Verbindung mit ihr. Vor allem aber hatte Marie Hartmann ein zufriedenes Gemüt, das sich in jeder Lebenslage zurechtfand; und noch im hohen Alter pflegte sie mit Vorliebe zu sagen: „Ich habe es ja immer so gut gehabt!”

Das wahre Glück
Da kam im Frühjahr 1859 die große Wendung in ihrem Leben. Schwester Marie Hartmann erhielt „einen Ruf nach Tibet als Braut des Bruders Wilhelm Heyde”. Dieser Ruf kam ihr, wie einst dem Manne, dem sie jetzt folgen sollte, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Fast alle ihre Bekannten rieten ihr ernstlich ab, ihn anzunehmen. „Wie können Sie Ihre schöne Stelle aufgeben und einem unbekannten Mann in ein fernes, unbekanntes Land folgen!“
In der Tat, es war ein Wagnis für die 22jährige, ein Sprung ins Ungewiß; nicht anders, als es vor Jahren bei Heyde der Fall gewesen war. Aber eine innere Stimme sagte ihr: „Das kommt vom Herrn” (1. Mos. 24, 50). Dieser Ruf lag ja ganz in der Linie des mütterlichen Vorbildes, und auch ihre zwei Brüder waren bereits auf der Mission: der eine in Südafrika, der andere in Australien und später bei den Indianern Nordamerikas. Gleichwohl empfand sie das Bedürfnis, wie es damals noch oft in der Brüdergemeine geschah, das Los zu befragen. Als dieses aber eine unzweideutige bejahende Antwort gab, stand es ihr in freudiger Gewißheit fest, was sie zu tun habe. Sie entschloß sich, obwohl unerfahren und ohne besondere missionarische Vorbildung, dem unbekannten Mann in das unbekannte Land nachzureisen, — wie einst Rebekka dem Isaak, pflegte sie später zu sagen.

(In der Brüdergemeine — auch in anderen christlichen Kreisen — wurde früher gern das Los befragt, um in unsicheren Fällen den Willen Gottes zu erfahren; das geschah in Anlehnung an die Apostelwahl des Matthias (Apostelgeschichte 1,23—26). In der Regel wurde mit drei Zetteln gelost, auf denen z.B. Ja und Nein stand, während der dritte leer blieb, weil man sich bewußt war, daß Gott auch die Antwort verweigern konnte. Wer so im festen Glauben loste, darin die Antwort des Herrn zu erhalten, ging dann auch den schwersten Weg froh und getrost. Ohne diesen Glauben — und ohne strikte Befolgung der erhaltenen Weisung! — wäre solches Losen freilich ein lästerliches Spiel. Mit diesem Glauben aber gab es den Losenden festen Boden unter die Füße, wo sonst eine Entscheidung unmöglich oder leichtsinnig gewesen wäre, wie bei Marie Hartmann).
Der Gedanke an die Bestätigung durch das Los war ihr in den folgenden Jahren noch manchmal eine recht wertvolle Stütze, als äußere und innere Schwierigkeiten sich vor ihr auftürmten und Zweifel in ihr weckten, ob sie den richtigen Weg nun auch wirklich eingeschlagen habe. Und noch als alte Frau bezeugte sie es: „Ich war dankbar und bin es immer noch, daß Gott mich auf jene Weise so unmißverständlich geführt hat.”
Ende Februar erhielt sie ihren Ruf, und schon Mitte Mai reiste sie von London aus ab. Ihre Reisegefährtinnen waren Emilie Rosenhauer und Friedericke Mächtle, die Bräute der Missionare Jäschke und Pagell. Marie Hartmann, von schlankem, hohem Wuchs, mit frischer Farbe, dunkelblondem Haar und leuchtenden Augen, war die einzige, die ihren Bräutigam nicht kannte. — Auf dem Schiff befanden sich sogar fünf Missionarsbräute, außer den drei Herrnhuterinnen noch zwei Schwestern von der Goßnerschen Mission. Sie reisten gemeinsam auf dem Seeweg bis Calcutta, wo sie „schon” Ende August ankamen. Dort wurden sie von Missionar Pagell abgeholt. Nachdem er mit seiner Braut in Calcutta von einem Geistlichen der schottischen Freikirche getraut worden war, ging es auf dem Landweg weiter, meist im Postwagen, zum Teil auch mit der Eisenbahn.
Durch Pagell erhielt Marie Hartmann dann den ersten Gruß ihres Verlobten. Es war auch der einzige, den sie auf der Reise von ihm erhielt, während sie ihm mehrmals schreiben konnte. So heißt es in ihrem Brief vom 24. September: „Gerade, als ich der lieben Schwester Rosenhauer mit Tränen klagte, daß ich noch keinen Brief hätte, trat Bruder Pagell in die Stube und brachte uns beiden die langersehnten Briefe aus Kyelang. Eine rechte Sonntagsfreude! Mit klopfendem Herzen erbrach ich den meinigen, und meine Tränen flossen weiter. Mit wieviel zarter Liebe kommst Du mir entgegen! . . . Aber dies Herz sollst Du nun ganz kennenlernen und mit des Herrn Hilfe aufrichten und trösten.  . . .  Mein tägliches Flehen ist um ein stilles, demütiges Herz . . .  Und was wirst Du an mir haben? Oh, ich möchte Dir so gern etwas sein und immer in heitern und trüben Stunden mit treuer, starker Liebe Dir innig zur Seite stehen.  . . .
Von Simla aus schrieb sie unter dem 13. Oktober: „Bei unserer Ankunft sah ich mit großer Sehnsucht einem Gruß von Dir entgegen. Doch umsonst. Es ist mir tröstlich, in Emmy Rosenhauer eine Leidensgefährtin zu haben.  Am 17. Oktober gedenken wir aufzubrechen und in drei Wochen in Kyelang anzukommen.  . . .”
Bis Kotghur kam Jäschke der Reisegesellschaft entgegen. Je tiefer man in die Bergwelt eindrang, um so mehr wurden die Frauen von den Einwohnern wie Wunderwesen angestaunt und ihre Kleider von allen Seiten betastet und untersucht. Sie waren die ersten Europäerinnen in jenen Gegenden. Am 8. November wurde der Rotang-Paß überschritten. Am 10. November war der letzte Reisetag. Alle waren sehr zeitig munter. Jedoch Marie Hartmann brach eine Stunde früher auf als die übrige Reisegesellschaft, um auf dem Wege ihrem Bräutigam allein zu begegnen. Zwei Stunden vor Kyelang führte der Weg auf einer langen, gefährlichen Brücke über den reißenden Bergstrom. Dort sahen sich die beiden zum ersten Mal. „Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief“; und auf dem schmalen, schwankenden Steg wurde die Braut vom Schwindel befallen. Aber da half der Weggenosse und führte sie mit starker Hand hinüber. Ein Zurück gab es nicht mehr, darum vorwärts mit Gott. Gemeinsam wanderten die zwei nach Kyelang. Gegen Mittag kamen auch die andern an.
Nach einer Woche fand die Hochzeit statt. Bis dahin wohnten die beiden Bräute noch in der Druckerei. Vom Hochzeitstag heißt es im Kyelanger Tagebuch: „Am 18. November nachmittags um 3 Uhr war Trauung, indem Bruder Jäschke Heydes — und dann Bruder Heyde Geschwister Jäschke traute.”
Tara Tschand, aber, das Oberhaupt des Dorfes, traktierte die Gesellschaft mit einem Mittagessen, Tee und Konfekt. Er selbst nahm an der Mahlzeit nicht teil, bat aber um die Gunst, zusehen zu dürfen, wie die weißen Leute aßen

Aller Anfang ist schwer
Aller Anfang ist schwer! — Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Geschichte der Brüdermission in Tibet zu schreiben. Doch können wir nicht umhin, auf die Schwierigkeiten einzugehen, die die drei Missionsschwestern bei ihrer Ankunft in Kyelang vorfanden. Denn die Art, wie sie ihnen begegneten, bleibt vom Standpunkt des Reiches Gottes aus betrachtet denkwürdig und vorbildlich.
Das Problem bestand darin, daß die Köpfe der Männer hart aneinandergerieten; und die Lösung des Problems wurde nicht zuletzt dadurch herbeigeführt, daß die Herzen der Frauen sich um so enger zusammenschlossen.
Im tiefsten Grunde waren Heyde, Jäschke und Pagell selbstverständlich eines Sinnes. Sie wollten Christus dienen und sein Reich im Innern Asiens ausbreiten. Aber dies hohe gemeinsame Ziel beseitigte nicht die Unterschiede des Charakters, der Ansichten und Fähigkeiten, auch nicht die Fehler und Unvollkommenheiten der menschlichen Natur. So mußten es auch die Missionare im fernen Tibet erleben: „Leicht beieinander wohnen die Gedanken/ doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.”

Jäschke, der geniale Sprachforscher und wissenschaftlich gebildete Mann, war zum Missionsleiter berufen. Aber er trat erst vier Jahre später in die Arbeit ein als die andern. Heyde und Pagell hatten bereits ihre Erfahrungen gesammelt und waren sowieso durch Begabung und Vorbildung Männer des praktischen Lebens. Auch Jäschke wollte letzteres sein, doch darüber kam es zu Reibungen, wie sie zwischen dem Theoretiker und dem Praktiker, dem Theologen und dem Laien, dem Gelehrten und dem Handwerker sich leicht einstellen können.
Schon mit dem ersten Tag ihrer Begegnung hatte es begonnen: Pagell und Heyde waren der Landessitte entsprechend beritten und hatten auch für Jäschke ein Reittier erstanden. Letzterer aber, ein Original, von dem man sich später erzählte, daß er die 200 englischen Meilen von Kyelang nach Simla über die gewaltigen Bergriesen hinweg ohne Gepäck nur mit der Kaffeetasse in der Rocktasche zurückzulegen pflegte, wollte von einem Pferde nichts wissen. Sein Ideal war des Schusters Rappen.

Vor allem waren die Köpfe über den Hausbau aneinandergeraten. Jäschke war nicht einverstanden mit dem, was er vorfand. Die ganze Anlage sei verfehlt. Das Haus sei gebaut, als wolle man für immer in Lahoul bleiben, und sollte doch nur eine leichte Hütte auf Abbruch sein, ein Vorposten an der Grenze der Mongolen. — Die Missionsdirektion in Herrnhut entschied in diesem Falle gegen ihn. Andererseits war es keine Frage, daß er mit seinem Sprachgenie in einem halben Jahr den Geist der Sprache besser erfaßt hatte als die beiden anderen trotz ihrer mühseligen jahrelangen Studien. Naturgemäß gab es da für letztere manche bittere Pille zu schlucken; und da alle drei Männer einen sehr ausgeprägten Willen hatten, ging es nicht immer ohne Funken ab.
So war die innere Lage keineswegs leicht. Wohl bürgte der christliche Charakter der drei Missionare dafür, daß die Spannung nicht zum Riß wurde. Heyde hat niemals anders als in großer Liebe und Verehrung von Jäschke gesprochen: „Ich bin immer noch froh und dankbar” — so schreibt er einmal — „daß gerade Jäschke zu uns gekommen ist. Er ist ein Bruder von reicher Herzenserfahrung und vielseitigen Kenntnissen, mit denen er unverdrossen und liebreich uns zu Hilfe kommt.” —
Aber nicht am wenigsten trugen damals die Frauen dazu bei, daß das Werk ungehindert seinen Fortgang nahm.
Heydes Frau war durch ihre glückliche Veranlagung wie geschaffen dazu, als Öl in der Maschine zu dienen. Sie war ein Kind des Friedens, liebhabend und freundlich gegen jedermann, immer bereit, sich unterzuordnen. Ihre ruhige, stets gleichbleibende Art ergänzte je länger je mehr das feurige Temperament des Gatten in trefflicher Weise. Doch mußte auch sie eine nicht immer leichte Schule durchmachen, um das ganz zu werden, was in ihr lag. Ihre glückliche Art war nicht nur Veranlagung, sondern zugleich ein in dem Kampf des Glaubens gefestigter Besitz.  . . .

. . . Marie Heyde aber war im Kreis der Kolleginnen die Jüngste. Bei ihrer Ankunft in Kyelang war sie 22 Jahre. Naturgemäß lag ihre starke Seite nicht in der Küche, sondern auf dem geistigen Gebiet. Dagegen für den Haushalt, zumal unter den schwierigen tibetischen Verhältnissen, war sie nicht ausgerüstet. . . .  So war es klar, daß sie es einer erfahrenen Köchin nicht gleichtun konnte, und das drückte sie mehr als die Erlernung der tibetischen Sprache.  . . .

Nomadenleben
Zum schweren Anfang gehörte auch die Zeit vom Herbst 1862 bis zum Sommer 1864. Es sind dies die einzigen Jahre, die das Ehepaar Heyde nicht in Kyelang verlebte; eine Zeit des ruhelosen Wanderns und der bangen Ungewißheit, reich an Entbehrungen aller Art. Es hatte sich nämlich als notwendig herausgestellt, daß die drei Missionarsfamilien im Kyelanger Haus wenigstens teilweise sich trennten. Der Arbeit würde es förderlicher sein, wenn noch eine zweite Station irgendwo im Umkreis gegründet würde. — Dazu kam, daß Marie Heyde erkrankt war und den nächsten erreichbaren Arzt aufsuchen sollte. Der Arzt wohnte aber 14 Tagereisen weit in Dharmsala am Südhang des Himalaja. So wurde Missionar Heyde beauftragt, mit seiner Familie Kyelang zu verlassen und einen Platz für die neue Station ausfindig zu machen.
Am 24. Oktober 1862 brach das Ehepaar auf. Außer einem Tibeter hatten sie ihr zweijähriges Töchterlein Elly bei sich, das ihnen im Dezember 1860 geschenkt worden war. Der Rotang-Paß wurde zwar glücklich überstiegen, aber in Dschaga Sukh, einem hindustanischen Dörflein am Südfuß des Rotang, erfolgte die Frühgeburt eines toten Kindleins. Die Unterkunft in dem leerstehenden, verwahrlosten Haus eines Engländers war sehr dürftig, und so zwang sich die Kranke schon am sechsten Tage zur Weiterreise nach Dharmsala.
Dort blieb sie drei Monate unter ärztlicher Aufsicht mit ihrem Kinde, während der Gatte am 24. Dezember sich auf dienstliche Reisen begab. So gab es für die Zurückbleibende ein einsames und wehmütiges Weihnachten in fremder Umgebung.

. . .  Einen besonderen Dienst taten ihr damals die Briefe, die einst die Mutter aus dem Urwald Südamerikas an ihr Kind geschrieben hatte, und die sie auch in Asien mit sich führte. Hier konnten sie ihre volle Segenswirkung ausüben, denn hier befand sich die Tochter in einer ähnlichen Lage wie einst die Mutter im Urwald, auf einsamem, entsagungsreichem Posten im Dienste des Heilandes.
Marie Heyde und ihr Töchterlein Elly hausten in Dschaga Sukh in einem dürftigen Raum mit Ratten und Mäusen zusammen . . .

. . . Das Wochenbett in Dschaga Sukh war recht ruhelos, da die Mutter außer der treuen Pflege des Vaters keine Hilfe hatte. Der Ersatz für die entlassene Rahemie war nämlich ein zehnjähriges tibetisches Mädchen, das noch nichts konnte, sondern selbst gepflegt werden mußte. Missionar Heyde hatte das Kind auf einer seiner Reisen in öder Gegend «gefunden«. Es trieb sich eltern- und heimatlos mit zwei Brüdern herum und nährte sich vom Betteln und kleinen Diebereien. Die Missionsleute beschlossen, die kleine Gangsom, die von den dreien den verkommensten Eindruck machte, ganz zu sich zu nehmen und zu erziehen. Gangsom oder wie sie später als Christin hieß, Betty, gehörte fortan ganz zur Familie. Es kostete in den nächsten Jahren viel Mühe und Geduld, bis sie das Lügen und Stehlen sowie die anderen Gewohnheiten des Landstreichertums aufgab. Doch die Liebe war nicht umsonst. Nach manchen Enttäuschungen, die sie den Pflegeeltern bereitete, entwickelte Betty sich überaus günstig. Sie wurde ein zuverlässiger Charakter und eine treue Christin. Betty heiratete später in Kyelang einen braven Mann und wurde die Mutter einer Reihe wohlerzogener Kinder.

. . . Im April 1864 verließen Heydes ihre Hütte in Dschaga Sukh, um eine Tagereise südlicher in Munsala die beabsichtigte Missionsstation anzulegen. Dort schien endlich der passende Ort dafür gefunden zu sein. Verschiedene Bauplätze wurden besichtigt, und bis zur Fertigstellung des Hauses wollte die Familie in einem Zelt wohnen. Da traf am 14. Mai ganz unerwartet die Nachricht ein, daß Heydes wiederum nach Kyelang berufen seien, da Jäschke nach Simla übersiedeln werde, um sich dort ausschließlich den Sprachstudien zu widmen. (Jäschkes blieben nur einen Winter in Simla und kehrten dann wieder nach Kyelang zurück, wo sie noch bis 1868, dem Jahr ihrer Rückkehr nach Europa, in harmonischer Weise mit Heydes zusammenarbeiteten. Pagells hatten schon 1862 Kyelang verlassen und arbeiteten fortan auf der von ihnen gegründeten Missionsstation Poo in Kunavar, einer Landschaft südöstlich von Kyelang.) Dieser Befehl, nach Kyelang zurückzukehren, bewegte die seit zwei Jahren heimatlosen Missionsleute aufs freudigste. Kyelang war eben doch die erste Liebe. Dort war ihre Heimat inmitten der tibetischen Gebirgswelt. Als Heydes am 19. Juni 1864 mit ihren zwei Kindern, mit Tobsi und der tibetischen Pflegetochter fröhlich in Kyelang einzogen, ahnten sie nicht, daß nun dieser Ort fast 40 Jahre hindurch der Schauplatz ihrer Tätigkeit sein sollte.

„Liebhaben müssen Sie die Leute!“
Als Frau Heyde einmal in den letzten Jahren ihres Lebens von einem angehenden Missionar, der unter den Tibetern arbeiten sollte, um Ratschläge gebeten wurde, antwortete sie: „Liebhaben, liebhaben und noch einmal sehr liebhaben müssen Sie die Leute. Das ist das einzige, was ich Ihnen sage. Es wird Ihnen dort drüben vieles sehr fremd vorkommen. Da kann nur die Liebe helfen. Und die müssen Sie sich schenken lassen. Alles andere kommt dann von selbst.”
Diese Antwort ist für alte und junge Missionare auf jedem Missionsgebiet in gleicher Weise beherzigenswert. Sie war aus der Erfahrung einer langjährigen Arbeit herausgewachsen. Denn das Heydesche Ehepaar hatte sich im Lauf der Jahrzehnte immer tiefer hineingeliebt und dadurch auch hineingelebt in das den Europäern so fremdartige und fernstehende Volk der Tibeter.
Schon die Häuser hatten nichts Einladendes. Vor allem an Bauholz fehlte es. So bestanden sie im wesentlichen aus Stein und Lehm. Durch eine niedrige Eingangstür kam man in den unteren Stock. Er war völlig dunkel und diente als Stall für Pferd und Rind. . . .

Das Loch, das in der Decke zum flachen Dach hinausführte, und die zwei auch im Winter immer offenen Fenster genügten nicht, um den Rauch abzuführen. Der Raum war vielmehr so von Rauch und Ruß gefüllt, daß dem Eintretenden gleich die Tränen in die Augen traten. Die Fenster waren klein und so niedrig in der Wand angebracht, daß man auf dem Boden sitzend hinausschauen konnte. . . .

Als Bettdecke dienten die Kleider und Pelzmäntel. Zwei niedrige Tischchen, kaum höher als Fußbänke, standen vor den Matten. — So etwa sah die Wohnung eines wohlhabenden Tibeters aus. . . .
Und nun die Bewohner selbst. Sie waren noch mehr als die Häuser, in denen sie wohnten, eine fremdartige Erscheinung für den Europäer. Die geschlitzten Augen, die hervortretenden Backenknochen . . . kennzeichnen den Tibeter als zur mongolischen Gruppe gehörig. So gelten z. B. die Bewohner in und um Kyelang als Halbtibeter.
An der Reinlichkeit mangelte es leider in hohem Maße. Nur Wohlhabende trugen ein Hemd. . . .

 Das Haupthaar wurde in mindestens acht mit Öl oder Butter eingefettete Zöpfe geflochten, die infolge eingelegter Wolle bis auf die Hüften hinabreichten, und dort zu einem dichten Wollzopf sich vereinigten. Diese Zöpfe wurden meist nur einmal im Monat geflochten, ein sehr umständliches und zeitraubendes Verfahren!  . . .

Begegnung mit Buddha
Die schweren Hindernisse, die sich der christlichen Liebe entgegenstellten und zu denen sie nicht schweigen konnte, lagen auf dem Gebiet der Religion und der Sittlichkeit. Allgemein verbreitet und nach der Volksanschauung auch zu Recht bestehend war zum Beispiel die Sitte, nach der eine Frau nicht nur mit ihrem Mann, sondern zugleich auch mit dessen Brüdern in ehelichem Bunde stand. . . .

Die eigentliche Mauer, die das Herz der Tibeter gegenüber den Einflüssen der christlichen Liebe abschloß, war jedoch der Lamaismus, die bizarre Religionsform, die mit den Jahrhunderten so hart geworden ist wie das Urgestein der tibetischen Berge. — Der Lamaismus ist eine tiefstehende Form des Buddhismus, mit starken vorbuddhistischen Bestandteilen verquickt und in tote Formen erstarrt. Etwas unserem Gottesbegriff Entsprechendes gibt es im Tibetischen nicht. Die Missionare haben für Gott das Wort Kontschock, d. h. Kleinod, eingeführt. Dasselbe wird für gewöhnlich mit dem Zahlwort „sum – drei” zusammen ausgesprochen.
Kontschock-sum ist das indische Triratna, das dreifache Kleinod, nämlich Buddha, seine Lehre und seine Gemeinde. Diese Dreiheit gilt dem Buddhisten als verehrungswürdig, zu ihr soll er seine Zuflucht nehmen.
Die erste Pflicht des Frommen besteht in der Verehrung von Buddha, dem großen indischen Heiligen, der eine eigene Lehre gestiftet, seinen Jüngern den Weg zur Erlösung gezeigt und im Tode sich in das Nichts (Nirwana) aufgelöst hat. Selig werden, das heißt nichts anderes als es dahin bringen, daß man diesem unbeschreiblich erhabenen und verehrungswürdigen Buddha in das Schattenreich der Vernichtung folgen darf. Sein Bild, die bekannte mit verschränkten Knien dasitzende Gestalt, gilt als heilig. Es wird in mannigfacher Weise als Gemälde, Statue oder Amulett hergestellt und angebetet. In jedem Tempel oder Kloster, aber auch in jedem Privathaus steht ein solches Bild. Dabei verehrt der Tibeter noch eine ganze Heerschar von anderen hilfreichen Geistern und Göttern. Eine noch größere Rolle aber spielen die vielen bösen Geister oder Dämonen, die das Gemüt des Volkes mit beständiger Furcht erfüllen.

Die zweite religiöse Pflicht des Tibeters besteht in der Befolgung der Lehren Buddhas. Diese Lehren werden Tschos genannt und sind in hunderten von oft sehr umfangreichen Büchern niedergelegt. Manches gute Wort von moralischem Wert ist in diesen Büchern zu finden; doch verschwindet es in “einem Wust von dunklen, für den Laien völlig unverständlichen Aussprüchen. Aber das stört nicht. Gilt doch schon das mechanische Lesen dieser Schriften für verdienstlich, und man befolgt Buddhas Lehre schon dadurch, daß man sie liest. Das Lesen selbst besorgt der Priester. Mehrmals im Jahr wird derselbe in das Haus gerufen, damit er aus den Tschos lange Gebete vorlese, die Krankheit, Gefahren und böse Einflüsse von Haus, Hof, Garten und Feld, sowie von den Menschen selbst fernhalten sollen. Fabrikmäßig wird oft von mehreren im Kreis beieinander sitzenden Lamas das Lesen besorgt; eine Arbeit, die tagelang währen kann. Nicht auf die Qualität des Gelesenen kommt es an, sondern auf die Quantität. —

Tritt wider Erwarten der gewünschte Erfolg des Gebetes nicht ein, so läßt man sich z. B. bei einer Erkrankung vom Lama einen Spruch auf einen Zettel schreiben, näht letzteren zusammengefaltet in ein rotes oder grünes Täschchen und befestigt diesen Zauber an der Mütze des Erkrankten. Oder der Zettel wird zur Pille gedreht und verschluckt. Das muß unweigerlich helfen, denn in den Tschos wohnt göttliche Kraft. Der Lama aber wird für seine Bemühungen reichlich bezahlt.

Die dritte Pflicht des frommen Tibeters besteht in der Hingebung an die Gemeinde der Vollkommenen, d. h. an die Priester oder Lamas. Ihr Haupt ist der Dalai-Lama in Lhasa, der über einer großen, in mannigfachen Abstufungen nach unten sich erweiternden Gemeinde thront. (Seit 1959 befindet sich der Dalai-Lama in Indien.) Die Lamas wohnen in Klöstern beisammen, 
doch gibt es auch Heilige, die ein Einsiedlerleben
 führen oder wandernd umherziehen. Die meisten 
kennzeichnen sich durch die Farbe ihres Gewandes
 als zur roten oder zur gelben Sekte gehörig; das
 sind die zwei bekanntesten Mönchsorden.
Diese Lamas nun bilden die Gemeinde der Vollkommenen. In ihnen sieht der Laie die Gottheit vermenschlicht und sichtbar nahe gebracht. Sie machen sich anheischig, die Sorge für das Seelenheil der Menge zu übernehmen und für sie, wie der bezeichnende Ausdruck lautet, „Religion zu machen” . . . .

Lamas von höherem Rang, in denen ein früherer verstorbener Heiliger wieder Mensch geworden ist, werden geradezu als Heilande angesehen.  . . .

Daß der Anhänger des Buddhismus von einem so weitgehenden Abhängigkeitsgefühl dem Lama gegenüber erfüllt ist, beruht zum großen Teil auf der buddhistischen Lehre von der Sünde und der Seelenwanderung. Nicht nur das einzelne sittliche und religiöse Vergehen, sondern die Liebe zum Leben überhaupt ist Sünde. Um davon geheilt zu werden, muß die Seele nach dem Tode immer wieder in einen sterblichen Tier- oder Menschenleib zurückkehren und in jeder neuen Existenz die Früchte dessen ernten, was sie in einer früheren gesät hat. Auch was der Mensch im einzelnen während seines irdischen Lebens tut und erduldet, Freud und Leid, seine Gesinnung und sein Charakter, auch seine Sünden, faßt der fromme Tibeter als die Wirkungen und Ergebnisse dessen auf, was er in einem früheren Dasein verfehlt oder geleistet hat. Die Macht aber, die — Gutes und Böses abwägend — über die jeweilige Existenz des Menschen entscheidet, ist das Karma.
Die Folge dieser Anschauung ist, daß der buddhistische Tibeter kein Bewußtsein von Schuld und Verantwortlichkeit besitzt, weder im Blick auf seine Vergehungen in einer früheren Existenz, noch im Blick auf sein gegenwärtiges Leben. Allein das Karma entscheidet, welchen Wert das Gute oder Böse seiner augenblicklichen Daseinsform in der Gesamtrechnung auch seiner früheren Existenz einnimmt. — Da gehört denn in der Tat viel Liebe dazu, um in der Arbeit an einem solchen Volke nicht zu ermüden. Und solche Liebe, die alles glaubt und duldet und niemals verzagt, kann sich ein Missionar nicht selbst schenken; sie muß ihm von oben gegeben werden.

Pionier auf hartem Boden
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Arbeit, die Heydes über 40 Jahre in Kyelang und von Kyelang aus getan haben, in zeitlicher Reihenfolge darzustellen. Das würde den Leser ermüden. Pflegte doch auch Mutter Heyde auf die Frage, was sie im Himalaja getan hätte, stets die Antwort zu geben: „Oh, nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches, immer wieder dasselbe.”
Stellen wir stattdessen an den Anfang dieses Abschnittes eine Schilderung der Persönlichkeit des siebzigjährigen Mannes und seiner Gattin, die aus der Feder von Missionar Schnabel stammt, des Letzten unter den vielen Mitarbeitern, die Heydes in Kyelang hatten kommen und gehen sehen:
„Der 4. Oktober 1895″ — so schreibt Schnabel — „war der Tag unserer Ankunft in Kyelang. Vom ersten Tage ab entspann sich ein schönes, fast möchte ich sagen ein ideales Verhältnis zwischen dem altehrwürdigen Streiterpaar und uns, den Neuangekommenen. . . .  Beide, Bruder Heyde und seine Frau, dienten uns als Vorbilder treuer Pflichterfüllung. Und was konnten wir nicht alles von ihnen lernen; ich von ihm, dem Pionier auf diesem Arbeitsfelde, und meine Frau von ihr, der liebreichen, stets hilfsbereiten Haus- und Missionsmutter. Welch reicher Schatz von Erfahrungen und mancherlei Erlebnissen hatte sich bei beiden nach so viel Dienstjahren angesammelt!
Worüber man sich am meisten wundern mußte, das war die fast jugendliche Art des Empfindens und die Geistesfrische, die sie sich trotz der Einsamkeit und einer jährlich wiederkehrenden mehrmonatigen Abgeschlossenheit von aller Welt bewahrt hatten.
Dazu haben sie nie einen Europaurlaub genommen, und nur zweimal waren sie gemeinsam in Simla und Nordindien zur Erholung! . . . Teure Kunst- und Luxusgegenstände suchte man vergeblich in ihren Wohnräumen; alles war schlicht und einfach. So auch die Kleidung, die von Tibetern geschickt aus einheimischen Wollstoffen in Schwarz, Braun oder Grau angefertigt war. Und wie einfach waren diese Leute auch im Verkehr mit anderen Europäern! Niemals drängten sie einem ihre Meinung, ihr reiches Wissen auf geistigem, religiösem und praktischem Gebiete auf. Wenn aber jemand fragte und sich für eine Sache interessierte, dann teilten sie ihm frei aus ihrer gemeinsamen Fülle mit.
War es daher ein Wunder, wenn so mancher sich zu ihnen hingezogen fühlte? Besonders jüngere und unerfahrene Personen hatten es gern mit dem alten Missionarenpaar zu tun, denn wie konnten sie noch jung sein mit der Jugend! Noch sehe ich z. B., wie begeistert der 70jährige Vater Heyde auf meinen Vorschlag einging, für die Dorfjugend eine Turnschule einzurichten. Reck, Barren, Sprungbrett konnten nicht schnell genug fertiggestellt werden, und oft schaute er dem munteren Treiben auf dem Turnplatz zu.  . . .
Viele Reisende haben es mir bezeugt, daß der Besuch im Kyelanger Missionshaus für sie reichen Gewinn bedeutete. . . . Ihr Ruf und Einfluß reichte in der Tat weit über die Grenzen ihres Wirkungskreises hinaus.  . . .”
Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, als der äußere Erfolg der Arbeit, d. h. die Zahl der getauften Christen, verhältnismäßig gering geblieben ist. Doch davon später.

Gefahr und Bewahrung
Wie jeder Missionar, so hat auch Heyde mit seiner Frau als Evangelist und Seelsorger, als Arzt und Erzieher unter dem Volke gewirkt, zu dem er gesendet war. —
In den zwei ersten Jahrzehnten seiner Tätigkeit ist er viel und weit umhergereist, um in Dörfern und Städten, auf Marktplätzen, an Wallfahrtsorten und in Nomadenlagern das Evangelium zu verkünden. Mehrfach drangen Regierungsbeamte und Forschungsreisende in ihn, sie als Führer und Dolmetscher zu begleiten. Solche Anträge, so verlockend sie waren, lehnte Heyde stets ab.
Dagegen unternahm er auch im höheren Alter immer noch gern seine jährlichen Evangelisationsreisen. Einmal blieb er sogar (1882 auf 1883) 10 Monate unterwegs, als er in seinem 58. Lebensjahr die Gründung der Missionsstation in Leh vorbereitete. (In den Jahrzehnten seit Heydes Heimkehr ist Leh immer mehr zum fast einzigen Mittelpunkt der Himalaja-Mission der Brüdergemeine geworden. 1926 mußte Poo als Missionsstation geschlossen werden und 1940 gar Kyelang.)
Diese Reisen in der Hochgebirgswelt waren nicht immer ungefährlich, und mehrfach erfuhr Heyde wunderbare Lebensbewahrungen. Einmal rollte eine Lawine dicht neben ihm zu Tal, ein andermal geriet er bei fast 6000 m Höhe mit seinen Begleitern in den Schneesturm und verirrte sich. Wie durch ein Wunder kam die der Erschöpfung nahe Gesellschaft wieder auf den rechten Weg und unter Schutz. Bei einem Flußübergang riß ihm die starke Strömung das Pferd unter dem Leibe weg, und er selbst wurde eine weite Strecke flußabwärts gespült, bis er schon halb bewußtlos eine Uferwurzel erreichen konnte. Und wieder bei einer anderen Gelegenheit scheute das Pferd kurz, bevor er es besteigen wollte und stürzte in den Abgrund.
Der allbeherrschende Gegenstand seiner Predigten war die Versöhnung durch Christi Tod, die er immer und immer wieder der buddhistischen Gesetzlichkeit und Vollkommenheitslehre gegenüberstellte.
„Gott ward Mensch und ist gestorben,

Menschenherz, für dich, des freue dich ewiglich.”

Diese Glaubenswahrheit betrachtete Missionar Heyde als das Fundament seines Lebens, aus ihr schöpfte sein kindlicher, einfältiger Glaube wie aus einer nie versiegenden Quelle.

Was will der weiße Sahib?
Hand in Hand mit der Wortverkündigung ging die Schriftenverteilung. Keine Reise wurde angetreten, ohne daß sich der Missionar mit Bibelteilen und Traktaten versah. Diese aber mußten zuvor übersetzt und gedruckt sein. —
Der große und bahnbrechende Sprachforscher und Gelehrte in der tibetischen Mission ist Dr. Jäschke. Aber auch Heyde hat sich mit hingebendem Fleiß und der ihm eigenen Zähigkeit den Sprachstudien gewidmet. Immer wieder vertiefte er sich in die alten heiligen Bücher der Tibeter, so in den Kangyur, das Hauptwerk ihrer Literatur mit seinen 108 Bänden. Wandernde Lamas, die ihn bei solcher Lektüre antrafen, konnten da wohl gelegentlich der Meinung sein, als wolle der weiße Sahib sich zu ihrer Religion bekehren; doch wurden sie bald eines Besseren belehrt. Unermüdlich schmiedete sich Heyde dadurch, daß er in den Geist der tibetischen Sprache einzudringen suchte, die Waffen, um dem Evangelium zum Sieg zu verhelfen.

Er war wohl der erste, der mit Nachdruck die Notwendigkeit betonte, die christlichen Wahrheiten nicht nur in das klassische Tibetisch (die Gelehrtensprache) zu übersetzen, wie Jäschke es getan hatte, sondern auch in die Umgangssprache des gemeinen Volkes. Mit Energie suchte er den Lahouler Dialekt, das sog. »Bunan«, zu erforschen und für die Sache des Evangeliums zu verwerten. So sammelte und veröffentlichte er die buddhistischen Wallfahrtsgebete in der Bunansprache und übersetzte in dieselbe eine Reihe der wichtigsten Bibelsprüche. Auch richtete er frühzeitig sein Augenmerk auf hoffnungsvolle, junge Tibeter — ob es Söhne christlicher Eltern waren oder solche, die selbst erst zum Christentum übertraten — und bemühte sich eifrig, sie zu Evangelisten und Missionsgehilfen heranzuziehen. Und nicht umsonst! Welch wertvolle Hilfe hat z. B. Zodpa, der doch ganz und gar aus Heydes Schule hervorgegangen ist, den Missionaren bei ihren Übersetzungsarbeiten geleistet! Und in wie gesegneter Arbeit standen danach Männer wie Jamsga Puntsog* (Einer der beiden ersten Geistlichen, die 1921 ordiniert wurden), Tschompel (der einstige Lama von Traschilumpo) und Dewazung! —
In der Bibliographie der Himalajamission der Brüdergemeine von Francke wird Heyde u. a. genannt als der Übersetzer von Tobias Becks Glaubenslehre, (564 Seiten), und eines tibetischen Gesangbuchs (Übersetzung deutscher und englischer Kirchenlieder). Ferner als der Herausgeber der von Missionar Redslob übersetzten fünf Bücher Mose mit Hinzuübersetzung der fehlenden Stücke; als der Revisor des englisch-tibetischen Wörterbuchs (im Auftrag der indischen Regierung), sowie des Neuen Testaments (im Auftrag der britischen Bibelgesellschaft). Endlich wird er genannt als der Verfasser einer Reihe von Lehrbüchern für die Christenschule (Geographie, Astronomie, Rechenbücher, Sonntagsschulthemen, Sprichwörter, biblische Geschichten) und von Traktaten.
Zum Übersetzen und Schriftstellern kam das Drucken. Heyde und besonders seine Frau wurden je länger je mehr zu Meistern in der tibetischen Schönschreibekunst. Schon Jäschke stellte fest, daß er in Schwester Heyde den »tibetischen Kalligraphen« entdeckt habe. So sind denn Tausende von Seiten von den fleißigen Händen der beiden in schönster tibetischer Druckschrift geschrieben und auf der Kyelanger Presse vervielfältigt worden.

Besucher auf Kyelang
Wie das Evangelium von Kyelang aus in die Heidenwelt getragen wurde, so kamen auch umgekehrt die Heiden vielfach nach Kyelang. Mit Vorbedacht war nämlich grade dort eine Missionsstation angelegt worden, weil dieser Ort in der Mitte der Provinz Lahoul und an der Handelsstraße liegt, die von Leh aus in die Ebene Nordindiens führt. Auch führte der Weg zu dem nur zwei Tagereisen entfernten weltberühmten Wallfahrtsort Repag (Triloknath) an Kyelang vorbei.
Kaum hatten sich daher im Frühjahr die Schneepässe geöffnet, so erschienen auch schon die ersten Trupps der Wallfahrer oder Händler im Tal, und die meisten von ihnen statteten dem Missionshaus einen Besuch ab, zunächst gewöhnlich aus Neugier, denn sie wollten doch etwas sehen; niemals aber verließen sie das Haus, ohne irgendwie mit dem Geist Gottes in Berührung gekommen zu sein. Fast noch wichtiger als die öffentliche Predigt und Schriftenverteilung war dem erfahrenen Missionar das Gespräch unter vier Augen. Diese persönlichste Art des Verkehrs liebte er am meisten und übte sie allerorts, früh und spät, wo sich ihm nur eine Gelegenheit dazu bot. So suchte er den alten Lama auf, der in seiner Einsiedlerhöhle sich versteckte wie ein Fuchs in seinem Bau; so ließ er sich unterwegs mit dem unbekannten Wanderer in ein Gespräch ein, um an sein Herz zu kommen; so sprach er regelmäßig von Zeit zu Zeit wie ein treubesorgter Vater mit jedem einzelnen Mitglied seines Gemeindleins; so stand er aber auch für jedermann zur Verfügung, der von ihm Rat und Hilfe begehrte.
Und das geschah sehr häufig, von nah und fern kamen sie, Christen und Heiden, und brachten ihre oft merkwürdigen Anliegen vertrauensvoll vor ihn. Nur ein Beispiel statt vieler, um die Art und Weise zu beleuchten, in der Vater Heyde mit seinen Tibetern umging: Kam da eines Tages ein Fremdling zum Kyelanger Padre Sahib mit der Bitte, ob er ihm 80 Rupis (108,— Mark in Friedenszeiten) borgen wolle. „Wozu brauchst du das Geld?” „Nun, ich benötige es, und zwar bald”, lautete die Antwort. „So — aber ich kenne dich nicht, würdest du einem Stockfremden so ohne weiteres eine solch hohe Summe leihen?” — „Nein — und ja!” — „Das würdest du nicht tun. Auch ich werde es nicht tun, solange du mir fraglich erscheinst”, erwiderte der Sahib. Verlegen, nicht recht wissend, was er antworten solle, greift da der Tibeter in die inneren Falten des Gewandes und bringt ein Päckchen zum Vorschein mit dem Bemerken: „Bitte gib mir das Geld, und nimm das dafür.” „Ja, was soll ich mit dem Päckchen, und was ist darinnen?” — „Saphire!”
„Wie, Saphire? Die werden wohl nicht echt sein, mein Geld ist mir lieber”, antwortete Vater Heyde. „Ich habe aber die Steine als echt gekauft, sie sind hier in den Bergen gefunden worden”, spricht der Tibeter. „Bitte, Sahib, behalte die Steine und gib mir das Geld.” Endlich läßt sich der Missionar erweichen und gibt dem Fremden die 80 Rupis.
Mit dem Edelsteinpäckchen konnte er nun eigentlich tun, was er wollte. Aber er verwahrt es sorgfältig in der Meinung, die Steine könnten wirklich echt sein und der Tibeter könnte wiederkommen. Wochen und Monate vergehen, ohne daß sich jemand zeigt. Doch siehe, eines Tages erscheint der Tibeter ganz unerwartet wieder in Heydes Studierstube: „Hast du noch mein Päckchen?” so lautet die erste Frage. „Hast du noch mein Geld?” so ertönt prompt die Gegenfrage. „Ja, das habe ich.” Und darauf holt der Sahib das wohlverwahrte Päckchen hervor und gibt’s dem Fremden zurück. Dieser ist überglücklich, daß der Sahib die Steine nicht verkauft hat, denn sie waren wirklich echt. Der Tibeter reiste bald darauf nach Delhi, verkaufte die Saphire und kehrte als reicher Mann zurück. — So und ähnlich begegneten sich gar oft das Vertrauen der Eingeborenen mit der Uneigennützigkeit des Missionars; und jedesmal leuchtete dann etwas von der Herrlichkeit des Reiches Gottes in jener stillen Bergwelt auf.
Nichts wäre übrigens verkehrter, als wenn jemand aus dieser Begebenheit den Schluß ziehen wollte, Missionar Heyde sei ein leicht zu überredender, gutmütiger Mann gewesen. Er hatte vielmehr einen sehr festen Willen, neigte in seiner Jugend zum Jähzorn und bekannte, daß er in den ersten Zeiten seines Amtes oft zu tatkräftig, herb und streng gewesen wäre und dadurch gelegentlich bei seinen lieben Kollegen Anstoß gegeben habe. — Und wenn auch im Alter sein Charakter und Wesen weit mehr zur Milde neigte und ein bestimmtes „Nein” nicht mehr leicht über seine Lippen zu kommen schien, so wußte er dennoch zu gegebener Zeit fest und entschieden aufzutreten.
So hatte sich einst ein junger Mann aus dem Mantschat-Tal den Arm von oben bis unten verbrüht, so daß die Haut in Fetzen herabhing. Wie Unzählige eilte er alsbald zum „Kyelang Sahib”, um Hilfe und Medizin zu erbitten. Da dieser ähnliche Fälle schon mit gutem Erfolg behandelt hatte, wußte er sofort, was zu tun war. Und als der Arm des jungen Freundes gut verbunden in der Binde lag, wurde ihm gesagt, er solle in drei Tagen wiederkommen. Der Patient erschien jedoch nicht. Vater Heyde schöpfte Verdacht, und erst nach zehn Tagen stellte sich der junge Mantschater ein, um weitere Medizin bittend.
„Warum bist du nicht eher gekommen?” — „Ich hatte dringende Geschäfte“. „So, dann zeig einmal deinen Arm!“ Der „Kyelang Sahib“ hilft ihm beim Abwickeln der Binde, und siehe da — ein dicker geschwollener, furchtbar aussehender Arm kommt zum Vorschein. „Das ist eine schöne Bescherung, lieber Freund, was ist hier geschehen?
Diesen Breiaufstrich habe ich nicht gemacht und die Birkenrinde habe ich auch nicht aufgelegt. Gestehe es nur, die Medizin-Lamas haben deinen Arm in Kur gehabt und ihren Hokuspokus vorgenommen. Und jetzt, wo sich die Herren vom roten Kollegium keinen Rat mehr wissen, kommst du wieder zu uns. Geh nur und bleib bei deinen Lamas! Ich mag jetzt mit deinem Arm nichts mehr zu tun haben.” — So wurde der junge Mann abgewiesen und ganz mit Recht; denn es war im ganzen Lande bekannt, daß es beim „Kyelang Sahib” nur ein Entweder — Oder gibt, entweder eine Behandlung durch den Missionar oder durch die Lamas. Der Patient verlegte sich nun aufs Bitten und machte allerlei Versprechungen. Alles umsonst, er mußte gehen. Aber er kam wieder, nicht nur einmal, sondern sechsmal. Dann erst nahm sich Missionar Heyde seiner wieder an; und der Arm heilte, wenn auch langsam, da die Lamas mit ihrer Heilkunst den Heilungsprozeß schwer gestört hatten. —
Dieser Grundsatz, die hilfesuchende Hand zurückzuweisen, sobald das Eingreifen der „Rot-Röcke” festgestellt wurde, konnte im einzelnen Fall wohl hart erscheinen. Er war aber vom Standpunkt des Arztes und des Missionars aus richtig und zeitigte auch je länger, je mehr seine Frucht. Die Menge des Volkes suchte Rat und Hilfe in der Erfüllung ihrer verschiedensten Wünsche nicht mehr bei den heidnischen Zauberdoktoren, sondern meistens im Missionshaus zu Kyelang.
Heyde war ohne Frage ein für das praktische Leben besonders begabter vielseitiger Mensch. Und wenn man eine Liste zusammenstellen wollte von Dingen, die er angefertigt hatte, so würde sie recht bunt ausfallen, u. a. würde darauf zu finden sein: Eine Sonnenuhr aus Stein gemeißelt, ein Globus aus Zinkblech, Kinderspielzeug, Konservenbüchsen und Gießkannen, überhaupt Klempner- und Schreinerarbeiten, sowie bautechnische Anlagen der verschiedensten Art;  selbstgemachte Würste, selbstgebundene Bücher, selbstentworfene Wandkarten und dergleichen mehr. Es war kein Wunder, daß man glaubte, beim Padre Sahib alles bekommen zu können:

Bücher, Fibeln, Handwerkszeug, Saatkartoffeln, Stecklinge und Hammelfleisch, Strümpfe, Mützen, Handschuhe, Arznei für Mensch und Vieh, und nicht zuletzt Ratschläge für alle möglichen und unmöglichen Fälle. Der eine hatte zu viel Kinder, der andere zu wenig oder gar keine. Einem Dritten war die Frau weggelaufen, ein Vierter lebte in Streit mit seinen Kindern, ein Fünfter wollte eine Eingabe an die Regierung angefertigt haben. Ein Sechster suchte Arbeit und einem Siebenten sollte der Zahn gezogen werden. Wie viel Gelegenheit gab es da, durch all die äußeren Angelegenheiten hindurch auf das Innere zu sprechen zu kommen und Arbeit an den Seelen zu tun.

Oft genug mußte auch die Frau einspringen, wenn der Mann auf Reisen war. So kam einst eine Mutter mit ihrem Büblein, dem ein Yak den Leib aufgerissen hatte. Es war kein Missionsarzt da und kein ärztliches Instrument. Und doch sollte geholfen werden. So schickte Mutter Heyde einen Gebetsseufzer zum Herrn, griff dann zu gewöhnlichem Zwirn und Nadel und nähte die klaffende Wunde zu. Statt der Narkose bekam der kleine Patient eine getrocknete Aprikose in den Mund, damit er nicht schreien sollte. Die Wunde heilte übrigens unter Gottes Segen aufs schönste, und noch lange eilte der Junge, wenn Mutter Heyde einmal durch sein Dorf kam, auf sie zu, hob sein Röcklein auf und zeigte die gut verheilte Narbe. —
Noch ein anderes ergreifendes Beispiel, das manchen Zweifler auch hier in Europa zum Nachdenken veranlassen könnte: Als einst der Rinderpest die meisten Kühe im Tal zum Opfer fielen, kam Dana, eine arme Christin, zu Mutter Heyde mit der einfaltigen Bitte, sie möchte doch darum beten, daß ihre einzige Kuh am Leben bliebe. Danas Kuh stand im Stall der Missionsfarm. Heydes hatten sich nun bereits vorgenommen, nicht darum zu beten, daß das Vieh der Mission von der Krankheit verschont bleibe. Sie wollten mit dem ihnen ans Herz gewachsenen Volk in Freud und Leid das gleiche Los teilen. Nun aber wurde ihnen so zumute, daß sie freudig gerade für das Anliegen der Dana beten sollten, damit der Glaube jener einfältigen Christin nicht beschämt würde. Und siehe da — sämtliche Kühe der Missionsfarm gingen ein, und nur Danas Kuh in der Ecke des Missionsstalles blieb am Leben und gab während der ganzen Zeit gute Milch, die den Kindern der armen Mutter zugute kam

Musterfarm und Strickschule
Auf zwei Dinge müssen wir noch besonders eingehen, wenn wir die Tätigkeit der beiden Heydes in Kyelang betrachten: auf die von Vater Heyde gegründete landwirtschaftliche Musterfarm und auf die von Mutter Heyde ins Leben gerufene Strickschule.
Durch Anlegung einer Musterfarm mit Viehwirtschaft hat sich Heyde ein bedeutsames Verdienst erworben, nicht nur bei der tibetischen Christengemeinde, sondern auch bei der gesamten Bevölkerung dieses Landstrichs. Das großzügig angelegte und durchgeführte Unternehmen wollte er ebenso wie die Wortverkündigung als Missionsarbeit gerechnet wissen. Und das wird sehr wohl verständlich, wenn man sich die Gedanken vergegenwärtigt, die ihn bei jener Arbeit leiteten.
Er sagte: „Der Tibeter neigt dazu, das Christentum als eine Art von Buddhismus anzusehen, die auch nur aus religiösen Lehren und Übungen zusammengesetzt ist, dem wirklichen Leben aber fremd gegenübersteht. Darum muß das Christentum den Tibetern vorgelebt werden. Und zwar nicht nur durch den persönlich tadellosen Wandel des Missionars, sondern durch eine das ganze Leben schöpferisch befruchtende Tätigkeit. So sollen auch die dort landesüblichen Erwerbszweige der Acker- und Weidewirtschaft den christlichen Geist als eine göttliche Lebensmacht erfahren, die segnend und heiligend wirkt.”

Die Schwierigkeiten bei der Ausführung des Unternehmens waren freilich groß. Das oft zu steile Gelände, das die Regierung zur Verfügung gestellt hatte, mußte stufenweise behandelt und waagerecht gemacht werden. Und der wasserarme Boden bedurfte einer künstlichen Berieselung. Zu diesem Zweck aber mußte eine 15 Kilometer lange, Lawinen- und Schlammstromsichere Wasserleitung angelegt, d. h. mit den einfachsten Mitteln in stetem Kampf einer unwirtlichen Gletscherwelt abgerungen werden. Die Quelle der Wasserleitung lag nämlich im Gletscher. Die Lamas hatten zunächst ihren Spott, als sie diese Arbeiten sahen. Doch bald schwiegen sie, denn sie mußten es erleben, daß die Missionsfelder ohne die üblichen Zaubermittel eine so viel bessere Ernte lieferten als die ihrigen; ja, daß viele ihrer Pflegebefohlenen sich bei der Arbeit nicht mehr nach ihren Vorschriften richteten, sondern nach dem, was in der Missionsfarm geschah.

Als letztes Ziel strebte Heyde eine oberhalb von Kyelang sich ausbreitende christliche Niederlassung an, indem er anfing, Teile der Farm an christliche Familien zu verpachten. Dort lag Tingtse, eines der fünf Farmhäuser, in lieblicher und zugleich großartiger Umgebung. Dort in feierlicher Stille verbrachte der greise Missionar mit Vorliebe, wenn es möglich war, die Zeit seiner jährlichen Erholung.
Wenn Ende November oben in der Missionsfarm das Erntedankfest gefeiert wurde, dann wurde die kleine Christenschar ganz eigentlich zu einer Predigerin der Güte ihres Gottes. Dann schleppte sie ihre Feld- und Gartenerzeugnisse heran: Melonen, Kürbisse, Äpfel, Aprikosen, Rot- und Weißkraut, Gerste, Weizen und Kartoffeln. Das alles gedieh bei einer Höhe von 3000 m. Roggen und Kartoffeln waren früher in Tibet eine unbekannte Frucht und sind erst durch die Missionare im Lande eingeführt worden.
Acht kleine Kartoffeln, in einer Blechbüchse verlötet, ließ Heyde einst aus Europa kommen. Sie bildeten den Grundstock zu späteren reichen Kartoffelerträgen.
Und es war eine Lust, dem fröhlichen Treiben zuzuschauen, denn alle wußten es: Es ist Gottes Segen, und der Erlös kommt der Mission zugute. —

Das Gegenstück zu Vater Heydes Farm war die Strickschule Mutter Heydes. Auch diese Arbeit führte die Mission mit der Bevölkerung wie von selbst zusammen. Denn von der Wolle auf dem Schaf bis zum fertigen Strumpf am Fuß stand die ganze „Industrie” unter Obhut und Leitung der Mission. — Die gekaufte, übrigens recht gute Wolle wurde von den Frauen auf der Missionsstation gereinigt, gewaschen und eigenhändig gesponnen. Und dann setzte die Strickschule ein.
Das Stricken war, bevor die Frauen der deutschen Missionare kamen, in Tibet eine unbekannte Kunst. Und es kostete viel Mühe, eine Strickschule einzurichten. Jahre hindurch kamen trotz eifriger Einladung nur ein oder zwei Personen, und das waren Männer. Denn alle Handarbeiten, außer dem Spinnen, waren ursprünglich bei den tibetischen Frauen verpönt. Lieber liefen sie mit großen Löchern in den Kleidern herum, als daß sie eine Nadel zur Hand genommen hätten.
Mutter Heydes Geduld aber machte sich schließlich bezahlt. Mit der Zeit kamen 80 — 90 Frauen aus sechs Dörfern in zwei Abteilungen zweimal wöchentlich während des Winters im Missionshaus zusammen und fertigten 100 — 120 Paar Strümpfe in jeder Woche. Diese wurden zum Besten der Mission nach Indien verkauft. Durch die bezahlte Arbeit kam Wohlstand unter die Leute, zumal da sie anfingen, auf eigene Hand zu stricken und die Strumpfwaren an Fremde zu verkaufen. So waren die Mädchen, die mit ihren Tragkörben auf dem Rücken zum Teil weite Wege zurücklegten und dabei den Strickstrumpf in der Hand hatten, kein seltener Anblick, ja gehörten geradezu mit in das Bild des neuen, von der Mission beeinflußten Lahoul.

Nun aber die Hauptsache, die Missionsarbeit: „Noch sehe ich Mutter Heyde vor mir“, schreibt Frau Schnabel, „wie sie in der großen Stube des Missionshauses inmitten ihrer Frauen, Mädchen und Kinder stand, hier eine Frage beantwortend, dort einen Rat erteilend, immer freundlich und mütterlich auf alles eingehend. An der Wand aber hängt das große bunte Bild von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen; und nun schildert sie mit eindringlichen Worten das ,zu spät’. Dann wird ein passender Spruch oder Vers gelernt. Noch höre ich z. B., wie sie sich abmüht, den Strickerinnen Text und Melodie des Liedes einzuprägen: ‚Jesus liebt mich, das weiß ich’. Und daß ihre Arbeit nicht vergeblich war, erfuhr ich, als wir 16 Jahre später wieder in Kyelang arbeiteten. Da erinnerten sich die Strickerinnen noch gut an jenes Lied und an manches Wort, das ihnen Mutter Heyde gesagt hatte. Auch erklärten die heidnischen Mädchen von selbst: ‚Ja, Jesus ist der große Helfer in aller Not. Zu ihm beten wir’“.   . . .   . . .

Kinder in Gottes Hand
Um so schmerzlicher war das herbe Dahingehenmüssen, der bittere Verzicht, der im Familienleben der Missionare nun einmal eine solche Rolle spielt. Vater Heyde pflegte immer zu betonen, daß die Mission für den Missionar kein Opfer bedeute; er habe ihr viel mehr zu verdanken als umgekehrt. Nur eines wurde auch von Heydes als schweres Opfer empfunden: Die Trennung von den Kindern! Wenn die Kinder ein gewisses Alter erreicht haben, müssen sie um ihrer weiteren Erziehung willen nach Europa. In Kleinwelka bei Bautzen in Sachsen, wo die Mutter selbst einst gewesen, wurden auch ihre Kinder erzogen. Elly, die älteste Tochter, fuhr mit Missionar Jäschke im Jahr 1868 nach Deutschland. Paul, den ältesten Sohn, hätten sie gern selbst in die deutsche Heimat gebracht und damit ihren ersten Urlaub verbunden. Doch traten sie zurück, als ein anderes Missionarehepaar in die Heimat wollte . . .“ —

Noch schwerer als dieser Abschied war ein anderes Opfer, das die Eltern in ihrem Missionsberuf bringen mußten: Die Zahl der Kindergräber auf dem Gottesacker zu Kyelang ist unverhältnismäßig groß. Die dünne Luft (gegen 3000 m Höhe) und das Bergklima des Himalaja scheint vielfach den Kindern europäischer Eltern verhängnisvoll geworden zu sein. Auch Heydes mußten drei Kinder im blühenden Alter dahingeben: 1870 ging die kleine 3jährige Agnes heim. Vor allem aber war es das Jahr 78, das von den Eltern ganze Ergebung in Gottes Willen forderte, und dessen Führung der Vater damals als die schwerste Heimsuchung in seinem bisherigen Leben empfand. Rasch nacheinander entschliefen die siebenjährige Lydia und der neunjährige Hermann zu einer Zeit, wo die Mutter bereits emsig an deren Ausstattung für die Reise nach Europa arbeitete, die sie gemeinsam antreten sollten. Lydia muß nach der Aussage der Eltern das lieblichste und Hermann das begabteste unter ihren Kindern gewesen sein. Ein typhöses Bergfieber raffte sie dahin. Das Tagebuch berichtet darüber unter dem 8. Oktober 1878: „Die ganze Nacht am Bett unserer lieben Lydia verbracht! Sie war ruhig, mit Ausnahme von einigen Erstickungsanfällen. —
Am Morgen faßten wir wieder Hoffnung, wichen aber den ganzen Tag nicht von ihrem Lager. Sie lag still, konnte nur wenig lispeln, war aber viel bei sich und verstand alles, was wir sagten. Wir sprachen viel über ihr Heimgehen. Wenn sie uns weinen sah, streichelte sie uns und lispelte: „Papa, ei, ei — Mama, ei, ei!“ Es war rührend. Und dazwischen konnte man verstehen: „weh, weh“, während sie auf den Hals zeigte. —
Abends nach 5 Uhr trat die Veränderung ein, der Todeskampf begann. — Wir empfahlen nochmals unter Tränen unseres Kindes Seele in des Heilandes Hände. Nur wenige Augenblicke noch, da richtete sie den klaren Blick mit dem Ausdruck des Erstaunens in die Höhe — und ihr Atem stand stille. O liebes, teures Kind, wüßten wir doch, was du da gesehen hast!“ —

Und unter Sonntag, dem 1. Dezember, lesen wir: „Schmerz — und tränenvolle Tage liegen hinter uns. Am Dienstag stellte sich bei Hermann das Fieber wieder ein. Der Hals wurde schlimmer trotz Pillen, Salbe und Medizin. In den Nächten Unruhe und Phantasieren; am Tage mehr Stille, besonders beim Erzählen biblischer Geschichten. Freitag früh merkten wir, daß es zum Ende ging. Das Fieber war heftig, er redete viel irre. Sein Durst war unauslöschlich. Dazwischen war er bei sich, kannte uns, und seine letzten Worte waren: „Papa, Mama!“ Dann schloß er die Augen, gerade als die Sonne aufging. Wir empfahlen im Gebet seine scheidende Seele dem Heiland, bei dem unser Junge wohlaufgehoben ist. — Am 29. November, gerade 7 Wochen, nachdem Lydia begraben worden war, ging unser geliebter Hermann heim.“
Auch Gerhard, das jüngste Kind, war damals dem Tode nahe. Es wurde gegen Erwarten wieder gesund und war noch 2 Jahre hindurch der betrübten Eltern Freude und Trost. Dann verließ auch er das Elternhaus und trat unter der Obhut der Frau eines höheren Regierungsbeamten die Reise nach Europa an. Die Eltern brachten ihren Jüngsten von Kyelang bis nach Simla. Dort fiel das Büblein vom Pferd und brach den Arm. Eine Maultierkarawane hatte das sonst lammfromme Roß scheu gemacht. Das geschah 3 Tage vor dem Abschied. Gerhard reiste mit dem Arm in der Schlinge über das Weltmeer. Er war unterwegs fast stumm und fing erst wieder an zu reden, als er in München von seiner großen Schwester in Empfang genommen wurde. — Der Eltern Herz hatte bei jenem Abschied geblutet. Doch konnten sie nichts anderes tun, als auch dieses Kind wie die schon vorangegangenen in Gottes Hand zu legen.

Nicht gezählt, sondern gewogen
Lebenshemmungen werden für den Christen zu Lebensförderungen, das heißt sie bringen ihn dem Urquell alles Lebens näher. Sie führen ihn tiefer hinein in das Reich Gottes. Das erlebten auch Heydes. Denn die Opfer, die von ihnen gefordert wurden, vor allem die Trennung von ihren Kindern, machten sie nur um so williger, in ihrer Missionsarbeit freudig dem Herrn zu dienen, dem sie ihr Leben geweiht hatten.
Als im Jahre 1880 ihr letztes Kind von ihnen gegangen war, stand Heyde bereits 27 Jahre in der Arbeit. Und nun folgte eine fast ebenso große Zeit gesegneter Wirksamkeit. Von der Art der Arbeit hatten wir bereits gehört. Es bleibt uns noch übrig, von den Erfolgen der Arbeit ein Wort zu sagen.
Der sichtbare Kern dieses Erfolges war das Christenhäuflein, das sich in Kyelang sammelte und festigte. Diese Gemeinde trat seit 1880 für Heydes ganz an die Stelle der Familie. Sie zählte zum Schluß etwa 50 Personen; eine geringe Schar, die nur langsam gewachsen war.
Über 10 Jahre hatte es gedauert, bis der erste Tibeter, ein Lama namens Puntsog, vom Geist des Evangeliums innerlich überwunden, sich zur Taufe meldete. Das war im Jahre 1870. Und es schien, als wollte sich damals die Bevölkerung in größerer Menge zum Christentum bekehren. Sie war willig zur Aufnahme des Wortes und machte kein Hehl daraus. Da fiel am 2. März 1870 in eigentümlicher Weise jener Puntsog vom Dach und starb. Es war ein offenes Geheimnis und den Missionaren eine ausgemachte Sache, daß er von seinen Kollegen herabgestürzt worden war. Die Lamas fürchteten für ihren Einfluß, und nun setzte im geheimen eine Gegenströmung ein, deren Wirkungen nur zu deutlieh wurden. Die Leute wurden seit jener Zeit scheu und zurückhaltend, sobald man auf ihre Religion zu sprechen kam. Vorher waren sie harmlos und empfänglich gewesen, nun wurden sie ängstlich und verschlossen. Wohl nahmen die Talbewohner nach wie vor die Hilfe der Missionare bei mannigfachen Gelegenheiten in Anspruch, aber sie fanden keinen Mut zum offenen Übertritt. Wie viele haben es dem Vater und der Mutter Heyde gesagt: „Im Herzen sind wir Christen, wir beten zu Jesus, aber wir dürfen es nicht zeigen.“ — Sie fürchteten die Rache und den Zorn der Lamas.
Das war nun freilich eine schmerzvolle Enttäuschung, eine herbe Glaubensprüfung für die Missionare. Mit großen Hoffnungen und voll Begeisterung hatte einst die heimatliche Gemeinde jene ersten Sendboten nach Innerasien geschickt. Und nun so langsame und spärliche Erfolge! Es blieb für Heyde und seine Gattin stets ein großer Kummer, daß die tibetische Mission nicht mit größeren sichtbaren Erfolgen aufwarten konnte. Aber dieser Kummer trieb nur um so tiefer in Gebet und Fürbitte hinein; und das war wiederum der Weg, auf dem sie den Mut der Hoffnung und die Arbeitsfreudigkeit stets aufs neue erlangten.
In den Anfangszeiten der Brüdermission war man rascher bei der Hand, die Zelte abzubrechen, wenn die Arbeit erfolglos schien, und sie an anderer Stelle wieder aufzuschlagen. Vielleicht wäre das auch, menschlich gesprochen, in bezug auf die tibetische Arbeit das Richtigere gewesen. Aber Gott wollte hier offenbar ein Schulbeispiel dafür schaffen, daß der Wert eines Christenlebens und auch eines missionarischen Lebens nicht von dem äußeren Erfolg der Arbeit abhängt, sondern von der Treue, mit der sie getan wird. Die Brüdergemeine, und besonders der englische Teil derselben, bestand auf Fortführung des tibetischen Missionswerkes, und da waren auch die Heydes von ganzem Herzen dabei. „Wenn Gottes Stunde einst für Tibet schlagen wird, werden andere ernten, was wir gesät haben.” Das war ständig ihre stille Hoffnung.
Im übrigen freuten sie sich des Satzes, der ihnen einst aus einer Missionsfestpredigt in Deutschland entgegengeklungen war: „Im Reich Gottes wird nicht gezählt, sondern gewogen.” Die Wahrheit dieses Wortes empfanden sie bei ihrer Arbeit unter den Tibetern.

Der weitgehende indirekte Einfluß der Mission auf das gesamte Volksleben ist bereits erwähnt worden. Er ging über die auch heute noch verschlossene Grenze bis in das Innere von Großtibet; denn wo die Missionare selbst nicht hingelangen konnten, dahin fanden die zahlreichen von ihnen gedruckten Schriften den Weg.
Heyde sagte: „Im Himmel werde ich sicherlich einer ganzen Reihe von ungetauften Tibetern begegnen, denen ich den Weg zum Leben zeigen durfte.“ Und Mutter Heyde ging regelmäßig am Sonnabendnachmittag mit dem Bergstock bewaffnet in die nächsten Dörfer, um diejenigen unter den Heiden zu besuchen, die alt, schwach oder krank waren; und dabei ist manch gutes Samenkörnlein ausgestreut worden.
Gestaltete sich so das Verhältnis der ehrwürdigen Missionsleute zu ihrer heidnischen Umgebung im Lauf der Zeit immer fruchtbringender, so war doch die Pflege der Christengemeinde in Kyelang das Allerwichtigste ihrer Tätigkeit. War sie der Zahl nach auch gering, so waren ihre erwachsenen Mitglieder doch in erfreulicher Weise herangereift und innerlich gefestigt, so daß Kyelang mit Recht ein helles Sternlein am dunklen Himmel des Heidentums genannt wurde. Solides Christentum wurde dort ausgelebt und diente als Vorbild für Christen und Heiden nah und fern.
Ein das ganze Jahr hindurch gehaltener Morgensegen vereinte die an eine große Patriarchenfamilie erinnernde Gemeinde. Viele Familienväter wie Drogpa, Jorpuntsog, Tsan Rintschen und Gapuntsog, wenn er von seiner Außenstation herüberkam, beteiligten sich am Halten desselben. —
Und wenn erst die Feldarbeit ruhte und der „Winterplan” einsetzte, dann erhielt das Leben noch deutlicher ein familiäres Gepräge. An Stelle der Arbeit im Freien trat die im Hause und Gehöft, in der Druckerei und im Frauenarbeitssaal. Dreimal in der Woche fanden Abendversammlungen statt: Eine Bibelkunde, eine Missionsgeschichte und ein Gesanggottesdienst. —
In den Unterrichtsstunden, die für Männer und Frauen getrennt gehalten wurden, sollte die christliche Erkenntnis planmäßig vertieft werden; so wurden da Teile der Beckschen Glaubenslehre durchgenommen.
Und die Christen nahmen es ernst, der Geist Gottes war am Werk. Nach einer Predigt über den inneren Schmuck des Weibes (1. Petri 3, 4) legten z. B. alle Frauen mit einer Ausnahme ihren Berak-Schmuck freiwillig und für immer ab. Und das wollte etwas heißen!
Sogenannte Reischristen gab es in Kyelang auf jeden Fall nicht. So nannte man in China diejenigen, die um eines äußeren Vorteils willen zum Christentum übertraten. —   . . .  . . .

So wußten die Christen Kyelangs von keiner Kluft zwischen sich und den Missionaren. Wie Kinder bei ihren Eltern, so gingen sie bei Vater und Mutter Heyde aus und ein, so wurden sie von ihnen besucht. —
Und wenn dann eine besondere Gelegenheit wie das Abendmahl die Gemeinde zusammenrief, dann kam es auch in festlicher Weise zum Ausdruck, daß man zusammengehörte und in einem Herrn verbunden war. Dann erschienen die Männer weiß gekleidet und die Frauen in dunklem Gewand mit weißem Überwurf. Ein erhebender Anblick! Und wenn sie dann beim Knien nach Landessitte die Erde mit dem Haupt berührten, um sich vor Gott in den Staub zu beugen, so war das mehr als eine Form. Dann war der unsichtbare Hirte inmitten seiner Herde, und sie hatten keinen Mangel. —
Oft nahmen auch Heiden an den Gottesdiensten teil. Besonders in der Christnacht, wo die Gemeinde ihre Weihnachtslieder sang, und am Silvesterabend reichte der Kirchensaal bei weitem nicht aus, um die Besucher alle aufzunehmen.
Und wie strömte beinahe das ganze Tal zusammen, als die Abschiedsstunde schlug. Es hatte einen schweren Entschluß gekostet, bis Vater Heyde sich dazu durchgerungen hatte, die ihm übertragene Leitung der tibetischen Mission niederzulegen und Kyelang zu verlassen. Noch fühlte er sich rüstig, ebenso wie seine Frau, doch wußte er, daß er mit 73 Jahren einer jüngeren Kraft Platz zu machen hatte.

Abschied von den Tibetern
Als er zum letzten Mal nach seinem geliebten Tingtse hinaufstieg, folgte ihm wie zufällig ein alter Lama den Berg hinauf. Derselbe stand nicht gerade in dem Geruch, ein Freund der Mission zu sein, und unterbrochen murmelte er auf dem Weg allerhand Unverständliches vor sich hin, so daß Vater Heyde sich schließlich veranlaßt fühlte, sich umzuwenden und ihn zu fragen, was er wolle. Da stieß er mit rauher Stimme die Worte aus, und die ganze Gestalt bebte vor Erregung: „Warum wollt ihr gehn, ihr seid unsere Freunde, euch haben wir lieb, ihr sollt bleiben.“
Ach, und wie gerne wäre Vater Heyde geblieben! —
Als vor einer Reihe von Jahren auf einer Konferenz allerhand tibetische Missionsprobleme geäußert wurden, hatte er sich fast leidenschaftlich einem Kollegen gegenüber geäußert: „Und wenn ich mit Kyelang unterginge über all den Schwierigkeiten, ich weiche nicht!“ Und nun wich er doch, aus Gehorsam gegen den allerhöchsten Befehl.
Aber der Abschied war unsagbar schwer, ein schmerzliches Sichlosreißen. Frau Schnabel schreibt darüber: „Dicht gedrängt standen die Leute auf der großen Veranda, im Hausflur und in den Stuben. Jeder wollte noch einmal die Hand drücken und ein Abschiedswort hören. Da drängte Vater Heyde, denn die Pferde standen längst bereit. Ein Schluchzen ging durch die Menge, als die beiden, die über ein Menschenleben Vater und Mutter des Tales gewesen waren, sich schweigend hindurchdrängten, da sie vor Bewegung kein Wort mehr sagen konnten. Außerhalb des Tores bestiegen sie die Pferde, und bald waren sie unseren Blicken entschwunden. Oh, wie verwaist und einsam kamen wir uns vor!“
Zwei Stunden hinter dem Dorf, nicht weit von der Brücke, wo sich die beiden zum erstenmal gesehen hatten, begegnete ihnen, aber auf der anderen Seite des Flusses, eine Herde mit Schafen. Sie wurden von Mädchen getrieben, die auch in die Strickschule gekommen waren. Mutter Heyde winkte ihnen zu und rief, so laut sie konnte, über das schäumende Wasser ihren Abschiedsgruß. Aber die Entfernung war zu weit. Die Mädchen hatten sie nicht erkannt. Mutter Heydes Worte wurden vom Rauschen des Flusses und vom Blöken der Schafe verschlungen. Da brach sie schluchzend zusammen und sank in die Arme ihres Gefährten. —
Vorwärts mit Gott, so hieß es wieder wie vor 39 Jahren, und ein Zurück gab es nicht!

Neue Aufgaben
Heydes Aufbruch von Kyelang im Herbst 1898 hatte noch einen besonderen Grund. Er sollte eine Durchsicht und Umarbeitung der tibetischen Übersetzung des Neuen Testaments vornehmen. Diese hatte sich als notwendig herausgestellt, und zwar sollte sie in Fühlung mit einer skandinavischen Missionsgesellschaft, die im südöstlichen Himalaja unter den Tibetern arbeitete, vollzogen werden. Die britische Bibelgesellschaft wollte für diese Arbeit und den aus ihr sich ergebenden Neudruck aufkommen. —
Außerdem trat die indische Regierung mit dem Ansuchen an Heyde heran, auf Grund der reichen Kenntnisse, die er sich durch den langjährigen Umgang mit den Tibetern angeeignet hatte, eine Revision des englisch-tibetischen Wörterbuches vorzunehmen.
Diese beiden ehrenvollen Aufträge erforderten viel Mühe und Zeit. Doch waren sie ganz nach dem Sinne des noch immer arbeitsfreudigen Missionars. Und seine Gattin, ohne deren treue und umsichtige Pflege der hochbetagte Mann nicht mehr leben konnte, war selbstverständlich auch die freudige Gehilfin dieser seiner letzten Lebensarbeit. Die britische Bibelgesellschaft hat später das Heydesche Missionarspaar in Anerkennung dieser verdienstvollen literarischen Arbeit zu Ehrenmitgliedern gemacht.
So reisten die beiden von Kyelang nach Darjeeling, der prächtigen Villenstadt nördlich von Calcutta, am Südhang des Himalaja. Dort bezogen sie in dem benachbarten Dörflein Ghum ein kleines Landhaus, wo sie sich für ihre Arbeit häuslich einrichteten.
Von ihrer Veranda aus hatten sie einen wundervollen Blick: Tief unter sich die Täler und Bergeshänge mit ihrer tropischen Fülle; oft genug aber auch ein großes, wildbewegtes Wolkenmeer. Und über allem thronte in majestätischer Ruhe und blendender Schönheit — greifbar nahe und doch meilenweit entfernt — die reine Gletscherwelt des Kangtschendzönga, des zweithöchsten Berges der Erde.
Vier Jahre durften sie bei ihrer Arbeit diese stillen Schönheiten der ihnen so lieb gewordenen Bergeswelt genießen; ein freundliches Abschiedsgeschenk ihres Gottes, bevor sie die Berge für immer verließen! Auch sonst hatten sie manche Annehmlichkeiten in Ghum, vor allem Gelegenheit zu wertvollem Verkehr und zur Pflege reger Beziehungen mit ihren skandinavischen und englischen Freunden.
Ein dunkler Schatten fiel allerdings auf diese Zeit, und zwar von der fernen deutschen Heimat aus. Beunruhigende Nachrichten über das Ergehen ihrer einzigen Tochter liefen ein. Elly war damals in Herrnhut verheiratet und die Mutter von sechs kleinen Kindern, als sie von einer schweren Krankheit befallen wurde. Durch diese Nachricht wurde die Sehnsucht nach der geliebten deutschen Heimat, die sich besonders in den letzten Jahren bei ihnen geregt hatte, noch mächtig gesteigert. Und doch hielten sie es für ihre Pflicht, auszuhalten, bis die begonnene Arbeit vollendet war. Vater Heyde schrieb in jenen Tagen: „Auch wenn meine Tochter sterben sollte, ohne daß wir sie vorher gesehen haben, ich kann nicht anders; ich darf nicht reisen, bevor ich meinen Auftrag erfüllt habe. Denn ich nahm ihn aus des Herrn Hand.“
Unter heißen Tränen und mit Herzweh lasen sie dann den Brief, der ihnen von dem letzten schweren Leiden und dem Tod ihrer Tochter berichtete. Doch ihre Seele war stille zu Gott.

Heim nach Europa
Im Frühjahr 1903 konnten sie endlich nach vollbrachter Arbeit Indien verlassen. —
Wie viel bequemer war doch jetzt die Reisegelegenheit als damals vor 50 Jahren. Und doch, die Überfahrt, der Klimawechsel und vor allem die Ankunft in Europa waren für den bald 80jährigen und seine fast 70jährige Reisegenossin nicht leicht. In Genua, wo sie landeten, war der Agent, der sie in Empfang nehmen und weitergeleiten sollte, nicht an Ort und Stelle. Hilflos und verlassen saßen die beiden Alten auf ihren Koffern, umwogt vom Getriebe des Hafens, bis freundliche Menschen ihnen weiterhalfen. In Luzern lag die Mutter blutüberströmt im Wartesaal, da ihr beim Aussteigen der Koffer eines Mitreisenden auf den Kopf gefallen war. In Basel genossen sie die liebenswürdige Gastfreundschaft bei den Verwandten eines ihrer früheren Mitarbeiter.
Am 10. Mai endlich gab es ein Wiedersehen mit den beiden Söhnen, die ihnen noch geblieben waren. Das war für alle Beteiligten ein denkwürdiger Tag. Der eine Sohn hatte die Eltern 32 Jahre, der andere 23 Jahre nicht mehr gesehen. Klopfenden Herzens warteten sie am Bahnhof zu Halle. Sie wußten nur im allgemeinen die Zeit der Ankunft. So suchten sie von 4 Uhr nachmittags bis abends um 11 Uhr die Züge ab, die von Süden kamen, ob sie da wohl Leute fänden, die ihre Eltern sein könnten. Endlich um 11 Uhr mit dem letzten D-Zug kamen sie an. Als die Menge sich bereits verlaufen hatte, stiegen aus dem hintersten Wagen zwei Personen aus, bei deren Anblick eine innere Stimme uns sagte: „Das sind die Eltern!“
Der Vater, in grauem Ulster, mit schneeweißem Bart und breitkrämpigem schwarzem Hut, schritt voran, in grader Haltung und fast militärischem Schritt. Ihm folgte ein gebeugtes Mütterlein. Der Vater ging an uns vorüber. Das Mutterauge aber erkannte die bärtigen Söhne. Sie stutzte einen Augenblick, als sie uns sah, dann breitete sie die Arme aus und sagte: „Da sind sie ja!“
Sooft der Schreiber dieser Zeilen später an das Wiedersehen dachte, fiel ihm das Wort aus dem ersten Petrusbriefe ein: „Nicht gesehen und doch lieb haben, und dann ein Wiedersehen mit unaussprechlicher herrlicher Freude!“ So muß es einst im Himmel sein. Wie leicht wurde unsern Armen der schwere indische Koffer, wie flogen die Füße, als es galt, den durstigen Eltern das erste Glas Wasser zu holen!
Es ist keine Seltenheit, daß die heimkehrenden Missionare und ihre Kinder sich auseinandergelebt haben und innerlich entfremdet sind. Wir empfanden es als ein großes Geschenk, daß dies bei uns nicht der Fall war. Vom ersten Augenblick an waren wir ein Herz und eine Seele. Die Eltern hatten trotz ihrer Bergeinsamkeit mit der Zeit fortgelebt und waren geistig frisch geblieben. Vor allem aber verdanken wir jenes kostbare Gut ihren treuen Gebeten und den Briefen der Mutter. Sie waren niemals langweilig, niemals oberflächlich. Sie enthielten niemals eine Strafpredigt an den fernen Jungen, obwohl er sie oft verdient hätte. Sie waren auch nicht mit langen frommen Ermahnungen beschwert und wirkten gerade dadurch erzieherisch. Sie waren voll Weisheit und frommen Geistes, und aus jedem Wort spürte man sofort die Liebe. —

Was wir nun noch zu erzählen haben, ist bald gesagt. In Herrnhut ließen sie sich nieder. Dort hat der alte Streiter, „der in seinem Panzer ehrsam und grau geworden ist“, noch vier Jahre gelebt, und es war im ganzen eine glückliche Zeit. Wohl waren die alten Freunde und Bekannten, die er vor 50 Jahren gehabt hatte, hinweggestorben, wohl brannte das Heimweh nach dem geliebten Tibet oft heiß im Herzen, wohl galt es manche Enttäuschung und unerwartetes Herzeleid zu überwinden, aber der Heiland, an den er sich in seinem kindlichen, einfältigen Glauben stets gehalten hatte, half durch alles hindurch. Eine Quelle reicher Freuden blieb der Verkehr mit den Kindern und Kindeskindern; eine Stärkung und Erquickung auch die Teilnahme an dem Herrnhuter Gemeindeleben, das er in religiöser und sittlicher Hinsicht für geförderter hielt als vor 50 Jahren.
Besonders aber half ihm über manche schwere Stunde die Arbeit hinweg, die er auch jetzt noch Hand in Hand mit seiner Gattin für die Sache der Mission tun durfte. Es handelte sich um die Durchsieht und Überwachung des tibetischen Druckes der fünf Bücher Moses, um dessentwillen das greise Ehepaar auch einige Monate in Berlin weilte. Über diesem Werk ist ihm seine letzte Schaffenskraft ausgegangen. Noch sehen wir den ehrwürdigen Greis mit doppelter Brille und Vergrößerungsglas über seinen Korrekturbogen sitzen, bis das Augenlicht schließlich fast ganz versagte. Als er drei Monate vor seinem Tode diese Arbeit vollendet hatte, war er voll Lob und Dank; in dem freudigen Gefühl, wie es ein Landmann hat, der noch vor dem hereinbrechenden Unwetter die Ernte unter Dach und Fach gebracht hat. „Nun will ich freudig sterben“, so sagte er in seiner mannhaften Art, „um das, was ich andern so oft gepredigt habe, selbst mit der Tat zu bezeugen.“
Ein langes Krankenlager wurde ihm erspart. Der Kräfteverfall nahm rasch zu. Ein Zeichen der zunehmenden Schwäche war es, daß seine Gedanken wanderten, willenlos, doch ohne Fieber-Phantasien und geistige Umnachtungen. Unaufhörlich beschäftigte er sich mit seinen lieben Tibetern und dann stets in ihrer Sprache. Sein letztes Wort galt Puntsog, den er ermahnte: „Du mußt den Leuten nicht immer sagen, daß sie besser werden sollen. Das tun die Lamas auch. An Jesus sollen sie sich halten, an den gekreuzigten Jesus. Das Kreuz muß deine Hauptpredigt bleiben.“
Am 27. August 1907 schloß er die müden Augen im Alter von 82 Jahren und 6 Monaten. —
Und seine Gattin? Sie lebte noch 10 Jahre, nachdem sie ihren Wohnsitz in die Nähe ihres ältesten Sohnes nach Gnadau bei Magdeburg verlegt hatte. Sie hat in ihrer Witwenschaft die Wahrheit des Spruches erfahren, den ihr Freunde aus Indien mitgegeben hatten, und der stets über ihrem Bette hing: „At evening time it shall be light.” (Um den Abend wird es licht sein.) Körperlich und geistig frisch durfte sie bis an ihr Ende Liebe austeilen, Kranke besuchen und sich an ihren Kindern und Kindeskindern freuen.
Die Kriegszeit zehrte an ihrer Kraft und lastete auf ihrem Gemüt. Besonders der Gedanke an die Bundesgenossenschaft mit den Türken und die Feindschaft mit den Engländern war ihr schwer. 14 Tage vor ihrem Ende erkrankte sie infolge eines Falles und mußte sich zu Bett legen. Sie spürte bald, daß es zum Ende ging; aber sie wußte sich in ihrem Gott geborgen. „Der Heiland hat mir alle meine Sünden vergeben!“ sagte sie am Tage vor ihrem Tode. — Bei ihrem selbständigen Charakter war es eine freundliche Fügung, daß sie den Kindern nicht lange zur Last fiel. Sie entschlief am 6. April 1917 im Hause ihres Sohnes zu Schönebeck an der Elbe.
In den letzten Tagen hatte sie viel geschlummert. Doch eine Stunde vor ihrem Tode kam sie noch einmal zu sich und sagte das für sie bezeichnende Wort: „Ob ich wohl knien kann, oder wenigstens noch stehen? Der Livingstone ist doch auch auf den Knien gestorben.“ Dann schloß sie die Augen, um nicht wieder zu erwachen.
Sie hat ihr Alter gebracht auf 80 Jahre weniger 13 Tage.



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Besessenheit + Exorzismus (Dr.Koch)

Kurt E. Koch

BESESSENHEIT UND EXORZISMUS

BESESSENHEIT

I. Erfahrungen aus der Seelsorge
1. Befreiung eines Satanisten
2. Zuluzauberei und Umsessenheit
3. Der Filipino
4. Schwester Maria

II. Aussagen der Bibel
1. Symptome der Besessenheit
2. Ein weißer Rabe
3. Satan
4. Die Dämonen

III. Pro und Contra
1. Katholische Theologen
2. Evangelische Theologen
3. Fehlende Unterscheidung
4. Formen der Besessenheit
5. Haßbesessenheit
6. Pseudocharismatische Besessenheit
7. Materialisationen

EXORZISMUS

1. Seelsorge an okkult Belasteten
2. Zeitweilig besessen
3. Mary
4. Ruben
5. Rauschgift
6. Blutsverschreibungen
7. Das Reich Gottes
8. Irrwege des Exorzismus
9. Spiritistischer Exorzismus
10. Der Taufexorzismus
11. Exorzismus durch einen Psychiater
12. Der Befreier
13. Der Seelsorger
14. Wege der Seelsorge

– Leicht gekürzt für meine Webseite. Horst Koch, im Jahre 2007. Neu durchgesehen im Mai 2023. Die Textbetonungen sind von mir –

Christus hat die Dämonen entmächtigt, die Finsternismächte entlarvt, und er zieht die Gewaltigen im Triumphzug hinter sich her. (Frei nach Kol. 2,15)

SEELSORGE IM VOLLZUG
. . . Wir erleben heute eine Pandämonisierung aller Verhältnisse. Wir brauchen darüber kein Jammerlied anzustimmen. Mit Riesenschritten treiben wir einer Endkatastrophe und der Wiederkunft Jesu entgegen. Der Teufel weiß, daß er wenig Zeit hat. Darum treibt er alles auf die Spitze.
Die Menschheit wird von tausend Nöten gehetzt, gejagt, irrsinnig getrieben. Die Auswirkungen liegen auf der Hand. Immer mehr Menschen werden von Depressionen und seelischen Erkrankungen aller Art befallen. Die Nervenheilanstalten füllen sich. Die Psychiater aller Länder erklären, daß fast die Hälfte aller Kranken nicht organisch, sondern seelisch krank ist.
Parallel zu diesem psychischen Substanzverlust stellt man eine erschreckende Zunahme an Besessenen fest.
Prof. O. S. von Bibra schrieb dazu in seinem Buch „Der Name Jesus“ Seite 84:
„Wieviele Besessene laufen herum, wieviele vom Teufel in der übelsten Weise Gequälte fristen in Anstalten ihr elendes Dasein ohne Hilfe und ohne Hoffnung, nur weil die Gemeinde des Herrn ihren eigentlichen Auftrag an ihnen versäumt und ihre göttliche Vollmacht eingebüßt hat! Wie bleibt der Sieg unseres Herrn Jesus verborgen, die Kraft Seines Namens unwirksam, Sein starker Arm gelähmt und die Ausbreitung Seiner Herrschaft gehemmt, nur weil die berufenen Boten des Evangeliums die Befehle ihres Herrn nicht ausführen und Ihm durch ihren Unglauben im Wege stehen! Das vollmächtige Handeln im Namen Jesu gegenüber den Dämonen ist keine nebensächliche Angelegenheit, sondern ein wesentlicher Bestandteil unseres Auftrages und unserer Vollmacht, wie es auch im Leben des Herrn etwas sehr Entscheidendes gewesen ist. . . . “
Diese Darstellung, die ich voll bejahe, hat einen Nerv der Seelsorge getroffen. Ich bin erfreut, daß Gott heute noch Jünger Jesu zu dieser schweren Seelsorge bevollmächtigt, wenn ihre Zahl auch sehr klein ist.

Warum ist die Seelsorge an okkult Belasteten und Besessenen so schwer, ja mitunter sogar gefährlich? Es handelt sich hier um einen Allfrontenkrieg.
Seelsorge dieser Art wird von allen Seiten abgelehnt, bekämpft, lächerlich gemacht oder ins Extreme verzerrt.
Die Modernisten, die Dämonen und den Teufel als nichtexistent erklären, lehnen natürlich auch eine Seelsorge an Besessenen ab.
Aber nicht nur Modernisten, sondern auch Superorthodoxe nehmen diese Haltung ein. . . .
In Verruf wurde die Seelsorge an Besessenen gebracht durch Extremisten. Hier muß ich einen Namen nennen. Christopher Neil-Smith. Er ist „Chefexorzist der englischen Kirche“ und schrieb das Buch „Der Exorzist und die Besessenen”. Auf Seite 82 bekennt Neil, daß er Verstorbene im Totenreich und Geister von ihrer Besessenheit durch Exorzismus löste. Das ist reiner Spiritismus. Das ist das Extremste, was ich je über den Exorzismus gehört habe. Und dieser Mann in England im kirchlichen Dienst.
Eine vierte Front muß genannt werden, die Seelsorge an Besessenen so schwer macht. Das sind die Attacken des Erzfeindes, der sich wehrt, wenn ihm Beute entrissen werden soll.
Vor Jahrzehnten hatte ich gute Verbindung mit Pastor Ernst Modersohn, vor dem Krieg beim Volke Gottes so hoch geachtet wie später Wilhelm Busch. Er berichte¬, daß bei der Drucklegung seines Buches „Im Banne des Teufels“ schwere Angriffe einsetzten. Die Druckerei geriet in Brand, so daß sein Manuskript gefährdet wurde. In der Familie gab es Unfälle aller Art.
Anderen erging es ähnlich.
Pfarrer Hugo Fleming hat in seiner Broschüre „Gibt es einen Teufel?“ auch auf die Gefährlichkeit der Seelsorge an Besessenen hingewiesen. Er schrieb:
„Ich bekenne, daß mir im Kampfe mit den Finsternismächten oft genug Rückschläge widerfahren sind genauso wie den anderen, die in gleicher Front stehen. Wir Kämpfer auf diesem vorgeschobenen Posten wissen und erfahren es alle, daß der Teufel einen großen Zorn auf uns hat, denn er weiß, daß er wenig Zeit hat.“ Offbg. 12,12.
Ich habe also Bundesgenossen. Ich stehe nicht allein.

Wir sind im Kampfe Tag und Nacht.
O Herr, nimm gnädig uns in acht
und steh uns an der Seiten.

Auf der anderen Seite erlebe ich Bewahrung und Sieg durch den Herrn. Wenn die Finsternis auf mich eindringt, stelle ich mich unter den Schutz des Blutes Jesu und gebiete dann diesen Mächten, die den Namen Jesu respektieren und weichen müssen.
Warum erfährt die Vorstellung der Besessenheit und die Seelsorge an Besessenen eine allgemeine und scharfe Ablehnung bei Theologen, Psychiatern und sogar bei vielen gläubigen Christen?
Verschiedene Ursachen sind zu nennen. Zunächst einmal hat es Satan verstanden, die Fronten zu vernebeln. Paulus schreibt in 2. Kor. 4,4 . „Der Gott dieser Welt hat der Ungläubigen Sinn verblendet.“ Die geistliche Blindheit der Ungläubigen ist die erste Ursache.
Eine zweite Ursache der Ablehnung ist ein irrsinniger oder absurder Extremismus. Denken wir nur an die satanisch inspirierten Machwerke „Der Exorzist“ und „Jesus Christus, der Superstar“. Dazu kommen unbiblische Formen des Exorzismus. So las ich in dem Buch eines katholischen Exorzisten, daß er Dämonen aufforderte, zur Maria zu beten. Wieweit muß ein Mann von der Bibel entfernt sein, um einen solchen Rat zu geben! In dieser Aufforderung liegen gleich zwei unbiblische Tatsachen. Nicht genug damit! Es gibt Kreise, die hinter jedem Busch und hinter jeder menschlichen Abart einen Dämon sehen, den sie exorzieren wollen.
Die Exzesse, die Verwirrung, die unbiblischen Komödien sind so verbreitet, daß es meine Überzeugung geworden ist, daß bei 100 Exorzismen 95 keinen biblischen Charakter und deshalb keine Berechtigung haben. Hier wird mehr Schaden angerichtet als Gutes gewirkt.
Die dritte Ursache für die Verkennung der Besessenheit und des Exorzismus ist die fehlende Inspiration. Wir sind hier am entscheidenden Punkt.
Vor 27 Jahren schrieb ich mein Buch „Seelsorge und Okkultismus“. Ich leitete es mit dem Bibelwort aus 1. Kor. 2,14 15 ein: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes, nur der geistliche Mensch begreift alles.“

Fehlende Inspiration ist durch nichts zu ersetzen. Nicht die glänzendste theologische oder medizinische Ausbildung befähigt uns, geistliche Wahrheiten zu verstehen.
Diese Wahrheit stellte ich vor Jahrzehnten meinem ersten Buch gegen das Okkulte voran. Ich stehe aber nicht allein auf weiter Flur. Viele Jahre später fiel mir ein amerikanisches Buch in die Hände, das diese Wahrheit wundervoll ausdrückt. Es ist das Buch „Biblical Demonology“ von Unger, einem Experten für semitische Sprachen. Er schrieb auf Seite 7 folgendes. Ich gebe es deutsch wieder:
„Eine Kenntnis des Übernatürlichen kann nur durch eine übernatürliche Offenbarung kommen, da das Übernatürliche jenseits der natürlichen Gesetze liegt. Ferner ist es offensichtlich, daß die geoffenbarte Wahrheit nur durch den Glauben an die Offenbarung und damit an den Offenbarer verstanden werden kann. Der natürliche Mensch kann die Wahrheiten des Geistes Gottes weder begreifen noch kennen, sondern er ist tatsächlich Irrtum und Verdrehung grenzenlos unterworfen. . . “ (1. Tim. 4,1). – Ein wundervolles Zeugnis eines bekannten Wissenschaftlers! . . .

Der Kampf gegen theologische, psychologische und medizinische Blindheit ist nicht aussichtslos. Der Sieg ist auf der Seite Jesu, und wer auf der Seite Jesu steht, hat teil an diesem Sieg. . . .
Bei diesem Kampf gegen die Mächte der Finsternis und ihrer irdischen Gefolgsleute steht man nicht allein. Ich lernte auf allen Kontinenten Wissenschaftler kennen, die gläubige Jünger Jesu sind und das Problem der Besessenheit kennen.
Dr. Wilbur M. Smith vom Fuller Seminar kann ich nennen. Vor vielen Jahren habe ich selbst an diesem Seminar meine Thesen vorgetragen. Mit Dankbarkeit denke ich auch an den gläubigen Chirurg und Psychiater Dr. W. S. Reed.  . . .

Unsere Theologen an in und ausländischen Universitäten schweigen sich über Besessenheit und Exorzismus aus oder geben nur negative Anmerkungen. Ich habe aber unter einigen Medizinern, speziell Psychiatern, die das Irrationale und Dämonische bei manchen Patienten nicht ausgeschlossen haben.

Dieses Buch ist aus der Seelsorge entstanden und will der Seelsorge dienen. Neugierde und Sensationslust ist nicht gefragt. Darum soll gleich ein seelsorgerlicher Rat gegeben werden.
Es ist oft nicht gut, wenn Depressive oder Menschen mit einer anomalen Beeindruckbarkeit der Seele Beispiele lesen, die von schweren Belastungen berichten. Es gibt ja Menschen mit einem schwachen Nervensystem, die gleich alles auf sich beziehen. Es ist gut, wenn solche die folgenden Beispiele aus der Seelsorge nicht lesen. Ferner bitte ich darum, daß jeder Leser, der gläubig ist, sich im Gebet unter den Schutz Jesu stellt. Ungläubigen brauche ich diesen Rat nicht zu geben, weil sie weniger oder gar nicht angefochten werden. . . .

Nicht zuletzt übergebe ich dieses Buch dem, der es geschenkt hat, Jesus, und bitte ihn, es zu benützen, um Blinden die Augen zu öffnen und seinen Sieg zu offenbaren. – „Der in euch ist, ist größer, als der in der Welt ist.“ (l. Joh. 4,4.)

Hinweis: Dieses Buch war schon im Druck, da fiel mir eine äußerst wichtige Neuerscheinung in die Hände. Es handelt sich um den vom Brunnen Verlag Basel herausgegebenen Titel „Gesundheit um jeden Preis?“ von Dr. med. Samuel Pfeifer. Pfeifer ist Vollmediziner, gläubiger Christ und im Blick auf die okkulten Heilmethoden ein erfahrener Mann. Für mich ist es eine Genugtuung, daß er als Arzt zu den gleichen Schlussfolgerungen kam wie ich selbst. Das Buch ist trotz seiner gründlichen Themabearbeitung leichtverständlich geschrieben, so daß jeder Nichtmediziner es gut lesen kann. Das sichert dieser Veröffentlichung eine weite Verbreitung, die es verdient. Rabindranath R. Maharay, Autor des Buches „Der Tod eines Guru“ schreibt in seinem Vorwort:
„Ich empfehle das Buch von Dr. Pfeifer als Pflichtlektüre, … denen das Dilemma des modernen Menschen ein Anliegen ist und die eine echte Hilfe und Wegweisung geben wollen.“ – Aus dem Inhalt:
Der okkulte Aufbruch im Westen: Akupunktur, Fußreflexzonenmassage, Homöopathie, Irisdiagnose, Anthroposophische Medizin, Naturheiler u. a.

Teil 1: BESESSENHEIT

I. ERFAHRUNGEN AUS DER SEELSORGE
Es ist schwer, aus einer Sammlung, die in jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragen worden ist, die richtigen Beispiele auszuwählen. Ich erwähne nur solche Begegnungen, bei denen urteilsfähige Brüder, Theologen, Mediziner, Evangelisten und erfahrene Seelsorger anwesend waren und als Zeugen angerufen werden können. Zunächst ein Beispiel aus Südafrika.

1. Befreiung eines Satanisten
Wenn in einem Kapitel über Besessenheit von einem Satanisten gesprochen wird, entsteht die Vorfrage, ob alle Satanisten als besessen anzusehen sind. Ich hatte noch keinen ehemaligen Satanisten in meiner Seelsorge, der nicht wenigstens schwer belastet gewesen ist. Vor allem sind solche Menschen nach ihrer Blutsverschreibung an den Teufel total verknechtet. Von über 100 blutsverschriebenen Menschen, mit denen ich es zu tun hatte, sind nur wenige frei geworden. . . .
Im Jahr 1976 lernte ich den Theologiestudenten Ben Maree kennen, der 1977 wieder in mein Gesichtsfeld trat. Er ist inzwischen Pastor einer reformierten Kirche geworden, in der ich zweimal gepredigt habe. Ben Maree ist erst ein halbes Jahr im Amt und hat darum noch keine große Erfahrung in der Seelsorge.
Während meines Aufenthaltes in Kapstadt rief er mich an und bat um meine Hilfe bei der Betreuung eines Satanisten. Ich lehnte zuerst ab mit dem Hinweis, daß damit gewöhnlich schwere Kämpfe verbunden sind. … Ben Maree bat aber so inständig, daß ich schließlich erklärte: „Ich will nur als Berater dabei sein. Den Kampf übernehme ich nicht.“ So war es geplant. Es kam aber anders.
Unsere Zusammenkunft war am 1. August 1977. Anwesend waren der Pastor Ben Maree, ein weiterer Bruder und ich. Zwei Frauen waren in einem anderen Zimmer und beteten.
Der Satanist heißt Samuel, 48 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder. Er war bereits 18 Monate in den Versammlungen der Satanisten im Hottentottengebirge. Schon zu Beginn hatte er seine Bibel mitbringen und verbrennen müssen. Er hatte auch das Versprechen abzugeben, nie mehr eine Kirche zu besuchen. Als Fetisch erhielt er einen präparierten Katzenkopf mit der Anweisung, ihn stets bei sich zu tragen. Man drohte ihm auch, er müsse sterben, wenn er den Fetisch verlieren oder vernichten würde. In der Gemeinschaft mit den Satanisten entwickelten sich bei Samuel okkulte Fähigkeiten. Er konnte Geister sehen, hören und mit ihnen sprechen. Diese Fähigkeiten hatte er vorher nicht besessen.
Die Frau Samuels war gegen seine Besuche bei den Satanisten. Sie fürchtete sich davor. Samuel selbst merkte allmählich, daß sein Umgang mit den Satanisten ihn veränderte. Es wurde ihm langsam unheimlich, und er begann, die reformierte Kirche von Ben zu besuchen.
Die Satanisten merkten das sofort, denn viele von ihnen haben ebenfalls okkulte Kräfte. Als Samuel eines Morgens sich rüstete, um den reformierten Gottesdienst zu besuchen, stand der Pfarrer in seiner Amtsrobe vor ihm und sagte: „Komme nicht in meine Kirche.“ Daraufhin unterließ Samuel den Kirchenbesuch. Dieses Erlebnis wiederholte sich an drei Sonntagvormittagen.
Als Pastor Ben Maree von diesen Erscheinungen erfuhr, erklärte er Samuel: „Ich kann zu dieser Zeit nicht in deiner Wohnung gewesen sein. Das war ja jeweils kurz vor Beginn des Gottesdienstes. Da saß ich in der Sakristei und bereitete mich vor.“ Ben bat dann Samuel: „Wenn du wieder eine solche Erscheinung hast, rufe mich sofort an, dann bekommst du den Beweis, daß ich nicht in deiner Wohnung bin.“
Bei diesen drei Erlebnissen handelt es sich um Transfigurationen, wie wir es bei starken spiritistischen Medien finden und dann auch bei den Satanisten. Es gibt ein Kapitel darüber in meinem Buch „Okkultes ABC“. Es kann hier nicht darauf eingegangen werden. Der Sachverhalt war klar, die Satanisten wollten den Kirchenbesuch Samuels verhindern, was ihnen auch gelungen ist.
Pastor Maree lud dann Samuel zu einer Seelsorge ins Pfarrhaus ein. Samuel wehrte ängstlich ab: «Die Satanisten bringen mich um, wenn ich den Versuch mache, mich völlig von ihnen loszusagen.«
In der Tat ist das bei den Satanisten die Gepflogenheit, ehemalige Kameraden zusammenzuschlagen oder gar umzubringen, wenn sie ausscheren. Ich habe einige Beispiele dazu. . . .
Die Angst von Samuel war also begründet. Darum bot ihm der Pastor an, ihn in seiner Wohnung abzuholen. Das geschah an dem angegebenen Termin am 1. August 1977. Als Samuel das Pfarrhaus betreten hatte, erklärte er: „Vor dem Pfarrhaus standen Gestalten in schwarzen Roben mit roten Augen. Sie drohten mir, das Pfarrhaus nicht zu betreten … «. – Der Pastor selbst hatte nichts gesehen.
Dann saßen wir drei Männer mit Samuel im Studierzimmer des Pfarrers zusammen. Ich führte das seelsorgerliche Gespräch. Wir kamen bis zum Lossagegebet. Samuel konnte es weder nachsprechen noch es von einem Zettel ablesen. Er würgte, griff sich ans Herz vor Schmerzen und erklärte: „I am a dying man, they kill me = ich bin ein sterbender Mann. Die bringen mich um.«
Plötzlich beobachtete der dritte Bruder, wie Samuel etwas aus der Tasche holte. Es war in sein Taschentuch gewickelt. Der Pastor forderte ihn auf, es herauszugeben. Es war sein Fetisch, der Katzenkopf. Samuel war bereit, daß wir ihn sofort verbrannten. Er wurde im Hof mit einem Hammer zerschlagen und dann verbrannt.
Die Seelsorge ging weiter. Samuel konnte jetzt das Lossagegebet nachsprechen. Plötzlich schaute er mich an und erklärte: „Hinter Ihnen steht ein Dämon, eine weiße Gestalt mit einem schwarzen Gesicht.“ Wir beteten sofort alle drei, und ich gebot im Namen Jesu diesem Dämon zu weichen. In der Tat verschwand er nach einigen Minuten. Samuel erklärte „Er ist weg“. Unser seelsorgerliches Gespräch ging weiter.
Da wurde Samuel wieder voll Angst und sagte: „Er ist wieder da und hat einen zweiten mitgebracht. Der ist seine Verstärkung.“ Wieder geboten wir im Namen Jesu und rühmten die Kraft des Blutes Jesu und den Sieg von Golgatha. Samuel erklärte, es müsse noch etwas im Raum sein, was den beiden Dämonen das Recht gibt, hier zu sein. Der Pastor dachte nach. Da griff er auf ein Regal und holte ein weißes Gewand herunter. Es war das Taufgewand, in dem Samuel am nächsten Tag in der Satanskirche getauft werden sollte. Als der Pastor es ausbreitete, fielen auch einige Fetische heraus. Samuel erklärte: „Der erste Dämon steht jetzt mitten in dem Taufgewand.“ Wir fragten Samuel, ob er damit einverstanden sei, daß wir es sofort verbrennen. Er bejahte. Der ganze Teufelskram wurde dann im Hof verbrannt. Samuel fühlte sich erleichtert. Wir sprachen weiter, und ich erläuterte Punkt für Punkt, was zur Befreiung gehört. (In dem Buch „Okkultes ABC“ gab ich 20 Punkte an.) Ich bat dann Pastor Maree, das Lossagegebet zu sprechen.
Stück für Stück wurde es Samuel leichter ums Herz. Die große Angst war gewichen. Ganz ruhig war er aber noch nicht. Er sagte plötzlich: „Es muß noch etwas hier sein, was die geistliche Atmosphäre beeinträchtigt.“ Der Pastor suchte nach und fand einige okkulte Zeitschriften, die dann ebenfalls verbrannt wurden.
Das alles und noch mehr spielte sich am Vorabend der geplanten Taufe in der Satanskirche ab. Wir fragten Samuel, wie sich eine solche Taufe in der Satanskirche abspiele. Er erklärte, man müsse Katzenblut trinken, dann wird der ganze Körper mit Öl gesalbt, danach zwei Stunden Ruhe, und zuletzt folgen dann die Zeremonien, unter denen ein Anwärter in die Satanskirche aufgenommen wird.
Es ist nicht unwichtig zu berichten, daß der Pastor monatelang unter Kopfweh litt, seit das Taufgewand Samuels sich in seinem Studierzimmer befand. Viele junge oder unerfahrene Pastoren wissen nicht, daß man keine okkulten Gegenstände wie Fetische, Amulette, Teufelsmasken, gebrauchte Götzenfiguren, Buddhastatuen und okkulte Literatur im Hause aufbewahren soll, auch nicht zu Studienzwecken.
Das sind stets Kristallisationspunkte für finstere Mächte, wie die vorliegende Seelsorge zeigt.
Pastor Maree hat übrigens die Polizei um Schutz gebeten, weil Satanisten ihre Drohungen wahr machen und ein ehemaliges Mitglied verfolgen, schädigen, schlagen, ihm das Haus anzünden oder es töten können.
Samuel hat an diesem Abend auch seine Sünden gebeichtet und sich ganz unter den Schutz Jesu gestellt. Ich machte dem Pastor klar, daß er für einen einsatzfähigen Gebetskreis sorgen müsse, weil Mitglieder der Satanskulte auch nach ihrer Befreiung oft in Gefahr geraten.
Pastor Ben Maree hat sich in treuer Weise Samuels angenommen. Samuel kommt dreimal in der Woche zu ihm ins Pfarrhaus, wo ein kleiner Gebetskreis sich seiner annimmt, und er besucht ebenfalls treu die Gottesdienste. – „Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesus Christus“  (1. Kor. 15,57).

2. Zuluzauberei und Umsessenheit . . .

3. Der Filipino
In Luthers Lieblingspsalm 118,15 lesen wir: „Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten. Die Rechte des Herrn behält den Sieg.“
Auf keinem Gebiet der Seelsorge wird der Sieg Jesu so offenbar wie in der Auseinandersetzung mit Besessenen.
In Kurzform soll hier ein Erlebnis berichtet werden, das ich schon in dem Buch „Unter der Führung Jesu“ auf den Seiten 250 bis 265 veröffentlicht habe.
Dreimal weilte ich auf den Philippinen. Eine Einladung von Dr. Hillis, dem Präsidenten der Oversea Crusades war die Ursache des Besuches gewesen. Diese Mission hatte für mich ein großes Programm organisiert. Ich sprach an der Universität in Manila . . . Eine herausragende Erfahrung soll wiederholt werden.
Am theologischen Seminar sprach ich eine ganze Woche. An einem Freitagmorgen kam um acht Uhr ein Seminarist zu mir und klagte: „Ich habe solches Kopfweh und fühle mich so übel. Bitte beten sie mit mir.“ Als ich dem Wunsche des jungen Mannes nachkam, fiel er vom Stuhl und sank bewußtlos zu Boden. Mir sind derartige Reaktionen bei vielen seelsorgerlichen Aussprachen mit Besessenen bekanntgeworden. Dr. med. Alfred Lechler bezeugt in seinem Buch „Der Dämon im Menschen“ auf Seite 57 den gleichen Tatbestand. Er schrieb: „Der Besessene wird vom Teufel in einen vorübergehenden Dämmerzustand versetzt, damit er die Worte des Seelsorgers nicht hören und auf diese Weise nicht mitbeten kann.“
Trotz der Bewußtlosigkeit des Filipino betete ich weiter. Da kam der Direktor in den Raum, weil er den Sachverhalt ahnte. Der junge Mann war tags zuvor schon in dessen Seelsorge gewesen. Als er den Schüler bewußtlos am Boden liegen sah, verständigte er noch einige gläubige Lehrer, damit wir zusammen einen Gebetskreis bildeten. Bei dem gemeinsamen Gebet sprachen plötzlich fremde Stimmen aus dem Besessenen. . . .
Ein Lehrer fragte dann die Stimme: „Wie heißt du?“ . . . Nach dieser Frage antwortete eine grobe, derbe Männerstimme: „Rakrek.“ Der Lehrer fragte weiter: „Im Namen Jesu, offenbare dich. Wo kommst du her?“ „Aus der Mandschurei!“ „Was treibst du hier in unserer Schule?“ „Wir wollen Don umbringen. Er hat den Kommunismus verraten.“
Vor seiner Bekehrung war Don Juan kommunistischer Untergrundkämpfer gewesen, die den Umsturz der Regierung und die Machtübernahme durch die Kommunisten anstrebten.
Bei diesem Bekenntnis antwortete der Lehrer: „Du kannst Don nicht umbringen. Er ist erlöst durch Christus.“ Der Geist schäumte und tobte und stieß zwischendurch ein grässliches Lachen aus.
Einer der Lehrer fragte die Stimme: „Wie viel seid ihr?“ Die Antwort lautete: „We are 50 demons.“ Dann gebot er im Namen Jesu diesen Dämonen, auszufahren und den Bereich des Seminars zu verlassen.
Die Dämonen stießen ein furchtbares Geheul aus und schrien: „Wir gehen nicht fort. Wir haben hier eine Aufgabe. Ihr habt eine gute Schule. Wir wollen euch den Modernismus und Liberalismus bringen. The modernists and liberalists are our companions = die Modernisten und Liberalisten sind unsere Genossen.“ – Ich wollte, alle modernen Theologen hätten das gehört.
Man kann geteilter Meinung sein, ob man die Dämonen befragen darf. Ich selbst pflege das nicht, außer der Frage nach dem Namen. Und doch hatten die Fragen dieser amerikanischen Missionare eine gute Auswirkung. Ein Psychiater, der gerufen worden war, schrieb sich die detaillierten Angaben des Mordplanes auf und verständigte den Sicherheitsdienst. Man darf ja nicht vergessen, daß hier nur stark verkürzt berichtet wird. Ferner wurde die Schule gewarnt, daß einige Modernisten, die mit Namen genannt wurden, dabei waren, sich in den Lehrkörper eingliedern zu lassen. Der Direktor bekam dadurch die Chance, sich diese Leute vom Halse zu halten.
Die Seminarleitung gab sich alle Mühe, diesen ersten Besessenheitsfall für die spätere Auswertung festzuhalten. Der Direktor stellte ein Bandgerät auf. . . Ferner war ein gläubiger Psychiater und ein Psychologe verständigt worden. Beide Fachleute erklärten, daß das weder eine Psychose noch eine Hysterie sei, sondern eine Besessenheit. Es zeigten sich bei Don Juan Symptome, die bei Erkrankungen nicht auftreten, sondern sich nur bei Besessenheit zeigen. Dazu gehören Hellsichtigkeit, Resistenz gegen geistliche Betreuung, Haß gegen die Bibel und gegen den Namen Jesu und übernatürliche Kräfte. Don mußte oft von sechs Studenten gehalten werden.
Der eindeutige Beweis gegen alle psychiatrischen Erklärungen ist das Verständnis oder das Sprechen von Fremdsprachen, die der Besessene nie gelernt hatte. Es waren ja zuletzt acht oder neun Akademiker da, die alle verschiedene Sprachen sprechen. Ich selbst habe in meiner Jugend sechs Fremdsprachen gelernt. Don sprach nur seine heimatliche Sprache Filipino und Englisch. Einmal wurde ihm ein Bibelvers in Russisch gesagt, da antwortete er fließend auf russisch. Gebrauchte ich europäische Sprachen, dann verstand er sie auch. Die verschiedenen Lehrer und ich wechselten uns in der Seelsorge ab, weil der Kampf so lange dauerte.
Als ich mich im Gebet an Don Juan wandte, schrie plötzlich eine Stimme aus ihm:
„Dr. Koch, you tormented us in France, your tormented us in Switzerland, now you torment us in the Philippines. Leave us alone.“ – „Dr. Koch, du hast uns in Frankreich gequält, du hast uns in der Schweiz gequält, jetzt quälst du uns auf den Philippinen. Lasse uns in Ruhe.“
Ich war überrascht, daß die Dämonen von meiner Arbeit in Frankreich und in der Schweiz wußten. Ein andermal fauchte er mich an.
„Dr. Koch, you have destroyed by your books some of our companions in Europe. Are you not yet satisfied. Leave us alone.“
„Dr. Koch, du hast durch deine Bücher in Europa einige unserer Kameraden vernichtet. Bist du nicht zufrieden damit. Lasse uns in Ruhe.“
Nie in meinem Leben wäre mir der Gedanke gekommen, daß durch meine antiokkulten Bücher Dämonen vernichtet worden wären. Ich brauche diese Anerkennung meiner Arbeit durch die Dämonen nicht. Mehr denn je wurde mir es aber zu einem großen Anliegen, den Sieg Jesu über die finsteren Mächte zu bezeugen. Ich merkte bei diesen Ausrufen auch, wie sehr die finsteren Mächte den Namen Jesu und die Boten Jesu fürchten.
Um der Kritiker willen erkläre ich noch einmal, daß ich selbst keine Fragen an die Dämonen stellte. Sie redeten aber mich an. In einer Kampfesphase wurde ich wieder angegriffen. Ein Dämon schrie:
„Dr. Koch, with the strongest hypnosis of Sumatra fall asleep. With the most powerful black magic of Tibet I kill you.“ – „Dr. Koch, mit der stärksten Hypnose von Sumatra schlafe ein. Mit der mächtigsten schwarzen Magie von Tibet töte ich dich.“
In diesem Fall bezeugte ich den Schutz Jesu und antwortete:
„I stand under the protection of the blood of Jesus Christ, I laugh at your threats. You are a ridiculous boy, you have nothing to offer.“ – „Ich stehe unter dem Schutz des Blutes Jesu Christi. Ich lache über deine Drohungen. Du bist eine lächerliche Figur. Du hast nichts anzubieten.“
Ohne zu überlegen, war mir das herausgefahren. Ich habe es nicht bereut. Der Dämon war wieder wütend und schrie: „Lache nicht über mich.“
Entscheidend wichtig wurde mir bei dieser Seelsorge die eschatologische Bedeutung dieses Kampfes. Die Dämonen ließen ihre vermehrte Aktivität in unserer Zeit durchblicken und erklärten:
„The Lord is soon coming in glory with his holy angels, give us more time, give us more time. His coming is our end.“ – „Der Herr kommt bald in Herrlichkeit mit seinen heiligen Engeln. Gebt uns mehr Zeit, gebt uns mehr Zeit! Sein Kommen ist unser Ende.“
Man verstehe mich nicht falsch. Wir brauchen nicht die Prophezeiungen der Dämonen über das Kommen des Herrn. Wir haben dafür die Prophetie der Bibel. Aufschlussreich ist aber, daß die Dämonen eine bessere Theologie als die Modernisten haben. Die Dämonen kennen Jesus und wissen um sein baldiges Kommen. Die Modernisten aber leugnen die Gottessohnschaft Jesu und seine Wiederkunft.
20 Stunden hätten eigentlich für uns sehr ermüdend sein sollen. Aber wir waren erfüllt von dem Bewußtsein der Gegenwart Jesu. Nach und nach sind auch viele Studenten in den Raum hereingekommen und bildeten Gebetsgruppen. Es wurde 20 Stunden lang von irgendeiner Gruppe gebetet. Zwischendurch sangen wir Glaubenslieder. Einer der Lehrer stimmte das Lied an: Jesus ist der schönste Name … Oft schmetterten wir in den großen Raum:
Would you be free from the burden of sin
there is power in the blood, power in the blood
Would you over evil a victory win
there is wonderful power in the blood.
Willst du frei sein vom Banne der Sünd’
es ist Kraft in dem Blut, Kraft in dem Blut;
willst du über das Böse den Sieg gewinn’
da ist wundervolle Kraft in dem Blut.

Je länger der Kampf dauerte, desto mehr erfüllte uns eine Siegesgewissheit. Wir waren völlig überzeugt, daß der Endsieg des Herrn ist. Wir haben oft im Namen Jesu geboten und bemerkten dabei, daß immer etwas von Don Juan ausfuhr. Endlich, nach einem letzten Gebieten, war der Bann gebrochen. Don kam wieder zum Bewußtsein, fing an zu weinen und zu beten. Da er 30 Stunden nichts mehr zu sich genommen hatte, bat er um Nahrung.
Ein Jubel brach in unseren Reihen auf. 30 Brüder haben das miterlebt. Wir sangen ein Glaubenslied nach dem anderen. Juan sagte sich von allen Mächten der Finsternis los und übergab aufs neue sein Leben dem Herrn. Der Höhepunkt seines Zeugnisses war, daß er sagte. „Ich habe nie gewusst, daß Jesus eine solche Liebe zu uns hat.“ Er gab immer wieder dem Herrn die Ehre für seine Befreiung. Er hat keine Erinnerung an das, was geschehen war. Auch das Gefühl für die Zeit hatte er verloren. Er machte erstaunte Augen, als ich ihm sagte: „Wir waren nun 20 Stunden mit dir zusammen und beteten für dich.“ Er hat auch nicht die geringste Ahnung, was die Dämonen aus ihm gesprochen hatten. Einiges berichteten wir ihm, um ihm seelsorgerlich zu dienen. Juan erklärte dann, er wolle am nächsten Morgen noch etwas ins Reine bringen. Am anderen Morgen ist das geschehen.
Im Zusammenhang mit diesem Erlebnis sind mir schon viele Fragen gestellt worden. Wie konnte es kommen, daß Don Juan besessen wurde?
Darüber müßte ich ein neues Kapitel schreiben. Hier nur einige Hinweise. Don erzählte mir, daß alle seine Vorfahren aktive Zauberei getrieben hatten. 300 Jahre zurück konnte er das durch die mündliche Tradition feststellen. In all den Jahrzehnten, in denen ich es mit Besessenen zu tun hatte, beobachtete ich die große Häufigkeit, daß aktive Zauberei, die Generationen hindurch betrieben wird, zu Besessenheitsfällen führt.
Ein zweiter Hinweis ist, daß Don Juan bei einem Extremisten zum Glauben gekommen war, der über Geistesgaben falsche Lehren verbreitete. Don war davon beeinflußt worden.
Ein dritter Grund für die Besessenheit war die mangelnde Hingabe seines Lebens und Willens an den Herrn Jesus. Auf die Frage eines Lehrers antworteten die Dämonen: „Wir machten ihn besessen, weil er keine völlige Hingabe an seinen Herrn vollzog.“
Das ist eine Warnung für uns, daß eine unvollständige Hingabe an Jesus dem Feind die Türen öffnet. Es waren also drei Hauptursachen, daß er trotz seiner Bekehrung besessen wurde:
Aktive Zauberei durch Generationen hindurch „der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied“;
ferner die geistliche Erneuerung unter extremen Vorzeichen und drittens die Kompromisse, die nicht vollständige Auslieferung des Lebens an Jesus.
Beachten müssen wir auch, daß er trotz seiner Bekehrung besessen war. Es gibt ja viele Christen, die meinen, einem Gläubigen kann vom Erzfeind nichts mehr passieren. Es darf der Hinweis nicht vergessen werden, daß die Tonbänder einige Monate nach der Auswertung vernichtet wurden. Die Schulleitung wollte nicht die Dokumente dämonischer Tätigkeit in ihrer Bibliothek haben.
Der Psychiater Dr. med. A. Lechler, jahrzehntelang Chefarzt der Hohe Mark, hat in seinen beiden Büchern „Der Dämon im Menschen“ und „Krankheit oder Dämonie“ auf dieses Beispiel hingewiesen und gesagt: „Sehr aufschlussreich ist die Beschreibung eines Besessenen in dem Buch von Dr. Koch “Unter der Führung Jesu”. Diesen Fall halte ich für einen einwandfreien Beweis für die Wirklichkeit der Dämonie.“

4. Schwester Maria
1953 kam mein wissenschaftliches Buch heraus „Seelsorge und Okkultismus“. Dieses Buch brachte mir Einladungen zu Vorträgen an Universitäten auf allen Kontinenten. Eine Einladung, über die ich besonders erfreut war, kam im Herbst 1953 von Prof. Hans Bender, der an der Universität Freiburg einen Lehrstuhl innehatte und nun emeritiert ist. Bender ist als Parapsychologe in der ganzen Welt bekannt und anerkannt. Er hatte mich gebeten, ein Referat über die Besessenheit zu halten.
Nach meiner Ankunft in Freiburg hatte ich ein beklommenes Gefühl. Vor mir saßen keine Studenten, sondern nur Fachleute auf dem Gebiet der Parapsychologie und andere Akademiker: Psychologen, Ärzte. . . . Als Diskussionsredner war Professor Bender da und ein Professor der psychiatrischen Klinik. Ich wünschte, ich hätte das vorher gewusst, dann hätte ich mich noch besser vorbereitet.
Nach meinem Referat schilderte der Psychiater die Geschichte einer Patientin, deren Namen er mit Maria angab. Sie war von einem Bischof in die Klinik eingewiesen worden. In dem Begleitschreiben stand, Maria sei besessen. Der Professor war über diese Diagnose ungehalten. Er sagte offen in unserer Gegenwart: „Wie kann ein Nichtmediziner, aber doch geistig hochstehender Mann, einen Krankheitsfall so diagnostizieren!“ Dann trug der Psychiater den Krankheitsbefund vor. Neben dem Erlebnis von Don Juan war es die aufschlussreichste Besessenheitsgeschichte, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe. Vor allem ist dieser Fall beweiskräftig, weil Fachleute aller Disziplinen sich damit befaßt haben: Psychiater, Chefärzte, Psychologen, Parapsychologen, Bischöfe und Jesuiten und ich als der geringste, ein evangelischer Theologe.
Der gebotene Stoff ist so reichhaltig, daß wir systematisch alles ordnen und aufzählen müssen. Maria war während des Krieges eine tüchtige Krankenschwester. In ihrem Leben zeigten sich Symptome, die mir durch die Seelsorge an okkult Belasteten alle geläufig sind. Wir zählen auf.

1. Schwester Maria war hochmedial veranlagt. Das zeigte sich schon vor dem Krieg. Vier Wochen vor der Katastrophe des Zeppelins in Lakehurst in USA erklärte sie: „Ich sah eine Stichflamme. Der Zeppelin wird explodieren.“ Während des Krieges, als sie noch von dem Bischof in Trier betreut wurde, prophezeite sie, daß eine Kirche in Trier zerbombt werden würde. Das Kruzifix würde aber stehen bleiben. Genau so ereignete es sich später. Als ihr Bruder im Einsatz war Maria wußte das nicht , sagte sie eines Tages ihrem Seelsorger: „Mein Bruder ist durch einen Kopfschuß getötet worden.“ Vier Wochen später kam dann diese Nachricht. Pfarrer Horkel nennt das Nekroskopie und meint, das sei eine Naturgabe oder eine Gabe von Gott.

2. Bei jeder intensiven geistlichen Betreuung durch das Wort Gottes und Gebete fiel sie in Trance. Das habe ich in vielen Jahren bei Besessenen genauso erlebt. In der Trance sprachen Männerstimmen aus ihr, die sich meist als sieben Geister ausgaben. Sie nannten sich Kam, Pilatus, Herodes, Barrabas, Nero, Beelzebub, Luzifer. Assistenzärzte in der Psychiatrischen Klinik in Freiburg haben diese Stimmen auf Tonband aufgenommen. Der Professor hat diese Bänder bei unserem Treffen ablaufen lassen. Wenn Schwester Maria aus der Trance wieder das normale Bewußtsein erlangte, wußte sie nichts von dem, was vorgefallen war. So haben wir es auch bei Don Juan gehört.

3. Schwester Maria wurde manchmal von unsichtbaren Mächten geschlagen. Striemen wurden sichtbar, die von den Assistenten des Psychiaters fotografiert wurden. Der Professor nannte das psychogen bedingte Dermographismen (seelisch bedingte Hautveränderungen). Eines Tages wollte eine Schwester Maria beschützen, als sie geschlagen wurde. Die Schwester legte ihre Arme um Maria. Da bekam die mitleidige Schwester die Schläge. Der Professor nannte das psychische Induktion (seelische Übertragung). Eine Friseuse, die Maria die Haare machte, erhielt eines Tages auch solche Schläge. Die Friseuse rannte davon und schrie: „Das ist eine Hexe.“ – Schwester Maria war keine Hexe, sondern ein übel geplagtes Menschenkind.

4. Es stellten sich auch andere Quälereien ein. Der Psychiater berichtete, daß Maria manchmal aufschrie und erklärte, daß eine große Schlange sie schier erdrücke. An ihrem Körper zeigten sich Schlangenwindungen, die wiederum von Assistenzärzten fotografisch festgehalten wurden. Der Psychiater hatte diese Aufnahmen zu unserer Diskussion mitgebracht. Einmal sprang ihr eine schwarze Katze ins Gesicht, die für andere nicht sichtbar war. Maria hatte daraufhin Krallenspuren im Gesicht. Ihre Haut war aufgerissen. Der behandelnde Arzt hat das in ihrer Krankengeschichte festgehalten.

5. Typisch für derartig Kranke oder Belastete sind die Selbstverletzungen. Maria brachte sich mit einem Rasiermesser große Wunden bei, bis 8 cm lang und 2,5 cm tief. Schon diese Tatsache spricht gegen Hysterie, weil Hysteriker bei allem, was sie inszenieren, auf sich aufpassen. Die Wunden heilten sehr rasch. Sie kam selbst bei schwersten Selbstverstümmelungen ihrer Arbeit nach.
Mir ist dieser Vorgang vor allem in Ostasien demonstriert worden. Bei den Prozessionen der Hindus stecken sich die teilnehmenden Jogi Bambusstäbchen, Nägel oder Messer durch die Wangen, Schläfen, Augenbrauen oder durch den Unterarm. Die Prozessionen dauern sechs bis acht Stunden. Die Jogi empfinden dabei keine Schmerzen. Die Wunden heilen rasch und ohne Komplikationen. Ich habe in anderen Büchern darüber berichtet.
Manchmal trank Maria eine starke Dosis Gift, ohne daß ihr das geschadet hätte. Auch das habe ich beim brasilianischen Spiritismus erlebt. Man verstehe mich nicht falsch. Ich habe nie in meinem Leben an spiritistischen Sitzungen teilgenommen. Ich kenne diese Gebiete durch die Seelsorge.

6. Ein Merkmal, das ich bei allen Besessenen regelmäßig beobachtete, ist die Resistenz gegen alles Göttliche. Bei Maria war es so, daß sie gegen alles Heilige einen großen Widerwillen empfand. Bibel und das Kreuz waren ihr ein Greuel. Sie konnte mit unflätigen Ausdrücken über alles reden, was die Kirche betraf.

7. Das stärkste Symptom, mit dem man klar zwischen einer Psychose (Geisteskrankheit) und einer Besessenheit unterscheiden kann, ist das Verständnis nicht erlernter Fremdsprachen. So war es bei Don Juan auf den Philippinen, und so hörte ich es bei Schwester Maria. Sie wurde lateinisch, englisch, französisch, italienisch, griechisch und hebräisch angesprochen und gab sinngemäß in deutsch Antwort. Natürlich war ihr das nur in der Trance möglich, wenn die in ihr wohnenden Geister in Aktion waren. – Im Rituale Romanum wird das ebenfalls als Symptom der Besessenheit angesehen.

8. Eine andere Fähigkeit, die Schwester Maria in der Trance zeigte, war der Einblick in das Leben anwesender Menschen. Sie konnte manchen gewisse Sünden auf den Kopf zusagen.
Ich habe das auch in meiner Seelsorge erlebt. Es war in Frankreich. Zusammen mit anderen Seelsorgern betreute ich eine besessene Frau. Plötzlich sprang sie auf, packte einen Pastor am Kragen und schrie ihn an: „Du Heuchler, bringe dein eigenes Leben in Ordnung, bevor du anderen helfen willst.“ In einem deutschen Fall hielt ein Besessener einem Pfarrer vor: „Du hast gestohlen.“ Es stimmte tatsächlich. Der Pfarrer antwortete: „Du hast die Hauptsache vergessen, daß ich das in Ordnung gebracht habe und von Gott Vergebung erhielt.“
Bevor Maria in die Psychiatrische Klinik nach Freiburg kam, war sie von verschiedenen Ärzten betreut worden. Ein Dortmunder Chefarzt, der große Erfahrung mit Hysterikern hat, beobachtete Schwester Maria und nahm eingehende Untersuchungen vor. Er meinte, er könnte Maria als Hysterikerin überführen. Er täuschte sich. Er mußte zuletzt zugeben, daß das Krankheitsbild von Maria nicht in medizinische Kategorien einzuordnen ist.

9. Ein letzter Punkt sei erwähnt. Als ein Dämon, der sich Beelzebub genannt hatte, ausfuhr, war ein schwefelartiger Geruch wahrzunehmen. Dieses Phänomen wurde mir gelegentlich auch von Spukhäusern berichtet.
Das alles waren die hauptsächlichsten Punkte und Merkmale in der Krankengeschichte der Maria.

Der Freiburger Psychiater fragte nach der langen Diskussion die beiden katholischen Theologen: „Meine Herren, was sagen Sie dazu?“ Die beiden Jesuiten antworteten: „Ein klarer Fall von Besessenheit.“ Der Psychiater antwortete erregt: „Für einen Wissenschaftler gibt es keine Besessenheit, sondern höchstens einen Fall schwerer Hysterie. Mir ist aber bis jetzt ein derartiger Fall nicht vorgekommen.“
Dann wandte sich der Psychiater an mich und stellte die gleiche Frage wie den Jesuiten. Ehe ich antwortete, stellte ich die Gegenfrage: „Hat sich Schwester Maria mit Spiritismus oder der Magie abgegeben?“ Die Frage wurde bejaht. Dann gab ich meiner Überzeugung Ausdruck und erklärte: „Die Symptome sind klar. Sie lassen sich nicht psychiatrisch deuten. Es ist Besessenheit.“ Später erfuhr ich noch, daß Schwester Maria sich auch mit ihrem Blut dem Teufel verschrieben hatte. Blutspakte sind furchtbare Bindungen, auch wenn die Modernisten darüber lächeln. Sie lachen darüber, weil es dem Teufel gelungen ist, die Rationalisten von seiner Nichtexistenz zu überzeugen.
Mit schwerem Herzen fuhr ich von diesem Freiburger Colloquium heim. Was nützt eine klare Diagnose, wenn keine Seelsorger mit geistlicher Vollmacht da sind, die dem hart bedrängten Menschenkind im Auftrag Gottes helfen dürfen? Schwester Maria ist katholisch. Katholische Exorzisten kümmerten sich um sie. Der Ausgang dieses Seelsorgefalles ist mir nicht bekannt.

II. AUSSAGEN DER BIBEL

1. Symptome der Besessenheit
In den seelsorgerlichen Beispielen, die in diesem Buch berichtet sind, tauchten bereits viele Symptome einer Besessenheit auf, die wir auch in dem biblischen Bericht von dem besessenen Gadarener in Markus 5,1 20 vorfinden.
Liberalen und modernen Theologen ist die Gadarener Geschichte ein unechter Einschub in das Evangelium oder ein religiös umfunktionierter Volksschwank vom geprellten Teufel. Für Bultmann ist der Bericht ein Greuel.
Für mich ist dieser Gadarenerbericht in allen Stücken echt genauso wie die anderen Geschichten der Bibel. In jahrzehntelanger Seelsorge habe ich alle Details dieses Berichtes wieder erlebt. Der Text bietet uns authentisches Material zum Problem der Besessenheit. Wir müssen zum besseren Verständnis die Symptome der Reihe nach andeuten:

1. Jesus machte einen Vorstoß in das heidnische Gebiet der Gadarener und gibt auf dieser Tour seinen Jüngern eindrucksvolle Instruktionen, was sie später bei einem missionarischen Einsatz unter den Heiden antreffen können. Darüber hinaus erhalten die Missionare der beiden Jahrtausende Anschauungsmaterial für ihren oft schweren Dienst.
Ein Heide, der sich auf den Friedhöfen zwischen den Grabhöhlen herumtreibt, kommt Jesus entgegen. Wir haben hier das Milieu der Verwesung, des Todes, der Hoffnungslosigkeit, in dem sich der Besessene aufhält. Besessene Menschen tragen alle ein Stück dieser Unheimlichkeit mit sich herum. Nicht die Tendenz zum Leben, sondern die Ausrichtung auf den Tod kennzeichnet ihren Zustand.

2. Der Gadarener ist von einem unreinen Geist beherrscht, bewohnt. Damit ist nicht gemeint, daß sein menschlicher Geist unrein geworden ist. Das ist auch der Fall. Zu verstehen ist dieser Ausdruck, daß eine fremde Wesenheit, ein unreines Geistwesen, ein Dämon von ihm Besitz genommen hat.
Der Psychiater Dr. Lechler sagt in seinem Buch „Der Dämon im Menschen“, Seite 53: „Die Besessenheit ist eine furchtbare Wirklichkeit. Die Finsternismächte sind teils Dämonen, d. h. frühere Engel, ,Satansengel’ (2. Kor. 12,7) die mitsamt ihrem Herrn von Gott abgefallen sind (Luk. 10,18; 2. Petr. 2,4; Judas 6), teils unsaubere Geister, die zu ihren Lebzeiten eine Bindung mit Satan eingegangen waren”. Auf den letzten Punkt kommen wir später zurück.
Hier steht der Psychiater dem biblischen Sachverhalt näher als der Theologe und Missionsdirektor Vicedom von Neuendettelsau. Vicedom und ich waren zu Vorträgen in den Hamburger Michel eingeladen. In meiner Gegenwart sagte dieser Koreferent: „Die Dämonen sind das Übermenschliche und das Untermenschliche in uns.“ Haben die von ihm ausgebildeten Missionare diese Irrlehre mit auf die Missionsfelder hinausgenommen?
Pastor Heitmüller, der damals noch lebte, protestierte und erklärte öffentlich: „Die Dämonen sind weder das Übermenschliche noch Untermenschliche in uns, sondern außermenschliche Wesenheiten.“
Uns gilt die Bibel und nicht der von den Holzwürmern der modernen Theologie angeknabberte Verstand vieler Theologen.

3. Ein weiteres Merkmal der Besessenheit ist die übernatürliche Kraft des Gadareners. „Niemand konnte ihn binden, auch nicht mit Ketten“, sagt unser Text.
Das Rituale Romanum nennt drei bis vier Merkmale der Besessenheit: übernatürliche Kraft, Wissen um verborgene Dinge, Kenntnis nicht erlernter Sprachen, Opposition gegen alles Göttliche.
In dem Beispiel von Don Juan wurde gesagt, daß sechs Studenten ihn halten mußten. Schwester Maria hat auch einmal zwei Männer herumgewirbelt.
Auf diesem Gebiet gibt es auch Parallelen in den psychiatrischen Anstalten. Manche Patienten entwickeln in einem Tobsuchtsanfall ungeheure Kräfte. Allerdings ist hier einzuwenden, daß sich in unseren Nervenheilanstalten Besessene und okkult Belastete befinden, die eben von ihren Ärzten anders diagnostiziert werden. Ich hatte in den vergangenen Jahrzehnten gute Verbindung mit gläubigen Psychiatern, die der Meinung sind, daß ein Teil der Insassen der Heilanstalten keine Geisteskrankheiten haben, sondern dämonisiert oder besessen sind.

4. Das vierte Kennzeichen der Besessenheit im Gadarenertext ist die Selbstzerfleischung, der Selbstzerstörungstrieb. Der Gadarener schlug sich mit Steinen.
Bei Schwester Maria war das ein ausgeprägtes Symptom. Sie hat sich oft große Wunden beigebracht. Ich bin im Ausland, z. B. in Liberia, Menschen begegnet, die man fesseln mußte, weil sie sonst viel Unheil anrichteten.
Ein Beispiel aus der Schweiz. Ein junger Mann mußte mit Ketten an sein Bett gebunden werden, weil er in seiner Besessenheit mit dem Messer sich selbst oder seine Mutter damit verletzen wollte. Man hatte den jungen Mann mir einmal ins Haus gebracht. Ich lehnte seine Betreuung ab, weil es mir zeitlich und kräftemäßig unmöglich ist, alle Menschen, die man mir bringen will, zu betreuen. Ich verwies diesen jungen Mann an die Mission Kwa Sizabantu. Einige Schweizer reisten mit ihm nach Südafrika. Der Besessene weilte dort einige Monate und wurde völlig befreit.

5. Unser Text zeigt uns als fünftes Merkmal der Besessenheit die Desintegration, die innere Aufspaltung, die Zwiespältigkeit des Gadareners. Der Besessene läuft Jesus entgegen, er sucht Hilfe, er fällt sogar vor Jesus nieder, und dann packt ihn eine große Angst vor Jesus und er schreit: „Willst du mich quälen?“
Es gibt verschiedene Formen der Desintegration, die zu einer Depersonalisation führen können. Es handelt sich um einen Zustand der Selbstentfremdung. Das kann als Krankheit eine schizophrene Ichstörung sein. Es gibt aber auch psychogen bedingte Ichstörungen, z.B. bei der Hysterie.
Wir finden diese innere Aufspaltung auch bei Besessenen. Mir wurde das einmal bei einer besessenen Frau deutlich. Im bewußten Zustand betete sie und lobte Gott. Beim Besessenheitsanfall fluchte und lästerte sie.
Über die Depersonalisation bei Besessenheit muß ich in einem gesonderten Abschnitt einen Hinweis geben.

6. Ein sechstes Merkmal der Besessenheit ist die Hellsichtigkeit. Der Gadarener erkennt sofort Jesus als den Sohn Gottes, obwohl Jesus zum erstenmal in das Gebiet der Gadarener kommt. Er anerkennt auch die richterliche Oberhoheit des Gottessohnes über die Dämonen. Er weiß sofort, daß Jesus die Macht hat, ihm Befehle zu geben. Markus sagt in Kapitel 1,27: „Er gebietet mit Gewalt den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm.“

7. Identifikation der unreinen Geister spielt bei der Seelsorge mit Besessenen eine Rolle. Es ist ein Stückweit richtig, daß der Seelsorger keine langen Gespräche mit dem Besessenen führt, zumal die Dämonen Lügengeister sind und den Fragesteller gern täuschen. In der Gadarenergeschichte spricht der Besessene Jesus an, und Jesus antwortet, allerdings nur soviel, wie es für die Befreiung des Gebundenen wichtig ist. Der Herr fragt nach dem Namen. Dämonen müssen sich zu erkennen geben, wenn man sie austreiben will.
Fast alle Seelsorger, die mit Besessenen Erfahrungen gesammelt haben, forschen nach dem Namen der innewohnenden Geister. Gewöhnlich gebrauchen sie folgende Wendung: „Im Namen Jesu, nenne uns deinen Namen!“ Manchmal werden Seelsorger belogen. Es gibt für diese Lügen gewisse Anzeichen.
Dann muß man gebieten: „Im Namen Jesu, sage uns die Wahrheit.“ Nach einer solchen Aufforderung antwortete Don Juan: „Der Nazarener zwingt uns, die Wahrheit zu sagen.“ Werden die unreinen Geister gezwungen ihre Identität preisgeben, ist die Austreibung leichter.
Das verstehen aber nur Seelsorger, die schon mehrfach eine so schwere Seelsorge auf sich genommen haben.

8. Die Veränderung der Stimme wird bei fast allen Besessenheitsfällen beobachtet. Auf die Frage Jesu antwortete der Gadarener: „Legion heiße ich, denn wir sind unser viele.“
In der Seelsorge macht man vielfältige Beobachtungen. Aus Männern sprechen mitunter Frauenstimmen und umgekehrt. Bei einem besessenen Mädchen im Münstertal im Elsaß meldete sich die Stimme der verstorbenen Großmutter, die aktive Zauberei getrieben hatte. Bei dem Theologiestudenten, dessen Geschichte wir gehört haben, sprachen mehrmals Frauenstimmen.
Aus der Schwester Maria sprachen dunkle Stimmen, die sich als Kain, Herodes und Nero meldeten.
Es müssen nun weitere Merkmale der Besessenheit genannt werden, die noch vielmehr als bisher den Unterschied zu Geisteskranken oder Hysterikern zeigen.

9. Das neunte Merkmal des dämonischen Fremdsprachenwunders kommt zwar in der Gadarenergeschichte nicht vor, schließt sich aber an die Tatsache an, daß der Gadarener sich mit Legion meldet. Wir hörten bei Don Juan, daß er in Sprachen redete, die er nicht gelernt hatte, und Schwester Maria verstand die sechs Sprachen, in denen mit ihr gesprochen wurde. Keine dieser Sprachen wie Latein, Griechisch, Hebräisch, Italienisch, Französisch, Englisch hatte sie vorher gelernt.
Parapsychologen haben dieses Sprachenwunder schon mit Telepathie zu erklären versucht. Es ist schon folgendes Experiment gemacht worden, daß man diese Fremdsprachen, die kein Anwesender verstand, auf ein Tonband aufnahm und später von Philologen übersetzen ließ. Aber auch für diesen Vorgang haben die Parapsychologen noch einen Ausweg. Sie sprechen von Dreieckstelepathie auf große Entfernung. Wie sollte dann aber bei dem brasilianischen Medium Mirabelli, der in Trance 28 Fremdsprachen darunter Hebräisch, Syrisch, Japanisch redete, die er nicht gelernt hatte, plötzlich in 28 Fällen eine Dreieckstelepathie zustande gekommen sein? Wissenschaftler setzen uns manchmal die absurdesten Hypothesen vor, weil sie die einfachen biblischen Tatbestände nicht anerkennen wollen.
Im Bereich der Psychiatrie gibt es überhaupt keine Erklärungsmöglichkeit. Ein Geisteskranker oder ein Hysteriker können nicht plötzlich eine andere Sprache sprechen, die sie nicht gelernt haben.

10. Ein weiteres Merkmal ist die Induktion, die Übertragung, der Übergang der Dämonen auf die Schweine. Die Legion verließ auf das Kommando Jesu den Gadarener und fuhr in 2000 Schweine, die den Abhang hinunterrasten und sich ins Meer stürzten. Einen solchen Vorgang finden wir bei Geisteskranken nicht. Hier versagen alle Erklärungsversuche.
In der Seelsorge sind mir einige solcher Beispiele bekanntgeworden. Ich habe einen Freund in der Schweiz, der in der Reichgottesarbeit einen verantwortlichen Platz einnimmt. Er ist im Toggenburg aufgewachsen. In seinem Elternhaus ist Zauberei getrieben worden. Der Vater war in okkulte Dinge verwickelt. Bei einer Evangelisation erlebte er aber eine klare Bekehrung und wurde von all seinen Bindungen und Belastungen frei. In der Stunde seiner Übergabe an Jesus fingen fünf Schweine im Stall zu toben an. Sie rannten wie irrsinnig einige Stunden im Stall herum. Der Bauer mußte sie erschießen.
In einer Seelsorge baten mich auch Dämonen eines Besessenen, in die Säue fahren zu dürfen. Ich antwortete: „Geht dahin, wo Jesus euch hinschickt.“
Meiner Erfahrung nach bevorzugen ausfahrende Dämonen aber Menschen und nicht Tiere. Wir sind damit bei einem beweiskräftigen Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Psychiatrie. Es gibt in der Pflege von Geisteskrankheiten ein so genanntes induziertes Irresein. Das bedeutet, daß eine Pflegerin, die vielleicht 30 Jahre Geisteskranke betreut hat, selbst geisteskrank wird. Auch bei Psychiatern kommt es selbst vor. Ich erinnere daran, daß Professor Schneider, der frühere Chef der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg, depressiv wurde und sich das Leben nahm.
In Amsterdam kam ein Psychiater zu mir, der ebenfalls unter schweren Depressionen litt. Er ließ sich von mir nicht zu Christus führen. Auch er endete im Selbstmord.
Beim induzierten Irresein bleibt der ansteckende Geisteskranke krank, und der Gesunde wird ebenso krank. Bei der Übertragung vom Besessenen auf Gesunde wird der Besessene frei, und der befallene Gesunde wird besessen. Dafür habe ich viele Beispiele. Der Umfang des Buches verbietet die Erwähnung vieler Fälle. Ich weise auf die Sammlung von rund 400 Beispielen hin, die in meinem Buch Okkultes ABC stehen.

11. Ausfahrende Dämonen suchen immer eine neue Behausung, weil sie sich fürchten, in den Abgrund zu fahren. Wir haben im NT den Hinweis, daß wir es mit verschiedenen Gruppen von Dämonen zu tun haben. Es gibt solche, die Gott mit Ketten der Finsternis gebunden in den Abgrund (Tartarus) stieß (2. Petr. 2,4). Es gibt aber auch solche, die sich noch in den Luftgebieten aufhalten und auf die Menschen Einfluß zu gewinnen suchen. In Eph. 6,12 heißt es: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“
Die Furcht, in den Abgrund gesandt zu werden, wurde mir einige Male demonstriert, als die Dämonen riefen: „Do not send us into the pit“, oder sie schrien: „Do not send us into the abyss“ schicke uns nicht in den Abgrund! Irgendeine Behausung, am besten ein anderer Mensch oder notfalls Tiere, ist ihnen lieber als der Abgrund.
Ich habe in der Seelsorge schreckliche Beispiele erlebt, daß Besessene frei wurden, und irgendein Freund, der am meisten für sie betete, wurde gleichzeitig besessen.
Mir sitzt noch der Schock über ein Schweizer Erlebnis in allen Gliedern. Eine Frau betete für eine besessene Freundin einige Jahre lang. Nach vier Jahren wurde die Besessene frei und die Beterin zur gleichen Zeit besessen. Die frei gewordene Frau besucht ihre nunmehr geplagte Freundin nicht, weil sie Angst hat, wieder in den alten Zustand zu verfallen.
Mir ist klar, daß solche Beispiele unseren Psychiatern und Psychologen ein Greuel sind. Ich verstehe das. Der natürliche, nicht wiedergeborene Mensch versteht keine geistlichen Zusammenhänge.
Das Schweizer Beispiel ist eine große Warnung. Ohne göttlichen Auftrag müssen wir mit der Fürbitte für Besessene zurückhaltend sein. Am besten geschieht solcher Dienst in einer Gebetsgruppe. Eine solche Seelsorge ist Teamwork, Gruppenaufgabe.

12. Ein klares Argument gegen die Annahme der Psychiater, Besessenheit sei nur die seltene Form einer Hysterie oder einer Psychose, ist die Sprechweise der Dämonen.
Wenn unreine Geister aus einem Menschen sprechen, gebrauchen sie nicht die Ichform. Sie reden von dem Besessenen in der dritten Person. Ein Beispiel soll klären, was gemeint ist. Ein besessener junger Mann fiel bei meinem Gebet sofort in einen Dämmerzustand. Die fremde Stimme, die aus ihm sprach, rief mir zu: „Koch, gib mir eines deiner Kinder, dann gebe ich diesen frei.“ Natürlich bin ich im Namen Jesu diesem Ansinnen entgegengetreten.
Aus einer besessenen Krankenschwester, zu der ich gerufen wurde, sprach die Stimme eines im Kriege gefallenen SS-Offiziers. Als wir ihn austreiben wollten, schrie er: „Diese Frau gehört mir. Sie muß dahin kommen, wo ich bin.“ Es stellte sich in der Seelsorge heraus, daß diese Schwester zusammen mit ihrem Freund, dem SS-Offizier, sich während des Krieges mit ihrem Blut dem Teufel verschrieben hat. Später hören wir mehr darüber.
In der psychiatrischen und psychologischen Literatur werden solche Fälle von Verdopplung oder Vervielfachung der Persönlichkeit berichtet. Ich erinnere an das Buch von Prof. Österreich „Die Besessenheit“. Ich bin in meinem Buch „Seelsorge und Okkultismus« ab Seite 192 ausführlich darauf eingegangen. Die Psychiater erklären solche Persönlichkeitswandlungen als Spaltungen des Unbewußten in selbständige Teile, die sich meistens als bekannte historische Persönlichkeiten ausgeben.
Solche Kranke meistens Fälle aus dem schizophrenen Formenkreis geben sich beispielsweise als Cäsar aus oder als Napoleon, als Kaiser von China usw. Sie reden dann aber immer in der Ichform und verweisen nicht auf die Primärperson in der dritten Person.
Die Ichform und Erform sind ein scharfes Argument gegen die psychiatrischen Erklärungen, es handele sich bei Besessenen nur um Geisteskranke oder Hysteriker.

13. Wiederum völlig verschieden von der Arbeit der Psychiater ist die rasche Befreiung, wenn sie einem Seelsorger mit geistlicher Vollmacht begegnen. In der Gadarenergeschichte gebot Jesus: „Fahre aus, du unsauberer Geist!“ Und die ganze Legion dieser Finsternismächte hatte zu gehen.
Unsere Psychiater wissen, wie lange oft die Behandlung eines Geisteskranken dauert. Es kann Jahre gehen, bis eine Heilung eintritt, mitunter dauert die Therapie Jahrzehnte.
Bei geistlicher Vollmacht kann ein Besessener in einem Tag frei werden, ja es gibt sogar Fälle, die nur eine Stunde dauern.

14. Was uns bei dieser Seelsorge Jesu an dem Besessenen auffällt, ist die Ruhe, mit der Jesus dem Gadarener begegnet. Hier herrscht keine Hektik, keine sensationelle religiöse Schau, so turbulent die Schweinegeschichte auch ist. Hier geht es nicht um ein exorzistisches Manöver. In der Überlegenheit des Gottessohnes steht Jesus vor dem Heiden, befreit ihn und beweist damit seine göttliche Vollmacht.
Die geistliche Vollmacht ist die Kernfrage beim Exorzismus. Es geht nicht um Riten, nicht um fromme Zeremonien, nicht um eine Amtshandlung, nicht um eine kirchliche Demonstration, sondern um die Exousia kai dynamis, Gewalt und Kraft als göttliche Ausrüstung. Ein Machtbeweis liegt bei Jesus vor als Zeichen, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist.
Ein solches Handeln gibt es bei unseren Fachleuten der medizinischen und psychologischen Wissenschaften nicht, aber auch nicht bei extremen oder von Amts wegen eingesetzten Exorzisten.

15. Am Ende der Gadarenergeschichte steht die Bereitschaft dieses Heiden, Jesus nachzufolgen. Wenn die Entschlossenheit der Nachfolge Jesu bei einem Befreiten fehlt, kommen die Mächte gern wieder zurück. Davor warnt uns Lukas in Kapitel 11,24.
Sehen wir uns die Heilung eines Geisteskranken an, der zuerst mit Psychopharmaka, dann vielleicht mit Schocks und zuletzt mit einer Dauerschlafkur oder „Watertreatment“ (in USA praktizierte Embryohaltung in einem Warmwasserbecken) behandelt worden ist. Der geheilte Geisteskranke wurde wahrscheinlich vom Psychiater gewarnt, sich nicht zu sehr mit religiösen Dingen einzulassen, weil das seinem Zustand nicht zuträglich sei.
Und wie war es bei Jesus: Der Gadarener will in die Jüngerschaft eingegliedert werden. Jesus läßt das nicht zu, sondern gibt ihm einen Missionsauftrag: „Gehe hin in dein Haus und zu den Deinen und verkündige ihnen, wie große Wohltat dir der Herr getan und sich deiner erbarmt hat!“

16. Am Ende dieser Geschichte steht der Sieg des Lichtes über die Finsternis, Sieg des Gottessohnes über einen schwerbelasteten, besessenen Heiden. Nicht unser Interesse an dunklen Geschichten soll genährt werden, sondern die Kenntnis, daß Jesus der Herr ist, vor dem Satan und das Heer der Hölle zittert.
Pfarrer Blumhardt, der auch einen schweren Kampf mit der besessenen Gottliebin Dittus durchgefochten hat, schenkte uns das Lied:
Jesus ist der Siegesheld,
der all seine Feind besieget.
Jesus ist’s, dem alle Welt
bald zu seinen Füßen lieget.
Jesus ist’s, der kommt mit Macht
und zum Licht führt aus der Nacht.

2. Ein weißer Rabe
Von dem nichttheologischen Autor Jean Starobinski kam der Titel heraus „Besessenheit und Exorzismus“ (Verlag Schulz, Percha). Er unternahm im dritten Kapitel den Versuch, einen Text des Evangeliums, die Geschichte vom besessenen Gadarener, rein literarisch auszulegen. Eingangs erwähnt er, daß seine Bibelexegese, da sie weder von einem Gläubigen noch von einem Theologen verfaßt ist, wegen ihres Außenseitertums unangemessen erscheint.
Diese Einschränkung beeindruckt wegen ihrer Bescheidenheit. In Wirklichkeit aber liegt hier eine grandlose Auslegung vor, wie ich sie bei keinem zünftigen Theologen je gelesen habe.
Er spricht von einer Ehrfurcht vor diesem Text, der von alters her in all seinen Teilen für das Werk einer Inspiration gehalten wurde. Vergleichen wir damit den Ausspruch Bultmanns, der die Geschichte vom besessenen Gadarener als einen Greuel ansah. Starobinski erklärt: „Der Text ist so strukturiert, daß der Leser oder Zuhörer des Evangeliums ipso facto durch die vermittelnde Erzählung zum Jünger Christi wird.“
Bedeutsam ist auch der Hinweis, daß die Gadarenergeschichte nicht nur der Zeit Jesu gilt, sondern zu einer erkennenden Lektüre aller Menschen und aller Zeiten geworden ist. Der Autor arbeitet auch die hauptsächlichsten Besessenheitssymptome heraus, allerdings nicht alle. Er gibt auch an, welche Beurteilungen dieser Evangeliumstext erhalten hat. Bei den Historikern herrscht die Auffassung vor, daß die Fälle von dämonischer Besessenheit ein gutes Beispiel für die kulturelle Interpretation sind. Die Mediziner weisen auf einige Krankheitsbilder hin, wie z. B. Epilepsie, Athetosen (wurmartige Verkrümmungen des Leibes), Schizophrenie und Hysterie.
Für mich ist es ein gewaltiges Bekenntnis, daß dieser hochbegabte Autor zuletzt seine Meinung in dem Satz zusammenfaßt: „Ich glaube, daß die Hypothese, die den Begriff der Teufelsbesessenheit als ein auf eine vorhergehende Gegebenheit angewandtes interpretatives Werkzeug betrachtet, nicht von der Hand zu weisen ist.“ Dieses Bekenntnis hat um so mehr Gewicht, da es von einem vielseitigen Wissenschaftler gegeben wird. Starobinski ist Literaturhistoriker, Professor für Ideengeschichte, Kunst und Musik-Wissenschaftler, Philosoph und Arzt. Er ist Präsident der Genfer Rencontres Internationales, ferner der Gesellschaft Jean Jacques Rousseau.

3. Satan

Zum Thema Besessenheit gehören einige Hinweise über Satan und die Dämonen. Wir beherzigen dabei, was Adolf Pohl in seinem Kommentar über die Offenbarung zweiter Teil Seite 104 sagt: „Wir haben nicht an den Teufel zu glauben, sondern ihm zu widerstehen. Wir sollen ihn uns auch nicht genau vorstellen wollen und uns weder in eine Betrachtung des Satanischen vertiefen, noch eine ausführliche Satanslehre anstreben, noch in unserer Umwelt Satansgewißheit verbreiten. Nicht einmal dann, wenn andere den Satan wegdisputieren, streiten wir beharrlich mit ihnen … Wer sich in Belehrung über Satan und Dämonen ergeht, gewinnt für das Heil gar nichts.“
Dieses Warnschild enthält ein gutes Element, aber auch ein gefährliches. Das Positive an dieser Warnung ist der Hinweis, daß wir keine Satanologie noch Dämonologie betreiben, sondern Christologie. Inhalt unseres Glaubens ist allein der dreieinige Gott und nicht Satan und die Dämonen.
Auf der anderen Seite heißt das nicht, daß wir sie als „Nichtse“ behandeln und tun, als wären sie nicht da. Diese Haltung findet sich bei gläubigen Christen, bei positiven Theologen und bei den Modernen.
Äußerungen, wie wir sie hier bei Pohl finden, haben dazu beigetragen, daß viele Seelsorger sich weigern, okkult Belastete oder gar Besessene zu betreuen. Die wenigen, die darin noch einen Auftrag sehen, werden dann überlaufen, überfordert und über die Maßen in Anspruch genommen. Auf dem Gebiet der Seelsorge vollzieht sich zunehmend eine Tragödie, weil unsere dämonenschwangere Zeit ein Heer von schwer angefochtenen Menschen produziert, die dann in die unrechten Hände übergeben werden, weil unsere frommen Brüder sich theologisch gut abgesichert distanzieren.
Adolf Pohl weist auf Jakobus 4,7 hin: „Widerstehet dem Teufel, so flieht er von euch!“ Wie soll man aber dem Feind widerstehen, wenn wir die Augen vor ihm schließen? In der Kriegführung werden Nebelwerfer benützt, um die Fronten unsichtbar zu machen. Im Nebel trifft kein Schütze das Ziel. Wir brauchen ein gewisses Maß an Erkenntnis, um dem Feind wirksam begegnen zu können.
Noch schlimmer sind die Irrlehren der Modernen oder der von ihnen Beeinflußten. So schrieb Pfarrer Haack, wir hätten dem Teufel nur noch einen Nachruf zu widmen. Einen Nachruf gibt man Verstorbenen. Wir kennen diese Theologie. Dorothee Sölle meint: Gott ist tot. Pfarrer Haack sagt: Der Teufel ist tot.
Wir brauchen uns nicht zu wundern, daß bei den gläubigen Christen und bei Namenchristen soviel Verwirrung im Blick auf die Existenz und Tätigkeit des Teufels herrscht. Das ist im Wesen Satans begründet. In Offbg. 12,9 lesen wir: O planon ten oikumenen olen = Der den ganzen Weltkreis in die Irre führt. Das griechische Verb planáo heißt täuschen, verwirren, irreführen. Diese Funktion Satans neben vielen anderen finden wir in der ganzen Bibel. Jesus nennt ihn Vater der Lügner (Joh. 8,44). Diesem Tatbestand begegnen wir schon auf den ersten Seiten der Bibel. Versuchung und Fall des ersten Menschenpaares (l. Mos. 3) war ein Werk der Schlange, die Satan verkörpert.
Der Ursprung Satans ist weithin verborgen. Wir haben aber einige Hinweise. Namhafte Schriftausleger sind der Überzeugung, daß vor der Erschaffung des Menschen eine Rebellion in der Engelwelt stattgefunden hat. . . .
Geisterfüllte Schriftausleger haben allezeit den Sturz Babels und des Königs von Tyrus hintergründig als den Sturz Luzifers angesehen. In der biblischen Prophetie stehen wir oft vor dem Doppelsinn der Weissagung. In den historischen Sinn ist eine prophetische Aussage hineingepackt. Sehen wir uns die beiden Schriftstellen einmal kurz an:
Jes. 14,12 f.: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern. Gedachtest du in deinem Herzen: Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen und gleich sein dem Allerhöchsten?“

Im Auszug wird die Stelle Hes. 28,12f. hinzugefügt: „Du bist wie ein Cherub, der sich ausbreitet. Du warst ohne Tadel in deinem Tun, von dem Tage an, da du geschaffen wurdest, bis sich deine Missetat gefunden hat.“
Es wird gut sein, man liest diese Abschnitte in der Bibel nach. Es wird hier eine Schilderung gegeben, die man nicht auf irdische Könige beziehen kann. Darum weist Pastor Heitmüller in seiner Schrift „Engel und Dämonen“ Seite 13 darauf hin: „Hinter der Beschreibung vom Sturz Babels und des Falles des Königs von Tyrus erkennen wir die Empörung und den Sturz Luzifers als das Urereignis. Ja, es will mir scheinen, daß die Worte Babel und Tyrus nur Decknamen für den Fürsten der Welt sind.“
Im NT wird der Fall Luzifers bestätigt:
Joh. 8,44: „Der Teufel ist nicht bestanden in der Wahrheit.“
2. Petr. 2,4: „Gott hat die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie in den Tatarus verstoßen.
Judas 6: „Auch die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten, sondern verließen ihre Behausung, hat er behalten zum Gericht.“

Die nächste Frage ist, welche Ziele dieser gefallene Engelfürst verfolgt.
Die Erklärung seines Namens gibt Antwort. Das hebräische Verbum satan heißt anfeinden, anklagen, befehden. Das Nomen (Hauptwort) Satan bedeutet Widersacher, Gegner. Im außerbiblischen Sprachgebrauch wird das Wort auch benützt und bedeutet, vor Gericht gegen jemand Anklage erheben.
In diesem Sinne spielt Satan gegenüber den Gläubigen vor Gott die Rolle des Staatsanwaltes. In dieser Position des Anklägers finden wir Satan in Hiob Kapitel 1,6 12. In Hiob 31,3 5 wird sogar von einer Anklageschrift gesprochen. „Siehe die Schrift, die mein Verkläger geschrieben.“
Ein weiteres Beispiel dieser Art finden wir in Sach. 3,1, wo es heißt: „Und mir war gezeigt der Hohepriester Josua stehend vor dem Engel des Herrn; und der Satan stand zu seiner Rechten, daß er ihm widerstünde.“
Satan hatte das Recht, Josua wegen seiner Unreinheit vor Gott zu verklagen.
Mit dem Kommen Jesu verliert Satan seine Stelle als Ankläger. Jesus sagte (Lukas 10,18): „Ich sah wohl den Satanas vom Himmel fallen wie einen Blitz.“
Als ein eschatologisches Ereignis wird in Offbg. 12,10 angekündigt:
“Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott.“
Im NT wird die aus dem Griechischen stammende Bezeichnung diabolos mehr gebraucht als das hebräische Satan. Diabolos bedeutet Durcheinanderwerfer, Quertreiber, Verleumder. Inhaltlich decken sich beide Ausdrücke. Das wird zum Beispiel in Offbg. 12,9 gezeigt:
“Es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.“ Drache, Schlange, Teufel, Satan sind also auswechselbare Synonyme, sinnverwandte Vorstellungen. Wir können dem Begriff Teufel im NT nicht nachgehen, weil das den Rahmen eines Taschenbuches sprengt. Eine Visitenkarte ist uns mit dem Johanneswort gegeben. Wir wollen es nur noch ein wenig erweitern.
Wir finden folgende „Amtsbezeichnungen“ für den Teufel, die gefallene Majestät:
Herrscher der Welt – Joh. 12,31
Fürst dieser Welt Joh. – 14,30
Gott dieser Welt – 2. Kor. 4,4
Der Arge – Joh. 17,15
Der Bösewicht – Eph. 6,16
Der Verführer – Mt. 6,24
Der Verkläger – Off. 12,10
Der Versucher – Mt. 4,3
Der Widersacher – 1. Petrus 5, 8
Der Vater der Lüge – Joh. 8,44
Der Verstellungskünstler (Engel des Lichtes) – 2 Kor. 11,14
Der Gott Mammon – Mt. 6,24
Der Drache – Offb. 12,9
Die alte Schlange – Off. 12,9
Der Mörder – Joh. 8,44
Der brüllende Löwe – 1. Petr. 5,8
Wahrhaftig, eine unheimliche Visitenkarte!

Friedrich Heitmüller schreibt in seiner Studie „Engel und Dämonen“, Seite 16: „Aufgrund aller Schriftstellen, die sich auf die Absichten und geschichtlichen Methoden des Satans beziehen, kann man sieben Grundprinzipien satanisch dämonischer Wirkungsweise unterscheiden:
die Selbstherrlichkeit, die Weltherrlichkeit, den Gegenschlag, die Lüge, den Mammon, die Unreinheit, die Besessenheit.“
Die Visitenkarte des Erzfeindes soll auch in unseren Jahrzehnten weiter erläutert werden. Wir erleben in der Gegenwart eine Verstärkung satanischer Aktivität und eine gräßliche Entfaltung seines Aufmarsches gegen Gott.
Es werden nur einzelne Ereignisse angetippt. Es ist einfach unmöglich, die Fülle des Stoffes zu bewältigen.
War nicht der Rassenhochmut des Dritten Reiches, der Millionen Juden und Millionen von Soldaten das Leben kostete, nicht eine Aktion Satans? Man kann mit Recht von einer rassistischen Besessenheit reden. Mir ist das Erlebnis eines SS Offiziers bekannt. Er leitete während des Krieges eine Massenerschießung. Kleine Kinder krochen noch auf den toten Leibern ihrer Mütter. Der SS Offizier sagte erschüttert: „Ich glaube nicht an Gott. Wenn es aber einen gibt, werden wir diesen Krieg verlieren.“ Er war damit ein säkularer Prophet.
Die Tatsache, daß Sowjetrußland mit seinem radikal praktizierten Atheismus sein Land zu einem einzigen KZ verwandelt hat, weist wieder auf den unheimlichen Drahtzieher hin. Nur eine Kleinigkeit am Rande! Zur Zeit dieser Niederschrift laufen in Moskau die Olympischen Spiele. Die ausländischen Journalisten werden scharf überwacht, dennoch gelingen manche Schnappschüsse, die nicht zum olympischen Programm gehören. Im Fernsehen war zu beobachten, daß die Sportler vom Stadion zu ihren Unterkünften von der Polizei begleitet wurden. Moskau hat zu diesem Zweck 5000 Polizisten von anderen Städten zusammengezogen. Links und rechts von den Sportlern ist eine lückenlose Eskorte von Polizisten. Offiziell, um die Sportler zu ehren! In Wirklichkeit, um zu verhindern, daß es keinem Sportler gelingt, eine ausländische Botschaft zu erreichen und dort um Asyl nachzusuchen. Der Bevölkerung von Moskau ist jeglicher Kontakt mit den Sportlern verboten. Sie dürfen sich nicht in das Gebiet begeben, wo die ausländischen Sportler untergebracht sind. Sinn dieser Absperrung, daß keine Post und keine Beschwerdeaktionen in das Ausland gelangen. Ist das nicht ein satanisches System der Verknechtung?
Zu dieser politischen Machtbesessenheit ein kurzer Hinweis auf die Drogenepidemie unserer Tage. Es wurde behauptet, daß Amerika den Krieg in Vietnam verloren hat, weil 60 % seiner Soldaten rauschgiftsüchtig waren. Es hat aber keinen Sinn, über den großen Teich zu schauen, wir haben genug im eigenen Land zu tun. Die Zeitungen melden dauernd die Fälle von Rauschgifttoten. Es ist eine unheilvolle Tragödie, daß junge Menschen durch den Rauschgiftkonsum ihr Leben ruinieren, danach mit 25 oder 30 Jahren Frührentner sind . . .
Gehen wir kurz auf den Sektor der pseudoreligiösen Vorgänge.
Der Daily Telegraph von London berichtete vom 26. März 1975 folgenden Vorfall: Die Methodistischen Pastoren Raymond Smith und Peter Vincent führten mit einem angeblich besessenen Gemeindeglied mit Namen Michael Taylor einen Exorzismus durch. Nach dem Exorzismus ging dieser Mann, Vater von fünf Kindern, heim und tötete auf brutale Weise seine Frau. Er stach ihr die Augen aus und schnitt ihre Zunge ab. Dann lief er mit blutigen Händen durch die Straßen, rannte zur Polizei und stellte sich. Er gab dann ein Geständnis, das die Pastoren schwer belastete. Er erklärte: „Die Pastoren wollten mir Frieden bringen, stattdessen füllten sie mich mit dem Teufel. Sie preßten mich in der letzten Nacht zu dieser Tat.“ Diese letzte Aussage ist eine Unwahrheit. Pfarrer pressen niemand zum Mord. Dieser unglückliche Mann hätte in eine Nervenheilanstalt gehört, bevor diese schauerliche Tat geschah. Beide Pfarrer wurden vor Gericht gezogen wie die Klingenberger Exorzisten. Es kam bei der Verhandlung heraus, daß Pfarrer Smith vorgeschlagen hatte, Taylor einem Psychiater zu übergeben. Pastor Vincent hat das aber abgelehnt. Soll hier nun Gott am Werk gewesen sein? Nein, der Mörder von Anfang!
Eines der furchtbarsten pseudoreligiösen Verbrechen ist die Todesorgie von Guayana. Der Sektengründer Jim Jones sammelte in Kalifornien einige tausend Menschen um sich, denen er predigte. Sein Ziel war, alle Klassenschranken und soziale Unterschiede zu überwinden. Diese Sekte Tempel des Volkes entwickelte sich zu einer Art Diktatur. Die Mitglieder hatten ihr Vermögen abzugeben. Jegliche Verbindung mit Angehörigen oder Verwandten mußte aufgegeben werden. Als sich Widerstände ergaben, siedelte Jones mit 1200 Getreuen in den Dschungel von Guayana (Südamerika) um, wo er Jonestown gründete. Hier entstand eine Kommune, in der alles gemeinsam war. Jones entwickelte sich zu einem Despoten und sexuellen Sadisten. Da immer mehr Eltern sich um ihre Kinder sorgten, reisten mit Billigung Carters ein Regierungsvertreter, Ryan, drei Journalisten und eine Frau nach Jonestown, um die Verhältnisse zu erforschen. Es war ein Flug in den Tod. Jones hatte Killer beauftragt, die diese fünf Besucher auf dem Flugplatz erschossen. Danach begann die eigentliche Tragödie. Jones entfachte durch „süße Reden“ eine Todesstimmung und Todesbereitschaft. Er suggerierte und inspirierte seine Anhänger so, daß sie zu einem Massenselbstmord bereit wurden. Die Sektenmitglieder beschlossen, gemeinsam durch Gift aus dem Leben zu gehen. An einem Tag vollzog sich diese Tragödie. Wer nicht freiwillig bereit war, wurde von den letzten Getreuen erschossen. Insgesamt sind rund 900 Menschen bei diesem gräßlichen Schauspiel ums Leben gekommen. Ganz Amerika, ja die ganze Welt horchte auf. Soll das im Namen Gottes geschehen sein? Nein, es stand der Vater der Lüge, der Fürst dieser Welt dahinter!
Ich frage nun denjenigen, die dem Teufel einen Totenschein ausgestellt haben, ist der Teufel zu unserer Zeit tot, wenn solch schauerliche Dinge passieren?
Natürlich gibt es noch andere Ebenen, wo Satans Wirken nicht so offenkundig ist. Der Teufel, der in Holzpantoffeln kommt, wird schneller erkannt als der, der sich auf Filzpantoffeln heranschleicht. Der verborgen wirkende Satan ist gefährlicher als der polternde. Wir hören noch davon.

4. Die Dämonen
In meinem englischen Buch „Demonology Past and Present“ habe ich ein langes Kapitel über den Begriff Dämon geschrieben. Ich will nicht wiederholen, was dort schon veröffentlicht ist. Außerdem soll der Bericht auch für theologische Laien verständlich bleiben. (Deutsch liegt das Buch nicht vor.)
Im AT finden wir verschiedene Ausdrücke für die Vorstellung des Dämonischen oder der Dämonen.

1. In 1. Mos. 6,4 steht der Ausdruck nephilim. In der Septuaginta und in unseren deutschen Übersetzungen steht dafür das Wort Riesen. Die hebräische Wurzel dieses Wortes ist naphal = fallen. Nephilim kann daher mit größerer Genauigkeit als die „Gefallenen“ übersetzt werden. Im Vers 5 des Textes zeigt sich dann, daß unter diesen Gefallenen die Bosheit auf Erden groß war.

2. Den zweiten Ausdruck für Dämonen finden wir als Shedhim in 5. Mos. 32,17 und Ps. 106,37:
„Sie opferten ihre Söhne und Töchter den Dämonen.“ Shedhim wurde von Luther häufig mit Teufeln übersetzt. Die Wurzel dieses Ausdruckes ist shud = herrschen, Herr sein wollen. Die brutale Herrschsucht der dämonischen Mächte wird bei besessenen Menschen stets offenbar. Ethelbert Stauffer sagte: „Wer den Dämonengeist hat, der verrät sich dadurch, daß er eine führende Rolle spielen will.“ (NT-Theologie S. 49.)

3. Eine dritte Bezeichnung in der hebräischen Bibel ist Seirim. Luther übersetzte wieder Feldteufel. Wörtlich übersetzt heißt es Ziegenböcke oder bocksgestaltige Waldgeister. In 3. Mos. 17,7 steht: „Sie sollen keine Opfer den Böcken darbringen.“ Diese Stelle ist ein Ausgangspunkt für den Ziegenbockskult (goat of Mendes), den die Satanisten heute treiben.

4. Weitere Bezeichnungen für Dämonen und Götzen finden sich in Jes. 65,11: „Ihr richtet dem Gad einen Tisch und schenkt vom Trankopfer voll ein der Meni.“ Gad und Meni sind Schicksalsgötter und wurden oft mit Baal oder Bel gleichgesetzt.

5. Ein unheimlicher Dämonenkult war das Molochopfer. Die Kanaaniter praktizierten Menschenopfer. In 3. Mos. 18,21 verbot Gott diese Opferform: „Du sollst nicht eines deiner Kinder geben, daß es dem Moloch geweiht werde, damit du nicht entheiligst den Namen deines Gottes. Ich bin der Herr.“ Moloch ist das hebräische Melech = König. Kinderopfer gibt es bis in die jüngste Zeit herein beim Macumba Spiritismus in Brasilien, beim Woodooismus auf Haiti, beim Satanismus in Kalifornien, Südafrika und in anderen Ländern.

6. In 2. Kön. 1,2 wird Baal Sebub von Ekron genannt. Dieser Dämon wird auch im NT (Mt. 12,27) erwähnt. Die Pharisäer werfen Jesus vor, er hätte die Teufel durch Beelzebub ausgetrieben. Es wären noch viele Götzen aus dem Bereich des AT zu nennen. Denken wir an Dagon (Ri. 16,23), Sikkuth und Chiun in Amos 5,26. Erinnern wir an den kanaanitischen Pestgott Rescheph und an das Nachtgespenst Lilith. Der sich in der Wüste herumtreibende Asasel (3. Mos. 16,8) muß erwähnt werden. Der Götzendienst der Kanaaniter umspülte und umbrandete Israel, das oft in der Gefahr war, sich diesen heidnischen Gottheiten zu öffnen.
Die grundsätzliche Stellung des AT gegenüber diesen Götzen wird in Ps. 96,5 gezeigt: „Alle Götter der Völker sind Götzen.“ Im Hebräischen steht hier der Ausdruck elilim = Nichtse. Die Götzen sind Nichtse, die Dämonen dahinter aber eine furchtbare Realität.
Damit beenden wir den kleinen Rundgang durch die Götzen- und Dämonenwelt des AT. Das NT wird in dieser Frage klarer für uns.
In Mt. 25,41 spricht der Herr Jesus vom Teufel und seinen Engeln. Auch Judas Vers 6 redet von den gefallenen Engeln, die Luzifers Rebellion mitgemacht haben und seither als Dämonen ihr Unwesen treiben. Ferner weist die Offbg. 12,9 darauf hin, daß Satan auf die Erde geworfen wurde und mit ihm seine Engel. Manche Schriftausleger sehen in Offbg. 12,4 den Hinweis, daß ein Drittel der Engel mit von Satans Partie war. Einen Beweis dafür gibt es nicht.
Literaturgeschichtlich ist zum Begriff Dämon im NT folgendes zu sagen. Der sprachliche Ausdruck Dämon kommt nur einmal vor, und zwar Mt. 8,31: Oi de daimones parekaloun auton = Die Dämonen baten ihn. Hier hat Luther statt Dämonen Teufel übersetzt. Dazu besteht im biblischen Sprachgebrauch ein Recht.
Sonst wird im NT der Ausdruck daimonion in den Evangelien insgesamt 45mal verwendet. Mit gleicher Bewertung taucht in den Evangelien und in der Apostelgeschichte 20mal der Ausdruck pneuma akatharton = unreiner Geist auf. Siebenmal erscheint bei Matthäus, Lukas und Apostelgeschichte der Ausdruck pneuma poneron = boshafter Geist, böser Geist.
Mit den philologischen Erläuterungen sind wir noch nicht bei den Kernfragen. Wenn wir nach der Unterscheidung von den Dämonen und unreinen Geistern fragen, geraten wir bereits in Schwierigkeiten oder Streitfragen. Dämonen sind gefallene Engel. Wer aber sind die unreinen oder bösen Geister? In der jüdischen Dämonologie sind die Dämonen böse Geister. Eine Verbindung mit den Seelen unselig verstorbener Menschen wird ausgeschlossen.
Der Historiker Josephus, von Homer beeinflußt, denkt anders. Er meinte, Dämonen seien Geister von gottlos Verstorbenen, die in lebende Menschen einfahren. In der altchristlichen Literatur finden wir bei Justin (geb. 100 n. Chr., zum Christentum übergetreten 130 n. Chr.) die Vorstellung, daß ein Teil der Dämonen Totengeister sind.
Nun gibt es auch in der Gegenwart Christen, die ähnlich denken wie Josephus und Justin. Pfarrer Vogel, der Autor von „Die göttliche Waffenrüstung gegen die Geister der Bosheit“ denkt ebenso. Dr. med. Lechler, mit dem ich sehr befreundet war, folgt in diesem Punkt Pfarrer Vogel. Woher kommt diese Vorstellung? Wer Seelsorge mit Besessenen hatte, weiß, daß die Stimmen, die aus dem Besessenen sprechen, manchmal sich als Geister der Verstorbenen ausgeben. So hatte ich ein besessenes Mädchen in Frankreich in der Seelsorge. Der Geist, der aus ihr sprach, gab sich als ihre verstorbene Großmutter aus, die Zauberei getrieben hatte und in der Ewigkeit nicht zur Ruhe kam.
Ein anderer Fall ist mir aus Übersee bekannt. Eine Frau wurde in einem Spiritistenzirkel mit einem verstorbenen Indianerhäuptling verheiratet. Solche Geisterhochzeiten gibt es in vielen außereuropäischen Ländern. In Europa ist mir nur in Zürich in der Seelsorge etwas Ähnliches begegnet. Im Gefolge dieser Geisterhochzeit wurde die Frau besessen. Als Missionare sich ihrer annahmen und mit ihr beteten, fiel sie in Trance. Eine Männerstimme sprach aus ihr: „Die bekommt ihr nicht. Sie gehört mir. Sie ist meine Squaw (Frau).“ Der Protest des Indianers erfolgte in seinem Dialekt. Manchmal stürmte diese Frau in der Halbtrance hinaus ins Freie, stieß einen indianischen Kriegsruf aus und schwang den Arm, als wollte sie den Tomahawk werfen.
Aufgrund solcher Erfahrungen bekamen viele Seelsorger die Vorstellung, daß es sich hier tatsächlich um die Geister von Verstorbenen handle. Das ist ein Glaube, den wir auch bei den Spiritisten finden.
Ich bin mit dieser Meinung zurückhaltend, weil die Bibel diesen Gedanken nirgends äußert. Diese seelsorgerlichen Erfahrungen lassen sich auch anders deuten. Wenn Zauberer, Magier und andere gottlose Menschen besessen waren, werden sie bei ihrem Tode von dem Dämon verlassen. Dieser sucht sich dann eine andere Behausung, einen anderen Menschen oder er meldet sich bei einem Spiritisten, der in der Trance liegt. Dann ist es nicht der Geist der Großmutter oder der Geist des Indlanerhäuptlings, sondern deren Dämon. Daß Dämonen ausfahren und in den Menschen zurückkehren können, sehen wir aus Lukas 11,24:
“Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt, sucht er Ruhe und findet sie nicht. So spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin.“
Bei den Zulu Zauberern ist das eine völlig bekannte Tatsache, daß beim Tode eines Zauberers dessen Geist, vielmehr dessen Dämon, in ein anderes Glied der Familie fährt. Was unter heidnischen Völkern weitverbreitet ist, kommt auch in Europa vor. Hier habe ich auch solche Beispiele gesammelt.
Wir sollen bei unseren Aussagen nicht über das hinausgehen, was die Bibel sagt. Wenn Gott über einen Punkt in der Heiligen Schrift Schweigen bewahrt hat, dürfen wir nicht anfangen zu spekulieren.
In diesem Zusammenhang weise ich auf das zentrale und ausgezeichnete Buch von W. C. van Dam „Dämonen und Besessene“ hin. Auf Seite 259 schreibt er: „In den Evangelien sind Dämonen und unreine Geister miteinander identisch. Wir nehmen daher an, daß die Dämonen als Lügengeister nur vortäuschen, Geister Verstorbener zu sein. Sie spielen die Rolle Verstorbener, um Verwirrung zu stiften und den Aberglauben zu fördern. Wie können Dämonen diese Rolle spielen? Woher haben sie die intimen Kenntnisse der Verstorbenen? Es ist möglich, daß sie zu deren Lebzeiten in ihnen gewohnt haben. Schon Tertullian war davon überzeugt. In der Magie werden nicht die Geister von Zauberern aufgerufen, sondern die Dämonen, die früher in ihnen gewohnt haben.“  –  Van Dam spricht hier aus, was ich seit Jahren in meinen Vorträgen und in zwei Taschenbüchern auch so dargestellt habe.

Bei der nächsten Frage geht es um den Aufenthaltsort oder die Operationsbasis der Dämonen. Das NT gibt uns darin Auskunft.
In 2. Petr. 2,4 lesen wir: „Gott hat die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen und übergeben, daß sie zum Gericht behalten würden.“ Was Luther übersetzt „zur Hölle verstoßen“, heißt im griechischen Originaltext „tartarosas“ = in den Tartarus verstoßen. Der Tartarus ist in der griechischen Mythologie der tiefste Abgrund der Unterwelt. In diese unterste „Hölle“ hat Zeus die Titanen geschickt. Es gibt Schriftausleger, die meinen, Gott habe die gefallenen Engel, die sich mit Menschentöchtern eingelassen haben (1. Mos. 6,4) in den Tartarus verbannt. Die Nachkommen dieser unheimlichen Verbindung zwischen Dämonen und Menschen wurden Riesen, sagt die Heilige Schrift. Die Titanen von Zeus waren ebenfalls Riesen. Darum ist es nicht verwunderlich, daß unsere Modernisten hier einen mythischen Einschub vermuten. Mythische Einschübe lehne ich ab. Was die Bibel sagt, bleibt bis zum letzten Tüttel bestehen.

Ein zweiter Aufenthaltsort der Dämonen ist der Abgrund. In der griechischen Sprache wird hier abyssos gebraucht. Als Jesus den besessenen Gadarener befreite (Mk. 5 und Lk. 8) baten ihn die Dämonen, er möchte sie nicht in den Abgrund schicken. Dieser Abyssos hat einen König Abaddon (Apollyon). In Offbg. 20,3 wird prophezeit, daß der Drachen in den Abyssos geworfen wird. Das Wort Abyssos wird in diesem letzten Buch der Bibel achtmal benützt. Diese Stellen zeigen, daß nicht alle Dämonen jetzt schon in den Tartarus gebunden sind. Viele Dämonen sind noch frei und verrichten die Aufträge Satans.

Damit kommen wir zum dritten dämonischen Bereich. Paulus nennt das Operationsgebiet der noch frei wirkenden Dämonen in Epheser 6,12: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“ Die Dämonen treiben sich im Luftgebiet umher und unternehmen hier ihre Vorstöße auf die Menschen.
In der Seelsorge mit Besessenen haben wir es gewöhnlich mit diesen bösen Geistern zu tun. Bemerkenswert ist oft bei der Austreibung dieser Mächte ihr Schreien: „Sende uns nicht in den Abgrund!“ Sie haben also die gleiche Bitte wie die Dämonen des besessenen Gadareners. Ich selbst habe mir in jahrzehntelanger Seelsorge noch nie die Macht angemaßt, ausfahrende Dämonen in den Abgrund zu schicken. Ich sagte gewöhnlich: „Geht dahin, wo Jesus euch hinschickt.“ Ich kenne aber Brüder, die einen Schritt weitergehen.
Viel wichtiger als die Kenntnis der Operationsbasen der Dämonen ist das Wissen um ihre Tätigkeit. Bevor darüber einiges gesagt wird, muß ich zuerst extreme Vorstellungen abwehren. In gewissen ekstatischen Kreisen fand ich manchmal die Meinung, jede Sünde sei von einem Dämon verursacht worden, den man dann austreiben könne. Man sprach von einem Dämon des Hochmutes, Dämon des Geizes, Dämon des Zornes, vom Sexdämon usw. Wir müssen uns vor allen Übertreibungen hüten. Jakobus kann uns eine Grenzlinie ziehen. Er sagt in Kap. 1, 14: „Ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.“
Was treiben nun eigentlich die Dämonen? Gehen wir davon aus, was der Engel Geschäfte sind. In Hebr. 1,14 lesen wir: „Sind die Engel nicht allzumal dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit?“
Die Hilfe der Engel ragt weiter in das Leben der Gläubigen hinein, als bekannt ist. Denken wir an den Besuch des Engels Gabriel, den Daniel nach seinem Bußgebet um Israel erhielt (Dan. 9). Gabriel war es auch, der von Gott zur Maria nach Nazareth gesandt wurde, um die Geburt Jesu anzukündigen.
So wie Gott sich seiner Engel bedient, so gebraucht Satan die Dämonen als seine Engel und Werkzeuge, um Unheil anzurichten. Die Bibelstelle Offbg. 12,9 wurde schon zweimal erwähnt. Hier werden Satan und seine Engel genannt.
Und nun wäre ein Buch über die Wirksamkeit der Dämonen zu schreiben. Das tue ich aber nicht. Ich schreibe lieber zehn Bücher über die Erweckungen der Gegenwart. Das ist auch geschehen. Wir kommen aber um das leidvolle Thema dämonischer Wirksamkeit nicht herum.
Zu den Auswirkungen dämonischer Aktivität äußert sich van Dam in seinem Buch Seite 84f. Ich will nur kleine Hinweise geben, obwohl mir viel Material vorliegt.
Ich erinnere mich gut an die Erzählungen meiner Großmutter, als ich ein kleiner Knirps war. Mein Geburtsort Berghausen/Karlsruhe liegt nur 22 km von der französischen Grenze entfernt. Die Wellen der katastrophenreichen Französischen Revolution schlugen bis in unser Dorf hinein. Aufzeichnungen wurden nur spärlich gemacht. Um so eifriger wurde mündliche Überlieferung weitergegeben. Unser Dorf hatte auch Spökenkieker, Menschen mit der medialen Fähigkeit des zweiten Gesichtes. Diese Befähigung ist keine Gabe Gottes oder der Natur, sondern eine späte Auswirkung der Zaubereisünden der Vorfahren.
Einer der letzten Spökenkieker unseres Dorfes war in meiner Seelsorge. Spökenkieker sehen gewöhnlich Brandkatastrophen, Überschwemmungen, politische Umstürze voraus. So hieß es in unserer Gegend, daß Menschen mit dieser besonderen Schau die Luft voller Dämonen sahen, die alle Frankreich zustrebten. – Wir wissen es ohne die Spökenkieker, daß Revolutionen mit dem dunklen Geschäft der Dämonen verquickt sind.
Auf einer ähnlichen Ebene liegt ein Ereignis von China, das mir ein Missionar in Saikung vor vielen Jahren erzählte. Er hatte einen Besessenen zu betreuen. Die Dämonen antworteten dem Seelsorger: „Wir gehen hier raus, nicht weil du es befiehlst, sondern weil unser Chef es befiehlt, nach Deutschland zu ziehen, um dort Hitler zu helfen.“ Waren hier vielleicht keine Dämonen am Werk, als Hitler Millionen von Menschen ermorden ließ und ganz Europa in die größte Katastrophe seiner Geschichte stürzte?

Nicht nur politische Katastrophen und Verfolgungswellen gegen die Christen kommen auf das Konto der Satansengel, auch geophysikalische Ereignisse wie Erdbeben und Vulkanausbrüche haben trotz der natürlichen Ursachen auch die Mitwirkung der bösen Geister unter dem Himmel. Man mag darüber lachen, die Rationalisten tun es bestimmt. Es ist besser aufmerksam die Offenbarung zu lesen, dann entdecken wir derartige Zusammenhänge.
Für uns wichtigere Erkenntnis ist die Entdeckung, wie weit die Dämonen unser Leben zu beeinflussen suchen. Jede Schwäche nützen diese Engel Satans aus, um eine große Leidenschaft daraus zu entfachen. Sie wollen uns nach Leib, Seele und Geist schädigen und vernichten, falls es ihnen gelingen sollte.
Sie sind in jedem Fall verwickelt auf dem Gebiet des Spiritismus und der Zauberei jeglicher Art. Die Dämonen sind die Urheber der Umsessenheit und Besessenheit.
Am verheerendsten wirken sie unter frommem Deckmantel. Denken wir etwa an die Wahrsagerin in Philippi (Apg. 16,16f.), die fromm redete und fromme Prophezeiungen gab. Diese Tätigkeit entspricht am meisten ihrem unheimlichen Kommandanten, der sich selbst gern in einen Engel des Lichtes verwandelt (2. Kor. 11,14). In diesem Zusammenhang schreibt Stauffer in Theologie des NT, Seite 50: „Satan kleidet sich in die Gestalt eines Lichtengels, und seine Hilfstruppen sind die Heuchler, die im Gewande der Frömmigkeit einhergehen, die Pseudobrüder, Pseudozeugen, Pseudolehrer, Pseudoapostel, Pseudopropheten, Pseudomessiasse.“  –  Stauffer schrieb das 1946. Heute muß man noch hinzufügen: Pseudocharismata, Pseudoerweckungen, Pseudovisionen, Pseudoweissagungen, Pseudotheologien. Selbstverständlich werden echte Charismata und echte Erweckungen voll anerkannt.
Pseudos (griechisch) heißt Lüge. Satan, der Vater der Lüge, hat Söhne als Kinder der Lüge. Betrügen, lügen, irreführen, verführen ist die Grundtendenz ihrer Natur. Die Betrogenen brauchen wir nicht nur bei den Kindern dieser Welt zu suchen. Wieviele Christen haben als Wesensmerkmal Heuchelei, Gesetzlichkeit, geistlichen Hochmut, Pharlsäismus und harten Richtgeist. Schauen wir aber mit Furcht und Zittern in unser eigenes Herz, bevor wir uns anderen zuwenden.
König David schaute auf seinen eigenen Zustand (Ps. 32) und wurde dabei ein Mann nach dem Herzen Gottes (Apg. 13,22).
Der Pharisäer (Luk. 18,9) schaute auf den Zöllner und blieb in der Gruppe derer, von denen Jesus (Mt. 23,29) sagte: „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler!“

Wir fragen zum Schluß, was bedeutet die Tätigkeit der Engel und der Dämonen? Wir leben zu dritt. Die Engel Gottes sind in seinem Auftrag unsere Gehilfen bei der Nachfolge Jesu und in allen Gefahren des Leibes und der Seele. Die finsteren Gesellen, die dauernd zu uns vordringen und uns beeinflussen wollen, sind die Engel Satans, die an unserer Verführung und Vernichtung stark interessiert sind.
Wer behält das Feld? Wer kommt bei dem täglichen Kampf durch? Nur der, der sich auf die Seite Jesu stellt.
Vor einigen Jahren ist Missionar Pretel, den ich in Thailand besucht hatte, tödlich verunglückt. Nach seinem Tode fand man als seine letzte Eintragung im Tagebuch: Christ is my standard = Christus ist mein Standort. Ist er auch unsere Position?

III. PRO UND CONTRA

1. Katholische Theologen

In der Frage der Besessenheit muß auch die katholische Kirche zu Wort kommen. Es ist dankenswert, daß in der Schwesterkirche dieses heikle Thema nicht vernachlässigt wurde. Es gibt in der katholischen Kirche mehr Veröffentlichungen darüber als in der evangelischen Kirche.
Die positiven Stimmen sollen zuerst zu Wort kommen. Es wird auf eine wichtige Neuerscheinung mit dem Titel „Anneliese Michel und ihre Dämonen“ hingewiesen. Die Autorin ist Frau Prof. Dr. F. Goodman, Anthropologin an der Universität Ohio. Frau Goodman hat bei verschiedenen Völkern die religiösen Ausnahmezustände untersucht. Nach einer wissenschaftlichen Analyse der Tonbänder im Fall Anneliese Michel und nach einer persönlichen Kontaktaufnahme mit den Zeugen kam die Autorin zu dem Schluß, daß hier eine echte Besessenheit vorliegt, und daß die These einer Epilepsie oder einer psychogenen Geisteskrankheit nicht haltbar ist. Frau Goodman ist Nichtkatholikin. Sie gibt aber der Wahrheit die Ehre.
Der katholische Salzburger Universitätsprofessor Dr. Holböck schreibt in seinem Vorwort zu dieser Veröffentlichung: Das Buch ist geeignet „der deutschsprachigen Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, daß in diesem wie in ähnlichen Fällen eine andere Wirklichkeit spürbar geworden ist, für die die allermeisten Mediziner, Juristen und Journalisten weithin kein Sensorium haben und ihr darum ablehnend gegenüberstehen, insofern sie diese Wirklichkeit negieren und allzu rasch in den Bereich krankhafter Psychosen verweisen. Solcher Verdrängung gegenüber versucht die Autorin des Buches in ihrer Art und von ihrem anthropologischen Fachwissen her auf diese andere Wirklichkeit hinzuweisen.“
Auf der gleichen Ebene wie das Buch von Dr. Goodman steht das bekannte Buch des Jesuiten, Pater Rodewyk, der auf dem Gebiet der Besessenheit als internationale Kapazität gilt. In seiner Veröffentlichung „Dämonische Besessenheit heute“ hat er den Fall Magda sorgfältig beschrieben. Darstellen kann ich diese Geschichte nicht, weil sie zuviel Raum einnehmen würde. Rodewyk geht auf seinen 90. Geburtstag zu. Er ist aber geistig noch sehr frisch und klar. Ich stehe mit ihm in Verbindung.
Der Bischof von Trier, der damals den Fall Magda zu beurteilen hatte, gab schriftlich seine Meinung wieder. Dieses Urteil steht auf Seite 84 im Buch von Rodewyk und lautet: „Auf Grund der vorliegenden, gut beglaubigten Tatsachen, auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen, nach gewissenhafter Prüfung der verschiedenen Auffassungen bleibe ich bei meinem Urteil, daß es sich im Fall Magda um wahre Besessenheit handelt und nicht um Hysterie und anhaltenden Betrug.“
In diesem Zusammenhang ist das Vorwort Rodewyks zu dem biblisch korrekten und beweiskräftigen Buch von J. M. Hartmann  „Geister, Magier, Wunderheiler“ interessant. Aus dem Munde Magdas riefen die Dämonen: „Wir haben einen großen Ansturm auf die Menschheit vor. Um zum Ziele zu kommen, müssen wir zunächst dafür sorgen, daß die Menschen nicht mehr an unsere Existenz glauben, damit wir unbeirrt arbeiten können. Wir werden jeden unterstützen, der nicht mehr an uns glaubt.“  . . .

So gesehen, ist es kein gutes Zeichen, daß von überallher Stimmen laut werden, die behaupten, der Teufel sei tot, es gäbe ihn überhaupt nicht, und die zugleich der Kirche vorwerfen, sie lehre in diesem Punkt etwas Falsches. Es gebe wohl das Böse, aber nicht den Bösen.
Es gibt also in der katholischen Kirche erfrischende Stimmen, die trotz der rationalistischen Triumphe der Theologie noch an den biblischen Wahrheiten festhalten. So schreibt der römische Theologe Corrado Balducci in seinem Buch „Priester, Magier, Psychopathen. Grenze zwischen Wahn und Teufel“ folgendes:
„Wer sich nach der Feststellung, daß die psychiatrischen und parapsychologischen Phänomene möglicherweise natürlichen Ursprungs sind, dazu berechtigt glaubt, jeglichen außernatürlichen Einfluß systematisch auszuschließen und damit die konkrete Existenz der Besessenheit zu leugnen, legt zweifellos eine völlig unlogische Einstellung an den Tag, die nur von einem aprioristischen Skeptizismus auf alles Überirdische motiviert ist … Und doch vertreten einige Wissenschaftler diese Anschauung mit erstaunlicher Leichtigkeit … Im besonderen beschränken sich die Ärzte auf den psychiatrischen Aspekt, die Parapsychologen auf den paranormalen. Diesen Ärzten es sei der Wahrheit halber gesagt, daß sie immer weniger werden möchte ich die Frage stellen, welche Geisteskrankheit mit Levitation, okkulten Kenntnissen und anderen derartigen Manifestationen zum Ausdruck kommen kann . . .“

Ein bedeutender Zeuge gegen die Leugnung der Existenz des Teufels und der Besessenheit ist der Münchener Erzbischof Kardinal Joseph Ratzinger. Er schreibt:
“Das Böse ist weit mehr als eine der Komponenten der menschlichen Seele, die man mit einer geschickten psychischen Balance integrieren und so unschädlich machen könnte. Stünde es so, dann würde einen das Wissen vor dem Bösen schützen, und der ’Exorzismus’ läge sozusagen in den Händen der Psychologie, deren Kenntnis seelischer Struktur zur Integration und damit zur Freiheit führen würde. Das Wort des Herrn sieht es anders: Das Böse ist nicht bloß psychische Komponente, es ist eine andrängende, selbständige Macht, die den Menschen anfällt . . . “

Einer der gewichtigsten Zeugen für die Existenz des Teufels, dem der katholische Professor Haag den Abschied geben wollte, ist Papst Paul Vl. Seine Ansprache vom 15. November 1972 wurde in vielen katholischen Blättern abgedruckt. Sogar die Bildzeitung hat darüber berichtet. Die Schlußsätze dieser berühmt gewordenen Ansprache lauten: „Die Sünde gibt einem dunklen, feindlichen Täter, dem Teufel, Gelegenheit zu wirksamem Eingreifen in uns und unserer Welt. Das Böse ist nicht mehr nur ein Mangel, sondern es ist eine wirkende Macht, ein lebendiges, geistliches Wesen, verderbt und verderbend, eine schreckliche Realität, geheimnisvoll und beängstigend.“
Damit sei die positive Seite gläubiger Katholiken abgeschlossen.

Hören wir auch die andere Seite, die Thesen wissenschaftlicher Negativisten.
Beginnen wir mit einer Notiz aus der Stuttgarter Zeitung vom 4. August 1976. Der Artikel ist überschrieben: Theologe empfiehlt, den Teufel totzuschweigen. Es heißt darin: „Die katholischen Bischöfe sollten keine Erlaubnis mehr zu feierlichen Exorzismen erteilen. Dies forderte der Tübinger Theologe Professor Herbert Haag als einen ersten Schritt zur Überwindung des Teufelsglaubens. Vor allem sollten die kirchlichen Glaubens-und Gebetbücher von allem, was den Glauben an den Teufel bekräftige, befreit werden, sagte Haag. Er bedauere, daß diese großartige Chance beim neuen Gesangbuch vertan worden sei.“
Die Äußerungen Haags stehen im Gegensatz zur kirchlichen Lehre. Der Papst hat wiederholt von der Existenz des Teufels in unserer Welt, und zwar nicht nur im übertragenen Sinne, gesprochen.

Wir wenden uns nun dem Buch zu „Teufel, Dämonen, Besessenheit. Zur Wirklichkeit des Bösen“, herausgegeben von W. Kasper und K. Lehmann.
Es gäbe ein Buch für sich, wenn man allen Argumenten dieser Veröffentlichung nachgehen wollte. Nehmen wir einmal zur Einleitung die ersten zwei Seiten des Buches und die letzte Seite, dann bekommen wir schon den Ansatzpunkt und den Schlußpunkt dieser Beiträge von katholischen Wissenschaftlern.
Prof. Kertelge schreibt auf der ersten Seite: „Es besteht kein Zweifel, daß Jesus, seine Jünger und die Autoren der neutestamentlichen Schriften mit der Existenz des Teufels und von Dämonen gerechnet haben. Diese Feststellung läßt allerdings verschiedene Interpretationen zu. Will man nicht einem naiven Biblizismus folgen … dann scheint die Frage unabweisbar, ob die antiken Anschauungen von Teufel und Dämonen, die Jesus und seine Jünger teilten, nicht für uns unter den Voraussetzungen eines anderen Weltbildes überholt und von den eigentlichen Intentionen des Evangeliums zu trennen sind.“
Zu diesem Start des Buches ist vieles einzuwenden. Ich muß mich allerdings größter Kürze befleißigen.
Hinter dieser Theologie steht die Entmythologisierung Bultmanns, der meinte, man müsse das NT seiner mythischen Einkleidungen, die von den orientalischen Mysterlenreligionen stammen, befreien. So führte Bultmann in „Kerygma und Mythos“ aus.
Mit zwei Sätzen sei geantwortet. Es gab schon im ersten Jahrhundert Entmythologisierer. Ihre Abwehr steht in 2. Petr. 1,16: „Wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt.“
Man läßt Jesus nicht Gottes Sohn sein, darum ist der Verstand solcher Theologen verdunkelt. Es fehlt die Inspiration des Heiligen Geistes, von der eingangs dieses Buches gesprochen wird. Der Heilige Geist führt in alle Wahrheit. Die menschliche Ratio ist für alle Verführung und Verirrung offen.
Jesus sagte (Joh. 7,38): „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Kertelge sagt: „Wer glaubt, wie die Schrift sagt, betreibt naiven Biblizismus. – Ich halte es lieber mit Jesus als mit Kertelge und lasse mich gern einen naiven Biblizisten nennen.
Der Schlußsatz des Buches ist von Professor J. Mischo und heißt: „Ich würde es begrüßen, wenn dieses Buch den Anstoß dazu liefert, irrationale Reaktionen gegenüber der dämonischen Besessenheit abzubauen, und zu einem tieferen Verständnis dessen hinführt, was die Theologie von heute zu diesem Thema zu sagen hat.“
Das Irrationale muß abgebaut werden. Irrational war aber, daß Gott die Welt aus dem Nichts schuf (Hebr. 11,3). Irrational war, daß Gott seinen Sohn für unsere Schuld sterben ließ. Irrational war, daß Jesus von den Toten auferstand und gen Himmel fuhr. Ich halte es lieber mit dem Irrationalen, das die Bibel uns berichtet, als mit dem Rationalen, das Johannes Mischo uns beibringen will.
Zwischen den aufreizenden Anfangs und Schlußsätzen stehen manche biblische und psychologische Wahrheiten, denen ich beipflichte, aber die Gesamttendenz des Buches bewegt sich nicht auf echter biblischer Ebene.
Hätten Jesus und seine Apostel vor dem Teufel gewarnt, wenn er nur eine Chiffre des Bösen ist, wie Professor Haag meinte (Abschied vom Teufel, Seite 12).
Petrus erhob warnend seine Stimme: „Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge“ (l. Petr. 5,8).

“Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen“ (Offbg. 2, 10). Wenn der Teufel im NT nur mythisches Rankenwerk ist, dann haben wir ihn nicht zu beachten. Natürlich reden wir nicht einer hektischen Überbetonung das Wort, aber die Nichtexistenterklärung ist noch schlimmer.  . . .
Was wir von der sogenannten exakten Wissenschaft zu halten haben, wird an vielen Stellen in diesem Buch von Kasper/Lehmann deutlich. Kertelge spricht beim besessenen Gadarener von Tobsucht und Epilepsie. Sehr wahrscheinlich hat Kertelge noch nie einen Besessenen während des Anfalles gesehen, sonst wüßte er um den Unterschied zwischen einem epileptischen und einem dämonischen Anfall. Ich habe noch nie gehört, daß ein Epileptiker während seines Anfalles plötzlich eine Fremdsprache spricht, die er nie gelernt hat. Noch nie hörte ich auch von Hellsehererlebnissen, wenn ein Epileptiker bewußtlos zu Boden stürzt. Gegen eine apriorische Festlegung ist aber nicht anzukommen. Und ohne die klare Stellung zu Jesus Christus und das Erfülltsein mit dem Heiligen Geist bleibt jeder Theologe auf totem Gleis. . . .  . . .

2. Evangelische Theologen

Eigentlich müßte man bei den theologisch radikalen Linken, den theologischen Atheisten beginnen, wenn Besessenheit und Exorzismus zur Sprache kommen soll. Wilhelm Busch war es, der erklärte: „Moderne Theologie ist Atheismus unter frommem Vokabular.“ Bultmann und seine Epigonen haben aber beim Volke Gottes so wenig Glaubwürdigkeit daß es überflüssig ist, sich mit der Entmythologisierung auseinanderzusetzen.
Verheerender ist es aber, wenn Pfarrer im aktiven kirchlichen Dienst die Eierschalen des Modernismus nicht ablegen konnten. Ein Beispiel dafür ist die Broschüre von Pfarrer Haack mit dem Titel: „Satan, Teufel, Luzifer – Was ist davon zu halten?“

. . . Pfarrer Haack kann seine unbiblischen Ansichten auf dem Sektor Besessenheit und Exorzismus nicht einfach als Gemeingut aller Christen ausgeben. In der Broschüre Haacks steht viel Verworrenes und Unbiblisches, so daß man nicht weiß, wo man anfangen soll. Er schreibt auf Seite 24: „Der Christ darf die Existenz des Teufels annehmen und ablehnen. Niemand hat das Recht, den anderen seiner Teufelsanschauung wegen zu verurteilen. Das gilt auch für Theologen.“ Diese Sätze bieten einige Angriffsflächen.

1. Eine Verurteilung gibt es für Christen nicht. Das ist Sache Gottes. Biblische Zurückweisung ist keine Verurteilung.
2. Zurückweisung von Irrlehre ist in der Bibel nicht nur erlaubt, sondern geboten. In den sieben Sendschreiben steht mehrmals dem Sinn nach. „Ich habe wider dich, daß du Irrlehrer duldest“ (Offbg. 2,20). Auf der gleichen Ebene liegen die Aussagen von Offbg. 2,2; 2,6; 2,9; 2,14; 2,15; 2,24. Einen Kampf gegen Irrlehre führt auch Petrus (2. Petr. 2), ferner Johannes in seinen Briefen und Paulus an vielen Stellen, z. B. 1. Tim. 4, 1.
3. Mir ist in 50 Jahren meines Dienstes im Reiche Gottes noch kein wiedergeborener Christ begegnet, der die Existenz des Teufels abgelehnt hätte. Solche Erscheinungen gibt es nur bei Namenchristen und Modernisten.
4. Die Haackschen Sätze zeigen seine Kompromißfreudigkeit, die an verschiedenen Stellen seiner Broschüre offenbar wird. „Nach allen Seiten hin die Türen offen lassen, jeden Standpunkt akzeptieren, es mit niemand verderben!“ „Ach, daß du kalt oder warm wärest“.

Prof. O. S. von Bibra schreibt in seiner Broschüre „Werdet nüchtern“ Seite 8: „Mit der Leugnung der Person des Teufels verkennt man die wahre Situation dieser Welt total. Gäbe es nämlich diesen Feind nicht, dann wäre die Sendung des Messias und sein Opfertod unnötig gewesen. Der Apostel Johannes schreibt ja ausdrücklich: Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, um die Werke des Teufels zu zerstören“ (1. Joh. 3,8).
Pfarrer Haack weiß es aber besser. Auf Seite 11 der erwähnten Broschüre steht zu lesen: „Es gibt eine Warnung, die man nicht überhören sollte: Hütet euch davor, euch einen persönlichen Teufel vorzustellen. Es gibt wohl die bösen Menschen, es gibt das Böse, aber nicht den Bösen.“ Auf Seite 9 mahnt er: „Eigentlich dürfte es über den Teufel nicht mehr viel zu schreiben geben. Seinen Nachruf höchstens . . .“ –
Haack schrieb auf Seite 24: „Eine der dümmsten Formen des Teufelsglaubens ist die Ansicht, Menschen könnten mit dem Teufel ein persönliches Abkommen treffen, im sogenannten Teufelspakt.“ . . .
Die heidnischen Länder in Afrika, Ostasien und Südamerika sind voll von Menschen, die einen Teufelspakt geschlossen haben. Teufelspakte funktionieren, wie die Seelsorge tausendfältig zeigt. Immerhin habe ich 135 Länder bereist und viel Material zusammengetragen. Bevor ich einige Hinweise gebe, soll erst ein Ausnahmefall erzählt werden.
Ein junges Mädchen probierte eine Teufelsverschreibung. Sie mißlang und blieb ohne Auswirkung. Der Grund war die intensive Fürbitte ihrer Großmutter, eine durch den Geist Gottes wiedergeborene Christin. Gläubige Eltern oder Großeltern können eine „feurige Mauer des Gebets“ um Kinder oder Enkel bilden.
Ein anderes Beispiel erlebte ich in Kanada. In Montreal, im Hause eines gläubigen Bruders, saß ein 19-jähriges Mädchen vor mir in der Seelsorge. Sie litt unter merkwürdigen Störungen und Belastungen. Im Gespräch kam heraus, daß sie aus Neugierde als Vierzehnjährige eine Teufelsverschreibung durchgeführt hatte und seither belastet war. Ursprünglich glaubte sie nicht an eine solche Möglichkeit, bis sie merkte, daß sie in ihrem Leichtsinn sich die Finger verbrannt hatte.
Blutsverschreibungen an den Teufel führen oft zur Besessenheit oder zu schweren seelischen und glaubensmäßigen Schäden.
Vor Jahrzehnten hörte ich als junger Evangelist von einem Teufelspakt durch meinen Freund Pfr. Fritz Eichin. Er hat auf diesem Gebiet Erfahrung, die Pfarrer Haack fehlt. Nun das Beispiel Eichin:
Ein verzweifelter Südbadener ging mit dem Vorsatz in die Hasler Höhle, einen Teufelspakt einzugehen. Auf einem Stück Papier verschrieb er seine Seele dem Teufel. Tief in der Höhle legte er den Zettel nieder und beschwerte ihn mit einem Stein. Als er die Höhle verlassen hatte, reute es ihn. Er kehrte um. Der Zettel war aber schon weg. Er kam zu Eichin in die Seelsorge. Später lernte ich diesen unglücklichen Mann auch kennen. Er hatte die Folgen seiner Unvernunft zu tragen. In der Höhle hatte sich kein anderer Mensch aufgehalten, und ein Windstoß tief im Innern war nicht möglich gewesen. Immerhin ist die Höhle eine halbe Stunde Fußweg lang.

. . .  Zur Zeit dieser Niederschrift mußte ich mich um einen hochbetagten Mann kümmern, der als Junge auf den Knien geschrieen hat: „Du Teufel, ich rufe dich an, weil Gott mir nicht antwortet.“ Jetzt als alter Mann kämpft er noch mit den Folgen dieses Gebetes zum Teufel. Mehr darf ich aus seelsorgerlichen Gründen nicht sagen. Hören wir nun aber, was van Dam über Teufelsbündnisse und Teufelsanrufung sagt:
„Der Vertrag mit dem Teufel. Viele Leute werden dazu getrieben, sich dem Teufel zu verschreiben. Oft geschieht das gerade mit Menschen, die in ihrer Jugend verflucht wurden. Lechler erzählt die Geschichte einer Frau, die als Kind von ihrem Großvater besprochen und verflucht wurde, und die sich später mit dem Mann, mit dem sie zusammenlebte, mit Blut dem Teufel bis an ihr Lebensende verschrieb. Allmählich setzten bei dieser Frau schwere Angstzustände und Depressionen ein, die sie zu mehreren Selbstmordversuchen trieben. Der Kampf um die Befreiung dieser Frau ist noch immer nicht beendet.
Solche Verschreibungen an den Satan werden oft auf einen Zettel geschrieben, meistens mit eigenem Blut. Oft werden sie als Amulett oder Talisman auf dem Körper getragen. Es ist begreiflich, daß solche Verträge mit dem Teufel Menschen unter die Macht des Feindes bringen. Die dämonische Gebundenheit oder Besessenheit ist dann sehr schwer und oft nur nach langem Kampf zu brechen, weil der Betreffende dem Teufel ja ein Anrecht auf sein Leben gegeben hat. Der Anfang des Befreiungskampfes wird deshalb die Aushändigung und Vernichtung des Vertrages sein, die Kündigung des Besitzrechtes.

Die Anrufung des Teufels. Eine mir bekannte, im übrigen auch hysterische Frau, wandte sich für die Behandlung einer ihrer vielen Krankheiten an einen Magnetiseur. Danach rief sie den Teufel an mit den Worten: Wenn Gott mir nicht helfen will, hilf du mir! Daraufhin flüchtete sie aus ihrem Haus und war mehrere Tage verschwunden. Dämonengestalten tauchten nachts um ihr Bett auf; Flüche rollten aus ihrem Mund; vom Glauben hat sie sich seitdem abgewendet.
Viele Menschen gehen nicht so weit, sich durch einen Vertrag dem Teufel zu übergeben. Aber auch, wenn man ihn zur Hilfe ruft, kann das schwere Folgen haben. Der Teufel tut ja nichts umsonst.“ – Soweit van Dam.

Nicht nur van Dam, sondern auch Richard Kriese aus Wetzlar erwähnt die Teufelsbündnisse und die Anrufung des Teufels in seinem Buch „Okkultismus im Angriff“, Seite 187.
Woran liegt es, daß die meisten Pfarrer keinen Zugang haben zu dem, was im Untergrund schwelt? Es hat vier Wurzeln:
1. Eine dem Geist der Bibel entfremdete Theologie.
2. Die fehlende Erfahrung der Missionsgebiete und der Erweckungszentren.
3. Fehlen der Seelsorge auf diesem Gebiet.
4. Die fehlende Inspiration des Heiligen Geistes.

Hat Jesus das Wort in Joh. 3,3 umsonst gesagt: „Es sei denn, daß der Mensch von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“  . . .

Ich stehe schon einige Jahre mit Dr. med. Dieter Kuhl in Batu (Indonesien) in Verbindung. . . .  In einem Brief vom 20. April 1980 schrieb er unter anderem: „Im Westen halten wir leider den Teufel für eine Märchengestalt. Hier in Indonesien wird man schnell von seiner Realität und Macht überzeugt, mit der er Menschen bindet, und man erlebt, daß wir nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen haben, sondern mit Mächtigen, Fürstentümern und Gewalten (Eph. 6,12).“
Da wir es in diesem Buch mit der Besessenheit zu tun haben, bringe ich ein weiteres Zitat aus dem Brief von Dr. med. Kuhl: “Ich diente in der Seelsorge einem Mann mit Doktortitel, der regelmäßig von einem Geist besessen wurde und in diesem Zustand Kranke heilen konnte. Er war einer der bedeutendsten dunkun = Wunderheiler. Er arbeitete ohne Honorar und nur aus ,Nächstenliebe’. Er wurde durch Christus ganz frei.“

. . . Ich wohnte in einem afrikanischen Land im Hause eines Missionars, der das Hobby hatte, Teufelsmasken zu sammeln und in seiner Wohnung aufzuhängen. Es waren keine neu geschnitzten, sondern im Dämonenkult gebrauchte Masken. Ich warnte ihn vor diesem Hobby. Da brach es aus ihm heraus, und er erzählte aus seinem Leben. Nachts wurde er längere Zeit von einer schwarzen Gestalt mit blutroten Augen und Krallen heimgesucht. Es war kein Traum. Er setzte sich auf den Bettrand und betete. Trotzdem kam die Gestalt auf ihn zu. Da gebot er im Namen Jesu, und das Untier verschwand. Nicht lange danach ertrank sein kleiner Sohn in einer kleinen Pfütze des Gartens, in der normalerweise kein Mensch ertrinken kann. Die Frage ist, ob der Tod des Jungen nicht mit der okkulten Sammlung des Vaters zu tun hat. Auf jeden Fall vernichtete der Missionar seine Masken und hatte dann Ruhe. . . .

Die Seelsorge in heidnischen Gebieten und vor allem in Erweckungszentren zeigt die große Variationsbreite der Verstellungskunst Satans. Tiererscheinungen wie Schlangen, Kröten, Hunde; Zwerggestalten wie die Tokoloshe und Tomter, elegant gekleidete Gentlemen bis hin zu Lichtgestalten sind teuflische Erscheinungsformen. Paulus weist in 2. Kor. 11, 14 darauf hin, daß der Teufel auch in Engelsgestalt aufkreuzen kann und sich mit einem religiösen Nimbus umgibt.

Fehlurteile unter Akademikern und Laien können viele Ursachen haben. Ein Erlebnis aus meinem Rundbriefkreis hat mich tief erschüttert.
Eine gebildete Frau, die zwölf Jahre zu meinem Freundeskreis gehörte, wurde von einer Pfarrfrau in die Geistige Loge nach Zürich mitgenommen. Die Geistige Loge betreibt religiösen Spiritismus. In den Gottesdiensten predigt durch ein Medium ein Geist aus dem Totenreich. Diese Frau, die bisher alles Okkulte gemieden hatte, wurde von diesem Irrgeist gefangen und meldete sich von meinem Freundeskreis ab. Ich warnte sie, ich schrieb ihr dreimal. Es war umsonst. Sie ist nun in den Fängen des Spiritismus. Ihr Denkvermögen ist vernebelt.
In der Schweiz ist noch ein solcher Fall. Ich war mit einem Professor der Theologie gut bekannt. Er schätzte und empfahl meine Bücher. Da suchte er zum Studium spiritistische Sitzungen auf, und siehe da, seine Urteile und seine Ablehnung gegen das Okkulte wurden blasser. Sein Denken hatte eine Wandlung durchgemacht.
Nun zwei bayrische Beispiele. Pfarrer Horkel, der auch Bücher schreibt, besuchte spiritistische Sitzungen. Seine Meinung über das Okkulte ist völlig konfus. Auch ihn warnte ich.
Ein anderer bayrischer Pfarrer nahm eine Einladung zu einem Hexenzirkel in England an. Er erlebte dort einen Nackttanz, den er einem Reporter gegenüber als eindrucksvoll schilderte. Man hat mir die Illustrierte zugesandt, in der dieser Pfarrer von seiner Teilnahme bei dem Hexensabbat berichtete. Beide haben aber in okkulten Dingen schiefe, nicht zutreffende Urteile. Teilnahme an okkulten Zirkeln lähmt oder löscht geistliches Denken, wenn vorher solches bestanden hat. Beide Pfarrer sind aber von ihrer Kirche voll anerkannt.
Kommen wir zurück auf das hilfreiche Buch von W. van Dam „Dämonen und Besessene“. Eine Einschränkung muß ich leider machen. Seine positive Bewertung der sogenannten charismatischen Bewegung kann ich nicht übernehmen. Von dieser Einschränkung abgesehen, liefert das Buch wertvolle Einsichten, die meiner Erfahrung entsprechen.  . . .

Epilepsie und Besessenheit
. . . Wir unterscheiden heute Formen der Epilepsie, die nur zum medizinischen Sektor gehören. Einige seien genannt:
a) Die genuine oder idiopathische Epilepsie, die erblich ist.
b) Die symptomatische Epilepsie, hervorgerufen durch eine erworbene Hirnschädigung.
c) Die Temporallappenepilepsie, verursacht durch eine Krampfentladung in einem Schläfenlappenabschnitt.
d) Die psychogen bedingte Affektepilepsie.
e) Die sehr seltene myoklone Epilepsie. Mir ist ein solcher Fall bekannt. Eine Frau, die mit dieser schwer zu behandelnden Epilepsie in einer Universitätsklinik lag, hat eine Glaubensheilung erlebt. Für den Herrn Jesus gibt es keine schweren und leichten Fälle.
Mit diesen Epilepsieformen sind die Mediziner einverstanden. Sie sträuben sich aber, wenn ich noch eine sechste Form nenne: die okkult bedingte Epilepsie, die in schweren Fällen mit einer Besessenheit parallel geschaltet ist. Man hüte sich hier aber vor einer Versteifung ins Extreme. Es wäre eine verheerende Diagnose, wenn man etwa die medizinisch bekannten Formen Besessenheit nennen wollte. Auch die okkult bedingte Epilepsie braucht mit Besessenheit nichts zu tun haben. Nur in der härtesten Form mündet sie gelegentlich in eine Besessenheit ein.
Wir haben in der Bibel Beispiele einer okkult bedingten Epilepsie mit dem härtesten Grad der Besessenheit.
Luk. 9,39 42: „Siehe, der Geist ergreift ihn und reißt ihn, daß er schäumt … Und da Jesus zu ihm kam, riss der Teufel ihn (den jungen Mann). Jesus aber bedrohte den unsauberen Geist und machte den Knaben gesund.“
Mk. 1,23 27: „Der unsaubere Geist riss ihn.“
Mk. 9,17f.: „Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Wo der ihn erwischt, so reißt er ihn; und er schäumt und knirscht mit den Zähnen …“
Natürlich sagen unsere Mediziner: „Hier sind doch Zeichen einer medizinisch bekannten Epilepsie genannt: Anfälle, Schaum vor dem Mund, Knirschen mit den Zähnen usw.“ Die Bibel sagt aber an all diesen Stellen: Der Teufel riss ihn, oder der unsaubere Geist riss ihn. Jesus hat bei diesen Fällen nicht für den Kranken gebetet, sondern dem Geist geboten auszufahren, und die geplagten jungen Männer wurden frei und gesund.
Ich bin überzeugt, daß Jesus sich nie in der Diagnose geirrt hat. Es muß aber den Medizinern dennoch der Unterschied zwischen Epileptikern und Besessenen klargemacht werden.
Der Junge, der von Jesus befreit worden ist, reagiert mit einem Schrei auf das Kommandowort Jesu. Der Epileptiker schreit nur bei Beginn des Anfalls. Der Anfall eines Epileptikers dauert nur kurze Zeit. Meine Seelsorge an dem besessenen Filipino dauerte 20 Stunden.
Medikamente helfen Epileptikern. Bei Besessenen wirken sie nicht. Ein Beispiel aus dem Elsaß. Ein modern orientierter Pfarrer, den ich kenne, rief einen gläubigen Psychiater zu einem tobenden Gemeindeglied. Der Arzt gab der tobenden Frau eine Injektion Morphium zur Beruhigung. Es wirkte nicht. Nach einer halben Stunde gab er ihr eine zweite Spritze, wieder ohne Erfolg. Der Arzt erklärte: „Diese Frau ist nicht geisteskrank, sondern besessen.“ Es war eine heilsame Lektion, daß ein gläubiger Psychiater einem modernistischen Pfarrer eine Besessenheit bestätigen mußte. Bei der okkult bedingten Epilepsie treten die gleichen Symptome auf. Bei der Epilepsie gibt es keine Hellsehererlebnisse während des Anfalles, aber bei Besessenheit. Bei der Besessenheit erstarren die Augen nicht wie bei der Epilepsie. Es gibt noch mehr Unterschiede. Die wenigen mögen genügen, man kann ungläubige Ärzte doch nicht überzeugen.

Hysterie und Besessenheit
Es gibt zwar hysterische Pseudobesessenheiten, aber grundsätzlich hat eine Hysterie eine andere Symptomatik. Man kann einen ganzen Katalog der Unterschiede herausarbeiten. Einige seien genannt:

1. Bei den schwersten Besessenheitsfällen, die es gibt, können Gegenstände und sogar kleine Tiere aus dem Körper der Besessenen heraustreten. In der indonesischen Erweckung kam einmal eine kleine schwarze Schlange aus dem Munde eines Besessenen. In der Schweiz wurde ich selbst mit zwei Besessenheitsfällen konfrontiert, bei denen aus dem Körper von zwei besessenen Frauen in Zürich und in Basel Nägel, Nadeln und Metallteile herauskamen. Der Gottliebin Dittus zu Blumhardts Zeiten passierten auch solche Dinge. In dem Krankheitsbericht der Gottliebin steht, daß einmal Frösche, Fliegen und eine Blindschleiche aus dem Mund der Besessenen herauskamen. Solche Dinge gibt es bei Hysterikern nicht.

2. Im hysterischen Anfall
verliert der Patient nie ganz sein Bewußtsein. Der Besessene ist dagegen total bewusstlos. Er weiß hinterher nicht, was mit ihm geschehen war.

3. Wie bei der Epilepsie haben bei Hysterikern Medikamente eine Wirkung, bei Besessenen nicht.
Einen krassen Fall sah ich in Brasilien. Eine besessene Frau konnte in wenigen Stunden zwei Liter hochprozentigen Alkohol (40 %) trinken, ohne im geringsten betäubt zu sein. Ein Hysteriker kann das nicht.

4.
In Gegenwart von Hysterikern kann ein Zuschauer nicht Schläge aus der unsichtbaren Welt erhalten. Bei Besessenen ist das manchmal der Fall. Ich erinnere an die Friseuse, die Maria die Haare machte und dabei Schläge erhielt. Die Friseuse rannte weg und rief: „Das ist eine Hexe.“ Wie bei der Epilepsie ließen sich hier noch mehr Unterscheidungsmerkmale aufzeigen. Wer aber von vornherein in der Abwehrhaltung steht, kann durch nichts überzeugt werden.

Psychosen und Besessenheit
Van Dam erwähnt in seinem Buch über Besessene, Seite 190, folgendes: „Es sind vor allem die Geisteskrankheiten, bei denen eine Unterscheidung, besonders zu Beginn der Störung, oft recht schwierig ist, weil die Dämonie einer Geisteskrankheit und die Geisteskrankheit einer Dämonie ähnlich sein kann.“
Es gibt auf diesem Gebiet viel Verwirrung. Ungläubige Psychiater diagnostizieren Besessenheitsfälle als Psychosen, und unerfahrene Seelsorger nennen manche Fälle von Geisteskrankheit Besessenheit. Es gibt also falsche Diagnosen auf beiden Seiten. Diese Verwirrung wird noch größer durch die Mischfälle. Auf diese Frage können wir hier aber aus Raummangel nicht eingehen. Ich habe es in anderen Büchern getan.

Die Frage ist, ob und wie man Psychosen von Besessenheit unterscheiden kann.
Das Problem liegt in der beurteilenden Person. Ohne Wiedergeburt und Erfüllung mit dem Heiligen Geist ist die Unterscheidung sehr schwer. Ferner sollte auch der gläubige Seelsorger, außer der seelsorgerlichen Erfahrung, gute medizinische Grundkenntnisse haben. In dem Kapitel über die verschiedenen Formen der Besessenheit wird das auch an einigen Beispielen deutlich.
In der Frage der Unterscheidung steht in dem Buch von van Dam ein kleiner Fehler. Er schrieb auf Seite 192: „Im Gegensatz zur Besessenheit ist die Schizophrenie nicht ansteckend.“ Das stimmt nicht ganz. In vielen psychiatrischen Lehrbüchern wird das induzierte Irresein genannt. Pfleger oder Psychiater, die jahrzehntelang Geisteskranke betreuen, können manchmal davon angesteckt werden. In dem Kapitel über den Gadarener habe ich zwei Beispiele erwähnt. Ich gebe noch einen Bericht, den ich vor vielen Jahren von einem Freund erhalten habe. Friedrich Heitmüller wurde von einem gläubigen Mann gerufen, weil sein Sohn besessen war. Heitmüller wußte, daß eine solche Seelsorge Teamwork, Mannschaftsarbeit ist und nahm einen gläubigen Lehrer mit. Dieser Lehrer wurde von seinem Sohn begleitet, der glaubensmäßig nicht klar stand. Mit dem Besessenen wurde gebetet, und Heitmüller gebot im Namen Jesu. Der Besessene wurde frei. In der gleichen Stunde wurde aber der Lehrersohn besessen und wurde bis an sein Lebensende nicht mehr frei.

Das beweiskräftigste Unterscheidungsmerkmal ist das Sprechen in Fremdsprachen, die der Besessene nicht gelernt hat. Das gibt es bei keinem Geisteskranken.
Eine andere Unterscheidung, die ich sehr oft erlebte, ergibt sich aus folgendem Sachverhalt. Wenn ich mit einem Geisteskranken bete, bleibt er ruhig. Bete ich dagegen mit einem Besessenen, dann fängt er an zu toben, zu fluchen, zu lästern und sich wie unsinnig zu gebärden, oder er fällt sofort in Trance. Man nehme es mir aber nicht übel, wenn ich folgendes sage: Wenn der Beter kein Jünger Jesu ist, dann bleibt der Besessene auch ruhig. Das heißt zum Beispiel, wenn ein modernistischer Pfarrer aus einem Gebetbuch vorliest, rührt sich der Besessene nicht. – „Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. Sie haben den Schein des gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie“ (2. Tim. 3,5).
Es gibt im Bereich der protestantischen Theologie und bei gläubigen evangelischen Medizinern Männer, die imstande sind, Geisteskrankheiten von Besessenheit zu unterscheiden. Neben dem oft zitierten Psychiater Dr. Lechler nenne ich den englischen Psychiater McAll, mit dem ich befreundet bin. Im theologischen Sektor nenne ich Prof. Dr. Dr. Unger, Prof. Dr. Dickason und Professor Dr. Matthews, alle Amerikaner. Dann muß die Arbeitsgemeinschaft von 25 Gelehrten unter Montgomery genannt werden, deren Buch im Schlußkapitel erwähnt wird. Daß so viele Amerikaner genannt werden, ist nicht von ungefähr. Das Schwergewicht der evangelischen Theologie hat sich etwas von Europa nach Amerika verlagert. Bultmann und seine Epigonen haben in Europa im übertragenen geistlichen Sinn eine Verwüstung angerichtet. Aber zwei Theologen in Deutschland mit einem klaren Blick muß ich erwähnen. Es ist Prof. Dr. Beyerhaus in Tübingen und Prof. Dr. Michel.

3. Fehlende Unterscheidung
Diesem Kapitel liegen drei Veröffentlichungen von Pfr. Wilhelm Horkel zugrunde. Vor rund 30 Jahren erschien „Botschaft von Drüben“ in erster Auflage. Mit bekümmertem Herzen habe ich damals das Buch gelesen. Ohne mich mit meinem Freund Pfarrer Fritz Eichin abzusprechen, erhielt ich von diesem Kenner der okkulten Phänomene einen Brief, in dem Eichin sich auch bestürzt über dieses Buch aussprach. Unsere Meinungen trafen sich in dem Gesamturteil: Göttliches, Natürlich Menschliches, Mediales und Dämonisches ist ohne Unterscheidung vermengt. Charismatisches und Pseudocharismatisches wird in einen Sack gestopft.
Die Gabe der Geisterunterscheidung hängt nicht von dem Grad oder der Intensität der menschlichen Intelligenz ab, sonst hätten unsere Universitätsprofessoren das meiste göttliche Licht. Die Gabe der Unterscheidung ist Frucht der Gnade Gottes, Wirkung des Heiligen Geistes. Ein einfacher Hilfsarbeiter kann, wenn er ein wiedergeborener Christ ist, die Geistesgabe der Unterscheidung haben, während sich sein Gemeindepfarrer geistlich vielleicht nicht orientieren kann. Geistige und geistliche Gaben liegen auf zwei verschiedenen Ebenen.
Mit der Antwort an Horkel habe ich aus verschiedenen Gründen lange gewartet. Zunächst einmal ist Horkel ein bekannter und begabter Literaturkenner und Pfarrer, der in der Kirche eine geachtete Position hat. Zum andern liebe ich keine öffentlichen Auseinandersetzungen. Es ist ohnehin zuviel Streit unter den Christen. Ich öffne nur dann den Mund, wenn gläubige Christen in der Gefahr sind, verwirrt zu werden.
Ich gehe aus von einer kleinen Notiz in dem Titel „Geist und Geister“. Auf Seite 43 schreibt der Verfasser: »Der badische Pfarrer K. Koch sagt rundheraus: Spiritismus und Christentum unterscheiden sich wie Feuer und Wasser. Ihm entgegen steht Karl Heim: Durch das Auftreten der okkulten Phänomene werden gedankliche Hindernisse für die rettende Wirkung des Wortes (Gottes) aus dem Weg geräumt werden können und die göttliche Wirklichkeit der verkündigten Heilsbotschaft durch solche Machttaten, in denen die Kräfte der zukünftigen Welt sich bereits wirksam erweisen, bezeugt und beglaubigt.“ (Heim, „Ich gedenke der vorigen Zeiten“ S. 311).
Hier versucht Horkel zwischen Karl Heim und mir einen Gegensatz zu konstruieren, der nicht besteht. Zunächst erwähne ich, daß ich Schüler von Karl Heim bin. Er war in meiner Studienzeit der einzige Professor, mit dem ich ungeteilt einer Meinung war. Da ich schon als Student Seelsorge übte und Evangelisationen hielt, sammelte ich damals bereits okkulte Beispiele. Darum schenkte ich Heims Ausführungen über den Okkultismus und Spiritismus große Beachtung. Ich erinnere mich noch gut, was er über den Spiritismus sagte. Er erwähnte, daß manchmal Atheisten über den Weg des Spiritismus zu Christus finden. Genau das entspricht meiner eigenen Erfahrung. Nur ein einziges Beispiel:
Ein Mann war in meiner Seelsorge. In seiner Beichte bekannte er, daß er zuerst Atheist war, dann vom Spiritismus in seinen Anschauungen „umgekrempelt“ worden ist. Als er den Weg zu Christus fand, sagte er sich vom Spiritismus los.
Genau das wollte Heim sagen. Der Blickpunkt meiner Darstellung geht in ganz anderer Richtung. Ich sah in der Seelsorge die Schäden, die der Okkultismus und Spiritismus anrichten und wende alle Kraft auf, die Menschen davon abzuhalten oder ihnen Wege der Befreiung zu zeigen. Heim und ich sind darin keine Gegensätze, wie Horkel konstruieren will. Wir arbeiteten nur an verschiedenen Frontabschnitten. Das kann ich aus dem gleichen Buch beweisen, aus dem Horkel die obigen Sätze entnahm.
In seiner Lebensgeschichte auf Seite 303 schrieb Karl Heim: „Wir wissen ja als Christen, daß die Bibel uns den Verkehr mit der Geisterwelt verbietet. Ich würde deshalb auch niemals an einer spiritistischen Sitzung teilnehmen.“ Horkel kennt diese Stelle, und doch nahm er an spiritistischen Sitzungen teil. Prof. Fritz Blanke hat Pfarrer Horkel in der Schweiz in die spiritistischen Kreise eingeführt. Kein Wunder, daß Horkel selbst medial ist.
Die fehlende Unterscheidungsgabe kann aus Raummangel nur an einem einzigen Beispiel gezeigt werden. Eigentlich müßte ich ein ganzes Taschenbuch darüber schreiben.

In dem Buch „Träume sind keine Schäume“ behandelt Horkel ab Seite 122 den „Träumer Swedenborg“ (1688-1772). Damit ich nicht missverstanden werde, bekenne ich, daß ich an den Visionen und Träumen von Swedenborg nicht zweifle. Das Problem, das Horkel nicht sieht, ist die Wurzel dieses außerordentlichen visionären Geschehens im Leben Swedenborgs. Swedenborg war ein phänomenaler Intellektueller, der seiner Zeit starke wissenschaftliche Impulse und Anregungen gab.
Er war zugleich ein hochmediales, religiöses Medium. Neben vielen medialen Praktiken betätigte er sich auch als religiöses, automatisches Schreibmedium, um nur einen Punkt zu nennen. Er war der Meinung, daß er von Gott, von Christus und von Engeln direkte Diktate erhielt. Er hatte die Auffassung, daß die Reihe der biblischen Propheten und Apostel noch nicht abgeschlossen ist, sondern daß Gott heute noch solche Gestalten hinzufügt. Es klingt durch, daß er sich für eine solche biblische Gestalt hielt. Aufgrund seines religiösen Schrifttums und der erwähnten Diktate hat sich die Sekte der Swedenborgianer entwickelt. Sie nennt sich „Kirche des Neuen Jerusalem“ und hat in USA und in Europa schätzungsweise 20.000 Mitglieder.
Es war mir vergönnt, in Kalifornien eine Kirche der Swedenborgianer zu besuchen. Auf einer landschaftlich phantastisch schönen Anhöhe mit dem Blick zum Pazifischen Ozean steht dieses architektonisch hervorragende Gebäude. Es ist eine totale Glaskonstruktion: alle Wände und das Dach bestehen aus großen Glasplatten, die diese neue Offenbarungsreligion des großen Schweden symbolisch darstellen sollen. Ich las am Ausgang der Kirche die Grundsätze dieser Gemeinde, die mit dem biblischen Christentum nur einige gleichklingende Vokabeln gemeinsam haben. Aufschlussreich ist auch die Beobachtung, daß die Swedenborgianer enge Kontakte zu den Spiritisten pflegen.
Was würden die Männer der Bibel zu Swedenborgs himmlischen Diktaten sagen?
Paulus würde wiederholen, was in Galater 1,8 steht: „So ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht.“ – Paulus würde also die Engel, die Swedenborg diktiert haben, verfluchen, weil es ein anderes als das biblische Evangelium ist.
Johannes würde seine Warnung in Offbg. 22,18 wiederholen: „Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: So jemand dazusetzt, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen die in diesem Buch geschrieben stehen.“ – Swedenborgs himmlische Diktate würden unter dieses Verdikt fallen.
Was haben die Zeitgenossen Swedenborgs über seine Visionen und Träume gesagt? Hören wir zuerst John Wesley (1703 – 1791) aus seinem Journal Seite 309:
Swedenborg, ein amüsanter Verrückter
28.1.1770. Ich machte mich daran, einige Schriften von Baron Swedenborg zu lesen und ernsthaft darüber nachzudenken. Ich begann mit einem gewaltigen Vorurteil zu seinen Gunsten, da ich wußte, daß er ein frommer und gelehrter Mann war, der einen langen Bildungsweg hinter sich hatte und durch und durch als gläubiger Christ galt. Lange konnte ich es aber nicht aushalten. Irgendeine seiner Visionen zeigt ohne Zweifel seinen wahren Charakter. Er ist einer der begabtesten und aufregendsten unterhaltsamen Schausteller, die jemals ihre Feder aufs Papier setzten. Seine aufrüttelnden Träume sind so wild, so weit entfernt von der Bibel und der allgemeinen Überzeugung, daß man danach leicht die Märchen vom Däumling Tom oder dem Riesen Killer Jack in sich aufnimmt.“

Wesley war einer der größten Männer Gottes Englands. In dem Amphitheater von Gwennap hat er 32 000 Zuhörern gepredigt, und zwar so, daß alle ihn verstanden. Lautsprecher gab es damals noch nicht, aber der Heilige Geist hat wie am ersten Pfingstfest für Verständlichkeit gesorgt. Wesley hatte die Gabe der Geisterunterscheidung, wie man aus seinen Seelsorgefällen und aus seinen Predigten schließen kann. Er hat bei dem moralischen Niedergang des englischen Volkes um 1750 die ganze Nation mit seiner Verkündigung erfasst und aufgerüttelt. Ich wäre froh, wenn Deutschland oder die Schweiz heute einen solchen Mann hätte.
Aber nicht nur von der charismatischen Seite, sondern auch von dem intellektuellen Forum kam schwerer Beschuss gegen Swedenborg.
Der große Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804) verspottete 1766 in seinem Pamphlet „Träume eines Geistersehers“ Swedenborg.
Ich pflichte Kant nicht bei, weil er eben alles „von der reinen Vernunft her“ sieht. Hierher würde auch passen, was Köberle im Blick auf Bultmann schreibt. Er gebraucht den Ausdruck „rationalisierende Verharmlosung“. Mit der „bloßen Vernunft“ kommt man Swedenborg nicht bei. Die stärkste Waffe gegen Swedenborg ist nicht Kant, sondern eher John Wesley.
Seit Jahren trage ich auch darüber Leid, daß Swedenborg Einfluß auf Männer des Glaubens gewonnen hat. So sind Swedenborgs Spuren bei Oberlin (1740-1826), Jung Stilling (1740 – 1817) und Oetinger (1702-1782) zu erkennen. Auf theologischem Sektor ist das besonders misslich. Swedenborg glaubte an eine stufenweise Höherentwicklung des Menschen nach seinem Tode, bis hin zur Einung (Vereinigung) mit Gott (unio mystica). Oetinger glaubte ebenfalls an die Läuterungsstufen nach dem Tode bis hin zur Versöhnung des Alls und aller Menschen. Beide Männer haben also gedankliche Systeme entwickelt, die im Widerspruch zur Bibel stehen.
Pfarrer Horkel spricht aber von Swedenborg so harmlos, so fasziniert, weil eben die Gabe der Unterscheidung fehlt. Das ist der Punkt, wo meine Fürbitte für ihn und viele andere eingesetzt hat.

4. Formen der Besessenheit
In der Zeit, da dieses Buch niedergeschrieben wurde, kam eine Frau in die Seelsorge, die behauptete, besessen zu sein.
Zunächst sei eine grobe Faustregel zum Thema Besessenheit erwähnt: Wer wirklich besessen ist, weiß es gewöhnlich nicht. Wer erklärt, daß er besessen ist, ist es normalerweise nicht.
Wenn wir schon bei den Faustregeln sind, dann muß auch gesagt werden, daß ein Seelsorger niemals einem belasteten Menschen sagen darf, er sei besessen, selbst wenn es stimmen sollte. Die Gefahr, Schaden anzurichten, ist zu groß.
Nun aber zu dieser Frau. Ich hatte drei Wochen Gelegenheit, diese Frau zu beobachten. Von einer Besessenheit konnte absolut nicht die Rede sein. Der Hintergrund ihrer Aussage war, daß sie Mitglied einer extremen Gemeinde war, in der viel über Besessenheit geredet wurde. Da mein Beichtkind sehr sensibel und mit einem schwachen Nervensystem ausgerüstet ist, fing es diese überhitzte geistliche Atmosphäre auf. Es war eine glatte Übertragung in Form einer religiösen Massensuggestion. Beim Beten reagieren Besessene sehr rasch, vor allem dann, wenn mehrere geisterfüllte Beter gegenwärtig sind. Diese Frau dagegen blieb nicht nur ruhig, sondern fühlte sich gestärkt. Ich sagte ihr also mehrmals, daß von einer Besessenheit absolut keine Rede sein könne, weil gar keine Symptome dafür vorlägen.
Leider gibt es extreme Gruppen, die ein Sammelbecken und zugleich eine Brutstätte für Neurosen, Depressionen bis hin zur Züchtung von Pseudobesessenheiten darstellen.

Auf der gleichen Linie liegt der nächste Seelsorgefall. Ein Mädchen suchte für einen Urlaub ein christliches Heim auf. Der Heimleiter, den ich kannte, stand in dem Ruf der Glaubens- und Gebetsheilungen. In der Tat sind ihm viele Glaubensheilungen geschenkt worden. Seinen Namen verschweige ich, um nicht seinem Werk zu schaden. Das kranke Mädchen ging zu dem Heimvater in die Seelsorge. Er betete mit ihm nach Jakobus 5,14 unter Handauflegung. Es trat aber keine Heilung oder Besserung ein. Nach einigen Tagen meldete sich das Mädchen wieder zur Aussprache und berichtete, daß nichts geschehen sei. Der Hausvater betete nochmals unter Handauflegung mit der Kranken. Nach einiger Zeit fragte der Bruder sie: „Wie geht es dir? Bist du gesund geworden?“ Sie antwortete wahrheitsgemäß: „Nein.“ Dann rief er ihr lautstark zu: „Du hast den Teufel.“ Die Kranke verließ verzweifelt das Heim. Sie war dann mit der Vorstellung geplagt: „Ich bin besessen. Ich habe einen Teufel.“ Es braucht wohl nicht betont werden, daß das eine furchtbare Seelsorge war. Das war keine Hilfe oder Heilung, sondern eine suggestiv übertragene Pseudobesessenheit. Mit einem solchen Beispiel werden die in diesem Buch erwähnten Kritiker der Besessenheit gern einverstanden sein. Das ist ja Wasser auf ihre Mühle.

Eine weitere Form einer Pseudobesessenheit will ich an einem Beispiel aus Philadelphia (USA) darstellen. Ich hatte an einer Kirche der Stadt einige Vorträge. Nach einem Gottesdienst kam ein Mann zur Seelsorge, der bei einem seelsorgerlichen Gespräch anscheinend in eine Trance oder Halbtrance fiel. Eine Gebetsgruppe von etwa 15 Teilnehmern wurde zusammengerufen. Auch der Pfarrer der betreffenden Kirchengemeinde, ein gläubiger Christ, war anwesend.
Schreiszenen mit Lästerungen wechselten ab. Ich hatte dabei den Eindruck, daß das Wachbewusstsein nicht ausgeschaltet war. Auch fehlte mir die Charakteristik der typischen Besessenheitsfälle, die ich über Jahrzehnte hinweg in der Seelsorge beobachten konnte.
Schließlich nahm mich der Ortspfarrer zur Seite und sagte: „Ich meine, dieser Mann spielt Theater.“ Ich erwiderte: „Meine Überzeugung ist das auch.“ Der Ausgang dieser Geschichte zeigt, daß wir richtig beobachtet hatten. Ich schickte den Gebetskreis weg und sagte dem angeblich Besessenen: „Wir machen jetzt Schluß. „ Darauf die prompte Frage des Pseudobesessenen: „Ist es keine echte Besessenheit?“ Damit hatte er sich verraten. Wirklich Besessene wissen nach dem Anfall nichts von dem, was vorgefallen war. Dieser Pseudobesessene war ein Hysteriker, der das Interesse aller auf sich ziehen wollte. Er wollte einmal im Mittelpunkt stehen und zur Geltung kommen.
Professor Kretschmer schrieb in „Medizinische Psychologie“, Seite 244: „Viele von den hysterischen Mechanismen sind ja nichts anderes als Zweck und Abwehrneurosen, kleine und oft erfolgreiche Mittel schwach ausgerüsteter, nervöser Individuen, um trotz des ungleichen Spieles doch noch von unten nach oben zu kommen und zuletzt über die Klugheit und die Machtmittel des Gesunden und Starken zu triumphieren.“
Kretschmer trifft bei diesem Seelsorgefall die Situation. Ich habe hinterher erfahren, daß dieser Mann, der die Besessenheit schlecht gespielt hat, früher das Moody Bible Institut besucht hatte, um Prediger zu werden. Diese Laufbahn wurde unterbrochen, weil das Institut diesen Bibelschüler entlassen hat. Seither irrte der verhinderte Prediger in verschiedenen Städten umher und versuchte als Hilfsprediger unterzukommen, was ihm aber nicht gelang. So faßte er den Plan, die Besessenheit und danach die Befreiung zu spielen, weil er meinte, daß befreite Besessene bei den gläubigen Christen große Beachtung finden. Dieses Spiel zahlte sich nicht aus. Erfreut war ich, daß der Ortspfarrer, der vorher keinen echten Besessenheitsfall in der Seelsorge hatte, dieses Spiel richtig durchschaute. Man muß also nicht unbedingt Psychologie und Medizin studiert haben, um solche Vorgänge richtig beurteilen zu können.

Der dämonisierte Intellektualismus.
Mein Freund Dr. theol. Otto Riecker, auf dessen Bibelschule in Adelshofen ich wärmstens hinweise, hat ein vielbeachtetes Buch geschrieben „Bildung und Heiliger Geist“ (Hänssler Verlag). Nur einzelne Sätze daraus sollen den Charakter unserer Zeit erhellen!
Im Anschluß an 1. Kor. 2,12: „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott“, führt Riecker aus: „Gerade daran, welchem Geist das Leben unterstellt ist, sieht man den wesentlichen Unterschied … Es ist auch der sogenannte anständige Mensch, sogar der kirchlich orientierte Mensch, wenn er nicht wiedergeboren ist, noch dämonisch bestimmt durch den Geist der Welt, in der er lebt. Gerade er braucht in der Bekehrung einen Durchbruch von dieser dämonischen Letztbestimmtheit hin zur Gottbestimmtheit …
Die Anmaßung zeigt sich auch darin, daß Jesu Gottessohnschaft in Zweifel gezogen wird …  Dann ist der Intellekt dämonisiert … Ich habe einem Freund, einem ehemaligen Bultmann-Schüler, der in seinem Glauben nicht recht froh werden konnte, in einem nächtlichen Gespräch bemerkt: Du solltest eigentlich Bultmann absagen, wie man sonst dem Teufel absagt. Er hat das gemacht. Das gab dann die Freiheit, die er vorher nicht gehabt hatte … Man muß einer solchen Denkweise absagen, wie man dämonischen Gegebenheiten in Anwesenheit eines Bruders absagen muß. Man muß sie auch als Sünde gegen Gott und Jesus bekennen, sich darüber beugen und sich davon reinigen lassen …  Der dämonisierte Intellekt wird zunehmend die Erfahrung des Abendlandes … “.

Einen überraschenden Beitrag gibt Riecker zum Problem der okkulten Belastung. Er schreibt auf Seite 40: „Wir wissen aus der Seelsorge, daß auch Theologen von Vorfahren her durch Zauberei und Aberglaube okkult belastet sein können. Dementsprechend ist dann auch ihre Wissenschaft, verzerrt … Selbst bei Gläubigen gibt es okkulte Behaftung, so daß wir aus unserer Kenntnis der übersinnlichen Welt auch vermuten dürfen, daß eine Letztbestimmtheit dieser Art hinter solcher Theologie steckt.“

Eigentlich müßte ich noch viele Formen der Besessenheit, Umsessenheit oder Pseudobesessenheit darstellen. Aber es ist rein unmöglich, alles Material auszubreiten, das in einem halben Jahrhundert zusammengetragen worden ist.
Drei Gebiete sollen noch gestreift werden.

5. Hassbesessenheit
Bei der Rückkehr von meinem achtzehnten Afrikabesuch las ich in der Swissair „Die Welt am Sonntag“. Ein Artikel fesselte mich. Es wurde berichtet, daß der Weltkirchenrat abermals die finanzielle Unterstützung der Guerillagruppen in Afrika beschlossen habe und diese aktive Hilfe nicht an gewaltlose Aktionen der „Freiheitskämpfer“ binde. Das heißt, es dürfen Kirchensteuergelder und Kollekten, in Europa gesammelt, auch zur Beschaffung von Waffen und Munition benützt werden. Wie wollen die Herren des Weltkirchenrates das einmal vor Gott verantworten?  . . .  . . .

6. Pseudocharismatische Besessenheit
Es gibt Charismata und es gibt Pseudocharismata. Beide sind unvereinbar. Die Unterscheidung ist oft nur möglich, wenn eine Gabe der Geisterunterscheidung vorliegt.
Unser 20. Jahrhundert erlebt eine pseudocharismatische Großoffensive Satans. Begonnen hat dieser satanische Ansturm 1899 in der kleinen Bibelschule Tekoa in Kansas unter ihrem Leiter Rev. Parham. Er behauptete, daß das Zungenreden der Erweis der Geistestaufe sei. Es gäbe ein langes Kapitel, wenn ich die ganze Geschichte der pseudocharismatischen Bewegung aufrollen sollte. Es kann sich hier nur um kurze Hinweise handeln. Wer mehr darüber wissen will, lese mein Taschenbuch „Die Geistesgaben“.
Der schwarmgeistige Funken sprang von Tekoa über nach Los Angeles, dieser spiritistischen Hochburg in Kalifornien. Dort entstand 1906 in der Azusa-Street eine Pseudoerweckung. Von Anfang an fühlten sich auch echte Kinder Gottes von dieser Bewegung angezogen, weil eben viel vom Heiligen Geist die Rede war.
Das fremde Feuer kam dann herüber über den Ozean. Wales war seit 1905 eine echte Erweckung geschenkt worden. Ich kenne diese Erweckung nicht nur aus Büchern, sondern durch die Berichte alter Veteranen, die als junge Männer daran teilnahmen. Es handelt sich um Lindsey Glegg in England und Dr. Evans, den ich in Chicago kennen lernte. Die Erweckung von Wales kam 1908/1909 zum Erliegen, als das falsche Feuer von Tekoa und Los Angeles eindrang. Man sagte den Walisern: „Ihr müsst die Gabe der Zunge haben, sonst fehlt euch das volle Evangelium. «
Diese Tragödie wiederholte sich in unserem Jahrhundert bei vielen Erweckungen.
Es können nur einige Stichworte gegeben werden. Bei der indonesischen Erweckung, die 1965 auf der Insel Timor begann, zeigten sich viele Geistesgaben mit Ausnahme des Zungenredens. Einige Zungenredner kamen dann von Java herüber und verfälschten das Bild. Mel Tari, der mein Dolmetscher auf Timor war, wurde davon angesteckt. Er sagte in seinem Buch“ Like a mighty wind“ = Wie ein mächtiger Wind, folgendes: „Wer mit dem Heiligen Geist getauft worden ist, wird früher oder später in Zungen reden.“
Der Teufel ist stets darauf aus, Erweckungen zum Erliegen zu bringen. Schafft er es nicht mit groben Sünden, Verfolgungen oder Schlafgeist, dann probiert er es mit falschen Charismata (Geistesgaben, Gnadengaben).

Die Erweckung in Kanada war dieser Gefahr ausgesetzt, hat aber den Versuch des Erzfeindes im Keim erstickt. Ich war im Zentrum dieser Erweckung in Saskatoon. Als 1971 beim Beginn der Erweckung Hunderte zum Glauben kamen, mußten Seelsorgehelfer geschult und eingesetzt werden, um alle Beichtwilligen betreuen zu können. Ohne Berechtigung schlich sich dann eine pseudocharismatische Frau in die Gruppe der Seelsorgehelfer ein. Sie erklärte den Beichtenden: „Ihr müsst die Gabe des Zungenredens haben, sonst fehlt euch die Fülle des Heiligen Geistes.“ Nur kurze Zeit ging das gut. Dann wurde das den Leitern gemeldet, die diese Frau sofort vom Platz wiesen.

Die koreanische Erweckung hat auch eine Gegenströmung in der Bewegung von Dr. Yonggi Cho erhalten. Dr. Cho ist ein hochgebildeter Mann, der in Korea jetzt die größte Gemeinde hat. Er reist auch um die ganze Welt und trägt die Fackel seiner Bewegung weiter. Er sprach auch in meiner Heimatstadt Karlsruhe.
Was er denkt und verkündigt, findet sich in seinem Buch „Die vierte Dimension“. Ein Beispiel daraus. Er sagte einem Schwerverletzten, der den sicheren Tod vor Augen hatte, er solle sich vorstellen, daß er ein junger, gesunder Mann sei, dann würde diese positive Einstellung zu seiner Heilung führen. So geschah es auch.
Das ist keine biblische Heilung, sondern religiöse Suggestion und Autosuggestion. Die suggestive Beeinflussung spielt bei Dr. Cho eine entscheidende Rolle. Wer sich in der Kultur und Geistesgeschichte auskennt, der findet bei diesem Koreaner Gedanken, die andere vor ihm ausgesprochen haben. In Stichworten seien erwähnt: zuerst Descartes (1596-1650), dessen „Discours de la Méthode“ uns als Primaner beschäftigte. Als Ausgangspunkt für unser Denken und der Erfassung unserer Umwelt prägte er den Leitsatz „Cogito ergo sum“ = Ich denke, darum bin ich. Nach zwei Umschaltungen kann das ergeben: Wenn mein Denken in Ordnung ist, dann ist auch meine Existenz in Ordnung. Damit haben wir bereits einen Kernpunkt in der Seelsorge und in der Heiltätigkeit von Dr. Cho. Es gibt aber noch andere Quellen oder Vorläufer auf dieser Linie.
Schopenhauer (1798-1860) erklärte in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“, daß die gesamte Erscheinungswelt nur Ausdruck unserer Vorstellung ist. Nach einer Umpolung erhalten wir auch hier das Prinzip: Wenn unsere Vorstellung korrekt ist, dann richtet sich die Umwelt, die Erscheinungswelt, danach. Unsere Vorstellung und Gedanken erleben eine Außenprojektion und eine Verdinglichung. Das Wort Materialisation dürfen wir hier nicht gebrauchen, weil das falsche Assoziationen hervorruft. Nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung, also nach der Denkform der Kausalität, assimiliert unsere Außenwelt unsere Vorstellung. Wieder ein Grundstein für die Meinung von Dr. Cho: Wer die rechte Vorstellung hat, kann selbst seinem kranken Leib helfen.
Ein dritter Vorläufer von Dr. Cho ist Coué (1857-1926). Dieser in Nancy lebende Psychotherapeut entwickelte ein Heilverfahren, das sich auf die Autosuggestion gründete. Coué erklärte, daß die Einbildungskraft der Antrieb menschlichen Handelns ist. Diese Einbildungskraft muß so gesteigert werden, daß sich das verwirklicht, was der Mensch sich vorstellt. Von Coué ist das erdacht, von Dr. Cho ist das erfolgreich praktiziert.
Mary Baker Eddy (1821-1910), die Begründerin der Christian Science, schrieb in ihrem Hauptwerk „Science and Health“, daß wir in unserem Geist und Gemüt nur die richtige Einstellung aufbringen müssen, dann würden wir gesund; denn Krankheit und Tod sind unwirklich. Auch hier liegt wieder eine Wurzel von Dr. Chos Auffassung: Heilung und Gesundheit hängt von einem entsprechenden Denken ab.
Zuletzt soll Vincent Peale genannt werden, der in seinem Buch „Die Kraft positiven Denkens“ ähnliche Gedanken entfaltet wie Dr. Cho in seiner Seelsorge und Menschenbetreuung.
Dr. Cho wird nun vielleicht sagen: „Ich habe keines dieser Bücher gelesen.“ Das mag stimmen oder nicht. Es spielt in meiner Beweisführung keine Rolle. Geistige Grundstrukturen wiederholten sich in der Philosophie und in den Denkweisen der Völker immer wieder. Panta rei = alles ist im Fluß oder gar im Kreislauf. Sagen wir es einmal ganz derb und „mittelalterlich“: Der Teufel legt oft die gleiche Platte wieder auf, wenn eine gewisse Zeit verstrichen ist. Damit soll aber keine pauschale Bewertung ausgesprochen sein. Der „Discours de la Méthode“ von Descartes weist diesen Philosophen als ersten systematischen Denker der Neuzeit aus. Mit dem biblischen Gedankengut haben allerdings seine Thesen nichts gemeinsam.
Die Grundposition von Dr. Cho ist ebenfalls nicht die Bibel, sondern die Psychologie, die er allerdings mit biblischem Gedankengut frisiert und auffüllt. Durch seine brillante Beredsamkeit überrennt er seine Zuhörer. Das Wort Gottes geht aber keine Ehe ein mit der Psychologie noch mit moralischer Aufrüstung, auch nicht mit der modernen Theologie, noch mit vielen anderen religiösen und halbreligiösen Strömungen. Der Geist Gottes führt in alle Wahrheit. Er hat keine Anleihen bei menschlichen Wissenschaften nötig.

7. Materialisationen
Materialisationen und Dematerialisationen gehören zu den unheimlichen Praktiken der Magier und Spiritisten. Ich bin auf Missionsreisen oft diesem Phänomen begegnet.
Das Austreten von Materie, sei es Eisen, Steine oder kleine Tiere aus dem Leibe des Menschen, der besessen ist, hat eine besondere Charakteristik. Zuerst einige Beispiele vom Missionsfeld.
In Soe auf der Insel Timor sind in der Zeit der Erweckung viele Zauberer und Besessene zum Glauben an Christus gekommen. Ich erinnere mich besonders an einen jungen Mann. Er hieß Daniel. Er bekannte öffentlich, daß er durch schwarze Magie einige Menschen getötet hat. Der Polizei, die ihm auf den Fersen war, konnte er immer entkommen. Er behauptete, er hätte sich unsichtbar machen können. Wir finden diesen Vorgang auch in dem Buch „From Witchcraft to Christ“, in dem die ehemalige Zauberin Doreen Irvine aus ihrem Leben berichtet.
Nach seinem öffentlichen Zeugnis hatte ich ein persönliches Gespräch mit dem jungen Mann. Er erklärte, daß er 36 Steine in seinem Körper unter der Haut hatte. Bei seiner Bekehrung seien die Steine bei jeder Teilnahme an einer Gebetsgemeinschaft aus dem Körper herausgekommen. Bei unserer Unterredung sagte er, daß der letzte und größte der Steine noch in seinem Körper sei. Er nannte mir die Stelle und erlaubte, daß ich den Stein betastete. Er war so groß wie in Taubenei und befand sich unter dem Jochbein. Er war überzeugt, daß dieser letzte Stein als Zeichen seiner Hörigkeit Satan gegenüber auch noch herauskommen werde.  . . .

Von Materialisationen hörte ich oft in Ostasien. Es nimmt aber zu großen Raum ein, wenn ich alles berichten sollte.
Gehen wir zum europäischen Raum. Als Vorgeschichte erwähne ich den vielzitierten Pfarrer J. Chr. Blumhardt, der in Möttlingen die Erweckung erlebte, deren Auswirkungen heute noch zu spüren sind.
In den Jahren 1842 bis 1844 hatte Blumhardt die besessene Gottliebin Dittus betreut. Auf dem Höhepunkt der Austreibung der dämonischen Geister kamen aus dem Mund der Besessenen gelegentlich kleine Frösche, einmal eine Blindschleiche, ferner Nägel aller Art heraus. Es ist viel über diese Vorgänge geschrieben worden. Ich weise auf eine Veröffentlichung des Brunnen Verlages in Basel hin: „Die Krankengeschichte der Gottliebin Dittus.“
Was Blumhardt erlebte, ist mir in der Seelsorge mehrfach begegnet. In Kurzform einige Details. Ich muß dabei Namen und Ort weglassen, weil die betreffenden Menschen noch leben. In meiner Kartei befinden sich die Geschichten von vier Frauen, die besessen waren oder noch sind und die gleichen Vorgänge zeigen wie die Gottliebin Dittus.
Bei einer Vortragsreihe in einer europäischen Großstadt kam eine Mitternachtsschwester zu mir und bat mich, eine besessene Frau in die Seelsorge zu nehmen. Als ich den Namen und die Begleitumstände gehört hatte, lehnte ich ab.
Mir war die Besessene schon vorher durch den Bericht eines Pfarrers bekannt, ehe diese Schwester mich um deren Betreuung bat. Es handelte sich um die Präsidentin mehrerer Bordells, die ihrerseits selbst eine bekannte Dirne war. Ich wußte auch, daß ihr bisheriger Seelsorger durch dieses dämonische Weib zu Fall gekommen war. Ich lernte diesen Seelsorger kennen und merkte, daß er sich von seiner Katastrophe noch nicht erholt hatte. Nach meiner Ablehnung wurde diese Schwester der Mitternachtsmission energisch und erklärte: „Sie müssen diese Frau übernehmen. Es gehört zu ihrem Auftrag. Wer soll sie sonst übernehmen?“ Ich erwiderte ebenso energisch, daß ich mir keine Besessenen von Reichgottesarbeitern aufzwingen lasse, es sei denn, der Herr gibt mir den Auftrag dazu. Es ist ein Trick des Erzfeindes, uns viele Besessene zuzusenden, bis wir geistlich ruiniert sind. Ich bin ohnehin durch die Seelsorge mit Besessenen in größte Gefahr geraten. Wenn nicht so viele Gläubige für mich gebetet hätten und vor allem, wenn der Herr nicht seine Hand über mich gehalten hätte, wäre ich längst zerbrochen.
Diese Bordellpräsidentin ist in parapsychologischen und seelsorgerlichen Kreisen dadurch bekanntgeworden, weil aus ihrem Körper, aus dem Mund oder aus dem Unterleib, manchmal auch aus den Schläfen Nägel und Nadeln, Hufeisen, Messer, kleine Scheren und Gabeln und auch Glasstücke herauskamen.
Bei einem weiteren Fall aus einem europäischen Land wurde ich abermals zu Hilfe gerufen. Ein Gebetskreis, dessen Leiter ich kennen lernte, nahm sich einer besessenen Frau an, aus deren Körper einige Kilogramm Eisenteile herauskamen. Man hat mir dieses Zeug gezeigt. Ich bat diesen Beterkreis, sie sollten diese Gegenstände nicht aufbewahren, sondern vernichten. Wenn Nägel oder Nadeln aus dem Mund kommen, kann man annehmen, daß sie vorher verschluckt worden sind. Diese Theorie versagt aber, wenn Nägel aus den Schläfen austreten. Bei einem besessenen Mann kamen lange Nägel durch die Haut des Oberarms und durch die Haut des Rückens.
Ein weiteres Beispiel knüpft sich an einen bekannten Namen: Uri Geller. Viele Rationalisten haben ihn als einen Scharlatan angesehen. Damit verharmlost man das Problem. Er ist ein hochqualifiziertes Medium. Natürlich ist bekannt, daß manchmal Medien durch Tricks nachhelfen, wenn ihre mediale Kraft nachlässt oder vorübergehend aufgebraucht ist. Ein Magier, der sich dem Teufel verschrieben hatte, ließ sich mit Uri Geller ein. Vielleicht dachte er, in der Zusammenarbeit mit Uri noch stärkere Kräfte zu bekommen. In seiner eigenen Familie gebärdete sich dieser Mann als Tyrann. Er verschrieb die eigene Tochter dem Teufel. Sie wuchs unter vielen seelischen Nöten auf, die eine Folge ihrer unverschuldeten Blutsverschreibung waren. In ihrer Not fing sie zu beten an. Der Herr nahm sich des belasteten Mädchens an. Es fand Vergebung und Frieden mit Gott.
Damit begann eine Periode schwerster Angriffe. Satan setzt denen fürchterlich zu, die ihm zu entrinnen drohen. Es zeigten sich alle Zeichen einer Besessenheit. Jedesmal, wenn mit dem Mädchen gebetet wurde, fing es an zu toben. Es traten dabei Eisenteile aus ihrem Körper. Es sind jetzt schon einige Kilogramm. Bei ihren Anfällen erschien ihr der inzwischen verstorbene Vater, der seine Besitzrechte anmeldete. Wenn der Anfall vorüber ist, kann das Mädchen glauben und beten. Diesen Wechsel zwischen Besessenheitsanfällen und Phasen gläubigen Betens traf ich auch bei anderen seelsorgerlichen Betreuungen an.
Bei solchen Erlebnissen zeigen sich viele Probleme, die nicht alle erörtert werden können. Einiges soll aber doch angedeutet werden:
1. Das Austreten von Eisenteilen kenne ich nur bei Besessenen oder bei der ostasiatischen Materialisationszauberei, die aber einer Besessenheit gleichkommt.
2. Häufig zeigen sich die Besessenheitsphänomene bei einem Menschen erst dann, wenn er sich bekehrt hat. Unerfahrene Seelsorger oder Theologen leisten sich oft Kurzschlüsse und sagen, daß bei einer Bekehrung und Wiedergeburt eine Besessenheit automatisch aufhört. Meine Erfahrung zeigt einen anderen Sachverhalt.
3. Wichtig ist der Unterschied zwischen psychiatrischen Fällen und der Besessenheit auf diesem speziellen Sektor der Materialisationen. Das erste Beispiel muß hier herangezogen werden. Bei der Frau in der Tübinger Klinik konnten die Eisenteile im Körper geröntgt und damit sichtbar gemacht werden. Bei Besessenheitsfällen können die Eisenteile nur kurz vor dem Austreten ertastet oder sichtbar werden. Zehn Minuten vorher sind sie durch die Röntgenstrahlen noch nicht zu erfassen. Bei den psychiatrischen Fällen geht es rational zu. Die Materialisationen gehen über das Messbare und Rationale hinaus.
4. In psychiatrischen Fällen ohne die Besessenheitskomponente wird in solchen Fällen operiert. Bei Besessenheit weichen die Eisenteile durch vollmächtiges Gebet. Nur formelhaftes Gebet oder das Gebet von Namenchristen haben diese Wirkung nicht. Es handelt sich also hier um charismatische oder echte glaubensmäßige Vorgänge. Frommer Firniss hat keine Wirkung.

Nun zur Erläuterung ein Beispiel aus Deutschland. Ein Pfarrer aus Lübeck hat mich vor etwa 15 Jahren angeschrieben und um eine Aufklärung gebeten. Es handelte sich um folgenden Sachverhalt. Einige Spiritisten suchten den Pfarrer auf und baten ihn, seine Kirche zu öffnen. Der Pfarrer begleitete die Besucher, die beim Betreten der Kirche erstaunt erklärten: „Hier ist eine wundervolle Aura.“ Dann baten sie den Geistlichen: „Offnen Sie einmal die Hand.“ Der Pfarrer tat es. Da fielen rote Steinchen wie Rubine auf seine Hand. Die Spiritisten erklärten: „Das ist ein Gruß der unsichtbaren Welt. Die Steinchen werden wieder verschwinden.“ Etwa nach fünf Minuten lösten sie sich in der Tat auf und verschwanden ins Unsichtbare. Das war eine spiritistische Materialisation und Dematerialisation. Der lutherische Pfarrer begriff diesen Vorgang nicht und schrieb mich deswegen an. Das ist ein Beispiel aus meiner Kartei.
Nebenbei bemerkt, es ist ein schlimmer Tatbestand, wenn eine Kirche statt einer Atmosphäre des Heiligen Geistes eine spiritistische Aura hat. Das gibt es nicht nur einmal. Kirchen, in denen spiritistische Pfarrer amtieren, entwickeln eine spiritistische Aura. In England gibt es einige hundert solcher Kirchen. In Deutschland ist mir nur dieser eine Fall in Lübeck begegnet. Der Amtsbruder, der mich anschrieb, ist aber kein Spiritist. Die spiritistische Aura seiner Kirche war bei seinen Vorgängern entstanden.

Nachtrag
Dieses Buch war schon in Druck gegeben worden, da wurde ich mit einem neuen Fall von Besessenheit bekanntgemacht. Ohne Angabe des Namens, des Ortes und des Landes darf er veröffentlicht werden. Von meinem Wohnsitz aus kann nicht auf den Ort des Geschehens geschlossen werden, da ich immer noch auf verschiedenen Kontinenten Vortragstouren und Missionsreisen unternehme.
Der Seelsorger der besessenen Frau, um die es sich handelt, ist ein gläubiger Mann, der bei mir Rat gesucht hat. Er hat diese Seelsorge richtig angepackt und einige Beter dazugenommen. Denn es handelt sich bei einer solchen Seelsorge immer um einen Nahkampf mit den Mächten der Finsternis, die zurückschlagen.
Die Besessene stammt aus einer Familie, deren Vorfahren verschiedene Arten von Zauberei getrieben haben. Wieder tritt das Merkmal zutage, daß aktive Zauberei gern bei den Nachkommen oder bei den unmittelbar Betroffenen zur Besessenheit führt.
Bei dem geplagten Menschenkind zeigen sich vier Phasen ihrer schweren Belastung. Als Kind war diese Frau das Opfer der verwilderten Sexualität des eigenen Vaters. Auch das ist eine häufige Erscheinung, daß solche Praktiker der Zauberei Sodomie, Blutschande und andere unnatürliche Perversitäten pflegen. Ein Übergreifen der Medialität auf die passiven Opfer habe ich zu hunderten beobachtet.
Die zweite Phase begann mit der Hinkehr des geplagten Mädchens zu Christus. Sie wurde unter der Verkündigung des Wortes Gottes willens, ihr Leben zu ordnen und der Führung Jesu zu unterstellen. Der Teufel läßt sich das nicht ohne Gegenwehr gefallen, daß seine Opfer ausscheren. Wenn der oben erwähnte Seelsorger mit dem Mädchen betete, trat eine Trance ein. Die Besessene fing an zu schreien. Dieser Zustand dauerte fünf bis sechs Stunden. Wenn sie das volle Bewußtsein erlangt hatte, wußte sie von nichts. Der Seelsorger erkannte an diesem Verhalten und an den typischen Reaktionen, daß er es mit einer Besessenen zu tun hatte.
Die dritte Phase wurde noch dramatischer. Auf die Frage des Seelsorgers: „Wer seid ihr?“ erhielt er zur Antwort: „Wir sind mehr als 2000 Dämonen. Unser sind viele. Wir sind eine Legion.“ Damit wurde der Pastor in einen Kampf hineingestoßen, der über seine Kräfte ging. Er wußte aber, daß er auf der Seite des Siegers stand, der am Kreuz auf Golgatha für uns den Kampf entschieden hat. Im Namen Jesu gebot er den Mächten auszufahren. Es schien, daß einige das Feld räumten, aber nicht, ohne sich lästig bemerkbar zu machen. Auf dem Hals und auf dem Arm der Besessenen erschienen Kreuzeszeichen wie rot eingebrannt. Der Seelsorger hatte plötzlich die Initialen seines Namens ebenfalls auf seinem Arm. Ein andermal erschienen auf dem Arm der Besessenen die Zahlen drei, sieben, zwölf. Der Dämon, der alle diese Zeichen einbrannte, fuhr aus. In Zukunft kam dieses Tätowieren nicht mehr vor. Die eingebrannten Zeichen verschwanden nach einiger Zeit.
In der vierten Phase zeigten sich Materialisationen. Aus dem Körper der Besessenen kamen aus verschiedenen Körperstellen kleine Steine, Nägel, Nadeln, kleine Scheren und anderes. Ist es nicht seltsam, daß auf allen Kontinenten diese Materialisationen die gleiche Charakteristik zeigen? Man vergleiche nur die Berichte, die in diesem Buch gegeben worden sind. Bei dem jungen Mann auf Timor (Indonesien) kamen 36 Steine heraus, als er sich bekehrt hatte. Das Austreten von Nägeln, Nadeln und anderen eisernen Gegenständen ist von der Gottliebin Dittus berichtet worden, ebenso von der genannten Dirne und bei vielen gleichgelagerten Fällen auf allen Kontinenten. Die Dämonen haben ihre eigenen, oft gleichbleibenden Spielregeln. Diese Konstanz der Phänomene auf der ganzen Erde und in allen Jahrhunderten zeigt die Strategie Satans, der den Kampf mit Erbitterung führt, bis er beim letzten Gericht in den feurigen Schwefelsee geworfen wird (Offbg. 20,10).
Bedeutsam an dieser Geschichte ist die Tatsache, daß sich die Besessenheitssymptome nur in der Krise, im Moment des Anfalles, zeigen. Ist die Krise vorüber, dann kann die Frau herzlich beten, die Bibel lesen und dem Herrn für seine Hilfe danken. Das ist ein Hinweis für die unerfahrenen Christen, die der Meinung sind, daß mit der Bekehrung derartige Besessenheitsangriffe ein für allemal aufhören. Andererseits haben erfahrene Seelsorger aus solchen Erlebnissen geschlossen, daß sogar gläubige Christen besessen sein können. Ich habe in Vorträgen und auch in anderen Büchern auf die Unterschiede zwischen der Besessenheit der Gläubigen und der Ungläubigen hingewiesen. Ich will das hier nicht wiederholen.
Das Ende dieser Seelsorge kann noch nicht berichtet werden, weil sie noch nicht abgeschlossen ist. Wir rechnen aber mit dem Sieg Jesu, zumal diese Frau von einem guten Seelsorgerteam betreut wird.

Teil 2  EXORZISMUS

1. Seelsorge an okkult Belasteten
In der Nummer 7 des Mitternachtsrufes von Wim Malgo, erschienen im Oktober 1978, steht ein Artikel von Frau Dr. phil. Gertrud Wasserzug. Die Überschrift lautet: „Die Stellung des Gläubigen zu Satan und den Dämonen“.
Zunächst sei vermerkt, daß die überschrift falsch ist. Es muß heißen „Die Stellung von Frau Dr. Wasserzug zu Satan und den Dämonen“. Der Gebrauch des Kollektivbegriffes „des Gläubigen“ steht ihr juristisch nicht zu.
Kaum war dieser Artikel erschienen, da gingen bei mir Proteste ein, ob ich nicht eine Antwort darauf geben wolle.
Ich zögerte. Dieser Beitrag lag fast zwei Jahre in meiner Sammlung. Man kann also nicht sagen, daß ich in erster Erregung reagiert hätte. Zum andern bin ich mir wohl bewußt, was Paulus in Römer 14,4 schreibt:
„Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest?“ Ein Recht zu richten habe ich nicht und wage ich nicht. Eine Pflicht zur biblischen Klarstellung ist mir aber aufgetragen.
Zuerst will ich zwei Proteste erwähnen.
Die Mission „Fol Evangile“ mit dem Sitz in Colmar teilte mir durch ihren geistlichen Vater Emil Kremer folgendes mit: „Ich sende Dir einen Artikel von Frau Dr. Wasserzug aus dem Mitternachtsruf. Ich wußte wohl von ihr, daß sie direkte Konfrontierung mit dem Teufel und den Dämonen fürchtete. Aber daß sie nun lehrt, daß die Teufelsaustreibungen nur für die Apostel als Zeichen ihres Apostelamtes gelten, widerspricht Markus 16,17, wo es heißt: Die Zeichen, die da folgen denen, die da glauben, sind, in meinem Namen werden sie Teufel austreiben. Die Aussagen von Frau Dr. Wasserzug widersprechen auch den Erfahrungen bei allen Erweckungen.
Da viele den Mitternachtsruf lesen, wäre es notwendig, daß durch die Schrift und durch die Zeugnisse von diesen Erweckungen klar ins Licht gestellt wird, daß im Blick auf die zunehmenden Mächte des Okkultismus der Endzeit gerade die Verheißungen der Heiligen Schrift im Kampf gegen Satan, durch direkten Kampf gegen die Mächte der Finsternis, so notwendig sind zur Befreiung der Gebundenen.“ Soweit lassen wir Emil Kremer zu Wort kommen. Sein Brief trägt das Datum 17. Oktober 1978.
Der zweite Protest kam von einem gläubigen Pfarrer, bei dem ich schon evangelisiert habe, und mit dem ich mich sehr verbunden weiß. Um ihn vor Angriffen zu bewahren, nenne ich nicht seinen Namen. Im persönlichen Gespräch berichtete mir dieser Bruder folgendes: „Wir verteilen in unserer Gemeinde den Mitternachtsruf von Wim Malgo. Als wir den Artikel von Frau Dr. Wasserzug gelesen hatten, verteilten wir diese Nummer nicht, weil diese Darstellung unbiblisch ist. Wir konnten auch nicht begreifen, daß Wim Malgo diesen Artikel veröffentlicht hat…“
In der Tat ist dieser Artikel unbiblisch. Aussagen müssen begründet werden.
Das Positive zuerst! Richtig ist die Feststellung: „Jesus Christus ist der Sieger über den Teufel und über die Dämonen.“
In meinen Büchern gegen das Okkulte und in meinen Vorträgen habe ich allezeit die Botschaft des Sieges Jesu vorangestellt. So ist in meinem Buch OKKULTES ABC, Seite 504, ein Kapitel überschrieben: Realisiere den Sieg Jesu über die finsteren Mächte! In den Schlußsätzen dieses Kapitels heißt es: „Gott hat für uns den Sieg am Kreuz auf Golgatha bereitet, und er ruft auch uns in unseren Kämpfen zu: Was schreist du zu mir, der Sieg ist da, nimm den Sieg in Anspruch!“
Im Ansatzpunkt bin ich also mit Frau Dr. Wasserzug einig, aber nicht mit ihren Folgerungen.
Sie schreibt, daß sie jegliche Konfrontierung mit den Dämonen ablehnt. Was macht sie aber, wenn ihr Menschen in die Seelsorge gebracht werden, die okkult belastet oder gar besessen sind? Ich weiß, was sie tat. In der Schweiz habe ich in meinen Evangelisationen oft davon gehört. Sie hat mit den Belasteten gebetet und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Die Schwerbelasteten aus ihrer Bibelschule in Beatenberg wandten sich dann an andere Seelsorger. Als ich in Interlaken evangelisierte, kamen aus ihrer Bibelschule zwei Lehrkräfte und einige Bibelschüler und packten ihre Not, Anfechtungen und Belastungen aus, weil ihnen Frau Dr. Wasserzug keine Hilfestellung geben konnte. Diese Frau war durch ihre amerikanische, fundamentalistische Theologie blockiert. Es war darum auch kein Wunder, daß sie ihren Bibelschülern verbot, meine Bücher zu lesen. (Das gleiche Verbot sprach sie gegenüber den Büchern von Hans Bruns und Corrie ten Boom aus.) Einige Seminaristen haben aber doch meine Bücher gekauft und sie in privaten Familien in Beatenberg aufbewahren lassen, weil es verboten war, daß meine Bücher in die Häuser von Frau Dr. Wasserzug gebracht werden durften. Diese starre doktrinäre Haltung auf diesem und anderen Gebieten war dann die Ursache, daß es mit der Bibelschule bergab ging. Zuletzt waren noch sechs Bibelschüler da. Als sie endlich die Leitung abgegeben hatte, ließ einer ihrer Nachfolger Evangelisten kommen, die versäumte Themen und Entscheidungen nachholten. Die Bibelschule erholte sich wieder und hatte bald 70 und 100 Bibelschüler.
Woher hat Frau Dr. Wasserzug ihre unbiblischen theologischen Lehren, die hier nicht alle ausgebreitet werden können. Sie war von jeher von den amerikanischen Fundamentalisten und ihrer Dispensationstheologie abhängig. In USA wird vielfach gelehrt, daß wir in der Bibel verschiedene Offenbarungsepochen haben. Das ist durchaus richtig im Ansatz, aber nicht in den Folgerungen. Aus Zeitmangel nur ein Problem. Die Dispensationstheologen sagen: „Die Gnadengaben existierten nur im ersten Jahrhundert. Mit der Sammlung der biblischen Bücher hörten sie auf.“ Strengere Vertreter, zum Beispiel Prof. Bullinger, erklären: „Mit dem Tod der Apostel hörten die Geistesgaben auf.“ Frau Dr. Wasserzug übernahm das und erklärt: „Wir leben jetzt in der Zeit der Gemeinde, in der die ursprünglichen Gaben nicht mehr gegeben sind.“ Ich füge eine Aussage hier bei. Sie behauptet in dem Artikel: „Jesus Christus hat der Gemeinde heute keinen Auftrag und keine Macht gegeben, Teufel auszutreiben.“ In einem anderen Satz sagt sie: „Binden und Lösen ist kein Auftrag für die Gemeinde heute, sondern es war ein Auftrag für die Apostel.“ „Es ist kein Einsatz von Beten und Fasten nötig, um Teufel auszutreiben.“ „Wir haben keine Macht, im Namen Jesu den Teufeln zu gebieten. Sie ist für diese Zeit nicht gegeben, weder Männern noch Frauen.“
Warum studiert nicht Frau Dr. Wasserzug die Geschichte der Erweckungen, bei denen zu allen Zeiten bis heute gewaltige Gnadengaben aufgebrochen sind?
Die Aussage ist schriftwidrig, daß alle Charismata im ersten Jahrhundert aufgehört haben. Es bleibt die Wahrheit: Jesus Christus, gestern und heute und in alle Ewigkeit. Es bleibt die Botschaft von Markus 16 am Schluß, daß die Glaubenden teilhaben an der Vollmacht des erhöhten Herrn. Es ist gültig, was Paulus über die Gemeinde in Eph. 1,22 sagt: „Gott hat seinen Sohn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des, der alles in allen erfüllt.“ Die Gemeinde Jesu allerzeiten, nicht nur des ersten Jahrhunderts, hat Anteil an dem Reichtum, der Kraft und der Fülle ihres Herrn.    . . .
Ein einziges Beispiel kann ich mir nicht versagen. Frau Dr. Wasserzug sagt, daß der Sieg vollkommen ist und ein Perfektum darstellt das glaube ich auch. Sie meint nun, aufgrund dieses Sieges könnten wir nicht mehr direkt mit dem Teufel konfrontiert werden. Meine Antwort: Paulus verkündete den Sieg Jesu in 2. Kor. 2,14: „Gott sei Dank, der uns allezeit Sieg gibt.“ Auch diese Aussage halte ich fest. Der gleiche Paulus schrieb aber den Thessalonichern 1. Thes. 2,18: „Darum haben wir wollen zu euch kommen (ich Paulus) zweimal, und Satan hat uns verhindert.“
Ich sehe darin keinen Widerspruch. Karl Heim sagte uns einmal in der Vorlesung: „Satan leistet uns erbitterte Nachhutgefechte.“ Manche Christen meinen aber, sie müßten der Bibel nachhelfen und scheinbare Widersprüche mit einer theologischen Konstruktion überbrücken. Das ist nicht erforderlich. Die Bibel ist vom Heiligen Geist inspiriertes Wort Gottes. Es ist gut, daß zwei scheinbar sich widersprechende Verse in der Bibel stehen. Dann sehen wir, daß der besiegte Feind uns noch furchtbar zusetzen kann. Kein Seelsorger will mit dem Teufel konfrontiert werden. Aber Satan läßt den, der in sein Reich eingreift, nicht in Ruhe.
Prof. Otto Michel, dieser gläubige Theologe von Gottes Gnaden, sagte in seinem Buch „Gestaltwandel des Bösen“ auf Seite 90: „Jeder Versuch, das Böse ernst zu nehmen, wird auf Gegenwehr des Bösen stoßen und wird erfahren, daß es nicht versäumt, sich dafür zu rächen.“  . . .

2. Zeitweilig besessen

Pfarrer Stegmaier gab mir folgenden Bericht:
“Gibt es das, daß ein Mensch zu gewissen Zeiten von einer fremden Macht besessen ist, während er sonst einen völlig normalen Eindruck macht? Ein Erlebnisbericht bestätigt diese Tatsache.
In einer größeren Stadt fand eine Evangelisation statt. Ein treuer Beterkreis hatte diese innerlich und organisatorisch gut vorbereitet. Von Anfang an war der Saal gefüllt mit aufmerksamen Zuhörern. Obwohl ein lebendiger Kreis von Gläubigen hinter der Verkündigung stand, hatte ich vom ersten Abend an den Eindruck, als ob ich gegen eine Wand sprechen würde. Ich spürte einen starken inneren Widerstand, den ich mir nicht erklären konnte. Dabei war mir aufgefallen, daß eine jüngere Frau in den vorderen Reihen saß, die während der ganzen Ansprache mit fest geschlossenen Augen dasaß, während sie beim Singen wieder die Augen öffnete. Zuerst hatte ich das einer gewissen Müdigkeit zugeschrieben. Als sich dieser Vorgang aber jeden Abend wiederholte, kamen mir doch ernste Bedenken.
Ich hatte zu seelsorgerlichen Gesprächen eingeladen. Eines Tages sagte eine Diakonisse, daß die betreffende Frau um ein seelsorgerliches Gespräch gebeten hätte. Auch sie hatte den Eindruck, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.
Wir haben einen Termin vereinbart, und ich hatte einige Geschwister gebeten, während dieser Zeit in einem anderen Raum für uns zu beten. Die junge Frau saß mir gegenüber. Ein Tisch war zwischen uns. Sie machte einen ganz normalen Eindruck. Ich bat sie, ihr Herz zu erleichtern, zumal sie ja aus diesem Grund gekommen war. Ganz offen konnte sie zuerst sprechen. Vor allem machte es ihr zu schaffen, daß zu gewissen Zeiten und in unregelmäßigen Abständen eine fremde Macht über sie kam, die ihr Leben veränderte. Sie konnte nicht mehr beten, mußte dagegen fluchen und toben. Stimmen sprachen aus ihr heraus und forderten sie zum Selbstmord auf. Wenn sie auf den Speicher ging, schrie es aus ihr heraus: „Spring aus dem Fenster!“ Ging sie über eine Brücke, kam die Aufforderung: „Stürz dich hinab!“
Die Familie, bei der sie in Stellung war, wußte, daß während einer solchen Zeit nichts von ihr zu erwarten war und sagte: „Sie spinnt mal wieder. In einigen Tagen wird sie schon wieder vernünftig.“
Im Verlaufe des Gesprächs stellte es sich heraus, nachdem ich danach gefragt hatte, daß die Familie okkult belastet war. Sie selbst war in der Kindheit durch ein Familienglied besprochen worden. Bis hierher konnten wir uns ganz normal unterhalten.
Als sie eine gründliche Beichte abgelegt und, soweit bewußt, ihr Leben geordnet hatte, sagte ich, daß es mit der Bitte um Vergebung der Schuld nicht getan ist, sondern daß sie ganz persönlich ein Lossagegebet aussprechen und sich an Jesus Christus mit der Bitte um Befreiung von den dunklen Mächten wenden müsse. Dieses Gebet wollte ich ihr satzweise vorsprechen, und sie sollte dann im Glauben die Worte wiederholen.
Das Gebet hat etwa so begonnen: „Ich danke dir, Herr Jesus Christus, daß du uns erlöst hast von Sünde und Schuld und uns befreit hast von allen finsteren Mächten . . .“
Sie sprach die ersten Worte nach: „Ich danke dir, Herr …“ und stockte dann. Ich sprach das Gebet ein zweites Mal vor und bat sie, die Worte zu wiederholen. Wieder kam sie nur bis zu den Worten: „Ich danke dir, Herr . . .“ Mit großem Ernst sagte ich ihr daraufhin, daß ihr nicht wahrhaft geholfen werden könne, wenn sie den Namen Jesus Christus nicht ausspreche und sich im Glauben an ihn als Heiland und Erretter wende.
Da ging mit einem Mal eine Veränderung mit ihr vor. Ihr Gesicht nahm einen fratzenhaften Ausdruck an. Mit wirrem Blick starrte sie mich an, als wollte sie mich hypnotisieren. Das war doch nicht mehr dieselbe Frau, mit der ich gesprochen hatte! Langsam, ganz langsam erhob sie sich und beugte sich über den Tisch hinweg in meine Richtung. Die Hände waren verkrampft, als wollte sie mir die Augen auskratzen.
Ich war ebenfalls aufgestanden, konnte mich aber nicht vom Fleck rühren. Ich stand wie angewurzelt, konnte kein Wort mehr sprechen und hatte das Gefühl, mich in einem unheimlichen Zirkel zu befinden. Dabei spürte ich eine bleierne Lähmung vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Das Schlimmste war, daß ich auch nicht mehr denken konnte, sondern hilflos zusehen mußte, wie diese Fratze immer näher kam.
Daß wir in solchen Lagen trotzdem nie alleingelassen sind, durfte ich spüren, und die Gebete der Geschwister hatten sicher ganz wesentlich geholfen. Ganz plötzlich bekam ich für Augenblicke einen klaren Kopf und konnte wieder denken. Mit festem Blick sah ich die Frau an und sagte: „Im Namen Jesu Christi, des Sohnes Gottes, befehle ich dieser fremden Macht, auszufahren und nie wieder von ihr Besitz zu ergreifen.“
Da geschah das Wunder: Der Bann war gebrochen. Erschöpft, aber mit friedlichem Gesichtsausdruck setzte sie sich nieder. Auch von mir war der Druck und die Beklemmung gewichen. Sie sagte dann: „Können Sie jetzt verstehen, was Besessenheit ist, und was ich durchgemacht habe?“ Nun war der Weg frei zu Lob, Dank und Anbetung für die Befreiung durch das Blut Jesu Christi.
Auch in der Evangelisation gab es einen Durchbruch, und viele kamen zum Glauben. Jetzt brauchte sie auch nicht mehr mit zugekniffenen Augen in den Versammlungen zu sitzen, und das Wort konnte mit Freude und Vollmacht verkündigt werden.
Mehrere Jahre später trafen wir uns wieder. Auf meine Frage, wie es ihr gehe, sagte sie mit strahlendem Gesicht: „Dem Herrn sei Dank, ich bin immer noch frei, und es hat keinen Rückfall gegeben.“ Der Sieg Jesu war endgültig und völlig. – Pfarrer W. Stegmaier

3. Mary
Professor Buzzard, Dozent in San Francisco, sagte einmal: „The man who denies the phenomena of Spiritism is not entitled to be called a skeptic but he is simply ignorant.“ Übersetzt heißt das: „Ein Mann, der die spiritistischen Phänomene leugnet, kann nicht Skeptiker genannt werden, sondern ist nur als unwissend zu bezeichnen.“
Auf Skepsis und überhebliche Kritik wird dieser Bericht stoßen, nicht nur bei den Rationalisten, die alles mit ihrem Verstand ausmessen wollen, sondern auch bei Christen, die nie mit dämonischen Dingen zu tun hatten. Seelsorger sollten sich aber nicht vor solchen Problemen verschließen, sonst werden sie nie in die Lage kommen, Menschen mit dämonischen Belastungen beraten zu können.
Auf den folgenden Seiten wird eine Geschichte berichtet, die den meisten Lesern unglaubwürdig erscheinen wird, die aber dennoch in allen Einzelheiten wahr ist. Mary ist der zweite Vorname der beichtenden Frau. Es war also keine Namensänderung erforderlich. Eine Verletzung des Beichtgeheimnisses liegt nicht vor. Mary gab ausdrücklich die Genehmigung zur Veröffentlichung, um viele ihrer Leidensgenossen zu warnen und auf Christus hinzuweisen. Diese Veröffentlichung wird nicht gewagt, um einer Sensationslust entgegenzukommen, noch um die „Tiefen Satans zu erforschen“, sondern um zu zeigen, daß auch die gräßlichsten Offenbarungen Satans durch Christus entmächtigt werden. Christus ist der Herr über alle Finsternismächte.

Mediale Vererbung
In einer früheren Veröffentlichung im Zusammenhang mit Uri Geller und dem noch stärkeren englischen Medium Manning wies ich darauf hin, daß eine starke mediale Fähigkeit da zustande kommt, wo beide Vorfahrenreihen in drei bis vier Generationen Zauberei getrieben haben. Eine starke, aktiv betriebene Medialität kommt einer Besessenheit gleich. Besessenheit hat stets mit Dämonen etwas zu tun. Dämonen sind lügnerische und betrügerische Geister, darum leisten sich auch Medien, die von ihnen abhängig sind, Betrügereien, vor allem dann, wenn sie ihren medialen Leistungen nachhelfen wollen. Alle ihre Praktiken aber als Täuschung und Betrug ablehnen zu wollen, wie es die neunmalklugen Rationalisten tun, ist abwegig und geht an der Wahrheit vorbei.
Mary, eine Weiße aus Südafrika, steht in einer sechsmal dominanten, medialen Vererbung. In der mütterlichen Linie finden sich bis zur Urgroßmutter zurück Familienglieder, die weiße Magie, Kartenlegen, Handliniendeutung, Wahrsagerei mit Teeblättern und andere okkulte Praktiken betrieben haben. Ihre Großmutter besaß die Gabe der Nekroskopie, das heißt, sie sah den Tod nahestehender Menschen voraus. . . .  Die Blutsverwandten der Großmutter waren belastete und enthemmte Menschen und dem Alkohol verfallen.
In der väterlichen Linie Marys gibt es zwar Missionare. Der Vater selbst war Kirchgänger, besaß aber viele prookkulte Bücher, die er las und sich damit belastete.
Mary kam mit starken medialen Fähigkeiten auf die Welt. Soweit sie zurückdenken kann, hatte sie Umgang mit Dämonen. Sie erschienen ihr in Gestalt kleiner Menschen. Die Zulus nennen sie Tokoloshe. Stets waren sie freundlich zu ihr. Diese übernatürlichen Erlebnisse waren manchmal von einem hellen Licht begleitet. Im Verlauf ihrer Kindheit übte Mary die Exkursion der Seele. Ohne spiritistische Unterweisung oder durch das Lesen okkulter Literatur war sie dazu fähig. Sie erzählte dann jeweils ihren Eltern von ihren Reisen nach China oder Indien und konnte die Lebensart der Menschen und die Verhältnisse in dem betreffenden Land beschreiben. Die Eltern hatten für diese Vorgänge keine Erklärung. Mary empfand ihre Erlebnisse als völlig natürlich.
Wer das Problem der Exkursion der Seele aus meinen anderen Büchern nicht kennt, dem sei es kurz erklärt. Mary fiel für etwa eine Stunde in Trance. Sie lag regungslos auf ihrem Bett oder auf einer Couch. Ihre Seele oder das Bewußtsein traten aus ihr heraus und ging dann auf „Forschungsreise“, bei der sie weit entfernte Dinge erkunden konnte.

Die Satansweihe
Im Alter von zwölf Jahren erschien Mary Satan in Gestalt eines schönen jungen Mannes in heller Kleidung. Er flößte ihr großen Respekt ein, doch empfand sie keine Angst. Satan machte ihr große Versprechungen, falls sie ihm ihr Leben übergeben würde. Sie sollte Kraft über alle Menschen ihrer Umgebung bekommen, auch über ihre eigenen Eltern. Mit seiner Hilfe sollte sie sich alle Wünsche erfüllen können. An Geld und allen Lustbarkeiten sollte es nie fehlen.
Diesen Verlockungen gab Mary nach und versprach ihr Leben Satan. Von diesem Zeitpunkt an mußte sie alle seine Anweisungen befolgen. Es kam der Tag ihrer Weihe und Blutsverschreibung an den Teufel. Wenn ich das zum ersten Mal gehört hätte, wäre es mir schwergefallen, das alles für wahr zu halten. Ähnliche Satansweihen gibt es aber auch bei den Woodooisten auf Haiti, bei den Macumba Spiritisten in Brasilien, bei den Saugumma Zauberern auf Neuguinea, bei den Hilot auf den Philippinen, bei den Schamanen in Alaska und in Sibirien und bei anderen heidnischen Stämmen auf allen Kontinenten. Ich habe in anderen Büchern schon andeutungsweise darüber berichtet.
Mary gab mir Einzelheiten ihrer Satansweihe. Solchen, die die Existenz Satans leugnen und Namenchristen, die seine Tätigkeit verharmlosen, soll es mitgeteilt werden.
Satanswelhen finden jedes Jahr in Südafrika zweimal statt. Jedesmal wird von Satan dafür eine Gruppe von Mädchen und jungen Männern ausgesucht. Es wird aber nicht die ganze Gruppe Satan konfrontiert, sondern jeder einzelne für sich. Mary war zu Beginn von einer großen Finsternis umgeben. Sie fühlte sich in einen tiefen Abgrund gerissen. Es ging tiefer und tiefer. Oben schloß sich der Schacht, in dem sie in die Finsternis des Abgrundes gezogen wurde. In einem von unheimlichem Licht erhellten Raum wurde sie Satan vorgestellt. Was nun folgte, sind negative Parallelen, teuflische Nachahmungen biblischer Wahrheiten und Vorgänge.
Mary mußte nach Anweisung Satans sich mit einem Messer einen Schnitt in die Magengegend machen. Mit dem herausquellenden Blut hatte sie ihren Namen in Satans Hand zu schreiben.
Wir werden dabei an die blutenden Hände Jesu am Kreuz erinnert, die unser Heil bedeuten. Auch das alttestamentliche Wort taucht hier auf: „Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet“ (Jes. 49,16).
Bei dieser Übergabe ihres Lebens erhielt Mary einen neuen Namen.
Zu diesem Namen Satans haben wir als heiliges Gegenstück in der Bibel den Hinweis, daß die Überwinder einen neuen Namen bekommen. Wir lesen das in Offbg. 2,17 und 3,12.
Dieser satanische Name, den Mary erhielt, bedeutet: Ströme satanischer Wasser.
Auch dafür gibt es ein biblisches Gegenstück in joh. 7,38: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Satan versucht in allen Dingen, Gott nachzuahmen. Für jedes Gotteswunder sucht Satan ein dämonisches Gegenwunder zu inszenieren.
Bei dieser Satanswelhe erhielt Mary auch eine dämonische Nummer. Sie lautete 666902. 666 ist die Zahl Satans und seines kommenden Antichristen (Offbg. 13,18). Die Zahl 9 bedeutet Sklavin und Dienerin Satans. 02 bedeutet die Rangordnung Marys. Bei den Dämonen gibt es eine Hierarchie wie bei den Engeln. Auch darin ahmt Satan die Welt Gottes nach. Mary wurden niedrige Dämonen unterstellt. Sie selbst hatte wieder höhergestellten Dämonen zu gehorchen.
Nach dem Empfang dieser Registriernummer sah Mary oft diese Zahl im Spiegel an ihrer Stirn geschrieben.
Das ist wiederum die Nachäffung biblischer Vorgänge. In Offbg. 14,1 heißt es: „Und ich sah das Lamm stehen auf dem Berg Zion und mit ihm 144000, die hatten seinen Namen und den Namen seines Vaters geschrieben an ihrer Stirn.“
Bei dieser Satanswelhe wurden noch schlimmere Dinge praktiziert. Das heilige Mahl Jesu mit seinen Jüngern wurde verhöhnt und verlästert. Vor einem Altar mit vier Ziegenbockshörnern wurden Katzen getötet, deren Blut Mary und die anderen Teilnehmer trinken mußten. Danach wurde Mary angewiesen, ein Baby zu töten und ebenfalls dessen Blut zu trinken.
An dieser Stelle entsteht die Frage, ob es sich um ein richtiges Kind handelte. Mary erklärte: „In Johannesburg verschwanden ganz in der Nähe ihrer Wohnung kleine Kinder. Die Polizei suchte danach. Die Zeitungen berichteten diese Vorfälle. Solche fürchterlichen Kinderentführungen hörte ich auch in Haiti und in anderen Ländern. Ich erinnere dabei an die Geschichte der Queen of Darkness in Haiti, die alle 14 Tage ein Kind stiehlt, tötet und dessen Blut trinkt. Über die Kinder von echten, wiedergeborenen Christen hat sie nach ihrer eigenen Erklärung keine Macht.
Der Höhepunkt der Satansweihe ist die körperliche Vereinigung Satans mit seinem Opfer. Zwei Stunden lang wurde Mary gequält. Danach wurde sie den Dämonen überlassen, die wiederum zwei Stunden lang ihren Mutwillen an ihr ausübten.
Wir stehen hier vor dem dunkelsten Kapitel dämonischer Besessenhelt. In der Bibel haben wir dafür die Stelle 1. Mos. 6,4. Diese schauerlichen Vorgänge sind bekannt unter dem Stichwort incubi, succubae.
Mary sagte mir, daß sie Kinder aus solchen Vereinigungen kenne, die über eine dämonische Intelligenz und ungeheure Kräfte verfügen. Sie meinte auch, daß der kommende Antichrist ein Wesen aus einer solchen Vereinigung sein werde, weil Satan auch die Jungfrauengeburt Jesu nachahmen wolle.
Mir sind genügend Fälle von incubi und succubae auf allen Kontinenten bekanntgeworden, auch von Befruchtungen und Geburten. Ich habe über den letzten Punkt bis jetzt nicht geschrieben, weil es für das menschliche Gemüt eine große Belastung darstellt.
Nach dieser entsetzlichen Satansweihe wurde Mary in ihre Wohnung zurückgebracht. Sie ist überzeugt, daß sie körperlich in der Unterwelt war. Als sie in ihrem normalen Lebensbereich wieder zu sich kam, lag sie unbekleidet auf ihrem Bett. Ihr Körper wies Stichwunden, Kratzwunden und blaue Flecken auf, auch auf dem Rücken, wo sie sich nicht selbst diese Verletzungen hätte beibringen können.
Die Psychiater, sofern sie nicht selbst erfahrene gläubige Christen sind, werden diese Vorgänge vielleicht als sexuelle Halluzinationen im hysterischen Dämmerzustand erklären wollen. Die Verletzungen will man vielleicht als psychogen verursacht ansehen. Damit wäre aber nur ein kleiner Teil der Symptome erklärt. Das Gesamtbild der Erfahrungen Marys paßt in kein psychiatrisches oder psychologisches System.
Marys Erleben ist kein medizinisch psychiatrisches Problem, sondern ein schwerer Seelsorgefall, der biblisch, geistlich behandelt werden muß.

Die dämonischen „Charismata“
Satan hat mit vielen Gaben aufzuwarten und weiß, die ihm bewußt oder unbewußt Hörigen zu belohnen. Zunächst hatte Mary eine Sprachengabe erhalten. Mit den Dämonen redete sie in deren Sprache. Sie dachte englisch. Ihr Mund aber formte sich zu Sprachlauten der Dämonen. Diese Konversation fand oft statt. Oft erschienen sie des Nachts. Der ganze Raum war mit Kerzenlicht erfüllt. Ein großes Auge beobachtete sie. Die vier Jahre jüngere Schwester konnte die Zwiesprache der älteren Schwester hören. Einmal nahm sie sogar die Gestalten wahr.
Eine andere Gabe Satans war eine ungeheure Machtfülle. Sie beherrschte die Eltern, die Nachbarn, ihre ganze Umwelt. Jedermann fürchtete sie. Ohne Anleitung konnte sie alle okkulten Praktiken ausüben.
Auch sexuelle Wünsche wurden ihr erfüllt. Sie wurde Lesbierin. Sie verfügte über alles, was ihr Leben abwechslungsreich machte. Sie bekam stets das Geld, das sie brauchte, Drogen, Zigaretten. Rauschgift war für sie ungefährlich. Man erwischte sie nie. Es war, als ob sie einen Bann auf die Polizisten ausübte. Das ist übrigens eine Fähigkeit, die mir auch in anderen Ländern gebeichtet wurde. In der indonesischen Erweckung beichtete mir ein Mann, der dreifacher Mörder war. Die Polizei konnte ihn nie fassen. Er behauptete, sich unsichtbar machen zu können. Das berichtete auch, wie schon erwähnt, Doreen Irvine, die das Buch geschrieben hat „From Witchcraft to Christ“ = Von der Zauberei zu Christus. In dem Märchenmotiv von der Tarnkappe Siegfrieds ist dieser Vorgang erwähnt. Bei den hochqualifizierten Satanisten ist es aber kein Märchen, sondern eine Realität.
Wir werden dabei an einen Vorgang in Jesu Leben erinnert. Der Evangelist Lukas berichtet, daß Jesus von seinen Feinden bedrängt wurde. Da ging Jesus mitten durch die hinweg (Luk. 4,30).
Seit der Satansweihe veränderte sich Mary in erschreckender Weise. Sie wurde jähzornig, wurde ständig getrieben, schlimme Dinge zu tun. Ihre Eltern wollten dieser Entwicklung entgegenwirken und verlangten den Besuch der Sonntagsschule. Sie war gegenüber dem Wort Gottes immun. Sie vertrieb sich die Zeit damit, daß sie die Exkursion der Seele praktizierte. Sie begann ihre Eltern, ihre Geschwister und alle Christen zu hassen. Da sie selbst keine Liebe empfing und bei den Christen nichts von Gottes Wirken sehen konnte, war sie überzeugt, daß das Christentum nichts wert sei. Sie war überzeugt, daß Satan mehr Macht besäße als Christus.
In der Schule waren ihre Leistungen mäßig. Doch sie bestand mit Hilfe Satans alle Prüfungen. Nach dem Abitur begann sie ihr Studium. Sie bekam sofort Kontakt mit den Studenten, die schwarze Magie ausübten, genau wie sie selbst. Bald merkte sie zu ihrer Freude, daß sie diesen Schwarzmaglern überlegen war. Sie wurde als die Stärkere respektiert. Man fürchtete sich vor ihr. Als sie ihr die Exkursion der Seele beibringen wollten, erklärte sie, daß sie das ihr ganzes Leben schon ausübte. Zum ersten Mal wurde ihr bewußt, daß man alle diese okkulten Praktiken auch erlernen kann.
Eine weitere Gabe aus dem Arsenal Satans war die Mentalsuggestion, die Fernbeeinflussung von entfernt wohnenden Menschen. Diese Kraft hatte sie im Auftrag der Dämonen zu benützen, um christliche Familien und gläubige Menschen zu beobachten, um ein Einfallstor für die Dämonen zu finden. Das Ziel war dabei, um sie aus der Gemeinschaft mit Gott und aus der Gemeinde der Gläubigen herauszuholen. Oft genügte eine einzige Sünde oder ein Leben halber Hingabe an den Herrn, daß Satan mit seinen Helfern eingreifen und sich festsetzen konnte.
Die Beobachtung der Gläubigen führte sie mit Hilfe einer okkulten Hellsehfähigkeit durch. Sie sah in einen Spiegel und konzentrierte sich auf eine Person. Dann erkannte sie alle begleitenden Umstände, Lebensgewohnheiten und Eigenheiten der Menschen, auf die sie sich einstellte. Ein Beispiel sei genannt. Sie erhielt von ihrem Auftraggeber den Befehl, einen gläubigen Pfarrer aufs Korn zu nehmen. Ihn sollte sie in einem einzigen Monat zu Fall bringen. Sie fand heraus, daß dieser Pfarrer drei Töchter hatte, die sehr hübsch waren. Der Vater war mächtig stolz auf sie. Dieser Stolz war der Ansatzpunkt, um das satanische Zerstörungswerk zu beginnen. Dem Pfarrer war dieser Stolz nicht bewußt. Innerhalb weniger Wochen schlugen alle drei Töchter den Weg in die Welt ein. Sie begannen, sich mit Männern abzugeben, rauchten und verfielen dem Alkohol. Die Vollmacht des Pfarrers begann zu schwinden. Mary sagte: „In der Zwischenzeit ist diese Gemeinde ein Tummelplatz der Dämonen geworden.“
Mary war total unter der Befehlsgewalt Satans. Eine einzige Befehlsverweigerung hätte ihren sicheren Untergang bedeutet. Da sie stets viele Aufträge erhielt, steckte sie ihr Studium auf. Unter dem Schutz ihres Herrn handelte sie mit Drogen. Arbeiten brauchte sie nicht mehr. In den folgenden sechs Monaten hielt sie sich in einer Gegend am Meer auf. Sie lag den ganzen Tag am Strand und vervollständigte ihre telepathischen Fähigkeiten. Auf diese Weise bekam sie auch Kontakt mit den Ufos.
Mentalsuggestion, Hellsehen, mediale Telepathie, magische Kräfte, Fähigkeit zur Dematerialisation, dämonisches Sprachenwunder und viele andere okkulten Fähigkeiten waren die Geschenke oder Entlohnungen Satans für Marys Dienst.
Es gibt in Deutschland naive Theologen oder Psychologen, die diese Fähigkeiten als eine Naturgabe ansehen. Diese Kurzschlüssigkeit leistet dem Geschäft der Dämonen Vorschub.
Für Mary bestand kein Zweifel, woher diese Begabung stammte. Beim Ausüben ihrer okkulten Praktiken beobachtete sie oft, daß sie von Schlangen umgeben war. Ihre eigene Haut fühlte sich gewöhnlich kalt und glatt wie Schlangenhaut an. Manchmal war der Fußboden bedeckt mit Schlangen, oder sie selbst war von einer Schlange umwickelt. Ich erinnere an den Abdruck von Schlangenwindungen auf dem Körper der Maria, deren Geschichte in diesem Buch berichtet ist.
Zur Stärkung ihrer magischen Kraft hatte Mary einen Zweikampf zu bestehen. Es handelt sich um ein magisches Duell, das mir mehrfach auf der Insel Bali, in Brasilien und in Äthiopien berichtet worden ist.
Mary hatte mit einem Mädchen Kontakt bekommen, die mit einem Satanspriester befreundet war. Dieser Satanspriester war von dem höchsten Satanspriester beauftragt worden, Mary zu vernichten. Es sollte nur ein Duell sein. Dieser Priester wollte sich mit ihr messen. Er behauptete, daß er mehr Macht als Mary besitzen würde und forderte sie auf, eine mitgebrachte Flasche zu öffnen. Sie tat es, da schoß eine grüne Flamme heraus, die Mary sofort einhüllte und in ihren Körper eindrang. In diesem Augenblick sah sie eine große Menge Dämonen um sich herum, die schrecklich lachten. Das Ende waren Orgien mit den Dämonen. Es sah also aus, als ob Mary diesen Kampf verloren hätte.
Das Böse reift aus
Nach diesem satanisch magischen Duell wurde Mary gezwungen, noch furchtbarere Dinge zu tun. Die Polizei war ihr auf den Fersen, konnte sie aber nicht festnehmen. Stand sie in einer Gruppe, sahen die Polizisten alle anderen, aber nicht sie.
Das Gegenstück war, daß sie einen medialen Kontakt zu allen Satanisten besaß. Wenn ein Satanist in einem anderen Raum war und sie von seiner Anwesenheit nichts wußte, so fühlte sie rasch seine Gegenwart. Dieser mediale Kontakt ist auch die Ursache, daß religiöse Extremisten in einer großen Zuhörerschar andere medial veranlagte Personen „erfühlen“ und denen auch mediale Kräfte zufließen lassen können. Solche Vorgänge werden dann als Wunder Gottes oder als Wirksamkeit des Heiligen Geistes angesehen. Dabei ist es eine Technik, die von unten stammt.
Ich habe schon jahrelang die Absicht, diese Erfahrungen und Erkenntnisse unter dem Titel „Medialität aus der Sicht der Seelsorge“ zu veröffentlichen. Ein umfangreiches Material liegt vor. Doch die wenigsten Christen wissen, daß die Niederschrift solcher Titel die stärkste Gegenwehr des Teufels auslöst. Das wissen im allgemeinen nur die Seelsorger auf diesem Gebiet, mitunter auch andere reife Christen. Die Veröffentlichung solcher Erfahrungen aus der Seelsorge ist nur möglich unter dem Schutz Jesu und einer Gebetsmauer gereinigter Kinder Gottes. Als Spurgeon im Tabernacle in London predigte, lagen 400 Älteste in einem Raum hinter der Kanzel auf den Knien und beteten. Darum schlugen die Predigten von Spurgeon ein, so daß Tausende sich bekehrten. Wer Seelsorge an Besessenen zu üben hat, der braucht mehr als 400 Beter.
Mary besaß nicht nur den medialen Kontakt, sondern sie konnte sogar die Satanisten an ihrem eigentümlichen Schwefelgeruch riechen. Wenn sie in Johannesburg auf der Straße Hunderten von Menschen begegnete, so konnte sie ihr fremde Satanisten am Schwefelgeruch erkennen. Sie strahlte ihrerseits dieses Erkennungsmerkmal aus. Das ist eine Parallele zum medialen Kontakt. Starke Medien erkennen sich sofort auf der Straße, in den Verkehrsmitteln, in den Kirchen, kurz überall, wo sie sich begegnen, auch wenn sie sich total fremd sind.
Im positiven Sinn gibt es das auch. Menschen voll Heiligen Geistes haben schnell Kontakt, wenn sie sich begegnen. Leider werden von Extremisten mediale Kräfte oft mit dem Etikett des Heiligen Geistes versehen. Darum müssen wir mehr denn je um die Gabe der Geisterunterscheidung bitten.
Zur Frage der Kontaktbildung und Kontaktabwehr noch einige Hinweise aus der Seelsorge.
Wenn treue Jünger Jesu und Besessene sich begegnen, gibt es Reaktionen. Dämonisierte Menschen ertragen Namenchristen, verkraften ohne weiteres kirchliche Veranstaltungen mit Pfarrern oder Predigern ohne den Heiligen Geist. Das sind keine Kontaktgegensätze. Sie gebärden sich aber wie wild, wenn sie mit Menschen voll Heiligen Geistes konfrontiert werden. Es ist gar nicht erforderlich, daß sich solche Menschen im gleichen Raum befinden. Ein Beispiel dazu.
Ich kannte in der Schweiz einen Gottesmann, der Geisteskranke, aber auch okkult Belastete, ja sogar Besessene in sein Haus aufnahm. Abends nach zehn Uhr betete er für seine Schutzbefohlenen. Die Geisteskranken verhielten sich ruhig. Der Besessene aber, der in einem anderen Raum schlief und von der Fürbitte nichts wußte, wachte auf und fing zu toben an. Wir sehen hier den Unterschied zwischen Geisteskrankheit und Besessenheit und begreifen dann auch, was Kontaktbildung und Kontaktabwehr bedeutet.
Ich habe oft solche Dinge erlebt. Bei einer Vortragsreihe in Toronto fing plötzlich ein anwesendes Medium zu rumoren an und störte den Gottesdienst. Der leitende Pfarrer, ein gläubiger Bruder, wies die Spiritistin zur Ruhe. Sie gehorchte nicht. Da hatte der Pfarrer keine andere Wahl, als im Namen Jesu zu gebieten. Daraufhin hörte das Medium auf.
In der lutherischen Kirche in Curitiba (Brasilien) fingen mitten in der Predigt drei Personen zu stören an. Sie konnten die geistliche Botschaft nicht ertragen. Bei modernistischen Theologen bleiben solche Belastete ruhig, denn sie befinden sich geistlich unter ihresgleichen. Redner und Hörer sitzen im gleichen Boot.

Innere Zerrissenheit
Das Leben Marys bewegte sich in einem fortwährenden Wechsel zwischen Zuständen großen Glückes und depressiver Phasen. Daraus kann aber nicht auf ein manisch depressives Irresein geschlossen werden, weil alle anderen Symptome nicht in dieses Krankheitsbild passen. Mary war dauernd von den Befehlen Satans gehetzt, denen unbedingt Folge geleistet werden mußte.
Über diesem sklavischen Gehorsam wurde sie mehr und mehr unzufrieden. Sie war sehr unglücklich und wünschte sich eine Befreiung aus dem harten Joch Satans. Die Dämonen spürten natürlich diese Veränderung und plagten sie unablässig. Diese finsteren Trabanten Satans kamen, wann sie wollten. Mary fühlte ihr Kommen, ja sie konnte sie sogar riechen. Da Mary aus ihren Reihen auszuscheren drohte, versuchten sie, ihr den Verstand zu rauben, was ihnen aber nicht gelang, denn Gott hielt in seiner vorlaufenden Gnade bereits seine Hand über sie.
Es kam die Zeit, da Mary zum ersten Mal einen Pfarrer aufsuchte, um dort Hilfe zu finden. Es wurde mit ihr gebetet. Doch eine Befreiung trat nicht ein. So probierte sie es mit einer anderen Kirche. Die Dämonen lachten über die vergeblichen Versuche. Keiner der Pastoren besaß die geistliche Vollmacht, die erforderlich war.
Die nächste Station, wo Mary Hilfe suchte, war eine Pfingstgemeinde. Sie erklärte dem Prediger, daß ein Mann, der in rechter Weise Gott dient, auch Macht über die Dämonen haben müsse. Da seine Hilfe aber umsonst sei, wäre auch sein Dienst unecht. Der Pfarrer warf sie daraufhin wütend hinaus. Die Kurzschlüssigkeit Marys war nicht ganz korrekt. Wenn ein Mensch sich mit dem eigenen Blut dem Teufel verschrieben hat, wie Mary es getan hat, dann gestaltet sich die Seelsorge außerordentlich schwierig. Ich habe bei etwa 100 Blutsverschriebenen nur sieben bis zehnmal Befreiungen erlebt. Es ist also nicht berechtigt, hier auf diesen Pfingstprediger Steine zu werfen.
Man kann bei dieser Seelsorge viele unvernünftige Urteile hören. Einmal hat in USA ein Prediger mich nach einem Vortrag angegriffen, weil die Seelsorge an Besessenen so langwierig ist. Er erklärte: „Jesus brauchte nur ein Wort zu sagen, dann war der Besessene frei.“ Ich antwortete ihm: „Erstens habe ich nicht die Vollmacht wie Jesus, und zweitens bringe ich den nächsten Besessenen zu Ihnen. Sie machen es dann kürzer als ich.“ Diese deutsche Antwort hat diesen Prediger dann beruhigt. Er nahm mir es aber nicht übel.
Da es mit Mary immer schlimmer wurde, suchte sie eine andere Pfingstgemeinde auf. Sie hörte hier eine Frau, die “in Zungen“ betete. Mary erschrak. Es war eine dämonische Sprache, die sie verstand. Die Beterin lästerte Gott. Danach stand jemand auf, der das Zungenreden übersetzte. Die Übersetzung war aber falsch. Mary suchte den Pastor auf und berichtete ihm ihre Erfahrung. Dieser Bruder erklärte: „Ich konnte das Zungenreden dieser Frau nicht verstehen. Sie ist aber eine Person, die der Gemeinde Not bereitet.“ Mary konnte sich dieser Gemeinde nicht anschließen, da hier Lügengeister am Werk waren.
Mary wanderte durch viele Gemeinden, meistens waren es Pfingstgemeinden, und hörte noch oft das „Zungenreden“. In den meisten Fällen hatte sie ein ungutes Gefühl.
In dieser Meinung wurde sie bestärkt, weil sie beobachtete, daß Satanisten mit Vorliebe sich Pfingstgemeinden und charismatischen Gruppen anschließen. Kirchen mit einer vom Heiligen Geist gewirkten Verkündigung werden von Satanisten gemieden. Satanisten fühlen sich bei Pseudocharismatikern wohl. Es sind ja ihre Kräfte, die da praktiziert werden. Die Eltern von Mary gehören auch zu einer Pfingstgemeinde.
In diesem Zusammenhang wies Mary auch darauf hin, daß viele Satanisten Angestellte in behördlichen Verwaltungen oder in hohen Beamtenpositionen sind.
Da nun soviel Negatives über Pfingstgemeinden gesagt wurde, will ich ein Mißverständnis ausräumen: Es gibt auch in Pfingstgemeinden oder bei den Urchristen treue, opferbereite Kinder Gottes, die ihre Kritiker in den Schatten stellen und ein christusnahes Leben führen. Ich habe Freunde in solchen Gemeinden, denen ich an dieser Stelle für ihre Fürbitte danke.

Wo ist Hilfe?
Marys Zustand drängte nach einer Entscheidung. Durch harte Drogen kam sie an den Rand des Todes. Sie litt unter starken Rückenschmerzen, die keiner heilen konnte. Die Eltern brachten sie zu verschiedenen Ärzten, Magiern, Hindupriestern, Moslempriestern, Wahrsagern und Zauberern. Sie fand keine Hilfe. Spezialärzte gaben ihr noch einige Wochen zu leben.
Man brachte sie schließlich zu ihren Eltern, damit sie bei den Ihren sterben könne. Als sie den jammervollen Zustand der Tochter sahen, fingen sie zu beten an, obwohl sie keine gläubigen Christen waren. In dieser Zeit wiesen sie Bekannte auf eine Missionsstation hin. Zugleich plagten die Dämonen sie heftig. Sie wollten es unter allen Umständen verhindern, daß Mary dorthin gebracht würde.
Schließlich zwang die Mutter ihre Tochter, in den Wagen zu steigen, der sie zum Missionshaus brachte. Dort wurde mit ihr gebetet. Ohne zu verstehen, was mit ihr geschah, wurde Mary im Herzen klar, daß Jesus stärker als Satan ist. Sie versprach in diesem Augenblick des Gebetes, in Zukunft Jesus angehören zu wollen. Die Dämonen leisteten von nun an heftigen Widerstand. Sie wollten unter allen Umständen die Umkehr und Befreiung Marys verhindern.
Zwei Missionare nahmen die schwerbelastete und besessene Mary in eine intensive Seelsorge. Nach dem einleitenden Gebet fühlte sich Mary von den Dämonen umringt. Sie verstand wieder deren Sprache. Sie sagte das sofort den Seelsorgern. Der Missionar betete, und das Verständnis der Dämonensprache war weg. Es folgte dann eine umfassende Lebensbeichte. Mary wollte dabei ihren dämonischen Namen nennen, konnte ihn aber nicht aussprechen. Der Pastor mußte mehrmals im Namen Jesu gebieten, bis Mary es endlich fertigbrachte, den geheimen, von Satan gegebenen Namen auszusprechen. Damit war ein Stückweit der Bann gebrochen. Alle satanischen Machenschaften und Sünden wurden ans Licht gebracht.
Dieser Vorgang zeigt, daß es in der Seelsorge mit Besessenen wichtig ist, daß entweder die Dämonen oder die Satansgeweihten ihren Namen offenbaren müssen.
Bei dieser dramatischen Seelsorge ging es zuerst darum, daß Mary sich von allen bisherigen „Hauseigentümern“ lossagte und im Glauben Vergebung empfing. Danach ging es um die Austreibung, die von den gottbeauftragten Seelsorgern vollzogen wurde. Die Dämonen fuhren unter furchtbarem Geschrei aus. Nur Mary hörte sie und sah sie fliehen. Der Herr Jesus machte sie vollkommen frei. Wir werden dabei an Apg. 8,7 erinnert: „Die unsauberen Geister fuhren aus vielen Besessenen mit großem Geschrei.«
Mary weiß seither, daß nur ein Leben in völliger Hingabe an den Herrn Jesus sie vor einem erneuten Zugriff Satans bewahren kann. Es ist ihr klar, daß sie keinen Kompromiß mit der Welt eingehen darf. Wort Gottes, Gebet und die Gemeinschaft der Gläubigen sind ihr die tägliche Stärkung. Ihre Eltern sind ihr leider keine Hilfe. Bei einem ausführlichen Gespräch anläßlich meines achten Südafrikabesuches fragte ich Mary, ob sie keine Anfechtungen und Kämpfe mehr habe. Sie antwortete: „Doch, der Feind greift manchmal an, aber ich fliehe dann in die Geborgenheit Jesu und bitte auch andere Gläubige, mir mit ihrer Fürbitte beizustehen.“
Was macht Mary beruflich? Sie hat ja ihr Studium vor einigen Jahren abgebrochen. Halbtags betreut sie Kinder in einer Kinderkrippe, die andere Zeit arbeitet sie freiberuflich, macht Buchentwürfe und illustriert christliche Bücher. Das ist eine Arbeit, die ihr liegt.
Die Zeit der satanischen Knechtschaft hat eine positive Frucht gebracht. Sie hat ein starkes Gefühl für Lügengeister, die unter christlichem Deckmantel in den Gemeinden ihr Unwesen treiben. Es geht hier um das Pauluswort (2. Kor. 11,14): “Der Teufelverstellt sich zum Engel des Lichtes, kein Wunder, daß auch seine Diener (die Dämonen) sich als Prediger der Gerechtigkeit verstellen.“

4. Rauschgift
Seit einigen Jahren bekomme ich drogensüchtige Menschen in die Seelsorge. Nur schweren Herzens übernehme ich solche Beratungen. Wenn der Rauschgiftsüchtige nicht zu einer Entziehungskur und zur Übergabe seines Lebens an Jesus bereit wird, besteht wenig Hoffnung auf eine anhaltende Befreiung. Beleuchten wir durch einige Beispiele dieses schwierige Gebiet.

Der Teufelskreis
In der Seelsorge bekam ich Kenntnis von ganz schweren Fällen einer Rauschgiftbindung, die zugleich mit anderen furchtbaren Entgleisungen gekoppelt war.
Hören wir zuerst Margots Geschichte, die ich hier wiedergebe. Margot rief mich aus USA an und fragte, ob ich in den Vereinigten Staaten einen gläubigen Psychiater oder einen erfahrenen Seelsorger wüßte, dem sie sich anvertrauen könne. Ich bat dieses Mädchen, mir schriftlich seine Adresse mitzuteilen, dann wollte ich ihm einige gläubige Psychiater nennen. So geschah es. Einige Tage später erhielt ich in Briefform eine schreckliche Beichte. Es liegt keine Verletzung des Beichtgeheimnisses vor, denn es wurde Erlaubnis zur Veröffentlichung eingeholt. Der Brief ist englisch geschrieben. Ich gebe ihn gleich deutsch wieder. Margot schrieb:
„Mein Zustand ist durch das Wort des Apostels Paulus in 2. Tim. 3,1 f. gekennzeichnet: In den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen; denn es werden Menschen kommen, die unheilig sind und Wollust mehr lieben denn Gott.
Mein Glaube an die Bibel wurde durch die teuflische Musik Rock’n Roll und durch das Lesen ähnlich inspirierter Bücher wie Helen Brown’s Buch und ,Der Playboy’ zerstört. Vergiftet durch diese satanischen Machwerke trieb ich Unzucht mit vielen Männern. Dabei blieb es nicht. Ich fing mit Rauschgift und Alkohol an und wurde dadurch verknechtet.
In diesem Zustand der Hilflosigkeit suchte ich Psychiater auf, die aber versuchten, meine Schuldgefühle abzubauen. Sie sahen mein Leben ja nicht als Sünde an. Die Folge war, daß ich auf dem einmal beschrittenen Weg fortfuhr. Ich las schreckliche Bücher wie das von Carlos Casterada, ferner ’Der Exorzist’, ’Rosemary’s Baby’ und andere.
Durch diese Bücher angeregt, fing ich an, das Okkulte zu erforschen. Ich hatte dabei das Gefühl, daß böse Geister in mich hineinfuhren. In einer Nacht erlebte ich einen schweren Angriff aus dem Reich der Finsternis. Es schien, als ob ein Dämon feurige Pfeile auf mich abschießen würde. Es war keine Halluzination, wie die Psychiater das wohl erklären wollten. Ich stand unter dem Eindruck, daß Gott mich auf diesem Weg in die Hölle senden würde. Ich war innerlich wie tot. Mein bewußtes Leben war noch essen, trinken und schlafen.
Da ich in meinem Unterbewußtsein immer noch nach Hilfe Ausschau hielt, griff ich zu dem Buch von Hal Lindsey ’Satan kämpft um diese Welt’. Mir wurde dabei deutlich, daß es wirklich einen Teufel gibt, und daß ich in seinen Krallen war.
Nach der Lektüre dieses Buches machte ich eine Entdeckung. Wenn ich mit echten gläubigen Christen zusammentraf, hatte ich das Gefühl, daß ich innerlich verbrennen müßte. Mir wurde klar, daß die verschiedenen Geister sich nicht vertrugen. Immerhin versuchte ich mit Christen in Berührung zu kommen und schloß mich daher einer charismatischen Bewegung an. Ich besuchte die Gottesdienste verschiedener Pfingstgemeinden. Das Milieu, die Atmosphäre dieser Gruppen sprach mich aber nicht an. Ich fühlte irgend etwas Unklares, das ich nicht beschreiben konnte. Ich zog daher einen Trennungsstrich, und in meiner Verzweiflung übergab ich mich nunmehr entschlossen dem Teufel.
Es kam eine Phase in meinem Leben, da ich den kommenden Antichristen verehrte und anbetete. Dabei beschlich mich das Gefühl, daß ich kein Mensch mehr sei, sondern ein Dämon. Mich überfiel dabei auch der Gedanke, daß ich die Sünde gegen den Heiligen Geist begangen hätte. Mir schien das Ende, der Abgrund sehr nahe. Kein Wunder, daß ich völlig enthemmt wurde. Kannibalische Gelüste, die sich manchmal bei Satanisten finden, kamen auch mich an. Nicht genug damit, ich fühlte mich von Judas besessen. Es war mir klar, daß auf diesem Weg nur das Gericht Gottes auf mich wartete. Und doch schrie irgend etwas in mir immer noch nach Hilfe.
Das ist der Grund, warum ich Sie anrief und Ihnen meinen Lebensbericht gab.“

Der Stil Margots ist klar. Ihr Erleben entspricht vielen ähnlichen Berichten, die ich in meiner Kartei habe. Für die Beurteilung dämonischer Vorgänge ist ein ungläubiger Psychiater nicht zuständig. Und eine dämonische Belastung liegt hier vor. Man wiederhole noch einmal die einzelnen Stationen ihrer Entwicklung: Rock’n Roll, sexuelle Perversion, Alkoholmißbrauch, Rauschgift, perverse und okkulte Bücher, Partys und Orgien, Pseudocharismatisches, Teufelsverschreibung, Kannibalismus, Besessenheit. Aus einem solchen Zustand der Vorhölle kann nur Jesus Christus befreien. Allerdings läßt sich eine so schwere Seelsorge nicht durch Telefongespräche zwischen USA und Deutschland übernehmen. Auch Briefe reichen nicht aus. Es sollte ein echtes seelsorgerliches Team in USA gefunden werden.

Jim
Mehrmals sprach ich bei meinen Vortragstouren in USA in dem von D. Moody gegründeten Bibelinstitut. In den vergangenen 90 Jahren seit seiner Gründung sind gewaltige Segensströme von diesem Werk ausgegangen. Einmal wurde ich von Dr. Dickason, dem Dekan der theologischen Fakultät, eingeladen. Außer Studenten waren auch einige Pastoren anwesend. Hinterher lud mich ein Pastor von Rock Islands ein, in seiner Kirche einige Vorträge zu halten. Ich fragte ihn:
„Was für eine Kirche haben Sie denn?“
Er antwortete:
„A church of the Assembly of God.“
Erstaunt fragte ich weiter:
„Ja, sind Sie denn mit dem einverstanden, was ich gesagt habe?“
„Ja, mit allen Einzelheiten.“
„Gut, dann komme ich.“
Da der deutsche Leser kaum weiß, daß die Assembly of God eine gemäßigte Richtung der Pfingstgemeinde darstellt, muß das hier erwähnt werden. Ich habe noch nie konfessionell, sondern biblisch gedacht. Es geht in jeder Gemeinde um die Christuspräsenz, die sich in der gläubigen Haltung des Hirten wie der Herde zeigt. Natürlich muß der Gesichtspunkt berücksichtigt werden, daß ein Evangelist in keine Gemeinde geht, in der Irrlehren verbreitet werden. Ich war deshalb auf allen Kontinenten bei meinen Zusagen vorsichtig. Immerhin habe ich etwa 20 Assemblies gefunden, die nüchtern waren und in ihrer Verkündigung biblischer als viele ihrer Kritiker.
So war es in Rock Islands. Ich fand eine aufgeschlossene Gemeinde mit einer erwecklichen Haltung vor. Es war sehr leicht, dort zu sprechen.
In dieser Kirche begegnete ich Jim. Er fiel mir dadurch auf, daß er nach einem Vortrag die meisten Fragen stellte und offen bekannte, daß er rauschgiftsüchtig gewesen war.
Die Befreiung Jims ist ein Triumph des Sieges Jesu über einen hartgebundenen Menschen.
Es sind einige Jahre her. Jim hatte sich in die Kirche von Rev. Edwards verirrt. Lange Haare fielen ihm auf die Schultern. Das Gesicht war verwüstet, die Augen waren glasig; die Kleidung war zerrissen und verdreckt. Die Besucher des Gottesdienstes rückten etwas zur Seite. Ein übler Geruch ging von diesem heruntergekommenen Menschen aus.
Rev. Edwards sprach über das Kreuz Jesu und seine Bedeutung für uns. Jim hörte teilnahmslos zu. Er war lässig nach hinten gelehnt. Im Verlauf der Predigt rückte er nach vorn. Schließlich lehnte er sich mit den Ellbogen auf die vordere Banklehne. Als Rev. Edwards eine Pause machte, rief Jim aus: »Er starb für uns, für uns. »
Nach dem Gottesdienst saßen Rev. Edwards und Jim zusammen. Zum Abendgottesdienst erschien Jim wieder. In einer anschließenden Aussprache entschied sich Jim für Jesus. Die Lösung von seiner Vergangenheit fiel ihm schwer. Rauschgift und Sex hatten ihn bisher beherrscht.
Regelmäßig kam nun Jim zu den Gottesdiensten. Die Haare waren nun kurz geschnitten. Das Gesicht hellte sich auf. Die Haut wurde glatt, und die Augen wurden ruhig. Er entwickelte sich zu einem hübschen jungen Mann.
Dann kam der Rückschlag. Jim wurde von Stimmen geplagt. Vorher, solange er der Sünde gedient hatte, war das nicht der Fall. Vielleicht war sein Nervensystem durch das Rauschgift geschwächt worden. Die Abgewöhnung von Gift bringt stets Reaktionen mit sich. Jim schenkte den Stimmen Gehör, und das wurde ihm zum Verhängnis.
„Wenn du an Gott glaubst, dann krieche über den Highway (Autobahn). Schaue weder nach rechts noch nach links. Gott wird dich bewahren.“
Jim tat das und kam heil über die große Verkehrsstraße. Das machte ihm Mut.
„Wenn du an Gott glaubst, dann setze dich in dein Auto. Die Hände nimm weg vom Steuer, schließe dann die Augen und gib Vollgas! Gott, dem du vertraust, wird dich bewahren.“
Jim tat es und zertrümmerte drei Autos. Es war ein Wunder, daß er unverletzt aus dem Trümmerhaufen hervorkriechen konnte.
Diese Erfahrung führte ihn wieder zum Gottesdienst.
Rev. Edwards nahm sich seiner an. Die erste Lektion, die Jim zu lernen hatte, war: Höre nicht auf die Stimmen! Sie führen dich ins Verderben!
Dann kam zwischen dem Seelsorger und dem jungen Mann eine lange, lange Unterredung.
„Jim, hast du Gott deine Sünden noch nicht gebeichtet?“
„Nein.“
„Willst du es jetzt tun?“
„Ja.«
„Dann knie nieder und beichte jetzt Gott.“
Jim tat es, bekam aber noch keinen Frieden.
„Hast du deine Sünden bereut?“
„Nein, es ging alles nur mechanisch.“
„Dann bleibe jetzt fünfzehn Minuten hier in diesem Raum. Gehe noch einmal alles durch, was dir Gott zeigt und bereue alles.“
Nach der angegebenen Zeit trat Rev. Edwards wieder in den Raum.
„Hast du jetzt Frieden?“
„Noch nicht richtig.“
Nun bat Rev. Edwards zwei Brüder um ihren Beistand. Sie beteten zusammen mit Jim unter Handauflegung. Bei diesem Gebet der drei Brüder lichtete es sich in der Seele Jims. Jim erklärte fröhlich:
„Ich bin durch! Ich bin frei! Ich habe Vergebung und Frieden.“
Nun ging es in Jims Leben aufwärts. Er bekam Mut, am Arbeitsplatz Jesus zu bezeugen. Jim war Kellner. Sein Christuszeugnis erregte Aufsehen, weil man eben das von Kellnern nicht erwartet.
Eines Tages rief ihn sein Chef: „Jim, du bist zu religiös für uns. Ich muß dich entlassen.“
Jim sitzt nun auf der Straße. Die Entlassung erfolgte erst vor kurzem. Bestimmt hat aber der Herr einen anderen Platz für ihn. Jim hat ja um seines Glaubens willen gehen müssen.
Ein letzter Angriff Satans sollte Jim noch verwirren. Eines Nachts wurde Jim von einer unheimlichen Macht geweckt. In seinem Zimmer lief ein Hund herum, obwohl Türen und Fenster verschlossen waren. Jim wußte sofort: Es ist eine böse Macht, die mich vom Glauben abwenden will.
Jim wagte es in dieser Situation zum ersten Mal, im Namen Jesu den finsteren Mächten zu gebieten. Der Herr gab Sieg. Der Hund und die finstere Macht verschwanden sofort.
Er hatte dabei die Lektion gelernt, daß man als befreiter Mensch die Waffenrüstung des Geistes (Eph. 6,10 18) nicht nur kennen, sondern auch gebrauchen muß, wenn man Sieg haben will.

Carlos
In der Einleitung zu den folgenden Beispielen will ich die Zeugen benennen. Mein Besuch in einem mexikanischen Gefängnis mit rund 700 Rauschgiftsüchtigen und Rauschgiftverbrechern wurde von dem amerikanischen Missionar Brown, der Missionarin Schwester Susi und vor allem der baltischen Missionarin Margarete Urban vermittelt.
Die Baltin kreuzte oft meinen Weg. Nicht nur in der Schweiz und in Deutschland kam es immer wieder zu Begegnungen. Unsere Spuren liefen oft in der gleichen Richtung. In Kalimpong, einer reizvoll gelegenen Stadt im Vorhimalaja, traf Schwester Urban den tibetischen König Gyalpo und schrieb nach dieser Begegnung die Broschüre „Jesus unter Tibetern“, die ich damals in meinem Verlag herausbrachte. Ein ähnliches Treffen mit Gyalpo wurde auch mir möglich, als ich unter den geflüchteten Tibetern das Evangelium verkündigen durfte. Als kleines Gastgeschenk gab mir der König eine rotseidene tibetische Bluse.
Nachdem ich dieser Missionarin von „echtem Schrot und Korn“ das kleine Denkmal gesetzt habe, hören wir nun Carlos’ Geschichte. Im Gefängnis in Tijuana traf ich ihn. Ich fragte ihn: „Warum sind Sie hier?“ Er antwortete offen: „Ich bekam Streit mit einem Dealer (Rauschgifthändler). Wir zogen beide das Messer. Ich war aber schneller und traf ihn in das Herz.“ Bei diesem Bericht griff er unter seine Jacke, zeigte, wo sein Messer steckte, und wie er es handhabte. Acht Jahre war das Gerichtsurteil. Wichtiger aber als seine Bluttat war mir sein Bericht, wie er Jesus gefunden hatte. Schwester Susi hatte mir nämlich erzählt, daß er Christ geworden war.
Neben all dem Dunklen und Unheimlichen in Carlos’ Leben gab es einen Lichtpunkt. Er hatte eine gläubige, betende Mutter. Das wird einmal in der Ewigkeit ein Staunen geben, wenn wir sehen, was betende Mütter und Großmütter im Reichgottes für eine Rolle gespielt haben.
Wie es meistens im Leben geschieht, sind die Kameradschaft, die Schule und die Umwelteinflüsse im Leben der jungen Menschen zunächst stärker. Zuletzt siegt dann ein anderer, der das Flehen der Mütter und Großmütter erhört. Mit 15 Jahren stand Carlos im Sog und im Sumpf der Sünde.
Vielleicht ist es eine Gebetserhörung besonderer Art, daß der junge Mann einen so schweren Unfall hatte, daß die Ärzte ihn aufgaben. Die Mutter wurde verständigt. Am Bett des Schwerverletzten fragte sie den Sohn: „Wenn Gott dir noch einmal eine Chance zum Leben schenkt, willst du ihm dann gehorchen?“ In seiner Todesnot und Leibesschwachheit antwortete der Tunichtgut: „Ja, ich will es tun.“
Die Mutter betete intensiv. Das Wunder geschah. Gott erhörte ihr Flehen und schenkte dem Schwerverletzten eine Wende zur Besserung. Carlos durfte genesen. Kaum waren die „Lebensgeister“ wieder wach geworden, da regten sich auch sofort die „Sündengeister“. Aus dem Spital entlassen, suchte er wieder die Lasterhöhlen auf. Alkohol, Rauschgift, sexuelle Verwilderung, Glücksspiel wurden zur stärkeren Gewohnheit als zuvor. Seiner Mutter ging er aus dem Weg. Er konnte ihren Blick und ihre inbrünstigen Gebete nicht ertragen.
Er fand in einem verrufenen Hotel Arbeit und konnte nun ungehemmt und ungehindert sich dem dolce vita und den Drogen hingeben. Er verdiente gut. Es gab reichliche Nebenverdienste, so konnte er sich den Stoff stets beschaffen.
Dann kam die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Rauschgifthändler, die mit der Ermordung seines Gegners endete und ihn für acht Jahre hinter Schloß und Riegel brachte. Wir hörten das bereits. Die Mutter besuchte ihn, so oft es ging. Sein Herz war aber härter als Stein. Zum anderen litt er darunter, daß er in den ersten Tagen im Gefängnis kein Rauschgift beschaffen konnte. Die gewaltsame Entziehung des Giftes quälte ihn furchtbar. Er meinte, wahnsinnig zu werden. Da half ihm ein Mitgefangener und tröstete ihn: „Keine unnötige Sorge, hier im Knast gibt es Rauschgift, sogar billiger als draußen. Die Wächter schmuggeln es herein und bessern damit ihre schlechte Besoldung auf.“ Großzügig gab ihm dieser Gefangene eine Dosis ab. Carlos spritzte Heroin und war damit an dieses Gift gebunden. Anfänglich war es ihm leicht, sich Nachschub zu beschaffen, weil seine Eltern und die Verwandten ihm genügend Geld brachten. Als die Angehörigen aber merkten, wofür er das Geld brauchte, hörte der Zustrom auf. Carlos verkaufte seine Kleider und was er an kleinen Habseligkeiten noch hatte. Danach begann wieder das große Elend. Der Jammer wuchs, als auch die eigene Frau und seine Tochter ihn aufgaben. Sie alle wollten mit einem Gefangenen des Heroins nichts zu tun haben.
Nur eine Ausnahme gab es in der ganzen Verwandtschaft. Eine ließ ihn nicht fallen. Das war seine Mutter, die weiter für ihn betete. Er war zu dieser Zeit aber unempfänglich für geistliches Geschehen.
Der starke Heroingenuß ruinierte seine Gesundheit. Er wurde in das Gefängnishospital eingeliefert. Da er sich dort kein Heroin beschaffen konnte, litt er furchtbare Qualen. Das peinigende Verlangen nach dem Rauschgift ließ in ihm den Entschluß reifen, mit dem Heroin Schluß zu machen. Ein guter Vorsatz, aber nicht durchführbar! Als er wieder im Gefängnis zurück war, holte er auf, was ihm im Spital versagt gewesen war. Die Heroinbindung wurde stärker als zuvor. Um sich das nötige Geld für den Stoff zu besorgen, bestahl er die eigenen Kameraden. Er wurde schließlich erwischt und kam in den Sonderarrest.
Wieder beschäftigte ihn da der Gedanke wie im Spital, von der Heroin Versklavung frei zu werden. Er bot alle Willenskraft auf, um die Sucht zu überwinden. Es war vergeblich. Die Bindung war stärker als der gute Wille. Diese Verknechtung machte ihn schließlich willig, die christlichen Versammlungen von Schwester Susi zu besuchen. Er ging sogar zu ihr in die Seelsorge, hatte aber keine Kraft, ihren Vorschlägen zu folgen.
Eines Tages, es war um die Weihnachtszeit, hockte Carlos müde und verzweifelt in einer Ecke. Er quälte sich mit Gedanken um seine Befreiung ab. Da hörte er aus der Ferne ein christliches Lied vom Blut Jesu. Ein Missionar, der das Gefängnis besucht hatte, sang es mit einigen Sträflingen, die frei geworden waren. Dieses Lied mit seiner innigen Melodie sprach ihn an und versetzte ihn im Geiste in seine Kindheit. Er dachte an seine Mutter, die ihn beten gelehrt hatte. Er erinnerte sich an das Bemühen Gottes, ihn auf den rechten Weg zu bringen. Wie oft hatte er das Locken und Ziehen des himmlischen Vaters gemerkt und war doch stets ausgewichen. Bei dieser Erinnerung packte ihn plötzlich eine furchtbare Angst. Er fiel auf seine Knie und betete um die Kraft, mit dem Rauschgift fertig zu werden.
In dieser Stunde begegnete ihm der Herr. In dem Augenblick, als er aus der Tiefe seines Herzens zum Herrn schrie, spürte er eine wunderbare Kraft. Der Hang zum Rauschgift war zerschlagen. Durch Gottes Gnade war er frei geworden. Er spürte nicht mehr das geringste Verlangen nach den Narkotika. An Stelle der bisherigen Bindungen war eine stärkere Kraft getreten: Jesus.
Carlos hatte noch den Rest seiner Strafe abzubüßen. Aber mitten im Gefängnis war er ein Freier geworden. Der Herr Jesus hatte ihm alle seine schrecklichen Sünden, auch den furchtbaren Mord, vergeben. Alle Ketten, mit denen er an die Finsternis gebunden gewesen war, waren gesprengt. Nach all seinen vergeblichen Anstrengungen war er durch den Mann vom Kreuz in einem Augenblick gelöst worden.
Seine Befreiung war echt. Er fing im Zuchthaus an, seinen Kameraden Jesus zu bezeugen und schloß sich natürlich sofort der Missionsgruppe von Schwester Susi an.
Ein Problem, das von Kritikern oft erwähnt wird, ist der Hinweis, daß Zuchthausbekehrungen nach der Freilassung nicht standhalten.
Schwester Susi gab mir die erfreuliche Information, daß Carlos sich nach seiner Freilassung als Christ bewährt hat. Ja, noch viel mehr. Der bekehrte Sträfling entwickelte sich als guter Evangelist. Er sammelte Männer, die er durch das Wort Gottes betreute. Es entstanden auf diese Weise in drei Städten evangelische Gruppen inmitten einer katholischen Umgebung. Er besuchte in den gleichen Städten auch die Gefängnisse. Es kamen dort Insassen zum Glauben an Jesus. Carlos konnte drei Gruppen von 20 bis 36 Männern sammeln, die er in Bibelkursen weiterführte. Schwester Susi gab ihm dazu die Vorbereitungshefte.
Dieses Erlebnis Carlos’ zeigt, daß aus einer Hochburg Satans, dem Milieu des Rauschgiftes, durch Jesus ein Zentrum des Evangeliums geworden war. Entscheidenden Anteil an dieser Wende haben die treuen und anhaltenden Gebete der Mutter.

Hektor
Hektor ist einer der geistlichen Söhne von Missionarin Susi. Sein Leben verlief in großen Tiefen. Schon mit 15 Jahren geriet er auf eine verbrecherische Bahn. Mit seinen Einbrüchen und Überfällen mußte er die Familie ernähren, weil sein Vater all sein Geld in Alkohol umsetzte und die Angehörigen darben ließ. Seine Schwester steuerte zum Unterhalt bei, was sie als Dirne verdiente.
In diesem Jammerleben gerieten beide Geschwister eines Tages wegen einer geringfügigen Sache in Streit. Die Schwester rächte sich und zeigte ihren Bruder mit der Begründung an, er habe die Mutter und sie geschlagen. Es war eine Unwahrheit. Da aber Mißhandlungen von Frauen in Mexiko strenger bestraft werden als anderswo, wurde Hektor verhaftet.
Im Gefängnis hörten die Mitgefangenen von seinem Anklagepunkt. Sie zogen ihm darauf die Kleider aus und schlugen ihn halbtot. In der Nacht zahlte Hektor jedem einzelnen zehnfach heim, was er tagsüber erlitten hatte. Die Wärter hielten ihn daraufhin für verrückt und meldeten es weiter. Der Erfolg war, daß ein Polizeiwagen kam, um Hektor in ein Irrenhaus zu bringen. Wegen einer Verkehrsstockung mußte der Wagen an einer Stelle halten. Hektor brach aus. Die Flucht gelang. Er entkam nach den Vereinigten Staaten. Nach einer Serie von Untaten wagte Hektor sich nach zwei Jahren in die Heimat zurück.
Die Polizei hatte seinen Namen aber auf der Fahndungsliste. Er wurde wieder verhaftet und sollte abermals in eine Nervenheilanstalt verbracht werden. Nun aber setzte sich seine Mutter für ihn ein. Sie erklärte vor der Polizei, daß die Anzeige der Schwester nicht berechtigt gewesen war. Damit wurde der Verhaftete auf freien Fuß gesetzt. Gottes Hand suchte ihn. Bei einer Fahrt auf einem Lastwagen hatte er einen Unfall und brach sich ein Bein.
Der Krankenhausaufenthalt wurde zu einer Verschlimmerung seines Zustandes. Ein Pfleger verlockte ihn dazu, Morphium zu spritzen. Ein Elendsleben war die Folge. Nach seiner Entlassung aus dem Spital verschaffte er sich durch Einbrüche das nötige Geld für Morphium. Eine Anzeige brachte ihn wieder ins Gefängnis.
In der neuen Umgebung stand er in Opposition zu den Wärtern. Die Folge war, daß sie ihn eines Tages mit einem Baseballschläger halbtot schlugen. Sogar seine Lunge war verletzt, so daß sich eine Tuberkulose entwickelte. Das war die Zeit, da Gott ihn besonders suchte.
Schwester Susi kam regelmäßig in das Gefängnis. Sechs Jahre lang hörte Hektor ihre Evangeliumsbotschaften, ohne daß sein Gewissen davon erreicht worden wäre. Er brachte es sogar fertig, Schwester Susl zu bestehlen. Obwohl sie es merkte, blieb sie gleichmäßig freundlich zu ihm.
Das liebevolle Verhalten dieser Zuchthausmissionarin sprach zu dem Verbrecher mehr als ihre Botschaften. Das Eis seines Herzens begann darüber zu schmelzen. Es kam die Zeit, da er Susis Bibelstunden nicht der Gaben wegen, sondern des Wortes Gottes Willen besuchte. Die Stunde blieb nicht aus, da Hektor sich als Sünder erkannte und Buße tat.
Seine Bekehrung war so gründlich, daß gleichzeitig mit ihr die Gier nach dem Rauschgift verschwand.
“Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.“ Seine Lungenerkrankung bekümmerte ihn von da an nicht mehr. Er empfand eine große Bereitschaft, abgerufen zu werden und zu dem zu gehen, der ihn von seiner Vergangenheit und seinen Sünden befreit hatte.
Es kam aber anders. Nachdem Hektor mit Gott und mit sich ins Reine gekommen war, rührte der Herr ihn an. Seine Tuberkulose wurde völlig geheilt. So hat sich Jesus an diesem ehemaligen Sklaven des Rauschgiftes nach innen und außen verherrlicht.

Hernandez Torres
Ein geistlicher Sohn der Mission „Christus für Mexiko“ ist Hernandez. Vor seiner Bekehrung war sein Leben eine Geschichte der Sünde und Verbrechen. Als er in meinen Gesichtskreis trat, war er 32 Jahre alt. 17 Jahre aber waren überschattet von der Rauschgiftsucht und den automatisch damit verbundenen Verbrechen. Wer im Monat etwa 10000 Mark für Rauschgift verbraucht, kann diese Summen nicht durch ehrliche Arbeit verdienen.
Seine „glanzvolle Karriere“ als Langfinger begann mit 13 Jahren. Im vierzehnten Lebensjahr managte er bereits „dicke Dinger“. Er stahl ein Auto und übte sich in Einbrüchen. Das brachte ihn in eine staatliche Erziehungsanstalt. Nach zwei Jahren entlassen, ging es nach der alten Manier weiter. Wieder Einbrüche, Raub und Diebstahl eines Wagens! Dieses Mal gab es drei Jahre, die er bis 1949 absaß.
Danach wechselte er in die berüchtigte Verbrechermetropole Chicago über, um dort in der Unterwelt die restliche Perfektion zu erlernen. Nach kur¬zer Zeit stand er wieder vordem Kadi. Beabsichtigter Mord, Raub und Rauschgifthandel waren die Anklagepunkte. Der Ernst der Anklage wurde ihm klar, als man ihn im Spital dem Mann gegenüberstellte, den er niedergestochen hatte. Der Verletzte deutete mit dem Finger auf ihn und erklärte: „Ja, das ist er, der mich verletzt hat.“ Zum ersten Mal betete der Übeltäter, weil er wußte, daß der elektrische Stuhl auf ihn wartete, wenn der Verletzte sterben würde. Der Überfallene genas aber und wurde dann bei der Gerichtsverhandlung als Zeuge vorgeladen. Nun erfolgte etwas, was in der Verbrecherwelt der Mafia und der Unterwelt Chicagos oft vorkommt Aus Angst vor den Verbrechern ziehen die Opfer ihre Anklage zurück oder erklären, sie nicht zu erkennen. So war es bei Hernandez. Der Kronzeuge gab plötzlich an, er würde den Täter nicht erkennen. So ließ das Gericht die Anklage auf Körperverletzung mit verbundener Mordabsicht fallen. Er wurde nur wegen Rauschgifthandel zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Die Ketten der Verbrechen riß nicht mehr ab. Es ist ein langes Sündenregister: Besitz und Vertrieb von Falschgeld, Handel mit Heroln. Er war nun so weit, daß er pro Monat 12000 Mark für das Rauschgift brauchte. Sein Leben außerhalb der Gefängnismauern war stets sehr kurzfristig. Die meiste Zeit saß er hinter Schloß und Riegel. Er hatte alle Hoffnung aufgegeben, jemals von dem teuflischen Gift loszukommen. Dazu kamen noch andere Enttäuschungen. Sein zwel)’ähriges Kind, das er sehr liebte, starb. Seine Frau verließ ihn. Und er saß mit Ketten der Finsternis gebunden hinter Kerkermauern.
Da kam die Wende. Er hatte niemand in seinem Bekanntenkreis, der für ihn betete. Kann aber Gott nicht voraussetzungslos einen Sünder retten? Ein Missionar kam ins Zuchthaus, um das Evangelium zu bringen. Nun lassen wir aber Hernandez selber erzählen:
„Dankbar blicke ich auf jenen Tag zurück, an dem ich elend, müde, einsam und verloren, ohne Hoffnung und ohne Gott im Hof herumlief. An diesem Tag besuchte ein Gottesmann von der ‘Christus für Mexiko Mission’ unser Gefängnis. Er war das erste Mal gekommen und konnte kein Spanisch.
Man wählte mich aus, um die Botschaft dieses Mannes zu übersetzen. An diesem Tag zündete Gottes Wort ein Licht der Hoffnung in meinem Inneren an. Die Hellsbotschaft wurde mit solch ungewöhnlicher Macht verkündigt, daß mir jedes Wort offenbarte, was für ein großer Sünder ich war. Sie zeigte mir auch einen Christus, den ich nicht kannte. Er war am Kreuz auf Golgatha gestorben, damit Burschen wie ich die Möglichkeit zu leben hätten. Tief drang das Wort in mein Herz: ‘Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr’ (Matth. 5,3). Ich merkte, daß Gott nahe war, bereit, dem Herzen Kraft zu geben, wenn ich ihn nur anrufen wollte.
Die Botschaft dieses Bruders hinterließ einen tiefen Eindruck in mir. Der Same des Evangeliums war in mein Herz gesät worden, und bald danach konnte ich mit dem Propheten Jeremia sagen: ‘Dein Wort ward meine Speise, da ich’s empfing; und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost’ (Jeremia 15,16). Das Wort Gottes hat ausgerichtet, was Kerker und Gefängnisse, meine Frau und mein Kind, auch Vater und Mutter nicht vermochten. Das Blut Jesu Christi vollbrachte es auf wunderbare Weise und in sehr kurzer Zeit, daß ich frei wurde. Jesus hat alle meine Sünden abgewaschen und alle meine Übertretungen vergessen. Er tat es für mich, als er am Kreuze starb. Nun bin ich wiedergeboren. Alles, was ich zu tun hatte, war, Jesus anzurufen und sein Opfer am Kreuz, als für mich gebracht, anzunehmen. Ewig will ich dem Herrn dafür danken. Das Marihuana, die Heroinspritzen, die Pillen, alles liegt hinter mir. Ich bin frei von dieser todbringenden Gebundenheit, wahrhaftig frei, weil mein Herr Jesus Christus dieses Werk vollbracht hat.
Wenn ich in diesem Gefängnis bleiben muß, soll mein Aufenthalt nur der Erbauung des Tempels Gottes dienen, damit ich fähig werde, dem Herrn zu dienen, so gut ich es vermag. Ich habe ihm versprochen, mein ganzes Leben ihm zu weihen.
Möge mein Zeugnis nicht nur als Warnung dienen, sondern auch von Gott benutzt werden können, andere Menschen zu segnen.«

Die Rauschgiftpalette
Unter einer Palette versteht der Maler ein Mischbrett für Farben. Beim Güterverkehr ist es ein Holzgestell, auf dem die Waren aufgeladen sind. In der Rauschgiftszene ist es ein Universalschlüssel zu allen Lastern und Belastungen.
Rauschgift führt zu Diebstählen und Einbrüchen, denn der tägliche „Stoff” muß besorgt werden. Ich ließ mir sagen, daß manche Süchtige täglich bis zu DM 1000 für Heroin benötigen.
Rauschgift führt viele Mädchen zum Dirnentum, weil das ein Weg ist, um genügend Geld zu verdienen. Der Rauschgiftsüchtige treibt sich in Lokalen dämonisch inspirierter Musik herum, weil diese Atmosphäre ihrer Mentalität und Gebundenheit entspricht.
Rauschgift weckt das Interesse für Magie und Spiritismus, weil darin die gleichen Geister am Werk sind.
Von der Rauschgiftsucht ist nur ein kleiner Sprung zum Satanismus. Viele Suchtgebundene haben sich einer Satanskirche oder einer Satansgruppe angeschlossen. So ist es vorwiegend in USA und in afrikanischen Ländern, aber vereinzelt auch in Europa. Über solche Satansgruppen habe ich schon ausführlich in anderen Büchern berichtet. Es soll nicht wiederholt werden. Eine der ausgeprägtesten Formen des Satanismus ist der Kannibalismus, nicht bei den Bewohnern Neuguineas, sondern in USA und in afrikanischen Ländern.
Rauschgift schafft ein Offensein der Seele für östliche Kulte und überhaupt für alle extremen Bewegungen, in denen es um die Aufpeltschung der Gemütskräfte geht.
Rauschgift kann auch der Ausgangspunkt für ein seelisch geprägtes Christsein sein. Eine der vier oder fünf Richtungen der Jesus People liegt auf dieser Linie. (Bitte beachten, daß es auch echte Bekehrungen bei den Jesus People gab.)
Rauschgiftsüchtige schließen sich mitunter auch charismatischen Bewegungen an. Ich begegnete dem Schüler einer Bibelschule der Pfingstgemeinde, der mir berichtete, daß er im Drogentaumel zu beten anfing und sogar eine Gebetsgruppe unter Drogensüchtigen gründete, die beim Abklingen der Drogenwirkung sich zum Gebet vereinigte. Das ist immerhin besser, als sich Sexorgien hinzugeben. Aber echte Bekehrungen sind das nicht. Petrus sagt dazu: „Seid nüchtern!“ Paulus gebraucht noch ein klareres Wort (2. Tim. 2,6): 59… daß sie wieder nüchtern würden aus des Teufels Strick.“ Das ist die biblische Diagnose für die Süchtigen, die unter Drogenwirkung fromme Stunden halten: nüchtern werden aus des Teufels Strick! Es gibt also bei den Rauschgiftsüchtigen eine Pseudobekehrung, eine Satansbekehrung. Die Süchtigen geraten in Stimmung, so daß sie die ganze Welt umarmen könnten, selbst ihre schlimmsten Feinde. Satan kennt sich bestens auf der gesamten Klaviatur unserer Seele aus. Er versteht es, jedes Register meisterhaft zu bedienen.
Es gibt bei den Rauschgiftsüchtigen auch satanische Gegengaben zu den Gaben des Heiligen Geistes. Es gibt unter medialem Vorzeichen: Pseudoheilungen, Pseudowunder, Pseudoweissagungen, Pseudozungen, Pseudoprophetien, Pseudokräfte, die alle religiös unterbaut sind und deshalb nicht in ihrem wahren Charakter erkannt werden. Religiös unterbaute Medialität ist ein gefährliches Kapitel. Viele Gläubige schwelgen, waten und schwimmen in diesem religiösen Sumpf und halten diese Wirkungen für Geistesgaben.
Es darf nicht vergessen werden, daß das Rauschgift die körperlichen und geistigen Kräfte ruiniert und ein Heer von Frührentnern produziert.
Nun erhebt sich die Frage: Was haben diese Feststellungen in einem Buch über Besessenheit und Exorzismus zu tun? Schon oft fragte man mich: „Sind Rauschgiftsüchtige besessen?“ Ich habe stets mit Nein geantwortet, aber mit einer Einschränkung. Alle Süchte sind eine offene Tür für das Eindringen dämonischer Mächte. Und in einer speziellen Situation ist das besonders der Fall.
Wenn Rauschgiftsüchtige nicht mehr das erforderliche Geld für ihr Gift zusammenbringen, leben sie in einer konstanten Verzweiflung. In dieser Stimmungslage machen manche eine Blutsverschreibung an den Teufel. Damit haben sie aber die Schwelle zur Besessenheit überschritten. Blutsverschriebene sind besessen, sind eine Beute Satans. Der Teufel hat das totale Besitzrecht erlangt.
Wenn man die ganze Palette der Möglichkeiten überblickt, muß man doch zu der Überzeugung kommen, daß der Teufel ein perfekter Farbenmischer in den Auswirkungen der Rauschgiftsucht ist. Er kann schillernde Visionen bei den Trips vortäuschen, er kann das Selbstbewußtsein stärken, er kann für einige Stunden Frieden und Seligkeit schenken, um hinterher mit einem unendlichen Katzenjammer aufzuwarten. Am schlimmsten aber ist der seelische Zustand der Blutsverschriebenen. Ich bin immer in Sorge und Spannung, wenn ich solche Menschen in die Seelsorge bekomme. Bei ihrer geistlichen Betreuung gibt es genau die gleichen Reaktionen wie bei Besessenen. Das ist der Grund, warum ich die Kapitel über das Rauschgift in dieses Buch aufnahm.

Musikalisches Rauschgift
Zur Palette der Rauschgiftszenerie gehört die Rock Musik. Sie ist das Bindeglied zwischen Satanismus und Rauschgiftsucht. Der Beweis ist nicht schwer. Zum ersten halten sich Satanisten und Drogensüchtige gern in den Lokalen dieser Musik auf. Zum anderen haben die Texte der Rock Musik starke Beziehungen zu Satan. Hören wir einmal einige bekannte Hits. Ihre Anfänge lauten:
Wir fallen in einen Ring von Feuer
Wir machen einen Pakt mit dem Teufel
Die schwarze Schlange lebt in der dunklen Höhle
1968 verlor ich meine Seele
Rufe mich an, ich werde deinen Wunsch erfüllen
Wir praktizieren Zauberei und verkaufen unsere Seele
Jesus wird uns quälen, wenn seine Zeit da ist
Die Christenheit wird im Dunkel enden
Wir arbeiten für eine Welt, in der es keine Religion gibt
Wir sind unsere eigenen Retter
Hexen im Wald
Wir kommen von unten
Der Himmel ist ein Ort, wo niemand hingehen will.

Diese Musik hat eine ganze Generation von Teenagern zur Rauschgiftsucht, Sexmißbrauch und Satanskulten verführt.
Eine Charakteristik dieser Musik ist die Aufnahme und Verwertung biblischer Elemente und deren Verdrehung ins Gegenteil.
Die Rock Musik zeigt wie keine andere die Inspiration von unten im Gegensatz einer göttlich inspirierten Musik, etwa eines Johann S. Bach.
Rock Musik hat die dämonische Tendenz, alles Gute zu zerstören und den Menschen nach unten zu ziehen.

Wir stehen hier in diesem Teil „Exorzismus“ bei der Frage der Befreiung, darum bringe ich ein außerordentliches Beispiel.
Vor einigen Jahren wurden in den Staaten Massachusetts, Maine und New Hampshire (USA) in vielen Kirchen Vortragswochen durchgeführt. Ich war einer der Redner. In 23 Kirchen hatte ich zu sprechen. Bei dieser Tour kreuzte Bob Larsen meinen Weg. Er war einer der jüngsten und zugleich einer der Begehrtesten. Sein Thema war: Von der Rock-Musik zu Christus.

Dieses Thema entsprach seinem eigenen Erleben. Mit dreizehn Jahren hatte Bob bereits seine eigene Kapelle gehabt. Er wurde zu einem jugendlichen Star der Rock Musiker. Die Radiostationen, die Rock-Musik senden, luden ihn laufend ein. Gunst und Geld flossen dem gefeierten jungen Musiker zu.
Da gab es einen plötzlichen Stopp. An einem musikfreien Abend, was ohnehin sehr selten war, wußte der junge Mann nichts mit seiner Zeit anzufangen.
Eine wehmütige Stimmung, eine Art moralischer Katzenlammer kam über ihn. In dieser Einsamkeit zog es den Unbefriedigten in eine kleine Kirche.
Ein Psychologe würde sagen: typische Pubertätsstimmung, die fast jeder einmal durchmacht.
Es war mehr. Bob hat gläubige Eltern, die viel für den „verlorenen“ Sohn beteten.
Während des Gottesdienstes griff der Heilige Geist nach diesem jungen Menschen. Der ganze Jammer seines jungen Lebens stand ihm vor Augen. Schuld, Sünde, Unfrieden bedrängten ihn.
In dieser Stunde übergab er sein Leben Jesus. Er traf radikale Entscheidungen. Seine Kapelle löste er auf. Das Instrument seiner Erfolge, die elektrische Gitarre, bekam einen Ruheplatz. Er mochte dieses Instrument nicht einmal zu geistlichen Liedern verwenden. Es kam ihm stilwidrig vor. Er wollte zunächst einmal Abstand gewinnen.
Bob fragte im Gebet den Herrn: „Was soll ich nun tun?“ Sein Weg wurde klar. Die nächste Station war ein Bibelstudium. Damit kristallisierte sich sein nächster Auftrag heraus. Er wurde Zeuge jesu, Verkündiger des Evangeliums.
Da er von der Rock Musik her den Weg zu Jesus gefunden hatte, spürte er einen Auftrag an den jugendlichen Rock Fans. Die Radiostationen standen ihm immer noch offen, und er nutzte die offenen Türen. Über das ganze Land hinweg sprach Bob Larsen an allen Stationen über seine Wende von der Rock Musik zu Jesus.
Er machte dabei eine hochinteressante Entdeckung, die geradezu ein Symptom unserer Zeit ist.
Sprach Bob Larsen in Kirchen, da wurde er angegriffen. Man sagte ihm: „Du übertreibst. Man kann Rock Musik auch für das Evangelium einsetzen.“
Bob Larsen erklärte: „Nein, diese Musik hat einen Geist, der aus trüben und dunklen Quellen kommt. Sie läßt sich nicht reinigen und für den Heiligen Geist verwerten.“
Sprach Bob Larsen zu den Rock Fans, dann fand er Zustimmung. Sie sagten ihm: „Du bist auf der richtigen Linie. Fahre so fort. Wir alle spüren etwas von der Dämonie dieser Musik.“
Durch die Tat Gottes hatte Bob den Ausweg und die Befreiung aus dem Hexenkessel der Rock Musik gefunden und ist damit zu einem Zeugnis für alle geworden, die von diesem Rauschgift satanischer Musik benebelt sind.

6. Blutsverschreibungen
Diese dämonischste aller Satanswelhen ist in diesem Buch mehrfach erwähnt worden. Weil heute in der Jugend ein Trend zu extremen Reizen vorherrscht, muß dieses Gebiet noch einmal beleuchtet werden. Die jungen Menschen der zivilisierten Welt sind so übersättigt, daß sie, wie die Römer sagten, cupidi rerum novarum sunt = Ausschau nach immer neuem Nervenkitzel halten.
Ich erinnere mich an einen Studenten der Medizin, der etwas von Blutsverschreibungen hörte und sich dabei vornahm, das einmal auszuprobieren. Er tat es und bekam Störungen aller Art. Nachts sah er ein schwarzes Untier auf sich zukommen. Lebensunlust und Depressionen stellten sich ein. Das führte ihn zu mir in die Seelsorge. Darum soll an dieser Stelle eine starke Warnung vor solchen Experimenten ausgesprochen werden. Wer Warnungen in den Wind schlägt, hat die Folgen selbst zu verantworten. . . .

Mit diesem Beispiel will ich eine ausdrückliche Warnung unterstreichen. Blutsverschreibungen sind kein amüsanter Zeitvertreib, sondern ein verhängnisvolles Spiel mit dem Feuer der Hölle.
Da die Rationalisten sich stets über Dinge lustig machen, von denen sie mit ihrer blockierten Vernunft keine Ahnung haben, will ich bei den folgenden Beispielen die Gewährsleute angeben, soweit es die Seelsorge zuläßt. Es werden zuerst Erlebnisse mit negativem Ausgang berichtet, danach solche Erfahrungen, die mit einer Befreiung endeten.

Charakter der Blutspakte
Die erste Geschichte verdanke ich meinem Freund Werner Ambühl, der zusammen mit Pfarrer Schwyn die Telefonseelsorge in der Schweiz gegründet hat.
Es war in St. Gallen. Ein Zahnarzt läutete Ambühl an und fragte nach dem Sinn und der Methode der Telefonseelsorge. Der Arzt begnügte sich nicht mit der Auskunft und sprach daher einmal persönlich im Büro Ambühls vor. Bei dem Gespräch merkten Ambühl und sein Mitarbeiter, daß von dem Besucher eine dunkle Ausstrahlung ausging. Nach der Unterhaltung mußten sich die beiden Seelsorger im Gebet vereinigen und sich von allen Einflüssen dieses unheimlichen Arztes durch Christus reinwaschen lassen.
Am anderen Morgen rief der Zahnarzt an und fragte, ob die Männer der Telefonseelsorge am Abend zuvor nichts gespürt hätten. Sie verneinten. Diese merkwürdigen Anfragen wiederholten sich an mehreren Tagen. Das seltsame Gebahren des Arztes trieb die Brüder von der Telefonseelsorge ins Gebet.
Dann endlich lichtete sich der Schleier. Der unheimliche Arzt rief wieder an und erklärte, er habe sich während seines Studiums in Frankreich mit seinem Blut dem Teufel verschrieben. Er müsse seither die Befehle des Teufels ausführen. jetzt sei seine Aufgabe, die Arbeit der Telefonseelsorge zu stören und Ambühl und seinen Mitarbeiter durch schwarze Magie zu töten. Aber alles, was er inszeniert habe, sei auf ihn zurückgefallen. Es ging eine Macht von den Leuten der Telefonseelsorge aus, der er nicht gewachsen sei. Er müsse daher die Konsequenzen tragen.
Am nächsten Tag rief die Kantonspolizei an, der Zahnarzt habe sich erschossen. Neben ihm lag ein Zauberbuch, das die Polizei Ambühl überlassen wollte. Mein Freund nahm das Buch aber nicht an.
Dieses einwandfrei bezeugte Beispiel zeigt, daß Gott seine Kinder bewahrt und beschützt, wenn sie ihm treu dienen.

Der Irrsinn der Blutsverschreibungen wird an den beiden folgenden Beispielen deutlich. Bei einer Vortragsreihe kam ein Mann aus Düsseldorf in meine Seelsorge. Er hatte sich vor Jahren mit seinem Blut dem Teufel verschrieben und dabei folgende Abmachung getroffen: „Du gibst mir 20 Jahre ein Leben in Saus und Braus mit allen Annehmlichkeiten, und dann erhältst du meine Seele dafür.“
Diese Bedingungen wurden zunächst erfüllt. Der Mann konnte ein flottes Leben führen. Bei einer Evangelisation wachte er aber auf und erkannte die Furchtbarkeit seines Paktes. Er kam zu mir und fragte, wie er das rückgängig machen könne. Die seelsorgerliche Erfahrung zeigt stets, daß der Teufel sofort seine Besitzrechte geltend macht, wenn eines seiner Opfer ausscheren will. So war es auch bei diesem unglücklichen Gesprächspartner. „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“, hieß es auch hier. Es setzten schreckliche Kämpfe ein. Der Mann wurde homosexuell, was er vorher nicht gewesen war. Sein Seelenleben war ein einziges Chaos. Nachts keinen Schlaf. Mächte der Finsternis drangen auf ihn ein. Den Ausgang dieses Kampfes kenne ich nicht, da ich ja nach Beendigung der Vortragsreihe die Stadt verließ.
Eine sehr häufige Erfahrung ist, daß der Teufel nach einer Blutsverschreibung seine Opfer mit okkulten Fähigkeiten, den satanischen Gnadengaben, ausstattet. Im Kurzstil folgendes Beispiel. In einem Bauerndorf starben vielen Bauern auf unerklärliche Weise die Schweine. Der Tierarzt konnte sich das nicht erklären. Die Giftproben ergaben keinen Befund. Eine Seuche war nicht nachzuweisen. Eines Tages gab es Licht in dieser mysteriösen Affaire. Eine Frau wurde sterbenskrank. Da bekannte sie, daß sie durch eine Blutsverschreibung die Kraft erhalten hätte, durch Magie Tiere zu töten. Im Auftrag Satans müßte sie jede Woche zwei Schweine töten. Die Frau starb, und das Schweinesterben hörte schlagartig auf.

Die negative Reihe wird mit zwei Beispielen abgeschlossen, für die ausgezeichnete Zeugen vorhanden sind. Eine Frau, die ich kennenlernte, ist die Tochter einer Besprecherin, die in früher Jugend ihr Kind besprochen hatte. Während des Krieges war die Tochter Schwester, die sich mit einem Offizier anfreundete. Beide kamen auf die absurde Idee, sich mit ihrem Blut dem Teufel zu verschreiben. Bei Kriegsende verübte der Freund Selbstmord. Seit dieser Zeit plagte sich die Schwester mit den gleichen Gedanken. Sie wurde auch innerlich getrieben, andere Menschen zur Blutsverschreibung zu veranlassen. So gab sie öfter von ihrem eigenen Blut ab mit der Aufforderung, sich damit dem Teufel zu verschreiben. Die Schwester fiel seit dem Tod ihres Freundes häufig in Trance. In diesem Zustand meldete sich der verstorbene Freund, der ihr drohte: „Ich bringe dich so weit, daß du zu mir kommst.“ In der Trance meldete sich auch die verstorbene Mutter, die zu Lebzeiten Zauberei getrieben hatte. Ferner wurde sie von Dämonen heimgesucht. Einmal sagte ein solcher Geist: „Sie hat sich einen Strick gekauft. Morgen will sie sich damit aufhängen.“ Wenn die Schwester aus der Trance erwachte, wußte sie nie, was sich inzwischen ereignet hatte. So war sie erstaunt, daß der Seelsorger sie nach dem Strick fragte, den sie dann herausgab. Die Angaben hatten gestimmt.
Die blutsverschriebene, besessene Schwester suchte den Psychiater Dr. Lechler auf, der sie nicht wegen einer Geisteskrankheit behandelte, sondern als gläubiger Christ die Besessenheit erkannte. Es wurde ein Gebetskreis gebildet, zu dem eine Mitarbeiterin der SMD gehörte, ferner ein bekannter Naturwissenschaftler, Professor Dr. Rohrbach, der ein weithin bekannter, vollmächtiger Seelsorger ist. Dieser Gebetskreis betete ein Jahr für diese blutsverschriebene Schwester, ohne daß sie frei wurde. Einmal holten sie mich zu einer solchen Gebetsstunde hinzu. Als wir zu beten anfingen, tobte die Schwester, krümmte sich vor seelischen Schmerzen, schrie und wälzte sich. Dabei wurde eine Männerstimme aus ihr gehört: „Die gehört mir. Die muß dahin kommen, wo ich bin.“
Das ist eines der deutlichsten Beispiele dafür, daß Blutsverschreibungen zu Besessenheit führen, vor allem dann, wenn sonst noch Zaubereisünden vorliegen.

Eine junge Frau führte eine Blutsverschreibung an den Teufel durch. Sie verpflichtete sich auf sechs Jahre, dem Teufel mit allen Gaben und Kräften ihres Lebens zu dienen. Nach diesem Teufelsbündnis entwickelte diese Frau ungeheure magische Kräfte, die durch ihre spiritistische Betätigung verstärkt wurden. Wir haben hier also eine Blutsverschreibung, kombiniert mit Spiritismus und Magie.
Eine der Gaben Satans war die Hellsichtigkeit. Sie konnte eines Tages ihrem Mann, der arbeitslos war, sagen: „Du bekommst in den nächsten Tagen drei Stellenangebote.“ Es traf ein. Eine weitere Belohnung Satans bestand in der Fähigkeit der Exkursion der Seele und des Astralwanderns. Sie konnte in Trance fallen. Wenn sie dann nach einer Stunde wieder zum Bewußtsein gekommen war, berichtete sie von ihren Reisen zu anderen Planeten. Ob die Seelenreise zu den Planeten stattgefunden hat, ist nicht nachweisbar. . . .
Ein weiteres Satansgeschenk war die Dienstbarkeit von Schutzgeistern. Die blutsverschriebene Spiritistin bekam die Fähigkeit, Schutzgeister zu rufen und sich von ihnen beraten oder helfen zu lassen. Sie konnte mit ihnen reden, als ob sie leibhaftig gegenwärtig wären. An ihrem Geburtstag oder bei anderen Familienfesten fielen manchmal auf unerklärliche Weise drei Rosen in ihr Zimmer. Die Stiele waren nicht abgeschnitten, sondern abgebrannt. Das sind übrigens Apporte, die mir seit Jahrzehnten in der Seelsorge berichtet worden sind. Das ist sogar in einem badischen Pfarrhaus passiert, in dem ich einmal gewohnt habe. Einer der Pfarrer, der früher in diesem Pfarrhaus gelebt hatte, war ein aktiver Spiritist. Sein Nachfolger war ein gläubiger Pfarrer, der in diesem Haus seltsame Dinge erlebte. Er hat es mir persönlich erzählt.
Diese blutsverschriebene Spiritistin entfaltete Kräfte, die wir auch von dem Erzspiritisten Daniel Home kennen. Sie konnte Gegenstände dematerialisieren und in einem anderen Raum rematerialisieren. Es sei kurz erklärt. Eine Blumenvase konnte in einem total verschlossenen Raum unsichtbar werden, verschwinden und in einem anderen Raum plötzlich auf einem Tisch stehen. Das ist weder ein Trick noch ein Betrug. Daniel Home konnte nie eines Betruges überführt werden. Auf dem magischen Sektor konnte diese blutsverschriebene Frau auf übernatürliche Weise Menschen plagen und quälen. Nach Ablauf der sechs Jahre, die durch die Blutsunterschrift vertragsgemäß fest ausgemacht war, starb die Frau ganz plötzlich unter schrecklichen Umständen. Wer sie näher kannte, sagte ganz einfach: „Der Teufel hat sie geholt.“

Am Ende der Sieg
Die Erlebnisse mit Rauschgiftsüchtigen und Blutsverschriebenen stehen hier in Teil VIII, der über den Exorzismus Auskunft gibt. Die Befreiungsbeispiele müssen daher den Vorrang haben. Hören wir einige davon.
Bei einer Vortragsreihe in einer europäischen Großstadt brachte eine kirchliche Mitarbeiterin einen jungen Mann in meine Seelsorge. Im Gespräch gab der Hilfesuchende an, er habe sich mit seinem Blut dem Teufel verschrieben, wolle aber unter allen Umständen aus der Sklaverei Satans frei werden. Er beichtete und zeigte seine Bereitschaft, sich Christus anzuvertrauen.
Mir entfiel bei dieser Seelsorge der Mut. Ehrlich gesagt, ich hatte nicht den Glauben, daß dieser junge, geknechtete Mensch loskäme.
Ich zeigte ihm den Weg, wie man frei wird und benützte dabei die Hauptpunkte, die in meinem Buch „Okkultes ABC“ auf den letzten 90 Seiten angegeben sind. Ich betete mit ihm auch ein Lossagegebet. Ich wagte aber nicht, ihn im Namen Jesu loszusprechen, weil mir dazu der Glaube fehlte. Dann entließ ich ihn, betete aber für ihn in der kommenden Zeit.
Einige Monate danach traf ich wieder die kirchliche Mitarbeiterin. Sie berichtete mir, daß der junge Mann frei geworden war und seither Christus vor anderen bekenne.
Ich war beschämt, überrascht und erfreut zugleich. Hier hatte Jesus trotz meines Unglaubens geholfen.

In dem gleichen Land lernte ich ein Mädchen kennen, dessen Geschichte ich hörte und hinterher aufzeichnete. Sie hatte eine Vergangenheit, in der alles zu finden war, was bei der „Rauschgiftpalette“ erwähnt worden ist. Rauschgift, Sex, Diebstahl, Blutsverschreibung an den Teufel, Rock Musik, orientalische Kulte und anderes. Eine ruinierte Jugend! Es ist eine unbegreifliche Treue und Liebe des Herrn, daß er solche Wracks von Menschen nicht aufgibt.
Mir ist in diesem Zusammenhang eine moderne Übersetzung des Wortes Hebr. 13,5 so groß geworden. Es heißt dort: „Ich will dich nicht aufgeben und dich nicht im Stich lassen.“ Wir Menschen neigen so leicht dazu, andere abzuschreiben, aufzugeben , im Stich zu lassen. Es ist aber einer da, der die 99 Schafe zurückläßt und dem einzelnen verlorenen nachgeht. So ist es auch hier geschehen. Das Mädchen kam mit einem Seelsorger in Berührung, der ihr den Weg der Befreiung zeigte. Es gab furchtbare Kämpfe, Rückfälle und wieder einen neuen Anfang. Aber der Endsieg gehörte und gehört Jesus Christus, der das junge Leben in seine Hand nahm und es zu einem Zeugnis für andere seither gebraucht.

Eine Kombination von Blutsverschreibung und Spiritismus zeigt ein weiteres Beispiel, das mir ein gläubiger Pfarrer übergeben hat. Pfarrer Klingbeil von Braunfels berichtete mir von einem blutsverschriebenen Mann, der zu ihm in die Seelsorge gekommen war. Der Seelsorger wies ihn an, sich wieder vom Teufel loszuschreiben. So geschah es. Der Pfarrer bewahrte dieses Schriftstück in seinem Studierzimmer auf. Der blutsverschriebene Mann hatte einem spiritistischen Zirkel angehört, aus dem er bei seiner Bekehrung austrat. Dennoch arbeiteten die ehemaligen spiritistischen Freunde durch Mentalsuggestion daran, den Ausgetretenen zurückzugewinnen. Ihre geistigen und magischen Kräfte reichten aber nicht aus. Die Zirkelmitglieder kamen dann zu Pfarrer Klingbeil und baten ihn, er möchte die Losschreibung herausgeben oder wenigstens vernichten. Sie begründeten ihr Gesuch damit, daß sie ihren Einfluß und ihre Macht über das ehemalige Mitglied verloren hätten. Natürlich entsprach der Pfarrer nicht ihrem Wunsch.

Für das nächste Beispiel habe ich zwei ehrenwerte Zeugen. Der jetzige Direktor des Chrischonawerkes bei Basel, Edgar Schmid, war Anfang der fünfziger Jahre Pastor der Chrischonagemeinde in Winterthur. Er hat mich zweimal zur Evangelisation eingeladen. In jener Zeit hatte er ein seltsames seelsorgerliches Erlebnis. Zweiter Zeuge ist ein gläubiger Pfarrer der Umgebung Winterthurs. Ein dritter Zeuge bin ich selbst. Zu den beiden erstgenannten Brüdern kam ein okkult arbeitender Mann aus einem Nachbardorf. Er beichtete, daß er in seiner Jugend eine Blutsverschreibung an den Teufel vorgenommen habe. Seit dieser Zeit besitze er okkulte Kräfte. Er könne durch die schwarze Magie Tiere auf Entfernung töten. Sein Gönner und Auftraggeber verlange aber als Gegenleistung für diese unheimliche Kraft, daß er jede Woche zwei Aufträge ausführe. So habe er es jahrelang gehalten. Wenn er einen Hühnerstall verfluche, würden die Hühner keine Eier mehr legen. Die Kühe geben nach einer magischen Beeinflussung keine Milch mehr, sondern nur noch eine braune Brühe. Bringe man die Kühe aber weit weg auf eine Weide, dann geben sie wieder Milch. Diese magischen Kräfte wurden seinem Träger so unheimlich, daß er sich zu einer seelsorgerlichen Beratung entschloß. Edgar Schmid bat den Ortspfarrer des Magiers zu diesem Gespräch. Der Beichtende wollte frei werden und beschritt ohne Aufforderung einen seltsamen Weg. Er ließ sich von Bruder Schmid ein Licht, Nadel, Streichholz und Papier geben. Dann glühte er die Nadel aus und stach sich eine Fingerkuppe an. Mit dem herausquellenden Blut schrieb er sich von Satan los. Seit dieser Zeit bekommt er keine Aufträge mehr und sieht auch nicht mehr die Teufelsgestalt, die ihm vorher oft begegnet war. Die Hauptsache wurde aber noch nicht erwähnt. Dieser Magier beichtete ein zweites Mal bei seinem Ortspfarrer, tat Buße und übergab sein Leben Jesus. Es gab noch einmal einen Rückfall, wie es häufig bei Blutsverschriebenen und Besessenen vorkommt. Er ging dann zum dritten Mal zur Seelsorge und wurde von da an nicht mehr von Satan geplagt. Ich selbst bin zuletzt zu dieser schweren Seelsorge zugezogen worden.
Manche sind der Meinung, daß Blutsverschreibungen äußerst selten vorkommen. Der nichteingeweihte Seelsorger hat natürlich keinen Einblick und keine Erfahrung. Ich habe einige Male in Lüneburg evangelisiert und dort viele unheimliche Dinge in den seelsorgerlichen Gesprächen gehört. Ein gläubiger Bruder, der zu der Landeskirchlichen Gemeinschaft gehört, berichtete, daß er es selbst beobachten konnte, daß ein Besprecher in wenigen Tagen mit 18 Menschen Blutsverschreibungen vorgenommen hat.

Wir haben jetzt schon zwei Beispiele gehört, daß Blutsverschriebene sich wieder losgeschrieben haben. Da hier viel Kritik einsetzt, muß ich eine Erklärung abgeben. Ich selbst habe noch nie in meinem Leben einen solchen Rat gegeben und werde es auch nicht tun. Dennoch weiß ich, daß ein Vertrag mit dem Teufel juristisch gekündigt werden muß. Darum geben manche Seelsorger den Rat, sich abzuschreiben. Einer meiner Freunde in Süddeutschland, ein erfahrener Pfarrer, übt auch diese Praxis. In dem Beispiel Winterthur muß betont werden, daß Edgar Schmid nicht diesen Rat erteilte. Der blutsverschriebene Magier war von sich aus überzeugt, daß er das tun müsse, um loszukommen.
Die Blutsverschreibungen erfolgen nicht nach dem gleichen Schema. Bei manchen Kulten, zum Beispiel bei den Macumba Spiritisten in Brasilien und bei den Wuduisten auf Halti, wird manchmal Bocksblut oder Blut eines Hahnes benützt. Auch fremdes menschliches Blut wird dafür genommen. Wenn Menschenblut gebraucht wird, holt man es nicht überall aus der Fingerkuppe. In Afrika hörte ich, daß die Bauchdecke in der Nähe des Plexus solaris angeritzt wird, um Blut zu gewinnen. Bei den Macumbariten ritzt man gelegentlich auch die Haut hinter dem Ohr an. Ein solches Beispiel soll wiedergegeben werden. Es zeigt gleichzeitig den Triumph Jesu über alle dunklen Mächte.
Die Geschichte der Otilla Pontes habe ich schon einmal ausführlich in „Jesus auf allen Kontinenten“, Seite 544 – 548, veröffentlicht. Hier soll nur der Blutritus und die Befreiung gezeigt werden.
Bei einer Vortragsreihe in Rio de Janeiro kam ich mit Otilla in Berührung. Sie erzählte mir ihre Befreiung aus dem Macumba Spiritismus und gab mir Veröffentlichungsrecht. Sie arbeitete ursprünglich in einer Textilfabrik. Ihre Chefin lud sie zu einem Macumba Zirkel ein. Dort wurde ihre mediale Veranlagung erkannt. Durch große Versprechungen angelockt, war sie bereit, sich als Medium ausbilden zu lassen. Zusammen mit 50 Anwärterinnen unterzog sie sich den umfangreichen Aufnahmeriten. 17 Tage waren sie zusammen in einem fensterlosen Raum eingeschlossen. Danach erfolgte nach einem Festmahl der Blutritus, der den Sinn hat, daß die Novizinnen dem Teufel zum Eigentum übergeben werden. Die Kultmutter ritzte den Teilnehmerinnen mit einem scharfen Dolch die Haut hinter dem Ohr an. Das fließende Blut ist ein Opfer an den Gott der Finsternis und zugleich eine vertragliche Übereignung ihres Lebens an ihn.
Ein weiterer Aufnahmeritus erfolgte nachts um 12 Uhr auf einem Friedhof, wo die Novizinnen dem Totengott verschrieben wurden.
Die Zeit der Vorbereitung umfaßt zwei Jahre und ist ein schweres Training, um auf der Stufenleiter der Macumba Hierarchie hochzukommen. Eine harte Probe ist, daß die Novizinnen aus kochendem, brennendem Öl Baumwolle mit bloßen Händen herausholen müssen, ohne sich die Finger zu verbrennen. Otilla hat alle Proben als beste bestanden. So erhielt sie nach und nach alle Weihen bis zur Kultmutter, ein Amt, das sie 23 Jahre ausübte. Diese totale Hingabe an den Teufel wurde mit unheimlichen Kräften belohnt. Sie alle aufzuzählen, übersteigt diesen kurzen Bericht.
Das wichtigste für uns ist, wie der Herr Jesus sie aus diesem teuflischen Labyrinth herausholte. Ein Ansatzpunkt war die treue Fürbitte einiger Christen. Der nächste Schritt war die Erkrankung ihrer elfjährigen Tochter, an der sie mit großer Liebe hing. Auf Drängen einiger Freunde ließ sie einen gläubigen Pastor kommen, der über dem Kind betete. Innerhalb eines Tages war das Mädchen gesund, ein Erfolg, den die Mutter mit all ihrer Zauberei nicht zustandegebracht hatte. Aus Dankbarkeit war sie dann unter größtem inneren Widerstand bereit, einmal den Gottesdienst dieses Pastors zu besuchen. Unter der Verkündigung meinte sie, verbrennen zu müssen. Trotzdem ging sie ein zweites Mal hin. Das war der Anfang, wie Gott diese hartgebundene Frau aus dem Hexenkessel des Macumba Spiritismus und der vertraglichen Blutsverschreibung herausholte.
Gewöhnlich verfolgen die Macumbaleute ein ehemaliges Mitglied und töten es, weil ja ihre Geheimnisse gewahrt bleiben müssen. Es war der Schutz des Herrn, daß man ihr kein Haar krümmen durfte, obwohl sie den höchsten Rang der Macumbaleute erreicht hatte.
Otilia hat ihrem neuen Herrn, Jesus Christus, die Treue gehalten. Sie wurde eine begehrte Evangelistin. Als ich sie kennenlernte, hatte sie bereits 130 Vortragsdienste in den christlichen Kirchen durchgeführt. Ihre Rettung und ihr hingebungsvoller Dienst im Reiche Gottes ist ein Sieg des Sohnes Gottes, der für uns starb, von den Toten auferstand und zur Rechten Gottes erhöht ist.

7. Das Reich Gottes
In dem Streitgespräch Jesu mit den Pharisäern in Lukas 11 sagte der Herr: „So ich durch Gottes Finger die Teufel (Dämonen) austreibe, so kommt das Reich Gottes zu euch“ (Lk. 11,20).
Das NT spricht oft davon, daß dynamis kai exousia (Gewalt und Macht) die Zeichen der angebrochenen Gottesherrschaft darstellen. Paulus sagt in 1. Kor. 4,20: „Das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.“
Im Leben und in der Tätigkeit Jesu wird diese exousia oft deutlich.
Die Bergpredigt schließt (Mt. 7,29) mit dem Hinweis: „Jesus predigte gewaltig“ = os exousian echon – als einer, der Vollmacht hatte.
Der Evangelist Markus berichtet (1,27): „Er gebietet mit Gewalt den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm. Auch hier steht der Ausdruck: exousian epitassei = in Vollmacht befiehlt er.
Diese Vollmacht beweist Jesus auch in seinen Heilungen. Ein Aussätziger (Mk. 1,40) bat Jesus: „Willst du, so kannst du mich wohl reinigen. Und es jammerte Jesum, und er reckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will’s tun, sei gereinigt.“
In der Geschichte über den Gichtbrüchigen kommt eine vierte Vollmacht Jesu zum Vorschein. Jesus sagte den kritischen Pharisäern (Mk. 2,10): „Des Menschen Sohn hat die Macht, Sünden zu vergeben“ = Exousian echei aphienai hamartias.
Die Herrlichkeit der Jünger Jesu ist, daß sie an dieser vierfachen Vollmacht teilhaben dürfen. In Lukas 9,1 lesen wir: „Jesus rief seine Zwölf zusammen und gab ihnen Gewalt und Macht dynamin kai exousian Teufel (Dämonen) auszutreiben, Seuchen zu heilen und zu predigen das Reich Gottes.
Von der vierten Vollmacht der Jünger steht in Mt. 18,18: „Was ihr auf Erden binden werdet, soll im Himmel gebunden sein, was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.“ Hier geht es in erster Linie um die Absolution nach einer aufrichtigen Beichte. Es bedeutet aber auch einen charismatischen Akt der Lossprechung.
Im Zusammenhang mit dem Problem des Exorzismus interessieren uns nur die Stellen, die von Heilungen und Austreibungen handeln. Hören wir einige von Ihnen:
Mt. 4,24: Sie brachten zu ihm allerlei Kranke … und die Besessenen.
Mt. 8,16: Er trieb die Geister aus mit Worten und machte allerlei Kranke gesund.
Mt. 10,1: Er gab ihnen Macht über die unsauberen Geister, daß sie die austrieben und heilten allerlei Seuchen.
Mt. 10,8: Macht die Kranken gesund, treibt die Teufel (Dämonen) aus.
Mk. 1,32: Sie brachten zu ihm allerlei Kranke und Besessene.

Was Jesus tat, wurde von den Jüngern fortgesetzt. In der Apostelgeschichte stehen wir vor dem gleichen Sachverhalt, daß Krankheiten und Besessenheit klar unterschieden werden.
Apg. 5,16: Sie brachten die Kranken und die von unsauberen Geistern gepeinigt waren.
Apg. 8,7: Die unsauberen Geister fuhren aus vielen Besessenen mit großem Geschrei; auch viele Gichtbrüchige und Lahme wurden gesund gemacht.
Oft konnte ich von ungläubigen Psychiatern und in deren Kielwasser von den modernen Theologen lesen, daß Jesus ein Kind seiner Zeit war und die Krankheiten als von Dämonen verursacht ansah. Heute wüßten wir es besser. Besessenheit sei das Bild einer Geisteskrankheit oder einer Hysterie. Wenn diese Rationalisten die Bibel lesen würden, dann würden sie erkennen, daß im NT zwischen Krankheit und Besessenheit sauber getrennt wird.

Es wäre nun interessant, die theologische und kirchengeschichtliche Entwicklung im Blick auf Besessenheit und Exorzismus aufzuzeigen. Es gibt jedoch gute Darstellungen darüber. Mein Buch ist außerdem aus der seelsorgerlichen Erfahrung der Gegenwart heraus geschrieben. Darum steige ich nicht in die Kirchengeschichte ein. Ich nenne jedoch eine ausgezeichnete Darstellung von Frau Dr. J. ter Vrugt-Lentz. Sie hat in dem Buch von van Dam die Kirchenväter bearbeitet. Frau Vrugt-Lentz ist eine gläubige Christin. Wir haben vor einigen Jahren korrespondiert.
Nach dieser kleinen Abschweifung eine bedeutsame Notiz von Kirchenvater Origines, der noch der Meinung war, daß jeder Christ, er mag so einfach und ungelehrt sein, wie er will, imstande ist, böse Geister auszutreiben (van Dam, Seite 95). Nach Origines tritt diese Meinung in den Hintergrund. Im neunten Jahrhundert wurde dann in Rom ein Exorzistenamt eingeführt, das viele Generationen hindurch bestand und in einer leichten Abwandlung heute noch in der katholischen Kirche existiert. Das Exorzistenamt ist gekennzeichnet durch bestimmte Riten und festgelegte Formelgebete. Oft fehlte es den Exorzisten an der geistlichen Vollmacht. Die Exorzismen wurden manchmal zu einer öffentlichen Schau. Wie das ausgehen kann, zeigte der Prozeß um Anneliese Michel. Fehlende Vollmacht auf seiten der beiden Exorzisten und eine fehlende Einsicht auf seiten des Gerichtes. Juristen und unerfahrene Gutachter sind nicht geeignet, eine so schwere Frage richtig abzuhandeln.
Die Fragwürdigkeit eines katholischen Exorzismus wurde mir, wie schon berichtet, an folgendem Vorfall deutlich. Ein Exorzist gab den Dämonen den Rat, sich an Maria zu wenden und zu Maria zu beten. Für biblisches Denken ist das eine Ungeheuerlichkeit. Ich schrieb das Pater Rodewyk, dem besten Fachmann auf katholischer Seite. Er schrieb zurück: „Das ist Unfug.“ Kein Wunder, daß biblisch Gesinnte den katholischen Exorzismen mit der größten Skepsis begegnen. Auf protestantischer Seite ist es aber kein Haar besser. Dort herrschen nur andere Probleme vor. Welche Pfarrer wagen sich überhaupt noch daran, einem Besessenen durch Exorzismus zu helfen? Ich weiß nicht, ob wir in ganz Deutschland zehn solcher Diener Gottes zusammenbringen. Dazu kommt noch die Tatsache, daß viele Pfarrer einen Laien, dem geistliche Vollmacht geschenkt ist, meist verächtlich behandeln.
Über das „theologische“ Problem, ob die Jünger Jesu im 20. Jahrhundert noch teilhaben an der Vollmacht, die der Herr seinen Aposteln gegeben hat, will ich nicht viel sagen. Gegen die Dispensationstheologie der Amerikaner habe ich schon meinen Protest angemeldet. Wir sind keine Stiefkinder Gottes. Der Geist Gottes ist der Stellvertreter des erhöhten Herrn und führt sein Werk durch bis zur Wiederkunft Jesu und darüber hinaus. Wo kommen wir hin, wenn wir herausknobeln wollen, was uns gilt und was nicht? Der Schluß des Markusevangeliums sagt, daß die Zeichen der Heilung und Austreibung den Glaubenden folgen und nicht auf eine bestimmte Jüngergruppe beschränkt sind. Natürlich weiß ich, daß manche Handschriften den Markusschluß nicht haben. Alle Handschriften haben Lücken. Gottes Geist wachte über dieser Arbeit, daß uns nichts verlorenging. Dem Geist und Inhalt nach entspricht der Markusschluß dem ganzen Evangelium.

8. Irrwege des Exorzismus
Auf meinen ausgiebigen Missionsreisen bin ich oft auf exorzistische Riten der bekanntesten Weltreligionen gestoßen. Die meisten Formen des Exorzismus finden sich bei den Animisten in Afrika, bei den Indianerstämmen Südamerikas und bei den Bewohnern der pazifischen Inseln. Exorzismus wird praktiziert bei den Shintoisten, Hinduisten, Buddhisten und bei den Moslems. Ich bin oft gefragt worden, ob diese außerchristlichen Austreibungen funktionieren. Es gibt verblüffende Erfolge, wenigstens für den oberflächlichen Beobachter, der den Hintergrund der Probleme nicht kennt.
Ich muß nun Dinge andeuten, die für unsere Rationalisten ein Greuel sind. Während meines Besuches der Insel Bali, wo ich in verschiedenen Kirchen zu sprechen hatte, lief gerade ein magischer Krieg. Zwei Zauberer und ihre Unterzauberer lieferten sich einen magischen Kampf. Ich habe in dem Buch „Uns Herr, wirst du Frieden schaffen“ darüber berichtet. Die Stärkeren behalten den Sieg. Man vergegenwärtige sich, was das heißt. Alle sind Magier. Alle kämpfen mit magischen, dämonischen Mitteln und Kräften. Wer mehr mit der Macht Satans gefüllt und ausgerüstet ist, gewinnt die Oberhand.
Starke Zuluzauberer können einem anderen durch schwarze Magie den Verstand rauben. Der Betroffene hat dann Symptome wie ein Besessener. Die Angehörigen versuchen dann, das Opfer zu einem noch stärkeren Zauberer zu bringen, der durch den Gegenzauber dem Verfolgten wieder einen klaren Verstand gibt. In der Geschichte von Mary hörten wir, daß sie durch ihre Teufelsverschreibung Macht über niedere Dämonen bekam, die ihr gehorchen mußten. Sie selbst hatte sich wieder höheren Dämonen unterzuordnen.
Aus dieser Dämonenhierarchie lassen sich Exorzismen außerchristlicher Religionen erklären. Der Stärkere bestimmt und kann Positionswechsel erzwingen. Die Opfer dieser teuflischen Praktiken sind die dabei Betrogenen und nicht die Befreiten. Befreiung gibt es nur durch den Stärksten aller Starken, Jesus Christus, der gesagt hat: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Das Weltkommando liegt nicht bei Buddha oder Mohammed, noch bei sonst einer mystischen oder realen Größe, sondern nur bei dem Sohn Gottes, dem der Vater alle Gewalt übergeben hat.

Irrwege des Exorzismus gibt es aber auch innerhalb der christlichen Religionen. Am Rande sind die katholischen Exorzismen schon erwähnt worden. Der Psychiater John White, Professor an der Universität Manitoba (Kanada) sagte in Demon P., Seite 296:
Zu deutsch: „Einem rituellen Versuch, Dämonen zu überwinden, scheint die Schwäche anzuhängen, der Praxis des Teufels mit teuflischen Praktiken begegnen zu wollen. Es mag wahr sein, daß Dämonen komplexen symbolischen und rituellen Gesetzen unterworfen sind, aber die Vollmacht der Christen stammt nicht aus deren Anwendung, sondern von der Quelle aller Autorität. Von Riten abhängig zu sein, um Macht auszuüben, heißt, sich auf Magie zu gründen. Das unterminiert die Abhängigkeit von Gott.“
Das darf nun nicht als Seitenhieb auf die katholische Kirche verstanden werden. Es gibt auch in der katholischen Kirche gottesfürchtige Männer, die den Exorzismus nicht als rituellen Vollzug ansahen. Pauschalurteile gelten nicht. Professor White wollte nur warnen vor dem bloßen religiösen Betrieb. „Tut um Gottes willen etwas Tapferes“ war einmal ein geflügeltes Wort. Auf dem Gebiet des Exorzismus gibt es in der evangelischen Kirche fast nur Fehlanzeigen, in der Schwesterkirche wurde das Problem wachgehalten.
Im protestantischen Bereich finden sich bei Sekten und extremen Gruppen Formen des Exorzismus, die zum Verruf dieses Gebietes beigetragen haben. Ich bringe einen Bericht, der in der Rhein Neckar Zeitung vom 15. Februar 1980 erschienen ist:
„Vom Teufel befreit“
Genau 72 Stunden war die 16 Jahre alte Brasilianerin Elaine Maciel Barbosa an einem Kreuz festgebunden, um auf die Erlösung vom „Teufel und von bösen Geistern“ zu warten. Am Montagabend Ortszeit erlebten Tausende Schaulustige das Ende dieses „Exorzismus“ auf dem Cavera Berg im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Erschöpft ließ sich das Mädchen, das im Verlaufe der drei Tage nur Wasser und Brot zu sich genommen hat, vom 25 Kilogramm schweren Holzkreuz lösen.
Anhänger der als fanatisch bekannten Sekte „Pfingstkirche für den universellen Kreuzzug“ hatten fastend der „Teufelsaustreibung“ unter freiem Himmel beigewohnt. Viele von ihnen versanken dabei in Trance. Fünf Polizisten der nahen Kleinstadt Alegrete beobachteten das von Gläubigen und Kirchenkreisen als „abscheuliches Sakrileg“ verurteilte Treiben, griffen jedoch nicht ein.
Die 16-jährige hatte nach eigenen Angaben am 30. Januar eine “Vision“. Ihr erschien ein “Heiliger“ und sagte, sie könne sich von den „bösen Geistern“ wieder befreien, wenn sie sich drei Tage ans Kreuz schlagen lasse. „Teufelsanzeichen“ waren unter anderem in Minutenschnelle wachsende Fingernägel.
Am vergangenen Freitag trug Elaine, begleitet von Verwandten und Sektenmitgliedern, das Kreuz den Berg hinauf und ließ sich festbinden. Ihren ursprünglichen Wunsch, an das Holz genagelt zu werden, vereitelte der örtliche Polizeichef. Da aber bei dem vom „Heiligen“ angeordneten Ritual Blut fließen mußte, ritzte der Vater der 16jährigen die Handflächen mit einem Messer. Die aufgefangenen Blutstropfen gelten schon jetzt als „Reliquie“. Der Polizeichef will den Vater jetzt wegen Körperverletzung vor Gericht bringen. dpa

Ich selbst habe Massenversammlungen bekannter amerikanischer Evangelisten beigewohnt. Ich will keinen Namen nennen. Billy Graham ist nicht gemeint. Bei ihm habe ich keine exorzistischen Exzesse je beobachtet. Nach den Versammlungen haben sich diese Extremisten den Kranken zugewandt und versucht, unter großem Geschrei den Krankheitsgeist auszutreiben. Es waren unerträgliche Szenen. Kein Wunder, daß Handauflegungen ohne Erfolg, Exorzismen ohne Befreiung in der öffentlichen Meinung eine Entwertung erfahren haben, die nahezu den Nullpunkt erreicht hat.
Vergessen wir aber nicht: Abusus not tollit usum
Der Mißbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf. Wenn 99 Fälle falsch sind und einer ist echt, dann zeigt das, daß die Frage des Exorzismus nicht am Ende ist.

9. Spiritistischer Exorzismus
Das verrückteste und unheimlichste Buch über Exorzismus, das mir je in die Hände kam, ist der Titel „The Exorcist and the Possessed“ von Christopher Neil Smith. Wir könnten das Buch ungelesen zur Seite legen oder besser verbrennen, wenn Christopher Neil Smith nicht der Chefexorzist der englischen Kirche wäre. Sein Buch wurde mir von Pfingstkreisen zugesandt mit der Absicht, mir über das Wirken des Heiligen Geistes im Leben dieses Mannes Auskunft zu geben. Die Taten dieses Mannes werden als Glanzstück in extremen Kreisen, auch in Deutschland, weiter kolportiert. Darum ist es der Mühe wert, diese Sache zu untersuchen. In der Einleitung zu diesem Buch habe ich Nell Smith bereits zitiert.
Auf der letzten Seite des Buches steht in der Kurzbiographie folgendes: „Chr. Neil Smith ist einer der führenden Exorzisten in der Welt. 1944 hat er die Priesterweihe erhalten. 1949 führte er seinen ersten Exorzismus durch. Seit dieser Zeit praktizierte er jährlich mehr als 500 Exorzismen.“ – Bis 1980 wären das rund 15 000 Austreibungen.
Im Vorwort schreibt der Autor selbst, er habe in den ersten vier Jahren 2200 Exorzismen durchgeführt.
Im Buch selbst erhalten wir viele Einzelheiten. Es wäre verfehlt, alles verdonnern zu wollen. Das Buch enthält auch richtige seelsorgerliche Hinweise, die aber in einen Wust spiritistischer Vorgänge eingepackt sind.
Zunächst fällt das geistige Milieu auf, in dem sich Neil Smith bewegt. Bischof Robinson, der Bultmannschüler, der das atheistische Buch „Honest to God“ geschrieben hat, ferner der Spiritistenhäuptling Canon Higgins gehören zu seinen Freunden. Für den lästerlichen Horrorfilm „Der Exorzist“ findet er anerkennende Worte. Das Sprichwort sagt: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“
Mit was für einer „vollmächtigen“ Größe haben wir es hier zu tun? Er exorziert im Jahr 500 Besessene, die angeblich frei werden, während wir ohnmächtigen Seelsorger manchmal Tage oder gar Wochen brauchen, bis ein gebundener Mensch frei wird.

Was oder wer wird alles exorziert?
Auf Seite 28 lesen wir folgendes: „Ein Mann berichtet mir, daß er von einem Nazi Geist besessen wurde, als er in England das Grab eines abgeschossenen Nazi Fliegers besucht habe. Es wuchs ihm hinterher ein Hitler Schnurrbart. Er empfand eine Besessenheit durch einen Nazi Geist. Ich exorzierte ihn, und er wurde frei.“
Eine andere Geschichte ist noch seltsamer: „Eine der merkwürdigsten Erfahrungen, die ich hatte, war die Austreibung eines bösen Geistes aus einer Nazi-Jacht, die gegen Ende des letzten Krieges von den Engländern aufgebracht worden war. Der neue englische Besitzer war überzeugt, daß die Nazis einen Fluch gegen die Jacht geschleudert hatten, da er einige Jahre hindurch seltsame Erlebnisse mit diesem Boot hatte. Ich exorzierte die Jacht. Der Besitzer fühlte, daß der Geist des ehemaligen Besitzers verschwand. Er hörte dabei deutsche Rufe, die sofort verstummten. Das beweist, daß der Nazi Geist sein bisheriges Revier verlassen hatte.“
Das Buch bringt eine Menge der seltsamsten Ereignisse. Auf Seite 68 lesen wir folgendes. Die Frau eines anglikanischen Priesters hat jahrelang Zauberei getrieben. Sie war dabei nur Handlanger einer Queen Witch (Königin der Hexen) gewesen. Neil Smith wurde zu Hilfe gerufen. Er exorzierte diese geplagte Frau, die danach frei war. Die Queen Witch starb und hörte dann als Geist nicht auf, diese Pfarrfrau zu quälen. Neil Smith wurde abermals gerufen. Da konnte diese Pfarrfrau plötzlich automatisch schreiben eine der spiritistischen Praktiken. Es meldete sich der Geist der Queen Witch aus dem Totenreich und bat um Befreiung. Neil Smith kommandierte den Geist vor den Altar seiner Kirche, wo er sie von der Zauberei lossagte. Die Queen Witch wurde darauf im Totenreich frei.
Mir ist es unfaßbar, daß es noch Menschen gibt, die diese spiritistischen Vorgänge nicht durchschauen. Mit Christus oder mit dem Heiligen Geist haben diese Vorgänge nichts zu tun, obwohl dieser Chefexorzist das behauptet.
Auf Seite 88 berichtet er, daß er Juden, Moslems, Hindus, Buddhisten, Sikhs exorzierte, die er in ihrer eigenen Religion bleiben ließ. Er machte keinen Versuch, sie für Christus zu gewinnen. Um Buße, Beichte der Sünde, Glaube an Christus geht es hier nicht. Neil Smith meint, im Namen des kosmischen Christus könne er als christlicher Priester Angehörige aller Religionen aus der Besessenheit lösen. Um Nachfolge Jesu geht es hier nicht. Was macht dieser seltsame christliche Priester mit dem Wort aus Apg. 4,12: Es ist in keinem anderen Heil als in Jesus Christus.
Aufschlußreich sind die Querverbindungen in der Meinung von diesem Exorzisten. Er spricht von guten und bösen Vibrationen, Wellen, Schwingungen, Strahlen und nennt es ein Parallelgebiet der Radiästhesie (Rutengängerei und Pendelei). Das sollte unseren Reichgottesarbeitern zu denken geben, die meinen, man könne als Christ unbedenklich mit der Rute Wasser oder Bodenschätze suchen.
In diesen geistigen Vorstellungen lebt und arbeitet der Chefexorzist von England. Er geht noch einen Schritt weiter und sagt, daß die guten Strahlen eine Wirkung des Heiligen Geistes seien.
Die Zusammenarbeit mit Geistern aus dem Totenreich begründet Neil Smith mit Mt. 17, wo berichtet wird, daß Moses und Elia Jesus auf dem Berg der Verklärung begegneten. Das ist die gleiche Argumentation, wie sie von Spiritisten der ganzen Welt betrieben wird.
England hat zwei überdimensionale spiritistische Medien: Harry Edwards, der das Buch schrieb „Spiritual Healing“ und Präsident von 2000 spiritistischen Heilern ist. Der zweite, mit noch stärkerer medialer Kraft ist Neil Smith, der sein Teufelswerk im Namen des Heiligen Geistes treiben will. Exorzismus in übelster dämonischer Gestalt!
Die 15000 besessenen Menschen, die von Neil-Smith angeblich befreit worden sind, wurden in Wirklichkeit von ihm schwerstens belastet.

10. Der Taufexorzismus
Seit es die christliche Taufe gibt, wird auch darüber gestritten. Die Taufe ist aber kein Streitobjekt, sondern Befehl und Gnade Gottes. In der Taufe handelt nicht der Mensch, sondern Gott. Das heißt aber nicht, daß dem Menschen die Taufe übergestülpt wird wie ein Stück Holz oder ein Stein, die vom Regen naß gemacht werden. Wo im NT von der Taufe gesprochen wird, steht der Glaube und die Unterweisung im Worte Gottes nicht daneben, sondern davor. Die Reihenfolge im Markusevangelium heißt: Predigt des Evangeliums –  Glaube – Taufe.
Der hauptsächlichste Streitpunkt war die Frage, ob die urchristliche Gemeinde in Jerusalem die Kinder getauft hat oder nicht. Eine direkte Bezeugung haben wir im NT nicht. Wir wissen nur, daß ganze Familien getauft worden sind: Haus des Stephanas, die Familie des Kerkermeisters, Kornelius und seine Angehörigen. Sollen da jeweils keine Kinder dabei gewesen sein? Ein indirektes ja zur Möglichkeit der Kindertaufe haben wir in 1. Kor. 7,14, wo uns Paulus sagt, daß die Kinder durch den Glauben der Eltern mit geheiligt sind.
Um es kurz zu machen, sei gesagt: Die genuine Taufe im NT ist die Taufe der Gläubigen. Statt Kindertaufe ist auch eine Kinderweihe möglich. Kindertaufe hat nur dann einen Sinn, wenn die Eltern Jünger Jesu sind. Es läßt sich natürlich über alles streiten.
Einige Theologen versuchten den Nachweis zu erbringen, daß in der ersten Gemeinde bereits Kinder getauft worden sind. So erklärte Prof. Jeremias in seiner Veröffentlichung „Hat die Urkirche Kinder getauft“, daß man bereits im Jahre 54 die Kindertaufe feststellen kann. Prof. Stauffer sagte in seiner Theologie des NT, Seite 141: „Was hinderte die Urgemeinde, die Kinder taufen zu lassen? Nichts! Was trieb sie dazu? Alles!“ Johannes Warns denkt in der Tauffrage anders. Das kann ihm niemand verargen.
In den ersten Jahrhunderten der alten Kirche fing man bereits an, in den Taufakt verschiedene Dinge „hineinzugeheimnissen“, wie man es heute auch betreibt. Damit sind wir bei dem Problem des Taufexorzismus.
Wir wissen von den Kirchenvätern Cyprian, Tertullian, Origines und anderen, daß die Taufe selber als Exorzismus galt. Man sprach vom heilsamen Taufwasser, das den Teufel überwindet. Wenn der Täufling aus dem Wasser steige, sei er von allen bösen Geistern frei. Das müssen dann aber Erwachsene gewesen sein. Ein Säugling steigt nicht aus dem Wasser. Bei Augustin hören wir, daß der Katechumene, der getauft werden sollte, vor dem Taufakte gefragt worden ist: „Entsagst du dem Teufel und allen seinen Werken?“ Über das Absagen steht in meinem Buch „Seelsorge“, Seite 279. Ich muß mich hier beschränken.
Über die Taufe wird heute noch mehr gestritten als in der Urkirche und noch mehr „hineingeheimnist“ als vor 1600 Jahren. Als Beispiel nehme ich Zitate aus dem Buch von Thurneysen „Seelsorge im Vollzug“.
Auf Seite 10 heißt es: „Die Taufe wirkt Vergebung der Sünden, verleiht die Gabe des Heiligen Geistes und macht die Getauften zu Königen und Priestern.“ Auf der gleichen Seite steht zum zweiten Mal: „Jeder Getaufte ist Priester.“ Das ganze Anliegen der Bibel, daß Sünder Buße tun, glauben und gerettet werden, ist in das Sakramentale verschoben.
Das sind vielleicht Illusionen! Hitler war getauft. Stalin war getauft und sogar Priesterschüler gewesen. Unsere Terroristen sind als Kinder getauft worden.
In dem Buch von Thurneysen stehen noch mehr kurzschlüssige Aussagen. Auf Seite 64 heißt es: „Seitdem Jesus Christus mit den bösen Geistern aufgeräumt hat, ist die Dämonologie für uns entmythologisiert.“
Hier kommt wieder zum Vorschein, daß Theologie das allerungewisseste ist. An der Theologie bin ich schon im ersten Semester verzweifelt. Eines brachte mich im Studium durch all den Wust und Wirrwarr der absurden theologischen Systeme hindurch: Das Wort Gottes ist das Allergewisseste. Schon das ist ein Zeichen seiner Echtheit, daß es den Theologen nicht gelungen ist, es „kaputtzumachen“!.

11. Exorzismus durch einen Psychiater
Die Abwehr gegen unbiblische Äußerungen verursachte manchen negativen Akzent. Beachten wir aber einmal die gegebenen Beispiele aus der Seelsorge. Sie haben alle einen positiven Schluß: die Befreiung besessener Menschen. Zählen wir sie noch einmal der Reihe nach auf:
Befreit wurde Samuel, der Satanist, ein Weißer aus Südafrika.
Die satanischen Bande zerbrachen im Leben der Zuluzauberin Lindiwe, des Filipino und der Zauberin in Südafrika.
Befreit und gelöst wurde die besessene Frau, die bei Pfarrer Stegmaier in der Seelsorge war. Die Hochburg Satans wurde gestürmt im Leben der Mary, die sich der Finsternismacht verschrieben hatte.
Sieg gab es im Leben des besessenen Ruben, einem Angehörigen des schwarzen Stammes der Xhosa. Auch vier Europäer, zwei Mexikaner und zwei Amerikaner sind in der Reihe der Befreiten.
Das sind immerhin vierzehn Menschen, die Gottes Kraft und Sieg über die Macht der Finsternis erlebt haben. Bei einem einzigen Beispiel kenne ich nicht den Ausgang der Geschichte, weil es sich um eine Katholikin handelt, bei der ein bekannter Jesuit die Seelsorge übernommen hatte. Es handelt sich um Maria, deren Erlebnisse ich an der Freiburger Universität erfuhr, als ich über das Thema „Besessenheit“ dort zu sprechen hatte.
Es wird nun noch ein fünfzehntes positives Beispiel gebracht, das deshalb besondere Beachtung verdient, weil ein bekannter gläubiger Psychiater einen Exorzismus durchgeführt hat. Es handelt sich um den schon erwähnten Dr. med. John White, Professor an der Universität Manitoba in Kanada. Lassen wir ihn nun berichten:
„Eine 26jährige junge Frau wurde mir nach einem Selbstmordversuch überwiesen. Sie war in einem motorischen Erregungszustand und ganz verzweifelt.
Als intelligente Frau sprach sie auf psychotherapeutische Behandlung an. Sie gehörte der lutherischen Kirche an, zeigte großes Verständnis für christliche Fragen und betrachtete sich selbst als Christin. Trotz dieser christlichen Gesamthaltung war sie organisierende Sekretärin einer homosexuellen Vereinigung in Winnipeg. Als Lesbierin lebte sie mit einer Frau zusammen, die an Alkohol und andere Süchte gebunden war. Im Verlauf unserer Unterredung lud ich sie zu dem Bibelkreis in meinem Haus ein. Nach der Versammlung fragte sie mich: Was ist mit mir verkehrt? Wenn andere singen: Ich liebe Jesus, singe ich Ich hasse Jesus.
In der weiteren Befragung kam folgender Tatbestand heraus. Wenn sie den Versuch machte zu beten oder zu singen, kamen lästerliche Flüche aus ihrem Mund, die sie gar nicht äußern wollte. Sie stand also unter einem Fluch- und Lästerzwang, den sie nicht kontrollieren und beherrschen konnte.
In der Anamnese kamen weitere Einzelheiten aus ihrer Vergangenheit zum Vorschein. Sie wohnte in ihrer Jugend in einem Spukhaus, in dem ein freundlicher Familiengeist sein Unwesen trieb. Man hörte ihn durch die Räume gehen und sah seine Fußspuren am Boden. Den Hausbewohnern machte das Spaß, bis dieser Geist sich unangenehm bemerkbar machte. Dieser unsichtbare Untermieter entwickelte solche Geräusche, daß die Schlafenden nachts aufwachten. Es klopfte an die Türen und Fenster. Das Gepolter wurde immer stärker.
Nach diesem Bericht setzte ich den Termin zu einer weiteren Unterredung an. Ich bereitete mich ernsthaft im Gebet vor. Wenn es Poltergeister waren, dann konnte ich nur in der Autorität Jesu ihnen entgegentreten. Als die Frau wieder vor mir saß und ich mit ihr betete, verlor sie ihr klares Bewußtsein. Es war eine Art Halbtrance. Sie lachte gräßlich, dann weinte sie so stark, daß es sie schüttelte. Ich spürte plötzlich, daß ich in einen harten Kampf verwickelt wurde. Stimmen kamen aus dem Mund der halb Bewußtlosen, die mir drohten, sie würden meine Frau und Kinder umbringen. Bei ähnlichen Anlässen hatte ich das bereits erfahren, daß meine Familie seltsame Angriffe erlebte.
Als die Frau aus der Halbtrance oder Trance erwachte, war sie erschöpft. Ihre Fingernägel hatten sich tief in das Fleisch der Hände eingegraben. Ihr Haar war zerzaust. Ihre Kleider waren naß vom Weinen. Ihr erster Satz war: ’Mein Gott, was ist mit mir geschehen?’ Sie wurde dann von mir wieder in unseren Gebets- und Hauskreis eingeladen. Die anderen Glieder des Kreises merkten, daß mit dieser Frau eine große Veränderung vor sich gegangen war. Dennoch gab es noch einmal einen Rückfall, bei dem ich selbst nicht dabei war. In dem Gebetskreis fiel sie beim Beten noch einmal zu Boden. Sie schrie, und ihr Körper zuckte. Ein Glied des Kreises gebot im Namen Jesu. Die Besessene kam wieder zu sich und erholte sich. Das war ihr letzter Anfall.
Bei unserer nächsten Sitzung sagte die Frau gleich zu Anfang zu mir: ’Wissen Sie was. Ich bin keine Lesbierin mehr.’ Ich antwortete: ’Seit wann haben Sie diese Entscheidung getroffen?’ Sie erwiderte: ’Ich habe keine Entscheidung getroffen. Ich bin keine Lesbierin mehr, seitdem die Dämonen mich verlassen haben.’
Es blieb bei dieser Befreiung. Sie trat aus dem homosexuellen Zirkel aus. In den folgenden Jahren bewährte sie sich als Christin ohne jede Unterbrechung und ohne weiteren Anfall.“
Ich wünschte, jeder Pfarrer und Seelsorger würde sich dieses Beispiel eines Psychiaters merken. Vor allem geht es die an, die meinen, von Besessenheit reden nur die primitiven Geister. Psychiater und die Theologen wissen, daß es sich um Erkrankungen handle.
Der Teufel wäre ja dumm, wenn er in den hochintellektuellen Kreisen durch viele Besessenheitsfälle auf sich aufmerksam machen würde. Nein, bei den Superschlauen tritt er kurz, um seine Existenz zu verbergen.

12. Der Befreier
Wir haben in diesem Buch viele Zeugnisse über die Befreiung aus Satans Banden gehört, wie im letzten Kapitel erwähnt worden ist. Es ist nun an der Zeit, das Augenmerk auf den Befreier zu richten. W. van Dam bezeugt in seinem hilfreichen Buch, Seite 231: „Jesus Christus allein ist der Austreiber von Dämonen und Befreier von Besessenen und Gebundenen.“ Blumhardt hat uns den Vers geschenkt:

Jesus ist der Siegesheld,
der all seine Feind besieget.
Jesus ist’s, dem alle Welt
bald zu seinen Füßen lieget.
Jesus ist’s, der kommt mit Macht
und zum Licht führt aus der Nacht.

Dieser Vers gehört zu meiner eisernen Ration im evangelistischen Liedgut.
Mir ist auf meinen vielen Reisen oft die Frage gestellt worden, ob nicht auch ein Moslem-Priester oder ein Hindupriester Dämonen austreiben könnte. Es gibt Beispiele, die einen positiven Ausgang vermuten lassen aber nur für den unerfahrenen Christen. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Bei meinen missionarischen Vortragstouren bin ich Priestern aller großen Weltreligionen begegnet. Viele Beispiele könnten nun angeführt werden, die das Buch aber unnötig verlängern würden. Es sollen aber kurze Andeutungen gegeben werden.
In Japan begegnete ich dem ehemaligen Shintopriester Kazama. Zu seiner Ausbildung gehörten neben der Erlernung von Tricks und Suggestionen auch die Unterweisung in der schwarzen Magie. Ein Teilgebiet dieser Teufelskunst ist die Verfolgung von Feinden und die Befreiung von Verfolgten mit Hilfe des Teufels.
In Australien reiste mir ein Neuseeländer Magier hunderte von Kilometern nach. Er war zuerst auf Neuseeland in der theosophischen Ausbildung, danach zehn Jahre bei den tibetischen Lamas. Tibet hat die stärksten Schwarzmagier in der Welt hervorgebracht. Was ich von ihrer Tätigkeit hörte, ist so teuflisch und grotesk, daß man das im Westen nicht fassen und für wahr halten würde. Zu der tibetischen Abwehrmagie gehört auch der magische Exorzismus. Wir müssen bei solchen Erscheinungen festhalten:
Außerchristliche Exorzismen bringen keine Befreiung, sondern nur Scheinlösungen. Außerchristliche Exorzismen sind keine Austreibungen, sondern nur Verlagerungen oder ein Stellungswechsel.
Exorzismen im Bereich des christlichen Glaubens, die rituell versucht werden ohne geistliche Vollmacht sind zum Scheitern verurteilt. Zeremonien bringen keine Hilfe.
Unsere Hilfe steht allein im Namen des Herrn. Allerdings darf der Name des Herrn nicht als Formel benützt werden, sonst stehen wir wieder im Bereich der Magie. Zeremonien und weiße Magie tangieren sich und bedeuten keine Hilfe, sondern neue Belastungen.
Helfen, retten, befreien, lösen kann nur einer: Jesus Christus, dem alle Macht im Himmel, auf Erden und unter der Erde gegeben ist (Phil. 2,5 11).
Gott hat seinem Sohn Macht gegeben über alles Fleisch (Joh. 17,2). Macht hat Jesus auch über alle Autoritäten der Unterwelt erhalten. Markus bezeugt: „Er gebietet mit Gewalt den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm“ (Mk. 1,27).
Eine der großen Schlußhymnen der Bibel und der Heilsgeschichte lautet: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus“ (Offbg. 12,10).

13. Der Seelsorger
Das größte Problem des Exorzismus sind nicht die Besessenen, nicht die Kritiker, sondern die Seelsorger, die sich auf dieses unhellvolle Gebiet wagen. Der Apostel Jakobus warnt. „Es unterwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein“ (Jak. 3,1). Man muß diese Warnung noch verstärken: „Es unterwinde sich niemand leichtfertig, den Exorzismus zu wagen.“
Vollmacht zur Austreibung hat nur der, dem Christus seine Macht mitteilt. Seelsorger, die keine Wiedergeburt durch den Heiligen Geist erlebt haben, haben keine Voraussetzung, um Belasteten zu helfen. Seelsorger, die nicht ein geheiligtes Leben der völligen Hingabe an Jesus führen, stehen ohnmächtig vor schweren Seelsorgefällen.
Diese Voraussetzungen gelten auch für Autoren, die seelsorgerliche Bücher schreiben. In diesem Buch wird oft von der Inspiration gesprochen, von dem
Erfülltsein mit dem Geist Gottes. Ohne seine Leitung und Direktive reden und schreiben Autoren am eigentlichen Problem vorbei.
Exorzismus ist eine spezielle Seelsorge. Die Frage ist, ob dafür eine besondere Zurüstung erforderlich ist. Nein und Ja! Gott kann voraussetzungslos bedrängten Menschen helfen. Er braucht keinen Seelsorger zu bemühen, aber es ist sein Prinzip und seine Barmherzigkeit, daß er gläubige Menschen als Werkzeuge benützt.
Ein Seelsorger auf diesem schweren Gebiet der Besessenheit und des Exorzismus sollte die beste Ausrüstung haben, die möglich ist. Am besten wäre, daß gläubige, wiedergeborene Psychiater diesen schweren Dienst tun würden. Bei dem Psychiater Dr. Lechler war es so, ferner bei Prof. Dr. White, den wir in diesem Buch zu Wort kommen ließen. Natürlich kann nicht jeder Seelsorger Medizin studieren und sogar seinen psychiatrischen Facharzt machen, aber Grundbegriffe der Psychiatrie sollte jeder Exorzist haben, daß er nicht versucht, Geisteskranke zu exorzieren.
Im Zusammenhang mit der Austreibung böser Geister gibt es viele spezielle Fragen, die hier nicht alle angeschnitten werden können. Ich habe ja verschiedene Bücher zu diesem Thema geschrieben.
Ein generelles Problem soll kurz gestreift werden.
Gibt es ein spezielles Amt oder Charisma der Austreibung? Darüber sind die Meinungen geteilt.
Wir hörten schon, daß es in der mittelalterlichen Kirche Exorzisten im Auftrag der Kirche gab. In der katholischen Kirche gibt es das heute noch. In der lutherischen Kirche gibt es in manchen Ländern in der Taufliturgie eine Exorzismusformel. Bis jetzt konnte ich in 50 Jahren in keinem seelsorgerlichen Gespräch feststellen, daß diese Exorzismusformel bei der Kindertaufe irgendeinen Nutzen gehabt hätte. Bei der Erwachsenentaufe der Gläubiggewordenen hat die abrenuntiatio diaboli – Absage an den Teufel – eine Bedeutung.
In der Heiligen Schrift gibt es keinen Hinweis für ein Amt des Exorzisten. Ich würde auch nie einen beamteten Exorzisten der Kirche zu Hilfe rufen.
Über die Befähigung zu einer solchen Seelsorge gibt es verschiedene Meinungen.
W. van Dam meint, es sei ein Charisma nötig und glaubt, das mit 1. Kor. 12,7 11 nachweisen zu können. Dort wird die Gnadengabe der energemata dynameon, der Wunderkräfte, erwähnt.
R. Kriese schreibt in „Okkultismus im Angriff“ auf Seite 181, die charismatische Befähigung sei nicht dem Einzelnen gegeben, sondern der Gemeinde.
Emil Kremer, Autor von „Geöffnete Augen“, ist der Meinung, daß jedem Glaubenden die Vollmacht der Austreibung zuteil werden kann.
Es besteht Grund zu der Annahme, daß alle drei Meinungen ein Stück biblischer Wahrheit enthalten.
Mit van Dam bin ich der Meinung, daß ein Seelsorger die Ausrüstung durch den Heiligen Geist zu einer so schweren Seelsorge braucht.
Auch in Krieses Äußerung steckt ein Stück Wahrheit. Seelsorge an Besessenen ist Teamwork, Mannschaftsarbeit, am besten sogar gemeinsames Vorgehen einer biblisch gesunden Gemeinde. Das heißt aber nicht, daß nicht auch einzelne Seelsorger die Austreibung wagen dürften.
Am nächsten steht mir allerdings die Auffassung von Emil Kremer. Markus sagt: „Die Zeichen, die da folgen denen, die da glauben, sind die, in meinem Namen werden sie Teufel austreiben.“ Den Glaubenden ist hier die Vollmacht der Austreibung zugesagt. Nun müßte eigentlich erläutert werden, was Glauben heißt. Doch das geht wieder über den Rahmen des Buches hinaus.
Im Katechismus habe ich einmal gelernt: „Echter Glaube ist nicht nur ein bloßes Wissen und Fürwahrhalten der biblischen Lehre, sondern eine lebendige Überzeugung, die unsere Gesinnung und unseren Wandel regiert.“
Die Teufel glauben auch und zittern dabei. Der Namenchrist glaubt auch und bleibt im Reich der Finsternis. Der Kopfglauben, der Verstandesglauben rettet nicht und bevollmächtigt nicht.
Die pneumatische Existenz des Seelsorgers ist die Voraussetzung für die Seelsorge für Belastete und Besessene. Darüber steht ein Kapitel in „Seelsorge und Okkultismus“, Seite 265.
Mein Freund Dr. theol. O. Riecker schrieb in seinem Buch „Das evangelistische Wort“, Seite 89: „Die Grundvoraussetzung jedes geistlichen Wirkens ist der pneumatische Stand des Trägers. Das Werkzeug ist nur dann ein zureichendes Vermittlungsorgan des reichen Maßes pneumatischer Lebens und Gestaltungsauswirkungen, wenn es selbst dem Wirken des Pneumas untersteht und in seinem Leben und Tun bestimmend von diesem getragen ist.“
In ähnlicher Form drückte es Dr. med. Bovet aus. In seinem Buch „Lebendige Seelsorge“, Seite 164, schrieb er: „Der Pfarrer wird nicht aus seinem theologischen Wissen heraus, sondern aus seinem christlichen Glauben und Leben zum Seelsorger.“
Wenn unsere eigene Seele nicht versorgt ist, können wir nicht Seelsorge an anderen üben (Thimme).

14. Wege der Seelsorge
Es wird hier nur die spezielle Seelsorge an okkult Belasteten und Besessenen behandelt. Zur Einleitung sei ein Artikel von Prof. Dr. Beyerhaus erwähnt. Seit 1963 bin ich mit Peter Beyerhaus befreundet. Dr. Beyerhaus wurde dann als Professor an die Universität Tübingen gerufen, wo er bis heute eigentlich der geistliche Führer dieser Alma Mater ist.
In seinem Buch „Die okkulte Welle“ heißt es dort im dritten Teil:
„Wer durch eigene oder fremde Schuld in eine okkulte Behaftung geraten ist, suche zur Lösung einen vollmächtigen Seelsorger auf. Jesus hat seinen Jüngern die Vollmacht gegeben, in seinem Namen auch den bösen Geistern zu gebieten (Mt. 10,1, Lk. 10,17) und Menschen aus ihrem Bann zu lösen. In früheren Zeiten, als die Kirche noch mehr von der Wirklichkeit der Dämonen gewußt hat, hat es solche kämpferische Seelsorger häufiger gegeben. Heute möchte man sie am liebsten ins Mittelalter verweisen oder gar strafrechtlich verfolgen. Aber es gibt noch Diener Christi, die okkult Belasteten vollmächtig helfen können. Es wird dabei immer um die gleichen fünf Grundschritte gehen:
Der okkult Behaftete muß als erstes seine Schuld erkennen, bereuen und bekennen, was ihn unter diesen Einfluß gebracht hat.
Er muß sich zweitens völlig trennen von dem, was ihn okkult belastet, sei es, daß er sein Amulett ausliefert und vernichtet, sei es, daß er das ihm in der Transzendentalen Meditation zuerteilte Mantra, das Zauberwort, preisgibt.
Der dritte Schritt ist die namentliche Absage an den Satan und die besondere dämonische Macht;
der vierte Schritt ist die erneute Übergabe an Jesus Christus und die persönliche Inanspruchnahme seines Sühneopfers am Kreuz.
Daraufhin wird fünftens der Seelsorger das Lossagegebet sprechen und ihm die Lösung im Namen Jesu und die Vergebung seiner Schuld zusagen.
Angesichts der okkulten Welle werden lebendige Christen ihre Berufung noch gewissenhafter wahrnehmen, sich zum geistlichen Kampf in das Heer des Lichtes einzureihen.
Wir Christen sind nach Eph. 6 oft in die Zone des Kampfes zwischen dem Reich des Lichtes und der Finsternis gestellt. Standhaft sollen wir jeder Verlockung des Satans widerstehen und dem Herrn die Treue bewahren. Diese Treue bewährt sich aber gerade auch darin, daß wir selbst in jenen Geisterkampf eintreten. Es geht darum, gegen die dämonischen Angriffe des Feindes auf die Gemeinde einen Schutzwall des Gebetes zu errichten. ja, in der Kraft des Heiligen Geistes können wir dem Evangelium den Weg auch in dämonisch blockierte Herzen anderer Menschen bahnen. Solcher Kampf kann im äußersten Falle das Leben kosten (Offbg. 13,7). Das lehren uns die Märtyrer Christi. Aber gerade sie haben auch teil an seinem Sieg über den Feind. Denn von ihnen heißt es:
Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod (Offbg. 12,11).»
Was hier Prof. Beyerhaus grundsätzlich gesagt hat, muß nun etwas detailliert wiederholt werden. Für mich besteht dabei die Schwierigkeit, daß ich schon in einigen Büchern den Weg der Befreiung aus okkulter Belastung oder Besessenheit dargestellt habe. Und zwar findet man das in »Heilung und Befreiung», in »Okkultes ABC», ferner in den englischen Titeln »Between Christ and Satan», »Occult Bondage and Deliverance» und »Demonism Past and Present». Bei einer neuen Darstellung wird es ohne Wiederholungen nicht abgehen. Darum soll dieser Teil, der eigentlich der wichtigste ist, kurz zusammengefaßt werden. Ich folge dabei teilweise den 20 Punkten des Buches »Okkultes ABC» auf den Seiten 461 bis 519.
Von vornherein muß dabei ein Mißverständnis abgewehrt werden. Bei diesen 20 Punkten geht es nicht um ein Schema oder System. Es soll keine Schablone angefertigt oder eine Methode entwickelt werden. Der Heilige Geist braucht keine menschlichen Denkmaßstäbe oder Eingliederungen in bekannte oder faßbare Vorstellungen. Er kann voraussetzungslos einen Menschen befreien. Diese Punkte, deren Zahl hier vermindert wird, haben nur den Sinn, daß wir alles beachten wollen, was das NT zur Frage der Befreiung zu bieten hat.

1. Echte Befreiungen gibt es nur durch Christus. Wenn aber ein Befreiter Jesus nicht treu ist, kommen die verjagten Dämonen zurück. Das kennen wir auch aus Lukas 11,24.

2. Alle okkulten Gegenstände sind zu vernichten. Wer frei werden und frei bleiben will, hat alle Dinge okkulter Herkunft und Prägung zu vernichten. Dazu gehören auch die schönsten und vielleicht sogar vergoldeten Buddhastatuen. Dazu gehören ferner Lorbers Werke, auch wenn sie in Leder und mit Goldprägung gebunden sind.
Ich erinnere mich an den Besuch bei einer alten Frau. Sie hatte einen sogenannten Himmelsbrief in ihrer Bibel liegen. Ich bat sie, diesen Brief zu verbrennen. Sie war empört und sagte. „Das ist etwas Frommes.“ Sie hatte keinen guten Tod. Ich war dabei. Sie stand bis zum Tode im Banne der Zaubereisünden.

3. Alle Kontakte mit Personen die Spiritisten oder Wahrsager oder Okkultisten anderer Schattierung sind, müssen aufgegeben und gebrochen werden.
Es ist sträflicher Leichtsinn, wenn Pfarrer oder Nichttheologen aus Neugierde oder aus Studiengründen an Seancen teilnehmen. Pfarrer aus Wels, aus Heidelberg, aus München, aus Pforzheim und anderen Orten haben mir von ihrem Besuch bei Spiritisten berichtet.

4. Eine sehr wichtige Station der geistlichen Führung ist, daß der Belastete seine Sünden erkennt und bekennt. Sündenerkenntnis und echte Reue ist ein Werk des Heiligen Geistes. Sündenbekenntnis oder Beichte zeigt unsere Bereitschaft, unser Leben vor Gott in Ordnung zu bringen.
Der Seelsorger darf niemand zur Beichte zwingen. Geistlicher Knospenfrevel rächt sich.
Bei Zaubereisünden gibt es aber ohne Beichte und Buße keine Befreiung. Das wissen alle, die auf diesem Gebiet Hilfe zu leisten haben.
1. Joh. 1,9: „So wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, daß er unsere Sünden vergibt und reinigt uns . . . „ Beichte Vergebung Reinigung ist der Dreiklang dieses Textes.

5. Zaubereisünden sind ein unbewußter Vertrag mit Satan. Dieser Vertrag muß gekündigt werden. Der Ausdruck „unbewußt“ spielt eine ganz große Rolle. Viele Neurotiker, Depressive, Psychopathen leiden unter den Folgen unbewußter Zaubereisünden. Ich gebe ein Beispiel.
Bei meinem Vortragsdienst hörte ich von einer Hebamme, die viele Jahre in einem Dorf die Kinder zur Welt gebracht hatte. Sie besprach alle Kinder nach ihrer Geburt und verschrieb sie dem Teufel, ehe sie zur Taufe in die Kirche gebracht wurden. Diese Kinder wachsen heran, haben seelische Störungen und Anomalitäten, ohne um die Ursachen zu wissen. Manchmal zeigen sich die Störungen erst dann, wenn solche Menschen sich für Christus entscheiden wollen.
Es gibt also Menschen, die belastet sind und den Hintergrund ihrer Störungen nicht kennen. Man kann also unschuldig unter einem Bann stehen. Das entspricht auch dem ersten Gebot, „der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied, die mich hassen.“
Gott sieht den Menschen im Verband seiner Familie und Ahnenreihe. Unsere Anthropologen und Vererbungsforscher wissen um die Belastungen, die Generationen weiterlaufen. So sagte einmal Professor Pfahler: „Das Blut unserer Vorfahren rollt in unseren Adern.“ In geistlicher Hinsicht ist die successio peccatorum die Erbfolge der Sünde noch ausgeprägter.
Seelsorger auf dem Gebiet der okkulten Belastungen geben darum den Rat, sich nicht nur von eigenen Zaubereisünden loszusagen, sondern auch von denen der Vorfahren. Da Belastete oft die Verfehlungen der Vorfahren auf diesem speziellen Gebiet nicht kennen, darf man auch in folgender Weise beten: „Herr, wenn bei meinen Eltern und Vorfahren Zaubereisünden vorgefallen sind, sage ich mich in deinem Namen davon los und übergebe mein Leben dir, meinem Erlöser und Heiland.“ Ein solches Gebet kann frei formuliert werden und darf niemals als Formel aufgefaßt werden.
Sich auch von Zauberern, Weissagern, Astrologen, Magnetopathen usw. lossagen, d. h. von allen Menschen, durch die man in kontraktliche Verbindung mit den Mächten der Finsternis getreten ist, und auch von allen teuflischen Irrlehren. „Saget euch doch los von den Menschen, in deren Nase nur ein Hauch ist! Denn als was sind sie zu achten’? (Jes. 2,22).

6. Ergreife im Glauben die Vergebung. In der Seelsorge an okkult Belasteten spielt der Glaube eine entscheidende Rolle. Paulus sagt im Römerbrief: „So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.“ Der Glaube ist gleichsam das Bindeglied zwischen dem vollbrachten Erlösungswerk Jesu und uns. In Hebräer 11,6 heißt es: „Wer zu Gott kommen will, der muß glauben … ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Ohne Glauben können wir uns die Heilsgüter Gottes nicht aneignen. Es ist aber eine Erfahrungstatsache, daß gerade die okkult Belasteten es sehr schwer haben, glauben zu können. Aus diesem Grunde müssen wir alle Hilfsmittel in Anspruch nehmen, die das Neue Testament uns bietet, den toten inneren Punkt des Unglaubens zu überwinden.

7. In manchen Fällen gab mir der Herr die Freiheit, einen Menschen in seinem Namen loszusprechen. Das gründet sich auf Mt. 18,18: „Was ihr auf Erden lösen werdet, das soll auch im Himmel los sein.“
Beim Lossprechen darf man nie voreilig handeln. Ohne Beichte und Bereitschaft, Jesus nachzufolgen, kommt ein Lossprechen nicht in Frage. Und selbst dann muß man erst den Herrn fragen, ob es seinem Willen entspricht. Es gib ja Gläubige, die reservierte Gebiete haben, die sie dem Herrn nicht ausliefern. Wenn ein Seelsorger voreilig handelt, kann er hinterher angefochten werden. Das liegt in der Linie des Pauluswortes: „Macht euch nicht teilhaftig fremder Sünden“ (1. Tim. 5,22).
Ein gutes Beispiel darf erwähnt werden. Eine Pfarrfrau mit Belastungen war bei mir zur Aussprache. Sie hat so aufrichtig gebeichtet und war demütigen Herzens, daß ich die innere Freiheit bekam, sie loszusprechen. Ich habe sie dann lange Zeit aus den Augen verloren. Eines Tages berichtete mir ein Pfarrer, daß diese Frau seither befreit ist.

8. Nach Lukas 11,24 kommen die verjagten Mächte und Dämonen gern zurück. Das erlebt jeder Seelsorger, der auf diesem gefährlichen Gebiet arbeitet. Der befreite Christ muß darum über die Abwehrmaßnahmen biblisch gut orientiert sein. Wir brauchen einen wirksamen Kampfstil, denn wir haben es mit einem listenreichen und machtvollen Feind zu tun.
Paulus mahnt seinen jungen Mitarbeiter Timotheus: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!“ (l. Tim. 6, 12) Im zweiten Brief an Timotheus nimmt der Apostel dieses Thema noch einmal auf: „So jemand auch kämpft, wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht“ (2. T. 2,5). An die Römer schreibt dieser oft angefochtene Gottesmann: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, daß ihr mir helft kämpfen mit Beten für mich zu Gott“ (Röm. 15,30).  . . .

Wir müssen nun in Stichworten die Formen des Kampfstils andeuten. Längere Erläuterungen zu diesein Thema finden sich in »Okkultes ABC».

a) Die Wachsamkeit. In den Evangelien finden wir oft den Aufruf zur Wachsamkeit. Dabei müssen wir beachten, daß Jesus die Wachsamkeit noch vor das Gebet stellt, wenn er sagt: „Wachet und betet!« (Mt. 26,41; Mk. 13,33; Mk. 14,38)
Satan und seine Dämonen haben die Eigenart, daß sie den Menschen besonders bei herabgesetzter Kraft angreifen, d.h. in der Krankheit, im Alter, bei zu starker Ermüdung, beim Sterben. Selbst, wenn wir kaum noch Kraft zum Beten haben, müssen wir immer noch wachsam sein. Wer nicht wachsam ist, wird leicht ein Opfer des Erzfeindes.
Die Taktik Satans ist raffiniert. Wenn ein Mensch von allen Belastungen frei geworden ist und in der ersten Liebe zum Herrn steht, dann sagt der Feind: „Warten wir einmal, bis das erste Feuer niedergebrannt ist, dann haben wir bessere Chancen, wieder die alte Stellung zu erobern.“ Wenn es gelingt, wird es mit dem Menschen ärger als zuvor.
Ich kenne einen Evangelisten, der in großem Segen gearbeitet hat. Auf einem Gebiet war er nicht wachsam. Heute steht er wieder in der Welt. Sein Licht ist erloschen. Ich habe früher mit ihm zusammengearbeitet. Er ist kein Europäer. Ich bete um ihn, daß der Herr ihn wieder zurückholt.

b) Es ist kein Synergismus, wie manche kritisierende Theologen es meinen, wenn ich sage: „Der Herr tut das, was wir nicht können. Er erwartet aber von uns das, was wir können.“ Aufgrund der vollbrachten Erlösung am Kreuz ist der Raum freigekämpft, in dem wir siegen können. Wir müssen aber alles in Anspruch nehmen, was die Bibel uns als Hilfe bereithält. Dazu gehören:
Die Gnadenmittel (Apg. 2,42): die tägliche Bibellese, Gemeinschaft der Kinder Gottes, Brotbrechen, privates Gebet und Gebetsgemeinschaft.
Tägliche, manchmal stündliche Inanspruchnahme der Blutskraft Jesu Christi. Jesus sagte (Joh. 6,56): „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Das Blut Jesu ist unsere Reinigung und unsere Bewahrung. Das Blut Jesu ist unser Panier.

Das Gebieten im Namen Jesu. Manche Christen meinen, nur ein Seelsorger dürfte im Namen Jesu gebieten. Das stimmt nicht. Alle Gläubigen sind aufgerufen, das Schwert des Geistes zu führen. Ich sage denen, die durch Gottes Macht frei geworden sind, gewöhnlich: „Wenn Angriffe kommen, stellen Sie sich unter den Schutz des Blutes Jesu, und dann gebieten Sie im Namen des Herrn den angreifenden Mächten, daß sie weichen müssen.“ In meinem eigenen Leben und in der Seelsorge mußte ich oft gebieten. Ein Beispiel dazu.
Ein durch Zauberei schwer belasteter Mann fing beim Beten zu lästern an. Ich holte zwei weitere Brüder zur Verstärkung. Beim Gebet fing der Belastete abermals zu fluchen und zu lästern an. Da fühlte ich mich gefordert. Ich blickte im Geist auf zum Herrn, dann gebot ich in seinem Namen. Sofort hörte das gräßliche Lachen und Lästern auf.
In Apg. 16,16f. haben wir das Beispiel, daß Paulus den Wahrsagegeistern der Zauberin von Philippi im Namen Jesu gebot. Die Frau wurde daraufhin frei. Der Endsieg ist des Herrn.

Jesus ist kommen, der starke Erlöser,
bricht dem gewappneten Starken ins Haus.
Sprenget des Feindes befestigte Schlösser,
führt die Gefangenen siegend heraus.
Fühlst du den Stärkeren, Satan du Böser?
Jesus ist kommen, der starke Erlöser.

15. Nicht umsonst gelebt

. . . Wem die Inspiration des Heiligen Geistes fehlt, dem fehlt auch die Inspiration über die Existenz und Wirksamkeit des Teufels.
Pater Sterzinger erklärte an der Münchner Universität: „Den Teufel zu leugnen, ist Unglaube, ihm zu wenig Macht zuzuerkennen, ist ein Irrtum, ihm zu große Gewalt zuzuschreiben, ist ein Aberglaube“ (zitiert bei van Dam, Seite 109). Das ist ein biblisch gesundes Urteil eines Katholiken, das ich voll unterschreibe.
Der Teufel ist ein Meister des Rationalismus.  . . . 

Christus wäre umsonst gekommen, wenn Satan nur eine Personifizierung des Bösen oder eine Außenprojektion der unmoralischen Qualitäten des Menschen wäre. Nein, er ist gekommen, die Werke des existentiellen Teufels zu zerstören (l. Joh. 3,8).

Die Gemeinschaft des Geistes

  . . .  In allen erstrangigen amerikanischen Veröffentlichungen zum Thema Besessenheit sind meine Bücher positiv erwähnt und zitiert.
Als erstes wäre zu nennen „Biblical Demonology“ von Professor Dr. theol. Dr. phil. Merill Unger, einem Experten für das AT und für semitische Sprachen. Insgesamt 70mal hat er auf meine Bücher in Anerkennung hingewiesen.
Wissenschaftlich von noch höherem Rang ist der Titel „Demon Possession“, herausgegeben von Prof. Dr. theol. Dr. jur. J. W. Montgomery. Er hat in Straßburg und in Chicago promoviert und ist Autor von mehr als 30 Büchern.  . . . Diese führende Veröffentlichung zitiert elfmal in positiver Weise meine Bücher. Beim Studium dieses Buches kam mir zum ersten Mal der Gedanke: Ich habe nicht umsonst gearbeitet.
Ein Zitat darf vielleicht erwähnt werden, weil es ein Stück Herrlichkeit Gottes in meinem Leben aufzeigt. Vor zwei Jahrzehnten wurde mein Buch „Christian Counselling and Occultism“ . . .  zu den Klassikern gezählt oder das führende Buch auf diesem Sektor genannt. Ein Professor der Psychologie, Dr. Gary R. Collins, schrieb . „A much more complete discussion of counselling and the occult can be found in Kurt Koch’s classic volume, Christian Counselling and Occultism.“ (Montgomery, Seite 251). Ist das nicht „Segen die Fülle aus dem offenen Fenster des Himmels“? (Mal. 3, 10) Inzwischen sind insgesamt 16 meiner Titel in englisch erschienen.

Unter der europäischen Literatur muß ich an erster Stelle das Buch von Willem C. van Dam erwähnen „Dämonen und Besessene“ (Pattloch Verlag, Aschaffenburg). Es ist eine Fundgrube für historische Fakten, biblische Wahrheiten und seelsorgerliche Erfahrungen. Obwohl ich zwar bei verschiedenen Einzelheiten anders denke und geführt worden bin, empfehle ich das Buch wärmstens. Van Dam entfaltet eine große seelsorgerliche Weisheit in seiner Veröffentlichung und bezieht klare biblische Positionen.
Nicht unerwähnt darf das schon zitierte Buch von Jesuitenpater Rodewyk bleiben „Dämonische Besessenheit heute“. Was in diesem Buch aus der katholischen Tradition stammt und nicht biblisch beweisbar ist, kann ich als evangelischer Theologe nicht akzeptieren. Dennoch fand ich viele Einzelheiten und seelsorgerliche Beobachtungen, die meiner eigenen Erfahrung konform gehen. Auf jeden Fall versteht Rodewyk das Problem der Besessenheit, von dem der katholische Professor Haag in Tübingen keine Ahnung hat.
Es gibt eine Gemeinschaft des Geistes über Kontinente und Konfessionen hinweg, es gibt eine Bruderschaft Christi jenseits aller Zäune und Grenzen. Die Bibel und ihre Ausstrahlungen einigt, die Theologie trennt. Ich bin darüber froh, daß ich in der weltweiten Gemeinschaft der Kinder Gottes stehen darf, in dieser congregatio sanctorum. . . .
Nicht umsonst gelebt, das wurde mir noch auf einer viel wichtigeren Ebene gezeigt. Daß Bücher positiv zitiert werden, ist zwar ein Erfolg, aber eine schönere Frucht ist es, daß Menschen durch Veröffentlichungen angeregt werden, ihr Leben Jesus auszuliefern. Und das habe ich durch Gottes Gnade und Segen oft erlebt. Jahrzehnte hindurch erhielt ich Zuschriften von Menschen, die durch meine Bücher den Weg der Befreiung gesucht und gefunden haben.
Eine Frau aus Frankreich schrieb mir, sie hätte mich zwar nie gehört, aber durch den Titel „Aberglaube“ angeregt, habe sie Jesus gefunden.
Nach einem Vortrag in Otorohanga auf Neuseeland kam eine Frau in die Sakristei der Kirche. Sie bekannte sich als ehemalige Zauberin. Eine Freundin hatte ihr mein Buch gegeben „Between Christ and Satan“. Es wurden ihr die Augen geöffnet. Sie tat Buße, vernichtete ihre Zauberutensilien und übergab ihr Leben Jesus. Als ich diese befreite Frau kennenlernte, war sie Sonntagsschulhelferin ihrer Kirche.
Eine Frau aus Brisbane in Australien erzählte mir, daß ihr Sohn „Between Christ and Satan“ las und dann seine magische Praxis aufgab und sich Jesus auslieferte.
Ein Psychiater in England berichtete mir anläßlich meiner Vorträge in der Ecclectic Society, daß mein Buch „Christian Counselling and Occultism“ ihm die Augen als Mensch und Arzt geöffnet habe. Er hatte meine Thesen geprüft und angenommen. Seither arbeitet er im Segen, nicht nur auf dem Gebiet der Psychosen, sondern auch im Bereich der dämonisch verursachten Störungen.
Eine amerikanische Schriftstellerin, die zwei bedeutende Bücher geschrieben hat, veröffentlichte ihr Zeugnis. Sie sagte darin, daß sie im Okkultismus steckte und ihn praktizierte, bis ihr meine Bücher die Augen öffneten. Sie tat Buße und übergab ihr Leben Jesus.
Solche Berichte habe ich Jahrzehnte hindurch erhalten. Die schönsten Berichte habe ich gesammelt. Ein dicker Leitzordner ist damit gefüllt. Ich bin mir bewußt, daß ich das bei der Endabrechnung in der Ewigkeit nicht als Pluspunkte präsentieren kann. Nichts aus meinem Leben ist Grundlage meiner Errettung, sondern allein die Tat Jesu am Kreuz von Golgatha, der für meine schrecklichen Sünden gestorben ist. IHM verdanke ich alles: die Vergebung meiner Schuld, den Frieden des Herzens, die Gewißheit des Heils und des ewigen Lebens.  . . .

Ihm sei Ehre, Preis und Anbetung in alle Ewigkeit! Amen.

Leichte Kürzungen und die Hervorhebungen wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im April 2007 (Neu durchgesehen im Mai 2023)

info@horst-koch.de

Weiterere Beiträge von Pfr. Dr. Kurt Koch auf meiner Webseite:
1. SEELSORGE UND OKKULTISMUS
2. DER ABERGLAUBE
3. CHRISTUS ODER SATAN – Wahrsagen, Magie, Spiritismus, Wider das 6./7. Buch Mose, Wunderheilungen.
4. DIE GEISTESGABEN
5. WEICHENSTELLUNG – Okk. Belastung und seelische Erkrankung, eine Unterscheidungshilfe
6. DIE ZUNGENBEWEGUNG

 




Besessenheit (Dr. K.Koch)

Kurt E. Koch

Besessenheit

– aus dem Buch OKKULTES ABC, 1984, Seiten 80 bis 85 –

Es liegt mehr als 20 Jahre zurück. Prof. Bender hatte mich eingeladen, in seinem Institut in Freiburg über das Problem der Besessenheit zu sprechen. Eingeladen waren einige Psychologen, katholische Theologen und ein Professor der Klinik. Nach dem Vortrag war eine Diskussion über eine Patientin der psychiatrischen Klinik, die Krankheitssymptome zeigte, die dem Psychiater fremd waren. Die Patientin konnte plötzlich aufschreien und erklärte, sie werde von unsichtbaren Mächten geschlagen. Es zeigten sich Schlagspuren auf dem Körper. Ein andermal schien sie von einer großen Schlange erdrückt zu werden. Die Schlangenwindungen wurden von einem Assistenzarzt fotografiert. Der Psychiater erklärte diese Erscheinungen als psychogen bedingte Dermographismen (seelisch bedingte Hautveränderungen).

Einmal versuchte eine Schwester, die Patientin zu schützen und legte ihre Arme um sie. Da wurde die Schwester geschlagen. Der Psychiater erklärte das als seelische Induktion (Übertragung). Manchmal sprachen Männerstimmen aus der Patientin, die sich als sieben Teufel ausgaben. Der Psychiater nannte diesen Vorgang Dissoziation (Aufspaltung) des Unbewußten in sieben selbständige Teile. Gelegentlich kamen auch Hellsehphänomene vor.

Der Professor fragte die anwesenden katholischen Theologen nach ihrer Meinung. Sie erklärten: »Das ist Besessenheit.« Der Psychiater war etwas erregt und antwortete: »Das hat Ihr Bischof in dem Begleitschreiben schon angedeutet. Ich glaube das nicht. Für mich ist das höchstens ein Fall von Hysterie, allerdings einer Form, die ich bisher nicht kannte.« Dann fragte er auch nach meiner Meinung. Ich stellte zunächst eine Gegenfrage: »Wissen Sie, ob diese Frau sich mit Magie oder Spiritismus befaßt hat?« Es wurde bejaht. Dann gab ich meiner Überzeugung Ausdruck, daß wir hier einen Besessenheitsfall vor uns haben. Hinterher erfuhr ich noch, daß diese Frau sich mit ihrem Blut dem Teufel verschrieben hatte.

Es ist durchaus begreiflich, daß Wissenschaftler sich scheuen, einen Besessenheitsfall anzuerkennen. Besessenheit ist kein medizinischer, sondern ein religiöser Begriff. Nicht verständlich ist aber, daß die meisten Theologen sich von den Psychiatern und Psychologen ins Schlepptau nehmen lassen. Damit sind nicht nur die modernen Theologen gemeint, sondern auch solche, die in der Gemeinde Jesu einen guten Namen haben. So hat zum Beispiel Prof. Vicedom in Gegenwart von 2500 Menschen in der Hamburger Michaeliskirche erklärt: »Das Dämonische ist das Untermenschliche und das Übermenschliche in uns.« Damals lebte noch Friedrich Heitmüller. In seinem Saal Holstenwall 21 versuchte er, Vicedom zu korrigieren und sagte: »Das Dämonische ist weder das Untermenschliche noch das Übermenschliche, sondern das Außermenschliche.«

Die Ächtung durch die »zünftige« Wissenschaft ist auch der Grund, warum kaum ein Theologe es wagt, ein Buch über die Besessenheit zu schreiben. Wenn man nach Büchern über die Dämonen sucht, muß man schon über die Zäune sehen.

In der profanen Literatur wäre der Titel »Die Dämonen Wesen und Wirkung eines Urphänomens« von Robert Müller Sternberg zu nennen. Es ist historisch und geistesgeschichtlich, aber nicht aus der Sicht des Neuen Testaments geschrieben. Ein gläubiger Christ kann mit dem Buch nicht viel anfangen.
In biblischer Hinsicht gibt das Buch eines Jesuitenpaters, Adolf Rodewyk, wesentlich mehr. Sein Titel lautet »Dämonische Besessenheit heute«. Was Rodewyk hier schildert, kenne ich aus der eigenen Seelsorge. Es ist mir ohnehin schon lange klar, daß die katholische Kirche mehr praktische Erfahrungen mit Besessenen hat als die protestantischen Theologen. Es gibt allerdings in der evangelischen Kirche Laienbrüder, die sich der Besessenen annehmen. Ihre Zahl ist aber klein.
Was ich in dem Buch von Rodewyk nicht akzeptieren kann, ist die teilweise Überbewertung der Taufe. Zum andern ist es für biblisch orientierte Christen unmöglich, die Sünden eines anderen sühnend auf sich zu nehmen. Man findet das in Rodewyks Buch auf Seite 46. Es gibt nur einen Sühnevorgang: das sühnende Sterben Jesu Christi am Kreuz von Golgatha.
Außerdem gibt es in diesem Buch typisch katholische Partien, die mit der Bibel nicht in Einklang zu bringen sind. Dennoch haben Rodewyk und ich viele gemeinsame Erfahrungen. Beim Exorzismus zum Beispiel betet er genau wie ich auch: »Im Namen Jesu Christi, des Sohnes Gottes, gebiete ich euch unreine Geister, diesen Menschen zu verlassen.«
Dieses Gebet darf nicht als Formel verstanden und benützt werden. Es kann auch anders formuliert werden, nur müssen wir den Mut haben, die Autorität in Anspruch zu nehmen, die Jesus seinen Jüngern in Lukas 10,19 gegeben hat: »Sehet, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione und über alle Gewalt des Feindes, und nichts wird euch beschädigen.«
Im amerikanischen Raum gibt es im Blick auf Besessenheit mehr biblisch ausgerichtete Literatur als im europäischen Raum. Es ist unmöglich, alle bedeutenden Titel zu erwähnen. Die wichtigsten seien genannt:
Biblical Demonology von Dr. Merrill F. Unger; – Demons in the World today von Dr. Merrill F. Unger; – Demon Possession von John L. Nevius.
Es gibt ferner viele zweit und drittrangige Literatur extremer Kreise, die mehr Verwirrung schaffen, als Klarheit zu bringen.

Die Auseinandersetzung mit der Psychiatrie würde zuviel Raum erfordern. Es wäre auch erfolglos. Ein Psychiater, der nicht Christ ist oder nur Namenchrist, ist von der Tatsache der Besessenheit nicht zu überzeugen. Einige Argumente sollen aber trotzdem erwähnt werden.

1. Die Psychiater erklären, Jesus und seine Jünger waren Kinder ihrer Zeit. Sie wußten es nicht besser. Was sie als Besessenheit ansahen, war in Wirklichkeit eine Geisteskrankheit. Bis zum Überdruß habe ich dieses Argument gehört. Und es ist so einfach, es zu widerlegen. Jesus, seine Jünger und die Schreiber der neutestamentlichen Schriften haben Krankheiten und Dämonie wohl unterschieden. Krankheit und Besessenheit werden in folgenden Bibelstellen klar auseinandergehalten: Mt. 4,24; Mt. 8,16; Mt. 10,1; 10,8, Mk. 1,32; Luk. 9,1 2 und an anderen Stellen.
2. Die Reaktionen der Geisteskranken und Besessenen sind verschieden. Ich will hier nicht wiederholen, was ich in anderen Büchern veröffentlicht habe. In dem Titel »Demonology, Past and Present«, ab Seite 136, habe ich acht Zeichen der Besessenheit angeführt. Hier sollen nur einige Hauptmerkmale erwähnt werden:

a. Die Tobsuchtsanfälle, die nur bei geistlicher Betreuung eintreten.
B 1 Ich wurde zu einer Frau gerufen, die jedesmal, wenn man mit ihr beten wollte, zu toben anfing. Auch bei mir tat sie das. In solchen Fällen pflege ich, im Namen Jesu zu gebieten.

b. Die Trance.
Wenn man mit Menschen beten will, die sich durch Spiritismus unter einen Bann gebracht haben, dann fallen sie sofort in Trance.
B 2
In Zürich brachte ein Prediger eine Frau zu mir in die Seelsorge. Als ich mit ihr betete, fiel sie in Trance und streckte die Zunge gegen mich heraus. Als ich Amen sagte, kam sie wieder zu sich. Ich fragte sie, ob sie spiritistische Sitzungen besucht habe. Sie bejahte. Seit neun Jahren gehörte sie einem Zirkel an.

c. Das Sprechen nicht erlernter Sprachen.
Im Rituale Romanum wird das auch als Zeichen von Besessenheit angesehen. Eines Tages kam ein junger Mann zu mir in die Seelsorge. Beim Gebet fiel er in Trance, und die Stimmen, die aus ihm redeten, gebrauchten Fremdsprachen, die der junge Mann nicht gelernt hatte. Das ist das stärkste Argument gegen die Haltung der Psychiater. Ein Geisteskranker spricht nicht plötzlich in Fremdsprachen, die er nicht gelernt hat.
Die Symptome der Geisteskrankheiten und der Besessenheit sind verschieden. Die Zeichen der Besessenheit sind nur für den erkennbar, der eine Wiedergeburt durch den Heiligen Geist erlebt hat. Auf Namenschristen reagieren die Dämonen nicht. Das klingt alles so hart und überheblich und ist doch klar biblisch. . . .

Unter gläubigen Christen wird die Frage heiß diskutiert, ob ein Christ besessen sein kann oder nicht. Langjährige Erfahrung zeigt folgenden Sachverhalt: Wer keine Erfahrung mit Besessenen hat, sagt nein. Wer viel Seelsorge mit Besessenen hat, weiß, daß auch Gläubige von Dämonen kontrolliert oder beherrscht sein können. Diese Tatsachen richten sich nicht nach einer vorgefaßten Meinung. Es sind Gegebenheiten, nach denen wir uns zu richten haben. Besonders im amerikanischen Raum hatte ich viele Diskussionen über dieses Gebiet. Um so mehr gedenke ich dankbar der Männer, die meine eigenen Erfahrungen bestätigen.
Zu denen gehören: Dr. Edman, der frühere Präsident des Wheaton College, der schon erwähnte Prof. Unger, der Psychiater Dr. med. Dr. theol. Jackson von Milwaukee, der Psychiater Dr. Reed und andere. Bei meinen Vorträgen am Baptistenseminar in Grand Rapids erklärte Prof. Matthews, er habe mehr besessene Gläubige als besessene Ungläubige gehabt. Auch Pastor G. Birch muß ich nennen. In einem Brief vom 21. September 1973 schrieb er: »Meine Frau und ich hatten auf Borneo Erfahrungen gesammelt, im Namen des Herrn Jesu Christi Dämonen auszutreiben. Aber hier in unserer Heimat (Kanada) erlebten wir es, daß in 18 Monaten 120 Menschen von einer Besessenheit frei wurden. Alle diese Menschen waren Christen.« Mein Freund Bruder Birch ist kein Extremist. – Meinen ausführlichsten Bericht über einen Besessenen ist in meinem Buch »Unter der Führung Jesu«, ab Seite 250, zu finden.
Dr. Lechler, der erfahrene Psychiater, der ebenfalls die Tatsache der Besessenheit gelten ließ, nannte diesen Bericht das bestfundierte Beispiel einer Besessenheit.
In England fand ich auch einige Psychiater, die meine Überzeugung teilen. Vor einigen Jahren war ich von Dr. med. Martin Lloyd Jones eingeladen am Westminster Gate zu Psychiatern über das Problem Besessenheit zu sprechen. Es waren nur christlich eingestellte Psychiater eingeladen. Bei der Diskussion meldete sich ein Psychiater mit dem üblicher Argument, was die Bibel Besessenheit nenne, sei heute nur eine Geisteskrankheit. Es war nicht nötig daß ich diese Meinung zu korrigieren versuchte. Es meldeten sich zwei weitere Psychiater, die dem ersten widersprachen. Der eine erklärte: »Ich hatte in meiner Praxis sieben Fälle von Besessenheit.« Der andere sagte: »Und ich hatte elf Besessenheitsfälle.« Der Letztgenannte wurde noch mein Freund. Wir hielten zusammen ein Seminar für 200 anglikanische Priester. Während dieser Woche eröffnete mir dieser gläubige Bruder: »Ihr Buch Seelsorge und Okkultismus hat mich mit dem Problem der Besessenheit konfrontiert. Ich habe nun jahrelang typische Fälle beobachtet, die sich in der psychiatrischen Nomenklatur nicht unterbringen lassen. Da entdeckte ich die Wahrheit der von Ihnen vertretenen These.«
Wenn es keine Dämonen gäbe, hätte Christus sie nicht entmächtigen müssen (Kol. 2,15). – Wenn Gläubige nicht vom Satan zum Sprachrohr mißbraucht werden könnten, hätte Jesus in Mt. 16,23 nicht zu Petrus sagen müssen: »Hebe dich von mir Satan, du bist mir ein Ärgernis.« –
Wir wissen um die Macht des Feindes. Wir kennen die Versuchlichkeit der Gläubigen, wir wissen aber noch viel mehr vom Sieg Jesu Christi. Der Siegesruf des Apostels läßt die Hölle erbeben: »Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesus Christus!«

Dem Buch von Pfr. Dr. Kurt E. Koch OKKULTES ABC entnommen, von Horst Koch, Herborn
Im Februar 2006 – Die Betonungen im Text sind von mir –

Ergänzende Literatur von Dr. Kurt E. Koch:
1. Besessenheit und Exorzismus
2. Christus oder Satan
3. Heilung und Befreiung
4. Seelsorge und Okkultismus
5. Der Spiritismus
6. Der Aberglaube
7. Das Wahrsagen
8. Die Magie
9. Engel und Dämon – Dr. Adolf Köberle
10. Spiritistische Kommunikation – Rev. Dave Hunt
11. Satan – der Widersacher Gottes – Bibellehrer Erich Sauer

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Das Leben Jesu (A. Fruchtenbaum)

Arnold Fruchtenbaum

Das Leben Jesu

Das Folgende stellt einen Auszug einer zwanzigstündigen Vortragsreihe des amerikanischen Judenchristen Arnold Fruchtenbaum dar. Der Schwerpunkt dieser tiefen Auslegungen, die durch eine genaue Kenntnis des Judentums der Zeit Jesu möglich wurden, liegt auf den MESSIANISCHEN ZEICHEN UND WUNDERN.
Dem Leser dieser Zeilen wünsche ich großen Gewinn. Er möge gleich dem Hausbesitzer sein, der aus seinem Schatz altes und neues hervorholt.
Jürgen Neidhart, Pfr.

Johannes der Täufer begann laut Matthäus 3,1-3 seinen Dienst damit, daß er das Kommen eines Königs – nämlich des Messias – verkündigte. Und indem er vom kommenden Messias predigte, begann eine messianische Bewegung. Laut den Gesetzen der Mischna (= mündlich überliefertes Gesetz der Juden) mußte der Hohe Rat beim Aufkommen einer messianischen Bewegung zwei Dinge unternehmen: Die erste Phase war die Phase der Beobachtung. Eine Delegation wurde von Jerusalem ausgesandt, um zu beobachten, was gesagt und getan wird. Sie sollten keine Fragen stellen und auch keine Kommentare abgeben. Nur beobachten: Nach einer gewissen Zeit des Beobachtens sollten sie zum Hohen Rat zurückkehren und dort einen Rapport erstatten und auch Fragen wie folgt beantworten: Ist die Bewegung von Bedeutung oder nicht? War sie unbedeutend, so hat man die ganze Sache fallen gelassen.

War sie bedeutend, dann formierte man in einer zweiten Phase eine neuerliche Delegation. Und die wurde nun ausgesandt, um konkrete Fragen zu stellen: “Wer bist du, und wer behauptest du zu sein? Und durch welche Vollmacht lehrst und tust du das, was du tust?”
In Matthäus 3, 7 -10 sehen wir die erste Phase der BEOBACHTUNG in Bezug auf Johannes des Täufers. Wir lesen, daß die Pharisäer und die Sadduzäer zu ihm und seiner Taufbewegung kamen, aber nicht, um getauft zu werden. Sie sind nur zum Beobachten da. Es wird deutlich gesagt, daß, als sie ihre Beobachtungen abgeschlossen haben, sie dem Hohen Rat berichten, daß es sich um eine bedeutende Bewegung handelt. Denn dann kommt eine zweite Delegation in Johannes 1,19 – 28, und dort stellen sie konkrete Fragen. Dreimal wird besonders erwähnt, daß sie von Jerusalem gesandt wurden: Verse 19, 22 + 25. Sie wurden also von den Pharisäern gesandt und stellen nun Fragen: Wer bist du? Wenn du nicht der Messias bist, bist du dann Elia? Wenn du nicht Elia bist, bist du dann der verheißene Prophet aus 5. Mose 18, 15?
In jeder Hinsicht betont Johannes, daß er nicht der Messias oder Elia oder der Prophet ist, sondern bezeichnet sich als Vorläufer des Messias, der in Jesaja 40 & Maleachi 3 vorhergesagt wurde.

Wir werden gleich sehen, wie diese beiden Phasen der Untersuchung des Hohen Rates auch auf Jesus angewandt werden.

Kurz nachdem Johannes vom Hohen Rat untersucht wurde, beginnt Jesus seinen Dienst. In Johannes 2,23 -25 lesen wir, daß er seinen öffentlichen Dienst in Jerusalem mit öffentlichen (WUNDER-) ZEICHEN anfängt. Zu Beginn seines Dienstes dienten die Wunder als Zeichen für die NATION (Volk Israel):

Nämlich, um das Volk Israel zu einer Entscheidung zu bringen, daß er der Messias sei. Später änderte sich dieser Zweck, dieses Ziel seiner Wunder, wie wir sehen werden. Doch am Anfang hatten die Wunder Jesu die Zielsetzung, als Zeichen für die Nation zu gelten.

Unter denen, die diese Wunder beobachten, ist auch ein Mann namens Nikodemus, einer der Pharisäer. Laut Johannes 3 kommt dieser zu Jesus, um Erkundigungen anzustellen. Wir müssen daran denken, daß Nikodemus ein Pharisäer war und deshalb auch an den pharisäischen Judaismus glaubte. . .

Mit diesem Bericht über Nikodemus haben wir den Inhalt des Konflikts Jesu mit den Pharisäern aufgezeigt bekommen (Als Jude geboren zu sein, reicht nicht aus, um errettet zu sein). Obgleich wir nirgends lesen, daß Nikodemus sich gegen Jesus stellte. Jesus stellte in Joh. 3 jedoch seine pharisäische Lehre in Frage.

In der folgenden Zeit proklamiert Jesus weiter, daß er der Messias sei, und er beweist auch diese Behauptung durch viele Wunder.

Jetzt kommen wir zu einem sehr entscheidenden Abschnitt in Lukas 5. Denn hier wird uns die Geschichte von der Heilung eines Aussätzigen (Leprakranken) berichtet. Nirgendwo wird im Alten Testament nach dem Abschluß des Gesetzes die Heilung eines Juden vom Aussatz berichtet. Oft war es den Rabbinern möglich, andere Krankheiten zu heilen – doch nicht den Aussatz: Auch gab es in jüdischen oder alttestamentlichen Quellen keinen einzigen Bericht von einer Heilung von Aussatz nach der Gesetzesmitteilung.

Mose schrieb jedoch zwei Kapitel in 3. Mose 13 + 14 mit detaillierten Angaben für die Führer des Volkes, wie sie sich im Falle der Heilung eines Juden vom Aussatz verhalten sollten. Wenn ein Jude kommt und behauptet, er sei jetzt vom Aussatz; geheilt, dann mußte der Priester zuerst zwei Vögel opfern. Und dann mußte der “Geheilte” sich sieben Tage lang einer gründlichen Untersuchung unterziehen, um herauszubekommen, ob er wirklich Aussatz hatte, und wie er geheilt worden war. Wenn die Priester nach den sieben Tagen zufriedengestellt sind, wurden am achten Tag nochmals drei Opfer gebracht, und das Blut dieser Opfer wurde beim ehemaligen Aussätzigen angewandt. Danach wurde er mit Öl gesalbt. All diese Anweisungen gab es; doch sie wurden nie gebraucht.
Und weil es keinen Bericht eines vom Aussatz geheilten Juden gab, haben die Rabbiner dies als ein MESSIANISCHES WUNDER deklariert. – Die Rabbiner teilten Wunder in zwei Kategorien ein: Zuerst gab es da die Wunder, die jeder tun konnte, wenn er die Kraft Gottes hatte. Auf der anderen Seite gab es die Wunder, die nur der Messias vollbringen konnte.

In dieser zweiten Kategorie führten sie drei Hauptwunder auf, von denen das erste die Heilung eines Aussätzigen war.

In Lukas 5,12 -16 heilt Jesus einen Aussätzigen. Und dann sagt er zu ihm in Vers 14, er solle es niemanden erzählen, sondern sogleich zu den Führern Israels (den Priestern) gehen, “ihnen (den Führern) zum Zeugnis”.
Und dieses Zeugnis besteht darin, daß Jesus der Messias ist. Indem Jesus ihnen einen geheilten Aussätzigen schickte, forderte er sie dadurch heraus, eine Entscheidung (betreffend seiner Messianität) zu treffen. Sie hätten zum Schluß kommen müssen, daß dieser Mann aussätzig gewesen war und nun geheilt war. Und indem sie so vorgegangen wären, hätten sie den Messiasanspruch Jesu anerkennen müssen.

Wie sie aber in Wirklichkeit reagierten, sehen wir in den Versen 17 – 26. In Vers 17 wird uns mitgeteilt, daß die Führer des Volkes Israel von überall her zusammengekommen waren: Pharisäer und Schriftgelehrte, die aus allen Orten in Galiläa und Judäa und von Jerusalem gekommen waren. Und das Ganze fand in Galiläa statt, wohin Rabbiner nicht gerne gingen. Nun, was machen all diese Führer des Volkes Israel dort? Was hat sie dazu bewegt, aus ganz Israel zusammenzukommen? Das ist ihre REAKTION auf die Herausforderung, die sie durch die Heilung des Gelähmten bekommen hatten. Jesus muß sich jetzt der ERSTEN PHASE, der Phase der Beobachtung, unterziehen. Die Pharisäer stellen keine Fragen, sie beobachten nur.

Während sie gerade Jesu Lehre untersuchen, wird nun ein Gichtbrüchiger (Gelähmter) zu Jesus gebracht. Doch anstatt ihn zu heilen, sagt Jesus nur: “Dir sind deine Sünden vergeben.” (Lk. 5,20).
Das löst dann einen Sturm der Empörung aus unter den jüdischen Führern. Bekanntlich kann ja nur einer Sünde vergeben, und das ist Gott.
Wieso kann dann also Jesus behaupten, er habe die Vollmacht, Sünden zu vergeben? – Die Führer sind lediglich untereinander aufgebracht, denn sie dürfen jetzt noch keine Fragen stellen. Doch Jesus wendet sich ihnen zu und sagt: “Ich weiß, was ihr denkt:” Und er stellt ihnen eine Frage: “Was ist leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder dem Gichtbrüchigen zu sagen: Stehe auf und wandle?” Leichter ist es zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben. Denn dafür benötigt man keine äußeren Beweise. Nichts, was man beobachten könnte. Ich könnte jetzt zu euch allen sagen: “Alle eure Sünden sind euch völlig vergeben”, und ihr könnt mir nicht nachweisen, ob ich recht habe oder nicht. Denn solch eine Art von Feststellung erfordert keine sichtbare Manifestation. Wenn aber jemand mit zwei gebrochenen Beinen zu mir kommt, und ich zu ihm sage: “Ich heile dich jetzt, damit du laufen und tanzen kannst”, so ist das eine schwierige Aussage, denn sie verlangt einen sofortigen Beweis. Denn dann mußt du tatsächlich aufstehen und laufen können:
Jesus will hier sagen, daß er beweisen wird, daß er das Einfachere sagen kann: Deine Sünden sind dir vergeben, indem er das Schwierigere tut – indem er diesen Mann heilt.

Er tut also nun das Schwierigere und heilt ihn. Dafür gibt es einen sofortigen Beweis, da der Mensch aufsteht und geht. Deshalb kann Jesus auch das Einfachere sagen: Deine Sünden sind dir vergeben. Und indem Jesus die Vollmacht, Sünden zu vergeben, für sich in Anspruch nimmt, sagt er damit, daß ER GOTT IST.
Und gemäß des Alten Testamentes mußte der Messias beides sein – Gott und Mensch.

Von diesem Zeitpunkt an muß sich Jesus der ZWEITEN PHASE unterziehen, der Phase der UNTERSUCHUNG. Von nun an stellen sie ihm Fragen, warum er dies oder jenes tue, oder warum er es nicht tue. Und dies solange, bis sie das Urteil fällen, daß er nicht der Messias sei.
Liest man weiter in Lukas 5, dann sieht man, wie sich der Konflikt weiterentwickelt (Fastenfrage, Sabbatfrage etc.). Jesus bringt etwas völlig Neues, doch die Pharisäer entscheiden sich lieber für das Alte (Lk. 5, 36ff.)  . . .

Wir sahen, daß der Konflikt mit den Pharisäern schon mit Johannes dem Täufer begann. Nun kommen wir zu Matthäus 11,2-19, wo Jesus den Grund angibt, warum die Pharisäer Johannes abgelehnt hatten. In den Versen 16-19 wird ein Unterschied sichtbar zwischen den angegebenen und wirklichen Gründen. Der wirkliche Grund, warum sie Johannes ablehnten war der, daß er nicht nach ihrer Weise handelte; d.h. daß er den pharisäischen Judaismus ablehnte.

Und so nimmt er dieses Beispiel von den Kindern, die nicht tanzen oder spielen, so wie es ihnen vorgeschrieben wird. Das ist der wirkliche Grund, weshalb sie ihn ablehnten: Er war nicht bereit, nach ihrer Art und Weise zu handeln. Aber der angegebene Grund war, der, daß Johannes von Dämonen besessen war. Mit dieser Begründung lehnten sie ihn ab.

Schauen wir jetzt Matthäus 12 an, weil dies das wichtigste Kapitel im Leben Jesu ist, mit Ausnahme der Kapitel, die seinen Tod und seine Auferstehung behandeln.

In diesem Kapitel finden wir einen WENDEPUNKT im öffentlichen Dienst Jesu. Vieles wird sich von nun an verändern. Wenn wir es nicht verstehen, was hier passiert, werden wir auch später nicht verstehen, warum gewisse Dinge sich gerade so zutragen und nicht anders. In V. 22 treibt Jesus einen Dämon aus, der eine Person so in Besitz genommen hat, daß sie nicht sprechen konnte. In V. 23 sehen wir, wie das Volk deshalb eine Frage stellt: „Ist dieser nicht der jüdische Messias? Ist er nicht der Sohn Davids?“ Nun, warum würden sie so reagieren, wenn Jesus hier einen stummen Dämon ausgetrieben hat? Jesus hat früher auch schon andere Dämonen ausgetrieben, aber sie haben nicht diese Frage gestellt. Warum nicht? Warum gerade jetzt?

Im Judaismus wurden Dämonenaustreibungen auch praktiziert. Die Pharisäer und ihre Jünger haben oft Dämonen ausgetrieben. Jesus sagt es auch in Vers 27, wenn er die Pharisäer fragt “Durch wen treiben eure Söhne die Dämonen aus?” .

Im Judaismus mußte man, um Dämonen auszutreiben, ein spezielles Ritual befolgen. In diesem Ritual mußte man zuerst eine Kommunikation mit dem Dämon herstellen. Wenn ein Dämon spricht, dann gebraucht er die Stimmbänder des Menschen, den er beherrscht. Nachdem der Kontakt hergestellt worden war, mußte man auch den Namen des Dämons erfragen. Und nur nachdem man den Namen erfahren hatte, konnte man diesen benutzen und ihn damit zwingen auszufahren. Bei anderen Gelegenheiten benutzt Jesus diese jüdische Methode.

Als Beispiel fragt Jesus in Markus 5,9 “Wie heißest du?” Der Dämon antwortet: “Ich heiße LEGION, denn wir sind viele.” Doch eine Art von Dämonen konnte der Judaismus nicht austreiben: die Art eines Dämons, die eine Person stumm machte, so daß er nicht sprechen konnte. Und wenn er nicht sprechen konnte, dann konnte man auch keine Kommunikation herstellen. Man konnte auch nicht den Namen des Dämons feststellen, und somit konnte man ihn nicht austreiben. Doch die Pharisäer lehrten: Wenn der Messias komme, dann würde er auch diese Art eines Dämons austreiben können. Das ist das zweite der messianischen Wunder.
Und in V. 22 lesen wir, daß es diese Art eines Dämons ist, die der Herr Jesus austreibt. Und darum stellen die Leute die Frage: “Ist dieser nicht Davids Sohn?” Schließlich vollbringt hier Jesus exakt die Wunder, die – so waren sie von Kindheit an gelehrt worden – nur der Messias tun konnte. Das jüdische Volk wollte diese Frage aufgreifen, aber sie wollen nicht selber eine Entscheidung darüber treffen. Lieber schauen sie zu ihren Führer, damit diese für sie eine Entscheidung träfen.

Auch heute, wenn wir Juden, die wir an Jesus glauben, unseren anderen jüdischen Freunde mitteilen, warum wir glauben, daß Jesus der Messias ist, haben sie immer den gleichen Einwand: Wenn Jesus wirklich der Messias ist, warum glauben dann unsere Führer nicht an ihn?

Die Pharisäer stehen jetzt vor einer Alternative. Sie müssen im Licht dieses messianischen Wunders und aufgrund der Frage des Volkes wählen. Entweder müssen sie erklären: Er ist der Messias, oder, wenn er es nicht ist, wie er solche Wunder tun konnte, die wie sie selbst gelehrt hatten – nur der Messias tun könnte.

In Vers 24 entscheiden sich die Pharisäer für die zweite Erklärungsmöglichkeit. Sie erklären, daß er nicht der Messias ist, und der Grund, warum er diese Wunder tun kann, ist der: Jesus ist durch den Obersten der Dämonen, Beelzebub, besessen. Das sind zwei hebräische Wörter und bedeuten: der Herr der Fliegen.

Das wird nun die Grundlage für die Ablehnung des messianischen Anspruches Jesu: Er ist nicht der Messias, weil er dämonisch besessen ist.
In den Versen 25 – 28 trägt Jesus seine Verteidigung vor.

Erstens kann das nicht stimmen, weil es bedeuten würde, daß im Reich Satans eine Trennung ist (“uneins”).
Zweitens wurde anerkannt, daß die Gabe des Exorzismus eine Gabe des Heiligen Geistes war.
Drittens bewies dieses Wunder laut ihrer eigenen Theologie, daß er der Messias ist.
Viertens zeigt es, daß Christus stärker ist als Satan und nicht sein Gefangener.

In den Versen 29 – 37 spricht er dann eine Verurteilung dieser Generation Israel seiner Tage aus. DIESE Generation hat sich nun der unvergebbaren Sünde schuldig gemacht. Und diese Sünde ist die Ablehnung des unter ihnen gegenwärtigen Messias mit der Begründung, daß er von Dämonen besessen sei.
Dies ist keine individuelle, sondern nationale Sünde, die von der Generation zur Zeit Jesu begangen wurde. Und diese kann man nicht auf andere jüdische Generationen anwenden, Es ist keine Sünde, die ein Einzelner begehen könnte, auch kann sie heute nicht begangen werden.

J e n e Generation unterliegt jetzt dem Gericht. Und weil diese Sünde unvergebbar ist, kann auch das Gericht nicht abgewendet werden. Dieses Gericht kam 40 Jahre später, im Jahre 70 nach Christus, mit der Vernichtung Jerusalems und des Tempels und der weltweiten Zerstreuung des jüdischen Volkes.

Wir werden sehen, daß von diesem Zeitpunkt an immer wieder zwei wichtige Wörter auftauchen werden: DIESE GENERATION, weil diese Generation sich einer einzigartigen Sünde schuldig gemacht hat.

In Vers 38 sehen wir, daß die Pharisäer noch ein anderes Zeichen fordern. Als ob Jesus bis jetzt noch nichts getan hätte, um seine Messianität zu beweisen. Er hatte viele Wunder getan, sogar die Wunder, die sie messianische Wunder genannt hatten. Trotz alledem haben sie seinen Messiasanspruch abgelehnt. Darum sagt Jesus, daß es für diese Generation keine weiteren Zeichen mehr geben würde, außer einem: das Zeichen Jona, welches ist das Zeichen der Auferstehung.

Bisher war der Zweck der Wunder Jesu: Zeichen für die Nation zu sein damit die Nation (Israel) zu einer Entscheidung käme.
Jetzt ist diese Entscheidung gefallen: Er ist nicht der Messias, weil er dämonisch besessen ist. Darum erhält die Nation kein Zeichen mehr mit Ausnahme dieses einen: das Zeichen Jona, das ein Zeichen der Auferstehung ist.
Nachdem Jesus sein neues Vorgehen, betreffend der Zeichen, verkündigt hatte, spricht er weiter Gerichtsworte aus. Er erwähnt das Beispiel zweier heidnischer Gruppen: die Leute von Ninive und die Königin von Saba (Verse 41 + 42).
Diese Heiden werden im Jüngsten Gericht bestehen können und diese besondere jüdische Generation verdammen, weil sie die unvergebbare Sünde begangen hat. Und wiederum liegt die Betonung auf DIESE GENERATION.
Und das, weil diese Heiden nicht so viel Licht (Erkenntnis) hatten um verantwortlich zu sein, aber sie antworteten (auf den Ruf zur Buße). Doch diese Generation hatte das ganze Alte Testament, auch den Dienst Johannes des Täufers, der das baldige Kommen des Königs angekündigt hatte, und sogar den Dienst Jesu selbst. Doch trotz all dieses besonderen Lichtes (Erkenntnis), haben sie Jesus abgelehnt. Und daher haben sie eine sehr einzigartige Schuld auf sich geladen.

Die Gerichtsworte werden mit dem Bericht über einen Dämon zum Abschluß gebracht.
Ein Dämon verläßt einen Menschen, um eine bessere Behausung zu finden, in der er wohnen kann. Er sucht einige Zeit, aber er findet nichts frei. So kehrt er zurück zu jener Person, in der er zuvor gewesen war. Und die findet er immer noch leer vor. Darum geht er wieder hinein in diesen Menschen, aber er will nicht allein bleiben. Er lädt sieben seinen Freunde ein, mit ihm die Wohnung zu teilen. Und der letztere Zustand ist schlimmer als der erstere. Denn am Anfang war er nur von einem Dämon besessen, doch nun hat er acht Dämonen in sich. Der Schlüssel zu dieser Geschichte ist der letzte Satz von Vers 45:
“So wird es auch diesem bösen Geschlecht ergehen.” Wieder liegt die Betonung auf DIESEM GESCHLECHT (dieser Generation).

Als diese Generation begann, stand sie unter römischer Herrschaft. Die Nation war nichtsdestoweniger intakt. Jerusalem stand noch, und der Tempeldienst funktionierte. Doch 40 Jahre später sollte Jerusalem und der Tempel vernichtet werden und die Juden zerstreut werden. Also war der letztere Zustand dieser Generation schlimmer als der erstere. Von diesem Zeitpunkt an ändert sich das Wesen des Dienstes Jesu total. Es ändert sich in vier Bereichen:

Erstens im Bereich der ZEICHEN. Diese sind jetzt nicht mehr dafür da, daß die Nation eine Entscheidung treffen kann, sondern vielmehr für die Schulung der zwölf Jünger, für die neue Aufgabe, die sie jetzt zu vollbringen hatten, wegen dieser Zurückweisung Jesu.

Zweitens im Bereich der WUNDER. Es sind nicht mehr Wunder für die Volksmassen, sondern vielmehr Antwort auf die Nöte einzelner: Und diesen Einzelnen wurde verboten, jemandem davon etwas weiterzusagen. Bisher wurde einer Person, die geheilt worden war, aufgetragen, sie solle all das, was Gott an ihr getan habe, hinausrufen. Doch ab jetzt wurde ihnen befohlen, darüber zu schweigen.

Drittens im Bereich der BOTSCHAFT. Bisher hatte Jesus überall proklamiert, daß er der Messias sei. Zwei Kapitel zuvor, in Mt. 10, sandte Jesus seine Jünger aus, um zu proklamieren, daß er der Messias sei. Doch nun wurden seine Jünger angewiesen, sie sollten niemandem sagen, daß er der Messias sei.

Viertens im Bereich der WEITERGABE SEINER LEHRE. Bisher lehrte Jesus das Volk so klar, daß sie es verstehen konnten. Als Beispiel sei auf Mt. 5 – 7 verwiesen. Am Ende seiner langen (Berg-)Predigt wird berichtet, daß das Volk klar verstanden hat, was er gesagt hat, und worin er sich von den Pharisäern und Schriftgelehrten unterschieden hat. Doch nun – mit dem Beginn des nächsten Kapitels (Mt. 13) – lehrt Jesus das Volk nicht mehr klar (und deutlich), sondern in Gleichnissen.
In Matthäus 13,10 fragen die Jünger: “Warum redest du in Gleichnissen zu ihnen?” Und Jesus antwortet: Der erste Grund ist, um die Wahrheit den Jüngern klarzumachen. Aber dem Volk soll die Wahrheit verborgen bleiben. Später, in den Versen 34 + 35, wird berichtet, daß Jesus zum Volk nur noch in Gleichnissen gesprochen hat. Doch wenn er mit seinen Jüngern allein war, hat er ihnen alles erklärt. Die unvergebbare Sünde ist nun bereits begangen worden. Und weil sie nicht vergeben werden kann, werden sie auch kein weiteres Licht bekommen.
Von diesem Zeitpunkt an ändert sich der Dienst Jesu in allen diesen vier Bereichen.

Wir sehen, daß er jetzt auch außerhalb des Landes reist. Er will auch nicht, daß die Juden wissen, daß er gegenwärtig ist. Denn jetzt ist ja sein Ziel, seine zwölf Jünger zu schulen. Und wenn er zu dem Volk spricht, dann immer in einer Sprache (Gleichnisse etc., die es nicht verstehen kann. Denn das ist von jetzt an seine Methode… Vgl. Mt. 16, 20:

Nun kommen wir zu Johannes 9.
In den Versen 1 + 2 wird berichtet, daß Jesus mit seinen Jüngern an einem Mann vorbeiging , der von Geburt an blind war. Die Jünger stellen eine seltsame Frage: “Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, so daß er blind geboren ist?”

Diese eigenartige Frage besteht darin: Man könnte vielleicht verstehen, warum dieser Mann blind geboren wurde – nämlich wegen der Sünde seiner Eltern. Das Gesetz sagt ja, daß Gott die Sünden der Eltern an den Kindern heimsuchen wird (2. Mose 20,5). Dieser Teil der Frage ist daher nicht seltsam. Aber sie haben auch gefragt: “Hat dieser Mensch gesündigt, so daß er blind geboren wurde?” Wie hätte dieser Mensch sündigen können, bevor er geboren wurde und ist dadurch eben blind geboren worden?

Die Frage zeigt etwas darüber auf, wie die Jünger in einer judaistischen Schule gelehrt worden waren. Im pharisäischen Judentum hat der Fötus im Mutterleib eine gute und eine schlechte Seite. Und es könnte sein, daß seine böse Seite im Mutterleib die gute Seite überwand, und so wurde er seiner Mutter böse und trat sie. Daß man seine Mutter im Mutterleib trat, war eine Sünde. Daher ist er blind geboren worden. Im pharisäischen Judaismus war jeder “Defekt” durch eine spezielle Sünde verursacht worden, entweder durch die Sünde der Eltern, oder dieses Kindes im Mutterleibe.

Zuerst verneint Jesus die Wahrheit dieser Lehre. Weder er noch seine Eltern haben sich einer speziellen Sünde schuldig gemacht, so daß er dadurch blind geboren wäre. “Sondern an ihm sollen die Werke Gottes offenbar werden.” In den Versen 1-11 sehen wir, wie er den Blindgeborenen heilt. In den folgenden Versen sehen wir, wie die Pharisäer dadurch wieder aufgebracht werden. Warum schuf diese Heilung solch eine Reaktion?

Weil es das dritte der drei messianischen Wunder ist. Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Heilung eines Menschen, der blind wurde, und der eines Blindgeborenen.
Und weil dies ein messianisches Wunder ist, reagieren die Pharisäer. Zuerst fragen sie den Geheilten und mögen seine Folgerungen nicht. “Ja, vielleicht war er gar nicht blind geboren worden.” Dann rufen sie seine Eltern, und diese bestätigen: “Ja, er ist blind geboren worden.” Jetzt versuchen sie, das Ganze unwirksam zu machen und fangen an, den Mann noch einmal zu befragen. In Vers 24 sagen sie etwas Seltsames: “Gib Gott die Ehre: Wir wissen, daß dieser Mensch (Jesus) ein Sünder ist.” Doch normalerweise ehrt man Gott nicht dadurch, daß ein anderer sündigt. Wer geht schon umher und sagt: “Preis den Herrn, er ist ein Sünder.” Aber hier denken sie nicht mehr logisch. Der Geheilte stellt nun ihnen eine Frage. “Was er ist, das weiß ich nicht. Aber erklärt mir das: Ich bin blind geboren, doch nun kann ich sehen. Ihr habt mich gelehrt, daß dies ein Wunder ist das nur der Messias tun könnte.”

Da fragen sie ihn: “Erzähl uns noch einmal die ganze Geschichte, wie hat er es gemacht?” Doch nun sagt der Geheilte etwas, was vielleicht nicht so ganz klug war. In Vers 27 fragt er sie: “Warum wollt ihr die ganze Geschichte noch einmal hören? Wollt ihr auch seine Jünger werden?” Es war kein Geringes, das den Pharisäern zu sagen. Nun fangen sie an, ihn zu verspotten. “Vielleicht bist du einer seiner Jünger, wir aber sind Moses Jünger. Wir wissen woher Moses ist, woher aber dieser kommt, wissen wir nicht.” Und da antwortet der Mann in Vers 30: “Das ist doch seltsam, daß ihr nicht wißt, woher er kommt, und dabei hat er mich sehend gemacht.” Und in V. 32 “Vom Anfang der Welt an hat man noch nie gehört, daß jemand einen Blindgeborenen sehen gemacht hat.” Er erinnert sie an ihre eigene Theologie: Derjenige, der einen Blindgeborenen heilen kann, ist der Messias.

Die Reaktion auf das dritte messianische Wunder ist die Exkommunikation (der Ausschluß) des Geheilten aus der Synagoge.

So erkennen wir den GRUNDTREND:
Die Reaktion auf das erste messianische Wunder, der Heilung eines Lepra-Kranken, war der Beginn der Untersuchungen des Hohen Rates (Synedriums).
Die Reaktion auf das zweite messianische Wunder, das Austreiben eines stummen Dämons, war die Ablehnung der Messianität mit der Begründung, Jesus sei besessen.
Die Reaktion auf das dritte messianische Wunder, der Heilung eines Blindgeborenen war der Ausschluß aus der Synagoge.

Jetzt schauen wir uns Lukas 16,19-31 an.
Während des Dienstes Jesu nach seiner Verwerfung kommen die Pharisäer in regelmäßigen Abständen zu Jesus, um ein weiteres Zeichen zu fordern. Aber die Antwort bleibt immer dieselbe: Für das Volk wird es keine Zeichen mehr geben, außer einem, dem Zeichen des Jona, das ein Zeichen der Auferstehung ist. Für Israel werden drei verschiedene Zeichen kommen:

Zuerst das Zeichen der Auferstehung des Lazarus;
zweitens die Auferstehung Jesu und
drittens die Auferstehung der zwei Zeugen in den letzten Tagen.

Bevor nun Jesus dieses erste Zeichen des Jona gibt, erzählt er die Geschichte über den reichen Mann und den armen Lazarus.

Im pharisäischen Judaismus heißt es: Wen der Herr liebt, den macht er reich. Also war Reichtum ein Zeichen der göttlichen Gunst. Laut pharisäischer Theologie war der Reiche im Himmel und der Arme in der Hölle.

Doch das Gegenteil passiert nun: Beide sterben, einer kommt in den Hades, der Reiche, und der Arme kommt in Abrahams Schoß. Das ist noch nicht der Himmel, sondern ein vorübergehender Ort, bis Jesus für die Heiligen gestorben sein wird.

An diesem Ort, (hebräisch: Scheol; griechisch: Hades) gab es zwei Abteilungen: die schlechte und die gute Seite. Sie konnten sich sehen und miteinander sprechen, aber sie konnten sich nicht gegenseitig besuchen. Einer ist in Qual und der andere wird getröstet. Der Reiche bittet um einige Tropfen Wasser, damit es ihm kühler wird. Und Abraham erinnert ihn, daß der Arme unmöglich auf die andere Seite hinüber kann. Nun beschäftigt sich der Reiche mit seinen noch lebenden Brüdern. Er bittet Abraham, daß der Arme wieder zum Leben erweckt würde. Er soll jene Brüder warnen, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qual kämen. Abraham sagt jedoch: “Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.” Doch der Reiche antwortet: “Sie werden Mose und den Propheten nicht glauben, aber sie werden glauben, wenn einer von den Toten aufersteht.” Da sagt Abraham: “Wenn sie Mose und den Propheten nicht glauben, dann werden sie auch nicht glauben, wenn einer von den Toten aufersteht.” Wenn man der Heiligen Schrift nicht glaubt, dann sind auch Wunder nutzlos.

Es ist kein Zufall, daß der Name des Lahmen LAZARUS ist. Es ist nicht der gleiche Lazarus, der auferweckt wurde. Doch es ist derselbe Name. Und durch diese Assoziation warnt Jesus schon, daß, wenn das Zeichen des Jona, also der Auferstehung gegeben werden wird, es abgelehnt werden wird.

Und an dieser Stelle kommen wir zu Johannes 11.
Hier werden uns 44 Verse gegeben, die uns in einer detaillierten Weise die Auferweckung des Lazarus beschreiben. Lazarus ist nicht die erste Person, die Jesus von den Toten auferweckte, doch die anderen Auferweckungsberichte wurden mit drei oder vier Versen erzählt. Und sie wurden auch nur von einigen wenigen miterlebt. Und die sollten auch den anderen nichts davon sagen. Im Falle des Lazarus gibt es sehr viele Verse.
Warum hat dies eine Bedeutung? Weil dies das Zeichen ist, das Jesus dem Volk versprochen hatte. Und wenn dieses Zeichen gegeben wird, dann müssen sie darauf reagieren. Und wenn wir die verstehen, dann verstehen wir, warum die Dinge so geschehen, wie sie geschehen.

In den ersten fünf Versen bringt man Jesus die Nachricht: Lazarus ist krank. Der Grund für diese Nachricht ist der, daß Jesus zu Lazarus kommen sollte, bevor er stürbe.

Als Jesus hört, daß Lazarus krank ist, unternimmt er jedoch nichts. In Vers 6 wird uns berichtet, daß Jesus wegen der Erkrankung seines Freundes gerade am gleichen Ort blieb. Es ist notwendig, daß Lazarus stirbt. Nach seinem Tod macht sich Jesus auf den Weg. Als er dann am Ziel ankommt, ist Lazarus schon vier Tage tot. Die Erwähnung der “vier Tage” ist von Bedeutung, denn laut jüdischer Tradition bewegt sich der Geist des Toten drei Tage lang über seinen Leib. Und während dieser drei Tage gibt es noch eine Möglichkeit der Wiederbelebung. Doch am vierten Tag geht der Geist nach unten. Zu diesem Zeitpunkt besteht keine Wiederbelebungsmöglichkeit mehr. Also auch laut jüdischer Tradition kann das, was nun geschieht, nicht als Wiederbelebung abgetan werden.

In Vers 42 erzählt uns Jesus genau, für wen das Wunder geschehen ist. Es ist um des Volkes willen geschehen. Und wenn dieses Zeichen gegeben wird, dann müssen sie darauf reagieren. Als nun Lazarus auferweckt wurde, und das erste Zeichen des Jona gegeben wurde, da kommen auch viele Juden zum Glauben. Doch ihre zweite Reaktion besteht darin, daß sie zu den Pharisäern rannten, um das zu berichten. Weil diese sehr wohl wissen, daß das das Zeichen ist, das Jesus ihnen versprochen hat, müssen sie auch reagieren.

Und jetzt trifft sich der Hohe Rat in den Versen 47 – 53. Ihr jetziger Beschluß geht über den von Matthäus 12 weit hinaus. Dort lehnten sie lediglich seinen messianischen Anspruch ab. In Johannes 11 jedoch beschließen sie, die Todesstrafe über Jesus zu verhängen. Und der Hauptverantwortliche (Führer) für diese Entscheidung des Hohen Rates ist der Hohepriester.

Das nächste, was nun passiert, steht in Lukas 17, 11 – 19. Nun heilt Jesus zehn Aussätzige und schickt sie zum Hohenpriester. Hier können wir so etwas wie göttlichen Humor feststellen. Zuvor heilte Jesus nur einen Aussätzigen. Danach begann der Hohe Rat mit seinen Untersuchungen. Das war nämlich ein messianisches Wunder. Und nun werden gerade zu dem, der den Hohen Rat dazu gebracht hat, daß sie Jesus umbringen wollen, zehn Aussätzige geschickt. Zehn mal mehr als früher! Dieses Wunder muß er nun auch untersuchen. Zehn mal mehr muß er nun die Heilung von Aussätzigen bestätigen. Zehn mal mehr muß er anerkennen, daß Jesus dieses Wunder vollbracht hat. Zehn mal mehr bekommt er das Zeugnis, daß Jesus der Messias ist, obgleich Jesus vom Hohenpriester (Hohen Rat) verworfen wurde.

Zum Schluß betrachten wir noch Matthäus 23.
Das ganze Kapitel stellt eine Warnung vor den Führern Israels dar. Sieben Wehe-Rufe werden über die Pharisäer ausgesprochen. Wir sehen darin folgende Entsprechungen: Das erste und das letzte Wehe behandeln die gleiche Sünde. Im ersten Wehe in Vers 13 werden die Pharisäer wegen zwei Dingen verurteilt: Erstens lehnen sie seine Messianität ab und zweitens führen sie auch das ganze Volk dazu, Jesu Messianität abzulehnen.

Dann kommen die 2., 3., 4., 5. + 6. Wehe-Rufe, die alle spezifisch – pharisäische, heuchlerische Sünden behandeln. In Vers 29 kommt Jesus dann zum 7. Wehe-Ruf. Dort sagt er als Quintessenz: Für alles, was bisher geschehen ist, sind sie verantwortlich, einschließlich des gesamten Alten Testaments.
In Vers 35 nennt Jesus dann die Namen zweier Personen. Warum gerade diese zwei? Die jüdische Reihenfolge des Alten Testaments unterscheidet sich von der unsrigen. Jesus gebraucht natürlich die jüdische, nicht die moderne christliche Reihenfolge. Das erste Buch in der hebräischen Bibel ist dasselbe: 1. Mose, doch das letzte Buch ist nicht Maleachi, sondern 2. Chronik.
ABEL kommt im ersten Buch Mose vor, und Zacharias im letzten Buch, der 2. Chronik. Jesus sagt also mit anderen Worten: Ihr seid verantwortlich für den ganzen Umfang der Schrift, von 1. Mose bis 2. Chronik, oder wie wir heute sagen würden: von 1. Mose bis zur Offenbarung.

Merken wir, wer sich laut Vers 36 schuldig gemacht hat? “Wahrlich ich sage euch, daß solches alles wird über diese Generation kommen.” DIESE GENERATION wird verantwortlich gemacht werden für alles vergossene Blut der alttestamentlichen Heiligen. Und diese Generation hat sich auch dieser einzigartigen, unvergebbaren Sünde schuldig gemacht.

In den Versen 37- 39 beendet Jesus seinen öffentlichen Dienst mit einer Klage. In Vers 37 faßt er seinen Dienst für Israel folgendermaßen zusammen: Wie oft wollte er Jerusalem den durch die Propheten verheißenen Schutz geben, doch sie wollten es nicht. Und darum wird laut Vers 38 ihr Haus, der Tempel, nun zerstört werden. Und dann sagt Jesus in Vers 39 noch etwas Wichtiges: Sie werden ihn von jetzt an nicht mehr sehen, bis sie sprechen: “Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!”

Diese letzten Worte stellen ein Zitat aus einem messianischen Psalm dar: Psalm 118,26. Das wußten die Rabbiner und lehrten deshalb, daß wenn der Messias kommen würde, man ihn mit diesen Worten begrüßen müßte:
“Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.” Der entscheidende Punkt hier ist der: So, wie einst die jüdischen Führer das Volk dahin geführt haben, Jesus zu verwerfen, genauso müssen die Führer eines Tages das Volk zur Annahme Jesu führen. Es wird keine Wiederkunft Jesu geben, bis die Juden ihn bitten werden, wiederzukommen.
Einige kennen sicherlich den Unterschied zwischen der ENTRÜCKUNG und dem 2. KOMMEN JESU (Wiederkunft). Es gibt keine Vorbedingungen für die Entrückung, die jederzeit stattfinden kann. Doch die WIEDERKUNFT Jesu, wenn er kommen wird, um sein tausendjähriges Reich aufzurichten, kann erst dann stattfinden, wenn das jüdische Volk ihn als ihren Messias erwarten wird. Und so ist die nationale Erlösung Israels eine Voraussetzung für das 2. Kommen Jesu.

 

Ergänzung zu der Niederschrift von Pfr. Jürgen Neidhart, von A. Seibel:

WAS WAR DIE LÄSTERUNG DES HEILIGEN GEISTES?

In Mt. 9,32 lesen wir bereits vor dem Wendepunkt in Mt. 12, wie man zu Jesus einen stummen Menschen bringt. “Als aber der böse Geist war ausgetrieben, redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich und sprach: So etwas ist noch nie in Israel gesehen worden” (Vers 33). Noch nie! Wir sehen hier den Einmaligkeitscharakter, den Jesus auch noch besonders in Joh. 15,24 unterstreicht. Der Messias tat Werke, die kein anderer jemals getan hat.

Ähnlich wie in Mt. 12 weisen die Pharisäer die Aussagekraft dieses Wunders mit der Anschuldigung zurück, die Geister würden durch ihren Obersten ausgetrieben (Vers 34).
In vielen pfingstlichen und charismatischen Kreisen wird die Vorstellung vertreten, ein Wunder Gottes dem Teufel zu unterstellen, sei die Lästerung des Heiligen Geistes. Wenn dies zuträfe, müßte nun unser Herr bereits hier (Mt. 9,34) von der unvergebbaren Sünde sprechen. Wir lesen nichts dergleichen. Er wirkt weiter unter dem Volk, bis es nach dem siebten Widerspruch der Pharisäer schließlich in Mt. 12 zum Bruch kommt.

Gemäß Johannes 16,9 ist die Sünde in Gottes Augen die Weigerung, an Jesus zu glauben. Das ist die entscheidende Weichenstellung: Nimmt Israel den Messias an oder nicht, werden sie an Ihn glauben oder nicht? Gott hat sich in Jesus und dem Heiligen Geist so weit herabgelassen, daß er genau die Wunder gewirkt hat, die nach ihrer eigenen eher willkürlichen Definition niemand anderer tun konnte als allein der Messias. So weit ist ihnen Gott entgegengekommen, ähnlich wie dem ungläubigen Thomas.

Doch wer sich weigert, ähnlich wie die Schriftgelehrten zur Zeit Jesu, an Christus zu glauben, für den gibt es keine Hoffnung. Von daher kann ein Gläubiger überhaupt nicht den Heiligen Geist lästern, ist er doch längst mit Gott versöhnt. Von dieser Lästerung hat außerdem das Recht zu reden nur der Herr selber, da Er der Richter ist. Der Apostel Paulus, über den die fleischlichen Korinther zu Gericht saßen (1. Kor. 9,3), deutete nie an, nun haben seine Gegner die unvergebbare Sünde begangen. Sonst würde nämlich ein Mensch einen anderen mit dieser bestimmten Drohung buchstäblich gnadenlos verdammen, und dies steht niemandem als allein dem lebendigen Gott zu.

Solch eine Begebenheit, daß eine Generation die Gnadenstunde Gottes versäumte, ist dem Volk Israel nicht das erste Mal widerfahren. Nach der Rebellion der Kundschafter, die das Gelobte Land ausgespäht haben, erklärt der lebendige Gott: “Alle die Männer, die meine Herrlichkeit und meine Zeichen gesehen haben, die ich getan habe in Ägypten und in der Wüste, und mich nun zehnmal versucht und meiner Stimme nicht gehorcht haben, von denen soll keiner das Land sehen, das ich ihren Vätern zu geben geschworen habe; auch keiner soll es sehen, der mich gelästert hat” (4. Mose 14,22-23).

Für die damalige Generation war eine heilsgeschichtliche Stunde unwiederbringlich vorbei. Man konnte danach tun und lassen, was man wollte, nach dieser “Lästerung” stand das Urteil Gottes, ähnlich wie in Mt. 12,31-32, unverrückbar fest. Ausgenommen sind nur Josua und Kaleb. Selbst Moses durfte dieses Land nicht mehr betreten.

Auch die Generation, die das Gericht Gottes durch das babylonische Exil erfuhr, befand sich in einer ähnlichen Weichenstellung. Es war so viel unschuldiges Blut vergossen worden, daß Gott nicht mehr vergeben wollte und die Zerstörung des Tempels, damals durch die Babylonier, Jahrhunderte später durch die Römer, zuließ. “Doch kehrte sich der Herr nicht ab von dem Grimm seines großen Zorns, mit dem er über Juda erzürnt war um all der Ärgernisse willen, durch die ihn Manasse erzürnt hatte” (2. Kön. 23,26). ” .auch um des unschuldigen Blutes willen, das er vergoß, so daß er Jerusalem mit unschuldigem Blut erfüllte. Das wollte der Herr nicht vergeben” (2. Kön. 24,4).

Zurück zu Matthäus 12. Nach diesem Urteilsspruch Jesu kommen die Pharisäer und Schriftgelehrten und bitten um ein Zeichen (Vers 38). Doch der Herr weist dies zurück. Er wendet sich von Israel auf dieser Basis der Zeichenforderung ab und spricht nun in den nachfolgenden Versen von dem Gericht, das über diese Generation (Verse 41-42) kommen wird.

Ab Mt. 13 haben wir den Dienst des verworfenen Königs. Er, der “für die verlorenen Schafe des Hauses Israel gekommen war”, hätte hier eigentlich die Welt räumen müssen. Doch die Tatsache, daß der Herr weiterhin wirkt, zeigt, daß Gott nicht nur einen Plan für Israel hat. In den Versen 3-9 folgt nun das erste Gleichnis Jesu, und zwar das Gleichnis vom Sämann und dem Wort (Vers 19). Und hier findet sich eine gewisse Vorschattung auf die neue Heilszeit. Nun steht das Wort im Mittelpunkt und der Herr betont: “Wer Ohren hat, der höre:” (Vers 9).

An der Frage der Jünger, “warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?” erkennt man, daß dies tatsächlich das erste Gleichnis war, war ihnen doch diese Form des Wirkens Jesu noch fremd. Die Antwort Jesu: “Euch ist es gegeben, daß ihr die Geheimnisse des Himmelreichs verstehet, diesen aber ist’s nicht gegeben” (Vers 11). Geistliche Wahrheiten werden nun primär über den Verstand durch das Wort mit dem Herzen begriffen. Der Neue Bund steht auch unter Geheimnissen und ist nicht mehr so offensichtlich wie das alttestamentliche Bundesvolk Israel.

“Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe” (Vers 12a). Auf wen bezieht sich das? Die Jünger, die Jesus nachfolgten. Mit dem Heiligen Geist bekamen sie dann auch zu Pfingsten die Fülle. “Wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat” (Vers 12b). Wer ist damit gemeint? Israel. Sie hatten den Tempel, den Opferdienst, das Priestertum, das verheißene Land usw. Es wurde ihnen alles weggenommen. Kein Stein blieb auf dem anderen. Es ging alles unter und die Juden wurden zerstreut unter alle Völker. “Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht. Und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und sie verstehen es auch nicht” (Vers 13). Der Beweis sind die vorherigen Kapitel. Diese Generation hat gesehen, wie der Blindgeborene geheilt wurde. Sie haben gesehen, wie der Aussätzige gesund wurde. Sie haben es wahrgenommen, wie der Stumme auf einmal reden konnte, und dennoch begreifen sie es nicht und verwerfen ihren Messias.

“Sehenden Auges und hörenden Ohres” sagt dieser Vers. Israel war sowohl im Bereich des Auges wie des Ohres angesprochen. Sie hatten sowohl das Wort wie auch die Zeichen. Die Juden fragen ja bekanntlich nach Zeichen. Aber in Vorschattung für die Gemeinde lesen wir in dem bereits erwähnten ersten Gleichnis nur noch: “Wer Ohren hat, der höre!” Man beachte auch Offenbarung Kap. 2-3, die sieben Sendschreiben an die Gemeinden in Kleinasien, wo der Herr siebenmal die gleiche Formulierung gebraucht.

Nach diesem Urteilsspruch über diese Generation, zeigt der Herr in den Versen 43-45 in Mt. 12, wie das Gericht kommt. Der böse Geist hat sein Haus, nämlich Israel, verlassen. Nachdem er umkehrt, “findet er’s leer, gekehrt und geschmückt” (Vers 44). Wieso gekehrt und geschmückt? Johannes der Täufer und auch unser Herr haben eine Bußbewegung bewirkt und der böse Geist wurde ausgefegt, das Haus geschmückt. Wieso leer? Der Messias wird abgelehnt. Dann wird es mit diesem Geschlecht ärger als vorher, denn es ist ein göttliches Prinzip, daß nach einer gewissen Verhärtung Gott den Geistern nicht mehr wehrt bzw. sogar die bösen Geister zum Gericht aussendet (1. Kön. 22,20-21).

Ähnliches spielt sich nun vor unseren Augen mit dieser gegenwärtigen westlichen Generation ab, die immer offensichtlicher das Wort Gottes verwirft. Gleichzeitig sehen wir eine zunehmende Okkultflut.

In den Versen 46-50 von Mt. 12 ist die Geschichte von Jesu wahren Verwandten. Seine Mutter und Brüder wollen mit ihm reden, doch Er wendet sich ab. “Und er reckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter” (Verse 49-50).

Warum steht dies ausgerechnet hier? Es zeigt dies in typologisch prophetischer Darlegung die Verwerfung Israels, dieses Geschlechts bzw. dieser Generation. Denn man gehörte ja zum Volk Gottes nach dem Alten Bund aufgrund der sichtbaren Zugehörigkeit, aufgrund der sichtbaren Beschneidung. Man mußte Jude, also mit Jesus fleischlich verwandt sein, um Glied des Bundesvolkes, um erwählt zu sein. Gerade dieser Alte Bund wird aber durch die Erklärung, diese Generation habe den Heiligen Geist gelästert, vorwegnehmend aufgekündigt.

Danach aber möchten Jesu engste Verwandte ihn sprechen, also Menschen, die vom Alten Bund her das Volk Gottes in höchster Form darstellten, nämlich die Brüder, die Schwestern und die Mutter. Doch er wendet sich ab, denn das zählt in der neu anbrechenden Heilszeit nicht mehr. Im Neuen Bund, der hier allegorisch vorgeschattet wird, gilt nicht mehr die verwandtschaftliche Zugehörigkeit, sondern wir sind nun von Gott geboren, wenn wir den Willen des Vaters im Himmel tun. Der oder die Betreffende ist nun geistlich Jesu Bruder, Schwester oder Mutter. Man kann noch so nahe mit Jesus verwandt sein, man muß dennoch von neuem geboren werden. Die alte fleischliche Beziehung bzw. Beschneidung zählt nicht mehr.

Es findet sich somit in gewisser Hinsicht von Mt. 12 zu Mt. 13 ein Übergang von Israel zu den Nationen, vom Zeichen zum Wort, von sichtbaren zu unsichtbaren von fleischlichen zu geistlichen Bezügen. Der Vers, der das auch in den Briefen am deutlichsten bezeugt, ist 2. Kor. 5,16. “Darum kennen wir von nun an niemand mehr dem Fleische nach; und ob wir auch Christus früher dem Fleische nach gekannt haben (Alte Bund, Anm.), so erkennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum, ist jemand in Christus (Neue Bund, Anm.), so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden” (Vers 17).

Jesu Brüder, Schwestern und seine Mutter kannten ihn dem Fleische nach. “Jetzt so nicht mehr”, erklärt Paulus. Hier ist ebenfalls ein Übergang von sichtbaren zu unsichtbaren Realitäten zu erkennen, vom Schauen zum Glauben (2. Kor. 5,7). Deswegen gibt es auch im engeren Sinne keine Apostel mehr, weil der Apostel kannte definitionsgemäß Jesus dem Fleische bzw. dem Auge nach (1. Kor 9,1; 1. Joh. 1,1-3 u.a.).

Im Neuen Bund muß man jetzt in Jesus sein und das ist man nicht durch die fleischliche, sondern durch die neue Geburt, wie der bereits oben zitierte Vers, 2. Kor. 5,17, so eindrücklich zeigt.

Mit folgender Darlegung möchte ich abschließen. In demselben Kapitel 12 von Matthäus, das streckenweise nun ausführlicher behandelt worden ist, in dem Israel die Herrlichkeit seines Messias verwirft, wird uns der Messias durch das Wort in anderer Weise in seiner unausforschlichen Größe nochmals dargestellt.

Messias heißt ja griechisch Christos, der Gesalbte. Gesalbt wurden in alttestamentlicher Zeit Könige, Priester und Propheten. In Mt. 12,6 erklärt Jesus: “Ich sage euch: Hier ist Größeres als der Tempel.” Der Tempel stand bekanntlich in Verbindung mit dem Priesterdienst. Hier ist also mehr als der Tempel, hier ist mit anderen Worten, mehr als die Priester.

In Mt. 12,41 sagt der Herr: “Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona”. Jona war ein Prophet. Und im nächsten Vers lesen wir: “Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen, denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“ Salomo war bekanntlich ein König, und zwar der glanzvollste aller Zeiten. Hier ist nun mehr als die Priester, mehr als die Propheten, mehr als die Könige. Hier ist der wahre Gesalbte, hier ist der wahre Messias. In demselben Abschnitt, wo Israel (auf Zeit) verworfen wird, wird uns der Messias noch einmal durch das Wort in seiner Größe und Schönheit gezeigt. Er ist größer, Er ist höher, Er ist reicher, Er ist mehr als alle und alles. Möge auch uns der Herr der Herrlichkeit durch das Wort Gottes in seiner Einmaligkeit und unauslotbaren Fülle neu kostbar werden. Mögen wir neu erkennen, wie reich wir durch Gottes Wort beschenkt sind.

Alexander Seibel