Heilungsdienste (A.Seibel)

Alexander Seibel

Heilungsdienste ‑ Bereicherung oder Verführung?

 

Immer mehr wird man heute mit dem Anspruch konfron­tiert, man habe nur das »halbe« und nicht das »volle« Evangelium, wenn man nicht die Kranken heilt. Angeblich schließe die Evangeliumsverkündigung auch den Heilungs­auftrag mit ein. »Predigt und heilt« laute der biblische Missionsbefehl. Gott begleite auch heute noch die Verkündi­gung seines Wortes mit übernatürlichen Machtwirkungen, Zeichen und Wundern. Der Chor der Stimmen, der dies fordert und früher eher schwach zu vernehmen war, schwillt heute immer lauter an und ist unüberhörbar geworden.

Vorweg muß deutlich gesagt werden, daß in keiner Weise der Eindruck vermittelt werden soll, als könne Gott heute nicht mehr heilen. Zwar muß gesehen werden, daß unser Leib in diesem Äon noch nicht erlöst ist (Röm 8,23). Dies geschieht erst mit der Vollendung der Gemeinde (1 Kor 15,51‑55). Deswegen ist es unhaltbar zu behaupten (wie es zu den dogmatischen Aussagen der Pfingstbewegung gehört), das Kreuzesopfer Jesu schließe jetzt schon auch die Heilung von unseren Krankheiten ein. Dennoch heilt der lebendige Gott auch heute noch wann, wo und wie Er will. Ich selber weiß von Heilungen ‑ selbst von Krebs ‑ im Rahmen der Anleitungen nach Jakobus 5,14‑16.

Ein populärer Heilungsdienst

Doch in unseren Tagen offenbart sich mehr und mehr ein Heilungsdienst ganz besonderer Art. Heilungsevangelisten wie John Wimber, Reinhard Bonnke, Wolfram Kopfermann, Yonggi Cho und andere sprechen eine ständig zunehmende Zahl von Christen an.

John Wimber ist ein sympathisch wirkender Mann von faszinierender Ausstrahlung, der sicherlich nur das Beste für die Gemeinde beabsichtigt. Doch entheben uns selbst eine große Massenbegeisterung und edle Motive nicht von der Verpflichtung, die Geister zu prüfen. So deutet der Herr Jesus mit keinem Wort etwa eine Dämpfung des Geistes dadurch an, daß die Gläubigen zu Ephesus »geprüft haben, die da sagen, sie seien Apostel, und sind’s nicht« (Offb 2,2). Im Gegenteil, sie werden dafür gelobt.

Wie geschah nun bei John Wimber die Hinwendung zur charismatischen Bewegung, bei dem Mann, der heute viel­leicht am meisten zur Ausbreitung der Heilungsdienste innerhalb der Christenheit im Westen beiträgt? Über seinen Werdegang konnte man u. a. folgendes in einer englischen Zeitschrift lesen:

»Bevor er soweit war, ihre Ansichten zu teilen (Seine Frau hatte sich vor ihm der charismatischen Strömung geöffnet, Anm.), wollte seine Frau wissen, ob er die Gabe der Hei­lung habe. Eines Nachts, während er schlief, nahm sie seine Hand, legte sie auf ihre rheumatische Schulter und betete, >OK, Herr, nun tue es!< Eine Woge von Hitze strömte plötzlich in ihre Schulter und John Wimber wachte auf, seine eigene Hand heiß und pulsierend.«

Was soll man von dieser Art Heilung halten? Dies erinnert eher an den medialen Berührungskontakt bzw. Sympathie­zauber, als an ein biblisches Heilungswunder. Die Persön­lichkeit Wimbers bzw. sein Wille ist zweifelsfrei umgangen. Er ist als Schlafender buchstäblich Medium einer Geistes­kraft, die ihn wie einen Kanal benützt und durchströmt. Geistliche Wahrheiten aber werden bekanntlich über den Verstand und nicht über das Gefühl vermittelt. Umgehen oder Ausschalten des Verstandes aber bedeutet das Nichtbe­achten der Persönlichkeit bzw. des Willens des Menschen. Wie bereits gesagt, ist dies dem Heiligen Geist völlig fremd.

Die Geistheiler und ihre Begleitsymptome

Auch die Hitzeempfindung ist eine altbekannte Begleiter­scheinung von Geistheilem bzw. Geistheilungen. Dies soll an einigen Zitaten belegt werden.

Harry Edward, Englands berühmtester Geistheiler, erklärte, daß die Geister verstorbener Menschen durch seine Hände wirkten. Auf die Frage, wie er und der Patient den Heilvor­gang wahrnähmen, antwortete er: »Vor allem Wärme ‑ dort, wo man die Hand auflegt. Sowohl Heiler als auch Patient spüren das. Es muß sich dabei irgendein Energieumsatz abspielen.«

Über den in Deutschland tätigen Geistheiler Starczewski hieß es in einer Tageszeitung:

»Er heile Krankheiten nicht selbst, sondern als Medium mit Hilfe einer besonderen kosmischen Strahlkraft, einer gebündelten Wärme, die durch seine Hände fließe, als Medium von Geistern aus dem Jenseits, sagt er.«

Paul Uccusic, Fachautor über esoterische Themen und Geist­heilung, schrieb unter dem Titel »Die heilende Kraft der Hände«:

»Bei der Direktbehandlung wird der Heiler in der Regel seine Hände, die stärkste seiner Waffen im Kampf gegen die Krankheit, bemühen … Die meisten Heiler spüren die Kraft in Armen und Händen, und sie wissen auch, daß die Kraft nicht aus ihnen selbst kommt; aber dennoch wirkt sie mittels der Hände … Bei diesem Verfahren, dem Handauflegen, spürt der Kranke meist eine Wärme, die das Gewebe und die Knochen durchdringt und die Schmerzen in der Regel bald zum Verschwinden bringt. Der Kranke glaubt, die Hände des Heilers seien warm; aber das ist unrichtig: er spürt einfach die Kraft.«

Ständig wird betont, wie diese Heilungskräfte eine göttliche Gabe zum Wohle der Menschheit seien. Mit dieser Überzeu­gung verbindet sich oft ein selbstloser Einsatz.

Man kann nun berechtigterweise fragen, was denn dieser offensichtliche Mediumismus mit den christlichen Heilern zu tun habe?

Zunächst fällt auf, wie an einigen Beispielen der Heilungs­evangelisten und führender Charismatiker bereits aufgezeigt, daß die Symptome (Wärme etc.) verblüffend ähnlich sind. Doch berechtigt das zu solchen Schlußfolgerungen?

Wie wurde der Heilungsauftrag wiederentdeckt?

Dazu soll kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit skizziert werden, durch welche Schlüsselleute der angebliche Auftrag zu heilen »wiederentdeckt« und in den Gemeinden verkündet wurde. Das Thema Heilung war schon immer eine Domäne der Pfingst‑ und späteren charismatischen Bewegung, doch wie drang es in die etablierten Kirchen und Freikirchen ein? Denn Tatsache ist, daß die Thematik Heilung erst in den letzten Jahrzehnten oder eigentlich Jahren so an Aktualität gewonnen hat.

Man liest weder von Missionaren des vorigen Jahrhunderts, noch bei solchen, die sich noch früher hinauswagten wie Bartholomäus Ziegenbalg oder William Carey, daß sie neben ihrer Verkündigung auch Heilungsdienste abgehalten hätten. So schrieb David Livingstone in einem Brief:

»Meine Praxis ist hier außerordentlich groß. Gegenwärtig habe ich Patienten, die mehr als 200 km weit hergekommen sind, um sich von mir behandeln zu lassen. Viele sehr schlimme Fälle wurden vor mich ge­bracht, und manchmal war mein Wagen von Blinden, Hin­kenden und Lahmen förmlich belagert. Welch ein gewaltiger Erfolg würde erzielt, wenn einer der siebzig Jünger hier wäre, um sie alle mit einem Wort zu heilen! ‑ Übrigens sind sie ausgezeichnete Patienten. Da gibt es kein Gejam­mer. Bei einer Operation sitzen selbst die Frauen unbeweg­lich.«

Gerade auf diese Aussendungsbefehle an die zwölf bzw. siebzig Jünger beruft man sich heute immer häufiger zur biblischen Legitimierung des Heilungsauftrages. David Livingstone, einer der gesegnetsten Missionare überhaupt, wußte nichts von dieser »Vollmacht des Heilens«. Hatte auch dieser einmalige Diener Gottes nicht das »volle« Evangelium?

So ist es auch von diesem historischen Standpunkt erwäh­nenswert, was Roland Brown in seiner Biographie »Gott ist gut, Jesus ist wunderbar« in diesem Zusammenhang, es war das Jahr 1924, schreibt:

»Ich malte mir aus, wie herrlich es wäre, wenn wir jeman­den berühren könnten und der Herr ihn heilen würde. Aller­dings hatte ich bisher von solchen Heilungen in unserer Zeit nicht gehört. Auch in Predigten kam dieses Thema nicht vor; ich kannte auch kein Buch darüber und keinen Zeit­schriftenartikel. In mir lebte der große Wunsch, daß das, was bei den Anfängen des Christentums geschehen war, auch heute geschehen sollte.«

Roland Brown lebte damals in Chikago. Teilweise waren noch Nachwirkungen der großen Erweckung unter D. L. Moody, der dort so segensreich gewirkt hatte, vorhanden. Ist es möglich, daß die damalige Christenheit solch einen angeblich wesentlichen Aspekt der Verkündigung einfach außer acht gelassen hat?

Wer waren nun die Schlüsselleute für die Wiederentdec­kung dieser »verschollenen« Gabe? Cameron Peddie, schotti­scher Pfarrer der anglikanischen Kirche, nannte sein Buch, in dem er die Krankenheilung als bleibenden biblischen Auftrag vertrat, bezeichnenderweise »Die vergessene Gabe«. Er schreibt von seinen Wahrnehmungen der » Heilungskräf­te«:

»Der, der die Behandlung durchführt, ist sich dabei stets dessen bewußt, daß Kraft durch ihn strömt (wenn er dafür in seinem Inneren genügend empfänglich ist), und der Pati­ent spürt ein eigenartiges Hitze‑ oder Kältegefühl. Die Hitze, die an den kranken Stellen entsteht, ist manchmal so stark, daß der Patient die Bemerkung macht: >O, es brennt ja geradezu!<«

Aus welcher Quelle bezieht nun Cameron Peddie seine Gabe und seinen Auftrag? Bei ihm ist der spiritistische Einfluß ganz offensichtlich. Er gibt zu, wie er 1942 zu einem Medium ging:

»Allmählich schienen sich ihre Gesichtszüge zu wandeln und ein östliches Aussehen anzunehmen. Sie befand sich im Trancezustand … Wir hatten das Gefühl, in der Gegen­wart eines Engels zu sein ‑ gewiß nicht in der eines Teu­fels. Sie legte meiner Frau die Hände auf … Die spirituali­stischen Medien heilten im Namen und in der Kraft vertrau­ter Geister, die nicht unbedingt böse, aber körperlose Geister waren.«

Seine Berufung, den Heilungsauftrag in der Kirche wieder bekannt zu machen, spielte sich folgendermaßen ab:

»Ich sagte zu Gott: Vater, ich bin noch immer im Dunkeln … Wie kann ich da meinen Mitbrüdern den Heilungsauftrag recht weitergeben? Wenn ich mein Schlafzimmer betrete, werde ich die Bibel öffnen. Bitte laß die ersten Worte, die ich dort sehe, eine Botschaft sein, die mir Weisung gibt. …Ich zeigte mit dem Finger auf einen Vers und wollte ihn gerade lesen, als sich drei Seiten von selbst einzeln umblätterten, eine nach der anderen, als ob sie von einer unsichtbaren Hand bewegt worden wären.«

Diese Berufung zum Heilungsauftrag ist hier jenseits allen Zweifels eine mediale Steuerung, ein Werk verführerischer Geister, die gemäß 1 Tim 4,1 am Ende der Tage besonders aktiv sein werden.

Ein biblischer Heilungsauftrag?

Als Beleg für den Heilungsauftrag zitiert man die Passagen aus den Evangelien, nämlich Mt 10,5 ff. und Luk 10,9. Dies aber war vor Golgatha und stand ganz offensichtlich in Beziehung zu Israel (besonders Mt 10,5‑6). Im Missions­befehl von Mt 28, wo (ganz im Gegensatz zu Mt 10) aus­drücklich gesagt wird, nun unter alle Völker zu gehen, wird ein Heilungsauftrag dagegen mit keiner Silbe erwähnt.

Auch findet sich der vollendete Ratschluß für die Gemeinde nicht primär in den Geschichtsbüchern oder gar Evangelien (das Wort Gemeinde wird nur dreimal in den vier Evangeli­en erwähnt), sondern in den Briefen. Vom Römer‑ bis Judasbrief wird jedoch kein einziges Mal befohlen, daß die Gläubigen Kranke heilen sollen.

Warum wird bei der Evangeliumsverkündigung ‑ selbst in der Apostelgeschichte ‑ den Zuhörern immer nur Vergebung der Sünden angeboten und nie Heilung von Krankheiten angesprochen? Hätte dann nicht z. B. Petrus im Hause des Kornelius sagen müssen: »Von diesem bezeugen alle Pro­pheten, daß durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen« (Apg 10,43) und (nun in diesem Sinne fortfahrend) Heilung von ihren Krankheiten erfahren? Sollten die Apostel solch einen wesentlichen Bestandteil des Verkündigungsauftrags vergessen haben zu erwähnen?

Besonders der 1. Johannesbrief zeigt den Grund des Kom­mens unseres Herrn, erwähnt die Warnung vor Verführung und befiehlt das Prüfen der Geister. Dieser Brief zeigt die biblischen Kriterien für den Gläubigen. Dort nun, wo der Grund für Jesu Kommen erwähnt wird (1 Joh 3, Verse 5 und 8 usw.) steht diese Aussage immer in Verbindung mit der Sünde. Kein einziges Mal heißt es, daß Jesus erschienen sei, um die Kranken zu heilen. »Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns ge­liebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden« (1 Joh 4,10). Dies wäre eine sonderbare Auslassung, wenn es einfach für selbstverständlich erachtet werden sollte, daß die Gemeinde zu heilen hat.

George Bennett und seine Heilungserfahrungen

Auch George Bennett, Priester der anglikanischen High Church, verkündigt mit Berufung auf die gleichen Bibelstel­len den Heilungsauftrag. Auf der Rückseite seines Buches »Heilung brauchen wir alle«, heißt es bezeichnenderweise: »In unseren Tagen entdeckt die Kirche neu ihren Auftrag zu heilen.«

Es ist also nicht etwas, das immer schon durch die Jahrhun­derte der Kirchengeschichte praktiziert wurde, sozusagen seit Beginn der Gemeinde oder der Reformation, sondern etwas, das neu auf uns zukommt.

Zunächst sind George Bennetts Ansichten, die er in seinem Buch vertritt, eine Vermischung von Heilungsdienst und kirchlicher Sakramentslehre. Besonders aufschlußreich ist der Abschnitt seines Buches, wo er erläutert, wie man die Krankheiten erfühlen bzw. die Krankheitsherde mit den Händen feststellen kann. Wörtlich heißt es:

»Eine >andere< Empfindung mag auch die Fähigkeit sein, durch Intuition oder Berührung die kranken Stellen im Körper eines Leidenden ausfindig zu machen. Manchmal spürt der Ausübende in seinen Fingerspitzen, daß die Stel­len, die geheilt werden sollen, heiß sind oder sich >tot< anfühlen. Der >Heiler< weiß dann unwillkürlich, wie lange er seine Hände über dem kranken Körperteil halten sollte. Manchmal vibrieren seine Hände, wenn die schöpferischen Energien Gottes durch sie hindurchströmen. Später berichtet der Leidende vielleicht, daß er eine >Glutwelle< oder so etwas wie einen elektrischen Strom verspürte, der durch ihn hindurchlief. Ein derartiges Geschehen hat als solches keine Bedeutung; es ist nur die äußere Erscheinungsform des Wirkens der wirklichen Kraft im Innern ‑ obwohl es sehr beunruhigend sein kann, wenn es das erste Mal auftritt.«

Dies sind nun wiederum unzweifelhafte Symptome des Mediumismus, nicht des Wirkens des Heiligen Geistes. Interessanterweise erklärt George Bennett unmittelbar da­nach, wie sich diese »Gabe«, die Krankheiten mit den Händen zu erfühlen, auswirkt:

»Der >Heiler< spürt, daß er von dieser Kraft in eine ganz andere, wunderbare Welt versetzt wird, die sich nicht richtig erklären läßt. Er mag manchmal darüber erschrocken sein. und unsicher werden, … Auch stellt er fest, daß er selbst verwundbarer gegenüber den Verletzungen in seinem Leben und den Zugriffen des Bösen wird.«

Auch hier werden die Zusammenhänge durch solche Selbst­zeugnisse offensichtlich.

John Wimber und die »Dritte Welle des Heiligen Geistes«

Diese Wahrnehmungen einer Wärme bzw. Hitze werden auf­fallend häufig in dem von John Wimber herausgegebenen Buch »Die Dritte Welle des Heiligen Geistes« erwähnt. So schreibt seine Frau Carol über das Kommen des angebli­chen Heiligen Geistes.

»Aber ich wußte, daß Gott zu uns gekommen war. Ich war sehr glücklich, denn ich hatte so lange um Gottes Kraft gebetet. Ich hatte es mir etwas anders vorgestellt, aber Gott gab uns seine Kraft eben auf diese Weise. Ich stand auf, ging umher und hielt meine Hände in die Nähe der Men­schen, die auf der Erde lagen. Ich konnte die Kraft spüren, die von ihren Körpern ausging, es war so etwas wie Hitze oder Elektrizität.«

In diesem Zusammenhang erscheint erwähnenswert, daß auch Katholiken, die nun angeblich von der Himmelköni­gin Maria geheilt worden sind, die gleichen Begleitsym­ptome erleben. Ein gelähmter Mann, der in Lourdes geheilt wurde, berichtet, wie er am ganzen Körper eine starke Hitze verspürte. Danach konnte er aus dem Rollstuhl aufstehen.

Überrascht es da noch sonderlich, daß John Wimber in seinem Buch »Vollmächtige Evangelisation« sogar Lourdes im positiven Sinne anführt? Angeblich soll es ein Ort sein, wo Gottes zeichenhaftes Wunderhandeln erfahrbar ist.

In demselben Buch erklärt Amerikas bekanntester Heilungs­evangelist wörtlich:

»Manchmal bekomme ich Schmerzen in verschiedenen Teilen meines Körpers. Das zeigt mir an, welche Krankhei­ten Gott bei anderen heilen will.«

Auch dafür gibt es keine biblische Parallele, doch sind solche Phänomene den Geistheilern nur zu gut bekannt.

Aus dem Glauben an den persönlichen Gott der Bibel wird mehr und mehr die Wahrnehmung einer unpersönlichen Kraftwirkung, die sich in erster Linie physisch bemerkbar macht. In Wimbers Buch »Die Dritte Welle des Heiligen Geistes«, das übrigens eine wahre Fundgrube für solche Phänomene darstellt, berichtet seine Frau Carol:

»So ging John im Zimmer umher und betete für uns. Von seinen Händen strömte eine unglaubliche Kraft. Wenn er die Menschen berührte, fielen diese einfach um. Für John war es, als ob aus seinen Händen eine geistliche Kraft strömte, ähnlich wie Elektrizität. Es war das erste Mal, daß John tatsächlich fühlte, wie Kraft von ihm ausging.«

Wie oben dargelegt, mißachtet dieser Geist, der leider als Heiliger Geist angesehen und angesprochen wird, die Per­sönlichkeit bzw. die Selbstkontrolle des Menschen. So erzählt Carol von ihrem Mann gleich danach:

»John ging zum Kühlschrank, weil er ein Glas Milch trinken wollte. Während er sich die Milch einschenkte, sagte er: >Ich glaube, wenn man das Wort Gottes lehrt, dann wird der Heilige Geist …< John konnte seine Gedanken nicht mehr ausführen. Als er >der Heilige Geist< sagte, sackten ihm plötzlich die Beine weg, und er konnte sich gerade noch an der Theke festhalten. Die Milch spritzte überall herum. Er schaute überrascht und lachend zu mir hoch und sagte: >Ich glaube, wir werden noch einiges erleben, Carol Kay<.«

Hier noch ein weiteres Beispiel zu diesen Phänomenen der sogenannten »Dritten Welle« des Heiligen Geistes. Terry Virgo, Pfingstprediger aus England, schreibt über ein Ge­betstreffen in Südafrika:

»Während wir für sie beteten, fiel auf einmal mit Macht der Heilige Geist … Etliche fielen unter der Kraft Gottes zu Boden, und einige fingen heftig an zu zittern. Ein junger Mann wurde mit Macht auf dem Boden hin und her gewor­fen, er bewegte sich wie ein aufs Trockene geworfener, zappelnder Fisch. Es war undenkbar, daß er die körperlichen Verrenkungen selber machte. Seit jenem Abend hat sein Leben einen ganz neuen Glanz bekommen.«

Hier wird zugegeben, wie eine andere Kraft den Menschen kontrolliert.

Wie vermittelt nun John Wimber die Gabe der Heilung? Wir haben schon erwähnt, wie sich diese Kraft primär im seelisch‑körperlichen Bereich manifestiert. Lassen wir aus diesem mehrfach zitierten Bestseller »Die Dritte Welle …« jemanden zu Worte kommen, der dies buchstäblich am eigenen Leibe erfahren hat.

Unter dem bemerkenswerten Titel »Darüber kann man lachen«, schildert der Neuseeländer Murray Robertson seine Ausrüstung für den Heilungsdienst folgendermaßen:

»>Alle, die der Herr zum Dienst der Heilung beruft, werden an ihrem Körper eine Reaktion merken<, fuhr John Wimber fort. >Wenn Sie dies merken, dann kommen Sie nach vorne, und wir werden für Sie beten.< …Da begann meine rechte Hand plötzlich stark zu zittern, so als ob sie einen Preßluft­bohrer festhalten würde… Darum ging ich nach vorne. Für alle, die nach vorne gekommen waren, wurde gebetet … In mir stieg ein Lachen auf, doch da der Augenblick dafür völlig unpassend war, unterdrückte ich es. >Der Geist wird in Wellen kommen<, sagte Wimber, >jede neue Welle wird mehr Menschen mit hineinnehmen als die vorherige.< In den ersten Reihen fingen einige Menschen an zu lachen … Diejenigen, die gelacht hatten, wurden still ‑ bis auf mich. Ich konnte einfach nicht aufhören. Und schließlich konnte ich auch nicht mehr stehen! Ich fiel zuerst nach vorne, dann nach hinten, und zum Schluß lag ich auf dem Boden, rollte hin und her und hielt mir vor Lachen die Seite. Inzwischen war ich umringt von Zuschauern, ich lieferte eine gute Unterhaltungsshow! … Ich lachte etwa eine dreiviertel Stun­de lang. Als ich schließlich aufhörte, kam ein Kollege, ein sehr guter Freund von mir, legte mir die Hand auf den Kopf und sagte: >Herr, gib ihm noch mehr davon< ‑ und ich mußte noch einmal eine dreiviertel Stunde lang lachen! Dann flehte ich ihn an, nicht mehr für mich zu beten, meine Rippen schmerzten schon von all dem Lachen!«

Der Brite H. E. Alexander, Gründer der Action Biblique, schrieb schon vor Jahrzehnten über die Phänomene des christlichen Spiritismus unmißverständlich deutlich – fast zu deutlich, jedoch für das gerade Zitierte möglicherweise nicht übertrieben:

»Hast du noch nie starke, physisch seelische Empfindun­gen, Verzückungen und seelisch geistliche Gemütserregun­gen gehabt? Hat dich ein außergewöhnliches Zittern befal­len? Wurdest du zur Erde geworfen und bliebest auf deinen Knieen liegen oder krochest du herum, indem du glaubtest, unter der Wirkung des Heiligen Geistes zu stehen? Sei versichert, daß in diesem Augenblick Satan von deinem Körper ganz oder teilweise Besitz genommen hat, der damit ein Medium des Geistes >des Engels des Lichts< wurde … Dabei wähnst du, daß die, welche dich vor dieser schreckli­chen Gefahr warnen, gegen den >Heiligen Geist sündigen<, indem sie sich dem Wirken Gottes entgegenstellen. Dein Leben steht in direkter Verbindung mit der Dämonenwelt und dies im Namen Gottes!«

Es war Prof. Peter Wagner, der John Wimber zu Vorlesun­gen am Fuller Theological Seminary (Kalifornien) berief. Nach dem theoretischen Teil wurde der Heilungsdienst gleich praktisch ausgeführt. John Wimbers Einfluß hat dadurch eine viel größere Plattform erhalten. So nahm an diesen Kursen auch der angesehene christliche Psychiater Dr. John White teil, Autor vieler einflußreicher und erfolg­reicher Bücher. Leider beweist auch er wenig Unterschei­dungsvermögen, wenn er über die Heilung des verletzten Beines eines Studenten im positiven Sinne berichtet: »Der junge Mann hatte sein Gesicht erhoben, es glänzte ein wenig von Schweiß. Die Augenlider zuckten. Nach einer Weile begannen sein Kopf und seine Oberarme zu zittern, zuerst nur leicht, dann immer stärker. Schon bald zitterte sein ganzer Körper, und zwar so stark, daß man befürchten mußte, er würde das Gleichgewicht verlieren und zu Boden stürzen. Seine Krücke polterte zu Boden, und zwei Studenten liefen zu ihm, um ihn vorsichtig auf den Boden zu legen, wo er noch stärker zu zittern begann… Inzwischen schlug das rechte Bein des jungen Mannes in alle Richtungen aus und gab dabei einer Aktenmappe einen kräftigen Schubs, so daß diese über den Boden rutschte. Ich machte mir Sorgen, weil das linke Bein (das ich fälschli­cherweise für das verletzte hielt) angewinkelt unter dem Bein lag, das wild hin und her zuckte. Ich bat die Studen­ten, die am nächsten bei dem jungen Mann saßen, das Bein vorsichtig unter dem anderen wegzuziehen. Als sie dies versuchten, wurden sie scheinbar ebenfalls von dem Zittern ergriffen, so daß sie meiner Bitte nicht nachkommen konn­ten. Nach fünf bis sieben Minuten hörte das Ganze wieder auf …«

Der vorhin erwähnte Dr. Peter Wagner ist Professor für Gemeindewachstum am Fuller Theological Seminary »School of World Mission«, Pasadena, Kalifornien. Seine Arbeiten zum Thema Gemeindewachstum sind so zahl‑ und einflußreich, daß man ihm schon den Namen »Mr. Church Growth« (Mr. Ge­meindewachstum) gegeben hat. Der Einfluß von Peter Wagner auf die weltweite evangelikale Bewegung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Nun liest man bereits in seinem Beitrag zu dem schon mehrfach zitierten Buch von John Wimber »Die Dritte Welle des Heili­gen Geistes« eher merkwürdige Dinge. Zunächst meint er, besonders im Visier Satans zu sein:

»Der Herr hatte mich nämlich auch wissen lassen, daß ich auf Satans schwarzer Liste ziemlich weit oben stände. Im Januar 1983 wurde nach einem Seelsorgegespräch mit John Wimber die Kraft eines bösen Geistes gebrochen, der mir seit Jahren Kopfschmerzen verursacht hatte, die mich sehr behinderten. Im März versuchte der Teufel, mich zu töten, indem er mir eine Leiter unter den Füßen wegzog. Aus drei Meter Höhe fiel ich mit dem Kopf zuerst auf den Betonboden.«

Unmittelbar danach nahmen die angeblichen Geisterangriffe noch sonderbarere Formen an:

»Dieses Ereignis weckte in uns die Vermutung, daß der Feind böse Geister in unser Haus geschickt hatte. Dies bestätigte sich später, als meine Frau Doris in unserem Schlafzimmer tatsäch­lich einen solchen Geist sah.

Dieser Mann versucht nun dank seines großen Einflusses, die Prinzipien des Heilungsdienstes und Gemeindewachstums ‑ verbunden mit Zeichen und Wundern ‑ in die von der charisma­tischen Bewegung noch nicht tangierten Kreise systematisch einzuschleusen. Sein letztes Buch, »How to Have a Healing Ministry Without Making Your Church Sick« (Regal, 1988), behandelt wiederum das Thema Heilungsdienste und wie diese von den Gemeinden in die Praxis umgesetzt werden können. Die deutsche Ausgabe trägt den Titel »Der gesunde Aufbruch« (Wolfgang Simson Verlag, 1989).

In einer jüngsten Veröffentlichung behandelt nun Peter Wag­ner das Thema »Territorial spirits and world missions«, wo er sich besonders mit dämonischen Aktivitäten in Zusammenhang mit der Ausbreitung des Evangeliums auseinandersetzt. Dieser Artikel enthält manch Richtiges und zu Beherzigendes. Aller­dings finden sich auch eine Menge absonderlicher Berichte und Begebenheiten. So erzählt Peter Wagner von einer Südameri­kanerin namens Rita Cabezas, deren Dienst darin besteht, die Namen der Hierarchie Satans zu erforschen.

»Ich werde nicht ihre Methoden beschreiben, nur möchte ich erwähnen, daß alles mit ihren umfangreichen Psychologischen- ­und Befreiungspraktiken seinen Anfang nahm und später sich bis zum Empfang von Worten der Erkenntnis und Offenbarung entwickelte. Sie entdeckte, daß direkt unter Satan weltweit sechs Fürstentümer stehen, namens Damian, Asmodeo, Men­guelesh, Arios, Beelezebub und Nosferasteus. Unter jedem, so berichtet sie, sind sechs Regenten für jedes Land.«

Dann werden u. a. auch die sechs Namen der für die USA zuständigen Regenten aufgezählt, die angeblich folgendermaßen lauten: Ralphes, Anoritho, Manchester, Apolion, Devil­took und ein Ungenannter.

Hier meint man offensichtlich, die Tiefen Satans erkannt zu haben (Offb. 2, 24).

Vollends offenbar aber wird der fromme Spiritismus bei folgen­dem Bericht, den Peter Wagner im Zusammenhang mit dem berüchtigten »Bermuda Dreieck« zustimmend wiedergibt:

»Kenneth McAll verbrachte viele Jahre als Missionsarzt in China und kehrte danach nach England als beratender Psychia­ter zurück. In China begann er einen Befreiungsdienst und engagierte sich durch umfangreiche Untersuchungen und Ver­öffentlichungen zu diesem Thema. 1972 fuhren er und seine Frau mit dem Schiff durch das Bermuda Dreick. Viele Schiffe und Flugzeuge waren dort spurlos verschwunden, aber sie dachten, daß so etwas ihnen nicht widerfahren könne. Es geschah. Ein gewaltiger Sturm überwältigte sie, doch glücklich­erweise wurden sie gerettet. McAll entdeckte durch seine Nachforschungen, daß im Bermuda Dreieck Sklavenhändler an die zwei Millionen Sklaven, die entweder zu krank oder zu schwach waren, um verkauft werden zu können, über Bord geworfen und danach noch Versicherungsgelder für sie einge­strichen hatten. Er hatte den Eindruck, daß Gott ihn anleitete, etwas zu unternehmen. McAll versammelte mehrere Anglika­nische Bischöfe, Priester und andere in ganz England, um eine Jubiläums‑Eucharistiefeier im Jahre 1977 abzuhalten. Eine andere wurde kurz danach auf der Bermudainsel selber gefei­ert. Die erklärte Absicht war, >die spezielle Befreiung all derer zu erlangen, die ein unzeitgemäßes Ende im Bermuda Dreieck erfuhren<. Als Resultat davon wurde der Fluch aufgehoben. McAll berichtete 1982, >Von dem Zeitpunkt der Jubiläumsmes­se bis jetzt ‑ 5 Jahre ‑ hat sich kein unerklärlicher Unfall im Bermuda Dreieck ereignet<.

Gemeindewachstum und geistliche Kampfführung vorangetra­gen durch Messen für Verstorbene?

Inzwischen bekam Peter Wagner nicht nur das Charisma der Krankenheilung, sondern auch die besondere Gabe, zu kurze Beine verlängern zu können. Seine Geistestaufe erhielt er bei Yonggi Cho, von dem im »Dictionary of the Penetecostal und Charismatic Movements« berichtet wird, daß ihm bei seiner Bekehrung Jesus als Feuerwehrmann erschien.

Yonggi Cho ist Koreaner und Pastor der größten Kirche der Welt. Sein Bestseller »Die vierte Dimension« ist aber eher, wie Dave Hunt eindrücklich aufzeigt, eine Apologetik des Okkul­tismus bzw. christlich verbrämtes Schamanentum denn bibli­sches Christentum. So schrieb die englische Zeitschrift » Sword & Trowel« einen ganzen Artikel über Yonggi Chos Heilungstechniken unter der Überschrift »Occult healing bu­ilds the world’s largest church« (Okkultheilung baut die größte Kirche der Welt).

Ähnlich äußert sich Hank Hanegraaff. In seinem neuerschiene­nen Buch » Christianity in Crisis« stellt er unumwunden fest:

»Chos Vorstellung des vierdimensionalen Denkens ist nichts anderes als Okkultismus. In seinem Bestseller >Die vierte Dimension< offenbart Cho sein Abweichen von der histori­schen christlichen Theologie und sein Eindringen in die Welt des Okkultismus.«

Der Einfluß von Agnes Sanford

Als Schlüsselfigur für die Wiedereinführung der Heilungs­dienste in die Hauptgruppierungen der amerikanischen Chri­stenheit gilt Agnes Sanford. Vielleicht gibt es kaum eine Frau in diesem Jahrhundert, die einen so großen Einfluß auf die heutige Christenheit in Amerika ausübte, wie diese Lehrerin und Autorin vieler erfolgreicher Bücher. Sie ist die entscheidende Wegbereiterin zur Ausbreitung der »vergesse­nen Gabe«.

Francis MacNutt, ein katholischer Pater, wurde ebenfalls durch Agnes Sanford zu diesem Heilungsdienst motiviert. Er war einer der ersten Katholiken, der sich in der charis­matischen Erneuerung engagierte und einer der ersten, der Gebet für Heilung in Gebetsgruppen praktizierte. Er schreibt dazu:

»Diese Schulen wurden von Pastor Ted Sanford und seiner Frau Agnes gegründet, um die Geistlichen davon zu über­zeugen, daß der Heilungsdienst Teil des normalen Auftrags eines jeden Pastors sein sollte. Obwohl ihr Gatte vor ein paar Jahren starb, hat Frau Sanford das Werk des Unter­richts weitergeführt und ist vielleicht mehr als jeder andere für die Erneuerung des Heilungsdienstes in den großen Denominationen Amerikas verantwortlich.«

In ihrem Buch über die Heilungsgaben des Geistes schreibt sie:

»Beim Zungenreden wird nun diese Macht, die im Unbe­wußten aller Menschen verborgen liegt … zum Leben er­weckt, so daß das Unbewußte Verbindung aufnehmen kann mit dem Unbewußten eines anderen, der irgendwo auf dieser Erde lebt, oder mit jemandem, der früher hier gelebt hat oder erst in der Zukunft leben wird …«

In einem weiteren bedeutenden Werk, »Heilendes Licht«, wird die spiritualistische Verstrickung, die fromme Verbun­denheit mit Totengeistern, noch offensichtlicher.

»Auch die >Geister der vollendeten Gerechten<, für die wir vielleicht gebetet haben, als sie noch auf Erden waren, sind Gegenwart (Hebr 12) und wirken durch uns, denn die Brüc­ken, die von Geist zu Geist gebaut werden, dauern über den Abgrund des Todes hinüber … In der Bitte um sein Kommen und in der Mitarbeit der anderen »Heiligen« erleben wir einen Machtzustrom. Viele von uns empfinden ihn als einen wirklichen Strom voller Leben, der ins Inner­ste des Körpers dringt und durch das Rückgrat aufwärts steigt. Er ist so kräftig, daß wir gezwungen sind, uns ganz gerade zu halten und ganz leicht und ruhig zu atmen. Für eine kleine Weile können wir vielleicht auch nicht sprechen … Diese Fülle muß weitergegeben werden.«

Wie sich die Heilungsmethoden dieser Frau auswirken, kann man wiederum in dem Buch »Die Dritte Welle des Heiligen Geistes« nachlesen. Mike Flynn, Priester einer Episkopalkirche in Kalifornien, schreibt im Zusammenhang mit Agnes Sanford:

»Es gab einige Dinge, die mich beunruhigten, und ich beschloß, Agnes Sanford aufzusuchen … Agnes, die hinter meinem Stuhl stand, sagte, sie würde trotzdem für mich beten. Sie ließ mich wissen, daß sie beim Beten zitterte. Ich sollte mich davon nicht stören lassen. Sie legte mir die Hände auf den Kopf und war eine Weile still.«

Danach praktiziert er die typischen Visualisierungen, wo der Jesus des Wortes durch einen Jesus des Bildes bzw. der Vorstellung ersetzt wird. Eine Frau, die mit Schwierig­keiten und Problemen zu ihm in die Seelsorge kommt, wird folgendermaßen »geheilt«:

»Ich hatte mir angewöhnt, mir Jesu Gegenwart bildlich vorzustellen. Überall, wo ich war, konnte ich ihn auf dem Thron sitzen sehen. So blickte ich zu Jesus. Er erhob sich von seinem Thron, kniete sich neben die Frau, legte den rechten Arm um ihre Schulter, griff mit seiner Linken in ihr Herz und holte etwas heraus, das wie eine schwarze, gallertartige Masse aussah. Diese Masse tat er in sein eige­nes Herz, wo sie schrumpfte, bis sie sich in nichts auflöste. Dann griff er erneut in sein Herz und holte eine weiße Masse heraus, die er vorsichtig in das Herz der Frau legte, an die Stelle, wo vorher die dunkle Masse gewesen war. Schließlich wandte sich Jesus mir zu und sagte: >Tu das< … Innerhalb der nächsten Jahre betete ich in ähnlicher Weise für Hunderte von Menschen und lehrte viele diese Art des Gebets.«

Diese Methode der »Inneren Heilung« bzw. Visualisierung, nämlich die Überzeugung, daß man durch eine bildliche Vorstellung Jesu seiner göttlichen Kräfte teilhaftig wird, hat durch Agnes Sanford eine überaus große Verbreitung gefunden. Dave Hunt legt in seinem Bestseller >Die Verfüh­rung der Christenheit< dar, wie diese Visualisierungstechni­ken der heidnischen Welt und besonders den Schamanen bekannt sind und einen direkten und schnellen Zugang in die Geisterwelt vermitteln. Abgesehen davon, daß es un­denkbar ist, daß der erhöhte Herr, vor dem sich einmal alle Kniee beugen müssen, nun selber vom Thron herabsteigt und sich bei einer Frau hinkniet.

Diese Methode der Visualisierung empfiehlt auch Richard Forster in seinem vielgelesenen Buch »Nachfolge feiern«. Beispielsweise soll man sich vorstellen, wie man seinen Leib verläßt und immer tiefer in den Weltenraum ver­schwindet, bis man schließlich nur noch in der warmen Gegenwart des ewigen Schöpfers verweilt. Richard Forster aber gehört zu den vielen Bewunderern von Agnes Sanford. Er schreibt:

»Agnes Sanford und mein lieber Freund, Pfarrer Bill Vas­wig, haben mir sehr geholfen, die Bedeutung der Phantasie für die Fürbitte besser zu verstehen.

In dem Buch »Nachfolge feiern« finden sich auch sehr empfehlenswerte Passagen, doch tragisch ist wiederum die teilweise vorhandene Naivität gegenüber Strömungen und Gestalten, die die Gemeinde Gottes zerstörten und verfolg­ten. So empfiehlt er die Exerzitien des Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens, und versteigt sich sogar zu der Behauptung:

»Sein (Ignatius, Anm.) dünnes Büchlein über Meditations­übungen mit seiner Betonung der Phantasie (imagination) hatte einen unglaublich positiven Einfluß zum Guten im 16. Jahrhundert.«

In diesem Jahrhundert aber begann dank Ignatius von Loyo­la und seiner Jesuiten die Gegenreformation, in deren Folge Abertausende von Nachfolgern Jesu getötet wurden.

Jedenfalls sind durch Agnes Sanfords übergroßen mediumi­stischen Einfluß fast alle charismatischen Kreise, die Hei­lung propagieren, durchsäuert worden. So war sie eine beliebte und häufige Sprecherin bei Camp Farthest Out, dessen internationaler Direktor der oben erwähnte Roland Brown war. Auch Larry Christenson verdankt seine neop­fingstlichen Impulse wesentlich dem Buch »Heilendes Licht«, wie er im Vorwort zur deutschen Auflage anerken­nend schreibt.

Arnold Bittlinger, zusammen mit Larry Christenson der Vater der charismatischen Bewegung auf deutschem Boden, veröf­fentlichte in seiner Schrift »…und sie beten in anderen Sprachen« einen Artikel von Agnes Sanford unter dem Titel »Erfahrungen mit dem Sprachenreden.«

In dem Gaben‑Test von Christian Schwarz wird unter dem Charisma der Auslegung des Zungenredens Agnes Sanford als Autorität für die Existenz dieser Gabe zitiert. Dies ist nur eines von etlichen Beispielen bei diesem Test, wo man bezüglich der diakritischen Gabe dieser Gemeindewachstums­strategen größte Fragezeichen setzen muß.

Körperliche Heilung empfiehlt auch Morton Kelsey, der mit Agnes Sanford eng verbunden war. Eines seiner Hauptwerke trägt den Titel » Healing and Christianity« (Heilung und Chri­stentum). Kelsey gibt zu, wie ihm seine Methode durch das Studium von C. G. Jung erwachsen ist. Jungs wissenschaftliche Karriere aber begann durch spiritistische Sitzungen mit seiner Cousine Helly Preiswerk. Kelsey empfiehlt sogar den Kontakt mit Verstorbenen.

»Dank Jungs Eintreten für die aktive Phantasie und seinem Verständnis der Toten, die in Wirklichkeit weiterleben, konnte ich dieses besondere Zusammentreffen mit meiner (toten) Mutter erleben … es erschien mir alles ganz echt.«

Was ist dann von John Wimbers Unterscheidungsgabe zu halten, wenn auf seinen Büchertischen die Werke von Agnes Sanford und Morton Kelsey zum Verkauf angeboten werden? Ja, er preist sogar dieses zutiefst mediumistische Werk >Heilendes Licht< in seinem jüngst erschienen Buch>Heilungsdienst praktisch< als »den Klassiker unseres Jahrhun­derts über die Thematik der göttlichen Heilung« an.

Übrigens greift auch Arnold Bittlinger in der bereits genann­ten Veröffentlichung unter der Überschrift »Glossolalie ‑ psychologisch betrachtet« Morton Kelsey positiv auf.

»In der Schule C. G. Jungs wird die Glossolalie erklärt als eine Sprache, die aus dem Kollektiv‑Unbewußten kommt. So schreibt z. B. der Jung‑Schüler Prof. Morton Kelsey: >Bei der Glossolalie geschieht ein echtes Bewußtwerden von Inhalten, die aus den tiefsten Schichten des Kollektiv‑Unbe­wußten kommen.< (M. Kelsey, Tongue Speaking, New York 1964, S. 199).«

Bittlinger weiter:

»Nach dieser Meinung wäre also das Sprachenreden ein Ausdruck des Kollektiv‑Unbewußten, das die gesamte Menschheit miteinander verbindet. Dies war auch mein Eindruck, als ich zum ersten Mal dem Phänomen des Spra­chenredens begegnete. Dadurch könnte auch das Phänomen der Xenoglossia erklärt werden.«

C. G. Jung aber hat seine Lehre von dem Kollektiv‑Unbe­wußten bzw. den damit verbundenen Archetypen, wie oben kurz erwähnt, aus spiritistischer Literatur abgeleitet. Der nicht unbedeutende Einfluß von C.G. Jung, nach all den positiven Erwähnungen führender Leute der Neopfingstbewe­gung überrascht es auch keineswegs, wird von charismati­scher Seite offen zugegeben: »C.G. Jung spielt bei vielen Verantwortlichen der charismatischen Erneuerung eine wich­tige Rolle.«

Eingedenk der Tatsache, daß durch Arnold Bittlinger die charismatische Bewegung in Deutschland Fuß faßte, stellt sich erneut die Frage, um welchen Geist es sich bei dieser Bewegung handelt, wenn hier ohne Bedenken Personen als Autoritäten herangezogen werden, die sich offenkundig aktiv mit dem Spiritismus befaßt haben.

Diese Vermischung mit unbiblischen Strömungen wird durch eine jüngste Veröffentlichung von Arnold Bittlinger noch deutlicher.

Um einen Eindruck von der Schlüsselrolle und Lehrauffassung zu vermitteln, die sich mit dieser Person verbinden, möchte ich noch zwei Zitate voranstellen. So schreibt Wolfram Kopfer­mann:

»Ein eigenes Schrifttum der evangelischen Gemeinde‑Erneue­rung ist noch im Entstehen begriffen. Hinzuweisen ist bisher auf einige Veröffentlichungen von Arnold Bittlinger, vor allem zum Gesamtgebiet der Charismen, speziell auch zum Thema Sprachengebet, die als Standardwerke gelten. Überhaupt kommt Bittlinger das Verdienst zu, schon in den sechziger Jahren die Anliegen der charismatischen Bewegung theolo­gisch so reflektiert und dargelegt zu haben, daß sie von vielen sonst kritischen deutschen Zuhörern bzw. Lesern aufgenom­men werden konnten.«

Zum Phänomen des Zungenredens erklärt Arnold Bittlinger:

»Glossolalie ist sehr häufig das Phänomen, durch das Menschen Zugang zur Dimension des Charismatischen finden …. Im Privatgebet spielt die Glossolalie innerhalb der Charismati­schen Bewegung eine bedeutende Rolle. Millionen von Chri­sten, darunter viele Pfarrer, Priester und Bischöfe, haben durch die Glossolalie Zugang zu einem verinnerlichten Beten gefun­den ‑ ohne daß sie diese Gabe in einem öffentlichen Gottes­dienst praktizieren. Man kann deshalb zweitens sagen: >Ohne Glossolalie gäbe es keine Charismatische Erneuerung<.

»In Verbindung mit meiner Forschung im Bereich der Charis­matischen Erneuerung, der ökumenischen Spiritualität und der Tiefenpsychologie, bin ich allmählich in Verbindung mit nicht­christlichen geistlichen Erfahrungen und Praktiken ge­kommen.

Seit 1962 habe ich Forschungen über die Charismatische Er­neuerung angestellt. Ich war ein Mitglied des inneren Teams im Dialog zwischen der römisch‑katholischen Kirche und der pfingstlich/charismatischen Erneuerungsbewegung. Ich war auch als Berater für die charismatische Erneuerung beim Weltkirchenrat tätig.

Im Zuge meiner Nachforschungen begann ich mich für die afrikanischen unabhängigen Kirchen zu interessieren, wo ich eine harmonische Vermischung von traditionellen afrikani­schen und christlichen Elementen vorfand. Als ich entdeckte, daß viele charismatische Elemente dieser Kirchen ihre Wurzel in vorchristlichen Traditionen hatten, begann ich auch nach charismatischen Elementen in anderen Religionen Ausschau zu halten. Ich entdeckte, daß vor allem die Charismata der >Heilung< und der >Prophezeiung< in solchen Religionen manchmal überzeugender waren als in der charismatischen Erneuerungsbewegung ‑ wenigstens soweit sie von der nordamerikanischen Art des Christentums beeinflußt ist. Im Scha­manismus fand ich faszinierende Parallelen zu dem Dienst Jesu, den ich immer mehr als einen Archetypus des Schamanen erkannte. Bezüglich »Heilung« war ich besonders beeindruckt durch den ganzheitlichen Zugang zur Heilung, den ich unter den Indianern fand. Das hat mich motiviert, zu solch einem Zugang auch für unsere christlichen Heilungsdienste Mut zu machen.

Bezüglich >Prophetie< bin ich beeindruckt von Erfahrungen im Hinduismus. Einige unserer europäischen >Propheten< ent­deckten und entfalteten ihre prophetische Gabe unter dem Einfluß von indischen Gurus. Auch andere charismatische Erfahrungen haben ihre manchmal eindrücklichen Entspre­chungen in anderen religiösen Traditionen (z.B. >Beten im Geist< im Japa Yoga). Ich bin davon überzeugt, daß die charismatische Erneuerungsbewegung noch bedeutender wird ‑ besonders für die Mission der Kirche ‑ wenn sie auch die charismatischen Gaben von anderen Religionen ernst nimmt.

Seit 1966 habe ich in der Arbeit einer ökumenischen Akademie mitgewirkt, die auch mit einer ökumenischen Kommunität verbunden ist. Ein Hauptanliegen dieser Arbeit besteht darin, eine ökumenische Spiritualität zu entwickeln. Aber wir waren auch an der Spiritualität anderer Religionen interessiert. So hatten wir beispielsweise eine Konferenz zu dem Thema der Bedeutung von Abraham als eine Wurzel des Glaubens im Judaismus, Christentum und Islam und auch eine Konferenz über afrikanische, indische und jüdische Spiritualität mit Refe­renten dieser Traditionen. Wir hatten auch Konferenzen über das chinesische I Ging und das Tibetanische Bardo Gödol (Tibetanische Totenbuch, Anm.). Aber unser Hauptanliegen ist, zu unseren eigenen keltischen und alemannischen Traditio­nen zurückzugehen und sie wiederum zu beleben, um sie in unseren christlichen Glauben integrieren zu können.« – Soweit A. Bittlinger –

Nun werden sich zweifellos die meisten Charismatiker von solchen Aussagen distanzieren. Auch Wolfram Kopfermann lehnt diesen Synkretismus entschieden ab. Dennoch ist die Entwicklung Bittlingers fast ein Paradebeispiel für die Manife­station des verführerischen Geistes dieser Strömungen und für die damit verbundene Öffnung zu immer bibelfremderen Quel­len. Erst sind die charismatischen Erfahrungen im evangelikal­protestantischen Lager scheinbar bibeltreu verpackt. Dann entdeckt man auf einmal bereichernde spirituelle Elemente in der katholischen Kirche, danach in der Liturgie der orthodoxen Kirche und letztlich findet man ähnliche oder identische » Spiri­tualität« in anderen Religionen und heidnischen Kulten über die gemeinsame religiöse Erfahrung. Über charismatische Auf­brüche führt es in den ökumenischen Dialog, schließlich zurück zur katholischen Kirche und danach ins reine Heidentum.

Wunderheiler

Auch Oral Roberts verkündigt ganz entschieden den Hei­lungsauftrag. Schon seit Jahrzehnten hält er seine Heilungs­feldzüge. Er hat sich allerdings durch seine Methoden, den Leuten Spendengelder aus der Tasche zu ziehen, mehr als ein Wolf im Schafspelz denn als demütiger Diener Christi ausgewiesen. So verschickte er Gebetstücher und sogar »heiliges Wasser«, das richtig angewandt alle möglichen Probleme heilen sollte.

William Branham erschien ein Engel, angeblich aus der Gegenwart Gottes, der ihm mitteilte, er habe die Gabe der Glaubensheilung. Branham leugnete die Trinität und glaubte, daß uns das Wort Gottes in dreifacher Weise gegeben sei: Durch den Tierkreis, durch die ägyptischen Pyramiden und durch die Heilige Schrift.

Er war einer der entschiedensten Verfechter der notwendi­gen Heilung und Übertragung des Geistes durch Handauf­legung. Er hatte unglaubliche Heilungskräfte und spürte oft Hitze in den Händen, wenn er die kranke Seele berührte. Durch seine starken okkulten Fähigkeiten konnte er bei Leuten, die er überhaupt nicht kannte, ihre Krankheiten wie Sünden durch mediale Eingebung erkennen. Die Bewegung, die ihm am meisten ihre organisatorische Basis zur Verfü­gung stellte, waren die »Geschäftsleute des vollen Evangeli­ums« (GdvEI).

Als Branham starb, schrieb Demos Shakarian, der Gründer der GdvEI: »Rev. Branham machte öfters die Feststellung, daß die einzige Gemeinschaft, der er angehörte, die der GdvEI war.«

Sicherlich ließe sich noch manch anderes aufschlussreiche Beispiel anführen. Doch praktisch ausnahmslos stößt man auf dasselbe Grundmuster.

Greift man durch diese Lehren und Praktiken des Heilungs­auftrages nicht auf Quellen zurück, die womöglich höchst gefährlich sind? Nach Offb 13, Vers 3 wird einmal ein Heilungswunder in aller Welt Munde sein: Der antichristli­che Übermensch wird von einer tödlichen Wunde geheilt, worüber alle Welt verwundert sein wird. Ein Blick in die weltliche Literatur verrät, daß das Thema Heilung, beson­ders im Rahmen von New Age, die beherrschende Thematik ist. Die Hexen behandeln in ihren Seminaren ganz selbstverständlich Themen wie: Intuition, Prophetie, geistige und spirituelle Heilung. Geschieht hier womöglich eine eschato­logische Hinführung zu den übernatürlichen Manifestationen des kommenden Verführers (Offb 13,13‑14), und zwar sowohl im weltlichen wie im christlichen Bereich? Wir erleben ja in unseren Tagen einen wahren Dammbruch des Spiritismus. Die Tageszeitung »Die Welt« spricht sogar davon, wie »der Satan das Lebensgefühl dieser Generation verkörpert«. Das Totenreich hält machtvollen Einzug.

So erklärte John Wimber in einer Botschaft an seine Gemein­deglieder vor kurzem:

»Es werden Männer auftreten, die den Herrn Jesus Christus gesehen haben und die die Zeichen und Wunder eines Apostels tun werden. Wir haben Männer dieser Art seit dem ersten Jahrhundert nicht gehabt. Doch wenn Gott dies zu Beginn verwendet hat, warum soll er es nicht am Ende gebrauchen?… Weiter wird es ein neues Verständnis des Übernatürlichen geben. Engelerscheinungen werden in Versammlungen zum Normalen gehören und auch der Herr selbst wird in den kommenden Monaten und Jahren erscheinen. Hei­lungen werden so selbstverständlich werden, daß sogar Kinder imstande sein werden, sie auf regelmäßiger Basis durchzufüh­ren… sogar Auferstehungen von den Toten werden zum Allge­meingut werden… Ihr werdet Heilungsevangelisten erleben, die ihre Hände hochheben und Licht wird aus ihren Händen hervorgehen. Wenn dieses Licht irgend jemanden trifft, der krank ist, dann wird er sofort geheilt sein. Ihr werdet amputier­te Arme und Glieder nachwachsen sehen, wenn das Licht aus der Hand des Evangelisten sie trifft.«

Teilnehmer an den Kongressen mit John Wimber und Reinhard Bonnke berichten von starken psychischen Erfahrungen wie Ruhen im Geist, Berauschung, unerhörtes Glücksgefühl, »La­chen und Weinen im Geist« usw. Ist John Wimbers »Dritte Welle« und die Begleiterscheinungen von anderen Heilungs­evangelisten etwas Neues?

Den Befürwortern dieser »Power‑Evangelisationen« soll nicht eine Passage vorenthalten werden, die in dem Klassiker über geistliche Verführung »War on the Saints« nachzulesen ist. Unter der Thematik, wie sich ein falscher Geist auch unter Kindern Gottes während der Verkündigung manifestieren kann, berichten die Autoren Evan Roberts (das begnadete Werkzeug der Erweckung von Wales) und Jessie Penn‑Lewis mit zum Teil verblüffender Vorwegnahme aktueller Ereignisse:

»Die Mehrzahl der Anwesenden mag die eingeschlichene Mi­schung gar nicht erkennen. Einige fallen zu Boden, unfähig, die spannende Erregung länger zu ertragen. Andere werden von einer übernatürlichen Gewalt umgeworfen. Und wieder andere fangen an, ekstatisch zu schreien. Der Redner verläßt die Plattform und geht an einem jungen Mann vorüber, der sich eines Gefühls der Berauschung bewußt wird, das ihn lange nicht loslässt. Mehrere lachen in einem Überschwall der Selig­keit. Einige haben wirklich Hilfe und geistlichen Segen durch die Auslegung des Gotteswortes erhalten und das durch die ungetrübte Wirkung des Heiligen Geistes, ehe dieser >Höhe­punkt< erreicht wurde. Aus diesem Grund nehmen sie nun die nachfolgenden seltsamen Erscheinungen als >von Gott< hin. Sie können nicht die zwei total verschiedenen >Strömungen< durch denselben >Kanal< unterscheiden. Zweifeln sie die Ausartun­gen an, so fürchten sie, gegen ihre innere Überzeugung zu kämpfen, die ihnen sagt, daß der Anfang göttlich war. Andere wissen wohl, daß ihr geistliches Urteil die besagten Kundge­bungen ablehnen muß, aber um des erhaltenen Segens willen unterdrücken sie ihre Bedenken und sagen: >Wir können zwar diese körperlichen Erscheinungen nicht verstehen. Aber es ist nicht nötig, alles zu verstehen, was Gott tut. Wir wissen nur, daß die Verkündigung der Wahrheit von Gott war und unserem Bedürfnis entsprach. Niemand kann die Aufrichtigkeit und die reinen Motive des Redners in Frage stellen… darum, obgleich wir das Übrige nicht verstehen und zugeben, daß es uns abstößt, dennoch muß alles von Gott sein.< Dieses Streiflicht beleuchtet den Zustand der Mischung, in den z.B. die Gemein­de seit der Erweckung in Wales geraten war; denn beinahe ohne Ausnahme hat sich in jedem Land, wo neues Leben durchbrach, nach kurzer Zeit ein verführerischer Geist mit dem wahren vermengt. Und ebenso wurde beinahe ohne Ausnahme das Unechte mit dem Echten zusammen angenommen, weil die Gläubigen die Möglichkeit derartiger konkurrierender Einflüs­se nicht ahnten.«

Auch ist von keiner noch so falschen Religion bekannt, daß sie nicht Heilung in irgendeiner Form in ihrem Angebot hätte. Zurecht beklagt Peter May:

»Die Betonung, die gegenwärtig auf Heilungen gelegt wird, wirkt neurotisierend. Das Äußere, das Sichtbare und das Zeitliche werden in den Mittelpunkt gerückt, während das Innere, das Unsichtbare und das Ewige vernachlässigt werden. Hier werden wir vom positiven Wert des Leidens abgelenkt… Hinzu kommt, daß der, dem es um Zeichen und Wunder geht, das Sofortige und das Spektakuläre in den Mittelpunkt rückt und die Pflege der chronisch Kranken vernachlässigt. Diese Einseitigkeit läßt falsche Erwartungen bezüglich der Gesundheit und des Wesens der Erlösung aufkommen und untergräbt die Heilsgewissheit derer, die nicht geheilt werden. Im Blick auf die geistliche Gesundheit der Kirche sind diese Fakten von erheblicher Bedeutung.«

Ermutigt die Bibel zu Wunderberichten?

In der Bibel wird uns davon berichtet, wie jemand aus dem Totenreich missionieren wollte. Seine Absichten waren echt und gut gemeint. Es handelt sich um den reichen Mann, der in Lukas 16, die Verse 19‑31 erwähnt wird. Er möchte einen Toten, nämlich Lazarus, auferstehen lassen, um seine fünf Brüder zu warnen. Bei solch einem Wunder, so meint er, würden die Menschen nicht mehr zweifeln können und Buße tun.

Er bekommt zur Antwort: »Sie haben Mose und die Prophe­ten, mögen sie die hören«.

Doch dies ist dem reichen Mann eindeutig zu wenig, und aus dem Totenreich kommt das Nein gegenüber dem Worte Gottes: >Nein, sondern wenn jemand von den Toten zu ihnen geht, werden sie Buße tun.< Sein Vorschlag lautete, nun mit anderen Worten: Die Bibel ist gut, aber das Wort genügt nicht. Wir brauchen Zeichen, Wunder, Heilungen, Visionen, Totenauferweckungen usw., dann wird wirklich etwas für das Reich Gottes geschehen. Dann wird es atem­beraubendes Gemeindewachstum geben. Dann werden die Menschen glauben und sich bekehren.

Doch dies war buchstäblich ein Vorschlag von unten, aus dem Totenreich. Und weil dieses Totenreich (der Machtbe­reich Satans) sich leider immer mehr in den letzten Tagen ausweitet (Offb 6,8), deswegen wachsen parallel damit die Vorschläge und Rufe nach großen Zeichen und mächtigen Taten. Man belegt aber damit nur, daß man auch aus einer fremden Quelle getrunken hat.

Der oben erwähnte Cameron Peddie schrieb schon über die damalige (während des Krieges) Situation in England: »Wenn unsere Pfarrer wüssten, wie viele aus ihrer Gemein­de spiritualistische Medien aufsuchen, um sich von ihnen den Heilungsdienst erweisen zu lassen, wären sie be­stürzt.«

Wen nimmt es da wunder, daß in England fast alle evangelikalen Kreise von der charismatischen Bewegung durchsäuert sind? Dort gibt es kaum noch Berührungsäng­ste zwischen diesen Gruppen. Insofern muß man leider feststellen, daß die Geistheiler sowohl in der Welt wie auch fromm getarnt innerhalb der Gemeinde große Erfolge verzeichnen.

Diese Beziehung Totenreich und »Evangelisation mit Zeichen und Wundern« ist bei Benny Hinn, dem neuen Stern am amerikanischen »christlichen Fernsehhimmel« nicht einmal mehr getarnt. In einer Predigt vom 7. April 1991 offenbarte er, daß er das Grab von Amerikas berühmter Pfingstpredigerin, Aimee McPherson, Begründerin der einflußreichen »Foursquare Gospel Church«, besuchte:

»Ich fühlte eine unglaubliche Salbung . . .! Ich zitterte am ganzen Leib . . . zitterte unter der Kraft Gottes . . . >Lieber Gott<, sagte ich, >ich fühle die Salbung.< . . . Ich glaube, die Salbung verweilte über dem Körper von Aimee.«

Der reiche Mann muß jedenfalls zur Kenntnis nehmen, daß nicht ein Wunder die Menschen überführt, sondern das Wort Gottes: »Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten aufstünde (Luk 16,31).«
 
Ist alle Heilung göttlich?

Walter Hollenweger ist entscheidender Bahnbrecher für die Pfingst‑ und charismatische Bewegung gewesen. Sein Buch »Enthusiastisches Christentum« hat wesentlich zur gesamtkirchlichen Anerkennung dieser Strömungen beige­tragen.

Er verschleiert nicht einmal mehr diesen sich abzeichnen­den Sachverhalt der Geistesverwandtschaft zwischen den Geistheilern und den Heilungsevangelisten. In seinem Referat über »Heilung« auf der »Konferenz über pfingstli­che und charismatische Forschung« erklärt Prof. Walter Hollenweger ganz offen:

» >Alle Heilung kommt von Gott<, betonte Hollenweger und wollte keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Gabe der Heilung etwa bei den Geistheilem in der 3. Welt und der christlichen Heilungsgabe feststellen. Entscheidend sei der Kontext, in dem die Gabe ausgeübt werde.«

Auch in einem weiteren Bereich zeigt sich diese Geistes-Verwandtschaft. Es ist üblich, bei den Heilungsversamm­lungen mit John Wimber, Wolfram Kopfermann oder ande­ren, daß die Hände auf die kranken Stellen gelegt werden, soweit es der Takt erlaubt. Biblisch ist dafür kaum ein Vorbild zu finden, besonders nicht bei dem Dienst der Jünger Jesu bzw. seiner Apostel. Jedoch einer der Ersten, wenn nicht der Erste überhaupt, der lehrte, daß man dem Patienten wohlwollend die Hände auf die kranke Stelle legen und dadurch, bei freundlichem Anblicken des Kran­ken, Lebenskraft übertragen soll, war Franz Mesmer. Franz Mesmer aber ist der Begründer des sogenannten animali­schen Magnetismus und Bahnbrecher des Spiritismus.

Ein magisches Denken verlangt immer einen Berührungs­punkt, besonders den direkten Kontakt mit der erkrankten Stelle. Durch diesen sichtbaren Kontakt wird ein Wirken oder Hindurchströmen der Heilungskraft erwartet. Man wandelt nicht im Glauben, sondern im »berührenden« Schauen.

Kenneth Hagin, führender Wunderheiler der in Amerika zunehmend populärer werdenden Heilungsbewegung » faith movement«, spricht es ganz offen aus:

»Ich lege Hände auf durch Anleitung des Hauptes der Ge­meinde, Jesus Christus, und im Gehorsam gegenüber dem Gesetz der Berührung und Übertragung. Der Kontakt meiner Hände überträgt die Heilungskraft Gottes … Da ist sie! … Sie wird euch alle heilen, wenn ihr es mit Glauben vermischt …«

Ähnlich formuliert es John Wimber bzw. seine Frau Carol: »Wir hatten noch nicht erkannt, daß man das, was Gott einem selbst gibt, durch Handauflegung einem anderen weitergeben kann.«

Hier ist der Heiler auch magischer Mittler. Mag er auch noch so oft zur Beschwichtigung leichtgläubiger Gemüter behaupten, nicht er könne heilen, sondern nur allein Jesus, so ändert dies nichts daran, daß er tatsächlich das Medium eines verführerischen Geistes ist, der durch ihn heilt und eben jenen Kontakt benötigt.

Der Sog der Verführung

Ergibt sich bei den angeführten Fakten nicht fast unaus­weichlich die Schlussfolgerung, daß diese Zeichen und Wun­der in den Bereich der für die Endzeit angekündigten Ver­führungen fallen (2 Thess 2,9)? Daß diese Verführungen in den letzten Tagen besonders erfolgreich sein werden, hat uns das Neue Testament vorausgesagt (Mt 24,11 u. a.).

In eindrücklicher Weise führt Dr. Gerhard Maier in seinem Kommentar zu Matthäus, Kap. 24, aus:

»Es fällt auf, daß Jesus die Warnung vor den Verführern an die Spitze stellt. Verführung ist für die Gemeinde gefähr­licher als Verfolgung. Verfolgung eint die Gemeinde, Ver­führung spaltet sie. Verfolgung läßt das Echte hervortreten, Verführung das Unechte triumphieren … Aber was ist das Furchtbarste in jener Zeit? Körperliche Leiden? Nein. Kata­strophen und Kriege? Nein. Verfolgung? Nein. V. 23‑27 geben die Antwort. Es ist die Verführung … Von daher versteht man, wie notwendig der Kampf gegen die Irrlehre ist.«

Dies erinnert an die Ermahnung, von der wir im Judasbrief lesen, »daß wir nämlich für den Glauben kämpfen sollen, der ein für allemal den Heiligen übergeben ist« (V. 3).

So möchte ich das ermahnende Wort von Wilhelm Busch, das er damals in Zusammenhang mit dem Wunderwirken des deutschen Heilungsevangelisten Hermann Zaiß aus­sprach, wiederholen:

»Der Teufel kann sich verstellen in einen Engel des Lichts, wie die Bibel sagt. Es kann also geschehen, daß eine Bewe­gung den Namen >Jesus< rühmt und doch einen >fremden< Geist, ein fremdes Feuer (3 Mose 10) hat … Wunder bewei­sen nichts. Denn nach Offenbarung 13,13 tut auch der Geist aus dem Abgrund Wunder … Nein! Mit diesem Geist wollen wir nichts zu tun haben … Unser Herz schreit nach Erweckung. Aber nicht auf diesem Wege der alten, wieder neu aufgelegten Pfingstbewegung. Nein! Auf diesem Wege nicht!«

Zeichen und Wunder

Abschließend soll noch auf folgendes hingewiesen werden: Bei den heutigen Manifestationen von Zeichen und Wundern beruft man sich in der Regel auf die Apostelgeschichte. Man behauptet, weil Gott heute noch derselbe ist, deswegen geschehen auch in unserer Zeit diese übernatürlichen Macht­erweise.

Selbstverständlich kann der lebendige und allmächtige Gott übernatürlich wirken und eingreifen, wie und wann es Ihm gefällt. Doch es ist zunächst festzustellen, daß in den Ab­schnitten über die Wiederkunft Jesu die Begriffe »Zeichen und Wunder« nicht neutral oder gar positiv, sondern nur in Verbindung mit Verführung erwähnt werden. Daß unser Herr derselbe ist wie zu allen Zeiten, steht fest. Das bedeu­tet aber noch lange nicht, daß er auch heute noch genau so handelt. Hebr 1,1: >Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn…<

Wir glauben der Heiligen Schrift aufs Wort, daß Gott die biblischen Wunder getan hat. Doch man kann feststellen, daß es im Laufe der Heilsgeschichte nur ganz bestimmte Zeitabschnitte gegeben hat, in denen göttliche Zeichen und Wunder ihre besondere Aufgabe hatten bzw. gehäuft auftra­ten. Für die Zeit der Urgemeinde z.B. gilt Hebr. 2,3‑4: »Wie wollen wir entrinnen, wenn wir ein solches Heil nicht achten, welches zuerst gepredigt ist durch den Herrn, bei uns bekräftigt durch die, die es gehört haben. Und Gott hat dazu Zeugnis gegeben mit Zeichen und Wundern und Taten und Austeilung des Heiligen Geistes nach seinem Willen.«

Nun ist bekannt, daß der Herr gewöhnlich auf zwei oder drei Zeugen hin eine Sache bekräftigte, und in den Versen 3 und 4 haben wir nun die drei Zeugen des neuen Bundes.

Der erste Zeuge ist unser Herr Jesus Christus, »zuerst ge­predigt durch den Herrn«. Darauf folgen die Apostel, die Augen‑ und Ohrenzeugen, die das Wort bestätigen, denn es heißt, »bei uns bekräftigt durch die, die es gehört haben«. Als dritter Zeuge wird Gott selbst erwähnt, der sein Wort mit Zeichen und Wundern bekräftigte. Warum nun soll Gott heute noch so wirken, nachdem das Zeugnis vollgültig abgeschlossen ist? Wenn wir diese Verse näher betrachten, so stellen wir fest, daß das Prädikat des Hauptsatzes passiv ist und im Aorist des Indikativs steht. Also liegt hier ein­deutig eine Vergangenheitsform vor. Der Schreiber des Hebräerbriefes redet damit zu seiner Zeit schon in der Vergangenheit. Wohl steht der V. 4 dann in der Gegen­wartsform, dieser ist aber ein genetivus absolutus, somit zeitlich dem Prädikat des Hauptsatzes zu‑ und untergeordnet. Die Vergangenheitsform in diesen Versen des Hebräerbriefes gibt uns eine Erklärung dafür, daß Gott zur Zeit Jesu und zu Beginn der Gemeindezeit so zeichenhaft handelte und wirkte. Wenn wir uns beispielsweise das Gerichtshandeln Gottes bei Ananias und Saphira in Erinnerung rufen (Apg 5), so ist offensichtlich, daß dies nicht die normale Form der Bestrafung von Sünde bei Gläubigen seitens des Herrn heute ist! Die Verse Markus 16,17‑20b, die oft von Irrströmungen oder anderen sektiererischen Gruppen (Mor­monen, Christliche Wissenschaft etc.) zitiert werden, mün­den ebenfalls zeitlich ‑ jedenfalls in ihrem Zeichencharakter ‑ in die Darlegung von Hebr 2,3‑4 ein.

Wir müssen uns nun folgendes vor Augen halten: Genau die gleichen Begriffe von Hebr 2,4 ‑ nämlich Zeichen (semeion), Wunder (teras) und Krafttaten (dynamis) ‑ die nur in fünf Bibelstellen als gemeinsamer Ausdruck vor­kommen, finden wir, wenn auch in anderer Reihenfolge, in 2 Thess 2,9 wieder. Dort werden ja, wie bereits ausgeführt, die Wiederkunft Jesu und die unmittelbar vorausgehenden Ereignisse geschildert. Somit werden diese Zeichen, Wunder und Krafttaten, die zu Beginn der Gemeindezeit da waren, nochmals auftreten, aber mit anderem Vorzeichen. Und hier erfüllt die Charismatische Bewegung in gewisser Hinsicht Gottes Wort. Hätte man noch nie von solchen Strömungen gehört, müßte man allein schon aufgrund der biblischen Prophetie annehmen, daß genau so etwas kommen und sich ausbreiten muß. Doch ist diesmal die Quelle nicht aus Gott, sondern, wie der 9. Vers aus 2 Thess 2 unzweideutig sagt, aus Satan. Das zeigt auch die Geschichte der Pfingst‑ und Charismatischen Bewegung ziemlich deutlich. Wenn man auf den ersten Blick vielleicht versucht, im positiven Sinne an die Ereignisse der Urgemeinde zu denken ‑ es werden ja auch dieselben Begriffe gebraucht ‑, so verbirgt sich doch etwas völlig anderes dahinter. Wenn nüchterne Seelsor­ger hinter die Kulissen dessen blicken, was sich zunächst so biblisch gebärdet, dann finden sie gewöhnlich eine okkul­te Quelle. Wir haben bereits dargelegt, wie das einen guten Nährboden für das Verlangen nach Zeichen und Wundern und auch besonderen Charismen bedeutet.

Die Aussage von Hebr. 2,3‑4 dürfte auch erklären, warum die Abschnitte der Bibel, die sich mit der Zeit vor der Wiederkunft Jesu befassen (was einigermaßen unseren Ta­gen entspricht), die Begriffe Zeichen und Wunder, wie bereits kurz vermerkt, nur in Verbindung mit Verführung erwähnen.

So die oben erwähnte Stelle 2. Thess 2,9‑10 oder Matth 24,24: »Sie werden so große Zeichen und Wunder tun, so daß, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführt würden« oder Offb 13,14: »… und verführt, die auf Erden wohnen, durch die Zeichen.« Siehe auch Offb 16,14 und 19,20.

Aus diesem Blickwinkel erscheinen die in charismatischen Kreisen immer wieder »strapazierten« Passagen der Bibel, nämlich Apg 2,17‑18 als angebliche heutige Erfüllung der Prophetie bei Joel oder Mark 16, 17‑18 in einem neuen Licht. Es handelt sich hier um denBeginn der Gemeinde­zeit. Für das Ende der Gnadenzeit aber, wie oben dargelegt, ergibt sich ein völlig anderes Bild.

Interessanterweise greift auch der bekannte englische Bibel­lehrer und weitgereiste Missionar Michael Griffiths diese Verse aus dem Hebräerbrief auf. Im Zusammenhang mit der Gabe des Wunderwirkens schreibt er:

Wir sollten beachten, daß die Stelle in Hebr 2,4 nahelegt, Zeichen, Wunder, Machttaten und Gaben eine besondere Beglaubigung des apostolischen Zeugnisses für die Worte des Herrn Jesu sind, wobei Paulus den Korinthern erklärt, daß >die Zeichen eines Apostels unter euch geschehen sind in aller Geduld, mit Zeichen und mit Wundern und mit Taten<. Ein starkes Argument kann davon abgeleitet werden, besonders wenn man Wunder mit Zeichen zur Bestätigung des Dienstes der ursprünglichen Apostel in Verbindung bringt, zu behaupten, daß die Gabe aufgehört habe … Lukas scheint absichtlich Beispiele ausgewählt zu haben, um die apostolischen Dienste von sowohl Petrus als auch Paulus zu beglaubigen. Gewiss ist in der Schrift als Ganzes das Wun­derwirken im Alten Testament offenbar auf gewisse Perio­den der Geschichte konzentriert, wie etwa der Auszug aus Ägypten und die Zeit von Elia und Elisa. Ähnlich kann argumentiert werden, daß wir erwarten können, daß der Dienst des Herrn Jesu und die Bekräftigung des apostolischen Zeugnisses solch eine Periode sein dürfte. Wir haben auch die relative Seltenheit der apostolischen Wunder wie das Auferwecken von Toten und die völlige Abwesenheit der Heilung von Aussatz und Blindheit (abgesehen von Paulus’ zeitweiliger Blindheit) registriert. Doch während wir einerseits den relativen Mangel von Wundern erkennen, sollten wir andererseits uns offen halten für die Möglichkeit solcher Wunder heute, besonders vielleicht in der primitiven Pioniersituation, wo die Notwendigkeit für eine gewisse Bestätigung des apostolischen Zeugnisses gegeben sein mag … Ich muß jedoch aber auch berichten, daß ich Missionare in besonders schwierigen und harten Gebieten gekannt habe, die speziell um die Gabe des Wunderwirkens gebetet hatten. Mir ist kein Fall bekannt, daß dieses Gebet jemals erhört worden ist.«

Erklärt dies womöglich auch, warum man bei genauerem Überprüfen von solchen Fällen, die bei einem Heilungsfeldzug angeblich gesund geworden sind, gewöhnlich große Enttäu­schungen erlebt?

So wird von folgendem Untersuchungsergebnis berichtet:

Nach einem Heilungsfeldzug von Dr. Price in Vancouver wurden 350 Fälle von Heilungen proklamiert. Verschiedene Christen taten sich zusammen, um die Wahrheit dieser Behaup­tung zu überprüfen. Die Resultate waren: 39 Fälle starben innerhalb von sechs Monaten an der Krankheit, von der sie angeblich geheilt worden waren; fünf der Fälle wurden geistes­krank; bei 301 Fällen stellte sich nach sechs Monaten heraus, daß sie keinen Nutzen empfangen hatten; viele gaben dies unumwunden zu; von fünf wurde berichtet, daß sie tatsächlich geheilt waren, doch litten sie an psychosomatischen Beschwer­den, die auf psychiatrische Behandlung ansprachen.

Worauf es ankommt

Nüchternen Christen und Gemeinden wird heute oft der Vorwurf gemacht: Euch fehlt Vollmacht, euch fehlt Kraft, es ist doch bei euch nicht so, wie es nach der Bibel sein sollte! Wenn wir aufrichtig sind, müssen wir uns unter diesen Vorwurf beugen. Jeder, der von sich aus sagen würde, bei mir ist alles in Ordnung, müßte sich doch wohl wie ein Heuchler vorkommen. Aber die Alternative für echtes Glaubensleben ist keineswegs die Schnellmethode des Handauflegens, der eilige Empfang eines >zweiten Segens< durch Berührung, um die >Geistestaufe< zu erhalten, Erleb­nisse zu haben und Gaben, Charismen und Erfahrungen zu bekommen. Das alles führt letzten Endes zur Selbsterhö­hung. Der biblische Weg, zu mehr Geistesfrucht zu kom­men, ist ein anderer. Es steht nur einmal in der Bibel, daß der Vater läuft, daß der Schöpfer seinem Geschöpf mit Riesenschritten entgegeneilt, nämlich in der Geschichte vom verlorenen Sohn. Hier haben wir den Fall, wo jemandem der Segen, die Fülle und Gnade Gottes in >Windeseile< zuteil wird. Pastor Wilhelm Busch stellte einmal die Frage: Wem läuft der Vater entgegen? Den Großen dieser Welt, den Frommen oder den Kirchenchristen? Auf unser Thema bezogen müßten wir die Frage erweitern: Oder den Men­schen, die nach mehr Geistesgaben, nach einer >Geistestau­fe< oder nach mehr Erlebnissen streben? Nein, sondern der Vater läuft dem Sünder entgegen, der um Gnade fleht: >Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir< (Luk 15,21). Wenn wir so vor unseren Herrn treten, erhalten wir >in Eile< die Gnade, den Segen, die Fülle und die Kraft Gottes. Das ist der Weg zum Herzen Gottes, der Weg zu mehr geistlicher Kraft: Buße! In den Sendschreiben werden sehr beklagenswerte Zustände dargestellt. Es kann tatsäch­lich Rückschritte im Glaubensleben geben. Aber keiner der Gemeinden wirft der Herr Jesus vor, daß sie die Geistestau­fe nicht empfangen habe oder womöglich zu wenig Gaben besitze. Jedoch mahnt er fünfmal: Tue Buße!

Möge der Herr uns Gnade schenken, dass wir täglich den Weg des Kreuzes gehen, den Weg des Zerbruchs und des Gehorsams, und daraus immer neu die Gnade, den Segen und die Kraft Gottes empfangen dürfen, um auch in diesen letzten Tagen überwinden zu können und in aller Nüchternheit ein Leben zu führen, das zur Ehre Gottes gereicht und Segensspuren hinterlässt.

Alexander Seibel

www.horst-koch.deinfo@horst-koch.de

 




Die “Dritte Welle” – W.Bühne

 

Die „Dritte Welle”

Die „drei Wellen des Heiligen Geistes” im Überblick

 

Von Wolfgang Bühne

 

Bevor ich auf die Entstehungsgeschichte, Theologie und Praxis der “Dritten Welle” eingehe, möchte ich einen kurzen Überblick über die Geschichte der sog. “drei Wellen des Heiligen Geistes” geben, um die Gemeinsam­keiten, aber auch die Unterschiede der “drei Wellen” zu zeigen.

Führer der heutigen Charismatischen Bewegung , und Gemeindewachstumsbewegung teilen ihre Geschichte in drei große Perioden ein, die sie mit „Wellen des Heiligen Geistes” bezeichnen. Unter einer Welle verstehen sie eine außerordentliche Bewegung, die eine große und besondere Menschenschicht erreicht und das bestehende geistliche Klima wesentlich verändert.

 

Die erste Welle ‑ die Pfingstbewegung

Die erste Welle hat ‑ so sagt man ‑ vor etwa 90 Jahren, also um die Jahrhundertwende, auf fast allen Kontinenten die Christenheit bewegt und zur Entstehung der Pfingstge­meinden geführt.

Damals wurden die Lehren und Praktiken in bezug auf Gei­stestaufe, Zungenreden, usw. von einem großen Teil der Evangelikalen zunächst dankbar als eine Antwort auf ihre Bitte um Erweckung begrüßt. Als es dann aber an einigen Orten zu merkwürdigen Entgleisungen kam, wurde die Bewegung besonders in Deutschland von führenden Evan­gelikalen sehr kritisch beurteilt und teilweise scharf abge­lehnt, so daß die Geschwister, welche diese „Welle” als von Gott geschenkt ansahen, mehr oder weniger gezwungen waren, ihre neuen Erkenntnisse und Erfahrungen in eigenen Kreisen, den etwa 1909 entstandenen Pfingstge­meinden, zu praktizieren.

 

Die zweite Welle ‑ die Charismatische Bewegung

Etwa 50 Jahre später ‑ also um 1960 ‑ begann die von den USA ausgehende zweite Welle, die sich zunächst auf die Episkopalkirche (Dennis Bennet), dann auf die Luthe­rische Kirche (Larry Christenson), die meisten Freikirchen und etwa seit 1966 auch auf die katholische Kirche er­streckte. Die Erfahrungen der „Geistestaufe” bzw. „Geist­erneuerung” usw. werden seitdem öffentlich praktiziert und gelehrt.

In Deutschland begann diese Bewegung, die bald „Charis­matische Bewegung” genannt wurde, etwa um 1963. Damals waren es vor allem Pfarrer Arnold Bittlinger (der damalige Leiter des Volksmissionarischen Amtes der Pfäl­zischen Landeskirche) und der Baptistenprediger Wilhard Becker (Leiter der Ruferbewegung), die in Deutschland den Boden für die zweite Welle vorbereitet haben.

Ziel der Charismatischen Bewegung war nicht die Bildung neuer charismatischer Gemeinden, sondern die Ver­breitung charismatischer Erfahrungen in allen beste­henden Volks‑ und Freikirchen.

Heute kann man sagen, daß sich die Evangelische und Katholische Kirche und die meisten Freikirchen der Charis­matischen Bewegung geöffnet haben, auch wenn in ein­zelnen Ortsgemeinden dieser Kirchen ein anderer Stand­punkt vertreten wird und man sich gegen eine charisma­tische Durchdringung wehrt.

 

Die dritte Welle

Die dritte Welle, bekannt als „power evangelism”, begann Anfang der 80iger Jahre und geht vor allem von der Gemeindewachstumsbewegung in Verbindung mit C. Peter Wagner und John Wimber aus. Auch diese Welle hat interessanterweise, wie die beiden vorausgegangenen, ihren Ausgangspunkt in Kalifornien. Sie vermeidet aller­dings weitgehend die Begriffe „pfingstlerisch” oder „cha­rismatisch” und zielt auf die Gruppen, die bisher von keiner „Welle” erfaßt wurden: Die Fundamentalisten und konservativen Evangelikalen, die bisher nichtcharisma­tisch sind.

„Eines der Merkmale der Dritten Welle ist das Fehlen von Uneinigkeit schaffenden Elementen. Viele Gemeinden, die weder aus der Pfingstbewegung kommen noch einen charismatischen Hintergrund haben, fangen an, für Kranke zu beten und erleben Gottes heilende Kraft” (C.P.Wagner).

Mit dieser „dritten Welle” soll das letzte Bollwerk fallen, das den beiden ersten Wellen widerstanden hat.

Hier in Deutschland sind das vor allem die Gemeinschafts­kreise, welche im Gnadauer Verband zusammenge­schlossen sind, einzelne fundamentalistische Freikirchen und die sog. Brüderbewegung, die als besonders hartnäckig und resistent einge­stuft werden.

Die Vorgeschichte dieser „Welle” ist eng mit dem Namen zweier Männer verbunden, die diese, Bewegung geprägt haben: C. Peter Wagner und John Wimber.

 

C. Peter Wagner

C. P Wagner wird als „Vater” der weltweiten Gemeinde­aufbaubewegung vorgestellt. Er ist Gründungsmitglied der Lausanner Bewegung, war zeitweise Präsident des Lau­sanner Kommitees und doziert seit 1971 als Professor am „Fuller Theological Seminary” in Pasadena (Kalifornien). Er hatte bereits 16 Jahre Missionsdienst in Bolivien hinter sich, als er 1967 Donald McGavran, den Gründer der „Fuller School of World Mission” und Gründer der Gemeindeaufbaubewegung, kennenlernte. Rückblickend auf seinen Missionsdienst äußerte Wagner, daß er sich nicht an eine einzige Situation erinnern könne, wo die Kraft des Heiligen Geistes durch ihn „hindurchgeflossen wäre, um Kranke zu heilen oder Dämonen auszutreiben”.

Er selbst nannte neben mangelndem Glauben und halbher­ziger Hingabe vier weitere Hindernisse, die er für die Ursachen seiner Kraftlosigkeit hielt:

1. „Ich war ,Dispensationalist… ich war gründlich gelehrt worden, daß Zeichen und Wunder, seit es den Kanon der Schrift gab, nicht mehr nötig wären, um die Auf­merksamkeit der Ungläubigen auf Jesus zu ziehen…

2. Ich hatte eine antipfingstlerische Haltung. In meinen Kreisen war es üblich, die Pfingstler als Betrüger zu betrachten… die Theologie der Pfingstler erschien uns einfach zu oberflächlich…

3. Ich hatte eine eingeschränkte Vorstellung von Gottes Kraft…

4. Meine Weltanschauung war vom säkularen Huma­nismus geprägt… Ich weiß noch, wie ich glaubte, ein Teil meiner Missionsarbeit bestände darin, die Eingebo­renen zu überzeugen, daß Krankheiten durch Bazillen verursacht würden und nicht durch böse Geister, wie sie in ihrem Aberglauben annahmen…”

Weiter nennt C.P Wagner vier Gründe dafür, warum er heute kein Dispensationalist mehr ist und weshalb er seine Haltung den Pfingstlern gegenüber geändert hat:

 

1. Eine Begegnung mit Stanley Jones

Mitte der 60er Jahre, als Wagner noch „seperatistischer Fundamentalist” war, wurde Jones, der bekannte Indienmissionar, nach Bolivien eingeladen. Wagner, der zu dieser Zeit an einer eiternden, nicht heilenden Ope­rationswunde litt, besuchte sehr skeptisch eine Predigt Jones, nach welcher dieser anschließend für anwesende Kranke betete. Am folgenden Morgen war die Wunde Wagners geheilt.

2. Die Beobachtung von wachsenden Gemeinden

C.R Wagner hatte von D. MacGavran gelernt, Wachs­tumsprinzipien zu entdecken, und untersuchte Ende der 60er Jahre das explosionsartige Wachstum einer Pfingstgemeinde in Chile, wobei ihm sein eigener Standpunkt immer zweifelhafter wurde. 1971 unter­richtete Wagner am „Fuller Seminary” und schrieb als Ergebnis seiner bisherigen Wachstumsstudien das Buch „Spiritual Power and Church Growth”.

 

3. Mitarbeit in einer Pfingstgemeinde

Mitte der 70er Jahre unterrichtete Wagner über einen längeren Zeitraum in einer klassischen Pfingstgemeinde („Church of God”) die Prinzipien des Gemeindewachs­tums. Dabei erkannte er an den Männern und Frauen, die er unterrichtete, „Dimensionen der Kraft Gottes”, nach denen er sich sehnte. „Jedesmal, wenn ich von dieser Gemeinde nach Hause kam, war ich geistlich erfrischt. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre auch ein Pfingstler!”

4. John Wimber taucht auf

1975 lernte er J. Wimber kennen, der damals noch Pastor einer Quäkergemeinde war und sich für einen Kurs über Gemeindeaufbau angemeldet hatte. Am Ende der zweiten Woche erkannte Wagner die Begabung Wimbers als Leiter und Berater für Gemein­deaufbau und überredete ihn, seine Gemeinde zu ver­lassen und sein Mitarbeiter am neuaufgebauten „Fuller Institut of Evangelism and Church Growth” zu werden.

Es entwickelte sich nun eine enge Freundschaft zwi­schen Wimber und Wagner, die auch bestehen blieb, als Wimber zwei Jahre später seine Mitarbeit aufgab, um die „Vineyard Christian Fellowship” in Anaheim zu gründen.

1982 wurde C.P Wagner beauftragt, einen Kurs über „Zeichen und Wunder” an der „School of World Mission” durchzuführen. Die Verantwortung dafür sollte er als Professor übernehmen, die Vorlesungen sollte J. Wimber halten. Dieser Kurs wurde unter dem Namen „MC510″ weit bekannt.

Wimber vermittelte jedoch nicht nur trockene Theorie, sondern verband seinen Unterricht mit praktischen Übungen im Gebets‑ und Heilungsdienst. Wagner selbst wurde bei einem solchen Dienst von seinem hohen Blut­druck befreit und begann nun selbst Kranken die Hände aufzulegen und für sie zu beten.

 

Die „Dritte Welle”

Nachdem C.P Wagner sich nun endgültig von „anticharis­matischen” Vorurteilen befreit hatte, leitete er in der „nichtcharismatischen” traditionellen „Lake Avenue Con­gregational Church” eine Sonntagschulklasse von Erwach­senen, in welcher er mit zwei Schülern Wimbers einen „wir­kungsvollen Heiligungsdienst” begann.

„Ich bemerkte Gaben der Fürbitte, der Seelsorge, der Heilung, der Dämonenaustreibung, der Prophetie, der Organisation, Unterscheidung der Geister, Worte der Erkenntnis und anderes mehr.“

Da man diese Klasse nicht als „charismatisch” bezeichnen wollte und doch eine alternative Bezeichnung brauchte, prägte man den Begriff „Dritte Welle”. „Damit wollen wir ausdrücken, daß wir ähnlich wie die Pfingstbewegung (die erste Welle) und die Charismatische Bewegung (die zweite Welle) Gottes übernatürliche Kraft erfahren, jedoch nicht Teil dieser beiden ersten Wellen sind und sein wollen.“

Interessant ist, wie C. P. Wagner seinen besonderen Auftrag sieht und auf welche Weise ihm seine ,Berufung’ deutlich wurde:

„Ob der Name ,Dritte Welle’ sich durchsetzt oder nicht, wird sich herausstellen. Der Dienst wurde jedoch im November 1983 von verschiedenen Seiten bestätigt. Ich bekam unabhängig voneinander von ganz unterschied­lichen Menschen fünf Prophetien, die alle etwas Ähn­liches besagten. Gott hat mich offensichtlich dazu berufen, sein Botschafter zu sein. Damit die Gemeinde Jesu Christi aufgebaut wird, soll ich denen Gottes Macht verkündigen, die bisher keinerlei Erfahrung damit gemacht haben. Und ich soll diesen Dienst in einer ,nichtpbngstlerischen` und ,nichtcharismati­schen` Weise tun. Die Prophetien enthielten jedoch auch eine Warnung vor den Angriffen des Feindes… Der Herr hatte mich nämlich auch wissen lassen, daß ich auf Satans schwarzer Liste ziemlich weit oben stünde. Im Januar 1983 wurde nach einem Seelsorgege­spräch mit John Wimber die Kraft eines bösen Geistes gebrochen, der mir seit Jahren Kopfschmerzen verur­sacht hatte, die mich sehr behinderten. Im März versuchte der Teufel, mich zu töten, indem er mir eine Leiter unter den Füßen wegzog … Dieses Ereignis weckte in uns die Vermutung, daß der Feind böse Geister in unser Haus geschickt hatte. Dies bestätigte sich später, als meine Frau Doris in unserem Schlaf­zimmer tatsächlich einen solchen Geist sah. Unter der Führung des Heiligen Geistes gebrauchten George Eckart und Cathy Schaller die Gaben der Unter­scheidung und der Dämonenaustreibung und reinigten das Haus von mehreren bösen Geistern. Seit der Zeit wurden wir nicht mehr belästigt.”

1984 kam Yonggi Cho, Pastor der ‚weltgrößten’ Kirche (Central Gospel Church in Seoul), um als langjähriger Freund Wagners die jährlichen Vorlesungen über Gemein­deaufbau zu halten. Cho hatte davon gehört, daß Wagner inzwischen die besondere Gabe hätte, „durch Gebet Beine zu verlängern” und wurde Augenzeuge, wie durch das Gebet Wagners das verkrüppelte Bein eines koptischen Pastors geheilt wurde. „Gott wirkte nachhaltig, das Bein wuchs, und zum ersten Mal seit dem Unfall konnte der Pastor darauf stehen.“

C. Peter Wagner hat als Nachfolger Donald McGavrans inzwischen 30 Werke veröffentlicht, die vor allem die Themen „Gemeindewachstum” und „Mission” behandeln. Auch in der deutschen Gemeindewachstums-bewegung ist er als der „führende Denker der weltweiten Gemeindeauf­baubewegung“ durch seine Bücher „Die Gaben des Geistes für den Gemeindeaufbau”, „Der gesunde Auf­bruch” und durch zahlreiche Artikel in „Gemeinde­wachstum” bekannt geworden.

John Wimber

Wolfram Kopfermann, der J. Wimber als „eine Leitfigur innerhalb der Christenheit des Westens” bezeichnet, hat aus seiner Sicht die Bedeutung Wimbers mit folgenden Sätzen beschrieben:

„In seiner Person begegnen sich drei für die Zukunft des Protestantismus wichtige Ströme: die evangelikale Bewegung, von der Wimber herkommt und der er sich weiter zurechnet; die Gemeindewachstumsbewegung, zu deren begabtesten Repräsentanten in den USA er bis heute gerechnet wird, und die Heilig‑Geist-­Bewegung des 20. Jahrhunderts, in deren vorderster Reihe er seinen Dienst tut. So könnte er für viele zu einer integrierenden Gestalt werden.”

Wimber selbst erzählt, daß er als Heide in der 4. Gene­ration erzogen wurde und als junger Mann Musik zu seinem Lebensinhalt wählte. Er stieg ins Musikgeschäft ein und machte als Jazz‑ und Rock‑’n’Roll‑Musiker Karriere. 1962 geriet er in eine Krise, als sich seine Frau Carol mit ihren drei Kindern von ihm trennte und mit Scheidung drohte. In seinem Kummer begann John eine religiöse Erfahrung zu suchen und fing an zu beten. Seine Frau gab ihm darauf eine neue Chance, verband aber als Katholikin ihr Angebot mit der Forderung, sich in der kath. Kirche trauen zu lassen.

Kurze Zeit später kamen Wimber und seine Frau durch einen Hauskreis zum Glauben und traten darauf in eine Quäker‑Gemeinde ein, in der John bald zweiter Pastor und Carol Älteste wurde.

John begann kurz nach seiner Bekehrung in Zungen zu reden, wurde aber damals von seiner Frau gewarnt. Siebzehn Jahre später hatte Carol Wimber einen Traum, in dem sie eine Predigt gegen den Gebrauch von Geistes­gaben hielt. Beim letzten Punkt wurde sie jedoch von einem Hitzeschlag getroffen:

„Die Hitze durchlief meinen ganzen Körper und kam schließlich aus meinem Mund heraus. Ich wachte auf und sprach in einer anderen Sprache.”

Während dieser Zeit war John am Fuller‑Institut für Evan­gelisation und Gemeindewachstum tätig.

1976 begannen die Wimbers innerhalb der Quäkerge­meinde mit einem Hauskreis, dem bald 125 Personen ange­hörten. 1977 verließ Wimber mit etwa 150 Leuten die Quäker und gründete eine Gemeinde, die sich heute „Vineyard Christian Fellowship” nennt und deren Pastor er wurde. 1988 gehörten bereits über 235 Gemeinden mit etwa 80.000 Mitgliedern zu dieser Gemeinschaft.

In den folgenden Monaten hatten die Wimbers den Ein­druck, daß ihnen die Kraft Gottes noch fehlte, und so begannen sie darum zu beten.

Eines Tages, nachdem John über Geistestaufe gelehrt hatte, betete er auf Wunsch der Zuhörer mit ihnen unter Handauflegung. Carol berichtet davon:

„Von seinen Händen strömte eine unglaubliche Kraft. Wenn er Menschen berührte, fielen diese einfach um. Für John war es, als ob aus seinen Händen eine geist­liche Kraft ausströmte, ähnlich wie Elektrizität. Es war das erste Mal, daß John tatsächlich fühlte, wie Kraft von ihm ausging.”

Wenige Tage später erlebte John, daß auf sein Gebet hin ein junges Mädchen geheilt wurde ‑ ihr zu kurzes Bein begann zu zittern und zu zucken, bis es die normale Länge hatte. Als sich John nach dieser Heilung zu Hause mit seiner Frau austauschte, sagte er zu ihr, während er sich ein Glas Milch einschenkte: „Ich glaube, wenn man das Wort Gottes lehrt, dann wird der Heilige Geist…” Weiter kam John nicht; nachdem er „Heiliger Geist” gesagt hatte, sackten ihm plötzlich die Beine weg und er konnte sich nur noch gerade an der Theke festhalten. Er schaute erstaunt und lachend zu Carol auf und sagte: „Ich glaube, wir werden noch einiges erleben, Carol.”

Die Geburtsstunde von „power evangelism”

Muttertag 1981 war es dann soweit: die Gemeinde war auf 700 Mitglieder angewachsen und erlebte, daß auf das Gebet eines jungen Mannes hin Hunderte von jungen Leuten plötzlich zitterten, umfielen und in Zungen redeten. Als Carol in die Nähe dieser „Erschlagenen” kam, spürte sie die Kraft, die von ihren Körpern ausging: „ …es war so etwas wie Hitze oder Elektrizität.“

John, der zuerst sehr unsicher war, wie er die Geschehnisse beurteilen sollte, verbrachte die folgende Nacht damit, in Büchern und in der Bibel zu lesen, um eine Erklärung zu finden. Schließlich, um fünf Uhr morgens, schrie er zu Gott: „Herr, wenn dies alles von dir ist, dann laß es mich bitte wissen.” Unmittelbar danach klingelte das Telefon und ein befreundeter Pastor meldete sich mit den Worten:

“Verzeih, daß ich dich schon so früh anrufe, aber ich muß dir etwas Merkwürdiges sagen. Ich weiß auch nicht, was es bedeutet, aber Gott hat mir gesagt, ich soll dir sagen: Es ist von mir, John.”

Diesen Anruf sah John als die Bestätigung Gottes an, und alle Zweifel wichen. Seitdem sind „Zeichen und Wunder das er­ste, was den Besuchern unserer Gemeinde ins Auge fällt.“

1983 gründete Wimber die Organisation „Vineyard Mini­stries International”, die Veranstaltungen im In‑ und Ausland zu den Themen Gemeindewachstum, „power evangelism”, Heilungsdienst und Vollmächtiges Gebet durchführt. In Europa fanden in den vergangenen Jahren Konferenzen in England, Schottland, Irland, Frankreich, Schweden, Deutschland und in der Schweiz statt.

Nach eigenen Angaben hat J. Wimber mit seinem Team in Europa etwa 100.000 kirchliche Mitarbeiter schulen können. Die Zahl der Teilnehmer seiner Konferenzen schätzt er weltweit auf etwa 400‑500.000.

Die Zielrichtung der „Dritten Welle”

Sowohl C.P Wagner, als auch J. Wimber stimmen in der Überzeugung überein, daß die „ Dritte Welle” vor allem die konservativen, nichtcharismatischen Evangelikalen erreichen soll, die bisher von den beiden ersten Wellen nicht oder nur kaum berührt wurden.

John Wimber:

„Das Gesicht der evangelikalen Gruppen und Gemeinden ist dabei, sich zu verändern, und es ver­ändert sich schnell. Fundamentalisten und konservative Evangelikale, die nichtcharismatisch sind, können es sich nicht mehr leisten, die beiden ersten Wellen des Heiligen Geistes in diesem Jahrhundert zu ignorieren… Die meisten Fundamentalisten, wenn auch nicht alle, stehen außerhalb der beiden ersten großen Wellen des Heiligen Geistes und halten an einer fünfzig Jahre alten Kritik über pfingstliche Exzesse fest. Ich glaube, daß viele in ihrer Opposition gegen Pfingstler und Charis­matiker um so lauter werden, je stärker das Wirken des Heiligen Geistes um sie herum anwächst. Einige werden jedoch auch gesalbt und umgewandelt werden.

Die zweite Gruppe, die konservativen Evangelikalen, zeigt bereits Anzeichen dafür, daß sie das Ziel der neuen Welle ist, der dritten Welle des Wirkens des Hei­ligen Geistes in diesem Jahrhundert. Mit konservativ evangelikal bezeichne ich eine Gruppe der Evangeli­kalen, die nichtcharismatisch, aber nicht unbedingt anticharismatisch ist. Zu dieser Gruppe habe ich viele Jahre lang gehört.“

Unterschiede zu den ersten beiden Wellen

J. Wimber sieht einen wesentlichen Unterschied zu den ersten beiden Wellen darin, daß in der „Dritten Welle” nicht nur hauptsächlich „hauptamtliche Pastoren” (Erste Welle) und „laienverantwortliche” Hauskreis‑ und Zellgruppenleiter (Zweite Welle), sondern „alle Chri­sten für den Dienst in der Kraft Gottes ausgerüstet” werden.

„Anstatt nur Evangelisten, Heilungsprediger oder Hauskreisleiter auszubilden, werden in der ,Dritten Welle’ alle Christen für den Dienst in der Kraft des Geistes ausgerüstet, besonders für persönliche Evange­lisation und göttliche Heilung.”

„Wenn ich einer der Leiter der ,Dritten Welle’ bin und wenn der Dienst der Vineyard‑Gemeinden charakteri­stisch ist für das, was die ,Dritte Welle’ ausmacht, dann ist dies eine Welle der Ausrüstung. Mit ,Ausrüstung’ meine ich, daß es eine Welle ist, in der alle Christen ermutigt werden, für Kranke zu beten und alle Gaben einzusetzen. Aus diesem Grunde führe ich Schulungsse­minare und nicht Heilungsgottesdienste durch. Mein Ziel ist, daß der ganze Leib Christi den Dienst der Heilung aufnimmt. Ich möchte nicht, daß er auf einige wenige Glaubensheiler beschränkt bleibt.“

 C.P Wagner nennt als besonderes Merkmal im Unter­schied zu den beiden ersten Wellen „das Fehlen von Unei­nigkeit schaffenden Elementen”. Weiter sagt er: „Ein Haupterkennungsmerkmal der ,Dritten Welle’ ist es, Spal­tungen um jeden Preis zu vermeiden.“

Wimber ist besonders von diesem Aspekt begeistert, weil seine „höchste Priorität der Wunsch nach Frieden und Einheit im Leib Christi” ist und zitiert D.G. Bloesch:

„Der einzige geistliche Weg zu dieser Einheit (unter Christen) ist eine Rückkehr zu der Botschaft und Lehre der Bibel mit gleichzeitiger Zuhilfenahme der Tradition der gesamten Kirche.“

Also Bibel und Tradition, das alte Prinzip der röm. kath. Kirche, soll diese Einheit möglich machen. Daher findet man in Wimbers Büchern kaum ein abgrenzendes Wort und man wundert sich dann auch nicht, wenn er als kirchenge­schichtliche Kronzeugen für „power evangelism” sowohl Papst Gregor I., Tertullian (Montanist), Ignatius von Loyola (Gründer der Jesuiten) als auch die Wunderhei­lungen in Lourdes heranzieht.

Die beiden Offenbarungsquellen: Bibel und christliche Erfahrung

Zur Beurteilung der „Dritten Welle” ist es sehr wichtig zu wissen, daß C.P Wagner und J. Wimber nicht nur Bibel und Tradition, sondern auch Bibel und Erfahrung als die beiden Offenbarungsquellen der Theologie bezeichnen.

John Wimber:

„Einige Wahrheiten in der Bibel können wir erst dann verstehen, wenn wir bestimmte Erfahrungen gemacht haben. Ich habe festgestellt, daß dies auch für „Heilung” zutrifft. Als ich noch nicht erlebt hatte, daß Menschen geheilt werden, konnte ich viele der Schrift­stellen über Heilung nicht verstehen… So gebraucht Gott also unsere Erfahrungen, um uns ein größeres Ver­ständnis von dem zu vermitteln, was er in der Schrift lehrt. Und vielfach veranlaßt er uns durch Erfah­rungen, Elemente unserer Theologie und Weltanschauung über Bord zu werfen oder sie zu ver­ändern.“

C.P Wagner:

„Theologie ist im Grunde nicht mehr und nicht weniger als ein menschlicher Versuch, das Wort und das Handeln Gottes in einer vernünftigen und systemati­schen Weise zu erklären. Die zwei wesentlichen Quellen hierfür sind die Bibel und die christliche Erfahrung.”

Diese Überzeugung ist auch der Grund dafür, daß neuer­dings viel von einer „intimen Gemeinschaft mit Jesus” die Rede ist, welche die Voraussetzung dafür sei, besondere „Offenbarungen” und  „Worte der Erkenntnis” zu be­kommen. 

Das Erscheinungsbild

Wenn der bekannte evangelikale Theologe J. I. Packer die Charismatische Bewegung charakterisiert als „eine Art Chamäleon, das sich der theologischen und frommen Färbung seiner Umgebung anpaßt und die Farbe ändern kann, wenn sich diese Faktoren verändern, so trifft dieser Vergleich auch auf die „Dritte Welle” und besonders auf J. Wimber zu. Um die Zielgruppe der konservativen Nichtcharismatiker zu erreichen, hat Wimber beste Voraus­setzungen. Er kennt die Denk‑ und Argumentationsweise der Evangelikalen und Fundamentalisten und bezeichnet sich sogar selbst als „Dispensationalist”, obwohl er die für die meisten Dispensationalisten nicht zu akzeptierende Auffassung vertritt: „Im NT ist Israel mit der Kirche Christi identisch” und in den Dispensationalisten die hartnäckigsten Gegner seiner Auffassungen sieht:

„Die hartnäckigsten Verfechter der Lehre vom Auf­hören der Zeichen und Wunder sind die Dispensationa­listen. Sie glauben an bestimmte Heilszeiten: Zeit­räume innerhalb der Geschichte, in denen Gott auf besondere Weise wirkte. Durch die Scofield Bibel, in deren Fußnoten der Dispensationalismus stark zu Wort kommt, hat sich die Theorie vom Ende der Wunder unter Millionen englischsprachiger evangelikaler Christen und Fundamentalisten verbreitet.“

Wimber hat außerdem richtig erkannt, daß viele Evange­likale sich weniger an den Lehren und Praktiken, als vielmehr an dem Auftreten der Charismatiker stoßen. Er selbst schreibt über die bekannteste ’Fernseh‑Heilerin’ Kathryn Kuhlman: „Mir war ihre Sprache zu affektiert, und ihre Kleidung erschien mir zu extravagant. Ihre Art war theatralisch und ihr Auftreten mystisch…  ihr persönlicher Stil hielt mich eher davon ab, Gottes Werke zu sehen, als daß er mich dem nähergebracht hätte”. Doch beeilt er sich anschließend in Klammern zuzufügen: „Inzwischen schätze ich K. Kuhlman und habe von ihr gelernt”.

Auch die Heilungsgottesdienste anderer Charismatiker fand er empörend:

„Carol und ich besuchten auch einige Heilungsgottes­dienste… Wir waren empört, denn wir hatten den Ein­druck, daß die Glaubensheiler nur wegen des finan­ziellen Gewinnes an den Menschen interessiert waren. Obwohl offensichtlich einige Menschen geheilt wurden, konnten wir nicht glauben, daß diese Hei­lungen durch Gott geschahen; wir waren davon über­zeugt, daß Jesus nie so ein Spektakel veranstalten würde. Die Heiler waren gekleidet wie für eine Theater­aufführung, sie schubsten die Menschen, so daß diese hinfielen, und nannten dies dann noch die ’Kraft Gottes’. Und Geld ‑ sie wollten immer noch mehr Geld und sagten den Menschen, daß sie geheilt würden, wenn sie nur Geld geben würden.”

John Wimber tritt daher in seinen Veranstaltungen anders auf. Auf dem Frankfurter Kongreß 1988 hielt er sich weit­gehend im Hintergrund und trat nur ‑ es sei denn, daß er predigte ‑ kurz vor, um die Teilnehmer zu begrüßen. Nicht auffällig, eher lässig gekleidet, bewegte er sich ungezwungen unter den Anwesenden. Die Beschreibung ’Teddybär’ trifft tatsächlich auf ihn zu; er ist ein gemüt­lich‑väterlicher Typ, vertrauenerweckend und in keiner Weise arrogant. Die sonst meist übliche Show auf charis­matischen Veranstaltungen fehlte, keine Ekstase, kein Auf­peitschen der Gefühle durch Wortschwall und Lautstärke, keine Bettelei um Geld.

Auch die Vorträge seiner Mitarbeiter waren sachlich, in manchen Punkten sogar sehr ausgewogen und manchmal selbstkritisch, so dass dem nichtcharismatischen Zuhörer viele Vorurteile genommen wurden und die Möglichkeit, dass er sich dem anschließenden, allerdings dann sehr emotionalen Heilungs- und Befreiungsdienst öffnete, sehr real war.

Wimbers Lehren über „power evangelism”

Was ist nun „power evangelism”?

Wimber definiert diesen Begriff so: „Eine Darstellung des Evangeliums, die sowohl rational ist, aber auch den Bereich des Rationalen übertrifft. Sie geht einher mit dem Erweis der Macht Gottes durch Zeichen und Wunder und läßt so Gottes Größe erfahrbar machen.“

Nach Wimbers Überzeugung sind „Zeichen und Wunder die Visi­tenkarte des Reiches Gottes” und nicht an die Zeit Jesu und der Apostel gebunden. „Power evan­gelism ist eine spontane, vom Geist eingegebene und bevollmächtigte Darlegung des Evangeliums. Übernatür­liche, sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes gehen ihr voraus und unterstützen sie. Gewöhnlich äußert sich Gottes Macht in Worten der Erkenntnis… Heilungen, durch prophetische Rede und Befreiung von bösen Geistern. Bei der power‑evan­gelism wird der Widerstand gegen das Evangelium durch übernatürliche Ereignisse überwunden.“

Wimber lehrt, daß auch in unserer Zeit sichtbare Zeichen wie Dämonenaustreibungen, Krankenheilungen und Totenauferweckungen die Kennzeichen des anbrechenden Reiches Gottes sind, das sich, so Wimber, jetzt noch ‑ bis zur Wiederkunft Jesu ‑ auf „feindlichem Territorium” befindet. Nach seinen Auffassungen kommt es zu einem Zusammenprall der Mächte Gottes und des Teufels, wenn power evangelism praktiziert wird. Dabei würde es häufig, zu Begegnungen und Kämpfen mit Dämonen kommen.

„Wenn das Reich Gottes in direkten Kontakt mit dem Reich der Welt kommt (Jesus trifft auf Satan), dann gibt es einen Zusammenstoß. Und gewöhnlich ist auch dieser ohne Ordnung und unberechenbar ‑ für uns schwierig zu lenken.“ 

Positiv muß an dieser Stelle allerdings bemerkt werden, daß Wimbers Auffassungen vom Reich Gottes verbunden sind, mit einer klaren Verkündigung der Nachfolge Jesu, die sich wohltuend abhebt von dem, was heute nicht nur in charismatischen Kreisen gepredigt wird:

„Eine falsche Verkündigung des Evangeliums wird Christen hervorbringen, die falsche Einstellungen haben oder im besten Fall schwach sind. Das ist heute nur allzu oft der Fall. Statt des Rufes zur Herrschaft Christi und zum Eintritt in seine Armee hören die Men­schen ein auf das Ego gemünztes Evangelium: komm zu Jesus und laß dir in dieser oder jener Not von ihm helfen, laß dir ein erfülltes Leben geben, schöpfe deine Möglichkeiten aus. Das ist nicht das Evangelium vom Reiche Gottes, das Christus verkündigte und für das man einen hohen Preis zahlen muß: ,Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten` (Mark. 8,35).“

Der Zweck von „power evangelism”

Nach Wimbers Überzeugung werden mit power evan­gelism Vorurteile und Widerstände der Ungläubigen über­wunden, so daß es zu zahlreichen Bekehrungen kommt und eine „große Bereitschaft, dem Anspruch Christi Folge zu leisten”, entsteht. Weiter lehrt er, daß oft die sichtbaren Zeichen zuerst an denen wirksam werden, die evangeli­sieren und danach erst an den Menschen, die erreicht werden sollen:

„Sichtbare Zeichen der Macht Gottes, die zur Bekehrung führen, ereignen sich oft zuerst an denen, die evangelisieren, und danach erst an Menschen, die evangelisiert werden. An Pfingsten waren die Men­schen ’außer sich, ratlos’. Viele von ihnen traten jedoch augenblicklich auf die andere Seite: sie wurden Teil­haber an Gottes Gnade. Wenn Nichtchristen erleben, wie Gott seine Macht an einem Christen offenbart, so öffnen sie sich dadurch auf übernatürliche Weise dem Evangelium vom Reich Gottes.“ – „Selten wurde Gemeindewachstum allein durch die Ver­kündigung bewirkt.“ 

Wimber begründet seine Auffassungen mit dem Wirken Jesu, dem Auftrag und Dienst der Apostel (vgl. Luk. 9,1‑6; Mark. 16,15‑18) und mit folgenden Zeugen der Kirchenge­schichte:

Irenäus (140‑203), Augustinus (354‑430), Franz von Assisi (1181‑1226), den Waldensern, Martin Luther (1483‑1546), Ignatius von Loyola (1491‑1556), Teresa von Avila (1512­-1582), den Quäkern, den Hugenotten, John Wesley, den Wundern in Lourdes, der Erweckung in Los Angeles Azusa Street (1909).

Als Zeugen für Zeichen und Wunder in unserem Jahr­hundert nennt Wimber Reinhard Bonnke, Erlo Stegen, Prophet Harris, Jacques Girad, Tommy Hicks und Suba Rao.

Bei diesen Personen fällt auf, daß Wimber auch solche dazu zählt, die den Gebrauch von Sakramenten zur Heilung emp­fehlen und der „Fürbitte bei den Reliquien der Heiligen” große Bedeutung beimessen.

So zitiert er Augustinus:
„Manchmal wird behauptet, daß die Wunder, von denen Christen sagen, daß sie sich ereignet haben, nicht mehr geschehen … Die Wahrheit ist, daß auch heute noch im Namen Christi Wunder getan werden, manchmal durch seine Sakramente und manchmal durch die Fürbitte bei den Reliquien seiner Hei­ligen.“

Heilungsdienst

Zu den wichtigsten Zeichen von „power evangelism” zählt Wimber die Krankenheilung. Er berichtet, daß Gott ihm gesagt habe: „Ja, die Christen sind genauso dazu berufen, die Kranken zu heilen, wie sie dazu berufen sind, zu evan­gelisieren. Er sieht in öffentlichen Krankenheilungen eine wirksame Unterstützung der Evangelisation und die Ausbreitung des Reiches Gottes:

„Ein weiterer Grund, für Kranke zu beten, ist der, daß Heilung die Evangelisation unterstützt. Heilung ist ein ’Evangeliums‑Förderer’. Dies habe ich von den Stu­denten aus der Dritten Welt gelernt… die behaupteten, es sei einfacher, für die Heilung von Menschen zu beten, als ihnen von Christus zu erzählen. Aber Men­schen von Christus zu erzählen, nachdem sie geheilt worden sind, sei sehr einfach.” – „Unser Ziel, wenn wir für Kranke beten, ist, daß diese geheilt werden und daß sich als Folge davon das Reich Gottes ausbreitet.”

Wimber erzählt, wie seine frühere ablehnende Haltung Krankenheilungen gegenüber durch eine Vision korrigiert wurde, die sein Leben „mehr als alle anderen Erfah­rungen” verändert habe:

„Plötzlich sah ich in meiner Vorstellung eine Wolkenbank, die sich quer über den Himmel zu erstrecken schien. Doch diese Wolkenbank sah anders aus als alle, die ich je zuvor gesehen hatte. So fuhr ich an den Stra­ßenrand, um die Erscheinung genauer zu betrachten. Ich entdeckte, daß es gar keine Wolkenbank war, sondern eine Honigwabe, aus der Honig tropfte. Unter der Wabe standen Menschen in unterschiedlicher Haltung. Manche zeigten Ehrfurcht; sie weinten und streckten ihre Hände aus, um Honig aufzufangen und ihn zu essen. Sie boten sogar anderen Menschen von ihrem Honig an. Eine ganz andere Reaktion zeigte eine zweite Gruppe von Menschen; diese Leute waren verärgert, versuchten sich vom Honig zu reinigen und beschwerten sich darüber, daß alles klebte. Ich erstarrte vor Ehrfurcht; was sollte das bedeuten? ’Herr, was ist das?’, fragte ich.

Er antwortete: ,Das ist mein Erbarmen, John. Für manche Menschen ist es ein Segen, aber für andere ist es ein Hindernis. Es ist genug da für jeden. Flehe mich nie wieder um Heilung an. Das Problem liegt nicht bei mir. Es liegt bei euch’…  Dieses Erlebnis bewegte mich sehr tief; es veränderte mein Leben mehr als alle anderen Erfahrungen, die ich, seitdem ich Christ war, gemacht hatte. Seit jenem Tag habe ich eine ganz andere Sicht von Heilung.”

Weitere Impulse für seinen Heilungsdienst kamen von Pater Francis MacNutt und seinen Büchern, aus denen Wimber oft zitiert und dessen Buch „Die Kraft zu heilen” an alle Teilnehmer seiner Konferenz über „Zeichen und Wunder und Gemeindewachstum” 1985 in Sheffield ver­teilt wurde. MacNutt bezeichnet sich selbst als ’christ­licher Humanist’. Seine Bücher machen deutlich, daß er u.a. an die Heilkraft der Sakramente, besonders der Eucharistie, glaubt.

Zu den Autoren, die Wimber oft zitiert und die seine Auf­fassungen geprägt haben, gehört auch die mit MacNutt freundschaftlich verbundene Agnes Sanford und der C. G. Jung‑Schüler Morton Kelsey, der ‑ wie Dave Hunt in seinem wichtigen Buch „Die Verführung der Christenheit” nachweist ‑ „den Heiligen Geist mit dem ’Ich’ gleichsetzt und schamanistische, psychische Kraft zu den Gaben des Heiligen Geistes rechnet”.

Kelsey, dessen Bücher teilweise auch in deutscher Sprache im Franz‑Verlag/Metzingen erschienen sind, vertritt fol­gende Überzeugung:

„Hellsichtigkeit, Telepathie, Vorauswissen von Ereig­nissen, Psychokinese und Heilungen konnten im Leben von vielen religiösen Führern und fast bei allen christ­lichen Heiligen beobachtet werden … Das ist genau die­selbe Art der Geisteskraft, wie Jesus sie auch besaß.”  „Jesus war ein mächtiger Mann. Er war größer als alle Schamanen. Meine Studenten fangen an, die Rolle Jesu zu verstehen, wenn sie die Bücher ’Schamanismus’ von Mircea Eliade und ’Die Reise nach Ixtlan’ von Carlos Castaneda lesen… Das ist genau die gleiche Art der Psi­-Kraft, wie sie Jesus selbst auch hatte.”

Die Definition von Krankheit

Übereinstimmend mit vielen Pfingstlern und Charisma­tikern lehrt Wimber, daß Krankheit eine Auswirkung und Folge der Sünde und eine Waffe Satans und seiner Dämonen ist.

„Krankheit wird im NT als eine Auswirkung und Folge der Sünde betrachtet und ist daher in ihrem Ursprung böse, ein Zeichen der Herrschaft Satans.”

„Die Christen des ersten Jahrhunderts sahen Krankheit als Werk des Satans, als Waffe seiner Dämonen und als ein Mittel, mit dem das Böse die Welt regiert.“

Allerdings sieht Wimber ‑ im Gegensatz zu vielen anderen Heilungspredigern wie Oral Roberts, K. Hagin und Kenneth Copeland ‑ nicht in jeder Krankheit die direkte Folge einer Sünde oder eines Ungehorsams.

„Anders als im AT sind im NT nur die wenigsten Krank­heiten eine direkte Folge konkreter Sünden des Kran­ken … Es gibt auch Krankheiten, die nicht durch Sünde zu erklären sind. Viele Krankheiten werden von Satan verursacht.“

Wimber, der selbst an einem Herzschaden, zu hohem Blut­druck, Magengeschwüren und Übergewicht leidet und zugeben muß: „Ich wünschte, ich könnte schreiben, daß ich inzwischen vollkommen geheilt bin und keine körper­lichen Beschwerden mehr habe. Doch dies ist leider nicht der Fall”, kommt durch seine eigene Erfahrung zu fol­gender Erkenntnis:

„Die Situation des Epaphroditus, Timotheus, Tro­phimus und Paulus ‑ sowie meine eigene ‑ ist demü­tigend und erinnert uns daran, daß sich unsere voll­kommene Erlösung erst bei Jesu Wiederkunft offen­baren wird. Wir wissen, daß Jesu Sühnetod uns Heilung für den Leib gebracht hat; wenn Gott nun aber nicht jede Bitte um Heilung erhört, so haben wir trotzdem nicht das Recht zu folgern, daß unser Glaube oder Gottes Treue mangelhaft seien.”

„Vor langer Zeit habe ich beschlossen, daß es besser ist, wenn ich für hundert Menschen bete, als wenn ich über­haupt nicht um Heilung bete und daher auch kein Mensch geheilt wird.”

Dennoch bleibt Wimber der Auffassung, daß Sünde und Unglauben in den meisten Fällen daran schuld sind, wenn keine Heilung eintritt und gibt ansonsten folgende Erklärung dafür ab, warum nicht alle geheilt werden, für die gebetet wird:

„Meine Schlußfolgerung ist, daß Heilung nicht in der­selben Weise im Sühneopfer enthalten ist wie die Errettung. Trotzdem möchte Gott heilen, und mein Vor­schlag ist, daß es im Rahmen der Reich‑Gottes‑Arbeit Zeiten der Ebbe und Zeiten der Flut gibt. Auf diese Weise ließe sich auch die Frage beantworten, warum zu gegebener Zeit nicht alle geheilt werden, und es würde uns helfen, zu verstehen, daß viele aus anderen Gründen nicht geheilt werden.

Wenn ich auf meine Erfahrung mit Gottes Wirken zurückblicke, sehe ich solche Ebbe‑ und Flut‑Bewe­gung. Es gibt Zeiten, in denen durch Gottes heilende Gegenwart Unglaubliches geschieht, und es gibt Zeiten, in denen kaum eine Heilung erfolgt. Heilung ist daher eine Nebenerscheinung des Sühneopfers und findet eine bessere Erklärung in der Reich‑Gottes­Theologie.”

Die Praxis

In der Praxis sieht der Heilungsdienst so aus, daß Wimber möglichst im Beisein von weiteren Christen, „die Glauben haben”, für den Kranken betet, während er oder die Mitar­beiter die Hände auf oder in die Nähe der kranken Körper­stelle legen.

„Immer, wenn ich für Kranke bete, suche ich unter den Anwesenden nach Menschen, die Glauben haben ‑ Mitglieder des Gebetsteams, der Kranke selbst, Ver­wandte, Freunde und natürlich ich selbst. Wenn ich diese Menschen gefunden habe, weise ich sie an, ihre Hände auf oder in die Nähe der Körper­stelle zu legen, die Heilung braucht, und dann bitte ich Gott, mit seiner heilenden Kraft zu wirken.”

Diese Handauflegung ist meistens mit einer Übertragung von Hitze‑ und Energieströmen verbunden. Interessant ist die erste Erfahrung mit diesen Energieströmen, die Wimber des Nachts, während er schlief, ausströmte:

„Sie (Carol Wimber) hatte Schmerzen in ihren Schultern, verursacht durch rheumatische Arthritis. Diese Schmerzen sollten nun der Prüfstein sein. Eines Nachts, als wir in einer Hütte in den Bergen waren, wartete sie, bis ich eingeschlafen war, und legte dann meine Hand auf ihre Schulter. Sie sagte: ’So, Herr, jetzt bist du dran’. Sie spürte einen Strom von Hitze und Energie in ihrer Schulter, und die Schmerzen ver­schwanden. Sie war geheilt. Ich wachte auf und wun­derte mich, warum meine Hand so heiß war.”

Das folgende Beispiel ist typisch für Wimbers Heilungs­dienst. Während einer Heilungskonferenz in einer Göte­borger Baptistengemeinde hatte er ein „Wort der Erkenntnis”, daß eine Frau, die erst an diesem Tag aus dem Krankenhaus entlassen war, von Brustkrebs geheilt werden sollte:

„Nun stand eine Dame auf, die einen langen, dunklen Wollmantel trug, und sagte: ,Das stimmt, das bin ich’. Ich bat sie, zum Gebet nach vorne zu kommen, und dann forderte ich andere, die sich frei dazu fühlten, auf, für sie zu beten.

Drei Männer aus der ersten Reihe standen auf, zwei stellten sich hinter die Dame, einer trat vor. Nun bat ich die Frau, ihre Hände über ihrer Brust zu falten, und ich fragte sie, ob sie damit einverstanden wäre, wenn einer der Männer seine Hand auf ihre Hände lege… Die Männer, die hinter der Dame standen, legten ihr die Hände auf die Schultern. Dann trat ich einen Schritt zurück und sagte, sie sollten warten, bis ich beten würde.

Aber bevor die Übersetzerin ihnen diese Anweisungen geben konnte, war ich plötzlich so von Glauben erfüllt, daß ich in Englisch laut rief: ’Sei geheilt in Jesu Namen!’ Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, da kam Gottes Kraft über die vier Menschen; sie begannen zu schwanken und fielen dann zu Boden! Es war, als wäre Gottes heilende Kraft durch die Frau in die drei Männer geströmt oder umgekehrt… Die vier standen auf, sie weinten und priesen Gott, und zu einem späteren Zeitpunkt berichtete die Frau von ihrer Heilung.“

Worte der Erkenntnis

Unter diesem Begriff versteht Wimber Erfahrungen und Praktiken, die voll anderen Christen teilweise mit Hell­sehen bezeichnet werden.

Sein bekanntestes Beispiel ist sein Erlebnis im Flugzeug, als er dort einen Mann mittleren Alters sah:

„Als meine Augen gerade zufällig in seine Richtung blickten, sah ich etwas, was mich aufschrecken ließ. In sehr klaren, deutlichen Buchstaben glaubte ich das Wort ’Ehebruch’ über sein Gesicht geschrieben zu sehen. Ich blinzelte, rieb mir die Augen und sah nochmals hin. Es stand noch da! ’Ehebruch’. Ich sah es ‑ nicht mit meinen natürlichen Augen, sondern vor meinem geistigen Auge… Es war der Geist Gottes, der mir dies offenbarte.”

„Worte der Erkenntnis” spielen auch in Wimbers Heilungs­dienst eine wichtige Rolle. Manchmal sieht er über einigen Menschen „leuchtende Lichtkegel”, die ihm anzeigen, welche Personen geheilt werden sollen, oder er spürt an seinem Körper Schmerzen, die ihm deutlich machen, welche Krankheiten bei anderen vorhanden sind.

„Während einer der Veranstaltungen (in London) sagte mir Gott, daß jemand unter den Zuhörern als Folge von Diabetes blind sei. Die Erkenntnis bekam ich dadurch, daß ich in meiner Vorstellung ein Bild von dem Auge des Mannes sah, und dabei fiel mir das Wort Diabetes ein. Manchmal bekomme ich Schmerzen in verschie­denen Teilen meines Körpers. Das zeigt mir an, welche Krankheiten Gott bei anderen heilen will. Es kommt auch vor, daß ich blitzartig die Probleme eines Men­schen erkenne…”

J. Wimber definiert diese Gabe so:

„Ein ’Wort der Erkenntnis’ bedeutet, daß Gott uns in einer speziellen Situation seine Weisheit offenbart oder uns Einblick in diese Situation gewährt… Gott kann zum Beispiel Einzelheiten über das Leben eines anderen Menschen oder Sünde offenbaren, er kann vor Gefahrensituationen warnen und so einen Menschen schützen. Er kann die Gedanken eines anderen offen­baren, Heilung ankündigen oder Weisungen geben.“

„Ruhen im Geist”

Ein weiteres Phänomen, welches auch in den Veranstal­tungen anderer Charismatiker wie Kathryn Kuhlman, Kim Kollins, Reinhard Bonnke usw. auftrat bzw. auftritt, ist das „Ruhen im Geist”. Wimber definiert dieses Phänomen fol­gendermaßen:

„Dieses Phänomen, daß Menschen umfallen und manchmal mehrere Stunden auf dem Rücken oder auf dem Bauch liegen bleiben„ kennen wir nicht nur aus vielen Berichten der Kirchengeschichte, sondern es tritt auch heute häufig auf. Die meisten Menschen verspüren dabei ein Gefühl der Ruhe und großer Gelas­senheit in bezug auf ihre Lebensumstände. Gewöhnlich lassen sich nachträglich weder positive noch negative Auswirkungen feststellen. Gelegentlich kann dieser Zustand zwölf bis achtundvierzig Stunden anhalten; in solchen Fällen wird von den Menschen berichtet, daß sie eine tiefgreifende geistliche Veränderung erlebt haben.

Dramatisch kann es sein, wenn ein Pastor oder ein geist­licher Leiter in dieser Weise umfällt; manche scheinen regelrecht vom Geist auf ihr Angesicht geworfen zu werden und bleiben dann auf dem Bauch liegen. Es hat auch einige Fälle gegeben, bei denen ein Pastor etwa eine Stunde lang rhythmisch seinen Kopf auf den Boden geschlagen hat… Die Veränderungen, die einer solchen Erfahrung folgen, können sehr groß sein. Es scheint, als ob gerade Pastoren durch dieses Erlebnis neue Vollmacht und Wirksamkeit für ihren Dienst erfahren.“

Manchmal ist diese Erfahrung verbunden mit Zungen­reden, Visionen und dem sog. „Heiligen Lachen”. Murray Robertson, Pastor einer Baptistengemeinde in Neu­seeland, berichtet aus eigener Erfahrung, wie auf einer Konferenz über „Zeichen, Wunder und Gemeinde­wachstum” seine Hand plötzlich stark zu zittern begann, „so als ob ich einen Preßluftbohrer festhalten würde” und anschließend passierte folgendes:

„John Wimber sprach weiter: ’Einige von Ihnen stehen schon lange im Dienst und sind müde geworden und haben den Mut verloren. Der Heilige Geist wird kommen und Sie erfrischen’. In mir stieg ein Lachen auf, doch da der Augenblick dafür völlig unpassend war, unterdrückte ich es. ’Der Geist wird in Wellen kommen’, sagte Wimber, ’jede Welle wird mehr Men­schen mit hineinnehmen als die vorherige’. In den ersten Reihen fingen einige Menschen an zu lachen. Dann jemand an einer anderen Stelle. Das ist bestimmt die Erfrischung des Geistes, dachte ich ‑ und konnte mein eigenes Lachen nun auch nicht mehr unter­drücken. Diese Freude im Heiligen Geist breitete sich etwa zehn Minuten lang im ganzen Raum aus und ver­ebbte dann wieder. Diejenigen, die gelacht hatten, wurden stil ‑ bis auf mich. Ich konnte einfach nicht auf­hören. Und schließlich konnte ich auch nicht mehr stehen! Ich fiel zuerst nach vorne, dann nach hinten, und zum Schluß lag ich auf dem Boden, rollte hin und her und hielt mir vor Lachen die Seite. Inzwischen war ich umringt von Zuschauern, ich lieferte eine gute Unterhaltungsshow! Es war interessant, daß ich mich selbst auch gleichermaßen beobachten konnte. Ich wußte, was geschah ‑ Monate, ja vielleicht Jahre der Enttäuschung im Dienst wurden aus meinem Leben herausgeschwemmt… Ich lachte etwa eine dreiviertel Stunde lang. Als ich schließlich aufhörte, kam ein Kollege, ein sehr guter Freund von mir, legte mir die Hand auf den Kopf und sagte: ’Herr, gib ihm noch mehr davon’ ‑ und ich mußte noch einmal dreiviertel Stunde lang lachen! Danach flehte ich ihn an, nicht mehr für mich zu beten, meine Rippen schmerzten schon von all dem Lachen!

Am nächsten Tag traf ich kurz mit John Wimber zusammen und erzählte ihm, meine Rippen täten mir immer noch weh. Er berichtete öffentlich allen Teil­nehmern davon ‑ und fügte hinzu, ich sei der erste ’Heilige Lacher’, den er aus den Reihen der Baptisten kennengelernt habe.”

„Befreiungsdienst”

Ebenso wie viele Nichtcharismatiker sieht Wimber eine wichtige Aufgabe darin, Nichtchristen wie Christen von Dämonen zu befreien. Begegnungen und Kämpfe mit Dämonen sind für Wimber „inzwischen nichts Ungewöhn­liches mehr”, weil sie seiner Meinung nach immer dann auftreten, wenn „das Reich Gottes auf Satans Reich stößt”.

Die erste Dämonenaustreibung praktizierte Wimber 1978, als ein junger Mann ihn verzweifelt bat, seiner Freundin zu helfen, welche wild um sich schlug und tierische Laute von sich gab:

„Das Mädchen (d.h. eher etwas in dem Mädchen) redete. ’Ich kenne dich’, waren die ersten Worte, die mich angreifen sollten ‑ in einer krächzenden, grau­sigen Stimme ‑ ’und du weißt nicht, was du tun sollst.’ Ich dachte: ’Du hast recht.’ Dann sagte der Dämon durch Melinda: ’Du kannst nichts mit ihr machen. Sie gehört mir.’ Ich dachte: ’Du irrst dich.’

Dann begannen zehn Stunden geistlichen Kampfes, in dem ich die Mächte des Himmels anrief, um Satan zu überwältigen. Der äußerte sich auf verschiedene Weise, es roch nach Fäulnis, Melinda rollte ihre Augen… Ich war entsetzt und hatte große Angst. Aber ich weigerte mich, den Kampf aufzugeben.

Ich glaube, der Dämon verschwand am Schluß, weil ich ihn zermürbte ‑ ganz bestimmt nicht, weil ich Erfahrung im Austreiben böser Geister gehabt hätte. Seit der Zeit habe ich viel über die Begegnung mit Dämonen gelernt. Ich glaube, wenn ich damals gewußt hätte, was ich heute weiß, so hätte diese Begegnung nicht länger als eine Stunde gedauert… Begegnungen und Kämpfe mit Dämonen sind für mich inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr.“

Wimber lehrt, daß auch Christen, die in Sünde fallen und darin leben, von Dämonen beherrscht werden können. Deshalb ist der „Befreiungsdienst” ein wichtiger Teil jeder Konferenz.

„Doch wenn Christen in Sünde fallen und diese nicht bekennen, können auch sie unter den Einfluß böser Geister geraten, ja sogar von ihnen beherrscht werden… Das NT lehrt, daß Christen, die in Sünde leben, in der Gefahr stehen, dem Satan übergeben zu werden… Christen können auch durch ererbte Dämonen gebunden sein (Dämonen, die von den Eltern auf die Kinder übergehen) oder durch Dämonen, die sie sich auf irgendeine andere Weise zugezogen haben.“

Die Befreiung von dämonischen Mächten kann bei einem Christen nach Wimbers Auffassung „durch Selbst‑Befreiung geschehen, wo der einzelne, ohne Gebetsunterstützung anderer Menschen, selbst die Bindung zerbricht, oder durch brüderliche bzw. pastorale Befreiung.“ 

„Komm, Heiliger Geist”

Während J. Wimber die „Geistestaufe“ im Sinne vieler Pfingstler und Charismatiker als „zweite Erfahrung” in Verbindung mit Zungenreden ablehnt und lieber von „Erfüllung mit dem Heiligen Geist” spricht, so vertritt er doch einige Auffassungen, die auch von Charismatikern teilweise kritisiert werden und die für seine „Heilungs‑ und Befreiungsdienste” von großer Bedeutung sind.

Im allgemeinen folgt nach der Predigt oder dem Referat Wimbers und seiner Mitarbeiter der praktische Teil, der mit der Bitte: „Komm, Heiliger Geist!” eingeleitet wird. Nach einer kurzen Zeit der Stille offenbart dann angeblich der Heilige Geist ‑ je nach Seminar oder Konferenz-Thema ‑ dämonische Bindungen, Krankheiten, seelische Verlet­zungen usw. Der „Heilige Geist” wird also als eine Macht außerhalb von uns angerufen, um seine Ankunft oder Gegenwart dann durch bestimmte Reaktionen in den Anwesenden zu signalisieren.

„Wenn wir geistliches Sehvermögen besitzen, so können wir Gottes Wirken erkennen und bei dem Hei­lungsprozeß als Gottes Mitarbeiter dienen. Wir hören auf Gottes Stimme und bitten den Heiligen Geist zu kommen. Die meisten Menschen zeigen bestimmte see­lische und körperliche Reaktionen, die darauf hin­weisen, daß der Heilige Geist da ist.

Einige dieser Reaktionen sind deutlich erkennbar: Weinen, Schreien, länger anhaltendes, überschweng­liches Lobgebet, Zittern, große Ruhe, Zucken, Umfallen, Lachen und Springen.“ 

Vermittlung von „Gaben” durch Handauflegung

Wimber ist überzeugt, daß auch heute Geistesgaben und geistliche Vollmacht durch Handauflegung übertragen werden können. Die biblischen Vorbilder sieht er in Mose und Elia, die auch ihre „Vollmacht” an andere weiter­gegeben haben. John Wimbers erste Erfahrung mit der Gabenübertragung hat seine Frau Carol beschrieben:

„Johns große Frage war, wie er anderen helfen konnte, Gottes Kraft und Gegenwart in derselben Weise zu erfahren, wie er sie selbst immer mehr erlebte. Wir hatten noch nicht erkannt, daß man das, was Gott einem selbst gibt, durch Handauflegung anderen wei­tergeben kann.

Daß Mose und Elia so gehandelt hatten, wußten wir, bezogen dies aber noch nicht auf unsere eigene Situation. Dann sprach Gott zu John. Er sagte ihm, er solle andere Menschen für den Dienst salben: So lud John an einem Sonntagmorgen am Ende des Gottesdienstes die Menschen nach vorne ein, die sich danach sehnten, in ihrem Dienst mehr Vollmacht zu haben. Er ließ sie ihre Schuhe ausziehen und salbte sie mit Öl, so wie es in 3. Mose steht ‑ am rechten Ohr, am rechten Daumen und an der großen Zehe des rechten Fußes. (Auf diese Weise hatte Mose Aaron und seine Söhne für den Dienst geweiht). John legte ihnen auch die Hände auf, um die Gabe der Heilung weiterzugeben. Am Anfang war er etwas unsicher, aber er wußte genau, daß Gott ihm aufgetragen hatte, so zu handeln. Danach lud er alle Kranken ein, nach vorne zu kommen. Die Menschen, für die er gerade gebetet hatte, sollten nun für sie beten. Das, was geschah, versetzte uns in Staunen ‑ viele wurden geheilt.“

Er selbst berichtet, welche negativen Erfahrungen damit verbunden waren, als er sich einmal eine Zeitlang wei­gerte, seine Gaben anderen durch Handauflegung weiter­zugeben:

„Ich erinnere mich noch gut daran, wie Gott mir zum ersten Mal die Gabe der Erkenntnis gab ‑ Fakten und Informationen über spezielle Situationen, Menschen oder Dinge, von denen man nur auf übernatürlichem Wege Kenntnis erlangen kann. Ich wußte die geheimsten Gedanken der Menschen. Diese Gabe gefiel mir, und da sie sonst keinem anderen in der Gemeinde verliehen war, begann ich stolz zu werden.

Dann sagte mir Gott, daß ich die Gabe weitergeben solle; das hieß, ich sollte anderen die Hände auflegen und dafür beten, daß auch sie diese Gabe empfingen. Ich sprach nur ein einfaches Gebet: ’Herr, bitte gib diesen Menschen Worte der Erkenntnis’, worauf die meisten Menschen Worte der Erkenntnis empfingen. Doch dann begann Satan mir einzuflüstern, daß ich selbst die Gabe verlieren würde, wenn ich fortführe, sie weiterzugeben. So hörte ich auf, für andere um diese Gabe zu bitten; in den nächsten vier Monaten empfing ich selbst allerdings kein einziges Wort der Erkenntnis mehr. Schließlich ging ich zu einigen Freunden und bat sie, für mich zu beten, daß die Gabe wieder in mir lebendig würde. Gott erhörte ihr Gebet.“

Nach Wimbers Überzeugung ist es nicht so, daß jeder Christ eine oder mehrere Gaben hat, sondern daß Geistes­gaben in besonderen Situationen verliehen werden.

„Viele lehren, daß jeder Christ ein oder zwei Gaben als seinen Besitz hat. Man wird aufgefordert, ’seine Gabe zu entdecken’, dahinter steht die Annahme, daß nur einige wenige zu besonderen Diensten wie zum Beispiel Heilungsdienst berufen sind. Diese Lehre ‑ daß jeder Christ nur ein oder zwei Gaben besitzt und sich in seiner Wirkungsmöglichkeit auf diese Gaben beschränken muß ‑ halte ich für falsch… “

Wimber folgert aus 1. Kor. 12, daß die Gaben in erster Linie nicht den einzelnen Gliedern, sondern der ganzen Gemeinde gegeben sind und daher „allen alle Gaben zur Verfügung stehen”.

„So kommt es also vor, daß in Situationen, wo spezielle Nöte vorhanden sind, dem einzelnen besondere Gaben verliehen werden. Das heißt, die Gaben werden dem einzelnen in konkreten Situationen gegeben, damit er sie zum Segen für andere einsetzt. Daraus ergibt sich auch, daß jeder Christ für einen Kranken beten kann … Der Heilige Geist offenbart sich, er salbt Christen mit Gaben, um konkreten Nöten abzuhelfen. In gleicher Weise wird auch die Gabe der Heilung ver­liehen.”

„Wenn ich mit Evangelikalen über den Heiligen Geist spreche, so frage ich sie, ob sie den Geist empfangen haben, als sie wiedergeboren wurden. Wenn sie mit Ja antworten (und das sollten sie), sage ich ihnen, daß sie jetzt nur noch eins zu tun brauchen: sie müssen dem Heiligen Geist Raum geben, sie müssen nur zulassen, daß er ihnen alle Gaben geben kann, die er geben möchte. Ich lege ihnen dann die Hände auf und sage: ’Sei erfüllt mit dem Geist’ ‑ und das geschieht.“

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Artikel „Evangelisation in der Kraft des Geistes ‑ Eindrücke vom John Wimber Kongreß in Frankfurt” von Siegfried Großmann, dem langjährigen Leiter der Rufer‑Bewegung und des baptistischen Arbeitskreises „Charisma und Gemeinde”. Er schildert darin seine Eindrücke und Beob­achtungen in bezug auf die Übertragung der Gaben:

„Ich teile die Auffassung, daß wir mehr und bewußter die vorhandenen Gaben des Heiligen Geistes wahr­nehmen und um ihre Erweckung bitten sollten ‑ und sicher hat dieser Kongreß vielen dazu die Möglichkeit gegeben. Aber warum mußte dann der Eindruck ver­mittelt werden, jeder Christ habe im Prinzip jede Gabe und werde sie bekommen, wenn er nur darum bitte?

Um dieses Problem zu beschreiben, zitiere ich etwas ausführlicher aus einer Vormittagsveranstaltung mit McClure:

Der Redner ruft alle auf, nach vorn zu kommen, die Buße tun wollen, damit der Heilige Geist auf sie fällt. Es kommen einige hundert nach vorne. McClure: ’Der Herr ist stolz auf dich und wird dir wunderbaren Erfolg schenken.’ Es folgt ein Gebet mit der Bitte, daß der Heilige Geist neu auf sie falle, damit Zeichen und Wunder geschehen. Die Atmosphäre ist ruhig, gesammelt und sehr erwartungsvoll. McClure fordert alle auf, welche die Gabe der Evangelisation emp­fangen möchten, ihre Hand zu heben. ’Empfangt die Gabe der Evangelisation.’ Es folgt ein Sprachengebet, dessen Auslegung die Zusage ist, daß der Geist jetzt diese Gabe schenkt… Als zum Schluß die Möglichkeit gegeben wird, um die Gabe der Heilung zu bitten, melden sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer. McClure sagt auch jetzt die Erhörung dieser Bitte zu. Er schließt: ’Ich sage dir an Christi Statt: Heile die Kranken, treibe die Dämonen aus, predige das Evan­gelium. Empfangt diese Gabe von Christus.’ Dann dankt der Redner Jesus für die Erhörung dieses Gebetes, und die Versammlung antwortet mit langem Beifall. Bei den einzelnen Gebetsanliegen, vor allem beim Gebet um die Gabe der Heilung, hatte es im Publikum viele kleine Gruppen gegeben, in denen man sich gegenseitig durch Handauflegung segnete, ein­zelne Teilnehmer reagierten durch Umfallen oder durch einen inneren Zustand, bei dem sie durch Lachen geschüttelt wurden…

Am Freitagabend fordert John Wimber alle Pastoren, Hauskreisleiter und in der Gemeinde Verantwortlichen auf, nach vorn zu kommen. Er sagt, daß er gerade für geistliche Leiter eine besondere Gabe bekommen habe, Vollmacht weiterzugeben. ’Ich weiß auch nicht warum. Aber es hilft.’ Dann betet er wiederholt: ’Komm, Heiliger Geist.’ In der Stille hört man ein­zelne, oft langgezogene Schreie, hier und da gibt es Unruhe, weil jemand zu Boden gefallen ist ‑ und ein­zelne verfallen in ein zwanghaft wirkendes Lachen. Wimber: ’Erschreckt nicht, dies ist der Heilige Geist.’  … Am letzten Abend führte John Wimber den größten Teil der Versammlung zum ‑ wie er es formulierte ‑ hei­ligen Lachen und im weiteren Verlauf zu ausgelassener Bewegung und zum Tanzen. Auch hier, wie beim größten Teil des Kongresses, hatte ich ambivalente Ein­drücke…  Aber mich störte, daß dieses psychische ’Durchbruchserlebnis’, das durchaus massensuggestive Züge hatte, als ’Durchbruch des Heiligen Geistes’ aus­gegeben wurde. Hier wird das Charisma zu leicht mani­pulierbar.“

 

Paul Yonggi Cho ‑ Pastor der „weltgrößten Kirche” in Seoul/Korea

Im Unterschied zu C.P Wagner und J. Wimber kann man P. Yonggi Cho nicht zu den Gründern der „Dritten Welle” zählen. Doch hat Cho durch seine Gemeindewachstumser­folge, seine Bücher und Vorträge auf vielen internationalen Konferenzen großen Einfluß auf die Pfingstbewegung, Charismatische Bewegung und auf die „Dritte Welle” aus­geübt. C.P Wagner bezeichnet Cho als seinen „langjäh­rigen Freund”; der jährlich zu den Gastvorlesungen an der „Fuller School of World Mission” in Pasadena einge­laden wird. Viele Lehren P. Yonggi Chos sind von den Leitern der „Dritten Welle” übernommen worden.

P Yonggi Cho, Pastor der „Yoido Kirche für volles Evan­gelium” mit über 700.000 Mitgliedern (Stand: 1989), stammt aus einer buddhistischen Familie.

Mit 18 Jahren wurde er krank und man stellte fest: Tuber­kulose im Endstadium. Man gab ihm noch 3‑4 Monate zu leben. Auf dem Sterbebett wurde er von einer jungen Christin besucht, die ihn schließlich überreden konnte, das Neue Testament zu lesen. Als Folge davon bekehrte er sich.

Auch körperlich wurde er geheilt, sodaß er nach sechs Monaten sein Krankenbett verließ und nie wieder Probleme mit Tuberkulose hatte. Y. Cho schloß sich daraufhin einer pfingstlichen Gemeinde in Busau an, und nach Abschluß einer Bibelschule gründete er 1958 in einer Stadt außerhalb von Seoul eine Gemeinde und schließlich in Seoul selbst die jetzige Gemeinde, durch deren enormes Wachstum Cho unter den Christen in aller Welt bekannt wurde.

Das Geheimnis dieses Wachstums wird von vielen Gemeindewachstumsexperten in dem intensiven Gebetsleben der Gemeinde gesehen. Cho berichtet, daß jedes Jahr etwa 300 000 Mitglieder seiner Gemeinde den eigenen „Gebetsberg” aufsuchen, um dort intensiv für bestimmte Anliegen zu beten.

„Ungefähr 60% von ihnen gehen, um für die Taufe im Heiligen Geist und die Gabe der Zungenrede zu beten. Die nächst größere Gruppe geht, um für die Lösung von Familienproblemen zu beten und die dritte Gruppe betet dort für Heilung.”

Cho selbst legt dem Zungenreden in seinem Leben großen Wert bei:

„Ich bete auch viel in Zungen. Die Zungenrede ist die Sprache des Heiligen Geistes, und wenn ich in Zungen spreche, erfahre ich Seine Anwesenheit in meinem Bewußtsein. In meinem Gebetsleben spreche ich mehr als 60 % der Zeit in Zungen. Ich bete in Zungen, wenn ich schlafe. Ich wache auf, in Zungen betend. Ich bete in Zungen, während ich die Bibel studiere, und ich bete in Zungen während meiner Andachten. Wenn ich irgendwie die Gabe der Zungenrede verlieren sollte, glaube ich, daß mein Dienst um ca. 50 % beschnitten würde. Wann immer ich in Zungen rede, behalte ich den Heiligen Geist in meinem Bewußtsein … Das Sprachen­gebet hilft mir deshalb, ständig mit dem Heiligen Geist in Kontakt zu stehen.“

Inzwischen ist Y. Cho in vielen Ländern ein begehrter Kon­ferenzredner und seine Bücher sind in mehreren Sprachen erschienen. Als Gründer von CGI (Church Growth International) ist er nicht nur in Pfingst‑ und Charismati­schen Kreisen, sondern auch in der Gemeindewachstums­bewegung eine einflußreiche Persönlichkeit geworden.

Seine Kirche und das von ihm aufgebaute „World Mission Center” sind das Reiseziel zahlreicher Studienreisen der Gemeindewachstumsgruppen.

Die Predigten und Bücher Chos behandeln vor allem einige Themen, die das Besondere seines Dienstes aus­machen und als das Geheimnis seines Erfolges angesehen werden:

–          Positives Denken, Motivation, Erfolg

–          Visualisierung (Träume und Visionen) und die „vierte Dimension”

–          Die schöpferische Kraft des gesprochenen Wortes

Die Botschaften Chos über diese Themen und seine Erfahrungen mit diesen Lehren zeigen, daß viele Parallelen zu den Lehren und Praktiken John Wimbers und anderen Männern der Dritten Welle bestehen. Ich möchte zunächst versuchen, aus den Büchern von Y. Cho zu zeigen, was er lehrt, ohne seine Theorien zu bewerten.

 

1. Positives Denken / Motivation

Y. Chos Ausführungen über Erfolg und Wohlstand erinnern stark an die Predigten Robert Schullers, welcher der zur Zeit bekannteste Fernsehprediger der Welt sein dürfte. Seine Predigten werden sonntäglich von über 200 Fernsehsendern übertragen. Schuller hat es wie kein anderer verstanden, die Philosophie des positiven Denkens unter den Evangelikalen zu verbreiten.

Schullers Interpretation von Kreuz, Sünde und Selbstver­leugnung sieht so aus:

„Die herkömmliche Deutung der Worte Christi, daß wir ’unser Kreuz auf uns nehmen sollen’, muß dringend reformiert werden… Also ist die Verkündigung des Denkens in Möglichkeiten die positive Verkündigung des Kreuzes!  …Jesus Christus war der größte Denker in Möglichkeiten, den die Welt je gesehen hat. Wagen wir es, ihm nachzufolgen?“

„Ich glaube; nichts ist im Namen Christi oder unter der Fahne des Christentums getan worden, was sich auf die menschliche Persönlichkeit so zerstörerisch ausgewirkt hat und daher der Evangelisation so sehr im Wege stand wie die oft plumpe, ungeschickte und unchristliche Stra­tegie, daß man erst einmal versucht, den Leuten klarzu­machen, wie verloren und sündig sie sind.”

Schuller, welcher überzeugt ist, daß das Kreuz Christi „den Ego Trip heiligen“  wird und daß Jesus das Kreuz trug, um „seine Selbstachtung zu heiligen”, gehört zu den Pre­digern, die Yonggi Cho begeistert und wohl auch geprägt haben:

„In Amerika hat Dr. Robert Schuller über das ganze Land verteilt eine große Zuhörerschaft. Der Grund ist, daß er immer über ’Möglichkeitsdenken’ predigt, indem er Glauben, Liebe und Hoffnung in die Herzen seiner Zuhörer legt. Wenn ich in den Staaten bin und an einem Sonntag irgendwo in einem Hotel bin, und wenn ich ein christliches Fernsehprogramm sehen möchte, schaue ich Dr. Schullers ’Stunde der Kraft’ an. Ich weiß, ich kann darauf vertrauen, daß er mir Glauben, Liebe und Hoffnung in mein Herz legt. Seine Predigt baut mich auf. Ich habe einigen Predigern zugehört, darunter auch Predigten von gut bekannten Evangelisten, und wenn ich sie höre, schalte ich das Programm aus. Sie verdammen die Leute ständig, und dann fühle ich mich so deprimiert, daß ich nicht einmal beten möchte.”

Daher ist es auch naheliegend, daß R. Schuller das Vorwort zu Chos Buch „Die vierte Dimension” (engl. Ausgabe) geschrieben hat. Hier haben sich zwei Männer gefunden, die es verstanden haben, ein Thema auf verschiedene, aber wirkungsvolle Weise an den Mann zu bringen. Folgende Auszüge aus den Büchern von Yonggi Cho zeigen die gei­stige Verwandtschaft mit Robert Schuller und Norman Vincent Peale:

„Der Heilige Geist wiederholte immer wieder: Du bist ein Kind des Königs, eine wichtige Person. Handle wie der große Boß, der du bist!”

„’Hier kann es nicht geschehen. Hier ist ein zu harter Boden.’ Diese negativen Aussagen müssen aus unserem Vokabular verschwinden, ein für allemal. Stattdessen müssen wir anfangen, die Sprache des Hei­ligen Geistes zu sprechen und ein neues Erfolgsdenken in den Köpfen unserer Leute aufbauen.”

„Um andere zu motivieren, sich etwas zuzutrauen, müssen wir selber ein Erfolgsdenken haben, nicht nur in unseren Worten, sondern auch in unserer ganzen Lebens­weise. Viele Gemeinden haben eine Stillstandhaltung, weil ihr Pastor kein besonderes Selbstimage besitzt. Aber ein gesundes Selbstwertgefühl ist die Grundvoraus­setzung für seine leitende Funktion. Die Ursache eines mangelhaften Selbstwertgefühls kann etwa das folgende sein: keine attraktive Erscheinung, mangelhafte Aus­bildung, zu wenig Disziplin, einfache Herkunft, wenig Können und schlechte Gesundheit. Diese Liste könnte man noch lange fortsetzen, aber die genannten Beispiele sind repräsentativ für die Ausreden, die jemand mit man­gelndem Selbstwertgefühl von sich gibt.”

„Was war der Schlüssel zu unserem praktischen Geschäftserfolg? Wir haben unsere Gemeindeglieder gelehrt, wie sie die Kräfte ihrer vierten Dimension ein­setzen können. Sie stellen sich ihren Erfolg bildlich vor. Wir befassen uns nicht mit negativem Denken, sondern auf­grund unseres positiven Denkens sprechen wir auch positiv.“

Obwohl Y. Cho ‑ und das fällt positiv auf ‑ persönlich einen „einfachen Stil” lebt und von sich sagt, „alles, was ich übrig habe, gebe ich unserem internationalen Missionsdienst“, so predigt er doch anderen ein Wohlstandsevangelium:

„Ich glaube, daß es Gottes Wille ist, daß wir geistlich, leiblich und finanziell im Wohlstand leben.“

„Armut ist ein Fluch Satans. Gott möchte, daß sein ganzes Volk erfolgreich und gesund ist, so wie es ihren Seelen wohlgeht (3. Joh. 1,2).”

„Was meine eigene Erfahrung betrifft, so ist das erste, was ich jeden Morgen ‑ wenn der neue Tag ohne Wesen und Gesicht an mich herantritt ‑ tue, daß ich diesem Tag einen Namen gebe und sein Wesen bestimme; so gebe ich diesem Tag ein ’Gesicht’. Ich pflege zu sagen: ’Vater, ich danke dir, daß du mir diesen neuen Tag schenkst. Neuer Tag, dein Name sei ’Erfolg’. Heute von frühmorgens bis spät am Abend wirst du mir mit erfolg­reicher und großer Wirksamkeit dienen.’  Dann wird mir dieses Geschöpf, der Tag, sicherlich mit weitge­hendem und tiefgreifendem Erfolg dienen.“
 

2. Visualisierung, Visionen und Träume

Norman Vincent Peale, einer der Väter des positiven Denkens, nannte die Visualisierung „das positive Denken um eine Stufe weiterentwickelt“.

Im Okkultismus, in heidnischen Religionen und teilweise auch in der Psychologie wird die Visualisierung als „Mate­rialisierung mit Hilfe der intensiven Bildvorstellung” ver­standen und praktiziert. Man lehrt, daß bildliche Vorstel­lungen stufenweise entwickelt werden, „bis sie die Wirk­lichkeit so sehr bestimmen, daß sie schließlich selbst die Wirklichkeit werden“.

Die Theorie ist einfach und scheinbar plausibel: Die Natur­wissenschaften lehren, daß Materie in Energie verwandelt werden kann. Daher ist ihrer Meinung nach die Umkehrung auch möglich, daß Energie zu Materie wird. Da Gedanken und Geist Energie sind, soll also eine Mate­rialisierung durch bestimmte Bewußtseinstechniken oder durch schöpferische Phantasie möglich sein.

In den deutschen Übersetzungen von Yonggi Chos Büchern kommt der Begriff „Visualisierung” selten vor, dafür aber entsprechende Begriffe wie Inkubation  (entwickelnde Einflußnahme), Visionen und Träume,  „das Unterbewußtsein entwickeln”, „intensive Vorstellungen”. Cho berichtet, daß ihm die Erkenntnisse über die vierte Dimension in Verbindung mit der Vorstel­lungskraft durch eine besondere Offenbarung Gottes geschenkt worden seien.

Als ehemaliger Buddhist kannte Cho Krankenheilungen durch Yoga und Meditation und wußte von Zusammen­künften der japanischen Sokakakai, bei denen Taube, Blinde und Stumme geheilt werden. Die Tatsache, daß innerhalb der christlichen Kirche im Gegensatz zu den orientalischen Religionen keine Wunder geschahen, brachte ihn in große Konflikte:

„Eines Tages war ich in großen Schwierigkeiten, denn viele unserer Christen maßen Gottes Wundertaten keine besondere Bedeutung bei. Sie sagten: ’Wie können wir an Gott glauben als ein absolut göttliches Wesen, wie können wir Jahwe‑Gott den einzigen Schöpfer im Himmel nennen? Wir sehen doch auch die Wunder im Buddhismus, im Yoga, bei den Sokakakai sowie in anderen orientalischen Religionen. Warum sollten wir behaupten, daß Jahwe‑Gott der einzige Schöpfer des Universums ist?’ …So brachte ich ihre Fragen in einem Gebetsanliegen vor Gott… Dann kam eine herrliche Offenbarung in mein Herz. Von dieser Zeit an begann ich, diese Begebenheiten durch Vor­träge in meiner Kirche in Korea zu erklären…

Da sprach Gott zu meinem Herzen: ’Sohn, so wie die zweite Dimension die erste einschließt und kontrolliert und die dritte die zweite umfaßt und unter Kontrolle hat, so umschließt auch die vierte Dimension die dritte und hält sie unter Aufsicht, wodurch sie eine Schöpfung der Ordnung und Schönheit hervorbringt.’

Der Geist ist die vierte Dimension. Jedes menschliche Geschöpf ist ebenso ein geistliches wie ein körperliches Wesen. Die Menschen haben die vierte Dimension genauso wie die dritte Dimension in ihren geistlichen Herzen.“

„Ein Traum oder eine Vision ist das Grundmaterial, das der Heilige Geist benutzt, um etwas für uns zu bauen. Die Bibel sagt: ’Wo keine Vision ist, geht das Volk zugrunde’ (Sprüche 29,18). Ohne Vision produziert man nichts.

Träume und Visionen sind das Grundmaterial, mit dem der Heilige Geist arbeitet. Ich sage immer, daß Träume und Visionen die Sprache des Heiligen Geistes sind. Wenn man die Sprache nicht spricht, bringt es keine Frucht. Der Heilige Geist möchte mit uns reden, aber Er kann es nicht ohne unsere Träume und Visionen.. Wenn Gott in der Bibel irgend etwas für irgend jemanden tun wollte, hat Er immer zuerst Träume und Visionen in ihr Herz gelegt.“

Die Folgerungen aus diesen Erkenntnissen sehen so aus:

„Also können sie dadurch, daß sie ihre geistliche Sphäre der vierten Dimension durch Entwicklung kon­zentrierter Visionen und Träume in ihren Vorstellungen erforschen, über der Dimension ’brüten’ und sie ent­wickeln, indem sie auf sie Einfluß nehmen und sie ver­ändern. Das lehrte mich der Heilige Geist.“

„Wenn Ihnen Gott einmal eine Vision gegeben hat, dann müssen Sie lernen, sich Zeit zu nehmen, darüber zu ’brüten’. Sie müssen mit dieser neuen Vorstellung buchstäblich schwanger gehen, gleichgültig, was andere davon halten.

Das ist der Kern meiner christlichen Philosophie. Hierauf basieren alle Prinzipien der Arbeit für das Gemeindewachstum. Ich nenne dies ’Visionen und Träume’. Ich habe in der ganzen Welt viele Beispiele gesehen, wie die Anwendung von ’Visionen und Träumen’ tatsächlich das Vorstellungsvermögen eines Menschen erweitert.“ 

Alltagserfahrungen mit „Visualisierung”

Um deutlich zu machen, wie sich Chos Lehren über die vierte Dimension und Inkubation im Alltag auswirken, möchte ich einige Beispiele, die Cho in seinen Büchern erzählt, anführen.

Eines Tages kam ein Bäcker zu Cho, der um Fürbitte bat, weil seine Bäckerei trotz aller Bemühungen vor dem Konkurs stand. Cho berichtet:

„Nachdem ich für ihn gebetet hatte, erklärte ich ihm das Prinzip der Visionen und Träume. Ich sagte: ’Gehen Sie zurück in Ihre Bäckerei, Herr Ho. Stellen Sie sich vor, das Geschäft läuft wieder glänzend. Fangen Sie an, Ihr Geld zu zählen in der leeren Kasse. Und sehen Sie sich die Kundschaft an, die vor Ihrem Laden Schlange steht!’

…Nach ungefähr zwei Monaten kam ein lächelnder Herr Ho in mein Büro. ’Dr. Cho, Sie hatten recht. Ich habe es erst nicht verstanden, was Sie sagten. Ehrlich gesagt, ich habe das für verrückt gehalten. Aber Sie sind ein Mann Gottes, und ich glaube, dem Pastor muß man gehorchen. Jetzt müssen meine Frau und ich der Kirche einen Scheck überreichen’. Ich schaute nach unten und sah zu meinem Erstaunen einen Scheck über tausend Dollar. Es war sein Zehnter.“

Die folgende Geschichte spielte sich in Deutschland ab. Nach einem Vortrag kamen zwei Prediger zu Cho, in der Hoffnung, einen VW von ihm zu bekommen. Sein Rat lautete:

„ ’…Warum brüten Sie nicht jetzt gleich für einen?’ ’Wie sollen wir brüten?’, erkundigten sie sich staunend. ’Brüten ist ein wichtiger Vorgang beim Gebet’, erläu­terte ich. ’Wenn Sie immer hoffen, können Sie niemals brüten… Fangen Sie also an zu brüten. Schlagen Sie ihre Notizbücher dort auf, wo leere Seiten sind. Und nun wies ich sie an, ’Stellen Sie sich genau den VW vor, den Sie wollen. Wieviele haben darin Platz? Welche Farbe hat er?’

’Er ist grün und hat für vier Personen Platz’, gaben sie zur Antwort. ’Gut. Schreiben Sie das auf. Schließen Sie dann die Augen und stellen Sie sich den VW in Gedanken vor. Fangen Sie nun an, alle Möglichkeiten zu durchdenken, wie Sie genügend Geld zum Kauf des VW auftreiben könnten. Kleben Sie sich eine Beschreibung Ihres VW an die Wand in Ihrem Schlaf­zimmer. Lesen Sie den Zettel abends vor dem Schlafen­gehen… Stellen Sie sich vor, wie Sie einsteigen, den Zündschlüssel einstecken… Sagen Sie sich dann: Dies ist mein VW. Danken Sie Gott für Ihren VW und glauben Sie. Hoffnung trägt nicht den vollentwickelten Embryo einer Idee in sich, aber wenn wir mit Glauben über einer von Gott gegebenen Vorstellung brüten, ist da etwas Reales.“  –  Nach wenigen Monaten besaßen die beiden Prediger den ’ausgebrüteten’ VW und Cho erklärte dazu:

„Wir müssen das Prinzip des Brütens anwenden und so aus dem Embryo eines Gedankens die Realität eines Wunders werden lassen.“

Ähnlich verläuft die Geschichte, die Cho von einer Frau berichtet, die bisher vergeblich nach einem Mann gesucht hatte. Cho forderte sie auf, die gewünschten Eigenschaften ihres Traummannes zu notieren: die Nationalität, Größe, Körperform, Beruf, Hobby usw. Schließlich sagte er ihr, nachdem sie noch einmal die Liste ihrer Wünsche vorge­lesen hatte:

„Nun schließen Sie bitte ihre Augen. Können Sie ihren zukünftigen Gatten jetzt sehen? ’Ja’, erwiderte sie, ’ich kann ihn mir genau vorstellen.’

Okay, dann wollen wir ihn jetzt bestellen. Ehe Sie ihn nicht deutlich in Ihrer Vorstellung sehen, können wir ihn nicht von Gott erbitten, da Er nie antworten würde …

Dann bat ich sie noch: Schwester, nehmen Sie bitte dieses beschriebene Blatt mit nach Hause und kleben Sie es an einen Spiegel, und jeden Morgen und Abend lesen Sie es laut und preisen Gott für die Antwort.“

Nach einem Jahr war die Schwester mit dem bestellten Mann glücklich verheiratet. An ihrem Hochzeitstag nahm ihre Mutter das beschriebene Papier mit den zehn Punkten und las es den Gästen vor, um es danach zu zerreißen.

 

3. Die schöpferische Kraft des gesprochenen Wortes

Cho geht von der Theorie aus, daß das Sprachzentrum im Gehirn die Herrschaft über alle anderen Nerven besitzt. Diese Theorie hat er von einem Neurologen übernommen, der ihn davon überzeugt hat, daß das gesprochene Wort jemandem Kontrolle über seinen ganzen Körper geben und ihn nach eigenen Wünschen manipulieren könne. Der Neurologe erklärte u.a.:

„Wenn sich also jemand immer wieder einredet: ’Ich bin alt und erschöpft und kann das nicht tun’, dann rea­giert sofort die Kontrolle in der Sprechzentrale und gibt entsprechende Anweisungen, die das bewirken. Die Nerven reagieren dann: ’Ja, wir sind zu alt und sind bereit fürs Grab; laßt uns bereit sein, uns aufzulösen.’  Wenn jemand immer wieder sagt, daß er alt sei, dann wird diese Person tatsächlich bald sterben.”

Cho bekannte nach dieser Begegnung:

„Diese Unterhaltung hatte große Bedeutung für mich und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck auf mein weiteres Leben, denn ich konnte daraus ersehen, daß der Gebrauch des gesprochenen Wortes eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben ist.“

Bedeutsam ist jedoch, daß Y. Cho behauptet, daß Gott selbst ihm auch dieses Prinzip offenbart habe. Während er im Anfang seines Dienstes predigte, sah er „auf dem Bild­schirm seines Inneren”, wie Menschen von Tuberkulose geheilt wurden, Tumore verschwanden, und Krüppel ihre Krücken wegwarfen, weil sie plötzlich wieder gehen konnten. Cho empfand diese Bilder zunächst als eine Störung Satans und sagte jedesmal: „Du Geist der Behin­derungen, verlasse mich! Ich befehle Dir auszufahren, verschwinde!”

„Doch dann hörte ich in meinem Herzen Gottes Stimme zu mir reden: ’Mein Sohn, das ist keine Behin­derung Satans; es ist das Verlangen des Heiligen Geistes, was du siehst: Es ist das Wort der Weisheit und der Erkenntnis. Gott möchte diese Menschen heilen, doch er kann es nicht tun, bevor du sprichst.“

Seit dieser „Offenbarung” sprach dann Cho in den Ver­sammlungen alle Heilungen aus, die er in seinem Inneren sah. „Während ich also dastehe, zeigt mir der Herr die Hei­lungen, die stattfinden und ich rufe sie aus. Ich schließe einfach meine Augen und spreche los. Im Erkennen der Tatsache, daß sie geheilt sind, stehen Menschen auf.”

Diese Erfahrungen veranlaßten Y Cho zu folgenden Auf­forderungen:

„Beanspruchen Sie und sprechen Sie das Wort der Zu­sicherung; denn ihr Wort geht tatsächlich hinaus und ist schöpferisch. Gott sprach, und die ganze Welt kam zustande. Ihr Wort ist das Material, welches der Heilige Geist verwendet, um schöpferisch zu sein.”

Schließlich geht Cho noch einen Schritt weiter und lehrt, daß wir Kraft unseres gesprochenen Wortes die „Gegenwart Christi” hervorbringen und „die Kraft Jesu” freisetzen können:

„Jesus wird gebunden an das, was Sie aussprechen. Ebenso, wie Sie die Kraft Jesu durch Ihr gesprochenes Wort freisetzen können, so können Sie auch die Gegenwart Christi dadurch bewirken. Wenn Sie nicht das Wort des Glaubens klar aussprechen, kann Christus niemals freigesetzt werden.“

„Letztlich formt Ihr Wort Ihr Leben, denn Ihr Sprach­-Nervenzentrum kontrolliert alle Nerven. Darum ist das Sprechen in anderen Zungen das Anfangszeichen der Taufe im Heiligen Geist. Wenn der Heilige Geist das Sprachzentrum übernimmt, dann erfaßt er alle Nerven und kontrolliert den ganzen Körper. Wenn wir also in anderen Zungen sprechen, werden wir mit dem Hei­ligen Geist erfüllt… Geben Sie das Wort dem Heiligen Geist, so daß Er etwas dadurch schaffen kann. Dann führen Sie die Gegenwart Jesu Christi herbei und setzen sie frei durch Ihr gesprochenes Wort… Darum denken Sie daran, daß Christus von Ihnen abhängig ist und von Ihrem gesprochenen Wort, um Seine Gegenwart freizusetzen.“

Abschließend möchte ich noch einmal betonen, daß Y. Cho sich zwar auf „Gottes Offenbarung” beruft, aber keinen einzigen Bibelvers nennen kann, um diese Theorien zu stützen.

Um den Rahmen dieses Buches nicht zu sprengen, ver­zichte ich hier auf eine ausführliche biblische Beurteilung der Lehren und Praktiken von P Yonggi Cho und weise auf die Kapitel „Positives Denken”, „Visualisierung” und „Evangelium und Wohlstand” in dem Buch „Spiel mit dem Feuer” hin.

Durch die Ausführungen Chos wird deutlich, daß er unter „Glauben” etwas völlig anderes versteht, als was die Bibel darüber lehrt. Biblischer Glaube ist ein festes Vertrauen auf Gottes Zusagen und Verheißungen. Cho dagegen lehrt, daß Glaube eine „vierdimensionale Kraft” ist, die man durch Visualisierung in sich selbst entwickelt, um damit Dinge zu schaffen, zu beeinflussen oder zu verändern.

P Yonggi Cho gibt zu, daß Yogis und Buddhisten diese Kräfte der „vierten Dimension” nutzen, glaubt aber dennoch, daß diese Kräfte eine Gabe Gottes sind. Sicherlich ist das von Cho aufrichtig gemeint, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er maßgeblich daran beteiligt ist, okkulte Praktiken christlich zu „taufen” und zu verbreiten. Seine Gemeindewachstumserfolge und seine in einzelnen Bereichen gesunden Ansichten dürfen uns für diese äußerst ernste Tatsache nicht die Augen ver­schließen.

P Yonggi Chos Lehren über die „vierte Dimension” zer­stören den biblischen Glauben. Deshalb muß Cho als Irrlehrer bezeichnet werden. 

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Geisterunterscheidung (P.Beyerhaus)

Peter Beyerhaus

Geisterfüllung und Geisterunterscheidung

– Die schwarmgeistige Gefährdung der Gemeinde heute –

I. Das neue Fragen nach dem Heiligen Geist

Nach Wesen und Wirken des Heiligen Geistes aufgebrochen. Das beobachten wir auf verschiedenen Ebenen:

1. In der Theologie sind gerade in den letzten Jahren eine ganze Reihe von neuen Büchern erschienen, die die Person und das Werk des Heiligen Geistes behandeln. Noch vor etwa 10 oder 20 Jahren konnte man sagen: Die Lehre vom Heiligen Geiste ist das unterentwickelte Lehrstück der christlichen Theologie. Auch in den einschlägigen dogmatischen Lehrbüchern fand man über ihn eigentlich nur sehr wenig. Diese Lücke ist in den letzten Jahren ausgefüllt worden. Es gibt mehrere Untersuchungen. So hat der Berliner Systematiker Dillschneider 1969 im Verlag Rolf Brockhaus ein Buch veröffentlicht “Ich glaube an den Heiligen Geist” und der Holländer H. Berkhof 1968 ein Buch geschrieben “Die Theologie des Heiligen Geistes” (Neukirchen). Der katholische Systematiker in Paderborn, Heribert Mühlen, hat ein zweibändiges umfangreiches Buch über die Lehre vom Heiligen Geist verfaßt, und so könnte ich eine ganze Reihe von anderen Erscheinungen hier nennen. Es ist symptomatisch, daß die Theologie jetzt die Herausforderung spürt, gerade zu diesem bis dahin unterentwickelten Gebiet etwas zu sagen.

2. Ebenfalls kann man feststellen, daß in der jungen Generation ein großes Interesse gerade für diese Fragen aufgebrochen ist. Mir fiel dies erstmalig auf, als ich im Jahre 1972 an einer großen christlichen Jugend‑ und Studentenkonferenz in Uppsala teilnahm, auf der mehrere Hundert Jugendlicher aus allen fünf skandinavischen Ländern zusammengekommen waren. Die Konferenz war aufgeteilt in 14 verschiedene Seminare. Keins war so stark besucht wie das, welches sich mit dem Wirken des Heiligen Geistes heute befaßte. Mir fiel auf, daß der ganze Büchertisch direkt übersät war mit Büchern, die kürzlich auf diesem Gebiete erschienen waren.

3. Ähnlich sieht es in der Mission aus. In den letzten Jahren habe ich eine Reihe von Reisen in die Länder Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Ozeaniens unternommen. Dort habe ich an vielen Stellen reden müssen, auf theologischen Seminaren, Mitarbeiterkonferenzen und Missionarskursen. Immer wieder wurden Themen wie “geistliches Leben” oder auch “Geistesprüfung” bevorzugt. Oft war die erste Frage, die man mir stellte, die: “Was halten Sie eigentlich von der charismatischen Erneuerungsbewegung?”

4. Damit habe ich schon das große Feld derjenigen Bewegungen genannt, die sich selber zusammenfassen als die “charismatische Erneuerung”. Ich weiß nicht, welches Jahr man für ihren Ursprung angeben soll. Im Grunde genommen ist es gar keine neue, sondern eine recht alte Bewegung. Man kann sie in ihren Wurzeln zurückführen auf die erste Pfingstbewegung. Diese ist in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern auch in die großen Kirchen eingedrungen. Das begann in Nordamerika. Von dort her ist sie dann auch in viele andere Länder gekommen; besonders auch im Rahmen der weltweiten Mission.

Soviel zunächst zur Aktualität unseres Themas.

Nun müssen wir uns fragen: Was ist der Grund dafür, daß es zu diesem großen Aufbruch bzw. zu diesem Komplex von Bewegungen gekommen ist?

Fragt man ihre Anhänger, so nennen sie an erster Stelle oft das Gefühl einer gewissen geistlichen Kühle, Trockenheit und Verarmung, das sie in unseren Kirchen, Freikirchen, aber auch Gemeinschaften und Missionen empfinden. Es gehe dort so nüchtern zu. Die Predigten glichen vielmals Lehrvorträgen. Man spüre nicht richtig, daß der Prediger von der Macht innerlich bewegt und berührt ist, von der er hier ein Zeugnis abzulegen hat. Auch das allgemeine Fluidum unter den Gemeindegliedern sei nicht immer von jener urchristlichen Herzlichkeit gekennzeichnet, wie wir sie doch im Neuen Testament finden. Man komme zusammen zum Sonntagvormittagsgottesdienst, setze sich, wie man gekommen ist, nebeneinander, ohne doch Beziehungen zueinander aufzunehmen. Dann gehe man wieder auseinander.

Einzelne klagen auch darüber, daß ihr eigenes Leben nicht von der inneren Führung und der Sieghaftigkeit gekennzeichnet ist, die dem Glauben an Christus doch verheißen ist. Sie hatten sich deshalb nach mehr Kraft gesehnt.

Schließlich müssen wir noch einmal auf die erste Beobachtung zurückkommen:
Die Theologie selber hatte sich viele Jahre hindurch kaum mit der Frage des Heiligen Geistes beschäftigt. Es ist aber nicht möglich, irgendein Gebiet des christlichen Glaubens unbeachtet zu lassen, ohne daß eines Tages eine Reaktionsbewegung kommt und nun gerade hier mit einem verstärkten Interesse einsetzt. Soweit es sich um diese Ursachen handelt, kann man das neue Interesse an der Person und dein Wirken des Heiligen Geistes für durchaus berechtigt erklären. Es gibt in der Tat eine Mattheit im geistlichen Leben, es gibt eine mangelnde geistliche Erkenntnis sowohl im Leben des einzelnen wie auch im Leben der Gemeinde, die vom Herrn nicht gewollt ist, die schuldhaft ist. Auch Paulus hat seine Gemeinden immer wieder ermahnen müssen “werdet voll des Heiligen Geistes” (Eph. 5, 18), “den Geist dämpfet nicht” (1. Thess. 5, 19).

In der Gemeinde werden diejenigen zu Verantwortungsträgern berufen, die selber das Zeugnis haben, “voll des Heiligen Geistes” zu sein. So finden wir es schon im 6. Kapitel der Apostelgeschichte (Vers 3). Einer von jenen Männern, die zu den ersten Diakonen berufen wurden, war ja Stephanus. Von ihm wird ausdrücklich bezeugt, er sei ein Mann voll des Heiligen Geistes gewesen (Apg. 7, 55).

Nun sind diese Beweggründe aber nicht die einzigen Ursachen für das neue Fragen nach dem Heiligen Geist. Zugleich kann man nämlich feststellen, daß bei vielen Menschen auch eine gewisse Neugier vorhanden ist, durch unmittelbare Offenbarungen bestimmte Dinge­ näher zu erfahren, von denen die Schrift nicht ausdrücklich spricht. Oder man empfindet das Bedürfnis, tiefere Erlebnisse zu machen, wie sie in einem normalen, gesunden geistlichen Leben nicht ohne weiteres gewährt werden. Man möchte Kraft empfangen, Einfluß gewinnen. Man möchte die unsichtbaren Dinge, denen wir uns doch nur im Glauben anbetend nähern können, gewissermaßen in den Griff bekommen, um sich auf diese Weise dann als besonders begabter Christ gegenüber anderen Christen hervorheben zu können.

Angesichts dieser zweiten Möglichkeit, daß das gesunde Streben nach einem größeren Erfülltsein mit dem Heiligen Geiste ausschlägt in eine ungesunde Lüsternheit, müssen wir nun fragen: Was bedeutet es eigentlich, vom Heiligen Geist erfüllt zu werden?
Diese Frage müssen wir für uns selber beantworten können; denn jeder von uns wird irgendwann einmal in die Verlegenheit geraten, daß ein anderer auf ihn zukommt und fragt: “Hast du schon den Heiligen Geist?” bzw. “Hast du die Fülle des Geistes?” oder “Hast du eigentlich die Gnadengaben?”
Ein normaler Kirchenchrist fällt dann leicht in ein merkwürdiges Stammeln; denn gewiß, er bekennt sich zum Glauben an den Heiligen Geist; aber er weiß doch nichts von den ganz besonderen Wirkungen dieses Geistes aus seinem eigenen Leben zu berichten. Deswegen ist es wichtig, biblische Klarheit darüber zu suchen, was es eigentlich zu bedeuten hat, wenn Paulus uns zuruft “Werdet voll des Heiligen Geistes” (Eph.5,18).

II. Das Wesen des Heiligen Geistes

A. Was bedeutet es, vom Heiligen Geist erfüllt zu werden?
Das erste,
was wir uns bei jeder Besinnung über den Heiligen Geist in Erinnerung rufen müssen, ist, daß er eine Person ist. Er ist die dritte Person der Heiligen Dreieinigkeit, der mit dem Vater und dem Sohn von Ewigkeit her in der innertrinitarischen Gemeinschaft steht. Er ist zu einem bestimmten Augenblick der Heilsgeschichte von dem Vater und dem Sohne in die Gemeinde ge­sandt worden, um hier das Werk Jesu Christi zur Vollendung zu bringen (Apg.2, 33). Der Heilige Geist vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen beim Vater (Römer 8, 26). Das kann er nur, wenn er selber Person ist. Er ist also nicht eine Macht, ein Es, ein Fluidum, eine Kraft, sondern er ist eine Person, die uns an­redet und die wir anrufen können.

Die zweite wichtige Aussage ist die: Es ist die Aufgabe des Heiligen Geistes, nach der Erhöhung des Sohnes Jesu Christi sein Werk weiterzuführen, indem er Gott, den Vater und den Sohn in unser Herz bringt. Unser neues Leben der Wiedergeburt beginnt mit diesem eingreifenden Geschehen. Das ist kennzeichnend für das Christenleben überhaupt, daß sie mit dein Heiligen Geiste gesalbt sind (1. Joh. 2, 27). Wer den Heiligen Geist nicht empfangen hat, als er Christ wurde, der ist nicht etwa ein Christ im Vorstadium, oder ein Christ zweiter Klasse oder ein unterentwickelter Christ, sondern er ist überhaupt kein Christ. Wir haben also entweder den Heiligen Geist empfangen und sind damit wiedergeborene Christen, oder aber wir stehen noch außerhalb des Leibes Jesu Christi. Als einmal in der Stadt Ephesus eine Gruppe von Jüngern dem Paulus vorgeführt wurde, weil es den Gemeindeleitern nicht ganz klar war, ob es sich hier um wirkliche Christen handele oder nicht, stellte Paulus ihnen die Frage, “Habt ihr den Heiligen Geist empfangen als ihr gläubig wurdet?” Darauf antworteten diese Männer: “Wir haben noch niemals gehört, daß der Heilige Geist Überhaupt gekommen ist” (so muß man diese Stelle wohl übersetzen). Darauf stellte man fest, daß diese Leute zwar getauft worden waren, aber nicht christlich, sondern mit der Wassertaufe des Johannes. Sie waren also Menschen, die noch auf den Messias warteten. Darum gab Paulus den Befehl, sie auf den Namen Jesu taufen zu lassen. Damit verband sich in urchristlicher Zeit die Handauflegung; und nun empfingen auch sie den Heiligen Geist (Apg. 19, 1‑7).
So könnten wir eine ganze Reihe von neutestamentlichen Stellen heranziehen, die alle deutlich machen:
Mit dem Christwerden ist die Vermittlung des Heiligen Geistes verbunden. Nach Apostelgeschichte 2 geschieht dies in dem Augenblick, wo man durch die Taufe in die Gemeinde aufgenommen wird. Als Petrus seine große Pfingstpredigt vollendet hatte, ging es den Dreitausend wie ein Stich durch das Herz. Sie fragten: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ Petrus antwortete: „Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen” (Apg. 2, 38).

Das dritte ist: Der Heilige Geist bringt uns in die rechte Gemeinschaft mit Gott. Luther sagt in seiner wunderbaren Erklärung zum Dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses: “Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesu Christum, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten. Der Heilige Geist wirkt in uns den Glauben an Jesus Christus als Herrn und Erlöser. Er bringt den Herrn in unser Herz. Er ermöglicht uns auch das Gespräch mit Gott. Er vertritt uns im Gebet durch unaufhörliches Seufzen. Ohne den Heiligen Geist vermögen wir überhaupt nicht, christlich zu beten.

Das vierte ist: Der Heilige Geist wirkt in uns die rechte geistliche Erkenntnis. Der natürliche Mensch versteht deswegen auch nicht die Heilige Schrift (1. Kor. 2, 14), sondern sie ist ihm toter Buchstabe. Es ist der Heilige Geist, der die innere Erleuchtung vollbringt. Aber es ist nicht etwa ein Werk, das nun zu der Lehre durch das Wort Gottes hinzutritt. Vielmehr erleuchtet der Heilige Geist, wenn das Wort Gottes gepredigt und bezeugt wird oder wir es andächtig lesen, durch diese Gabe des Wortes das Herz des Hörenden. Er erinnert uns an all das, was Jesus gesagt hat (Joh. 14, 26). Jeder von uns, sofern er wirklich Christ geworden ist, bekommt dieses Geschenk, daß der Heilige Geist ihn innerlich erkennen und verstehen lehrt. Der Christ ist also kein Unmündiger, der wie ein Schulkind gehalten ist, genau auf das zu achten, was der Lehrer ihm sagt. Vielmehr hat er ein inneres Verständnis von den göttlichen Dingen, das dadurch kommt, daß der heilige Geist das Lehramt in uns wahrnimmt. Deswegen ist Lehre in der Gemeinde Jesu nicht die Instruktion über Dinge, die dem Hörer völlig neu sind, sondern es ist ein immer wieder erneutes Erinnern und Entfalten dessen, was den Christen bereits geschenkt ist. Ich glaube, es ist ganz wichtig, darauf hinzuweisen. Denn diese Erkenntnis schützt uns vor der Anmaßung modernistischer Theologen, die mit ihrer angeblich tieferen, wissenschaftlichen Einsicht die Gemeinde in die Irre führen. Daß der Heilige Geist diese innere Verbindung im Erkenntnisvollzuge zustande bringt, ist auch meine persönliche Erfahrung. Auf meinen Reisen durch die ganze Welt habe ich zu hochgelehrten Menschen in Amerika und Japan gesprochen, aber auch zu Menschen auf den Bergen von Neuguinea, die gerade erst aus dem Steinzeitalter gekommen waren. Ich hatte mich zuvor gefragt, wie ich mich diesen Menschen überhaupt verständlich machen sollte. Aber es war sofort ein inneres Verstehen da; denn der gleiche Geist, unter dessen Leitung ich versuchte, zu ihnen zu sprechen, war auch schon bei ihnen. So war die innere Verbindung sofort gegeben.

Das fünfte: Der Heilige Geist wirkt die Frucht des Geistes wie sie geschildert ist in Galater 5, 22, also Liebe, Freude, Friede, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. Es gibt kein christliches Leben, das sich nicht darin entfaltet, daß der Heilige Geist in unserem ganzen Sein Frucht hervorbringt, so daß wir uns als die Kinder Gottes erweisen und dadurch ein Lebenszeugnis für seine Macht sind. as ist ein wichtiger Test. Wenn wir uns fragen, ob jemand vom Geist erfüllt ist, so lassen wir uns darauf achten: Wie sieht sein ganzer Lebenswandel aus? Das behütet uns vor solchen Abwegen, daß wir das Erfülltsein mit dem Heiligen Geist an den Besitz von außerordentlichen Gnadengaben binden wollen.

Das bringt uns zur sechsten Aussage: Der Heilige Geist gibt uns nun auch die besonderen Charismen, die Gnadengaben. Sie gibt er uns nicht zur persönlichen Ergötzung, nicht dazu, damit wir selber uns glücklich, mächtig oder gar außerordentlich fühlen sollen. Vielmehr verweisen uns die Gnadengaben an die Gemeinde. Die Gnadengaben gehören nämlich ‑ unter Theologen gesagt ‑ nicht so sehr in die Lehre vom Heil, die Soteriologie, als vielmehr in die Lehre von der Kirche, die Ekklesiologie. Es kann keine Auferbauung des Leibes Jesu Christi geben, ohne daß die einzelnen Mitglieder dieses Leibes sich als Glieder verstehen, die besondere Aufgaben haben. Und für diese Dienste, die wir den anderen Mitchristen schuldig sind, ertüchtigt uns der Heilige Geist nun durch besondere Gnadengaben. Sie erscheinen uns als völlig neue Gaben, sind aber vielfach Weckung, Stärkung, Heiligung, Vertiefung und Indienstnahme dessen, was uns schöpfungsmäßig schon geschenkt ist. Die Gnadengaben sind verschieden. Das ist ein ganz besonders wichtiger Punkt in Römer 12 und 1. Kor. 12: Nicht alle können weissagen, nicht alle können leiten, nicht alle können prophezeien, heilen usw. Vielmehr hat Gott hier in seiner Weisheit bewußt Verschiedenheit walten lassen, damit keiner sich vom Leibe Jesu unabhängig erklären könne. Wir brauchen einander. Und damit bin ich schon beim siebenten Punkt: Der Heilige Geist führt uns in die Gemeinschaft, zunächst in die mit Christus als dem Haupt des Leibes, damit aber auch in die Gemeinschaft untereinander. Der Heilige Geist ist ein Geist, der uns zusammenführt in der Wahrheit, im Glauben und in der Liebe. Deswegen ist auch dies ein wichtiges Erkennungszeichen, ob ein bestimmter Geist, der sich als Heiliger Geist ausgibt, wirklich von Gott ist: Führt er zur Trennung von den Brüdern in Christus oder aber zu größerer Gemeinschaft in Ihm?

B. Wie bekommen wir den Heiligen Geist?

Es ist festzuhalten: Der Empfang des Heiligen Geistes ist ein Eingangsereignis in unserem Christenleben. Die Wiedergeburt des Menschen aus der alten Adamsnatur hinein in das Wesen Jesu Christi, das Anziehen des neuen Menschen, wird durch die Vermittlung des Heiligen Geistes gewirkt. In dem Augenblick, wo ich in Buße und Glaube Christus annehme und mich auf seinen Namen taufen lasse, da vollzieht sich in mir auch die Mitteilung des Heiligen Geistes. Jetzt ist Christus in uns, und damit haben wir Gemeinschaft mit dem Dreieinigen Gott. Das kann zunächst also von jedem Christen gesagt werden.Aber nun tritt eine weitere Erkenntnis hinzu. Der Heilige Geist ist ja nicht ein statisches Etwas, sondern eine lebendige Person. Sein Wirken ist lebendig, und er möchte mich mit seinen Gnadengaben, mit seinen Gnadenwirkungen immer wieder erneut durchdringen. Es gibt ein Wachsen im Heiligen Geiste. Und das ist es, was viele Christen nicht genügend beachten. Sie leben dahin, als wenn das Christsein nur ein Gewordensein wäre, aber nicht ein werden, wie Martin Luther sagt. Deswegen bleiben sie auf einem bestimmten Stadium stehen. Aber da es im geistlichen Leben eben so wie im biologischen Leben keinen Stillstand geben kann, gehen sie zurück. Es kommt bei ihnen zum geistlichen Schlaf, zur geistlichen Krankheit, bis hin zum geistlichen Tod.Wie vollzieht sich das immer stärkere Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist?

1. Durch den treuen Umgang mit den Gnadenmitteln Wort und Sakrament, die ja die Instrumente des Heiligen Geistes sind. Das ist eine ganz wichtige Feststellung. Martin Luther sagt in den Schmalkaldischen Artikeln, daß es Gott gefallen hat, uns auf keine andere Weise als durch die Gnadenmittel Wort und Sakrament seinen Heiligen Geist zu geben.

2. Die Gnadenmittel möchten aber im treuen Gebet gebraucht werden. Bevor wir das Wort hören, bevor wir den Herrn anrufen, daß er uns diese Mitteilung der Gnade Jesu zum Segen werden lasse.

3. Dazu ist es nötig, daß wir unser Herz reinigen lassen. Der Heilige Geist möchte Wohnung nehmen in einem Herz, das sich immer wieder vom Blute Jesu von der Befleckung der Sünde reinigen läßt. Das bedeutet eine Erkenntnis meiner Schuld, ein Bekenntnis meines Getrenntseins von Christus, eine erneute Hingabe an ihn. Es gibt eine Art Blockade gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes dann, wenn der Mensch sich in seiner Selbstsucht und seinem Eigensinn verhärtet hat. Dann geht das Wirken des Heiligen Geistes an uns vorbei. Wenn wir also von einer geistlichen Erweckung oder auch einer “charismatischen Erneuerung” (besser wohl “Erneuerung der Charismen”; denn nur Gott, der Geber der Gaben, kann erneuern!) sprechen, dann kann sie nicht dadurch geschehen, daß ich etwas in mich hineinpumpe. Vielmehr muß diese innere Blockade, diese Verstopfung gelöst werden, die durch mein bewußtes Leben in der Sünde eingetreten ist. Deswegen ist eine echte Erweckung immer eine Erweckung, in der Gerichtspredigt zusammengeht mit vollmächtiger Gnadenverkündigung. Blicken wir doch einmal zurück auf die ganze Geschichte der Erweckungsbewegungen! Ob es nun J.H. Volkening im Minden‑Ravensbergischen Land gewesen ist, oder in Württemberg ein L. Hofacker oder in Baden ein Aloys Henhöfer. Es waren alles Männer, die in besonderer Weise den Menschen das Gericht Gottes über ihre Sünde ansagen und sie zur Buße treiben konnten, um ihnen dann aber noch freudiger und strahlender das Evangelium neu zu verkünden. Das bedeutet Erweckung, das bedeutet zugleich aber auch erneutes Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist.

4. Schließlich: Wir haben die Aufträge, die uns Gott durch die Weisungen des Neuen Testamentes gegeben hat, gehorsam auszuüben. Es gibt keine Mitteilung irgendeiner Gnadengabe, die nur dafür bestimmt ist, daß ich mich im Heilsbesitz sonnen kann. Vielmehr ruft mich der Herr mit ihr in seinen Dienst. Indem ich seinen Geboten und Weisungen treu bin, indem ich mich als ein Instrument zur Rettung anderer gebrauchen lasse, benutzt mich der Heilige Geist und erfüllt mich immer stärker mit seiner Gnade und seinem Reichtum.

C. Woran erkennen wir, daß wir vom Heiligen Geist erfüllt werden und in ihm wachsen?

1. Die entscheidende Frage, die sowohl mein Christsein Überhaupt wie meine Geisterfüllung betrifft, ist auf jeden Fall die: Glaube ich an Jesus Christus als meinen persönlichen Herrn und Heiland, der für meine Sünde ans Kreuz gegangen ist? Fliehe ich jeden Tag aufs neue zu ihm, um meine Sünde vor ihm abzuladen, neu die Vergebung zu empfangen und mich von ihm neu ausrüsten zu lassen? Steht Jesus Christus als Gekreuzigter im Mittelpunkt meines ganzen Fühlens, Denkens und Wollens?

2. Eine weitere Frage könnte sein: Habe ich Freude im geistlichen Leben? Gewiß, das ist kein absoluter Test ; denn es gibt Zeiten der Anfechtungen, wo Gott uns durch Tiefen führt. Aber diese Anfechtungen werden ja auch wieder Überwunden. Wenn ich also mit Freude an Jesus glaube und die Glaubenslieder singe in dem Bewußtsein: Jawohl, das ist mir geschenkt, und dazu bekenne ich mich! ‑ dann darf ich gewiß sein, daß der jeweilige Geist wirklich in mir lebt.

3. Dann kann ich auch die nächste Frage positiv beantworten: Spüre ich in mir einen Drang, dies weiter zu geben im liebenden Dienst am Bruder und an der Schwester sowie auch im mündlichen Zeugnis von dem, was mir widerfahren ist?

4. Nach Römer 8, 14 ist auch folgendes wichtig: Nehme ich den Kampf auf mit den Begierden des alten Menschen, der mir noch nicht ganz weggenommen worden ist, bemühe ich mich um die Heiligung? Nicht etwa: Bin ich sündlos geworden? Sondern: Leide ich an meiner Sündennatur, und verlange ich danach, daß Christus in mir Gestalt nehme?

5. Schließlich: Bin ich der eigenmächtige Herr meines eigenen Lebens, versuche ich alle Entscheidungen über meinen weiteren Weg nach Vernunftgründen zu treffen, ‑ oder aber lasse ich mich vom Heiligen Geiste leiten und lege deswegen meine Entscheidungen immer wieder dem Herrn im Gebet über seinem Worte vor? Er selber muß mich ja an seiner Hand nehmen.Wenn ich diese fünf Fragen mit “Ja” beantworten kann, dann brauche ich nicht mehr in Verlegenheit zu geraten, wenn jene Menschen mich fragen: Hast du den Heiligen Geist empfangen? Vielmehr darf ich dann mit einem ebenso dankbaren wie demütigen “Ja” antworten. Wenn sie aber weiter fragen: Hast du aber “die Fülle des Geistes”?, so werde ich entgegnen: Die Fülle des Geistes liegt nur in Christus und in seinem Gesamtleibe der Gemeinde. Was wir als Christen empfangen haben, sind nach Römer 8, 23 die Erstlinge des Geistes.Aber nun ist es auch wichtig, diesen Heiligen Geist zu unterscheiden von einem falschen Geist oder Schwarmgeist.

III. Das Wesen des Schwarmgeistes

A. Der Begriff Schwarmgeist
Woher kommt der Begriff “Schwarmgeist”?
Dem normalen Zeitgenossen wird nicht ohne weiteres deutlich sein, was wir mit diesem Wort eigentlich meinen. Denn Schwärmerei bringt man im allgemeinen in Verbindung mit einer gewissen Gefühlsseligkeit. Man denkt an ein junges Mädchen, das für ihren Liebsten schwärmt. Ein anderer schwärmt von seiner letzten Sommerfrische oder einem frohen Erlebnis. Geht es also um eine leicht exaltierte Gefühlsstimmung?

Nein, das ist nicht das Schwärmertum, das wir hier meinen, obwohl es gewisse Verbindungen gibt. Ich versuche, den Begriff immer vom Bild des Bienenschwarms her zu erklären. Wenn es den Bienen in ihrem Stock zu eng geworden ist, – und zwar geschieht das immer, wenn eine zweite Königin geboren ist, – dann halten sie es nicht mehr aus in der Begrenzung ihres Baues. Sie müssen hinaus und schwärmen mit furchtbarem Getöse aus.

Damit habe ich das Entscheidende schon gesagt: Der Schwärmer hält es nicht aus in der Begrenzung, in die er auf Grund des Willens Gottes in seinem Glaubensleben in dieser heilsgeschichtlichen Zwischenzeit zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft des Herrn gestellt ist. In dieser Zeit ist ja unsere Sünde zwar schon vergeben auf Grund des Kreuzestodes Christi; aber wir müssen doch immer noch den alten Sündenleib mitschleppen. Deswegen bekommen wir von ihm immer wieder sündige Versuchungen zu spüren. Gleichzeitig müssen wir auch leiden unter der Vergänglichkeit dieses alten Äons, dieses alten Weltzeitalters, an das wir mit aller Kreatur gekettet sind; so sind wir auch dem Sterbenmüssen unterworfen. Dies will der Schwärmer nicht anerkennen. Er möchte im Grunde genommen schon das Leben führen, das uns der Herr verheißen hat für das kommende Reich der Herrlichkeit, wenn Jesus Christus wiedergekommen ist, um alle Dinge neu zu machen. Der Schwärmer erkennt diese Grenzen der Zwischenzeit nicht an. Er will sie sprengen. Er möchte deswegen nicht glauben, sondern er will schauen, spüren und schmecken. Er will nicht mehr dulden, wie es uns doch Paulus in Römer 5 und 8 ans Herz legt, sondern er möchte genießen, er möchte volle Kraft und Gesundheit spüren, die in keiner Weise mehr in Frage gestellt wird.

Deswegen ist für den Schwärmer das Phänomen der Krankheit immer ein Ärgernis, mit dem er nicht fertig werden kann. Eigentlich meint er, keinen Arzt mehr zu brauchen. Der Schwärmer möchte nicht mehr durch die Gnade allein leben, die Gnade, die ja doch in der immer erneuten Zusprechung der Vergebung der Sünden besteht. Nein, er möchte schon in der eigenen vollendeten Gerechtigkeit leben, wo er die Sünde endgültig hinter sich gelassen hat. Er ist also Perfektionist, meint in der Vollkommenheit zu stehen. Er möchte sich in die Gemeinde nicht einordnen, in den Dienst am anderen stellen, sondern er möchte sich schrankenlos selber verwirklichen. Er möchte niemanden über sich haben, der ihn zur Korrektur ruft. Er möchte nicht dienen, sondern er möchte herrschen. Er möchte sich nicht Schritt für Schritt führen lassen, sondern bereits das Ende des Weges, den ihn der Herr führt, in aller Klarheit wissen und berechnen können.

Das alles sind Kennzeichen des Schwärmers, der die uns gegebenen Grenzen nicht respektiert. Nun, dieser Haltung liegt ein Drang zugrunde, den wir als Christen in gewisser Weise verstehen können. Denn wir alle leiden ja an der Gebrochenheit unseres jetzigen Daseins. Es ist auch vom Willen Gottes her nicht der Normalzustand, dai3 wir im Sündenleibe leben. Es ist nicht der Wille Gottes, daß diese Welt gekennzeichnet ist von Leiden, Tod, Haß und Zerrissenheit. Denn ursprünglich war die Welt geschaffen worden in Harmonie mit dem Schöpfer ‑ und die neue Welt wird die Jetzige Zerrissenheit nicht mehr kennen. Auch hat Gott in uns und alle Kreatur das Seufzen gelegt, die Sehnsucht nach der Wiederherstellung und Verklärung der guten Schöpfung Gottes (Römer 8, 19‑25). Deswegen wird jeder lebendige Christ immer wieder von dieser Sehnsucht ergriffen werden, die manchmal in ihm auch bestimmte schwärmerische Züge hervorrufen kann. Solange er aber noch ein gesunder Christ ist, wird er sich durch das Wort Gottes immer wieder zurechtweisen lassen. Er wird sich sagen lassen: Jawohl, diese Zukunft ist dir verheißen, aber du mußt dich noch gedulden, bis der Herr kommt und dich aus dem Glauben in das Schauen hineinführt. Der schwärmerisch versuchte Christ wird sich also vom Worte der Schrift berichtigen und sich an die Bedingungen dieser heilsgeschichtlichen Zwischenzeit erinnern lassen. Anders ist es, wenn Christen nicht mehr in der Demut, der Heiligung, bleiben, sondern ihre Hand nach den Gaben ausstrecken, die ihnen nicht gegeben sind. Wenn wir nicht mehr auf die Bedingungen achten wollen, die uns gesetzt sind, dann beginnen wir, wirklich in das Schwärmen zu geraten und für den Einbruch eines ausgesprochenen Schwarmgeistes offen zu werden. Dies bedeutet zunächst einmal eine Gefahr für unser eigenes geistliches Leben. Die Verführung mach­t den Betreffenden, der diesen Geist empfangen hat, aber alsbald auch zu einer Bedrohung für andere. Die durch den falschen Geist hervorgerufene ungesunde und unnüchterne Haltung, die hier zum Ausdruck kommt, findet ihren Niederschlag in bestimmten ungesunden Ideen und falschen Lehren, die der Betreffende dann anderen mitteilen will. Hat er damit Erfolg, so kann er schließlich sogar zum Stifter einer neuen Glaubensgemeinschaft oder Sekte werden. Wenn schließlich der Schwarmgeist vollends von ihm Besitz ergriffen hat, so macht er ihn zum Medium des altbösen Feindes.

Ich möchte also unterscheiden zwischen dem ins Schwärmen geratenden Christen, der aber noch bereit ist, sich wieder in die Schranken weisen zu lassen, und jenem Christen, der sich von dieser schwärme­rischen Tendenz weiter und weiter führen läßt, bis er schließlich die Schranken durchbricht und sich für den Empfang des Schwarmgei­stes öffnet. Schwarmgeist, das muß nun ganz deutlich gesagt werden, ist nicht einfach eine menschliche ungesunde Haltung, sondern geistige Beeinflussung (Inspiration) aus dem Abgrund und letztlich Wirkungsweise des Satans.

B. Die Einbruchsmöglichkeiten des Schwarmgeistes
Wie kann es dazu kommen, daß ein Christ von einem solchen Geiste befallen wird? Was sind die Einbruchsstellen für ein so furchtbares Geschehen? Drei Punkte können genannt werden:

1. Geistliche Unachtsamkeit. Wenn ich aufhöre, Schritt für Schritt auf das Wort Gottes zu achten, wenn ich anfange, mich von mei­nen Gefühlen oder anderen Menschen stärker beeindrucken zu las­sen als von dem, was Gott mir durch sein Wort sagt, dann be­steht diese Gefahr. Gewiß dürfen wir dafür dankbar sein, daß es in der Gemeinde Jesu geistesvollmächtige Persönlichkeiten gibt, die uns etwas bedeuten, uns geistlich dienen und weiterführen können. Trotz­dem gilt auch hier, daß alles, was sie uns geben, immer wiedergeprüft werden muß an der gesunden Norm der Heiligen Schrift.

2. Eigene Unlauterkeit. In dem Augenblick, wo in meinem Leben an irgendeiner Stelle etwas nicht mehr ganz stimmt, wo ich nicht mehr in völliger Gemeinschaft mit Gott wandele, weil ich unwahrhaftig, unehrlich in meinem Geschäftsgebaren, genußsüchtig oder auch unkeusch werde ‑ und wer von uns ist frei von diesen Versuchungen? ‑ tritt eine Trübung in meinem geistlichen Erkenntnisvermögen ein. Wo das nicht bereinigt wird, geschieht schließlich, wenn ich trotzdem weiter bewußt einen religiösen Weg gehen und das Fleischliche mit dem Geistlichen verbinden will, der Einbruch falscher Geistesmacht. ‑Ich meine, dies gilt auch für den Versuch, eine bestimmte Form von Musik, die die Triebe aufpeitscht, in den geistlichen Dienst zu stellen.

3. Hochmut. Das Wesen Luzifers ist ja, daß er selber Gott nicht über sich anerkennen wollte, sondern sein wollte wie ER (Hesekiel 28). Und so liegt auch unsere heimliche Zugeneigtheit, unsere Affinität zum satanischen Versucher in unserer Versuchlichkeit zum Hochmut. Sie gibt es auch in der Gemeinde Jesu. Auch wir Christen stehen bisweilen in der Gefahr, heiliger scheinen zu wollen als andere, ans mit unseren vermeintlichen oder echten Gaben brüsten zu wollen, oder mehr Einfluß ausüben zu wollen. in dem Augenblick, wo ich als aktiver Christ von solcher religiösen Eitelkeit oder Herrschsucht befallen werde, da habe ich dem Schwarmgeist bereits das Tor geöffnet. Ein Mensch, der von einem Schwarmgeist befallen ist, erkennt sich nicht mehr wirklich als irdisches Geschöpf an. Er möchte bereits das Tor in die Ewigkeit durchschritten haben. Er kennt sich auch nicht mehr als Sünder an, sondern betrachtet sich als Vollkommenen. Er reiht sich nicht mehr als ein Glied unter anderen in die Gemeinde ein, sondern er benimmt sich entweder als Individualist oder aber als absoluter Herrscher in der Gemeinde. Er will immer höher hinaus. Er ist unzufrieden mit den eigenen Gaben, und zwar nicht nur unzufrieden mit sich selbst und seiner mangelnden Entwicklung dieser Gaben, sondern unzufrieden damit, daß Gott ihm diese Gabe und nicht auch gleich alle anderen gegeben hat. Er möchte letztlich also sein wie Gott selber, allwissend und allmächtig. Hier also liegt die entscheidende Einbruchsmöglichkeit für Satan, der ja wie Gott sein wollte. Satan hat immer das gleiche Ziel. Er möchte die Herrschaft über die Weit behalten und er möchte die Herrschaft des Sohnes Gottes, Jesu Christ, zunichte machen. Um dies zu tun, richtet er auf die Gemeinde, wo Christus der Herr ist, Angriffe von außen, aber auch von innen. Er versucht, durch Verlockung oder Terror, den Gehorsam der Jünger Jesu gegenüber ihrem Herrn zunichte zu machen. wo ihm das aber nicht gelingt, da dringt er in die Kirche ein und imitiert den Heiligen Geist.

C. Schwarmgeist als Meister der Imitation
Ein Wesenszug des Schwarmgeistes ist also die Kunst der Nachahmung der Imitation. Hier ist nun eine ganz entscheidende Beobachtung die, daß es kaum irgendeine Erscheinungsweise des Heiligen Geistes gibt, wie sie unser Neues Testament bei der Behandlung der Gnadengaben schildert, für die es nicht auch eine Imitation gäbe.

Wenn Paulus davon spricht, daß er sich in der Ekstase befunden habe und in den dritten Himmel entrückt wurde (2.Kor.12,2), so weiß davon auch die hinduistische Mystik zu erzählen.

Wenn wir im Neuen Testament davon lesen, daß die Jünger am Pfingsttage in anderen Zungen sprachen oder die Zungengabe auch in der korinthischen Gemeinde erschien, so kennen die Völkerkundler eine Zungengabe auch im afrikanischen Animismus.

Wenn wir von der prophetischen Gabe sprechen, so erinnert uns die Bibel daran, daß es Hellseher auch in allen anderen, nichtchristlichen Religionen gibt.

Wenn wir von der Gabe der Wunderheilung sprechen, so müssen wir wissen, daß es bis zum heutigen Tage Religionen gibt, die ebenfalls wunderhafte Heilungen vollbringen. – Daran hat der bekannte Autor Kurt Koch wohl nicht genügend gedacht, als er sein Buch schrieb über die indonesische Erweckungsbewegung „Uns Herr wirst du Frieden schaffen”. Er hat darin die Ansicht vertreten, daß in Indonesien eine große Geisteserweckung ausgebrochen sei und in ihr alle urchristlichen Gnadengaben wiedergeschenkt wor­den seien, die der Kirche in der Zwischenzeit verloren gegangen wa­ren. Dies sei das Zeichen dafür, dass das Ende der Geschichte gekommen sei, denn am Ende müsse es wieder sein wie am Anfang. Welch ein Irrtum! Nun bin ich bald darauf im Jahre 1971 selbst nach Indonesien gekommen und mußte mir dort sagen lassen, daß es eine sogenannte “javanische Mystik” gibt. Sie ist eine Bewegung, die aus dem Hinduismus kommt. Es gibt javanische Mystiker, die okkulte Kräfte in sich tragen, durch die sie psychosomatische Wirkungen hervorrufen können, also geistleibliche Kräfte ausstrahlen. Mir erzählte ein indonesischer Kirchenführer, er habe einen solchen Mystiker gekannt, der einen mehrfach gebrochenen Arm durch Überstreichen auf der Stelle wieder zum Heilen gebracht hat. Wenn uns nun erzählt wird, daß es ähnliche Wunder auch in der indonesischen Erweckungsbewegung gegeben habe, dann brauchen wir nicht alle diese Berichte in das Reich der Legende zu verweisen. Aber wir müssen sofort die Testfrage stellen: Was ist der Ursprung solcher Kraftwirkungen? Ist es wirklich der Heilige Geist gewesen? Gewiß ist seine Kraft heute nicht geringer als in apostolischer Zeit. Aber könnte der Betreffende nicht noch unter dem Einfluß jener okkulten Bindungen gehandelt haben, in denen er zuvor gestanden hatte? Die reiferen unter den Führern jener indonesischen Christenheit haben schreckliche Erfahrungen machen müssen, bis sie gelernt hatten, hier zu unterscheiden. –

Kann also der Schwarmgeist alle Geistesgaben imitieren, so schafft er sich auch menschliche Träger, die ihn vermitteln. Und so tritt an die Stelle des echten Apostels der Pseudo‑Apostel, der falsche Apostel; an die Stelle des echten Propheten tritt der falsche Prophet . Das Furchtbarste aber ist, daß am Ende an die Stelle des echten Christus der Antichrist treten wird. Antichrist heißt ja nicht nur, daß er gegen Christus ist, sondern daß er sich an die Stelle Christi setzt. Und zwar tut er dies in einer Weise, daß er zunächst nicht als sein Gegenspieler erkannt wird, sondern von vielen arglosen Christen als der wiedergekommene Christus begrüßt werden wird. Ich glaube, daß die Geschichte schwarmgeistiger Bewegungen innerhalb der Kirchengeschichte nichts anderes ist als ein ständiges Präludium, ein Vorspiel, für den Schlußakt des Erscheinens des Antichristen selber. Ich bin allerdings der Überzeugung, daß dieser antichristliche Imitationsschwarmgeist in unserer heutigen Zeit sich in einer ganz neuen Fülle offenbart, so daß man sich oft fragen muß, ob es wirklich schon dem Ende zugehen soll.

D. Das Wirken des Schwarmgeistes

Der Schwarmgeist hat mannigfache Weisen zu wirken.

1. Er wirkt z.B. dadurch, daß er den Christen das Angebot eines starken gefühlsmäßigen Erlebnisses macht. Ihnen wird verheißen, daß all das, wovon sie bis jetzt nur gelesen und gehört hatten, nun von ihnen wirklich erfahren werden kann. Kürzlich berichtete man mir von einer Aussage des international bekannten Pfingstevangelisten David du Plessis. Man hatte ihn gefragt: “Was ist eigentlich der Unterschied zwischen deiner Lehre und unserer? Denn was du sagst, das sagen wir doch auch?” Du Plessis antwor­tete: “Der Unterschied ist der, Ihr serviert es auf Eis, ich in der Bratpfanne.” Damit wollte er sagen. Bei normalen Predigern ist zwar theoretisch auch alles da, aber so unterkühlt, ungenießbar ist. Ich aber biete euch dasselbe mit der rechten Wärme. Jetzt könnt ihr schmecken und spüren.

Uns wird also ein tiefes Gefühlserlebnis verheißen, vielleicht sogar eine Ekstase, ein Verzücktsein, ein Schauen von herrlichen Bildern sowie das Spüren von Kräften aus der anderen Welt. Es wird den Menschen versprochen, daß es sie wie ein elektrischer Strom durchfahren werde , der sie mit Kräften in Verbindung bringt, von denen sie bis jetzt nur gehört hatten.

Bei einer Jugendgroßveranstaltung des amerikanischen Pfingstevangelisten David Wilkerson erlebte ich, wie er die Menschen nach vorne rief mit den Worten: “Ich rufe euch jetzt nach vorne, und ihr werdet das Ziehen einer unwiderstehlichen Kraft empfinden. Sträubt euch nicht gegen dieses Ziehen, es ist der Heilige Geist.” Und in der Tat, kaum hatte er es gesprochen, setzte sich ein Zug von Menschen in Bewegung, zunächst Jungen im Alter von 12, 13, 14 Jahren, die gefühlsmäßig besonders beeinflußbar waren. Aber dann folgten auch viele andere. Wilkerson fuhr fort: “Wenn ihr jetzt weinen wollt, dann scheut euch nicht, diese Tränen zu vergießen, es ist der Heilige Geist, der das wirkt.” So kamen sie dann nach vorne, und der Redner stellte ihnen nun einzeln die Frage: “Warum bist du nach vorne gekommen?” Die Antwort war jedesmal die gleiche: “Das kann ich nicht sagen, ich mußte ganz einfach.” Die nächste Frage war. “Und was möchtest du jetzt bezeugen?” Einer der so Gefragten antwortete: “Bisher war ich nur ein fünfundneunzigprozentiger Christ. Nun aber bin ich ein hundertprozentiger Christ. Ich werde nicht mehr sündigen.” Darauf bestätigte ihm David Wilkerson: “Das glaube ich dir, denn du hast die Vibrationen (das Zittern) des Heiligen Geistes.”
In der Tat, da standen diese Leute vorn und zitterten am ganzen Leibe. Es war eine Kraft in sie gefahren, eine Wirkung, wie sie sie vorher nie verspürt hatten. Menschen, die von solcher Kraft erfaßt werden, geraten in eine ekstatische Stimmung, die von ihnen zunächst als ein ganz großes, freudiges Widerfahrnis empfunden wird.

2. Schwärmer verheißen ihren Anhängern, daß sie neue Offenbarungen empfangen werden: Sie würden Botschaften, himmlische Stimmen hören. Ich war 1972 in der Calvary Chapel, der Golgatha‑Kapelle in Kalifornien. Das ist der Ursprungsort der sogenannten Jesusbewegung, deren Initiator, ein gewisser Chuck Smith, dort als Leiter tätig war. Er hielt eine Bibelarbeit über ein Daniel Kapitel. In seiner ganzen Auslegung hörte ich kein einziges Wort vom Kreuze Jesu Christi, kein einziges Wort von Buße und Sündenvergebung. Chuck Smith hatte nur das eine Thema: “Werdet sensibel für den Geist Gottes.” Wir sollten uns empfänglich machen, um die Stimme Gottes zu vernehmen. Wir müßten es lernen, abzuschalten gegenüber den äußerlichen Sinneseindrücken. Statt uns in das Getriebe der Welt hineinzubegeben, müßten wir uns durch Meditation innerlich empfänglich machen. Wenn wir das schließlich erreicht hätten, wenn wir die rechte Sensibilität erworben hätten, dann würde Gott anfangen können, wirklich zu uns zu sprechen. Smiths letzte Sätze waren: “Was dann mit dir geschehen wird, kann ich im einzelnen für dich nicht bestimmen; du magst Visionen empfangen, vielleicht sendet dir Gott einen Engel oder du hörst seine eigene Stimme.”

Das waren für solch schwarmgeistiges Angebot typische Versprechen. In der Tat, dieses Angebot ist kein leeres, sondern es kann in Erfüllung gehen. Schwarmgeistig bewegte Menschen können wirklich außersinnliche Stimmen hören.
So war es z.B. in Neresheim bei der Bruderschaft eines gewissen Pfarrer Geyer. Es fing damit an, daß Menschen in einer besonderen Weise ernst machen wollten mit ihrem Christsein. Sie hatten zunächst tiefgehende Bibelarbeit miteinander. Dann ging man dazu über, seine geistlichen Erfahrungen auszutauschen und schwärmerisch zu beten. Eines Tages begann man plötzlich, die „Stimme Jesu“ unmittelbar zu hören. Diese Stimme sprach zunächst im biblischen Sinne. Aber später wich sie immer stärker von den biblischen Worten Jesu ab. Zum Schluß gab sie direkt unsittliche Anweisungen. Und da war es nun deutlich ‑ aber viel zu spät, daß der Verführer über die schwärmerische Gruppe Gewalt bekom­men hatte.

3. Manchmal verspricht der schwarmgeistige Prediger seinen kranken Hörern auch, daß eine Kraft sie ergreifen werde, die körperliche Wiederherstellung schenken wird.

4. Eine weitere wichtige Beobachtung ist die, daß der Träger des Schwarmgeistes gedrängt zu sein scheint, die Kraft, die ihn selber bewegt, an andere weiterzugeben. Er kann offenbar nicht an­ders, als ständig diese inneren Impulse zu vermitteln. Er tut das im allgemeinen durch Handauflegung oder dadurch, daß er sie mit sich in eine Kette körperlicher Berührungen bringt.

In dem Semester, als ich erstmals ein Seminar über charismatische Bewe­gungen hielt, wurde Tübingen von einem holländischen „charisma­tischen“ Evangelisten besucht, Piet van Zutphen, der dort schon zuvor einen Anhängerkreis gesammelt hatte. Einige Teilnehmer mei­nes Seminars äußerten den Wunsch, wir sollten doch einmal einen “Charismatiker” einladen, damit wir persönlich einen Eindruck bekämen, was er eigentlich lehrt, und damit wir mit ihm disku­tieren könnten. Ich tat es unter gewissen Vorbehalten, nämlich mit der Absicht, ihn zunächst anzuhören und dann zu widerlegen. Ich hätte es nicht tun sollen. Der Eingeladene hat dann nämlich nicht nur seine Lehre entfaltet. Vielmehr hatten wir von vorn­herein den Eindruck, daß ein merkwürdiger Charme von diesem Men­schen ausging, der unsere Seminarteilnehmer faszinierte und sie innerlich zwang, sich seinem Einfluß zu öffnen. Auch ich selber war nicht ganz davon frei.

Er begann damit, auf eine recht bana­le Art Witze zu reißen. Und doch erreichte er damit, daß schließ­lich alles an seinem Munde hingen. Seine Lehren waren kaum von biblischer Tiefe erfüllt. Plötzlich hielt er inne und erklärte: „Und jetzt möchte ich das tun, was ich bei solchen Gelegenhei­ten immer tue, ich möchte für Sie beten.“ Bevor wir überhaupt darauf antworten konnten, war er schon dabei, ein Gebet zu sprechen, das im Grunde genommen eine sakramentalistische Segens­handlung war: „Herr, laß mich jetzt meinen Segen auf jeden ein­zelnen hier legen.” Was er also in diesem Falle nicht vermittels einer körperlichen Handauflegung tun konnte, geschah nun durch dieses “Gebet”.

 – Ich habe aber erfahren, daß jener Reisepredi­ger in anderen Zusammenhängen immer wieder seinen Hörern gesagt habe: “Wenn sich einer von euch schwach fühlt oder niedergeschlagen oder Schmerzen hat, dann möge er nach vorne kommen. Ich werde ihm die Hände auflegen, und er wird von mir einen Segen und eine Hilfe erfahren.” Seine Hörer pflegen dann in der Tat nach vorne zu kommen, und er lädt sie durch Handauflegung mit seinen Impulsen auf. ‑

In unserem Fall geschah nun folgendes: Mehrere von meinen Seminarteilnehmern gerieten in Unruhe. Sie konnten nachts nicht schlafen. Tatsächlich war also hier eine fremde Macht in ihr Leben eingebrochen. Es wurde mir deutlich: Ich habe hier eine Schuld auf mich geladen. Sobald ich dies erkannte rief ich das ganze Seminar noch einmal zusammen, um im einzelnen mit den Studenten zu besprechen, was hier geschehen war. Daraufhin sagte jeder einzelne von ihnen sich im Namen Jesu von diesem falschen Geiste los, der über sie gekommen war. Das von uns Erlebte war bezeichnend für viele von diesen falschen “Charismatikern”: Sie bieten eine geistliche Kraft an, die durch körperliche Berührung oder suggestive Beeinflussung übertragen wird, und der ahnungslose Christ läßt sich davon verführen. Sie fragen auch gar nicht, ob der Betreffende innerlich gerüstet sei für einen solchen neuen Geistempfang. Der Geistessegen erscheint ihnen wie eine objektive Größe, die man einfach wie Lebensmittel an Hungrige verteilt.

5. Ich gebe noch ein Beispiel für jenes Drängen auf Handauflegung zum Zwecke einer größeren “Geisteserfüllung”
‑ Eine Bibelschule in Indonesien wurde eines Tages von einem reisenden Vertreter einer “charismatischen Bewegung” besucht. Die Missionare waren gerade auf einer großen evangelistischen Tour und hatten ihre Frauen eine Woche allein zu Hause zurückgelassen. Jener “Evangelist” hielt jeden Tag Andachten und Bibelandachten, die alle auf das gleiche Ziel zugingen: Wer noch nicht in Zungen redet, der habe noch nicht den Heiligen Geist. Ihm könne aber geholfen werden: Durch Auflegung der Hände und Gebet könne er die “Fülle des Geistes” empfangen. Zum Zeichen dafür werde er in Zungen reden. Eine der beiden Frauen widerstand dieser Lehre, weil sie ihr als unbiblisch erschien. Die andere Missionarsfrau erlebte gerade in jener Zeit eine geistliche Dürre und Niedergeschlagenheit und empfand, daß sie wirklich mehr Kraft brauche. So entschloß sie sich, es doch einmal zu versuchen und sich die Hände auflegen zu lassen. In der Tat, auf der Stelle konnte sie in Zungen reden. Gleichzeitig aber fiel sie in eine geistliche Nacht. Sie verlor ihre Heilsgewißheit und konnte nicht einmal mehr die Bibel lesen oder beten. Dieser Zustand verließ sie ein halbes Jahr nicht mehr. Schließlich meinte sie, ihre Zelte in Indonesien abbrechen und nach Hause zurückkehren zu müssen, weil sie nichts mehr zu geben hatte. Gerade zur rechten Zeit stieß sie auf das Buch von Dr. Kurt Koch “Between Christ and Satan”, in dem diese von ihr erfahrenen Phänomene geschildert waren. Da wurde ihr deutlich, daß der Geist, der über sie gekommen war, nicht der Heilige Geist, sondern eine dämonische Macht in schwarmgeistiger Verhüllung war. Der Anweisung des Verfassers entsprechend sprach sie schließlich ein Absagegebet, so wie man sich von einer okkulten Behaftung lossagen muß und übe­rgab sich aufs neue Jesus Christus ihrem Herrn und Erlöser.

6. Bei bestimmten Menschen, die schon vorher unter dem Einfluß von okkulten Kräften standen oder psychisch belastet waren, kann sol­che Handauflegung noch zusätzliche Gefahren mit sich führen. Das unmittelbare Ergebnis ist dann, daß es mit ihnen noch schlimmer wird. Sie bekommen religiöse Wahnvorstellung, hören Geisterstimmen und müssen sich schließlich in nervenärztliche Behandlung be­geben. In einem Fall, der mir bekannt wurde, geriet der Betreffen­de auf dem Weg ins Sanatorium in Raserei, fiel dem Fahrer in den Arm und verursachte einen tödlichen Verkehrsunfall.Solche Erfahrungen zeigen, was letztlich das Ziel des Schwarmgeistes ist. Er will Menschen sowohl in das leibliche wie auch in das geistliche Verderben führen.

7. Das nächste Stadium schwarmgeistigen Wirkens ist, daß diejenigen, die von solchem Geist erfüllt sind, auf Alleingültigkeit ihrer Erfahrung in der Gemeinde drängen. Wenn ein Teil der Mitchristen dem nicht nachgibt, kommt es unter Anstiftung der Schwärmer zur Unordnung und schließlich zur Spaltung in der Gemeinde.
Norwegen wird gegenwärtig stark von der charismatischen Erneuerungsbewegung heimgesucht. Zunächst gab es eine Fülle von durchaus positiv beurteilten Wirkungen: eine größere Gebetsfreudigkeit und verstärkte Hinwendung zur Bibel. Aber jetzt ist es dahin gekommen, daß in vielen solchen Gemeinden, in die diese Bewegung eingedrungen ist, Abspaltungen entstehen, die sich oft mit der Forderung verbinden, sich wiedertaufen zu lassen.

8. In manchen Fällen drängt sich der Schwärmer neben den Gemeindeleiter, versucht ihm Vorschriften zu machen, kritisiert seine Verkündigung und sucht ihn schließlich zu verdrängen. Die usurpierte Herrschaft der Charismatiker in der Gemeinde kann sich schließlich sogar zur regelrechten geistlichen Tyrannei entwickeln. Einzelne Charismatiker behaupten eine absolute Autorität. Jeglicher Widerspruch wird von ihnen als “Betrübung des Geistes” bezeichnet. Auch das ist uns nicht neu; denn genau das war die unmittelbare Wirkung des Einbruchs des Pfingstgeistes in Kassel, Großalmerode und Mülheim/Ruhr in den Jahren 1906 und 1907, daß jene “Propheten” mittels ihrer Weisungen nun die Herrschaft in den Gnadauer Versammlungen zu ergreifen suchten.

9. Schließlich sei noch ein bedeutsames Kennzeichen genannt:
Im Gegensatz zu den schwärmerischen Absonderungen innerhalb der Gemeinden entwickelt sich zugleich auch eine neue ökumenische Gemeinsamkeit auf dem schwarmgeistigen Fundamente.
Denn jeder Geist fühlt sich vom gleichen Geist angezogen. Überall, wo es zur Bildung schwärmerischer Kreise gekommen ist, wird man sich auch darum bemühen, mit den anderen zusammenzukommen. So entsteht heute eine weltweite Gemeinschaft, die sich als die wahre Gemeinde Jesu, bzw. als entscheidende Kraft zur Erneuerung der ganzen Kirche empfindet. Eine solche Einheit, die durch den Schwarmgeist erstrebt wird, geht immer auf Kosten der Lehre. Man sagt also: Die Lehre trennt, das Entscheidende ist vielmehr, daß wir die gleiche geistliche Erfahrung gemacht haben und miteinander in der Liebe verbunden sind. Auch über die Irrlehre wird großmütig der Deckmantel der “Liebe” gebreitet. So haben wir heute neben der Genfer Ökumene, die im wesentlichen eine Ökumene in der gemeinsamen sozialpolitischen Aktion geworden ist, auch eine charismatische Ökumene des schwärmerischen Erlebens.

Eins ihrer Zentren ist das Schloß Craheim. Es nennt sich ja ökumenisches Lebenszentrum”. Hier kommen Männer und Frauen aus den verschiedensten Konfessionen, Orthodoxe, Katholiken, Baptisten, Methodisten und Lutheraner zusammen, um eine neue ökumenische Gemeinschaft in der gemeinsamen Geisterfahrung zu erleben. Sogar internationale Führerkongresse der charismatischen Bewegung haben in Craheim schon stattgefun­den. Es ist nun interessant festzustellen, daß es eine direkte Verbindungslinie zwischen dem Schloß Craheim und Genf gibt. Einer der Mitbegründer des ökumenischen Zentrums Craheim ist der luthe­rische Pfarrer Arnold Bittlinger, den ich übrigens erstmalig in eben jener Golgatha‑Kapelle bei den Jesus‑People in Kalifornien kennengelernt habe.

Bittlinger hält auch regelmäßig charismati­sche Seminare in dem Ökumenischen Institut des Genfer Weltkirchen­rates in Bossey, Schweiz, ab. Umgekehrt lädt Craheim auch führende Ökumeniker ein. Walter Hollenweger, der selber aus der Pfingst­bewegung hervorgegangen ist, kommt immer wieder nach Craheim, um dort Kurse über Bildbetrachtung und ähnliche Themen durchzufüh­ren. Emilio Castro, der Direktor der ökumenischen Kommission für Weltmission und Evangelisation in Genf, kommt aus Uruguay. Er hat es als besonderes Ziel seiner Amtsführung bezeichnet, die südame­rikanischen Pfingstler in den Weltrat der Kirchen hineinzubringen.Diese Bewegung wurde durch Hollenweger ja schon auf der 3. ökume­nischen Vollversammlung in Neu‑Delhi 1961 eingeleitet.

Wir sehen also: Auf der einen Seite führt der Schwarmgeist zu Spaltungen in der Gemeinde, auf der anderen Seite bemüht er sich, eine neue Einigungsbewegung in Gang zu setzen, die aber auf Kosten der Wahrheit geht. Und ich glaube, daß sich letztlich zwischen der ökumenischen Bewegung Genfer Fasson und der ökumenischen Bewegung im Craheimer Stil keine unüberwindlichen Gegensätze befinden. Auch wenn hier noch etwas mehr von der Bibel die Rede ist und das religiöse Erleben eine größere Rolle spielt als bislang bei den Sozialaktivisten in Genf, so befruchten sich beide Stile schon jetzt gegenseitig. Eines Tages werden sie sich möglicherweise ganz finden. Die Anfänge dazu waren auf der Weitmissionskonferenz in Bangkok 1973 und in Nairobi 1975 bereits zu spüren. Dort wurden Gottesdienste veranstaltet, die deutlich pfingstlerische Elemente trugen, was für viele Teilnehmer ein ganz neues Erlebnis war. Wichtig war mir dort auch die Gleichsetzung von „Geisteswehen” mit den auf jenen Konferenzen praktizierten gruppendynamischen Experimenten.

Leider war aber auch der Internationale Kongreß für Weitmission, der im Juli 1974 in Lausanne tagte, teilweise durch ein schwärme­risches Verständnis des Heilligen Geistes und durch eine deutliche Öffnung zur “charismatischen Bewegung” gekennzeichnet. Hoffent­lich erweist sie sich nicht eines Tages als eine Brücke zwischen der internationalen Bewegung der “neuen Evangelikalen und dem Weltrat der Kirchen! Es stimmt bedenklich, wenn einer der Führer der amerikanischen “Charismatiker”, der Lutheraner Larry Christen­son, 1974 als Referent nach Lausanne und als Ratgeber für Fragen der Spiritualität nach Nairobi eingeladen wurde.

IV. Die Abwehr des Schwarmgeistes

Wie können wir die schwarmgeistige Bedrohung der Gemeinde abwenden? Durch geistliche Vorbeugung, durch Prüfung der Geister und durch geistlichen Widerstand.

1. Vor allem ist es wichtig, selber ein wahrhaft geistliches Leben zu führen. Das bedeutet, daß wir reichlich und ständig Gebrauch von den Gnadenmitteln machen, durch die der Herr uns seinen Heiligen Geist schenken möchte. Jeder Tag soll mit dem Lesen des Wortes Gottes unter Gebet und persönlicher Beugung beginnen. Laßt uns die Versammlungen der Brüder nicht verlassen. Laßt uns auch treue Gäste am Tisch des Herrn sein. Der Austausch mit erfahrenen Christen, die wirklich im Evangelium verwurzelt sind, kann uns zu immer tieferer Erkenntnis führen, so daß wir dadurch das Echte vom Unechten unterscheiden lernen.

2. Das nächste ist, daß wir den Herrn für seine Gemeinde um die besondere Gabe der Unterscheidung der Gemeinde bitten. Wenn es heute so oft heißt: “Wir brauchen eine Erneuerung der Gnadengaben”, dann würde ich dem im Grundsatz zustimmen. Aber ich würde gleich hinzufügen: Ganz besonders brauchen wir Christen mit der Gnadengabe, die Geister unterscheiden zu können. Nicht jedem wird diese Gabe im Vollsinn geschenkt. Darum sind die übrigen Gemeindeglieder auf den besonderen Dienst der so Ausgerüsteten angewiesen und sollen sie auf ihr Urteil hören. Aber sie sollen es nicht im blinden Vertrauen tun, sondern verantwortlich nachvollziehen. Denn jeder Christ hat die Aufgabe, die Geister zu prüfen. Das Charisma der Unterscheidung ist nur eine besondere, geistlich intuitive ‑Fähigkeit dies zu tun. Aber das Urteil muß in jedem Fall auf Kriterien der Lehre gegründet sein, die allen biblisch verankerten Christen einsichtig sind. Ich möchte vier solcher Kriterien nennen:

a) Für mich fiel das Urteil über bestimmte Vertreter der Pfingstbewegung, als ich feststellen mußte, daß sie den gekreuzigten Herrn nicht predigen. Sie hielten lange Ansprachen; aber vom Kreuze Christi und seinem Blute, von wahrhafter Buße, Vergebung und Gnade war nicht die Rede, sondern immer nur von dem dynamischen Wirken des Heiligen Geistes. Auch hier kann sich der falsche Geist allerdings manchmal verstellen, und zwar dann besonders, wenn er weiß, mit wem er es zu tun hat. Dann paßt er sich in der Sprache der Begriffswelt seiner Hörer an, um diese zentralen Lehrpunkte aber bei nächster Gelegenheit wieder fallen zu lassen, weil sie ihn nicht wirklich bewegen.

b) Ein weiteres Erkennungszeichen ist der Gebrauch der Schrift überhaupt. Viele angebliche Charismatiker predigen ganz unbiblisch. Meist legen sie ihren Ansprachen gar keinen Schrifttext zugrunde. Wenn aber die Bibel doch gebraucht wird, dann sind es immer nur ganz wenige ausgewählte Texte, auf denen man herumreitet. Es wird nicht das biblische Zeugnis in seiner ganzen Fülle ausgebreitet. Das ist auch eine Anfrage an manche erwecklichen Kreise heute. Oft fällt einem auf, daß in ihnen wirkliche Schriftauslegung weitgehend zurücktritt hinter das “persönliche Zeugnis”. Ich habe nichts gegen den rechten Gebrauch des Zeugnisses zur Unterstreichung dessen, was die Schrift uns sagt; aber wo das Zeugnis das Eigentliche geworden ist, da ist das Zentrum verdrängt. Denn das Evangelium verkündet Gottes Heilstat in Jesus Christus, nicht unsere innere Erfahrung.

c) Auch eine ungesunde Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) kann ein Erkennungszeichen sein. Oft spielt die Vorstellung von der vorzeitigen Entrückung der Brautgemeinde Jesu vor der großen Trübsal und dem Erscheinen des Antichristen eine große Rolle. Sie habe ich schon im Schrifttum der ersten Pfingstbe­wegung gefunden, und auch heute ist sie wieder da. Nur wenige wissen, daß diese unbiblische Lehre früheren Generationen der Christenheit unbekannt war. Erst im Jahre 1830 hat ein in der schwarmgeistigen Bewegung des Irwingianismus stehendes schotti­sches Mädchen, Margaret Campbell, sie in einem privaten Offenbarungserlebnis­ empfangen! Durch Darby ist diese Idee dann in den angelsächsischen Neupietismus eingeschleust worden. Ich halte sie für eine ganz verhängnisvolle Irrlehre. Denn die Konsequenz der Hoffnung auf die vorzeitige Entrückung ist ja, daß man nicht mehr wachsam gegen den Geist der Verführung ist. Man glaubt dann nämlich, daß die Gemeinde dem kommenden Antichristen gar nicht mehr begegnen werde. Christen dieses Irrglaubens werden ihm aber um so sicherer auf den Leim gehen.

d) Die Frage nach der Demut bildet ein wichtiges Kriterium der Geistesprüfung. Allerdings kann sich auch schwarmgeistige Anmaßung unter einer Decke scheinbarer Demut verbergen. Ist der Betreffende bereit, seine Lehre biblisch berichtigen zu lassen? Oder aber ist er völlig unnachgiebig und wiederholt zunächst liebenswürdig, dann immer fanatischer ‑ was er schon als seine besondere Lehre dargelegt hat? Kann es unter Umständen sogar dazu kommen, daß er, wenn man ihn wirklich grundlegend in Frage stellt, explodiert? Ein solch jäher Zornesausbruch könnte sehr wohl eine Selbstenthüllung des falschen Geistes sein.

3. Schließlich ist die Wachsamkeit sowie die Bereitschaft zum Kampf und Widerstand als Mittel zur Abwehr der schwarmgeistigen Bedrohung zu nennen. Die Gemeinde Jesu Christi war in ihrer Geschichte vom Schwarmgeist stets gefährdet und ist es auch heute. Aber in der Endzeit wird diese Bedrohung wachsen. Satan hat viele Weisen, die Gemeinde Jesu anzufechten und zu versuchen.

Für die einen reicht der äußerliche Materialismus und der Sex völlig aus, um sie vom Glauben abzuziehen. Für die anderen ist die Unterminierung des Vertrauens in die Gültigkeit der Heiligen Schrift die tödliche Einbruchsstelle. Anderen wiederum wird die Öffnung zu den mystischen Religionen des Ostens zur Verlockung. Man sagt ihnen, Christus habe sich auch im Hinduismus und Buddhismus geof­fenbart. “Wir brauchen einen größeren Christus”, heißt es heute in der Ökumene. Einige wähnen sogar, ihn in den Revolutionen zufinden und verschreiben sich so dem Marxismus.

Es gibt Christen, die gegenüber dem allen gefeit erscheinen. Sie sagen nein zum Materialismus und zur sexuellen Welle. Sie lehnen die Schriftkritik und auch die genannte Art von ökumenischer Be­wegung ab. Aber doch sind sie merkwürdig schutzlos gegenüber der allersublimsten, nämlich der schwarmgeistigen Versuchung durch den Widersacher, der umhergeht “wie ein brüllender Löwe, suchend welchen er verschlinge“.

Ich möchte deswegen abschließen mit einem Bilde, um gerade dies noch einmal deutlich zu machen. Ich habe das Gleichnis von 1. Petrus 5, 8 neu verstanden, als ich einmal in einem afrikanischen Wildpark bei Nairobi gesehen habe, wie Löwen wirklich jagen. Der Löwe, d.h. das Löwenmännchen, jagt gar nicht selber. Er ist ‑ abgesehen von seiner Fortpflanzungspflicht ‑ ein faules Tier. Meist liegt er nur und läßt sich bedienen. Er ist im allgemeinen Polygamist und hat vier oder mehr Frauen. Es sind die Löwinnen, die auf die Jagd gehen. Sie veranstalten gemeinsam ein Kesseltreiben. Sie streifen aus und jagen die Gazellen oder Antilopen vor sich her. Wenn ein Beutetier in genügende Nähe zu dem auf der Lauer liegenden Löwen gekommen ist, dann erhebt dieser sich, schüttelt seine Mähne und stößt ein furchtbares Gebrüll aus. Das bringt das gejagte Tier ins Erschrecken. Es schlägt einen Haken um 180 Grad und läuft nun den Löwinnen, die nur darauf gewartet haben, todsicher in die Pranken hinein. Es warten also mehrere Löwinnen.

Auch der Satan hat mehrere, verschiedene Weisen, uns zu verführen. Es kann sogar sein, daß eine Bewegung, die uns in rechter Weise vor bestimmten antichristlichen Gefahren unserer Zeit warnt, selber Trägerin einer andersgestaltigen, widergöttlichen Gefahr ist. Es klingt ungeheuerlich: Wir mögen vor bestimmten Verführungen durch Menschen gewarnt werden, die ihrerseits selber Verführer anderer Art sind! Das ist die allersublimste und verfeinertste Form der endzeitlichen Versuchung der Gemeinde Jesu. Unsere Situation wäre geradezu hoffnungslos, wenn nicht Christus seinen Beistand durch seinen Heiligen Geist denen verheißen hätte, die ihm wirklich treu nachfolgen und bereit sind, mit ihm zu wachen.

Letztlich müssen ja nicht wir selber den Versucher überwinden, sondern Jesus Christus, unser Herr, hat es bereits getan. Er steht für uns ein, er begleitet uns, er kämpft für uns. Aber es gilt, uns Tag für Tag erneut unter die Bedeckung seines Blutes zu stellen und ihn zu bitten, uns auf das aufmerksam zu machen und davor zu schützen, was wir in der heutigen Zeit als Bedrohung erkennen müssen. Nur so können wir durch den schwarmgeistigen Nebel unserer Zeit hindurchdringen, um in Ihm den Sieg zu erlangen.

Weitere Beiträge von Prof. Dr. Peter Beyerhaus auf meiner Webseite:

1. Die okkulte Welle
2. Völker in heilsgeschichtlicher Sicht

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Magie (R.Kriese)

Richard Kriese

Die Magie ‑ Experiment mit dem Übersinnlichen?

 

Die »magische Welle« scheint die erotische abzulösen. Immer mehr Menschen tragen magischen Schmuck und wollen wissen, wie man sich vor Gefahren schützen kann. Die »magische Welle« umspült den amerikanischen Kontinent gleichermaßen wie das »alte Euro­pa«. In Kalifornien sind Magic‑Shops bereits an der Tagesordnung. In Frankreich ist man sicher, daß die Sex‑Shops bald den Magie‑Shops Platz machen werden. In der Bundesrepublik gibt es heute rund 600.000 aktive Hexengläubige, und 2 Millionen ‑ so schätzt eine Journalistin ‑ lassen sich bei Erkrankungen regelmäßig von Wunderheilern und Hexenbannern helfen.

Während eine bestimmte theologische Richtung allen Ernstes meint, unseren Zeitgenossen dürfe man nichts zumuten, was sich nicht rational erklären läßt, ist Hexerei in manchen Stu­dentenkreisen große Mode geworden; vielleicht deshalb, weil in ei­nem französischen Bestseller unter dem Titel »Aufbruch ins dritte Jahrtausend« folgende Sätze zu lesen sind: »Unsere Betrachtung der Gegenwart und der nahen Zukunft führt da, wo man im allgemei­nen nur mit rationalen Begriffen zu arbeiten gewohnt ist, zum Be­griff des Magischen. ‑ Alles, was uns dienen kann . . . ist uns will­kommen.«

Magisches Denken ist nach den Feststellungen des Wissenschaftlers Richard Cavendish nicht ungeordnet und ziellos, sondern hat eigene Gesetze und eine eigene Logik, wird aber mehr von den Emo­tionen als von der Vernunft bestimmt. Er meint:

»Magie ist heute lebendig in Europa und hat im Lauf der letz­ten hundert Jahre mehr Anhänger gefunden als jemals seit der Renaissance. Niemand hält sich für einen schwarzen Magier. Moderne Okkultisten nehmen für sich in Anspruch, hoch­herzige weiße Magier zu sein, gleichgültig, welchen Über­zeugungen und Praktiken sie folgen. Sie würden nie zugeben, zu der finsteren Wissenschaft des Feldes zur Linken zu gehö­ren.«

Es kann jetzt nicht darum gehen, auf der »magischen Welle« zu rei­ten, wie das die Massenmedien bereits seit längerer Zeit tun. Hörerbriefe haben uns längst gezeigt, daß Aberglaube, Magie und Spiri­tismus lautlos das öffentliche und private Terrain erobern und dabei die psychische Landschaft in ein Katastrophengebiet verwandeln. Zu lesen war:

»Mit zwölf Jahren wurde ich magisch besprochen. Ich hatte ein Geschwür am rechten Auge. Das Geschwür war weg, aber ich habe entsetzliche Zustände bekommen, von denen allerdings meine Eltern nichts erfahren haben. Ich hatte nachts keine Ruhe und sah scheußliche Gestalten. Meine Schwester, die bei mir schlief, sagte: >Zieh doch die Decke über dich, damit du nichts siehst.< Ich konnte ihr nur sagen: >Ich sehe es auch unter der Decke.< Schließlich bin ich zu mei­nen Eltern gegangen und sagte: >Ich bleibe nicht mehr drü­ben, ich sehe die entsetzlichen Gestalten.<«

In einem andern Brief standen diese Sätze: »Als ich noch trank, habe ich im 7. Buch Mose gelesen. Das belastet mich heute noch. Ich komme mit Christus nicht ganz klar und bitte um Ihre Hilfe.«

Solche und ähnliche Zuschriften zeigen uns, daß wir es bei der »ma­gischen Welle« nicht mit einer Modeerscheinung zu tun haben, sondern mit einer weiteren Sturmspitze der okkulten Invasion.

Die Magie will mit geheimnisvollen Mitteln auf außersinnlichem Wege sowohl den organischen als auch den anorganischen Bereich erkennen und beherrschen. Wie das im Detail geschehen kann, will das sogenannte 6. und 7. Buch Mose zeigen. Es handelt sich dabei um ein Zauberbuch, das mit den biblischen fünf Büchern Mose nichts zu tun hat, auch wenn gelegentlich darin verstümmelte Bibelworte zitiert werden.

Das 6. und 7. Buch Mose ist eine Sammlung alter Zauberformeln und unverständlicher Beschwörungsriten. Es enthält Anweisungen für Rache‑, Fruchtbarkeits‑ und Krankheitszauber und ist angefüllt »von ekelerregenden Praktiken, von primitiven, automatisch wirkenden Sprüchen und absurden Zauberriten«. Noch einmal: Dieses Buch hat mit der Hei­ligen Schrift nichts zu tun. Leider gibt es Menschen, die sich irritie­ren lassen und meinen, Mose habe gottesfürchtige Männer ein Buch schreiben lassen, um Hexen, Zauberer und Menschen, die mit dem Teufel im Bunde stehen, durch wirksame Gegenzauberrezepte un­schädlich zu machen. Das ist ein verhängnisvoller Irrtum. Niemand sollte sich mit der Lektüre des 6. und 7. Buches Mose beschäftigen oder gar dieses Buch besitzen, auch wenn es mit den Sätzen ange­kündigt wird: »Wer hat nicht schon von den geheimnisvollen Bü­chern Moses gehört? Das Buch der größten, wundersamsten Ge­heimnisse zur Erlangung von Glück und irdischen Gütern. Uralte Rezepte und Hausmittel verheißen ewige Jugend, Schönheit, Fruchtbarkeit und geben Hinweise gegen Krankheit und Gebre­chen bei Mensch und Tier«.   –  Finger weg von dieser Lektüre! Wer sie hat, sollte sie verbrennen.

In einer Hörerzuschrift war zu le­sen: »Das ist furchtbar, wenn man das 7. Buch Mose im Hause hat. Wir haben alles mögliche getan, sogar Tote heraufgeholt, lauter böse und furchtbare Dinge! Im 7. Buch Mose steht alles drin, was man einem Menschen Böses antun kann.«

In einem andern Brief standen diese Sätze: »Unser Urgroßvater besaß das 6. und 7. Buch Mose und soll danach auch praktiziert haben. Ich selbst hatte vor Jahren oft unter Angstzuständen zu leiden. Ich fürchtete, daß aus mei­nem Leben nichts werden könnte und wagte nicht zu heira­ten. Ich brauchte lange, bis ich zur Heilsgewißheit kam.«

Okkulte Literatur ist nicht minder gefährlich, selbst wenn sie unter vielversprechenden Titeln erscheint wie »Leben nach dem Tod?«, »Herrlich‑wahre Bibelwunder« oder »Die Seele als schöpferische Kraft im Menschen«. Hart daneben werden Bücher empfohlen, die eindeutig aus dem okkulten Raum kommen: »Magnetismus ‑ das Urheilmittel«, »Richtig Kartenlegen leicht gemacht«, »Die Aussendung des Astralkörpers«.

Ein Medizinstudent, der sich mit ok­kulter Literatur beschäftigte, schrieb mir: »Zu meinem allergrößten Erstaunen fand ich solche magi­schen Methoden darin, die genau zu den selbst an mir erleb­ten Symptomen paßten . . . Es begannen jetzt Geisterer­scheinungen, die mir eine furchtbare Angstneurose einbrach­ten.«

Das Wort Magie ist gleichbedeutend mit Zauberkunst, Geheim­kunst, ist vom griechischen mageia abgeleitet, wörtlich übersetzt: Zauberei, Gaukelei, Blendwerk. Der magos ‑ der Magier ‑ ist der Wahrsager, Zauberer und Gaukler. Diese kleine sprachliche Untersuchung zeigt übrigens, wie gera­dezu untrennbar okkulte Praktiken miteinander verzahnt sind, gleichgültig, ob sie aus dem Bereich des Aberglaubens, der Magie oder des Spiritismus kommen.

Man unterscheidet zwei Formen der Magie: die Schwarze und die Weiße Magie. Bei der Schwarzen Magie verwendet man für den Zauberspruch und die magische Handlung die Anrufung des Teu­fels oder der Dämonen. Der Zauberspruch, mit dem die magische Wirkung ausgelöst werden soll, ist ein Gegenstück zum Bibelwort. Dazu kommt dann die Symbolhandlung und die Verwendung eines Fetischs, also eines Stoffes, von dem man weiß, daß er kraftgeladen ist. Die Weiße Magie dagegen verwendet die drei höchsten Namen und zitiert Bibelworte.

Susan Roberts, die das Buch schrieb »Hexen, USA« meint, daß sich die überwiegende Mehrzahl der amerikanischen Okkultisten der »Weißen Magie verschrieben« habe und »mildtätig« sei. Allen He­xen gemeinsam sei der Glaube an negative oder positive »Vibrationen«, die jeder Mensch mehr oder minder stark ausstrahle. In einer deutschen Tageszeitung, die einen Artikel mit der Überschrift ver­öffentlichte »Tausende von Hexen leben in den USA« war zu lesen: »Sie führen ein unauffälliges Leben als Ingenieure, Hausfrauen, Rechtsanwälte oder Politiker, in Wirklichkeit aber sind sie Okkulti­sten.

Einzelne Teilgebiete der Magie sollen nunmehr kurz umrissen werden.

Der Fetischismus
Das Wort »Fetisch« ist vom lateinischen »facti­tius« abgeleitet und bedeutet: Zauberhaft wirksam, künstlich gemacht. Der Fetischismus schreibt leblosen Gegenständen überna­türliche Kräfte zu. Sie können künstlich hergestellt werden. In vielen Fällen aber handelt es sich um Steine, Geräte verschiedenster Art und Figuren in Menschengestalt. Früher meinte man, den Fetischismus durch den Glauben an Geister erklären zu können, die an­geblich im Fetisch wohnen; heute ist man der Ansicht, daß der Fetisch aufgrund seiner besonderen Eigenschaften mit Macht‑Mana­ geladen ist.

Auch das Amulett gehört zum Fetischismus. Es handelt sich dabei um einen kleinen Anhänger, der mit Geheimzeichen oder einer Inschrift versehen ist. Er soll den Träger schützen und ihm Kraft ge­ben. Das Amulett besteht aus Nachbildungen von menschlichen Körperteilen, Münzen oder symbolischen Darstellungen von Sonne und Mond.

Ebenso sollen Talismane Unheil abwehren. Das Wort Talisman ist von dem arabischen tilasmun abgeleitet. Man versteht darunter ein magisches Bild mit geheimnisvollen Buchstaben. Meist ist es ein kleiner Gegenstand, der vorwiegend am Körper getragen wird und Glück anziehen soll.

Es ist übrigens wahrscheinlich, daß der Hufeisen‑Aberglaube mit dem früheren, weitverbreiteten Hexenglauben zusammenhängt. »Da auch geglaubt wurde, Hexen fürchteten Pferde, nahm man an, ein Hufeisen an der Tür des Hauses böte Schutz, daß schon sein bloßer Anblick die Hexen vertreibt. Das Hufeisen galt stets als glückbringend. Seine Form war die des aufgehenden Mondes, in dem man früher ebenfalls etwas Glückversprechendes sah«.

Tätowierungen. Das Wort Tätowierung ist von einem polynesi­schen Wortstamm abgeleitet. In Tahiti bedeutete das »tau‑tau« ein Zeichen jeder Art. Die Tätowierung durch Farbzeichen oder Schmucknarben ‑ oder wie heutzutage durch kleine, mit einem Farbstoff gefüllte Hautpunktierungen ‑ ist ein alter und verbreiteter Brauch. Aus folgenden Gründen ließ man sich tätowieren:

1. Aus Furcht vor dem Unbekannten. Tätowierungszeichen waren eine Art Zauber, der den Menschen vor dem bösen Blick und vor Krankheit schützen sollte. Tätowierungen wurden benutzt, um übernatürliche Gefahren abzuwehren.

2. Erotische Wünsche. Man sah im Tätowieren ein wirksames Mit­tel zur Erhöhung der Männlichkeit und der Anziehungskraft auf das andere Geschlecht.

3. Um einen bestimmten Stand zu kennzeichnen. Tätowierungen wurden als Stammeszeichen, als Berufskennzeichen, als Zeichen des Ranges oder der Kaste und als Zeichen dafür verwendet, ob ein Mann oder eine Frau verheiratet waren oder nicht.

4. Als Zeichen der Tapferkeit. Manchmal dienten Tätowierungen als Tapferkeitszeichen und sollten beweisen, daß der Betreffende große Schmerzen ertragen konnte.

5. Als künstlerisches Experiment. Manche Völker gestalteten bei ihren künstlerischen Versuchen nicht nur Steine oder Holz, son­dern benutzten ebenso den Körper des Menschen.

6. Tätowierungen waren ein bleibendes Kennzeichen in Kriegszei­ten. An seinen Tätowierungen konnte ein Soldat auf dem Schlachtfeld leicht wiedererkannt werden, gleichgültig, ob er noch lebte oder schon tot war.

7. Als Ausdruck einer religiösen Überzeugung. Die Hindus von Bengalen glaubten, daß ein Mensch ohne Tätowierungen kaum im Jenseits Aufnahme findet.

Wer zu Jesus Christus gehört, sollte sich nicht tätowieren lassen. Die Bibel verbietet das. Gott läßt dem alttestamentlichen Israel sagen: »Ihr sollt euch am Leibe keine Einschnitte machen wegen eines Toten und keine Tätowierung anwenden« (3. Mose 19, 28). Ebenso wird in 3. Mose 21, 5 gesagt, daß man sich kein »Mal stechen lassen« darf, also keine Tätowierungen; denn sie sind Ausdruck des Aber­glaubens, Zeichen der Eitelkeit und hinterlassen nicht zuletzt blei­bende Merkmale, die sich nur operativ entfernen lassen.

Im gewissen Sinne gehört auch das Friedenszeichen in den Bereich der Magie. Gemeint ist ein auf dem Kopf stehendes abgewinkeltes Kreuz. Dazu einige geschichtliche Hinweise. Der eigentliche Ur­sprung des auf dem Kopf stehenden Kreuzes geht auf das erste Jahr­hundert nach Christus zurück. Es ist auch bekannt als Petrus‑Kreuz mit abfallenden Balken oder als Todesrune. Kaiser Nero, der es entwerfen ließ, wollte damit seine Respektlosigkeit Gott gegenüber bekunden. Seit dieser Zeit ist es als »Nero-Kreuz« oder als Zeichen der besiegten Juden bekannt.

Im Jahre 711 fielen die maurischen Horden in Spanien ein und rich­teten ihr antigöttliches Herrschaftsreich auf. Auf dem Schild der Eroberer befand sich dieses Kreuz. Francesco Mario Gauzzo be­zeichnet das Symbol in seinem »Compendium Maleficarum« im Jahre 1608 als Hexenfuß. Während des spanischen Bürgerkrieges brannte man dieses Abzeichen den Zigeunern und Juden auf den Körper und brandmarkte sie damit wie zur Zeit der Inquisition.

Dr. Gerhard Encausse bezeichnet es in »Wissenschaft und Okkul­tismus« als das beliebte Symbol der Anhänger Satans aller Jahrhunderte. Es verhöhnt den allmächtigen Gott und setzt das Vertrauen auf den Teufel. Anton Lavey, ein Anbeter des Teufels, erklärte im November1968: »Die Masse, die dem Bösen anhängt, verkehrt das Vaterunser, vermischt es mit Obszönitäten und tritt das Kreuz Christi mit Füßen oder hängt es auf den Kopf gestellt auf.« Es gibt Nichtchristen, die in diesem Zeichen des nach unten abgewinkelten Kreuzes ein geheimes Symbol sehen, um ihre antichristliche Ein­stellung kundzutun.

Viele glauben, dieses Symbol sei am 21. Februar 1958 als Emblem für den Osterfriedensmarsch in England entworfen worden. Andere meinen, es sei erstmals im Zusammenhang mit der Aktion »bann the bomb« verwendet worden, einer Bewegung gegen den Gebrauch von Atomwaffen. Bertrand Russell, englischer Mathe­matiker und Philosoph, Gründer dieser Bewegung und bekannt durch seine antigöttliche Einstellung, gab selbst einmal zu, mit dem Satan verbündet zu sein.

Diese Informationen sind nicht unwichtig. Man sollte wissen, was das Friedenszeichen denen bedeutet, die es tragen. Wirklicher Friede wird nicht durch ein Symbol erreicht oder durch eigene Vor­stellungen, sondern allein durch das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus. Die Bibel sagt,: »Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.« Über die Bedeutung dieses Friedens durch das Kreuz braucht niemand im unklaren zu sein. Das Kreuz bedeu­tet für den Menschen, der sich entschlossen hat, Jesus Christus nachzufolgen: Das Ich muß sterben, und das Leben muß dem Frie­densbringer, nämlich Jesus Christus, zum Eigentum ausgeliefert werden.

Jesus bringt einen Frieden, der von innen nach außen geht. Darum sagt er: »Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.« Die Sehnsucht nach Frieden wird niemals dadurch ge­stillt, daß man das Kreuz Christi verleugnet, an dem er gestorben ist, sondern dadurch, daß man sich ihm anvertraut und dadurch den Frieden mit Gott bekommt. Junge Leute, die bewußt ihr Leben an Jesus Christus abgegeben haben, sollten niemals ein auf dem Kopf stehendes abgewinkeltes Kreuz tragen; nicht zuletzt deshalb, weil es auch okkulte Bedeutung hat.

Neben den Himmelsbriefen, die vor Unglück schützen sollen, und den Brandbriefen, die angeblich Feuerbrände verhindern können, gibt es Kettenbriefe. Diese anonymen Briefe, die dem Empfänger allerlei gute Dinge versprechen für den Fall, daß er den Inhalt abschreibt und an andere verschickt, sollte man schleunigst und ohne Zögern in den Papierkorb werfen, wo immer man ihnen begegnet.

Seit einiger Zeit werden »Kettenbriefe für Gebetserweckung« ver­schickt. Zu lesen ist: »Bitte, bete für eine durchgreifende Erwec­kung in Deutschland und in der ganzen Welt. Bete, daß du kein Hindernis für eine Erweckung wirst, sondern ein Werkzeug in der Hand Gottes. Brich diese Gebetskette nicht. Sieben Tage sollst du besonders für diese Sache beten. Sende bitte eine genaue Abschrift dieses Briefes innerhalb von vier Tagen an vier Freunde, von denen du glaubst, sie könnten dieses wichtige Gebetsanliegen ebenfalls durch ihr Gebet unterstützen. Vergiß den Namen nicht anzugeben, der diesen Brief geschrieben hat. Wir wollen einen Gebetskreis um die Welt errichten. Wir glauben an eine Erweckung durch Gebet.Gott segneHerzlichen Gruß.« dich!

Wir sollten uns über jeden freuen, der um ein geistliches Erwachen betet, nicht zuletzt deshalb, weil auch der deutschsprachige Raum eine Erweckung bitter nötig hat. Es ist schon eine gute Sache, wenn man die Beter mobilisiert. Aber muß das denn in dieser Form geschehen? Alle, die sogenannte »Kettenbriefe für Gebetserweckung« weiterleiten, sollten über fünf Punkte sorgfältig nachdenken:

1. Laut § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 286 des Strafgesetzbuches ist es unzulässig, Kettenbriefe im sogenannten Schneeballsystem zu verschicken. Schneeballsystem meint eine Praxis, bei der Briefempfänger an mehrere andere Adressen den gleichen Brief bzw. Karte mit gleichem Inhalt ver­sendet. Die Post befördert keine Karten und Briefe des Schneeballsystems.

2. Warum bleiben diese Kettenbriefe weithin anonym? Menschen, die sich öffentlich zu Jesus Christus bekennen, haben das nicht nötig.

3. Sogenannte Kettenbriefe erinnern an Kettenbriefe aus dem ok­kulten Bereich. Es ist nicht einzusehen, warum sich ein geistli­ches Anliegen einer Form bedienen soll, die an Magie erinnert.

4. Warum wird man in diesen Kettenbriefen für Gebetserweckung aufgefordert, nur während einer bestimmten Anzahl von Tagen zu beten? Das Neue Testament kennt das anhaltende Gebet. Das gilt ganz gewiß auch für die Bitte um ein geistliches Erwachen. Sollte nicht jeder, dem die Sache des Reiches Gottes am Herzen liegt, täglich darum beten, daß Gott uns eine Erweckung schenkt, anstatt dieses Gebet nur auf sieben Tage zu beschrän­ken?

5. Offen bleibt auch die Frage, warum man den Kettenbrief für Ge­betserweckung nur an vier Personen weiterleiten soll. Warum nicht an zehn oder zwanzig?

Solange diese Fragen ungeklärt sind, sollten Kettenbriefe für Ge­betserweckung nicht weiterverschickt werden. Es gibt eine ebenso wirksame und ‑ wie ich meine ‑ bessere Form, Beter zu mobilisie­ren. Das kann geschehen durch Rundbriefe, in Kanzelankündigungen, in christlichen Zeitschriften und nicht zuletzt systematisch in Gebetsstunden und Hausbibelkreisen. Geistliche Anliegen sollten richtig verpackt werden, damit es weder Missverständnisse noch Verwechslungen gibt.

Die häufigste Form der Magie ist das Besprechen der Krankheiten. Die seelsorgliche Korrespondenz scheint das zu bestätigen. Zu lesen war:

»Ich hatte die Pocken. Der Arzt gab mich auf, und darum wurde ich immer wieder zu einem Mann gebracht, der >pu­sten< mußte. Man wollte mich retten. Meine Mutter lag zu dieser Zeit im Krankenhaus. Wenn ich an Evangelisationen teilnehme, kann ich mich einer inneren Unruhe, der Angst sowie Lästergedanken nicht erwehren. Ich fühle mich vom Schicksal zurückgesetzt. Die Anklagen gegenüber Gott hö­ren nicht auf. Ich habe ein Verhältnis zu einem Mann. Meine Not habe ich oft durch Alkohol überwinden wollen.«

In einem anderen Brief wird gefragt: »Eine gläubige Frau riet mir, immer dann, wenn mich die körperlichen Schmerzen plagen, sofort die Bibel auf die schmerzende Stelle zu legen und die drei höchsten Namen auszusprechen. Der Schmerz verschwinde dann sofort. Ist dieser Rat richtig?«

In einer anderen Zuschrift standen diese Sätze: »Als Kind brachte man mich zu einem Schäfer, weil sonst mein Rücken schief geworden wäre. Das hatte aber schlimme Folgen. Schon als Kind habe ich unsittliche Handlungen be­gangen. Mein Vater hat sich das Leben genommen, als ich noch Schulkind war.«

Solche und ähnliche Zuschriften beweisen, daß magische Experi­mente selbst dann, wenn man sie mit einem frommen Vorzeichen versieht, alles andere als harmlos sind. Das sollten wir wissen, magi­sches Besprechen meiden und andere davor warnen. Seelsorger wis­sen längst, daß Menschen, die magisch besprochen worden sind, große Schwierigkeiten zu überwinden haben, wenn sie sich für Jesus Christus entscheiden wollen. Solche, die dem auferstandenen Herrn gehören, aber beharrlich verschweigen, daß man sie magisch besprochen hat, kommen auf geistlichem Gebiet nur mühsam vor­wärts. In beiden Fällen ist vollmächtige Seelsorge nötig. Der Sohn Gottes ist gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören (1. Joh. 3, 8). Das gilt auch für das weite Feld magischer Experimente. Wer sich Jesus Christus anvertraut, wird von okkulten Belastungen frei.

Darum noch einmal: Niemand sollte in ein magisches Besprechen einwilligen ‑ auch Brauchung oder Böten genannt ‑, selbst dann nicht, wenn man dabei die drei höchsten Namen anruft und angeb­lich segnet. Dadurch entstehen Kontakte zur Dämonie, die sich in jedem Fall verhängnisvoll auswirken.

Gelegentlich wollte man in der Rundfunkseelsorge wissen, ob man im Krankheitsfall »gesegnete Tüchlein«benutzen darf. Angeblich können dadurch Kranke geheilt werden. Dem Brief waren zwei »gesegnete Tüchlein« beigefügt. Die Frage war also keineswegs konstruiert oder an den Haaren herbeigezogen; es han­delte sich um ein ernsthaftes Anliegen eines leidenden Menschen.

»Gesegnete Tüchlein« sollte man weder auf die kranke Stelle legen noch tragen und auch nicht während des Gebets benutzen. Zur Begründung vier Gesichtspunkte:

1. Es gibt in der ganzen Heiligen Schrift nur eine einzige Stelle, in der von Schweißtüchern die Rede ist, und zwar in Apostelgeschichte 19, 11. Dort steht: »Und Gott wirkte ungewöhnliche Dinge durch die Hände des Paulus, so daß man sogar Schweißtü­cher oder Schurze, die er auf seiner Haut getragen hatte, nahm und auf die Kranken legte, worauf die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren.« Es handelt sich hier um eine Ausnahmesituation ‑ um »ungewöhnliche Dinge«, die niemals zur Regel gemacht werden dürfen.

2. Die Schweißtücher und Schurze des Apostels Paulus waren kei­neswegs »gesegnete Tüchlein«.

3. Nirgends wird in der Bibel empfohlen, »gesegnete Tüchlein« zu verschicken.

4. Solche Praktiken grenzen an magisches Denken.

Zur Krankenheilung, die in der Vollmacht unseres auferstandenen Herrn geschieht, dürfen wir uns uneingeschränkt bekennen. Andererseits sollten wir nicht vergessen, daß unser Herr solche, die er nicht heilt, befähigen kann, ihn trotz körperlicher Beschwerden glaubensfroh zu bezeugen.

Die Teufelsanrufung und Blutsverschreibung.

In einem Brief war zu lesen: »Vor etwa 15 Jahren habe ich Gott abgesagt und den Teufel auf den Knien um eine diesseitige Freude gebeten. Die Freu­de, die ich erwartet hatte, habe ich nie bekommen. Ich wurde immer unwilliger, unzufriedener und unruhiger. Das stei­gerte sich im Laufe der Jahre über Lüge und Selbstbefriedi­gung bis hin zu Selbstmordgedanken.«

Jemand, der seelsorglich zu helfen hatte, schrieb: »Sie hatte es schwer, zur Heilsgewißheit zu kommen. Ursa­che: In der Jugend den Teufel angerufen. Anschließend Abtreibungen. Weitere Folgeerscheinungen: Wenn sie betet, meint sie, ein Lachen zu hören, etwas Unheimliches kommt an sie heran.«

Man ruft den Teufel an oder verschreibt sich ihm, um ganz sicher zu sein, daß ein bestimmter Wunsch in Erfüllung geht. Ich entsinne mich an ein seelsorgliches Gespräch, in dem mir jemand sagte, er habe den Teufel gebeten, dafür zu sorgen, daß er im Blick auf die Entscheidung für Jesus Christus nicht mehr beunruhigt werde. Was dann geschah, war entsetzlich: Dämonenerscheinungen und Depressionen führten zu Selbstmordabsichten.

Mehrmals habe ich festgestellt, daß Menschen, die den Teufel anru­fen oder sich ihm verschreiben, den Namen Jesus nicht aussprechen können. Jeder Seelsorger sollte wissen, daß man solchen Menschen im Alleingang nicht helfen kann. Wenn aber andererseits Beter ge­willt sind, zu fasten und zu beten, werden auch solche, die sich dem Teufel verschrieben haben, durch die Kraft des auferstandenen Herrn frei.

Zur Magie gehört auch der Liebeszauber.

Dazu ein Pressebericht: »Mit grinsender Fratze kommt Nacht für Nacht ein ekelhaftes Wesen in Männergestalt in das Schlafzimmer von Barbara H. und legt sich zu ihr ins Ehebett. Die Frau will sich wehren. Sie will laut aufschreien. Sie will ihren Mann wecken . . . Vergebens! Sie liegt wie gebannt da.«

Telepathischen Beischlaf hat man das genannt. Rational läßt sich das alles zwar nicht erklären, wird aber in der Seelsorge gelegentlich er­wähnt. Dazu ein Briefauszug:

»Der Schwiegervater und seine Schwester betreiben die Schwarze Magie. Die Auswirkungen sind: Angst, Unruhe, Verkrampfungen, freitags quälende Kopfschmerzen und Würgen am Hals. Das Schlimmste: Während des Schlafs werde ich von sexuellen Mächten überfallen. Die Auswir­kungen kann ich gar nicht beschreiben . . . . Mein Mann wird von sexuellen Zwangsgedanken umgetrieben; obschon er gewisse Dinge nicht tun will, muß er sie tun. Das ist schlim­mer als eine Vergewaltigung. Ich werde von großen Schmer­zen gepeinigt.«

Der Nervenarzt wird in solchen Fällen neurotische Störungen ver­muten, der Tiefenpsychologe sexuelle Verdrängungen, der Parapsychologe mediale Fähigkeiten oder Suggestion. Gewiß läßt sich medizinisch und tiefenpsychologisch manches aufhellen, das eine und andere in psychotische Krankheitsbilder einordnen ‑ aber eben nur teilweise.
Es bleibt ‑ ein ungeklärter Rest.
Seelsorger sind gut beraten, wenn sie die Wirklichkeit der Dämonie ernst nehmen, zu­gleich aber in der Kraft des auferstandenen Herrn die Erlösung durch das Blut Jesu bezeugen und den Weg zur Befreiung zeigen. Dämonische Mächte müssen weichen, wenn ein Mensch zu Jesus Christus umkehrt, seine Sünde erkennt, bekennt, haßt und läßt ‑ also alle Brücken zum Okkultismus abbricht ‑ und teuflische Belastungen in der Kraft des Blutes Jesu abwehrt. Das gilt für den Blut­zauber und den Bildzauber, den Abwehrzauber und Verfolgungszauber in gleicher Weise.

Der Abwehrzauber ist ebenfalls eine Anwendungsform der Magie. Ein Medizinstudent hat uns wie folgt geschrieben:

»In meiner Verzweiflung kaufte ich mir Magiebücher und be­trieb selbst Magie. Zunächst verstärkte ich meine magischen Trainingsmethoden und erreichte mit magischen Feuerritu­alen, daß der Einfluß der Wirtin völlig gebrochen wurde. Es gelang mir, nach einer Zeit den Einfluß auszuschalten. Doch begannen jetzt Geistererscheinungen, die mir eine furchtbare Angstneurose einbrachten. Der Psychotherapeut hat mir be­stätigt, daß es sich um Einfluß von Hexerei handelt.«

Der Blutzauber. Man geht davon aus, daß eine Hexe ihre Macht verliert, wenn man sie bis aufs Blut schlägt. Um gefährliche Körperverletzungen zu vermeiden, werden kranke Tiere solange ge­prügelt, bis das Blut spritzt.

»Noch heute werden Katzen zu Tode geprügelt, weil nach Ansicht ostfriesischer Frauen eine Hexe sich in eine Katze verwandeln kann. Oder die Hexenbanner versuchen, sie auf magische Art zu töten. Eine Frau in Cappeln bei Schleswig stellte das so an, daß sie aus ei­ner Apotheke »Teufelsdreck« (Asa Foetita) kaufte, eine aus Harz gemischte übelriechende Masse, auf eine Schaufel mit glühenden Kohlen legte und das räuchernde Zauberzeug siebenmal um einen Stuhl trug, auf der ihr verhextes Kind saß. Die Frau hatte eine Nachbarin im Auge, die durch bösen Blick das Kind »vergiftet« hat­te. Als das Kind wieder gesund geworden war, nahm sie sich die »Hexe« persönlich vor. Sie hatte einen Topf mit Milch auf dem Feuer verkochen lassen. Sie war fest davon überzeugt: Wenn der Topf platzte, mußte auch die teuflische Hexe platzen«.

Mit dem Satz »jetzt mal kräftig lachen« ist es nicht getan. Gewiß gibt es auf diesem Gebiet viel dummes und ungereimtes Zeug; wahrscheinlich, weil Satan den Leuten einreden möchte: »Alles Un­sinn.« In vielen Fällen ist das auch so ‑ aber eben nicht in allen. Die verschiedenen Formen der Zauberei ‑ das bestätigen Afrika‑Mis­sionare ‑ zeigen mitunter Wirkungen, die sich in den Schubfächern dreidimensional orientierter Begriffe nicht unterbringen lassen.

Auf den Bildzauber trifft man auch im deutschsprachigen Raum.

Aus Lumpen, Heu, Papier und Wachs hergestellte Puppen sollen die Hexen darstellen. Man klebt ihnen den vollen Namen ‑ meist sind es Namen sogenannter übelwollender Nachbarn ‑ auf die Brust, kocht sie in Wasser und schlägt ihnen mit Hämmern auf den Kopf oder sticht mit langen Nadeln pausenlos in bestimmte Kör­perteile, um die betreffenden Personen zu quälen. jedesmal wird der Name Satans laut und hörbar ausgesprochen.

Der Verfolgungszauber und Rachezauber ist nur in der Schwarzen Magie anzutreffen. Das gilt auch für den Todeszauber, den beispielsweise die Papuas auf Neuguinea praktizieren.

Das alles hat weder etwas mit »Trickkiste« zu tun, noch kann es in jedem Fall psychologisch, medizinisch oder parapsychologisch aufgeschlüsselt werden. Es gibt nun einmal Phänomene, die man zwar mit dem Etikett »übersinnlich« oder »außersinnlich« versehen kann, damit aber letztlich nicht viel sagt. Von einem Führer der Buschmänner ‑ einem echten Zauberer ‑ wird berichtet:

»Wir Schutztruppleute waren im Haicum‑Felde in schwere Bedrängnis geraten: Unser Proviant ging zu Ende, die melo­nenartigen Tschammas waren abgeweidet. So blieben uns nur noch auf kurze Zeit unsere eisernen Rationen. Mit uns zog Aucuib, der wegen seiner Geheimnisse, Gifte und Kenntnisse weltgefürchtete Medizinmann der Haicum‑Leute, uralt, ein richtiger Patriarch. Trotz unserer Maschinengewehre behan­delte er uns zuweilen mit herablassender Geringschätzung. Er durchschaute natürlich unsere Fleischnot.

So war es wie Hohn, als er uns sagte, ganz in der Nähe sei Fleisch. Wir hatten aber seit Tagen nicht die geringste Zwerg­antilope erlegt. So baten wir ihn, uns auf die Spur zu bringen, Fleisch zu finden. Er gab zurück, er werde heute nacht noch einen großen Elandsbullen, genug Fleisch für uns alle, erle­gen. Wir sollten nur unsere Tiere bereithalten und marschfer­tig bleiben.

Wir beobachteten im Mondlicht des gleichen Abends, wie Aucuib im Kreise seiner Leute rätselhafte Zeichen machte, bald tanzende, bald betend anmutende Bewegungen. Plötz­lich blieb er wie versteinert stehen, während seine Leute in ein grelles Pfeifen ausbrachen. Sofort griff Aucuib nach seinem Schießzeug, das vor ihm auf dem Boden lag, und sandte einen Pfeil hoch in die Luft, weit über Busch und Baum hinaus ge­gen Norden. Dann stand er wieder wie versteinert. Das Sin­gen flaute ab. Sofort brach seine Gefolgschaft auf, um ihm, der uns zuwinkte, indem er selbst rasch ausschritt, zu folgen.

Unsere Nerven waren aufs Äußerste gespannt. Wir hatten in zwei Stunden 12 km gemacht, so unermüdlich ging es vor­wärts ihm nach. Plötzlich hieß es: >Halt!< Nie sah ich ein schauerlicheres Gesicht als das Aucuibs, fast weiß in seiner Ekstase. Mit einem Kopfnicken wies er in die Richtung eines Busches, den wir erst jetzt bemerkten. Dort erkannten wir einen unförmigen Klumpen, einen schweren Elandsbullen, ein Einzelgänger, wie die Spur am nächsten Tage einwandfrei bewies.

Aucuib beobachtete gelassen‑spöttisch unser Entsetzen und Staunen, trat auf den Bullen zu und schnitt ein kreisrundes Fleckchen Fleisch und Fell heraus. An der Wärme des Wildes konnten wir die Zeit seines Todes ziemlich genau abschätzen. Es konnte höchstens zwei Stunden gelegen haben.

Wir beschenkten Aucuib reich. Unser Führer, der sich gegen jeden Schwindel sichern wollte, ließ durch einen Reiter mit einem Eingeborenen die Spur des Tieres verfolgen. Auch das ergab keine Anhaltspunkte zur Erklärung des mysteriösen Falles«.

Zur Magie gehört auch das Bannen. Bei diesen Experimenten soll es möglich sein, einen anderen daran zu hindern, daß er sich bewegt oder spricht.

Wo ein Fluch auf einen Menschen gelegt wird, kann zusätzlich zur Machtsuggestion sehr wohl auch eine direkte psychi­sche Einwirkung bestehen. Missionare stehen zweifellos oft einer fühlbaren finsteren Macht gegenüber, wenn der Medi­zinmann ihres Gebietes seine Kräfte gegen das Werk des Herrn aufbietet. C. T. Studd war einmal bei einer Versamm­lung in Afrika unfähig zu sprechen. Die Zauberer hatten sich vereinigt, um ihn zum Schweigen zu bringen, und es gelang ihm erst nach größter Anstrengung, im Namen Jesu den Bann zu brechen.

Auch mit der Mental‑Suggestion versucht man, auf andere einzu­wirken. Ein vielgelesenes Magazin berichtet darüber, wie der Kassierer einer Bank von einem Sensitiven gezwungen wurde, einen größeren Betrag auszuzahlen.

In der Rundfunkseelsorge wurden wir gefragt: »Unlängst hatte ich Eheleuten in einer schwierigen Situation zu raten. Nach bestem Wissen und Gewissen habe ich das ge­tan. Weil mein Rat nicht ganz leicht zu befolgen war, ver­fluchte mich der Ehemann. Wird dieser Fluch eintreffen?«

In Sprüche 26, 2 ist zu lesen: »Wie ein Spatz wegflattert und eine Schwalbe wegfliegt, so trifft auch ein unverdienter Fluch nicht ein.« Vielleicht müßte man das Wort »unverdient« unterstreichen. Wer zu Jesus Christus ein persönliches Verhältnis hat, ihm bewußt nachfolgt und bemüht ist, mit Gott und Menschen im reinen zu sein, braucht sich vor Flüchen nicht zu fürchten. Sie werden nicht eintreffen. Es ist freilich nicht angenehm zu wissen: »Da hat mich jemand verflucht.« Leicht steigen Antipathien auf, wenn nicht gar Bitterkeit. In 1. Petrus 3, 9 steht: »Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern dagegen segnet und wisset, daß ihr dazu berufen seid, daß ihr den Segen erbet.« Für Men­schen, die uns Unrecht tun, dürfen wir beten. Das ist noch immer der beste Weg, auf dem man davor bewahrt wird, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Mit dieser Übersicht ist das Gebiet der Magie in groben Umrissen abgesteckt. Die Psychiatrie sieht in magischen Experimenten das Symptom einer Geisteskrankheit. Die Psychologie ist geneigt, das alles als abergläubische Fehlhaltung und abseitige Lebensauffassung zu bezeichnen. Die liberale Theologie sieht in der Magie zeitgebun­dene Sitten und Vorstellungen. Nicht selten wird der Okkultismus im allgemeinen und magische Praktiken im besonderen als Humbug abgetan. Zugegeben: für den einen und anderen Fall mag das zutref­fen. Es läßt sich aber nicht bestreiten, daß die Parapsychologie um außersinnliche Erscheinungen weiß, die sich in unsere raumzeitli­chen Denkkategorien nicht einordnen lassen. Auch wenn es viele nicht glauben: es gibt Menschen, die sich mit dem Teufel verbünden und über außersinnliche Fähigkeiten verfügen.

Gott verbietet die Zauberei. Dem alttestamentlichen Volk Israel läßt er sagen:

»Es soll sich niemand in deiner Mitte finden, der seinen Sohn oder seine Tochter als Opfer verbrennen läßt, niemand, der Wahrsagerei, Zeichendeuterei oder Beschwörungskünste und Zauberei treibt, niemand, der Geister bannt oder Toten­geister beschwört, keiner, der einen Wahrsagegeist befragt oder sich an die Toten wendet; denn ein jeder, der sich mit solchen Dingen befaßt, ist für den Herrn ein Greuel, und um dieser Greuel willen vertreibt der Herr, dein Gott, diese Völ­ker vor dir her. Du sollst dem Herrn, deinem Gott, gegen­über unsträflich dastehen; denn diese Völker, die du verdrän­gen wirst, hören auf Zeichendeuter und Wahrsager. Dir aber gestattet der Herr, dein Gott, derartiges nicht« (5. Mose 18, 10‑14).

Im letzten Buch der Bibel (Offb. 21, 8) ist zu lesen: »Aber den Feiglingen, den Untreuen, den Abscheulichen, den Mördern, den Buhlern, den Zauberern, den Götzendie­nern und Lügnern teile ich den Feuersee zu, der mit Schwefel vermengt ist, das ist der zweite Tod.«

Gott verbietet magische Experimente, weil sie in den Bereich der Dämonie zerren, zu Depressionen, Neurosen und psychischen Störungen aller Art führen, immun machen gegenüber dem Evange­lium und nicht selten im Selbstmord enden. Gott will das nicht. Der Mensch soll sich zwar die Erde untertan machen, die gesetzten Schranken jedoch nicht überschreiten. Wer magisch experimen­tiert, rebelliert gegen Gott, will sein Leben mit satanischen Mitteln absichern, verfällt aber dabei der Dämonie.

Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat am Kreuz den Teufel besiegt. Ihm ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Vor ihm müssen sich alle Knie beugen. Im Neuen Testament steht:

»Er hat den Schuldzettel, dessen Inhalt uns verklagte, zerris­sen, beseitigt, ja ans Kreuz genagelt. Er hat alle Mächte und Gewalten entwaffnet, an den öffentlichen Pranger gestellt und am Kreuz über sie einen Triumph davongetragen« (Kol. 2, 14. 15).

Wer sich Jesus Christus anvertraut und sich zugleich vom Teufel lossagt, wird frei. Das bestätigen auch diese Briefzuschriften:

»Früher habe ich Horoskope gelesen und Anleitungen zum Handlinienlesen studiert. Ich ließ mir sogar ein Lebenshoro­skop anfertigen und besiegelte es mit meinem Blut! Nach ei­nem misslungenen Selbstmordversuch wurde ich zu einem Gottesdienst eingeladen. Ich merkte sofort, daß diese Men­schen anders waren. Dann habe ich auf einer Freizeit erlebt, daß Jesus von okkulten Bindungen befreit. Unserem Herrn Jesus sei Dank dafür!«

Eine weitere Zuschrift:

»Ich suchte das seelsorgerliche Gespräch und wurde von ok­kulten Bindungen gelöst. Ich meinte, ein Ring um meine Brust sei gesprungen, so frei fühlte ich mich. Die Freude war unbeschreiblich. Ich hatte mit den okkulten Praktiken schon aufgehört, als ich Jesus Christus suchte. Aber die Befreiung habe ich erst erfahren bei einer seelsorgerlichen Ausspra­che.«

Diese und andere Briefe zeigen, daß Jesus Christus nicht nur Schuld vergibt; er holt zugleich aus dem Machtbereich der Dämonie heraus. Wer sich ihm anvertraut, darf ein neues Leben beginnen. Wenn Sie bewußt oder unbewußt bei magischen Experimenten mitgemacht haben, bitte ich Sie herzlich: Vertrauen Sie sich Jesus Chri­stus an. Übereignen Sie ihm Ihr Leben. Seien Sie bereit, ihm gehorsam zu sein. Lassen Sie sich beschenken mit seiner Vergebung. Er ist auch für Sie am Kreuz verblutet. Er lebt. Die Bibel sagt: »Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre.«

Darum empfehle ich Ihnen:

1. Sprechen Sie mit Jesus Christus. Rufen Sie seinen Namen an. Be­kennen Sie ihm Ihre Schuld; vor allen Dingen auch okkulte Belastungen. Wenn Sie den Namen des Herrn Jesus nicht ausspre­chen können, wenden Sie sich bitte an einen seelsorglichen Menschen, zu dem Sie Vertrauen haben.

2. Sagen Sie sich betend von allen okkulten Praktiken los, mit fol­genden Sätzen: »Herr Jesus Christus, ich will dir allein gehören. Ich entsage dem Satan und allen seinen Werken bis ins dritte und vierte Glied meiner Vorfahren. Herr Jesus Christus, ich will dir dienen mit Leib, Seele und Geist.« Selbstverständlich kann man das »Lossage‑Gebet« auch anders formulieren. Es kommt aber entscheidend darauf an, daß man gleichsam dem Satan die Ver­tragstreue kündigt, alle Brücken zum Okkultismus abbricht und sein Leben bewußt an den auferstandenen Herrn abgibt. Wenn wir ihn um Vergebung unserer Schuld bitten, erhört er uns. In 1. Johannes 1, 7. 9 ist zu lesen: »Wenn wir aber im Licht wan­deln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinan­der, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. ‑ Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.«

3. Vernichten Sie alle Gegenstände, die an den Okkultismus erin­nern, und zwar Horoskope, Spielkarten, Pendel, sogenannte »Himmels‑, Brand‑ oder Kettenbriefe«, Traumbücher, okkulte Literatur, das 6. und 7. Buch Mose, Amulette, Medaillons und anderes mehr.

4. Suchen Sie das Gespräch mit einem erfahrenen Seelsorger. Fra­gen Sie ihn, ob er bereit ist, Sie im Namen des Herrn Jesus Chri­stus von Ihrer okkulten Vergangenheit zu lösen.

5. Bei dämonischen Belästigungen dürfen Sie sich mit dem Wort Gottes wehren. Rufen Sie den Namen des Herrn Jesus Chri­stus an. Rechnen Sie damit, daß Ihre Schuld mit dem Blut Je­su gesühnt ist, und danken Sie dafür dem auferstandenen Herrn.

Nicht nur abergläubische Praktiken, auch magische Experimente aller Art sind eine Herausforderung an die Gemeinde Jesu. Die Zahl der psychisch Kranken nimmt ständig zu. Ärzte fordern struktu­relle Änderungen der Krankenhäuser und sprechen sich dafür aus, daß bei Neubauten psychiatrische Kliniken eingeplant werden; ein Zeichen dafür, wie aktuell die Problematik seelischer Erkrankun­gen geworden ist. Man spricht bereits von einer »depressiven Wel­le«, die offensichtlich von einer okkulten Unterströmung getragen wird. Gewiß müssen wir bei Depressionen unterscheiden, ob es sich um endogene (anlagebedingte) oder reaktive (aus unverarbei­teten Erlebnissen ableitbare) Erkrankungen handelt. Nicht jede Schwermut ist okkult bedingt ‑ aber wie immer sie auch verursacht sein mag ‑ sie quält.

Die Gemeinde Jesu muß damit rechnen, daß sie vor ihren Toren ‑ und gewiß auch in der eigenen Mitte ‑ immer häufiger seelisch geschädigten Menschen begegnen wird, denen mit dogmatischen Richtigkeiten allein nicht geholfen ist.

Der »moderne Mensch« ‑ so behaupten Nobelpreisträger ‑ degeneriert immer mehr und sucht körperliche und psychische Heilung, vielleicht in magischen Zir­keln, weil sie ihm im Raum der Gemeinde vorenthalten wird. Selbstverständlich ist magisches Besprechen und neutestamentliche Krankenheilung nicht miteinander vergleichbar. Das eine ist vom andern himmelweit entfernt. Aber müßten sich nicht Evangelisten viel bewusster, als das zuweilen geschieht, darauf vorbereiten, daß okkult Belastete, nervlich Geschädigte, Depressive und Neurotiker aller Schattierungen nach dem »heilenden Wort« fragen werden? Wäre es nicht ein Gebot der Stunde, daß die Gemeinde Jesu von ihrem auferstandenen Herrn bewußt ‑ und zwar um der Leidenden willen ‑ Krankenheilungen erbittet?

Es wäre naiv und verantwortungslos zugleich, wollte man die Gna­dengabe der Krankenheilung mit dem Satz abtun: »Damals war das nötig; heute haben wir Ärzte.« Natürlich brauchen wir den wissen­schaftlich geschulten Mediziner. Darüber braucht man kein Wort zu verlieren. Je mehr gläubige Ärzte, um so besser. Aber weil Me­diziner und Psychotherapeuten mitunter eher als ihnen lieb ist an letzte Grenzen ärztlicher Möglichkeiten stoßen, sollten Seelsorger mit ihnen zusammenarbeiten und je und dann ‑ wenn Gott es will ‑ dort weiterführen, wo der Arzt nicht mehr zu helfen imstande ist.

Außerdem müßten wir auch Jakobus 5, 13‑18 neu entdecken, zu­mal es sich dabei um ein ganz normales Geschehen im gemeind­lichen Alltag handelt. Für die ersten christlichen Gemeinden war es offenbar selbstverständlich, daß Kranke die Ältesten um den Dienst der Handauflegung baten. Unser Herr wird in sonntäglichen Gottesdien­sten noch immer am besten dadurch gepriesen, daß konfliktbeladene Menschen zu Jesus Christus umkehren und Kranke gesund werden.

Gelegentlich habe ich miterlebt, wie der auferstandene Herr nicht nur von okkulten Belastungen befreit, sondern auch heilt. Eine junge Frau, die häufig unter Depressionen litt, erzählte mir im seel­sorglichen Gespräch, wie sie als Kind mit okkulten Praktiken in Berührung gekommen war. In Gegenwart einiger Jugendlicher bat sie um Vergebung ihrer Schuld und übereignete ihr Leben erneut dem Herrn Jesus Christus. Kurze Zeit danach erkrankte sie an einer »Gesichtsrose«. Als wir erneut über ihr beteten, war sie nach 24 Stunden nahezu geheilt. Viele Seelsorger könnten ähnliche Erfah­rungen berichten. Es bleibt dabei:

Ja, Jesus siegt! Sei’s, daß die Finsternis – im Trotzen wütend schnaubt, – sei’s, daß sie wähnt, mit ihrem gift’gen Biß – hätt’ sie ihm viel geraubt. – Die Seinen läßt in Not und Grämen – sich unser Herr doch niemals nehmen. – Ja, Jesus siegt! –

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 Richard Kriese war Ingenieur, studierte Theologie, arbeitete als Pastor im Ruhrgebiet und leitete ab 1969 für viele Jahre die Seelsorgeabteilung des Evangeliums-Rundfunks; als Evangelist war er im In- und Ausland tätig.

Vorliegender Artikel ist seinem Buch „Okkultismus im Angriff“ entnommen. Horst Koch, im Januar 2006

 




Wort-des-Glaubens-Bewegung (Seibel)

Alexander Seibel

Die Wort-des-Glaubens-Bewegung

Diese „Glaubensbewegung“ heißt in der englischsprachigen Welt auch „Positive Confession Movement“ wegen ihrer besonderen Betonung, nur positive Aussagen zu treffen. Dies hängt mit ihrer Vorstellung von dem gesprochenen Wort zusammen. Sie verbindet sich auch stark mit dem Gedankengut des Wohlstandsevangeliums. Die Glaubensbewegung beginnt sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts auszubreiten.

Man vertritt die Überzeugung, daß durch das gesprochene Wort, was man also mit dem Munde bekennt, tatsächlich auch das Gewünschte oder Geglaubte in die Existenz gerufen wird, und Glaube sei nun einmal ein Bekenntnis. Diese Vorstellung hat ihren Ursprung bei E.W. Kenyon. Nach Kenyons Tod 1948 haben etliche „Wort des Glaubens Werke“ dieses Gedankengut verschieden stark propagiert, vor allem Kenneth Hagin, Kenneth Copeland, Frederick Price und andere. Besonders die beiden Erstgenannten kann man als Gründer bzw. Säulen dieser hier zu betrachtenden Bewegung ansehen. E.W. Kenyon war eine der Schlüsselfiguren der „New Thought Bewegung“ (Bewegung des Neuen Denkens oder Neugeist-Bewegung), deren Hauptinhalte Gesundheit oder Heilung, Überfluß oder Wohlstand, Reichtum und Glück beinhalten. Seine Ideen hat nun besonders Kenneth Hagin übernommen und zum Teil als seine eigene Erkenntnis propagiert.

Die Wurzel dieser Vorstellungen ist auf den Geistheiler Phineas Quimby (1802-1866) zurückzuführen. Er befaßte sich mit Spiritismus, Hypnose, Okkultismus und andere Bereiche der Parapsychologie.  Von ihm wird gesagt, daß er Mary Baker Eddy geheilt hat, die Begründerin der Christlichen Wissenschaft. In dieser Sekte wird ein zum Teil verblüffend ähnliches Gedankengut vertreten.

 Auf Quimby, William Branham, E.W. Kenyon geht auch die Ansicht zurück, die ebenfalls in der Wort des Glaubens-Bewegung verbreitet wird, der Mensch sei ein Teil Gottes und in gewisser Hinsicht ein (kleiner) Gott selbst. Kenneth Hagin (1917-2003), der Vater der  „Glaubensbewegung“,  beispielsweise behauptete: Der Mensch wurde auf der Basis der Gleichheit mit Gott erschaffen, und er konnte in der Gegenwart Gottes stehen ohne irgendein Bewußtsein der Unterlegenheit. Kenneth Copeland erklärt sogar: Du hast nicht einen Gott in dir, du bist selbst einer. An anderer Stelle: Adam, im Garten Eden, war Gott manifestiert im Fleisch.  Noch sonderbarer: Copeland lehrt, daß Gott ca. 2m groß ist (6 Fuß und 2 oder 3 Zoll)  und ca: 90 kg (200 Pfund) wiegt.“
Zurecht kommentiert das „Dictionary of the Pentecostal and Charismatic Movements“, dessen Autoren zum Teil selbst zur Pfingstbewegung gehören: Der Ursprung dieser Ansicht stammt von den Worten der Schlange in Genesis 3,4.

Trotz dieser offenkundigen Häresien warnte Benny Hinn in ominöser Weise, daß „solche, die Kenneth Copeland attackieren, attackieren in Wirklichkeit die Gegenwart Gottes.“  Copeland ist durch seine weltweit ausgestrahlten Radio- und Fernsehbotschaften der vielleicht einflußreichste Repräsentant dieser „Glaubensbewegung“. Er gilt als der eifrigste Schüler von seinem großen Mentor und Vorbild Hagin, der 1974  die „Rhema-Bibelschule“ in Tulsa, Oklahoma gründete. Aus dieser Richtung kam Jahrzehnte später auch indirekt der „Toronto-Segen“.

Besondere Kontroverse löste die Lehre (Jesus died spiritually) vom „geistlichen Tod“ Jesu aus. Hartwig Henkel lehrt ebenso wie Wolfhard Margies und andere Vertreter der Wort-des-Glaubens-Bewegung, daß unsere Autorität über Satan in dem „geistlichen Tod“ Jesu begründet ist. Diese von E.W. Kenyon und Hagin zuerst entwickelte „Identifikationslehre“ besagt, daß Jesus angeblich nicht nur körperlich, sondern auch geistlich gestorben ist und der Geist nach seinem leiblichen Tod drei Tage lang im Totenreich (Hades) von Dämonen gequält wurde. Dadurch sei unsere Erlösung erwirkt worden. All dies, obwohl Jesus sagte, „Es ist vollbracht“ und „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“.

“Erst am Kreuz  gab sich Jesus freiwillig in die Hand des Teufels… nach dem physischen Tode wurde Jesus im Geist in die Gewalt der Finsternis gebracht.”  Eindeutiger erklärt wiederum Kenneth Copeland: “Er (Jesus) ging in die Hölle als ein von Dämonen besessener, sterblicher Mensch und entstieg ihr als ein Wiedergeborner und Auferweckter.” Noch ungeschminkter sagt dieser „Glaubenslehrer“: “Satan besiegte Jesus am Kreuz.”

Gemäß dieser Anschauung war Jesus der erste Mensch, der in der Hölle wiedergeboren wurde.  All dies ist eine kaum noch zu überbietende Erfüllung von 1. Tim. 4,1. Vertreter dieser Sonder- und Irrlehren sind in Deutschland neben Wolfhard Margies, und Hartwig Henkel auch John und Mirjana Angelina. Sie sind (oder waren?) Leiter der „Wort des Glaubens Bibelschule“, die sie 1984 in Feldkirchen bei München „unter direkter Führung des Heiligen Geistes gegründet“ haben. Die Vorstellung, daß man durch Aussprechen seiner Wünsche diese auch wahrmachen kann, führt notwendigerweise zu einem Wohlstandsevangelium, in dem auch Gebrechen und Krankheit keine Existenzberechtigung mehr haben. Wer möchte schon, wenn er die Möglichkeit dazu hat, nicht gesund, reich und glücklich werden? Und all dies hängt von unserer Zunge ab, daß wir durch die Gesetze des Glaubens die gewünschte Dinge aussprechen und Wirklichkeit werden lassen. Letztlich der Triumph des Geistes über die Materie.

So schreibt Hank Hanegraaff über Kenneth Copeland: Er vertritt die magische Vorstellung, daß nicht greifbare Worte, getränkt mit der Kraft des Glaubens, sichtbare Realität hervorrufen. Er besteht darauf, daß Gläubige befehlen können, daß eine fast 30m lange Yacht Wirklichkeit wird.

Gloria Copeland behauptet über den Apostel Paulus mit schriller Stimme, daß er seine Heilung deshalb nicht bekam, weil er Gott darum bat, anstatt es selber zu tun.

In der Schrift von Kenneth Hagin, “Erlöst von Armut, Krankheit und Tod”, wird Armut im Leben der Kinder Gottes gemäß 5. Mose 28 als Fluch interpretiert und als Folge des Ungehorsams gelehrt. Wenn wir gehorchen, gehört uns andererseits der materielle Segen und Reichtum Abrahams. Der Segen Abrahams gehört uns! Man kann ihn uns nicht wegnehmen. Diese Zweifler, Ungläubigen, Freudenräuber und Zweifelhausierer werden ihn uns nicht wegnehmen können.

Es ist die nicht neue „Theologie“ der Freunde Hiobs. Ihrer Ansicht nach konnte bei Hiob nur Sünde vorliegen, sonst müsste er einfach nach wie vor gesund, reich und wohlhabend sein. Die Vorstellung, daß er in diesem Elend sich befand, weil er im Willen Gottes war, konnten sie nicht nachvollziehen. Wir wissen, wie dann Hiob für seine Freunde beten musste, weil sie falsch von ihm und Gott geredet hatten (Kap. 42,10).

Während Paulus noch erklärte: “Als die Armen, aber die doch viele reich machen” kann man von den Predigern dieses Wohlstandsevangeliums buchstäblich sagen: “Als die Reichen, die viele arm machen”.

Um dem gesprochenen Wort eine besondere Vollmacht zu vermitteln, unterscheidet man in diesen Strömungen zwischen den griechischen Begriffen Rhema und Logos. Ersteres sei ein vom Geist gesalbtes Wort, daß Wirkungen hervorbringe. Logos hingegen sei nur das geschriebene oder gesprochene Wort, das mehr dem Buchstaben, denn dem Geist entspräche. Deswegen nennen sich auch etliche Gemeinden, die diese besondere Lehre vertreten, Rhema-Gemeinden. Dies ist eine von der Gesamtaussage der Bibel nicht haltbare Unterscheidung. Hier wurde sogar von pfingstlicher Seite aufgezeigt, wie z.B. die Septuaginta, also die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die beiden Begriffe völlig unterschiedslos und austauschbar verwendet. Diese besonderen Heilungskräfte werden gewöhnlich über Handauflegung weitergegeben. So habe Jesus Hagin 1950 in einer Vision mitgeteilt: Ich habe dir einen Dienst der Handauflegung gegeben. Bevor du ihnen die Hände auflegst, zitiere immer Apg. 19,6: „Und als Paulus ihnen die Hände auflegte, kam der Heilige Geist auf sie und sie redeten in Zungen und weissagten“ …Sage den Betreffenden, daß Ich Dir aufgetragen habe, Ihnen dies mitzuteilen, wenn du ihnen die Hände auflegst, dann wird der Heilige Geist über sie kommen.

Von Kenneth Hagin heißt es in Charisma in einem Nachruf: Achtmal sei ihm Jesus in Visionen persönlich erschienen, heißt es, und habe dadurch den Verlauf seines Dienstes entscheidend beeinflusst. Die Frucht von fast sieben Jahrzehnten seines ausgedehnten weltweiten Predigt- und Lehrdienstes begann mit einer Offenbarung Gottes … „Im Anfang war das Wort.“

Die Vorstellung, durch die Kraft der Gedanken und die Macht der Worte die Wirklichkeit zu beeinflussen oder gar zu steuern, ist das Wesen der Magie. Der Mensch steht nicht in der Abhängigkeit von Gott und wartet bzw. erbittet sein Eingreifen, sondern er schafft sein eigenes Universum, in  dem er selbst die Umstände bestimmt. Angeblich durch einfaches Aussprechen der besonderen Wünsche. Deswegen nennt man in den USA diese Praxis auch das „name it and claim it“, also benenne und beanspruche es einfach. Letztlich wird Gott von den Befehlen und Wünschen der Menschen abhängig. Auch wird die „Geistliche Kampfführung“ in diesen Kreisen sehr ausgiebig praktiziert. So erklärt Wolfhard Margies:  Eine herausragende Botschaft des Heiligen Geistes heute an sein Volk ist die, daß wir als Gemeinde Jesu durch kriegerisches Gebet die Fürsten und Gewaltigen in der unsichtbaren Welt und in der Luft unter unsere Kontrolle bringen können.

Da wir gegenwärtig in einem zutiefst magischen Zeitalter leben, – der unübertroffene Welterfolg von dem Zauberlehrling Harry Potter ist da nur die Spitze des Eisbergs – haben solche Strömungen und Lehren auch immer größeren Zulauf.

Tatsächlich sind die Erfolge dieser Leute mehr als beeindruckend. Zwar muß auch gesagt werden, daß bestimmte Lehren der Glaubensbewegung, besonders daß Jesus angeblich auch geistlich gestorben sei, von einigen Charismatikern selber entschieden zurückgewiesen worden sind. Doch schon McConnell, und auch er gehört zur charismatischen Bewegung, klagt: Mit ihrer „Glaubensformel“ für Gesundheit, Reichtum und Wohlstand hat diese Bewegung die Charismatische Erneuerung im Sturm genommen. Niemand kann ernsthaft ihren Erfolg in Frage stellen.

Der Nigerianer Sunday Adelaja hat die größte Gemeinde Europas in Kiew mit beinahe 30.000 Mitgliedern ins Leben gerufen. Auch er ist Anhänger dieser „Rhema-Lehre“. Zu seinem Buch Die Macht deiner Worte, Untertitel: Wie das, was du sagst, dein Leben bestimmt kommentiert Rita Bially: Genauso wie Saat und Ernte ist auch das, was unser Mund ausspricht, ein göttliches Gesetz – wir erhalten, was wir aussprechen. Der Autor ermutigt uns, das auszusprechen, was wir haben möchten und benötigen, wo wir eine Veränderung sehen möchten, …wo wir körperliche Gesundheit brauchen, usw.

Als ich Andelajas Gemeinde in Kiew besuchte, sah ich dort Ölfläschchen angeboten, die man für einen bestimmten Preis erstehen konnte. Da über diesem Öl gebetet worden war, habe es nun bei der Anwendung an der jeweiligen Körperstelle besondere Wirkung. Dies ist nichts anderes als die Vorstellung von der Wirkung des Weihwassers, nur in etwas frommerer Verpackung. In Deutschland sind die Gemeinden von Wolfhard Margies in Berlin und von Peter Wenz in Stuttgart immer einflußreicher und größer geworden. Inzwischen werden wegen dieses Erfolgs diese Gemeinden und ihre Repräsentanten auch bei uns deutlich salonfähiger.

Die Tatsache z.B., daß Wolfhard Margies immer mehr Zugang in Allianzkreise findet, zeigt, wie sehr auch die evangelikale Bewegung in Deutschland im Aufweichen begriffen ist. In einer Zeit des Pluralismus und Relativismus zählt weniger die Lehre, sondern der sichtbare Erfolg. Er ist für eine vom Bild geprägte, postmoderne Generation einfach überzeugender. Kenneth Hagin, der Vater dieser Glaubensbewegung, wurde einmal von einem Kritiker als der Gnostiker der Evangelikalen bezeichnet. Als er September 2003 starb, stand als Nachruf über ihn in der Zeitschrift Charisma u.a. zu lesen, er gehörte zu den großen Bibellehrern unserer Tage. Ein deutlicheres Zeugnis für Durchblickslosigkeit und dafür, daß man nun wirklich unter einem fremden Geist steht, ein anderes Evangelium und einen anderen Jesus verkündigt, wie Paulus es in 2. Kor. 11,4 beklagt, ist kaum denkbar.      

                             
Alexander Seibel

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John Wimber (A.Seibel)

Alexander Seibel

 

Der Zickzackkurs von John Wimber

Wenn man den Weg von John Wimber etwas verfolgt, muß man feststellen, daß man ein ständiges Hin und Her beobachten kann. Aussagen werden widerrufen, mit neuer Kühnheit formuliert, abgeändert, theologisch schmackhafter verpackt usw. Als einer der bekanntesten Evangelikalen Englands, David Watson, an Krebs erkrankte, kam Wimber eigens angeflogen und verkündigte, wie Gott ihm gezeigt habe, Watson werde gesund. Als dann Watson doch starb, versuchte man “Schadensbegrenzung” so gut es ging. Die Leichtgläubigkeit der Anhänger, besonders aber nicht nur aus dem charismatischen Umfeld, ermöglichte es ihm, ziemlich unbeschadet weiterzumachen. Dabei hätte man nach biblischen Test (5. Mose 18, 22) erkennen können könne, daß hier ein falscher Prophet agiert. Doch solche Aussagen galten als zu negativ bzw. lieblos.

Dann wurde die große Erweckung für England angekündigt, die ebenfalls ausblieb. Clifford Hill, der sich selber zur charismatischen Szene rechnet und an den Dienst der Geistesgaben glaubt, schreibt darüber: “Letzten Sommer (1990 Anm.) riet ich Wimber ab, im Oktober nach England zurückzukehren, weil soeben eingestanden wurde, daß 15 Bereiche des Irrtums in ihrem (Wimber und sein Team von Propheten, Anm.) Dienst vorlagen und dies brauchte Zeit, um aufgearbeitet zu werden… Dennoch war John Wimber entschieden, Versammlungen in England im Oktober zu leiten, weil Paul Cain, Bob Jones und andere geweissagt hatten, daß eine große Erweckung in diesem Monat ausbrechen werde. Ich hatte bereits erklärt, daß diese Prophezeiungen falsch sind und daß es keine Erweckung in England geben würde ohne Buße, aber Wimber glaubte ihnen so restlos, daß er seine Kinder und Enkelkinder von den USA mitbrachte, damit sie die erwartete Erweckung bezeugen könnten. Als nichts geschah in dieser Woche, in einem letzten Versuch, Gott zu überreden, die Flammen der Erweckung zu schicken, rief er am letzten Tag in London, in der letzten Versammlung zur Stille auf. Als der mächtig rauschende Wind sich nicht einstellte, beendete John Wimber die Versammlung eine halbe Stunde früher und kehrte nach Hause zurück, wobei er viele Leute enttäuscht und desillusioniert zurückließ (Prophecy Today, “Which Army?” Volume 7, Jan./Febr. 91, S. 10).

Keith Parker ist ebenfalls ein unverdächtiger Zeuge, zählt doch auch er sich zum charismatischen Lager. Über das gleiche Ereignis berichtet er: “Auf der Rückseite von John Wimbers Magazin war eine Erklärung abgedruckt, die besagte, daß während einer bestimmten Zeit in England eine Erweckung ausbrechen würde, während sein Team in London arbeitete. Der Termin kam und ging. Es gab keine Erweckung. Anstatt zu bekennen, er habe das Volk Gottes verführt, leugnete er, daß diese Voraussage gemacht worden war oder daß wir falsch verstanden hätten, was dort geschrieben war. Danach gewann ich den Eindruck, daß Wimber und die ‘Propheten’ sich selbst disqualifiziert hatten; und ich fühlte mich berechtigt, alles zu ignorieren, was aus dieser Quelle kam” (Keith Parker, “Prophets – True or False? Signs and Wonders – Real or Bogus?”, Stellungnahme vom 22. Juli 1994, S. 2).

Doch nur wenige zogen diese Konsequenzen. Die meisten waren weiterhin von Wimbers Charme bezaubert und vergaßen darüber die biblischen Kriterien der Prüfung. Eine Generation, die immer mehr videotisiert und von daher emotionalisiert ist, sieht auch wenig Anlaß, anhand des Wortes zu prüfen. Persönliche, freundliche und positive Eindrücke zählen da mehr und sind offensichtlich gewichtiger. Zu Wimbers fragwürdigen Lehren bzw. Praktiken listet Dr. John D. Hannah u.a. auf: Er betet über Objekten, daß sie “geheilt” (übernatürlich repariert) werden, z.B. Kühlschränken, Autos, Waschmaschinen etc. Er behauptet außerdem, daß Jesus Einblicke durch “Worte der Erkenntnis” bekommen habe.

Auch ruft John Wimber den Heiligen Geist, um auf besondere Leute in einer Versammlung herabzukommen. (Dr. John D. Hannah, “The Signs and Wonders Movement, The Vineyard Movement or The Third Wave”, Lesson 30, S. 14).
Eine Zeitlang behauptete Wimber, um übernatürliche Manifestationen für jeden Christen schmackhaft zu machen: “Alles, was er (Jesus, Anm.) tat, können auch wir tun. Schließlich war Christus so begrenzt in seiner menschlichen Natur, daß er sich nicht viel von uns unterschied. Deshalb, wenn Er, mit der Hilfe des Geistes, mit einem Wort heilte, warum können wir nicht das gleiche tun?” (Sword & Trowel”, 2. Nov. 1987, S. 30).

Als dann Dr. Jack Deere zu ihm stieß, der sich dann später (1992) wieder von der Vineyard-Bewegung distanzierte, wurde versucht, diese Zeichen- und Wunderansprüche, nun etwas biblischer, durch die Charismen von 1. Kor. 12 zu legitimieren. Setzt man sich mit Wimber an einen Tisch, scheint er einem bezüglich aller möglichen Bedenken und Anfragen recht zu geben. Clifford Hill schreibt: “Ich verbrachte mehrere Stunden in privater Besprechung mit John Wimber, Paul Cain und Mike Bickle nach ihren Versammlungen in Holy Trinity, Brompton. Nach diesem Treffen meinte ich, wir hätten eine Beziehung der Offenheit hergestellt und ich sagte dies auch öffentlich… Jedoch, all die Kommunikation seit diesem Treffen war einseitig. Es gab keine Antwort auf meine zahlreichen Briefe, Entwürfe oder Artikel, wo ich um ihren Kommentar vor einer Veröffentlichung anfragte. Ich schrieb John Wimber als er im Oktober in England war und faxte ihm anschließend eine Kopie davon nach Anaheim, USA, aber noch immer hat es keine Antwort gegeben. Viele Leute sagten mir, das freundliche Entgegenkommen von denen innerhalb dieser Bewegung sei nur deshalb, um mich dahin zu bringen, ihren Dienst bedingungslos zu unterstützen. Falls ich dazu nicht bereit wäre, wollten sie mit mir nichts mehr zu tun haben. Was soll ich nun denken?” (Clifford Hill, ebenda).
Nun kann man sich freuen, wenn Menschen dazulernen und sich korrigieren lassen. Jeder aufrichtige Christ weiß von solchen Stationen in seinem Werdegang. Doch Wimber ist ein theologisches Chamäleon, das, um andere arglos zu stimmen, zu großen Anpassungen bereit ist. So sagte er in einem Interview mit idea Schweiz sogar:
“Ich bin Dispensationalist” (idea Magazin Nr. 21/88, S. 4). – Unter Dispensationalismus ist zu verstehen, daß Gott zu verschiedenen Heilszeiten verschieden gehandelt hat und Zeichen und Wunder primär auf die Apostelzeit der Gemeinde beschränkt sind. – An seiner Grundeinstellung zur Durchsäuerung der Gemeinden mit der “Powerbotschaft” (Vollmächtige Evangelisation bedeutet, daß auch heute noch sie von Zeichen und Wundern begleitet wird.) ändert sich jedoch herzlich wenig. Nun wird, obwohl Wegbereiter des “Toronto-Segens”, wieder einmal widerrufen, bzw. abgeändert. Er spricht sich gegen eine Überbewertung des “Toronto-Segens” aus und erklärt sogar:
“Als falsch bezeichnete Wimber die zu starke Einbindung eines ‘prophetischen Dienstes’ in seine Gemeindepraxis…Dennoch halte er nach wie vor Prophetien sowie ‘Zeichen und Wunder’ für möglich. So habe Gott ihm gezeigt, daß er noch eine weltweite, geistliche Erneuerung miterleben werde” (idea spektrum, 26/95, S. 11).

Wimbers Vorstellung von dieser endzeitlichen Erweckung greift wiederum Clifford Hill auf: “Gemäß John Wimber ist es eine Art von ‘Armee Joels’, die allen Widerstand überwinden und die Nationen unterwerfen wird. Diese Lehre ist Teil dessen, was als ‘Herrschaftstheologie’ bekannt ist…Es sollte offensichtlich sein, sogar für jene, die keine Ahnung von biblischer Exegese haben, daß dies eine Armee der Zerstörung ist” (ebenda, S. 11). Man hat, bis in die Exegese hinein, das Gerichtshandeln Gottes mit Segen bzw. Erweckung verwechselt. Der “Toronto-Segen” demonstriert dies auch praktisch mehr als deutlich. So ist Wimber ein warnendes Beispiel, nicht für den geraden Weg Gottes, sondern für einen Zickzackkurs, der dem Geist Gottes nicht entspricht. Man beruft sich auf Vollmacht und Geistesleitung bzw. besondere Geistesfülle, Eingebungen und Offenbarungen und wird trotzdem einmal so und dann wieder genau anders geführt.
D. R. McConnell als Fürsprecher und Teilhaber der Charismatischen Bewegung hat genau diesen Punkt angesprochen: “Die Hauptursache für diese notorischen Richtungsänderungen bei der Lehre ist nur allzu deutlich erkennbar. Von ihren Anfängen bis in die Gegenwart hat die Charismatische Bewegung eine fehlerhafte Offenbarungslehre vertreten. Wir Charismatiker haben uns zu wenig dem Prinzip verpflichtet, daß die Bibel der einzig unfehlbare Maßstab für Glaube und Praxis ist…

Solange wir uns nicht ernsthaft dem Prinzip verpflichten, daß Lehre und Praxis einer hermeneutisch sauberen Auslegung des Wortes Gottes entstammen muß, wird unsere Bewegung für eine endlose Serie prophetischer Offenbarer und ihren bizarren Lehren ein willfähriges Opfer sein” (“Ein anderes Evangelium”, Verlag C.M. Fliß, 1990, S. 237).

Dave Hunt schreibt in diesem Zusammenhang: „Die falschen Prophezeiungen und ‚Worte der Erkenntnis‘ bei denen, die mit Wimber und seinen Vineyard-Gemeinden verbunden sind würden Bände füllen“ (TBC, März 1997).John Wimber ist inzwischen gestorben. Doch ist zu befürchten, daß auch weiterhin alle theologischen und biblischen Ungereimtheiten bzw. Differenzen mit seinem nachwirkenden Charme zu kitten versucht wird.. Und dies ist es, was die Leute anspricht und hören wollen. Des Herrn Feststellung: “Du hast geprüft, die da sagen, sie sind Apostel und sind’s nicht und hast sie als Lügner erfunden” (Offb. 2,2), ist da schon weniger gefragt.

 

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Geistliche Kriegsführung (W.Bühne)

Wolfgang Bühne

 

„Geistliche Kriegsführung”

 

C. Peter Wagner:
Mit dem Eintreten in die 90er Jahre empfinde ich und mit mir viele andere christliche Leiter, daß der Heilige Geist zu uns spricht: ,Bereitet euch auf den Krieg vor.’ Dieses Jahrzehnt wird vielleicht den intensivsten geistlichen Kampf der jüngsten Zeit sehen.”

John McFarlane:
Bei einer Gebetskonferenz 1987 in Bonn hat Gott prophetisch geredet, daß er in der nächsten Zeit seinem Volk Strategien für seine Mission, Schlüssel für geistliche Siege geben werde.”

Berthold Becker:
„So haben wir zum Beispiel bei einer Gebetstagung in Frankfurt 1989 sowohl Honecker mit seiner Regierung abgesetzt und die Mauer eingerissen als auch Ceaucescu, den Tyrannen Rumäni­ens im Gebet abgesetzt. Wir waren uns eins, daß das exakt im Willen und der Salbung Gottes war, und alles geschah innerhalb von drei Monaten.”

Roger Forster:
Es ist ein Vorrecht, in diesen aufregenden Zeiten zu leben; Zei­ten in denen Gottes Wahrheit wiederentdeckt wird…Von ganzem Herzen glaube ich, daß diese Wiederentdeckung bzw. neue Betonung von satanischen Geistern mit örtlich begrenzter Wirksamkeit mit Gottes Absicht und Plan verbunden ist, sein Volk zur vollen Erkenntnis seines Sohnes zu führen, so daß wir in das ganze Maß hineinwachsen, sowohl im Hinblick auf die Einnahme geographisch begrenzter Gebiete wie auch hinsichtlich der Kraft geistlichen Lebens.”

Larry Lea:
„Um Menschen geht es uns hier überhaupt nicht, sondern um geistliche Kampfführung. Es geht uns hier um den Nahkampf gegen unsere geistlichen Feinde: den Teufel und seine Dämo­nen. Es geht uns darum, Autorität über böse Geister, Beherr­scher der Finsternis, Gewalten und über die Starken zu nehmen, die dir alles Gute zu rauben versuchen, das Gott dir zugedacht hat.”

Wolfhard Margies:
„Der Himmel tut, was wir tun, befehlen oder durch göttliche Kampfführung bewirken und nicht umgekehrt… Die Willensentscheidung wird zuerst auf der Erde von uns for­muliert und vollzogen, und der Himmel zieht nach!”

Hartwig Henkel:
„Diese Lehre über den geistlichen Krieg wird vom Heiligen Geist gerade jetzt wiederhergestellt. Unsere Autorität über den Feind wird zunehmend erkannt und ausgeübt. In wenigen Jahren werden sich die geistlichen Verhältnisse total verändert haben zugunsten einer Christenheit, die die Segnun­gen von Jesu Sieg über den Feind in überwältigender Weise erlebt.Die Lehre über den Kampf gegen Satans Mächte wird sich als ganz bedeutender Meilenstein zur Wiederherstellung der neu­testamentlichen, herrlichen Gemeinde erweisen.”

Mit diesen Zitaten, die einen ersten Eindruck von „Geistlicher Kriegsführung” geben, habe ich gleichzeitig einige der wichtigsten, auch in Deutschland bekannten Vertreter dieser Praxis vorgestellt.

C. Peter Wagner ist sicher der Pionier und Prophet dieser relativ jungen Theorie und Praxis. Er ist einer der beiden Väter der „Dritten Wel­le” und der führende Kopf der Gemeindewachstums-Bewegung. Als Mitglied des internationalen Lausanner Komitees und Koor­dinator von „A.D. 2000″ hat Wagner beste internationale Beziehun­gen und hält in aller Welt Konferenzen ab, um sein Anliegen „Geistliche Kriegsführung”, das er als das „Programm des Heiligen Geistes für die 90er Jahre” bezeichnet, bekannt zu machen. In deutscher Sprache sind bisher vier Bücher von ihm erschienen, die dieses Thema behandeln, weitere Bücher sind in Vorbereitung. Wagner berichtet, daß er 1985 zum ersten Mal durch den argentini­schen Pastor Omar Cabrera Geistliche Kriegsführung kennen­lernte und daß dieses Thema auf dem Kongreß Lausanne II in Manila 1989 durch fünf Workshops zum Thema „territoriale Mäch­te” Schlüsselleuten in aller Welt bekannt wurde.

Männer wie Jack Hayford, Yonggi Cho, Omar Cabrera, Edgardo Silvoso, Tom White und auch C. P. Wagner selbst hätten in ihren Vorträgen dieses Thema behandelt. Wagner schreibt in Erinnerung an diesen Kongreß:
„Das Interesse an diesen Workshops übertraf unsere Erwartun­gen, und bevor wir Manila verließen, wurde in mir der Eindruck immer stärker, daß Gott mich berufen hatte, auf diesem Gebiet weitere Forschungsarbeit zu treiben.”

1990 fand in Pasadena/Kalifornien ein Treffen von Männern und Frauen statt, die bereits Erfahrung mit „Geistlicher Kriegsführung” besaßen. Wagner war Koordinator dieses Treffens, an welchem Larry Lea, John Dawson, Jack Hayford, Charles Kraft und andere teilnahmen.

Ein Jahr später war C. P. Wagner Hauptredner auf dem ersten Nürn­berger Gemeindekongreß, wo er „Geistliche Kriegsführung” erst­mals in Deutschland einer breiten Öffentlichkeit vorstellte und bekannt machte.

Dort kündigte er als Koordinator von „A.D. 2000″ auch den „Tag, der die Welt verändert”, den 25. 6. 1994 an, an welchem in Ver­bindung mit Jesus-Märschen in aller Welt die satanischen Mäch­te gebunden und aus den himmlischen Örtern vertrieben werden sollten.

Interessant ist, daß Wagner berichtet, daß zwei Romane einen we­sentlichen Beitrag dazu geliefert haben, „Geistliche Kriegsführung” vielen Christen bekannt zu machen:
„Zweifelsohne waren die beiden Romane von Frank E. Peretti Die Finsternis der Welt und Licht in der Finsternis, der wich­tigste Faktor, der unter amerikanischen Christen das große Inter­esse an der Thematik der strategischen geistlichen Kampf­führung entflammen ließ.”

Inzwischen gibt es eine Anzahl Bücher in deutscher Sprache, die das Thema „Geistliche Kriegsführung” behandeln und es ist erstaunlich, wie diese Theorien in kurzer Zeit sehr bekannt wurden: Durch Missionswerke wie z.B. „Jugend mit einer Mission”, „Ope­ration Mobilisation”, „Campus für Christus” und vor allem durch “Jesus-Marsch e.V.” und „Fürbitte für Deutschland” ist „Geistliche Kriegsführung” eine Methode geworden, die nicht nur von Charis­matikern, sondern auch von vielen Evangelikalen praktiziert wird. Interessant ist, daß ausgerechnet zwei bekannte Charismatiker aus Deutschland in ihren Büchern Stellunggegen diese Methode bezo­gen haben.

Peter Kierner vom Charismatischen Zentrum München schrieb bereits 1991 das Buch „Engel des Lichts im 20. Jahrhundert – Gedanken zu biblischem Befreiungsdienst und geistlicher Kriegs­führung”(Verlag C.M. Fliß).

Im Frühjahr 1994 erschien das Buch von dem Hamburger Pastor Wolfram Kopfeгmann: „Macht ohne Auftrag – Warum ich mich nicht an der ,geistlichen Kriegsführung` beteilige” (Verlag C&P). Beide Autoren warnen ausdrücklich vor diesen Praktiken, stellen sie als biblisch unhaltbar dar und bezeichnen sie als ein „Krank­heitsphänomen” (so W. Kopfermann) der Charismatischen Bewe­gung. Kopfermann beendet seine Untersuchung mit folgenden unmißverständlichen Worten:
„Ich wünsche mir … daß viele Leser sich nach der Lektüre dieses Buches von der ,Geistlichen Kriegsführung` verabschie­den.”Ich werde im Verlauf dieses Kapitels auf die Argumente beider Autoren zurückkommen.

Bezeichnend ist, daß von evangelikaler Seite bisher kaum eine warnende Stimme laut wurde, was beweist, daß man entweder aus Desinteresse oder Gleichgültigkeit die neuen geistlichen Strömun­gen nicht zur Kenntnis nimmt, oder aber gedankenlos alle neuen Modeerscheinungen akzeptiert.

Die Lehre von der „Geistlichen Kriegsführung”

 1. „Territoriale Mächte bzw. Geister”
Auf den folgenden Seiten möchte ich zunächst kurz die Theorien über „Geistliche Kriegsführung” darstellen, wie sie von den bekannten Führern dieser Bewegung gepredigt und publiziert wer­den. Eine Beurteilung dieser Lehren wird später erfolgen.

C. P. Wagner zitiert in seinem Buch Der Kampf mit satanischen Engeln den Professor für Mission, Timothy M. Warner, der fol­gendes erklärt hat:
„Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß Satan tatsächlich jede geopolitische Einheit der Welt einem Dämon oder einem ganzen Korps von Dämonen überträgt und daß diese Dämonen zu den Gewalten und Mächten gehören, gegen die wir kämpfen.”

Möglicherweise ist der Begriff „territoriale Mächte” ebenso wie „Dritte Welle” eine Wortschöpfung C. P. Wagners.

Satan wird als oberster General der Mächte der Finsternis bezeich­net, der sozusagen die Spitze der Pyramide einer hierarchischen Struktur von bösen Geistern bildet. Darunter befinden sich die „Herren” und „Fürsten”, die über eine gewisse Unabhängigkeit ver­fügen und denen die „Mächte” unterstellt sind, „möglicherweise in größerer Zahl und etwas weniger unabhängig und machtvoll” wie die „Fürsten”. Im Rang „untergeordneter Offiziere” werden die „Herrscher der Finsternis” gesehen und die unterste Stufe bilden die „bösen Geister und Dämonen”.Als Beleg für diese Rangordnung zitiert man gewöhnlich Eph. 6,12:
„Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalten, gegen die Mächte, gegen die Weltbeherr­scher dieser Finsternis, gegen die geistigen Mächte der Bosheit in der Himmelswelt.”

2. Zuteilung von geographischen Gebieten
C. P. Wagner und seine Schüler stellen die Hypothese auf, daß innerhalb der satanischen Hierarchie Gebiete auf- und zugeteilt werden. Daher spricht man von „territorialen Dämonen”.

„Satan delegiert die Kontrolle über Nationen, Regierungen, Städte, Stämme, Völkergruppen, Wohnviertel und auch wichti­ge soziale Netze überall in der ganzen Welt an hochrangige Glieder der Hierarchie der bösen Geister.”

Diese Hypothese hat dazu geführt, daß viele Charismatiker davon überzeugt sind, daß für jedes Haus, jedes Kirchengebäude, jede Straße, Stadt, Bezirk und Nation territoriale Dämonen verschiede­ner Rangordnung zuständig sind. Daneben ist man der Überzeu­gung, daß andere Dämonen jeweils für Medien, Ideologien, falsche Lehren usw. zuständig sind.

So erwähnt C. P. Wagner z.B. den ehemaligen US-Innenminister James Watt, welcher meint, daß „dem Weißen Haus ganz bestimm­te finstere Engel zugewiesen sind. Welche Auswirkungen solche Einsichten für die soziale Gerechtigkeit, den Frieden und die Rechtsprechung, sowie auf die Evangelisation haben könnten, liegt auf der Hand.”

Als biblischer Beleg für diese Hypothese wird Daniel 10 zitiert, wo die Rede ist von dem „Fürst des Königreichs Persien” und dem Fürst des Königreichs Griechenland” (Dan. 10, 13.20), die beide mit den Engeln Gottes im Kampf standen. Alle anderen Bibelstellen, die zitiert werden (5. Mose 32,8; Ps. 18, 29-43; Luk. 11,21-22 usw.), sagen nichts über „territoriale Dämo­nen” aus.

3. Die Geister identifizieren
Um wirksam gegen die dämonischen Mächte kämpfen zu können, wird empfohlen, durch Gebet und Fasten zunächst einmal die Auf­gaben und Namen der zuständigen Dämonen zu erfahren, um sie dann unschädlich machen zu können.

Wagner führt dazu aus:
„Viele, die im Befreiungsdienst stehen, forschen zunächst nach den Namen der Dämonen und treiben sie dann persönlich im Namen Jesu aus. Als Jesus dem dämonisierten Gadarener zur Hilfe kam, fragte Er nach dem Namen des Geistes und fand her­aus, daß er Legion hieß (siehe Mk. 5,9). Wenn diese Methode bei Dämonen angewandt wird, die einzelne Menschen quälen, dann könnte es berechtigt sein, dieselbe Vorgehensweise auch bei territorialen Geistern anzuwenden.”

An anderer Stelle schreibt Wagner:
„Ich habe bei einigen meiner Freunde, die einen vollmächtigen Befreiungsdienst haben, ein Muster festgestellt, nach dem sie oft vorgehen. Wenn sie beginnen, dann provozieren sie die Dämonen oft dazu, mit ihnen zu sprechen, weil sie deren Namen und Wirkungsweise herausbekommen wollen. Sie sind der Mei­nung, daß sie im Verlauf dieses offenen Aufeinandertreffens sicherer sagen können, ob sie den Kampf gewinnen und wann der Dämon tatsächlich gewichen ist.”

Von Rita Cabezas wird berichtet, ihr sei aufgrund von „Worten der Erkenntnis” offenbart worden, daß „unter Satan sechs Weltmächte stehen, die Damian, Asmodeo, Menguelesh, Aros, Beelzebub und Nosferasteus heißen”. Diesen Mächten würden dann jeweils sechs weitere Herrscher unterstehen, die als Oktett über eine Nation herrschen. Jeder einzelne dieser Herrscher wäre dann für bestimmte Aktionsbereiche verantwortlich. So sei der für USA zuständige Herrscher „Anoritho” z.B. für Ehebruch, Trunkenheit, Unzucht, Freßsucht, Gier, Homosexualität, Lesbianismus, Prostitution, Ver­führung, Sex und Laster zuständig.

Don Sherman von „Jugend mit einer Mission” sagt:
„Gott zeigt uns den einzelnen Geist, damit unsere Gebete genau sein können. Danach können wir die Macht dieser Geister im Namen Jesu brechen und dafür beten, daß der Heilige Geist kommt und die Situation heilt.”

Ed Murphy, der Vizepräsident und Direktor von „International Ministry Team of Overseas Crusades” ist der Überzeugung, daß erfahrene Seelsorger in der Lage sind, Dämonen zu zwingen, die Wahrheit zu sagen:
„Wer Erfahrung im Befreiungsdienst hat, kann böse Geister dazu zwingen, die Wahrheit zu sagen. Ich tue dies immer. Damit soll nicht gesagt werden, daß es weise ist, lange Gespräche zu führen. Wir fordern von ihnen nur die Informationen, die wir brauchen, um mit der Befreiung fortzufahren. Danach treiben wir sie aus an den Ort, wo Jesus sie hinschickt.”

Der Schwede Kjell Sjöberg, der zehn Jahre lang Leiter der „Fürbitte für Schweden” war und seit 1983 in vielen Ländern unterwegs ist, um über Gebet und geistliche Kriegsführung zu lehren, ist der Überzeugung, daß es heute Menschen gibt, welche die Gabe der „geistlichen Spionage” haben, einen „Jagdinstinkt”, der es ihnen ermöglicht, die Machenschaften des Feindes aufzuspüren und das Böse zu lokalisieren.

„In Brüssel verbrachten wir die ganze Konferenz in diesem Pro­zeß der Identifizierung. Wir suchten in der Stille vor dem Herrn, um herauszufinden, welche Mächte über Brüssel herrschen. Die Anwesenden schrieben Bibelverse, Visionen und Bilder und prophetische. Worte auf. Als wir alle diese Informationen zusammentrugen, bekamen wir ein klares Bild von zwei feindli­chen Mächten, gegen die wir zu kämpfen hatten: Mammon und die Hure, Materialismus und Sittenlosigkeit. Es geschah ,zufäl­lig’, daß wir für jedes Gebiet, das wir im Gebet anzugreifen hatten, sieben Zeugnisse und Bestätigungen hatten, die alle übereinstimmten.”

4. Autorität gebrauchen
Weiter wird gelehrt, daß es nun auf die Initiative der Christen ankommt, ob Befreiung geschieht. Einige Männer wie Hartwig Henkel und Wolfhard Margies gehen sogar soweit zu sagen, daß der Himmel auf die Initiative der Erde angewiesen und Gott in sei­ner Allmacht eingeschränkt ist:

„Wie uns in Daniel 10 beschrieben wird, haben Satans Engel­fürsten über einem Land die Kraft, einem geplanten Dienst Gottes auf der Erde zu widerstehen und ihn aufzuhalten. Das Gebet und Fasten Daniels war der entscheidende Faktor! Der Himmel ist auf die Initiative der Erde angewiesen! Die Ent­scheidung von Menschen wird vom Himmel anerkannt und vollzogen! (Matth. 18,18)
Gottes Kraft hat also nicht wegen seiner Allmacht automatisch Freiheit, auf der Erde zu wirken, wie er will. Welch eine Berau­bung und Lähmung hat doch seit Jahrhunderten am Leib Christi stattgefunden wegen dieser Lehre von der Souveränität Gottes! Der Geist des Kommunismus z.B. hat trotz seiner Irrationalität und Inkonsequenz einen solchen Siegeszug feiern und Millio­nen von Menschen knechten können, weil der Leib Christi seine Autorität nicht verstanden und genutzt hat… Nur wenige Jahre Gebetskampf brauchte es, bis ein mehr als europaweiter Zusam­menbruch des Kommunismus übernatürlich erreicht wurde.

Larry Lea, den C. P. Wagner seinen „guten Freund” nennt und ihn zu den „erfahrendsten Kämpfern in Amerika” zählt, ist inzwischen durch seine Vorträge und Bücher auch im deutschsprachigen Raum bekannt geworden. Lea gibt den bereits schon zitierten Ratschlag:

„Gib dich nicht damit zufrieden, den Starken zu binden und dann einfach wegzugehen. Nimm Autorität über ihn… Um Men­schen geht es uns hier überhaupt nicht, sondern um geistliche Kampfführung. Es geht uns hier um den Nahkampf gegen unse­re geistlichen Feinde: den Teufel und seine Dämonen. Es geht uns darum, Autorität über böse Geister, Beherrscher der Finster­nis, Gewalten und über die Starken zu nehmen, die dir alles Gute zu rauben versuchen, das Gott dir zugedacht hat.”

Die Grundlage für unsere angebliche Autorität über den Teufel sieht Larry Lea in seiner völlig unbiblischen Lehre über den „Blutaustausch”. Er empfiehlt seinen Lesern folgendes Gebet:

„Ich möchte, daß dein Blut durch mein Leben strömt und meine ganze alte genetische Struktur, alle meine früheren Sünden, mei­ne bisherigen Krankheiten und meine ganze ‚alte Natur’ reinigt. Ich möchte eine hundertprozentige Blutübertragung. Ich möch­te, daß dein Blut durch meine Adern fließt. Ich möchte, daß mein Herz so wird wie dein Herz und dein Lebensblut durch mich pulsiert.”

„Nachdem du einmal dein adamitisches Blut durch einen Akt deines Willens und deines Glaubens gegen das Blut Jesu ausge­tauscht hast, ist das Eigentumsrecht für dein Leben auf Jesus übertragen worden.”

„Das Blut gibt dir den geistlichen ,genetischen Code’, der dich zum Kämpfer Gottes werden läßt, der die Macht hat, den Feind zu besiegen und Frieden und Freiheit zu erleben!”

Hartwig Henkel lehrt ebenso wie Wolfhard Margies und andere Männer der „Wort-des-Glaubens”-Bewegung, daß unsere Autorität über Satan in dem „geistigen Tod” Jesu begründet ist.

Diese von E.W. Kenyon und K. Hagin zuerst entwickelte „Identifi­kationslehre” besagt, daß Jesus angeblich nicht nur körperlich, son­dern auch geistlich gestorben ist und der Geist Jesu nach seinem leiblichen Tod drei Tage lang im Hades von Dämonen gequält wur­de und schließlich dem Satan ein Opfer gebracht, oder einen Preis für unsere Erlösung bezahlt hat.

„Diese gewaltige Kraft Gottes war notwendig, als Jesus von den Toten zurückgeholt werden sollte, weil Jesus nach dem Kreuzes­tod im Geist als Gefangener Satans in dessen Machtbereich war, als unser Stellvertreter.”

„Erst am Kreuz gab sich Jesus freiwillig in die Hand des Teu­fels… nach dem physischen Tode wurde Jesus im Geist in die Gewalt der Finsternis gebracht.”

Henkel spricht dann von der „geistlichen Erneuerung”, die Jesus bei der Ruferweckung aus den Toten erfahren habe, andere Auto­ren reden davon, daß Jesus „in den Tiefen der Hölle wieder­geboren” wurde und E.W. Kenyon scheut sich nicht zu sagen:

„Er (Jesus) ging in die Hölle als ein von Dämonen besessener, sterblicher Mensch und entstieg ihr als ein Wiedergeborener und Auferweckter.”

Auch W. Margies sieht in diesem „geistlichen Tod” Jesu die Ursa­che für unsere Autorität über den Feind:

„Er (Jesus) war… für drei Tage unter der Herrschaft des Teufels, die er in all ihrer Grausamkeit, Bosheit und Demütigung ertra­gen mußte. Weil er nun diese Herrschaft ertragen hat, deswegen hat er uns in Gestalt dieses Preises die Autorität erworben, ab jetzt über den Teufel herrschen zu können.”

So kommt Margies in Anlehnung an Lukas 10,19 zu der Schlußfol­gerung:

„Wir sind dem Satan und seinem Reich überlegen. Es ist nicht nur so, daß wir vor seinen Attacken geschützt sind, vielmehr haben wir aktive Vollmacht über ihn.”

Diese vermeintliche Vollmacht wird dazu eingesetzt, Satan und sei­ne Dämonen zu „binden”.

„Der Kampf gegen geistlich-satanische Formationen in der Sphäre von Kulturen und Weltanschauungen, der eigentlich eine Auseinandersetzung mit Wahrheiten und Gedanken ist, obliegt völlig der Gemeinde Jesu und wird nicht für uns von Gott oder irgendeiner anderen göttlichen Instanz übernommen. Wenn wir nicht kämpfen, bleiben Positionen, die uns eigentlich gehören, dem Feind überlassen.

Der Himmel tut, was wir tun, befehlen oder durch göttliche Kampfesführung bewirken, und nicht umgekehrt… Die Willens­entscheidung wird zuerst auf der Erde von uns formuliert und vollzogen, und der Himmel zieht nach!”

5. Den Sieg des Herrn proklamieren und die Salbung frei­setzen
In der Annahme, daß durch „offensives Gebet” die Dämonen über Städte und Länder vertrieben oder gebunden worden sind, sind die Gebetskämpfer überzeugt, daß erst jetzt eine Freiheit und Offenheit für das Evangelium entsteht.

„Nachdem wir also den Gebetskampf ausgetragen haben, ist es das Normale, um die Ausgießung des Heiligen Geistes zu beten. Das Herrschen der bösen Geister muß durch das Herrschen der Heiligen abgelöst werden. Nachdem wir gegen den Starken Krieg geführt haben, beten wir, daß starke christliche Leiter­schaft entsteht und den leergewordenen Platz einnimmt. Nach­dem wir die Stellungen und Befestigungen des Feindes nieder­gerissen und zerstört haben, kommt die Zeit zu bauen und zu pflanzen.” (K. Sjöberg in Berufen zum Sieg, WDL, Remscheid 1993)

Mit dieser „geistlichen Landeinnahme” ist bei vielen Männern der „Geistlichen Kriegsführung“ die Überzeugung verbunden, daß sie in der Lage sind, den Segen Gottes, oder sogar den Geist Gottes „frei­zusetzen”:

„Wir mobilisieren die Armee Gottes zum Kampf. Wir machen uns eins mit dem Heuen und seinen Engeln in einem koordinier­ten Angriff gegen die geistlichen Mächte, die die Völker gefan­gen halten. Dann, in der Autorität der völligen Einmütigkeit in dem Herrn (Matth. 18,18-20), werden wir den Segen Gottes über Europa freisetzen… Gott setzt jetzt Menschen, Geldmittel, Kraft und Weisheit frei, um ganze Städte für das Reich Gottes einzunehmen.”

Kjell Sjöberg hat in seinem Buch auch den Wortlaut seiner Prokla­mation in Bonn veröffentlicht:

„Der Herr hat verheißen, daß er einen Geist der Gnade und der Fürbitte ausgießen wird (Sach. 12,10). Diesen Geist des Gebets, der bereits über die Gruppen der messianischen Juden in Israel gekommen ist, setzte ich jetzt über das Volk Gottes in Deutsch­land frei… Ein Geist des Gebets über Deutschland führt dahin, daß Altäre des Gebets in den Städten entstehen, wo Christen in Einigkeit sich treffen und für ihre Stadt beten können… Der Нerr brüllt wie ein Löwe. Warum brüllst du wie ein Löwe, Неrr? Mein Geist brüllt um die Salbung Elias, daß sie ausgegossen wird auf Männer und Frauen in der Endzeit. Die Zeit ist für euch gekom­men, im Geist und in der Kraft des Elias zu beten, und euch zusammenzutun, um den Weg für die Wiederkunft Jesu vorzube­reiten…. Ich erkläre, daß die Zeit für euch gekommen ist, eure Plätze an Jesu Seite einzunehmen und mit ihm zu herrschen.”

 

Die Praxis der „Geistlichen Kriegsführung”

Damit der Leser eine Vorstellung von der Praxis der „Geistlichen Kriegsführung” bekommt, möchte ich eine Anzahl Beispiele zitieren, die alle von international anerkannten „Gebetskämpfern” stammen.

Larry Lea

In seinem Buch Nicht mit Fleisch und Blut stellt er sich selbst vor:

Ich bin kein heruntergekommener, schwacher, kriecherischer, saft- und kraftloser Prediger, der in irgendeinem Winkel ver­sucht, ein klein bißchen zu erreichen. Auf gar keinen Fall! Ich bin Gottes Streitaxt.

Ich bin nicht nur irgendein Köter, der sich so gut es geht durch diese alte, sorgenvolle Welt durchschlägt. Ich nicht! Ich bin Gottes Instrument – ein Werkzeug, das er ins Dasein gerufen hat, um geistliche Schlachten zu schlagen und zu siegen.”

Bei dieser Selbsteinschätzung wundert man sich nicht, daß Larry Lea auf einer vollseitigen Anzeige in der amerikanischen Zeit­schrift „Charisma” im militärischen Kampfanzug gezeigt wird, um 300.000 Gebetskämpfer aufzufordern, ihm zu folgen und Amerika für Gott einzunehmen.

Er selbst berichtet, wie er beim Anflug auf einen Flughafen in eine Wolke eindrang und eine geistliche Vision bekam. Er sah im Geist eine dunkle Wolke über der Stadt hängen:

„Ich sagte: ,Herr, was ist das für eine Wolke?` In meinem Geist hörte ich, wie er sagte: ,Das sind der Starke und seine Helfers­helfer, die über der Stadt schweben.` Dann zeigte er mir, daß ähnliche Finsterniswolken über jeder größeren Stadt hängen. Im Geist rief ich: ,Was sollen wir tun? Die Wolke muß weg!` Der Неrr antwortete: ,Mein Sohn, dafür sind die 300.000 Fürbit­ter für Amerika da.’ 

Vor einigen Jahren hat mich der Неrr berufen, 300.000 Männer und Frauen zu sammeln, die täglich im Gebet für Amerika ein­treten werden.”

Larry Lea berichtet, daß C. P. Wagner ihm eines Tages gesagt habe: Wir brauchen dich, damit du den Leib Christi beten lehrst und uns den nötigen Anstoß gibst, endlich in die geistliche Kriegsführung einzutreten.”

So ist Lea nun seit Jahren unterwegs, um diese 300.000 Gebets­kämpfer zu suchen und auszubilden.

Steven Lawson berichtet von einem Einsatz Leas in Miami (Flori­da). Er rief dort die Christen der Stadt zu einem Durchbruch im Gebet auf. Pastoren von 430 Ortsgemeinden folgten seinem Aufruf und mit ihnen versammelten sich 10.000 Menschen, um für Miami und Umgebung zu beten.

„An den ersten beiden Abenden wenden sich Lea und mit ihm 10.000 Christen gegen die Herrscher der Finsternis. Lea und die Pastoren aus Miami und Umgebung identifizieren Geister der Furcht, der Religiosität, der Gewalt, der Drogen, der Zauberei, der Entmutigung und Habgier. Lea, vom Podium aus: ,Wir befehlen, daß diese Geister nicht länger dieses Gebiet beherr­schen. Wir befehlen, daß der Geist der Furcht nicht mehr in die­ser Stadt herrscht!’

Am letzten Abend leitet Lea einen geistlichen Angriff gegen den starken Mann der Habgier, den er als den Beherrscher über das gesamte Gebiet ausgemacht hatte.”

Lea teilte in Miami auch mit, daß Gott ihm gezeigt habe, daß der „Starke der Gier” den Reichtum der Bösen zurückhalten würde, der den Christen gehöre. „Wenn wir den Starken der Gier binden, dann wird der Reichtum der Nationen der Kirche gegeben werden.”

Lea schwang dann ein „unsichtbares Schwert”, womit dieser Dämon in Stücke gehauen werden sollte. Lea ist tatsächlich der Überzeugung, daß man durch „Geistliche Kriegsführung” Geldmittel freisetzen kann.

„Wenn wir in Church on the Rock gemeinsam die Worte aus dem Vaterunser beten: ,Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden`, stehen wir auf, richten unseren Blick nach Norden und sagen: ,Norden, gib her, was dieser Gemeinde gehört.` Dann wenden wir uns nach Osten und sagen: ,Osten, gib her, was dieser Gemeinde gehört.`… Damit ist alles gemeint, was Gott will, daß wir es bekommen… Damit sind Geldmittel gemeint, die in unseren Gemeinden freigesetzt werden sollen. Gemeint ist, daß wir jedes Wunder, das wir brau­chen, auch empfangen.” (Aus Larry Lea: Nicht mit Fleisch und Blut, WDL, Remscheid).

Carlos Annacondia

C. P. Wagner nimmt an, daß der argentinische Evangelist Carlos Annacondia „mit seinen Großveranstaltungen der effektivste Evan­gelist ist, der je gelebt hat” (Wagner, Das offensive Gebet, Projektion J, Wiesbaden, 1992). Wagner sieht die Ursache darin, daß Annacondia ein „Gebetskämpfer” ist.

„Ich habe noch nie einen Evangelisten erlebt, der auf der Bühne den bösen Geistern auch nur annähernd so aggressiv entgegen­tritt wie Annacondia. Im Grunde genommen stichelt er die Gei­ster durch seine langandauernde, laute und überaus energische Kampfansage so lange, bis sie sich auf die eine oder andere Weise manifestieren und zu erkennen geben.

Das, was sich während seiner Großveranstaltungen auf den Plät­zen abspielt, erscheint dem Uneingeweihten als Chaos in Rein­kultur. Aber für die geübten und erfahrenen Mitglieder, die zu den 31 Teams gehören, mit denen Annacondia seine Großveran­staltungen durchführt, ist es nur ein weiterer Abend, an dem an der Front Kampfgebet durchgeführt wird, durch das die Macht Jesu Christi über die dämonischen Mächte für alle sichtbar wer­den soll.

Und die Macht ist unglaublich. Es geschehen viele Heilungen, die nur als Wunder interpretiert werden können. Es geschehen zum Beispiel so viele zahnmedizinische Wunder – Zahnlöcher füllen sich, neue Zähne wachsen nach und kaputte Brücken wer­den durch ganze Zähne ersetzt -, daß nur noch diejenigen auf der Bühne von ihrer Heilung Zeugnis geben dürfen, bei denen sich mehr als zwei Zahnlöcher wieder geschlossen haben. Es wird von einem Zwergwüchsigen berichtet, der um 38 Zentime­ter gewachsen ist.”

Edgardo Silvoso

Dieser argentinische Evangelist – der Schwager von Luis Palau – wird von C. P. Wagner als ein „hochkarätiger Evangelisationsstrate­ge” bezeichnet. Er ist Gründer und Leiter von „Harvest Evange­lism”, mit dem Sitz in San Jose, Kalifornien.

Silvoso fand heraus, daß es in einer bestimmten Gegend Argentini­ens 109 Städte und Dörfer ohne eine evangelikale Gemeinde gab. Seine Nachforschungen ergaben, daß dort ein mächtiger Hexenmei­ster, Merigildo, sich übernatürlicher Kräfte bediente, um das Evan­gelium von dieser Region fernzuhalten.

Silvoso schloß sich mit verschiedenen christlichen Leitern zusam­men, um dieser Situation mit einem ernsthaften Kampfgebet zu begegnen. Er sagte: „Wir gaben den Jüngern des Merigildo und den Fürsten der Dunkelheit einen mit dem Blut Jesu versiegelten Aus­wanderungsbefehl.”

Danach sei diese okkulte Macht gebrochen worden und nun würde in jeder dieser 109 Städte und Dörfer eine evangelikale Gemeinde sein.

Omar Cabrera

Dieser ebenfalls argentinische Evangelist hat nach C. P. Wagner die meiste Erfahrung mit „örtlich begrenzt wirksamen Dämonen”.

Vor einer Evangelisation zieht sich Cabrera in ein Hotelzimmer zurück, um einige Tage zu beten und zu fasten, „sich selbst zu ver­leugnen und mit Jesus eins zu werden. Er hat den Eindruck, dabei die Welt zu verlassen und sich in einer anderen Ebene der Realität aufzuhalten, in der geistlicher Kampf stattfindet. Manchmal sind die Angriffe des Feindes erbittert. Er hat sogar einige Dämonen in körperlicher Form zu sehen bekommen. Sein Ziel ist es, ihre Namen zu erfahren und ihre Macht über diese Stadt zu brechen.”

Omar Cabrera pflegt Satan direkt herauszufordern, er verflucht ihn und seine dämonischen Mächte sowohl im privaten Gebet wie auch in der Öffentlichkeit.

Yonggi Cho

Y. Cho ist Pastor der weltgrößten Gemeinde „Yoido Full Gospel Church” in Seoul mit ca. 700.000 Mitgliedern. Cho ist durch seine Lehren über die „Vierte Dimension” („Visualisierung“, „Macht des gesprochenen Wortes“ usw.) weltweit bekannt geworden.

Ostersonntag 1992 nahm er den neuen Namen „David” an, womit er den Wechsel seiner Identität und den Anfang eines neuen Lebens deutlich machen wollte.

Die Vorgeschichte besteht darin, daß Cho mehrere Gebetstreffen mit über 90.000 Teilnehmern für die Wiedervereinigung Koreas durchführte. In diesem Zusammenhang hätte Gott ihm klargemacht, daß die Wiedervereinigung Koreas nur dann stattfinden könne, wenn sich die Gemeinde von Cho mit den „Assemblies of God” (Pfingstgemeinde) in Korea vereinigen würde.

Der Bruder Chos und sein Vater waren gegen diesen Plan und so wurde Yonggi Cho enterbt. Cho war zutiefst gekränkt und sah die­ses Vorgehen als seinen Tod an, so daß er den neuen Namen annahm.

Yonggi Cho hat einen enormen Einfluß auf Männer der Pfingstbe­wegung, der Charismatischen Bewegung und der Dritten Welle. C.P. Wagner hat zu Cho eine freundschaftliche Beziehung und Gebetskämpfer wie John Dawson (Jugend mit einer Mission) und Larry Lea haben ihre Impulse für „Geistliche Kriegsführung” von Yonggi Cho bekommen.

Cho ist der Überzeugung, daß der Teufel hinter Kim Il-sung und der kommunistischen Regierung Nordkoreas stand und ihn mani­pulierte.

„Folglich liegt der Weg zur Absetzung des kommunistischen Regimes von Kim Il-sung darin, den Engel Gottes zu veranlas­sen, uns die Antwort Gottes durch unser Gebet und Fasten zu überbringen… Wenn unser Gebet zu Gott emporgebracht wor­den ist und der Engel Gottes herniederkommt, um den Fürsten der kommunistischen Nationen als Antwort auf unser Gebet gefangenzunehmen, wird der Kommunismus wie ein Sand­kastengebäude zusammenstürzen… Die Gebete, die von treuen Christen Tag und Nacht auf den Bergen und im Flachland, in der Gebetskammer und in der Kirche gesprochen werden, haben unseren wahren Feind, den Teufel, gebunden, der hinter Kim Il-sung steht.”

Yonggi Chos „Geistliche Kriegsführung” unterscheidet sich von den anderen Gebetskämpfern insofern, daß Cho das „Binden” der Dämonen den Engeln Gottes überläßt.

Jesus – Märsche

Wie im weiteren Verlauf des Buches ausführlich gezeigt wird, sind auch die Jesus-Märsche nicht von der „Geistlichen Kriegsführung” zu trennen.

Bei diesen Märschen geht es darum, betend durch die Straßen und Städte zu marschieren, um die territorialen Dämonen zu binden, von denen man glaubt, daß sie besonders dort Herrschaft beanspruchen, wo in der Vergangenheit durch Nationalsozialismus, Antisemitis­mus usw. Weichen gestellt wurden. Daher spielten in den vergange­nen Jahren die Städte Nürnberg und Berlin eine besondere Rolle. Auch die „Berliner Erklärung” von 1909, in der sich damals ein großer Teil der geistlichen Führer in Deutschland kritisch zur anbrechenden Pfingstbewegung stellten, scheint ein weiterer Anlaß zu sein, Jesus-Märsche in Berlin zu starten. Jedenfalls wurde beim ersten Berliner Jesus-Marsch 1992 in besonderer Weise dieser Erklärung gedacht. (Viele Charismatiker sind der Überzeugung, daß diese Erklärung Deutschland unter einen Fluch und unter die Herrschaft territorialer Dämonen gebracht hat.)

 

Was lehrt die Bibel?

1. Werden in der Bibel „territoriale” Dämonen erwähnt?

Ohne Frage wird aus Daniel 10 deutlich, daß es satanische Engel gibt, die für einen bestimmten Bereich zuständig sind. Diese gefal­lenen Engel werden „Fürst von Persien” und „Fürst von Griechen­land” (Dan. 10,20) genannt.

Im NT gibt es eine Anzahl Bibelstellen, in denen die Rede von „Engeln”, „Mächten”, „Gewalten” und „Fürstentümern” ist (vgl. Rö. 8,38; 1. Kor. 6,3; 15,24; Eph. 1,21; 3,10; 6,12; Kol. 1,16; 2,10). Einige dieser Verse reden von guten, andere auch von gefallenen Engeln.

Manche dieser Stellen reden davon, daß Christus Herr ist über alle Fürstentümer und Gewalten und lassen offen, ob es sich um gute oder böse Engel und Fürstentümer handelt.

Einzig aus Dan. 10 und evtl. Judas 9 können wir entnehmen, daß es Engel gibt, die für besondere Völker oder Territorien zuständig sind. Einzelheiten über diese Fürstentümer und Gewalten gibt uns die Bibel nicht bekannt. Doch gibt es Anzeichen dafür, daß es im Judentum zur Zeit der Apostel Gruppen gab, die besondere Lehren über Engel entwickelt hatten, von denen einige Christen negativ beeinflußt wurden (siehe Kol. 2,18).

An keiner Stelle im NT werden Informationen über „territoriale” Engel weitergegeben.

Da, wo Gottes Wort gar keine oder keine konkreten Aussagen macht, sollten wir uns hüten, Lehren und Auffassungen zu ent­wickeln, die über das hinausgehen, was in der Bibel eindeutig geof­fenbart ist.

Man kann Wolfram Kopfermann nur zustimmen, wenn er zu dem Ergebnis kommt:

„In der Heiligen Schrift finden sich zwar Ansätze für die von C. Peter Wagner und anderen vertretene Lehre von territorialen Mächten. Diese Ansätze wurden dann aber von den Vertretern der Geistlichen Kriegsführung spekulativ ausgeweitet. Bereits darin liegt eine Gefährdung des evangelischen Schriftprinzips, weil eine solche Ausweitung nur mittels subjektiver Eindrücke möglich ist.

2. Gibt es Anweisungen in der Bibel, Dämonen zu identifizie­ren und anzugreifen?

Ich habe keine einzige Stelle in der Bibel gefunden, die eine Auf­forderung enthält, Namen von Dämonen zu erforschen und diese Dämonen zu attackieren.

Im Leben unseres Herrn gibt es eine Begebenheit, wo er den Namen eines Dämons erfragt (Luk. 8,30). Doch nirgends Emden wir einen Befehl des Herrn oder der Apostel, in solcher Weise mit Dämonen umzugehen.

Die Apostel trieben Dämonen aus, doch diese Austreibungen waren Reaktionen auf satanische Angriffe oder Herausforderungen und niemals umgekehrt (vgl. Ap. 16, 16-18).

So ist auch die von den „Gebetskämpfern” vielzitierte Stelle Eph. 6, 10-20 zu verstehen. Dort geht es um „widerstehen” (Vers 13), „ste­hen” (Vers 14), um das „auslöschen feuriger Pfeile” (Vers 16). Alle aufgezählten Waffen werden als Verteidigungswaffen beschrieben. Es geht um Wahrheit, Gerechtigkeit, Glauben, eine evangelistische Lebenshaltung, Bibelkenntnis und Fürbitte. Nirgendwo ist hier die Rede vom „attackierenden Gebet”.

Die „Gebetskrieger” benutzen Begriffe aus diesem Abschnitt, fül­len sie willkürlich mit einem anderen Inhalt und entwickeln eine Lehre und Praxis, die im Gegensatz zu den Aussagen von Eph. 6,10-12 stehen.

Auch die Verse in 2. Kor. 10,3-6, wo Paulus von den gottgemäßen Waffen zur „Zerstörung von Festungen” redet, geht es um eine Reaktion auf Lehren und Praktiken, die von „falschen Aposteln” (2. Kor. 11,13) verbreitet wurden. Diesen „Superaposteln” (2. Kor. 11,5) , deren Charakter Paulus in den weiteren Versen und Kapiteln beschreibt, stellt sich Paulus entgegen und entlarvt sie als macht­hungrige, skrupellose und geldgierige Betrüger.

2. Kor. 10 und 11 sind daher Belege dafür, daß unser geistlicher Kampf u.a. darin besteht, falschen Lehrern und Aposteln mit dem Wort Gottes entgegenzutreten und ihre falschen Lehren und Prakti­ken zu entlarven.

3. Haben wir Autorität über den Teufel?

Aufgrund der Worte Jesu an die Jünger „Siehe, ich gebe euch die Gewalt, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über die ganze Macht des Feindes, und nichts soll euch irgendwie beschä­digen” (Luk. 10,19) folgern viele Gebetskämpfer, daß wir als Christen heute in gleicher Weise Autorität über den Teufel ausüben können.

So schreibt Wolfhard Margies: „Wir sind dem Satan und seinem Reich überlegen… wir haben aktive Vollmacht über ihn.”

Doch wer berechtigt uns, eine zeitlich begrenzte, ausdrücklich an die Apostel oder an die 70 Jünger gerichtete Verheißung nahtlos auf uns zu beziehen? Die Geschichte der Apostel zeigt, daß sich die Verheißung von Luk. 10,19 offensichtlich nicht uneingeschränkt auf die Zeit nach der Kreuzigung des Messias anwenden läßt. Der Apostel Paulus wurde von Satan gehindert, die Thessalonicher zu besuchen.

„Deshalb wollten wir zu euch kommen, (ich, Paulus, nämlich) einmal und zweimal, und der Satan hat uns verhindert.” (1. Thess. 2,18)

Paulus mußte als Verkündiger des Evangeliums fliehen, er wurde versteckt, verhaftet, ausgepeitscht und forderte Timotheus auf, mit dem Evangelium „Trübsal” zu leiden. (2. Tim. 4,5)

Allen, die gottselig leben wollen, verheißt Gottes Wort Verfolgung. (2. Tim. 3,12) Der Apostel Jakobus wurde von Herodes getötet. Stephanus wurde gesteinigt. Fehlte diesen Männern Gottes Einsicht in „Geistliche Kriegsführung”?

Im Gegensatz zu den Gebetskämpfern lehrt das NT, daß Satan der „Gott dieser Welt” ist (2. Kor. 4,4) und das die „ganze Welt in dem Bösen liegt”. (1. Joh. 5,19)

Während Gebetskämpfer wie Annacondia und Cabrera Satan öffentlich verfluchen, wagte der Erzengel Michael kein „lästerndes Urteil” über den Teufel zu fällen. (Judas 9)

Satan hat sicherlich keine uneingeschränkte Autorität, aber Gott läßt es zu, daß der Teufel einige Christen aus Smyrna ins Gefängnis wirft. (Offb. 2,10)

Die Zeit, in welcher die Macht Satans endgültig gebrochen wird, liegt noch vor uns:

„Der Gott des Friedens wird in kurzem den Satan unter eure Füße zertreten.”(Röm. 16, 20)

In Offb. 20, 1-3 lesen wir, daß Satan vor Beginn des Tausendjäh­rigen Reiches von einem Engel gebunden und für tausend Jahre in den Abgrund geworfen wird. Nach dieser Zeit wird er für eine kurze Zeit noch einmal die Menschen verführen können, bis er endgültig sein Gericht im Feuer- und Schwefelsee finden wird. (Oftb. 20, 7-10)

Wenn wir uns einbilden, Vollmacht über den Teufel zu haben, erlie­gen wir einer tragischen Selbsttäuschung. Die Bibel und auch der Lebensalltag von Charismatikern zeigt, daß wir diese Vollmacht eben nicht haben und es wäre besser, diesen Tatbestand demütig anzuerkennen und „stark in der Gnade” (2. Tim. 2,1) zu sein, als derart unnüchtern auf vermeintliche Autorität zu pochen.

4. Können wir Satan und seine Dämonen binden?

Die Vorstellung, daß wir Satan und seine Dämonen binden können, entbehrt jeder biblischen Grundlage.

Selbst C.P. Wagner gibt zu:

„Aber was geschieht dann, wenn heutzutage Christen „Satan, ich binde dich” befehlen? Wahrscheinlich nicht so viel, wie wir gerne hätten. Satan wird irgendwann in der Zukunft für 1000 Jahre gebunden werden, aber in Offb. 20, 1-2 steht, daß dies ein Engel tun wird. Von einem Menschen ist nicht die Rede.”

Dann aber kommt Wagner zu einer eigenartigen und für ihn typi­schen Folgerung:

„Auf der anderen Seite mag es ganz nützlich sein, wenn man „Ich binde dich, Satan!” sagt, denn damit versichert man sich selbst und auch anderen auf unmißverständliche Weise, daß wir den Teufel nicht dulden, und daß wir ihn so weit wie irgendwie möglich lahmlegen.”

Auch hier wird deutlich, wie tragisch sich ein leichtfertiger Umgang mit der Heiligen Schrift auswirkt. Soll es einen psycholo­gischen Effekt haben, wenn Christen sagen: „Satan, ich binde dich!” – obwohl sie gleichzeitig wissen, daß dieser Befehl in den Wind geredet ist?

Um diese Praktiken biblisch zu rechtfertigen, beruft man sich immer wieder auf die Verheißung in Matth. 18,18:

„Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein.”

Doch diese Stelle steht eindeutig im Zusammenhang mit Gemein­dezucht, wobei „binden” bedeutet, an Sünde gebunden sein und Ausschluß aus der Gemeinde zur Folge hat und „lösen” Vergebung, Befreiung und Wiederaufnahme in die Gemeinschaft beinhaltet. Davon zu reden, daß „der Himmel tut, was wir tun, befehlen oder durch göttliche Kampfführung bewirken”, stellt die Dinge auf den Kopf und zeigt, zu welch einer Anmaßung und Vermessenheit ein solches Denken führt.

Alle Autorität zum Binden und zum Lösen hängt damit zusammen, daß Christen „im Namen Jesu” (Matth. 18,20) versammelt sind. Nur das, was dem Willen Gottes entspricht und daher im Namen Jesu getan wird, erfährt die Zustimmung und Anerkennung des Himmels. Gott wird sich niemals zu unbiblischen Aktionen und Beschlüssen bekennen, weil er sich nicht zum Diener der Unge­rechtigkeit und Sünde machen kann.

Während der Jahrhunderte, in denen der Vatikan eine solche falsche Auffassung gelehrt und praktiziert hat, haben aufrichtige Protestan­ten diese Anmaßung oft unter Lebensgefahr gebrandmarkt. Es ist tragisch, daß dieser römische Sauerteig nun auch in evangelikale Kreise eindringt.

Schließlich sollte die Alltagswirklichkeit jeden aufrichtigen Gebets­kämpfer davon überzeugen, daß irgend etwas an der sog. Geistlichen Kriegsführung nicht stimmt. Tatsache ist, daß allem tausendfachen „Binden” von territorialen Dämonen zum Trotz Unmoral, Krieg und Zerstörung weltweit zunimmt.

Auch nach dem 25.6.94, „dem Tag, der die Welt verändert” (Jesus­-Märsche in aller Welt), hat Korruption, Prostitution und Unmoral entgegen allen Prognosen der Gebetskämpfer in keiner Weise abge­nommen. Im Gegenteil, der weltweite Abfall von biblischen Maß­stäben wird weiter rapide zunehmen. Wir steuern nicht auf eine weltweite geistliche Erweckung, sondern auf einen weltweiten Abfall vom biblischen Christentum zu.

5. War Jesus nach seinem Tod auf Golgatha drei Tage unter der Herrschaft des Teufels?

Einige der Gebetskämpfer, die von der „Wort-des-Glaubens”-Bewe­gung geprägt sind, lehren, daß wir durch die angebliche Gefangen­schaft Jesu unter der Macht Satans Autorität über den Teufel bekommen haben.

Diese Männer lehren, daß Jesus am Kreuz angeblich nur leiblich gestorben sei, der „geistliche Tod” aber bereits vorher stattgefunden habe. Durch diesen „geistlichen Tod” wäre Jesus in ein „dämoni­sches Wesen” verwandelt worden und hätte die „Natur Satans” angenommen. Daher habe die eigentliche Versöhnung oder der „Loskauf“ im Hades stattgefunden, in welchem „alle Dämonen der Hölle über ihn herfielen, um ihn zu vernichten”.

Dort sei dann dem Satan ein Lösegeld gezahlt worden, um die Rechts­ansprüche des Teufels aufzuheben. Schließlich wurde Jesus angeblich „in den Tiefen der Hölle wiedergeboren”, damit wir die „Natur Gottes” und damit auch Autorität über den Teufel bekommen können.
So schreibt z.B. Kenneth Hagin:

„Geistlicher Tod bedeutet, Satans Wesensart zu haben – genauso wie das Empfangen des Ewigen Lebens bedeutet, daß wir die Wesensart Gottes in uns haben.”

Auch W. Margies vertritt die Auffassung, daß die Erlösung mit dem Ruf Jesu „Es ist vollbracht!” nicht abgeschlossen war:

„Er war, wie es das Schriftwort gemäß der Bedeutung der vom Heiligen Geist gewählten Worte bezeugt, für drei Tage unter der Herrschaft des Teufels, die er in all ihrer Grausamkeit, Bosheit und Demütigung ertragen mußte. Weil er nun diese Herrschaft er­tragen hat, deswegen hat er uns in Gestalt dieses Preises die Auto­rität erworben, ab jetzt über den Teufel herrschen zu können.”

Diese sog. „Identifikationslehre” ist sicher die schwerwiegendste Irrlehre, die in einigen Kreisen der Charismatischen Bewegung verbreitet wird. Gott sei Dank ist dieser Lehre auch innerhalb der Charismatischen Bewegung deutlich widersprochen worden (siehe D.R. McConnell: Ein anderes Evangelium?, Verlag C.M. Fliß).

Die letzten Worte Jesu am Kreuz: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist” (Luk. 23,46) zeigen, daß die am Kreuz wegen unserer Sünden unterbrochene Gemeinschaft mit Gott nun wieder­hergestellt war.

Hätte Jesus – wie K. Hagin, K. Copeland, W. Margies, H. Henkel usw. behaupten – durch seinen angeblich „geistlichen Tod” die „Natur Satans” angenommen, um ein „dämonisches Wesen zu werden”, dann hätte er Gott niemals mit „Vater” anreden können.Mit dem leiblichen Tod Jesu zerriß der Vorhang des Tempels, um symbolisch anzudeuten, daß der Weg zu Gott nun durch das süh­nende Blut Jesu frei geworden war.

Folgende Verse machen deutlich, daß die Lehre von der „Versöh­nung im Hades” unbiblisch und häretisch ist:

,,…denn auch Christus hat für euch gelitten… welcher selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat…” (1. Petr. 2, 21-24)

„Durch welchen Willen wir geheiligt sind durch das ein für alle­mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi.” (Hebr. 10,10)

,,…denn es gefiel der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes…” (Kol. 1,19-20)

,,…wieviel mehr wird das Blut des Christus, der durch den ewi­gen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, um dem lebendigen Gott zu dienen.” (Hebr. 9,14)

,,…in welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Ver­gebung der Vergehungen…” (Eph. 1,7)

„Denn Gott ist einer, und einer Mittler zwischen Gott und Men­schen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst zum Lösegeld gab für alle…” (1. Tim. 2,5)

,,…und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist; welchen Gott dargestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an sein Blut…” (Röm. 3, 24-25)

Nirgendwo im NT steht, daß dem Satan ein Lösegeld gezahlt wurde oder daß Jesus nach seinem Tod von Dämonen gequält worden wäre. Gott hat als gerechter Richter Jesus als unseren Stellvertreter gerich­tet, der auch in den Stunden der Finsternis am Kreuz, wo er „zur Sünde gemacht” (2. Kor. 5,21) wurde, in sich selbst rein und heilig blieb. Es bleibt für uns ein Geheimnis, daß der Herr Jesus auch in seinem sühnenden Leiden wahrer Mensch und wahrer Gott blieb. Diese Lehre, daß Jesus nach seinem „geistlichen Tod” ein „dämoni­sches Wesen”, von „Dämonen gequält” und in der Hölle wieder­geboren wurde, um uns die Natur Gottes geben zu können, kann nur von jedem aufrichtigen Christ zutiefst verabscheut werden.Zu welchen Auswüchsen die falschen Lehren führen können, zeigt ein Zitat von Kenneth Copeland:

„Sie haben nicht einen Gott, der in ihnen lebt, nein, Sie selbst sind einer!”

Casey Treat geht in seiner Fehleinschätzung noch weiter:

,, …Wenn Gott in den Spiegel sieht, dann sieht er mich! Wenn ich in den Spiegel sehe, dann sehe ich Gott… und weil ich eine genaue Kopie Gottes bin, werde ich auch handeln wie GOTT!”

Diese Zitate machen deutlich, wie schnell evangelikale Prediger – durch diese falschen Lehren beeinflußt – in die Nähe von Panthei­sten und New-Age-Anhängern geraten können.

Es ist die alte Lüge Satans:„Ihr werdet sein wie Gott!”, die den Menschen groß und Gott klein machen möchte.

 

Seelsorgerliche Aspekte

1. Die Praxis der Geistlichen Kriegsführung führt zu einer überheblichen Selbsteinschätzung

Die Zitate und Beispiele von Larry Lea, Wolfhard Margies, Bert­hold Becker usw. zeigen, daß die Praxis der Geistlichen Kriegs­führung eine ungeistliche und unnüchterne Selbsteinschätzung zur Folge hat.

Die eingebildete Überzeugung, daß der Himmel angeblich das tut, was wir hier auf der Erde befehlen und daß die politischen und moralischen Umstände durch solche Befehle und Kampfgebete ver­ändert werden, läßt sehr schnell ein Machtgefühl und ein Bewußt­sein von Stärke wachsen, das einem Nachfolger Jesu nur zum Scha­den sein kann.

Wolfram Kopfermann hat diese Gefahr sehr genau erkannt und beschrieben:„Wer Geistliche Kriegsführung betreibt, verläßt den Ort der Abhängigkeit und Schwäche (2. Kor. 12), den Gott seiner Kir­che, ihren Leitern und Gliedern zugewiesen hat. Er verläßt ihn auch dann, wenn er subjektiv frei von Stolz ist, ja vorher durch eine Phase ‚geistlichen Zerbruchs’ gegangen ist.”

Peter Kierner kommt zu folgender Überlegung: „Warum findet die Aufforderung zur Geistlichen Kriegsführung so viele Anhänger, obwohl kein Auftrag vorliegt?
Ich glaube, die Beantwortung dieser Frage hängt sehr stark mit dem Machtstreben des menschlichen Herzens zusammen. Es war von Anfang an dieser fleischliche Trieb des Herrschen-Wol­lens im Menschen… Nachdem wiedergeborene Gotteskinder in der Schrift aufgefordert werden, zu lieben, bis hin zur Feindes­liebe, wird dem Herzen der Nährboden zum Herrschen entzo­gen. Nun ist ein Vakuum für diesen alten fleischlichen Trieb ent­standen. Leider ist der Drang zum Herrschen, dieses Machtstre­ben, in vielen Gotteskindern noch nicht gestorben. Er hat sich deshalb in den Bereich des Unsichtbaren verlagert. Da die Bibel den Satan und die Dämonen als Feinde des Men­schen bezeichnet, konzentriert sich das Herrschen auf diesen Bereich. Jetzt fängt man an, dieses Vakuum wieder zu befriedi­gen oder zu stillen. Das ist meiner Erkenntnis entsprechend der Grund für Geistliche Kriegsführung. In Wirklichkeit ist es aber ,ungeistlicher Zeitvertreib’. – Viele wollen über Dämonen herrschen und sind nicht einmal fähig, ihrer eigenen Frau treu zu bleiben.” (P. Kierner: Engel des Lichts im 20. Jahrhundert. Verlag C.M.Fliß, Hamburg)

2. Die Praxis von Geistlicher Kriegsführung verschiebt die biblischen Orientierungspunkte

Im NT werden wir immer wieder aufgefordert, auf Jesus Christus zu sehen (Hebr. 12,2) und über das nachzudenken, was „droben” ist. (Kol. 3, 2)
Die Orientierung auf unseren Herrn hin vermittelt uns nicht nur einen geistlichen Maßstab für eine gesunde Selbsteinschätzung, sondern ermöglicht auch eine biblische und nüchterne Beurteilung von menschlichen „Größen” im Reich Gottes. Das Anschauen des Herrn und seiner Herrlichkeit (2. Kor. 3,18) macht uns Ihm ähnlicher und sorgt auch dafür, daß wir Satan und seine Mächte weder über- noch unterbewerten. Immer dann, wenn unser Interesse und unsere Blicke von unserem Herrn Jesus weg auf andere Personen, Mächte oder Dinge gerichtet werden, verlieren wir geistliche Kraft und erliegen einem Betrug. Wir sollten den Teufel nicht dadurch ehren, daß wir ihm mehr Beachtung schenken, als unbedingt nötig ist.

3. Die Praxis der Geistlichen Kampfführung führt zu einer gefährlichen Fehleinschätzung Satans

Als charismatischer Insider hat Peter Kierner hierzu Ausführungen gemacht, die jeder Gebetskämpfer ernst nehmen sollte:
„Wir sollten uns hüten, den Feind als schwach, hilflos und kraft­los darzustellen. Ich muß immer wieder feststellen, wie Satan mit lächerlichen und lästerlichen Worten bedacht wird und Christen den Bogen ihrer Autorität gegen den Teufel bei weitem über­spannen… Ich kann Gotteskindern nur raten, alle lästerlichen Worte gegen den Satan aus ihrem Vokabular zu streichen. Der Teufel ist keine Witzfigur, die wir lächerlich machen dürfen. Er ist kein Löwe im Käfig. Satan hat auch kein ,Gummigebiß`, und er ist kein Wurm, den wir einfach zertreten können.”

Die Geschichte der sieben Söhne des Hohenpriesters Skevas, die in einer Haltung der Selbstüberschätzung meinten, Dämonen austrei­ben zu können, sollte allen leichtfertigen Gebetskämpfern zu den­ken geben: Diese sieben Beschwörer wurden von dem bösen Geist überwältigt, „so daß sie nackt und verwundet aus jenem Haus ent­flohen.”(Ap. 19,16)

Ein ähnliches Bild geben heute manche ehemaligen Gebetskämpfer ab, die in ihrer Einbildung, Autorität über den Teufel ausüben zu können, für öffentliche Ärgernisse und Schlagzeilen in der Presse gesorgt haben.

Dem empfehlenswerten Buch DIE PROPHETEN KOMMEN entnommen, von Horst Koch, Herborn, im April 2006

www.horst-koch.deinfo@horst-koch.de

Inhaltsangabe des Buches verwendeten Buches:

1. „Die Propheten kommen!”

Paul Cain -Mike Bickle – Rick Joyner
Die „Prophetenbewegung” und ihre Lehre über „Prophetie”
Woran erkennt man einen „Propheten”?
Die Praxis von „Prophetie” in der „Prophetenbewegung”
Beispiele für persönliche „Prophetien”
„Prophetie über Deutschland”
Der „Prophet” Kenneth Hagin
Der Prophet und prophetischer Dienst im Licht der Bibel
Die „Prophetenbewegung” im Licht der Bibel

2. „Geistliche Kriegsführung”

Die Lehre von der „Geistlichen Kriegsführung”
Die Praxis der „Geistlichen Kriegsführung”
Larry Lea – Carlos Annacondia – Edgardo Silvoso – Omar Cabrera – Yonggi Cho
Jesus-Märsche
Was lehrt die Bibel?
Seelsorgerliche Aspekte

3. Die Jesus-Marsch-Bewegung

Die Anfänge in England
Jesus-Marsch in Deutschland und die „Berliner Erklärung”
Jesus-Marsch Berlin 1992
Zielsetzung und Theologie
„Der Tag, der die Welt verändert” – Jesus-Marsch am 25.6.1994
Der Stellenwert der Musik

4. „Evangelisation 2000″

Der Papst ruft Tom Forrest und die Entstehung von „Evangelisation 2000″
„Lumen 2000″ – der Motor von „Evangelisation 2000″
Ziele von „Evangelisation 2000″
„Evangelisation 2000″ – ein Katholisierungsprogramm?
Wird im katholischen Evangelisationsprogramm ein biblisches Evangelium gepredigt?

5. „AD 2000 & Beyond” – Die große Koalition für Evangelisation

Die Vorgeschichte
Die Zielsetzung und Arbeitsweise
Die Rolle Billy Grahams bei der „Verschmelzung”
Einheit auf Kosten der Wahrheit

6. Die Reformation – ein tragischer Irrtum?

Zum Schulterschluß von Evangelikalen und Katholiken in den USA
„Evangelikale und Katholiken sind Brüder und Schwestern in Christus”
Wer ist ein Christ?
„Naiv oder trügerische Falle?”
Wie werde ich gerecht vor Gott
„Die römische Kirche – entweder Meisterwerk Satans oder Königreich des Sohnes Gottes”

7. Der „Toronto-Segen”

Die Wurzeln
Rodney Howard-Browne – Benny Hinn
Die Anfänge
Die Phänomene Auswirkungen
Eine biblische Beurteilung.

Bestellung siehe

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Israel – ein Gottesbeweis (A.Köberle)

Adolf Köberle

Israel ‑ ein Gottesbeweis

 

1.

 

Die Leugnung und Verleugnung Gottes, die in unseren Tagen in aller Welt immer weiter um sich greift, legt die Frage nahe, wie der skeptischen Generation von heute eine Überführung von der Wirklichkeit Gottes nahegebracht werden kann. Die antike Philosophie, die Stoa, die mittelalterliche Scholastik und auch noch die altpro­testantische Orthodoxie lutherischer wie reformierter Ausprägung sind dem Zweifel an der Existenz Gottes in schöner Einhelligkeit entgegengetreten mit dem Hinweis auf eine Vielzahl von Gottesbeweisen. Man sprach von einem ontologischen, von einem historischen, kosmologi­schen und moralischen Gottesbeweis und war der guten Zuversicht, es sei möglich, der menschlichen Vernunft die Realität Gottes auf diesem Weg einsichtig und ein­leuchtend zu machen.

Es war der Königsberger Philosoph Immanuel Kant, der als erster die Beweiskraft dieser metaphysischen Postulate und Argumentationen in Frage stellte, ja zertrüm­merte. Seitdem sind ihm viele radikale Geister darin ge­folgt, ein Ludwig Feuerbach, ein Karl Marx, ein Sigmund Freud. Auch Karl Barth hat sich mit seinem Kampf ge­gen jede Art von »natürlicher Theologie« dieser Kritik an den überlieferten Gottesbeweisen mit Entschiedenheit angeschlossen.

Auf dem Hintergrund all solcher Erschütterung mag uns die Anekdote eigenartig berühren, die sich am Hof des Preußenkönigs Friedrich II. zugetragen haben soll. Friedrich der Große war bekanntlich ein Freund und Verehrer des geistreichen Spötters Voltaire und teilte dessen Geringschätzung aller Religion. So soll er einmal seinen Leibarzt sarkastisch gefragt haben: »Nenn’ er mir einen Gottesbeweis, wenn er kann!« Der also Angeredete aber soll darauf die bündige Antwort gegeben haben: »Die Juden ‑ Majestät.«

Inwiefern ist Israel ein Gottesbeweis, der stärker und überzeugender spricht als alle anderen metaphysischen Be­gründungen, die uns aus der Geschichte von Philosophie und Theologie überliefert sind? Es lohnt sich, darüber nachzudenken.

2.

 

Über dem jüdischen Volk und seinem Geschichtsver­lauf liegt ein rätselvolles Geheimnis. Selbst Profanhistoriker, die bei dem Verständnis der Geschichte die Blick­richtung auf die Wirklichkeit Gottes am liebsten völlig ausschalten, haben zugeben müssen: das Dasein dieses Volkes, dem das Gesetz der Vergänglichkeit in der Zeit nichts anhaben kann, ist ein einmaliges, rational nicht mehr faßbares Phänomen. Man hat sich mit Recht die Frage vorgelegt: was verleiht diesem Volk eine so unge­wöhnliche Zählebigkeit? Jahrhunderte kommen und ge­hen, Völker blühen auf, erreichen ihre Höhe, werden alt und gehen wieder unter. Nur dieses eine Volk wird von dem Gesetz der Völkersterblichkeit nicht betroffen. Es schwimmt wie ein Tropfen Öl auf dem Völkermeer und läßt sich nicht auflösen.

Dieser auffällige Tatbestand wird dadurch noch merk­würdiger und überraschender, wenn man sich vor Augen hält, daß es in der Geschichte dieses Volkes wahrhaftig nicht an gefährlichen Lagen und Stunden gefehlt hat, wo alles dafür zu sprechen schien, daß Auflösung und Untergang eintreten würden. Wir wollen uns einige solcher gefahrenbedrohten Stationen vergegenwärtigen, um dar­an das Staunen zu lernen, wie auch schwerste Krisen den Bestand dieses Volkes nicht verletzen konnten.

Als das israelitische Volk nach der langen Zeit der Wü­stenwanderung in Palästina endlich seßhaft wurde, stieß es dort auf die kanaanitische Urreligion. Der einheimische Baalskult war ein heißer, rauschhafter Naturdienst. Wein und Tanz, dazu die heilige Prostitution auf Bergeshöhen, waren bevorzugt gepflegte Formen, die zum Erlebnis der Gottheit führen sollten. Wir wissen aus den Geschichts­büchern und aus den prophetischen Schriften des Alten Testaments, wie stark und verlockend diese üppige, sinn­lich‑schwüle Naturreligion die neuangekommenen Ein­wanderer umgarnt hat. Dazu brachten im weiteren Ver­lauf Prinzessinnen aus Phönizien bei ihrer Verheiratung die Verehrung der Fruchtbarkeitsgöttin Astarte mit an den Hof der Könige von Israel. Die Goten der Völ­kerwanderungszeit erschlafften unter der Süßigkeit ita­lienischer Frauen und Weine. Das jüdische Volk wird von einer dionysisch geprägten Religion überschwemmt, aber es geht darin nicht unter.

Eine noch stärkere Belastungsprobe für die Kohäsions­kraft mußte die Verbannung in die Babylonische Gefangenschaft bedeuten. Ohne Tempel, fern von der Heimat, als wehrlose Schar einem übermächtigen Sieger ausge­liefert, umgeben von der Astralreligion des Zweistrom­landes, wahrlich, hier waren alle Voraussetzungen vor­handen, auseinanderzubrechen und aufgelöst zu werden. Oft genug hatten Assyrer, Babylonier und Perser die Taktik erfolgreich geübt, besiegte Völker zu verpflanzen und sie allmählich aufzusaugen. Nur in diesem einen Fall versagt das vielmals bewährte Rezept. Eher gestärkt als geschwächt kehren die Nachkommen der Verbannten aus dieser Prüfungszeit an den Ursprungsort ihrer geschicht­lichen Bestimmung zurück.

Eine dritte Belastungsprobe von besonderer Heftigkeit fällt in die Zeit der Makkabäerkämpfe. Alexander der Große ist wie ein gewaltiger Komet von Hellas aus durch die Welt des Orients gezogen, herrlich aufglühend und ebenso rasch wieder verlöschend. Ungleich stärker als die Nachwirkungen der militärischen Siege sollten sich die kulturellen und religiösen Auswirkungen dieses Gesche­hens erweisen. Griechischer Geist und orientalisches Le­bensgefühl vermählen sich von jetzt an miteinander zu einer neuen einheitlichen Größe, die wir Hellenismus zu nennen pflegen. Durch Syrien, Kleinasien, Armenien und Mesopotamien flutet im Zeitalter der Diadochen, der Er­ben Alexanders, unter den Seleuziden und Ptolomäern der neue Geistesstrom und macht alle Länder im Aufgang der Sonne sich untertan.

Nur an einer Stelle stößt der hellenistische Einfluß auf zähen und unüberwindlichen Widerstand, das ist im jüdischen Volk. Der syrische Großkönig Antiochus Epi­phanes meint, es müsse doch ein Leichtes sein, mit dem hartnäckigen Völklein auf dem schmalen Palästinastrei­fen fertig zu werden. Er überschwemmt das Land mit Truppen, er bringt griechische Schulen, Kampfspiele und Bäder, aber er kommt damit nicht durch. Er muß zuletzt nachgeben und dem jüdischen Volk seine völkische und religiöse Freiheit belassen.

Nicht weniger nötigt die Entwicklung im römischen Kaiserzeitalter zum Staunen. Die Völker‑ und Religionsmengerei hatte damals einen nicht mehr überbietbaren Umfang angenommen. Das Weltfriedensreich des Kai­sers Augustus war tolerant bis zum Äußersten, sowohl im Blick auf die Verleihung des Bürgerrechts wie im Blick auf die Ausübung der verschiedensten Kulte.

Der jüdische Geist nimmt in diesem Zeitraum die grie­chische Sprache an. Er übersetzt das Alte Testament in die herrschende Weltsprache. Es kommt auf alexandrini­schem Boden zu einer innigen Begegnung mit dem grie­chischen Geistesgut, wofür der Name Philos als Beispiel gelten mag. Aber auch in diesem Zeitraum eines allge­meinen Synkretismus bewahrt das jüdische Volk unver­wechselbar seine Eigenart. Die vier Beispiele umfassen immerhin einen Zeitraum von nahezu tausend Jahren. Tausend Jahre bedeuten etwas in der Geschichte eines Volkes und müssen nachdenklich stimmen. Hitler wollte ein Tausendjähriges Reich germanisch-arischer Kultur schaffen und war nach 12 Jahren pleite.

Nach der Zerstörung Jerusalems werden die auseinan­derziehenden Gewalten noch stärker wirksam. Die Zerstreuung des jüdischen Volkes, die erstmalig mit dem babylonischen Exil begonnen hatte, steigert sich ins Un­gemessene. Der jüdische Mensch nimmt die Sprache aller Völker an. Er wird gehaßt, verfolgt, unterdrückt, verjagt. Der Antisemitismus ist nicht erst eine moderne Erschei­nung. Er ist so alt wie das jüdische Volk und geht mit seiner Geschichte wie ein niemals weichender Schatten durch die Jahrhunderte und Jahrtausende von dem Ägyp­ten der Pharaonen bis Auschwitz und Theresienstadt. Aber alle Pogrome, alle grausamen, blutigen Ausrot­tungsversuche ändern nichts an der Tatsache, daß dieses Volk gleichwohl weiter besteht und daß jeder, der es an­tastet, zuletzt den kürzeren gezogen hat.

Die Auflösungstendenzen kommen nach der endgül­tigen Zerstörung Jerusalems nicht mehr nur von außen, sie kommen jetzt auch von innen. Das Judentum zer­splittert sich im Lauf seiner Entwicklung in Parteigruppen und Gegensätze von tief einschneidender Art. Im Osten behauptet sich der mächtige Block der Altgläubigen, von denen die Tora und die rabbinische Tradition in peinli­cher Treue und Strenge gehütet wird. Daneben tritt das westliche Reformjudentum, das einen ausgesprochen auf­geklärten liberalen Charakter trägt und mit der Sitte der Väter nicht mehr viel gemeinsam hat. Der eine Teil der Judenschaft erwirbt die Reichtümer der Erde, er beherrscht durch immense Kapitalanhäufung die Banken der Welt, es genügt, dafür als Beispiel das Haus Rothschild zu nen­nen, während ein anderer Teil in Polen und Galizien in Schmutz und Elend schier verkommt. Und doch, mö­gen Reichtum und Armut, Talmudtreue und säkularer Freisinn noch so sehr trennen, es bleibt ein letztes über­greifendes Band, das alle unsichtbar miteinander zusam­mengeschlossen sein läßt.

 

3.

 

Der menschliche Forscherdrang hat viel darüber nach­gesonnen, wie sich das weltgeschichtliche Rätsel des jüdischen Volkes erklären läßt. Man hat verständlicherwei­se zuerst gedacht an das Phänomen der Rasse. Zweifel­los besitzt der jüdische Mensch eine ungewöhnliche leib­liche und geistige Vitalität. Die jüdische Ehe ist fast immer kinderreich. Und doch genügt die rassische Deu­tung nicht, um die zeitüberlegene Lebensdauer dieses Volkes zu begreifen. Warum sind die Nachbarvölker Is­raels, die Amoriter und Moabiter, die Amalekiter, Aramäer und Phönizier samt und sonders untergegangen, warum haben sich die germanischen Stämme mit dem »edlen nordischen Blut« in den Stürmen der Völkerwande­rung nicht bewahren können, und warum ist das jüdische Volk noch immer da, obwohl es Vermischungen mit dem Blut aller Erdteile in sich aufgenommen hat? Wir müssen schon tiefer graben, wenn wir eine Erklärung für dieses geheimnisvolle Völkerschicksal erhalten wollen.

Schon über der Frühgeschichte des Volkes Israel liegt ein einzigartiges Ernstnehmen der Gottesfrage. Griechenland hat geleuchtet in der Entfaltung von Philosophie und Kunst und hat dadurch nachhaltig auf die Menschheit gewirkt. Babylon war groß in der Art und Weise, wie es in die Geheimnisse des gestirnten Himmels eindrang und Bezeichnungen dafür fand, die zum Teil heute noch gelten. Ägypten hat frühzeitig schon Außerordentliches geleistet in einer priesterlich geführten Ärzteheilkunst. Aber das eine muß man Israel lassen: hier ist mit einer Intensität um die Wirklichkeit Gottes gerungen worden wie nirgends sonst. Besonders das Auftreten der prophe­tischen Rufergestalten im Nord‑ und Südreich Israels ist etwas schlechthin Einmaliges und Einzigartiges inner­halb der gesamten Religionsgeschichte der Menschheit. Zu wiederholten Malen reißen die Propheten das Volk zurück von den Abgründen, in die es bald aus Verlockung, bald aus Verzweiflung hineinzustürzen droht. Die­se bevollmächtigten Prediger der Wahrheit sprechen nicht Gedanken und Meinungen aus, die sie sich über Gott ge­macht haben. Sie wissen sich, sehr oft wider ihren eige­nen Willen, als Berufene, die reden müssen, weil der göttliche Auftrag mit heiliger Zwangsgewalt über sie her­eingebrochen ist. Der Prophet Jeremia hat dieses innere Müssen unter der Machtwirkung Gottes einmal mit fol­genden Worten umschrieben: »Herr, du hast mich über­redet und ich habe mich überreden lassen; du bist mir zu stark geworden und hast gewonnen. Aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Da dachte ich, wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es war in meinem Herzen wie ein brennendes Feu­er, daß ich schier wäre vergangen« (20, 7‑9).

Unter dem Eindruck solcher numinoser Beauftragung, wie sie einzelnen Gestalten in diesem Volk zuteil wurde, dürfen wir die Gewißheit fassen: der lebendige Gott, der Herr der Geschichte, hat dieses Volk als ersten Baustein aus dem Steinbruch der Völkerwelt herausgegriffen und hat in das Rohmaterial dieses Volkes seinen heiligen Wil­len und seine herrliche Verheißung tief eingeschrieben.

Aber warum hat Gott gerade an dieser Stelle mit sei­ner Bauarbeit, mit seinem Liebesmühen begonnen? Si­cher nicht darum, weil das israelitische Volk in Gottes Au­gen als besonders williges, dankbar empfängliches Ma­terial gegolten hat. Die Propheten können ja oft genug ihre eigenen Leute ein halsstarriges, trotziges, ungetreu­es, Gott allezeit widerstrebendes Volk nennen.

Calvin hat auf die Frage, warum Gott gerade hier mit seinem Offenbarungshandeln eingesetzt hat und nicht an einer ganz anderen Stelle, geantwortet: Gott ist frei in der Wahl seiner Wege. Wenn es ihm gefällt, also zu han­deln, haben wir nicht mit ihm zu hadern. Der Mensch, die vergängliche, sündig‑unreine Kreatur, darf sich nicht anmaßen, Gott mit Vorwürfen zu überschütten: warum machst du es also?

Hamann, der Magus des Nordens, ist noch einen Schritt weitergegangen und hat als Deutung angeboten: Gott hat bei seinem Rettungswerk zugunsten der Menschheit absichtlich mit einem besonders spröden und harten Ma­terial den Anfang gemacht, um damit ein für allemal zu bekunden, daß sein Heil den Verlorenen gilt und daß es nicht unserem Verdienst und unserer Würdigkeit ent­stammt. So verstanden, ist nicht erst das Kreuz Christi, sondern bereits die Erwählung Israels das Unterpfand, dafür, daß Gott allein aus Gnaden rechtfertigt.

Ob wir uns der irrationalen Erklärung anschließen, die der Genfer Reformator gibt, oder der soteriologischen Interpretation, für die der Königsberger Hamann eintritt, in jedem Fall wird dabei klar: das Geheimnis des jüdi­schen Volkes liegt in seiner Gottesbeziehung. Gott hat auf dieses Volk als erstes die Hand gelegt. Von hier aus wollte er beginnen, um dann weiter fortzuschreiten bis zur Heimholung aller Völker unter seine Friedensgemein­schaft und Königsherrschaft. Wo aber Gott in diesem gültigen Sinn beruft, da entsteht eine ewige Bindung, die von der menschlichen Seite her nie mehr ungeschehen gemacht werden kann. Es fragt sich nur, ob eine solche Bindung zum Segen bejaht oder zum Verhängnis ver­neint wird. Die erfolgte Beschlagnahmung ist jedenfalls nicht mehr abzuschütteln. Sie bleibt als Verheißung wie als Last auf dem Erwählten liegen. Die Geschichte des jüdischen Volkes ist die Geschichte der Unentrinnbarkeit Gottes. Es mag daran auch dem oberflächlichen Betrachter deutlich werden, daß Geschichte nicht nur ein Getriebe aus Hunger und Liebe ist, daß hier vielmehr heilige Ge­setze, Zusammenhänge und Ziele walten, von denen Gott nicht abläßt.

 

4.

 

Wir müssen noch konkreter fragen: was waren die starken Kräfte, die es bewirkten, daß das jüdische Volk von den vielfach wirksamen Auflösungstendenzen nicht zersetzt werden konnte? Es waren und sind bis auf den heutigen Tag die beiden Realitäten: Gesetz und Messias­hoffnung.

Durch die Sinai‑Offenbarung, durch den De­kalog hat das jüdische Volk eine sittliche Bindung von einzigartiger Größe empfangen. Die Tora war wie ein Stahlband, das sich um das Volk legte und es zusammen­hielt, daß es sich nicht verlieren konnte an das heidnische Wesen der Nachbarvölker. Die Höhenlage der Zehn Ge­bote, die das Verhältnis des Menschen zu Gott und dem Nächsten regeln, sorgt zudem dafür, daß der Mensch Gott gegenüber nicht sicher, satt und schläfrig wird. Das Ver­sagen gegenüber dem Gesetz, das Zurückbleiben hinter seiner Reinheitsforderung führt dahin, daß das Herz un­ruhig wird und aus der Tiefe um Vergebung rufen lernt. Wer für die Bedeutung solcher Einflußgewalt in der Ge­schichte eines Volkes kein Sensorium hat, sollte lieber gar nicht anfangen, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Er greift sonst doch nur zu kurz.

So nachhaltig die Rolle ist, die das Gesetz für die Seele des Judentums spielt, es ist daneben eine zweite Realität zu nennen, die mächtiger noch als alles andere den Schick­salsweg dieses Volk bestimmt hat: Die Messiashoffnung. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muß etwas wei­ter ausgeholt werden.

Durch das Alte Testament zieht sich die schmerzliche Erkenntnis: die Welt, in der wir leben, ist nicht wie sie sein soll. Wohl ist der Kosmos ein herrliches Werk der Schöpfermacht Gottes. Wohl ist der Mensch als Gottes Ebenbild Krone und Haupt der Schöpfung, aber all diese Schöpfungswerke haben ihren ursprünglichen Glanz ver­loren. Ein Todeshauch von Weh und Vergänglichkeit liegt über Mensch und Kreatur ausgebreitet.

Von diesem Riß, der durch alles geschaffene Leben hin­durchgeht, weiß nicht nur das Buch Hiob und der Pre­diger Salomonis. Wir begegnen diesem leidvollen Grund­gefühl ebenso in der Philosophie des Neuplatonismus und in der buddhistischen Meditation. Aber nun gilt es, den bedeutsamen Unterschied zwischen der biblischen und außerbiblischen Erlösungserwartung wahrzunehmen. Die griechische und die indische Mystik sucht dem Jam­mer der Welt dadurch zu entgehen, daß man durch einen kühnen Aufschwung der Seele diese ganze zerbrochene Wirklichkeit weit hinter sich läßt. Man betrachtet den Aufenthalt auf dieser Erde nur als ein kurzfristiges Gast­spiel, bei dem es sich nicht lohnt, zu lange zu verweilen.

Das Alte Testament dagegen nimmt die Erde und den Auftrag des Menschen an der Erde ungeheuer ernst. Wenn der leidenden, gefallenen Schöpfung geholfen wer­den soll, dann kann das nicht geschehen durch die Flucht in eine andere höhere, bessere Welt. Nein, dann muß hier in dieser unserer Welt ein Neues beginnen, sonst werden wir nicht heil. Diese Einsicht in die Not, die Menschheit und Schöpfung solidarisch miteinander teilen, ist die Voraussetzung zum Verständnis der biblischen Erlösererwartung, die einen völlig andersartigen Charak­ter trägt als die Erlösungssehnsucht der Mystik.

Die prophetische Verkündigung des Alten Testaments leitet die Menschen nicht an zu irgendeinem ekstatischen Seelenaufschwung, um sich dadurch über die Gebrech­lichkeit der Erde zu erheben. Die prophetische Erwar­tung blickt vorwärts, sie ist horizontal gerichtet, sie geht in der Längsrichtung der Geschichte, sie wartet auf eine Zeitenwende, da durch Gottes Machtwirkung hier auf dieser Erde ein neuer Weltentag anbrechen wird.

Diese Zeitenwende vollzieht sich nicht in Form eines allmählich fortschreitenden Regenerationsprozesses. Da­zu stehen dem Kommen des Neuen zu viele Widerstände entgegen, als daß die große Verwandlung auf kontinuier­lichem Weg eintreten könnte. Es bedarf dazu einer Per­son, eines Mittlers, einer Gestalt der Gnade, die von Gott gesalbt, mit Geist und Kraft aus der Höhe ausge­rüstet, den Umbruch und Neuanfang für Menschheit und Schöpfung heraufführen wird.

Damit haben wir den Ansatzpunkt zum Verständnis der alttestamentlichen Messiaserwartung gewonnen. Das jüdische Volk lebt vom Messiasglauben bis auf den heu­tigen Tag, und es wird noch zu zeigen sein, wie die unruhige und leidvolle Geschichte dieses Volkes zutiefst zusammenhängt mit den Wandlungen und Verirrungen seiner Messiaserwartung. Auch Politiker und Historiker sollten sich um der Sache willen an dieser Stelle mit bi­blischer Theologie beschäftigen. Denn wer diese Tiefendi­mension nicht sieht, muß unfehlbar zu dilettantischen und völlig unzureichenden Urteilsbildungen im Verständ­nis der Judenfrage kommen.

Die messianische Hoffnung durchläuft im Alten Testa­ment einen langen Weg. Sie schreitet in Stufen voran. Sie gewinnt im Lauf der Zeit an Reinheit und Größe. Sie erhält bei Deuterojesaja Passionsreife und gewinnt im Buch Daniel kosmische Ausweitung. Man muß diesen Weg kennen; denn nur auf dem Hintergrund dieser groß­artigen und erhabenen Erwartungsgeschichte kann man einigermaßen ermessen, was die Verwerfung Jesu für die Geschichtszukunft des jüdischen Volkes bedeuten mußte.

Es sind nicht alle Stunden im Leben eines Menschen und im Leben eines Volkes von gleicher Tragweite. Es gibt einen Unterschied der geschichtlichen Stunden. Sie können bestehen in einem Bekenntnisakt, wie ihn Luther 1521 in Worms vor Kaiser und Reich abgelegt hat. Sie können bestehen in einem Schuß, der fällt, und der die Herrschergestalt einer Nation trifft, wie es im Sommer 1914 der Fall war oder bei der Ermordung von Kennedy. Durch solche Geschichtsereignisse werden Abläufe einge­leitet und ausgelöst, die weit über die jeweilige Augen­zeugen‑Generation hinaus reichen. Auch das Geschick der Ungeborenen wird davon in Mitleidenschaft gezogen. Wer nicht zu verstehen vermag, daß die Tatsachenwucht des Geschichtlichen über Jahrhunderte hinweg wirksam blei­ben kann, dem wird das Geheimnis des jüdischen Vol­kes immer verschlossen bleiben. In der Geschichte dieses Volkes war zweifellos die Messiasverwerfung Jesu im Akt der Kreuzigung das verhängnisvollste Ereignis, das bis auf den heutigen Tag in der Seele des jüdischen Men­schen nachzittert. Seit diesem Geschehen kreist das jüdi­sche Denken in heimlicher Unruhe um die Frage: wir wer­den doch nicht den Gesalbten Gottes verworfen haben, von dem die Propheten in den heiligen Schriften Zeugnis geben und auf den unsere Väter sehnsuchtsvoll gewartet haben! Nein, dieser Jesus von Nazareth darf nicht der Weltheiland gewesen sein! Das wäre zu furchtbar! Wir müssen weiter harren und hoffen. Der wahre Messias ist noch nicht erschienen, er wird erst kommen.

Warum wurde Jesus damals aus der Mitte seines Vol­kes ausgestoßen? Er hatte sich doch im Anschluß an die große Erlösererwartung der alttestamentlichen Weis­sagung als die Erfüllung der uralten Hoffnung in lauterer Klarheit bezeugt. Der Göttinger Neutestamentler Joa­chim Jeremias hat mit Recht darauf hingewiesen, daß Worte wie der Hirte, der Bräutigam, der Menschensohn, die Jesus als Selbstbezeichnungen wählt, für das damalige Ohr und Sprachempfinden gesättigt waren mit messia­nischem Hoheitsbewußtsein. Oder es sei erinnert an die Worte Christi, die das Markusevangelium als älteste und geschichtlich zuverlässigste Quelle überliefert hat: »Selig Eure Augen, daß sie sehen, was Ihr seht, und Eure Ohren, daß sie hören, was Ihr hört! Viele Prophe­ten und Könige wollten sehen, was Ihr seht, und haben es nicht gesehen, wollten hören, was Ihr hört, und ha­ben es nicht gehört«13, 10 f.).

 

5.

 

Wie ist es zu erklären, daß das Christusleben, das mit suchender Liebe um Jerusalem und das ganze jüdische Volk gerungen hat, verworfen und verstoßen wurde? Es gibt darauf nur eine Antwort. Das Bild, wie der Messias Gottes vor sein Volk hintrat, entsprach nicht den Erwar­tungen, die sich das Volk von der messianischen Heils­zeit gemacht hatte. Wer Heilbringer in der Zäsur der Zeit sein wollte, mußte die verhaßte römische Besat­zungsmacht aus dem Land jagen, er mußte Jerusalem zur Hauptstadt und zum Mittelpunkt einer neuen Reichs­herrschaft machen, er mußte sein Volk auch äußerlich zu Sieg, Glanz und Herrlichkeit führen. Wie Jesus nichts von alldem erfüllt, wie er im Gegenteil die üppigen sinn­lichen Erwartungen Lügen straft und statt dessen den Armen und Elenden, den Verirrten und Gefallenen die innerlichsten Güter der Sündenvergebung und der Her­zensreinigung bringt, da wendet sich gegen ihn der Groll und Haß der führenden Kreise in Jerusalem, und diesen Spitzen der Religionsbehörde gelingt es schließlich, das zum Frühjahrsfest in der Landeshauptstadt versammelte Volk in die Feindschaft mit hineinzureißen.

Auch die Judas‑Tragödie muß in dem gleichen Zusam­menhang gesehen werden. Mag dieser Jünger den Beutel getragen haben, es war gewiß nicht Geldgier, was ihn dazu trieb, seinen Herrn und Meister zu verraten. Der Mann aus Ischariot war zu Jesus gestoßen, weil er den Umbruch der Zeit erwartete und in dem Propheten aus Nazareth die Erfüllung all seiner Hoffnung sah. Wie aber Jesus den Jüngern zu zeigen beginnt, daß der Weg des Messias über das Kreuz zur Krone führt, da wendet sich dieser Enthusiast enttäuscht von Jesus ab. Er läßt ihn fal­len und liefert ihn dem Verderben aus.

Es gibt auch noch eine zweite Deutung. Demnach habe Judas durch die von ihm inszenierte Verhaftung Jesus dazu zwingen wollen, endlich aus seiner Niedrigkeit und Wehrlosigkeit herauszutreten und sich als den macht­vollen Herrscher zu erweisen, dessen Bild er bisher in Un­scheinbarkeit verhüllt hatte.

Welcher Interpretation wir den Vorzug geben mögen, in jedem Fall bleibt der Jünger Judas der Typus des jü­dischen Menschen, der Zeichen fordert und der an dem Verzicht Jesu auf die Schauwunder scheitert, damals wie heute.

Das jüdische Volk hat nach der Verwerfung Jesu die Glut der Messiaserwartung, zunächst jedenfalls, unver­ändert beibehalten. Die stille, reine Gestalt dessen, der sich »der Menschensohn« genannt hatte, durfte es nicht gewesen sein. So galt es, nach anderen Helfern Ausschau zu halten, denen das Messiasprädikat mit mehr Recht zugebilligt werden durfte. Freilich, man muß es schon aussprechen, es lag kein Segen über den jüdischen Mes­siasbildern und ‑gestalten, die der Zeit nach dem Karfrei­tag folgen. Immer aufs neue erscheint ein Fanatiker, der den Messiasrang für sich in Anspruch nimmt und den nationalistischen Ehrgeiz des Volkes aufreizt und anfeu­ert. Es kommt unter der Führung solcher Rufer zum Streit zu dreimaligen schweren Aufständen im Jahr 70 und in den Jahren um 115 und 135. Jesu düstere Weis­sagung vom Untergang der Stadt Jerusalem, von der Zer­störung des Tempels, erfüllt sich bis auf das letzte Wort. Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Das Volk, das in der entscheidenden Stunde seiner Geschichte nicht er­kennen wollte, was zu seinem Frieden dient, wird von einem fragwürdigen Schwärmer nach dem anderen in die Irre geführt und verblutet sich aufgrund falsch erregter Hoffnungen in aussichtslosen Kämpfen. Man zählt in der Geschichte des jüdischen Volkes seit der Zerstörung Jerusalems einige Hunderte solcher religionspolitischer Empörer, die mit dem Anspruch auftraten, der wahre Gesalbte Gottes zu sein.

Auf das Versagen der chauvinistischen Kämpfernatu­ren folgt eine Zeit der Ernüchterung. Die Messiashoffnung bleibt wohl erhalten, aber das Messiasbild verliert mehr und mehr die personhaften Züge. Dieser Prozeß vollzieht sich in einer zweifachen Richtung.

Man vertritt jetzt die Auffassung: Israel als Volk ist der Messias der Welt. Indem Israel leidet, erfüllen sich an ihm die prophetischen Weissagungen vom Leiden des Messias. Auf die Passion Jesu will man Jesaja 53 nicht beziehen. So wendet man das Kapitel von dem leidenden Knecht Gottes auf das eigene Volk an.

Daneben tritt eine zweite Umformung. Man erhofft nicht mehr die Ankunft des Messias als einer konkreten geschichtlichen Gestalt. Dafür wartet man jetzt auf den Anbruch einer messianisch geprägten Heilszeit. Die Erlö­sung kommt nicht durch einen Erlöser, die Erlösung kommt durch eine Vielzahl von Menschen guten Willens, die sich verantwortlich fühlen für die Heilung der Welt.

Von daher ist es zu erklären, warum so viele jüdische Denker, es sei nur an die Philosophieprofessoren Cohen und Arthur Liebert erinnert, überzeugte und begeisterte Anhänger von Immanuel Kant gewesen sind. Sie fühlten sich angezogen von der »Kritik der praktischen Ver­nunft«, in der der Ethik so weitreichende religiöse Mög­lichkeiten eingeräumt werden. Auch nach der Säkularisie­rung der Messiaserwartung kann der jüdische Mensch nicht anders, als messianisch zu denken, zu wirken und zu hoffen. So haben sich viele bedeutende jüdische Namen je und je begeistert für humanitäre Wohlfahrtsbestre­bungen aller Art, für den Völkerbund und für den Pa­zifismus, ja selbst in der areligiösen Welt des Marxismus lebt das messianische Verlangen, hier auf dieser Erde ein Reich der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit und des Welt­friedens zu schaffen. Solange freilich der Weg nach dort­hin mit Leichen gepflastert ist, kann man füglich bezwei­feln, ob er in ein Menschheitsparadies führen wird.

Besonders deutlich läßt sich an dem Lebenswerk von Martin Buber der Übergang vom personhaften Messias­bild zu einer messianischen Ära wahrnehmen. Martin Buber redet wohl mit Hochachtung von der Gestalt Jesu, aber sein Messiasanspruch gilt ihm durchaus als eine Selbsttäuschung. Nach der Überzeugung von Martin Buber haben wir nicht auf eine Heilandsgestalt in der Zu­kunft der Geschichte zu warten, wir müssen das messia­nische Zeitalter selbst heraufführen durch Gutsein und Gutestun. Buber hat über seinen Großvater den Chassidismus in unmittelbarer Berührung kennengelernt, und er ließ sich davon ergreifen. In dieser jüdischen Erwec­kungsbewegung Ostgaliziens im Verlauf des 19. Jahr­hunderts glüht eine Tat‑Mystik von hingebungsvoller Aufopferung. Der gegenwärtige Weltzustand wird ver­neint. Doch die Welt könne und müsse anders werden, wenn sich nur genügend Menschen bereit fänden, an der Weltverbesserung mitzuarbeiten.

 

6.

 

In schrecklicher Verblendung hat die Christenheit ihr grausames Wüten gegen das jüdische Volk oftmals mit dem Satz begründet, mit dem die Frauen von Jerusalem damals den Passionsweg Jesu begleitet haben: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!« Man fühlte sich bei dem hemmungslosen Toben gegen die Synagoge und ihre Glieder gewissermaßen als Vollstrecker dieser Fluchworte. Aber es ist traurig und nie und nimmer zu verantworten, wenn die Christenheit dieses schicksals­schwere Wort als einen Freibrief zum zerstörerischen Handeln auslegt. Denn das Blut Christi »schreit ja nicht Rache, sondern bittet um Vergebung«. Wenn Jesus am Kreuz den Vater im Himmel für seine Feinde angerufen hat, so waren es doch in erster Linie jüdische Menschen, für die er den göttlichen Versöhnungswillen erfleht hat. Unter den dreitausend, die an Pfingsten getauft wurden, waren gewiß auch solche, die das Hosianna und kurz danach das Kreuzige mitgerufen hatten. Daß sie zum Glauben an Jesus Christus kommen durften durch den Sturmwind und die Feuersglut des Heiligen Geistes, macht deutlich, daß Gott ihnen vergeben hatte.

Das Kreuz Christi ist das Zeichen des Friedens, gerade auch zwischen Israel und den Völkern. Im Zeichen dieses Kreuzes sind wir alle gemeinsam gerichtet, aber noch viel mehr gemeinsam geliebt. Daß dieser Friede siegen möge über alle vorhandenen wechselseitigen Spannun­gen, Entfremdungen, Gereiztheiten und Schuldvorwürfe, dazu kann jeder einzelne beitragen.

A. Köberle <!–[if !supportFootnotes]–>[1]<!–[endif]–>

 

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Herr Dr. theol. Adolf Köberle war Professor an der Universität Tübingen




Gotteserlebnisse im Schnellverfahren? (K.G.Rey)

Karl Guido Rey

GOTTESERLEBNISSE IM SCHNELLVERFAHREN

– Suggestion als Gefahr und Charisma –

1 Zu diesem Buch
2 Schwachstellen in der charismatischen Erneuerung

Zungenreden
Geistlicher Stolz
Verlust der Stille
3 Zur Psychologie des Sprachengebetes
Seelischer Automatismus
Regression in die Kindheit
Projektion oder Offenbarung
4 Erschlagen im Geist
Ein neues Phänomen
Zeichen und Wunder
Erlebnis und Früchte
Seelische Beeinflussung
5 Vor dem Palast des Königs
Teresa von Avila
Johannes Tauler
Kathrin Kuhlman
6 Warnung vor der Lust an Lust
7 Die erschlagenen Melonen
Kathrin Kuhlman
Heilungen
Umgeworfene
Welche Kraft
8 Vorstellung schafft Wirklichkeit
Wesen und Wirkung der Suggestion
Faktoren der Suggestion
Die Rolle der Masse
9 Heilung durch Hypnose
Einengung und Absenkung des Bewußtseins
Regression in die Kindheit
Technik der Hypnose
Veränderung und Heilung durch Hypnose
10 Ruhen im Geist als Gefahr
Gefahr der Vermassung
Gefahr der Manipulation
Gefahr der Bindung an Menschen
Gefahr der Selbsttäuschung
11 Suggestion als Charisma
Mystik oder Pseudomystik
Kinder des Lichtes
Autogenes Training
Entspannung durch Gebet

1 Zu diesem Buch
Immer mehr Menschen erfaßt heute eine Sehnsucht, Gott zu erfahren. Gott läßt sich wirklich und auf vielfache Weise erfahren. Vielleicht so vielfach wie es Menschen gibt. Gotteserfahrungen sind aber ein Geschenk. Es wird den meisten, wie die Mystiker aller Zeiten bezeugen, erst am Ende eines langen und oft schmerzlichen Weges der geistlichen und menschlichen Reifung zuteil. Manchen ist dieser Weg zu mühsam. Sie entwerfen Techniken und Methoden, Gotteserlebnisse im Schnellverfahren und zu Tiefstpreisen zu erlangen. Gibt es billige Abkürzungen auf dem Weg zu Gott? Dieser Frage möchte ich in diesem Buch nachgehen, indem ich mich religionspsychologisch mit einem Phänomen auseinandersetze, das seit einiger Zeit in der charismatischen Erneuerung auftritt und meines Erachtens deren Glaubwürdigkeit in Frage stellt. Das ist mir nicht gleichgültig, denn ich betrachte eine charismatische Erneuerung als Hoffnung für Kirche und Gesellschaft in unserer Zeit, die doch durch soviel Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet ist.

Ich selber habe die elementare Kraft der Erneuerungsbewegung im Heiligen Geist erfahren. Sie hat mich aufgewühlt und verändert. Sie hat mich vom Gewohnten losgerissen und mein Lebensschiff dem Meer des Glaubens und seinen oft sturmgepeitschten Wellen preisgegeben. Ich fühle mich bald durchnäßt und durchfroren, bald hoffnungsvoll und freudig, in Angst und Furcht, in dichtem Nebel, an praller Sonne, in der Weite und Unendlichkeit geborgen – und verloren. Ich entdecke neue Welten, andere Dimensionen, unter denen mein eigenes Ich verschwindend klein geworden ist. Ein neuer Mensch, wenn auch auf schrecklich schwachen Füßen. Aber es ist eines der Paradoxe des christlichen Lebensversuchs, daß wir gerade in der Schwäche Gottes Gegenwart und Kraft am deutlichsten erfahren. Wenn ich in meinem letzten Buch (Neuer Mensch auf schwachen Füßen, München 1984) noch schrieb, daß ich in ihren Reihen genug Selbstkritik feststelle, als daß ich fürchten müßte, sie stolpere über ihre eigenen Gefahren, und daß sie zu sehr auf dem Boden des zweiten Vatikanischen Konzils stehe, um Gefahr zu laufen, zu einer Sekte zu entarten, so bin ich mir dessen heute nicht mehr ganz so sicher. An dem Phänomen, das ich besprechen möchte, wird dies besonders deutlich.

 

2  Schwachstellen in der charismatischen Erneuerung

Zunächst möchte ich das Umfeld des Phänomens abstecken, einige Schwachstellen der charismatischen Erneuerung – weiter auch kurz »Erneuerung« genannt – freilegen; erst in Verbindung mit diesen können wir das Phänomen als Gefahr erkennen.

Von Begeisterung erfüllte Erweckungsbewegungen bergen den Keim der Zerstörung in sich selbst. Begeisterung macht blind und verführt dazu, Grenzen zu überschreiten, die schützen sollten. Begeisterte sind einseitig. Sie übertreiben. Einseitigkeiten und Übertreibungen haben schon manche hoffnungsvolle Quelle zugeschüttet. Man sagt nicht umsonst, daß der Teufel übertreibt, was er nicht verhindern kann. Auch in der Erneuerung wird übertrieben. Ich will als Beispiel das Zungenreden nennen, das meiner Meinung nach als Randerscheinung zum Nachteil des ganzen zu sehr gewichtet wird. Herders Theologisches Taschenlexikon definiert das Zungenreden unter dem Stichwort »Charisma« als ein ekstatisches, für die Zuhörer unverständliches Reden, das an Gott gerichtet ist und nur dem Sprechenden, nicht dem Hörenden dient (Glossolalie) und der Deutung bedarf.

Zungenreden

Die Gemeinde in Korinth scheint diese Art des Gebetes ebenfalls übermäßig gebraucht zu haben, so daß sich Paulus dazu kritisch äußerte. Er rief die Christen auf, nach Liebe zu streben, und vor allem aus erleuchtetem Geist, das heißt, erweckend und erbauend, zu reden. »Denn wer nur in entrückter Sprache redet, spricht nicht zu Menschen, sondern zu Gott; es versteht ihn ja niemand, sondern im Geist redet er Geheimnisvolles, wer dagegen aus der Erleuchtung des Geistes redet, redet zu Menschen, was sie fördert, ermahnt, ermuntert. Wer in entrückter Sprache redet, hat nur Förderung für sich selbst, wer aber aus erleuchtetem Geist redet, fördert die Gemeinde« (1 Kor 14, 2- 5. – Die Bibelzitate sind der Übersetzung von Otto Karrer entnommen).

»Wenn ihr in entrückter Sprache redet und kein wohlverständliches Wort verlauten laßt, wie soll man dann den Gehalt der Rede verstehen? Ihr werdet in die Luft reden! … In der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit meinem Verständnis reden, um auch anderen etwas zu bieten, als zahllose Worte in entrückter Sprache reden« (1 Kor 14,9.19). Nach diesem Exkurs über das Zungenreden ermahnt Paulus die Korinther nochmals, eifrig die Rede aus erleuchtetem Geist zu pflegen, um schließlich einzuräumen, daß man jene, die in Zungen reden wollen, nicht hindern soll; aber »alles geschehe in rechtem Anstand und in Ordnung« (1 Kor 14,39). Ein sehr ernüchterndes Zugeständnis Paulus’ an die Zungenredner.

Ich persönlich betrachte die Glossolalie aus meinem psychologischen Standpunkt als eine Art psychischer Lockerung oder Entspannung. In diesem Sinne kann sie ein Charisma sein. Ich anerkenne sie als nonverbale Ausdrucksform unserer Gefühle gegenüber Gott. Als einen Akt der Demut, vor ihm wie ein Kind zu sein, den intellektuellen Stolz loszulassen und den Zwang, in geistlichem Imponiergebaren mit schönen Worten vor ihn zu treten. Das gemeinschaftliche Singen in Sprachen kann tiefe emotionale Schichten aufbrechen und an das Licht der Gnade bringen.

Sobald das Zungenreden eines Einzelnen jedoch als persönliche Botschaft Gottes aufgefaßt wird, bewegen wir uns an einer Grenze, deren wir uns bewußt sein sollten. Es ist außerordentlich schwer, Jenseitiges von Diesseitigem, allgemein gültige Aussagen von der bloß persönlichen Meinung des Beters zu unterscheiden. Wir stehen da zwischen Bewußt und Unbewußt, Eingebung und Manipulation. Ist ein solches »Gebet« Ausdruck der Hingabe an Gott oder versteckter Geltungsdrang? Hysterie und Mystik liegen nahe beieinander. Was ist Wahrheit und was ist Lüge? Um zu verstehen, ob es sich um dieses oder jenes handelt, bedarf es der Klarheit über das Wesen und die Komplexität seelischer Zustände ebenso wie über die Vielfalt und die Funktion der Mechanismen des Unbewußten. Es bedarf grundlegender Menschenkenntnis und der Erfahrung auf dem Grenzgebiet zwischen Psychologie, Parapsychologie und Theologie. Darauf gründet die Gabe der Unterscheidung als natürlichem Fundament, die noch lange nicht jeder hat, der sie für sich in Anspruch nimmt. Daß diese Voraussetzungen zur Beurteilung eines Sprachengebetes nicht immer und sogar nur in sehr seltenen Fällen vorhanden ist, erhöht die Gefahr, in der Begeisterung einen Vorgang für etwas zu halten, was er nicht ist, nämlich eine persönliche Botschaft Gottes. Hier mischen sich Halbwahrheiten, Unwahrheiten und Irrtümer. Das Zungenreden überhaupt und im Besonderen als Form der Übermittlung göttlicher Botschaften, wie in der Erneuerung praktiziert, bringt diese bei vielen Christen in ein Zwielicht und damit in den Geruch der Sekte.

Führungsschwäche

Das übertriebene Zungenreden muß im Zusammenhang mit anderen Schwächen gesehen werden, worüber die Erneuerung stolpern könnte. Da entgegnet man mir, daß sie nicht stolpern werde, weil es der Heilige Geist sei, der sie sicher führe. Ein typischer Einwand von »Charismatikern«, die sich mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen der Führung des Geistes verlassen, ohne zu irgend etwas auch nur das Geringste beizutragen. Man zwingt Gott so zum Handeln. Und da ist man sehr erstaunt, wenn er nicht handelt.

Ist es da nicht ähnlich wie in der Psychotherapie, wo der Therapeut nur jemandem helfen kann, der selber etwas tut, mitarbeitet, seine Fähigkeit und seine Kräfte in Bewegung setzt? Wer nur abwartet, der wird nicht geheilt. Jeder heilt sich zunächst selbst. Es ist nicht diese Form der Kindlichkeit, die unser Glaube fordert. Das ist nicht gemeint, daß wir uns untätig in den Kinderwagen legen, weil uns der Mut fehlt, groß zu werden und uns dem Leben zu stellen. So blockieren wir Initiative ab und klammern Verantwortung aus. Da gibt es niemand, der führt, weil sich alle führen lassen wollen. Niemand, der geht, weil alle stehen bleiben. Da erwarten alle Zuwendung und niemand ist da, der fähig ist, sich wirklich zuzuwenden. Da wird nicht Erneuerung, sondern ein geistlicher Konsumverein, der sich darin erschöpft, abzuwarten, was andere ihm schenken und was Gott für Wunder tut. Ich stelle diese ungute Passivität  im Heiligen Geist bis in Leitungsgremien hinauf fest, wo sie Führungsschwäche bewirkt. Gruppen werden sich selbst überlassen ebenso wie die Menschen den Gruppen, weil ja der Heilige Geist für alle sorgt. Die menschlichen Qualitäten zählen nicht, auf die Gott setzen möchte. Die menschliche und geistliche Entwicklung wird nicht zielbewußt und ihren Gesetzmäßigkeiten gemäß verfolgt. Die Gruppen entbehren der kritischen Korrektur, geraten nicht selten auf Holzwege, von wo sie sehr schwer zurückgeholt werden können, wenn überhaupt jemand da ist, der sie zurückzuholen imstande wäre.

Geistlicher Stolz

Die naive Passivität ist eine Form des Infantilismus, eine Unfähigkeit, die Minderwertigkeitsgefühle züchtet, welche einerseits unter der Etikette der Demut versteckt und anderseits mit einer fatalen Selbstüberschätzung bei der Beurteilung religiöser Fragen »ausgeglichen« werden. Man fühlt sich im Besitz Gottes und fähig, über ihn zu verfügen, ihn sozusagen in seiner Gewalt zu haben, daß er Eingebungen, Prophetien und Offenbarungen schenkt, die als objektive und für andere verbindliche Wahrheit ausgegeben werden: »Gott hat mir gesagt … Der Herr will, daß ihr euch so und so verhaltet …«

Geistliche Überheblichkeit führt manche dazu, sich der eigenen Anschauung mehr zu verpflichten als dem Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität, so daß einzelne Gruppen den »Offenbarungen« einzelner Mitglieder mehr Glauben schenken als den Weisungen von Gottes Wort. So wurden mir beispielsweise Bitten um Mitarbeit an einer wichtigen Aufgabe oder um Hilfe für andere mit der Begründung abgelehnt, keinen Ruf zu verspüren, was heißt, keine direkte Weisung von Gott empfangen zu haben. Das sind Vorwände. Niemand sollte auf den direkten Telefonanruf Gottes warten und dabei den Hilferuf des Bruders überhören, durch den sich Gott zwar indirekt, aber nicht weniger deutlich mitteilt. Oft ist deshalb die Berufung auf die direkte Verbindung mit Gott weniger Überheblichkeit als bequeme Ausrede. Manchmal vielleicht beides.

Spirituelle Individualisten oder Egoisten gibt es überall. Mir scheint, es gebe in der charismatischen Erneuerung zu viele. In der Überzahl könnten sie gefährlich für sie werden. Zu viele sind auf die Erfüllung ihrer eigenen Wünsche und Vorstellungen fixiert. Zu viele jagen im Glauben nach dem eigenen Glück. Abgeschnitten von den großen Anliegen der Kirche, trachten sie zu ausschließlich nach der Lösung ihrer eigenen Probleme. Der Run nach Heilung von Kopfschmerzen und Schnupfen in Heilungsgottesdiensten ist oft peinlich. Selten denkt jemand daran, daß man Krankheiten, die oft der körperliche Ausdruck seelischer Unter- oder Fehlentwicklungen sind, nicht einfach wegblasen kann, sondern sie vielmehr hinterfragen sollte. Es wäre gut, nach ihrem Sinn zu forschen, statt sie durch Wunder sofort wegzaubern lassen zu wollen. Gott heilt uns von Krankheiten, möchte aber auch, daß wir deren Sprache verstehen.

Verlust der Stille

Dieser fast vorgeburtlichen Haltung des sich bloß Tragen- und Führenlassens steht in gewissen Gebetskreisen und liturgischen Feiern ein verdächtiger religiöser Aktivismus gegenüber. Die an sich zu begrüßende Spontaneität im Gebet wird oftmals zu einem Gerangel um Redezeit, was eine große Unruhe verursacht und stille Minuten verunmöglicht. Äußerung reiht sich an Äußerung, Gebet an Gebet, Lied an Lied. Positive Ansatzpunkte für eine persönliche und lebendige Feier der Liturgie werden so gefährdet. Es besteht eine Art Zwang, Gott herbeizusingen- oder zu beten, wobei die Offenbarung der Stille verkannt wird. Nur wenn wir schweigen, können wir hören. Und Glauben kommt vom Hören und nicht vom Reden. Ohne Stille verflacht der Glaube, und dessen Ausdruck in der Liturgie oder im Gebet wird in oberflächliche Routine ausleiern. Die Kreativität versiegt. So fällt mir auf, daß in gewissen Regionen die kirchenmusikalischen Ansatzpunkte in einem anfänglich übernommenen Amerikanismus stecken bleiben. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man sich vom Reichtum der traditionellen Kirchenmusik gelöst hat. In Frankreich stellte ich erfreuliche Ausnahmen fest. Jede Liturgie bedarf der Kreativität, wenn sie nicht zum hohlen Ritual entarten soll. Stille ist der Ort geistlicher Kreativität und Regeneration, der Raum der Erkenntnis, die Werkstatt des richtigen Maßes, die Geburtsstätte der Innerlichkeit, Voraussetzung für die Begegnung mit Gott.

Halbherzige Psychologie

Viele Leiter der Erneuerung haben ein zwiespältiges Verhältnis zur Psychologie. Ein Erbstück pfingstlerischer Herkunft, nach der dieses Fach unter den okkulten und daher abzulehnenden Wissenschaften eingereiht wird. Deshalb werden tiefenseelische Zustände und Vorgänge nicht selten mangels psychologischer Kenntnisse kurzerhand, da sie eben unerklärbar sind, entweder als Wunder des Heiligen Geistes oder aber als Wirkung dämonischer Kräfte gedeutet. Sogar führende Theologen der Erneuerung verheimlichen ihre Haßliebe zur Psychologie nicht. So saß ich schon bei Vorträgen wie ein begossener Pudel da, wenn plötzlich Angriffe gegen Psychologie und Psychotherapeuten gestartet wurden, nachdem man vorher lange psychologische Erörterungen ausgebreitet hatte. Offenbar liebt man die Psychologie solange, als sie theoretische Überlegungen erlaubt. Sobald sie persönlich trifft, unangenehme Erkenntnisse vermittelt und persönliche Konsequenzen fordert, verwandelt sich die Liebe in Ablehnung, die bis in die Basis deutlich spürbar ist.

Ich kenne die Grenzen der Psychologie sehr wohl und verpasse keine Gelegenheit, auf diese hinzuweisen. Aber man sage nicht: Wir brauchen keine Psychologie; wir haben den Heiligen Geist. Auch die Psychologie kann eine Gabe des Heiligen Geistes und psychologisches Fingerspitzengefühl ein ganz besonderes Charisma sein, das ich der Erneuerung in reichem Maße wünsche. Die Psychologie ist eine Wegbereiterin und Wegbegleiterin des Glaubens. Sie ist ein vorzügliches Mittel der Selbsterkenntnis. Sie hilft uns, Mängel aufzuspüren, Trugschlüsse zu entdecken, Vorwände abzubauen, Irrwege zu korrigieren. Ich hoffe, daß sie von den Verantwortlichen uneingeschränkt anerkannt, und auch praktisch angewandt wird, in Anerkennung ihrer Grenzen, aber auch offen für ihre unbequemen Konsequenzen.

Unsicherheit gegenüber Gefühlen

Die Unsicherheit gegenüber der Psychologie gründet in der Angst dem eigenen Innern, besonders dem Unbewußten gegenüber. In diesem stecken bekanntlich Verdrängungen, kollektive Bilder und Verhaltensmuster unserer primitiven Vergangenheit. Da liegen unberechenbare und unkontrollierbare, unbekannte Kräfte, von denen man zwar weiß, daß wir sie auch dem Licht des Heiligen Geistes aussetzen sollten. Man weckt sie. Sie äußern sich in vielerlei Gefühlen. Etwa beim Friedensgruß während der Eucharistiefeier, wenn die Umarmungen nicht mehr enden wollen, weil einige endlich die Möglichkeit entdecken, was sie fühlen auch körperlich auszudrücken, oder wenn einzelne in der Freude am Herrn zu tanzen beginnen und eine Gemeinschaft auf einmal in Bewegung und Rhythmus ausbricht. Das wird, wie mir scheint. allerdings immer spärlicher, weil man, was man früher weckte, aus Angst, es könnte sich unkontrollierbar entfesseln, immer mehr zu bremsen und abzublocken beginnt. Das ist schade, weil so von neuem alles »verkopft« und das soeben entdeckte Herz wieder lahmgelegt wird. Verantwortliche überwinden diese Angst, wenn sie selber zu ihren eigenen Gefühlen stehen und mit ihnen aus eigener Erfahrung umzugehen lernen. Sie müßten konsequent die Mittel der Bewußtwerdung der unbewußten Seiten an sich, die ihnen die Psychologie anbietet, anwenden, um mit bewußtem Kopf die Gefühle der anderen kanalisieren, ausrichten und auffangen zu können. Nur so ermöglichen sie allen die Freiheit einer ganzheitlichen geistlich-menschlichen Entwicklung.

 

3  Zur Psychologie des Sprachengebetes

Ich will sogleich ein Beispiel angewandter Psychologie geben, indem ich nochmals auf das Zungenreden zurückgreife und es nach psychologischen Kriterien zu beurteilen versuche. Wir werden sehen, daß es dann seine Unerklärlichkeit verliert, sich nicht mehr einfach dem direkten Eingreifen Gottes zuschreiben, sondern als Form eines seelischen Automatismus auffassen läßt. Es wird ihm der Schleier des Geheimnisvollen genommen. Es stellt sich als natürlicher Vorgang dar. Es ist sicher für manche ernüchternd, aber ebenso für viele heilsam, zu erkennen, daß wir gar nicht soviel Außergewöhnliches brauchen wie wir meinen. Auch ohne das »Wunder« der Zungenrede ist noch so viel Wunderbares um Jesus Christus, selbst wenn er die Regeln der Natur nicht fortwährend durchbricht. Ich komme auch deshalb nochmals auf die Glossolalie zurück, weil uns deren psychologische Durchleuchtung vorzüglich auf die Analyse unseres Hauptphänomens vorbereitet.

Seelischer Automatismus

Neben dem Zungenreden ist das automatische Schreiben der bekannteste Automatismus. Es ist erstaunlich, daß eine komplizierte Handlung wie das Schreiben als Ausdruck einer intelligenten, kombinierenden, oft sehr phantasievollen Tätigkeit automatisch erfolgen kann, ohne vom Willen geleitet zu sein und anscheinend ohne jede Verbindung mit dem gewöhnlichen Bewußtsein. Verhältnismäßig viele völlig gesunde Menschen können automatisch schreiben. Der Schreibende läßt die rechte Hand, die einen Bleistift hält, auf einem Schreibblock ruhen, während er zum Beispiel ein Buch liest oder mit einem Freund spricht. Nach einer Weile bewegt sich die Hand und kritzelt auf das Papier. Dieses Kritzeln kann bisweilen gleich von Anfang an Worte und Sätze formen. Im allgemeinen läßt es sich beim ersten Versuch kaum entziffern. Mit zunehmender Übung nimmt das Gekritzel entschiedener die Form einer Schrift an: Wörter, Sätze oder lange zusammenhängende Abschnitte werden niedergeschrieben. Der Schreibende ist, obwohl er sich mehr oder weniger darüber im klaren sein kann, daß seine Hand sich bewegt, völlig in Unkenntnis der Worte oder Sätze, die geschrieben werden.

Wer oder was teilt sich in diesem automatischen Schreiben mit? Sind diese Mitteilungen Ausdruck unbekannter Kräfte im Menschen selbst? Einige halten sie für Mitteilungen von Dämonen, andere von Geistern. Handelt es sich hier um mentalen Mediumismus? Mediumismus ist die Bezeichnung für die Tatsache, daß es Menschen gibt – eben Medien -, die in ausgeprägtem Grad psychologisch nicht erklärbare, das heißt parapsychologische Phänomene manifestieren. Automatisches Schreiben fällt unter die Bezeichnung mentalen Mediumismus im Gegensatz zu physischen Erscheinungen wie etwa die Telekinese, die unter den Sammelbegriff des physischen Mediumismus fallen.

Wir werden in einem späteren Zusammenhang auf parapsychische Probleme zurückkommen, die wir hier nicht weiter erörtern wollen. Es bedurfte jedoch dieser Ausführungen, um das Zungenreden, das nach der Praxis der Erneuerung als Ausdruck oder Mitteilung des Heiligen Geistes interpretiert wird, ins richtige Licht zu stellen.

Regression in die Kindheit

Harald Schjelderup referiert in seinem Buch »Das Verborgene in uns« über seine Arbeit »Psychologische Analyse eines Falles von Zungenreden«, die er 1931 in der »Zeitschrift für Psychologie« veröffentlicht hatte. Er schreibt: »Scheinbar war die Zungenrede, die ich analysierte, vollständig sinnlos:

bosche, bosche, meino,
Veine bine momo
lana lana meina,
bischta butta Taina!
dutta kaaaada!
usw. usw.

Als Untersuchungstechnik benutzte ich die psychoanalytische Assoziationsmethode. In einem soweit wie möglich passiven Zustand wurde die Aufmerksamkeit der Zungenrednerin sukzessiv den verschiedenen Lauten zugewandt mit der Aufforderung, sämtliche Einfälle mitzuteilen, die sich spontan einstellen würden. Während die Analyse erfolgte, traten eigentümliche Bewußtseinsänderungen ein. Die Zungenrednerin schildert den Zustand während der analytischen Deutungsarbeit folgendermaßen: >Wenn ich anfange von den Lauten zu reden, so ist es, als ob ich mich in ein dunkles Zimmer einschließen muß, um mit ihnen in Berührung zu kommen – ich muß das Bewußtsein ausschalten – ich habe das Gefühl, als ob ich durch Hunderte von Jahren gehe – ich muß gleichsam vergessen, daß ich erwachsen bin.<

Ein anderes Mal beschreibt sie es in folgender Weise: >Es ist als ob ich in die ganz frühe Kindheit hinabtauchte und diese als etwas noch Gegenwärtiges und Wirksames erlebte. …<

Erst in diesem Zustand kamen die Assoziationen, welche die Zungenrede aufklärten. Es wurde möglich, zu verstehen, wie die einzelnen Zungenredelaute entstanden waren und was sie bedeuteten, und wie sie einem Strom ganz früher Kindheitserlebnisse und Kindheitsphantasien Ausdruck gaben, die normalerweise völlig vergessen waren, die aber infolge besonderer Umstände in der aktuellen Lebenssituation der Zungenrednerin zu einer unbewußten Tätigkeit erweckt wurde« (H. Schjelderup, Das Verborgene in uns).

Wenn wir also die Psychologie nicht ausschalten, sondern in unser Urteil klugerweise mit einbeziehen, erkennen wir, daß das Zungenreden mindestens auch Ausdruck des Unbewußten sein kann, Ausdruck einer Regression in die Kindheit, in der Kindheitserlebnisse und- phantasien abreagiert und gereinigt werden. Ich kann mir gut vorstellen, daß das Zungenreden ähnlich wie der Traum oder die therapeutische Malerei ein Selbstheilungs  und Reinigungsprozeß der Seele ist.

Projektion oder Offenbarung

Das Vorgehen in der therapeutischen Gruppenmalerei kann uns den Vorgang der Interpretation von Sprachengebeten erhellen. Da spricht jemand in Sprachen. Jemand anderer interpretiert das Sprachengebet. In meinen Maltherapien fordere ich nach dem Malen eines Bildes die Teilnehmer auf, sich über das Bild eines Einzelnen zu äußern, es also zu interpretieren. Bei gegenständlichen Bildern fällt die Interpretation entsprechend objektiv aus: »Das ist ein Fisch.« Den Fisch sehen alle. Dann fügt der Betreffende bei: »Er hat gerade etwas gefressen. Er macht so einen gesättigten Eindruck.« Das sehen die anderen nicht. Das ist eine Projektion eines eigenen seelischen Inhaltes, der entweder eigenen Hunger, eigene Sattheit, eine gewisse Aggressivität als Tendenz zur Einverleibung ausdrücken kann. Was es dann wirklich ist, wird sich aus anderen Interpretationen anderer Bilder oder desselben Bildes herausstellen. 

Handelt es sich um ein diffuses Bild mit lauter undefinierbaren Formen und Farbkompositionen, ist sozusagen eine objektive Interpretation unmöglich. Das Diffuse provoziert Projektionen subjektiver Inhalte besonders stark. So betrachte ich ein Sprachengebet als diffuses Buchstaben  und Wortbild, das die Projektionen des Interpreten herausfordert. So sind, psychologisch gesehen, nicht nur manche Sprachengebete Ausdruck des Unbewußten des Zungenredners, sondern die Interpretation des Sprachengebetes ist vielmehr auch Ausdruck psychischer Inhalte des Interpreten. Wenn man das weiß, geht man vorsichtig um mit der Behauptung, das seien unmittelbare Weisungen und Hinweise des Heiligen Geistes. Ich bestreite nicht, daß solche Sprachengebete oder Interpretationen von Sprachengebeten auch Mitteilungen Gottes sein können. Gott braucht die Natur, um sich zu äußern, indem er etwa die erfolgte Projektion so steuert und benützt, daß sie seine Absicht kundtut oder so, daß eine Interpretation etwas Wahres im weitesten Sinne aussagt und somit auch Gott offenbart, der die Wahrheit ist. Aber es ist mir nicht erklärlich, warum er sich gerade in dieser Form äußern soll, wo doch die Unterscheidung zwischen dem geistlichen Inhalt und dem bloß persönlichen Aussagewert so schwer, ja oftmals geradezu unmöglich ist. Man bewegt sich hier auf einem Parkett, das man um der Wahrheit willen besser nicht betreten würde.

Ich meine, um es nochmals zu sagen, daß Gott uns in sehr seltenen Fällen durch eine Glossolalie etwas sagen will. Wie denn bei ebenso seltenen Fällen ein Traum als Blitzlicht in eine dunkle Lebensgeschichte eine Botschaft Gottes sein kann, die Umkehr und Verwandlung bewirkt. Auch ein Bild oder die Interpretation eines Bildes durch den Therapeuten, durch ein Mitglied der Malgruppe oder den Maler selber kann dermaßen verändernd sein, daß mir die Annahme des unmittelbaren Wirkens des Heiligen Geistes unbestreitbar erscheint. Freilich bedarf es bei der Deutung eines Traumes oder bei der Gewichtung einer Bildinterpretation der großen Erfahrung eines Kenners.
In charismatischen Gruppen, wo das Sprachengebet geübt und interpretiert wird, fehlen weitgehend Fachkundige, und jedermann darf seine eigenen Konflikte oder Anschauungen ungehindert in eine Prophetie verpacken und als Mitteilung des Heiligen Geistes verkaufen. Die einzelnen Gruppen und die Einzelnen in den Gruppen sind da überfordert. Man sollte deshalb von dieser Praxis des Zungenredens Abstand nehmen. Man sollte diese Praxis in öffentlichen Gottesdiensten nicht zulassen, da sie andere Christen, die mit der ganzen Problematik nicht vertraut sind, irritiert, abstößt, ihnen vielleicht sogar Ärgernis gibt. Auch wenn ich akzeptiere, daß bei öffentlichen Feiern und innerhalb der Gebetskreise in Sprachen gemeinsam gesungen wird, weil sich in dieser Form des spontanen Lobpreises die Seele des Einzelnen oder eine ganze Gemeinde tatsächlich in großer Offenheit dem Höchsten nähern kann, habe ich bei Liturgiefeiern erfahren, daß die Teilnehmer Gott ebenso spontan in der eigenen Muttersprache priesen und dabei dieselbe Intensität und Tiefendichte der Anbetung erlebten.

 

4  Erschlagen im Geist

Ein neues Phänomen

In diese geistlich psychologische Landschaft der Erneuerung platzt ein neues Phänomen, das die amerikanische Heilerin Kim Collins seit einiger Zeit nach Europa exportiert. Während sie bei Heilungs- und Segnungsgottesdiensten Menschen die Hände auflegt oder sie berührt, fallen diese zu Boden. Bereits Kathrin Kuhlman praktizierte diese Methode in den sechziger Jahren bei ihren Heilungsversammlungen in Amerika, in denen Menschen reihenweise umfielen, ohne daß sie sie zu berühren brauchte. Ihre Anwesenheit genügte. Es wird berichtet, daß sogar Leute, die sich einen Film anschauten, in dem sie auftrat, zu Boden stürzten.
Man nennt diese Erscheinung »Fallen unter der Kraft«, »hingestreckt werden im Geist« (slain in the Spirit) oder »Ruhen im Geist«. Sie tritt nicht nur bei Versammlungen auf, sondern auch in der Einzelseelsorge, mit oder ohne Handauflegung. Sie vollzieht sich oft sogar an solchen, die sich ihr ausdrücklich widersetzen möchten. Wer sie übrigens einmal erlebt hat, soll sie auch bei anderen hervorrufen können. Die Dauer des »Ruhens« kann sich über Sekunden oder Stunden erstrecken. Das »Ruhen« kann nach Aussagen Beteiligter sowohl ein bloß vorübergehendes Glücksgefühl als auch eine bleibende lebensverändernde Wirkung erzeugen.
Auch in der Kirchengeschichte soll man immer wieder der Erscheinung äußerer Ohnmacht bei starken inneren Erfahrungen begegnen. Man erwähnt Teresa von Avila, Brigitta von Schweden und den deutschen Mystiker Johannes Tauler.

Ich selber hörte erstmals vor wenigen Jahren anläßlich eines Referates von Kardinal Suenens von solchen Vorgängen. Er warnte eindringlich davor, ihnen in der Erneuerung Raum zu geben, weil er der Meinung war, es handle sich dabei um ein parapsychologisches Phänomen.

Dann wurde ich als Mitglied des Leitungsteams der charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche der deutschsprachigen Schweiz mit dem »Ruhen im Geist« konfrontiert, als mich ein Priester von dessen Wichtigkeit und Richtigkeit überzeugen und mich dazu veranlassen wollte, unser Team dazu zu bewegen, Frau Collins in die Schweiz einzuladen. Als ich mich zurückhielt und nicht ohne weiteres einlenken wollte, gab er mir zu verstehen, daß Frau Collins mit und ohne Erlaubnis Eingang in die charismatische Erneuerung der Schweiz finden werde, um dort das »Ruhen im Geist« einzuführen, damit endlich ein längst fälliger und durch zu große Zurückhaltung gebremster Aufbruch des Heiligen Geistes stattfinden könne.

Ich schlug dem Team vor, Frau Collins in eine unserer Sitzungen einzuladen, uns dem Phänomen persönlich zu stellen und zu prüfen, welche Wirkungen es bei uns auslöse. Das Auftreten Kim Collins teilte jedoch die Meinungen innerhalb des Teams und im bisher äußerst einigen Verhältnis begannen sich unterschwellige Spannungen und Animositäten zu entwickeln. Hinter unserem Rücken wurde eine Heilungsveranstaltung mit Frau Collins organisiert, die wir am Tage zuvor zu einem Gespräch eingeladen hatten. Der früher erwähnte Priester begleitete sie und beantwortete die an sie gestellten Fragen. Auf meine kritische Bemerkung, ob wohl das »Ruhen im Geist« nicht doch auch unter anderem auf Suggestion zurückgeführt werden könnte, reagierte er sehr heftig und aggressiv und bezeichnete meinen Hinweis als lächerliche psychologische Spitzfindigkeit. Nach dem Gespräch begaben wir uns zum Gebet und ließen uns von Frau Collins die Hände auflegen, wobei prompt einer meiner Kollegen zu Boden stürzte.

Zeichen und Wunder

Anderntags nahm ich am angekündigten Heilungsgottesdienst teil, wo sich etwa 600 Menschen, besonders aus der Erneuerung, einfanden. Scharen von Nonnen strömten herbei, aber auch Ordensmänner und Weltpriester. Und das auf eine Einladung hin, die nichts über diese Frau aussagte, als daß sie Amerikanerin, vom Herrn in den Dienst berufen worden sei und in den Fußstapfen der berühmten Kathrin Kuhlman gehe. Daß so viele trotz mangelnder Information der Einladung folgten, erschreckte mich und bestätigte zugleich deutlich meine Ahnung von der Naivität, von der ich weiter oben gesprochen habe.

Vorerst begrüßte ein Sprecher die Anwesenden: »Ich hoffe, daß Sie mit großen Erwartungen hierher gekommen sind. Das ist der Tag des Herrn. Auch Jesus ging ein Ruf voraus, der auf Zeichen und Wunder gründete, die er tat. Er heilte Kranke, machte Blinde sehend und Lahme gehend. Er sättigte über 5000 Hungrige. Die Menschen brauchten nur den Saum seines Gewandes zu berühren … «

Tatsächlich hatte sich die Erwartung der Menschen spürbar gesteigert, als Frau Kim Collins und ihr Begleiter, der schon früher erwähnte katholische Priester, mit dreiviertelstündiger Verspätung den vollbesetzten Saal betraten. Zunächst wandte sich der Priester an die Versammlung und sagte: »Einige von euch werden umfallen. Erschrecken Sie nicht! Im Mittelalter sind in Klöstern ganze Reihen von Nonnen umgefallen. Auch die Soldaten in Gethsemane und Paulus in Damaskus. Und zwar nicht, weil ihre Nervenzentren hypnotisch ausgeschaltet wurden. . » [Gelächter im Saal]. Sie wurden von Gott getroffen. Er wird auch bei Ihnen dafür sorgen, daß Sie sich beim Fallen nicht verletzen … aber«, fügte er hinzu: »Vielleicht fallen Sie gar nicht.« Dieser Nachsatz ist, wie wir später sehen werden, nicht unbedeutend.

Frau Kim Collins berichtete von ihren persönlichen Gesprächen mit Gott und daß er sie berufen habe, Menschen zu heilen und für die Einheit der Christen auf der ganzen Welt zu wirken. Sie erzählte von Visionen und Heilerfolgen, um schließlich mit geschlossenen Augen festzustellen: »Jetzt, in diesem Augenblick, werden auch unter Ihnen einige geheilt. Der Herr rührt auch Sie jetzt an. Einige sind schon geheilt. Jetzt wird ein Krebs angerührt. Jetzt sind es Herzkranzgefäße, wieder ein Krebs. Er rnuß nicht operiert werden. Der Heilige Geist operiert. Nierensteine werden jetzt durch das Blut Christi aufgelöst … «

Schließlich wurden die Heilungssuchenden zur Handauflegung nach vorn gerufen. Ich konnte im Gedränge nicht erkennen, was geschah. Ich hörte schreien. Nachträglich vernahm ich, daß es Heilungen gegeben habe, was ich nicht nachprüfen konnte, da niemand die Namen der Geheilten kannte.

Nach einigen Monaten besuchte ich in Zürich eine zweite Veranstaltung dieser Art. Sie verlief deutlich geordneter und überschaubarer. Die Einstimmung dauerte über zwei Stunden. Die Folge immer wiederkehrender Melodien und Rhythmen wurde durch Heilungsberichte aus der Bibel unterbrochen. Erzählungen persönlicher »Heilungserfolge« durch Frau Collins wechselten mit offenen oder versteckten Anspielungen über das richtige Verhalten beim Umfallen, das zwar nicht unbedingt zur Heilung gehöre, wenn es auch   so könnte man schließen   deren Chance erhöhe. Die Luftqualität nahm spürbar ab. Im Saal griff zunehmende Müdigkeit um sich. Ein rückengeschädigter Mann trat vor und zeigte seine Krücken, die er nicht mehr brauche, weil er soeben geheilt worden sei. Eine Frau trat auf die Bühne, die ebenfalls soeben von einem Rückenleiden erlöst worden war, und eine andere, die sich plötzlich von Hämorrhoiden befreit fühlte. Sie alle erzählten von ihren Erlebnissen, die mit Jubelrufen und Liedern verdankt wurden.

Endlich traten einige zur Handauflegung vor. Es bildete sich bald eine lange Warteschlange. Zehn Personen wurden jeweils vorgelassen. Sie stellten sich in eine Reihe, die Frau Collins, Hände auflegend, abschritt. Sie war von einem Stab von Mitarbeitern umgeben, die sie teils begleiteten, teils ihr vorauseilten, um die Anliegen der Wartenden entgegenzunehmen und der Heilerin mitzuteilen. Einzelne waren damit beschäftigt, die Fallenden aufzufangen und auf den Boden zu legen. Wieder andere nahmen sich der Erwachenden an, halfen ihnen, sich zu erheben oder begleiteten sie ein Stück weit an ihren Platz. Durchschnittlich fielen vier von zehn um. Sie blieben etwa eine Viertelstunde liegen. Wer an den Platz zurückkehrte, mußte vorsichtig über die Herumliegenden hinwegsteigen.

Eine Frau aus dem Publikum in unmittelbarer Nähe von Frau Collins erlitt einen Herzanfall. Frau Collins bemerkte den Vorfall, kümmerte sich aber merkwürdigerweise nicht um die Kranke, die von anderen schließlich hinausgetragen wurde.

Ich selber wollte mich für mögliche Gnaden bereithalten und stellte mich ebenfalls in die Reihe. Ich versuchte, mich selbst zu beobachten. Die über zweistündige ununterbrochene Einstimmung und das zusätzliche Warten hatten mich ermüdet. Ich war irgendwie abgestumpft. Meine geistige Wachheit erlahmte. Ich konnte mich schlecht konzentrieren und stellte einige unkontrollierte Erwartungen und Gefühlsschwankungen fest, eine Art Spannung, die ich gar nicht wollte. Ich spürte ein Kribbeln in den Beinen und Armen, verbunden mit einem Wärmegefühl, wie es mir aus dem autogenen Training bekannt ist. Hier gab es eine deutliche Entscheidungsmöglichkeit, mich von der Atmosphäre überwältigen zu lassen oder mich aufzuraffen und Haltung zu bewahren. Ich entschloß mich zu letzterem. Bei der Handauflegung empfand ich nichts Besonderes. Ich fiel nicht um und wurde auch von nichts geheilt.

Meine Frau und unsere Tochter, die sich ebenfalls die Hände auflegen ließen, verspürten Müdigkeit und leichte Schwindelgefühle. Zudem glaubten sie, mehrmals leicht gestoßen worden zu sein. Die Stoßversuche wurden aber nach wiederholtem Widerstand plötzlich abgebrochen. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Druckversuchen nachzugeben und umzufallen, erzählten sie.

Begegnung

Ich hatte mich entschlossen, das Phänomen nicht weiter zu verfolgen. Dies um so mehr, als die meisten Kollegen aus unserem Team es nicht verstanden, daß ich mir über eine solche Randerscheinung soviel Sorgen machte und mich mahnten, dem Wirken des Heiligen Geistes keine Grenzen zu setzen   wer könnte sie ihm setzen?   und in meiner Kritik nicht lieblos zu werden. Es ist übrigens eine typische »charismatische« Reaktion auf Versuche, Menschen und ihre Verhaltensweisen zu hinterfragen, sofort auf die Gefahr drohender Lieblosigkeit hinzuweisen.

Eines Tages erhielt ich einen Brief von Kardinal Suenens, der mich zu sich nach Bruxelles einlud. Er hatte mein letztes Buch gelesen und wollte mich deshalb kennenlernen. Die Einladung freute mich. Die Begegnung mit dieser großen Persönlichkeit und führenden Gestalt des zweiten Vatikanischen Konzils wird mir unvergeßlich bleiben. Groß und asketisch. Zurückhaltend, überaus liebenswürdig, von echtem Adel. Ein kritischer Beobachter und Menschenkenner. Einer, der zuhören kann und das herauszulocken versteht, was ihn interessiert. Ein Mann voll Geist und Geistlichkeit, geprägt vom Umgang mit der Kirche, von der er mit Liebe und tiefer Ehrfurcht spricht. Unser Gespräch war äußerst angeregt, trotz meiner Lücken in der französischen Sprache, die er lächelnd überhörte. Wir sprachen über Persönliches und solches, was von allgemeinem Interesse ist, unter anderem über die Erneuerung und das Phänomen des »Ruhens im Geist«. Er erzählte mir, daß er sich zusammen mit Mitarbeitern aus verschiedenen Disziplinen intensiv mit diesen Vorgängen befasse und um eine richtige Beurteilung ringe. Er bat mich, dem Problem von meinem Standpunkt aus nachzugehen und zu versuchen, die psychologischen Hintergründe und Zusammenhänge zu erhellen, um der Wahrheit auch von der psychologischen Seite her näher zu kommen. Er empfahl mir, meine Ergebnisse zu veröffentlichen. Dieser liebenswürdigen Bitte, hinter der ich das bedrängende Anliegen spürte, fühlte ich mich verpflichtet und begann, mich von neuem dem Thema zuzuwenden. Das Ergebnis meiner Arbeit liegt hier vor. Es beansprucht in keiner Weise nur im Geringsten vollständig zu sein. Ich bin mir voll bewußt, daß vieles unberücksichtigt bleiben muß. Es ist mir auch klar, daß der Kardinal einige Gedankengänge nicht unterschreiben wird. Dennoch hoffe ich, einen kleinen religionspsychologischen Beitrag zur Klärung dieses Problems zu leisten.

 

Erlebnis und Früchte

Zunächst wollte ich erfahren, was solche, die gefallen waren, erlebten. Ich las Bücher und machte eine Umfrage. Ich schrieb an etwa vierzig Personen, deren Adresse ich mir von einem der Organisatoren von Heilungsveranstaltungen geben ließ. Dreißig davon antworteten nicht. Die Bereitschaft ist gering, die Vorgänge aufzuklären. Einige begründeten ihre Zurückhaltung damit, daß Psychologie hier nichts zu suchen habe, weil Gottes Geist sich glücklicherweise ohnehin nicht analysieren lasse. Einige brauchbare Antworten will ich nun zitieren. Zunächst zwei Schilderungen, die ich in der Literatur gefunden habe.

Francis Mac Nutt (Beauftragt zu heilen, Graz 1973) schreibt:
»Ich stand also da, entschlossen, nicht dagegen anzukämpfen. Ein Helfer, der mich auffangen sollte, stand hinter mir, und tausende Leute schauten gespannt zu. Die Hand des Evangelisten drückte sich mir leicht auf die Stirne. Ich mußte mich entscheiden. Ging ich nicht rückwärts, würde mich der leichte Druck umwerfen. Ich sagte mir, wenn das von Gott kommt, will ich nicht widerstehen. So fiel ich der Länge nach rückwärts. Die Menge war überrascht und entzückt: Ein Priester mit dem römischen Kragen sank unter der Kraft Gottes dahin. Ich kam sehr schnell wieder auf die Beine   nicht sicher, ob ich nicht einfach umgestoßen worden war. Der Evangelist betete ein zweites Mal, wieder fühlte ich den leichten Druck auf der Stirne, dem ich nicht widerstand. Und wieder fiel ich um. Es war verwirrend. Andere hatten etwas Gutes erlebt, meiner Erfahrung nach aber war nichts Besonderes daran. Vielleicht hatte man mich einfach aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich wußte nicht, was ich damit anfangen sollte.«

Ergänzend berichtet Mac Nutt später,
daß er nachher auch selber imstande war, das »Ruhen« in anderen auszulösen: »Zuerst geschah es nur, wenn ich jemand anderem beten half. Ich denke, es war 1971, als ich mit Tommy Tyson für einen älteren Mann betete, der auf einem Stuhl saß. Er benahm sich, als wäre er eingeschlafen und fiel vom Stuhl. Ich war erstaunt, daß Tommy nicht überrascht war, daß er keine Angst hatte, der Mann hätte einen Herzanfall. Ungefähr ein Jahr später erlebten es einige wenige Leute, für die ich betete, auf eine sehr sanfte Art. Weil die Menschen gewöhnlich nicht stehen, sondern sitzen, wenn ich für sie bete, brauche ich nur aufzuhören, um damit das Hinabsinken aufzuhalten . . . «

Ein Hochschulstudent schilderte
mir sein Erlebnis mit diesen Worten: »Collins kam auf mich zu und berührte meine Hände. Ich fiel einfach um. Als ob jemand die Kontrolle über meine Muskeln übernommen hätte. Ich spürte, wie man mich auf den Boden legte, hörte singen und merkte, wie die Frau neben mir umfiel. Ich konnte klar denken und hatte das Gefühl, den Zustand jederzeit unterbrechen zu können. Ich betete ständig und dankte Gott.   Ich fragte mich, ob ich mich dagegen hätte wehren können, umzufallen. Ich glaube nicht, weil ich mich sonst nicht ganz hätte hingeben können.«

Eine Theologiestudentin: »Auf einmal wurden meine Beine schwach. Ich kippte, was ich als Erleichterung empfand. Ich genoß das Fallen ins Ungewisse. Es war mir unglaublich wohl. Innerlich jubelte, betete und sang ich. Eigentlich wäre ich sehr gerne noch lange so liegen geblieben. Ich war so richtig happy. Nachher war ich etwas enttäuscht, denn meine Grippe war nicht geheilt und meine Diplomarbeit machte keine schnelleren Fortschritte. . .«

Eine Klosterschwester schreibt: »Als Kim Collins mir die Hände auflegte – das heißt, sie legte sie mir nicht auf, sie näherte sie bloß meiner Stirne   fühlte ich eine gewaltige Mauer von Kraft auf mich zukommen, die mich umwerfen wollte. Ich kämpfte dagegen an. Wellenweise spürte ich die Kraft, der ich schließlich zu widerstehen vermochte. Hätte ich keinen Widerstand geleistet, wäre ich hingefallen.«

Ein Pfarrer,
der regelmäßig an Gottesdiensten mit Kim Collins teilnimmt, stellt rückblickend fest: »Eine deutliche Mehrzahl der Teilnehmer kam nach vom. Die Berührten bestätigten mir, daß sie ihre Willensfreiheit, sich sinken zu lassen, oder sich dagegen zu wehren, das heißt stehen zu bleiben, völlig bewahrten. Wer sich sinken ließ, erfuhr ein Durchflutetwerden von Licht und Frieden, war aber auch so frei, sich zu erheben, wann er wollte. Am liebsten wären etliche recht lange liegen geblieben, standen aber aus Rücksicht auf andere verhältnismäßig rasch wieder auf und verharrten in irgendeiner Ecke des Raumes auf ihrem Platz noch eine Zeitlang in friedvoller Ruhe. Sie hatten alles wahrgenommen, waren also nicht bewußtlos.«

Die Erfahrung des vollen Wachseins wird nicht von allen geteilt: »Ich war bereit, mich wirklich loszulassen und mich dem Heiligen Geist zu überlassen. Schon bald schwankte ich. Selber habe ich mich nochmals zurückgeholt. Dann aber spürte ich, wie ich nach hinten >wegging<, außer meiner Kontrolle. Von da weg habe ich keine Erinnerung mehr. Überhaupt keine Erinnerung. Ich spürte nicht, wie die Leute mich auffingen, erst den Boden, als ich zum Liegen kam.«

Das »Ruhen im Geist« ist offenbar nicht an die Handauflegung durch eine Person gebunden. Eine Klosterfrau berichtet: »In den Exerzitien, während der stillen Anbetung vor dem Allerheiligsten, erfuhr ich das >Ruhen im Geist< erstmals. Ohne Handauflegung und persönliches Gebet durch eine Drittperson. Voraus gingen intensive Tage der Besinnung und Anbetung. Ich saß auf einem kleinen Gebetsschemel. Plötzlich war es, als würde ich in ein Magnetfeld hineingenommen. Durch tiefe Atemzüge versuchte ich dem entgegenzuwirken. Aber es half nichts. Von dieser gewaltigen Kraft überwältigt, sackte ich kraftlos zusammen. Eine Mitschwester hielt mich, daß ich nicht auf den Boden fiel … Und dann war es, als ob ich mit dem Körper an einer Starkstromleitung angeschlossen wäre. Tiefer Friede breitete sich in mir aus. Und für ein paar Augenblicke konnte ich wie in eine andere Welt schauen. Immer wieder mußte ich beten: Abba, Vater.« Dieses spontane Erlebnis erfolgte, das muß man wohl anfügen, nach Exerzitien, die von einem Priester geleitet wurden, der »Ruhen im Geist« als Thema in seine geistlichen Ausführungen eingebaut hatte.

Eine 48jährige Frau,
Erzieherin und Mutter von zwei Kindern, beschreibt ihre Erlebnisse in einem Brief: »Mein erstes >Ruhen im Geist< erfuhr ich bei der Handauflegung eines Priesters bei einem Heilungsgottesdienst. Das zweite Erlebnis wurde mir während einer Eucharistiefeier bei Exerzitien geschenkt, einige Monate später. Nach der Wandlung schien mir, daß der Priester einen besonderen Akzent auf das Gebet für die ganze Kirche setzte. Jedes seiner Worte durchdrang mich. Ich sah einen Strom von Menschen aller Zeiten und aller Orte, der sich langsam bewegte. Ein Gesang begleitete sie. Ich fragte mich, was ich tun sollte, da ganz klar eine Bewegung in mir entstand. Dann hörte ich: >Du kannst da hineintauchen.< Ich war perplex, weil ich mit den anderen vor dem Altar stand und nicht wußte, wie das geschehen sollte. Es war mir klar, daß mir der Herr eine Gnade schenkte; ich fühlte mich frei, sie anzunehmen oder abzulehnen, ohne genau zu wissen, was das wirklich war. In diesem Moment habe ich mich entschlossen, mich loszulassen, was auch geschehen mochte, da ich wußte, daß die Bewegung vom Herrn kam. Ich fiel der ganzen Länge nach nach vorne, ohne mich irgendwie zu schützen und ohne mir wehzutun. Nach einem Moment der Überraschung, verursacht durch den Lärm meines Sturzes, beschäftigte sich niemand mit mir außer meinem Mann, der mir die Hand auf den Kopf legte und feststellte, daß ich vollkommen ruhig war, im Frieden und bei vollem Bewußtsein. Nach einigen Minuten habe ich mich niedergekniet, um mit den anderen zu kommunizieren.

Beim ersten Erlebnis waren die Früchte dieser Ausgießung ein konkretes Engagement in der Erneuerung. Jetzt vertiefte sich der Einsatz als bewußte Zeugin des Evangeliums. Ich spreche vom Glauben, den ich lebe, mit großer Freude. Oft wird mir ein Wort geschenkt, das die Situation erhellt.

Nach der dritten Erfahrung des >Ruhens< bei Frau Collins ist mein geistliches Leben noch intensiver geworden. Ich sehe meine Sünden besser, aber auch die Güte des Herrn. Einige Schleier sind mir von meinen Augen gefallen, und ich habe den langen Weg der Heiligung der Kinder Gottes wahrgenommen, der sich vor mir öffnet.«

Wenn wir diese Berichte lesen, ist wohl kaum zu bezweifeln, daß sie echtem und tiefem Erlebnis entspringen, deren Früchte durchaus glaubhaft sind: mehr Kraft, Lebendigkeit, Bekehrung zum Guten, intensivere Liebe zu Gott und Menschen, Frieden, Erkenntnis, Heilung seelischer und körperlicher Gebrechen, wachsendes Vertrauen, Sehnsucht nach Gebet, Bewußtwerdung der Heils- und Erlösungsbedürftigkeit usw. Man erkennt ja bekanntlich einen Baum an seinen Früchten. Allerdings müßte man verfolgen können, ob es sich nur um Eintagsfrüchte handelt, die bald abfallen, oder ob sie über lange Zeit wirklich Bestand haben. Eigene subjektive Urteile, sich verändert zu haben, lauten oft weit günstiger als Urteile anderer, wo die Idealisierung oft an Grenzen stößt. Zudem möchte ich bemerken, was wir später eingehender zu besprechen haben, daß es psychologische Methoden gibt, die ähnlich positive Veränderungen und Empfindungen auf rein natürliche Weise auslösen. Schließlich soll nicht verschwiegen werden, daß ab und zu auch von faulen Früchten berichtet wird. In dem oben genannten Manuskript ist zum Beispiel zu lesen: »Ich kenne eine Person, die mit großer Zurückhaltung an einer Abendzusammenkunft mit Kim Collins mitgemacht hat. In der darauffolgenden Nacht wurde sie von Ängsten und schrecklichen Alpträumen geplagt. Sie wurde krank und litt mehrere Tage an so heftigen Versuchungen, daß sie zwei Freunde der Erneuerung um ihr Gebet bat, um davon befreit zu werden.« Es wird dort auch von einem Heilungsgottesdienst in Mexiko berichtet, in dem sich beim »Ruhen im Geist« Geschrei und Panik ausbreiteten.

 

Geistlicher Kurzschluß

Wer oder was wirft nun diese Menschen eigentlich um? Was schenkt ihnen diese Erlebnisse beseligenden Glücks und inneren Friedens, diese Früchte am Lebensbaum? Manche behaupten, es sei der Heilige Geist, der unmittelbar in das Leben dieser Menschen eingreife, also Gott selber, der sich in einem Kraftakt auf diese Weise erfahren läßt.

Der Biograph Kathrin Kuhlmans Jamie Buckingham schreibt: »Wodurch Umfallen eigentlich bewirkt wird, scheint niemand genau zu wissen. Es ist, als ob die Kraft des Heiligen Geistes durch den Körper strömt und dadurch einen Augenblick alle körperlichen Funktionen kurzschließt. Muskeln und Nerven, die gewöhnlich durch elektrische Ströme vom Gehirn aus gesteuert werden, werden einfach überwältigt, ungefähr so, als würde ein Blitz von einer Million Volt Stärke in das elektrische Leitungssystem eines Hauses einschlagen, das für 220 Volt ausgelegt ist. In einem solchen Fall würden alle Leitungen durch Kurzschluß unterbrochen. Diese Energie würde alle vorhandenen Sicherungen und Relais überspringen und jedes ans Stromnetz angeschlossene Gerät außer Betrieb setzen. Genau so bewirkt die Kraft des Heiligen Geistes, wenn sie den menschlichen Körper durchströmt, daß der geistlich >angeschlossene< Mensch zu Boden geworfen wird.« (Jamie Buckingham, Kathrin Kuhlman. Leben und Wirken, Schorndorf, 1971).

Francis MacNutt erklärt: »Soweit ich es sehe, ist es die Kraft des Heiligen Geistes, die einen Menschen mit einem derart gesteigerten inneren Bewußtsein erfüllt, daß die körperlichen Energien nachlassen, bis sie schließlich völlig ausfallen … Ein gewisses >Ruhen im Geist< scheint tatsächlich etwas vorwiegend Körperliches, ein Kraftphänomen zu sein. Aber viele Menschen erleben dabei eine Ekstase, aus der sich das Körperphänomen erst ergibt.«

Dennis Bennet ergänzt,
er glaube, »daß der Herr seine Kinder nicht zu Boden schlägt«, aber der menschliche Körper und auch die Seele manchmal auf das Wirken des Heiligen Geistes in dieser Weise reagieren, daß ihm plötzlich die Muskeln versagen und die Glieder die Kraft verlieren, so daß er auf den Boden fällt. (Dennis Bennett, Wachstum durch Fülle im Heiligen Geist, Erzhausen, 1983)

Kardinal Suenens ist anderer Ansicht. Er spricht von »pseudomystischen Erfahrungen«, von »Geist Ohnmacht« und stuft das Phänomen »parapsychologisch« ein. (Léon Joseph Suenens, Gemeinschaft im Geist, Salzburg, 1979)

 

Schriftgemäß

Die Verfechter des unmittelbaren Eingreifens des Heiligen Geistes verweisen auf Parallelen in der Bibel, etwa auf das Erlebnis des Paulus auf dem Weg nach Damaskus (Apg 9,3 ff.; vgl. auch 2 Kor 12,2 4). Sie erwähnen die Jünger auf dem Berg der Verklärung (Mt 17,6f.), die Knechte des Hohen Priesters im Garten Gethsemane (Joh 18,6) und die Hüter am Grab (Mt 28,4). Sie berufen sich auch auf Daniel 10,8, der berichtet, daß er in seiner Schauung Gottes »völlig kraftlos« wurde, oder auf die Offenbarung (1,17), wo Johannes im Angesicht Gottes »wie tot« vor dessen Füße niederfiel usw.

Der evangelische Theologe Wolfram Kopferman (W. Kopfermann, Umfallen im Gebet. Ein Wort der Verständigung über ein umstrittenes Phänomen. Interner Rundbrief der charismatischen Erneuerung der evangelischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Juni 1983) ist der Meinung, Geisterfahrung sei nach dem Neuen Testament unter anderem auch Krafterfahrung, die sich körperlich manifestieren könne. Er weist auf die Kraft hin, die von Jesus auf jene ausging, die ihn berührten (Mk 3, 10 und 5,25 34). Er betont den Zusammenhang zwischen Geisterfahrung, Kraft und Leib in den Lukanischen Schriften, weshalb ihm das Phänomen schließlich als »schriftgemäß« erscheint, »solange bei der Erfahrung des Umfallens die personale Verantwortlichkeit des Menschen nicht beeinträchtigt wird … «

Er zitiert den Theologen Eduard Schweizer, »daß der Geist die Leiblichkeit des Menschen Gott unterstellen will und daß seine Wirkung bis in diese Dinge hineinreicht.« Damit hält es Kopfermann offenbar für möglich, daß der Heilige Geist in der Art und Weise des »Ruhens im Geist« psychosomatische Veränderungen hervorruft. Freilich betont er, daß man sich dabei nicht vorstellen dürfe, »als werfe der Heilige Geist Menschen zu Boden, als handle es sich also um ein Umgestoßenwerden durch den Geist.«

Seelische Beeinflussung

Von wem oder von was werden dann aber die Menschen umgestoßen, wenn nicht vom Heiligen Geist? Wie wird diese psychosomatische Veränderung bewirkt? Ich habe in der Literatur zwei Hinweise darauf gefunden, wodurch sie sicher nicht bewirkt werden sollen.

Michael Marsch (M. Marsch, Heilen. Biblische Grundlagen des Heilungsauftrages der Kirche, Salzburg 1983) gesteht ein, »daß der psychologische Faktor beim Zustandekommen des >Ruhens im Geist< nicht übersehen werden darf«.
»Andererseits«, schreibt er, scheint es aber zu einfach, von einer bloßen seelischen Beeinflussung, etwa von Suggestion oder Hypnose zu sprechen.« Er meint, daß auch dort, wo das Phänomen in einer stark emotional geladenen Atmosphäre geschehe, zu viele tiefgreifende und dauerhafte geistliche Bekehrungen stattfinden, als daß man von oberflächlicher und vorübergehender seelischer Beeinflussung sprechen könnte«. Es handelt sich also nach Marsch beim »Ruhen im Geist« nicht um oberflächliche Formen der Beeinflus¬sung durch Suggestion und Hypnose.

Philippe Madre bestreitet in einer differential diagnostischen Analyse ebenfalls, daß es sich beim Ruhen im Geist »um irgendwelche psychologische Manipulation oder um ein parapsychologisches Phänomen« handle. Es handle sich auch nicht um magnetische Wirkungen; ebensowenig um ein hypnotisches Phänomen, weil die Hypnose durch eine Suggestion des Hypnotisators eine Art von mehr oder weniger tiefem Schlaf und zweifellos eine Schwächung des Willens des Hypnotisierten erzeuge, der vorübergehend in einen Zustand der Unterwerfung und der Auslieferung an den Willen des Hypnotisators gerate. Eine solche Abhängigkeit geschehe nie bei einer Person, die im Geist ruhe. Ihr Wille sei gewahrt und meistens gestärkt von der inneren Gnade, die sie erhalte. Dennoch räumt er ein, könne dieser in sich selbst gefährliche hypnotische Aspekt die Erfahrung des »Ruhens im Geist« überlagern, was außerordentlich wäre und sich in Frankreich in katholischer Umgebung nicht gezeigt habe.

Madre und Marsch lehnen es also ab, das »Fallen im Geist« mindestens auch als Folge suggestiver Einflüsse zu betrachten.
Marsch warnt auch im Zusammenhang mit Heilungen in sogenannten Heilungsveranstaltungen: »man sage nicht, hier handle es sich um Autosuggestion.« Aber warum eigentlich nicht?

Ich bin gegenteiliger Meinung.
Könnte Gott nicht auch durch suggestive zwischenmenschliche Einflüsse wirken, denen wir doch täglich ausgesetzt sind? Ich bin der Meinung, daß das »Fallen im Geist« und die damit oft verbundenen Heilungen durchaus Folgen von Suggestionen sein können, von denen wir wissen, daß sie tiefgreifende psychosomatische Veränderungen hervorrufen. Bevor wir uns aber eingehend mit Suggestion und suggestiven Methoden auseinandersetzen, möchte ich mich zunächst, soweit es in diesem Rahmen möglich ist, Wirken und Wesen dreier Persönlichkeiten zuwenden, die uns immer wieder als klassische Beispiele und Kronzeugen für den göttlichen Ursprung des »Ruhens im Geist« vor Augen geführt werden. Es sind dies die heilige Teresa von Avila, der deutsche Dominikaner Johannes Tauler und die amerikanische Heilerin Kathrin Kuhlman.

 

 

5  Vor dem Palast des Königs

Erneuerung der Kirche Spaniens im 16. Jahrhundert

Das 16. Jahrhundert war eine kirchliche Krisenzeit. Alles erstarrte in Routine. Das stundenlange Gebet der Mönche und Nonnen brachte keine Früchte der Heiligkeit. Äußerlicher Formalismus erstickte das geistliche Leben im Keim. Es fehlte an der persönlichen Beziehung der Christen zu Jesus Christus und an der konsequenten Nachfolge im Alltag.

Lange vor dem Konzil von Trient erwachte in Spanien ein fieberhafter Drang, die Kirche und das ganze christliche Leben zu erneuern. Geschichtliche Zeugnisse berichten von einer Fülle von Reformplänen. Neben gesunden Impulsen gab es auch gefährliche Einseitigkeiten und verhängnisvolle Irrwege, so daß sich die Inquisition zu einer strengen Kontrolle gezwungen sah, die sie, wie wir wissen, nicht immer nach den Richtlinien des Evangeliums ausübte. Die spanischen Erneuerungsbewegungen trugen stark mystische Züge. Phänomene wie Stigmatisation, Ekstasen, Visionen, innere Worte und Offenbarungen wurden geschätzt und gesucht. Man suchte nach Methoden inneren Betens, die in möglichst kurzer Zeit zu mystischer Erfahrung verhelfen sollten. Inneres Leerwerden und totale Hinwendung zu Gott sollten den Empfang mystischer Gnaden begünstigen. Entgleisungen blieben nicht aus. Es gab zum Beispiel die sogenannten »Erleuchteten«, die nur auf mystische Erleuchtung bauten und Sakramente, Liturgie und mündliches Gebet für übertlüssig hielten. Ein übertriebener Spiritualismus, der alles Körperliche ablehnte, verband sich mit quietistischen Tendenzen, welche jede Selbsttätigkeit des Menschen im geistlichen Leben durch eine völlige Passivität gegenüber Gott ersetzen wollten. Diese Übertreibungen auf der einen riefen solche auf der anderen Seite hervor. So entstand ein großes Mißtrauen gegenüber allem Mystischen, so daß eine wahre Jagd nach falschen Mystikern entfesselt wurde, um sie dem Feuertod preiszugeben. –  (In diesem Kapitel stütze ich mich auf: Camillus Lapauw, Teresa von Avila. Wege nach innen, Erfahrung und Führung, Innsbruck 1981; Texte zum Nachdenken: Teresa von Avila, hrsg. von Gertrud und Thomas Sartory, Freiburg 1982; Teresa von Avila, Innere Burg, hrsg. Von Fritz Vogelsang, Zürich 1979).

 

Teresa von Avila

Gerade in jenen Jahren erweckte Gott in Spanien eine große Schar von Heiligen, unter denen Teresa von Avila (1515-1582) einen besonders bedeutsamen Platz einnimmt.

Ihr Leben ist geprägt durch die Glut der mystischen Christusliebe. Sie kannte kein größeres Verlangen, als Christus zu lieben, als daß Christus geliebt werde und sein Reich komme. Das war der Kern, aus dem der dynamische Schwung ihres Lebens und ihre vollkommene Synthese von Innerlichkeit und unversiegbarer Aktivität stammte.

Sie erlebte an sich selber, wie sehr Wachstum geistlicher Innerlichkeit mit menschlicher Reifung verbunden ist. Schritt für Schritt, Stufe um Stufe, durch Sterben und Auferstehen, durch Prüfungen, Akte der Demut, der Selbstverleugnung und durch williges Tragen des Kreuzes näherte sie sich der Mitte, dem »Palast, wo der König wohnt«. So lehrt sie ihre Schwestern: »Allein durch Gebet und Beschauung könnt ihr euer Fundament nicht legen. Wenn ihr nicht nach Tugenden trachtet und euch nicht tätig darin übt, werdet ihr immer Zwerge bleiben.«

Nicht die mystische Erfahrung, sondern die Umgestaltung in Jesus Christus sei Höhepunkt und Ziel christlichen Lebens. Innerlichkeit bedeutet für sie nicht Flucht vor der Welt in einen geistlichen Abwarte  oder Totstellreflex. Sie ist vielmehr der Ort der Begegnung mit Jesus Christus. Dort lernen wir ihn kennen und lieben. Niemand aber dürfe in der Innerlichkeit stecken bleiben, um ihrer selbst willen, und sie als Vorwand benützen, um nicht nach außen tätig zu werden. Sie zeigt Wege zur Verbindung geistlicher Introversion und Extraversion auf, weil sie die Klippe wohl kannte, über die viele Christen aller Zeiten immer wieder stolpern. Deshalb sollen der »geistlichen Ehe mit dem Herrn immerfort Werke entsprießen«. Was die Werke betrifft, ging sie selber mit gutem Beispiel voran. Ich denke an ihre schriftstellerische Tätigkeit, die sie im Jahre 1560 mit ihrem Buch »Leben« begann, in dem sie mit hinreißender Spontaneität und unbefangener Offenheit die inneren und äußeren Ereignisse ihres Lebens beschrieb. Ihr Hauptwerk ist die »Innere Burg«. Neben ihrer schrifstellerischen Arbeit gründete sie das erste reformierte Kloster, in dem sie mit wenigen Schwestern begann, in absoluter Klausurstrenge, in Stillschweigen und Kreuzesliebe ein beschauliches Leben nach der ursprünglichen Regel des Karmel zu leben.Von 1567 bis 1575 veranlaßte sie die Gründung von 10 Frauen- und 2 Männerklöstern ihres Ordens, denen später noch weitere folgten. So entsprossen ihrem innerlich tiefen Verhältnis zu Gott immerzu die entsprechenden Werke. Die Liebe, sagt sie, bestehe »nicht in dem größeren Genuß, sondern in der größeren Entschlossenheit, Gott in allem erfreuen zu wollen … und ihn darum zu bitten, daß die Ehre und der Ruhm seines Sohnes sowie das Wachstum der katholischen Kirche stets Vorrang vor allem anderen habe.«

Wenn sich die charismatische Erneuerung bei der Verteidigung des neu entdeckten Phänomens auf Teresa von Avila beruft, tut sie gut daran, auch die vielen anderen Hinweise der Heiligen, von denen wir hier nur eine ganz spärliche Auswahl treffen können, zu beherzigen und ihre Psychologie der Spiritualität in die Tat umzusetzen.

 

Innere Burg

Ihr Hauptwerk die »Innere Burg« zeigt, wie das geistliche Leben nicht einfach von einem Augenblick auf den anderen entsteht oder gar geschenkt wird, sondern wie alles Menschliche den Gesetzmäßigkeiten organischen Wachstums unterworfen ist. Teresa wählt die Burg als Bild unserer geistlichen Entfaltung. Diese weist sieben Wohnungen auf, die wir zu durchschreiten haben.

Mit der ersten bewußten Hinwendung zu Gott
gelangt der Christ in das Eingangstor zur ersten Wohnung und erlebt ein erstes religiöses Erwachen. Er kann allmählich ablegen, was an ihm oberflächlich und im Gebet Routine ist. Er ist noch taub, weil er für die Einsprechungen des Heiligen Geistes noch kein inneres Organ hat. Am Eingangstor läßt er Gewohnheiten und Äußerlichkeiten zurück, wirft materiellen Ballast ab und befreit sich von Verstrickungen in Süchte und Triebe; jeder nach seiner individuellen Lebensgeschichte. Hier übt er das meditative Gebet mit Ausdauer, erfährt manche Tröstung. muß aber auch hart kämpfen und manche Niederlage verkraften.

In der zweiten Wohnung legen wir den Egoismus ab.
Das bedeutet Härte mit uns selbst. Das ist eine Schule des Verzichts. Hier beginnen wir zu erfahren, daß »die Liebe Gottes nicht in Vergießung von Tränen, nicht in jenen Süßigkeiten und zärtlichen Andachtsgefühlen besteht, nach denen wir meistens verlangen und worüber wir uns freuen, sondern darin, daß wir ihm dienen in Gerechtigkeit, mit Seelenstärke und in Demut«. Wir erfahren, wie sie sich ihren Mitschwestern gegenüber ausdrückt, die sie zugleich tröstet, daß der Herr mehr auf ihr Ringen als das Gelingen setze, und Heiligkeit darin bestehe, den Mut und die Demut zu haben, stets neu zu beginnen. Anderseits ist sie jedoch der Auffassung, »es wäre töricht zu glauben, Gott nehme Weichlinge und solche in eine vertraute Freundschaft auf, die nichts leiden wollen.

In der dritten Wohnung beginnt sich das geistliche Leben des Christen zu stabilisieren.
Treue, aufrichtiges Bemühen, der Mut zur Ganzhingabe kennzeichnen diesen Bereich. Aber niemand kann auf höhere mystische Gnaden Anspruch erheben. Noch immer lauert die Gefahr der Versuchung zu Selbstgerechtigkeit und Mutlosigkeit. Der Christ muß deshalb fest entschlossen sein, radikale Lösungen zu treffen, wenn es notwendig ist, und demütig in Trockenheiten ausharren.

Erst auf der nächsten Stufe des geistlichen Weges, in der vierten Wohnung, nehmen jene mystischen Erfahrungen und Erlebnisse ihren Anfang, die Teresa als »übernatürlich« bezeichnet. »Übernatürlich nenne ich das«, schreibt sie, »was man durch eigene Anstrengung zu leisten nicht imstande ist, wenn man sich auch dafür zubereiten kann und diese Zubereitung viel dazu beiträgt«. Aber   und das sollten wir uns in unserem Zusammenhang gut merken   fährt sie fort, »meistens, ja fast immer verleiht Gott so erhabene Gunstbezeugungen und solche seltene Gnaden nur Seelen, die schon viele Opfer im Dienste des Herrn gebracht, sehnsüchtig nach seiner Liebe gestrebt und unter Mühseligkeiten sich eine solche Verfassung erworben haben, um in allem der göttlichen Majestät zu gefallen; er verleiht sie nur Seelen, die sich jahrelang der Übung der Betrachtung hingegeben und in opfervoller Weise den Bräutigam gesucht haben … «

 

Das Gebet der Ruhe

Erst die vierte Wohnung bildet also die Schwelle zur mystischen Erfahrung, in der sich der König erstmals in einer von ihm geschenkten »passiven« Sammlung und im »Gebet der Ruhe« auf das offenbar das »Ruhen im Geist« bezogen wird, fühlen läßt. Teresa schildert den Zustand im Gebet der Ruhe so: »Während also die Seele Gott sucht, fühlt sie, wie sie in übergroßer, süßer Wonne fast ganz dahinschmachtet und in eine Art Ohnmacht versinkt. Der Atem stockt, und alle Körperkräfte schwinden, so daß sie nicht imstande sind, auch nur die Hände zu rühren, außer nur mit großer Pein. Die Augen schließen sich, ohne daß sie es will; und hält sie diese offen, so sieht sie fast nichts. Will sie lesen, so kann sie keinen Buchstaben recht aussprechen; und kaum kennt sie noch die Buchstaben, die sie vor sich sieht.

Ihre Sinne nützen ihr also nichts, weil sie ihr zum Hindernisse sind, vollkommen in ihrer Ruhe zu bleiben. Vergebens würde sie sich zu sprechen bemühen; denn sie kann weder ein Wort gehörig bilden, noch hat sie zum Sprechen desselben die Kraft. Es schwindet nämlich alle äußere Kraft, indes die Kräfte der Seele zunehmen, damit diese ihre innere Seligkeit um so besser genießen könne. Aber auch die äußere Wonne, die man empfindet, ist sehr groß und ganz unverkennbar…

Dieses Gebet verursacht keinen gesundheitlichen Schaden, wenn es auch noch so lange dauern sollte. Mir wenigstens hat es noch nie geschadet, und ich kann mich nicht erinnern, daß ich auch nur ein einziges Mal, wenn mir der Herr diese Gnade verlieh, ein Unwohlsein gefühlt hätte, so krank ich auch gewesen sein mochte; im Gegenteil, ich befand mich danach weit besser.
Die äußeren Wirkungen dieses Gebetes sind so unverkennbar, daß man an dem Walten einer außerordentlichen Ursache nicht zweifeln kann; denn auf solche Weise benimmt es dem Körper unter so großem Wonnegenusse die Kräfte, daß es ihm diese gestärkter wieder zurückgibt.

Anfangs geht dieses Gebet, wie es wenigstens bei mir der Fall war, in so kurzer Zeit vorüber, daß man bei dieser kurzen Dauer von den genannten äußeren Zeichen und dem Schwinden der Sinne nicht so viel wahrnimmt; aus den zurückgebliebenen Gnaden aber ist deutlich zu erkennen, wie glühend hier die Sonne der göttlichen Liebe gestrahlt hat, da die Seele so von ihr zerschmolzen war. Indessen ist überhaupt zu bemerken, daß die Zeit, während der alle Vermögen der Seele zugleich aufgehoben sind, auch in ihrer längsten Dauer meines Erachtens nur sehr kurz ist. Hält es eine halbe Stunde an, so ist dies schon sehr viel; bei mir hat es, wie mich dünkt, nie so lange gedauert.

Man kann zwar die Zeit nicht wohl bemessen, weil man davon kein Bewußtsein hat, dennoch sage ich, daß es in einem fort gar nicht lange währt, bis eine oder die andere Kraft wieder zu sich kommt. Der Wille hält sich hier am besten. Die anderen zwei Kräfte werden bald wieder unruhig und lästig. Weil aber der Wille in seiner Ruhe verharrt, so hebt er eben dadurch jene Kräfte wieder auf, bis sie bald darauf abermals zum Leben zurückkehren. Auf solche Weise können, wie dies auch wirklich geschieht, allerdings mehrere Stunden des Gebetes vergehen; denn sobald die beiden Vermögen, Verstand und Gedächtnis, von jenem köstlichen Weine zu kosten und trunken zu werden beginnen, gehen sie leicht wieder sich selbst verloren, um ein weit größeres Gut zu gewinnen. Da gesellen sie sich alsdann dem Willen bei, und ergötzen sich alle drei zugleich. Von diesem gänzlichen Verlorensein sämtlicher Seelenvermögen zugleich also sage ich, daß es nur eine kurze Zeit anhält; dabei stellt auch die Einbildungskraft, die sich meines Wissens gleichfalls gänzlich verliert, jegliche Tätigkeit ein. Es kehren jedoch jene Vermögen nicht so vollständig zurück, daß nicht ein gewisser, mehrere Stunden lang andauemder Betäubungszustand bei ihnen möglich wäre, wobei sie Gott in kurzen Zwischenräumen immer wieder an sich fesselt.

Wir kommen jetzt auf das, was die Seele innerlich empfindet. Wer es vermag, der spreche es aus; denn man kann es nicht verstehen, und viel weniger aussprechen. Als ich mich nach der Kommunion in dem hier besprochenen Gebete befunden hatte und nun über diesen Punkt schreiben wollte, dachte ich darüber nach, was die Seele in dieser Zeit tue. Da sprach der Herr die Worte zu mir: >Tochter! Die Seele wird völlig zunichte, damit sie besser in mich eindringe; nicht mehr sie ist es, die da lebt, sondern ich bin es.<

Wer es selbst erfahren hat, der wird dies einigermaßen verstehen; denn was bei dieser Vereinigung in der Seele vorgeht, ist so dunkel, daß es nicht klarer gesagt werden kann. Ich könnte nur das eine noch beifügen: die Seele nimmt wahr, daß sie mit Gott vereint ist; und davon bleibt ihr eine solche Gewißheit, daß sie von diesem Glauben durchaus nicht lassen kann.

Anfangs war ich in einer gewissen Unwissenheit befangen. Ich wußte nämlich nicht, daß Gott in allen Dingen ist, und es schien mir unmöglich, daß er mir so innig gegenwärtig sei, wie es mir vorkam; doch konnte ich mich des Glaubens nicht entschlagen, daß Gott mir wirklich gegenwärtig war, da ich meinte, seine persönliche Gegenwart fast klar in mir erkannt zu haben. Ungelehrte sagten mir zwar, Gott sei uns bloß durch seine Gnade gegenwärtig; aber ich konnte es nicht glauben, weil mir schien, er selbst sei in mir gegenwärtig. Diese Ungewißheit war mir peinlich. Da half mir aber ein sehr gelehrter Mann aus dem Orden des glorreichen heiligen Patriarchen Dominikus aus meinem Zweifel. Dieser sagte mir, daß Gott wesentlich in allen Dingen gegenwärtig sei, und erklärte mir zugleich, in welcher Weise Gott sich uns mitteile. Dadurch ward ich ungemein getröstet.« (Das Leben der heiligen Teresa von Avila, Sämtliche Schriften von Theresia von Jesu, Bd.1, München 1952, 166-168).

 

Ohne Tricks

Es gibt nach Teresa keine Möglichkeit, den Gebetszustand der Ruhe durch ein Schnellverfahren oder irgendwelche Tricks zu erlangen. Teresa betont vielmehr, daß jene Menschen, denen die Gebetsweise der Ruhe geschenkt werde, vorher einige Zeit in den Räumen der vorausgehenden Wohnungen gewesen sein müssen, auch wenn sie gesteht, daß es keine starre Regel gibt. Aber alles spricht dagegen, wenn man Teresas Leben betrachtet, daß solche mystische Phänomene auf einem geistlichen Supermarkt zum Erwerb feilgeboten werden. Wir können sie auch nicht selber erzeugen. Übrigens mahnt Teresa eindringlich zu großer Vorsicht bei der Beurteilung dieser Zustände, »wo das Natürliche und das Übernatürliche dicht beieinander sind und wo der Satan mehr Schaden stiften kann als in den nächsten, noch nicht geschilderten Wohnungen. Selbst wenn man wiederholt in Versenkung gerät«, schreibt sie, »so kommt es bei dieser Gebetsart doch nicht so weit, daß der Körper zu Boden stürzte oder daß äußerlich irgend etwas zu fühlen wäre.   Darum sei man auf der Hut, und wenn jemand etwas Derartiges an sich verspürt, so sage er es der Oberin und lenke sich ab, so gut er kann. Auch sollte man diese Menschen veranlassen, sich nicht stundenlang dem Gebet zu widmen, sondern nur ganz kurz und sollte dafürsorgen, daß sie genügend schlafen und essen, bis sie wieder ordentlich zu Kräften kommen.« (Innere Burg, S.80).

Teresa läßt keine Zweifel daran: Das Gebet der Ruhe führt nicht zum Sturz. Und: Sollte man derartige Tendenzen bemerken, soll man deren Verwirklichung verhüten. Man sollte es vermeiden, solche Gefahren durch zu langes Beten zu provozieren. Sie erklärt auch warum: »Manche befinden sich nämlich wegen häufiger Bußübungen, Gebete und Nachtwachen und auch schon von Natur aus in einem Zustand körperlicher Schwäche. Haben sie nun ein innerliches Geschenk erhalten, so können sie ihrer Natur nicht länger widerstehen, und da sie im Innern eine gewisse Befriedigung empfinden und zugleich äußerlich einen Zusammenbruch erleiden, sich matt fühlen, so meinen sie, daß das eine gleich dem anderen sei, lassen die Besinnung fahren und versinken in ein ohnmächtiges, dumpfes Staunen. Und je mehr sie ihr Bewußtsein aufgeben, desto mehr geraten sie außer sich weil ihr Körper immer kraftloser wird, und das erscheint ihnen in ihrem Hirn als Verzückung. Ich nenne es Verdummung, denn man verliert nur Zeit und vergeudet seine Gesundheit« (Innere Burg,. a.a.O. 79).
Auf die Frage, wie man denn derartige Gebetsgnaden, wie jene im Gebet der Ruhe geschenkten, erlangen könne, schreibt sie unmißverständlich: »Darauf antworte ich, daß es kein besseres Verhalten gibt als das, … nämlich nicht danach zu trachten«, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil wir sie »zu unserer Erlösung nicht brauchen«. (Innere Burg,. a.a.O. 71).

Aus diesen Prämissen ziehe ich für das »Ruhen im Geist« einige Schlüsse. Teresa schildert einen Zustand, der dem des »Ruhens im Geist« ähnlich ist. Es ist aber kaum anzunehmen, daß es sich um denselben mystischen Zustand handelt, der in der Regel das Ergebnis einer langen Entwicklung, nämlich durch die drei ersten Wohnungen, darstellt. Ist ernstlich anzunehmen, daß die vielen Menschen, die sich des Zustandes des »Ruhens im Geist« erfreuen, wirklich alle schon bei der vierten Wohnung der inneren Burg angelangt sind? Sollten die beiden Gnadenzustände trotzdem dieselben sein, darf man nicht danach trachten, kann man sie nicht erwerben und dürfen sie nicht mit dem körperlichen Ausdruck des Umfallens verbunden sein.

Die Kirchenlehrerin

Ich möchte nun gerade im Hinblick auf Kathrin Kuhlman, mit der wir uns nachher befassen werden, einige weitere kennzeichnende Charakterzüge der heiligen Teresa darstellen.

Wir haben bereits früher ihre Liebe zum Gebet, die gelebte Verbindung zwischen Gottes  und Nächstenliebe, von Innerlichkeit und Arbeit im Reich Gottes, von Selbstwert und Demut kennengelernt. Ebenso wichtig scheint mir ihre Bereitschaft zum Gehorsam, in der sie sich in allem vorbehaltlos der Autorität der Kirche unterstellte.

Nach Lapauw war Teresa genial begabt mit durchdringendem Verstand und reichem Gemüt, mit einmaliger schriftstellerischer Fähigkeit, mit der sie die subtilsten seelischen Vorgänge anschaulich beschrieb. Sie schöpfte aus umfassender Erfahrung und scharfer Beobachtungsgabe. Sie bildete fortwährend ihr Denken und Fühlen durch reichhaltige Lektüre weiter, wobei sie durch den Kontakt mit Seelenführern und Theologen stets mit der Tradition kirchlicher Spiritualität verbunden war. Die harmonische Synthese dieser Quellen gab ihr jene innere Sicherheit, die für eine Führungsaufgabe wie sie Teresa erfüllte, erforderlich ist.

Teresa von Avila ist eine im ursprünglichsten Sinn charismatische Persönlichkeit. Sie ist ein leuchtendes Beispiel für alle Christen, besonders für uns in der charismatischen Erneuerung, der ich wünschen möchte, daß sie sich auf ihrem Weg immer mehr in allen Fragen des geistlichen Lebens an ihr orientiert.

 

 

6  Warnung vor der Lust an Lust

Legende

Francis Mac Nutt berichtet, in dem er sich auf eine Ausgabe der Predigten von Johannes Tauler aus dem Jahr 1841, und zwar auf die einleitende »Lebenshistorie« stützt, daß nach einer Predigt Taulers wohl 40 Menschen auf dem Kirchhof sitzen, sogar dort liegen blieben, als ob sie tot wären. Sie seien, damit sie sich nicht erkälteten, in den Kreuzgang des nahen Klosters gebracht worden, wobei die Nonnen erzählt hätten, daß auch eine ihrer Schwestern im Bett läge, als ob sie tot wäre. Mac Nutt schließt daraus, daß diese alle im »Geist geruht« haben, nachdem er vorher Stellen angeführt hatte, die Hinweise darauf liefern, daß auch Tauler im Geist geruht haben soll, ohne freilich die üblichen körperlichen Symptome zu zeigen. Auch Michael Marsch schreibt, daß »bei den Predigten des Dominikaners Tauler im 14. Jahrhundert die Menschen von den Kirchenbänken stürzten und zum Teil während der ganzen anschließenden Eucharistiefeier regungslos dort liegen bleiben «. Da Marsch keine Literatur für diesen Hinweis anführt, nehme ich an, daß er sich auf dieselbe Quelle stützt wie Mac Nutt.

In der Einführung zur Neuausgabe der Predigten Taulers bezeichnet Alois M. Haas den allen Taulerdrucken seit 1521 mitgegebenen Anhang, die »Historie des ehrwürdigen Doktors Johannes Tauleri«, auf den sich Mac Nutt stützt, als »phantastisch«, an dem bloß der Hinweis auf Taulers ausschließliche Tätigkeit, die seelsorgliche Predigt, und die Rolle der Lebensmitte, als biologischem Moment der Bekehrung wichtig sei. Er weist auf seinen Grabstein hin, wo der Dominikaner ein Buch trägt, auf dem das Lamm Gottes mit dem Auferstehungsbanner stehe. Er meint, diese Gestik ganz auf die Verkündigungspflicht ausgerichtet die, Dominikus seinen Jüngern abverlange. »Das scheint denn auch das absolut Wesentliche dieser Existenz gewesen zu sein«, schreibt Haas,von deren genaueren Verlauf wir im übrigen recht wenig Sicheres wissen und die nichts Spektakuläres an gehabt haben dürfte. Gerade deshalb konnte sich die Lege ihrer bemächtigen.«

Wir sollten uns also bei der Beurteilung oder Begründung »Ruhens im Geist« nicht auf Legenden stützen, die sich Johannes Tauler im Lauf der Zeit gebildet haben. Es wäre ratsamer, auf das zu achten, was er uns gerade im Hinblick auf dieses Thema in seinen Predigten hinterlassen hat.

Falsche Süßigkeit

»Wer dem ehrwürdigen Vorbild unseres Herrn Jesus Christus in aller Geduld und Sanftmut und Demut nachfolgt, in dem wird der Friede geboren, der alle Sinne übertrifft, der hienieden beginnt und ewig währen wird. Und dieser Friede wird des Menschen Leben und Sein verklären.« Diese Bemerkung im Kontext mit anderen läßt darauf schließen, daß auch Tauler das Gebet der Ruhe gekannt hat. Er berichtet jedoch nicht davon, daß er umgefallen wäre oder andere sich gegenseitig zu Fall gebracht hätten. Offenbar aber muß er tatsächlich solche Erscheinungen festgestellt haben, daß er sich zu kritischen Hinweisen veranlaßt sieht. Er bemerkt, daß der Heilige Geist zwar, wenn er in Menschen komme, große Liebe, Licht, Lust und Trost mitbringe. Es gebe nun aber Unbesonnene, die an der Lust kleben blieben, die Lust liebten und damit des wahren Grundes, Gott, verlustig gingen. Der Weise jedoch verstehe es, mit diesen Gaben umzugehen, dringe durch sie hindurch zu verklärter Läuterung, blicke weder auf dies noch das, sondern schaue nur auf Gott ohne dessen zu achten, was dazukomme. Wörtlich schreibt er: »Sobald jene diesen ungewöhnlichen Trost in sich finden, möchten sie sich gerne ganz darein versenken, darin entschlafen, darin ruhen und im Genießen verharren. Sankt Peter wollte drei Hütten bauen, als er einen Tropfen dieses Wohlgeschmackes verkostete, und gerne da verweilen, aber das wahrlich wollte unser Herr nicht; denn es war noch weit zu dem Ziel, dahin er ihn führen und bringen wollte. So wie Sankt Peter sprach: >Es ist gut hier verweilen<, so wollen solche Leute auch tun; sobald sie jener Wonne inne werden, glauben sie die Sonne ganz zu besitzen, und möchten gerne in ihrem Schein rasten und sich niederlegen; die das tun, die verharren allesamt (am gleichen Ort); aus diesen Leuten wird nichts, sie kommen nicht voran …

Und sobald der Feind sieht, daß der Mensch sich solcher Art ausruht, kommt er und gießt falsche Süßigkeit darein, damit der Mensch (auf seinem Platz) verharre und in unrechter Ruhe verbleibe.« »Vor diesem Schaden warnt uns Sankt Peter«, schreibt Tauler später, »und spricht, daß wir nüchtern sein sollen und wachsam; und er warnt uns, nicht im Gefühl dieses Trostes einzuschlafen; denn wer schläft, ist gleichsam halb tot und vermag von sich aus nichts zu tun.« Anderswo betont er, daß diese Süßigkeit wie eine Gefangenschaft sei in die Menschen geraten, die ihr zuweit folgten und sich ihr in ungeordneter Weise überließen, sie zuviel suchten und dabei blieben, wie wenn es ein großes Gut schiene, sich ihr zu überlassen und sie mit Lust zu besitzen. Sie ergriffen Lust, wo sie Gott ergreifen sollten. Denn Gottes Gaben sind nicht Gott selbst. Und Lust soll man nur an Gott haben und nicht an seinen Gaben.«

Mystik ist keine geistliche Selbstbefriedigung. Wir erneuern die Kirche nicht, wenn wir umfallen. Es wäre schon besser, so verstehe ich die Botschaften Teresas von Avila und Johannes Taulers, mit beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit des Alltags die Kernforderungen des Evangeliums zu erfüllen.

 

 

7  Die erschlagenen Melonen

Kathrin Kuhlmans Wirken als Evangelistin in der Öffentlichkeit Amerikas war eine Sensation. (Dieses Kapitel stützt sich auf: Jamie Buckingham, Kathrin Kuhlman. Ihr Leben und Wirken, Schorndorf, 1979). Wo sie auftrat, sammelten sich die Menschen um sie. Die Massen brachen in Beifallstürme aus, wenn sie von Gott sprach. Teilnehmer an ihren Heilungsveranstaltungen fielen reihenweise um. Es geschahen spektakuläre Heilungswunder: Lahme gingen und Blinde wurden sehend.

Heilungen

Ein Mann mit ärztlich diagnostiziertem Lungenkrebs spürte während eines Gottesdienstes etwas, als ob jemand in seiner Brust ein Stück Papier verbrannte. Er war ab sofort geheilt, wurde vom Arzt gesund geschrieben und konnte seine Arbeit wieder aufnehmen (Seite 120). Einem gewissen McCutscheon war durch einen Unfall das Kugelgelenk seiner Hüfte zerquetscht worden. Nach fünf ergebnislosen Operationen kam er am 5. November 1949 zur Heilungsversammlung Kuhlmans in die Carnegie Halle in Pittsburgh. »Seine Tochter, die neben ihm saß und die Hand auf seinem Knie liegen hatte, sagte später, etwas wie elektrischer Strom sei von seinem Bein in ihren Arm übergegangen, als Miß Kuhlman gepredigt hatte. Er stand anschließend von seinem Platz auf und ging ohne Krücken hinaus, augenblicklich geheilt (S.120).

Charles Loesch ebenfalls das Opfer eines Unfalls, hatte ein verkalktes Kreuzbein, weshalb er nur in gebeugter Haltung gehen konnte, von der Hüfte an war sein Körper in grotesker Weise nach vom gebeugt. Ein Bein war fast 10 Zentimeter kürzer als das andere. Er hatte ständig Schmerzen. »Als er dann eines Nachmittags mit anderen Männern im Glaubenstempel auf dem Podium saß, geschah es während der Predigt von Miß Kuhlman, daß plötzlich sein Bein heftig zu vibrieren begann. Durch das Vibrieren schlug sein Absatz wie ein Preßlufthammer auf den Fußboden auf. Miß Kuhlman unterbrach ihre Predigt und wandte sich um. >Was ist das?< fragte sie laut …  >Sie werden geheilt, mein Herr,< rief sie aus. Dann wandte sie sich den Zuhörern zu und sagte: >Die Kraft Gottes ist auf diesem Mann.< Nach dem Gottesdienst stellte Loesch fest, daß nicht nur sein kürzeres Bein länger, sondern auch sein Rücken frei und elastisch geworden war« (S.122).

Eine merkwürdige Geschichte, nun im Zusammenhang mit »Ruhen im Geist«, wird von einem gewissen Georg Davis berichtet, der an einem schweren Herzleiden litt, das von einem Spezialisten als Folge eines Myokardininfarktes diagnostiziert wurde. Nach mehreren Herzanfällen wurde ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt. Eines Tages nahm er an einem Heilungsgottesdienst Kathrin Kuhlmans teil: »Gegen Schluß des Gottesdienstes kam Miß Kuhlman den Gang hinunter und betete über die Menschen. Als sie zu George Davis kam, legte sie ihm kurz die Hand auf und ging weiter. Davis fiel vom Stuhl und lag dann auf dem Boden, unfähig, sich zu bewegen. Während er so >unter der Kraft< war, verspürte er ein fürchterliches Brennen in seiner Brust« (S.188). Am selben Abend stellte er fest, daß die Narbe auf seiner Brust, wo der Herzschrittmacher eingesetzt worden war, fehlte. Eine kurz danach gemachte Röntgenaufnahme bestätigte, daß der Herzschrittmacher fehlte. Dies erinnert jedoch sehr an einen Apport, den spiritistischen Vorgang des Verschwindens von Gegenständen auch durch geschlossene Räume.

Umgeworfene

Ich möchte jetzt unabhängig von Heilungen einige besonders anschauliche Schilderungen des »Erschlagen Werdens im Geist« anführen.
»Bei der ersten Weltkonferenz über den Heiligen Geist 1974 beobachtete ich einen Trappistenmönch in seiner Kutte, wie er viermal >unter die Kraft< kam. Er saß auf dem Podium hinter Miß Kuhlman … Als sie auf ihn zuging, hielt sie inne … Langsam begannen seine Beine zu wanken. und dann fiel er rückwärts in die Arme eines Saalordners. Kathrin bewegte sich nicht. Wie erstarrt stand sie da, mit dem Finger himmelwärts weisend, die andere Hand auf den still am Boden liegenden Mann ausgestreckt, das Gesicht nach oben gerichtet. Verklärt. Die Saalordner halfen ihm wieder auf die Füße. Langsam sank der Mann wieder zu Boden … Und so geschah es noch zweimal. Kathrin berührte ihn nicht ein einziges Mal und sagte kein Wort. Sie stand nur still da, in überirdisches Licht getaucht. Man hörte nur die zarten Klänge der Orgel und das kaum hörbare Raunen der Menge, sooft der Mönch unter der Kraft zu Boden sank« (S.226).

»Es war, als wäre sie von einer Aura von Kraft umgeben. Und jeder, der in den Umkreis dieser Aura kam, konnte kaum stehen bleiben …  Manchmal, wenn diese Aura stärker war und Kathrin sich in Richtung Publikum oder in Richtung Chor bewegte, fielen ganze Reihen von Leuten um. In der Carnegie-Halle in Pittsburgh geschah einmal folgendes. Auf einem Seitenbalkon hatte sich eine Frau erhoben, um ihre Heilung im Glauben zu ergreifen. Viele andere um sie her, die sie kannten und für sie gebetet hatten, erhoben sich voll Freude, als sie nun eine Beinschiene abnahm und diese hochhielt. Kathrin ging bis zum Rand des Podiums und sagte: >Die Kraft Gottes ist über dem ganzen Balkon.< Im gleichen Augenblick fielen fast 30 Personen rückwärts auf ihre Sitzplätze. Ich hielt den Atem an, denn ich meinte, es müßte jeden Augenblick jemand über das Balkongeländer in den Saal hinabstürzen. Aber es geschah nichts« (S.227).

»Eines Sonntagnachmittags rief Kathrin alle Geistlichen aufs Podium. Fast 75 Personen kamen ihrer Aufforderung nach und stellen sich zu ihr aufs Podium. Zweimal streckte sie die Hand aus, einmal rechts und einmal links, und alle diese Männer fielen zu Boden, übereinander gestapelt wie ein Stoß Holz. In Miami Florida ging sie einmal mitten durch den Chor, um mit denen zu beten, die sie berühren konnte, und fast 400 Menschen sanken zu Boden« (S.230).

Frau Kuhlman wurde 1966 als Rednerin zu einem Damenlunch beim Nationalkongreß der Geschäftsleute des vollen Evangeliums nach Miami Beach eingeladen. Der Lunch fand im Parterre des Deanville Hotels neben dem Hallenbad statt. Der Saal war mit über 1000 Frauen überfüllt. Als sie sich zur Ansprache erhob, fingen einige Frauen ganz im Hintergrund an zu lachen und zu schreien. Frau Kuhlman rief sie nach vorn, betete mit ihnen, wobei alle »unter der Kraft« zu Boden fielen. Mit einem Mal fielen auch die Frauen, die bisher im Saal gestanden und zugeschaut hatten, zu Boden oder sanken auf ihre Stühle. »Seit mehreren Tagen«, berichtet Buckingham, »war die Klimaanlage des Hotels ausgefallen. Und als andere Hotelgäste vom Hallenbad durch die großen Glastüren des Ballsaals hindurch die Frauen zu Boden fallen sahen, dachten sie, diese hätten einen Hitzekollaps erlitten, und eilten herein, um erste Hilfe zu leisten. Aber auch manche dieser Hilfsbereiten wurden von der Kraft des Geistes zu Boden geschleudert   im Badeanzug, wie sie gerade waren« (S.224).

Diese Beispiele sollen genügen, um die Art und Weise des »Erschlagen Werdens im Geist« darzustellen und eine Ahnung der darin ausgedrückter Kraft und spektakulären Wirkung zu vermitteln.

Allerdings fielen auch Menschen außerhalb solcher Gemeinschaftsanlässe zu Boden. Eines Tages besuchte Frau Kuhlman beispielsweise ein presbyterianischer Geistlicher, der seinen Freund, einen Theologieprofessor mitbrachte. Sie nahm diesen, für diesmal nicht zu Heilungszwecken, sondern schon eher zur eigenen Belustigung und zur Demonstration ihrer nicht zu widerstehenden Überlegenheit, unter die Kraft. Buckingham schreibt: »Als sie sich beim Abschied unter der Tür noch etwas unterhielten, bot Kathrin dem Professor an, mit ihm zu beten. Dieser wußte, was das für ihn bedeuten konnte, und straffte seinen athletischen Körper, um jeden Versuch Kathrins, ihn umzuwerfen, abwehren zu können. Sie streckte die Hand aus und sagte: >Lieber Jesus!< Im selben Augenblick lag der Professor am Boden. Sein Freund half ihm wieder auf die Füße. Erstaunt fragte der Professor: >Was ist geschehen?< Noch ehe der Freund ihm eine Antwort geben konnte, fiel er aufs neue zu Boden. Lachend trat Kathrin einen Schritt zurück und bat den Pastor, mit seinem Freund nun nach Hause zu gehen, bevor dieser so betrunken sei, daß er nicht mehr gehen könne. Sie fuhren daraufhin mit dem Fahrstuhl nach unten, während der immer noch wankende Professor vor sich hin murmelte: Ich begreife das nicht. Das ist mir unverständlich.«

Es ist an diesem Beispiel bemerkenswert, daß der Widerstand zu fallen, den Sturz geradezu herausfordert. Der Betroffene wird einfach überfahren, und seine freie persönliche Entscheidung wird in erschreckender Weise mißachtet. Zu welch grotesken, ja lächerlichen Situationen solcher Mißbrauch in aller Öffentlichkeit führen kann, schildert unser Biograph aus eigener Erfahrung: »Es war im Shrine Auditorium in Los Angeles. Der Heilungsgottesdienst nahte sich dem Ende, und die Leute waren schon alle aufgestanden und sangen noch. Ich stand auf der Bühne bei einigen Männern, meist Predigern, aus der Umgebung von Los Angeles, als ich auf einmal sah, daß Kathrin geradewegs auf uns zukam und die einzelnen Leute unserer Gruppe berührte. Wäh¬rend Kathrin mit den einzelnen redete, fiel jeder dieser Männer nach hinten und wurde von den Armen eines Saalordners aufgefangen. Die Saalordner mußten sich beeilen, daß sie mit ihr Schritt hielten und verhinderten, daß die Männer auf ihre Stühle fielen. Ich war beeindruckt, doch nicht so beeindruckt, daß ich von ihr ebenfalls hätte berührt werden wollen. Ich trat zurück, aus der Reihe heraus. Kathrin bahnte sich einen Weg durch die Menge und berührte im Gehen die Leute auf beiden Seiten. Ich verzog mich immer mehr nach hinten, zur Bühnenseite hin. Doch plötzlich stellte ich fest, daß ich bei dem 2 m langen Konzertflügel gelandet war, von wo es keinen Ausweg mehr gab. Nun war ich eingeschlossen. Ich sah Kathrin kommen und nahm mir fest vor, daß ich nicht auch hinfallen würde, nur weil alle anderen hinfielen. Soviel ich weiß, berührte sie mich auch gar nicht. Ich erinnere mich nur noch, daß ich auf einmal die Augen öffnete und über mir die Unterseite des Flügels sah. Ich dachte, wie albern muß es doch aussehen, daß ich da mit meinem guten grauen Straßenanzug, schwarzen Schuhen und gestreiftem Schlips vor 7000 Leuten unter dem Flügel auf dem Boden liege« (S.230).

Geistliche Marktatmosphäre

Buckingham schreibt, daß in den Heilungsversammlungen K. Kuhlmans ein bestimmtes Klima geschaffen wurde, »in dem Wunder die Norm und nicht die Ausnahme bildeten« und daß sie »ein brauchbares Paket zusammengestellt hatte, durch das der Heilige Geist sein Produkt   die Wunder   auf den Mark bringen konnte«. Betrachten wir nun einzelne Elemente dieses Paketes genauer.

Die Musik spielte eine große Rolle. Wenn es auch schien, als ob musikalisch alles spontan geschehen würde, war doch das kleinste Detail das Ergebnis peinlich genauer Planung. K. Kuhlman gab sich nur mit besten Musikern zufrieden. Ein einwandfreier Pianist, den Musikkritiker als einen der Besten bezeichneten, begleitete sie bei ihren Anlässen. Der Chor war auf Perfektion erzogen worden, und ein Stück mußte so lange geprobt werden, bis es fehlerlos klang und mit vollendeter Schönheit vorgetragen werden konnte. Besonders wichtig war der Organist, Charles Beebee, »der sich voll in die Stimmung Kathrins versetzen und mit vollendeter Harmonie Gottes Gegenwart im Raum reflektieren« konnte.
»Beebee hatte das Gefühl für die Intensität eines Zeugnisses und ließ die Orgel zu einem mächtigen Crescendo anschwellen, wenn die Leute Beifall spendeten, oder aber ließ ein zartes Pianissimo erklingen, wenn Menschen ans Mikrofon traten, um mit Tränen in den Augen das tiefste Verlangen ihres Herzens auszusprechen … Ein Heilungsgottesdienst ohne Beebee war einfach undenkbar. Die Musik und die dadurch hervorgerufene Stimmung waren für die Schaffung einer Atmosphäre, in der der Heilige Geist frei wirken konnte, unerläßlich« (S.218).

Eine perfekte Organisation war ebenfalls notwendig,
um die richtige Atmosphäre zu sichern. »Nichts blieb dem Zufall überlassen«. Die Saalordner waren mit Funkgeräten ausgerüstet. »Das Einsammeln der Kollekte, das stets den Charakter der Spontaneität trug, wurde solange geprobt, bis es reibungslos ablief. Die Männer, etwa 300 an der Zahl, wurden Tage zuvor darauf gedrillt, wie man mit schwierigen Leuten umgeht … Jeder Mann hatte seinen Standort.«

K. Kuhlman wollte eine eindrückliche Kulisse um sich haben.
Da war der riesige Männerchor, der aus frei gewordenen Alkoholikern bestand. Der Gesamtchor zählte manchmal bis zu 1000 Sänger und Sängerinnen. Wichtig war ihr die Anwesenheit bekannter Persönlichkeiten und Geistlicher. Sie wollte Eindruck machen, indem sie Namen berühmter Leute aufzählte, die ihre Heilungsversammlungen hinter dichten Sonnenbrillen aufsuchten. »Es war ein fest eingeführtes Ritual, daß die Saalordner vor jedem Gottesdienst berühmte Persönlichkeiten ausfindig machten und Kathrin im Garderoberaum entsprechend verständigten.   Sie mußte wissen, daß sie da waren, und wie Könige und Prinzessinnen vor ihrer Tür saßen und warteten bis sie hineindurften.«  »Ihre besondere Liebe galt Ärzten; es war deshalb ihr Wunsch, daß sie entweder auf der Bühne oder in den vorderen Reihen saßen. Dasselbe traf auch für Priester und Nonnen zu, besonders wenn sie in >Uniform< waren. Für Kuhlman gab es keine größere Freude, als wenn dreißig oder vierzig katholische Geistliche während ihres Dienstes hinter ihr saßen, besonders, wenn sie den Priesterkragen trugen. Irgendwie schien dies ihrem Dienst Glaubwürdigkeit zu verleihen und das richtige Klima von Vertrauen und Verständnis zu schaffen, das für einen Heilungsgottesdienst so sehr nötig war.«

»Das größte Geheimnis war Kathrin selbst: Sie bestand darauf, daß sie im Mittelpunkt stand. Sie setzte sich nicht einmal …  immer ein wenig in Bewegung, um die Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu halten … Nach außen erschien sie als Mensch, der ständig im Rampenlicht zu stehen suchte, erschien als Inbegriff der Selbstgefälligkeit. Doch wer tiefer blickte, erkannte in ihr diesen Zug als Klugheit. Sie wußte etwas von der Notwendigkeit eines geistlichen Mittelpunktes…« Deshalb duldete sie keine geistlichen Aktivitäten aus dem Publikum: »Wenn jemand aufstand, um zu weissagen oder in Zungen zu reden, brachte sie diese Person zum Schweigen… >Der Heilige Geist unterbricht sich nicht selbst< pflegte sie mit Nachdruck zu sagen« (S.220). Leute, die den Anweisungen nicht gehorchten, ließ sie durch Saalordner wegschaffen.

Kathrin wollte ein vollbesetztes Haus. »Sie war ganz versessen große Menschenmassen. Es war rein psychologisch von Vorteil für sie, wenn ihre Versammlungssäle vollbesetzt waren, doch brauchte sie zu ihrer inneren Befriedigung außerdem das Wissen, daß Tausende weggeschickt werden mußten, weil sie keinen Platz fanden.« Sie lehnte deshalb zu große Häuser ab. Aber auch deshalb, daß immer noch die Möglichkeit bestand, auf der Bühne von den Menschen gesehen zu werden. Sie war davon abhängig, daß sie die Gesichter der Leute sah, wie diese auch davon abhängig waren, ihr Gesicht zu sehen. Ihr Dienst war ein Dienst des engen Kontakts. Sie zog es vor, in kleineren Räumen zu bleiben, wo der Blickkontakt garantiert war.

Es wären noch weit mehr Details, die Frau Kuhlman raffiniert abgewogen und an den richtigen Stellen klug einzusetzen wußte. Sie war ein psychologisches Naturtalent, das erspürte, was wann und wo und wie am Wirkungsvollsten zu tun war.

Eine Kindheitserinnerung

Was wir bisher über Kathrin Kuhlman schrieben. läßt bereits einige Schlüsse zu. Wir sollten, um ihre Art der Wirksamkeit noch besser zu verstehen, auch einige Kindheitserlebnisse erwähnen.

Frau Kuhlman wurde am 9. Mai 1907 auf einer Farm südlich von Concordia in Missouri geboren.
Sie war der Augapfel ihres Vaters und das Ärgernis ihrer Mutter. »Ich konnte mich nie erinnern, daß mir meine Mutter als Kind je Liebe gezeigt hätte …  Sie war die perfekte Zuchtmeisterin. Nie sagte sie mir, daß sie auf mich stolz sei oder daß ich meine Sache gut gemacht hatte . . . « (S.25).

Die Vergötterung des Vaters und der Haß gegenüber der Mutter prägten einige ihrer hervorragendsten Charakterzüge: Die Sucht nach Anerkennung als Form des Liebesersatzes, die Ablehnung ihrer weiblichen Rolle, der Haß gegenüber Frauen, der Neid gegenüber Männern, das Mißtrauen gegenüber jedermann ohne Unterschied des Geschlechtes, Aggressivität, ein alles übergreifendes Minderwertigkeitsgefühl, das sie mit überdimensionierten Machtansprüchen kompensierte.

In diesem Zusammenhang möchte ich ein symbolträchtiges Kindheitserlebnis anführen:
»Als sie einmal Opa Walkenhorst auf dessen Farm besuchte, zeigte er ihr ein Wassermelonenfeld und erklärte ihr, daß die Wassermelonen auf der Außenseite zwar grün aussehen, innen aber immer rot seien … Als Opa Walkenhorst ins Haus zurückgekehrt war, nahm die neunjährige Kathrin ein Fleischermesser und stach damit in jede Wassermelone auf dem ganzen Feld – über hundert -, nur um sicher zu sein, daß sie inwendig alle rot waren« (S.24).
Es gibt eine merkwürdige, ja geradezu hellseherische Anspielung einer Reporterin, die von diesem Erlebnis mit großer Wahrscheinlichkeit nichts gewußt haben dürfte: sie bestätigt meine psychologische Deutung dieser Geschichte. Die Reporterin und Fernsehkomikerin Ruth Buzzi brachte in einer Sendung »Laugh in« (Lach mit) eine ausgefallene Kuhlman-Imitation, indem sie den Wintermelonen im Supermarkt die Hände auflegte. (S.172).

Ruth Buzzi setzt also Melonen gleich Menschen; daß sie die Veranstaltungen Kuhlmans mit dem Supermarkt vergleicht, ist, obwohl treffend, für uns jetzt weniger wichtig. Frappanter ist der Zusammenhang zwischen den aufgeschlitzten Melonen und den umfallenden Menschen. Aufschlitzen und umwerfen. Beiden liegt ein ungeheures Mißtrauen und ein ebensolcher aggressiver Machtdrang zugrunde. Im ersten Fall ist es Mißtrauen gegen den Großvater, das sie mit dem Öffnen der Melonen beseitigt, und sich so das Wissen verschafft, ob das, was er sagte, bei allen wirklich stimmt oder nicht –  und Wissen ist Macht.

Im zweiten Fall handelt es sich um das Mißtrauen gegenüber den Menschen,
das sie so beseitigt, indem sie sich Klarheit verschafft, ob sie sich ihr unterwerfen oder nicht. Sie wirft sie um, und wenn sie fallen, ist sie sich ihres Vertrauens »gewiß«. Die erzwungene Hingabe der Umgeworfenen ist zugleich ein Beweis ihrer Macht. Der Zwang, Menschen umzuwerfen, kann zugleich ein Ausdruck ihres Mißtrauens und Anerkennungsdranges gegenüber Gott sein. Jedesmal, wenn es ihr gelingt, einen Menschen umzuwerfen, ist sie sowohl des Vertrauens als auch der Anerkennung durch Gott gewiß, der ja durch sie den Fall bewirkt. Daß sie dabei bloß eigene Macht befriedigt, ist zweitrangig.   Soweit die Deutung dieses Kindheitserlebnisses, das auch ein Licht auf andere Züge der Evangelistin wirft, die wir später noch darstellen wollen.

Ich vermute, daß viele unverarbeitete Kindheitskonflikte Frau Kuhlman an der menschlichen und geistlichen Reifung hinderten und sie auf ihre egozentrischen Bedürfnisse beschränkten. So blieben fundamentalste christliche Forderungen unbeachtet auf der Strecke.

Mitmenschen

Während sie es in ihren Gottesdiensten meisterhaft verstand, mit Menschen umzugehen, deren Gemütsverfassung zu erspüren und entsprechend zu reagieren, »wußte, wenn sie barsch sein oder als kluge Geschäftsfrau auftreten mußte …, wenn es galt, sich sanft und weiblich zu geben oder wenn es besser war, die Hilflose zu spielen«, behandelte sie ihre Angestellten wie Roboter. Einer ihrer Angestellten bemerkte: »Hier ist jeder ein Roboter. Wir brauchen nicht zu denken, wir brauchen nur zu tun, was uns gesagt wird. Miß Kuhlman drückt auf den Knopf, und schon funktionieren wir« (S.140). Jemand anderer berichtet: »Es sind alles Roboter in den Büros. Sie reden wie Miß Kuhlman, sie lachen wie Miß Kuhlman. Sie dürfen keine persönlichen Probleme, ja nicht einmal ein Privatleben haben. Sie sind vorprogrammiert . . . Sie brauchen nicht zu denken, sie brauchen nur dem Verhaltensmuster zu folgen, das Miß Kuhlman in sie hineinprogramiert hat.« »Selbst jene, die Verantwortung trugen, hatten keine mehr, wenn sie anwesend war.« »Kathrin sagte mir einmal«, schreibt Buckingham, »sie halte es mit ihrem Bureau wie mit ihrer Theologie: >Ich habe etwas gefunden, was funktioniert, und werde nie davon abgehen<« S.142.

Kathrin Kuhlman lehnte es ab, sich mit den persönlichen Problemen ihrer Angestellten zu befassen. Eheprobleme oder finanzielle Probleme   die Kuhlmanstiftung war bekannt für niedrige Gehälter   durften nicht erwähnt werden. »Ich habe keine Zeit, mich um die Privatangelegenheiten meiner Angestellten zu kümmern.«
»Am Ende wurde sie zu einer Einzelgängerin, die zwar in der Öffentlichkeit noch ihren Dienst tat und sich darin verlor, die sich aber schließlich von allen Menschen zurückzog und nur noch ein oder zwei Personen in ihrer Nähe duldete. Ganz zum Schluß verschmähte sie auch sogar ihre engsten Freunde und begab sich in die Hände von Menschen, die sie kaum kannte. Es war ein trauriger Abgang« S.152.

Zu Männern hatte sie ein spezielles Verhältnis. Sie flirtete schon früh. Helen Gulliford, ihre Pianistin, ermahnte sie schon in jungen Jahren, den männlichen Verehrern gegenüber, die in Scharen zum Gebet kamen und noch wenig zwischen der Liebe zum himmlischen Vater und dem Sex Appeal einer jungen Frau unterscheiden konnten, keinen zu freundlichen Ton anzuschlagen. Dies um so mehr, als einige Kritiker ihr vorhielten, sie biete ihnen bloß ein Gemisch von »Seelenheil und Sex« an (S.45).

Gehorsam

Sosehr sie die Verehrung der Männerwelt genoß, sosehr lehnte sie es ab, von ihnen beraten oder geführt zu werden. »Sie lehnte jeglichen Rat der Freunde ab, Unterordnung war ihr etwas Fremdes, besonders wenn es sich um einen Mann handelte oder um eine Gruppe von Männern, denen sie sich unterordnen sollte. >Jeder Christ sollte von Gott direkt hören<, sagte sie. Religion führt den Menschen in die Knechtschaft, aber das Christentum macht ihn frei. Unterordnung Männern gegenüber ist Knechtschaft. Ich möchte frei sein, und Gott direkt zu mir reden lassen.«   »Wenn Kathrin irgendeine große Schwäche in ihrer langen und fruchtbaren Karriere hatte, dann war es die, daß sie sich den gläubigen Menschen, die mit ihr zu tun hatten, nicht unterordnen wollte …  aus irgendeinem Grunde fühlte sie sich von einer solchen Forderung bedroht … Sie konnte sich nie zu der Einsicht durchringen, daß sie durch das Hören auf einen anderen nicht ihrer Rechte vor Gott beraubt und auch nicht zu einer Marionettenfigur wurde, die sich nur bewegt, wenn ein anderer am Faden zieht« (S.85).

Sie kannte also die Tugend des Gehorsams nicht. Im Gegenteil, sie ertrug es nicht, jemandem oder etwas gegenüber gehorsam zu sein. Deshalb gehörte sie keiner institutionellen Kirche an. Sie solidarisierte sich vielmehr mit all »jenen, die in bezug auf organisierte Religion desillusioniert waren, aber ein Verlangen nach Gott hatten«. Sie hielt nichts von der Kirche und von Menschen, »die verblendet waren durch die kirchlichen Traditionen einer falschen, toten Religion«. Sie widersetzte sich jeglicher Tradition, der sie sich im Gehorsam ein- oder unterzuordnen gehabt hätte.

Theologische Kenntnisse

Ihre theologischen Kenntnisse waren mehr als bloß dürftig, und ihr geistliches Leben wurde im Lauf der Jahre immer nachlässiger. »>lch wußte nicht einmal, was das Wort Theologie bedeutet<, sagte K. Kuhlman. >Ich war froh, daß ich einfältig war, einfältig genug, um zu glauben, daß ich nur das Wort zu predigen brauche, und Gott sich dann schon um meine Theologie kümmern würde!« Es gab in ihren späteren Jahren wenige Hinweise, daß sie auch persönliches Bibelstudium betrieb, schreibt Buckingham und vermutet, »daß sie ihre Bibel fast ausschließlich nur in der Öffentlichkeit las« (S.145).

Geistliches Leben

»Nicht nur schien Kathrin in den letzten Jahren ihr persönliches Bibelstudium vernachlässigt zu haben, sondern auch ihr Gebetsleben«, schreibt Buckingham und bemerkt, daß sie auf diesbezügliche Fragen beschwichtigend geantwortet habe, daß ja ihr ganzes Leben ein Gebet sei. »Am schwersten zu verstehen war es, daß sie sich nicht mehr mit den Gebetsanliegen befaßte, die zu Tausenden jede Woche in ihrem Bureau eintrafen.« Daß es trotzdem Gebetserhörungen gab, schrieb man schließlich dem Glauben der Briefschreiber zu. Andere meinten, daß viele andere für die Anliegen gebetet hatten, andere stellten die Frage, ob das Gebet bei den Heilungen überhaupt eine Rolle gespielt habe. Buckingham meint selber, daß Kathrin Kuhlman »nur die Rolle eines Katalysators spielte, durch den den Menschen Gebete entlockt wurden; und auf Grund dieser Gebetsrufe schickte Gott –  nicht Kathrin   dann die Antwort«

Aus der Dürftigkeit ihres geistlichen Lebens dürfte sich auch erklären, warum ihr öffentliches Auftreten als Evangelistin und Heilerin so verschieden war von ihrem persönlichen Verhalten im Alltag wie etwa zu ihren Mitarbeitern und anderen Mitmenschen. Wir dürfen wohl sagen, daß Frau Kuhlman die mystische Tiefe einer Teresa von Avila abging, deren Heiligkeit mit zunehmendem Alter immer strahlender wurde. Es fehlt deshalb die Grundlage, die beiden Gestalten immer wieder miteinander zu vergleichen. Und es scheint mir auf Grund der bisherigen Erkenntnisse, die ich mir beim Studium der Persönlichkeit Kathrin Kuhlmans aneignete, klar, daß ihre öffentlichen Erfolge nicht in ihrem mystischen Verhältnis zu Jesus Christus begründet sind. Wie hätte sie sich sonst bis in ihre letzten Tage dermaßen in ihre Eitelkeit, ihre Selbstüberschätzung, ihre Geltungssucht und an ihren materiellen Reichtum klammern können? Ihr Haus glich einem Museum. Ihre Schränke waren zum Bersten mit Pelzen und Modellkleidern aus besten Modehäusern vollgestopft. Ihr Hang zum Materiellen wäre wohl nicht so ausschließlich gewesen, hätte sie sich auch um geistige Bildung und kulturelle Werte interessiert. »Ihr Verständnis aber für das, was um sie her in der Welt vor sich ging«, schreibt ihr Biograph, »war sehr begrenzt«.

Welche Kraft

Welche Kraft war es nun, um die Frage nochmals zu stellen, mit der Kathrin Kuhlman Menschen heilte und zu Boden warf? Ist es ihre »Perfekte Kombination von Sex, Showtalent, Geistlichkeit und mütterlicher Dominanz«, von der Buckingham spricht, die sie in dieser außerordentlichen Weise befähigte, die Massen zu elektrisieren und Menschen in ihre Gewalt zu bringen? Was sonst war imstand, solch sensationelle Reaktionen auszulösen! »War es Glaube«, wie sich Buckingham fragt, »wenn ja, was war dieser Glaube? War es etwas, was man selbst erzeugen, selbst entwickeln konnte? War es etwas, was man durch eigene gute Werke oder ein gutes moralisches Leben erhielt? War es etwas, was man dafür bekam, daß man dem Herrn diente, oder etwas, was man durch wohltätiges Handeln erlangte? Und in wem wohnte dieser Glaube? In der Person, die krank war? Oder in der Person, die den Heilungsdienst leitete? Oder in der Masse der Menschen, die die Kranken umgaben? Oder in allen dreien zugleich?« (S.103).

Buckingham stellt hier ein Bündel wesentlichster Fragen, die das ganze Geschehen um das »Ruhen im Geist« und die oft damit verbundenen Heilungen in den Zusammenhang des Glaubens bringen. Wir wollen in den folgenden Kapiteln versuchen, einige Antworten zu finden, indem wir auf das früher aufgeworfene Thema der Suggestion zurückkommen.

 

 

8  Vorstellung schafft Wirklichkeit

 

Wesen und Wirkung der Suggestion

Um die Frage zu beantworten, ob es sich beim »Ruhen im Geist« und den oft damit verbundenen Heilungen um Suggestion handeln könnte, müssen wir uns zunächst fragen, was Suggestion überhaupt ist.
Betrachten wir die Suggestion sozialpsychologisch, dann können wir sie als Übernahme einer Überzeugung definieren, ohne daß deren Wahrheitsgehalt nachgeprüft worden wäre. Kinder übernehmen fast alle ihre Überzeugungen oder Anschauungen auf diesem Wege. Aber auch Erwachsene verhalten sich oft Autoritäten, Parteien, angesehenen Institutionen und neuestens den Massenmedien gegenüber wie Kinder. Die Empfänglichkeit gegenüber solchen Einflüssen nennen wir Suggestibilität. Das Vermögen, auf andere in diesem Sinne einzuwirken, bezeichnen wir als Suggestivität.

Aus tiefenpsychologischer Sicht ist die Suggestion die unbewußte Verwandlung eines Gedankens oder eines Vorstellungsbildes in die entsprechende Wirklichkeit. Mit Suggestion ist zunächst der Vorgang dieser Verwandlung gemeint. Die in die Wirklichkeit zu verwandelnden Gedanken oder Vorstellungsbilder bezeichnen wir als Suggestionen.

Wir sind fortwährend Suggestionen ausgesetzt. Viele unserer Handlungen und Verhaltensweisen sind das Ergebnis einer Verwandlung von Gedanken oder Vorstellungsbildern in ihre Wirklichkeit. Wenn ein Unglücklicher auf einmal in einer Krise zur Flasche greift, versucht er die Vorstellung, daß Alkohol glücklicher macht, was ihm eine Fernsehreklame gezeigt hat, in die Wirklichkeit umzuwandeln. Er wird allerdings dabei frustriert, weil dieses Versprechen nicht der Wahrheit entspricht und nur dazu dient, mehr Alkohol zu verkaufen. Er hat sozialpsychologisch das suggerierte Vorstellungsbild aufgenommen, ohne es nach seinem Wahrheitsgehalt geprüft zu haben.

Wenn ich im Supermarkt eines Tages ganz unmotiviert nach Lindt Schokolade greife, ist das wahrscheinlich die Folge einer Reklame in einer Zeitung, an einer Litfaßsäule oder eines Fernsehspots, welche ich unterschwellig aufgenommen habe. In diesem Fall ist nicht nur die Verwandlung des Gedankens, sondern auch der Auslöser des Gedankens unbewußt. Die moderne Verkaufspsychologie kennt die Wirkweise und  kraft der Suggestionen, die sie dermaßen raffiniert einsetzt, daß wir gar nicht merken, daß wir zwanghaft aus fremden und nicht frei aus eigenen Impulsen handeln. Sie stellt uns Lust vor, wodurch sie uns Lust schafft, Vorstellung von Lust schafft Lust. Wir könnten es allgemein sagen: Vorstellung schafft Wirklichkeit.

Nicht jeder Gedanke, nicht jedes Bild wirkt sofort suggestiv auf uns. Unser Unbewußtes ist voll von Bildern. Es nimmt sie von überall her auf und stapelt sie in seinen weiten Räumen. Es birgt selbst in seinen tiefsten Schichten einen unübersehbaren Schatz kollektiver Bilder, die, je nach äußeren Einflüssen und inneren Konstellationen, auf einmal aktiviert, uns zu beeinflussen beginnen. So wissen wir, daß neurotische Konflikte bestimmte Bilder n uns wecken, die sich als Suggestionen in die Wirklichkeit psychischer Symptome oder sogar psychosomatischer Krankheiten verwandeln, denen wir bewußt willentlich nichts Wirksames entgegenzusetzen haben. Andererseits kann sich eine unbewußte Vorstellung von Gesundheit in die Wirklichkeit einer solchen Kraft verwandeln, daß ihr gegenüber eine organische Krankheit eine »Chance« hat.

In solchen Verwandlungen handelt es sich meistens nicht nur um die Verwandlung äußerer Einflüsse in die entsprechende Wirklichkeit. sondern auch um innere Bilder, die sich aus persönlichen und kollektiven Elementen zu einer geballten positiven oder negativen Kraft umsetzen, der wir ausgeliefert werden. Wir fassen uns jetzt mehr mit den von außen an uns herangetragen Suggestionen, wobei wir bemerken, daß wir immer wieder von Beeinflussung und Einflüssen statt von Suggestion und Suggestionen sprechen. In der Tat können wir den Vorgang der Suggestion im weitesten Sinn als Beeinflussung und die Suggestionen als Einflüsse definieren.

Und so müssen wir gestehen, daß alles beeinflußt ist. Es gibt keine Philosophie, keine Ideologie, keine Weltanschauung, keine Religion, keinen Krieg und kein Friede, die nicht durch Suggestion entstanden, aufrechterhalten oder weiterentwickelt worden wären. Jedes Gespräch, jedes Konzert, jedes Theater, jede Predigt, jedes Gemälde, jede Liturgie wirkt suggestiv, beeinflussend auf mich. Die leuchtende Sonne oder auch bloß deren Erscheinungsbild suggeriert mir Fröhlichkeit. Regenwetter beeinflußt mich, zu Hause am Kaminteuer zu bleiben. Bereits sein Anblick durchrieselt mich mit Wärme, selbst wenn ich noch viel zu weit von ihm entfernt bin, um es zu spüren, weil ich sein Bild in mich aufnehme, es zur eigenen Vorstellung mache, die sich in mir in die Wirklichkeit einer Wärmeempfindung verwandelt. Ein solcher Einfluß von außen kann erst suggestiv, das heißt, verwandelnd in mir wirken, wenn ich ihn in mir aufgenommen, ihn mir vorgestellt und mich mit dieser Vorstellung identifiziert habe. Eine Suggestion wirkt erst in mir, wenn ich sie mir zu eigen, das heißt zur Autosuggestion gemacht habe. Jede wirksame Suggestion ist eine Autosuggestion – wenn sie eben wirksam sein soll. Es ist deshalb außerordentlich wichtig, uns der Suggestionen bewußt zu sein, denen wir täglich ausgesetzt sind, daß wir jene auswählen können, die wir uns zu eigen machen und in uns wirksam werden lassen wollen, und jenen, von denen wir uns nicht beeinflussen lassen möchten. Es ist erschreckend, wie viele von uns zum Spielball von Einflüssen geworden und völlig in die Hände von Industriekonzernen und ganzen Gesellschaftszweigen geraten sind, die ihnen ihre eigenen Moralvorstellungen, ihr Sex , Kleidungs- und Umweltverhaltensmuster aufzwingen und sie so jeglicher Freiheit berauben.

Der Laienpsychologe Emil Coué hat uns auf die Kraft der Autosuggestion aufmerksam gemacht.
Er hat uns aufgezeigt, wie gute Gedanken gute Früchte, und schlechte Gedanken schlechte Früchte hervorbringen und daß sowohl das Wunder des guten Lebens als auch das Verhängnis eines unglücklichen von jenen Suggestionen bestimmt wird, von denen wir uns beeinflussen lassen.

Louis Rénon schildert ein Experiment
mit chronisch Tuberkulosekranken, denen eine einfache subkutane Injektion von Kochsalzlösung verabreicht wurde, die allerdings als großartige Entdeckung und als Medikament von enormer Heilkraft unter dem Namen Antiphimose suggeriert wurde. Dieser suggerierte Heilungsgedanke wurde von den Patienten aufgenommen und so autosuggestiv wirksam. Die Wirkung der Spritzen, die während mehrerer Wochen alle 5 6 Tage verabreicht wurden, übertrafen alle Erwartungen. Im Laufe einiger Tage kehrte der Appetit zurück. Die Hustenanfälle ließen nach, ebenso die nächtlichen Schweißausbrüche und die Symptome auf der Brust. Dazu kam eine Gewichtszunahme von 1,5 3 kg. Alle früheren Symptome traten freilich wieder auf nach Beendigung der Spritzenkur.

Noch demonstrativer und in der Wirkung beständiger ist die Placebo Behandlung von Warzen, die man mit einer unwirksamen Farbe bestrich und dem Patienten erklärte, die Warze werde verschwinden, sobald die Farbe sich abgenutzt habe. Und die Warze verschwand. Das mutet an wie ein Wunder. Aber nicht so sehr die Heilung ist hier das Wunder, als vielmehr die Fähigkeit des Unbewußten, auf eine Suggestion hin außerordentlich komplexe und noch wenig verstandene physiologische Prozesse zu leiten und planvoll in sie einzugreifen. »Die unbewußte Intelligenz« muß ziemlich komplizierte und recht präzise Operationen durchführen, nachdem sie die Suggestion empfangen hat. Falls immunologische Mechanismen im Spiel sind, müßten verschiedene Zellen in der richtigen Reihenfolge eingesetzt werden, um Gewebe abzustoßen, falls es sich um ein Unterbinden der lokalen Blutzufuhr handelt, so daß die Warze abstirbt, bedarf es eines selektiven Ausschaltens der präkapillaren Arteriolen. Beide Prozesse sind außerordentlich komplex, und wir wissen noch wenig über sie.
Eröffnet der Vollzug solcher unbewußter Operationen als Reaktion auf »bloße« Suggestion nicht erstaunliche Möglichkeiten auch im Hinblick auf das »Ruhen im Geist«?

Wie weit Suggestion nicht nur heilt, sondern sogar tödlich werden kann, soll uns ein Beispiel demonstrieren, das wir aus Freuds Buch »Totem und Tabu« entnehmen und auf welches er beim Studium sozialer und religiöser Bräuche bei Primitiven gestoßen ist. Er erfuhr, daß bei gewissen Stämmen der Glaube herrscht, daß, wer einen »unantastbaren« Gegenstand (Tabu) berührt, wegen dieses Verbrechens zu sterben hat, und dieser Glaube erweist sich als wahr. »Von der fürchterlichen Wirkung der Berührung, in welcher man, ob auch unabsichtlich, gegen den König oder das, was zu ihm gehört, aktiv wird, mag folgender Bericht Zeugnis ablegen. Ein Häuptling von hohem Rang und großer Heiligkeit auf Neuseeland hatte einst die Reste seiner Mahlzeit am Wege stehen lassen. Da kam ein Sklave daher, ein junger, kräftiger, hungriger Gesell, sah das Zurückgelassene und machte sich darüber, um es aufzuessen. Kaum war er fertig geworden, da teilte ihm ein entsetzter Zuschauer mit, daß es die Mahlzeit des Häuptlings gewesen sei, an welcher er sich vergangen habe. Er war ein starker, mutiger Krieger gewesen, aber sobald er diese Auskunft vernommen hatte, stürzte er zusammen, wurde von gräßlichen Zuckungen befallen und starb gegen Sonnenuntergang des nächsten Tages.« (Sigmund Freud, Totem und Tabu, Hamburg 1984)

Faktoren der Suggestion

Die Verwandlung von Suggestionen in ihre Wirklichkeit wird durch verschiedene Faktoren ermöglicht und unterstützt. Zunächst muß die Aufmerksamkeit geweckt werden. Ich meine nicht die willentliche Aufmerksamkeit. Im Gegenteil, je mehr wir uns auf einen Gedanken konzentrieren, um ihn suggestiv wirksam zu machen, um so unwirksamer wird er. Ein guter Suggestor geht umgekehrt vor, etwa wie ein Feldherr, der seinen Feind mit List angreift. Er wirft an einer oder mehreren Stellen Soldaten an die Front, um dort die feindlichen Kräfte zu binden, während er anderswo ein gezieltes Kräftevakuum schafft, in das er den eigentlichen Angriff führt. Die Entscheidung spielt sich also nicht dort ab, wo sich die Kräfte sammeln, sondern wo sie sich zerstreuen. So wird der Suggestor versuchen, die Aufmerksamkeit blitzartig auf eher unbedeutende Punkte zu lenken, damit es ihm gelingt, die Suggestion, auf die es ihm ankommt, in den leer gewordenen Raum der Seele hineinzuschieben.
Die Suggestion wird so in einen geistigen Leerraum hineingeworfen, wo sie als einzelner Gedanke in ihrer Ausschließlichkeit bedeutsam, ja beherrschend wird, wie ein Laut, der in absoluter Stille ertönt. Dieser einzelne Gedanke vermag nun die Aufmerksamkeit unbewußter Kraftfelder auf sich zu lenken, die nun dessen Verwandlung vollziehen. So wirkt etwa eine gute Zigarettenreklame durch eine spannende Geschichte, die mit der Zigarette vorerst gar nichts zu tun hat, um die Aufmerksamkeit zu binden. Auf einmal erscheint ein Zigarettenbild, ein Zigarettensatz, raffiniert eingeschoben, der geradewegs im richtigen Augenblick durch eine Lücke in den Freiraum des Unbewußten fällt, wo er verwandelt wird, und der Zuschauer nach der entsprechenden Zigarette greift, sofort, oder erst morgen oder doch aber in einigen Tagen.
Es gibt eine andere Art von Gesetzmäßigkeit in der Verwandlung der Suggestionen, nämlich jene der umgewandelten Anstrengung.

Versuchen wir nämlich eine einmal in Verwandlung geratene Suggestion daran zu hindern, ihren Prozeß fortzusetzen, bestärken oder fördern wir ihn. Die Anstrengung, gegen die Suggestion anzukämpfen, vertieft oder beschleunigt diese. Erinnern wir uns an die Zeit, da wir Radfahren lernten. Es genügte bereits, ein Hindernis auf der Straße zu sehen und ihm ausweichen zu wollen, um es in bewundernswerter Sicherheit anzufahren. Lachanfälle werden um so schlimmer, um so mehr wir sie bekämpfen. Auch das Lampenfieber pflegt sich zu verschlimmern, wenn wir uns dagegen wehren. Hat man bei einer Versuchsperson hypnotisch eine Verkrampfung der Hände erzielt, stellt man fest, daß, wenn man sie bittet, die Hände zu lockern, sich diese noch mehr verkrampfen.

Ein Gedanke hat um so mehr Chance auf suggestive Verwirklichung, mit je mehr gefühlshafter Erregung er begleitet ist. Wir stellen etwa fest, daß, wenn ein Stotterer ins Stottern gerät, ein Schüchterner rot wird, und wenn beide dagegen anzukämpfen beginnen, sie sich in eine Erregung steigern, die ihre Schwierigkeiten ins Vielfache vergrößert; erstens auf Grund der umgewandelten Anstrengung, aber auch auf Grund der Erregung, die diese zur Folge hat. Manche Suggestoren lassen die Menge warten und steigern sie so in eine Erwartungshaltung, die ihnen hilft, die Suggestionen in den einzelnen besser zu verwirklichen. Der ganze Apparat von Menschen, der Stab von Mitarbeitern, den sie um sich bilden, die prickelnde Atmosphäre von Wundern, die in der Luft liegen, die entsprechende Musik, all das benutzen Heiler und Suggestoren dazu, die Menge in Erregung zu versetzen und so ihr Ziel der Beeinflussung rascher und leichter zu erreichen.

Wenn Mittel der Erregung zugleich auch Mittel der Überzeugung sind, erhöhen sie ihre Wirkung gegenseitig
. Das sichere Auftreten des Heilers und seines Stabes, seine demonstrierte Unfehlbarkeit, die Eindrücklichkeit der um ihn versammelten Mitarbeiter, die Glaubwürdigkeit und Sicherheit seines Auftritts und seiner Aussagen und vor allem das Ereignis erster Erfolge der Suggestion: daß jemand in Trance fällt, ein Geheilter zeigt seine Krücken. Solch überzeugende Fakten in einer Atmosphäre der Erregung steigern sowohl die Überzeugung als auch die Erregung, und beides schaukelt sich gegenseitig hoch zu einer für den Suggestionsvorgang günstigen Stimmung. Der einem Heiler oder Suggestor vorauseilende Ruf, den er manchen Zufällen, legendären Berichten seiner Anhänger und eigenem Verhalten verdankt, trägt ebenfalls viel zur Erregung bei. Seltsame Reaktionen, die gerade durch ihre unwirkliche Seltsamkeit den Eindruck des Wunderbaren erwecken, helfen mit, Erregung zu schüren und die autosuggestive Verwirklichung zu begünstigen. Die Verwirklichung eines Gedankens hat also am meisten Aussicht auf Erfolg, wenn sie von Erregung und Überzeugung begleitet ist.

Wir ahmen nicht alle Bewegungen oder Verhaltensweisen anderer nach, nur jene, die für uns einen Wert darstellen. Das heißt, ob wir uns in unserem praktischen Verhalten durch das unserer Mitmenschen bestimmen lassen oder nicht, hängt davon ab, ob dieses unseren Zielen, der Erfüllung unserer Wünsche und Bedürfnisse dient oder nicht. Dabei sind oft unbewußte Wünsche und Bedürfnisse entscheidender als bewußte. Diese zwingen uns in gewissen Situationen geradezu, wider den eigenen Willen Vorbilder nachzuahmen, weil sie unbewußten Wünschen Erfüllung versprechen. In Massenveranstaltungen, wo die Erregung mit all den Faktoren die günstigste suggestive Stimmung erzeugt hat, kann sich je nach Art der Stimmung Freude, Gelächter, Hoffnung und Trauer wie eine Epidemie ausbreiten. So kann in einer entsprechenden Atmosphäre das Gesetz des Beispiels die entsprechende Nachahmung oder sogar die Ansteckung hervorrufen, der sich kaum noch jemand entziehen kann.

Es dürfte allgemein bekannt sein, daß wir durch Übung ein Verhalten verfestigen. Auch unbewußte Tätigkeiten können durch regelmäßige Übung gefördert und vervollkommnet werden. Wir haben in der Psychotherapie Beispiele, daß sich negative Suggestionen durch dauernde Übung zu psychosomatischen Störungen verwirklichen. Es kann das Zusammenwirken verschiedenartiger negativer Suggestionen durch ständiges Wiederholen zu einer schweren Neurose führen. Es kann eine Tätigkeit durch Übung zum Automatismus oder zur Gewohnheit werden. Die Auflösung eines solchen einzelnen Suggestionskomplexes kommt durch Einüben gegenteiliger Suggestionen zustande. Die heilenden Suggestionen werden sich in dem Maße positiv auswirken als sie ebenfalls zur Gewohnheit werden. Übung ist in vielen Fällen die Voraussetzung der Dauerwirkung von Suggestionen. Das autogene Training stützt seinen Erfolg unter anderem auf das langfristige Üben der entsprechenden Suggestionen.

Unser Lebensstil wird von einem uns meistens unbewußten Ziel bestimmt,
aus dem unser Verhalten, Denken, Fühlen und Phantasieren zu verstehen ist. Dieses Lebensziel ist eine Suggestion, unsere Hauptsuggestion: Ich will in meinem Leben dieses oder jenes erreichen. Eine Suggestion ist ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Sie mobilisiert deshalb die geeigneten bewußten und unbewußten Mittel, um sich zu verwirklichen. Negative Suggestionen suchen Mittel, um eine Krankheit zu erzeugen, positive um Genesung zu schaffen. In einem Menschen mit einer Neurose trauriger Färbung scheint alles darauf angelegt zu sein, Anhaltspunkte zu finden noch trauriger zu werden. Er wird Hiobsbotschaften suchen, in der Zeitung Unglücksfälle, Verbrechen und Todesanzeigen studieren. Die aus irgendwelchen Ursachen entstandene Suggestion, traurig zu sein, sucht ununterbrochen nach Mitteln, Traurigkeit zu erzeugen und zu vertiefen. Ist also eine Suggestion einmal in Gang gebracht, ist sie auf dem Weg zu ihrer Verwirklichung, wird sie die entferntesten Möglichkeiten, die ihr zur Verwirklichung dienlich sind, wahrnehmen und einbeziehen. Das heißt, sie wird jeden zusätzlichen Suggestionsfaktor sogleich integrieren.

Wenn ich einen traurigen Menschen darauf aufmerksam mache, daß er seine Traurigkeit immerzu verfestige und füttere und daß er damit aufhören sollte, wird er glatt bestreiten, daß er das tut. Er wird mir sagen, daß einem in der Welt soviel Trauriges begegne, daß man automatisch traurig werde. Er suche nicht. Im Gegenteil, er gehe Traurigem aus dem Weg. Die Tendenz, eine Handlung vernunftmäßig zu rechtfertigen, obwohl sie einem unbewußten Ziel entspringt, nennen wir Rationalisierung. Der Mensch will bewußt, vernünftig und begründbar handeln. Sein geistiger Stolz gibt ihm nicht zu, von unbewußten Kräften oder Mechanismen bestimmt zu werden. Katz versteht »unter Rationalisierung die sozial akzeptable Rechtfertigung für eine Handlung, die in Wirklichkeit aus weniger respektablen Motiven begangen worden ist, wobei aber der dahinter liegende seelische Mechanismus dem Träger der Rationalisierung verborgen bleibt«.

Rationalisierung, sagt er, sei aber auch der Wunsch, eine Verhaltensweise, die aus irrationalen Motiven stamme, rational zu begründen,
weil man irrtümlicherweise glaube, alle Verhaltensweisen rational begründen zu können.

So wird ein »im Geist Ruhender« kaum zugestehen, daß er einer Suggestion gefolgt sei,
im Gegenteil, er wird behaupten, vom Heiligen Geist berührt worden zu sein, wodurch er sein Verhalten mit einer in der Erneuerung nicht nur akzeptablen, sondern hochgeschätzten Erklärung rechtfertigt. Da er zudem die Wirksamkeit unbewußter irrationaler Motive auf Grund seiner zwiespältigen Haltung zur Psychologie ablehnt oder einfach ignoriert, erklärt er seinen »Fall« mit einer passenden rational einsichtigen theologischen Theorie. Das nennt man Rationalisierung.

Suggestionen verwirklichen sich immer in einem bestimmten physischen und psychischen Umfeld. Jemand sagt: »Es zieht hier. Ich erkälte mich.« Und siehe da, er erkältet sich, wahrscheinlich weniger weil es kalt ist, als weil er erwartet, daß er sich erkältet, sich diese Erwartung also als Suggestion in ihre Wirklichkeit verwandelt, Erkältungssymptome erzeugte oder solche wenigstens in ihrer Entstehung unterstützt. Nun sagt er, wie er es ja erlebt hat, immer wenn es zieht: »Ich erkälte mich«. Und er wird sich jedesmal erkälten. Er knüpft seine Suggestion an eine Bedingung. Es handelt sich um eine bedingte Suggestion: »Wenn es zieht und jedesmal wenn es zieht erkälte ich mich«. Andere bedingte Suggestionen können etwa so lauten: »Wenn ich jeden Tag eine Stunde spazieren gehe, wird meine Gesundheit immer besser«. Diese bedingte Suggestion wird automatisiert, vollzieht sich schließlich unbewußt bei jedem Spaziergang und stärkt tatsächlich die Gesundheit. Ebenso kann sich beispielsweise eine bedingte Suggestion in dem Sinne automatisch wirksam machen, wenn ich sage: »Indem ich meine Medizin nehme, werde ich gesund«. Sobald ich dann die Medizinflasche ergreife, die Bedingung sich also erfüllt, beginnt die Suggestion automatisch zu wirken. Baudouin berichtet von einem Beispiel, das ihm Coué persönlich erzählte und bei dem es sich um eine ausgesprochen bedingte Suggestion handelte, die durch eine einzige Gegensuggestion sofort gelöst werden konnte. Ein vierzigjähriger nieren- und herzkranker Mann ist seit mehr als einem Jahr bettlägerig. Eines Tages um 5 Uhr nachmittags wird er von heftiger Atemnot befallen. Er meint zu sterben. Der herbeigerufene Arzt ist hilflos, und der Anfall dauert bis halb zehn Uhr nachts, ohne daß er hätte unterbrochen werden können. Am nächsten Tag gegen fünf Uhr sagte der Patient, er spüre, daß der Anfall wiederkehre. Und wirklich packte es ihn, genau um fünf Uhr erneut. Fünf Monate kam der Anfall ohne Unterbrechung jeden Abend um dieselbe Zeit mit unverminderter Heftigkeit. In einer Kollektivsitzung gab Coué die entsprechende Gegensuggestion, nämlich, daß der Anfall künftig um fünf Uhr ausbleiben werde. Und von da an blieb der Anfall aus. Für immer. Coué schloß daraus, daß nur der erste Anfall echt war, während die 150 weiteren Anfälle unbewußt vom Kranken hervorgerufen wurden, weil er sie zur gewohnten Stunde erwartete: »Wenn es fünf Uhr wird, kommt der Anfall«. Ein sprechendes Beispiel einer Verwandlung einer bedingten Suggestion in ihre Wirklichkeit.

Wenden wir die bedingte Suggestion auf das »Ruhen im Geist« an.
Wir stellen fest, und es wurde auch aus früher angeführten Berichten klar, daß, wer einmal fiel, »Gefahr läuft« unter ähnlichen Umständen immer wieder zu fallen. Sei es, daß jemand ähnliche Veranstaltungen bewußt zu demselben Zweck aufsucht. Sei es aber auch, daß bei ganz andern religiösen Anlässen Bedingungen, die damals das Fallen auslösten, erneut unbewußt als Auslöser des Phänomens aktiv werden. Eine ähnliche Atmosphäre, ähnliche Lieder, Gesten oder Handlungen, die an den ersten »Fall« erinnern, können im Sinne der erfüllten Bedingungen das Fallen erneut auslösen. So erzählte mir ein Priester, der vom »Ruhen im Geist« überhaupt nichts wußte, daß bei seinen Exerzitien, die er durchführte, plötzlich jemand bei einer Eucharistiefeier und jemand anderer bei einem Segnungsgottesdienst umgefallen seien, was ihn erschreckte und wofür er keine Erklärung fand, bis ihn die Betreffenden aufklärten, daß es sich um »Ruhen im Geist« handle, das sie anderswo schon mehrmals erlebt hätten.

Zwei treffende Beispiele, wie mir scheint, für bedingte Suggestionen, die zudem zeigen, wie rasch sich ein in Randgruppen praktiziertes Phänomen ins Zentrum rückt und sich unter günstigen psychologischen Umständen durch Ansteckung ausbreiten könnte. Was allerdings hier nicht geschah, weil das entsprechende Klima fehlte.

 

Die Rolle der Masse

Wie wir früher bereits bemerkten, bildet das Massenklima einen besonders günstigen Nährboden für die Verwirklichung von Suggestionen. Sigmund Freud hat sich eingehend mit der Psychologie der Masse (S. Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, Fischertaschenbuch, Hamburg, 1981) auseinandergesetzt. Seine Theorie ist nur aus dem Begriff des Unbewußten zu verstehen. Das Unbewußte ist das Basiselement der massenpsychologischen Vorgänge. Masse, meint er, fordere ununterbrochen unbewußte Inhalte heraus und aktiviere sie bis in tiefste Primitivschichten der Psyche. Sie lebe von ihnen, lasse sich von ihnen tragen und inspirieren. Die Wirkung der Masse auf das Individuum sei mit der Hypnose zu vergleichen. Er betrachtet die Masse als Wiederaufleben der von einem starken Männchen unumschränkt beherrschten Urhorde. Der Wert der Einzelpersönlichkeit schwindet. Die Gedanken und Gefühle orientieren sich nach gleichen Richtungen. Die Affektivität und das Unbewußte herrschen vor. Insgesamt findet eine Regression in einen seelischen Primitivzustand statt. Die Massenatmosphäre verstärkt nach Freud die Suggestibilität der Einzelnen und schafft ein Idealklima für hypnotische oder hypnoseähnliche Vorgänge und Zustände. Dabei spielt der Ansteckungsmechanismus entscheidend mit. Ein an anderen wahrgenommenes Gefühl löst im Wahrnehmenden automatisch dasselbe Gefühl aus. Es entsteht eine Art automatischen Gefühlszwangs, der um so zwingender wirkt, an je mehr Personen dasselbe Gefühl bemerkbar wird. Der einzelne läßt sich anstecken und erhöht dadurch gleichzeitig die Erregung der anderen. Das Kollektive beginnt zu herrschen. Der Wille zur Selbstbestimmung und zur Selbstverantwortung schwindet. Worte und Argumente erhalten eine magische Kraft, gegen die logisches Denken keine Chance mehr hat. Es findet eine kollektive Affektsteigerung statt und man kann sagen, daß die Affekte des Menschen kaum unter anderen Bedingungen zu solcher Höhe anwachsen, wie es in einer Masse geschehen kann; und zwar ist es eine genußreiche Empfindung für die Beteiligten, sich so schrankenlos ihren Leidenschaften hinzugeben, in der Masse aufzugehen und das Gefühl ihrer individuellen Überzeugung zu verlieren. Diese kollektive Affektsteigerung bewirkt eine kollektive Denkhemmung. Es findet ein intellektueller Abbau statt. Irreales und Illusionäres bekommen Vorrang. Idealisierung und Kritiklosigkeit greifen um sich. Faszination ist Trumpf.

Andererseits fühlt sich das Individuum in der Masse gestärkt. Sie verleiht ihm das Gefühl der Allmacht. Unmögliches und Unwahrscheinliches hören auf zu existieren. Es gibt weder Zweifel noch Ungewißheit. …

Magie der Seele

Suggestion verwandelt unsere Vorstellungen und Gedanken nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten in ihre entsprechende Wirklichkeit. Suggestion ist ein Vorgang unseres Alltags. Sie vollzieht sich unwillkürlich, kann aber auch bewußt zur Erweiterung unseres Zieles eingesetzt werden. Sie ist um so erfolgreicher, je mehr Faktoren gleichzeitig unter möglichst günstigen Klimaverhältnissen zusammenwirken.

Die Wirksamkeit der Suggestion gründet letztlich im Vertrauen in die magischen Schichten unserer Seele. Dort leben wir nicht nach den Gesetzen der Logik. Dort herrscht nicht unser Wille. Dort richten wir uns vielmehr nach der Sehnsucht, uns hinzugeben, zu empfangen und uns führen zu lassen. Wir reagieren auf Zeichen, Bilder, Gesten und Gebärden. Worte sind dort keine verstehbaren Nachweise für geistige Zusammenhänge, sondern Zaubermittel unbewußter Geheimnisse. Wir verdrängen diese Schichten. Sie versuchen über Hintertreppen in unser Leben hineinzuwirken. Auch auf kirchlich religiösen Hintertreppen, weil wir als Christen dazu erzogen worden sind, nur den Verstand zu berücksichtigen, uns auf Willen und Kopf zu beschränken, weil wir Bilderstürme veranstalteten, das Bild aus unserer »Bildung« entfernten, in übertriebene Aktivitäten verfielen und dabei den wohl wichtigsten Resonanzraum für das Göttliche verschütteten.

Sollte die Kirche sich nicht wieder auf diese verschütteten und abgesperrten Räume besinnen? Sollte sie die Zugänge nicht freilegen und die Möglichkeiten, in ihnen zu wirken, neu überdenken, um das, was jetzt außerkirchlich durch Suggestoren und Magier geschieht oder was in kirchlichen Randgruppen Heiler wild und ungeordnet praktizieren, aufzufangen, ordnend und kontrolliert zu integrieren, wodurch sich gleichzeitig ganz neue Möglichkeiten der Verwirklichung des Heilswillens Gottes an den Menschen erschließen würden?

Im Zweifelsfalle nicht

Diese Gedanken über Suggestion und Hypnose im Zusammenhang mit »Ruhen im Geist« lassen Zweifel daran aufkommen, daß es sich bei diesem Phänomen um ein direktes Eingreifen des Heiligen Geistes handelt. Sie bestärken uns vielmehr in der Annahme, »Ruhen im Geist« sei ein Suggestionsvorgang, in dem sich bestimmte Erwartungen und Vorstellungen auf ganz natürliche Weise und nach gewissen psychologischen Gesetzmäßigkeiten in ihre entsprechende Wirklichkeit umwandeln. Um diese Verwandlung zu begünstigen, werden die oben besprochenen Suggestionsfaktoren eingesetzt.

Betrachten wir das Auftreten der Kim Collins unter dem Aspekt dieser Faktoren erkennen wir, daß die Aufmerksamkeit der Versammelten zunächst ganz auf die Heilerin und ihr Erscheinen konzentriert wurde. Obwohl der Saal gefüllt war und Frau Collins und ihre Mitarbeiter sich im Vorraum befanden, wurde deren Auftritt um eine halbe Stunde verzögert, um Erwartung und Aufmerksamkeit zu steigern. Unterdessen wurde Frau Collins durch einen Sprecher mit Jesus Christus verglichen, »dem auch ein Ruf vorausgegangen sei, der auf Zeichen gründete, die er tat.« Als Kim Collins unter Gesang, Gebet und Beifall der Versammlung endlich den Saal betrat, alle Seelenkräfte an dem einen Ort ihrer Person konzentriert waren, fiel die Nebenbemerkung ihrer Mitarbeiter, daß einige fallen werden, sozusagen in den leeren Raum der Seelen, wo sie in den Einzelnen die Aufmerksamkeit unbewußter Kraftfelder auf sich lenkte, die sie in ihre Wirklichkeit umzuwandeln begannen.
Die Bemerkung, »vielleicht fallen sie auch nicht« wirkt im Sinne der umgewandelten Anstrengung suggestionsverstärkend. Der Hinweis: »Ihr braucht nicht zu fallen« verstärkt also die Tendenz zu fallen.

»Ihr könnt auch geheilt werden wenn ihr nicht fallt, Fallen ist nur eine Nebenerscheinung« vereint den Zusammenhang von Fallen und Geheiltwerden und stellt diesen als unabdingbare Verbindung wiederum in den Mittelpunkt, allerdings verneinend, was, wie wir wissen, das Gegenteil bewirkt, das heißt: Es ist besser zu fallen, um sicher geheilt zu werden. Oder unter Einbezug des libidinösen Rapports zur Heilerin würde die unbewußte Formel lauten: »Wenn ihr der Heilerin gefallen wollt, die euch heilen kann, dann ist es besser zu fallen, um geheilt zu werden.«

 Diese beiden Faktoren der unwillkürlichen Aufmerksamkeit und der umgewandelten Anstrengung werden begleitet vom Faktor der Erregung, der schon bei der Einladung eingesetzt wurde, und zwar ebenfalls unter der Form umgewandelter Anstrengung, indem die Eingeladenen »Mund zu Mund Propaganda machen sollten, um Zeitungsinserate zu verhindern, die eine Sensation ausgelöst hätten.« Das bedeutet, es wurde der Begriff »Sensation«, die verhindert werden soll, in Umlauf gesetzt, wodurch sie nach dem Gesetz der umgewandelten Energie erst möglich wurde.

Während der Wartezeit wurde die Erregung durch Gesänge, Musik und entsprechende anfeuernde Andeutungen angeheizt. Frau Collins legitimierte sich durch das Erzählen von Heilungserfolgen, Berufungserlebnisse durch Gott und überzeugte so die Anwesenden von der Begabung zu heilen und von der Macht, die ihr aus der Nähe Gottes zufloß. Ihr Mitarbeiter unterstützte ihre Aussagen und überzeugte durch treffende Formulierungen und theologisches Wissen. Das Zeugnis Geheilter steigerte sowohl Überzeugung als Erregung und gab erste Impulse zur Nachahmung der Geheilten, aber auch anderer Vorbilder, zunächst Kim Collins und ihres Mitarbeiterstabes, die mit Verzückung und erhobenen Armen die kommenden Wunder erwarteten. Es wurden so Haltungen, Gesten und Gebärden eingeübt. Stundenlang wurden in immer neuen Kombinationen und Variationen dieselben Lieder mit denselben Worten gesungen: Hingabe, Loslassen, Vertrauen, Friede, Heilung, Freude, Hoffnung, Licht, in Gottes Liebe fallen, Güte, Nähe, Macht usw., die sich dann als Suggestionen im Zustand des »Ruhens im Geiste« im inneren Erlebnis verwirklichten.

Die immer wiederkehrenden Melodien und Rhythmen erzeugten Gleichförmigkeit und Monotonie, die einschläfernd und abstumpfend wirkten und mich an jenes »kosmische Versinken in innere Rhythmen« erinnert, von dem Schultz spricht, und in dem der Mensch »keiner Zweisamkeit mehr bedarf« und in dem er »in ein Halbdämmern von Entrückungszuständen abgleitet«. An diesem Punkt entstand jene »Uterusatmosphäre«, von der Stokvis schreibt. Es bildete sich, wie es Sudhir Kakar erlebte, jener »ungeheure Bauch der Masse«, in dem der Einzelne zu verschwinden droht. An diesem Punkt begann die Masse als Suggestionsfaktor die volle Wirkung zu entfalten. Sie wurde zum eigentlichen Hypnotikum. Das Bewußtsein wurde eingeengt und abgesenkt, und die Zeit war gekommen, wo das Phänomen des »Ruhens im Geist« in der Art und Weise des früher beschriebenen Rückwärtsfalls in Erscheinung trat und sich durch Ansteckung und zähe Zielstrebigkeit zu entwickeln begann.

Wer also wie Kathrin Kuhlman versteht, zur Verwirklichung ihrer Suggestionen neben vielen anderen Faktoren auch die Masse einzusetzen, wird ein leichtes Spiel haben, in den Einzelnen das hervorzurufen, was er will. Denn der Zustand des Individuums in der Masse ist ein hypnotischer (Freud). Es werden sich deshalb »Wunder über Wunder« ereignen. Aber sind es wirklich Wunder? Ich würde sagen, im Zweifelsfalle nicht.

Okkult

Suggestion und Hypnose werden oft mit Okkultismus in Verbindung gebracht. »Okkult« ist für viele gleichbedeutend mit dämonisch. Für sie steckt im Okkulten der Teufel. Was haben wir unter Okkultismus wirklich zu verstehen? Mit dem Begriff Okkultismus bezeichnet man nach Bender »geheime, verborgene, von der offiziellen Wissenschaft noch nicht allgemein anerkannte Erscheinungen des Natur  und Seelenlebens und die Beschäftigung mit ihnen. Die Wissenschaft von den »okkulten« Erscheinungen nennt man Parapsychologie.« (Hans Bender, Parapsychologie und ihre Ergebnisse und Probleme. Hamburg, 1980).

Es ist offenkundig, daß wir heute auf einer »okkulten« Welle reiten. Der Hunger nach Außergewöhnlichem, Geheimnisvollem und Unverständlichem verbindet sich mit dem Bedürfnis nach Bewußtseinserweiterung, mit der Neugierde nach dem Sinn der individuellen Existenz und ihrer Begrenzung durch den Tod. Die Enttäuschung am technischen Fortschrittsglauben, die Frustration durch die Konsumgesellschaft, die vielerlei Bedrohungen durch unberechenbare Mächte der Zerstörung, die in vielem antwort  und heillose Kirche führen die heutigen Menschen in eine beängstigende Sackgasse, aus der sie durch das geöffnete Tor des »Okkulten« entfliehen möchten. Okkulte Wellen werden durch Krisenzeiten ausgelöst.

Auch Erweckungsbewegungen signalisieren Menschheitskrisen und stellen zugleich das geistliche Mittel dar, sie zu überwinden. Sie sind oftmals durch dieselben Ursachen bewegt wie das Bedürfnis nach dem »Okkulten«. Und es ist oft für sie schwer, nicht einfach zum Steigbügel dieses modernen Religionsersatzes zu werden. Sie wehren sich zum Teil heftig dagegen, indem sie alles »Okkulte« verteufeln und gerade dadurch Gefahr laufen, ihm auf der Rückseite Tür und Tor zu öffnen.

Man kann sich freilich fragen, ob das »Okkulte« im Sinn der oben definierten parapsychologischen Erscheinungen eine echte Gefahr für Erweckungsbewegungen wie die charismatische Gemeindeerneuerung darstellt. Mir scheint, daß unser Glaube oft von parapsychischen Erscheinungen begleitet ist. Man muß sie nur als solche erkennen, sie beim Namen nennen und daraus nicht gleich ein Wunder machen wollen. Da spricht mir Karl Feckes aus dem Herzen, wenn er schreibt: »Die mystische Theologie würde der modernen Wissenschaft sehr dankbar sein, wenn sie bei der Erforschung die außergewöhnlichen mystischen Erscheinungen viel stärker als es bisher geschehen ist, auf natürliche Ursachen zurückführen könnte, weil diese damit der natürlichen Schaulust und Wundersucht der Menschen entrissen wäre. Dann würde der Blick der Gläubigen freier für das Wesentliche des mystischen Gnadenlebens, für das erfahrungsgemäße Innewerden Gottes, das wahrem Vollkommenheitsstreben entspringt und zum Heroismus der Tugenden aufruft.« (K. Feckes, Die Lehre vom christlichen Vollkommenheitsideal, Freiburg, 1949).

Die Gefahr des »Okkulten« für den Glauben ist also nicht so sehr das »Okkulte« als solches, als vielmehr die Versuchung, an ihm hängen zu bleiben, es als das Letzte zu betrachten und damit dem wirklich Letzten, dem Göttlichen, auszuweichen. Deshalb ist es doch recht gefährlich, den christlichen Glauben mit »okkulten« Phänomenen zu vermischen. Man sollte beides klar auseinanderhalten.

Suggestion und Hypnose, so wie wir sie in diesem Kapitel besprochen haben, gehören zu den von der Wissenschaft allgemein anerkannten Erscheinungen des Natur  und Seelenlebens und lassen sich deshalb nicht unter den Begriff des oben definierten »Okkultismus« stellen.

Anders verhält es sich freilich mit Mentalsuggestionen, das heißt mit telepathisch auf Distanz erzeugten Hypnosen, wie sie von einer Forschergruppe unter der Leitung des Leningrader Physiologen Wassiliew durchgeführt wurden und die die Existenz psychischer Fernwirkung beweisen. (H. Bender, Parapsychologie und ihre Ergebnisse und Probleme).

Man fand drei Versuchspersonen, die »mentalsuggestiv« waren, d. h. durch eine lediglich gedachte Suggestion aus der Ferne in Hypnose versetzt und wieder aus der Hypnose herausgeführt werden konnten. Es wurden, wie Bender berichtet, 260 Experimente mentalen Einschläferns und Aufweckens gemacht. Unter anderem wird von einem gelungenen Versuch berichtet, der sich über eine Entfernung von 1700 km erstreckte. Die Forschungsgruppe spricht dabei von einem unbekannten Faktor, der sich über große Entfernungen ausbreite und beliebige Hindernisse überwinde.

Neben diesen Mentalsuggestionen gibt es zahlreiche andere experimentell gesicherte »okkulte« Phänomene. Die Telepathie, die als Einwirkung einer Seele auf eine andere ohne Vermittlung der Sinne, bezeichnet werden kann. Das Hellsehen als direkte außersinnliche Wahrnehmung von Dingen und Zuständen, von denen jeweils kein Mensch Kenntnis hat. Die unmittelbare Einwirkung der Geistseele auf die Außenwelt durch Geräusche (Teleakustik bzw Hellhören), durch Bewegungen (Telekinese) und durch Materialisationen (Teleplastik), um die Wichtigsten zu nennen.

Ich möchte abschließend als Beispiel der mentalen Beeinflussung den sogenannten Uri Geller-Effekt, ein telekinetisches Phänomen anführen, weil es sich besonders eignet, darzustellen, daß auch im »Ruhen im Geist« unter Umständen paranormale Elemente im Spiel sein könnten.

Uri Geller, der im Deutschen Fernsehen am 17. Januar 1974 seine parapsychischen Fähigkeiten demonstrierte
, unterzog sich auch einem parapsychologischen Laboratoriumsuntersuch, von dem Bender folgendes berichtet: »Ein Zylinderschlüssel war zunächst von Uri Geller in der Hand des Grazer Ordinarius für Psychologie, Professor Mittenecker, durch leichtes Streichen verbogen worden und deformierte sich dann, auf dem Tisch liegend, ohne von irgendeiner Person berührt worden zu sein, von selbst um circa 10 Grad weiter, was von wenigstens sechs Zeugen, darunter der Berichterstatter (Helmut Hofmann, Vorstand des Instituts für Grundlagen und Theorie der Elektrotechnik der technischen Hochschule Wien,) und sein Assistent, einwandfrei beobachtet wurde.«
Wie Bender weiter berichtet, hat die damalige ZDF Sendung eine in der Geschichte des »Okkulten« einmalige Massenreaktion ausgelöst. Unter anderem erwähnt er einen »Fall in Karlstadt bei Würzburg, bei dem sich während und im Anschluß an die Sendung mit Uri Geller 56 Besteckteile   vorwiegend aus dem sorgsam gehüteten Familiensilber   deformierten. Beamte der Landespolizei, die nach der 40. Verformung schließlich alarmiert wurden, berichten als Augenzeugen von weiteren Verformungen von Besteckteilen, die niemand anrührte.«

Bender fährt interpretierend fort: »Bei diesem der Öffentlichkeit durch eine Fernsehsendung bekannt gewordenen Fall, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen von den Familiengliedern abhängigen »Spuk«   in der Parapsychologie als >spontane Psychokinese< bezeichnet. Nicht Uri Geller bewirkt das Phänomen, sondern er löst es nur aus. Man muß allerdings zugeben, daß diese   sicherlich von der »okkulten Welle« getragene Wirkung dieses Stars der Television ein überaus auffälliges, bisher nicht bekanntes Phänomen ist.«

Ohne die spektakulären Wirkungen um das »Ruhen im Geist« wie sie besonders bei Kathrin Kuhlman auftraten, als »großen Familienspuk« bezeichnen zu wollen, erinnert mich die Uri Geller Geschichte doch in gewissen Aspekten an jene Ereignisse. Könnten bei diesen Massenreaktionen nicht doch auch mentale Kräfte der Psychokinese wenigstens teilweise mitgewirkt haben? Könnten diese Menschen nicht auch einem psychokinetischen Anreiz »zum Opfer gefallen sein«?

Wenn Bender zudem an anderer Stelle bemerkt, »daß Uri Geller mit der Wiederingangsetzung von Uhren   sollte es sich dabei um echte Psychokinese handeln   ein Novum kreiierte, da psychokinetische Phänomene, die in Spuk kumulieren, bisher immer als destruktive Wirkungen beobachtet wurden« und »hier der seltene Fall einer konstruktiven Einwirkung zu vermerken wäre … « stellt sich uns die Frage, ob die in diesen Heilungsversammlungen geschehenen »Wunderheilungen« nicht zum Teil auch psychokinetisch ausgelöst worden sein könnten. Wäre es dann nicht auch möglich, statt Löffel zu verbiegen, Knochen zurechtzurücken und statt defekte Uhren defekte Organe wieder in Gang zu setzen?

 

10  Ruhen im Geist als Gefahr

 

Versuch einer Definition

Zusammenfassend läßt sich sagen, das Phänomen »Ruhen im Geist« bilde sich aus der Masse und bilde Masse. Es ist ein Massenphänomen, das die einzelnen der Individualität beraubt und sie einer suggerierten Idee unterwirft, um so in ihnen mystische Erlebnisse zu erzeugen. Wenn wir es positiver ausdrücken, können wir »Ruhen im Geist« als Versuch definieren, sich in einem psychosomatischen Schnellverfahren unter Umgehung stufenweiser geistlicher Entwicklung Gott ganzheitlich hinzugeben, ihn möglichst rasch zu erfahren und von ihm geheilt zu werden. Daß Menschen bei diesem Versuch umfallen, ist nicht die Folge des direkten Eingreifen Gottes durch den Heiligen Geist, sondern das Resultat einer massenpsychologisch unterstützten Suggestivmethode, in der die Übertragung unbewußter infantiler Liebesgefühle auf den Heiler oder auf die Heilerin und die Massenansteckung eine große Rolle spielen. Es ist nicht auszuschließen, daß in diesem Zustand erhöhter Suggestibilität die früher angeführten Heilerinnen, besonders Frau Kuhlman auch als Medien wirken, ohne daß wir in den nonverbalen Phasen des Suggestionsvorganges die Übertragungskanäle einschließlich der mentalsuggestiven, parapsychologischen sicher voneinander trennen können.

Mögliche Kriterien

Es ist nicht zu beweisen, daß Gott in diesem Zustand wirksam wird. Ebenso wenig ist zu beweisen, daß er es nicht wird. Es bleibt uns die Möglichkeit, solche Erfahrungen mit strengen Kriterien zu prüfen. Wirkliche Umkehr mit Langzeitwirkung, selbstkritische Beobachtungsgabe, Fähigkeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Leben und dessen Bewältigung, Augenmaß und gesunder Menschenverstand, berufliche Tüchtigkeit, gesellschaftliches Wirken, logisches Urteilsvermögen, Zuverlässigkeit in menschlichen Beziehungen, in denen sich Demut, Liebe und Selbstbeherrschung bewähren, sind für mich wichtige Kriterien. Selbst wenn die erwähnten Kriterien bei einzelnen zutreffen und als Antwort Gottes gewertet werden könnten, bleibt die Frage, ob diese Art und Weise des Versuchs, Gott in den Griff zu bekommen, für alle anderen ebenfalls der richtige Weg ist, ob sie die charismatische Erneuerung als Ganzes in der Erfüllung ihrer Aufgabe stärkt und ob sie der großen Gemeinschaft der Kirche dient. Da sind wohl Zweifel angebracht.

Gefahr der Vermassung

Wenn Freud die Kirche als organisierte Masse betrachtet, die sich um Christus als ihren illusionären Führer schart, ist er nicht imstande die Grenzen der Psychologie zu überschreiten. Für Christen ist Christus keine Illusion, sondern eine Wirklichkeit. Christus hat die Kirche gegründet und ist noch heute ihre lebendige Mitte. Er hat sie von allem Anfang an hierarchisch gegliedert. Paulus schildert sie als den durch und durch strukturierten Leib Christi (1 Kor, 12,12 ff.), in dem jedes Glied seine ihm zugedachte Aufgabe wahrnimmt. Kirche, mag psychologisch gesehen, zwar als organisierte Masse erscheinen, geistlich jedoch gründet sie auf der personalen Beziehung jedes einzelnen Christen zu Jesus Christus und auf der persönlichen Verbindung Jesu Christi zu jedem einzelnen, den er herausruft und anspricht. Gott begegnet jedem auf die ihm entsprechende, einmalige Art und Weise, indem er sogar seine äußeren Umstände und seine innere Verfassung berücksichtigt. An Moses ging Jahwe mit seiner Majestät vorüber (Ex 33,18 23). Mit Jakob rang er bis zu Beginn der Morgenröte (Gen 32,25 32) und zu Elias sprach er im zarten Säuseln des Windes (1 Kön 19,12 13). Dem einen zeigt er sich im ewig verhüllten Angesicht, dem andern in leidenschaftlichem Kampf und Elias gar in einer kaum beschreibbaren Kleinigkeit. Denken wir im NT an die Berufung der Jünger durch Jesus (Mk 1, 16 20), an seine Begegnung mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4,4 42) mit der Ehebrecherin in der Stunde ihrer größten Not (Joh 8,3 11), oder mit dem Blindgeborenen (Joh 9,1 12). Gottes Gegenwart für jeden im Augenblick der Zeit! Ein Geschenk des Himmels, nicht Resultat einer Manipulation von Menschen.

Eine der schönsten Begegnungen Jesu mit Menschen, in ihrer Einfachheit und Zärtlichkeit besonders aussagekräftig, ist jene mit Maria Magdalena am Ostermorgen. Wenn »Ruhen im Geist« ein mystisches Erlebnis sein soll, tun wir gut daran, es an dieser Begegnung zu messen. Sudbrack schreibt: »Es gibt keinen treffenderen Bibeltext zum Verständnis christlicher Mystik. Alle mystischen Erfahrungen der christlichen Tradition messen sich an den beiden Worten: Jesus sagt zu ihr: Maria.’ Da wendet sich diese um und sagt zu ihm: Rabbuni! (Joh 20,14 17)« (Josef Sudbrak, Komm in den Garten meiner Seele. Einführung in die christliche Mystik, Gütersloh 1979). Wie fremd und aufdringlich erscheint uns in dieser Gegenüberstellung die spektakuläre Massenunruhe um das »Ruhen im Geist«.

Wir sind also in der Kirche eine Gemeinschaft persönlich Angerufener und Geliebter. Diese persönliche Berufung des einzelnen zu Jesus Christus sprengt die Psychologie der Masse. Mehr noch, sie bewirkt das Gegenteil von Masse. Statt Gemeinschaft in Masse, verwandelt sie Masse in Gemeinschaft, in der der einzelne seine Persönlichkeit nicht verliert, sondern gewinnt. Sie stiftet Individualität, statt sie   wie dies Masse tut   aufzulösen.
Kirche wird immer wieder der Gefahr der Vermassung ausgesetzt. Sie muß auf der Hut sein. Masse gefährdet die personale Christusbeziehung der Gläubigen. Masse widerspricht deshalb der Ordnung des mystischen Leibes Christi.

Gefahr der Manipulation

Manche behaupten, sie hätten im Erlebnis dieses Phänomens Gott erfahren. Ich halte es für möglich, daß Gott auf einen solchen Zustand der Hingabe, des totalen Loslassens und Vertrauens antwortet. Ich kann mir vorstellen, daß er in diese Leere hineinsprechen, sie in Besitz nehmen und so jemandem persönlich begegnen kann. Ich habe jedoch große Mühe, mir vorzustellen, daß er sich durch die Erfüllung bestimmter Bedingungen massenweise herbeizwingen läßt. Da beginnen sich Gefahren abzuzeichnen. Zum Beispiel die Gefahr eines falschen Gottesbildes. Die Gefahr der Vorstellung eines manipulierbaren Gottes, der uns immer neue Methoden der Manipulation erfinden läßt. Ein Gott, der uns aus dem Gefühl, immer noch zu wenig zu glauben und zu wenig gut zu sein, weil er sich noch immer nicht günstig zeigt, zu immer neuen Anstrengungen veranlaßt. Daraus kann ein geistlicher Leistungsdruck entstehen, der schon vielen die Beziehung zu Gott zerstört und die Seele verheerend neurotisiert hat.

Gefahr der Fixierung

Wir wollen die Reihe der Gefahren fortsetzen. Es ist gefährlich, massenpsychologisch seine geistigen Funktionen so einengen zu lassen, daß unser Urteilsvermögen geschwächt, der Überblick über das Ganze verloren und der Ablauf des logischen Denkens beeinträchtigt wird. Wir verlieren die Kontrolle über uns selber und über das, was in unserer Umgebung geschieht. Wir werden abhängig und liefern uns wehrlos aus. Das Ruhen im Geist und die es begleitenden und vorbereitenden Umstände engen auch unser geistliches Bewußtsein ein, indem wir suggestiv auf Heilungserzählungen und Heilungshinweise und unseren eigenen Heilungswunsch festgelegt werden. Heilung und Krankheit werden so sehr in den Mittelpunkt unseres Denkens und Empfindens gestellt, daß wir aus dem großen Kontext der christlichen Bot¬schaft herausgerissen und auf einen einzigen Aspekt ausschließlich fixiert werden. Die Fixierung auf Einzelaussagen der Botschaft Jesu verstellt uns den Blick für andere, ebenso wichtige Aspekte, auf die wir zur Erfassung des Heilswillens Gottes nicht verzichten können, und die wir notwendigerweise im Auge behalten müssen, um nicht   wenn auch kurzfristig  vom rechten Weg abzukommen. Deshalb bietet die Herabsetzung geistiger und geistlicher Wachheit die Gefahr von Fixierung, Verwirrung und Verirrung in sich.

Gefahr der Regression

Das Ruhen im Geist gefährdet unsere menschliche und geistliche Reifung. Mit der Einengung und Herabsetzung des geistlichen und geistigen Bewußtseins beginnt der Prozeß der Auflösung der Individualität. Reifung aber heißt Individuation und bedeutet die Entfaltung unserer persönlichen Eigenarten und Anlagen. Wer reifen will, muß sich entwickeln. Reifung heißt progressives Vorwärtsgehen in die Zukunft. Massenpsychologische Einflüsse wirken regressiv. Das heißt, daß sie Reifung nicht nur hindern, sondern Menschen sogar in infantile Phasen zurückkehren lassen. Wenn manche behaupten, im Ruhen im Geist, ihre Individualität nicht verloren, sondern im Gegenteil in einem Zustand des Glücks und des tiefen Wohlbefindens erfahren zu haben, so widersprechen sie dieser These nicht. Sie bestätigen sie vielmehr. Die Regression in die Kindheit und in kindliche Verhaltensweisen bis schließlich in den Mutterschoß, als das die Masse durchaus empfunden werden kann, ist mit Lustgefühlen verbunden. Es handelt sich um eine Art autoerotischer Lustbefriedigung, um Lust an der eigenen Lust, die dann unter dem geschwundenen geistigen und geistlichen Urteilsvermögen religiös interpretiert wird. Es besteht die Gefahr, daß der regressiv Gewordene, sich so fixiert, daß er kaum mehr ganz aus dieser Regression herauskommt. So konnte ich bei Einzelnen, die das Ruhen im Geist erfahren haben, weit über das Erlebnis hinaus und während längerer Zeit regressive Tendenzen feststellen: Passivität, gedämpfter Lebenswille, gepaart mit euphorischen Überlagerungen, geschwächte Realitätsprüfung, Flucht aus Verantwortung und Lebenshärte, ständiges Warten auf neue Gotteserfahrungen, verbunden mit dem Drang den Zustand des Ruhens im Geist immer neu zu erfahren. Bei einigen wandelt sich dieser Drang unter gewissen psychischen Voraussetzungen in den Wunsch um, in anderen das Phänomen des Fallens auszulösen. Ich stellte nämlich fest, daß sich so in kleinem Kreis Menschen, die fallen möchten, mit anderen treffen, die fällen möchten und umgekehrt. Da setzt sich ein »Fortpflanzungsmechanismus« in Gang, mit dem sich Menschen in einen Kreis gegenseitiger Bedürfnisbefriedigung einschließen, zu dem Gott keinen Zugang hat, aus dem sie zu Gott keinen Zugang mehr finden. Allerdings ist zu bemerken, daß Regressionen innerhalb eines psychotherapeutisch ausgelösten und gesteuerten Individuationsprozesses auch positive Erlebnisse sein können. Sie sind ein Atemholen in primitiven Schichten, eine Erneuerung aus der Tiefe. Wir dürfen therapeutische Regressionen jedoch nicht mit Massenregressionen gleichsetzen. Masse überläßt den Einzelnen seiner Regression, macht sie ihm nicht bewußt und ist nicht fähig, ihn wieder daraus herauszuführen, weshalb er Gefahr läuft, dort fixiert zu bleiben. Christlicher Glaube ist aber nicht nach rückwärts orientiert, zum Mutterschoß des Grabes, sondern vorwärts, zur Auferstehung von den Toten, nicht zur Kindheit, sondern zum vollen »Mannesalter«. Die Aufforderung, wie die Kinder zu werden, ist nicht in diesem regressiven Sinn gemeint, sondern will uns dazu führen, anzuerkennen, daß wir letztlich von Gott abhängig sind, wie die Kinder von ihren Eltern, denen sie »absolutes« Vertrauen entgegenbringen.

Gefahr der Egozentrizität

Man muß sich psychologisch ohnehin fragen, welche Menschen aus welchen Impulsen andere zu Fall bringen möchten. Ich vermute, daß mancherorts ein religiös verbrämter Macht  und Geltungstrieb am Werk ist, dem auf der anderen Seite masochistische Unterwerfungstendenzen mehr oder weniger provozierend gegenüber stehen, womit sich ein neuer, unheilvoller Kreis von Bedürfnisbefriedigungen schließt, aus dem Gott ausgeschaltet wird. Denn es handelt sich hier um egozentrische Vorgänge, die die eigene Lust und nicht Gott zum Ziel und Mittelpunkt haben. Es handelt sich um Massenegoismus mit gottentfremdenden Elementen, in denen sich statt des Guten Böses einnistet, welches anfänglich gute Absichten ins Schlechte verdrehen kann.

Gefahr der Bindung an Menschen

Wie wir bemerkten, spielt der Heiler als Massenführer und »Hypnotisator« eine wichtige Rolle. Wir nannten die Beziehung des Einzelnen zu ihm libidinös oder erotisch. Wir bezeichnen sie in der Psychotherapie als Übertragung. Ihr richtiger Gebrauch setzt die ganze Kunst des Psychotherapeuten voraus. Damit er sie als Herzstück seiner Arbeit beherrscht, muß er selber durch eine ausführliche Lehrtherapie gegangen sein. Die meisten Heiler lösen zwar massenpsychologische Phänomene aus, ohne sie mit der notwendigen Selbst , Fremd¬- und Sachkenntnis handhaben zu können. Sie rufen Übertragungen hervor, sind aber nicht imstande, die Gefühle weiterzuleiten, zu kanalisieren und in unserem Fall an Gott abzugeben. Im Gegenteil, manche werden wohl die geweckten Energien, ohne es zu wollen, auf Grund der unbewußten, vielleicht verdrängten Machtansprüche, für sich behalten, genießen und sie dann unverarbeitet im Raum stehen lassen. So bleibt die ganze, anfangs bewußt auf Gott gerichtete Hingabe beim Heiler im rein Menschlichen stecken. Die Übertragung bleibt bestehen, möglicherweise eine zeitlang als Wohlgefühl oder sogar als Heilungseffekt, um sich aber schließlich in Enttäuschung und Frustration zu verwandeln, die zuletzt als Mißtrauen auf Gott projiziert wird. Solche Projektionen können die Beziehung zu Gott schwer verletzen.

Gefahr der Selbsttäuschung

Das Ruhen im Geist schließt die Gefahr mehrfacher Täuschung in sich. Man glaubt sich Gott hinzugeben. während man sich einem Menschen ausliefert. Man entfesselt Gefühle für Gott, die aber im Menschlichen stecken bleiben. Man meint, Gott zu erfahren, während man sich in einer seelischen Regression an eigener Lust freut. Man glaubt, vom Heiligen Geist umgeworfen worden zu sein, während man sich massenpsychologischen Mechanismen unterzogen hat. Man glaubt, sich in die sichere Hand Gottes fallen zu lassen, während man Gefahr läuft, sich in den intimsten und empfindsamsten Regungen seines Herzens menschlich mißbrauchen zu lassen.

 

Gefahr der Aktivierung von Krankheitsherden

Heilungserwartungen gehen nur zum Teil und kurzfristig in Erfüllung, weil es sich bei Suggestivverfahren bloß um eine zudeckende Methode handelt, die die Wurzeln eines Konfliktes nicht erfaßt, sondern durch positive Suggestionen überlagert. Massensuggestive Methoden pfropfen positive Verhaltensweisen auf ein krankhaftes Fundament. Es kann zwar vorübergehend ein Symptom verschwinden, jedoch schon bald aus der Tiefe als anderes anderswo in Erscheinung treten. Es wird Heilung auf kürzestem Weg ohne Berücksichtigung des Krankheitsherdes suggeriert. Der Rest wird Gott überlassen. Was, wenn er sich auf dieses Spiel nicht einläßt? Wenn ein Krankheitsherd auf Suggestionen gegenteilig reagiert und sich explosionsartig ausbreitet’?

 

Gefahr geistlicher Bequemlichkeit

Das Ruhen im Geist, hören wir oft, ist vergleichbar mit dem Damaskuserlebnis des Paulus oder mit mystischen Erlebnissen großer Heiliger. Es handelt sich also um ein schmerzloses Kurz¬verfahren zur Erzeugung mystischer Erlebnisse. Es ist sehr gefährlich, Erlebnisse, die großen Heiligen aufgrund eines lebenslangen Ringens geschenkt wurden, mit einer Handbewegung herbeizaubern zu wollen. Aber es entspricht durchaus den regressiven Tendenzen des Phänomens, den harten Weg menschlicher Reifung durch ein angenehmes Erlebnis ersetzen zu wollen. Wir reifen auf einem harten Weg der täglichen Auseinandersetzungen während eines ganzen Lebens. Wer menschlich reift, kann geistlich wachsen. Wer geistlich wächst, wird menschlich reifen. Beides gehört zusammen, geht Hand in Hand, ergänzt und durchdringt sich in einem lebenslangen Prozeß des Werdens, Sterbens und Auferstehens. Menschliche Reife und geistliche Heiligkeit lassen sich nicht herbeimanipulieren. Wer anderes behauptet, täuscht die Menschen und führt sie den Weg gefährlicher Illusionen.
Der Preis, den wir bezahlen, um »im Geist zu ruhen«, selbst wenn sich da und dort positive und bleibende Früchte zeigen sollten, ist zu hoch, wenn wir bedenken, welchen Gefahren und Täuschungen wir dabei ausgesetzt sind.

 

Gefahr der Ablehnung

Solch illusionäres Glaubenverhalten, verbunden mit dem spektakulären Phänomen des Fallens im Geist, schockiert viele Christen, weckt in ihnen Widerwillen und löst Unverständnis und Ablehnung aus. Es macht vor allem jene kopfscheu, die innerlich schlicht, scheu und ganz im verborgenen Gott suchen. Wäre da nicht Verzicht aus liebevoller Rücksicht angebracht? Die Ausschließlichkeit des Blickwinkels, die einseitige Erwartungshaltung mit all den damit verbundenen infantilen Kennzeichen weckt mit Recht das Mißtrauen kirchlicher Autoritäten und Gemeindevorsteher. Ich habe bei Referaten vor dem Klerus mehrmals schmerzlich feststellen müssen, welche Skepsis dort gegenüber der charismatischen Erneuerung herrscht und wie sich da Mauern auftürmen, die angesichts solcher Phänomene immer unüberwindlicher werden. Man muß sich fragen, ob es wirklich der Heilige Geist ist, der sein eigenes Werk auf diese Weise blockiert.

 

Schlußfolgerungen

Das »Ruhen im Geist« sollte, solange der Beweis fehlt, nicht als direktes Eingreifen des Heiligen Geistes betrachtet und nicht öffentlich in Gottesdiensten praktiziert werden. Auch nicht in kleinen Kreisen, da es dazu neigt, wo immer es in der Form des Wunderbaren ausgeübt wird, sich unkontrolliert überallhin auszubreiten. Falls es in Gruppen als bloß psychologische Entspannungs  oder Vertrauensübung angewendet wird, als das es dann aber auch bezeichnet werden soll, muß dies mit Klugheit, Menschenkenntnis und mit dem nötigen Einfühlungsvermögen geschehen.

Das Phänomen ist als eine Art Notruf von Christen zu verstehen, die fürchten, in ihrer Kirche Gott nicht mehr erfahren zu können. Sie fühlen sich zudem in ihren Ängsten und Krankheiten von ihr allein gelassen und suchen deshalb in seltsamen Veranstaltungen von Randgruppen oder außerhalb des kirchlichen Rahmens Hilfe. Die Bischöfe sollten auf diesen Notruf antworten und entsprechende Fachleute heranziehen, um jene natürlichen Mittel auszubauen und am richtigen Ort zur entsprechenden Zeit einzusetzen, die die ganzheitliche menschliche Erfahrung des Göttlichen begünstigen.

 

11  Suggestion als Charisma

 

Mystik oder Pseudomystik

Es mag seltsam erscheinen, wenn ich jetzt, nachdem ich das »Ruhen im Geist« als eine für den Glauben untaugliche Suggestivmethode abgelehnt habe, Suggestion auf einmal zum Charisma erkläre. Das ist jedoch nur scheinbar ein Widerspruch. Sofern Suggestion die persönliche Christusbeziehung ermöglicht oder eine bereits bestehende vertieft, ist sie ein Charisma, eine Gnadengabe des Heiligen Geistes, nicht aber, wenn sie, statt die persönliche Beziehung zu Christus zu fördern, bloß dazu dient, Sekundärphänomene zu erzeugen. Anders ausgedrückt: Mystik ist die Vermählung Gottes mit dem Menschen. Suggestion kann einzelnen Menschen den Weg freibahnen, daß Gott zu ihnen kommen kann, daß sie ihm entgegengehen können. Suggestion ist also eine Hilfe, echte Mystik im Sinne dieser Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch anzubahnen, aus der dann auch mystische Phänomene hervorgehen können. Es ist aber nicht richtig, auf suggestivem Weg mystische Phänomene erzeugen zu wollen, in der Absicht, so ein Mystiker zu werden. Solche künstliche Phänomene sind Oktroate, aufgepfropft, nicht organisch aus dem Kern des Christuserlebnisses gewachsen. Medien oder Suggestoren erzeugen kraft ihrer parapsychischen Fähigkeiten beziehungsweise kraft ihrer suggestiven Techniken ähnliche Erscheinungen wie sie Mystikern kraft ihrer intensiven Christusbeziehung geschenkt werden. Die so geschenkten bezeichnen wir als mystische, die so erzeugten als pseudomystische Phänomene.
Die Suggestion, um es nochmals zu formulieren, ist dann ein Charisma, wenn sie die mystische Beziehung des Einzelnen zu Jesus Christus ermöglicht oder fördert. Das gilt nicht nur für die großen heiligen Mystiker, sondern für jeden Christen. Jeder Christ ist ein Mystiker. Aber die Suggestion ist kein Charisma, wenn sie bloß ein Mittel ist, pseudomystische Erscheinungen hervorzurufen.

 

Der ewige Gedanke des Vaters

Jedes Wort ist das Ergebnis eines Suggestionsvorganges, eine Suggestion, ein in die Wirklichkeit verwandelter Gedanke. Gott denkt von Ewigkeit her den Gedanken der Liebe. Von Ewigkeit her verwandelt er diesen Gedanken in das Wort. Schon »am Anfang war das Wort, es war bei Gott, und dieses Wort war selber Gott. Und alles ist durch es, nichts ohne es geworden, was geworden ist. Das Leben war in ihm, das Leben war das Licht der Menschen, es leuchtete in der Finsternis, die Finsternis vermag es nicht zu greifen [ … ] Es war das wahre Licht, das jedem Menschen, da es in die Welt kommt, leuchtet. Es war schon in der Welt, sie ist durch es geworden, jedoch die Welt erkannte es nicht. Es kam zum Seinigen, die Seinen nahmen es nicht auf; doch allen, die es aufgenommen haben, verlieh es, daß sie Kinder Gottes wurden [ … ]   Das Wort ist Fleisch geworden und hat bei uns gewohnt: wir sahen seinen Glanz, den Glanz, wie ihn der einzige Sohn von seinem Vater hat, voll Gnade und Wahrheit.« (Joh. 1,2 14)

Jesus Christus ist das Wort, der in dieser Welt Wirklichkeit gewordene Gedanke, die Suggestion des ewigen Vaters an die Menschen. Durch ihn teilt er sich mit und tut er uns seinen Willen kund.
Jesus Christus, das Wort Gottes, spricht sich immerzu und in vielfältiger Weise in seinen Worten und Taten aus; in vielgestaltigen Bildern seines Lebens, als Vor Bild, als Sinn Bild, das Millionen in seinen Bann zieht. Er spricht sich heute aus in der Kirche, in den Zeugnissen der Heiligen, die lebten und die mitten unter uns sind. Sie haben ihn in sich aufgenommen, begriffen und weitergegeben. Wer ihn aufnimmt, sich mit ihm identifiziert, sich seinen Suggestionen stellt, verwandelt selbst wieder den Willen, die Weisungen und Verheißungen des Vaters durch Jesus Christus in die Wirklichkeit seines christlichen Alltags. Und wer Christi Licht aufnimmt, wird selber Licht; ein Licht, ein Kind des Lichtes, das in die Finsternis seinerumgebung hinein leuchtet, die anderen an leuchtet, daß auch diese wieder Lichter werden.

Glaube zeigt sich so als immerzu sich erneuernder Vorgang der Suggestion, als Weitergabe des in Jesus Christus menschliche Wirklichkeit gewordenen Gedankens oder Willens des Vaters. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß dieses göttliche Geschehen selbstverständlich den psychologischen Suggestionsbegriff bei weitem sprengt und übersteigt. Was da vom Vater her über den Sohn im Heiligen Geist bis zum einzelnen Menschen geschieht, ist weit mehr als Suggestion. Suggestion ist für diese innergöttlichen Vorgänge nur ein Bild. Als natürliches Gefäß in der Seele des einzelnen Menschen für Christus und dessen Wirken in ihm ist Suggestion jedoch mehr als ein bloßes Bild. Da ist sie Realität, die sich, wie jede Suggestion in zwei Aspekten darstellen läßt: als Empfänglichkeit oder Suggestibilität und als Zeugniskraft oder Suggestivität.

 

Die Gabe der Abhängigkeit

Bei Sudhir Kakar fand ich eine treffende Charakterisierung des Persönlichkeitsmusters suggestibler Menschen: »überdurchschnittlich intelligent, auf starke Bildvorstellungen ansprechend, vertrauensvoll, emotional offen, aber abhängig«. Gegenüber den positiven Faktoren der Intelligenz, der Ansprechbarkeit auf Bilder, des Vertrauens und der emotionalen Offenheit erscheint in diesem Persönlichkeitsmuster Abhängigkeit als Mangel, der, wie wir früher sahen, der menschlichen Entwicklung nicht zuträglich ist, sie behindert oder gar unmöglich macht. Abhängigkeit in diesem Sinne macht tatsächlich suggestibel. Wer abhängig ist von Geld, wird sich vom Geld bestimmen lassen, Reichtum wird ihn faszinieren. Bilder des Besitzes und des Luxus werden ihn beherrschen. Deshalb ist es so schwer für einen Reichen ins Himmelreich zu kommen. Wir können uns auch von Menschen abhängig machen, von Parteien, Institutionen und Ideologien, denen gegenüber wir dann kritiklos empfänglich oder suggestibel sind. Habgier, Betrug, Konsum sind Ausdruck von Abhängigkeiten, vom Ausgeliefertsein an Götzen, denen wir unsere Intelligenz weihen und denen wir in emotionaler Offenheit voll vertrauen.
Wir sind empfänglich für das, wovon wir abhängig sind. Wir sind abhängig von dem, wofür wir uns empfänglich machen.

Alle Abhängigkeiten sind Mängel und deshalb für uns gefährlich. Es gibt jedoch eine Abhängigkeit, die existentiell zu uns gehört. Die Abhängigkeit von dem, der uns geschaffen hat und unser Leben hütet, daß es nicht erlischt. Wir können sie vergleichen mit der Abhängigkeit einer Lampe vom Elektrizitätswerk oder von der elementaren Kraft des Wassers, die es speist. So sind wir alle, ob wir wollen oder nicht, an das Stromnetz Gottes angeschlossen, an das Wort, durch das alles ist, ohne das nichts geworden ist. Wir können uns von vielem abhängig machen, worauf wir sehr wohl verzichten könnten. Wirklich abhängig aber sind wir alle, ohne Ausnahme, nur von Gott. Das ist die einzige Abhängigkeit, die für uns lebensnotwendig ist. Wir dürfen sie nicht verdrängen. Wir müssen sie uns bewußt machen, sie bejahen und aus ihr sein. Diese Abhängigkeit löst alle Abhängigkeiten auf und macht uns frei, das zu empfangen, was er für uns als das Beste hält.

 

Das Charisma der Empfänglichkeit

Der Johannesprolog beklagt die Unempfänglichkeit der Finsternis für das Licht und die Ablehnung Jesu durch die Seinen, zu denen er als Retter kam. Jesus selber vergleicht uns Menschen mit dem Weg, auf den das Wort fällt und wo es der Böse raubt; mit dem steinigen Grund der Launen, Drangsale und Verfolgungen, die es ihm verunmöglichen, sich zu verwurzeln. Er spricht von den Dornen zeitlicher Sorgen und materiellen Reichtums, die es ersticken und von der guten Erde, die es faßt und fruchtbar macht. Er zitiert die Verheißung des Jesajas vom verstockten Herzen des Volkes und der Menschen, die ihre Ohren verschließen, ihre Augen zudrücken, damit sie ja nichts sehen, hören, im Herzen fassen, um nicht umkehren zu müssen (Jes 6,9 f.). Er denkt nicht zuletzt an die Pharisäer, die er blinde Wegweiser (Mt 23,16), Blinde (Mt 23,18), Heuchler (Mt 23,23), übertünchte Gräber (Mt 23,27), Schlangen (Mt 23,34) nennt. »Jerusalem, Jerusalem, das du die Propheten mordest und steinigst, die zu dir gesandt sind . . .!« (Mt 23,37).

Das Evangelium ist voll von Menschen, die die gute Erde für Christus bis zur letzten Krume empfänglich pflügen und ihm ihr Herz bis in die Tiefe bereitstellen. Ihr Glaube, der zunächst nichts anderes ist als Empfänglichkeit für das, was er verheißt und fordert, wird hochgepriesen: »Du sollst empfangen und einen Sohn gebären« (Lk 1,31). »Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten dich überschatten« (Lk 1, 35). »Siehe ich bin die Dienerin des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte« (Lk 1,38). Maria ist das eindrücklichste Beispiel gläubiger Empfänglichkeit für Gott.

 

Zwei Möglichkeiten

Es war an einem Winterabend. Die letzten Sonnestrahlen flossen durch das Fenster meines Arbeitszimmers auf die Riesenkerbel, die vor dem Schreibtisch in einer Glasvase stand. »Ist das nicht ein Wunder?« rief ich aus. »Diese Architektur, dieses Ebenmaß, diese Harmonie!« Die Patientin, die mir gegenübersaß, schaute mich an und meinte vorwurfsvoll: »Daß die Vase schmutzig ist, haben Sie wohl nicht gesehen.«
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Dinge zu betrachten. Ich kann das Gute sehen oder das Schlechte, mich auf das Positive konzentrieren oder allem nur das Negative abgewinnen, die Kerbel sehen oder nur den Schmutz. Wofür bin ich empfänglich? Für das Gute oder Schlechte? Ich kann versuchen, mich dem Positiven auszusetzen oder mich entscheiden, dem Negativen Tür und Tor zu öffnen. Wir sind zwischen beides gestellt, mitten in den Widerstreit. Auf diesem Feld entscheidet sich das Leben.

Es ist unverkennbar: Wir alle leiden an einem seltsamen Hang zum Negativen, und wir haben unendlich Mühe, dem Gegenteil zu folgen, obwohl dieses viel schöner wäre, ansprechender, sympathischer. Die meisten hassen leichter, als daß sie lieben, mißtrauen lieber, statt zu trauen. Wir glauben eher Lügen als dem wahren Wort und töten, statt dem Leben Raum zu geben. Wir säen Zwietracht, wo wir Einheit stiften sollten. Wir schüren Krieg, statt daß wir Frieden stiften. Die Sünde liegt uns näher als die Tugend. Wir zwingen lieber, als daß wir Freiheit schenken. Wir verstecken uns im Dunkel und haben Scheu, uns dem Licht auszusetzen. Wir wollen haben und nicht sein. Zu verzweifeln ist uns leichter als zu hoffen. Es ist wie eine Sucht, uns dem zu öffnen, was zerstört und uns oder andere in Ketten legt. Diese Neigung zu Negativem stammt aus jenem Anteil unserer Seele, die die Verletzung oder Krankheit in sich trägt, die wir als Erbsünde zu bezeichnen pflegen.

Die Neigung zum Negativen nutzt unsere Ansprechbarkeit für Bilder aus. Denn Bilder sind es, die uns zu dem machen, was wir sind. Gute Bilder machen uns gut und schlechte Bilder schlecht. Gute Bilder machen uns gesund und schlechte krank. Als Psychotherapeut muß ich versuchen, den Patienten gute Bilder zu vermitteln. Ich muß auf der guten Seite stehen. Das ist auch für mich ein Kampf, als Mensch und Therapeut zu überleben und all die Menschen, die im Schatten ihrer dunklen Bilder sich verirrten, ans helle Tageslicht zu führen. Was soll da ein Therapeut, der auch im Schatten steht?

 

Kinder des Lichtes

Ein schwer depressiver junger Mann suchte bei mir Hilfe. Ehrlich, ich gab ihm keine Chance. Doch er war so voll Vertrauen, daß ich ihn nicht zurückzuweisen wagte. Er sei allergisch auf Religion und Kirche, sagte er mir gleich zu Beginn. Als ich nicht mehr wußte, wie ich seine Talfahrt bremsen sollte, bat ich ihn auf die Couche. Ich ließ ihn ruhig atmen, stille werden, die Schwere seines Körpers spüren und die Wärme und gab ihm eine Suggestion, die ich einem indischen Meditationsbuch (Pramahansa Yogananda, Wissenschaftliche Heil Meditationen, Weilheim/Oberbayern 1972) entnahm: »Ich bin in ewiges Licht getaucht. Es durchdringt jeden Teil meines Seins. Ich lebe in diesem Licht. Der göttliche Geist durchdringt mich von innen und von außen.« Ein Bild vom Licht. Ich sagte es ihm immer wieder vor. Ich bat ihn, es sich ganz lebendig vorzustellen. Er prägte sich die Sätze ein. Er begab sich mehrmals am Tag an seinen stillen Platz, schloß die Augen, entspannte sich, sprach die Worte, dachte sie und ließ sie tief in seine Seele fallen. Er war überrascht, daß er Erleichterung empfand und endlich weinen konnte. Die depressiven Tiefpunkte wurden spärlicher, seine Klinikaufenthalte seltener und kurz. Und eines Tages träumte er, daß er von einer dicken alten Mauer Mörtel kratzte bis auf einmal die herrlichen Umrisse eines gotischen Portals sichtbar wurden. Er legte das Tor frei, öffnete es und trat in die Kathedrale ein. Weihrauchwolken stiegen ins Gewölbe. Ein heller Sonnenstrahl drang weit oben durch ein Fenster und tauchte ihn in helles Licht. Ehrfurcht und tiefer Friede erfüllten ihn. Er war erschüttert, als er davon erzählte, und es wurde ihm bewußt, daß er für Augenblicke den Bereich des Göttlichen betreten hatte, berührt vom Licht, ganz in es eingetaucht. In der Tat, das Bild des Lichtes hatte sich mit Licht gefüllt. Das Bild war Gefäß geworden für das Licht. Die Suggestion des Lichtes hatte sich in Licht verwandelt. Von da an verschwand sein aggressiver Widerstand gegen Religion und Kirche. Er begann im Evangelium zu lesen. Christus wurde ihm zum Freund. Er erlebte ihn als Quelle eines neuen Lebens.

Man muß etwas tun, daß man empfänglich wird für Gott. Wir müssen uns auf das Gute konzentrieren, auf das was schön ist, wahr und licht. Unsere Tagträume offenbaren das, womit wir uns befassen.
Träumen wir von Stille, Ruhe, Frieden, Liebe, Harmonie! Schöne Vorstellungsbilder sind wie Teppiche, die wir in unserer Seele zum Empfang für Gott ausbreiten. Sie sind wie Kanäle, durch die sein Geist in uns einströmen kann, wie Krüge, die die Gnade fassen, die er uns schenken will.

Die Suggestibilität gegenüber Gott, man kann es nicht genug betonen, beginnt im ganz natürlichen Bereich, wo wir uns täglich den guten, schönen Aspekten unseres Lebens widmen und gute Bilder in uns sammeln, statt uns an Häßlichem in Häßliches zu schaukeln. Es ist wichtig, uns darüber zu freuen, was wir haben, statt uns darüber zu ärgern, was uns fehlt. Wir sollten die Jagd nach Fehlern an uns aufgeben und uns nicht an Kritik festbeißen. Denn wir können nicht erwarten, daß Gott in einem Hause Wohnung nimmt, das ununterbrochen abgerissen wird und daß er durch Wunder an uns blühen läßt, was wir immerzu zerstören.

 

Autogenes Training

Man fragt mich oft, ob autogenes Training vereinbar sei mit Glauben. Daran ist nicht zu zweifeln. Zunächst lernen wir, uns wahrzunehmen. Wir spüren, daß wir sind, in Ruhe eingebettet und in Stille, daß wir einen Körper haben, schwer und warm durchblutet. Wir lernen, uns zu bejahen und den bergenden Kräften anzuvertrauen, die uns umgeben und erfüllen, uns jenen Mechanismen zu übergeben, die unser Leben sichern: dem Herzschlag und dem Atem, die uns den Schöpfer ahnen lassen, in dessen Hand wir aufgehoben sind, Wir lernen, loszulassen, uns hinzugeben, zu empfangen. J. H. Schultz definiert den Sinn des autogenen Trainings »sich mit genau vorgeschriebenen Übungen immer mehr innerlich zu lösen und zu versenken und so eine vo innen kommende Umschaltung des gesamten Organismus z erreichen, die es erlaubt, Gesundes zu stärken, Ungesundes zu mindern oder abzubauen« (J. H. Schultz, Übungsheft für das Autogene Training, Stuttgart, 1956).

Die Oberstufe trainiert die Ansprechbarkeit auf Bilder, die, wie wir oben zeigten, für das Glaubensleben sehr bedeutsam ist. Durch Bilder erhalten abstrakte Werte lebendige Anschaulichkeit. Symbole fangen an zu leben. So berichtet ein Arzt über die Übung: Ich sehe und erlebe Frieden. »Ich sehe dabei von meinem Weekendhäuschen, das einige hundert Meter über einem Dorf am Rand eines großen Rebberges steht, die friedliche Landschaft vor mir liegen. Ich sehe links am Hang in der Wiese drei bis vier Schafe, höre die Glöcklein, die sie tragen, sehe in der Dämmerung die Wälder. Hin und wieder höre ich auch die Glocken läuten von den Kirchen ringsumher. Ich erlebe dabei intensiv Frieden, ein seliges Dahinträumen.« (Klaus Thomas, Praxis der Selbsthypnose des Autogenen Trainings, Stuttgart, 1970).

Glaube, Hoffnung und Liebe sind Beispiele für geistliche Werte die ebenso intensiv bildhaft erlebt werden können. Der Glaubende gibt durch das Bild dem Glauben Leben und gewinnt dabei so selbst an Tiefe und Lebendigkeit.

Freilich müssen wir betonen, daß das autogene Training keine »religiöse Tätigkeit« im engeren Sinne ist, kein Akt des Glaubens, sondern eine Methode der Selbstentspannung, die aber die Bereitschaft für das Göttliche in uns trefflich vorbereiten kann. »Es will und kann gerade nach dem Willen und der Erkenntnis von J. H. Schultz ein echtes Glaubensleben niemals ersetzen oder gar mit Inhalt füllen«, schreibt Klaus Thomas, »wohl aber kann es krankhafte Störungen, verbreitete Selbsttäuschungen und charakterliche Fehlhaltungen beseitigen, die den religiösen Erfahrungen als sonst unüberwindliche Hindernisse im Weg stehen. Es vermag den Menschen zu entspannen und ihn dadurch zu bereiten für die Erfahrungen des Glaubens, die dann in einer anderen, geistlichen Dimension beheimatet sind. Allenfalls könnten wir uns fragen: Wer nicht in die Tiefe seines eigenen Herzens schauen gelernt hat, wie will der Gott recht erkennen? Wenn schon Calvin (in der Einleitung zu seinen Constitutiones) lehrte, wie Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis einander gegenseitig fördern, der wird gerade auch aus theologischer Sicht die Bedeutung des autogenen Trainings dankbar würdigen, da es die Bahn bereiten hilft zu echtem, besonders auch meditativem religiösen Erleben.«

 

Auf dem Weg nach Emmaus

Das autogene Training zeigt, wie Ruhe, Stille, Selbstwahrnehmung und- bejahung, die Einstellung auf gute positive Bilder reinigend auf uns wirken können. Diese rein psychologische Umkehr kann bereits in Menschen »Wunder« wirken und sie an Leib und Seele heilen. Wenn wir zudem etwa die Begriffe »Leben« oder »Wahrheit« in uns im Bild Gestalt annehmen lassen, schaffen wir den konkreten Raum für Gott, der von sich sagt, daß er die Wahrheit, der Weg, das Leben ist. Und er wird Besitz ergreifen von dem Raum und darin wohnen. Nicht nur als die Idee des Lebens, sondern als wirkliches lebendiges, kraftvolles Leben. Nicht als Idee der Erlösung, Rettung und Befreiung, sondern als Erlöser, Retter und Befreier, als lebendige Person.

Das heißt nicht, daß nun jeder Christ autogen trainieren muß, im engsten Sinn der Übungen wie sie Schultz empfiehlt, damit er Gott empfangen kann. Autogenes Training ist vielmehr ein Modell für uns, an dem wir erkennen, wie wir uns für Gott bereiten können und wie es wichtig ist, die Bildwelt positiv zu formen, um die natürliche Grundlage zu schaffen, daß sein Geist in uns wirken kann. Es ist unerläßlich, die Bilder, die uns Gott von sich gibt, vor allem das einzig authentische: Jesus Christus, immer wieder neu in uns aufzunehmen. Wir müssen täglich uns die Zeit zur Stille nehmen und das Bild des Herrn in uns eindringen lassen, anhand der Worte, die er spricht, anhand der Szenen aus der Bibel, die wir uns vorstellen.

 

Entspannung durch Gebet

Jedes Gebet macht uns für Gott empfänglich. Es gibt ein Gebet, in dem das Charisma der Suggestion ganz besonders deutlich wird. Es ist das hesychastische Gebet, auch Herzensgebet genannt. Es entspannt den Beter ganz. Entspannung macht ihn fähig loszulassen, von sich wegzugehen und sich hinzugeben. Nicht an irgendetwas, sondern an Jesus Christus. Es ist entscheidend, daß wir uns nicht an irgendetwas hingeben, bloß für irgendetwas empfänglich werden, sondern ganz gezielt für ihn, um nicht von etwas erfüllt zu werden, von dem wir gar nicht erfüllt sein möchten. Es ist gefährlich, ohne Ziel und einfach so vor sich hinzumeditieren, wie es Ungezählte in vielen Kursen tun. Man könnte Geister rufen, von denen es schwer ist, wieder loszukommen.

In »Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers« von Emmanuel Jungclaussen finden wir die Definition dieses Gebetes und die entsprechende Anleitung dazu. »Wir betraten die Klause, und der Starez sagte folgendes: >Das unablässige innerliche Jesusgebet ist das ununterbrochene, unaufhörliche Anrufen des göttlichen Namens Jesu Christi mit den Lippen, mit dem Geist und mit dem Herzen, wobei man sich seine ständige Anwesenheit vorstellt und ihn um sein Erbarmen bittet bei jeglichem Tun, allerorts, zu jeder Zeit, sogar im Schlaf. Es findet seinen Ausdruck in folgenden Worten: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner! Wenn sich nun einer an diese Anrufung gewöhnt, so wird er einen großen Trost erfahren und das Bedürfnis haben, immer dieses Gebet zu verrichten.« Es kann hier nicht darum gehen, ausführlich das Herzensgebet zu beschreiben. Wir möchten bloß die Suggestion hervorheben, die in ihm als ein Mittel der Zuwendung zu Gott wirksam ist und, mit viel Geduld und Regelmäßigkeit geübt, den Glauben entfaltet.

Das Jesusgebet eignet sich vielleicht nicht für jedermann
. Es ist doch wohl in seiner strengen Form eher für Mönche und Nonnen bestimmt. Es zeigt uns aber, daß es notwendig ist, uns als Christen oft, regelmäßig und in tiefer Stille Christus zuzuwenden. In diesem Zusammenhang gewinnt das Rosenkranzgebet eine ganz neue Aktualität, das die westliche Entsprechung zu dieser östlichen Gebetsform darstellt und in ähnlicher Weise mit rhythmischer Regelmäßigkeit den Blick auf immer neue Aspekte der Person und des Lebens Jesu lenkt. Der ganze Mensch, sein ganzer Lebensprozeß, muß bereit gemacht werden, die >Ruhe der Regelmäßigkeit< und die >Regelmäßigkeit der Ruhe< anzunehmen . . . Nur dann kann Christus innerlich die Herrschaft ausüben.

 

Erfüllung

Jeder muß als Christ eigene Initiativen ergreifen, um seine Empfänglichkeit für Gott zu wecken oder zu stärken. Theologen und Gemeindevorsteher haben die Aufgabe, uns zu beraten und wegweisend zu führen. Die Kirche antwortet auf unsere Bereitschaft mit dem reichen Schatz ihrer jahrhundertelangen Erfahrungen im Umgang mit dem Göttlichen und mit dem Reichtum ihrer Sakramente. Mit dem Wort, das sie verkündet, mit der Feier der Liturgie, vor allem des Abendmahles, der Eucharistie, weckt und füllt sie unsere Offenheit für Jesus Christus. »Will man die Christen christianisieren«, schreibt Kardinal Leon Joseph Suenens in Erneuerung und die Mächte der Finsternis, »muß man ihnen helfen, daß sie die wirkende Gegenwart Jesu in der Kirche und die sakramentale Kraft, die in Ihm ihren Ursprung hat, neu entdecken … Sein Wirken übersteigt die Jahrhunderte und wird andauern bis ans Ende der Zeiten. Sein Wort und die Sakramente sind es, durch die und in denen Jesus nunmehr unter uns wirkt. … Jedes Sakrament wird uns gespendet, damit Jesus sein Werk in uns vollenden kann, damit er uns die Früchte seines Erlösungsleidens zuwenden und jene neue Menschheit schaffen kann, die er seinem Vater darbringen will. … Hier begegnen wir der heilenden Gnade, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorrangig und in der größten Tiefe ihrer Wirkung und Ausstrahlung.«

Wenn wir uns so empfänglich machen, werden wir empfangen. Jesus Christus wird zu uns kommen. Er wird in uns, und wir werden in ihm sein. Nicht mehr wir leben, sondern er wird leben in uns (vgl. Gal 2,20). Wir werden in ihm verwurzelt, auf ihm aufgebaut sein, überströmend von Dankbarkeit (vgl. Kol 2,7). Da in ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt, werden wir an seiner Fülle teilhaben (Kol 2,9). Wir werden durch Ihn ablegen: »Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Streit, Mißgunst, Ausbrüche des Zornes, Rechthaberei, Entzweiungen, Spaltungen, Neid, Zechen und Phrasen und dergleichen« (Gal 5,19 21).
Wir werden fähig, den alten Menschen aus- und den neuen anzuziehen, jung an Erkenntnis (Kol 3,10), eine Neuschöpfung, Menschen, nach dem Bild dessen, der uns geschaffen hat (Kol 3, 10), bekleidet mit herzlichem Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Geduld, fähig einander zu ertragen, zu verzeihen, und den Weg der Vollendung in der Liebe zu gehen. Der Friede Jesu wird in unseren Herzen herrschen (vgl. Kol 3,12 17). Christus in uns wird unsere Hoffnung für die Herrlichkeit sein (Kol 1,27). Und diese Hoffnung wird sich fortpflanzen unter die Menschen: Wir alle werden mit unverhülltem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn widerspiegeln (2 Kor 3,18).

Wir definierten die Suggestion als Verwandlung unserer Gedanken und Vorstellungen in die entsprechende Wirklichkeit. Selbstverständlich können wir Gott nicht mit einer Art Gedanken- oder Vorstellungsmagie gegenwärtig setzen. Aber wir können durch Gedanken und Vorstellungen seine Ankunft vorbereiten. Es geht deshalb darum, schon im Vorfeld des Glaubens gute Gedanken zu denken und gute Bilder zu bilden, um in uns suggestiv eine gute Wirklichkeit zu schaffen, die durch die Gnade Gottes zur Wirklichkeit des Guten werden kann. Wir sollen also den Acker für das Wort bereiten und die Krippe unseres Menschseins für die Geburt Gottes in uns herrichten. Unsere Empfänglichkeit für ihn wird wachsen und unsere Zeugniskraft wird anderen zum Erlebnis werden. Kirchen werden Gottesberge und brennende Dornbüsche, Predigten Verheißungen, die dünnen Lieder mitreißende Lobgesänge. Heilige Scheu, zurückhaltende Begeisterung, Feier der Innerlichkeit, spontane Anbetung des lebendigen Guten, Jesus Christus, werden die Gottesdienste kennzeichnen. Auf diese Dichte der Bereitschaft wird der Heilige mit seiner Gegenwart antworten. Heil wird erfahrbar. Heilungen werden geschehen. Nicht durch Suggestion, sondern durch Gott, der sich des Charismas der Suggestion als einer Form der Begegnung mit den Menschen bedient.

Daß Zeiten der Erweckung auch Zeiten der Gefahren für den Glauben sind, hat die Kirchengeschichte immer wieder gezeigt.
Auf solche hinzuweisen, sie zu verstehen und aus ihnen zu lernen, ist die Absicht dieses Buches, das ich als Dienst und aus Dankbarkeit, aber auch aus Sorge schrieb. Ich habe hart um es gerungen und hoffe jetzt, daß es vielen, die mit mir Gott suchen und erleben möchten, eine Hilfe ist.  – Karl Guido Rey

 

Die Hervorhebungen sowie leichte Kürzungen wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Dezember 2008

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Die Inquisition (D.Hunt)

Und es kam einer von den sieben Engeln und sprach zu mir: „Komm, ich will dir zeigen das Urteil der großen Hure, mit welcher gehurt haben die Könige auf Erden und sind trunken geworden vom Wein ihrer Hurerei; und das Weib. . . hatte an ihrer Stirn geschrieben einen Namen: Die große Babylon, die Mutter der aller Greuel auf Erden…, und ich sah das Weib trunken vom Blut der Zeugen Jesu“
(Offenbarung 17)

Das schreckliche Gebaren dieses Heiligen Offiziums [Inquisition] schwächte die Kraft und verminderte die Bevölkerung Spaniens durch die Verhaftung der führenden Künstler, Wissenschaftler, Industriellen und Händler und durch die Nötigung unzähliger Familien, das Königreich zu verlassen, durch die Anstiftung zur Vertreibung der Juden und Mauren, und durch die Hinrichtung von mehr als 300.000 Opfern auf seinen flammenden Schlachtbanken.
Jean Antoine Llorente, Sekretär der spanischen Inquisition, 1790-1792

 

Dave Hunt

Das Blut der Märtyrer 
( Die Inquisition )

Das Blut der Märtyrer

Die Frau auf dem Tier ist „trunken vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu“ (Offenbarung 17,6). Es ist eine entsetzliche Vorstellung, aber eine, die durch die Geschichte allein für Rom und für keine andere Stadt gänzlich in Erfüllung gegangen ist. Von jedem Bürger des Reichs wurde die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche verlangt. Wenn jemand dem Papst nicht von ganzem Herzen seine Untertanentreue erwies, wurde er als Verräter des Reichs angesehen, und ihm drohte die Todesstrafe. Das war die Grundlage für die Hinrichtung von Hunderttausenden. Wie es ein paar Jahrhunderte später beim Islam der Fall sein sollte, wurde der gesamten Bevölkerung Europas unter Androhung von Folter und Todesstrafe ein heidnisiertes Christentum auferlegt.

So wurde der römische Katholizismus zur „am meisten verfolgenden Religion, die die Welt je sah … die befiehlt, der Thron (der Staat) solle all seinen Untertanen die christliche Religion aufzwingen … Innozenz III. ermordete weit mehr Christen an einem Nachmittag … als irgendein römischer Kaiser in seiner ganzen Regierungszeit.“ (Peter de Rosa: Die dunkle Seite des Papstums)

Will Durant schreibt offen:
Verglichen mit der Verfolgung von Ketzern in Europa von 1227 bis 1492, war die römische Christenverfolgung der ersten drei Jahrhunderte nach Christus ein sanftes und menschliches Unterfangen.

Mit jeder für einen Historiker erforderlichen und einem Christen erlaubten Einräumung müssen wir die Inquisition auf die gleiche Stufe stellen mit den Verfolgungen unserer Zeit sowie mit den finstersten Makeln der Menschheitsgeschichte, und sie offenbart eine Grausamkeit, die von keinem wildem Tier bekannt ist.

Natürlich ließen sich nicht alle Andersdenkenden ihre Untreue Rom gegenüber öffentlich anmerken. Es gab geheime Ketzer, die man mit Sorgfalt aufspüren mußte. Die ersonnene Methode war die Inquisition, mit ihrer Zerstörung von Leben, Besitz, Moral und Menschenrechten. Lord Acton, ein Katholik, nannte die Inquisition „mörderisch“ und erklärte, die Päpste waren „nicht nur Mörder im großen Stil, sondern sie machten Mord obendrein zur Rechtsgrundlage der christlichen Kirche und zur Vorbedingung des Seelenheils“. (De Rosa)

Keine Lossprechung für Rom

Verteidiger des römisch-katholischen Glaubens versuchen ihre Kirche von jeder Verantwortlichkeit für die tatsächliche Ketzerverbrennung loszusprechen. Sie behaupten, die Inquisition sei das Werk des Staates gewesen. Aber im Gegenteil, „die verbindende Kraft der Gesetze gegen die Ketzer lag nicht in der Macht der weltlichen Fürsten, sondern in der souveränen Herrschaft, welche der Papst als Statthalter Gottes auf Erden über Leben und Tod aller Christen zu besitzen behauptete“, wie Innozenz III. es ausdrücklich sagt. (Ignaz von Döllinger, Der Papst und das Concil)

Die Strafen wurden von den Zivilbehörden ausgeführt, aber nur als der säkulare Arm der Kirche. Innozenz III. befahl dem Erzbischof von Auch in der Gaskogne: „Wir erteilen dir den strikten Befehl, daß du alle diese Ketzer vernichten sollst … du magst die Fürsten und das Volk dazu bringen, sie mit dem Schwert niederzuzwingen.“ Der Papst „bot dem König und den Adligen Frankreichs für die Hilfe bei der Ausrottung der Katharer einen vollständigen Ablass an“. Philip August bot der Papst als Gegenleistung für eine solche Hilfe die Ländereien all jener an, die nicht an einem Kreuzzug gegen die Albigenser teilnahmen. (Durant)

Comte Le Maistre schreibt in seinen Briefen aus dem Jahre 1815, mit denen er die spanische Inquisition rechtfertigen wollte, daß „sie kraft der Bulle des höchsten Oberhirten bestünde“ und daß der Großinquisitor „stets entweder ein Bischof oder ein Erzbischof ist“. Wenn die Behörden die Hinrichtung der Verurteilten verweigerten, wurden sie selbst vor das Tribunal gestellt und den Flammen überliefert. Es waren die Päpste selbst, die die Inquisition erfanden und für ihre Ausübung sorgten.
„Gregor IX. übergab im Jahre 1233 das Offizium [die Inquisition] dauerhaft in die Hände der Dominikaner, die sie jedoch stets im Namen und in der Vollmacht des Papstes ausführen sollten.“ Wie bereits festgestellt, hat „von achtzig Päpsten vom dreizehnten Jahrhundert an nicht einer die Theologie und den Apparat der Inquisition mißbilligt. Im Gegenteil, einer nach dem anderen setzte dieser tödlichen Maschinerie noch seine eigenen Grausamkeiten hinzu.“ (De Rosa)
Wir zitieren nicht Protestanten oder ehemalige Katholiken, sondern katholische Historiker. Beim im 19. Jahrhundert führenden katholischen Professor für Kirchengeschichte (Ignaz von Döllinger) lesen wir:

 Durch Gratian … und die Gesetzgebung und unermüdliche Tätigkeit der Päpste und ihrer Legaten seit dem Jahre 1183 wurde die Ansicht der alten Kirche … verdrängt und das Prinzip geltend gemacht, daß jede Abweichung von der Lehre der Kirche gegen eine kirchliche Satzung mit dem Tode zu bestrafen sei . . . Schon die bloße Weigerung zu schwören, erklärte Innozenz III. für todeswürdige Ketzerei . . . Vom Jahre 1200 bis 1500 läuft die lange Reihe der an Grausamkeit immer zunehmenden päpstlichen Verordnungen über die Inquisition ohne Unterbrechung fort. Es ist eine Gesetzgebung von einem durchaus einheitlichen Geiste;  . . . Nur das Machtwort der Päpste und der Wahn, daß sie auch in allen durch die Grundsätze der evangelischen Moral zu entscheidenden Fragen unfehlbar seien, bewirkte, daß sich die christliche Welt den Gesetzeskodex der Inquisition aufdrängen ließ, welcher den einfachsten Regeln christlicher Gerechtigkeit und Nächstenliebe widersprach und in der alten Kirche mit allgemeinem Abscheu aufgenommen worden wäre.

Weit davon entfernt, ihre Urheber zu sein, versuchten die Zivilbehörden oftmals, Widerstand gegen die Inquisition zu leisten, aber sie vermochten es nicht. Dazu gezwungen das Urteil zu vollstrecken, „erdrosselten die Henker manchmal die Verurteilten, bevor sie das Feuer anzündeten“ (Samuel Vila,  Historia de la Inquisicion y la Reforma en Espana).

Solche unzulänglichen Gnadenakte waren leider die seltene Ausnahme. Einige wenige mitleidige Stimmen erhoben sich innerhalb der Kirche: „Männer, wie der heilige Bernhard, hatten gemahnt, daß Christus ein solches Verfahren, wie es die Päpste nachher vorschrieben, ausdrücklich verboten habe, daß man damit nur Heuchler mache und Widerwillen der Menschen gegen die verfolgungssüchtig gewordene Kirche befestige und steigere“ (Döllinger). Aber der größte Teil der Geistlichkeit stimmte mit den Päpsten überein.

Päpstliche Dekrete

Wir hören des öfteren von päpstlichen Dekreten, die den säkularen Widerstand in die Schranken gewiesen haben. Will Durant berichtet uns, daß Leo X. im Jahre 1521 eine Bulle mit dem Namen Honestis herausgab, in welcher er „die Exkommunikation aller Beamten anordnete und religiöse Gottesdienste in allen Gemeinschaften aufhob, die ohne Untersuchung oder Nachfrage die Vollstreckung der Inquisitionsurteile verweigerten“. Betrachten wir dazu die Zurechtweisung von Klemens V. an König Edward II.:

Wir haben vernommen, daß ihr entgegen der Gesetze unseres Landes die Folter verboten habt. Eines Staates Gesetz kann jedoch nicht die kanonischen Gesetze [der Kirche] umstoßen. Deshalb befehle ich euch, jene Menschen sofort der Folter zu unterwerfen.

Papst Urban II. (1088 -1099), Urheber des ersten Kreuzzuges, verfügte, alle Ketzer müßten gefoltert und getötet werden. Das wurde zu einem Dogma der Kirche. Sogar Thomas von Aquin lehrte, Nichtkatholiken oder Ketzer könnte man nach einer zweiten Warnung rechtmäßig töten. Seine Worte lauten genau: „Sie haben es verdient, durch den Tod von der Erde verbannt zu werden“ (Thomas von Aquin Summa Theologica).

Papst Martin V. (1417-1431) befahl im Jahre 1429 dem König von Polen, die Hussiten (Anhänger des beim Konzil zu Konstanz als Ketzer verbrannten Jan Hus) auszurotten, die sich zur Wehr gesetzt und die Armee des Papstes zurückgeschlagen hatten. Der folgende Auszug aus einem Brief des Papstes an den König klärt uns darüber auf, weshalb die Päpste die Hussiten und andere unabhängige Christen hassten und sie vernichten wollten:

Wisset, daß die Absichten des Heiligen Stuhls und die eurer Krone es zur Pflicht erheben, die Hussiten auszutilgen. Bedenket, daß diese unfrommen Menschen es wagen, die Prinzipien der Gleichheit zu verkündigen; sie treten dafür ein, daß alle Christen Brüder seien und Gott nicht bevorzugten Menschen das Recht gegeben habe, die Nationen zu regieren; sie meinen, Christus sei auf die Erde gekommen, um die Sklaverei aufzuheben; sie rufen das Volk zur Freiheit auf und verleugnen damit Könige und Priester. Richtet deshalb eure Streitkräfte gegen Böhmen, solange noch Zeit dazu ist; verbrennet, schlachtet, machet alles zur Einöde, denn nichts könnte Gott wohlgefälliger oder den Belangen der Könige nützlicher sein, als die Auslöschung der Hussiten.

Die Päpste selbst waren die Autoritäten hinter den Inquisitoren. Sie übten die Macht über Leben und Tod sogar über Kaiser aus. Hätte irgendein Papst der Inquisition nicht zugestimmt, dann hätte er sie wenigsten während seiner Amtszeit aufheben können. Wo lesen wir, daß Päpste Anathemata gegen weltliche Machthaber aussprachen, die ihre Opfer so grausame Tode sterben ließen? Nirgends! Die zivilen Beamten  hätten gern von diesen abscheulichen Morden Abstand genommen, um ihre eigenen Seelen zu retten, doch der päpstliche Befehl zur Aufhebung der Inquisition traf niemals ein. Im Gegenteil, die römischen Oberhirten, die die Inquisition ersonnen und angeordnet hatten, drohten jedem, der nicht die Bestimmungen des Inquisitors ausführte, die Exkommunikation an. Die heutigen Verteidiger des katholischen Glaubens leugnen die historischen Tatsachen und beschuldigen jene, die die Wahrheit aufdecken, als „Ungelehrte“. D. Antonio Gavin, ein katholischer Priester und Augenzeuge der spanischen Inquisition, berichtet uns:

Die Katholiken glauben an ein Fegefeuer und daran, daß die Seelen dort größere Qualen leiden, als in der Hölle. Aber ich denke, die Inquisition ist das einzige Fegefeuer auf Erden, und die heiligen Väter [Priester/Päpste] sind darin die Richter und Henker. Der Leser mag sich vielleicht eine schreckliche Vorstellung von der Barbarei des Tribunals machen, von dem ich immer gesprochen habe, aber ich bin sicher, sie wird niemals an die Wirklichkeit heranreichen können, denn die Wirklichkeit übersteigt jedes Verstehen …

Die Dogmen bleiben bis heute

Hätte Rom jemals das Übel seiner grausamen Hinrichtung von Hunderttausenden der von ihm so bezeichneten „Ketzer“ eingestanden, und hätte es die jahrhundertelangen Ausplünderungen und Morde widerrufen und jene Doktrinen aus seinen Büchern entfernt, dann könnten wir dieses entsetzliche Greuel vergessen. Daß sie das nicht getan hat, nötigt uns jedoch, so unerfreulich es auch ist, den geschichtlichen Tatsachen ins Auge zu blicken. Weit davon entfernt, Beschämung über die Hinrichtung von Ketzern auszudrücken, schreibt 1938 eine bekannte katholische amerikanische Wochenzeitschrift:

Ketzerei ist ein furchtbares Verbrechen gegen Gott, und jene, die eine Ketzerei ins Leben rufen, machen sich mehr schuldig, als ein Verräter der staatlichen Regierung. Wenn der Staat das Recht hat, Verrat mit dem Tod zu bestrafen, ist das der gleiche Grundsatz, der auch der geistlichen Autorität [der römisch-katholischen Kirche] die Vollmacht über Leben und Tod der Erzverräter [Ketzer] zugesteht.

Die Unfehlbarkeit kann niemals zugeben, daß sie Fehler gemacht hat. John Foxe sagt uns in seinem Book of Martyrs: „Eine Kirche, die vorgibt, unfehlbar zu sein, wird immer nach der Vernichtung jener trachten, die von ihr abweichen …“

De Rosa weist darauf hin, daß Papst Johannes Paul II. „weiß, daß die Kirche verantwortlich war für die Judenverfolgung, die Inquisition, für Massaker an Tausenden von Ketzern, für die Wiedereinführung der Folter in Europa als Mittel gerichtlicher Wahrheitsfindung. Doch er muß sich vorsehen. Die Doktrinen, die für diese furchtbaren Dinge verantwortlich sind, untermauern seine Position noch heute.“

Ungehorsam dem Papst gegenüber wurde zum Anzeichen für Ketzerei. Wer sich dessen schuldig machte, verlor sofort alle normalen Menschenrechte und wurde schließlich getötet. Betrachten wir dazu die Bulle In Coena Domini von Papst Urban VIII. aus dem Jahre 1627. Gregor XI. hatte sie 1372 als erster herausgegeben, und Gregor XII. im Jahre 1411 bestätigt, so wie auch Pius V. 1568 (der auch sagte, sie solle in der Christenheit als ewiges Gesetz bestehen bleiben).

Jeder Papst fügte neue Züge hinzu, bis es für einen bekennenden Nichtkatholiken in Europa so gut wie unmöglich war zu leben, fast so, wie es unter dem Antichristen für jeden, der sich ihm nicht völlig unterwirft, weltweit sein wird. Die Bulle „exkommuniziert und verflucht alle Ketzer und Schismatiker, sowie diejenigen, welche sie aufnehmen, begünstigen und verteidigen, also alle Fürsten und Magistrate, welche Andersgläubigen Aufenthalt in ihren Ländern gestatten“ (Döllinger).

Diese Bulle ist auch heute noch in Kraft. Mit der Stützung durch ex cathedra -Verkündigungen von vier unfehlbaren Päpsten kann es auch nicht anders sein. Dieser Absolutismus bleibt bestehen, auch wenn Rom gegenwärtig nicht imstande ist, es so dreist durchzusetzen. Der Codex Iuris Canonici, Kanon 333, Artikel 3, erklärt: „Gegen ein Dekret des römischen Papstes gibt es weder Berufung noch Widerspruch.“  Das 2. Vatikanum sagt natürlich dasselbe.

Die Frau reitet auf dem Tier und hält seine Zügel! Unglaublich, aber wahr. Ketzerei wurde in den Augen der Kirche mit Verrat gegen die Krone gleichbehandelt. Die Kirche suchte die Ketzer heraus, befand sie für schuldig und übergab sie den Zivilbehörden zur Hinrichtung. Als ihr säkularer Arm handelte der Staat auf Geheiß der Kirche und tötete die Ketzer, konfiszierte ihren Besitz und setzte die kirchlichen Dekrete gegen sie und ihre Angehörigen durch.

Der Einsatz von Folter

Es ist bemerkenswert, daß nicht die Hände der Frau rot vom Blut sind, sie aber von diesem Blut der Märtyrer betrunken ist. Ihr Zustand stellt eine Kirche dar, die ihre armseligen Opfer nicht nur tötet, sondern sie tage-und sogar wochenlang foltert. Die Inquisitoren scheinen in ihren Empfindungen so betäubt gewesen zu sein, daß ihr normales Verständnis von Grausamkeit und Mitleid völlig abgestumpft war. Die Fähigkeit, die heftigste Folter ohne Gewissensbisse oder mitleidige Gedanken aufbürden zu können, wurde tatsächlich zu einem Zeichen für Heiligkeit und Treue zur Kirche.

Versuchen Sie sich einmal vorzustellen, mitten in der Nacht verhaftet und an einen unbekannten, vor Familie und Freunden geheimgehaltenen Ort gebracht zu werden. Man teilt Ihnen weder die Anschuldigungen gegen Sie noch die Identität Ihrer Ankläger mit, die unbekannt bleiben und deshalb nicht zur Rechenschaft dafür gezogen werden können, ob sie die Wahrheit sagen. Wie auch immer die Anklage lautet, sie wird als Tatsache hingenommen, und Sie sind ohne Verhör schuldig. Das einzige „Verhör“ ist die raffinierteste „peinliche“, d.h. absolut schmerzhafte Folter, die so lange fortdauert, bis Sie die ungenannte Übeltat oder Ketzerei gestanden haben, derer man Sie beschuldigt. Stellen Sie sich die Qualen vor, die ausgerenkte Gelenke, aufgerissenes und versengtes Fleisch, innere Verletzungen und durch Folterbank und andere Vorrichtungen gebrochene Knochen verursachen. Ärzte flicken diese Verletzungen notdürftig, so daß erneute Folterungen sie wieder auseinanderreißen können. Schließlich würden Sie alles bekennen, nur um irgendwie die Folter zu beenden, aber egal was Sie bekennen, es wird auf keinen Fall die geheime Beschuldigung sein, und so geht die Folter weiter, bis Sie letzten Endes den unerträglichen Verletzungen erliegen.

So sah das Schicksal von Hunderttausenden aus. Und es waren wirkliche Menschen: Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Söhne und Töchter – sie alle hatten Wünsche und Träume, Vorlieben und Gefühle, und viele einen Glauben, der selbst nicht durch Folter oder Feuer gebrochen werden konnte. Wir müssen bedenken, daß dieses Grauen, dieses Übel von bis heute unvorstellbaren Ausmaßen, auf Befehl der angeblichen Stellvertreter Christi jahrhundertelang im Namen Christi fortgesetzt wurde. Diese Kirche ehrt sie immer noch mit diesem Titel, und sie hat auch niemals zugegeben, daß die Inquisition falsch war. Sie hat sich nicht entschuldigt oder Buße getan, und sie wagt es, sich sogar heute noch als höchster Lehrer in Sachen Moral und Wahrheit aufzuführen. Bedenken wir ebenfalls, daß die Doktrin, auf die sich die Inquisition stützte, in der römisch-katholischen Kirche bis heute in Kraft ist.

Mit dem Einsatz von Folter waren den Eingeständnissen der Beschuldigten keine Grenzen mehr gesetzt. Am Ende sagte die armselige Kreatur auch noch, sie würde Gott umbringen, wenn dafür nur die Folter aufhöre. Als Hexen angeklagte Frauen bekannten unter Folter, mit Satan Verkehr gehabt und ihm sogar Kinder geboren zu haben, Kinder, die unsichtbar blieben und so für die Katholiken die noch größere Bedrohung waren. Papst Innozenz VIII. erklärte 1484 solchen hysterischen Unsinn in der Bulle Summis desiderantes affectibus zum offiziellen katholischen Dogma:

Männer und Frauen, die vom katholischen Glauben abweichen, haben sich Teufeln, incubi und succubi ausgeliefert (männlichen und weiblichen dämonischen Geschlechtspartnern) und haben durch ihre Zaubereien, Bannsprüche, Beschwörungen … Kinder ermordet, die noch im Mutterleib waren, gleich wie die Jungen des Viehs, sie haben die Früchte der Erde verflucht …

Die Folter sah man als unbedingt notwendig an, denn die Kirche fühlte sich verpflichtet, jegliche Abweichung von der gesunden Lehre aus dem Munde der Opfer selbst gewahr zu werden. Je qualvoller die Folter war, desto wahrscheinlicher war es, daß man aus ihren widerspenstigen Lippen die Wahrheit herauspressen konnte. Die Inquisitoren waren überzeugt, es sei „besser, daß hundert Unschuldige sterben, als daß ein Ketzer davonkommt“. Diese entsetzliche Lehre wurde die nächsten drei Jahrhunderte lang unter jedem Papst aufrechterhalten. Durant meint:

Die Inquisitoren scheinen ernsthaft geglaubt zu haben, Folter sei für einen bereits für schuldig befunden Angeklagten eine Gunst, denn durch ein Bekenntnis könnte sie ihm eine leichtere Strafe einbringen als andernfalls; selbst wenn er nach dem Bekenntnis zum Tode verurteilt werden sollte, könne er von einem Priester die Absolution empfangen und so vor der Hölle bewahrt werden.

Die Verteidiger des katholischen Glaubens behaupten gern, Papst Sixtus IV. hätte versucht, die Inquisition zu beenden. Aber das trifft nicht zu. Er gab im Jahre 1482 eine Bulle heraus, in der er erklärte, daß die Inquisitoren im spanischen Aragonien mehr an der eigenen Bereicherung interessiert zu sein schienen, als an der Verteidigung des Glaubens, und beschuldigte sie, gläubige Katholiken auf Grundlage falscher Anklagen seitens ihrer Feinde oder ihrer Sklaven zu verhaften, zu foltern und zu verbrennen. Er verfügte, daß stets ein Vertreter des örtlichen Bischofs anwesend sein muß, daß die Angeklagten die Namen ihrer Ankläger kennen müssen und Berufungen auf den Heiligen Stuhl erlaubt werden sollen.

Diese Bulle war jedoch nur für Aragonien bestimmt, und als König Ferdinand sich ihr widersetzte, zog Sixtus sie zurück und erklärte sie fünf Monate später für null und nichtig.

Gemeinde Jesu in Knechtsgestalt

Die Verteidiger des katholischen Glaubens geben zu, daß die Kirche „einige Fehler gemacht hat“, halten aber daran fest, daß Rom nicht die Hure aus Offenbarung 17 sein kann. Warum? Weil Christus verheißen hat, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden (Matthäus 16,18), und der römische Katholizismus sei die Kirche. Von diesem Argument lassen sich sogar viele Evangelikale irreleiten.

Die Wahrheit ist, daß der römische Katholizismus Christus niemals repräsentiert hat und niemals seine Kirche war. Für mindestens 1000 Jahre vor der Reformation bestand die wahre Kirche aus vielen einfachen Christen, die nicht Teil des römischen Systems waren. Daß es solche Gläubigen gegeben hat, die sich weigerten, „Katholiken“ genannt zu werden und ihren Glauben unabhängig von der römischen Hierarchie ausübten, ist eine historische Tatsache. Ebenso steht fest, daß sie mindestens seit Ende des 4. Jahrhunderts verfolgt, verhaftet und getötet wurden. Zu den Hinweisen der historischen Dokumente zählt auch das „Edikt der Kaiser Gratian, Valentinian II. und Theodosius I.“ vom 27. Februar 380, das den römischen Katholizismus zur Staatsreligion erklärte. Darin lesen wir:

Wir befehlen jenen, die dieser Lehre anhängen, den Titel katholische Christen anzunehmen, andere jedoch beurteilen wir als verrückt und schwärmerisch und wert, sich die Schande der Häresie zuzuziehen, und ihre Versammlungen dürfen nicht den Namen von Kirchen tragen. Sie müssen nicht allein von göttlicher Vergeltung gestraft werden, sondern auch nach unserer eigenen Maßregel, die wir gemäß der göttlichen Inspiration bestimmt haben.

Diese nichtkatholischen Christen hatten sich nach ihrem Gewissen vor Gott und dem Gehorsam zu seinem Wort von dem abgesondert, was sie sogar schon in jener Zeit ernsthaft als „die Hure Babylon“ bezeichneten. Bischof Alvaro Palayo, ein Beamter der Kurie in Avignon, schrieb widerwillig über sie: „Angesichts der allgemeinen von der päpstlichen Kurie aus über die ganze Kirche ausgegossenen Simonie und der damit verknüpften Korruption des gesamten Religionswesens sei es natürlich genug, daß die Häretiker die Kirche als die Hure bezeichnen.“ E.H.Broadbent nennt diese bibelgläubigen Christen in seinem gleichnamigen Buch Gemeinde Jesu in Knechtsgestalt (im englischen Original The Pilgrim Church:

In den Alpentälern Piemonts gab es jahrhundertelang Gemeinschaften von Gläubigen, die sich selbst Brüder nannten und später weithin als Waldenser bekannt wurden … In Südfrankreich … waren die Gemeinschaften von Gläubigen, die sich außerhalb der katholischen Kirche versammelten zahlreich und immer noch wachsend. Häufig nannte man sie Albigenser … Sie hatten feste Verbindungen mit den Brüdern – ob man sie nun Waldenser, Arme Leute von Lyon, Bogomilen oder sonstwie nannte – in den umliegenden Ländern, wo sich die Gemeinden unter den verschiedenen Völkern ausbreiteten …

Im Jahre 1209 rief [Papst Innozenz III.] einen Kreuzzug gegen [sie] aus. Ablässe, wie sie den Kreuzfahrern erteilt worden waren … wurden nun allen versprochen, die auf die viel leichtere Aufgabe der Zerstörung der fruchtbarsten Provinzen Frankreichs eingehen wollten. Dies und die Aussicht auf Beute aller Art und Zügellosigkeit zog Hunderttausende an. Unter der Oberaufsicht hoher kirchlicher Würdenträger und der Führung von Simon von Montfort, einem sehr befähigten Heerführer … wurde der am schönsten kultivierte Teil Europas jener Zeit verheert …

Diese einfachen Gläubigen hat man auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder mit dem Schwert niedergemetzelt (und ihre Bücher größtenteils vernichtet), als ihre Städte und Dörfer von den päpstlichen Armeen dem Erdboden gleich gemacht wurden. Die Verteidiger des katholischen Glaubens werfen ihnen fälschlicherweise Irrlehre und greuelhafte Praktiken vor, die sie leugneten. Die uns verfügbaren Berichte über ihre Verhöre zeigen, daß ihr Glaube vergleichbar mit dem der heutigen Evangelikalen war. Über die Katharer sind zwar einige der wildesten Gerüchte verbreitet, mit ihren Überzeugungen kann man aber, so wie Durant sie beschreibt, nur übereinstimmen:

Sie leugneten, daß die [römisch-katholische] Kirche die Gemeinde Christi ist, glaubten weder, daß Petrus jemals in Rom war, noch daß er das Papsttum gegründet hat, und daß die Päpste die Nachfolger der Kaiser sind und nicht die der Apostel. [Sie lehrten, daß] Christus nichts hatte, wo er sein Haupt hinlegte, der Papst hingegen in einem Palast lebt; Christus ohne Besitz und mittellos war, die christlichen Würdenträger jedoch reich sind; … diese vornehmen Erzbischöfe und Bischöfe, diese weltlichen Priester und diese fetten Mönche gewiß die alten und wieder zum Leben erwachten Pharisäer waren! Sie waren sich sicher, daß die römische Kirche die Hure Babylon, der Klerus die Synagoge des Satans und der Papst der Antichrist war. Sie klagten die Kreuzzugsprediger als Mörder an … lachten über Ablässe und Reliquien … die Kirchen nannten sie „Räuberhöhlen“ und die katholischen Priester waren für sie „Verräter, Lügner und Heuchler“.

Du Pin, ein katholischer Autor des 19. Jahrhunderts, schreibt: „Der Papst [Innozenz III.] und die Prälaten waren der Ansicht, es sei rechtens, von der Folter Gebrauch zu machen, um zu sehen, ob sich jene, die sich nicht von ihrem eigensinnigen Heilsweg bekehrten, dies womöglich in der Furcht vor der Bestrafung und dem zeitlichen Tode täten.“ Fast jedes Kind weiß, daß Kreuzzüge mit Zehntausenden Rittern und Fußsoldaten ausgerufen wurden, damit Jerusalem von den Muslimen befreit würde. Doch nur wenige haben je davon gehört, daß zur gleichen Zeit Kreuzzüge mit großen Armeen gegen Christen geführt wurden, die sich nicht guten Gewissens Rom unterwerfen konnten. Das war jedoch, angefangen unter Papst Innozenz III., der Fall.

Das größte Verbrechen dieser Christen bestand in ihrem Festhalten an der Freiheit des Gewissens und des Gottesdienstes – biblische Vorstellungen, die dem Papst verhaßt waren, denn eine solche Überzeugung würde Rom aus dem Geschäft werfen. Es stehen zwar keine exakten Zahlen zur Verfügung, aber die Zahl der von den Päpsten während den 1000 Jahren vor der Reformation hingerichteten Christen reicht an die Millionen heran. Allein in der Stadt Beziers wurden bei einem Kreuzzug 60.000 Männer, Frauen und Kinder umgebracht (Du Pin). Für Innozenz III. bedeutete die Vernichtung dieser besonderen Ketzer die krönende Errungenschaft seines Pontifikats! Broadbent schreibt:

Als die Stadt Beziers zur Übergabe aufgefordert wurde, verbündeten sich die katholischen Einwohner mit den aus der Kirche ausgetretenen … Die Stadt wurde gestürmt, und von den Zehntausenden, die darin Zuflucht gefunden hatten, blieb keiner verschont.

Trotz der wiederkehrenden Massaker nahm die Zahl der Gemeinschaften von unabhängigen Christen zu, schon lange bevor Martin Luther geboren wurde. In einem Gebiet scheinbar ausgerottet, tauchten sie dann woanders wieder auf. Huldrych Zwingli sollte später im Jahre 1522 in einem Brief an seine Brüder schreiben, die befürchteten, daß er auf dem Scheiterhaufen verbrannt werde:

Oh, meine geliebten Brüder, das Blut Christi verleiht dem Evangelium diese wunderbare Eigenschaft, daß die heftigsten Verfolgungen, weit davon entfernt, seine Ausbreitung aufzuhalten, nur mehr seinen Sieg vorantreiben!

Rom konnte keine Unabhängigkeit von seinem eisernen Griff zulassen. So zogen die französischen Waldenser den Zorn von Papst Innozenz VIII. (1484-1492) auf sich, weil „sie es wagten, ihre eigene Religion lieber auszuüben, als die Roms“. Im Jahre 1487 rief der Papst gegen sie einen Kreuzzug aus, dessen Teilnehmern er die Erlassung aller Sünden für jeden, der einen Ketzer umbringt versprach, und er ordnete an, jeder Bischof, der sich weigerte, seine Diözese von Ketzern zu reinigen, sei abzusetzen. Kein Wunder, daß für diese Christen die Päpste Antichristen waren, denn was sie zu erleiden hatten, war weit schlimmer als das, was die römischen Kaiser der frühen Kirche zugefügt hatten, und erinnerte sehr stark an die in der Offenbarung unter dem Antichristen angekündigte Verfolgung.

Im Jahre 1838 schrieb George Stanley Faber sein Buch An Inquiry into the History and Theology of the Ancient Valdenses und Albigenses (Eine Untersuchung der Geschichte und Theologie der alten Waldenser und Albigenser). Fast 200 Jahre zuvor, im Jahre 1648, hatte Samuel Morland sein Werk History of the Evangelical Churches of Piemont (Geschichte der evangelikalen Gemeinden in Piemont, einer Gegend in Frankreich, die von Albigensern und anderen „Ketzern“ besiedelt war) veröffentlicht. Die Untersuchungen dieser beiden Autoren stützten sich auf andere Werke, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichten. Aus schriftlichen und öffentlichen Protokollen über ihre Verhöre ist ersichtlich, daß die Waldenser, Albigenser und weitere vergleichbare Gemeinschaften nur für Rom als Ketzer galten. Ihr Glaube entsprach fast dem der Reformatoren, von denen sie in gewissem Sinne die Vorläufer waren. Martin Luther würdigte dies, indem er schrieb:

Wir sind nicht die ersten, die das Papsttum als das Königreich des Antichristen verkünden, denn bereits viele Jahre vor uns wagten so viele und so edle Männer (deren Zahl groß und deren Andenken ewiglich ist), gleiches so klar und deutlich auszudrücken.

Die Mennoniten

Eine der schwersten Ketzereien war in den Augen Roms die Ablehnung der Säuglingstaufe. Dieses Ritual sollte angeblich den Makel der Erbsünde entfernen, den Säugling zu einem Kind Gottes und Mitglied der Kirche machen und den Vorgang der Errettung in Gang setzen, der im Gehorsam zu Roms Verordnungen und dem Empfang der Sakramente bestand. Wer an eine Bibel gelangen konnte (Rom tat sein Bestes, um diese von den Menschen fernzuhalten), stellte fest, daß sie den Lehren Roms widersprach. Die Errettung erhielt man nicht durch die Taufe, sondern durch den Glauben an Christus. Die Taufe war für die gedacht, die an ihn als ihren persönlichen Retter glaubten. Kein Säugling wäre imstande, das zu verstehen und zu glauben.

Die an das Evangelium der Bibel glaubten, wollten als Gläubige getauft werden. Der holländische katholische Priester Menno Simons erzählt von seiner eigenen Verwirrung, bevor er Christ wurde:

Am 20. März 1531 wurde in [Leeuwarden] ein gewisser Schneider namens Sicke Freerks Snijder aus dem merkwürdigen Grund hingerichtet, daß er ein zweites Mal getauft worden war. „Das war für mich äußerst befremdend“, sagt Menno, „daß da von einer zweiten Taufe die Rede war.“ Es erschien ihm noch viel befremdender, als Menno erfuhr, daß Freerks ein frommer, gottesfürchtiger Mann war, der glaubte, daß die Schrift nicht die Säuglingstaufe lehrt, sondern daß nur Erwachsene auf ein persönliches Glaubensbekenntnis hin getauft werden sollten.

Viele der stetig zunehmenden Zahl von Protestanten, wie z.B. die Lutheraner, tauften, wie auch heute noch, weiterhin die Säuglinge – eins von mehreren Elementen des Katholizismus, von denen sich die Reformatoren nicht frei machen konnten. So fingen auch die Protestanten an, diejenigen, die sich ein zweites Mal hatten taufen lassen, zu verfolgen und in einigen Fällen sogar hinzurichten. Diese „Ketzer“ sind unter der Bezeichnung Wiedertäufer bekannt geworden.

Die katholische Inquisition verbrannte in Holland, wo es die meisten Wiedertäufer gab, Zehntausende auf dem Scheiterhaufen, weil sie sich als gläubig gewordene Erwachsene hatten taufen lassen. Wer den Ketzern Hilfe leistete oder Obdach gewährte, teilte ihr Schicksal. Die größte Gruppe Wiedertäufer folgte den Lehren von Menno Simons und wurde als Mennoniten bekannt. Menno schreibt:

[Ungefähr im Jahre 1539] wurde dort, wo ich mich aufhielt, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit Namen Tjard Reynders verhaftet, weil er mich heimatlosen Mann aus Mitleid und Liebe in sein Haus aufgenommen hatte, obgleich es im Geheimen geschah … Er wurde nach dem freien Bekenntnis seines Glaubens [allein an Christus] gerädert und als tapferer Soldat Christi dem Beispiel seines Herrn folgend hingerichtet, obgleich sogar seine Feinde ihm bezeugten, daß er ein unschuldiger und frommer Mann war.

Die Geschichten der Märtyrer, die aufgrund ihres Glaubens allein an Christus und ihrer Hingabe an ihn gefoltert und, oftmals durch Feuer, ermordet wurden, sind mit ihrer Traurigkeit und Tragik fast unglaublich. Wir können sowohl aus dem Schrecken lernen, dem sie in den Händen der selbsternannten Diener Christi mutig ins Angesicht schauten, als auch aus ihrem Glauben, den sie in Erwartung ihrer Hinrichtung in Briefen bezeugten. Wir wollen einmal den folgenden Auszug aus einem Brief betrachten, den Hans van Munstdorp seiner Frau schrieb, als die beiden in Antwerpen im Gefängnis saßen:

Meine innigsten Grüße an dich, meine geliebte Frau, der ich dich aus tiefstem Herzen liebe … und dich der Wahrheit wegen verlassen mußte, um derentwillen wir auch alles als Verlust achten und Ihn über alles lieben … mein Geist hält immer noch standhaft an der ewigen Wahrheit fest. Ich hoffe durch die Gnade des Herrn, daß dies auch die Gesinnung deines Geistes ist, was zu hören mich erfreuen täte. Hiermit ermuntere ich dich mit dem Apostel: „Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so wandelt in Ihm und seid verwurzelt und gegründet in Ihm und fest im Glauben, und sehet zu, daß ihr nicht von eurem Ziele abgebracht werdet …“

Nachdem ihr Mann hingerichtet worden war und sie im Gefängnis ein Kind zur Welt gebracht hatte, schrieb Janneken Munstdorp am 19. September 1573 einen Abschiedsbrief für ihre kleine Tochter. Er war eine lange Ermahnung, für Christus zu leben, voller Bibelzitate und Belehrungen aus Gottes Wort, damit ihr Kind, wenn es heranwächst, auf dem Weg geleitet wird. Dieser kurze Auszug aus diesem Brief zeigt die Liebe und den Glauben einer jungen Mutter und Märtyrerin:

Die wahre Liebe Gottes und Weisheit des Vaters stärke dich in aller Tugend, mein liebstes Kind … Ich befehle dich dem Allmächtigen, dem großen und furchtbaren Gott an, der allein weise ist, dich zu bewahren und in Seiner Furcht aufwachsen zu lassen … du, der du noch so jung bist und ich dich doch hier in dieser bösen, gottlosen und verkehrten Welt zurücklassen muß. Weil … du hier deines Vaters und deiner Mutter beraubt bist, werde ich dich dem Herrn anbefehlen; Er lasse dir nach Seinem heiligen Willen geschehen … Mein liebstes Lamm, ich, die ich hier gefangen bin … vermag dir auf keine andere Weise zu helfen; ich mußte deinen Vater um des Herrn Willen verlassen … Wir wurden gefangen genommen … und sie nahmen ihn mir fort … Und nun, da ich dich nun neun Monate lang in großer Sorge unter meinem Herzen barg und dich hier im Gefängnis unter argen Schmerzen geboren habe, haben sie dich mir genommen … Weil ich nun dem Tode ausgeliefert bin und dich hier allein zurücklassen muß, ermahne ich dich mit diesen Zeilen, sobald du deine Verstandeskraft erlangt hast, danach zu trachten, Gott zu fürchten und danach zu fragen, weshalb und für wessen Namen wir beide sterben mußten; und schäme dich nicht … unseretwegen, das ist der Weg, den die Propheten und die Apostel gingen, und der schmale Weg, der zum ewigen Leben führt …

Das vielleicht größte Trauerspiel ist, daß man diese Märtyrer vergessen hat. Oder, noch schlimmer, ihre Treue zu Christus in Folter und Tod wird heute von führenden Evangelikalen verlästert, die sagen, die Wahrheiten, für die sie ihr Leben gaben, seien nicht wichtig. Sie starben, um verlorenen Seelen das Evangelium zu bringen, denn das Evangelium Roms brachte die Menschen scharenweise ins ewige Gericht. Aber sogar obwohl Roms Evangelium sich nicht geändert hat, sagen heute viele führende Evangelikale, daß Katholiken, die Rom folgen, gerettet sind, und betrachten die römisch-katholische Kirche (eine Kirche, die Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat, weil sie die Bibel verbreiteten) als einen Partner bei der Evangelisierung der Welt für Christus. Die Märtyrer würden im Himmel weinen – nicht über sich selbst, sondern über die Verlorenen – wenn Christus sie von diesem leichtfertigen Verrat des Glaubens, für den sie sterben mußten, wissen ließe.

Die Inquisition heute

Die mittelalterliche Inquisition hatte jahrhundertelang geblüht, als Papst Paul III. im Jahre 1542 ihr den dauerhaften Status als die erste Heilige Kongregation Roms gab, die heilige, katholische und apostolische Inquisition. Später als Heiliges Offizium bekannt, wurde ihr Name 1967 in Kongregation für die Glaubenslehre umgeändert – insofern sehr angemessen, als daß die öffentlichen Verbrennungen als Autodafes, oder Glaubenshandlungen (portugiesisch, aus dem lat. actus fidei), bekannt waren. Die Verfolgung, Folterung und Ermordung der Ketzer ist von der römisch-katholischen Kirche niemals verworfen worden, sondern, wie wir noch sehen werden, gehen sie bis in die heutige Zeit fort.

Rom steht vor einer klaren Wahl: Entweder ist ihre eifrige Folterung und Hinrichtung so vieler unschuldiger Opfer etwas, worauf sie stolz sein kann, oder etwas, dessen sie sich schämen müßte. Rom wird natürlich weder seine Sünden bereuen, noch seinen Anspruch der Unfehlbarkeit aufgeben. Deshalb überrascht es nicht, daß das Amt der Inquisition immer noch im Palast der Inquisition direkt neben dem Vatikan untergebracht ist, wenn auch unter einem neuem Namen, Kongregation für die Glaubenslehre. Der derzeitige Großinquisitor, der direkt dem Papst  unterstellt ist, ist der frühere Erzbischof von München, Joseph Kardinal Ratzinger, den die Time „den mächtigsten Kardinal der Welt [und] obersten Durchsetzer von Dogmen der katholischen Kirche“ nannte. Eine solche Durchsetzung kann brutal direkt vonstatten gehen oder aber mit Samthandschuhen mittels einer weiteren Person, wie es Ende 1993 bei dem Mundtot-machen von Fr. Joseph Breen durch den Bischof von Nashville Edward Kmiec der Fall war. In einem Brief an die Bischöfe des Landes sprach sich Breen angesichts der „breiten Kluft zwischen dem, was Rom sagt und dem, was tatsächlich geschieht“ für ein freigestelltes Zölibat aus. Er wurde zur Unterzeichnung einer Erklärung gezwungen, „daß er nicht in den Medien sprechen werde … und nicht das Tun der Bischöfe kritisiert“.

Die Kongregation richtet zwar ihre Opfer nicht mehr hin, versucht aber immer noch, die sektenhafte Kontrolle des Vatikans über das Denken des Klerus und der Kirchenmitglieder aufrechtzuerhalten. Beispielsweise veröffentlichte Ratzinger am 9. Juni 1993 „Unterweisungen … für die Förderung der Glaubenslehre“. Das Dokument fordert, daß „zunächst eine Erlaubnis eingeholt werden muß … für das, was von Geistlichen und Mitgliedern religiöser Einrichtungen in Zeitungen und Zeitschriften geschrieben wird, die dafür bekannt sind, daß sie die katholische Religion und die gute Moral öffentlich angreifen. Die Unterweisung ermahnt ebenso die katholischen Verlage, sich nach den Kirchengesetzen zu richten. Und Bischöfe sind dazu verpflichtet, in ihren Kirchen Verkauf und Darbietung von Veröffentlichungen über Religion und Moral zu unterbinden, sofern diese keine kirchliche Genehmigung aufweisen …“ Das ist wie ein neuer Index der verbotenen Bücher!

Kolossale Heuchelei

Die römisch-katholische Kirche war der größte Verfolger sowohl von Juden als auch von Christen, den die Welt je gesehen hat, und sie hat mehr Christen hingerichtet, als das heidnische Rom oder der Islam. Sie ist nur von Mao und Stalin übertroffen worden, aber diese behaupteten wohl kaum, in Christi Namen zu handeln. Die Identifizierung als die Frau, die „trunken ist vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu“ (Offb.17,6) kann dem katholischen Rom wohl keine andere religiöse Institution streitig machen.

Doch Johannes Paul II. hat in seiner jüngst erschienenen Abhandlung Veritatis splendor die Dreistigkeit, von katholischen Heiligen zu sprechen, „die die moralische Wahrheit bezeugten und sie sogar bis zum Erleiden des Märtyrertodes verteidigten …“ Aber was ist mit den Hunderttausenden, die diese Kirche massakrierte, weil ihr moralisches Gewissen und ihr Verständnis von Gottes Wort nicht mit Rom übereinstimmten? Das Schweigen des Vatikans bezüglich seiner niederträchtigen und unzählbaren Verbrechen gegen Gott und die Menschlichkeit schreit zum Himmel. Und noch schlimmer ist die Heuchelei, die dieser mörderischen Frau gestattet, sich als der große Lehrer und das Vorbild im Gehorsam zu Christus aufzuführen.

„Glückselig die um der Gerechtigkeit willen verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel (Matthäus 5,10). Mit diesen Worten eröffnete Johannes Paul II. die heutige (10. Oktober 1993) feierliche Messe zu Ehren der Seligsprechung von elf [katholischen] Märtyrern des spanischen Bürgerkriegs und zwei italienischer Geistlicher.“ So berichtete die einflussreiche katholische Zeitschrift Inside the Vatican. Wie immer, wenn katholische Märtyrer gelobt werden, gab es kein Zugeständnis und keine Entschuldigung wegen der Hunderttausende Christen und Juden, die von der römisch-katholischen Kirche umgebracht worden sind. Die Heuchelei ist kolossal.

 

Aus Dave Hunt:  DIE FRAU UND DAS TIER.

Kürzungen und die Hervorhebungen sind von mir. Horst Koch, Herborn, im Herbst 2005

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