NAK – Geschichte u. Lehre aus bibl. Sicht

DR. LOTHAR GASSMANN

NEUAPOSTOLISCHE KIRCHE

GIBT ES WIEDER APOSTEL?

Die „Katholisch-Apostolischen Gemeinden“

VORLESUNG AN DER FREIEN THEOLOGISCHEN AKADEMIE GIESSEN

Einleitung

Namen

Geschichte
Die „Katholisch-Apostolischen Gemeinden“
Erweckung in England, Schottland und Deutschland

Edward Irving

Erste Propheten- und Apostelberufungen

Aussonderung der Apostel
Das Testimonium der Apostel
Aussterben der Apostel und Krise

Heinrich Geyer und die „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“
Neue Apostelberufungen
Ausschluß und Neubeginn 

Friedrich Wilhelm Schwarz und die „Hersteld Apostolische Zending Gemeente“

Fritz Krebs und die Einrichtung des Stammapostolats

Hermann Niehaus und die „Neuapostolische Gemeinde“

Johann Gottfried Bischoff und die Wiederkunft Christi
Die weitere Entwicklung

Fragen aus der Geschichte

Die apostolische Bewegung und der Heilige Geist
Gibt es wieder Apostel?
Was ist ein Apostel?

Welche Aufgaben hat ein Apostel
Weitere Ämter der Neuapostolischen Kirche
Apostel und Propheten

Das Stammapostolat

Biblische Kennzeichen für Apostel

Literaturverzeichnis
Katholisch-apostolische Literatur
Neuapostolische Literatur
Kritische und sonstige Literatur

Einleitung

Gibt es wieder Apostel?
  Vertreter der Neuapostolischen Kirche, aber auch anderer „apostolischer“ Kirchen und Gruppen (z.B. Katholisch- Apostolische Kirche, Apostelamt Juda, Apostelamt Jesu Christi, Reformiert- Apostolischer Gemeindebund, Apostolische Gemeinde) sind dieser Ansicht und haben neue Apostel berufen.

Wie kam es dazu?  Geschah dies zu Recht und in Einklang mit dem Wort der Heiligen Schrift?
Um diese Fragen soll es in Folgenden gehen.

Es kann sich hier aus Platzgründen um keine umfassende Darstellung der Neuapostolischen Kirche handeln, sondern nur um eine Skizze ihrer Geschichte und eine Beschränkung auf die Frage nach dem Geistverständnis und neuen Apostolat. Eine ausführliche wissenschaftliche Darstellung sowie die Behandlung weiterer wichtiger Themen im Zusammenhang mit der neuapostolischen Lehre und Praxis (z.B. Verhältnis von Bibel und Apostellehre, Anthropologie, Christologie, Eschatologie sowie Taufe, Versiegelung und Abendmahl für Lebende und Tote gedenke ich, soweit Gott mir Zeit und Kraft hierzu schenkt, zu einem späteren Zeitpunkt in Angriff zu nehmen.

Die folgenden Ausführungen gehen auf eine Vorlesung zurück, die ich Mitte der neunziger Jahre an der Freien Theologischen Akademie Gießen hielt (der Redestil wurde beibehalten). Mögen sie allen Lesern zur Klärung verhelfen und zum Segen dienen.

Namen
Die Neuapostolische Kirche ist hervorgegangen aus der Katholisch-Apostolischen Kirche – zumindest nach ihrem Selbstanspruch, aber schon hier setzt das Problem an, denn die Katholisch-Apostolische Kirche erkennt die Neuapostolische Kirche nicht an.

Die Entwicklung von der Katholisch-Apostolischen Kirche (die es heute noch gibt) bis zur Neuapostolischen Kirche verlief kompliziert. Von verschiedenen Abspaltungen und Splittergruppen wird noch die Rede sein. Jedenfalls war seit 1835 die Katholisch- Apostolische Kirche vorhanden. 1863 hat sich als Abspaltung davon die „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“ herausgebildet. Die aus dieser hervorgegangene Gruppe, die zunächst „Allgemeine Apostolische Mission“ hieß und zur Neuapostolischen Kirche wurde, trug dann ab 1907 den Namen „Neuapostolische Gemeinde“ und ab 1930 den Namen „Neuapostolische Kirche“.

Der holländische Zweig, der wichtig ist, denn dieser ging dem deutschen voraus, hieß „Hersteld Apostolische Zending Gemeente“. Der nordamerikanische Zweig trug den Namen „First General Apostolic Church in Chicago, Illinois“.

Geschichte

Die „Katholisch-Apostolischen Gemeinden“

Um die Geschichte der Neuapostolischen Kirche zu betrachten, müssen wir
zunächst die Geschichte der Katholisch-Apostolischen Kirche darstellen. Diese existiert heute noch in verschwindend kleinen Gruppen in verschiedenen Städten, die aber in der Regel so unauffällig sind, daß keiner weiß, daß sich da wirklich katholisch- apostolische Gemeindeglieder treffen. Die Versammlungsräume und Kirchen sind häufig nicht mehr als solche von außen zu erkennen, aber es gibt sie noch, wenn auch in einer abnehmenden Zahl. Man schätzt, daß noch einige tausend Menschen in Deutschland die katholisch- apostolischen Gottesdienste besuchen.

Erweckung in England, Schottland und Deutschland

Worum handelt es sich bei der Katholisch-Apostolischen Kirche?
Ihre Geschichte begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Hervortreten vergessener Charismata (Gnadengaben, Geistesgaben). 1820/21 gab ein Geistlicher der anglikanischen Kirche zwei Schriften heraus, die zu Gebetsversammlungen an einem bestimmten Tag der Woche für eine besondere Ausgießung des Heiligen Geistes aufriefen. Man erstrebte also eine Art „charismatische Erneuerung“. Der Verfasser hieß James Haldane Stewart (1776-1854), und seine Schriften waren wohl die Auslöser für viele der nachfolgenden Ereignisse. Die erste Schrift trug den Titel „Hints for a general union for prayer for the outpouring of the Holy Ghost“ („Hilfeleistungen für eine Generalvereinigung zum Gebet für das Ausschütten des Heiligen Geistes“). 1820 veröffentlicht, erreichte diese Schrift in vier Jahren in England, Schottland und Irland 322.000 Exemplare Auflage.

Die weitere Schrift von ihm „Thoughts on the Importance of special Prayer for the general outpouring of the Holy Ghost“ („Gedanken über die Bedeutung des speziellen Gebetes für die allgemeine Ausschüttung des Heiligen Geistes“) erschien erstmals 1821, mit einer etwas geringeren Auflage von 89.000 Exemplaren in den Folgejahren. Viele Menschen haben diese Schriften gelesen und wurden dadurch zu Gebetsversammlungen veranlaßt, um eine neue Ausschüttung des Heiligen Geistes und der Geistesgaben zu erbitten. Diese Gebete wurden sehr bald erhört. Bereits in den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts kam es an drei Hauptschauplätzen zu „Geistesaufbrüchen“, und zwar mit den Gaben der Prophetie, Weissagung, Glossolalie (Zungenreden) und Krankenheilung.

Der erste Hauptschauplatz war seit 1828 die kleine römisch – katholische Gemeinde Karlshuld auf dem Donaumoos in Bayern/Deutschland. Der zweite lag seit 1830 im westlichen Schottland, im Kreis reformierter Christen, der dritte in London ab 1831, wo häusliche Gebetsversammlungen in anglikanischen Kreisen stattfanden. Diese drei Wurzeln: Karlshuld, Schottland und England mit Sitz in und bei London sind nachfolgend näher zu betrachten.


Was geschah zunächst in Karlshuld? Dort lebte der junge römisch -katholische Priester Johann Lutz. Dieser hatte ein starkes Erlebnis: Von seinen Sünden überwältigt und nahe am Abgrund der Verzweiflung, hatte er jahrelang mit Fasten, Beten und Wachen nach den Regeln der katholischen Kirche versucht, Licht und Trost zu finden. Aber es war alles umsonst gewesen, bis schließlich übernatürliche charismatische Phänomene (Zungenreden, Weissagung) in seiner Gemeinde auftraten. Es ist unwahrscheinlich, daß der Anstoß hierzu von England und Schottland kam. Wahrscheinlich wurde Lutz unabhängig davon mit den Geistesgaben konfrontiert. Man vermutet, daß es auch in Deutschland Parallelen in diese Richtung gab, unabhängig von den englischen Schriften Stewarts.


Jedenfalls beteten immer mehr Menschen, von Lutz` Predigt angeregt, um diese besonderen Glaubenserfahrungen und Geistesausgießungen. 1828 wurden von verschiedenen Einzelpersonen Worte geäußert, die als „Worte der Weissagung“ gedeutet wurden. Lutz glaubte daran, daß dies alles von Gott komme, nicht vom Teufel, und daß dies eine Wiederbelebung der urchristlichen Gaben des Geistes sei. In diesen Gesichten und Weissagungen wurde verlautbart, daß Gottes Gericht nahe sein, daß Christus bald kommen würde und daß er Botschafter schicken wolle. „Der Herr sagte: ‘Ich will Propheten und Apostel zu ihnen senden…’“ Diese Worte wurden oft wiederholt und hinterließen einen tiefen Eindruck auf Lutz und verschiedene Gemeindeglieder.
Lutz kam erst 1842 durch den schottischen „Propheten“ William Caird in persönlichen Kontakt mit den englischen Kreisen und wurde 1859 – nach seiner Exkommunikation aus der Römisch-Katholischen Kirche – zu einem Engel (Bischof) der Katholisch- Apostolischen Kirche geweiht.

Aufschlußreich ist, daß über diese Aufbrüche und auch über die folgenden in England in den neuapostolischen Werken „Geschichte der Neuapostolischen Kirche“ (S. 13 ff.) und „Neue Apostelgeschichte“ (S. 27. 73 ff.) berichtet wird. Diese Aufbrüche werden also von Seiten der Neuapostolischen Kirche als „Vorläufer-Bewegungen“ betrachtet (ganz im Unterschied zur Sicht katholisch- apostolischer Vertreter, die sich gegen diese Vereinnahmungen wehren).

Die anderen „Aufbrüche“ fanden in Schottland und England statt. Über den schottischen Aufbruch heißt es in der „Geschichte der Neuapostolischen Kirche“ (S. 16): „Ein einfacher Zimmermann in Schottland, Jakob Grubb, war es, durch den Gott sprach …“

Grubb war offenbar ein Auslöser: Durch seine Handauflegungen und Inspirationen kamen andere mit diesem Geist in Berührung. Jakob Grubb „sprach vom Kommen des Herrn, und davon, daß er vorher noch eine besondere Arbeit in seiner Kirche verrichten wolle“. Er sprach „von einem scheinenden Licht, das sie erleuchten würde, von einer Wolke, die wie eine Menschenhand aussähe und die anwachsen solle, um alles zu bedecken.“ Und diese Menschenhand wird von neuapostolischer Seite als Handauflegung der neuen Apostel interpretiert.

Nun lebte nicht weit von der Hütte Grubbs entfernt die Familie Campbell. Der Vater Campbell war ein Geistlicher und hatte zwei Töchter. Die ältere Tochter hieß Isabell. Diese wurde wie eine Heilige verehrt. Menschen pilgerten zu ihr hin. Es gab offensichtlich auch da schon besondere Gaben und Erscheinungen. Isabell ist allerdings früh an Tuberkulose verstorben. Der Geist und die Verehrung gingen dann auf ihre Schwester Mary über. Beide Mädchen hatten die „Gabe der Weissagung“ besessen und Visionen und Gesichte gehabt.

Dieses Phänomen wird in der „Geschichte der Neuapostolischen Kirche“ (S. 16) als eine Erfüllung von Joel 3,1 gedeutet: „Und eure Söhne und Töchter sollen weissagen; und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.“ – „Diese Zeit war nun gekommen“, wird behauptet.


Nun wurde auch Mary Campbell eines Tages schwer krank. Lungentuberkulose“ lautete wie bei ihrer Schwester die Diagnose. Und nun heißt es weiter: 

„An einem Abend lag sie dort, ohne ein Wort zu äußern, in stillem Gebet vertieft. Zwei Freundinnen waren bei ihr zu Besuch. Plötzlich erhob sie sich und trat auf ihre Füße. Sie redete in einer Sprache, die keiner der Anwesenden verstehen konnte … Sie wurde mit Kraft und Stärke angefüllt; denn aus eigener Kraft konnte sie diese besonderen und geheimnisvollen Worte nicht äußern. Dann legte sie sich wieder auf ihr Bett und war so schwach wie zuvor. Dies geschah am 21. März 1830.“

Nun gab es eine weitere Familie, die auf der anderen Seite des Clyde River in Schottland wohnte, die Familie MacDonald. Hier lebten zwei Brüder und eine Schwester zusammen: Georg, Jakob und Margaret MacDonald. Auch ihnen wurden die Gaben der Weissagung und das Reden in fremden Zungen offenbar:

„Es war an einem Sonntag; eine ihrer Schwestern mit einer Freundin, die zu diesem Zweck in das Haus gekommen, hatte den ganzen Tag in Demütigung vor Gott, Fasten und Gebet zugebracht mit besonderem Hinblick auf die Wiederherstellung der Geistesgaben. Am Abend waren sie in das Krankenzimmer der Schwester (Mary Campbell; L. G.) getreten, die auf einem Sofa lag; sie waren da mit mehreren Hausgenossen im Gebet begriffen, als mitten in ihrer Andacht der Heilige Geist mit gewaltiger Kraft über das kranke Weib, die in ihrer Schwäche dalag, kam und sie zwang, lange und mit übermenschlicher Kraft in einer unbekannten Sprache zu reden zum Erstaunen aller, die es hörten, und zu ihrer eigenen großen Erbauung und Freude in Gott, denn ‘wer mit Zungen redet, erbauet sich selbst.’ …

Gleichzeitig lebte am anderen Ufer des Clyde in der kleinen Stadt Port Glasgow eine wegen ihrer Gottesfurcht und Frömmigkeit allgemein geachtete Familie, namens MacDonald, bei der sich alsbald ähnliche Zustände einstellten. Die beiden Brüder James und George lebten mit einer kranken Schwester zusammen, die zuerst vom Geist ergriffen wurde. James … war einst um Mittag von seiner Arbeit nach Hause zurückgekehrt, als er seine leidende Schwester mitten in den Konvulsionen (Zuckungen, verbunden mit einem Aufbäumen des Körpers; L. G.) jener neuen Inspiration fand. Die erschrockene und betroffene Familie schloß daraus, daß sie ihrem Ende nahe sei; da wandte sie sich in langer Rede an James und schloß mit dem Gebet, daß er sofort möge mit der Kraft des Heiligen Geistes begabt werden. Augenblicklich sagte James ruhig: ́Ich habe sie.` Er trat an’s Fenster und stand dort ruhig einige Minuten; seine Züge nahmen eine andere Gestalt an, mit majestätischem Schritt trat er an das Bett der Schwester und redete sie mit den Worten des 20. Psalms an: `Erhebe dich und stehe aufgerichtet!` Er wiederholte die Worte, faßte sie bei der Hand und sie stand auf. Die Schwester hatte sich nicht nur für den Augenblick erhoben, sie war geheilt und sofort schrieb der Bruder an die anscheinend dem Tode nahe Mary Campbell und richtete an sie dieselbe Aufforderung mit demselben Erfolg (also eine ́Fernheilung` per Brief; L. G.). Die Kranke empfing den Brief mitten in der äußersten Schwäche, aber ohne hilfreiche Hand stand sie auf, erklärte sich für geheilt und war dem Leben wiedergegeben. Oft ließ sie sich nun als Inspirierte in großen Versammlungen hören, während die mehr nüchternen MacDonalds still und zurückgezogen ihre frühere Lebensart beibehielten.“ (Zitiert nach Ev. Kirchenzeitung, Berlin 1864, Sp. 283)

Diese Ereignisse verursachten großes Aufsehen bis nach London. In der Nähe von London gab es seit 1826 die Albury-Konferenzen, benannt nach dem Schloß und Sitz des englischen Bankiers Henry Drummond (s.u.). Dort hatte man auch schon um die Wiederbelebung der urchristlichen Geistesgaben gebetet. Um die Phänomene zu untersuchen, reisten Teilnehmer der Albury-Konferenzen nach Schottland und sagten danach: „Hier sind die gleichen Gaben nach 1. Korinther 12 und 14 wie in der Urkirche – Glossolalie, Krankenheilungen und Weissagungen und ähnliches.“ Alles das geschah wohlbemerkt fast ein Jahrhundert vor Beginn der Pfingstbewegung.

Unter denen, die zu Campbells und MacDonalds reisten, waren der Londoner Rechtsanwalt Cardale, auf den ich noch mehrmals eingehe, und zwei Ärzte, Dr. Row und Dr. Thompson. Diese blieben einen ganzen Monat in Glasgow und studierten die Phänomene. Sie schienen ihnen ein echtes Geisteswirken von Gott zu sein.

Welche „Prophezeiungen“ gab es denn in Karlshuld und Schottland? Über die Ereignisse in Karlshuld im Jahre 1828 findet sich folgende Schilderung:
„Zwei Personen (ein Mann und eine Frau) bekamen prophetische Gaben, und
folgende Punkte waren es vorzüglich, die sehr oft gesagt wurden: Der Herr wolle jetzt Seine Kirche wiederherstellen wie am Anfange: dieses Heiles und Segens werde Er Protestanten, Katholiken u. a. ohne Unterschied teilhaftig machen; Er werde wieder Apostel geben und Propheten, wie am Anfange…“, so in einem Brief von Lutz an den katholisch- apostolischen Professor Heinrich Thiersch in Marburg vom 3.2.1852.

Über „Prophezeiungen“ in Schottland berichtet R. Norton in seinem Buch „The Restoration of Apostles And Prophets“ aus dem Jahre 1861 (S. 20 ff.): 

„Die Zeit ist kurz. Die Zeit ist nahe. Gott kommt näher. Der gelobte Morgen kommt.“ Und eine andere „Prophezeiung“ lautete: „Ich erinnere mich an das Rufen im Geist, ‘Sende uns Apostel, sende uns Apostel.’“ 

Die „Prophezeiungen“ waren also ganz deutlich verbunden mit dem Ruf nach Aposteln, nach der Wiederherstellung der Urkirche in ihrer völligen Gestalt mit allen damaligen Ämtern.

Edward Irving 

Und nun kommen wir etwas ausführlicher zu sprechen auf eine Schlüsselfigur der Anfangszeit. Es ist der Theologe Edward Irving. Wer war Edward Irving?

Geboren am 4. August 1792 in Annan in der schottischen Grafschaft Dumfries, studierte er später an der Universität Edinburgh. Mit 18 Jahren wurde er Lehrer der Mathematik an einer Schule in Haddington, wo er bis 1819 blieb. Er wollte Missionar werden und wurde dann als Hilfsprediger von dem bekannten schottischen Verkündiger Thomas Chalmers nach Glasgow berufen. Dies geschah im Jahre 1819. In Glasgow allerdings konnte er noch nicht durchdringen, er hatte da wenig Erfolg. 1822 schließlich erfolgte seine Berufung nach London, die von dem Presbyterium der kleinen kaledonischen Kirche in Hatton Garden im Zentrum Londons ausging. Das war für den Dreißigjährigen ein großer Schritt.

Irving besaß eine feurige Predigtgabe, konnte die Intellektuellen ansprechen und offenbarte neue Erkenntnisse, die er den Menschen vermitteln wollte. So hatte er bald Zulauf von höchsten Kreisen der Londoner Gesellschaft. Seine Kirche war meistens überfüllt. Deshalb hat seine spätere Amtsenthebung umso größeres Aufsehen verursacht. Unter seinen Zuhörern waren etwa König Georg IV., die Herzöge von York und Kent, Lord Brougham und Canning, viele Größen der Kunst, Wissenschaft und Politik. Diese strömten Sonntag für Sonntag zu der kaledonischen Kapelle. Diese konnte die Menschen bald nicht mehr fassen, und so mußte man auf dem Regent Square 1827 extra für Irvings Gemeinde eine neue Kirche bauen. Der Gottesdienst dauerte selten unter zweieinhalb Stunden.

Irving hatte mit der Kirchenleitung bereits ab 1827 Probleme bekommen. Er war Mitglied der schottisch- presbyterianischen Kirche, die einen strengen Calvinismus vertrat. Seine Christologie sei häretisch (eine Irrlehre), warf ihm seine Kirche vor. Im Oktober 1827 kam ein Mann in seine Sakristei und fragte ihn, „ob er in seiner Predigt den menschlichen Leib des Herrn als von sündlicher Substanz bezeichnet habe, ob er glaube, daß der Leib des Sohnes Gottes sterblich, verderbt und vergänglich, wie jeder Menschenleib, gewesen sei?“ Und als er das bejaht hatte, erschien kurz darauf eine Schrift von eben diesem Mann namens Cole, der ihn öffentlich dieser Irrlehre beschuldigte. Irving mußte antworten mit der Verteidigungsbroschüre „Christi Heiligkeit im Fleisch“.

Irvings Christologie ist tatsächlich so beschaffen, daß er sehr stark die Menschlichkeit Jesu betont, kaum die Göttlichkeit. Er betrachtet Christus als Repräsentanten der Menschheit, der uns alle verkörpere. Christus sei nur deshalb Christus, weil in ihm der Geist Gottes wohne. Die Geistestaufe mache ihn zu dem, der er sei – und diese könnten wir auch alle erlangen. Irvings Geistbegriff besagt, daß der Geist Gottes die menschliche Natur Christi erfüllt und ihn dadurch zu übernatürlichen Taten befähigt habe. Christus habe das vorweggenommen, was nun jeder Mensch erlangen könne, wenn auch nicht in der Vollkommenheit wie Christus. Irvings Christologie – so möchte ich an dieser Stelle anmerken – ist zwar nicht repräsentativ für die Christologie der Katholisch- Apostolischen Kirche, auch nicht der Neuapostolischen Kirche und auch nicht der Pfingstbewegung, aber eine Schwerpunktverlagerung von der Bedeutung Jesu Christi auf die Bedeutung des Heiligen Geistes ist bei all diesen – in sich unterschiedlichen – Gruppen festzustellen.


Als Irving im Mai 1828 in Edinburgh/Schottland, in seiner Heimat, weilte, lernte er den Geistlichen John Campbell kennen. Dieser John Campbell stammte aus der bereits erwähnten Familie Campbell aus Gairloch im Norden Schottlands. John Campbell hatte auch Probleme mit seiner Kirche und befürchtete, seines Amtes enthoben zu werden, was allerdings erst drei Jahre später, 1831, eintrat. Er lehrte die Ansicht, die gegen den strengen Calvinismus mit seiner doppelten Prädestinationslehre stand, nämlich daß Gott alle Menschen so liebe, daß er für alle seinen Sohn in den Tod gegeben habe. Da Christus für alle gestorben sei, könne er allen vergeben und sie vom Gericht freisprechen. Es existiere also keine Vorherbestimmung zum Heil oder zur Verdammnis, sondern Gottes Liebe gelte universal (Allversöhnung oder Heilsuniversalismus). Durch den Kontakt mit John Campbell und seiner Familie kam Irving auch mit den übernatürlichen Phänomenen in Berührung, die oben bereits geschildert wurden.


Durch die Vermittlung Irvings und anderer Personen kamen diese Gaben der Weissagung, des Zungenredens, der Heilung und Prophetie nach London. Anfang der dreißiger Jahre wurde dort in Gebetsstunden um das Ausgießen des Heiligen Geistes in seiner Fülle gefleht. Die Person, die dazu gebraucht wurde, war zunächst einmal die Frau des Rechtsanwaltes Cardale. Frau Cardale weissagte und sagte: „Der Herr kommt bald, er kommt, er kommt.“ Wir müssen rückblickend sagen: Das ist damals nicht eingetroffen! Insofern haben sich diese „Weissagungen“ als doch nicht von Gott inspiriert erwiesen. Irving aber duldete sie in zunehmendem Maß in seiner Gemeinde. 


1830/31 traten drei Zungenrednerinnen in London auf: Mrs. Cardale, die zunächst in Hausversammlungen in Zungen redete; Maria Caird, geb. Campbell, die sich zusammen mit ihrem Gatten William Caird einige Zeit bei Irving aufhielt, dann aber wieder nach Schottland zurückkehrte; und eine Ms. Hall, welche die erste war, die während der öffentlichen Sonntagsgottesdienste in der Regent Square Church in Zungen redete. Und das führte zu Tumulten, Sensationsgier und Auseinandersetzungen in der Kirchengemeinde, in der Presbyterianischen Kirche und schließlich zur Amtsenthebung Irvings. Irving hat nach anfänglichem Zögern dieses öffentliche Zungenreden und die Unterbrechung des Gottesdienstes durch Weissagungen gestattet. Ein Augenzeuge beschreibt die damaligen Vorkommnisse folgendermaßen:

„Ich ging zur Kirche … und war wie gewöhnlich durch Irvings Vorträge und Gebete sehr befriedigt und erbaut; plötzlich aber wurde ich unerwartet unterbrochen durch die wohlbekannte Stimme einer der Schwestern, welche, nicht im Stande sich länger zurückzuhalten und die kirchliche Ordnung scheuend, in die Sakristei eilte und dort dem Ausbruche freien Lauf ließ, während eine andere, wie ich hörte, aus demselben Antrieb das Seitenschiff entlang und durch die Haupttür zur Kirche hinauseilte. (Man muß also feststellen, es sind zwanghafte Handlungen. Es ist zu bezweifeln, ob der Geist Gottes Menschen wirklich so zwingt. L.G.)
Die plötzlichen kläglichen und unverständlichen Töne wurden von der ganzen Versammlung gehört und verursachten die äußerste Verwirrung. Das Aufstehen, das Verlangen, etwas zu sehen, zu hören und zu verstehen von jeder der anwesenden 1.500 oder 2.000 Personen machte einen Lärm, den man sich leicht vorstellen kann. Mister Irving bat um Aufmerksamkeit und als die Ordnung wieder hergestellt war, erklärte er den Vorfall, von dem er sagte, daß er nicht neu sei, ausgenommen in dieser Versammlung, wo er die Sache einzuführen lange geschwankt habe. (In den Nebenräumen sowie bei den Abend- und Hausversammlungen gab es diese Phänomene schon vorher.) … Da aber die Sache nun nach Gottes Willen zum Vorschein gekommen sei, fühle er sich verpflichtet zu gehorchen. (Gott zu gehorchen, wie er meinte. Und er legte nun spontan in diesem Gottesdienst das 14. Kapitel des Korintherbriefes aus, wo es u.a. um das Zungenreden geht.) Die Schwester kehrte eben von der Sakristei auf ihren Sitz zurück und Irving, der sie von seinem Pult aus bemerkte, sagte zu ihr mit freundlichem Tone: ‘Sei getrost, meine Schwester, sei getrost!’ Dann fuhr er in seiner Predigt fort.“


Im Abendgottesdienst desselben Tages ging es dann noch stürmischer zu. Es gab wüste Tumulte. Und dann heißt es: „Mister Irving hatte seine Predigt fast zu Ende, als eine von den Damen sprach. Das Volk hörte einige Minuten verhältnismäßig ruhig zu. Plötzlich aber fing eine Anzahl Burschen auf der Galerie an zu zischen, dann rief einer Ruhe! und der eine dies, der andere das, bis die Versammlung, ausgenommen die, welche fest im Glauben an Gott standen, in äußerster Bewegung war … Irving erhob sich sofort und sagte: ‘Lasset uns beten!’ Er tat dies, indem er hauptsächlich die Worte: ‘O Herr, stille das Volk!’ wieder und wieder mit fester Stimme sprach.“ Von nun an wurde das Zungenreden und Prophezeien in Morgengottesdiensten zugelassen, die extra anberaumt wurden. Irving äußerte, er habe „den Verlust von Menschenleben gefürchtet und ein so kostbares Ding wolle er nicht noch einmal in Gefahr bringen“.

Nun kam es zum Prozeß gegen Irving, weil er diese Vorkommnisse duldete. In der Anklage berief sich die Presbyterianische Kirche auf ihre Gottesdienst Ordnung, in der es hieß:
„Sobald der öffentliche Gottesdienst angefangen hat, hat jeder seine ganze Aufmerksamkeit darauf hinzurichten, darf nichts lesen, außer was der Geistliche verliest oder zitiert; er hat sich noch mehr vor allem Flüstern, allem Verkehr mit anderen usw. und vor allem unpassenden Betragen, welches den Geistlichen oder das Volk stören oder sich und andere vom Gottesdienst abhalten könnte, zu hüten.“ Es soll also völlige Konzentration auf das Wort Gottes herrschen, was auch durchaus zu begrüßen ist. Und wenn Tumulte entstanden und Irving Ursachen duldete, welche diese herbeiführten, mußte er mit Konsequenzen rechnen.

Ein zweites Argument gegen Irving war mehr theologisch- grundsätzlicher Natur: Die reformierte Westmister-Konfession hält daran fest, daß die Offenbarung Gottes in Form der Bibel vorliegt und als solche abgeschlossen ist, daß also keine neuen Offenbarungen notwendig sind. So heißt es: „Der ganze Rat Gottes … ist entweder ausdrücklich in der Schrift niedergelegt oder kann durch rechte und genaue Folgerungen aus der Schrift abgeleitet werden; niemals und nirgends ist etwas dazu zu setzen weder durch neue Offenbarungen des Geistes, noch durch menschliche Traditionen.“

Irving hielt dagegen: „Wenn das das Werk des Geistes ist, wer könnte es hindern?“ Und er warf der Kirchenleitung vor, sie stelle gar nicht die Frage, ob das jetzt der Geist Gottes wirke, sondern gehe mit Formgründen gegen ihn vor. Dem könne er sich nicht fügen. „Ist dies das Werk des Heiligen Geistes, die Stimme Jesu in seiner Kirche, wer bin ich, daß ich sie hindern könnte?“, argumentierte er.

Die Anklageschrift der „Trustees“ (das sind die Verantwortlichen für das Kirchengebäude), betonte, Irving würde dulden und erlauben, daß öffentliche Gottesdienste gestört werden, unterbrochen von Personen, die weder Prediger noch Lizentiaten der Kirche Schottlands seien. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, daß Frauen in der Kirche sprechen dürften. Und schließlich, daß er diese Unterbrechungen erlaubt habe. Irving bestritt diese Vorwürfe nicht, wertete die darin genannten Vorkommnisse aber völlig anders:

„Unser Morgendienst wird von ziemlich tausend Menschen besucht, und die Ordnung ist die schönste. Ich rufe den göttlichen Segen an, dann singen wir, ich lese und erkläre ein Kapitel; der Geist bestätigt die Auslegung oder gibt Zusätze und Ermahnungen, nicht zur Unterbrechung, sondern zur Stärkung des Amtes. Dann betet einer von uns Predigern, oder von den Ältesten oder anderen Brüdern, und ich halte kurze Ansprachen mit Pausen dazwischen, in denen der Geist redet durch einen, auch durch zwei oder dreie, Worte, die ich dann aufnehme, auslege, anwende, kurz, so gut mir gegeben wird, zur Erbauung der Gemeinde verwerte.“

Irving hatte also eine ganz neue Gottesdienstform eingeführt, die natürlich nicht mit der traditionellen Vorstellung der schottisch- presbyterianischen Kirche vereinbar war. Irving predigte und wurde unterbrochen und legte dann das von den „inspirierten“ Personen Gesagte aus. Der Predigtverlauf wurde also immer wieder umgelenkt durch die „direkte Geisteswirkung“.

Irvings Verteidigung konnte seine Amtsenthebung nicht verhindern. Es kam zum Prozeß. Im Mai 1832 wurde ihm untersagt, in der Kirche am Regent Square weiterhin lehren zu dürfen. Und dann, wenige Tage später, mietete er einen Saal in London, in dem auch der Utopist Robert Owen seine Vorträge gehalten hatte, mit 800 Plätzen. Er hielt von nun an dort seine Versammlungen ab – oder eben auf den Plätzen und Straßen Londons unter freiem Himmel.

1833 (nach den ersten Apostelberufungen; s.u.) wurde dann ein noch schwerwiegenderes Urteil über Irving gefällt, welches zu seinem Ausschluß aus der schottisch- presbyterianischen Kirche führte. Der Grund war seine bereits erwähnte Irrlehre über die menschliche Natur Christi. Am Schluß der Prozeßversammlung geschah etwas Spektakuläres:

„Der Vorsitzende wollte eben das Urteil verkündigen und forderte ein Mitglied des Presbyteriums auf, zuvor ein Gebet zu sprechen, als von der Seite her, wo Irving stand, plötzlich eine Stimme erschallte: ‘Auf, zieh fort! Auf, zieh fort! Flieh hinweg! Flieh hinweg von ihr! Du kannst nicht beten! Wie kannst du beten? Wie kannst du beten zu Christo, den du verleugnest? Du kannst nicht beten! Hinweg, hinweg! Flieh, flieh!’ Allgemeine Verwirrung folgte. Da in der Kirche nur ein Licht brannte, wußte niemand, woher die Stimme kam. Endlich hob einer das Licht in die Höhe und entdeckte den Inspirierten, der sofort die Kirche verließ, gefolgt von Irving, der noch im Gedränge rief: ‘Hinaus, hinaus! Was? Wollt ihr der Stimme des Heiligen Geistes nicht gehorchen? Wer der Stimme des Heiligen Geistes gehorsam ist, gehe hinweg!’ Hiermit hörte Irving auf, ferner Geistlicher der presbyterianischen Kirche zu sein. Er ging nach London zurück und schloß sich der kleinen ‘Apostolischen Gemeinde’ in der Newman Street an.“

Irving lebte dann allerdings nur noch kurze Zeit. Im Herbst 1834, eineinhalb Jahre später, nachdem er vorher noch zum „Engel“, also zum Bischof der apostolischen Gemeinde, ernannt worden war, ist er aufgezehrt von diesen Kämpfen mit 42 Jahren verstorben. Er wurde in der St. Mungos Kathedrale in Glasgow bestattet, wo über seiner Grabstätte auf einem Gemälde die Figur Johannes des Täufers mit dem Angesicht Edward Irvings dargestellt wurde – Johannes der Täufer, der Christus vorausgeht und ihn ankündigt.

Irving selber wurde nicht „Apostel“, ist aber ein maßgeblicher Vorläufer und Impulsgeber der Katholisch- Apostolischen und Neuapostolischen Bewegung gewesen – auch wenn sich diese Gruppen in der Folgezeit zumeist von ihm distanziert haben, da sie mit seinen teilweise extremen Lehren und Ansichten nicht identifiziert werden wollten. Insofern ist auch die zum Schimpfwort gewordene Bezeichnung „Irvingianer“ für die apostolischen Gruppen problematisch und wird von diesen strikt abgewiesen.

Dennoch hat Irving unbestreitbare Einflüsse auf die apostolische Bewegung ausgeübt. Es wären zu nennen: die Wiederentdeckung der charismatischen Gaben, die Betonung des Heiligen Geistes, die Propagierung der Geistestaufe, die Erwartung der nahen Wiederkunft Jesu Christi. Nach Ansicht von Albrecht Weber war Irving nicht „Stifter“ der Katholisch-Apostolischen Gemeinden, sondern, „Herold“, „Verkünder“ und „Propagandist“. Die Stifter waren andere Personen, von denen im nächsten Abschnitt zu handeln ist.


Erste Propheten- und Apostelberufungen

Als Stifter der Katholisch-Apostolischen Kirche können der Londoner Bankier Henry Drummond und der Londoner Rechtsanwalt John Bate Cardale bezeichnet werden. Seit dem ersten Advent 1826 lud Drummond auf Anregung des anglikanischen Geistlichen Lewis Way jährlich für eine Woche 30-50 Geistliche und (nach bestimmter Art ausgewählte) Laien auf seinen Landsitz Albury Park (ein Schloß in der Nähe von Guildford südwestlich von London) ein. Nach welchen Kriterien wurden diese Männer eingeladen? Nicht nach ihrer Konfession, sondern danach, ob sie eine eschatologische Naherwartung hatten und sich in dieser Hinsicht prophetisch mit der Heiligen Schrift beschäftigen wollten. Unter diesen Eingeladenen war auch Edward Irving.

Henry Drummond war derjenige „Prophet“, der im Gefolge dieser Konferenzen den ersten „Apostel der Neuzeit“ ausgerufen hat, nämlich John Bate Cardale. Drummond (1786-1860) war nicht nur als Bankier, sondern auch als Parlamentsabgeordneter einflußreich, ein Aristokrat mit großem Vermögen. Er hatte schon vor seiner „apostolischen“ Zeit viel für die Reichgottesarbeit getan, und zwar hatte er zwei Missionsgesellschaften gegründet. 1818 hatte er die „Festlandsgesellschaft zur Bekämpfung des Unglaubens“ initiiert. Diese schickte fünfzehn Jahre lang Missionare in mehrere europäische Staaten. Von 1818 bis 1836 ist ihre Aktivität belegt. Man wollte gegen den Unglauben kämpfen in Frankreich und Italien, gegen den Sozinianismus und Arianismus in der Reformierten Kirche, gegen die Neologie und den Rationalismus sowie gegen den Spiritismus. Das zweite Missionsunternehmen, das Drummond begründet hatte, war die ungefähr auch in dieser Zeit ins Leben gerufene „Society for Promoting Christianity Among the Jews“ (Gesellschaft zur Verbreitung des christlichen Glaubens unter den Juden). Diese setzte sich ein für die endzeitliche Bekehrung des Volkes Israel zu Christus.

Und nun hatte Drummond seit 1826 ausgewählte prophetisch- eschatologisch interessierte Geistliche und Laien eingeladen, vor allem einflußreiche Personen aus dem gehobenen Bürgertum und der Aristokratie. Und diese beschäftigten sich bei den Albury-Konferenzen u.a. mit folgenden Themen:

• mit der Lehre der Heiligen Schrift über die Zeiten der Heiden, die auslaufen werden nach Lukas 21, 24 und Römer 11, 25, und über die gegenwärtige Haushaltung Gottes;
• mit der Lehre über die Juden, über das Schicksal Israels;
• mit der Lehre von der zweiten Ankunft (Wiederkunft) Christi;
• mit der Reihenfolge der Ereignisse, die der Wiederkunft vorausgehen.

Die Ergebnisse, welche die Albury-Konferenzen hervorbrachten, lassen sich in sechs Punkten zusammenfassen:

1. Die gegenwärtige christliche Haushaltung (dispensation) (Epoche) wird nicht durch eine immer mehr zunehmende Kraft und Ausbreitung der Predigt des Evangeliums zuletzt unmerklich in das Gottesreich übergehen, sondern durch schwere Gerichte, die auf die Zerstörung des jetzigen Kirchen- und Staatswesens abzielen werden, in ähnlicher Weise endigen wie ehemals die jüdische Haushaltung.“  (Man kann diese Lehrmeinung als prämillenniaristischem Dispensationalismus kennzeichnen. Dieser vertritt eine Abstufung der Heilsgeschichte in Epochen, z.B.:

- Epoche der jüdischen Haushaltung

– Epoche der christlichen Haushaltung
– Epoche der Endzeit.

Diese Ansicht tritt in Gegensatz zum Postmillenniarismus, der das Kommen des Reiches durch die menschliche Leistung und Höherentwicklung erwartete. Hier aber geht es durch Gerichte hindurch; dann erst erfolgt die Wiederkunft Christi – und ganz am Ende richtet Christus selbst sein Reich auf.)

2. „Im Verlaufe der auf die Christenheit herabtriefenden Gerichte werden die Juden ihrem Lande zurückgegeben und als Volk wiederhergestellt werden.“ (Auch diese Lehre besitzt eine biblische Grundlage. Die Erwartung hat sich inzwischen tatsächlich erfüllt: 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen.)

3. „Die Gerichte aber … beginnen bei dem Teile der Kirche, welcher bis dahin am meisten begünstigt war und darum auch am meisten verantwortlich ist.“ (Damit ist z.B. in England die Staatskirche gemeint.)

4. „Auf die Gerichte wird eine Periode allgemeiner Glückseligkeit … für die gesamte Menschheit, ja sogar für die Tiere folgen, die gemeinhin als das tausendjährige Reich (Millenium) bezeichnet wird.“ (Millenniarismus oder Chiliasmus).

5. „Die Parusie (second advent) (Wiederkunft) Christi geht dem tausendjährigen Reich voraus oder tritt zum Beginn desselben ein.“(Prämillenniarismus: Christus kommt wieder vor dem Millennium, vor dem Tausendjährigen Reich.)

6. „Eine große (apokalyptische) Periode von 1260 Jahren, die unter der Regierung Justinians begann, ist zur Zeit der französischen Revolution abgelaufen; von dieser Zeit an begann die Ausschüttung der Zornschalen gemäß der Offenbarung Johannes; Christus wird bald erscheinen …“ (Hier hat man gerechnet. Man hat Justinian als Ausgangspunkt gesetzt und ist dann auf die Französiche Revolution als Beginn der Endzeitgerichte gekommen. Dabei erwartet man Christus bald. Neue Apostel – so die spätere Ansicht – werden ihm den Weg bereiten, und Irving wird als Johannes der Täufer betrachtet, der Christus und seinen Aposteln vorangeht.)

Der letzte Punkt ist sicherlich der problematischste. Die Albury-Konferenz löste sich dann auch auf, als die Katholisch- Apostolische Kirche entstand. Aber sie war die Keimzelle dafür. Der Pfarrer Hugh MacNeil, seit 1822 Rektor in der anglikanischen Gemeinde von Albury, hatte als Chairman fungiert. Obgleich er intensiv die Wiederkunft Christi predigte und auch das Gebet um die Wiederherstellung der Fülle urchristlicher Geistesgaben empfahl, änderte er später seinen Sinn und zog sich vollends vom Kreis um Drummond zurück, als die „apostolische“ Lehre sich entwickelte.

Wie kam es zur „ersten Apostelberufung der Neuzeit“? Die „charismatisch Erweckten“ waren am Anfang der Dreißiger Jahre zunehmend aus ihren Kirchen ausgeschlossen wurden, auch Cardale durch seinen Ortsgeistlichen MacNeil. Er und Drummond konnten nicht mehr in ihre Gemeinden gehen. Sie zogen sich zurück.

Und nun geschah folgendes: Henry Drummond wurde am 20. Oktober 1832 durch eine „Prophezeiung“ zum „Hirten“ der Gemeinde Albury berufen, die damals etwa fünfzig Personen zählte. Es war eine Art Hausgemeinde. Aber Drummond trat dieses Amt des Hirten nicht an, weil er überzeugt war, daß ihm noch die Ordination, die Amtseinsetzung durch Handauflegung (mit Geistübertragung) fehle.

Nun geschah es aber, daß am 31. Oktober 1832 der Londoner Rechtsanwalt John Bate Cardale durch ein „prophetisches Wort“ als „Apostel“ angesprochen wurde. (Die Amtsbezeichnungen der Katholisch-Apostolischen Kirche, der Neuapostolischen Kirche und ähnlicher Gemeinschaften sind im folgenden immer in Anführungsstrichen zu denken.) Cardale hatte gebetet, daß die Versammlung im Hause Drummonds angetan werde mit der Kraft aus der Höhe. „Während er da noch kniete, hingenommen im Geiste, erhob sich Drummond und redete ihn an mit unbeschreiblicher Macht und Würde: ́Bist du nicht ein Apostel! Warum spendest du nicht den Heiligen Geist?`”  ((Roßteuscher 1886, S. 346) Er fügte dann noch manches hinzu von der „Fülle der Gnade“, die der Herr auf das Apostelamt gelegt habe und weiteres. Aber das war noch nicht die letztgültige Berufung. Man traf sich wieder, eine Woche später, am 7. November 1832, in der gleichen Wohnung, in dem Schloß, und der Ruf wiederholte sich.

Und nun, so wird berichtet, „ereignete sich einer jener unheimlichen Zwischenfälle, durch welche die Reinheit der Eingebung bedroht und schließlich nur bewährt wurde.“ Was geschah?
„Ein junger Arzt von London weissagte anscheinend harmlos, imgrunde nicht aus Gott, bis Drummond, dem die Gabe der Geisterunterscheidung mit durchdringender Schärfe beiwohnte, das verborgene Wirken des Argen (des Teufels) erkannte und in Geisteskraft dem Sprecher Schweigen gebot. Dann aber, da Cardale eingefallen war mit Flehen im Geiste um Befreiung der Gebundenen, trat (der Prophet) Taplin vor ihn mit gewaltigem Rufen: ‘So schilt doch den Satan, da du ein Apostel Christi bist! Treibe die bösen Geister aus und befreie Gottes Kinder!’
Und im weiteren Fluge wies die prophetische Rede auf die ewige und unveränderliche Gnade, die durch das apostolische Amt den Argen aus allen Grenzen der Kirche bannen und Seine Auserwählten vom Übel erretten, ja mit den Schätzen des Himmels zieren werde im Heiligen Geiste, mit welchem Gott seine Kinder versiegeln wolle von nun an.“ (Roßteuscher, 1886, S.346)

Der 30jährige Londoner Rechtsanwalt Cardale wurde also 1832 zum ersten „Apostel der Neuzeit“ oder „Endzeit“ berufen – zunächst von seinem Freund Henry Drummond und dann bestätigt von dem späteren „Pfeilerpropheten“ Taplin. Nun nahm die Geschichte ihren Lauf. Am Heiligabend 1832 ordinierte Cardale den Prediger William Caird (den Ehemann von Maria Campbell; s.o.) zum Evangelisten und zwei Tage später Henry Drummond zum Hirten. Dieser erhielt nun seine ersehnte Ordination, und damit begann der Aufbau einer priesterlichen Ämterordnung oder Hierarchie. Edward Irving übrigens befand sich im Blick auf seine überragenden Fähigkeiten in einer gewissen Demütigung, weil er nicht zum Apostel berufen wurde, sondern nur zum Bischof. Er starb dann auch bald darauf (s.o.). Aber gleichzeitig mehrten sich die Berufungen zu Apostelämtern.

Folgende Männer wurden zu Aposteln berufen:

• am 25. September 1833 Henry Drummond;
• am 18. Dezember 1833 der königliche Beamte am Londoner Tower, Henry John King-Church;

• im gleichen Monat der Parlamentarier und Sohn eines englischen Staatsministers, Spencer Perceval;
• im Januar 1834 der ehemalige anglikanische Geistliche Nicholas Armstrong;
• am 13. August 1834 der Londoner Rechtsanwalt Francis Valentine Woodhouse (der längstlebende Apostel, der erst 1901, mit 96 Jahren, verstorben ist).


Damit war im Sommer 1834, also eineinhalb Jahre nach der Berufung Cardales, die Zahl „Sechs“ erreicht. Das Ziel blieb aber die Vollzahl, die „Zwölf“ – analog zum Apostelkreis um Jesus. So wurde Cardale vom „Geist“ angewiesen, mit dem Propheten Taplin die Gemeinden zu besuchen, die sich immer mehr bildeten, damit Gott weitere Apostel bezeichnen solle. Und so wurden im Jahre 1835 sechs weitere Männer zu Aposteln berufen: der Schriftsteller John Owen Tudor, der ehemalige anglikanische Pfarrer Henry Dalton, der schottische Adlige und Rechtsgelehrte Thomas Carlyle, der adlige Gutsbesitzer und Hauptmann Francis Sitwell, der ehemalige schottische presbyterianische Geistliche William Dow und der Apotheker und Arzneimittelgroßhändler Duncan Mac Kenzie. Der zuletzt berufene Apostel MacKenzie gilt als der „Judas“ in diesen Kreisen, weil er fünf Jahre später seine Apostelberufung zwar weiterhin anerkannte, aber sich von der Amtsausübung wegen Auseinandersetzungen zurückzog. Das sind also die zwölf „Apostel der Endzeit“ aus der Katholisch- Apostolischen Bewegung.

Aussonderung der Apostel

Ein weiteres wichtiges Datum war der 14. Juli 1835. Nachdem alle zwölf Apostel „bezeichnet“ waren, wurden sie an diesem Datum „ausgesondert“. Die Aussonderung war die Amtseinführung durch die Handauflegung sämtlicher in London bereits eingesetzten „Engel“ und „Erzengel“ (Bischofsämter). Es handelte sich dabei um Bischöfe der sieben Gemeinden in London (symbolische Siebener-Struktur), die zumeist nach Stadtteilen benannt waren: Zentralgemeinde, Bishopsgate, Southwark, Chelsea, Islington, Paddington und Westminster. Als die Apostel ausgesondert waren, zogen sie sich ein Jahr lang nach Albury auf den Schloßsitz von Drummond zurück, um sich auf ihre Aufgabe vorzubereiten, die Welt mit der neuen Apostellehre zu durchdringen.

Bei den katholisch-apostolischen Apostelversammlungen führte der „Pfeilerapostel“ Cardale als Erstberufener zwar den Vorsitz, aber es gab noch kein Stammapostolat mit einer absoluten Regierungsgewalt wie später in der Neuapostolischen Kirche. Vielmehr galt Cardale als „Gleicher unter Gleichen“. Taplin war „Pfeiler der Propheten“, und es gab je einen Pfeiler der Evangelisten und Hirten, die „Gleiche unter Gleichen“ sein sollten.
In diesem Jahr der Stille trafen sie sich täglich zu Bibelbetrachtungen, die allerdings mit Hilfe von sieben Propheten betrieben wurden, d. h. die Propheten erschlossen den Aposteln durch ihre Eingebungen den „Geist der Schrift“, oft auch allegorisch.


Diese zwölf Apostel repräsentierten nach ihrer eigenen Vorstellung die zwölf Stämme des „geistlichen Israels“, also der Gemeinde. Gott sollte die Christenheit unter ihnen, die allesamt Bewohner der Britischen Inseln waren, aufteilen. Deshalb wurde die Christenheit in zwölf Stämme gegliedert und jedem Apostel ein Stamm zugeteilt: 

• Cardale erhielt England und Amerika als den Stamm Juda.
• Drummond erhielt Schottland und die protestantische Schweiz, den Stamm
• Benjamin.
• Perceval erhielt Italien, den Stamm Manasse.
• King-Church erhielt Dänemark, Niederlande und Belgien als Isaschar.
• Armstrong erhielt Irland, Griechenland und den Orient als Sebulon.
• Woodhouse erhielt Süddeutschland und Österreich, den Stamm Ruben.
• Tudor erhielt Polen, Indien und Australien als Ephraim.
• Dalton erhielt Frankreich und den katholischen Teil der Schweiz: Asser.
• Carlyle erhielt Norddeutschland: Simeon.
• Sitwell erhielt Portugal und Spanien: Naphtali.
• Dow erhielt Rußland, Finnland und das Baltikum: Dan.
• MacKenzie erhielt Norwegen und Schweden: Gad.



Die kirchliche Herkunft dieser „Apostel“ war übrigens unterschiedlich. Die meisten waren Anglikaner. Es gab aber auch einen Freikirchlichen (Henry John King-Church), Independisten, Kongregationalisten und Schottisch-Presbyterianische.

Carlyle berichtet offen über die Probleme des Anfangs: „Niemand wußte, was ein Apostel sei, welche Pflichten und Verpflichtungen mit diesem Amte verbunden seien. Wir mußten alles wie Kinder lernen, wir mußten alle in die Schule gehen, und manchmal in eine sehr schwere Schule. Nun entstand die Frage, wie das apostolische Amt ausgeübt werden sollte. Wir sahen: Alle anderen Ämter werden durch Apostel eingesetzt, aber die Apostel allein durch den Herrn.“

Die Apostel also fürchteten ihre Unwissenheit. Wie Kinder mußten sie erst lernen. Anfangs hatten sie ja die Vollzahl noch nicht erreicht, lebten zum Teil noch in ihren alten Gemeinden – und das Apostelamt bedeutete einen riesigen Bruch in ihrem Leben. Mit der Aussonderung war nun ein neuer Schritt erreicht. Sie waren von allen bisherigen Verpflichtungen befreit und für ihren Dienst freigestellt. 


Das Testimonium der Apostel

Auf die weiteren Tätigkeiten der katholisch- apostolischen Apostel kann ich aus Platzgründen nicht mehr eingehen. Es sei lediglich erwähnt, daß sie sich seit 1835 mit verschiedenen Aufrufen („Testimonium“) an geistliche und weltliche Führer der Erde wandten, um auf die Endzeit, die zu erstrebende Einheit und Sammlung der Christen und das dazu dienliche wiederaufgerichtete Apostelamt hinzuweisen. Die Resonanz bei den Adressaten war äußerst gering, die Reaktion fast durchweg ablehnend, da keiner bereit war, die Autorität dieser Männer als „Apostel“ anzuerkennen.

Nachfolgend zur Illustration ein Ausschnitt aus dem „Zeugnis der Apostel an die geistlichen und weltlichen Häupter der Christenheit“ aus dem Jahre 1836:
„Und schon hat Er (Gott) sich aufgemacht, Sein Heiligtum wieder zu bauen, die zerfallene Hütte Davids, Seinen Wohnsitz in Zion. Von da geht Sein Zeugnis an alle Getauften, ausgerichtet von zwölf Männern, die durch den Heiligen Geist zu Aposteln berufen und aus den Orten ihrer Geburt ausgesondert worden sind für den Dienst Christi in allen Landen. Ihr Amt wird es sein, durch den Glauben und das anhaltende Gebet des Volkes Gottes allen Getauften den Segen auszuspenden, den Jesus, der Apostel Seiner Kirche, durch Apostel geben möchte … Dies ist keine neue Sekte: es ist Gottes Werk, um Seinen Segen der ganzen Christenheit, der ganzen getauften Welt, mitzuteilen … In der ganzen Christenheit, Gesetzlosigkeit: hier Unterwerfung unter die Autorität; außerhalb, Spaltung und Sekten: hier Ein Leib, einig im Glauben, mit Lehrern, die einmütig dasselbe lehren. Draußen, Schulen des Antichrists unter dem Vorsitz von Häuptern, die sich das Volk selbst erwählt hat: hier, Ein Leib, regiert durch Ämter, die nicht vom Volke eingesetzt, sondern von Gott gegeben sind.“ (Nach Roßteuscher, 1886, S. 82+87)


Aussterben der Apostel und Krise

1855 starben innerhalb kurzer Zeit drei der ersten „Apostel der Neuzeit“: Thomas Carlyle, William Dow und Duncan MacKenzie. Das war für die Katholisch- Apostolische Kirche eine Überraschung – hatte man doch zunächst noch die Wiederkunft Christi zu Lebzeiten aller Apostel erwartet. Nun aber stellte sich die Frage, ob man neue Apostel in diese Ämter berufen solle, und man entschied bereits damals bei den Katholisch-Apostolischen, keine neuen Apostel zu berufen. Die Bewegung, die das jedoch tat, war die spätere Neuapostolische Kirche mit ihren Vorläufer-Gruppen. Wie kam es dazu?


Heinrich Geyer und die „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“ 


Neue Apostelberufungen
Der „Vater“ der neuen – deutschen – Apostel war ein sogenannter „Prophet“ aus der Katholisch- Apostolischen Bewegung, und zwar ein Prophet, der auch an der Seite von Woodhouse war, dem zuletzt noch lebenden Apostel der Katholisch- Apostolischen Kirche. Dieser Prophet, der sehr einflußreich war, hieß Heinrich Geyer. Er ist im Grunde der Mann, der den Impuls gab zur Entstehung der Neuapostolischen Gemeinde oder Kirche, die damals allerdings noch nicht so hieß. Die spätere Neuapostolische Kirche ist wieder eine Abspaltung von der Gruppe, die Geyer begründet hatte. Die historische Linie lautet: Katholisch- Apostolisch Kirche, „Geyerianer“ („Allgemeine Christliche Apostolische Mission“), und dann die Neuapostolischen.
Wie ist die Entwicklung im einzelnen verlaufen?

Wir betrachten zunächst die Persönlichkeit Heinrich Geyers.

Heinrich Geyer, geboren 1818 in Hardechsen bei Göttingen, war Gerichtsschreiber und Volksschullehrer in Wollbriehausen bei Ußlar. Er hatte Kontakt mit der Bewegung Johann-Hinrich Wicherns (Innere Mission). In Wollbriehausen hatte er das Heim Bethesda für verwahrloste Kinder gegründet. Um 1848/49 kam er in Kontakt mit der Katholisch- Apostolischen Kirche, also mit 30 Jahren, indem er irrtümlich mit der Post eine Schrift des ehemaligen katholisch-apostolischen Pastors Albert Köppen zugesellt erhielt. Als er sich der Katholisch- Apostolischen Kirche anschloß und zu ihr bekannte und auch im Schuldienst öffentlich für sie eintrat, wurde er entlassen. Einige Jahre später wurde er als Korrektor bei der Neuen Preußischen Zeitung in Berlin angestellt von dem Direktor Herrmann Wagener, der zur Katholisch-Apostolischen Bewegung gehörte. 1849 wurde er Unter-Diakon, 1850 wurde er Priester. Seine Priesterweihe erhielt er übrigens zusammen mit dem später auch einflußreichen Apostel Friedrich Wilhelm Schwarz durch den englischen Apostel Thomas Carlyle. 1852 wurde er Bischof („Engel“) in der Katholisch- Apostolischen Kirche. Geyer hat angeblich die Gaben der Prophetie, der Glossolalie und der Krankenheilung besessen. Er war äußerst einflußreich – nicht nur publizistisch, son- dern auch innerhalb der Katholisch- Apostolischen Kirche im deutschsprachigen Bereich. Als maßgeblicher „Prophet“ im „Stamm Norddeutschland“ hat er fast alle Priester und Engel in Norddeutschland zwischen 1852 und 1862 berufen, auch einige in Süddeutschland und in der Schweiz.

1860 kam es zu einem entscheidenden Ereignis in Albury, auf dem Sitz des Bankiers Drummond, der zusammen mit Cardale ja der Begründer der Katholisch-Apostolischen Bewegung war. Am 30. Mai 1860 fand eine Konferenz auf dem Gut in Albury statt – und da weissagte der Prophet Heinrich Geyer folgendes: „Sehne dich nach den Aposteln, welche deine Stühle verlassen haben! Der Herr gibt dir zwei Apostel auf die leeren Stühle zum Unterpfand, daß er auch die übrigen noch besetzen wird, daß eure Schultern nicht zerbrechen, nämlich: Charles Böhm und William Caird als Apostel, denn sie sind als treue Mitarbeiter erfunden worden.“

Geyer berief unter Behauptung einer direkten angeblichen Eingebung des Heiligen Geistes zwei Mitglieder der Katholisch- Apostolischen Kirche als neue Apostel anstelle der bereits Verstorbenen. Das war problematisch, denn die anderen Apostel hatten sich ja schon früher die Meinung gebildet, daß man keine neuen berufen wollte. Auch jetzt berieten sich die noch lebenden Apostel in Albury. Woodhouse als der Längstlebende hat sich immer geweigert, neuberufene Apostel anzuerkennen.

Woodhouse fragte Geyer bereits nach seiner Prophezeiung im Jahre 1860, als insgesamt noch sieben Apostel von den Erstberufenen lebten: „Haben Sie die Meinung, daß diese zwei Männer jetzt wirklich Apostel sind?“ Geyer antwortete sehr vorsichtig: „Die Apostel haben verordnet, daß die Propheten kein Urteil haben sollen über das Ergebnis ihrer Weissagungen, sondern die Apostel haben das Urteil zu fällen. Ich weiß nur, daß dieses Wort vom Heiligen Geist war, wofür ich verantwortlich bin. Alles übrige überlasse ich den Aposteln..“ Darauf Woodhouse: „Die Apostel verwerfen diese und jede andere Rufung von Aposteln, weil die jetzigen Apostel ausreichen werden bis zur Wiederkunft Christi.“ (Neue Apostelgeschichte, S.167)

Diese Antwort offenbarte eine starke Naherwartung der Wiederkunft Jesu Christi. Die Apostel hatten die Vorstellung: Wir Zwölf, zumindest der Rest von uns, wird leben, bis der Herr wiederkommt.

Geyer als Prophet hatte grundsätzlich das Recht, neue Apostel zu berufen. Das stand den Propheten zu, denn auch der erste, Cardale, war ja von Drummond prophetisch berufen worden. Aber nun wurde die Notwendigkeit neuer Apostelberufungen verneint. Das Recht bestand, aber die Notwendigkeit wurde verneint, weil der Herr ja noch zur Lebzeit der ersten zwölf Apostel der Neuzeit wiederkommen würde – eine Erwartung, die dann freilich nicht eingetroffen ist.
Im Hintergrund stand auch Offenbarung 4, 4, wo von den „24 Ältesten vor dem Throne Gottes“ die Rede ist. Man sagt in der Katholisch- Apostolischen Bewegung, daß die ersten Apostel der Alten Kirche zwölf sind und die Apostel der Endzeit auch zwölf sind, und das ergibt zusammen diese „vierundzwanzig Ältesten“. Deshalb könne man nicht mehr Apostel berufen.

Die Apostel in Albury waren also fest entschlossen, keinen Apostel mehr aufzunehmen in ihren Kreis. In der „Geschichte der Neuapostolischen Kirche“ heißt es aus der Sicht der heutigen Neuapostolischen hierzu: „Sie haben durch dieses kurzsichtige und menschliche Verhalten bewiesen, daß sie ebenso fehlbare und schwache Menschen waren wie die ersten Apostel der Urkirche, trotz ihrer hohen Stellung im Reich Gottes.“
Plötzlich wird die Vollmacht der katholisch- apostolischen Apostel sehr reduziert, weil sie eben hier nicht im Sinne der späteren Neuapostolischen gehandelt haben.

Woodhouse seinerseits sagte damals über Geyer: „Einige Worte durch Herrn Geyer gesprochen und von ihm selbst so gedeutet, sind von den Aposteln teils ganz anders erklärt, teils sofort als unecht abgewiesen worden.“ Also die Apostel beanspruchen hier die Vollmacht, die Lehre letztendlich zu entscheiden, ob sie zutrifft oder nicht.

Nun gab es weitere Schritte. Die von Geyer berufenen „neuen Apostel“, Caird und Böhm, wurden von den alten Aposteln abgelehnt. Sie wurden allerdings, um die Sache gütlich zu lösen und eine Spaltung zu vermeiden, als Apostel-Co-Adjutoren eingesetzt, als Apostel-Helfer oder -Stellvertreter, welche aber nur im Auftrag der lebenden Apostel handeln durften. Wenn ihr jeweiliger beauftragender Apostel starb, war auch ihr Auftrag zu Ende.

Aber Geyer gab nicht auf. 1862, zwei Jahre später, war der Pfeiler-Prophet Oliver Taplin gestorben. Nun bekam Geyer einen noch größeren Einfluß. Er war jetzt auf dem Höhepunkt seiner Amtstätigkeit.

Nun weilte er zusammen mit Woodhouse, Böhm und dem Marburger katholisch-apostolischen Professor Thiersch in Königsberg, Ostpreußen, wo ein Grundstein für eine neue Kapelle gelegt wurde. Am 10. Oktober 1862 war Geyer abends in der Wohnung zusammen mit dem Baumeister und katholisch- apostolischen Priester Rudolf Rosochacky. Geyer berichtet:
„An demselben Abend, den 10. Oktober 1862, lag der Geist des Herrn so schwer auf mir, daß ich körperlich fast erdrückt wurde. Da mit einemmale kam der Geist Gottes mit Kraft über mich und rief den mit anwesenden Diener Rosochacky zum Amte eines Apostels. Jedoch wurde ihm gesagt, er solle sich nicht in die Angelegenheiten der bisherigen Apostel mengen, sondern ruhig abwarten die Zeit, da Gott ihn vor grösserer Versammlung vieler Zeugen bestätigen würde, indem mit ihm eine neue Reihe der Zwölfzahl beginnen würde. Nun, diese Berufung war in aller Ruhe um Mitternacht geschehen, auch von dem Berufenen voll und freudig anerkannt. Weil die öffentlichen Berufungen verworfen waren, bestand sie vorläufig zu Recht; waren doch in England in den vierziger Jahren auch nur im Privatzimmer die Apostel und manche andere Ämter berufen.“

Geyer spielte ein Doppelspiel. Weil die anderen Berufungen abgelehnt worden waren, berief er jetzt Rosochacky heimlich nachts um Mitternacht in dessen Wohnzimmer.

Woodhouse erfuhr einige Wochen lang nichts von diesen Vorgängen. Geyer konnte zunächst unbehelligt weiter in den Gemeinden wirken. Allerdings kam es dann doch zum offenen Konflikt, aber – wie nach außen hin gesagt wurde – nicht in erster Linie wegen dieser heimlichen Apostelberufung, sondern weil Geyer eine Lehre vertrat, die abwich von der offiziellen katholisch- apostolischen Lehre. Und zwar lehnte Geyer die Vorentrückung ab, die bei den Katholisch- Apostolischen Gemeinden vertreten wurde – also die Ansicht, daß die auserwählten Heiligen oder Gläubigen vor der Trübsalszeit entrückt werden. Das führte nun zu Problemen.

Im November 1862 verkündete Geyer im Gottesdienst in Berlin, „daß der Antichrist in den sieben Greueln vor der Gemeinde offenbar werden solle“. Und damit stellte er die Vorentrückung in Frage. Geyer wurde aufgefordert, dies zurückzunehmen, doch weigerte er sich. Er betonte, daß dann, wenn ihm das verboten würde, die Autorität der Apostel über die Autorität der Bibel gestellt würde. Er führte also die biblische Autorität gegen die Autorität der neuen Apostel ins Feld und wollte deren Autorität nur soweit anerkennen, „soweit sie mit der Schrift übereinstimmen.“

Es gab also hier eine Grundsatzdebatte, die immer wieder auflebte, auch bei den späteren Spaltungen der Neuapostolischen – und zwar die Debatte, ob die Heilige Schrift (Bibel), die neuen Apostel oder die neuen Propheten den Vorzug bezüglich der Autorität haben sollen. Diese Debatte wurde bei den apostolischen Gruppen immer wieder zugunsten der neuen Apostel entschieden.

Ausschluß und Neubeginn

Im Dezember 1862 wurde Geyer von seinem Dienst als Prophet der Katholisch-Apostolischen Gemeinden suspendiert. Auch die Sache mit Rosochacky war inzwischen bekannt geworden, und es kam nun zum Beginn der späteren Neuapostolischen Bewegung in Hamburg ab 1862. Die Hamburger Gemeinde ist praktisch die Kernzelle, aus der dann auch die Neuapostolische Bewegung hervorwuchs. 1862 zählte sie ungefähr 150 Mitglieder und stand unter der Leitung des Bischofs oder Engels Friedrich Wilhelm Schwarz. Der wiederum war dem Berliner Bischof oder Engel Carl Rothe unterstellt.

Geyer informierte Schwarz im Dezember 1862 mit einem Brief über seine Entlassung und teilte nun auch Schwarz die Berufung Rosochackys zum Apostel mit. Schwarz ließ daraufhin Rosochacky und Geyer nach Hamburg zu sich kommen und stellte sie am 4. Januar 1863 vor die versammelte Gemeinde. Schwarz legte sein Bischofsamt unter dem Engel Rothe nieder und nahm Rosochacky als seinen Apostel an, dem er sich nun unterstellte. Er entzog sich also seinem Vorsitzenden in Berlin, dem dortigen Bischof und setzte sich selber unter den von Geyer berufenen Apostel Rosochacky.

Schwarz fragte die Hamburger Gemeinde: „Wer diesen Bruder als Apostel annehmen will, der stehe auf!“ Alle erhoben sich, bis auf fünf Glieder.

Rosochacky nun hob die Exkommunikation Geyers auf und setzte alle Amtsträger wieder in ihre Ämter ein.

Und nun reiste der Berliner Engel oder Bischof Rothe nach Hamburg. Man wollte ihm den Zugang zum Versammlungshaus verwehren, da seine Autorität für die Hamburger Gemeinde ja beendet sei. Aber er ging trotzdem hinein und erklärte alle Gottesdienste und Berufungen für null und nichtig. Aufschlußreich ist nun, was Rothe zu den Hamburger Vorgängen sagte:

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Was ist die Frucht dieser neuen Apostel und Propheten? Das Fleisch hat durch sie erlangt, was es begehrte. Sie haben sich gegenseitig mit Würden beschenkt und der Gemeinde mit großen Dingen geschmeichelt. Obwohl sie heuchlerisch vorgeben, sich nicht von den bisherigen Ordnungen des Herrn trennen zu wollen, haben sie sich tatsächlich geschieden, ja gegen dieselben empört. Unter der Decke der Heimlichkeit, der Lüge und List ist dieses neue Apostel- und Prophetentum in die Erscheinung getreten. Was wird sein Ende sein? Der Herr wird sie richten.“ (Zit. nach Obst, 1990, S.55)

Dies sagt also Rothe über die Entstehung dieser Vorläuferbewegung der Neuapostolischen. Wir sollten auch heute die damaligen Diskussionen bedenken.

Nun allerdings kam es zu einem weiteren Schlag für Schwarz und Geyer: Rosochacky schwenkte um. Der erstgerufene Apostel nach den von Geyer vorge- schlagenen und wieder fallengelassenen Amtsträgern Caird und Böhm legte sein Apostelamt nieder – und zwar beeinflußt von seiner Frau und den Amtsträgern in Königsberg. Nachdem er dorthin zurückgekehrt war, redeten diese ihm seine Berufung durch Geyer aus und sagten, er solle sich doch weiterhin der Autorität der englischen Apostel unterstellen. Das, was da heimlich geschehen sei, sei nicht richtig und er sei ein Opfer teuflischer Verführungskünste geworden.

In einem Brief vom 17. Januar 1863 bereits teilte er Schwarz in der Hamburger Gemeinde seinen Widerruf mit. Er schrieb:

„Als die Gemeinde zu Hamburg die Kunde vernahm, daß ein weiterer Apostel berufen sei, da war ihre erste Tat Empörung gegen die ihr von Gott gegebene Ordnung. Unmöglich war dies ein Wirken des Heiligen Geistes. … Wer hat der Gemeinde das Recht gegeben, mich als Apostel anzuerkennen und als solchen mich zu proklamieren? Wäre meine Berufung eine göttliche gewesen, so hätte kein Widerspruch mit den übrigen Aposteln entstehen können, denn ein Apostel Jesu Christi kann nicht den andern Apostel des Herrn hinauswerfen und absetzen helfen. Geyer war exkommuniziert (also ausgeschlossen), nicht nur aus der Gemeinde zu Berlin, sondern auch aus der Kirche Christi, und als solchem war ihm alle Befugnis und alle Befähigung genommen, eine Aussonderung sowohl als auch die Berufung einer Gemeinde auszusprechen. Der Heilige Geist hat ihn in seinem Zustand nicht geleitet.“

Nach dieser Widerrufserklärung wurde Rosochacky wieder in die Katholisch-Apostolische Gemeinde aufgenommen, und zwar am 5. April 1863, bereits einen Monat später, und bald darauf zum Bischof oder Engel geweiht.

Nun waren Geyer, Schwarz und die Hamburger in einer schwierigen Lage. Man suchte zunächst wieder Anschluß an die Berliner Gemeinde, aber das amtliche Verfahren gegen Geyer und Schwarz war bereits eingeleitet. Nach Geyer wurde jetzt auch Schwarz exkommuniziert. Woodhouse exkommunizierte Geyer und Schwarz zunächst inoffiziell in der Sakristei der Berliner Gemeinde und dann auch offiziell in einem Brief vom 6. Februar 1863, adressiert an die Hamburger Gemeinde, was nun auch die formelle Trennung und – man kann sagen – die Geburtsstunde der neuapostolischen Richtung bedeutet hat. Dieser Ausschlußbrief hat die Trennung offiziell besiegelt.

Nun ging die Hamburger Gemeinde unter Schwarz und Geyer ihren eigenen Weg. In Abwesenheit Geyers wurde durch einen Diakon prophetisch der Hamburger Priester Carl Wilhelm Preuß zum Apostel berufen. Geyer allerdings hatte nachher große Probleme gerade mit diesem Preuß, den er selber gar nicht berufen hatte. Es gab also auch in der neuen Gruppe von Anfang an Spannungen, so daß Geyer sogar sagen konnte:

„…ich konnte geschehene Dinge nicht ungeschehen machen. Es war im Wege der Unordnung geschehen, so wie Ruben seines Vaters Jacob Bette bestiegen, so konnte auch ich ein solch uneheliches Kind nicht tödten (sic!). Wir mußten nun unser Schicksal tragen, bis am 25. Juli 1878 dieser Bruder Preuß starb. Ich schweige von all dem Leiden, welches uns während der Zeit widerfuhr.“

Man bemerkt das Menschlich-Allzumenschliche dieser „Apostelberufungen“ überdeutlich. Ein „uneheliches Kind“, das man am liebsten „töten“ würde – so drückt Geyer sich über den ersten Apostel aus, der in seiner Abwesenheit berufen wurde! Er mußte ihn dann zähneknirschend anerkennen.

Preuß, ein Tischlergeselle aus Matzdorf, der 1854 in Berlin zum Priester der katholisch- apostolischen Gemeinden geweiht worden war, war nun berufen als Apostel für Norddeutschland und Skandinavien, den Stamm Ephraim. Als Apostel stand er im Schatten von Geyer.

Wie hieß denn jetzt diese selbständig gewordene Hamburger Gemeinde? Sie nannte sich zunächst „Allgemeine Apostolische Gemeinde“ und bald darauf, noch in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“. Friedrich Wilhelm Schwarz reiste später nach Amsterdam in Holland aus. Dort missionierte er und gründete die „Apostolische Zendings Gemeemte“ („Apostolische Missionsgemeinde“).

Am 30. Oktober 1864 wurden von Geyer weitere Apostelberufungen vorgenommen, um die Sechszahl zunächst einmal voll zu machen. Der Kohlenmakler Peter Wilhelm Louis Stechmann wurde Apostel für Ungarn, der Schlosser Johann Christoph Leonhard Hohl Apostel für Hessen, der Korbmacher, Lehrer und Polizeiwächter Heinrich Ferdinand Hoppe Apostel mit dem Ziel für USA, der Schuhmacher und Porzellanhändler Johann August Ludwig Bösecke Apostel für Schlesien …


Am zweiten Pfingstfeiertag 1863 wurde Schwarz selber zum Apostel berufen, und zwar nicht nur durch Heinrich Geyer, sondern durch „viele weissagende Gotteskinder“ aus der Gemeinde, wie es in einer neuapostolischen Schrift heißt. Und warum wird in dieser Schrift betont, daß Schwarz nicht nur durch Geyer berufen worden ist? Weil Geyer sich später von der neuapostolischen Entwicklung getrennt hat. Also ist es den heutigen Neuapostolischen wichtig zu betonen, daß nicht nur Geyer, sondern auch andere Friedrich Wilhelm Schwarz berufen haben, der als erster führender Vertreter der neuapostolischen Bewegung angesehen wird.

Zwischen Geyer und dem unabhängig von ihm berufenen Apostel Preuß kam es übrigens aus vier Gründen zu Spannungen und später auch zur Spaltung. Damit müssen wir uns jetzt beschäftigen.

1. Geyer hatte als Prophet immer wieder Probleme mit den Aposteln und ihrer Autorität. Er wollte seine Prophetenautorität, seine direkten Eingebungen über die apostolische Autorität stellen oder zumindest als gleichwertig betrachten, sich ihr jedenfalls nicht unterwerfen, da er sich ja als derjenige fühlte, der die neue Reihe der Apostel (außerhalb der Katholisch-Apostolischen Kirche) initiiert hatte.

2. Er war noch nicht so kirchenfeindlich und separatistisch eingestellt wie die späteren Neuapostolischen. Ihm wurde von seinen Gegnern eine ökumenische, ja geradezu kirchenfreundliche Gesinnung vorgeworfen.

3. Die Vorentrückung lehnte er ab.

4. Er lehrte, daß alle Christen Erstlinge seien und darum die Versiegelung nicht notwendig wäre.

Wie kam es zur Spaltung zwischen Geyer auf der einen Seite und Schwarz sowie dem späteren einflußreichen Apostel und ersten Stammapostel Fritz Krebs auf der anderen Seite?

Am 31. März 1878 berief Geyer in Abwesenheit und ohne Kenntnis des todkranken Apostels Preuß bereits dessen Nachfolger in einem Gottesdienst, nämlich den Kohlenhändler Johann Friedrich Güldner als Apostel für Norddeutschland und Skandinavien. Kurz darauf starb Preuß.

Aber nun hatte sich eine starke Oppositionsgruppe gegen Geyer und den von ihm berufenen Apostel Güldner gebildet. Es kam zum offenen Austrag dieser Differenzen in einem sogenannten Gottesdienst am 4. August 1878, wo es tumultartige Vorgänge gab. Und zwar widersprach eine starke Gemeindegruppe der Einsetzung Güldners zum Apostel durch Geyer. Diese Oppositionsgruppe wurde von dem Hirten Eduard Wichmann geführt, den Preuß noch auf seinem Sterbebett als Nachfolger eingesetzt hatte. Die rechte Hand Wichmanns war der spätere einflußreichste Mann der Neuapostolischen Bewegung, Fritz Krebs. Die Folge war, daß Wichmann Geyer für abgesetzt erklärte. Daraufhin verließ Geyer, allerdings mit dem größten Teil der Gemeinde, den Saal und es kam zur Trennung.

Aus der Hamburger Restgemeinde, die blieb, ging die Neuapostolische Gemeinde hervor (sie trug zunächst den Namen „Allgemeine Apostolische Mission“). Der größere Teil der Gemeinde aber hatte sich vorher abgetrennt. Geyer hat dann wieder eine eigene Gemeinde gegründet, die den Namen „Allgemeine Christliche Apostolische Mission“ beibehielt. Es ist aufschlußreich, daß Güldner, der von Geyer berufene Apostel, aber auch Wichmann, im Apostelverzeichnis der Neuapostolischen Kirche nicht geführt werden. Die von Geyer und Güldner geleitete Gruppe konnte sich einige Jahrzehnte (namentlich bis Geyers Tod im Jahre 1896) halten und sogar Zuwachs verzeichnen, ging dann aber kontinuierlich zurück. Heute ist sie ausgestorben.

Wichtig ist nun aber die Tatsache, daß Geyer mit seinen Anhängern historisch eine Zwischenposition einnimmt, und zwar steht er mit seiner „Allgemeinen Christlichen Apostolischen Mission“ zwischen Katholisch- Apostolischer Kirche und Neuapostolischer Kirche.

Nun wollen wir einige Zitate aus der Sicht der heutigen Neuapostolischen Kirche zu diesen Vorgängen hören. In der Biographie über Fritz Krebs heißt es, daß Apostel Preuß, gerade 51 Jahre alt, kurz vorher seine Frau verloren hatte und daß ihn das sehr bedrückte; zudem litt er an Magenkrebs. Dann wird ausgeführt:

„Apostel Preuß sorgte sich aus gutem Grund. Heinrich Geyer, der Prophet, hatte in den letzten Jahren einen Weg eingeschlagen, der ihn vom Werk Gottes fortführte. Dieser Mann, dem der liebe Gott eine so wertvolle Gabe anvertraut hatte, war zunehmend hochmütig geworden und meinte, vieles anders und besser machen zu können als sein Apostel. Er hielt Louis Preuß ́Duldsamkeit für Schwäche, seine Demut und Bescheidenheit für mangelndes Durchsetzungsvermögen, seine gläubige Einfalt für ein Zeichen geringen Verstandes. Heinrich Geyer war schließlich zu der Ansicht gelangt, er als Prophet müsse über einem solchen Apostel stehen, da nur ihm allein die Macht gegeben sei, Ämter zu berufen – eine Meinung, die leider auch vor und nach ihm etliche Propheten teilten. Gewiß wird der Apostel immer wieder versucht haben, Heinrich Geyer von diesem gefahrvollen Weg abzubringen. Aber die Kluft zwischen ihnen wurde noch tiefer und Geyer begann, gegen seinen Apostel zu intrigieren. So suchte er Gleichgesinnte, die in seiner Prophetengabe das wichtigste Amt innerhalb der Gemeinde sahen … Vor seinem Tod hatte Apostel Preuß noch einmal alles versucht, um die Einheit der Hamburger Gemeinde zu erhalten (aber das ist ihm nicht gelungen). Auf seinem Sterbelager rief er den Ältesten Wichmann zu sich, um ihm, wenn er selbst nicht mehr sein sollte, die Leitung der Gemeinde zu übertragen.“

Im folgenden wird bereits Fritz Krebs verklärt, der ja praktisch der einflußreichste Mann der Frühzeit ist:

„Allerdings schwelte es da und dort unter der Oberfläche noch weiter, denn es hatte sich gezeigt, daß sich außer J. F. Güldner auch noch andere Männer der Gemeinde aus eigener Machtvollkommenheit zum Apostel berufen fühlten. Aber Apostel Menkhoff und Fritz Krebs, die im folgenden Jahr besonders eng zusammenarbeiteten, hatten auf alles ein wachsames Auge und konnten solchen Bestrebungen rechtzeitig begegnen … Solange diese beiden Gottesknechte über die Anvertrauten wachten, würde kein fremdes Feuer am Altar des Herrn brennen.“ (Fritz Krebs: S.47f.)

Friedrich Wilhelm Schwarz und die „Hersteld Apostolische Zending Gemeente“
Nun müssen wir uns noch einmal Friedrich Wilhelm Schwarz und Wilhelm Menkhoff zuwenden.
Friedrich Wilhelm Schwarz war 1815 in Sardschau bei Danzig geboren und hatte dort das Schneiderhandwerk erlernt. Er stand zunächst unter dem Einfluß der neupietistischen Erweckungsbewegung und wollte nach Berlin gehen, um dort Missionar zu werden. Mitte der vierziger Jahre war er mit der Katholisch-Apostolischen Bewegung in Berührung gekommen. 1850 war er Priester und schließlich Engel in Hamburg geworden. 1863 hatte er in Amsterdam (Holland) seine missionarische Tätigkeit im Sinne der „Allgemeinen Christlichen Apostolischen Mission“ begonnen.

Dort war durch seine Predigt der reformierte Prediger Menkhoff für den neuapostolischen Glauben gewonnen worden, der von Deutschland aus auch in Holland agierte, und zwar als Mitglied des Missionsvereins des Dorfes Quelle bei Bielefeld, ebenfalls eines pietistischen Missionsunternehmens.

Menkhoff brachte eine wichtige Änderung in die Apostolische Missionsgemeinde von Schwarz hinein. Er stammte aus reformierter Tradition, und unter seinem Einfluß wurden die reichen liturgischen Bräuche der Katholisch- Apostolischen Kirche innerhalb der abgespaltenen Gruppe abgeschafft. Wenn man heute eine neuapostolische Versammlung besucht, merkt man nichts mehr von katholisierenden Elementen, etwa Weihrauch, Gewändern und vorformulierten Gebeten, wie sie bei den Katholisch- Apostolischen üblich waren. Jetzt hat man das schlichte, reformierte Auftreten übernommen mit einfachen schwarzen Anzügen – und aus dem Pietismus das freie Formulieren von Gebeten u.ä.
Calvinistische Nüchternheit kehrte nun ein in diese Gemeinden, zumindest äußerlich. Allerdings ging das nicht von heute auf morgen. Schwarz, auf den übrigens die Versiegelung von Kindern und die Spendung der Sakramente für die Verstorbenen zurückzuführen sind, wollte lange Zeit dieses calvinistisch- nüchterne äußere Gepräge nicht übernehmen, sondern am katholisch- apostolischen Kultus festhalten, aber schließlich ließ er sich von Menkhoff überzeugen, daß dies überflüssig sei. 1885 schließlich wurden in Hamburg und Berlin „die Kirchengewänder auf ein- und denselben Tag abgelegt. Ende der achtziger Jahre waren alle (katholisch)- altapostolischen Spuren verwischt“, wie es in der „Neuen Apostelgeschichte“ (S. 183) heißt.


Menkhoff nun war es, der die Neuapostolische Bewegung von Holland nach Deutschland zurücktrug. Es ist ja so, daß von Hamburg sich der größte Teil abgetrennt hatte, daß sich aber Schwarz noch in Holland befand und durch ihn Menkhoff gewonnen wurde. Und dieser trug nun die Neuapostolische Bewegung wieder nach Deutschland zurück. Offenbar wußte das der Missionsverein, der ihn ausgesandt hatte, nicht. Zunächst war Menkhoff sogar noch Direktor des Queller Missionsvereins, dieses pietistischen Unternehmens, geworden, obwohl er innerlich schon apostolisch eingestellt war. Bald nach dieser Berufung begann er freilich, seine neue Gesinnung öffentlich zu verkündigen.

Menkhoffs Übertritt wirkte in pietistischen Kreisen wie eine Bombe. Es war dennoch nur eine kleine Schar der Pietisten, die sich ihm anschloß und apostolisch wurde. Unter diesen befand sich die Familie Niehaus aus Steinhagen, aus der dann später der zweite Stammapostel hervorging. Es gab gegen Menkhoff Widerstand, der bis zu seinem Tod im Jahr 1895 anhielt.
Man kann sagen, daß 1878/79 sämtliche äußeren Einflüsse der katholisch-apostolischen Tradition abgetan waren. Die Zentralfigur in der folgenden Zeit wurde Fritz Krebs, auf den wir uns nun konzentrieren werden.

Im Jahre 1886 allerdings versuchten die neu berufenen, deutschen Apostel Friedrich Wilhelm Menkhoff, Fritz Krebs und Friedrich Niemeyer, noch einmal eine Fusion mit der Katholisch-Apostolischen Kirche zu erlangen. In diesem Jahr schrieben diese drei gemeinsam einen Brief an Francis Valentine Woodhouse, den letzten noch lebenden englischen Apostel. In diesem Brief legten sie von ihrem Gesichtspunkt her die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dar zwischen katholisch- apostolischer Richtung und der sich herauskristallisierenden neuapostolischen.

An Gemeinsamkeiten wurden genannt:

• die Dreieinigkeit Gottes,
• die erlösende Gnade durch das Verdienst Jesu Christi,
• die Notwendigkeit einer neuen Geburt durch Wasser (Heilige Taufe) und Geist    (Versiegelung durch lebende Apostel) wie auch
• die sonntägliche Feier des heiligen Abendmahls, ferner

• die nahe Wiederkunft   des Herrn Jesus,

• die Entrückung,

• das Tausendjährige Friedensreich,
• der Jüngste Tag, an dem alle auferstehen und gerichtet werden.

Es wurden auch die Differenzen aufgeführt. Und zwar sprachen Menkhoff, Krebs und Niemeyer von der „älteren Abteilung“ und der „neuen Abteilung“:

„Die ältere Abteilung lehrt, daß nach der im Jahre 1832 erfolgten Wiederaufrichtung des Apostolats in Zukunft keine weitere Berufung zu Aposteln stattfinden werde, weil die damals berufenen Männer dazu bestimmt seien, die Gemeinde dem Herrn entgegenzuführen. Diese Lehre bewirkte, daß die später berufenen Apostel keine Anerkennung fanden, sondern für falsch erklärt wurden (Pseudo-Apostel); und das war die Ursache jener bedauernswerten Trennung.

Die neue Abteilung dagegen hält jene erstgerufenen Männer, von denen nur Sie noch am Leben sind, auch für wahre Apostel des Herrn, zugleich aber erkennt sie auch die an, welche später gerufen wurden … Der Herr fragte auch die ersten Apostel nicht, ob er Paulus und Barnabas zu Aposteln rufen dürfe, sondern er rief sie, und sie gingen als Apostel in die Welt, erfüllt mit der Kraft des Heiligen Geistes, so wie die erstgerufenen … Hätten jene drei (Jacobus, Petrus und Johannes) ihre (Paulus und Barnabas) Aussonderung zu Aposteln nicht angenommen, so würden sie zwar töricht gehandelt haben; Paulus und Barnabas aber wären dennoch Apostel des Herrn geblieben…“ (Abgedruckt in Neue Apostelgeschichte, S. 185f.)

Der zweite Unterschied lag in den liturgischen Formen. „Man teilte uns mit, daß die erstgerufenen Apostel in England acht Jahre lang in gewöhnlicher Kleidung in den Gottesdiensten erschienen wären …“ begründen die Neuapostolischen ihr Festhalten an der Einfachheit.

Als dritter Unterschied zwischen der „älteren“ und „neuen Abteilung“ wurde eine unterschiedliche Versiegelungs- Praxis aufgeführt: „Die ältere behauptet wie noch jetzt, daß unter 20 Jahren keiner versiegelt werden dürfe. Die jüngere lehrt dagegen, daß selbst kleinen Kindern die Versiegelung zuteil werden dürfe…“ Die Neuerung, daß auch Kinder schon versiegelt werden durch Handauflegung der Apostel und den Heiligen Geist nun unmittelbar erhalten („Geistestaufe“), hatte Schwarz eingeführt. „Warum lassen wir unsere Kinder taufen mit Wasser und wehren ihnen die Taufe mit dem Heiligen Geist?“, wurde argumentiert.

Der Schlußabschnitt war ein Aufruf zur Versöhnung unter Anerkennung der neuen Apostel: „Predigen Sie, lieber Bruder, versöhnliche Liebe zu uns, die wir bisher umsonst um seines Werkes willen bei Ihnen gesucht haben. Lassen Sie diese Predigt der Liebe in allen Ihren Gemeinden erschallen; denn auch wir lieben Sie und bitten zu Gott, daß er Sie mit reichem Segen überschütten wolle, weil wir Sie für einen von Jesu gesandten Apostel halten, wie wir aber auch uns für solche ansehen, die, nach dem Willen Gottes vereint, mit Ihnen das Werk des Herrn bis zur Vollendung treiben sollen. … Ihre in der Liebe Jesu verbundenen Brüder und Mitapostel Jesu Christi: Menkhoff, Krebs und Niemeyer.“ (Ebd., S.186)
Es kam nie eine Antwort. Woodhouse hat die neuberufenen Apostel nie anerkannt.

Fritz Krebs und die Einrichtung des Stammapostolats

Fritz Krebs ist derjenige Mann, der das Stammapostolat eingeführt hat. Er wurde 1832 in dem Ort Elend im Harz geboren und ist in dem Ort Not in die Schule gegangen – Namen, die er immer wieder für Wortspiele gebrauchte, um seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen humorvoll zu illustrieren. Er war Bahnwärter und kam durch seinen Kollegen Fischer im Jahre 1865 zur Neuapostolischen Lehre. 1866 wurde er Priester. 1879 übertrug ihm der Apostel Menkhoff das Bischofsamt. Schon bald darauf, 1881, wurde er zum Apostel ordiniert.

Fritz Krebs verfolgte drei Ziele:

1. den engen organisatorischen und lehrmäßigen Zusammenschluß der Gemeinden;
2. die Ausschaltung des Einflusses der Propheten;
3. die Beseitigung des Kollegialitätsprinzips unter den Aposteln.

Diese Ziele erreichte er im Laufe seiner Amtszeit als Apostel und Stammapostel, da er immer einflußreicher wurde. Wir haben ja bereits von den Auseinandersetzungen in Hamburg im Jahre 1878 gehört. Als dann 1895 die Apostel Menkhoff und Schwarz gestorben waren, konnte er an die Spitze der Neuapostolischen Bewegung treten.

Dieser Wechsel ging allerdings nicht reibungslos vor sich. Schwarz hatte in seinem Testament festgelegt, daß sein Nachfolger nach einer Trauerzeit von 12 Wochen bestimmt werden dürfe. Was tat nun Krebs, um seine Machtposition auszubauen? Er verlängerte die Trauerzeit für Schwarz auf 1 Jahr und setzte in Holland, in dem damals noch größten Apostelbezirk, den ihm wohlgesonnenen und ergebenen Ältesten Jakob Kofmann als Apostel dieses Bezirks ein. Kofmann versuchte, die Gemeinden in Holland auf die Linie von Krebs festzulegen, was ihm aber nur teilweise gelang.

Den Holländern gefiel nicht, daß Krebs die Propheten ausschalten wollte und daß alles von Deutschland her berufen und entschieden werden sollte. Hierzu heißt es z. B. in der Biographie über Krebs von neuapostolischer Seite:
„Nicht selten kam es vor, daß solche ‘Parlamentarier’ (damit sind ‘anmaßende Propheten’ gemeint, wie es hier auch heißt) während der Gottesdienste, die der Apostel hielt, Zwischenbemerkungen machten oder sogar den Apostel wegen seiner Worte nach Beendigung des Dienstes zur Rechenschaft zu ziehen versuchten. Leider stand ein Großteil der Gemeindemitglieder auf ihrer Seite.“ (Krebs, S.78-80)

In Holland herrschte also beim Amtsantritt von Krebs als Oberhaupt der Apostel ein großer Aufruhr. Und die Mehrheit der dortigen Glieder fiel dann auch von Krebs und seiner Gefolgschaft ab.

Mit der Berufung Kofmanns als Verwalter für Holland waren viele nicht einverstanden. Als nun Niehaus, der auch bereits Apostel war (der spätere Nachfolger von Krebs im Stammapostelamt) in Amsterdam weilte, wurde dieser Aufruhr offensichtlich. Es wurde der Vorwurf laut, daß die Apostel in letzter Zeit ohne prophetische Beauftragung eingesetzt worden waren und daß man sich damit nicht abfinden würde. Außerdem sagte man, daß Krebs in einem Artikel die Bibel abgewertet hätte gegenüber dem „neuen, lebendigen Apostelwort“.

Krebs hatte geschrieben:
„Reicht ihnen das zeitgemäße Wort Gottes. … Gebt ihnen nicht das minderwertige Futter aus alter Zeit, sondern das frische Grün von heute. Auch gebt den Schafen frisches Wasser, kein abgestandenes Pumpwasser, sondern lebendiges Brunnenwasser.“ (Ebd., S. 83)

Die Gegner von Krebs sahen darin einen Gegensatz zwischen dem Wort der neuen Apostel und dem Wort der Bibel, was jedoch von Krebs abgestritten wurde.

Der Oppositionsführer in Holland war der Diakon Martinus van Bemmel aus Amsterdam, der durch einen Propheten der Amsterdamer Gemeinde zum Apostel von Juda berufen wurde. Juda sollte also mit Holland identisch sein. Bemmel drohte allen, die die Einheit unter Krebs anstreben wollten, mit dem Ausschluß. Es war also eine große Front aufgerichtet. Der Weg zum Stammapostel, zur absoluten monarchischen Führung war für Krebs nicht so leicht, sondern ging über viele Spaltungen; denn die Unterordnung unter eine Führungsgestalt ist nicht so einfach. In der Krebs-Biographie werden diese Begebenheiten aus neuapostolischer Sicht wie folgt dargestellt:

„Natürlich blieben Apostel Krebs diese Machenschaften nicht verborgen, und so entschloß er sich nunmehr zu durchgreifenden Maßnahmen. In einem offiziellen Schreiben vom 28. Februar 1897 teilte er Martinus van Bemmel die Enthebung aus dem Apostelamt mit. Aber dieser Mann hatte es verstanden, viele auf seine Seite zu ziehen. Der größte Teil der Amsterdamer Gemeinde hielt zu ihm. Die Abgefallenen nannten sich von da an ́’Hersteld Apostolische Zendingsgemeente`’, während die treu Gebliebenen, die sich um Stammbischof Kofman scharten, zur Unterscheidung den Namen ́’Hersteld Apostolische Zendingsgemeente en de Eenheid der Apostelen en Nederland and Kolonien’ annahmen.“

1898 ernannte Krebs Jakob Kofman zum Stammbischof und schließlich zum Apostel des Stammes Juda. Es gab nunmehr also zwei Apostel des Stammes Juda, Martinus van Bemmel und Jakob Kofmann in den jeweiligen sogenannten Kirchen.

Die offizielle Stunde des Stammapostolats, wie es heute noch vorhanden ist, schlug an Pfingsten 1897. Es hatte auch bei den Katholisch- Apostolischen Stammapostel gegeben, aber diese Bezeichnung hatte man so verstanden, daß jeder der zwölf Apostel einem Stamm zugeteilt war (dem Stamm Juda, dem Stamm Ephraim usw.), also verteilt auf die Weltkugel. Jetzt aber hat man das Stammapostolat uminterpretiert. Es bedeutete nicht mehr: „Jeder hat einen Volksstamm“, sondern nun war der Baumstamm gemeint, von dem alle anderen Zweige und Äste abhängen. Jeder muß nun an den „Lebensstrom des Stammapostels“ angeschlossen sein, der als der Träger des Heiligen Geistes in seiner Vollgewalt gilt.

„Stammapostolat“ hieß nun, daß das monarchische Führungsprinzip eingeführt wurde. So schreibt etwa Helmut Obst in seiner Darstellung der neuen Apostel und Propheten: „Die Neuapostolische Gemeinschaft erhielt durch Fritz Krebs ihr ‘Papsttum’.“ Und dieser „Einheitsvater“, wie man Krebs auch nannte, bewirkte nun „den Durchbruch zu dynamischem Breitenwachstum“. Die Abspaltungen machten nicht viel aus, sondern nun war eine straffe Organisation, eine Hierarchie eingeführt.

Der Sektenexperte Kurt Hutten überschreibt ein Kapitel über die neuen Propheten und Apostel: „Unter den Fittichen des vollmächtigen Amtes“. Das zieht viele Menschen an, daß sie unter den Fittichen eines Einheitsvaters, eines scheinbar vollmächtigen Amtsträgers stehen, der die heilsame Rettung garantiert, indem er den Heiligen Geist „kanalisiert“. Solche Vorstellungen magischer Art gibt es ja nicht nur in der Neuapostolischen Kirche. (Hutten, 1997, S.432)
Am Pfingstfest 1897 also wurde das Stammapostolat eingeführt. Fritz Krebs eröffnete und leitete den Gottesdienst und stellte ihn unter das Bibelwort: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ (2. Mose 20,3). Nur ein Gott – und nur ein Haupt in der Familie, im Staat, in der Kirche – das wurde von Krebs parallel gesetzt. Und dieses eine Haupt sei nun eben der Stammapostel.
Die Predigt hielt seine „rechte Hand“, sein späterer Nachfolger im Stammapostelamt, Hermann Niehaus. Niehaus sagte:

„Gott will, daß alle Herzen und Augen auf ihn, den Einen, Wahrhaftigen, gerichtet sein sollen, der keine Nebengötter duldet. So wurde das Volk Israel, zu welchem zuerst diese Worte gesprochen wurden, als eine Einheit, als ein Leib bezeichnet. Das eine sichtbare Haupt dieses Leibes war Mose … Christus ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, in ihm gipfelt die Einheit seines Leibes. Da aber die Gemeinde als ein Körper sichtbar ist, so ist auch das Haupt sichtbar in dem gesandten Apostelamte, worin die Einheit der Gemeinde offenbar wird, in dem Jesus sich repräsentiert.“ (Krebs, S. 94)

Niehaus führte in diesem Zusammenhang den Vergleich an, daß der Mann das Haupt in der Familie sei. Wenn dort Ordnung und Einheit herrschen sollen, so müsse der Mann das Haupt aller sein. „Wollen alle herrschen, dann ist Unordnung, Verwirrung und Untergang des Familienlebens die Folge davon. So wie im Familienleben, so ist es auch im Kirchlichen.“ (Hermann Niehaus, S. 60)

Nun blicken wir einmal auf die Familie von Krebs mit sechs Kindern. Ich zitiere aus der Krebs-Biographie der Neuapostolischen Kirche:
„Eine weitere, ganz persönliche Schwierigkeit hatte Friedrich Krebs in seinem eigenen Familienkreis zu bestehen. Weder seine Frau noch seine sechs Kinder wurden jemals neuapostolisch.“

Er selber äußerte sich darüber wie folgt:
„Außer der Presse im Natürlichen, worin ich in meiner Lehrzeit vollendet habe, stehe ich ohne Weib und Kind, ohne Verwandten, wo ich von diesem Lehrstuhle die (in der Welt) fremd gewordenen Sprüche ‘Liebe deinen Nächsten und trage in Geduld’ gründlich lernen mußte. Unter all dieser gewaltigen Hand Gottes mußte ich mich beugen, ob ich wollte oder nicht…“ (Krebs, S. 32)

Dann heißt es in der Biographie weiter:
„Bei mancher Heiligen Versiegelung mag er mit traurigem Herzen an die Seinen daheim gedacht und sich gefragt haben: Warum stehen nicht auch sie, meine vier Mädchen und zwei Buben mit ihrer Mutter vor dem Altar, um durch den Apostel den Heiligen Geist zu empfangen und Gotteskinder zu werden?“ (Niehaus, S. 61)

Hier finden wir eine persönliche Tragik in seinem Leben – allerdings in scharfem Widerspruch zum Inhalt der oben zitierten Stammapostelrede.

Welchen Charakter besaß der Mann, der das neuapostolische Stammapostolat begründete? Von seiten der Neuapostolischen wird er sehr besungen und umschwärmt, und von den Kritikern wird er sehr negativ beurteilt, was seine Person angeht. In der neuapostolischen Biographie heißt es:

„Groß von Wuchs besaß er nicht nur große körperliche Kräfte, er war auch ein Mann, der kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es ihm erforderlich erschien. Seine physische Kraft wurde nur noch von seiner seelischen übertroffen. Wie sonst hätte er all die Kämpfe und Anfeindungen, selbst im eigenen Familienkreis, die Enttäuschungen und Rückschläge und nicht zuletzt die vielen Anstrengungen, die mit seinem Amt verbunden waren, bestehen und verkraften können? Kühnheit und Tatkraft sind Eigenschaften, die gleichfalls sein Wesen kennzeichnen.“ (Krebs, S. 25)

Ähnliche Lobeshymnen finden sich auch in der „Geschichte der Neuapostolischen Kirche“. Da werden „seine alle anderen Apostel weit überragenden Gaben und Fähigkeiten“ gerühmt. „Die überwältigende Leistung des Stammapostels Krebs ermöglichte es, die Einheit des Werkes zu schaffen. Sie war die Ursache (und jetzt kommt eine Lüge) daß er von allen ohne Vorbehalte als das sichtbare Haupt, als Stammapostel, anerkennt würde.“
Von allen, außer von den vielen Ausgeschlossenen und Ausgetretenen.

Anders hört sich das Urteil des Kritikers Kurt Hutten an:
„Er war organisatorisch begabt und besaß Führungsqualitäten, aber er war auch herrschsüchtig und gewalttätig. Ihm und seinem Anhang paßte Geyers kirchenfreundliche Einstellung nicht. Krebs hätte am liebsten alle ‘Schwarzröcke’ auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ Und im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Hamburger Konflikt heißt es: „Geyer wurde (von Krebs und dessen Anhängern) vorgeworfen, daß er die Gemeinschaft in die Landeskirche zurück predige. Von einer Flut von Schmähungen verfolgt, verließen er und seine Anhänger den ‘entheiligten Ort’, um ihn fortan nie wieder zu betreten.“ 
Krebs strebte also zäh nach der Macht und hat seine Ziele auch tatsächlich erreicht, und zwar im Bund mit dem Kleinlandwirt Hermann Niehaus, seinem Nachfolger.

Hutten betont übrigens, daß die Neuapostolische Gemeinschaft eigentlich nicht 1863 geboren wurde. Die Abspaltung unter Geyer war ja noch nicht die Neuapostolische Kirche, sondern die neuapostolische Abspaltung ging erst als nächste Stufe aus dieser hervor. Eigentlich entstand erst mit dem Stammapostolat das, was man heute unter „Neuapostolischer Kirche“ versteht – dann, „als Krebs seine Konzeption durchgesetzt und mit deren Gegnern gebrochen hatte. Den Aposteln wurde nun, unter Ausschluß aller andern Ämter, die exklusive Vollmacht der Heilsvermittlung zugeschrieben: ‘Die lebenden Apostel sind die Tore zum Reiche Gottes’.“
 Die Amtsbezeichnung „Stammapostel“ nahm Krebs bereits seit 1896 an. 1905 schaffte er, in seinem Todesjahr, endgültig das Prophetenamt ab.

Im Nachruf für Krebs von seinem Amtsnachfolger Niehaus wird etwas von der Menschenverherrlichung deutlich, die dem Stammapostel zuteil wird:

„Es ist nicht so leicht, in die Nähe des von Gott gesandten Apostels zu kommen; denn er ist nicht mein Kollege, auch nicht mein Gespiele, auch nicht mein Bruder – sondern mein Herr und Meister! Ich schämte mich immer, wenn ich in seinen Briefen an mich lese, wo er sich ‘mein Bruder’ nennt und sich zu mir elendem Menschen erniedrigt … Weinend und flehend stand Vater Krebs vor seinem Gott für uns Menschen, und ein heißer Blutstrom Christi quoll aus seinem Munde … Das war kein Mensch mehr, der da sprach, das konnte nur Christus sein, wie Vater Krebs das auch beim Abendmahl vorbrachte: Das ist mein Fleisch, denn ich habe die Welt überwunden, obwohl ich noch lebe.“ (Hutten, 1968, S. 637)

Hermann Niehaus und die „Neuapostolische Gemeinde“

Hermann Niehaus, ab 1905 Stammapostel, war 1848 in Steinhagen bei Bielefeld als Kleinbauernsohn geboren und in pietistischen Kreisen großgeworden. Er hatte nach eigener Aussage einmal eine „Bekehrung“ erlebt, und zwar unter der Verkündigung Menkhoffs. Allerdings wurde er dann mit Menkhoff zusam- men ins neuapostolische Lager hinübergeholt. Als Neunzehnjähriger gehörte er zu dem kleinen Kreis derer, die sich unter Menkhoffs Verkündigung den Neuapostolischen anschlossen. 1868 wurde die ganze Familie Niehaus versiegelt. 1869 wurde Hermann Niehaus zum Evangelisten berufen, 1872 zum Bischof, doch nahm er diese Berufung damals noch nicht an, weil es keine Arbeit für ihn gab. Es waren in dieser Gegend noch zu wenige Neuapostolische vorhanden, als daß ein Bischof nötig gewesen wäre. Erst 1894 akzeptierte er dann die Berufung zum Bischof durch Krebs. 1896 wurde er Apostel des Bezirks Bielefeld und schließlich nach dem Tode von Krebs 1905 der zweite Stammapostel – ein Amt, das er bis 1930 innehatte. 1932 ist er gestorben.

Unter Niehaus` Führung gab es so viele Abspaltungen wie nie zuvor. Schon bei seinem Amtsantritt hatte er betont, daß die Rottengemeinschaften an seiner „Dickfaust und eisernen Stirne zerschellen werden“.

Niehaus nahm eine Neueinteilung der Apostelbezirke vor, forcierte einen Generationswechsel unter den Amtsträgern und verlegte die Leitung nach Steinhagen, seinen Wohnort. Unter seinem Stammapostolat nahm diese Gemeinschaft jedes Jahr um einige Tausend Mitglieder zu.

1907 wurde die Bezeichnung „Neuapostolische Gemeinde“ allgemein eingeführt. Vorher hatte man diesen Namen nur in Sachsen geführt.

Niehaus war es auch, der 1916 für die Herausgabe eines Lehrbuchs sorgte mit dem Titel „Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben“. Dieses ist zu einem – mehrmals überarbeiteten – Standardwerk bis heute geworden. Es existiert ja verhältnismäßig wenig Literatur von den Neuapostolischen, im Unterschied zu den Katholisch- Apostolischen. Umso wichtiger ist dieses Lehrbuch mit über 200 Fragen und Antworten, eine Art Katechismus der Neuapostolischen Kirche.

Im Ersten Weltkrieg kam es zu einer spektakulären Falschprophetie von Nie- haus. Das Prophetenamt war damals bereits auf das Apostelamt gelegt worden. Niehaus war ein glühender Nationalist im Ersten Weltkrieg wie die meisten Deutschen in jener Zeit. Als solcher beschwor er die Treue zu Gott und zum Kaiser. Und in seinen Gesichten und Träumen wurden ihm der Sieg Deutschlands und der Untergang Englands „zweifellos geoffenbart“. Dies traf bekanntlich nicht ein. Deshalb gab es nach dem Krieg unter anderem auch deshalb Austritte vieler Enttäuschter.

1917 wurde in der Kriegssituation eine Neuerung veranlaßt: Abendmahls- Hostien wurden mit je drei Tropfen Wein beträufelt und so an die Soldaten im Felde geschickt, da Wein knapp war und sich schlecht transportieren ließ. Obwohl die Kriegssituation nicht mehr vorhanden ist, wird dies heute noch so praktiziert in neuapostolischen Versammlungen. Das Abendmahl wird im Grunde nur unter einer Gestalt (Brot) gereicht, allerdings wird die zweite Gestalt (Wein) in Form dreier Tropfen, die auf die Hostie schon fabrikmäßig eingegeben sind, zumindest angedeutet. Dem Kelchwort „Trinket alle daraus!“ ist damit allerdings nicht entsprochen.

Niehaus starb – wie schon erwähnt – am 23. August 1932, aber er mußte bereits zweieinhalb Jahre vorher vom Stammapostelamt zurücktreten. Welches war der Grund dafür?

Die letzten zweieinhalb Jahre lebte er in geistiger Umnachtung. Das begann vermutlich, als er am 25. Januar 1930 in großem Rahmen sein 25jähriges Jubiläum als Stammapostel feierte. Ich zitiere zunächst die Beschreibung der Vorkommnisse, wie Helmut Obst sie wiedergibt:
„Auf dem Gipfelpunkt seines Erfolges, inmitten der Selbstdarstellung seines hohen Sendungsbewußtseins, traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Er erlitt einen Unfall. Die Darstellung, daß Niehaus bei einem geistlichen Theaterspiel anläßlich seines 25jährigen Stammaposteljubiläums Christus dargestellt habe und dabei von einer Treppe gestürzt sei, wird von neuapostolischer Seite als falsch bezeichnet.“
Auch Hutten weist auf die unsichere Forschungslage hin:

„Über das Ende von Hermann Niehaus liegen widersprüchliche Darstellungen vor. Nach der einen, die aus zuverlässiger Quelle stammt, wurde 1930 bei der Feier zu seinem 25jährigen Jubiläum als Stammapostel ein Bühnenspiel aufgeführt. Auf der Bühne befand sich eine Treppe, welche die Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellen sollte. Niehaus wirkte mit, indem er die Rolle Christi spielte und seine Wiederkunft vorführte. Dabei ereignete sich, wohl infolge eines Fehltritts, das Unglück. Niehaus erlitt schwere Verletzungen, konnte darum sein Amt nicht weiterführen und starb 1932. Hermann Niehaus Junior bestritt in einer eidesstattlichen Versicherung vom 7. Mai 1968 diese Darstellung. Sein Vater habe nie an einem Bühnenspiel teilgenommen, sondern der 82jährige sei am 25. Januar 1930 auf der Treppe von seinem Wohnhaus zu Fall gekommen.“

Wir stehen also vor unterschiedlichen Angaben. Auszuschließen ist jedoch nicht, daß die erste Version zutrifft, denn das hohe Sendungsbewußtsein von Niehaus wird auch in neuapostolischer Literatur bezeugt:

„Als er bei seiner Verwandten, der Witwe N., auszog, sagte er zu ihr beim Abschied: ‘Du hast nicht mich, sondern den Herrn Jesum aus deinem Hause getan. Nun wird dir dein Haus wüste gelassen werden.’“ Und „diese Worte sollten sich im Laufe der Zeit bewahrheiten“, heißt es in einer neuapostolischen Biographie über Niehaus mit dem Titel „Der Größte unter ihnen“. (Der Größte, 1928, S. 59)

Auch Lieder aus dem Neuapostolischen Gesangbuch von 1912 machen das deutlich. In Lied 509 heißt es in Strophe 1: „Ja nirgends auf dem Erdengrund fühlt’ ich mich frei so von Beschwerde, als an der Brust von Vater Krebs, das war mein Himmel auf der Erde.“ Und in Vers 3: „Verloren gehet von uns keiner, so wir uns klammern an die Hand in seinem Sohne Niehaus heute. An dieser Brust wird weiter blühn für uns der Himmel auf der Erde.“

Diese Strophen wurden später durch andere ersetzt. Die Personennamen wurden weggelassen. Aber zu Lebzeiten der Stammapostel und unmittelbar nach ihrem Tod wurde ihnen übermenschliche Verehrung zuteil.

Johann Gottfried Bischoff und die Wiederkunft Christi 


Johann Gottfried Bischoff amtierte 30 Jahre lang als Stammapostel, von 1930 bis 1960. Geboren wurde er 1871 in Unter-Mossau im Odenwald. Seine Berufe waren Schuhmacher, Sergeant und Zigarrenhändler. 1897 hatte er die Neuapostolische Gemeinde in Mainz besucht und war bald darauf versiegelt worden. 1903 war er Bischof, 1905 Apostelhelfer und 1906 Bezirksapostel in Frankfurt/Main geworden. Frankfurt war dann auch sein Sitz bis zu seinem Tod. 1920 wurde er Stammapostelhelfer. 1924 wurde er bereits von Niehaus als dessen Nachfolger designiert. 1930 schließlich, noch zu Lebzeiten des geistig umnachteten und gestürzten Niehaus, übernahm er die Stammapostelleitung. Auch unter seinem Stammapostolat erfuhr die neuapostolische Bewegung eine große Ausdehnung.

Bischoff amtierte in der Zeit des Dritten Reiches. Und hierbei fällt auf, daß die Neuapostolische Kirche – so nannte sie sich seit 1930 – ohne größere Probleme durch diese ganze Zeit der Diktatur und auch der späteren DDR hindurch-gekommen ist. Man bemerkt auch heute kaum etwas im öffentlichen Leben von den Neuapostolischen. Das ist eine Gruppe oder Sekte, die es wirklich geschafft hat, im Inneren, im Stillen, zurückgezogen ihre Heilsvorstellung zu praktizieren.

Bischoff allerdings ging über dieses Maß hinaus, indem er Kontakt mit der NSDAP aufnahm, bei dieser Mitglied wurde und mit ihr vereinbarte, nur dann Mitglieder in die Neuapostolische Kirche aufzunehmen, nachdem von Seiten der NSDAP eine Unbedenklichkeitserklärung über diese Personen vorgelegt werden konnte. Ferner wurde die neuapostolische Zeitschrift „Wächterstimme aus Zion“ 1934 „arisiert“, indem man die Worte „aus Zion“ aus dem Titel strich. Und so kam man ohne größere Konflikte durch die braune Diktatur. 1941 allerdings wurden die neuapostolischen Zeitschriften trotzdem eingestellt, aber wegen der Kriegssituation (Papiermangel) und nicht deshalb, weil man weltanschauliche Konflikte mit dem nationalsozialistischen Regime gehabt hätte. (Obst, 1996, S. 50)

Nach dem Krieg verband Bischoff die Frage nach der zeitlichen Festlegung der Wiederkunft Christi mit seiner persönlichen Existenz. In seiner frühen Zeit hat er es noch abgelehnt, Wiederkunftstermine zu berechnen. So hatte er in der „Wächterstimme aus Zion“ vom 1. Mai 1932 ausgeführt:

„Nun wollen wir aber nicht in den Fehler vieler gottesdiensttreibender Geister verfallen, uns damit zu beschäftigen, wann diese Zeit sein wird. Obgleich der Herr Jesus laut Apostelgeschichte 1,7 sagte: ‘Es gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat’, suchen dennoch viele in ihrer Vermessenheit Tag und Stunde der Wiederkunft Christi festzulegen. Alle, die sich damit befaßt haben, mußten bis jetzt eine schmähliche Enttäuschung erleben. Für die Kinder Gottes ist es nicht Hauptsache, zu wissen, wann der Herr kommt, sondern viel wertvoller ist es, daß wir Christo angehören, wenn er kommen wird, und daß wir zu denen zählen, welche die große Stimme hören dürfen: Steiget herauf!“

Dieser Haltung des frühen Bischoff kann man aus biblisch-theologischer Sicht voll zustimmen. In seinen späteren Jahren vollzog er aber eine Wendung um 180 Grad. Und zwar wurde – ausgelöst durch sogenannte Gesichte und Träume von Gemeindegliedern und Amtsträgern sowie durch eigene Erlebnisse – in ihm immer mehr die Ansicht der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Jesu Christi verstärkt.

Bereits in einem Artikel aus dem Jahre 1939 wurde sein sich anbahnender Gesinnungsumschwung erkennbar. Und dann nahm diese Sicht immer mehr zu. 1947 äußerte er in Dinslaken: „Ich sage euch nicht zu viel, wenn ich erwähne, daß wir verschiedene Geschwister, selbst Amtsträger haben, die bereits die Verheißung des Herrn empfingen, daß sie nicht mehr sterben, sondern verwandelt werden.“ Damals hatte er die Erfüllung noch auf verschiedene Amtsträger bezogen.

Aber 1950 begann er, seine eigene Person im Blick auf die Wiederkunft Christi in den Mittelpunkt zu stellen. In dieser Hinsicht wurde der Gottesdienst an Weihnachten 1951 in Gießen weithin bekannt, weil er dort seine Ansicht zugespitzt zum Ausdruck brachte. Und da Bischoff damals bereits 80 Jahre alt war, hatte diese Naherwartung eine ganz besondere Brisanz, denn er sagte, daß man diese Erwartung nicht auf Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ausdehnen, also nicht auf den „Sankt Nimmerleinstag“ verschieben solle. „Das liegt nicht in der Absicht Gottes. … Tag und Stunde, wann der Herr kommt, wissen wir nicht“, betonte er auch hier. Doch durch seine nachfolgenden Ausführungen überging er diese biblische Warnung eklatant. Bischoff sagte in Gießen:

„Aber ich persönlich bin überzeugt, daß die Zubereitung des königlichen Priestertums in der Zeit erfolgt, in der ich noch vorhanden bin, und daß die Reichsgottesarbeit im Weinberg des Herrn mit mir ihr Ende erreicht, daß also der Feierabend kommt, wo Lohnzahlung stattfindet. Das Zeichen hierfür besteht darin, daß der Herr zu meiner Zeit in Erscheinung tritt und Abschluß seines Werkes macht. … Für mich steht sicher, daß, wie angeführt, die Zeit der Zubereitung des königlichen Priestertums unter meiner Hand vollendet wird und daß die Reichsgottesarbeit im Weinberge des Herrn mit meinem Ende auch ihr Ende erreicht … Abraham war der erste, dem Gott Offenbarungen gab. Er war das erste Tor, durch das der Herr den Segen gab. Ich stehe als Tor der Mitternacht … Ob das jemand glaubt oder nicht, ändert an der Tatsache absolut nichts.“

Und weiter: „Ich bin der Letzte, nach mir kommt keiner mehr. So steht es im Ratschluß unseres Gottes, so ist es festgelegt, und so wird es der Herr bestätigen. Und zum Zeichen sollt ihr das haben, daß der Herr in meiner Zeit kommt, um die Seinen zu sich zu nehmen.“

Das wurde von Bischoff danach in fast jeder Ansprache wiederholt – über Jahre hinweg. Dabei übte er nicht geringen Druck auf seine Anhänger aus. So sagte er drei Jahre später (da war er schon 83 Jahre alt !) am 12. September 1954, bei einem Gottesdienst in Stuttgart: „Ich bin mir doch bewußt, wenn ich sterben würde – was nicht der Fall sein wird -, dann wäre Gottes Werk vernichtet. … Falls ich tatsächlich heimgehen würde, was nicht geschehen wird, dann wäre das Erlösungswerk erledigt.“ (Zit. nach Obst. 1990, S. 82)

Aber nicht alle Neuapostolischen erkannten diese Botschaft an. Zum Sprecher der Opposition wurde der Düsseldorfer Apostel Peter Kuhlen. Dieser war ursprünglich 1948 einstimmig vom Apostelkollegium bestimmt worden, Nachfolger von Bischoff nach dessen Ableben zu werden. Nachdem es aber hieß, daß Bischoff keinen Nachfolger mehr haben würde, weil er nicht sterbe, bevor der Herr komme, trat Kuhlen von seinem Amt zurück. Dieser Rücktritt und die danach folgenden Auseinandersetzungen verursachten einen großen Aufstand im Ruhrgebiet, vor allem in Düsseldorf und Umgebung.

1954 stellte sich Kuhlen öffentlich dem Vorhaben Bischoffs entgegen, der die Versiegelung und Aufnahme in die Neuapostolische Kirche abhängig machen wollte von der Anerkennung der „Botschaft“, wie man Bischoffs Selbstaussagen damals nannte. Kuhlen und zwei weitere Apostel, Siegfried Dehmel und Ernst Dunkmann, forderten, daß die Annahme oder Ablehnung dieser „Botschaft“ in die eigene freie Entscheidung gestellt werden solle und nicht, daß man die Aufnahme in die Gemeinde davon abhängig mache. Es sollte also individuell entscheidbar sein. Dieses Ansinnen wurde abgelehnt.

In der neuapostolischen Biographie über den Bischoff- Nachfolger Walter Schmidt wird über Kuhlen und die anderen „Abweichler“ folgendes ausgeführt:

„Aber die Geschwister seines Bezirks, die bis zum Jahr 1955 in Peter Kuhlen ihren Apostel sahen, die ihn gewiß auch liebten, ihm glaubten und vertrauten, konnten damals noch nicht ahnen, daß er nun nicht mehr in der treuen Nachfolge zu seinem Vorangänger blieb. Natürlich waren dem Stammapostel Bischoff diese Bestrebungen bekannt. Fast alle Apostel – bis auf die vorhin erwähnten Ausnahmen – standen treu zu ihm und ließen es nicht an Warnungen fehlen. Doch der Stammapostel sagte nur: ‘Das ist ein Geschwür, das wir herauseitern lassen müssen.` … Herauseitern tut sehr, sehr weh.“ (Walter Schmidt, S. 64)

Und das „Geschwür“ wurde „herausgeeitert“. 1954 waren in etlichen Gemeinden des Bezirkes Düsseldorf so ungute Verhältnisse offenbar geworden, daß nach der inneren Trennung auch die äußere vollzogen wurde. Für den Bezirk Düsseldorf wurden neue Vorsteher, Bezirksämter und Bischöfe benötigt, aber es dauerte seine Zeit, bis diese herangereift waren. Es traten nämlich ca. 25.000 Neuapostolische aus! Dies war die größte Abspaltung, die es bisher gegeben hatte. Sämtliche Vermögenswerte der Gemeinden aber blieben bei der Neuapostolischen Kirche. Die Ausgetretenen mußten sich, obwohl sie vorher durch ihre Spenden alles finanziert hatten, neue Gebäude schaffen. Das läuft immer so ab, wenn es eine Absplitterung gibt. Das Eigentum bleibt unter der Leitung des Stammapostels.

1960 schließlich starb Bischoff 89jährig. Und selbst noch in dem Monat vor seinem Tod sagte der Bezirksapostel Walter Schmidt: „Aber es bleibt bei der Verheißung: ‘Der Herr kommt zu Ihrer Lebenszeit.’“ Und Bischoff antwortete: „Ja, das ist gewiß!“

Walter Schmidt wurde sein Nachfolger. Und dieser schreib nach dem Tode Bisschoffs in einem Brief:

„Sowohl er wie auch wir und alle mit ihm treu verbundenen Brüder und Geschwister haben niemals daran gezweifelt, daß der Herr die ihm gegebene Verheißung zur gegebenen Zeit auch erfüllen würde. Wir stehen deshalb vor dem unerforschlichen Ratschluß unseres Gottes und fragen uns, warum er seinen Willen geändert hat. Der Stammapostel … kann sich nicht geirrt haben, weil er immer das Wort des Herrn zur Richtschnur seines Handelns gemacht hat.“

Es habe also an Gott und nicht am Stammapostel gelegen, daß diese „Botschaft“ sich als Irrtum herausgestellt hat. So wurden die Tatsachen verdreht.
Und was gebot Schmidt? „Wir schweigen und gehen unseren Weg.“
Diskussionen wurden verboten. Erstaunlicherweise traten nach dieser Enttäuschung gar nicht so viele aus, denn die meisten, die mit der „Botschaft“ Bischofs nicht einig waren, hatten ja bereits vor dessen Tod die Neuapostolische Kirche verlassen. Die anderen waren offensichtlich bereit, den Weg mit Bischoff bis zum bitteren Ende mitzugehen.

Nach der Trauerfeier für Bischoff wurde schnell eine Apostelversammlung einberaumt, in der Schmidt zum Stammapostel gewählt wurde, da Bischoff ja keinen Nachfolger bestimmt hatte.

Schmidt legte seiner Einführungspredigt das Wort 2. Petrus 3, 3-6 zugrunde, in dem von den Spöttern die Rede ist, welche sagen: „Wo bleibt denn die Verheißung seines Kommens?“ Schmidt betonte: „Auch wir haben nun eine Stunde, über die der Herr den Schleier der Trauer gelegt hat.“ Für diese Trauerstunde beanspruchte er danach sogar den Ruf Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
In seinem Vergleich des verstorbenen Stammapostels mit Jesus Christus näherte sich Schmidt hart der Gotteslästerung, als er äußerte: „Der Stammapostel ist der Rufer bis in seine Gethsemane-Nacht gewesen. Wir sind jetzt in eine Gethsemane-Nacht gekommen, die auch der Stammapostel hat durchmachen müssen. Er ist uns vorausgegangen, und es darf die Frage aufgeworfen werden: ‘Warum hat er uns nicht mitgenommen?’ … Wir werden hierbei an Abraham erinnert. Als er auf dem Höhepunkt seines Glaubens stand, kam der Herr zu ihm und sagte: ‘Opfere deinen Sohn!’ Das hieß mit anderen Worten: (Und jetzt kommt eine Allegorese:) Opfere die dir gegebene Verheißung!’“

Die Verdrehung der Tatsachen erreichte ihren Höhepunkt, als Schmidt ausrief:

„Der heimgegangene Stammapostel hat uns in wunderbarer Weise auf den höchsten Stand des Glaubens geführt, und zwar durch das, was ihm der Herr verheißen hatte. Das ist unser Glaube gewesen bis zu dem Augenblick, wo er, der Stammapostel, die Augen geschlossen hat. Ich bin Zeuge, denn ich war am Dienstag noch bei ihm. Als wir uns verabschiedeten, war er geistig und seelisch in einer überaus großen Frische. Ich habe mich mit den Worten von ihm verabschiedet: ‘Lieber Stammapostel, es bleibt die Verheißung bestehen, der Herr kommt zu Ihrer Lebenszeit.’ Da schaute er mich noch einmal zum letzten Male an, und seine Augen leuchteten: ‘Ja, das ist gewiß.’ Die Apostel und ich schämen uns nicht, daß wir gläubig diese Verheißung hinausgetragen haben in alle Lande.“ (W.Schmidt, S. 70)

Die weitere Entwicklung

Walter Schmidt amtierte als Stammapostel von 1960 bis 1975. Er starb im Jahre 1981 im Alter von 89 Jahren. Seine Nachfolger im Stammapostelamt wurden: Ernst Streckeisen (1975-1978), Hans Urwyler (1978-1988), Richard Fehr (seit 1988). Die letzten drei sind Schweizer. Unter ihnen verlief die Geschichte in ruhigeren Bahnen, wenn es auch immer wieder Opposition, Austritte und Spaltungen gab (z.B. 1988 durch den Apostel H. G. Rockenfelder, der vergeblich das prophetisch- charismatische Element der Anfangszeit wieder einführen wollte; er gründete die „Apostolische Gemeinde“). Doch insgesamt erfuhr die Neuapostolische Kirche nach dem Tode Bischoffs ein weiteres Wachstum und eine Ausbreitung in die meisten Staaten der Erde. In Deutschland besitzt sie eine größere Mitgliederzahl (ca. 400.000) als alle traditionellen Freikirchen zusammen.


Fragen aus der Geschichte

Die Geschichte der Neuapostolischen Kirche und ihrer „Vorläufer-Kirchen“ ist eine Geschichte von Gaben und Geistesaufbrüchen, von Amt und Autorität, aber auch von Kämpfen und Rivalität, von Falschprophetie und Spaltungen. Betrachtet man sie im Zusammenhang, dann stellt sich eine Reihe von Fragen, z. B.:

• War bei den Aufbrüchen und spektakulären Erscheinungen im 19. Jahrhundert wirkich der Geist Gottes am Werk – oder war es ein falscher, dämonischer Geist?

• Wie sind in diesem Zusammenhang die Voraussagen – vom Albury-Kreis bis zu J. G. Bischoff – einzuordnen, die fast alle nicht eingeroffen sind? – Lies hierzu 5. Mose 18,22!

• Welche der erwähnten und nicht erwähnten Gruppierungen, die alle miteinander im Konflikt stehen, vertrat oder vertritt nun die „wahre apostolische Kirche“: die Katholisch-Apostolische Kirche, die Allgemeine Christliche Apostolische Mission, die Neuapostolische Kirche, eine der vielen apostolischen Splittergruppen – oder gar keine von diesen allen?

• Bindet sich der Heilige Geist wirklich an ein Amt, wie etwa das des Stammapostels? – Lies hierzu Joh. 3,8


Wichtiger als alle diese Fragen ist jedoch folgende grundlegende Frage: 

• Ist in der Bibel für unsere Zeit wirklich das Auftreten neuer Apostel verkündigt – oder handelt es sich hierbei um eine Fehldeutung der Heiligen Schrift, verbunden mit menschlichem Wunschdenken und Machtstreben? 


Auf die wesentlichsten Fragen versuche ich im Folgenden Antworten zu geben.

Die apostolische Bewegung und der Heilige Geist
In „Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben“, einer Art „Katechismus“ der Neuapostolischen Kirche, wird gesagt: „Gott ist dreieinig, Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ Im Unterschied etwa zu den Zeugen Jehovas vertritt man also die Dreieinigkeit, die Trinität Gottes. Dann heißt es weiter: „Der Heilige Geist ist die von Christo verheißene und vom Vater, dem Quell allen Lebens gesandte Gotteskraft. Mit dem Heiligen Geist empfängt der Mensch das Unterpfand zur ewigen Herrlichkeit und wird ein Gotteskind.“

Hierzu folgender Kommentar: Der Heilige Geist ist zwar für die Neuapostolischen eine göttliche Person, aber gleichzeitig wird er als „Gotteskraft“ bezeichnet, was auf eine gewisse „Verdinglichung“ hinweist. Diese Verdinglichung oder Unpersönlichkeit des Geistes, der wie eine Kraft gehandhabt werden kann, wird durch ein weiteres Zitat noch deutlicher. Auf die Frage: „Auf welche Weise rüstete Jesus seine Apostel vor seiner Himmelfahrt noch besonders aus?“, wird mit Johannes 20, 21-23 geantwortet, wo es heißt: „Nehmet hin den Heiligen Geist!“ Und dazu schreibt die Neuapostolische Kirche: „Jesus gab seinen Jüngern damit das Maß Geist, das erforderlich war, und damit Vollmacht, Sünden erlassen zu können.“ Der Heilige Geist wird nicht als der ganz Andere, Unverfügbare gesehen, sondern als eine quantifizierbare Größe, über die man angeblich verfügen kann.

Bereits bei den Katholisch-Apostolischen Gemeinden war die Frage nach dem Heiligen Geist grundlegend, aber auch mit gewissen Problemen behaftet. Man hatte sich vor allem auf die Apostelgeschichte der Bibel gestützt, etwa das Pfingstereignis (Apg 2), vor allem aber auf die Stellen Apg 8,14-17 und 19,1-6, wo durch die Handauflegung der Apostel den schon Getauften der Geist gespendet wurde, was die Bedeutung der Handauflegung betonen sollte. (Interessanterweise wird bei den katholisch- apostolischen Auflistungen der Apostelgeschichte, wiedergegeben in Weber 1977, S. 308 f., das Kapitel Apg 9 ausgelassen, wo Ananias dem Saulus die Hand auflegt. Ananias war vermutlich kein Apostel; jedenfalls wird er nirgends als solcher bezeichnet.)

Trotz solcher Schwerpunktverschiebungen wird der Heilige Geist bei den Katholisch-Apostolischen und Neuapostolischen weithin biblisch gesehen, eben als dritte Person der Dreieinigkeit, als Tröster, als Verleiher von Gnadengaben, der vom Vater und vom Sohn ausgeht. Er wirkt Früchte im Glaubenden. Wir können um ihn bitten. Besondere Betonung wird nun aber auf den Heiligen Geist gelegt, wie er in den „Propheten und Aposteln der Neuzeit“ zur Wirkung komme. Bei den Propheten herrsche das freie Walten des Heiligen Geistes vor, die Ausübung der prophetischen Gabe (so lehrten zumindest die Katholisch- Apostolischen). Und die Apostel seien als diejenigen, die die Lehre festlegen, ebenfalls von Gottes Geist geleitet.

Wenn wir uns nun mit der katholisch- apostolischen und auch neuapostolischen Geistlehre beschäftigen, kommen wir nicht um Edward Irving herum. Ich möchte vorausschicken, daß sein Geistbegriff nicht in allem identisch ist mit dem der Katholisch- Apostolischen oder Neuapostolischen Kirche. Dennoch wird bei ihm eine Problematik deutlich, die meines Erachtens auch bei den Neuapostolischen im Hintergrund steht, was den Geistbegriff angeht.

Irving vertrat eine Christologie, die von seiner Kirche als häretisch, als ketzerisch verurteilt wurde. Und diese häretische Christologie hing mit seiner Pneumatologie (Lehre vom Heiligen Geist) zusammen. Irving lehrte über die Taufe mit dem Heiligen Geist folgendes: Jesus habe einen Leib besessen wie jeder andere Mensch auch, Fleisch, das sogar sündlich sei – und er sei nur verändert und beauftragt worden als Sohn Gottes, indem er mit dem Geist erfüllt wurde. Jeder andere Mensch könne diese Erfüllung mit dem Heiligen Geist, der ihn bevollmächtige, erleben. Irving hat also viel stärker die menschliche Seite Christi betont und die göttliche Seite vernachlässigt. Er schrieb:

„Christus als eine Schöpfung war ein armer, schwacher Sterblicher, ein Wurm und kein Mensch … Aber welche Kraft war ihm gegeben! Welche Freiheit! Welche göttliche Weisheit! Welche göttliche Tugend! … Er offenbarte den Vater im Willen, in Gedanken, in Worten, in Taten. Und um das zu tun, war in seinem Fall die Taufe mit dem Heiligen Geist erfolgt. Und was ist das in uns? Das gleiche, genau das gleiche.“ (Zit. nach: Strachan 1988, S. 128).

Hier wird parallelisiert. Die Taufe Jesu mit dem Heiligen Geist wird mit der Geistestaufe, die wir erleben müssen, gleichgesetzt. Und weiter heißt es:
„Die Werke Gottes, wie sie in Christus manifest wurden, werden auch in uns manifest … Und das Leben Christi ist ein Beispiel für den Gläubigen an seinem wunderbaren und göttlichen Werke, wie sie in seiner Niedrigkeit waren.“

Die Geisterfüllung Christi wird generalisiert, verallgemeinert und auf alle Gläubigen übertragen. Jesus war aber auch ohne die Bestätigung durch den Geist bei der Taufe ohnehin schon Gott in seiner Fülle. Bei der Taufe erfolgte lediglich die spezielle Beauftragung und Bestätigung durch Gott den Vater. Oswald Eggenberger schreibt in seiner Dissertation über die Neuapostolischen:

„Der Heilige Geist als Gotteskraft wird verstanden als der im Apostelamt, in den Ämtern und Gaben, in den Versiegelten und in der Gemeinde als ganzer wirksamer Geist.“ (Eggenberger 1953, S. 132).

Kritisch ist hierzu festzustellen, daß Menschen sicherlich den Heiligen Geist erhalten, aber nicht über ihn verfügen können. Er bleibt in der Souveränität Gottes. Und wenn der Mensch beansprucht, Verfügungsgewalt über den Heiligen Geist zu haben, dann entspricht dies dem Wesen der Sünde. Eggenberger redet hier von einer Materialisierung des Geistes Gottes – etwa in dem Sinne: Je höher die Stellung, umso mehr Geist: „Nur so wird es möglich, von einem mehr oder weniger an Geistbesitz zu sprechen, entsprechend der Stellung in der Amtsstufenleiter“ bei den Neuapostolischen.

Auch Kurt Hutten weist darauf hin, daß bei Neuapostolischen die Gefahr besteht, den Heiligen Geist als eine Art ́Ware zu betrachten. Der Urgemeinde kannte eine Handauflegung als Segenshandlung, aber diese war nicht den Aposteln allein vorbehalten, sondern es galt: „Der Geist (griech. pneuma) weht, wo er will“ (Joh 3,8). Heiliger Geist und Wind werden hier verglichen bezüglich ihrer Freiheit, auch dem Freisein von kirchlichen Amtsträgern.

Der Geist Gottes kann nicht an Personen gebunden werden, so daß sie darüber verfügen. Es gibt sicherlich Ordinationen durch Handauflegungen in den Kirchen, aber niemals erhält jemand, der ungläubig ist, durch bloße Handauflegung, den Heiligen Geist, sondern der H. Geist wird verliehen nach Epheser 1 Vers 14 ‚Als ihr gläubig wurdet, wurdet ihr versiegelt mit dem Heiligen Geist.’

Der Heilige Geist ist also ein freies Geschenk von Gottes Gnade, der sich nicht menschlich vereinnahmen, auch nicht quantifizieren läßt. Er ist der völlig Andere, der auf Seiten Gottes steht und der sich den Menschen souverän und in Liebe mitteilt, aber so, wie Gott der Vater es will, und nicht so, wie wir es erzwingen möchten. Was entsteht nämlich, wenn wir Geistbesitz erzwingen möchten? Magie, Automatismus, Verfügenwollen über unverfügbares Göttliches.

Und deshalb muß der Heilige Geist von Gott erbeten werden: „Wer da bittet, der empfängt“ (Mt 7,8). Der Beter spricht ja auch im Vaterunser: „Dein Wille geschehe“ und nicht: „Mein Wille geschehe.“ Auch hier bleibt Gott der Freie im Wehen und Schenken seines Geistes. Und der Geist wird erlangt, indem wir uns bußfertig zu Jesus hinkehren und ihm als dem offenbarten Gott Glauben schenken.

Gibt es wieder Apostel?


Was ist überhaupt ein Apostel? Welche anderen Ämter gibt es? Wie ist es mit der Zahl der Apostel bestellt? Gibt es heute wieder Apostel? Das sind die entscheidenden Fragen im Gespräch mit Katholisch- Apostolischen und Neuapostolischen.

Was ist ein Apostel?
Der Begriff „Apostel“ bedeutet „Gesandter“ (vom griech. „apostellein“ = „hinaus- senden“). Ein Apostel ist jemand, der im Auftrag seines Auftraggebers handelt und dem Auftraggeber treu das erfüllen muß, was er von diesem aufgetragen bekommen hat. Das heißt also, der Apostel handelt nicht eigenmächtig, sondern ganz in der Abhängigkeit von seinem Herrn.


In neutestamentlicher Zeit existierte der Zwölferkreis: zwölf Apostel als Repräsentanten der zwölf Stämme Israels, als engster Kreis um Jesus. Zusätzlich gab es aber auch weitere Apostel, etwa Matthias, der anstelle von Judas Ischarioth nachberufen wurde, sowie Paulus, der den Herrn gesehen hat, wenn auch auf eine andere Art als die anderen, und schließlich den weiteren Kreis wohl einiger Dutzend Männer, die hinausgesandt wurden, um die Grundlage der christlichen Kirche zu legen. Zu diesen „anderen Aposteln“ neben den Zwölfen zählten u.a. Barnabas, Apollos, Junias, Epaphroditus, Andronikus, Matthäus und Jakobus. Insofern sind die Neuapostolischen gegenüber den Katholisch- Apostolischen im Recht, die nur zwölf neue Apostel proklamierten und dies mit der Zwölfzahl des engsten Apostelkreises begründeten. So heißt es z.B. im Testimonium der Katholisch-Apostolischen Kirche:

„Die ganze Heilige Schrift und die unbestrittenen Überlieferungen der Kirche zeigen deutlich, daß mehr als zwölf Männer schon in den ersten Zeiten als Apostel arbeiteten. Aber gleich der Name, mit welchem sie genannt werden, ́die Zwölfe` (als feststehende Formel; L. G.), ferner die zukünftige Verheißung der Apostel aus der Beschneidung, daß sie die zwölf Stämme Israels richten sollten (Matth.19, 28); die Erwählung von Sankt Matthias, um die Zwölfzahl voll zu machen (Apostelg. 1, 15-26) und viele andere aus der Heiligen Schrift und den Überlieferungen der Kirche hergeleiteten Gründe berechtigten zu dem Schluß, daß das Apostelamt an und für sich zwölffach ist.“

Zusammenfassend kann man feststellen: Es gab den Zwölferkreis als den engsten Apostelkreis, aber auch eine darüber hinausgehende Schar von Aposteln. Insofern haben die Katholisch-Apostolischen in gewisser Weise recht, aber ebenso die Neuapostolischen. Es hängt davon ab, ob man den Begriff „Apostel“ im engeren oder weiteren Sinn verwendet.

Die entscheidende Frage lautet nun aber, ob es in der Neuzeit überhaupt wieder Apostel gibt. Dazu müssen wir uns zunächst näher mit dem Apostelbegriff beschäftigen. Aus dem Katechismus der Neuapostolischen Kirche zitiere ich hierzu einige Fragen und Antworten:

„Frage 125: Welches Amt stiftete Jesus damit (als er den Heiligen Geist ausgoß über die Apostel)? Jesus stiftete das Apostelamt, das Amt des Geistes.

Frage 126: Was bedeutet das Wort Apostel?

Das Wort Apostel bedeutet ́Botschafter oder ́Gesandter. DerApostel ist der von Gott erwählte Bevollmächtigte Jesu Christi in seiner Kirche, der berechtigt ist, durch die Kraft des Heiligen Geistes und im Namen Jesu Menschen mit Gott zu versöhnen …

Frage 127: Welche Bezeichnungen werden dem Apostelamt biblisch noch beigelegt, um seine Aufgabe und Tätigkeit zu beleuchten?

… das Amt der Versöhnung … der Gnade … des Geistes … des Neuen Testaments … des Wortes … der Klarheit … der Gerechtigkeit … Botschafter an Christi Statt … Brautwerber … Salz der Erde und Licht der Welt … Gottes Mitarbeiter und Bauleute. …“

Die Bezeichnungen, die auf die neutestamentlichen „Urapostel“ angewandt wurden, werden auf die „Endapostel“ einfach übertragen. Dann heißt es:
„Welche Aufgabe und Macht hatten demnach die Apostel durch das empfangene Amt?“ Antwort: „Die Aufgabe der Apostel Christi ist, dem Herrn eine Gemeinde auf Erden zu sammeln, sie zu leiten und durch die Gnadenmittel auf die Vereiningung mit Jesu Christo zuzubereiten … `Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein…“

Und nun die entscheidende Frage (Nr. 130):
„Soll die Wirksamkeit der Apostel nur eine bestimmte Zeit dauern?“
Antwort:
„Jesus, der Sohn Gottes, will durch seine Apostel in der Kraft des Heiligen Geistes durch Wort und Sakrament an den Menschen tätig sein, um sie zu erlösen. Das Apostelamt wird also auf Erden bleiben bis zum Tag der Ersten Auferstehung, da der Herr wiederkommen wird, um seine durch der Apostel Wirken vollendete Gemeinde nach seiner Verheißung zu sich zu nehmen …“

Mit der „ersten Auferstehung“ ist die „Entrückung der Brautgemeinde“, nämlich der Glieder der Neuapostolischen Kirche, gemeint. Bis zu diesem Ereignis wird das Apostelamt bleiben, wird behauptet. Es stellt sich nur die Frage: Was war dann in den 1800 Jahren, als keine Apostel da waren (dazu unten mehr)?

Welche Aufgaben hat ein Apostel?
Folgende Aufgaben der Apostel werden im neuapostolischen Katechismus aufgezählt: „Das Evangelium von Jesu Christo unverfälscht zu predigen. Als Licht der Welt den hellen Schein göttlicher Wahrheit zu verbreiten. Den Gottesdienst in der gottgewollten Ordnung zu erhalten. Mit Wasser zu taufen. Sünden zu vergeben. Das heilige Abendmahl in Brot und Wein zu reichen. Mit dem Heiligen Geist zu versiegeln. Die Kirche zu regieren. Die erforderlichen Ämter zu ordinieren. Die Wiederkunft Christi zu verkündigen. Die Auserwählten zu sammeln und sie dem Herrn als Braut zuzuführen.“

In der neuapostolischen Schrift „Göttliche Verheißungen…“ wird das Bibelwort erwähnt: „Wer euch hört, der hört mich! Und wer euch verachtet, der verachtet mich! Wer aber mich verachtet, verachtet den, der mich gesandt hat!“ Diese Botschaft hat Jesus seinen ersten Aposteln mitgegeben. Jetzt beziehen es die Neuapostolischen auf sich und behaupten: „Im Hinblick auf die gegenwärtig lebenden Apostel der Endzeit, die im Auftrag Jesu tätig sind und Erlöserarbeit verrichten, hat dieses Wort Jesu die gleiche Bedeutung wie zur Zeit der Urkirche.“

Erlöserarbeit also verrichten die neuen Appostel. Sie „vergeben die Sünden“ – ein geradezu messianischer Anspruch , den hier Menschen auf sich beziehen! Auch die Prophezeiung vom ‚Frühregen und Spätregen’ aus Joel 2 und Hosea 6 wird auf die neuen Apostel bezogen. Jetzt verwirkliche die die neue Geistesausgießung. Und in Bezugnahme auf den Gottesbund mit David heißt es: „Die wiederaufgerichte, zuvor zerfallene Hütte Davids ist nichts anderes, als die wiederhergestellte apostolische Kirche in der Endzeit.“

Noch einige weitere Eigenschaften, welche die neuen Apostel für sich beanspruchen, seien erwähnt: Sie verkündigen die wahre Lehre Christi. Sie sind Regierer der Kirche. Sie wirken im Endgericht mit. Sie sammeln das Gottesvolk, spenden den Geist Gottes, verwalten die Sakramente und bestimmen die anderen Amtsträger. Vor allem aber kommt ihnen das Vermittlungsamt zu. „Wehe, wenn jemand direkt zu Gott käme oder zum Heiland. Seine Heiligkeit würde ihn vernichten.“ Deshalb brauche es ein Vermittlungsamt. Und das seien die Apostel, gewissermaßen Mittler zum Mittler, wie man sagen könnte.

Gott verkehrt also nach dieser Ansicht nicht direkt mit den Menschen. Deshalb maßen sich die neuen Apostel die Macht an, zu sagen: „Dir sind deine Sünden vergeben. Das ist allein den Aposteln Jesu vorbehalten.“

Und aus diesem Grund gelten die Apostel als heilsnotwendig. Man kann ohne sie nach neuapostolischer Auffassung nicht zum Heil gelangen, jedenfalls nicht zur Fülle des Heils. Und diese heilsvermittelnde Wirkung der Apostel erstreckt sich auch auf die Entschlafenen. Es gibt Entschlafenen- Gottesdienste, bei denen Taufen und Versiegelungen für die Toten stattfinden und ihnen – verkörpert durch lebende Mittler („Medien“) – das Abendmahl gereicht wird.
Ferner machen sie Gottes Wort neu lebendig. Das Wort in der Bibel sei wie abgestandenes Wasser. Das, was die Apostel heute sagen, sei hingegen das lebendige Wasser, das lebendige Wort Gottes, die viva vox evangelii.

„Apostelwort, des Herren Worte, du öffnest weit des Himmels Pforte. Belebe, erquicke, regiere stets fort Gedanken und Herz, oh heiliges Wort“, heißt es in einem neuapostolischen Lied.

Hier handelt es sich um Personenkult und eine Verdunkelung des einzigen Mittlers, Jesus Christus, durch Menschen.

Ferner gelten die neuen Apostel als Haushalter der Gnade Gottes. Und diese Haushaltung wird verstanden als Fortsetzung der Menschheitserlösung. Sie halten sich für diejenigen, die Christi Werk fortsetzen, die Erlösung weiterbetreiben. „Wer euch hört, der hört mich!“ Dieses Wort Jesu an seine Apostel in neutestamentlicher Zeit wird auf sie heute angewandt, wobei der Unterschied ja darin liegt, daß Jesus damals seine ersten Apostel unmittelbar selber hinausgesandt hat und sie direkt vom Auftraggeber abhängig waren, was die heutigen „Apostel“ in dieser Weise nicht beanspruchen können.

Die Apostel sind ferner „Offenbarer“. Bei der Katholisch- Apostolischen Kirche war das „Offenbaren“ mehrere Jahrzehnte lang den Propheten zugeteilt. Seit es diese aber nicht mehr gab, wurde das „Offenbaren“ in das Apostelamt integriert. Sie wollen direkt Dinge enthüllen, die ihnen selber der Geist angeblich eingibt, also göttliche Wahrheiten unmittelbar offenbaren.

Der Heilige Geist soll durch die neuen Apostel angeblich verliehen werden. Kanäle des Heiligen Geistes sollen sie sein. Die Hauptproblematik dabei liegt in der Verdinglichung, Materialisierung, Verobjektivierung des freien Geistes Gottes.

Durch dieses ganze Auftreten handelt es sich weniger um Aposteldienst als vielmehr um Apostelherrschaft, die in den neuapostolischen Gemeinden besteht. Die Apostel der Bibel hingegen traten ein Dienstamt an, kein Herrschaftsamt. Hier ist es aber im Wesentlichen eine Herrschaft. Wenn sie nur noch als Kanäle des Heils für die einzelnen Mitglieder dieser Gemeinden angesehen werden, haben sie ein Machtpotential, einen Herrschaftsanspruch geradezu, der den einzelnen Menschen in seiner Freiheit genauso beschränkt wie den Heiligen Geist Gottes.

Weitere Ämter der Neuapostolischen Kirche
Außer dem Apostelamt gibt es in der Neuapostolischen Kirche weitere Ämter.
Diese sind folgendermaßen gegliedert: An der Spitze weltweit steht der Stammapostel. Die nächstniedrigere Stufe bilden die Bezirksapostel. Diese wirken auf Landesebene oder fassen mehrere Bezirke zusammen. Über dem einzelnen Apostelbezirk steht der einfache Apostel.

Der Stammapostel fungiert also weltweit, der Bezirksapostel territorial, die einzelnen Apostel betreuen ein kleineres Gebiet. Der Bischof wiederum steht unter dem Apostel. Er regiert einen Bischofsbezirk. Der Bischofsbezirk setzt sich zusammen aus vier bis sieben Ältestenbezirken. Die Ältestenbezirke werden geleitet von Bezirksvorstehern, Bezirksältesten und Bezirksevangelisten. Ganz unten kommt dann die Einzelgemeinde mit dem Gemeindevorsteher, Priester und Gemeindeevangelisten und Hirten.

Betrachten wir die Hierarchie von unten, dann ergibt sich folgendes Schema: Ganz unten befindet sich die Gemeinde. Mehrere Gemeinden zusammen bilden den Ältestenbezirk, geleitet vom Bezirksvorsteher, Bezirksältesten oder Evangelisten. Dann folgt der Bischofsbezirk, der wiederum einige Ältestenbezirke umfaßt. Dann folgt der Apostelbezirk. Bezirksapostel leiten einige Apostelbezirke. Und der Stammapostel leitet alles.

Welches sind die Aufgaben des Bischofs? „Der Bischof ist die wesentliche Stütze seines Apostels in der Pflege der priesterlichen Ämter. Als Vorbild für die Gottesknechte und Gotteskinder verkörpert er das ́mütterliche` Element in der Gottesfamilie, der Gemeinde Christi auf Erden.“

Er steht also unter dem Apostel, hat aber auch eine gemeindeübergreifende Hirtenfunktion.

Dann kommt der Bezirksälteste: Er übt priesterliche Tätigkeit aus, soll mehrere Gemeinden versorgen, hat besondere Aufträge auszuführen. Der Bezirksevangelist untersteht dem Bezirksältesten. Sein Stellvertreter, der Hirte, soll die Gemeinde weiden, der Schwachen sich annehmen. Der Evangelist soll das Evangelium verkündigen. Der Priester soll seelsorgerlich tätig sein, auch die Sakramente verwalten, aber immer im Auftrag des Apostels. Und der Diakon ist Mithelfer zur Ordnung des Gottesdienstes, Türsteher, Liedbuchreicher und ähnliches.

Apostel und Propheten

Nun ist ein Unterschied eingetreten zwischen katholisch- apostolischen und neuapostolischen Gemeinden. Die Katholisch-Apostolischen hatten folgendermaßen die Apostelaufgabe definiert:
Sie sollten unter Christus die Häupter und obersten Regierer der katholischen Kirche sein; ferner die Quellen und Verkündiger der Kirchenlehre; und endlich durch Auflegung ihrer Hände den Heiligen Geist spenden, sowohl zur Versiegelung aller Gläubigen, als zur Ordination der Diener des Hauses Gottes.“
Welche Aufgabe hatten die Propheten in der Katholisch-Apostolischen Kirche?

Im Testimonium heißt es:
„Der Prophet ist der Kanal, wodurch der verborgene Sinn Gottes in der Kirche kund gemacht wird, durch Offenbarung, nicht in Form der Lehre. Die Lehre der Kirche ist der ́Apostel Lehre`.” Propheten empfangen „Licht von Gott, durch welches die Apostel erkennen können, wie sie in der Ausübung ihres Regiments in der Kirche Christi verfahren sollen.” Propheten bilden also gleichsam “die Ergänzung der Apostel.” Sie sind „Kanäle zur Offenbarung der Geheimnisse, deren Haushalter die Apostel sind.“ (Testimonium S.15)

Wie haben Propheten und Apostel in der Katholisch-Apostolischen Kirche zusammengewirkt? Die Apostel waren den Propheten übergeordnet. Die Propheten hatten die “Offenbarungen”, die neuen Erkenntnisse, empfangen. Und die Apostel haben diese interpretiert. Ihnen stand die Deutung der “Weissagungen” zu. Und damit waren die Apostel immer in der stärkeren Position gegenüber den Propheten, weil sie die Lehre aufgrund der Weissagungen der Propheten geformt haben.

Ferner gab es “Evangelisten”, Prediger des Evangeliums, die umherreisten und die Botschaft ausbreiteten. Hirten und Lehrer vor Ort praktizierten die Aufsicht und Pflege der Gemeinden und übten die geistliche Leitung aus. Man hat sich schon bei den Katholisch- Apostolischen gegen das katholische Bischofssystem insofern gewandt, als gesagt wurde: „Apostel, nicht Bischöfe, sind Gottes Ordnung für apostolische Arbeit.” Der Apostel allein kann nach diesem Verständnis den Heiligen Geist austeilen, nicht der Bischof, auch nicht der “Bischof von Rom”, der Papst.

In der Katholisch-Apostolischen Kirche erkannte man drei Weisen der Inspiration als göttlich gewirkt an:

Erstens die Inspiration, die dem ganzen Leib der Kirche, jedem einzelnen Glied, zukommt. Jeder, so wurde gesagt, kann Inspiration haben durch den Geist Gottes. Diese Inspiration wirkt “heilige Gedanken”, “gutes Verlangen”, “himmlische Bestrebungen” und “geistliche Einsicht”.

Zweitens aber sprach man von einer Inspiration hinsichtlich geistlicher Dinge, wobei der Verstand des Menschen unterrichtet, seine Urteilskraft erleuchtet und erweitert wird. Und diese Gabe – so wurde gesagt – kommt vor allem den Aposteln zu, die mit ihrem Verstand und ihrer Urteilskraft die Eingebungen der Propheten durchdringen und dadurch in der Lage sind, Lehren zu bilden.

Die dritte Form von Inspiration geschieht, indem Gott sich unmittelbar im Geist des Menschen offenbart. Diese Offenbarung erfolgt unabhängig von der Einsicht des Offenbarungsempfängers in das Mitgeteilte. Der Prophet kann solche Offenbarungen empfangen, ohne sie zu verstehen. Der Apostel deutet diese und verfügt über die Lehre.

Diese Dreiteilung wurde in den Jahren 1839/40 festgelegt, als die Propheten das höchste Geistesamt in der Katholisch- Apostolischen Kirche beanspruchen wollten. Damals hatten sich die englischen Apostel dagegen gewehrt und folgendes festgehalten: „God has ordained that His Apostels should receive light through Prophets” (“Gott hat bestimmt, daß seine Apostel Licht durch Propheten erhalten sollen”). Ferner: „Die Interpretation der Schrift im Hinblick auf die Lehre und die Erklärung des Glaubens der Kirche steht dem apostolischen Amt zu. Die Öffnung der Schrift, die Symbole, Typoi und Geheimnisse enthält, liegt im Bereich der Propheten … Wenn die Geheimnisse mitgeteilt sind, ist es die Pflicht der Apostel, diese zu interpretieren … Keine Interpretationen sollten angenommen werden von der Kirche, außer denen, die sanktioniert und verwaltet (oder angenommen) werden durch die Apostel.

Obwohl die Propheten in der Katholisch- Apostolischen Kirche Amtsträger berufen konnten, wurde es ihnen nicht gestattet, sie in ihr Amt einzusetzen. Das konnten nur die Apostel tun. Propheten konnten also zwar Menschen auswählen und für ein Amt bestimmen, aber die Einsetzung erfolgte schon damals durch die Apostel.

Eine Durchbrechung dieses Prinzips war freilich die “erste Apostelberufung der Neuzeit” im Jahre 1832 gewesen. Diese lief ja so ab, daß Henry Drummond plötzlich prophetisch auftrat und John Bate Cardale zum Apostel bestimmte. Einige Zeit darauf bestimmte Cardale dann Drummond auch für das Apostelamt. Hier liegt eine gegenseitige Erstberufung ohne Auftrag von außen vor (sieht man einmal von der beanspruchten “inneren Stimme des Heiligen Geistes” ab).
Übrigens wurden “prophetische Äußerungen” in der Katholisch- Apostolischen Kirche immer wieder vernichtet wegen des “Fortschreitens der Offenbarungen”. Man findet deshalb heute nur noch relativ wenige Äußerungen prophetischer Art, die aus der Anfangszeit der Katholisch- Apostolischen Kirche vorhanden sind. Es sind lediglich solche, die von bleibendem Wert waren und in die Veröffentlichungen der Apostel eingeflossen sind.

Frauen sollten übrigens ausschließlich in Form des Gesanges und zur Erbauung reden, Männer sollten darüber hinaus Dinge weissagen, die in die Lehre eingehen konnten. Auch hier hat man dem Geist vorzuschreiben versucht, durch wen er was sagen darf.

In der Neuapostolischen Kirche ist das Prophetenamt verschwunden. Diese Tatsache wird so begründet:

„Das Prophetenamt war in der Neuapostolischen Kirche solange wirksam, wie es die Notwendigkeit im göttlichen Heilsplan erforderte … Durch die im Wirken der Apostel offenbar werdende, in alle Wahrheit leitende Arbeit des Heiligen Geistes ist heute das gesamte Volk Gottes unterrichtet, daß es in der Zeit seiner Vollendung und damit unmittelbar vor dem Kommen des Herrn steht. Die Notwendigkeit weiterer Prophezeiungen ist damit nicht mehr gegeben“.

Welche Entwicklung wiederholt sich denn hier, wenn wir in die Kirchengeschichte schauen?
Geht man von der Annahme aus, daß die Urgemeinde des 1. Jahrhunderts nach Christus im besten Sinne “charismatisch” war (d.h. ihre unterschiedlichen Glieder waren mit unterschiedlichen Gaben vom Heiligen Geist begabt und starre Ämter waren noch nicht vorhanden), so muß man sagen, daß dann im Frühkatholizismus ab dem 2. Jahrhundert sich zunehmend die “Ämtergemeinde” mit ihrer “Ämterhierarchie” herausgebildet hat: Die “Amtskirche” entstand.

Und so ist es in einer gewissen Parallelität auch hier erfolgt, allerdings nicht ganz, denn es gab ja in der Katholisch- Apostolischen Kirche schon von Anfang an feste Ämter. Aber das “charismatische” freie Wirken des Geistes wurde – vollends bei den Neuapostolischen – immer mehr unterdrückt und schließlich wesentlich an den Stammapostel gebunden. Der Machtkampf zwischen den Aposteln und Propheten drängte den Propheteneinfluß immer mehr zurück, namentlich seit der Ära von Fritz Krebs.
Über die Berufung von Amtsträgern in der Neuapostolischen Kirche heißt es in einem Gesprächsprotokoll:

„Vorschläge zur Berufung können von überall her kommen. Sie richten sich nach der praktischen Notwendigkeit und nach der persönlichen Eignung, wie sie Arbeitsgebiete und Aufgaben erfordern. Eine hierarchische Stufenleiter als Aufstieg zum Apostelamt gibt es prinzipiell nicht. Die Ordination durch den Stammapostel ist die öffentliche Berufung in das Amt. Ihr gehen Gespräche und Gebete, eventuell auch besondere Offenbarungen voraus. Ähnliches gilt auch von der Berufung in ihre Ämter.“

Die letzte Verfügungsgewalt steht dem Stammapostel zu. Zur Zeit gibt es über 200 Apostel bei den Neuapostolischen. Und der Stammapostel, der Apostel ordiniert, oder Apostel, die andere Ämter ordinieren, sprechen folgende Formel:

„Empfange dazu den Amtsgeist und die Amtsmacht, um im empfangenen Amte Erlöserdienste tun zu können, Sünden zu erlassen und den Heiligen Geist den gläubigen Seelen zu spenden“. (Haak 1992, S.35)

Alle Ämter unterhalb des Apostelamtes sind nur abgeleitete Ämter. Bezahlung erfolgt vom Bischof aufwärts. Alle anderen Dienste werden ehrenamtlich versehen.

Im Neuen Testament dagegen gibt es keine Stufenleiter nach neuapostolischer Art. Hier gibt es Dienste, die nicht gegeneinander aufgerechnet werden können: “Gott hat den Leib (der Gemeinde) zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen” (1. Kor 12, 24 f.).


Das Stammapostolat

Im Katechismus „Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben” aus dem Jahre 1992 lautet die Frage 177 folgendermaßen: “Welche Stellung nimmt der Stammapostel innerhalb der Neuapostolischen Kirche ein?” Antwort:

„Der Stammapostel ist als das sichtbare Haupt der Kirche Jesu Christi in allen ihren Angelegenheiten oberste Instanz. Er wird von den Mitgliedern der Neuapostolischen Kirche als Repräsentant des Herrn auf Erden angesehen und weiß sich selbst als Gehilfe des Glaubens seiner Brüder und Geschwister.“


Hier liegt eine formale Parallele zum römisch-katholischen Papstamt vor. Der Papst wird als „Vicarius Filii Dei”, als “Stellvertreter des Sohnes Gottes” betrachtet, der “auf dem Stuhl Petri” sitzt. Das Papstamt ist ein unvergleichliches Dienst- und Leitungsamt mit einzigartigem Vollmachtsanspruch (z.B. auf Unfehlbarkeit bei ex-cathedra-Entscheidungen). Die Neuapostolische Kirche befindet sich in einer gewissen Konkurrenz zur Römisch-Katholischen Kirche, weil eine ähnliche Amtshierarchie und insbesondere eine ähnliche Zuspitzung im obersten Amt besteht.


In den neuapostolischen “Fragen und Antworten” heißt es weiter: „Es ist der Wille Jesu, daß seine Kirche ein sichtbares Haupt habe, zu dem die Apostel und alle Gläubigen aufschauen … Dadurch wird das Werk des Herrn zielbewußt und einheitlich geführt. Aus der Schar der Apostel wird jener Apostel in das Stammapostelamt gerufen, der durch besondere Zeugnisse von Gott dem amtierenden Stammapostel bzw. dem Kreis der Apostel offenbart wurde.“

Der Nachfolger wird also vom jeweils amtierenden Stammapostel selber berufen. Ihm wird sein Nachfolger angeblich durch “besondere Zeugnisse von Gott”, also eine subjektive Vision und Eingebung, offenbar. Das Apostelkollegium wird dann zwar nochmals einbezogen, es wird darüber geredet, aber die letztendliche Veto- oder Bestimmungsgewalt besitzt der Stammapostel. Eine Ausnahme stellte J. G. Bischoff dar, der die Wiederkunft Jesu zu seinen Lebzeiten erwartet und deshalb keinen Nachfolger berufen hatte.

Und nun stellt sich die Frage (Nr. 178):
„Welche Aufgaben fallen dem Stammapostel zu?”

Antwort: „Der Stammapostel hat vor allem die Aufgabe, die von Jesu erbetene, gewünschte und gebotene Einheit … innerhalb der Apostelschar zu schaffen und zu erhalten. Im weiteren hat er die Lehre Christi zu verkündigen, neue Offenbarungen des Heiligen Geistes zu fördern, die Reinheit des Glaubens zu überwachen, die Aussonderung der zu Aposteln erwählten Amtsträger vorzunehmen sowie für die Ausbreitung der Jesu- und Apostellehre in einheitlicher Weise Sorge zu tragen.“


Das Stammapostelamt ist also ein Einheitsamt, ein Offenbarungsamt, ein Wächteramt über die Reinheit des neuapostolischen Glaubens, ein Einsetzungsamt von Aposteln, Aussonderung und Lehrausbreitung, und zwar der „Jesu- und Apostellehre”.

Welche Machtfülle kommt dem Stammapostel also zu?
Er besitzt die alleinige Regierungsgewalt, bestimmt die Apostel oder entscheidet in letzter Instanz darüber, hat das alleinige Verfügungsrecht, auch über Gemeinden und Gemeindeeinrichtungen. Wichtig ist, daß der gemeindeeigene Besitz, wenn eine Gemeinde aus der Neuapostolischen Kirche austritt, dann doch bei der Neuapostolischen Kirche verbleibt, weil alles juristisch auf den Stammapostel hin festgelegt wurde. Und neben dieser äußeren Regierungs- und Verfügungsgewalt besitzt er auch die „geistliche Machtfülle”, und zwar als „Quellort des Heiligen Geistes”. Der Stammapostel gilt als der unmittelbare Empfänger der Offenbarungen Gottes und der Inhaber der Schlüsselgewalt.


“Der Stammapostel ist die Vergegenwärtigung Gottes auf Erden”, schreibt Kurt Hutten. Er ist “der Herr über die Apostel”. Diese sind gewissermaßen “Geschöpfe des Stammapostels”. Und damit, wie Hutten kritisch bemerkt, sind sie nicht mehr “Apostel Christi, sondern Apostel des Stammapostels”.

Dieser Satz entbehrt nicht einer gewissen Polemik, aber faktisch ist es so, weil der Stammapostel die Apostel einsetzt. Sie werden nicht durch eine unmittelbare Begegnung mit Jesus Christus berufen wie die Urapostel. Auch Paulus hatte eine sichtbare Begegnung mit Christus vor Damaskus, wie er betont: „Ich habe den Herrn gesehen” (vgl. 1. Kor 9,1; s.u.). Das kann heute keiner behaupten, sondern der Stammapostel ist es, der die Apostel beruft – ob durch “Inspirationen” oder durch Gefälligkeit, sei dahingestellt.


Man geht in der Neuapostolischen Kirche sogar so weit, Aussagen über Christus auf den Stammapostel zu beziehen: Er sei “das Licht der Welt”. Sein Wort sei das “Brot des Lebens”. In der “Geschichte der Neuapostolischen Kirche” heißt es: „Stets können wir feststellen, daß sich der Herr immer nur durch einen Mann geoffenbart hat und der Glaube an diesen einen für alle anderen erforderlich gewesen ist.“ Und weiter: „Im Neuen Bunde verhält es sich nicht anders. Der Herr stellte seinen Sohn unter die Menschen mit den Worten: ́Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören.` Nachdem der Sohn Gottes seinen Auftrag erfüllt hatte, sandte er seine Apostel in die Welt und sprach zu ihnen: ́Wer euch hört, der hört mich`. Dabei gab er dem Apostelkörper jedoch ein Haupt in dem damaligen Stammapostel Petrus.“


Man beruft sich das Wort Jesu in Mt 16,18: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.” Seit Jahrhunderten wird darüber diskutiert, wer oder was dieser “Fels”, die Grundlage der Gemeinde, ist: Jesus, Petrus oder das Bekenntnis der Messianität Jesu im Munde des Petrus? Ich vertrete die Ansicht, daß alle drei Antworten zusammen die Lösung ergeben: Der Fels ist Jesus, den Petrus als Messias (Christus) bekennt. Zugleich ist aber auch Petrus der Fels insofern, als er der erste männliche Zeuge der Auferstehung Jesu und der erste Verkündiger der Frohen Botschaft am Pfingstfest ist, wodurch sich Tausende in Jerusalem bekehren und die urchristliche Gemeinde sich bildet. Petrus übernimmt also eine Grundlagenfunktion.
Die Frage ist nur, ob dieses Petrusamt “vererbbar” bzw. “übertragbar” ist – eine Frage, welche die Römisch-Katholische Kirche ebenso bewegt wie die Neuapostolische Kirche. Man kann hierzu nur feststellen, daß die Heilige Schrift selber an keiner Stelle etwas über einen Nachfolger des Apostels Petrus sagt. Nicht einmal sein vielfach behaupteter Aufenthalt in Rom und sein Tod werden im Neuen Testament erwähnt.


Der Stammapostel in der Stellung des Petrus wird in den “Fragen und Antworten” (Frage 141) als der „sprechende Mund der Apostel” bezeichnet.
Der Unterschied zu den Katholisch- Apostolischen liegt – wie schon ausgeführt – unter anderem darin, daß bei diesen die Kundmachung der Apostel durch prophetisches Wort erging. Nun aber werden sie allein vom Stammapostel bestimmt. Bei den Katholisch- Apostolischen war der Pfeiler-Apostel Cardale, also der erstberufene Apostel, der praktisch die Stelle Petri bei ihnen einnahm, „primus inter pares”, “Erster unter Gleichen”. Es gab das Apostelkollegium, das aber trotzdem gleichberechtigt abstimmte, auch wenn Cardale den Vorsitz führte. Bei den Neuapostolischen ist hingegen der Stammapostel die höchste Instanz.

Es existiert eine geradezu rührend-naive “Stammapostelfrömmigkeit” bei den Neuapostolischen. Hierzu einige Zitate. Der Apostel Engelauf sagte am 5. April 1970 in einem Gottesdienst in Herne:

„Ich dachte: So rein, wie in dieser Stunde mein Herz in der Nähe des Knechtes Gottes ist, so rein möge es das ganze Jahr bleiben! Immer, wenn wir als Apostel in die Nähe des Stammapostels treten, dann bitten wir: Herr, schenke uns ein ganz reines Herz! Nicht, um uns vor ihm zu verbergen, das können wir nicht. Aber wir möchten das Reine in seinem Herzen nicht durch das Unreine stören und behindern, damit der Segen ungehemmt zu allen Gotteskindem fließen kann.“


Was geschieht hier? Ist der Stammapostel noch ein sündiger Mensch im Sinne von Römer 3? Hat er ein “reines Herz” – und die anderen ein unreines? 

Ähnlich wie Engelauf äußerte sich der Apostel Fendt am 5. März 1970 in Mannheim:
„Und wer heute dem Stammapostel nicht glaubt und ihn ablehnen würde, kann auch nicht an Jesum, kann auch nicht an Gott glauben.“


Und wieder Apostel Engelauf bei der Einweihung einer Kapelle in der Schweiz im Jahre 1977. Er zitierte Jesaja 16, 5: „Es wird aber ein Stuhl bereitet werden aus Gnaden, daß einer darauf sitze in der Wahrheit, in der Hütte Davids, und richte und trachte nach Recht und fördere Gerechtigkeit.” Nun die Auslegung: „Wir befinden uns heute miteinander am Amtssitz des Stammapostels, an diesem bereiteten Stuhl. Aber wir dürfen dem Wort des Propheten noch hinzufügen: Nicht nur in der Wahrheit, sondern in unbegrenzter Liebe waltet der Stammapostel seines Amtes. Diese Liebe ist uns aus reinem Herzen zugeflossen. … Der Apostel Bischoff hat es schon erwähnt, wie wichtig es ist, daß von hier aus die Segensleitungen zu uns führen und wir mit dem Stammapostel aufs innigste verbunden sind. Dann fließt der Strom des Segens in die uns anve trauten Bereiche hinein.“

Charakteristisch für diese Haltung der Menschenverherriichung ist ein Erlebnis, das der Apostel Niehaus erlebt hat, der Nachfolger des Stammapostels Krebs. Niehaus war damals Apostel, Krebs war Stammapostel. In den Biographien von Niehaus und Krebs wird geschildert, daß Niehaus im Jahre 1903 eine Zugreise nach Frankfurt unternehmen mußte, obwohl er schwerkrank war. Er hatte den Kopf in dicke Tücher gewickelt, der leichteste Lufthauch tat ihm weh und er teilte “Vater Krebs”, wie der Stammapostel genannt wurde, seinen Zustand mit. Niehaus erwartete zunächst nichts anderes, als daß Krebs angesichts seiner Krankheit einen anderen Apostel an seiner Stelle nach Frankfurt senden würde.

Die Reise im Zug war damals sehr beschwerlich. Sie gestaltete sich auch für Niehaus schwierig und war voller Hindernisse. Niehaus mußte rennen. Er kam schweißgebadet am Bahnhof an. Das Umsteigen war schwierig. Er fuhr in die falsche Richtung. Solche Dinge stießen ihm zu. Da kamen die Anfechtungen auf, etwa die Frage: „War das der Schutz, den ihm der Stammapostel zugesagt hatte?” Und in der Niehaus-Biographie lesen wir weiter:

“Hermann Niehaus atmete tief durch. Er wollte nicht zweifeln, sondern weiterhin glauben und vertrauen! … In Kassel stand er auf dem Trittbrett seines einfahrenden Zuges und sah auf dem gegenüberliegenden Gleis, wie sich der Zug nach Frankfurt gerade in Bewegung setzte. Kurz entschlossen sprang der Apostel von dem noch fahrenden Zug und schaffte es gerade noch, auf den Frankfurter Zug aufzuspringen. Erschöpft, aber glücklich saß er dann im Abteil. ́Fahre ab, ich schütze dich!` schienen die Räder zu rattern, und auf einmal bemerkte er, daß es ihm auch gesundheitlich wesentlich besser ging. Die fürchterlichen Schmerzen hatten nachgelassen, etwas, worauf er zunächst gar nicht so geachtet hatte, weil er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, seinen Zug nach Frankfurt zu erreichen … Hermann Niehaus war bekannt für seine große persönliche Bescheidenheit… Während einer Versammlung von Amtsträgem äußerte er einmal zu diesem Thema: ́Ein treuer, gehorsamer, in der Geistesverbindung stehender Unterdiakon ist mir viel lieber als ein ́Herr` Apostel oder Bischof oder Ältester und Priester, der seine eigene Weisheit bringt und seinen eigenen Willen tut und nicht den Willen seines Senders.“
Hier erweist sich der Stammapostelkult als ein Personenkult, der bisweilen geradezu gotteslästerliche Züge annehmen kann. Wenn ein Mensch in der oben wiedergegebenen Weise sagt: „Fahre ab, ich schütze dich!”, nimmt er etwas für sich in Anspruch, das nur Gott tun kann.

Das Wort „Stammapostel” bezog sich, wie schon erwähnt, in der Katholisch- Apostolischen Kirche auf die einzelnen Volksstämme. In der Neuapostolischen.
Kirche ist es der Baumstamm, von dem alles abhängt.

Aufschlußreich ist die Beobachtung, daß die Katholisch-Apostolischen bis heute das neuapostolische Stammapostelamt ablehnen als eine “päpstliche” Einrichtung, die vom wahren Glauben wegführt. So heißt es bereits im “Testimonium” von 1836, daß der Primat des Bischofs zu Rom „ausdrücklich gegen die Heilige Schrift sei, welche erklärt, daß Gott in die Kirche gesetzt hat, ́aufs erste Apostel`”. Wäre auch Petrus zu Rom Bischof gewesen, “so würde nur sein bischöfliches, nicht sein apostolisches Amt, auf seine Nachfolger übergehen können.” Kein Papst könne eine apostolische Bevollmächtigung, weder von Petrus noch von irgend einem anderen Apostel aufweisen:

Diese Kritik des Testimoniums am Primat des Papstes ist, so denke ich, auch eine indirekte Kritik am Primat des Stammapostels.
Schließlich spricht gegen die Berechtigung und Echtheit des Stammapostelamts auch die Reihe der Falschprophezeiungen, die damit verbunden sind. Ich habe im geschichtlichen Teil erwähnt, daß Niehaus im Ersten Weltkrieg den Sieg Deutschlands prophezeit hatte, was bekanntlich nicht eintraf. Daraufhin spalteten sich viele Anhänger ab. Und noch deutlicher: Johann Gottfried Bischoff hatte ja die Wiederkunft Jesu Christi zu seinen Lebzeiten angekündigt, was sich ebenfalls als Falschprophetie entpuppte. Die späteren Stammapostel waren daraufhin mit Zukunftsprophezeiungen vorsichtiger.

Biblische Kennzeichen für Apostel

Die erste und grundlegende Frage bezieht sich auf die Sukzession (Amtsnachfolge). Gibt es eine ununterbrochene Nachfolge von Aposteln, überhaupt eine Einsetzung von Nachfolgern im Neuen Testament? Ja oder nein? 

Eindeutig nicht!

Denn wenn das Apostelamt eine Einrichtung auf Dauer gewesen wäre, wie ist es denn dann zu erklären, daß nach dem Aussterben der ersten Apostel keine weiteren Apostel eingesetzt wurden (im Zwölferkreis: außer bei der Nachwahl des Matthias für den Verräter Judas Ischarioth)? Das wäre ja ein sträflicher Leichtsinn gewesen und hätte im Widerspruch zum Auftrag des Herrn gestanden. Aber offensichtlich hat es einen solchen Auftrag des Herrn Jesus zur weiteren Aposteleinsetzung nicht gegeben.

Dies ist ein historisches Argument. Die Sukzessionskette, die Amtsnachfolge, ist beim Tode der Urapostel abgerissen – und sie ist auch 1800 Jahre abgerissen geblieben. Erst durch das sogenannte “neue Wirken des Heiligen Geistes” kam das “apostolische Werk der Gegenwart” in Gang:

„Da ward Drummond vom Heiligen Geist getrieben, an Cardale heranzutreten und ihn in der Kraft des Heiligen Geistes anzureden: ́Bist du nicht ein Apostel? Tue eines Apostels Werk.` Und dabei redete Drummond durch den Heiligen Geist viele und ernste Worte über die Pflichten des apostolischen Amtes.“

Das war der Anfang des Apostelamts in der Neuzeit, wobei auch hier die Sukzession insofern unterbrochen ist, als die Katholisch- Apostolischen die Neuapostolischen nicht als ihre Amtsnachfolger anerkennen. Es besteht also, wenn man so will, eine doppelte Unterbrechung der Sukzession, der Ämterfolge. Die Neuapostolischen berufen sich auf den Anfang bei den Katholisch- Apostolischen gegen deren Willen und Selbstverständnis.

Nach evangelischem Verständnis gibt es eine “successio originis” (eine Nachfolge von den Anfängen der Kirche her) und eine “successio doctrinae” (eine Nachfolge in der Lehre), aber keine “successio apostolica” (eine Nachfolge der Apostellinie in personaler Gestalt). Hierzu ein Zitat des Dogmatikers Hermann Sasse:

“… die echte apostolische Suzession (ist) immer nur die Sukzession der Lehre, feststellbar an der Identität des Inhalts der Verkündigung der jeweiligen Kirche mit dem im Neuen Testament gegebenen Zeugnis der Apostel. Wohl gibt es auch eine Sukzession der Lehrer, der treuen Verkündiger der apostolischen Botschaft. Aber diese ist nur Gott bekannt, so wie nur Gottes Auge die wahre Kirche sieht … Indem das Aufstellen von Amts- und Überlieferungsketten in die Kirche eindrang, drang wieder ein Stück uralter nichtchristlicher Religion in die Kirche ein. Man suchte in menschlichen Büchern das, was nur in den Büchern Gottes steht.“

Wie wir sahen, ist ein “apostolos” ein Gesandter seines Auftraggebers. Er ist nur solange beauftragt, wie sein Auftrag dauert. Das heißt, das Apostelamt ist eine zeitweilige Funktion, die erlöscht, wenn der Auftrag ausgeführt ist. Und daraus ergibt sich wiederum, daß ein Apostel seinen Auftrag nicht an einen Dritten übertragen, sondern nur in die Hände des Auftraggebers zurücklegen kann. 

Dies wird ganz deutlich etwa bei der Apostelberufung in Matthäus 10 und Markus 6: Die Jünger waren entsandte Boten, und ihr Auftrag war zu Ende, als sie zurückkehrten zum Herrn, zu Lebzeiten Jesu auf Erden. Erst nach Jesu Auferstehung wurde ein Dauerauftrag eingerichtet. Der erhöhte Herr setzte seine Jünger zu bevollmächtigten Gesandten ein:

“Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie hatten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende” (Mt 28,18-20). 

Hier handelt es sich also um einen Dauerauftrag, aber von Nachfolgern der Apostel ist nicht die Rede, sondern die ersten Boten werden ausgesandt, um die Grundlage der Gemeinde zu legen. Apostel haben Grundlagenfunktion. Sie betreiben die Fundamentlegung (Eph 2,20). Und wenn das Fundament gelegt ist, baut ein anderer darauf weiter. Wenn es einmal gelegt ist, kann man nicht noch ein anderes darauf bauen. Und deshalb ist die Funktion der Apostel erloschen mit der ersten Generation. 

Ferner waren die Urapostel unmittelbar vom Herrn berufen, selbst Matthias, der durch das atttestamentliche Losverfahren bestimmt wurde. Matthias erfüllte das für einen Apostel entscheidende Kriterium der Augenzeugenschaft (Apg 1,21 f.). Er hat Jesus vor und nach seiner Auferstehung gekannt. Das kann heute keiner der “neuen Apostel” von sich behaupten. Die Urapostel hatten zusammen mit Jesus gelebt und waren Zeugen seiner Auferstehung. 

Auch Paulus war unmittelbar von Christus berufen worden. In Gal 1,1 lesen wir:

“Paulus, ein Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten.”

In Gal 1,12 spricht er von einer “Offenbarung Jesu Christi” und in Gal 1,16 davon, daß “Gott seinen Sohn” in ihm offenbarte. In Gal 2 betont Paulus, daß er sich nicht mit menschlichen Autoritäten beredet hat, auch nicht mit Petrus, den er erst drei Jahre nach seiner Berufung kennengelernt hat. Vielmehr ist er ist durch Gott unmittelbar berufen, nicht durch Menschen (also z.B. andere Apostel) eingesetzt worden. Paulus hat den Herrn Jesus “gesehen” (1. Kor 9,1).Es war nicht der Heilige Geist, sondern Christus, der ihn berufen hat.

Die Urapostel waren also entweder Augenzeugen des Lebens und der Auferstehung Jesu Christi oder erlebten eine anderweitige unmittelbare Berufung durch Christus. Nirgends in der Heiligen Schrift wird berichtet, daß sie den Auftrag erhalten hätten, in der “zweiten Generation” weitere Apostel einzusetzen, was sie folglich auch nicht getan haben.

Wenn die heutigen “Apostel” Diener nach dem Vorbild der Urapostel sein wollten, müßten sie übrigens auch die unangenehmen Seiten des Apostelseins auf sich nehmen, also z.B. ohne Geld, ohne Gepäck, ohne Schuhe (ohne Luxus) auf die Missionsreisen zu gehen (vgl. Mt 9,9-10). Vor allem müßten sie bereit zu sein, das Kreuz auf sich zu nehmen und für Jesus zu sterben: „Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten” (Mt 24,9). Vielleicht sind einige dazu auch bereit. Jedenfalls kann man “nicht die Krone ohne das Kreuz haben, die geistliche Vollmacht ohne das Leiden, das Recht der Men- schenführung ohne das demütigende Selbstgericht”, was etwa Kurt Hutten den neuapostolischen Aposteln ins Stammbuch schreibt, wobei er an ihren oben beschriebenen Herrschaftanspruch erinnert.

Nun beanspruchen ja die “Apostel der neuen Zeit”, der Katholisch- Apostolischen Kirche, durch den Geist Gottes berufen worden zu sein. Aber weil die Apostel in der Urkirche durch Christus unmittelbar berufen wurden oder Augenzeugen waren, sagt etwa Cardale, der “Erstberufene der Neuzeit”, daß für ihn nicht die prophetische Berufung durch Drummond entscheidend war, sondern die Tatsache, daß er schon früher in sich den Auftrag gespürt habe, Apostel zu werden. Es gibt also eine “innere Berufung”, wird behauptet.

“Der Apostel Cardale habe auch später oft gesagt, das prophetische Wort, durch welches er als Apostel bezeichnet wurde, habe ihm keineswegs die erste Kunde von seiner Bestimmung zu diesem Amte gebracht. Im Gegenteil, Christus habe ihm seinen Willen, ihn als Apostel auszusenden, schon früher und ganz unabhängig von jenen Worten kundgetan.“

Diese Aussage finde ich sehr ehrlich. Sie bestätigt den Verdacht, daß das “Apostelamt der Neuzeit” eben doch ein selbstangemaßtes Amt ist, das dem ei- genen Sehnen entspringt, denn eine Grundlegung der Gemeinde wie bei den Uraposteln und eine dementsprechende Berufung durch Christus kann nicht vorhanden sein.

Nun wird von katholisch-apostolischer Seite und neuapostolischer Seite durchaus erkannt und anerkannt, daß die Apostel der Urchristenheit eine Grundlagenfunktion wahrnahmen, die unwiederholbar ist, die Grundlegung der Gemeinde. Darauf wird aber geantwortet, daß die Apostel der Endzeit nicht die Grundlegung wiederholen sollen, sondern diese Gemeinde zur Vollendung führen, bevor der Herr wiederkommt. Das sei also ihr Anspruch: Jesus direkt die Gemeinde entgegenzuführen. Es gibt nur ein Problem: In der Bibel ist nirgends die Rede davon, daß am Ende der Zeiten neue Apostel auftreten würden. 

Ferner wird gesagt, in einer Ausgabe des Buches 4. Esra finde sich der Begriff “Neue Apostolische Kirche”. Hierauf ist zu erwidern: Der Begriff “Neue Apostolische Kirche” findet sich nur in einer Kapitelüberschrift. Vor allem aber ist das Buch 4. Esra (nicht zu verwechseln mit Esra im Alten Testament!) pseudepigraph, gehört also nicht zur Heiligen Schrift, und zum zweiten stammt die Kapitelüberschrift aus dem 17. Jahrhundert. 

Daß im Neuen Testament nirgendwo die Möglichkeit angedeutet wird, Christus werde die Plätze verstorbener Apostel durch Neusendung von Aposteln wieder auffüllen, wird von katholisch-apostolischer und neuapostolischer Seite zuge- geben. Zugleich jedoch setzt man sich über die Aussage des Neuen Testaments hinweg, indem man argumentiert: Im Neuen Testamant werde zwar nicht expressis verbis (ausdrücklich) eine Neusendung von Aposteln angekündigt, andererseits werde sie aber auch nirgendwo ausgeschlossen. Die Apostel und Bischöfe der ersten Zeit hätten noch in der Erwartung der baldigen Parusie (Wiederkunft Christi) gelebt. Vermutlich sahen die Bischöfe der alten Kirche in dem Tod der Apostel etwas Unabänderliches und meinten darin den Willen Christi zu erkennen. Sie folgerten daraus fälschlich, die Funktion von Aposteln sei auf die allererste Zeit der Christenheit beschränkt. Das ist aber kein Argument, höchstens ein “argumentum e silentio” (Argument aus dem Schweigen heraus), was überhaupt nichts beweist.

Dann wird weiter argumentiert: Vornehmliche Aufgabe der Apostel der ersten Zeit sei es gewesen, als Augenzeugen die Auferstehung Jesu zu bezeugen. Es gebe aber keinen überzeugenden neutestamentlichen Nachweis für die Meinung, daß Apostel den auferstandenen Herrn gesehen haben müßten. Darauf antworte ich: Selbst Paulus hat den Herrn gesehen. Das wird – wie schon mehrmals ausgeführt – ausdrücklich in 1. Kor 9,1 betont: „Bin ich nicht frei, bin ich nicht ein Apostel, habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?” Der neutestamentliche Apostolat stützt sich geradezu auf dieses Gesehenhaben des Herrn. Außerdem spricht Paulus in 1. Korinther 15, 8 von sich selber als von einer “Mißgeburt” oder einer “unzeitigen Geburt” (brephos). Er ist nämlich der Letzte von denen, die den auferstandenen Herrn gesehen haben. Mit ihm ist die Kette der Erscheinungen abgeschlossen – und damit auch die Kette der Apostelberufungen!

Von neuapostolischer Seite wird das Argument gelegentlich auch herumgedreht, es sei nicht notwendig, daß ein Apostel Jesus “im Fleisch” gesehen haben müsse. Es habe nämlich auch in urchristlicher Zeit viele Menschen gegeben, die Jesus im Fleisch gesehen haben, aber doch keine Apostel waren. Ist das ein überzeugendes Argument? Hier übersieht man, daß das bloße Sehen nicht ausgereicht hat. Hätte dieses genügt, dann hätten auch die Pharisäer Apostel werden können. Dagegen mußte die Berufung natürlich hinzukommen. Jesus hat als irdischer oder auferstandener Herr Menschen in seine Nachfolge berufen. Die Augenzeugenschaft der Auferstehung Jesu sowie die Aussendung durch ihn, die Beauftragung durch den Herrn, war grundlegend, um Apostel zu werden. Apostoloi waren die Gesandten, die Jesus gesandt und beauftragt hat.

Und auch das sei nochmals betont: Bereits im Neuen Testament wird unterschieden, ob Jesus Christus selber Menschen beruft oder ob sie durch den Heiligen Geist berufen sind. Die heutigen Apostel stützen sich auf die Berufung durch den Heiligen Geist, aber die Urapostel waren allesamt durch Jesus Christus, durch die zweite Person der Trinität, berufen. Der irdische Jesus hat sie aus ihrem Beruf herausgerufen, z.B. Matthäus Levi weg vom Zoll oder andere Jünger beim Fischen am See Genezareth. Diese wurden unmittelbar berufen durch Jesus. Und auch Paulus wurde ja durch Jesus berufen, nicht durch den Heiligen Geist (s.o.). Das darf man nicht vermischen. Der erhöhte Christus ist Paulus vor Damaskus als der Auferstandene erschienen. Heute dagegen kann keiner behaupten, daß ihm der auferstandene Sohn Gottes begegnet sei wie Paulus vor Damaskus (zumindest ist es sehr subjektiv, wenn solches heutzutage behauptet wird). Auch Paulus hatte ja deshalb schon damals Probleme, sich als Apostel zu rechtfertigen. Um wieviel schwieriger ist es dann für die “Apostel” heute.


Gott kann natürlich auch heute durch seinen Geist Menschen berufen. Das ge- schieht ja bei jeder wirklichen Ordination. Aber berufen werden eben keine A- postel im urchristlichen Sinne, weil die unmittelbare Beauftragung und Entsen- dung durch Jesus fehlt.


In Epheser 4,11-13 – einer immer wieder angeführten Kardinalstelle in der Diskussion über “neue Apostel” – werden zwar sämtliche Dienste aufgezählt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer. Aber diese Aufzählung muß man im historischen Zusammenhang sehen. Hier werden die Apostel sicherlich genannt; der Brief ist ja in der Zeit der Apostel geschrieben. Aber an anderen Stellen, gerade Eph 2,20, wird deutlich, daß die Gemeinde, die Kirche auf den Grund der Apostel und Propheten gelegt ist. Das heißt, sie hatten die grundlegende Funktion in der Urkirche, und als die Urkirche gegründet war, gingen die Apostel in die Welt hinaus. Nun wird darauf weiter gebaut, wie etwa Paulus in 1. Korinther 3,6.10 sagt: “Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben … Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf…”


Da die biblischen Argumente fehlen, sucht man nach anderen Kennzeichen für die Echtheit der neuen Apostel. Eines davon stüzt sich darauf, daß die Neuapostolischen Gemeinden so groß seien und so blühen würden. Das sei eine Bestätigung dafür, daß die Apostel der Endzeit legitim berufen seien, denn sonst könnten die Gemeinden ja nicht so blühen.
Ist das ein Argument? Es ähnelt dem Argument des Gamaliel, das aber nicht von Gott inspiriert, sondern einfach ein pragmatisches Argument zu seiner Zeit war: “Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird’s untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten” (Apg 5,38 f.).
Der Islam besteht auch bis heute. Viele Sekten und Religionen bestehen. Und doch sind ihre Lehren nicht wahr. Dieses Argument von Gamaliel ist nicht geistgegeben. Es war nur ein praktischer Rat zur damaligen Zeit.
Natürlich hat es sich auch an der Kirche bewahrheitet, daß sie nicht von den Pforten der Hölle verschlungen wird (vgl. Mt 16,18). Aber das allein würde als Kriterium nicht ausreichen. Die Dauerhaftigkeit und Größe einer Religion, Kirche oder Gruppierung ist kein Ausweis ihrer biblischen Legitimität. Sonst wäre die Neuapostolische Kirche – von der Zahl ihrer Mitglieder her gesehen – die “biblischste Freikirche” in Deutschland. In vielen Städten und bundesweit ist die Neuapostolische Kirche ja größer als sämtliche Freikirchen zusammen.

Auch nicht Zeichen und Wunder können eine Legitimation sein. Das hatten interessanterweise auch die katholisch- apostolischen Apostel bereits festgestellt. Diese waren noch in vielem nüchterner als die Neuapostolischen und haben gesagt: Wunder kann auch der Satan tun. Die Katholisch- Apostolischen haben die Legitimation in dem gesehen, was sie redeten, in ihren Worten, in der Verkündigung ihrer Endzeitbotschaft, in der Tatsache, daß Menschen von der Wahrheit überführt werden, daß sie Christen aus allen Denominationen sammeln und unter dem apostolischen Amt vereinigen. Das war ihr ökumenisches Ziel. Die Neuapostolischen hingegen nehmen eine sektiererische Abgrenzung vor: Sie allein seien die Heilsgemeinde. Sie wollen keine Ökumene im besten Sinne mehr, sondern die Exklusivität: Wir allein!


Die Katholisch-Apostolischen haben als Ausweis ihrer Legitimität die Früchte ihrer Arbeit betont. J. H. Thiersch etwa weist darauf hin, daß das katholisch- apostolische Werk von Gott sein müsse, weil die Früchte so gut seien. Thiersch schreibt: „Indessen ist die apostolische Sache so lauter und kerngesund, daß sie sich gerade dem Tiefforschenden … offen seine Einwendungen Darbringenden, beglaubigt.” Falls es menschliche Anmaßung wäre, „würde in Bälde göttliches Gericht folgen, und die Früchte würden faulen; denn Gott läßt den nicht ungestraft, der Seinen Namen mißbraucht.“

Und was geschah mit den Katholisch-Apostolischen? Das “Gericht” kam spätestens 1901, als der letzte Apostel gestorben war. Darum müssen wir auch an diese Adresse kritisch sagen, daß letztendlich ja das Gericht eintrat. Andreas Weber, der der katholisch- apostolischen Sache wohlgesonnen ist, stellt am Ende seiner ausführlichen Untersuchung doch fest:
„Ist das Erleiden der Hinwegnahme des ganzen Werkes und Modells die Folge einer menschlichen und irrtümlich durchgehaltenen Idee oder ist es die Folge einer Führung Gottes? Die Antwort darauf wird unterschiedlich ausfallen.“

Das Gericht kam in Form des Untergangs, des Aussterbens der Apostel. Heute ist das Werk verwaist und stark zurückgegangen. Die ökumenische Breitenwirkung wurde nicht erreicht.

Die Neuapostolischen sagen von sich das Gegenteil: Sie seien in die Breite gewachsen, Aber auch das ist, wie ich oben ausgeführt habe, keine Legitimation, kein Beweis für die Echtheit. Beides nicht.

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß uns die Bibel vor dem Auftreten falscher Propheten und Apostel warnt, die sich als Diener Jesu Christi ausgeben, aber es nicht sind. Nach allem, was wir über die Geschichte und Lehre der “apostolischen” Kirchen des 19. und 20. Jahrhunderts gehört haben, trifft meines Erachtens diese biblische Warnung – trotz vieler gutgläubiger Mitglieder und Anhänger und auch mancher guten Ziele – auf alle diese Kirchen und ihre Vertreter zu.


“Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und viele verführen” (Mt 24,10). 

“Was ich aber tue, das will ich auch weiterhin tun und denen den Anlaß nehmen, die einen Anlaß suchen, sich zu rühmen, sie seien wie wir. Denn solche sind falsche Apostel, betrügerische Arbeiter und verstellen sich als Apostel Christi. Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellt sich als Engel des Lichts. Darum ist es nichts Großes, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit; deren Ende wird sein nach ihren Werken” (2. Kor 11,12-15).

Die Betonungen im Text sind von mir. Horst Koch, Herborn, im Jahre 2024

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Frommer Betrug (A.Seibel)

LÜGEN ZUR EHRE GOTTES?

Nach dem Scherbenhaufen, der durch das Doppelleben von Todd Bentley entstanden war, schrieb Lee Grady, selbstkritischer Herausgeber der amerikanischen Zeitschrift „Charisma“: Ein bekannter pfingstlicher Evangelist… sagte zu mir: „Jetzt bin ich davon überzeugt, dass ein großer Teil der charismatischen Bewegung dem Antichristen folgen wird, wenn er auftreten sollte, denn sie haben kein geistliches Unterscheidungsvermögen“ („Life After Lakeland: Sorting out the Confusion“ http://fireinmybones.com/, 13. August, 2008).

In ideaSpektrum wurde vor einiger Zeit berichtet, wie in einer der größten Pfingstgemeinden Australiens sich der Jugendpastor Michael Guglielmucci als Lügner herausgestellt hat. Er hatte eine Krebserkrankung zwei Jahre lang vorgetäuscht, um sein eigentliches Problem, eine langjährige Pornosucht, zu verschleiern (ideaSpektrum 36/08, S. 35).

Einer der bekanntesten Pfingstevangelisten der 70er und 80er-Jahre, Jimmy Swaggart, hatte ähnliche Probleme. Bei seiner Geistestaufe als Teenager hatte er eine Vision, die sich offenbar erfüllte. Jahre später musste er nach peinlichen Enthüllungen bekennen, eine bald lebenslange Abhängigkeit von Pornographie zu haben, weswegen er auch öfters zu einer Prostituierten ging.

Eine tragende Gestalt der neuen Prophetenbewegung mit erstaunlichen Eingebungen war Paul Cain, der Mann von dem John Wimber sagte, er sei der Prophet, der sich nie geirrt habe. Später stellte sich heraus, dass er Homosexueller und Alkoholiker ist.

Roberts Liardon, der in seinem Buch „Gottes Generäle“ große pfingstliche Wunderheiler und – heilerinnen vorstellt, bekam wegen homosexueller Beziehungen zu seinem Jugendpastor für drei Monate Kanzelverbot. Dabei ist dieses Buch – Liardon sieht diese „Wundertäter“ überwiegend positiv und setzt nur hin und wieder Fragezeichen – eigentlich eine erschütternde Dokumentation der Verirrungen und Entgleisungen dieser angeblichen „Generäle“. Eine dieser erwähnten „glorreichen“ Gestalten ist William Branham. Der oben schon zitierte Lee Grady klagte in diesem Zusammenhang: Branham geriet in eine fürchterliche Verführung am Ende seines Dienstes, bevor er im Jahre 1965 starb. Er behauptete von sich, er sei die Reinkarnation von Elia – und bis heute gibt es Nachfolger von ihm in einer sektenartigen Gruppierung. Als Bentley der Welt ankündigte, dass derselbe Engel, der die Heilungserweckung (unter Branham) in den 1950er Jahren brachte, nun auch in Lakeland erschienen war, wäre es für seine gesamte Zuhörerschaft an der Zeit gewesen, den Raum fluchtartig zu verlassen (Ibid).

Erfundene Heilungsberichte und andere langjährig gepflegte Unwahrhaftigkeiten sind leider nicht so selten in manchen „übergeistlichen“ Kreisen. Allerdings nicht nur dort.

Evangelikale Missionare nennen dies „Transcedental Trickery“, wo man meint, mit erfundenen Wundern und Heilungen dem „Glauben“ nachhelfen zu können.

Ein trauriges Beispiel ist die Mutter von David Berg, die mit einer erdichteten Wunderheilung gleich mehrere Gemeinden gründete. Scheinbar sieht es so aus, als ob dieses „Rezept“ funktionierte. Man erfinde z.B. ein Heilungs- oder anderes Wunder bzw. übertreibe mehr oder weniger kräftig und „Gemeinde-wachstum“ stellt sich ein (Deborah Davis, „Die ungeschminkte Wahrheit“, Verlag Schulte + Gerth, 1985).

Doch Gott lässt sich bekanntlich nicht spotten. David Berg nahm später den Namen Mose David an und wurde der Gründervater der „Children of God“. In dieser Bewegung nun kam diese Vorstellung, dass der Zweck mehr oder weniger die Mittel heiligt, zu seiner schlimmsten Ausprägung. Mose David schickte seine weiblichen Jüngerinnen zwecks „Flirty Fishing“, d.h. zur Prostitution, auf die Straße, um, wie es genannt wurde, „ein Köder für Jesus zu sein.“

Diese tragische Entwicklung haben die weltlichen Medien natürlich genüsslich aufgegriffen und nur Gott allein weiß, wie viel Schmach und Schande dies auf den Namen unseres Erlösers gebracht hatte.

„Wahrhaftigkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man nicht mit ihr“, dies scheint auch, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, die Devise von Kathryn Kuhlman gewesen zu sein, von der sogar behauptet wurde, sie habe wie kaum jemand anders den Weg für den heiligen Geist bereitet. Durch sie wurden Heilungsdienste und vor allem das Phänomen des Erschlagenwerdens im Geist Ende der 60er-Jahre auch in der evangelikalen Welt populär.

So schreibt ihr Biograph und Anhänger, Jamie Buckingham: Es war für sie ein besonderes Vergnügen, wenn sie die Presse hereinlegen konnte… Sie hatte, obwohl bereits sterbenskrank, den Arzt in bezug auf ihr Alter angeschwindelt. Bis zu ihrem Ende blieb dieser Stolz bestimmend in ihrem Leben… (Jamie Buckingham, „Kathryn Kuhlman“, Verlag Johannes Fix, 1979, S. 16).
Das war ein unerklärlicher Zug an ihr, den sie bis zu ihrem Tod beibehielt. Selbst als sie schon Endsechzigerin war, bestand sie noch darauf, daß ihr Radioansager sie mit den Worten ankündigte: „Und nun Kathryn Kuhlman, die junge Frau, auf die sie alle gewartet haben“ … Kathryn war eine Einzelgängerin. Sie lehnte jeglichen Rat ihrer Freunde ab. Unterordnung war ihr etwas Fremdes, besonders wenn es sich um einen Mann oder um eine Gruppe von Männern handelte, denen sie sich unterordnen sollte (Ibid., S. 83 u. 85).

Gravierender ist die Tatsache, dass sie wegen ihrer zerbrochenen Ehe mit dem geschiedenen Pfingstprediger Burroughs Waltrip ihre Umwelt einfach anlog. Als sie von Robert Hoyt vom Akroner „Beacon Journal“ interviewt wurde, leugnete sie, jemals verheiratet gewesen zu sein. „Wir waren nie verheiratet. Ich habe nie ein Ehegelübde abgelegt“,… Drohend erhob sie den Finger und schrie den Reporter an: „Das ist die Wahrheit, so wahr mir Gott hilft“ (Ibid., S. 132).

Ein trauriges Rekordbeispiel ist Peter Popoff. Dieser pfingstliche Heilungsevangelist behauptete, besondere Eingebungen und Worte der Erkenntnis von Gott zu erhalten und nannte sich ein Prophet mit der Gabe der Heilung. Popoff konnte erstaunliche Details über die Personen offenbaren, die Heilung und Hilfe suchten. Name, Anschrift, Alter, detaillierte Krankheitsbefunde usw., bis sich herausstellte, dass er einen winzigen Funkempfänger im Ohr versteckt hatte und seine Frau ihm diese Daten zufunkte. Enttarnt wurde er nicht von einem der vielen tausend mehr oder weniger charismatischen Teilnehmer, von denen etliche womöglich sich der Gabe der Geisterunterscheidung rühmten, sondern von einem Atheisten namens James Randi. Bekanntlich sind die Kinder der Welt klüger als die Kinder des Lichts (Luk. 16,8).

Randi hatte es sich zur Aufgabe gemacht, solche Wunderheiler näher unter die Lupe zu nehmen. 1987 schrieb er eine Art Standardwerk zu dieser Thematik, The Faith Healers (Richard Mayhue, „Dein Glaube hat dich geheilt“, CLV, S. 35 – 37). Als Randi dann seine Entdeckungen wegen dieser Betrügereien bekannt gab, hieß es von Popoffs Seite: He is from the devil (Er ist vom Teufel). So reagieren übrigens oft übergeistliche Wunderheiler, wenn man ihre „Zeichen und Wunder“ in Frage stellt.

Doch selbst nach dieser Enttarnung schaltete die amerikanische Zeitschrift Charisma ganzseitige Anzeigen und Christen schickten weiter Gaben an diesen „Mann Gottes“. Warum sind nur so viele Gläubige so erschreckend leichtgläubig?

Ein anderer Pfingstheiler, der dem Glauben mit unlauteren Mittel nachhelfen wollte, war W.V. Grant. Auch er konnte Leute mit ihren Namen herausrufen, Beine verlängern und andere, scheinbar erstaunliche Wunder vollbringen. Doch alles stellte sich als fingiert heraus. Schauspieler im Publikum mimten Krankheiten und dann Heilungen, Leute, die wunderbarerweise aus dem Rollstuhl aufstanden, konnten sich auch ohne Rollstühle fortbewegen, wie sich später herausstellte usw. (CIB Bulletin, Jan. 1992).

Solche “Rollstuhlheilungen” während einer Massenevangelisation erfreuen sich allgemeiner Beliebtheit. So erzählte mir ein Afrikamissionar, den ich kürzlich nach Tansania begleitete, wie seine Kinder Augenzeugen einer Evangelisation von Reinhard Bonnke in Nairobi waren. Sie saßen auf einer Empore mehr am Rande und registrierten, wie eine gesunde Person sich in einen Rollstuhl setzte und nach vorne zur Bühne geschoben wurde. Unter großer Begeisterung und freudigen Hallelujarufen sprang der „Geheilte“ aus seinem Stuhl. Daraufhin haben sich viele „bekehrt“.

Die Kinder waren empört und sprachen den Repräsentanten von Bonnkes Missionswerk, CfaN (Christus für alle Nationen), darauf an, dass dies doch Betrug sei. Doch der Befragte hatte mit dieser Art „Verkündigung“ keine Probleme. Schließlich bewirke und stärke dies ja bei vielen den Glauben.

Pastor Helmut Weidemann, der einmal eine Wunderheilung, die sich hier in Deutschland durch Reinhard Bonnke ereignet haben soll und groß hinausposaunt wurde, objektiv und medizinisch belegt haben wollte, kommentierte später etwas resignierend: „Ich habe noch nie so viel Unwahrhaftigkeit angetroffen“.

Über Benny Hinn war sogar in „Aufatmen“ in Zusammenhang mit seinem Buch über den Heiligen Geist und Heilungen zu lesen: Ein Sprecher des betreffenden Krankenhauses hält Hinns Aussagen für eine Fälschung. Es gäbe weder medizinische Aufzeichnungen noch Aussagen damaliger und heutiger Mitarbeiter, die diese Angaben bestätigen könnten („Aufatmen“, 2/96 S. 77).

Auch die Geschichten des „Heavenly Man“ Yun haben sich inzwischen mehr als Phantasia und Betrug denn als Tatsachen herausgestellt, doch der Chinese Yun ist durch dieses Buch berühmt und wohlhabend geworden.

Man könnte diese Liste leider noch ziemlich, bald endlos, fortsetzen. Dies soll auf keinen Fall heißen, es träfe Täuschung und Verführung nun bei allen Anhängern dieser Strömung zu. Der oben erwähnte Lee Grady und manche andere wehren sich heftig gegen diese Unwahrhaftigkeit in den eigenen Reihen.

Auch gibt es infolge der endzeitlichen Entwicklung in nichtcharismatischen Kreisen immer mehr Unwahrhaftigkeit, Doppelmoral und Heuchelei. Man muß leider zur Kenntnis nehmen, wie in unseren Tagen sich der Geist der Lüge in Welt, Kirche und Gemeinde immer mehr ausbreitet und man hat den Eindruck, die Leute, einschließlich mancher Frommen, wollen betrogen werden.

Doch bei der populären Hierarchie und besonders bei den TV-Wunderheilern und „Erweckungspredigern“, wird man nun tatsächlich an eine Feststellung von Elias Schrenk, dem Bahnbrecher der Evangelisation auf deutschem Boden, erinnert, der im Zusammenhang mit der damals einbrechenden Pfingstbewegung konstatierte:  Ich würde mich freuen über eine Bewegung, die man reinigen kann, daß sie sich als eine göttliche Bewegung legitimierte. Aber ich bin fest überzeugt, daß man eine Bewegung nicht reinigen kann, in der so viel Lüge offenbar wurde wie in dieser Bewegung (Paul Fleisch, „Geschichte der Pfingstbewegung“,  Francke-Buchhandlung GmbH, 1983, Seite 169).

Gerade wenn man sieht, wie man versucht, die offensichtlich nicht eingetroffenen Prophezeiungen, die vollmundig im Namen des Herrn abgegeben wurden, zurechtzubiegen und so lange zu frisieren, bis es doch noch irgendwie stimmen könnte, kann man sich des Eindrucks nicht entziehen, daß hier eben nicht der Heilige Geist, der bekanntlich ein Geist der Wahrhaftigkeit ist, am Wirken ist.

Reinhard Bonnke beispielsweise, der bei seiner Feuerkonferenz in Frankfurt die große Geistesausgießung für Europa und Deutschland angekündigt hat. Was sich tatsächlich seither ereignete, war eine Geisterausgießung. Europa erlebt einen beispiellosen Okkult- und New-Age-Aufbruch. Doch man windet sich nach allen Richtungen und zieht fast alle Register der Verschleierung, nur um nicht zugeben zu müssen, daß man in Wirklichkeit ein Falschprophet ist.

Auch Volkhard Spitzer verstand es meisterhaft, seine Prophezeiung von dem angeblich gefüllten Berliner Olympiastadion – es kam dann ziemlich anders – zurechtzurücken und seine betrogenen Fans zu beruhigen.

Es erinnert an die Klage von Richard Krüger, ehemaliger Direktor des pfingstlichen Theologischen Seminars Beröa. Die Propheten gestünden selten oder kaum Irrtümer, Übertreibungen oder überhöhte Wunschvorstellungen ein (ideaSpektrum 4/2002).

Doch Gottes Wort sagt „die Propheten… haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lügen; sie sagen: »So spricht Gott der HERR«, wo doch der HERR gar nicht geredet hat“ (Hes. 22,28).

Alexander Seibel

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Christen als Fremde in der Welt (Baumgärtner)

Christen sind Fremdkörper in dieser Welt

Von Pfarrer i.R. Willi Baumgärtner, Helmsheim

Ein Fremdkörper, so sagt das Lexikon, ist „ein einem Organismus fremder Gegenstand“. Eine gute Beschreibung. Etwas, was nicht zur Konstruktion, zum Wesen oder zur Art eines bestimmten Organismus passt. So passen Christen in ihrer Art, ihrer Ausrichtung und ihrem Handeln auch nicht in diese Welt hinein.
Vorbilder gibt es bereits im Alten Testament genügend. Abraham war nach seiner Berufung aus Haran ein Fremdling. Die Israeliten lebten als Fremdlinge in Ägypten und sind überhaupt Fremdlinge in dieser Welt mit ihrer ganz anderen Form des bilderlosen Gottesdienstes.
Schon Haman hat dem König Ahasveros das Volk Israel gut beschrieben (Esther 3,8): „Es gibt ein Volk, zerstreut und abgesondert unter allen Völkern in allen Ländern deines Königreichs. Ihr Gesetz ist anders als das aller Völker. Sie tun nicht nach des Königs Gesetzen…“
Eine gute Beschreibung auch für uns Christen in dieser Welt. Es gibt mehrere Gründe dafür, warum das so ist.

Diese Welt hat eine Richtung

Die Welt ist nicht nur einfach neutrales Gebiet. Sie liegt im Argen. Sie wird vom Bösen beherrscht. Ihre Erkennungsmerkmale sind nach 1. Johannes 2,16 „Des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffärtiges Wesen.“
Der Teufel legte in der Versuchungsgeschichte dem Herrn sogar alle Reiche dieser Welt zu Füßen. Wir müssen wissen, dass wir als vom Sündenfall her verfluchte Menschen auf einer seither ebenfalls verfluchten Erde geboren werden. Nach Epheser 6,12 herrschen in der Luft böse Geister.
In dieser Welt gilt die Richtung: weg von Gott. Der natürliche Mensch will unbewusst weg von Gott – aus der Hand des liebenden und schützenden Gottes heraus. Der moderne Mensch spricht in diesem Zusammenhang von „Emanzipation“.
Treffender wird dieses Aufbegehren des Menschen von Immanuel Kant beschrieben, wenn er den Begriff „Aufklärung“ definiert: „Aufklärung ist das Heraustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes zu bedienen.“
Von dieser Sicht aus konnte Kant konsequenterweise selbst dem Sündenfall noch etwas Positives abgewinnen und seine Abhandlung „Lob des Sündenfalles“ schreiben. Damit beginnt eine Denkweise, die in der 68er Bewegung und dem heutigen Zeitgeist furchtbare Früchte trägt. Diese Art der Welt finden wir schon beim Turmbau von Babel (1. Mose 11). Sie wächst sich darin zu schrecklichem Wahn aus.
Der Apostel Johannes beschreibt in seinem Brief die Art und das Wesen dieser Welt mit dem oben schon zitierten Vers besonders treffend: „Der Augen Lust und des Fleisches Lust und hoffärtiges Wesen“ (1. Joh. 2,16). Anders gesagt:
► Es ist die Orientierung in Richtung auf das Sichtbare und Materielle, auf Geld und Gut und äußere Dinge. Auf Essen und Trinken und Haus und Hof und Kleidung
► Es ist die Orientierung auf das, „was uns gut tut, was bequem ist“, was ich jetzt sofort um jeden Preis haben möchte, wie Esau. Was mich keine Anstrengung kostet und dem Alten Menschen in mir zugutekommt (Ich-Bezogenheit). Dieses „Ich will aber …“ beherrschen schon ganz kleine Kinder als allererstes.
► Es ist der Ehrgeiz und Hochmut, der sich immer mit Anderen vergleicht und besser sein will als sie. Der sich einen Namen machen will, nicht wissend, dass gläubige Menschen als Kinder Gottes und im Namen ihres Erretters Jesus Christus volle Genüge haben können.

Diese Welt ist geistlich tot und kann nur Totes hervorbringen

Gläubige Menschen wissen darum und beteiligen sich deshalb nicht an jeder verrückten und aus der Not einer Situation heraus geborenen Weltverbesserungsstrategie der Philosophen, Politiker, Wissenschaftler, Religionsführer und Wirtschaftsmanager.
Diese alle wollen angeblich das Beste. Sie wollen das, was scheinbar aus der Sicht der menschlichen Vernunft geboten ist. Wir wissen aber aus dem Wort Gottes, dass beispielsweise die Strategie der Globalisierung (die eigentlich die bessere Zusammenarbeit und friedliche Koexistenz von Völkern und Religionen sichern soll) letztlich religiös, politisch und wirtschaftlich in der großen antichristlichen Hure Babylon enden wird. Wir haben das prophetische Wort, damit es uns dazu hilft, dieses System heute schon zu durchschauen.
Sicher ergeben sich manchmal da und dort auch gewisse Schnittmengen zwischen dem Glauben und der Welt. Dennoch gelten die in der Schrift vielfach vorgetragenen Mahnungen, nicht die Welt lieb zu haben (Jak. 4,4; Röm. 12,2; 1. Joh. 2, 12-17) Das heißt nicht, die Welt zu hassen oder zu verachten. Schließlich leben wir in ihr. Aber wir lieben sie nicht als Welt.

Gläubige haben eine andere Richtung

1. Sie sind nicht mehr von dieser Welt geprägt.
Gläubige Menschen gehörten einmal zu dieser Welt. Es gibt bei ihnen dieses „Einst“ und „Jetzt“. Vielleicht dachten sie weltlich oder religiös wie die Welt.
Den Korinthern zählt der Apostel Paulus alle möglichen Sünden auf. Er fasst das zusammen in der Aussage: „Solcher sind euer etliche gewesen. Aber ihr seid reingewaschen …“ (1. Kor. 6,11)
Jetzt sind sie „versetzt“ (Kol. 1,13) hinein in das Reich des Sohnes seiner Liebe. Durch den Glauben an Christus haben sie den Heiligen Geist bekommen. Sie sind Wiedergeborene. Von neuem oder von oben geboren.
Mit dem Glauben bekommen sie eine neue Sichtweise, eine neue Orientierung. Denn sie sehen jetzt nicht mehr allein auf Äußerlichkeiten wie die Gesundheit, das Haus, die gesellschaftlichen Nöte … Sie leben nicht mehr in der Abhängigkeit von dem, was das unpersönliche „man“ tut. Sie müssen sich nicht mehr anstrengen, um „in“ zu sein.
Selbst die Bindungen des Blutes, der Familie und Verwandtschaft treten gegenüber der Bruderliebe und geistlichen Bindungen in den Hintergrund. Das meint Jesus, wenn er so harte Nachfolgeworte spricht wie: „Wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlässt um meines Namens willen, der wird’s hundertfach empfangen und das ewige Leben ererben“ (Matthäus 19,29). Der Apostel Petrus schreibt von dem „eitlen und von den Vätern her überliefertem Wandel“, von dem uns Christus erlöst hat (1. Petrus 1,18)
Es ist manchmal schon merkwürdig, wenn Glaubensgeschwister da und dort mehr zu ihrer eigenen Verwandtschaft halten, selbst, wenn diese arge Fehler machen, als zu den eigenen Glaubensgeschwistern. Ich habe das immer wieder erlebt. Da hielt man mehr zu seinen nicht gläubigen Kindern, wenn sie jemand aus dem Geschwisterkreis kritisiert hat und war dem Kritiker noch gram.
Nein, wir haben im Glauben eine andere Richtung bekommen. So wie die Satellitenschüssel auf den Sender ausgerichtet sein muss, wenn man das Programm empfangen will, so müssen Gläubige auf Christus ausgerichtet sein. Alle sollten in die gleiche Richtung gehen. Das meinen die Begriffe „einmütig“ und „einhellig“, die der Apostel Paulus immer wieder verwendet. Im Unterschied zur Welt gehören gläubige Menschen nicht mehr Satan. Christus hat sie losgekauft. Er hat sie freigemacht durch sein Sterben und sein Blut, und sie haben das im Glauben in Anspruch genommen. Darum sind sie Fremdkörper in dieser Welt.
Von dem Zeitpunkt der geistlichen Bekehrung und Neugeburt an müssen sie mit Anfeindungen rechnen. Das ist für echte Christen etwas völlig Normales. Wir alle wehren uns, wenn uns jemand etwas wegnehmen will. Auch der Teufel macht das so. Dies sind die tiefsten Hintergründe für viele Kämpfe in Familie, Beruf und Nachbarschaft, die wir als Christen zu beste- hen haben.

2. Sie leben noch in dieser Welt, sind aber innerlich der Welt mit ihren Sünden gestorben

Äußerlich gehören wir wohl noch in diese Welt. Wir arbeiten in ihr, wir sind Staatsbürger, wir nehmen gesetzliche Möglichkeiten in Anspruch, die uns geboten werden. Wir brauchen wie alle anderen Geld, um leben und unsere Unkosten bezahlen zu können. Das ist nichts Schlechtes.
Wir unterscheiden uns auch äußerlich nicht wesentlich von anderen Menschen. Auch wir werden alt und verlieren im Alter Haare und Zähne oder brauchen ärztliche Hilfe. Als jemand, der schon das ganze Leben mit den Hüften Not hat, bin ich dankbar für meine Operationen und Reha-Maßnahmen, die es heute gibt.
In einem alten Lied mit dem Titel „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ wird diese Spannung, die Christen in dieser Welt erleben, ausgezeichnet beschrieben, wenn es dort heißt:

„Sonst sind sie wohl Adams natürliche Kinder

und tragen das Bildnis des Irdischen auch;

sie leiden im Fleische wie andere Sünder,

sie essen und trinken nach nötigem Brauch;

in leiblichen Sachen, in Schlafen und Wachen

sieht man sie vor andern nichts Sonderlichs machen,

nur dass sie die Torheit der Weltlust verlachen.“

Es sei den Lesern empfohlen, einmal dieses Lied von Christian Friedrich Richter aus dem Jahre 1704 als Ganzes zu lesen. Ihm ist es gut gelungen, die Spannung zwischen äußerem und innerem Leben, zwischen Leib und Geist, Natur und Glauben darzustellen und zu zeigen, wo Christen mit der Welt nicht mitkönnen und wo es keine Unterschiede gibt.

3. Sie bekommen die Reaktion der Welt zu spüren.

Menschen, die nicht gläubig und damit noch Teil dieser Welt sind, spüren auf der einen Seite, dass bei gläubigen Menschen etwas anders ist. Auch wenn sie das nicht konkret beschreiben oder benennen können.
Mir sagten manchmal Schüler oder auch Leute, mit denen ich irgendwie geschäftlich oder sonstwie zu tun habe: „Du strahlst so einen Frieden aus.“ Ich weiß zwar, das stimmt nicht immer, denn ein Christ kennt auch sein eigenes Herz, aber es wird von Mitmenschen mitunter so empfunden.
Oft spüren sie intuitiv: Da ist etwas, was sie selbst nicht haben. Manchmal hängen sich solche Leute an uns, wie im Alten Testament sich „Leute mit Schulden“ an David gehängt haben. Sie merken, wie wir nicht vom Denken der Masse geprägt sind und anders über das urteilen, was uns begegnet. Sie haben eine andere Sicht des Geschäftslebens, des Staates, des Geldes, des Familienlebens und anderer Lebensbereiche, wie aus den Brie- fen des Paulus deutlich wird.
Da ist aber auf der anderen Seite auch der Hass der Welt. Unser Anders- sein ruft Neid und Vorbehalte hervor und kann zum Ärgernis werden. Der natürliche Mensch in der Welt möchte zwar so sein wie ein Christ, er spürt unbewusst den Unterschied zwischen Gut und Böse, selbst, wenn es heute kaum mehr in den Elternhäusern und Schulen gelehrt wird. Aber er merkt andererseits, dass er aus sich heraus gar nicht so leben kann. Genau hier liegt der Fehler aller ideologischen Reformprogramme dieser Welt: Dass viel verkehrt läuft, merken sie. Und dann beginnen sie, die Verhältnisse zu ändern. Da mögen manche guten Ansätze sein, aber eines können sie nicht: das menschliche Herz ändern. Das kann kein Mensch!
Wenn wir den Leuten sagen, dass nur Jesus diese Änderung zu Stande bringt und wir deshalb diesen Programmen nicht zustimmen können, dann setzen Ärger, Hass und sogar Verfolgung ein. Das geht dem einzelnen Christen ebenso wie ganzen Gruppen. Insbesondere bibeltreue Gruppierungen, die gern als „Fundamentalisten“ bezeichnet werden, stehen schnell im Brennpunkt der Kritik.
Das erleben Christen heute besonders bei Aktivitäten in Richtung Lebensschutz: bei ihrem Engagement gegen den Kindesmord der Abtreibung und den vom Gesetzgeber freigegebenen assistierten Selbstmord. Oder an den Hindernissen, die ihnen in den Weg gelegt werden, wenn sie in manchen Städten freie christliche Privatschulen gründen wollen. Da braucht nur ein Attentäter wie neulich für eine kurze Zeit seines Lebens mit christlichen Kreisen Kontakt gehabt zu haben, schon werden bibeltreue Christen mit diesem in einen Topf geworfen.
Auch auf vielen anderen Gebieten werden die Christen für die Welt zum Ärgernis – so etwa, wenn sie auf Missstände der Gesellschaft hinweisen, die mit der Bibel nicht zu vereinbaren sind. Gegendemonstrationen bei christlichen Kundgebungen, mitunter sogar schon gegen Evangelisationen, sprechen eine deutliche Sprache.
Der Gegenwind wird zunehmen, je näher die Wiederkunft des Herrn Jesus kommt. Dennoch gilt in dem allen auch ein Wort, das der Herr den Jüngern zum Abschied mitgab: „In der Welt habt ihr Angst. (Bedrängnis) Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16, 33). Sowohl dieses Wort als auch das, was Petrus schreibt, daß uns „die Hitze, die uns begegnet, nicht befremdet“ (Wörtlich „nicht wie ein Gast ist“) wollen uns auf realistische Weise diese Spannung deutlich machen. Und nur, wo wir anders sind als die Welt, werden wir sie spüren.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im Januar 2024

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Die Völker und die Wiederkunft Christi (Pache)

Fünfter Teil

Die Welt und die Wiederkunft Jesu Christi

– Aus dem Buch DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI, Seiten 103 bis 117 –

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im November 2023

1. Kapitel

Die Völker und die Endzeit

1. Die Entwicklung der Welt
Gleich nach dem Sündenfall trennte sich die Menschheit in zwei klar geschiedene Linien: in die Nachkommenschaft des Weibes und die der Schlange 1. Mose 3, 15.
Die Nachkommenschaft des Weibes sind Abel, Noah Abraham, das wahre Israel, dann vor allem Christus, der der Schlange den Kopf zertreten hat, und schließlich die Gemeinde.
Die Nachkommenschaft der Schlange sind Kain und nach ihm das Geschlecht der Sintflut, Babylon, Ägypten, Ninive, Rom, alle menschlichen Reiche und zuletzt der Antichrist.
Gott hatte die Menschheit in einen wunderbaren Garten gesetzt. Aber um nach seinem Verbrechen eine Zuflucht zu finden, baute Kain eine Stadt. 1. Mose 4, 17. Seine Nachkommen entwickelten rasch eine blühende Kultur, von der man erstaunliche Reste gefunden hat. Sie war aber so verderbt, dass sie Gott in der Sintflut vernichten musste. Bald danach gerieten auch die Nachkommen Noahs auf Abwege. Sie vermehrten sich und wurden stolz auf ihre Macht. Sie lehnten sich gegen den Befehl Gottes auf, sich über die Erde zu verbreiten, und machten sich an den Bau einer neuen Stadt, eines Turms, der Gott Trotz bieten sollte. Da zerstreute sie der Herr über die Erde hin und zerstörte die äußere Einheit der Rasse, in dem Er ihre Sprache verwirrte. 1. Mose 11, 4. 7-8. Dies hatte zwei wichtige Folgen:

1. Von nun an stellt Gott die Völker beiseite.
Er erweckt das Volk Israel, daß es dereinst der Welt das Heil bringe. Erst nach dem Kommen Jesu wendet sich Gott wieder den Völkern zu, um ihnen das Evangelium zu verkünden. ( z.B. Apg. 13, 45-47.) Zudem macht der Herr Ihr Volk zum ersten Volk der Erde. 5. Mose 26, 19; 28,1.
 Wären die Juden treu geblieben, hätte der Herr durch sie Sein Reich hienieden aufgerichtet. Von Abraham bis zur Zerstörung Jerusalems und dem Verlust der jüdischen Unabhängigkeit stehen die Völker nicht mehr im Vordergrund der Weltbühne.


2. Beim Turmbau zu Babel verwirrt Gott die Sprachen der Menschen und bricht die Einheit der Rasse.

Diese Einheit wieder zu finden, ist fortab der Traum aller Reiche und aller menschlichen Organisationen. Zu diesem Zweck tragen Eroberer ihren Siegeszug weiter, bilden Pazifisten den Völkerbund, erfinden Gelehrte das Esperanto, suchen Religionen die „Ketzer“ durch Feuer und Schwert zu vertilgen, aber alles ist vergeblich.
Die verlorene Einheit wird nur auf zwei Wegen wiederhergestellt: Die wahre Einheit wird auf der geistlichen Ebene von allen Gliedern am Leibe Christi durch Sein am Kreuz vergossenes Blut und die Kraft des Heiligen Geistes geschaffen. Eph. 2, 13.18. Die falsche Einheit, eine äußere, zwangsmäßige, wird einmal in der Geschichte durch den Antichristen und den falschen Propheten geschaffen und auf dem politischen wie auf dem religiösen Gebiet allen aufgezwungen werden. Offb. 13, 7-8. Unterdessen gleiten, seit dem Turmbau zu Babel, die sich selbst überlassenen Völker immer weiter bergab. Sie sind stolz auf ihre Kultur, ihren Reichtum, ihre Macht. Aber sie entfernen sich immer weiter von Gott und versinken im Schlamm der Sünde. So wird das Böse immer mehr zunehmen. Die Kultur der Mechanik mag Fortschritte machen, die Wissenschaft neue Wunder entdecken, der Mensch immer gelehrter werden, aber die Bosheit, die Gottlosigkeit, die Unmoral werden unerhörte Ausmaße annehmen. Die dem Satan ausgelieferte Menschheit wird zeigen, wessen sie fähig ist. Das kündet der Apostel Paulus klar an, da er in den schon angeführten Stellen vom Endabfall redet. 2. Tim. 3, 1-5; 4,3-4. Wir haben in den letzten Jahren einen augenfälligen Beweis für die Wahrheit dieser Prophezeiungen erlebt.
Die Zukunft der Völker bietet also nichts erfreuliches, denn sie wird so sein, wie es ihr verstocktes Herz haben will. Sie ist das logische Ergebnis vom Weg, den jene seit dem Fall verfolgt haben. Der Herr aber wird verherrlicht werden, wenn Er die Sünder bestraft und aus Seiner Macht Gerechtigkeit und Frieden auf Erden aufgerichtet hat.


II. Die Zeit der Völker.

Nach dem Turmbau zu Babel hatte Gott das auserwählte Israel zum ersten Volk der Erde gemacht. Er hatte in Jerusalem Wohnung genommen, und von da aus regierte Er die Welt. Aber das Volk Seiner Wahl verwarf die Gottesherrschaft und fiel unter der Führung seiner Könige immer mehr von Ihm ab. Darum entzog ihm Gott Seine Gegenwart, machte seiner Unabhängigkeit ein Ende und ließ im Jahre 586 v. Ch. den Tempel und die Stadt Jerusalem durch Nebukadnezar zerstören. Fortan gab Er den heidnischen Völkern die Leitung der Weltgeschäfte hin und ließ sie das von Ihm zuvor erwählte und beschützte Palästina mit Füßen treten. Die Zeit zwischen der ersten Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar und seiner Wiederherstellung zu Beginn des Millenniums nennt Jesus selbst „die Zeit der Völker“:
„Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllt wird.“ Luk. 21, 24. Während dieser ganzen, langen Periode bleibt der Thron Davids unbesetzt. Sie geht zu Ende, wenn Jesus Christus, der Sohn Davids, Sein Reich endgültig aufrichtet. Als die Jünger Jesus fragten: „Herr, wirst Du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel?“ (Apg. 1, 6), fragten sie da mit eigentlich, wann die Zeit der Heiden zu Ende wäre. Betrachten wir die Gesamtgeschichte der Völker, so können wir folgen de Tafel aufstellen:

1. Der Anfang der Völker: von Kain bis zum Turmbau zu Babel. 1. Mose 4, 11. Israel unterbricht die Geschichte der Völker.

2. Die Blütezeit der Völker: die vier Reiche des Daniel, von Babylon bis Rom, also etwa von 600 v. Ch. bis zur Wiederkunft des Herrn. Die Kirche Christi wird in die Zeit der Völker eingeschaltet.
3. Das Ende der Völker: die dreieinhalb Jahre der Herrschaft des Antichristen und das Gericht über Babylon, die große. Das Tausendjährige Reich setzt den Reichen der Völker ein Ende. 

Sobald Israel bekehrt und in seine einstige Stellung wiedereingesetzt ist, beginnt eine völlig neue Periode: die des messianischen Reichs, das tausend Jahre auf Erden dauern soll. Wir werden noch sehen, daß dann auch die aus den Völkern, welche die große Trübsal überstanden haben, verwandelt sein werden. Die ganze Erde wird der Herrschaft Christi unterworfen sein. Statt der Gewalt und der Ungerechtigkeit werden die wiedergeborenen Völker erleben, was Friede, Gerechtigkeit und wahres Glück ist. Darum sehnen wir mit unserm ganzen Sein das Ende
 der „Zeit der Völker“ herbei.

2. Kapitel
Die vier Weltreiche Daniels
Daniel, der von Nebukadnezar nach Babylon deportiert wurde, ist vornehmlich der Prophet der Völker. In der Gestalt des Bildes von Kap. 2 und der Tiere von Kap. 7 und 8 gibt er uns eine Schau der Weltgeschichte von seiner Zeit an bis zum Ende. Aus allen Reichen der Erde nennt er vier, die vom prophetischen Blickpunkt aus eine Hauptrolle spielen sollen. In dem Augenblick, da Gott die Unabhängigkeit Israels aufhob und die Weltregierung den Händen der Völker überließ, war es von höchstem Interesse, daß Er in großen Linien kundtue:

1) was die Völker unternehmen würden,

2) was aus Seinem Volk bis zur Aufrichtung des messianischen Reichs auf Erden werden sollte.

Das Interesse an diesen Weissagungen ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil, beziehen sie sich doch vor allem auf die Endzeit. Viele Reiche der Geschichte hat Daniel garnicht erwähnt. Die Prophetie beschäftigt sich nur mit solchen, die in enger Beziehung zu Israel und dessen Land stehen, solange die Juden darin sind. Das erste von Daniel genannte Reich ist Babylon, das vierte dauert bis zur Errichtung des Reiches Christi.

Allerdings übergeht Daniel die Ära der Gemeinde, weil das AT noch nicht davon spricht (in der Tat wird die Gemeinde erst von Christus und Seinen Aposteln als Geheimnis offenbart, Eph 3, 3-6.8-11), und weil die Juden während
der Zeit fern von ihrem Land sind. Für die Dauer ihrer Zerstreuung über die Welt setzten die sie betreffenden Weissagungen gewissermaßen aus.


Die vier Reiche Daniels umfassen also den Zeitraum von Nebukadnezar bis zur Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 und dann die Jahre unmittelbar vor der glorreichen Wiederkunft Christi, wenn die Juden wieder in Jerusalem sein werden.

Eigentlich sind die Offenbarungen über die drei ersten Reiche bereits erfüllt. So interessiert uns vor allem das vierte, das bis zum Ende bestehen soll. Deshalb wollen wir es eingehender betrachten.


A. Das erste Weltreich: Babylon.
Die Beschreibung des ersten Reiches ist kurz und seine Identifizierung leicht. Der Kopf ist aus reinem Gold. Er stellt Nebukadnezar, den König der Könige, dar, dem Gott selbst die Macht gegeben hat. 2,32.37-38. Die vier Tiere in Kap. 7 stellen auch vier Könige oder Reiche dar, 7,2-7.23, dieselben wie die vier Teile des Bildes. Das erste Tier entspricht, wie das goldene Haupt, dem babylonischen Reich; es ist ein Löwe mit Adlersflügeln. Babylon steht in Daniels Vision an erster Stelle, weil es die Zeit der Völker einleitete, indem es die Unabhängigkeit Palästinas aufhob, Jerusalem und den Tempel zerstörte und das Volk Israel in die Gefangenschaft wegführte.


B. Das zweite Weltreich: Die Meder und Perser.

Von Daniel, wie aus der Weltgeschichte, hören wir, daß das Reich der Meder und Perser auf das babylonische folgte. 5, 28-31. Die Meder und Perser werden von Daniel auf verschiedene Art dargestellt: durch Brust und Arme des Bildes, durch den Bären und durch den Widder.


I. Welches sind die Merkmale dieses Reiches?
Brust und Arme bilden den zweiten Teil des Bildes. 2, 32.39. Der eine der beiden Arme scheint die Meder, die Gründer des Reiches, der andere die Perser, die es vergrößerten, darzustellen. In Kap. 7, 5 wird das zweite Tier mit einem Bären verglichen, dem Tier, das wohl schwerfällig, aber stark und zäh ist. . . .


II. Welche Beziehungen hatte dieses Reich zu Israel?

Es war Kores, der Mächtigste dieser Könige, der wahrscheinlich unter Daniels Einfluß als erster den gefangenen Juden den Befehl zur Rückkehr nach Palästina gab. 6,28 und Esra 1,1-3. Die späteren Könige, Darius und Artaxerxes, ließen den Tempel und Jerusalem wieder aufbauen. Esra 6, 14; Neh. 2, 3-6. Unter der Herrschaft der Perser kehrten die Juden also in ihr Land zurück und führten ihren Gottesdienst wieder ein; aber die Unabhängigkeit erlangten sie nicht.


C. Das dritte Weltreich: Griechenland.

Nach der Geschichte haben Alexander und das von ihm gegründete Reich der Griechen dem medo-persischen Reich ein Ende gemacht. Genau das hat lang zuvor der Prophet Daniel mit dem Bauch des Bildes (2, 32), dem geflügelten Parder (7,6) und dem Ziegenbock (8,5) vorausgezeigt.


I. Welches sind die Merkmale des griechischen Reiches?
Der Bauch und die ehernen Lenden machen den dritten Teil des Bildes aus. Daniel erklärt das wie folgt: „Es wird aufkommen das dritte Königreich, welches wird über alle Lande herrschen.“ 2, 32.39 . Seine Macht wird größer und seine Herrschaft ausgedehnter sein als die des zweiten Reichs. Wir werden das gleich feststellen. Das dritte Tier in Kapitel 7 war „gleich einem Parder, das hatte vier Flügel auf seinem Rücken; und dieses Tier hatte vier Köpfe, und ihm ward Gewalt gegeben.” V. 6 . Halten wir hiervon zwei Angaben fest: Die Schnelligkeit der Eroberungen des dritten Reiches, dargestellt durch den flinken Parder und die Vogelschwingen; dazu die Spaltung des Reichs in vier Teile : das Tier hat vier Flügel und vier Köpfe. Kap. 8, 21 erklärt auch ausdrücklich, daß der Ziegenbock als Symbol für das Reich von Griechenland steht. Unter dem Ansturm des griechischen Reiches zerbrach das medo-persische buchstäblich, und nichts konnte den Vormarsch der Sieger mehr aufhalten. V. 5-7.


II. Was prophezeit Daniel von Alexander, dem Begründer des Reichs?
„ Und der Bock hatte ein ansehnliches Horn zwischen seinen Augen . . . Und der Ziegenbock ward sehr groß, und da er am stärksten geworden war, zerbrach das große Horn.“ V.5.8. „Das große Horn zwischen seinen Augen ist der erste König“ (d.h. Alexander), sagt der Engel Gabriel. Nach dem letzten der gegen Griechenland kämpfenden 
Perserkönige, heißt es in Kap. 11, „wird ein mächtiger König aufstehen und mit großer Macht herrschen, und was er will, wird er ausrichten. Und wenn er aufs Höchste gekommen ist, wird sein Reich zerbrechen und sich in die vier Winde des Himmels zerteilen, nicht auf seine Nachkommen.“ V. 3-4. 

In buchstäblicher Erfüllung dieser Weissagungen hatte Alexander eine staunenerregende Laufbahn. Im Jahre 336 v. Ch. mit zwanzig Jahren auf den Thron von Mazedonien gelangt, machte er wirklich den Eindruck, als eile er über die ganze Erde, ohne sie zu berühren. 8, 5. Er zerschlug die Macht der Perser, eroberte Klein-Asien, Syrien, Tyrus und Sidon, Palästina, Ägypten, wo er Alexandria gründete, dann nahm er Mesopotamien, durchzog Persien und kam bis nach Indien. Dann, auf der Höhe seiner Macht, starb er plötzlich im Jahre 323, im Alter von 33 Jahren. Die Nachkommen, die er hinterließ, kamen tatsächlich nicht auf den Thron, sie starben eines gewaltsamen Todes.


III. Was erfahren wir über die Nachfolger Alexanders?

Dreimal verkündet Daniel, daß Alexander vier Nachfolger haben würde . . . Wieder müssen wir staunen, wie sich diese Prophezeiungen erfüllt haben: Nachdem sie seine Nachkommen umgebracht hatten, teilten sich tatsächlich vier Generäle Alexanders in seine Eroberungen: Ptolemäus nahm Ägypten, Palästina und Arabien; Seleukos Syrien, Babylonien und Persien; Lysimachus Thrazien und einen Teil von Kleinasien; Kassander Griechenland und Mazedonien. Natürlich verlor das so zerstückelte Reich an Macht, und keiner der Nachfolger Alexanders kam ihm gleich. Die beiden rivalisierenden Dynastien der Ptolemäer in Ägypten und der Seleukiden in Syrien lagen mehr als anderthalb Jahrhunderte fast ununterbrochen im Krieg miteinander. Palästina, als Durchgangsland und oft als Schlachtfeld dieser beiden Mächte, hatte viel darunter zu leiden. 11, 14.16.20 usw.


IV. Warum mißt die Weissagung dem syrischen König, Antiochus Epiphanes, solche Bedeutung bei?
Aus einem der vier Teile des griechischen Reiches wuchs ein kleines Horn, d. h. ein anfangs unbedeutender König. 8,9.23. Dieser König muß aus Syrien nördlich von Palästina sein (meist werden die Himmelsrichtungen von P. aus gesehen) . . . Er ist unklug und arglistig und tritt am Schluß des griechischen Reiches auf, d. h. kurz vor dessen Eroberung durch Rom. V. 23. In der Geschichte heißt dieser König Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v.Chr.). Unter so vielen Eroberern erscheint er völlig bedeutungslos. Aber aus zwei Gründen hebt ihn Daniel hervor:

1. Antiochus Epiphanes verfolgte Israel aufs Furchtbarste. Nicht genug, daß er Palästina eroberte, er war auch der erste heidnische König, der den Gottesdienst der Juden ausmerzen und diese zum Götzendienst zwingen wollte. Er wagte sich sogar an Gott selbst heran, machte den Opfern im Tempel ein Ende und schändete diesen. Er suchte die Gesetzbücher zu vernichten, verbot die Beschneidung und marterte die Juden, die ihrem Gott treu bleiben wollten. Darauf bezieht sich Kap. 8,10-12.
„Antiochus Epiphanes hatte den Plan gefaßt in allen seinen Staaten (zu denen Palästina gehörte) den Kult des Olympischen Jupiter einzuführen; und da er sich selbst diesem Gott gleichsetzte, wollte er in Wirklichkeit sich selbst damit überall anbeten lassen. Er wollte alle anderen Kulte ausrotten Und machte sich an dieses Unternehmen mit einem fast an Wahnsinn grenzenden Eifer, der ihm den Spottnamen „Epimanes“ (der Narr) statt Epiphanes (der Glorreiche) eintrug. So schaffte er auch den Jehovakult in Jerusalem ab und setzte dafür den Götzendienst ein. Das war umso schlimmer, als es in Israel schon eine griechische Partei gab, die zum Heidentum neigte. 1. Mak. 4,7-15;

. . . Er läßt seine Wut an den Israeliten aus und bedient sich einiger Verräter unter ihnen, um sein teuflisches Werk zu vollführen. Er geht so weit, ein Mutterschwein auf dem Altar Gottes zu opfern, und richtet den Jupiterkult im Tempel ein. Daniel nennt dies „den Greuel der Verwüstung“. V. 31. Daraufhin erheben sich die Makkabäer und organisieren den Widerstand, ohne jedoch sofort entscheidende Siege zu erlangen. V. 32-35. (Es ist interessant, in den Apokryphen bei den Makkabäern die Berichte über die Ereignisse zu lesen, die Punkt für Punkt die Weissagungen Daniels erfüllten.) Vom Hochmutswahn fortgerissen, setzt sich Antiochus schließlich über Gott, V. 36-38, um nur die rohe Gewalt zu verehren. Da trifft ihn der göttliche Blitzstrahl, und er fällt. V. 45.


2. Antiochus ist ein Bild des Antichristen.
Durch seinen Kampf gegen Gott und die Gläubigen ist dieser kleine Syrerkönig ein Schattenbild vom letzten großen Feind des Glaubens. Die Stellen über Antiochus in Kap. 8 und 11 weisen ganz klar weit über ihn hinaus. Der Text selbst erklärt, daß ihr tieferer Sinn die Endzeit betrifft: „Merke auf“, sagt der Engel zu Daniel, „denn dies Gesicht gehört in die Zeit des Endes . . . Siehe, ich will dir sagen, wie es gehen wird zur Zeit des letzten Zorns, denn das Ende hat seine bestimmte Zeit . . .

„. . . Zur selben Zeit wird der große Fürst Michael, der für die Kinder deines Volkes steht, sich aufmachen. Denn es wird eine solche trübselige Zeit sein (die große Trübsal), wie sie nicht gewesen ist, seitdem Leute gewesen sind bis auf diese Zeit.“ 11,27.35.40; 12,1. Wir kommen auf den Inhalt der Kap. 8 und 11, der klar auf den Antichristen (das „kleine Horn” des vierten Reichs, 7,7-8) geht, zurück, wenn wir diesen näher betrachten.


Schlußfolgerung.

Zunächst könnten diese genauen Einzelheiten der historischen Weissagungen abstoßend wirken. Und doch sind sie aus verschiedenen Gründen sehr wichtig. Sie sind einer der auffallendsten Beweise für die buchstäbliche Erfüllung der göttlichen Weissagungen und sind dadurch sogar eine Stärkung für unseren Glauben an die Heilige Schrift. Außerdem sind diese Stellen voller Lehren über die Hinfälligkeit irdischer Reiche und das Los, das ihrer wartet. Schließlich lenken sie unser inneres Auge auf die Endzeit, die den menschlichen Regierungen ein Ende setzen und Gottes Reich auf Erden bringen wird.

D. Das vierte Weltreich: Rom.

Das vierte Reich wird in Kap. 2 durch die Schenkel und die Füße des Bildes und in Kap. 7 durch das vierte Tier dargestellt.

I. Welche Bedeutung hat dieses vierte Reich?
Nach dem Raum, den dieses in Kap. 2 und 7 einnimmt, muß sie beträchtlich sein. Daniel widmet ihm mehr Verse als irgend einem der drei ersten Reiche. 2,33-35. 40-43; 7,7-8. 11.19-26. Die Rolle, zu der es berufen wird, bestätigt vollkommen das eben Gesagte.

II. Warum hält man das römische Weltreich für dieses vierte Reich?

In der Geschichte folgt Rom auf Griechenland. Nach Alexander und den vier Bruchteilen seines Reichs weist nur Rom die von Daniel an gegebenen Merkmale der außergewöhnlichen Macht und weltweiten Herrschaft auf. 2,40. Ziemlich bald spaltete es sich in zwei Teile (die zwei Schenkel des Bildes, 2,33), in das ost- und weströmische Reich. Aus seinem Schoß soll der künftige Führer, der Antichrist, kommen (von dem wir später sprechen werden), 7,23-25, und das Volk eben dieses Fürsten wird nach Daniel Stadt und Tempel von Jerusalem bald nach dem Tod des Messias zerstören. 9,26. Also handelt es sich um die Römer.

Die Offenbarung bestätigt diese Angaben. Das vierte Tier von Daniel taucht wieder im letzten Buch der Bibel auf als Symbol für den Antichristen und sein Reich. Es trägt die vereinten Züge der drei ersten Tiere, des Löwen, des Bären und des Parders. Offb. 13,2; Dan. 7,4-6. Es hat zehn Hörner und sieben Köpfe, Offb. 13,1. Die sieben Köpfe sind die sieben Hügel, auf denen Rom liegt, die große Stadt, die die Welt beherrscht zur Zeit, da Johannes schreibt. 17,7.9.18.


III. Welches ist das Hauptmerkmal des vierten Reichs?
Es ist seine brutale Gewalt. „Seine Schenkel waren Eisen, seine Füße waren eines Teils Eisen und eines Teils Ton.“ Dan. 2,33. „Und das vierte wird hart sein wie Eisen, denn gleichwie Eisen alles zermalmt und zerschlägt, ja, wie Eisen alles zerbricht, also wird es auch diese alle zermalmen und zerbrechen.“ V. 40. „Und siehe, das vierte Tier war greulich und schrecklich und sehr stark und hatte große, eiserne Zähne (fast wie eine Kriegsmaschine), fraß um sich und zermalmte, und das übrige zertrat’s mit seinen Füßen; es war auch viel anders denn die vorigen . . .“ 7, 7.

Dieselbe Beschreibung wird in V.19 wiederholt, und die Daniel gegebene Erklärung beginnt mit den Worten: „Das vierte Tier wird das vierte Reich auf Erden sein, welches wird gar anders sein denn alle Reiche; es wird alle Lande fressen, zertreten und zermalmen.“ V. 23. In der Tat dehnte Rom seine Vorherrschaft nicht nur wie seine Vorgänger auf den Osten, sondern auf alle Länder des Mittelmeerbeckens aus und sogar auf England , die Niederlande, Deutschland bis zur Elbe, den Balkan bis zur Donau und auf die Küsten des Schwarzen Meeres.

IV. Was bedeutet die Mischung des Tons mit dem Eisen?
Die Erklärung steht in Kap. 2 in den Versen 41-43. „Daß du aber gesehen hast die Füße eines Teils Ton und eines Teils Eisen: das wird ein zerteiltes Königreich sein . . . Es wird zum Teil ein starkes und zum Teil ein schwaches Reich sein. Und daß du gesehen hast Eisen mit Ton vermengt: werden sie sich wohl nach Menschengeblüt unter einander vermengen, aber sie werden doch nicht aneinander halten, gleichwie sich Eisen mit Ton nicht mengen läßt.
Also ist das römische Reich zu Anfang mächtiger als nach der Teilung. Viele Ausleger haben im Eisen das diktatorische und im Ton das anarchistische Prinzip gesehen, die manchmal in einem Staat nebeneinander her gehen. Sicher ist, daß wir heute oft diese Mischung von Eisen und Ton finden, d.h. unter dem äußeren Schein höchster Macht die Ursache von Schwäche, ja, sogar von Zerfall.

V. Wie ist es zu verstehen, daß das römische Reich verschwunden ist und doch nach Daniel zur Zeit der Wiederkunft Christi da sein soll?
Bei dem Bild werden die Füße aus Eisen und Ton zermalmt von dem Stein „ohne Hände vom Berge herabgerissen“, dem Symbol für das Reich Gottes, das sich mit Macht auf Erden durchsetzt. 2, 34-35. 44-45. Wir wissen, daß Christus unter dem vierten Reich erschien, und daß das Christentum über das alte Rom triumphiert und sich über die ganze Welt ausgebreitet hat. Ab er es hat bei weitem nicht alle Menschen bekehrt und Gerechtigkeit und Frieden aufgerichtet. Es wird wohl nach Daniel erst die Wiederkunft Christi dem römischen Reich ein Ende machen. Wir sehen übrigens in Kap. 7, daß das vierte Reich und sein anmaßender Fürst noch zur Zeit des Gerichts bestehen werden, das die Wiederkunft des Menschensohns begleitet. V.7-8. 11.13-14.


Zweierlei muß also geklärt werden: Das längere Verschwinden des römischen Reichs, von dem man niemehr spricht, und sein Wiederauftauchen in neuer Gestalt am Zeitenende, während Daniel gar keine Lücke in dessen Bestand andeutet. Denken wir an das bereits Gesagte! Die Geschichte der Völker interessiert die Propheten nur von ihrer Beziehung zum Volke Gottes aus. Sobald Israel nicht mehr in Palästina ist (d.h. von 70 n.Chr. ab), gibt sich Daniel nicht mehr mit dem Schicksal des römischen Reiches ab. Eine Tatsache genügt ihm: Wenn Israel nach der langen Einschaltung der Gemeinde am Zeitenwende nach Palästina zurückkehrt, ist das römische Reich wieder da und zwar in neuer Gestalt. Darüber gibt uns die Offenbarung am meisten Aufschluß. Sie sagt von dem Tier mit den zehn Hörnern und den sieben Köpfen (dem Symbol zugleich für den Antichristen und sein Reich, s. oben): „Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen, und ist nicht, und wird wiederkommen aus dem Abgrund und wird fahren in die Verdammnis, und es werden sich verwundern, die auf Erden wohnen . . . wenn sie sehen das Tier, daß es gewesen ist, und nicht ist, und da sein wird. Und ich sah seiner Häupter eines, als wäre es tödlich wund; und seine tödliche Wunde ward heil.“ 17, 8; 13,3. Was vom römischen Reich verschwunden ist, ist der Kopf, d. h. die einheitliche Regierung. Die Länder, die es umfaßte, lebten getrennt weiter. Der Augenblick scheint nun nahe, da sich ein Haupt erheben und sie zu einer Lebensgemeinschaft sammeln wird.

Es ist übrigens eine Tatsache, daß Rom in unserer Kultur in erstaunlicher Weise fortlebt. Von ihm hat unsere moderne Welt die lateinische Sprache in Justiz, Medizin und Wissenschaft; das römische Recht und dessen Bedeutung als Grundlage unserer Gesetzgebung; den römischen Begriff vom Staat, die Disziplin, die totale Unterwerfung des einzelnen unter die Gesamtheit; die Vergötterung des „ewigen Staats“ und seines Führers; die Organisation der römischen Kirche, ihre Riten und ihren Gebrauch der lateinischen Sprache; alles, was militärische Organisation und Sprache betrifft, wie die römischen Benennungen Kapitän, Major, General, Bataillon, Regiment, Armee, Infanterie, Artillerie, Kavallerie usw. (nach E. Sauer). Der Titel „Römischer Kaiser“ wurde bis 1806 vom Kaiser von Deutschland geführt. – Und das Wiedererstehen Roms hat mehr als einmal in den Köpfen gewisser Diktatoren gespukt. Napoleon hatte seine Adler, seine Legionen, seinen „König von Rom“ ; Mussolini seine Rutenbündel, seinen Kult vom Reich und vom „ewigen Rom“, sein „mare nostrum“. Das waren nur Stufen zu einer weit bedeutenderen Erfüllung der Weissagungen.

VII. Welche Beziehungen hat dieses Reich zu Israel?

Es sind die Römer, welche den Messias gekreuzigt, Stadt und Tempel von Jerusalem zerstört und die Juden über die ganze Welt zerstreut haben. Dan. 9, 26. Und ihr neu erstandenes Reich und ihr letztes Oberhaupt sollen die Israeliten verführen (9, 27) und sie dann in der großen Trübsal verfolgen, bis Gott zu deren Gunsten eingreift. 7, 21-22. Daß Daniel dieses Reich schrecklich und greulich nennt, ist verständlich. 7, 7.19.


VIII. Welches Ende erwartet das vierte Reich?

Über dieses Reich bricht das Gericht herein, das alle Reiche der Erde verdient haben. Der „Stein ohne Hände“ schlägt das Bild an seine Füße und zermalmt sie. Das ganze „wunderbare Bild“ stürzt ein, und der Wind verweht es, daß man es nirgends mehr finden kann. 2, 34-35. So wird auch das vierte Tier bei der großen Abrechnung getötet, sein Leib kommt um und wird ins Feuer geworfen. 7, 11. Das vierte Reich wird härter bestraft als die vorherigen, weil es weit mehr und schwerer gesündigt hat. Zudem besteht es bis zu dem Augenblick, da die Geduld Gottes zu Ende ist; so dient sein Strafgericht allen Menschen und Reichen zur Warnung.


Schlußfolgerung.


Bewundern wir doch wieder einmal die außerordentliche Genauigkeit der Weissagungen. Lassen wir uns füllen mit den Gedanken Gottes über unsere Welt, und halten wir stets ihr Endschicksal vor Augen! Und da das vierte Reich auf dem Boden unserer eigenen Länder neu erstehen soll, achten wir wohl auf alle Zeichen, die dieses große Ereignis einleiten! Das wird uns vor der Verführung bewahren, so daß wir unsere Häupter erheben können, weil unsere Erlösung naht.

Eingestellt von Horst Koch, im Herbst 2023.
Dieser “Völker”-Beitrag aus dem Buch DIE WIEDERKUNFT JESU von Rene Pache ist hier separat aufgeführt, um den ursprünglichen Text nicht zu groß werden zu lassen.

 

 

 




Israel (René Pache)

6. Teil

Israel und die Wiederkunft Jesu Christi

– Auszug aus dem Buch DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI, Seiten 219 bis 262.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im November 2023 –

1. Kapitel


Die Berufung Israels

Nach der Schöpfung hatte Gott drei Versuche unternommen, der Menschheit das Glück zu sichern, sie wurden aber vereitelt. Er hatte den Menschen ins Paradies gesetzt, daraus ihn jedoch sein Fall vertrieb. Hierauf erweckte Er in Seth eine neue Linie, aber dann zwang ihn die Verderbzheit der ganzen menschlichen Rasse, die Sintflut zu senden. Und zuletzt zogen die aus den Fluten wunderbar gerettetet Nachkommen Noahs das Strafgericht vom Turmbau zu Babel auf sich. Mit Kapitel 11 des ersten Mosebuches verzichtet Gott zunächst darauf, Sich mit den Völkern abzugeben; sie treten in den Hintergrund, bis ihnen in der Apostelgeschichte das Evangelium gebracht werden kann.

Aber gerade um das Heil schaffen zu können, ruft Sich Gott ein Volk heraus, daß es der Welt die Bibel und den Messias bringe. In souveräner Gnadenwahl beruft Er Abraham, den Ahnherrn Israels, mit den Worten: „Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein land, das Ich dir zeigen will. Und Ich will dichzum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. . . . Und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ 1. Mose 12, 1-3. Diese Berufung enthält drei Hauptverheißungen:


1. Das Geschenk eines Landes: Palästina
2. die Zusage, daß Abraham und seine Nachkommen zum großen Volk werden sollen;
3. der Segen, den das auserwählte Volk vermitteln soll, wird über die ganze Erde strömen. Dieser Segen besteht in der Offenbarung Gottes in der Schrift und vor allem im Kommen des Heilands.

Zu wiederholten Malen gibt Gott Abraham diese Verheißungen und bekräftigt sie zuletzt als einen ewigen Bund. 1. Mose 15,18; 17,3-8. Von Abraham geht der Bund auf Isaak, Jakob und seine Nachkommen über, denen er feierlich bestätigt wird. Zu Jakob spricht Gott:
„Siehe, Ich will dich wachsen lassen und mehren und will dich zum Haufen Volks machen und will dies Land zu eigen geben deinem Samen nach dir ewiglich.“
1. Mose 48,4.
Am Sinai sagt der Herr zu Israel: „Werdet ihr nun Meinen Bund halten, so sollt ihr Mein Eigentum sein vor allen Völkern . . . Ihr sollt Mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein.“ 2. Mos. 19, 5-6.

David, dem König nach dem Herzen Gottes, dem Vorfahren des Messias, verheißt der Herr: „Dein Haus und dein Königreich soll beständig sein ewiglich vor dir, und dein Stuhl soll ewiglich bestehen. 2. Sa m. 7, 16. „Ich habe einmal geschworen bei meiner Heiligkeit, Ich will David nicht lügen: sein Name soll ewig sein und sein Stuhl vor mir wie die Sonne; wie der Mond soll er ewiglich erhalten sein. Ps. 89, 36-38. Jesus Christus wird Sich eines Tages auf den Thron Davids setzen und das Israel solange zuvor verkündete Messianische Reich aufrichten.

Welch wunderbare Berufung für das auserwählte Volk! Die Juden sind ihr nicht immer treu geblieben, aber Gott hat sie schon, sozusagen gegen ihren Willen, zur Erfüllung eines großen Teiles gebracht. Vergessen wir nicht, daß Jesus es selbst gesagt hat: „Das Heil kommt von den Juden!“ Joh. 4 ,22.


2. Kapitel


Die in Bezug auf Israel bereits erfüllten Weissagungen

In diesem Teil unsres Buches wollen wir die Zukunft des jüdischen Volkes zu beleuchten suchen, auf das sich in der Tat viele Weissagungen der Schrift beziehen. Um sie recht verstehen und deuten zu können, müssen wir uns kurz daran erinnern, wie sich einige Prophezeiungen über Israel in der Vergangenheit erfüllt haben.

Weissagung:

l. Die Israeliten werden nach Ägypten hinabgehen, 400 Jahre dort bleiben, zu Sklaven werden und dann mit großem Reichtum wieder ausziehen.
1. Mos. 15, 13-16.

Erfüllung: 
1 . Mos. 46, 1-7. 2. Mos. 1-12 (12,35-36).

2. Aus dem Stamme Juda werden die Königsfamilie und der König der Könige hervorgehen. 1. Mos. 49,10.

Erfüllung:
 2. Sam. 7,16. 
Hebr. 7,14.



3. Alle Kinder Israels, die sich weigerten, ins gelobte Land einzuziehen, sollen 40 Jahre in der Wüste umherirren und dort sterben. 4. Mos. 14, 32-34.
Erfüllung: 5. Mos. 2,1 4-15.


4. Israel ist ein ausgesondertes Volk, das nicht in andern aufgehen soll. 4. M. 23, 9.

Erfüllung:
 So besteht es auch seit Jahrtausenden

5. Es verwirft die von Mose eingeführte Theokratie, und wie alle andern Völker gibt es sich einen König. 5. Mos. 17, 14-15.
Erfüllung: 1. Sam. 8,5.


6. Das Volk wird abfallen, in die Gefangenschaft weggeführt werden, und sein Land wird verflucht sein. 5. Mos.
28, 20-24. 47-48. 64-66, etc.:
Dem Zehnstämmereich wird 65 Jahre zuvor gesagt, daß der König von Assyrien es 
zerstören werde. Jes. 7, 8, 17-20.

Juda soll vom König von Babylon auf 70 Jahre weggeführt werden. Jer. 25, 9-11; 29, 10.
Erfüllung: 2. Chr. 36, 20-21 und 2. Kön. 17, 6-7 



7. Gott verkündet lange zuvor, daß Er den Perserkönig Kores erwecken werde, daß er die Juden nach Palästina zurückführe und den Tempel wieder aufbaue. Jes. 44, 28; 45,13.
Erfüllung: Esra 1,1-2. 


8. Daniel hat 49 Jahre vorher Zeitpunkt und Umstände des Wiederaufbaus von Jerusalem
 angegeben. Dan. 9. 25.
Erfüllung: Neh. 2, 4-17; 6, 15-16. 


9. Israel wird den Messias nicht erkennen, Ihn verabscheuen, um dreißig Silberlinge verkaufen, Ihm die Hände durchbohren und Ihn martern. Jes. 53,2-3; 49,7; Sach. 11, 12-13; 12,10; 13,6.
Erfüllung: Matt. 26, 15; 27, 3-10. 22-23


10. Jerusalem soll wieder zerstört werden und vom Tempel kein Stein auf dem andern bleiben. Matt. 24, 1-2.
Erfüllung: Genau das geschah im Jahre 70, als 1.100.000 Juden unter den Angriffen von Titus fielen. 


11. Dann sollen die Israeliten wieder auf die Sklavenmärkte gebracht werden, ohne Käufer zu finden. 5. Mos. 28,68.
Erfüllung: In der Tat verkauften die Römer Massen von solchen, die sie nicht getötet hatten, so daß die Märkte von Alexandrien überfüllt waren. 


12. Jesus selbst kündigt das Strafgericht des Himmels über das Geschlecht an, das Ihn kreuzigen wird. Matt. 23,
36 ; 24,34; Luk. 21,20-24.
Erfüllung: Das traf 37 Jahre später richtig ein. Nach einem letzten Aufstand machten die Römer 132-135 nach Chr. dem jüdischen Staat ein Ende. Es gab noch 500 000 Tote, und Kaiser Hadrian ließ den Tempelplatz einpflügen.

Man erkennt leicht, wie buchstäblich diese und viele andere Prophezeiungen in Erfüllung gingen. Am Anfang dieses Buches stellten wir genau dasselbe bei all denen fest, die sich auf das erste Kommen Jesu bezogen. Die Schrift enthält aber noch zahllose andere Prophezeiungen über die Zukunft Israels. Matt. 5, 18 sagt Jesus: „Denn Ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe.“ Wir können es nicht immer so genau wissen, wie wir es möchten, wie alles geschehen wird, aber wir sind überzeugt, daß jede Weissagung durch Gottes Macht zur vollen Erfüllung kommen wird.

3. Kapitel



Wurde Israel nicht verworfen und durch die Gemeinde ersetzt?


1. Die Verwerfung Israels.
Da die Juden den Messias verstoßen und gekreuzigt hatten, hat sie Gott unleugbar Seinerseits verworfen. Die Weingärtner haben den viel geliebten Sohn, den Erben, getötet. „Der Herr des Weinbergs“, sagt Jesus, „wird diese Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben . . . Darum sage Ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt. Mk. 12, 9; Matt. 21, 43.
Die Apostelgeschichte zeigt uns, wie die ungläubigen Juden (obwohl ihnen das Evangelium immer zuerst gepredigt wird) zugunsten der in die Gemeinde eintretenden Heiden allmählich beiseite gesetzt werden. „Euch mußte zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun ihr es aber von euch stoßet, und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden . . . Wohl hat der Heilige Geist gesagt durch den Propheten Jesaja zu unseren Vätern und gesprochen . . . Sie hören schwer mit den Ohren und schlummern mit ihren Augen, . . . damit sie sich nicht bekehren und Ich ihnen helfe. So sei es euch kund getan, daß den Heiden gesandt ist dies Heil Gottes; und sie werden’s hören.“ Ap. 13, 46; 28, 25-28.
Von da ab ist die Türe für Israel als Volk verschlossen. Ein Jude, der Buße tut und an Jesus Christus glaubt, kann ebensogut das Heil erlangen wie wir. Röm. 10, 12-13. Aber das auserwählte Volk ist vorerst seiner Vorrechte entsetzt. Aus lauter Liebe zu den Seinen nagt darum ständiger Kummer am Herzen des Paulus, und er beschreibt in sehr lebendigen Ausdrücken den Abgrund, in den sich Israel willentlich gestürzt hat: „Sie haben sich gestoßen an dem Stein des Anlaufens . . . Sie sind verstockt, wie geschrieben steht: Gott hat ihnen gegeben einen Geist des Schlafs, Augen, daß sie nicht sehen . . . Ihr Fall ist der Welt Reichtum und ihr Schade der Heiden Reichtum . . . Ihre Verwerfung ist der Welt Versöhnung . . . Etliche von den Zweigen (des Ölbaums) sind ausgebrochen (d.h. die ungläubigen Juden) . . . Gott hat der natürlichen Zweige nicht verschont . . . Darum schau den Ernst Gottes an denen, die gefallen sind . . . Ich will euch nicht verhalten, liebe Brüder, das Geheimnis . . . Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei.“ Röm. 9, 32; 11, 8-25.

Diese Verwerfung von Israel wurde – schon während der Laufbahn des Paulus wirksam geworden – gleich nach seinem Tode grauenvoll offenbar. So schrieb Paulus den Thessalonichern über die Juden, die jene verfolgten: „Welche auch den Herrn Jesus getötet haben und ihre eigenen Propheten und haben uns verfolgt, und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen zuwider, wehren uns zu predigen den Heiden, damit sie selig würden, auf daß sie ihre Sünden erfüllen allewege; denn der Zorn ist schon über sie gekommen zum Ende hin.“ 1. Thess. 2, 15-16. Kurz darauf, im Jahre 70, brach Gottes Gericht über sie herein.


II. Das neue Volk Gottes.

Mit Jesu Kommen trat der Neue Bund an die Stelle des Alten. Der Hebräerbrief erläutert es trefflich: Das alte Gesetz ist aufgehoben und durch ein neues ersetzt. Hebr. 7, 18-19; 8, 7.13. Jesus, unser Hoherpriester, ist der Mittler eines viel besseren geworden. Hebr. 8, 6; 9, 15. Kann man nun sagen, daß Israel, das alte Volk Gottes, ebenso völlig abgesetzt ist, um einem neuen Volk, der Gemeinde, Platz zu machen? Diese Frage bedarf einer näheren Prüfung. Sicher ist, daß Gott Abraham durch das Evangelium neue Söhne erweckt hat.


1. Die ungläubigen Juden sind nicht Glieder des wahren Israel. 
„Es sind nicht alle Israeliten, die von Israel sind; auch nicht alle, die Abrahams Same sind, sind darum auch Kinder . . . Nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind, sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen gerechnet . . . Denn das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, auch ist das nicht eine Beschneidung, die auswendig am Fleisch geschieht. Sondern das ist ein (wahrer) Jude, der’s inwendig verborgen ist (also durch den Glauben).“ Röm. 9, 6-8; 2, 28-29.

2. Die an Jesus Christus glauben, sind die geistlichen Kinder Abrahams.

Abraham ist „der Vater aller Unbeschnittenen, die glauben . . . und auch derer, die nicht allein beschnitten sind, sondern auch wandeln in den Fußstapfen des Glaubens, welcher war in unserm Vater Abraham.“ Die Verheißung gilt „allem Samen, nicht dem allein, der unter dem Gesetz ist, sondern auch dem, der des Glaubens Abrahams ist, welcher ist unser aller Vater.“ Röm. 4, 11-12. 16.
„So erkennt ihr ja, daß die des Glaubens sind, das sind Abrahams Kinder . . . Christus hat uns erlöst . . . auf daß der Segen Abrahams unter die Heiden käme in Christo Jesu . . . Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.“ Gal. 3,7. 14.29.
Hagar, das leibeigene Weib Abrahams, entspricht dem „Jerusalem, das zu dieser Zeit ist (der jüdischen Synagoge), und ist dienstbar mit seinen Kindern. Aber das Jerusalem, das droben ist (die Gemeinde), das ist die Freie; die ist unser aller Mutter . . . Aber was spricht die Schrift? „Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn, denn der Magd Sohn soll nicht erben mit dem Sohn der Freien.“ . . .
 Denn in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern eine neue Kreatur. Und wie viele nach dieser Regel einhergehen, über die sei Friede und Barmherzigkeit, und über das Israel Gottes.“ Gal. 4, 25-26.30; 6,15. „Denn wir sind die Beschneidung, die wir Gott im Geiste dienen, und rühmen uns von Christo Jesu und verlassen uns nicht auf Fleisch.“ Phil. 3,3. So wurde Abraham zum Vater vieler Völker; seine Nachkommenschaft ist so zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meer . . . 1. Mos. 17, 4; 22,17; Röm. 4, 17.


3. Alle Gläubigen, Juden wie Heiden, bilden das Volk des Neuen Bundes.

Die Mehrheit der Israeliten hat leider den Messias verstoßen. Aber daß die Gläubigen unter ihnen ebenso zur Gemeinde gehören wie die bekehrten Heiden, ist ganz klar. „Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu. Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Same.“ Gal. 3, 28. „Die Heiden sind Miterben und miteingeleibt (mit den Juden) und Mitgenossen Seiner Verheißung in Christo durch das Evangelium.“ Eph. 3, 6.


4. Wie steht es dann mit dem jüdischen Volk?

Bei dieser Sachlage könnten wir uns erstens fragen, ob nicht das alte Volk Israel (Abrahams Same nach dem Fleisch) vor Gott sein Daseinsrecht verloren habe, und dann, ob nicht wir alle früheren Verheißungen der Schrift für Israel im geistlichen Sinne für uns in Anspruch nehmen dürften? Das tat man vielfach zur Zeit der Reformation (und tut es noch heute in gewissen Kreisen). Wer so denkt, sieht in dem Wort „Zion“, so oft er ihm im AT begegnet, immer die Gemeinde und glaubt, in ihr seien alle Israel gegebenen Verheißungen erfüllt.


Da die, welche an Jesus Christus glauben, im geistlichen Sinne „den Samen Abrahams“ vorstellen, lassen sich zweifellos viele Verheißungen des AT auf sie anwenden. Obwohl Paulus als erster das Geheimnis der Gemeinde ganz enthüllt hat (Eph. 3,3- 10), haben sicherlich manche Propheten diese vorausgeschaut. So sahen wir, daß Sara, das freie Weib Abrahams, ein Sinnbild von ihr war. Gal. 4, 22-26. Aber es geht doch nicht an, allen dem Volk Gottes im AT verheißenen Segen geistlich auf die Gemeinde zu übertragen, aber die buchstäbliche Erfüllung eines jeden Fluches auf Israel zu beschränken! Gibt man sich zudem die Mühe, jede Weissagung der Schrift genau zu studieren, so kommt man rasch zur Erkenntnis, daß viele Prophezeiungen nur für Israel, nicht für die Gemeinde gelten können. Es ist wirklich unmöglich, sie alle einzig im geistlichen und christlichen Sinne aufzufassen. Wir sahen ja, wie Israel die merkwürdig wörtliche Erfüllung vieler Weissagungen erlebte. So glauben wir, daß sich die andern gleicherweise erfüllen werden, und daß das jüdische Volk noch eine außergewöhnliche Zukunft vor sich hat.

III. Gott verbeißt die Wiederherstellung Seines einstigen Volkes.

Wir wollen hier nicht die Verheißungen des AT anführen, auf die wir bald näher eingehen. Jetzt erinnern wir nur daran, mit welchen Worten bestimmte Texte im NT die Wiedereinsetzung Israels beleuchten.
Petrus sagt zu den Juden, die den Erlöser gekreuzigt hatten: „So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden, auf daß da komme die Zeit der Erquickung vom Angesicht des Herrn, wenn Er senden wird Den, der euch jetzt zu vor gepredigt wird, Jesus Christus, welcher muß den Himmel einnehmen bis auf die Zeit, da herwiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller Seiner heiligen Propheten von der Welt an.“ Ap. 3,1 9-21.
Es kann sich hier nicht um die Wiederherstellung Israels nach der babylonischen Gefangenschaft handeln, sondern vielmehr um die so oft von den Propheten verkündete, glorreiche Rückkehr, die auf die Zerstreuung in der Welt und die Zeit der Völker folgen soll. Luk. 21,24.


Paulus wiederum erklärt, daß Gott aus lauter Gnade Israel erwählt hat. Er macht keinen Fehler bei Seiner ewigen und souveränen Wahl. Gottes Gaben und Berufung mögen Ihn nicht gereuen. Durch die Kreuzigung und die Verfolgung der Gläubigen sind die Juden zu Feinden geworden. „Nach der Wahl sind sie Geliebte um der Väter willen . . . So sage ich nun, Paulus: Hat denn Gott Sein Volk verstoßen ? Das sei ferne! . . . Gott hat Sein Volk nicht verstoßen, welches Er zuvor ersehen hat.“ Röm. 11, 28; 11, 1-2.
Von Ewigkeit her kannte Gott die künftige Haltung Israels; trotzdem hat Er ihm bleibende Verheißungen zeitlichen und geistlichen Segens gegeben. Und Gott wird nicht verfehlen, Sein Wort treu zu erfüllen. In der Tat kündet dreimal ein „bis daß“ einen Termin an, nach dem für Israel (und für die Welt) eine neue Ordnung anbrechen soll:


„Jerusalem wird zertreten von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllt wird.“ Luk. 21, 24.

„Euer Haus soll euch wüste gelassen werden bis daß ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Matt. 23, 38.

„Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren, so lange, bis daß die Fülle der Heiden eingegangen sei, und also das ganze Israel selig werde.“ R öm. 11, 25.
Darum verkündet Paulus nachdrücklich, daß, wenn auch Gott Israel beiseite gesetzt hat, so doch nicht insgesamt und nicht für immer:

1. Unter den Israeliten gibt es und wird es immer einen Überrest geben,
 einen Samen nach der Gnadenwahl, der den Messias annimmt. Paulus und alle Apostel sind deutliche Beispiele dafür, ganz abgesehen von den „siebentausend”, die wir nicht immer kennen. Röm. 9, 27-29; 11,1-5. Das sind die Juden, die Paulus selbst das „Israel Gottes“ nennt. Gal. 6, 16.


2. Ganz Israel soll schließlich gerettet werden.
„So ihr Fall der Welt Reichtum ist, . . . wieviel mehr, wenn ihre Zahl voll würde? . . . Was wird ihre Annahme anders sein denn Leben von den Toten ? . . . So sie nicht bleiben in dem Unglauben, werden sie eingepfropft werden (auf den Ölbaum der Gnade Gottes); Gott kann sie wohl wieder einpfropfen . . . Wieviel mehr werden die natürlichen (Zweige) wieder eingepfropft in ihren eignen Ölbaum ? . . . Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden eingegangen sei, und also das ganze Israel selig werde, wie geschrieben steht: Es wird kommen aus Zion, der da erlöse und abwende das gottlose Wesen von Jakob. Und dies Mein Testament mit ihnen, wenn Ich ihre Sünden werde wegnehmen . . . Also auch jene haben nicht wollen glauben an die Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, auf daß sie auch Barmherzigkeit überkommen.“ Röm. 11, 12.15.23-27.31.
Der Bund, den Paulus erwähnt, ist selbstredend der Neue Bund, den Jeremia ankündigt, und der schon seit neunzehnhundert Jahren besteht. Jer. 31, 31-34; Hebr. 8,7 -11. Mit ihrer Bekehrung zu Jesus Christus werden die Juden in ihn aufgenommen.


3. Das jüdische Volk wird bis ans Ende der Zeiten fortbestehen.
Wir hörten von Paulus, daß sich Israel bei der Wiederkunft Jesu Christi bekehren wird, „wenn die Fülle der Heiden eingegangen“ ist, d.h. wenn die Vollzahl der Gemeinde erreicht ist. Wir werden sehen, daß alle Propheten des AT das bestätigen. Hier wollen wir nur erwähnen, daß Israel existieren und in Palästina zu der Zeit sein soll:

des Antichristen, Dan. 11, 41-12,1.7;
da Gog in das Land einfällt, Hes. 38, 8;
der Schlacht von Harmagedon, Joel 4,1.16;
da Christus auf dem Ölberg erscheinen wird, Sach. 14, 1-5.

Dann wird das Wort Jeremias in allem wahr: „So spricht der Herr, der die Sonne dem Tag zum Licht gibt und den Mond und die Sterne nach ihrem Lauf der Nacht zum Licht . . . Wenn solche Ordnungen vergehen vor mir, spricht der Herr, soll auch aufhören der Same Israels, daß er nicht mehr ein Volk vor mir sei ewiglich.“ Jer. 31, 35-36.

Als Schlußfolgerung dieses Kapitels können wir sagen: Gibt es auch im Blick auf das ewige Heil weder Juden noch Griechen, bleibt doch Israel auf Erden bestehen als das von Gott erwählte Volk. Jesus Christus ist gekommen, die den Vätern gegebenen Verheißungen zu bestätigen, und der Vorteil der Juden nützt „viel in jeder Hinsicht“, denn Israels Unglaube hebt Gottes Treue nicht auf. Röm. 15, 8; Röm. 3, 1.3. Darum verspricht der Herr feierlich: „Deine Nachkommen haben viel Gutes zu erwarten.“ Jer. 31,17.
Der göttliche Plan für die Juden, wie ihn die Schrift offenbart, wird ohne Fehl in Erfüllung gehen. Worin dieser Plan besteht, wollen wir nun genau untersuchen.


4. Kapitel

Die weltweite Zerstreuung Israels

Als wir von der Verwerfung der Juden sprachen, blieben wir bei ihrer Vertreibung aus Palästina im Jahre 70 stehen. Die folgende Etappe, d.h. ihre Zerstreuung über die ganze Welt (und nicht nur nach Babylon) war lange vorausgesagt worden.
I. Israel wird über den ganzen Erdkreis zerstreut.
„Der Herr wird euch zerstreuen unter die Völker, und wird euer ein geringer Haufe übrig sein unter den Heiden, dahin euch der Herr treiben wird . . . Der Herr wird dich zerstreuen unter alle Völker, von einem Ende der Welt bis ans andre.“ 5. Mos. 4,27; 28.64. ( S. auch Jer. 9,15 bzw.16) „Und sie werden fallen durch des Schwertes Schärfe (i.J. 70) und gefangen geführt unter alle Völker; und Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllt wird.“ Luk. 21, 24. In der Tat gibt es kein Land der Erde, wo nicht heute Juden zu finden wären. Und erst im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts haben die Völker aufgehört, sie für minderwertig zu halten, und haben angefangen, ihnen dieselben Rechte einzuräumen wie den andern Bürgern.

II. Israel findet keine Ruhe in der Zerstreuung.
Bei der Kreuzigung Jesu schrieen die Juden: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ Matt. 27, 25. Die Unglückseligen wußten nicht, was sie sagten. Buchstäblich erfüllten sich an ihnen die alten Prophezeiungen des Mose: „Du wirst unter diesen Völkern kein bleibend Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der Herr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und eine verdorrte Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: Ach, daß es Abend wäre! Des Abends wirst du sagen: Ach, daß es Morgen wäre! Vor Furcht deines Herzens und vor dem, das du mit deinen Augen sehen wirst.“ 5. Mos. 28, 65-67. (S. auch 3. Mos. 26, 36.38-39)
Man kann unmöglich alle Verfolgungen, Ausweisungen, Massenmetzeleien, Torturen, Erpressungen, Ausplünderungen aufzählen, welche Israel in den sog. christlichen Ländern im Lauf der Jahrhunderte erdulden mußte. Jeremia hatte es genau angesagt, wie sich ihre Henker rechtfertigen würden: „Wir tun nicht unrecht, darum daß sie sich haben versündigt an dem Herrn in der Wohnung der Gerechtigkeit, und an dem Herrn, der ihrer Väter Hoffnung ist.“ Jer. 50,7 Schon lange zählen die Opfer einer solchen Behandlung nach Hunderttausenden und Millionen.
Hier kurz ein Rückblick auf einige der durch die europäischen Völker den Juden zugefügten Qualen:

– Die Kreuzfahrer massakrierten die Juden überall, unter dem Vorwand, sie seien „Gottesmörder“.
– Mai bis Juli 1096 wurden 12000 Juden im Rheinland getötet.
– Am 1. November 1290 Ausweisung aller Juden aus England bei Androhung  des Erhängens. Erst 370 Jahre später wurden sie wieder zugelassen.
– Frühjahr bis Herbst 1298 werden 1.000.000 Juden in Franken, Bayern und Österreich umgebracht.
– September 1306 werden 100.000 Juden bei Todesstrafe aus Frankreich verbannt.
– 1348 schiebt man den Juden die Schuld an der Schwarzen Pest zu und tötet mehr als eine Million.
– Am 2. August 1492 verjagt die Inquisition 300.000 Juden aus Spanien, ebenfalls unter Todesstrafe.
– Von 1648 – 1658 werden etwa 400.000 polnische Juden im russisch – polnisch – schwedischen Kriege getötet.
– Erst 1791 hebt die Französische Revolution als erster Staat die Ausnahmegesetze gegen die Juden auf.

Nach Lord Beaconsfield Worten haben „die Pharaonen Ägyptens, die Könige von Assyrien, die Römischen Kaiser, die Kreuzfahrer . . . die Führer der Goten, die heiligen Inquisitoren ihre ganze Kraft an die Ausführung des einen Planes gesetzt. Ausweisung, Verbannung, Gefangenschaft, Konfiszierungen, raffiniert erdachte Torturen, Metzeleien in größtem Maßstab, alles wurde versucht, aber vergebens.“ (He shall come again, S.128).

Je mehr die Juden unterdrückt wurden, desto mehr haben sie zugenommen – wie einst in Ägypten. Nach den Massenmorden im Mittelalter gab es in der Welt:

– am Anfang des 16. Jahrhunderts nur noch 1 Million Juden,

– am Anfang des 18. Jahrhunderts gab es 3 Millionen,

– am Anfang des 19. Jahrhunderts gab es 5 Millionen,

– im Jahre 1896 gab es 11 Millionen,
im Jahre 1919 gab es 13 Millionen,
im Jahre 1933 gab es 16 Millionen,
also dreimal mehr als zur Glanzzeit Davids und Salomos .

Daß Israel diese entsetzlichen Mißhandlungen überleben konnte, ist ein wahres Wunder. Für die ganze Welt sind die Juden ein lebender Beweis für die Wahrheit der Weissagungen und der Absichten Gottes mit ihnen. Napoleon soll eines Tages vom Erzbischof von Mailand den kürzesten Beweis für die Echtheit der offenbarten Religion verlangt haben. Wortlos zeigte dieser nur mit dem Finger auf Marschall Massena, der ein Jude war.
Beachten wir zum Schluß, daß Gott gerade die Leiden Seines Volkes benutzte, um es mitten unter den Völkern zu isolieren und so zu erhalten. Sobald man den Juden alle bürgerlichen Rechte zuerkannte, zeigten sie die Neigung, ihre Eigenart und sogar ihre Religion aufzugeben.

III. Israel wird den Völkern zum Fluch, unter die es zerstreut ist.
„Sie sollen zum Fluch, zum Wunder, zum Hohn und zum Spott unter allen Völkern werden, dahin Ich sie verstoßen werde, darum, daß sie Meinen Worten nicht gehorchen, spricht der Herr.“ Jer. 29,18-19.
„Sie hielten sich wie die Heiden, dahin sie kamen, und entheiligten Meinen heiligen Namen, daß man von ihnen sagte: Ist das des Herrn Volk, das aus seinem Lande hat müssen ziehen? Aber Ich schonte Meines heiligen Namens, welchen das Haus Israel entheiligte unter den Heiden, dahin sie kamen.“ Hes. 36,20-21. Später, als der Herr von der Wiederherstellung Seines Volkes redet, sagt Er noch: „Wie ihr . . . seid ein Fluch gewesen unter den Heiden, so will Ich euch erlösen, daß ihr sollt ein Segen sein.“ Sach. 8, 13.

Jona, der ungehorsame Prophet, ist ein Bild des ungetreuen Israel. Zu den Heiden gesandt, weigert er sich, Gottes Botschaft auszurichten, genau wie Israel Jesus den Heiden hingibt, statt ihnen das Evangelium zu bringen. Wie der Prophet auf einem Schiff entflieht, fliehen die Juden seit zweitausend Jahren im Völkermeer vor dem Herrn. Überall entfesselt die Gegenwart des Propheten – wie auch die des treulosen Volkes – einen Sturm. Dieser legt sich, sobald man Jona – und oft auch die Juden – über Bord wirft. Der Fisch verschlingt Jona, ohne ihn verdauen zu können, und auch die Völker vermögen nicht, die Juden zu assimilieren. Der Fisch muß Jona an die Küste Palästinas ausspeien, woher er gekommen, und so werden die Völker Israel auf die Ufer seines Vaterlandes zurückwerfen. Gott beruft Jona zum zweitenmal; endlich gehorcht er, geht nach Ninive, und die ganze Stadt bekehrt sich. So wird auch Israel, wenn reuig nach Palästina zurückgekehrt, erneut berufen werden, die Heiden zu evangelisieren, die sich nun auf seine Worte hin bekehren. (Nach H. Schaedel).

Ganz sichtlich haben oft ein Verhängnis und ein Fluch den unglücklichen ewigen Juden auf seinen Irrfahrten verfolgt. Verdirbt der Beste, so wird er der Schlimmste. So wurden unleugbar manche Juden zur wahren Geißel für ihr Adoptivland, und scheinbar rechtfertigten sie damit zum Teil die Feindseligkeit gegen sie. Aber wer wäre ohne Sünde und könnte den ersten Stein auf sie werfen? Und haben nicht die „Arier“ gezeigt, welcher Greueltaten sie fähig sind?

IV. In dieser Ära beharren die Juden bei ihrer Ablehnung Jesu Christi.
Im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden schicken die Bürger ihrem abwesenden Herrn, den sie hassen, eine Botschaft nach und lassen ihm sagen: „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche!“ Luk. 19, 14. Durch das abschreckende Zeugnis, das ihnen die „Christen“ vorlebten, zu einer ähnlichen Auflehnung getrieben, haben die Juden bis vor ganz kurzem immerzu den Namen Jesu verachtet, ja sogar gehaßt. In der Gesamtheit sind sie noch nicht zur Selbsterkenntnis gekommen und stehen nicht von ihrem Unglauben ab.

V. Dennoch ist ihnen alles genommen, was zur Religion des Alten Bundes gehörte.
Nach dem mosaischen Gesetz beruhte jede Gemeinschaft mit Gott auf dem blutigen Opfer, dem Opferdienst und dem Allerheiligsten des Herrn. All das ist dem Volk genommen, wie es Hosea ankündigte:
„Denn die Kinder Israel werden lange Zeit ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer, ohne Altar, ohne Leibrock und ohne Heiligtum bleiben.“ Hosea 3, 4. Davids Thron ist leer, und kein Prophet verkündet Israel das Wort des Herrn: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß Ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot, oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn, zu hören; daß sie hin und her, von einem Meer zum andern, von Mitternacht gegen Morgen umlaufen und des Herrn Wort suchen und doch nicht finden werden.“ Amos 8, 11.
Den Israeliten fehlt das NT, und sie sind nicht imstande, das AT zu verstehen: „Ihre Sinne sind verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, welche in Christo aufhöret; aber bis auf den heutigen Tag, wenn Mose gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen. Wenn es sich aber bekehrte zu dem Herrn, so würde die Decke abgetan.“ 2. Kor. 3, 14-16.
Man fragt sich, wie fromme Juden einen solchen Zustand ertragen und eigentlich ohne Vergebung der Sünde und ohne wahre Gemeinschaft mit Gott leben können.

VI. Dennoch bleiben die Juden in der Zerstreuung für sich und vergessen weder ihres Gottes noch ihres Ursprungs.

Es ist ein Wunder, sagten wir, daß Israel trotz der Jahrtausende der Zerstreuung und der Verfolgung noch besteht, während alle Völker des Altertums verschwunden sind. Die Zeitgenossen der Propheten, die Ägypter, Assyrier, Babylonier, Perser, Griechen, Römer existieren alle nicht mehr. Nur die Juden sind noch da als Zeugen für die Wahrheit der Schrift. Bileam sagte schon von Israel: „Siehe, das Volk wird besonders wohnen und nicht unter die Heiden gerechnet werden.“ 4. Mos. 23, 9. Auch Jesus hatte gesagt: „Diese ,Rasse’ (das ist die zweite
Bedeutung des griechischen Worts für Geschlecht, Generation) wird nicht vergehen, bis daß dies alles geschehe.“ Matt. 24, 34. Ohne das wunderbare Eingreifen Gottes wäre eine solche Fortdauer Israels unerklärlich.

Aber es geht hier um mehr als um äußeren Fortbestand. Der Herr kündigt noch Folgendes an: „Eure Entronnenen werden dann noch an mich gedenken unter den Heiden, da sie gefangen sein müssen, wenn Ich ihr hurisch Herz . . . zerschlagen habe.“ Hes. 6, 9. „Ich will sie unter die Völker säen, daß sie Mein gedenken in fernen Landen, und
 sollen mit ihren Kindern leben und wiederkommen.“ Sach. 10, 9. Sie werden wie bei ihrer ersten Gefangenschaft die Liebe zu ihrem Lande bewahren: „Gedenkt des Herrn in fernem Lande, und laßt euch Jerusalem im Herzen sein.“ Jer. 51, 50.
„In fremden Landen . . . vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meiner Rechten vergessen. Meine Zunge
soll an meinem Gaumen kleben, wo ich dein nicht gedenke,wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.“ Ps. 137, 4-6.
Jeder kennt die fanatische Anhänglichkeit der frommen Juden an ihr Gesetz, und wie sie sich untereinander jahrhundertelang zuriefen: „Das nächste Jahr in Jerusalem!“

VII. Trotz Seiner Verwerfung Israels wacht Gott doch immer über ihm.
„Auch wenn sie schon in der Feinde Land sind, habe Ich sie gleich wohl nicht verworfen, und ekelt mich ihrer nicht also, daß es mit ihnen aus sein sollte und mein Bund mit ihnen sollte nicht mehr gelten; denn Ich bin der Herr, ihr Gott. Und Ich will über sie an Meinen ersten Bund gedenken.“ 3. Mos. 26, 44-45.
„Ja, Ich habe sie fern weg unter die Heiden lassen treiben und in die Länder zerstreut, doch will Ich bald ihr Heiland sein in den Ländern, dahin sie gekommen sind.“ Hes. 11, 16.
„Wer euch antastet, der tastet Seinen Augapfel an.“ Sach. 2, 8 (bzw.12)
„Denn Ich bin bei dir, spricht der Herr, daß Ich dir helfe. Denn Ich will mit allen Heiden ein Ende machen, dahin Ich dich zerstreut habe. Aber mit dir will Ich nicht ein Ende machen; züchtigen aber will Ich dich mit Maßen, daß du dich nicht für unschuldig haltest.“ Jer. 30, 11.
So kam die alte, Abraham gegebene Verheißung immer wieder zur Anwendung: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen.“ 1. Mos. 12, 3. Wir haben einen schlagenden Beweis dafür in Haman, dem seine Freunde sagten: „Ist Mardochai vom Geschlecht der Juden, . . . so vermagst du nichts an ihm, sondern du wirst vor ihm fallen.“ Esther 6, 13. Tatsache bleibt, daß die Verfolger, die ihre Wut an Israel ausließen, sich damit selbst rasch ins Verderben stürzten.

VIII. Während der Abwesenheit der Juden wird Palästina eine Öde sein.
Das Gelobte Land war ein Land, „darinnen Milch und Honig floß“, reich bewässert durch zwei Regenzeiten, und Gottes Auge ruhte darauf vom Anfang des Jahres bis ans Ende. 5. Mos. 11, 10-15. Aber infolge der Bosheit Israels lastet ein Fluch darauf.
„Euer Land soll wüste sein und eure Städte zerstört. Alsdann wird das Land sich seine Sabbate gefallen lassen, solange es wüste liegt und ihr in der Feinde Land seid, ja, dann wird das Land feiern.“ 3. Mos. 26, 33-34.

„Wenn sie die Plagen dieses Landes sehen und die Krankheiten, womit sie der Herr beladen hat, daß Er all ihr Land mit Schwefel und Salz verbrannt hat, daß es nicht besät werden kann, noch etwas wächst, noch Kraut darin aufgeht, . . . so werden alle Völker sagen: Warum hat der Herr diesem Land also getan? . . . So wird man sagen: Darum, daß sie den Bund des Herrn verlassen haben.“ 5. Mos. 29, 22-25.

„Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis daß die Städte wüste werden ohne Einwohner und die Häuser ohne Leute und das Feld ganz wüste liege. Denn der Herr wird die Leute ferne weg tun, daß das Land sehr verlassen wird.“ Jes. 6, 11-12.
Auch kündigen die Propheten das Ausbleiben des Regens an. Das wird die Öde des Landes vermehren, das zur Bewässerung nicht mit den Flüssen rechnen kann: „Hütet euch aber, daß sich euer Herz nicht überreden lasse, . . . daß der Herr den Himmel zuschließe, daß kein Regen komme und die Erde ihr Gewächs nicht gebe.“ 5. Mos. 11, 16. 
„ Ich will ihn (meinen Weinberg) wüste liegen lassen, daß er nicht geschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, daß sie nicht drauf regnen.“ Jes. 5, 6. 
„Du verunreinigst das Land mit deiner Hurerei, . . . darum muß auch der Frühregen ausbleiben und kein Spätregen kommen. Jer. 3 ,2-3.

Es ist eine bekannte Tatsache, daß Palästina seit fast zweitausend Jahren den Charakter einer Wüste trug und der Regen dort selten war. Das Land war nicht mehr wie einst bebaut und bewaldet, wodurch sich sogar auch das Klima veränderte.

IX. Am Ende ihrer Zerstreuung werden die Juden vom Herrn in der Wüste der Völker gerichtet werden.

Beachten wir zuerst, daß die Zerstreuung lange währen wird. „Die Kinder Israels werden lange Zeit ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer sein. . .“ Hos. 3, 4. „Die Berge Israels, welche lange Zeit wüste gewesen sind.“ Hes. 38, 8. Aber gegen das Ende dieser traurigen Zeit wird der Herr Sein Volk reinigen, damit es in Seinen Bund und ins Gelobte Land zurückkehre: „Ich will euch aus den Völkern führen und aus den Ländern, dahin ihr verstreut seid, sammeln mit starker Hand, mit ausgestrecktem Arm und mit ausgeschüttetem Grimm, und will euch bringen in die Wüste der Völker und daselbst mit euch rechten von Angesicht zu Angesicht . . . .” Hes. 20, 34-35.37-38.

Die jüngsten Ereignisse erinnern erstaunlich an das hier Gesagte. Die Juden sind mitten aus den Völkern herausgerissen worden, wo sie so fest saßen, und sie haben entsetzliche Prüfungen auf sich nehmen müssen. Wie mochten sie wohl alle gern in ihr Land zurückkehren, und doch wurden 5 Millionen umgebracht! Die jüdische Einwanderung nach Palästina nimmt heute noch zu. In einer Welt, da der Antisemitismus jederzeit wieder aufleben kann, scheint die Rückkehr Israels in sein Land die einzige Lösung zu sein.


5. Kapitel

Die Rückkehr Israels nach Palästina


I. Die Wiederauferstehung Israels.
Israel, sagten wir, hat Jahrtausenden der Verfolgung und der Zerstreuung – wie ein Wunder – getrotzt. Aber als unabhängige Volksgemeinschaft bestand es ja lange nicht mehr. Soll aber Israel in der Zukunft die ihm von den Propheten bestimmte Rolle spielen, so müßte es eine richtige Auferstehung erleben. Und gerade das verkündet Hesekiel in seiner berühmten Vision von Kap. 37:
Der Prophet wird in ein Tal versetzt, das mit ganz verdorrten, d.h. schon lange toten Gebeinen überdeckt ist. Gott fragt ihn: „Meinst du, daß diese Gebeine wieder lebendig werden?“ und er antwortet: „Herr, das weißt Du wohl.“ Und dann heißt es, auf einen Befehl des Herrn: „Da rauschte es, und siehe, es regte sich, und die Gebeine kamen wieder zusammen . . ., es wuchsen Adern und Fleisch darauf, und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen.“ Dann heißt der Herr Seinen Diener sprechen: „Wind, komm herzu aus den vier Winden und blase diese Getöteten an, daß sie wieder lebendig werden . . . ! Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße. Und ihrer war ein sehr großes Heer . . . Und Er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsre Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns! Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht der Herr Herr: Siehe, Ich will eure Gräber auftun und will euch, Mein Volk, aus denselben herausholen und euch ins Land Israel bringen . . . Und Ich will Meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt; und will euch in euer Land setzen, und sollt erfahren, daß Ich der Herr bin . . . Ich rede es und tue es auch, spricht der Herr. 37, 1-14.
Unbestreitbar regt es sich mehr und mehr unter den verdorrten Gebeinen Israels. Gott holt sie gewaltsam aus den Gräbern der Völker, die sie verschlungen hatten. Sie suchen einander, organisieren sich und kehren auch wohl z.T. nach Palästina zurück, aber „der Geist ist noch nicht in ihnen.“ Es wird etwas ganz anderes sein, wenn sie sich bekehren und das wahre Leben haben.

II. Der treue Überrest in Israel.


Zur Zeit Elias hatten – ihm unbekannt – noch siebentausend Israeliten ihre Kniee nicht vor Baal gebeugt. Zu Lebzeiten des Apostels Paulus gab es auch einen Überrest, nach der Wahl der Gnaden. Röm. 11, 2-5. Am Zeitenende wird es auch eine treue Schar geben, die nach Palästina zurückkehren und sich zum Heiland bekehren soll:
,,Zu der
Zeit werden die übriggebliebenen in Israel und die errettet werden im Hause Jakob . . . sich verlassen auf den Herrn, den Heiligen in Israel, in der Wahrheit. Die übriggebliebenen werden sich bekehren, ja, die übriggebliebenen in Jakob, zu Gott, dem Starken. Denn ob dein Volk, o Israel, ist wie Sand am Meer, sollen doch nur seine übriggebliebenen bekehrt werden . . . Wie eine Eiche und Linde, von welchen beim Fällen noch ein Stamm bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stamm sein . . . In der Zeit wird des Herrn Zweig lieb und wert sein . . . bei
denen, die erhalten werden in Israel. Und wer da wird übrig sein zu Zion und übrigbleiben zu Jerusalem, der wird heilig heißen . . . Ich will aus Jakob Samen wachsen lassen und aus Juda, der Meinen Berg besitze; denn Meine Auserwählten sollen ihn besitzen, und Meine Knechte sollen daselbst wohnen.” Jes. 10, 20-22; 6, 13; 65, 9.

An diesem Überrest wird der Herr Seine Verheißungen wahrmachen.


III. Wer führt Israel in sein Land zurück?


1. Vor allem wird Gott selbst es tun.

„Ich werde gedenken an Meinen Bund mit Jakob und an Meinen Bund mit Isaak und an Meinen Bund mit Abraham und werde an das Land gedenken, das von ihnen verlassen ist . . . Auch wenn sie schon in der Feinde Land sind . . . will Ich über sie an Meinen ersten Bund gedenken.“ 3. Mos. 26, 42-45.
„Denn der Herr wird Sich über Jakob erbarmen und Israel noch fürder erwählen und sie in ihr Land setzen . . . Denn Er ist’s, der durch meinen Mund gebeut, und Sein Geist ist’s, der es zusammenbringt . . . Denn ihr sollt nicht mit Eile ausziehen noch mit Flucht wandeln; denn der Herr wird vor euch herziehen, und der Gott Israels wird euch sammeln.“ Jes. 14, 1; 34, 16; 52, 12.

„Siehe, es kommt die Zeit, da man . . . sagen wird: So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israels geführt hat aus dem Lande der Mitternacht und aus allen Ländern, dahin Er sie verstoßen hatte. Denn Ich will sie wiederbringen in das Land, das Ich ihren Vätern gegeben habe.“ Jer. 16, 14, usw., usw. Ja wahrlich, wer könnte denn sonst die so lange zerstreuten Gebeine sammeln und auferwecken?


2. Gott wird Sich der Völker bedienen, um Sein Volk zurückzuführen.
Gleich nach seiner Ankündigung, daß der Herr die Juden wieder in ihr Land einsetzen würde, sagt Jesaja: „Die Völker werden sie nehmen und bringen an ihren Ort . . . Siehe, Ich will Meine Hand zu den Heiden aufheben und zu den Völkern Mein Panier aufwerfen, so werden sie deine Söhne in den Armen herzubringen und deine Töchter auf den Achseln hertragen . . . Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden . . . Die Tharsisschiffe segeln voran (nach Menge), um deine Kinder aus der Ferne herzubringen, samt ihrem Silber und Gold (Tharsis, eine phönizische Kolonie in Spanien, bezeichnet den Westen des Mittelmeers – eigentlich die Gegend um die Landenge von Gibraltar) . . . Fremde werden deine Mauern bauen, und ihre Könige werden dir dienen. ” Jes. 14,2 ; 49,22; 60,4.9- 10.
Offenbar werden die hier genannten Völker den Juden freudig zu ihrer Rückkehr helfen. Denn glücklicherweise gibt es Völker, die ihnen um Christi willen geneigt sind. Dagegen werden andere zur Gewalt greifen, um sie loszuwerden. Nach den Worten: „Ich will sie wieder bringen in das Land, das Ich ihren Vätern gegeben habe“, sagt Jeremia: „Siehe, Ich will viel Fischer aussenden, spricht der Herr, die sollen sie fischen; und darnach will Ich viel Jäger aussenden, die sollen sie fangen auf allen Bergen und auf allen Hügeln und in allen Steinritzen.“ Jer. 16, 16.
Haben wir nicht unlängst die entsetzlichste Jagd auf die Juden erlebt? Wie das Wild gehetzt, verkauft, gejagt, gefährdeten diese Unglücklichen solche, die ihnen halfen, und fanden nicht eine Steinritze als Zufluchtsort. Gott scheint diese furchtbare Bosheit dazu benutzt zu haben, um die Juden, die sich so behaglich in Europa festgesetzt hatten, zu entwurzeln und zum Heimweh nach ihrem einstigen Vaterland zu zwingen.


IV. Wird das ganze Volk nach Palästina zurückkehren?



1. Kein Israelit wird fehlen.

Bei Hesekiel lasen wir, daß kein Rebell oder Abtrünniger ins Land Israels gelangen wird; diese werden, scheint es, da, wo sie sind, gerichtet und vernichtet. Hes. 20, 35.38. Aber alle anderen scheinen bei dem Stelldichein dabei zu sein: „Ihr Kinder Israel werdet versammelt werden, einer nach dem andern. Zu der Zeit wird man mit einer großen Posaune blasen; so werden kommen die Verlorenen . . . Es wird nicht an einem derselben fehlen; man vermisset auch nicht dies noch das. Denn Er ist’s der durch meinen Mund gebeut . . . Diese alle versammelt kommen zu dir…“ Jes. 27, 12; 60,4. Solche Versicherungen, vor kurzem noch unfaßbar, erscheinen heute wohl durchführbar. Hitler gedachte, ohne Ausnahme alle Juden in Europa auszurotten oder zu vertreiben. In Polen – um nur dies eine Beispiel zu nennen – gab es vor 1939 3.300.000 Juden. Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes waren dort nur noch 70.000. Und Gott kann unendlich viel wirksamere Mittel ergreifen, um die Israeliten zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen. . . .



2. Die Heimkehrer werden zu zahlreich sein für das Land.

„Deine Baumeister werden eilen, . . . denn dein wüstes, verstörtes und zerbrochenes Land wird dir als dann zu eng werden . . . Die Kinder deiner Unfruchtbarkeit werden noch sagen vor deinen Ohren: Der Raum ist mir zu eng; rücke hin, daß ich bei dir wohnen möge. Du aber wirst sagen in deinem Herzen: Wer hat mir diese geboren? Ich war unfruchtbar, einsam, vertrieben und verstoßen. Wer hat mir diese erzogen?“ Jes. 49, 17-21.
„Ich will sie ins Land Gilead und Libanon bringen, daß man nicht Raum für sie finden wird.“ Sach. 10, 10.


Sogar nach dem mehrfachen Blutbad der letzten Jahre sind noch etwa elf Millionen Juden in der Welt. Würden sie alle zugleich in den schmalen Landstrich zwischen Jordan und Mittelmeer zurückkehren, würde ihnen der Raum natürlich nicht genügen. Raummangel geben daher die Araber als Hauptgrund gegen die Einwanderung der Juden an. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß das Abraham und seinen Nachkommen verheißene Land weit ausgedehnter ist als das kleine Palästina von heute. Als Gott den Bund mit dem Patriarchen machte, gab Er ihm das Land vom Fluß Äyptens bis zum Libanon und zum Euphrat. 1. Mos. 15, 18; Jos. 1, 4. Im Prinzip unterstand dieses Gebiet dem Salomo (1. Kön. 4, 21), aber Israel hat es noch nie ganz inne gehabt. (Wir sprechen noch von den erstaunlichen Möglichkeiten, die sogar seine Wüstenstriche zu bieten scheinen.) Diese neue Ausdehnung deutet Micha an: „Ein Tag kommt, da deine Mauern wieder aufgebaut, der Tag, da deine Grenzen hinausgerückt werden.“ 7, 11.
Die Bibel beschreibt noch den Vorgang, wie Israel das Land füllen wird: „Aber ihr Berge Israels . . ., Gott will bei euch der Leute viel machen, das ganze Israel allzumal; und die Städte sollen wieder bewohnt werden . . . Ich will die Menschen bei ihnen mehren wie eine Herde, . . . die verheerten Städte sollen voll Menschenherden werden.“ Hes. 36, 8-10. 37-38. (S. auch Sach. 2, 4; 8, 4-5; Jer. 31, 27.)


Solche Zusicherungen erhalten ihren vollen Wert, wenn man bestimmte Tatsachen festhält. In Palästina waren:

1908     41 000 Juden,

1920     58 000
1932   175 000

1933   227 000 

1934   307 000
1935   375 000
1939   420 000
1946   675 000
1951   nicht weit von 1 500 000.
Die Einwanderung hat seit der Gründung des Jüdischen Staates ungeheuer zugenommen.

Diese Zahlen sind darum so eindrucksvoll, weil nicht mehr als 60 000 Juden in etwa hundert Jahren aus der babylonischen Gefangenschaft zurück kehrten. Sicher gaben die Verfolgungen unter Hitler einen starken Impuls zur Einwanderung. Von da an sah man nicht nur ärmere Juden, sondern auch Intellektuelle, Kaufleute, Vermögende herbeiströmen. Andererseits steht die Geburtenziffer der Juden sehr hoch. Während sich die Bevölkerung von Europa verdreifacht hat, haben sich die Juden verfünffacht.


3. Welche Stämme Israels werden nach Palästina zurückkehren?

Die zwölf Stämme sind so lange schon zerstreut, daß man sie unmöglich mehr unterscheiden kann. Nach der babylonischen Gefangenschaft kehrte nur ein Teil der vom alten Königreich Juda Verbannten in ihr Land zurück, um im Jahr 70 nach Chr. wieder daraus vertrieben zu werden. Die anderen Juden, mitsamt den nach Assyrien deportierten zehn Stämmen, blieben in der Zerstreuung. Zur Zeit der Apostel waren sie schon im ganzen Römischen Reich verbreitet. Ap. 2, 5-11; 21,21; 26,7; Jak. 1,1; Joh. 7,35. (Die Theorie vom „Britischen Israel“, nach der die zehn Stämme sich nach England begeben hätten und zum britischen Volk geworden wären, entbehrt wohl jeder ernsteren Grundlage.) Die Propheten verkünden, daß Israel bald ganz geeint sein und nie mehr unter der Teilung leiden wird, die es seit Salomos Tod so geschwächt hat. „Zu der Zeit wird das Haus Juda gehen zum Haus Israel, und sie werden miteinander kommen von Mitternacht in das Land, das Ich euren Vätern zum Erbe gegeben habe . . . Ich will das Gefängnis Judas und das Gefängnis Israels wenden und will sie bauen wie von Anfang . . . Zur selben Zeit, spricht der Herr, werden kommen die Kinder Israel samt den Kindern Juda und weinend daher ziehen und den Herrn, ihren Gott, suchen.“ Jer. 3,18; 33,7; 50,4.


V. Aus welchen Ländern werden die Juden zurückkehren?
Nach 70 Jahren der Gefangenschaft kehrten sie nur aus Babylon zurück. Am Zeitenende aber werden sie aus allen Himmelsrichtungen wiederkehren (wir nennen nur die bekanntesten Gebiete): 
246
Aus Assyrien , Jes. 11,11; Sach. 1 0,1 0 ;
aus Ägypten, Jes. 11,11;
aus Äthiopien (Afrika) Jes. 11,11; 
aus Elam (Persien), Jes. 11,11; 
aus Sinear (Mesopotamien), Jes. 11,11; 
aus Übersee (den Inseln), Jes. 11,11; 
aus den vier Enden der Erde, Jes. 11,12; Jer. 31,8;
von Ost und West, Jes. 43, 5 ;
aus fernen Landen, Jes. 43, 6; 
aus allen Völkern und von allen Orten, dahin sie verstreut sind, Jer. 29, 14;
aus dem Lande der Mitternacht (Norden), Jer. 31, 8; 
von der Himmel Ende, 5. Mos. 30,4.

Diese Prophezeiungen haben sich natürlich nicht am Ende der babylonischen Gefangenschaft erfüllt. Nach der 70jährigen Verbannung kehrte Israel nur aus Mesopotamien zurück, und zwar nur ein kleiner Teil von Juda. Die damals Jerusalem wieder bauten, rufen voll Schmerz: „Siehe, wir sind heutiges tages Knechte in dem Land, das Du unseren Vätern gegeben hast.“ Neh. 9, 36. In der Tat erlangten die Juden nie mehr ihre Unabhängigkeit, weder vor noch nach dem Jahre 70 nach Chr. Darum muß ihre endgültige, von dem Propheten geschaute, glorreiche Wiederkehr nach ihrer weltweiten Zerstreuung am Zeitenende erfolgen.


VI. Wohin kehrt Israel zurück?

Darüber macht die Schrift so zahlreiche Angaben, daß wir ohne Zögern antworten können: nach Palästina.


Nach den Propheten kehrt Israel zurück:

in das Land ihrer Väter, das ihnen Gott zu eigen gegeben, 5. Mos. 30,5 ; Jer. 3,18 ; 16,15; 30,3; Hes. 37,25;

in ihr Land, Jes. 14,1; Hes. 36,24; 37,14.21 ; 39,28; Amos 9,15;

in ihre Grenzen, Jer. 31,17;

in das Land, das ihnen Gott zugemessen hatte, Jes. 34,17;

in das heilige Land, Sach. 2, 12;

in das Land des Herrn, Jes. 14, 2;

in das Land, das Gott Jakob gegeben hatte, Hes. 28, 25; 37, 25;

in das Land, daraus Israel in die Gefangenschaft mußte, Jer. 29, 14;

in das Land, das die Kanaaniter bewohnt hatten, Obadja 20;
auf die Berge, die so lange wüste waren, Hes. 38,8; 34,13.15; 36, 8;

nach Zion, nach Jerusalem, Jes. 35,10; Jer. 3,14; Sach. 8, 8;

auf die Weiden des Karmel und von Basan, Jer. 50, 19;

auf die Gebirge von Ephraim und Gilead, Jer. 50,19; Sach. 10,10; Obadja 19;

an die Küste des Philisterlandes, nach Askalon, Zeph. 2, 7;

zum Libanon, Sach. 10,10;

aufs Gebirge Esaus im Philisterland, Obadja 19;

ins Gebiet von Ephraim und Samaria, Obadja 19.


Nach einer solchen Aufzählung (und wir haben nicht alles genannt) läßt es sich kaum bezweifeln, daß Gott die Juden wirklich in ihre alte Heimat zurückführen will. Sogar Männer wie Cromwell und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen erwogen – wohl unter dem Eindruck so vieler Bibelstellen – eine Zeitlang den Plan, die Juden in ihrem Land wieder anzusiedeln. Übrigens ist es merkwürdig, daß man, seit die Frage einer nationaljüdischen Heimat akut wurde, mehr oder weniger ernsthaft vorgeschlagen hat, die Juden anderswo unterzubringen. Da die Araber Palästina besitzen, warum könnte man nicht Israel ein anderes Gebiet, z.B. in Afrika oder Südamerika zuweisen? Aber die Juden, mit den Zionisten an der Spitze, haben einem solchen Plan heftig widerstanden und rundweg erklärt, sie gingen nur nach Palästina.
Schon 1903 soll Chamberlain Herzl, dem Begründer des Zionismus, im Namen Großbritanniens vorgeschlagen haben, in Uganda eine Nationalheimat für Juden anzulegen. Herzl zögerte; da fielen seine Glaubensgenossen mit dem Ruf über ihn her: „Nieder mit dem Afrikaner!“ Da lehnte er das englische Angebot ab. Auch der Völkerbund versuchte seinerzeit vergebens, andere Vorschläge zu machen. Und heute ist die Rückkehr nach Palästina Wirklichkeit geworden. Mit dem Beschluß der UNO, Palästina in zwei Staaten, einen jüdischen und einen arabischen, zu teilen, ist die Ära der großen Erfüllungen angebrochen. England hat Palästina verlassen; der jüdische Staat ist ausgerufen und sehr bald von den Großmächten anerkannt worden. Die Araber haben ihn erfolglos bekämpft, und eine vielleicht sehr nahe Zukunft wird uns zeigen, wie sich die sehr genauen Weissagungen der Propheten weiter erfüllen werden.

VII. Für welche Zeitdauer wird Israel in sein Land zurückkehren?

Nach seiner Rückkehr aus Babylon blieb Isr el nur kurze Zeit in Palästina. Grausam wurde es durch die Römer wieder verjagt. Aber es soll bald auf immer heimkehren. „Ich will sie wieder in dies Land bringen und will sie bauen und nicht abbrechen, Ich will sie pflanzen und nicht ausraufen . . . Ich will sie wiederum an diesen Ort bringen, daß sie sollen sicher wohnen . . . Ich will sie in diesem Lande pflanzen treulich, von ganzem Herzen und von ganz er Seele.“ Jer. 24, 6; 32, 37.41.

VIII. Was geschieht bei der Rückkehr der Juden mit Palästina selbst?
Im vorigen Kapitel sahen wir, daß das Land nach dem Fortgang der Juden zu einer Wüste mit nur einzelnen grünen Oasen geworden war.
Die Araber lieben den Feldbau nicht und lassen lieber ihre Herden abweiden, was von selbst wächst. Und die Türken pflanzten kaum einen neuen Baum, wo sie einen gefällt hatten. Sie setzten sogar eine Steuer auf die Bäume. Während der letzten hundert Jahre ihrer Regierung war die Steuer so maßlos hoch, daß man es vorzog, die Bäume zu fällen, statt die Steuer zu zahlen. So war Palästina ohne genügende Vegetation, ohne Pflege und ohne Wasser sehr heruntergekommen. Aber das soll nun alles anders werden.


1. Diese Einöde wird wieder blühen und zu einem Obstgarten werden.
„Es werden auf dem Acker meines Volkes Dornen und Hecken wachsen . . . bis daß über uns ausgegossen werde der Geist aus der Höhe. So wird dann die Wüste zum Acker werden und der Acker wie ein Wald geachtet werden . . . Aber die Wüste und Einöde wird lustig sein, und das dürre Land wird fröhlich stehen und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und fröhlich stehen in aller Lust und Freude . . . Ich will in der Wüste geben Zedern, Akazien, Myrten und Ölbäume; Ich will auf dem Gefilde geben Tannen, Buchen und Buchsbaum miteinander . . . Denn der Herr tröstet Zion . . . und macht ihre Wüsten wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des Herrn.“ Jes. 32, 13. 35, 1-2; 41,19; 51, 3. „Das verwüstete Land soll wieder gepflügt werden, dafür, daß es verheert war, daß es sehen sollen alle, die dadurch gehen, und sagen: Dies Land war verheert, und jetzt ist’s wie der Garten Eden.“ Hes. 36, 34.


Ohne der Zukunft vorzugreifen, stellen wir heute schon fest, daß Palästina nicht wiederzuerkennen ist. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts suchen die Juden immer mehr landwirtschaftliche Kolonien anzulegen. Bis 1914 hatte Baron Edmond von Rothschild nicht weniger als 60 Millionen Goldfranken in dieses Unternehmen gesteckt. Eine einflußreiche Organisation, Keren Kayemeth Leisrael genannt, wurde zum Ankauf und Anbau von Ländereien gegründet. 1935 hatten die Juden, trotz des wachsenden Widerstandes der Araber, 1.200.000 Hektar Landes erworben. Die erzielten Erfolge grenzen ans Wunderbare: alle in im Jahre 1934 pflanzten sie 130.000 Bäume (in wenigen Jahren 1 473 000). Die Ebene Saron war einst den Sanddünen überlassen. Nun steht von Gaza bis Lydda ein riesiger Orangenwald. Der Ertrag an Citrusfrüchten (Orangen, Zitronen, Pampelmusen) hat sich so gehoben, daß er z.B. schon von Januar bis April 1935 über den Hafen von Jaffa den Versand von 7 Millionen Obstkisten ermöglichte. Es handelt sich wirklich um eine weltberühmte Pflanzung, denn die Palästinaorangen haben Weltruf auf den Märkten. Ein anderes typisches Beispiel ist die Urbarmachung der einst für ihre Fruchtbarkeit berühmten Ebene von Esdrelon (bzw. Jesreel). 1920 lag sie völlig brach, von übermannshohem Gras überwuchert, von Sümpfen durchsetzt, ein Pestherd der Malaria. Kein Baum, kein Haus in der Ebene; auf den Hügeln vier bis fünf kleine Araberdörfer (die Ebene ist 50 km lang). Heute sieht man überall Häuser, Obstgärten, Weiden, Bauernhöfe. Aber von den 8000 ersten Kolonisten starben 6000 an den dort wütenden Krankheiten. Die Wochenschrift „Minerva“ berichtet darüber: „Es wurde öfter behauptet, daß der Jude die Handarbeit verabscheut und es vorzüglich versteht, andere für sich arbeiten zu lassen. Für Palästina trifft das nicht zu. Der Jude ist und bleibt das Aufbauelement dieses Landes. Ich habe das Tal Jesreels nach dem Krieg von 1914 -1918 gekannt. Es war ein ausgedehnter, verpesteter Sumpf, wo die Malaria Alleinherrscherin war. Alle, die sich in dieser Gegend anzusiedeln versucht hatten, fanden den Tod. Als die ersten Pioniere („Maloutsim“ auf Hebräisch) dieses Gebiet besuchten und nach den Ruinen fragten, die dort zu sehen waren, kam die Antwort: „Ein verschwundenes Dorf . . . Deutsche wohnten dort.“ „Wo sind sie jetzt?“ – „Sie sind gestorben“ – „Und hat sich seitdem niemand hier niedergelassen?“ – „Araber sind gekommen. Sie sind tot, alle tot, tot . .“ – „Hier müssen wir siedeln“, sagte der Älteste. Und sie bauten sich dort an. Viele sind tot . . . tot: Aber so oft ein Pionier umfiel, fand sich sofort ein anderer, um Hacke und Schaufel des Dahingegangenen aufzunehmen.“ (30.11.45). Daher übertreffen auch die Erfolge jede Vorstellung.

1935 erwarb die „Palestine Land Development Company“ das ganze Gebiet von Meromsee, um dort die selbe Sanierungsarbeit vorzunehmen. Bis dahin war das ein ödes fieberverpestetes Land, wo nur einige Beduinenfamilien hausten. Solcher Beispiele könnte man noch mehr nennen. Die Juden, die man als untauglich für die Landarbeit ansah, haben sich in großer Zahl und mit unglaublichem Eifer ans Werk gemacht.


2. Regen und Wasser sollen in Fülle wiederkommen.

Wir sahen, wie Gott, den Weissagungen gemäß, nach dem Weggang der Juden den Wolken gebot, Palästina nicht mehr wie zuvor den Regen zu spenden. Jes. 5, 6. Aber nach der Schrift soll es bei der Rückkehr und Bekehrung der Juden wieder reichlich Regen geben:
„Werdet ihr nun Meine Gebote hören . . . so will Ich eurem Lande Regen geben zu seiner Zeit, Frühregen und Spätregen, daß du einsammelst dein Getreide, deinen Most und dein Öl, und will deinem Vieh Gras geben auf deinem Felde, daß ihr esset und satt werdet.“ 5. Mos. 11, 13-15.
„Ich will auf sie regnen lassen zur rechten Zeit, das sollen gnädige Regen sein . . . Und das Land wird sein Gewächs geben.“ Hes. 34,26-27.
„Und ihr, Kinder Zions, freuet euch und seid fröhlich im Herrn, . . . der euch herabsendet Frühregen und Spätregen wie zuvor.“ Joel 2, 23. Da das jüdische Jahr etwa um die Herbstgleiche beginnt, sind es die Frühregen, die das Getreide zum Keimen bringen. Der Spätregen im Frühjahr ist notwendig zur Entwicklung und Ausreifung des Korns. Diese letzteren waren seit langem ausgeblieben, nach dem Wort von Jer. 3,3 z.B. . . . Aber es heißt, daß sie sich seit etwa 60 Jahren wieder eingestellt haben, und daß sich das Klima Palästinas deutlich in der von den Propheten angezeigten Richtung entwickelt.


Den häufigeren Regenfällen entsprechend reichlichere Quellen: „Es werden auf allen großen Bergen und auf allen großen Hügeln zerteilte Wasserströme gehen . . . Denn es werden Wasser in der Wüste hin und wieder fließen und Ströme im dürren Lande . . . Ich will Wasserflüsse auf den Höhen öffnen und Brunnen mitten auf den Feldern und will die Wüste zu Wasserseen machen und das dürre Land zu Wasserquellen . . . Denn Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre.“ Jes. 30,25; 35,6; 41,18; 44,3.


Tatsächlich hat man bei Bohrungen in Palästina mancherorts neue, bedeutende Wasserquellen entdeckt. Die Bewässerung des Landes ist systematisch organisiert. Seit 1936 hat man fließendes Wasser in Jerusalem. Aber die größte Entdeckung wurde in der syrischen Wüste gemacht, die zu dem Abraham verheißenen Gebiet gehört. Als man 1933 Röhren zur Leitung des Petroleums vom Irak nach Haifa und Tripolis (Syrien) legte, mußte man etappenweise Dauerwachposten einrichten. Nun konnte kein Wächter inmitten einer der trockensten Wüsten der Welt ohne Wasser leben. So versuchte man artesische Brunnen zu bohren und entdeckte zur Überraschung in 20 m Tiefe ein ausgedehntes Wasserbett. Dieses Grundwasser wird durch eine breite Tonschicht geschützt und aus dem riesigen Becken gespeist, das die Gebirge von Persien und Armenien bilden. Und überall, wo dieses Wasser sprudelt, sieht
 man buchstäblich die Wüste erblühen. Wer kann wissen, welche Entfaltung eine ähnliche Entdeckung in den Ostjordangebieten ermöglichen würde?


Eine andere Auswertung des Wassers in Palästina ist die Erfassung der Wasserdruckkraft des Jordans. Sie ließ die Elektrifizierung des Landes und eine bedeutende Entwicklung seiner Industrie zu. Zur Frage des Jordans nennen wir noch die „Times“ vom 8.4.1946, die riesige Kanalisierungspläne zwischen diesem Wasserlauf und dem Meer zur Bewässerung Palästinas darlegt.

3. Das zerstörte Land soll wieder aufgebaut werden und die Menschen sich dort vermehren .
„Sie werden die alten Wüstungen bauen, und was vorzeiten zerstört ist, aufrichten; sie werden die verwüsteten Städte, so für und für zerstört gelegt sind, erneuen.“ Jes. 61, 4. „An diesem Ort, davon ihr sagt: er ist wüst, weil weder Leute noch Vieh in den Städten Judas und auf den Gassen zu Jerusalem bleiben, die so verwüstet sind, daß weder Leute noch Bürger, noch Vieh darin sind, wird man dennoch wiederum hören Geschrei von Freude und Wonne . . . Denn Ich will des Landes Gefängnis wenden wie von Anfang, spricht der Herr.“ Jer. 33, 10. „Die Städte sollen wieder bewohnt und die Wüsten erbaut werden. Ja, Ich will bei euch der Leute und des Viehs viel machen . . . Ich will euch wieder bewohnt machen wie vorher . . . Ich will die Städte wieder besetzen, und die Wüsten sollen wieder gebaut werden . . . daß man sagen wird: Diese Städte waren zerstört, öde und zerrissen und stehen nun fest gebaut.“ Hes. 36, 10 .33-35. (S. auch Sach. 8, 4-5.8).
Auch auf diesem Gebiet wurde Außerordentliches erarbeitet. 1936 gab es 60.000 Juden in Jerusalem (mehr als 1920 im ganzen Land). 1909 wurde bei Jaffa auf ödem, mit Sanddünen bedecktem Gelände die ausschließlich jüdische Stadt Tel Aviv (Frühlingshügel) gegründet. Dank den unterirdischen Süßwasserquellen entwickelte sich die Stadt rasch und wurde von üppigen Gärten umgeben. 1932 hatte sie 46.000 Einwohner, 1935 102.000, 1939 200.000; 1946 hatte sie fast 300.000 erreicht. Sie besitzt einen Hafen, eine Oper, prächtige Läden, eine Universität, höhere Schulen u.a.m.
1936 lebten in einem einzigen Vorort Haifas 50.000 Juden. Auch in der Stadt Tiberias ist eine bedeutende Judenkolonie. In einem früheren Kapitel gaben wir eine Statistik der jüdischen Einwanderung in Palästina vor 1939. Seit der Zeit ist es schwierig, genaue Zahlen einzuholen. Beachten wir noch, daß zur selben Zeit, dank dem wachsenden Wohlstand im Land, auch die moslemische Bevölkerung dort zugenommen hat. Denn auch eine lebhafte moslemische Einwanderung sucht, der jüdischen das Gleichgewicht zu halten und ihr zu vorzukommen.

Palästina zählte:

1908 . . . . . . 41.000 Juden
 . . . . . . 250.00 Mohamedaner
1935 . . . . . . 375.000 Juden
         857.000 Mohamedaner

                                                        116.000 Andersgläubige
Summe 1935 . . . . 1.348.000



Seit der Gründung des Jüdischen Staates am 15. Mai 1948 hat sich die israelitische Bevölkerung in drei Jahren verdoppelt. 600 000 neue Einwohner sind also seit diesem Datum aufgenommen worden. Bis Ende 1951 wollten die Regierung und die Jeswish Agency (Jüdische Agentur) weitere 200 000 ins Land bringen. Die nicht jüdische Minorität beträgt etwa 140 000 Personen („Judenchrist!iche Gemeinde“, Juni 1951)



4. Großer wirtschaftlicher Wohlstand ist diesem Lande verheißen.


In der Tat halten die Juden einen Hauptteil des Weltvermögens in der Hand. Jesaja sagt, daß sie ihren Reichtum mitbringen werden: „ . . . Ich will Gold anstatt des Erzes und Silber anstatt des Eisens bringen und Erz anstatt des Holzes und Eisen anstatt der Steine.” Jes. 60,9.5.11.17. (S. auch Hag. 2,7 ; Sach. 14,14 u.a.). Wir wollen nur einige Beispiele anführen: Wir haben schon gesagt, daß Baron E. von Rothschild vor 1914 allein in den landwirtschaftlichen Kolonien 60 Millionen Goldfranken angelegt hatte. Als Tel Aviv erst 50 000 Einwohner zählte, hatte es bereits 125 Millionen Goldfranken gekostet. Die Gesellschaft zur Gewinnung von Pottasche und Brom aus dem Toten Meer besitzt ein Kapital von 136 Millionen Goldfranken. 1934 wurden hundert Millionen Pfund Sterling in Palästina angelegt. . . .


Aber es geht nicht nur um fremde Kapitalanlagen in Palästina. Das Land selbst birgt ungeheure Reichtümer. Man hat entdeckt, daß manche Hügel aus Phosphaten bestehen, die sehr gesuchte Düngemittel sind. Man fand auch, daß das Tote Meer das reichste Mineralbecken der Welt ist. Es enthält Salze von Chlor, Magnesium, Kali, Kalk, Natron und vor allem Brom. Nach Aussage eines Fachmanns könnte das dortige Vorkommen sogar auf 2000 Jahre den Weltbedarf an diesen chemischen Stoffen decken. Zur Ausbeutung dieser Schätze wurden Fabriken gebaut, zu deren Betrieb der Jordan die Elektrizitätskraft liefert. Gleichzeitig kam man darauf, daß diese bis dahin als verflucht geltende Ecke der Welt als Luftkurgebiet unübertroffen ist. Die von Sauerstoff geschwängerte Luft und die Mineralquellen haben eine wunderbare Wirkung. Noch etwas Bemerkenswertes: zwischen Jaffa -Tel – Aviv und Triest hält eine Handelsflotte unter der Flagge Israels eine regelmäßige Verbindung aufrecht. All dies ist ja nur ein Anfang. Den Umständen entsprechend wird der Aufschwung des Landes sicher immer weiter voranschreiten.


5. Auch auf kulturellem Gebiet erkennt man eine wirkliche Auferstehung.

Das alte Hebräisch, das so lange nicht mehr gesprochen wurde, ist wieder eine lebendige Sprache geworden. Ben Yehudah, ein jüdischer Gelehrter aus Odessa, hat ein hebräisches Wörterbuch in fünfzehn Bänden herausgegeben, in dem die Sprache allen Bedürfnissen des modernen Lebens und der Technik angepaßt ist. 1925 wurde eine jüdische Universität auf dem Berg Scopus in Jerusalem gegründet. Der Unterricht wird dort in Hebräisch erteilt. Sie zählt 80 Professoren und umfaßt alle Wissenschaften. Die Bibliothek enthält mehr als 300.000 Bände. Im ganzen Land wurden Schulen, Kindergärten, Technische Hochschulen usw. gegründet. Immer mehr wird Hebräisch die Umgangssprache der eingewanderten Israeliten, die aus allen Weltteilen kommen. . . . In den Gaststätten, den Autobussen, den Läden spricht man nur Hebräisch. Das ist nicht das kleinste Wunder der heutigen Zeit. Demnach wurde Hebräisch zur offiziellen Sprache des neuen jüdischen Staates erklärt. . . .


6. Die Zionistenbewegung und die Erklärung Balfours.

Die Häufung so vieler, außergewöhnlicher Ereignisse ist kein Zufall. Seit einigen Jahrzehnten leben die Israeliten nicht mehr weltweit zerstreut in der Verbannung und ohne Fühlung miteinander. Sie sind sich ihrer Volkseinheit bewußt und organisieren sich systematisch zur Wiedereinrichtung ihrer national-jüdischen Heimat. 1897 berief Dr. Theodor Herzl den ersten Zionistenkongreß nach Basel. Anfangs gedieh diese Bewegung wenig. Aber im Krieg von 1914-1918 bedurften die Alliierten der Unterstützung der großen israelitischen Bankherren, besonders in Amerika. Darum versprach der englische Minister Lord Balfour in einem Manifest vom 2. 11. 1917 die Gründung einer jüdischen Heimat in Palästina nach siegreichem Friedensschluß. Bald darauf ließ sich England vom Völkerbund das Mandat über Palästina übertragen. Seit 1919 hat der Zionismus immer größere Fortschritte gemacht und war die Triebfeder zu vielen der oben angeführten Leistungen.


7. Der Sechstage-Krieg vom 5. bis 10. Juni 1967.

Die arabischen Staaten haben niemals auch nur die Existenz des Staates Israel, noch den Verlust eines Teiles von Palästina mit seinem Flüchtlingsproblem anerkannt, auch nicht den „Gewaltstreich am Suezkanal”, durch den der Golf von Akaba für die israelische Schiffahrt geöffnet wurde. Im Laufe der Jahre haben sie ihre Bewaffnung 
unaufhörlich, vorwiegend mit Hilfe der UdSSR, ausgebaut. Dadurch kamen sie auf militärischer Ebene so weit voran, daß theoretisch das Gleichgewicht sich mehr und mehr zu ihren Gunsten zu verlagern schien. Israel bezog seine Waffen zunächst aus Frankreich und den Vereinigten Staaten. Durch die Anstiftung zum heiligen Krieg und
 Aufrufe zur Ausrottung der Juden wurde die Spannung im Mittleren Osten täglich ernster.
Am 26. Mai 1967 erklärte Präsident Nasser: „Wenn jemals der Krieg ausbräche, würde er total sein und die Zerstörung Israels zum Ziel haben“.
Ahmei Choukeiri,
der Chef der Organisation für die Befreiung Palästinas, (PLO) bestätigte, „es sei möglich, ja sogar wahrscheinlich“, daß seine Männer als erste das Feuer eröffnen würden. Wenn die Araber Israel erobern, sagte er,
 würden sie den überlebenden Juden zur Rückkehr in ihr Land verhelfen; „aber es wird meiner Meinung nach keine Überlebenden geben“.

Der Aufruf, der am 4. Juni 1967, am Vorabend der Feindseligkeiten an die ägyptischen Soldaten gerichtet wurde, lautet: „Ihr werdet in Israel eindringen . . . tötet sie bis zum letzten“. Anderntags, am 5. Juni, fügte das Radio hinzu: „Tötet sie alle und laßt keinen einzigen entschlüpfen, denn es wird immer gefühlvolle Herzen geben, um sie zu beklagen“. Nach der vollkommenen Niederlage, die ja bekannt ist, schrieb die große, täglich erscheinende, halbamtliche ägyptische Zeitung Al Achram die zynischen Worte: „Unser einziger Fehler ist, enthüllt zu haben, daß wir beabsichtigten, Frauen und Kinder zu ermorden.“ (Ergebnis einer vom Komitee „Action de Ja Resistance“ durchgeführten Umfrage, veröffentlicht von „Reforme“, 9. 9. 1967).

Israel war zwischen Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Syrien, dem Irak und dem Libanon eingeschlossen. Diese Staaten waren in der Lage, 472.000 Soldaten, 2380 Tanks und 848 Kampfflugzeuge einzusetzen. Der jüdische Staat, vergleichbar David im Angesicht Goliaths, verfügte nur über 264.000 Soldaten, 800 Tanks und 300 Flugzeuge. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, daß ein Völkermord im Bereich des Möglichen lag.

Nachdem Nasser den Rückzug der „Blaukappen“, der Schutztruppen der Vereinten Nationen, gefordert hatte, kündigte er die Schließung des Golfes von Akaba am Riegel bei Charm el-Cheikh an. Israel griff am Morgen des 5. Juni, an einem Montag, im Blitzkrieg an und zerstörte in einigen Stunden fast die ganze ägyptische Luftwaffe. Mit schwindelerregender Schnelligkeit folgten einander weitere Operationen. Die arabischen Armeen wurden buchstäblich überrannt.
Die Besetzung der ganzen Sinai-Halbinsel mit Charm el-Cheikh folgte. Dann wurde der Gazastreifen, die Altstadt von Jerusalem, das Westufer des Jordans und das Massiv von Golan und Syrien, Ausgangspunkt der dauernden Angriffe von Obergaliläa, besetzt. Es läßt sich leicht ermessen, welchen ungeheuren strategischen und defensiven Wert jeder dieser Punkte für den Staat Israel besitzt. Aber die erschütterndste Eroberung war jene der alten Stadt Jerusalem mit dem Tempelplatz und der berühmten Klagemauer.


General Dayan rief aus : ,,Wir sind zur allerheiligsten unserer heiligen Stätten zurückgekehrt und werden nie mehr von hier weichen!“

Yves Cuan schrieb im „Figaro“ am 23. 9. 1967:

Dies ist für die frommen Juden das Ende von zwei Jahrtausenden der Trübsal seit der Zerstörung des Tempels durch Titus. Auf dem heiligen Berg, wo die Römer Salz gestreut hatten, um jede Spur mosaischen Kultes auszulöschen, geht man jetzt überall in voller Sicherheit umher. Endlich ist das Gebet erhört, das von den Israeliten bei jedem Passahmahl seit 1900 Jahren gesprochen wird: ,Nächstes Jahr in Jerusalem!’ Sie besetzen die heilige Stadt.
Die letzte Spur vom Tempel Salomons, die Klagemauer, wird zur Freudenmauer.“
Die Soldaten reinigen den Platz von allem Unrat, der sich dort angesammelt hat. Als Oberhaupt der Armee läßt der Rabbiner die heilige Trompete, den „Schofar“, das Widderhorn, ertönen, das nur an hohen Festtagen erklingt, um das Volk zu Buße, Dank und Freude aufzurufen. „Es ist unmöglich“ , schreibt der Korrespondent von „La Terre Retrouvee“ im Juli 1967, „unsere Bewegung zu beschreiben. Zum ersten Mal in der Geschichte steht Israel als freies Volk gleichzeitig auf Sinai wie in Jerusalem auf den Ruinen dessen, was einst sein Tempel war“.

Viele Israelis riefen angesichts dieses wunderbaren Sieges aus: „Es ist übernatürlich, . . . aber vergeßt nicht, daß wir Gottes Volk sind!“ .

Ein Oberst antwortete einem Radiojournalisten, der ihn nach den Ursachen dieses wunderbaren Sieges fragte, „die Schlacht wurde vom Herrn der Heerscharen gewonnen“. (Figaro, 8. 6. 1967.

Die Texte sind nach Frau M. Blocher im „Chretien Evangelique“, November 1967, zitiert.)

Ein Augenzeuge beschreibt das erste jüdische Passahfest, das im wiedergewonnenen Jerusalem gefeiert wurde: „Am Abend dieses heiligen Sabbats habe ich vor der einzigartigen Mauer, (die nicht mehr Klagemauer ist) Gruppen junger, gläubiger Juden tanzen sehen. Junge Mädchen sangen: „Käme doch der Messias! Käme doch der Messias!“ (Claude Duvernoy in „Vie Protestante“, 19. 4. 1968).

Was wird der nächste Schritt auf geistlichem und prophetischem Gebiet sein?

Oft wird der Text Lk 21, 24 angeführt: „Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllt ist“. Sollte seine Aussage vielleicht bedeuten: Wenn Jerusalem endgültig befreit und an Israel zurückgegeben ist, beginnt das messianische Zeitalter?

Praktisch bleiben für Israel offensichtlich noch viele Probleme zu lösen. Bis jetzt hat es weder die Anerkennung seines Staates durch die arabischen Länder, noch die Unterzeichnung eines echten Friedensvertrages erreicht. Die Besetzung neuer Gebiete, in denen rund eine Million Araber leben, wirft große Schwierigkeiten auf. Die Zukunft ist weit entfernt davon, geregelt zu sein, ganz zu schweigen von Attentaten und den häufig sich ergebenden Zusammenstößen. So haben die Grundprobleme noch längst keine Lösung gefunden.

König Hussein von Jordanien hat gelegentlich einer Reise in die Vereinigten Staaten erklärt: „Wenn wir Israel nicht vernichten, wird der ganze Vordere Orient unter den Einfluß der Zionisten kommen“.
Ein Sprecher der ägyptischen Regierung fügte im Januar 1968 hinzu: „Wie kann man nur einem Lande (Israel), das alle seine Feinde in sechs Tagen zerstört, große Gebiete besetzt und gedroht hat, bei nächster Gelegenheit Kairo und Damaskus zu erobern, auch noch Waffen liefern?“
Und die Zeitung Al Achram hat sich folgendermaßen ausgedrückt: „Israels Macht wächst schneller als unsere Anstrengungen, es im Zaume zu halten“. (Dezember 1967).

Was die palästinensischen Flüchtlinge betrifft, so ist die gerechte Lösung ihres Falles sehr dringlich. 1948 hatten die arabischen Staaten ihre Brüder in Palästina ermutigt, die Kampfzone zu räumen. Sie versprachen ihnen eine schnelle Rückkehr zu ihren Heimstätten. 300.000 hatten in Jordanien Zuflucht gefunden und 300.000 im Gazastreifen. Seither haben sie sich vervielfacht, aber ihre Lage ist noch immer beklagenswert. 100.000 erhielten von Jordanien die Erlaubnis, rings um den persischen Golf und vor allem in Saudi Arabien Arbeit anzunehmen. Die anderen leben von Hilfsmitteln, die ihnen von der UNO zugeteilt und vorwiegend von den Vereinigten Staaten bezahlt werden. Statt ihre Arbeitskraft zu formen und zu nützen, mißbraucht man sie zur Unterstützung der arabischen Ansprüche auf Palästina, indem man Haß und Terror gegen Israel weiter nährt. Im Vergleich zu den Ländern, die von den Arabern regiert werden, hat Israel nur ein Gebiet von 2 % besetzt. Andererseits hat sich die Bevölkerung Palästinas, dank der beachtlichen Anstrengungen der jüdischen Siedler, seit vor 1948 auch vermehrt. Endlich mußte eine ansehnliche Menge von Israelis oft blühende Unternehmungen in den arabischen Staaten verlassen. Was hat man getan, um an ihre Stelle die palästinensischen Flüchtlinge einzusetzen? Beiträge von Juden aus aller Welt haben es den Opfern des Antisemitismus ermöglicht, in Israel aus bitterer Armut eine geordnete Existenz aufzubauen. Die arabischen „Öl-Scheichs“ sind unendlich reich. Wenn ein Teil ihrer großzügigen Unterstützungen für etwas anderes als zur Bewaffnung verwendet würde, könnten sie ihren unglücklichen Glaubensbrüdern damit zu Hilfe kommen.
Selbstverständlich geben wir nicht vor, ein so schwieriges und schmerzliches Problem lösen zu können.
Aber Gott ist gerecht und die sich auf ihn berufen, müssen es auch sein. Selbst wenn wir noch nicht sehen, wie dies geschehen soll, wird doch die endliche Erfüllung seines Planes auch eine gerechte Lösung für die Nachbarn Israels bringen. Denn er liebt sie und hat auch für sie seinen Sohn dahingegeben.

IX. Schlußfolgerung.


Natürlich stehen der totalen Wiedereinsetzung Israels in sein Land noch große Hindernisse im Weg. Aber erscheinen nicht die schon überwundenen Etappen bedeutender als die noch bevorstehenden? In einem Augenblick kann Gott mit denen fertig werden, die Seinen Absichten widerstehen.

Jesus sprach: „Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit erfüllt wird.“ Luk. 21,24.

Das bedeutet auch, daß die Zeit kommt, da dieser Zustand aufhört, wie es das AT an vielen Stellen weissagt. Und wenn jetzt schon die verdorrten Gebeine zusammenkommen, obwohl noch nicht vom Geiste belebt, so bedarf es 
nur eines einzigen Wortes vom Herrn, damit sie wiederauferstehen.
Jesus sagte zu Seinen Jüngern: „An dem Feigenbaum lernet ein Gleichnis: Wenn sein Zweig jetzt saftig wird und Blätter gewinnt, so wißt ihr, daß der Sommer nahe ist. Also auch, wenn ihr das alles seht, so wißt, daß es nahe vor der Tür ist.“ Matt. 24, 32. In der Schrift ist der Feigenbaum (wie auch die Rebe) oft ein Symbol des Volkes Israel. Lange war der Stamm dieses Volkes dürr und tot. Nun brechen die Knospen auf, und die Blätter sprießen.
Darum wissen wir, daß der Sommer nahe ist und der Menschensohn vor der Tür.

6. Kapitel



Die Zeit der Angst „in Jakob“


I. In welcher inneren Verfassung kehrt Israel nach Palästina zurück?
Aus den Texten geht klar hervor, daß die Juden ohne innere Umkehr zu Gott oder Jesus Christus in ihr Land zurückkehren.
In dem Gesicht von Hesekiel 37 kommen die Gebeine zusammen, und Fleisch und Haut wachsen ihnen, bevor der Geist in sie kam. Genau das geht heute vor sich: Der Zionismus ist eine nationale, keine geistliche Bewegung, und ein großer Teil der jüdischen Rückkehrer nach Palästina hat den Glauben seiner Väter verloren. (Man sagt, daß
von über 1 Millionen Juden, die in New York wohnen, 86 % die Synagoge nicht mehr besuchen). Und traurig ist es, sagen zu müssen, daß die furchtbaren jüngst vergangenen Jahre wohl das Verlangen der Juden nach der Heimkehr steigerten, aber keine Bußbewegung bewirkten, so wenig übrigens wie bei den anderen Völkern !
Um daher mit Israel zu Seinem Ziele zu kommen, wird Gott es einer letzten und furchtbaren, aber entscheidenden Prüfung unterziehen müssen. .Aus allen Geschlechtern auf Erden habe Ich euch allein erkannt; darum will Ich euch heimsuchen in all eurer Missetat.” Amos 3,2.


II. Israel wird in die Hand des Antichristen gegeben werden.

Wir haben gesehen, daß der Antichrist offenbar sogar Israel verführt und mit ihm einen Bund auf sieben Jahre eingeht, ihn aber nach dreieinhalb Jahren bricht. Joh. 5,43 und Dan. 9,27. Womöglich wird es der Antichrist selber sein, der, um sich der Juden leichter zu entledigen, ihre Rückkehr nach Palästina beschleunigt und dazu den Widerstand der Araber bricht. Man hat sich gefragt, ob nicht die, welche der Hochmut über eine so hohe – aber diabolische – ,,Protektion” erfüllt, mit den Worten von Jesaja 28 gemeint sind: ,,Ihr sprecht: Wir haben mit dem Tod einen Bund und mit der Hölle einen Vertrag gemacht; wenn eine Flut dahergeht, wird sie uns nicht treffen . . . Darum spricht der Herr: Euer Bund mit dem Tod soll los werden und euer Vertrag mit der Hölle nicht bestehen. Und wenn eine Flut dahergeht, wird sie euch zertreten . . . Denn der Herr wird Sich aufmachen . . . , daß Er Sein Werk vollbringe auf eine seltsame Weise.“ Vs. 15.18.21.
Sacharja spricht davon, wie der Herr kein Mitleid mehr mit den Bewohnern des Landes haben und sie „in die Hand ihres Königs“ – wohl des Antichristen – geben wird. Der „törichte Hirte“ wird „das Fleisch der Fetten (Schafe) fressen und ihre Klauen zerreißen.“ Sach. 11, 6.15 -16. „Und ich sah das Horn (den Antichristen) streiten wider die Heiligen, und es behielt den Sieg über sie . . . . Er . . . . wird die Heiligen des Höchsten verstören . . . sie werden aber in seine Hand gegeben werden eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit . . . bis das Verderben, welches beschlossen ist, sich über die Verwüstung ergießen wird.“ Dan. 7,21.25; 8,24; 9,27. „Israel wird aufgefressen! Die Heiden gehen mit ihnen um wie mit einem unwerten Gefäß . . . Diese will Ich über sie sammeln ; sie sollen der Last des Königs der Fürsten (wohl des Antichristen selbst) bald müde werden.“ Hos. 8, 8.10. Das wird die schlimmste Zeit sein, die Israel je durchlebt haben wird!

III. Die Trübsal Israels.
„Wir hören ein Geschrei des Schreckens, es ist eitel Furcht da . . . Warum sind alle Angesichter so bleich? Es ist ein großer Tag, und seinesgleichen ist nicht gewesen, und ist eine Zeit der Angst in Jakob; doch soll ihm daraus geholfen werden.“ Jer. 30,5-7.
„Es wird eine solch trübselige Zeit sein, wie sie nicht gewesen ist, seitdem Leute gewesen sind bis auf diese Zeit . . . Und wenn die Zerstreuung des heiligen Volkes ein Ende hat, soll solches alles geschehen.“ Dan. 12,1.7.
Der Antichrist und alle seine Heere, Gog und alle seine Horden, alle Völker der Erde werden sich zuletzt versammeln, um Jerusalem zu vernichten. Sach. 12, 3; Hes. 38, 8-12. Dann „sollen in dem ganzen Lande, spricht der Herr, zwei Teile darin ausgerottet werden und untergehen, und der dritte soll darin übrigbleiben. Und Ich will den dritten Teil durchs Feuer führen und läutern, wie man Silber läutert, und prüfen, wie man Gold prüft . . . Siehe, es kommt dem Herrn die Zeit, daß man deinen Raub austeilen wird in dir. Denn Ich werde alle Heiden wider Jerusalem sammeln zum Streit. Und die Stadt wird gewonnen, die Häuser geplündert und die Weiber geschändet werden; und die Hälfte der Stadt wird gefangen weggeführt werden, und das übrige Volk wird nicht aus der Stadt ausgerottet werden.“ Sach. 13,8-9; 14, 1-2. Vor einigen Jahren hätten wir gezögert, derlei Weissagungen wörtlich zu nehmen. Aber seit wir in wenigen Jahren ein Drittel aller Juden umkommen sahen, wissen wir leider, daß alles möglich ist.

Maleachi spricht auch von diesem großen Schmelztiegel, der Israel läutern soll. Nach einem Hinweis auf Johannes den Täufer und auf das erste Kommen des Herrn sagt er weiter: „Und bald wird kommen zu Seinem Tempel der Herr, den ihr suchet, und der Engel des Bundes . . . Wer wird aber den Tag Seiner Zukunft erleiden können? . . . Dann werden sie dem Herrn Speiseopfer bringen in Gerechtigkeit . . . Und Ich will zu euch kommen und euch strafen.“ Mal. 3, 1-5.


Jesus Christus selbst deutet auf dieselben Ereignisse hin, wenn Er vom Greuel der Verwüstung spricht, den der Antichrist an heiliger Stätte aufrichten wird. Und Er fährt fort: „Alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Lande ist . . . Denn es wird alsdann eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bisher. Und wo diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt.“ Matt. 24, 16-22.

Man versteht, daß nach all dem „die Kraft des heiligen Volkes ganz gebrochen sein wird.“ Aber wie traurig, daß Israel nicht durch eine aufrichtige Wendung zur Buße und zum Glauben diesen Gerichten entgeht!


IV. Die Befreiung, die der Herr Seinen Auserwählten gewährt.

Ohne das Eingreifen Gottes könnte kein Mensch gerettet werden. Aber um der Auserwählten willen wird Er es tun. Hier sind neben der Androhung des Gerichts einige tröstliche Verheißungen: „Gehe hin, Mein Volk, in deine Kammer, und schließ die Tür hinter dir zu; verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe! Denn siehe, der Herr wird ausgehen von Seinem Ort, heimzusuchen die Bosheit der Einwohner des Landes.“ Jes. 26, 20.
Zur Zeit, wann Gog kommen wird über das Land, spricht der Herr Herr, wird heraufziehen Mein Zorn in Meinem Grimm . . . Und Ich will ihn richten.“ Hes. 38, 18. „Zur selben Zeit wird der große Fürst Michael, der für die Kinder deines Volkes steht, sich aufmachen.“ Dan. 12, 1. Dank dieser übernatürlichen Hilfe wird Israel nicht verschlungen werden. Endlich wird nach Israels Bekehrung das Erscheinen des Herrn die Lösung des Dramas zu Gunsten Seines Volkes bringen. „Aber der Herr wird ausziehen und streiten wider diese Heiden, gleichwie Er zu streiten pflegt zur Zeit des Streits. Und Seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberg . . . Und der Ölberg wird sich mitten entzwei spalten . . .“ Sach. 14, 3-5.


V. Die Völker werden nach ihrem Verhalten zu Israel gerichtet.

Gott hatte zu Abraham gesagt: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen.“ 1. Mos. 12,3. Dieses Wort wird sich bis zum Ende bewahrheiten. Zu derselben Zeit, da der Herr Sein Volk befreit, wird Er mit den Völkern abrechnen, die es mißhandelt haben. Oft haben sie geglaubt, Gottes Befehl gegen Israel auszuführen, haben aber das Maß in empörender Weise überschritten. Darum wird ihnen Gott das sagen, was Er einst dem Zerstörer des Zehnstämmereichs zurief:“ „O weh Assur, Meines Zornes Rute!“ Jes. 10,5.

„Ich will alle Heiden zusammenbringen im Tale Josaphat und will mit ihnen daselbst rechten wegen Meines Volks und Meines Erbteils Israel , weil sie es unter die Heiden zerstreut und sich in Mein Land geteilt . . . Die ihr Mein Silber und Gold . . . genommen . . . dazu auch die Kinder Juda und die Kinder Jerusalems verkauft, . . . Ich will ‘s euch vergelten auf euren Kopf.“ Joel 4, 2-7.
Er hat mich gesandt nach Ehre zu den Heiden, die euch beraubt haben; denn wer euch antastet, der tastet Seinen Augapfel an. Denn siehe, Ich will Meine Hand über sie schwingen, daß sie sollen ein Raub werden denen, die ihnen gedient haben.“ Sach. 2, 12.
„Und sollen sicher darin wohnen . . . . wenn Ich das Recht gehen lasse über alle ihre Feinde um und um.“ Hes. 28, 26. Sollte das nicht die Feinde des Volkes Gottes zum Nachdenken bringen ? Mögen wir nie zu ihnen gehören!


7. Kapitel



Die Bekehrung Israels


I. Das große Ziel Gottes.
Alle Fügungen Gottes mit Israel ha ben nur das eine Ziel, sie endlich zur Erkenntnis Jesu Christi als ihres Messias zu bringen. Wir ha ben gesehen , daß ihre Bekehrung nach Paulus das Ende unseres Zeitalters und den Beginn einer neuen Ara bestimmen soll : ,.Ganz Israel wird selig werde n, . . . wenn ihre Zahl voll würde, . . . was wird ihre Annahme anders se in als Le ben von den Toten ? Röm. 11,26.12.15. Wir wollen nun sehen, wie s ich dieses Große vollzieht.


II. Die Ausgießung des Heiligen Geistes auf Israel.
An Pfingsten wurde der Heilige Geist auf die Gemeinde, die Gläubigen, ausgegossen, „auf alles Fleisch“, d.h. auf alle Menschenrassen. Aber Israel als Gesamtheit hatte um seines Unglaubens willen keinen Anteil an dieser Gabe. Doch verheißen die Propheten, daß der Herr mit ihrer Rückführung in das so lang verödete Palästina den Juden auch einen mächtigen Geistesstrom von oben senden wird . . . daß über uns ausgegossen werde der Geist aus der Höhe . . . Ich will Meinen Geist auf deinen Samen gießen und Meinen Segen auf deine Nachkommen . . . Denen zu Zion wird ein Erlöser kommen und denen, die sich bekehren von den Sünden in Jakob, spricht der Herr. Und ich mache solchen Bund mit ihnen:
 Mein Geist, der bei dir ist, und Meine Worte . . . sollen von deinem Munde nicht weichen . . . von nun an bis in Ewigkeit.“ Jesaja 32, 13-15: 34,16: 44,3; 59,20-21.

„Ich will euch wieder in euer Land führen . . . Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben . . . Ich will Meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in Meinen Geboten wandeln und Meine Rechte halten . . . denn Ich habe Meinen Geist über das Haus Israel ausgegossen, spricht der Herr.“ Hes. 36,24-27; 39,28-29.

Und Hesekiel erzählt in seiner berühmten Vision, wie der Herr ihm befiehlt, über die schon zusammengebrachten Gebeine zu weissagen: „Wind (Geist), komm herzu aus den vier Winden und blase diese Getöteten an, daß sie wieder lebendig werden; . . . da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig . . . Ich will Meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen.“ Hes. 37, 1-14.

Und Sacharja verkündigt, was dereinst geschehen wird, wann Israel endlich die Augen aufgehen :
 „Aber über das Haus David und über die Bürger zu Jerusalem will Ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets; und sie werden Mich ansehen, welchen sie zerstochen haben.“12, 10.


So werden auch die Juden an der Pfingstausgießung teilhaben, um die sie willentlich gekommen waren: ,,Und nach diesem will Ich Meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen . . . Auch will Ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde Meinen Geist ausgießen. Und Ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden . . . ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt. Und es soll geschehen, wer des Herrn Namen anrufen wird, der soll errettet werden. . . .“ Joel 3, 1-5.
Der Schluß dieser Weissagung geht offenbar bei der Bekehrung der Juden noch genauer in Erfüllung als an Pfingsten. (Ap. 2,16-21).


III. Israel begrüßt Jesus Christus als seinen Erlöser.

Endlich werden die Juden, durch die Kraft des Geistes zerbrochen, „Mich ansehen, welchen sie zerstochen haben. Und werden um Ihn klagen, wie man klagt um ein einziges Kind . . . Sach. 12, 10.
Staunend wird Israel die Gottheit des Messias, des Sohnes Davids, erkennen: „Die Kinder Israel werden lange Zeit ohne König, ohne Opfer bleiben . . . Darnach werden sich die Kinder Israel bekehren und den Herrn, ihren Gott, und ihren König David suchen (ein und dieselbe Person); und werden mit Zittern zu dem Herrn und Seiner Gnade kommen in der letzten Zeit.“ Hos. 3 ,4-5.
Dann werden die Juden jene Worte verstehen und erfüllen: „Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! sehet, euer Gott, der kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen. Als dann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren . . . Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott! . . . Er wird Seine Herde weiden wie ein Hirte . . . Saget der Tochter Zions: Siehe, dein Heil kommt!“ Jes. 35, 4-5; 40 ,9.
Zuletzt sagt Paulus, wie er von der Verstockung seines Volkes redet, die so lange dauern wird, bis „die Fülle (Vollzahl) der Heiden eingegangen ist“, daß ganz Israel dann gerettet wird. Er stützt sich dabei auf das oben genannte Wort Jesajas vom kommenden Erlöser (Kap. 59, Vs. 20). Röm. 11, 25. Dieser Erlöser wird, nach Jesu eigenen Worten, von den Juden klar erkannt und angenommen werden: „Ihr werdet Mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Matt. 23, 39.


Die Bekehrung des Saulus von Tarsus erscheint wie ein Symbol für die künftige Bekehrung seines Volkes. Wie einst Paulus ist Israel in seinem Judentum verstockt und ein heftiger Gegner Christi. Aber in dem Augenblick, da ihm der Herr in Seiner Herrlichkeit erscheint, zerbricht sein Herz, und er erkennt seinen Heiland. Alsbald wird er, kraft einer unfaßbaren Umwandlung, zum großen Missionar Dessen, den er lange verworfen hatte. Zinzendorf, einer der ersten Christen unserer Epoche, der für die Bekehrung der Juden gebetet hat, sagte sehr richtig: „Gott wird sie bekehren wie einen Saulus, indem Er sie zu Boden wirft.“


IV. Israels Reue

Den bisher verabscheuten Christus annehmen, den langen Irrweg des ganzen Volkes einsehen, ihr Verbrechen gegen Gott verstehen, alle die ihnen verlorengegangenen Segnungen erkennen, all das wird für die Juden sehr schmerzlich sein. Wenn sie Ihn ansehen, welchen sie zerstochen haben, werden sie bitterlich über Ihn und über ihre Sünden weinen. Zu der Zeit wird die Trauer groß sein zu Jerusalem. . . . 

Es kommt der Tag, da das widerspenstige Volk von selbst seinen Gott suchen wir: „Wie lange willst du in der Irre gehen, du abtrünnige Tochter? . . . Zur selben Zeit, spricht der Herr, werden kommen die Kinder Israel und weinend daherziehen und den Herrn, ihren Gott, suchen . . . Ihr werdet Mich suchen und finden. Denn so ihr Mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will Ich Mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will euer Gefängnis wenden und euch sammeln aus allen Völkern.“ Jer. 31, 22; 50, 4; 29, 14.

V. Gott schenkt den Juden ein neues Herz

Der Herr kann nicht hart sein gegen ein bußfertiges und gläubiges Menschenkind. Nach Seiner Verheißung gewährt Er ihm die Gnade der Wiedergeburt. So wird auch zuletzt das Gebet Jesu Christi erhört: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Schon lange bedurfte Israel dieser Gnade, hatte doch schon Mose ihnen gesagt: „Der Herr hat euch bis auf diesen heutigen Tag noch nicht gegeben ein Herz, das verständig wäre, Augen, die da sähen, und Ohren, die da hörten.“ 5. Mos. 29, 3. Dieses von Natur böse Herz hat sich durch die Jahrtausende der Empörung und des Unglaubens nur verhärtet. Aber eines Tages wird Gottes Gnade es besiegen: „Er wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen haben . . . Und der Herr, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen, daß du den Herrn, deinen Gott, liebest von ganzem Herzen und von ganzer Seele, auf daß du leben mögest . . . Du aber wirst dich bekehren. . . daß du tust alle Seine Gebote, die ich dir heute gebiete.“ 5. Mos. 30, 5-6.8.

,,Eure Entronnenen werden dann an Mich gedenken unter den Heiden, da sie gefangen sein müssen, wenn Ich ihr abgöttisches Herz . . . zerschlagen habe . . . Ich will euch das Land Israel geben . . . und will euch ein einträchtiges Herz geben und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus eurem Leibe und ein fleischernes Herz geben, auf daß sie in Meinen Sitten wandeln und Meine Rechte halten und danach tun. Und sie sollen Mein Volk sein, so will Ich ihr Gott sein.“ Hes. 6, 9; 11,17-20. Die letztere Verheißung ist so wichtig, daß sie im 36. Kapitel, V. 26-28 weiter ausgeführt wird. (S. auch Jer. 24, 6; 31, 33). Endlich wird das wiedergeborene Volk die Schrift verstehen: „Ihre Sinne sind verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, welche in Christo aufhört. Aber bis auf den heutigen Tag, wenn Mose gelesen wird, hängt die Decke vor ihrem Herzen; wenn es aber sich bekehrte zu dem Herrn, so würde die Decke abgetan.“ 2. Kor. 3, 14-16. Dann aber, und zwar zum erstenmal, wird Israel wirklich das Volk Gottes geworden sein.

VI. Das unvergleichliche Glück Israels

Die Propheten scheinen kaum Worte genug zu finden, um die ganze Glückseligkeit zu beschreiben, die endlich Israels Herz erfüllen wird. Bei der Rückkehr aus Babylon sangen die Juden: “Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.” Ps. 126, 1-2. Wievielmehr wird das bei ihrer endgültigen Heimkehr der Fall sein!


1. Israel wird Triumphgesänge anstimmen
„Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein . .“ Jer. 30,19.


2. Endlich wird es die Freiheit genießen

„Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Dienstbarkeit ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben.“ Jes. 40, 2. „Es soll aber geschehen zu derselben. Zeit, spricht der Herr Zebaoth, daß Ich sein Joch von deinem Halse zerbrechen will und deine Bande zerreißen, daß er nicht mehr den Fremden dienen muß.“ Jer. 30,8.


3. Es wird in Frieden und Sicherheit leben

Und sie (Meine Schafe) sollen sicher auf dem Lande wohnen und sollen erfahren, daß Ich der Herr bin, wenn Ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe von der Hand derer, denen sie dienen mußten. . . .“ Hes. 34, 27-28.

„Mein Volk wird in Häusern des Friedens wohnen, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe.“ Jes. 32, 18.
Nur Israel, das Jahrtausende unter dem Gespenst der Ausbeutung und der Verfolgung gelebt hat, wird den wahren Wert einer solchen Befreiung würdigen können. . . . . . .



VII. Schlußfolgerung

Beim Abschluß dieser Skizze von der Israel vorbehaltenen Zukunft stehen uns zwei Texte besonders vor der Seele:

„Wie geschrieben steht: Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben. 1. Kor. 2,9.



Kein Mensch hätte je eine solch wunderbare Laufbahn wie die Israels erdenken können, oft so düster infolge seiner Untreue, doch hell beschienen von der triumphierenden Gnade Gottes! Und zuletzt wird die Verwirklichung aller Liebesabsichten Gottes mit dem Volk der Erwählung ein ewiges Denkmal zur Ehre des Herrn sein.



Denn Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf daß Er Sich aller erbarme.

O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!

Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unerforschlich Seine Wege!
Denn von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge.
Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Röm. 11, 32-36


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Satan, Fürst der Welt (R.Pache)

 

Dr. René Pache

DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI

– HIER ALS AUSZUG DIE SEITEN 118 BIS 126 –

3. Kapitel



Satan, der Fürst dieser Welt

Um die Endzeit recht zu verstehen, ist es unerläßlich, auch zu wissen, was die Bibel über den Satan lehrt. Ohne ihn wären die völlige Entartung der Menschheit, die blitzartige Entwicklung der Ereignisse, der ungeheure Einsatz des Kampfes undenkbar.

I. Woher kommt der Satan?
Die Schrift läßt uns wenig über den Ursprung des Feindes wissen, der die Menschheit an ihrer Wiege verführte. Doch hebt sie einen Zipfel des Schleiers in den beiden Bibelstellen von Hes. 28, 12-17 und Jes. 14, 12-15.
Es ist klar, daß die Propheten hinter den Königen von Tyrus und Babylon den erkennen, der diese zu seinen Werkzeugen machte (wie Jesus zu Petrus sagte: „Hebe dich weg von mir, Satan!“. Daraus erfahren wir:

1. daß der Satan ein Geschöpf ist, Hes. 28, 13. 15;
2. daß er ein Schutzengel auf dem heiligen Berge Gottes war, V. 14, d.h. daß er im Himmel mit großer Macht ausgerüstet war. Er erstrahlt in Herrlichkeit, Weisheit, Reichtum und Schönheit, Hes. 28, 12-13. Es ist die Rede von denen, die ihm zu Diensten waren, und von seiner großen Hantierung , V. 13, 16. Ruhmvolle Titel werden ihm gegeben, z.B. „Schöner Morgenstern“ (woraus Luzifer – Lichtträger wurde), Jes. 14,12. Judas reiht ihn unter die „Majestäten“ und sagt, daß sogar lange nach seinem Sturz der Erzengel Michael kein abfälliges Urteil gegen ihn zu fällen wagte. Jud. 8-9. Vielleicht war Satan das Haupt über alle Engel und kam direkt nach Gott und Seinem einigen Sohn.
3. Wie alle Werke Gottes, wurde der Satan vollkommen geschaffen. Er setzte der Vollkommenheit das Siegel auf, vollendet, wie er war, an Weisheit und Schönheit. In allem Tun war er ohne Tadel, vom Tage seiner Erschaffung an bis zu seinem Fall. Hes. 28,12.15.

II. Der Fall Satans und der Engel

Der Hochmut und der Wunsch, sich an Gottes Stelle zu setzen, trieben den Satan in eine wahnwitzige Auflehnung gegen den Schöpfer. Hes. 28, 16-17. 2; Jes. 14,13-14. Soviel wir wissen, hat der Sturz Satans dem Weltall den Anfang der Sünde gebracht. Im Himmel zog er die Empörung einer Engelgruppe nach sich, die, ohne Fehl und in Freiheit erschaffen, nun zu Dämonen wurde. Petrus sagt uns über den Fall der himmlischen Geister: „Gott hat die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen und übergeben, daß sie zum Gericht behalten werden.“ 2. Petr. 2,4.
( S. auch Jud. 6; Eph. 6,12; Offb. 12, 4. 9.)


III. Die vom Satan beherrschte Menschheit.

Nicht genug, daß Satan einen Teil des Himmels gegen Gott aufwiegelte, er setzte auch alles daran, die nach Gottes Bild erschaffene Menschheit zu verführen. Adam hatte den Befehl, die ganze Erde sich untertan zu machen. Durch seine freiwillige Unterwerfung unter den Versucher erlaubte er diesem, sich den Titel des „Fürsten dieser Welt“ anzumaßen, den ihm sogar Jesus zugesteht. Joh. 14,30. Seit dem Fall sind alle Sünder der Macht des Teufels unterworfen: „Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang . . . Daran wird’s offenbar, welche die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sind . . . Nicht wie Kain, der von dem Argen war und erwürgte seinen Bruder . . . Die ganze Welt liegt im Argen.“ 1. Joh. 3,8. 10. 12; 5 ,19.

IV. Der große Sieg des Kreuzes.

Durch ihre Torheit Sklaven Satans geworden, konnten sich die Menschen nicht selbst befreien. Hätte Gott in Seiner Liebe nicht eingegriffen, wären sie auf ewig verloren. Aber der Herr konnte den Angriff des Feindes nicht ohne Gegenangriff hinnehmen. Um der Empörung im Himmel und auf Erden Einhalt zu tun, sandte Er Seinen Sohn zum Tode am Kreuz: „Denn es ist das Wohlgefallen (Gottes) gewesen, daß . . . alles durch Ihn versöhnt würde zu Ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel, damit, daß Er Frieden machte durch das Blut an Seinem Kreuz, durch Sich selbst.“ Kol. 1, 19-20. „An welchem wir haben Erlösung durch Sein Blut . . . nach Seinem Wohlgefallen, so Er sich vorgesetzt hatte in Ihm, daß es ausgeführt würde, da die Zeit erfüllet war, auf daß alle Dinge zusammen verfaßt würden in Christo, beide, das im Himmel und auf Erden ist.“ Eph. 1, 7-10. Allein durch Seine Macht hätte Gott mit einem Schlag alle Seine Feinde vernichten können. Aber Seiner Majestät entsprach ein Sieg durch Liebe und Opfer weit mehr. Der Sohn bot Sich als Lösegeld dar, so sühnte der Vater auf Dessen Haupt die Sünden der ganzen Welt. So wurde Seiner Gerechtigkeit Genüge getan und Seine Heiligkeit gerächt. Nun die Sünden getilgt und vergeben waren, wurde eine Generalamnestie für alle im Lager des Feindes proklamiert, die zur Buße und zur Versöhnung mit Gott bereit sind. Sofort wurden alle Opfer Satans, die aufrichtigen Herzens waren, von seinem widrigen Joch befreit. Sie konnten mit dem Apostel Paulus rufen: „Danksaget dem Vater . . . , der uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes.“ Kol. 1, 12-13.

Durch das furchtbare Gericht, das die Sünde auf Golgatha heimsuchte, wurde Satan selber direkt getroffen. Wenn der mit unserer Missetat beladene Sohn vom Vater nicht verschont wurde, wieviel weniger wird es der Hauptschuldige im Weltall werden. Das Kreuz offenbart nicht nur Gottes Gnade gegen den reuigen Sünder, es enthüllt auch Seine unerbittliche Strenge gegen das Böse und seinen Urheber.
Darum kann Paulus sagen, daß Jesus am Kreuz „ausgezogen hat die Fürstentümer und Gewaltigen und sie schaugetragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht durch Sich selbst“. Kol. 2, 15. Der Herr hatte selbst zu Beginn Seiner Passion gesagt: „Jetzt geht das Gericht über die Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen w erden.“ Joh. 12, 31. Der Heilige Geist soll dann der Welt die Augen öffnen über „das Gericht, daß der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“ Joh. 16, 8.11. Am Kreuz erfüllte sich d e alte Prophezeiung vom Tage des Falls: Die Schlange hat die Ferse des dem Weibe verheißenen Sohnes verwundet, indem sie Ihn ans Fluchholz nageln ließ. Er aber hat Seinem Feinde den Kopf zertreten. 1.Mose 3, 15.

V. Wie kommt es, daß Satan noch weiterwirken kann?

Im Sterben konnte Jesus ausrufen: „Es ist vollbracht!“ Im Prinzip hat das Drama von Golgatha der Sünde und aller Macht des Feindes den Todesstoß versetzt. Aber auf das Kreuz folgt sofort die Gnadenzeit. In Seiner unendlichen Geduld gibt Gott den Menschen Zeit, das Evangelium zu hören und ihre Sünden zu bereuen. Die Ungläubigen behalten ihre Freiheit, und Gott läßt sie ihren Weg vollenden, da offenbar werde, wessen sie fähig sind. Sogar gegen den Satan beweist der Herr diese unfaßbare Geduld. Sein Schicksal ist längst besiegelt.
Aber noch läßt Gott ihn wirken und die Menschen versuchen. Und was noch unfaßbarer ist: der Satan hat jetzt noch Zugang zum Herrn, um seine Opfer und sogar die Auserwählten zu verklagen. Das Buch Hiob zeigt ihn uns zweimal, wie er vor Gott tritt, den Patriarchen anzugreifen, 1 ,6-12; 2,1-7. Derselbe Satan steht vor dem Herrn, den Hohenpriester Josua zu verklagen. Sach. 3, 1-2. Darum sagt Paulus, daß wir mit Fürsten in der Finsternis dieser Welt zu kämpfen haben, mit „den bösen Geistern in den himmlischen Örtern, also sogar auch da, wo Jesus sitzt zur Rechten Gottes. Eph. 6, 12; 1,21.
Aber Gottes Geduld findet ein Ende. Johannes sieht den Augenblick voraus, da der Satan aus dem Himmel verstoßen wird, und ruft aus: „Der Verkläger unsrer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott.“ Offb. 12,10.


VI. Welches oberste Ziel verfolgt Satan in seinem Kampf gegen Gott?
Wir haben gesehen, daß Satans hochmütiges Begehren, Gott gleich zu sein, ja sogar, Ihn zu entthronen, schuld an seinem Fall war: „Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen . . . Ich will gleich sein dem Allerhöchsten.“ Jes. 14, 13-14. „Dein Herz erhebt sich und spricht: Ich bin Gott.“ Hes. 28, 2.

Seitdem hat sich das Ziel des Widersachers nicht geändert. Er hat die Menschen vom Schöpfer abgezogen, um sich von ihnen anbeten zu lassen. Als der eingeborene Sohn auf Erden erscheint, zeigte Satan Ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und wagte dann zu sagen: „Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.“ Matth. 4, 8-9. Triumphierend ist Jesus in den Himmel gestiegen, fern von Satans Reichweite. Nun stürzt sich dieser auf die Gemeinde, den Leib Christi. Gottes Kinder sind die einzigen Menschen, die ihm seine Herrschaft streitig machen. Darum kennt seine Wut gegen sie keine Grenzen. Die von Gott abgewandten Völker aber können durch Elend, Blut und Tränen erkennen, welch furchtbarem Joch sie verfallen sind.

Wir dürfen uns keine Illusionen machen über Natur und Einsatz des Kampfes, der auf unserem Planeten ausgetragen wird. Der Kampf geht weiter, nicht zwischen Individuen oder Völkern, sondern zwischen geistigen Mächten, welche die Menschen wie Marionetten lenken.
Der Teufel setzt seine ganze Macht ein, damit ihm die totale Herrschaft und die Anbetung aller auf Erden zufalle. Dieser Art hofft er, wenigstens an einem Punkt des Weltalls Gott die Obergewalt zu entreißen. Und unleugbar wird ihm dies, gemäß den Weissagungen, ein einziges Mal und auf ganz kurze Zeit gelingen, wahrscheinlich nach der Entrückung der Gemeinde, die allein ihm hier Widerstand leistet.
Die Menschheit wollte lieber dem Satan als Gott dienen. Sie muß ernten, was sie gesät hat, und zu ihrem Schaden erkennen, wie weit sie ihr Todfeind zu treiben vermag.


VII. Mit welchem Mittel gedenkt Satan endlich sein Ziel zu erreichen?
Um persönlich an die Menschen zu kommen und sie in dem Reich, das Er auf Erden gründen wollte, in Seine Gefolgschaft zu ziehen, mußte Gott selbst Fleisch werden. In der Gestalt Jesu von Nazareth ist der Schöpfer Mensch geworden. Angetan mit Macht aus der Höhe bezeugte der eingeborene Sohn durch nie gehörte Wunder Seine göttliche Sendung. Gnade und Wahrheit offenbarte Er der Welt, und durch das höchste Opfe Seiner Liebe trug Er den Sieg davon.

Luther hat gesagt: „Satan ist der Affe Gottes.“ Alles, was der Herr im Guten tut, äfft er im Bösen nach. Gott hat Seinen Christus auferweckt, so wird der Teufel seinen falschen Christus, den Antichrist der
Endzeit, hervorbringen. Solange der Feind unter den Menschen nicht Leib geworden ist, bleibt seine Macht über sie nur Stückwerk. Aber nur der Schöpfer kann nach Belieben einen Leib annehmen. Verkörpert sich aber Satan nicht buchstäblich, so kann er doch, wie wir wissen, ein Herz in Besitz nehmen, das sich ihm hingibt. In den Evangelien haben wir zahlreiche Fälle von Besessenheit. Matt. 12, 43-45; Luk. 8, 27-33;usw. Als sich Judas zur Auslieferung seines Meisters entschlossen hatte, fuhr der Satan in ihn. Luk. 22, 3. So konnte der Herr von Seinem Verräter sagen: „Euer einer ist ein Teufel.“ Joh. 6, 70. Später erklärt Petrus dem Ananias: „Warum hat Satan dein Herz erfüllt, daß du dem Heiligen Geist lögest?“ Ap. 5, 3. Aber so schlimm auch diese Fälle von Besessenheit waren, sie sind nicht zu vergleichen mit der, die noch nach der Schrift kommen soll. Am Zeitenende wird Satan einen Menschen finden, der sich ihm rückhaltlos ausliefert. Dieses Wesen, der Antichrist, wird der direkte Vertreter des Teufels auf Erden sein, das menschliche Werkzeug, wodurch die Macht der Hölle ihre Herrschaft hier aufrichten wird. Im nächsten Kapitel sehen wir, was die Bibel über ihn lehrt.

VIII. In welchem Maße läßt Satan schließlich die Maske fallen?
Am Zeitenende wird das vorher Verborgene enthüllt und von den Dächern geschrieen werden. Dann kommt die „Apokalypse“, d.h. die Offenbarung Jesu Christi. Offb. 1,1. Gott wird die ganze Herrlichkeit und Souveränität Seines Sohnes offenbaren. Aber auch das Geheimnis der Bosheit wird offenbar werden; entsetzt erleben die Völker die „Apokalypse“ des Antichristen und Satans. 2. Thess. 2, 7.9. Nun der Teufel in der Person des „Menschen der Sünde“ sein Meisterwerk vollbracht hat, hält ihn nichts mehr zurück. Da er weiß, daß ihm wenig Zeit bleibt, wird er sich auf der ganzen Linie als der zeigen, der er ist.

Wir sagten oben, daß Satan der „Affe Gottes” sei. Er will Gott nachahmen, aber es gelingen ihm nur Karikaturen der himmlischen Dinge. Wie Gott, besitzt er auf seine Art:

1. seinen (falschen) Christus, Offb. 13,2;
2.
seine Schule (s. Gemeinde), Offb. 2,9;
3.
seine Lehre. 1. Tim. 4, 1;
4.
seine Geheimnisse (die Tiefen Satans), Offb. 2, 24;
5.
seinen Thron, Offb. 13, 2;
6.
sein Reich, Luk. 4,6;
7.
seine Macht, Offb. 13, 2;
8.
seine Anbeter, Offb. 13,4;
9.
seine teuflische Dreifaltigkeit, Offb. 16,13;
10.
seine Engel, Offb. 12,7 ;
11.
seine Diener, 2. Kor. 11,15;
12.
seine Wunder, 2. Thess. 2,9;
13.
seine Söhne, Joh. 8,44; 1. Joh. 3,10 ;
14.
seine Opfer, 1 . Kor. 10,20;
15.
seine Gemeinschaft, 1. Kor. 10,20;
16.
seinen Tisch, 1. Kor. 10,2 1;
17.
seinen Kelch, 1. Kor. 10,21;
18.
seine Ehre, Judas 8-9;
19.
seine Heere, Jes. 24,21.


Dieses ganze teuflische System, vorher so geschickt getarnt, wird bei der großen Abrechnung vollkommen entlarvt werden.
Vor nicht langer Zeit hielt man es für geistreich, die Existenz des Teufels zu leugnen. Doch heute läßt es sich nicht mehr bestreiten, daß eine übernatürliche, höllische Macht die Menschheit trotz aller guten Absichten der Völker und ihrer Führer in den Selbstmord treibt. Der berühmte Basler Psychologe Professor C. G. Jung schreibt darüber: „So sicher es ein Lager Buchenwald gegeben hat, gibt es auch Dämonen.“

Und Dr. Hoppeler ergänzt: „Was in Maideneck, Auschwitz, Mauthausen usw. geschehen ist, taten nicht lediglich „bestialische“ oder „entartete“ Menschen. Die einzig mögliche Erklärung dafür ist, daß sie „besessen“ und vom Teufelsgeist „erfüllt“ waren. In den Ausrottungslagern hat Satan sein wahres Gesicht gezeigt, und die Welt, die über diesen Glauben an den Teufel spottete, mußte mit Entsetzen erkennen, daß dieser Fürst über die Mächte der Finsternis tatächlich existiert. Die Bibel wird damit ganz und gar bestätigt: seit Jahrtausenden ermahnt sie die Menschen, den „Feind“ zu bekämpfen, den „Lügner von Anfang an“. Und die Schrift sagt über die Sendung Jesu auf Erden: Er ist gekommen, „die Werke des Teufels zu zerstören“. (Berner Sonntagsblatt, 9. 9. 1945)

Aber all das ist nur der Anfang. Bald wird Satan öffentlich als „der Gott dieser Welt“ anerkannt werden. 2. Kor. 4,4. Die Menschen wenden sich vom wahren Gott und Seinem Christus ab. Aber ohne Religion kommen sie nicht aus (der Mensch ist ein religiöses Geschöpf, sagte Buffon). Sie werden bald öffentlich zur Anbetung des Teufels und seines großen Werkzeugs, des Antichristen, übergehen. Der Apostel Johannes sagt es ganz klar in Offb. 13, 4. Die unbewußte Ehrung, die heute schon viele Menschen der Macht des Bösen zollen, wird einfach zu einer bewußten, offiziell organisierten werden. Hat sich dann die Menschheit dem Feind völlig ausgeliefert, wird er seine ganze Bosheit enthüllen können. Da er restlos über die Menschen verfügt, von denen er Besitz ergriffen hat, wird er endlich alle Bosheit hervorkehren, deren er fähig ist.

IX. Welches Ende steht Satan bevor?
Gottes unbegreifliche Geduld gegen Satan und die Menschheit wird aber ein Ende nehmen. Jesus sieht es voraus: „Ich sah den Satanas vom Himmel fallen wie einen Blitz.“ Luk. 10, 18. Es kommt der Augenblick, da der Herr die Weltherrschaft, die Er einstweilen den Völkern und jenem Thronräuber überlassen hatte, wieder an Sich nimmt. Dann erfüllt sich die Weissagung des Johannes: „Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen; und der Drache stritt und seine Engel, und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.“ Offb. 12, 7-9.

Endlich wird der Feind keinen Zugang zu Gott mehr haben. Aus dem Himmel vertrieben, muß er während der großen Trübsal seine Tätigkeit auf die Erde beschränken. Wutentbrannt wird er sich mit beispiellos überschäumender Bosheit zu rächen suchen, denn er weiß, es bleibt ihm wenig Zeit. Doch diese letzte Periode wird sehr kurz sein. Jesus Christus wird in Herrlichkeit vom Himmel erscheinen und dem Reich des Antichristen und der Empörung Satans ein Ende machen. Während des Tausendjährigen Reiches wird dieser nicht mehr schaden können. Offb. 20, 1-3. Es ist zu beachten, daß Satan, wenn das Knäblein zum Himmel entrückt wird, daraus vertrieben wird. Offb. 12. Und wenn das Knäblein vom Himmel zurückkommt, wird Satan von der Erde verbannt und tausend Jahre eingeschlossen. Schon Jesaja hatte dieses Ereignis vorausgesagt: ,,Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen das hohe Heer, das in der Höhe ist, und die Könige der Erden, die auf Erden sind, daß sie versammelt werden als Gefangene in die Grube und verschlossen werden im Kerker und nach langer Zeit wieder heimgesucht werden.” 24,2 1 -22. „Nach langer Zeit“ bedeutet „nach dem Millennium“, wenn das Endgericht stattfindet, genau wie es die Offenbarung ankündigt. Die durch das Fernsein Satans so beglückende Herrschaft Christi auf Erden wird aber nicht zu Ende gehen, bevor alle Menschen auf der Erde die Möglichkeit hatten, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Dazu müssen sie versucht werden und muß ihnen der Verführer nochmals den Weg der Empörung nahelegen. Offb. 20, 3. 7-10.

Später kommen wir auf das tragische Ende des Millenniums zurück. Hier wollen wir betonen, wie das endgültige Schicksal Satans besiegelt wird: er wird in den feurigen Pfuhl geworfen, um Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit gequält zu werden. Das ewige Feuer war dem Teufel und seinen Engeln bereitet worden. Matt. 25, 41. Es ist also keine Rede von der Vernichtung oder der schließlichen Bekehrung Satans, wie es manche behaupten. Der Urheber alles Bösen muß als erster die Strafe erleiden, die seiner freiwilligen Opfer wartet. Dann kehrt alles zur Ordnung zurück, und der Friede des Weltalls wird auf ewig nicht mehr gestört werden.


X. Wie werden wir den Sieg über einen solchen Feind erlangen?
Von der Schrift her wissen wir alles, was der Feind noch vor seinem Ende versuchen wird. Hüten wir uns, ihn lästernd zu verurteilen (Judas 8-9) und seine Macht und seine List zu unterschätzen! Er schleicht um uns her wie ein brüllender Löwe, und schon stürzt er sich auf die geistlich Gesinnten, da er weiß, wie wenig Zeit er hat. Laßt uns nüchtern sein, wachen und beten, daß der Feind uns nicht überrasche! Immer gegen ihn haben wir zu kämpfen, nicht gegen „Fleisch und Blut“. Eph. 6,12.
Vergessen wir nicht, daß für den Gläubigen dieser furchtbare Feind bereits besiegt ist. Wir haben Waffen gegen ihn, denen er nicht gewachsen ist:

a) das Blut des Kreuzes und unser Zeugnis: diejenigen, die Satan Tag und Nacht vor Gott verklagte, „haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses.“ Offb. 12, 10-11;
b) den Geist des Herrn: „Ihr habt sie (die Gesandten Satans) überwunden; denn der in euch ist, ist größer, denn der in der Welt ist.“ 1. Joh. 4,4 ;
c) das Wort Gottes: „Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt gegen die listigen Anläufe des Teufels . . . Nehmet das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“ Eph. 6, 11. 17;
d ) den Glauben: „Vor allen Dingen ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichts!“ Eph. 6, 16.
Gott schenke uns immer mehr von dem Glauben, der die Welt und ihren Fürsten überwindet, und Er mache endlich die Verheißung wahr, die uns voll Zuversicht macht: „der Gott des Friedens zertrete den Satan unter eure Füße in kurzem!“ Röm. 16, 20.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im November 2023




Das Millennium (René Pache)

8. Teil

DAS MILLENNIUM

( das Tausendjährige Reich )

(Auszug aus dem Buch DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI . Seiten 281 bis 324. Eingestellt von Horst Koch. Im November 2023)

 1. Kapitel

Einführung 

I. Was ist das Millennium?
Millennium ist ein lateinischer Ausdruck und bedeutet „tausend Jahre“. Man bezeichnet damit die so lange dauende Ära, da Christus nach Seiner Wiederkunft Gerechtigkeit und Frieden zur Herrschaft bringt.

II. Auf welchen biblischen Grundlagen beruht die Lehre vom Millennium?

1. Auf zahlreichen Stellen im AT.
Im AT gibt es, wie wir wissen, viele, noch unerfüllte Weissagungen. Denken wir an jene über die Endempörung der Völker, den Antichristen, die große Trübsal, Harmagedon; dann an die über Israel, das Ende ihrer weltweiten Zerstreuung, ihre Rückkehr nach Palästina und ihre Bekehrung, die Wiederherstellung des auserwählten Volkes, und schließlich über Jesus Christus selbst, nämlich über alles was Seine Rolle als Richter und König der ganzen Welt angeht!
Wir haben erkannt, wie wörtlich alle diese Prophezeiungen wohl in Erfüllung gehen sollen, ja, bereits im Zuge sind, sich zu erfüllen. Genau so sicher werden, unserer Überzeugung nach, alle Weissagungen auf die glorreiche Herrschaft des Messias auf Erden zur Vollendung kommen. Es wäre wirklich sonderbar, an die wörtliche Erfüllung der unserer armen Welt angedrohten Gerichte zu glauben, die alle gegenwärtigen Ereignisse bestätigen, alle verheißenen Segnungen hingegen zu „vergeistigen“, indem wir sie in den Himmel verlegen! In den folgenden Kapiteln werden wir ständig Gelegenheit haben, eine große Zahl solch wunderbarer Verheißungen anzuführen und aufzuzeigen, wie sie unmöglich alle erst im Jenseits zur Erfüllung kommen können.

Heben wir noch eines hervor: Im AT ist die Lehre vom Millennium so vollständig vorhanden, daß die Juden sie selbst im Talmud ganz zu entwickeln vermochten, obwohl ihnen die späteren Angaben aus dem NT abgingen. Sie hatten z.B. lange vor der Offenbarung behauptet, daß die messianische Herrschaft tausend Jahre dauern würde. So läßt es sich nicht behaupten (wie es manche getan haben), daß ohne die berühmte Stelle in Offb. 20, 1-10 die Lehre vom Millennium gar nicht bestünde.

2. Das NT bestätigt die Aussagen des AT.
Eines dürfen wir nicht vergessen: Das AT bedenkt vor allem die irdische Zukunft Israels und der Völker, auf die das Heil übergeht. Wir finden darin kaum etwas von dem erwähnt, was das Evangelium das „ewige Leben“ und das Jenseits nennt, es sei denn in kurzen Streiflichtern (doch genügend, um es den Juden in großen Linien verständlich zu machen, was ihrer in der anderen Welt wartet).

Das NT hingegen hat zum Hauptthema die Gemeinde, das geistliche Volk Gottes, und das ewige Heil oder die ewige Verdammnis der Menschheit. Nur gelegentlich spielen Christus und die Apostel auf das Millennium an. In ihrer Lehre scheinen sie sogar häufig die glorreiche Wiederkunft des Herrn und die Ewigkeit zusammen zufassen (wie es im AT oft mit dem zweifachen Kommen des Herrn der Fall ist). Aber was das NT über das messianische Zeitalter aussagt, genügt vollkommen, um die Lehre der alten Propheten zu bestätigen. Wir werden dies auch auf den folgenden Seiten sehen. Übrigens brauchte das NT die ausführlichen Beschreibungen vom Millennium, die im AT so zahlreich vorhanden sind, nicht zu wiederholen. Und gerade die noch fehlenden Offenbarungen zeigt Johannes auf:

Die Dauer des messianischen Reichs,
das Gebundenwerden Satans,
die erste Auferstehung zu Beginn der Tausend Jahre,
die zweite Auferstehung am Ende der Tausend Jahre,
die letzte Empörung,
den Zeitpunkt des Weltuntergangs und des letzten Gerichts. Offb. 20, 1-15.

III. Ist ein Millennium notwendig?
Zweifellos, da die Schrift soviel davon redet! Doch wir müssen auch den Grund dafür verstehen. Die Gegner dieser Lehre nennen den Glauben an ein sichtbares, herrliches Reich Christi auf Erden zu fleischlich, eines „Himmelsbürgers“, der von der Erde nichts erwartet, unwürdig. Diese biblische Wahrheit mag wohl zuweilen in fleischlichem Sinn entstellt worden sein. Überdenken wir aber die einfachen Angaben der Bibel, so scheinen sie die einzig mögliche Lösung zu erbringen für die letzten tausend Jahre der Erde vor ihrem Untergang.

Ginge die Entwicklung der Menschheit nur auf die Herrschaft des Antichristen und die Schlacht von Harmagedon hinaus, und sollte die Erde gleich danach vernichtet werden, so wäre im Grunde Satan der Sieger. Trotz der göttlichen Bemühungen, aus der Erde ein Paradies zu schaffen, hätte das Böse triumphiert. Haß , Krieg , Leiden, Abfall hätten sich bis zum Ende nur immer mehr gesteigert. Und Gott wäre als letzter Ausweg nur noch die Auslöschung einer unrettbaren Welt geblieben. In diesem Fall wäre die Wiederkunft Christi nur „ein Gang auf den Ruinen“ ( Mme. Brunel).
Ja, man kann sagen, daß es dann keine Aussicht auf irgendein weiteres Geschehen gäbe, da im Himmel Christus bereits den Thron Seiner göttlichen Majestät innehat. Nein, das ist unmöglich! Schon um der Ehre des Herrn willen ist es klar, daß die Schrift uns einen ganz anderen Ausgang vor Augen stellen mußte. Gott wird das letzte Wort haben und gewaltige Rache nehmen. Aber nicht die furchtbaren Gerichte der großen Trübsal sind Seine Rache – denn der Herr richtet nur ungern -, sondern es sind vielmehr die tausend Jahre einer unvergleichlichen Wonne und Wohlfahrt, die Er der ihrem Haupte nun endlich unterworfenen Menschheit gewähren wird. Gott rächt Sich im Segnen und im Beweis der unbegrenzten Macht Seiner wunderbaren Liebe. Seine Gnadenabsichten mit dem Menschen, als Er ihn ins Paradies setzte, sind nur eine Zeit lang zurückgestellt worden. Endlich kommen sie zur Ausführung. Danach – wenn der Sieg des Herrn sich vollauf erwiesen hat – werden auch die anderen Weissagungen erfüllt werden. Die Erde wird vernichtet werden, und die Ewigkeit bricht an.

IV. Wird das Millennium tatsächlich auf Erden errichtet werden?
Indem sie alle Verheißungen des AT vergeistigen, verweisen manche das herrliche Reich Christi in den Himmel (während sie die den Juden, dem Antichristen und den Völkern angedrohten Strafen wörtlich nehmen und der Erdenzeit vorbehalten). Aber aus den Propheten scheint uns klar hervorzugehen, daß Jesus Christus erst hienieden Sein Reich sichtbar aufrichten wird.

Der Stein, der die Füße des Bildes von Daniel zerschlägt, wird zum großen Berg, der „die ganze Welt füllte“, d.h. daß das Reich Gottes den Raum einnehmen wird, den bis dahin die Königreiche der Menschen innehatten. Dan. 2,35. 38-39. „Das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden.“ Dan. 7,27. „Und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden“ Offb. 5, 10. Der Engel Gabriel sagt von Jesus: „Gott, der Herr, wird Ihm den Stuhl Seines Vaters David geben.“ Luk. 1 ,32. Nun ist Gottes Thron im Himmel, aber Davids immer nur auf Erden gewesen.
Wie zahlreich und bestimmt fanden wir die Texte über Israels Rückkehr nach Palästina und seine Wiederherstellung! Eine ähnliche Fülle von Einzelheiten werden wir nun bei den Propheten über die glorreiche Periode feststellen, welche die Geschichte unseres Planeten beschließen wird.

V. Vor welchen Irrtümern müssen wir uns in Bezug auf das Millennium hüten?
Mehrere unheilvolle Irrtümer haben viele ernste Christen von der hier vorliegenden Lehre abgebracht. Darüber müssen einige Worte gesagt werden.

1. Der Glaube an das Millennium war unter den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte sehr verbreitet. Aber einige von ihnen verstiegen sich darin (wie in vielen andern Dingen) zu solchen Übertreibungen, daß sie ihre Lehre in Mißkredit brachten. Besonders ließ Papias seiner Phantasie die Zügel schießen; er suchte z.B. auszurechnen, wie viele Reben jeder Weinstock und wie viele Trauben jede Rebe im messianischen Zeitalter hervorbringen werde, um so in astronomischen Ziffern den Weinertrag zu bestimmen. „Im Millennium“, sagte er, „wird eine Weintraube einem Menschen, der gerade eine andere pflücken will, sagen: „Nimm mich, du Auserwählter des Herrn, ich bin reifer als meine Nachbarn!“ Zu derlei Beschreibungen kamen noch viele kindische Einzelheiten hinzu.
Solche fleischlichen und lächerlichen Auffassungen lösten bei Origenes, Augustinus und anderen eine heftige Reaktion aus, die zur völligen Aufgabe des ursprünglichen Begriffs vom Millennium und damit wieder zu ebenso schweren Irrtümern führte

2. Augustinus glaubte zuerst selbst an das kommende Reich des Messias, dann aber fing er an zu lehren, die tausend Jahre seien in geistlichem Sinne zu verstehen und hätten begonnen, als Jesus Christus am Kreuz den Satan besiegte und band. Als daher das Jahr 1000 kam, erwarteten große Massen voller Angst das Ende der Welt. Die Kirche ließ sich irdische Güter gegen die Sündenvergebung vermachen und besaß bald fast die Hälfte der Ländereien.

3. Danach erklärte man, daß der Ausdruck „Tausend Jahre“ nur eine lange Zeit bedeute, und daß die tatsächliche Fesselung Satans bei der Bekehrung des Kaisers Konstantin stattgefunden habe. Da habe das Evangelium über das heidnische und christenfeindliche Rom gesiegt und sei das messianische Zeitalter angebrochen. Seither regiere Christus in der Gestalt der Kirche und ihres sichtbaren Oberhauptes, des Papstes.

Solche Ideen sind aus der Begeisterung des Sieges über das Heidentum im vierten Jahrhundert begreiflich, da di langen und schrecklichen Verfolgungen aufhörten. Aber daß sich solche Ansichten trotz der Nacht des Mittelalters, der Kriege und der Verfolgungen der Reformationszeit und aller Greuel der neuesten Zeit halten konnten, ist kaum zu verstehen. Und doch ist dies die vorherrschende Auffassung in den katholischen Kreisen und sogar bei vielen Protestanten. In seiner Anmerkung zu der Stelle in der Offenbarung über die Fesselung Satans auf tausend Jahre (20, 1 -3) schreibt Abbe Crampon: „Tausend Jahre: langer Zeitraum, wahrscheinlich von unbestimmter Dauer; umfaßt den Zeitabschnitt zwischen der Einschränkung der Macht Satans durch das erste Kommen des Erlösers und dem Zeitpunkt, da er, kurz vor dem Ende der Welt, wieder losgelassen wird (V. 3), positiv gesagt also, fast die ganze Zeit der Kirche im Kampf.“
Wenn dem so wäre, so müßte man die messianische Herrschaft eine wirklich jämmerliche nennen, denn es hat durchaus nicht den Anschein, als sei Satan gebunden und außerstande, die Völker zu verführen. Oder er müßte – wie es einmal einer gesagt hat – an einer schrecklich langen Kette liegen!

4. Seit der Reformation haben allerlei Sekten merkwürdige Theorien über das Millennium vertreten. Ein Schulbeispiel liefern die Schwärmer von Münster in Westfalen, die 1539 vorgeblich das “Neue Jerusalem” unter der direkten Herrschaft Christi gründeten. Ihre schauerlichen Ausschreitungen wirkten sehr ungünstig auf die Reformation in der Frage der Taufe und der Weissagung.

Von den heutigen Bewegungen nennen wir nur die „Zeugen Jehovas“, deren Anhänger die 144 000 Versiegelten aus der Offenbarung sein wollen. Ihnen zufolge ist Christus 1914 wiedergekommen und hat damals Seine wunderbare Herrschaft angetreten, wenigstens in den Enklaven der „Neuen Erde“, d.h. ihrer eigenen Gemeinschaftssiedlungen. In diesen Kolonien ist die Erde nicht mehr verflucht, ihre Eingeweihten sterben nicht mehr und leben zusammen wie die Engel im Himmel!

5. Zwei in gewissen Kreisen stark verbreitete Lehren sind die vom Post-Millennium“ und vom „A- (bzw. Anti) Millennium“.

Die Vertreter des „Prä- (bzw. Vor) –Millenniums“ glauben wie wir an die Wiederkunft Jesu Christi vor dem Millennium.

Der Glaube an das „Post-Millennium“ lehrt, daß die Menschheit, dank den religiösen, sittlichen, sozialen und technischen Fortschritten, sich immerzu aufwärts entwickelt und einem wunderbaren, goldenen Zeitalter des Friedens und der allgemeinen Brüderlichkeit entgegen geht. Der Herr käme dann nur, um diese Vergötterung der Menschenrasse mit ihrem Einlaß in die Ewigkeit zu krönen. Vor 1914 hatte diese Lehre viel Erfolg. Aber nach den beiden Weltkriegen, den Gaskammern, der Atombombe hat sie – und mit Recht – viele Anhänger eingebüßt. Entmutigt wurden diese zu A-Millennaristen, wie die Katholiken.
Der A-Millennarismus erklärt, daß wir überhaupt keine glorreiche Herrschaft Christi auf Erden zu erwarten haben. Hier einige der als Begründung für diese Ansicht vorgebrachten Argumente:
a) Die jetzige Periode der Gemeinde wird in der Schrift die „letzte Zeit“ genannt: „Gott hat am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn . . . Nun aber, am Ende der Welt, ist Er einmal erschienen, durch Sein eigen Opfer die Sünde aufzuheben.“ 1, 2; 9,26.
Petrus erklärt an Pfingsten: „Das ist’s, was durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: In den letzten Tagen will Ich ausgießen von Meinem Geist auf alles Fleisch.“ Ap. 2, 16-17.
Christus ist zuvor ersehen, ehe der Welt Grund gelegt ward, aber offenbart zu den letzten Zeiten.“ 1. Petr. 1, 20.
„Kinder, es ist die letzte Stunde! . . . es sind nun viele Widerchristen geworden; daher erkennen wir, daß die letzte Stunde ist.“ 1. Joh. 2, 18. Da wir – so sagen sie – schon am Zeitenende sind, bleibt kein Raum mehr für ein Millennium, und es steht uns nur noch die Ewigkeit bevor.

Darauf antworten wir: es geht hier nur darum, den Ausdruck „Zeitenende“ oder „letzte Stunde“ zu definieren. Wir glauben, daß das erste Kommen Christi wirklich den Anfang von Gottes Triumph bedeutet: es eröffnet die letzte Periode der Weltgeschichte. Aber das schließt zwei Tatsachen nicht aus:
Erstens, wenn die „letzte Stunde“ schon zweitausend Jahre gedauert hat, warum sollte sie nicht wenigstens tausend Jahre mehr andauern?
Zweitens, die so verlängerte „Endzeit“ kann sehr gut die an verschiedenen andern Stellen angekündigten Phasen umfassen, nämlich: die Zeit der Gemeinde, die große Trübsal, das Millennium und das letzte Gericht.

b) Mehrfach, sagt man, scheint die Schrift nur zwei „Zeitalter“ zu kennen:

das jetzige und
das zukünftige Zeitalter;
aber sie erwähnt keine Zwischenperiode (S. Matt. 12, 32 ; 20,34-35; Eph. 1,21 u.a.). Im Grunde wird immer derselbe Fehler gemacht: um eine Bibelstelle zu verstehen, darf man sie nicht für sich allein nehmen, sondern nur in Verbindung mit allen Texten, die dasselbe Thema behandeln. Weder diese „letzte Zeit“, noch „die letzte Stunde“ schließt den Triumph Gottes aus, mit dem sie beide zu Ende gehen.

Jesus bedient Sich eines ähnlichen Ausdrucks: „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben.“ Joh. 5, 25. Diese „Toten“ sind die Menschen, denen das geistliche Leben infolge ihrer Sünden abgeht (Eph. 2, 1), und die Stunde, von der Jesus spricht, hat nun fast zweitausend Jahre gedauert. Auf sie folgt eine andere „Stunde“, da alle, die in den Gräbern sind, leiblich auferstehen werden (Joh. 5, 28), die Gerechten vor den tausend Jahren, die Gottlosen gleich darnach. Ebenso nennen die Propheten sowohl die furchtbaren Endgerichte wie auch das darauf folgende messianische Reich den „Tag des Herrn“ (oder „diesen Tag“). Zeph. 1, 14-18; Sach. 14, 1.9.13.20 usw. Es ist also klar, daß in der Schrift Ausdrücke wie Zeit und Tag, Zeitalter, Jahrhundert, Endzeit verschiedene und oft sehr ausgedehnte Perioden decken können. Nur das gründliche Studium der Gesamttexte ergibt den Sinn einer jeden einzelnen Stelle.

c) Weiter sagt man, daß das NT ohne Unterbrechung (d.h. ohne Zwischenstadium des Millenniums- die glorreiche Erscheinung Christi und den Eingang in die Ewigkeit (Matt.    25,31),
– die Auferstehung der Gerechten und der Gottlosen (Joh. 5,28; Ap. 24,15),
– die Bestrafung der Empörer und die Belohnung der Auserwählten (Matt.      13,30.41-43; 2. Thess. 1, 6-10 ),
– den Tag des Herrn und die Vernichtung der Erde (2. Petr. 3,10)
  beschreibt.

Ein solches Vorgehen darf uns nicht befremden. Wir haben ja gesehen, daß manche Propheten offenbar auch nicht die Zwischenzeit der dreieinhalb Jahre unterscheiden, welche die Entrückung der Gemeinde von ihrer glorreichen Herabkunft trennt. Ganz genau so sagten wir, wird im AT das zweifache Kommen Jesu zusammengefaßt:
Jes. 61, 1-2 spricht im gleichen Satz vom Kommen Jesu als Heiland und als Richter;
Jes. 53, 13-15 beschreibt gleichzeitig das Leiden, die Herrschaft und die               Herrlichkeit des Herrn;
Ps. 2 zeigt den vom Vater gezeugten Sohn, Seine Verwerfung, Seine Gerichte und Seine Herrschaft (Apg. 4, 25.)
Mal. 3, 1-2 scheint den Dienst Johannes des Täufers und das glorreiche Kommen des souveränen Richters nebeneinander zu stellen; usw., usw.

Solche Zusammenstellungen heben also keineswegs die vielen anderen Stellen auf, die von der Zeit der Gemeinde zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen des Herrn und vom Millennium zwischen Seiner Wiederkunft und dem Weltuntergang reden.

d) Endlich erklärt man, die Gemeinde sei himmlisch und dürfe nur geistliche Segnungen erwarten. Wir sind schon mit Christus in die himmlischen Örter versetzt. Eph. 1,3; 2,6. „Unser Bürgertum ist im Himmel“. So haben wir kein irdisches, materielles Reich in Ausicht.

Auf die Rolle der Gemeinde während des Millenniums werden wir später eingehen. Hier genüge es zu sagen, daß die auferstandenen Gläubigen, die mit Christus auf Seinem Throne sitzen, von der Herrlichkeit her mit Ihm regieren werden (wohl aus den „himmlischen Örtern“, in die wir schon hier im Glauben versetzt sind). Eine solche Perspektive schließt keineswegs aus, daß die Erde noch vor ihrer endgültigen Vernichtung am sichtbaren Triumph des Herrn teilhat.

Die Argumente der Millenniumsgegner scheinen uns also von der biblischen Sicht her nicht begründet; ganz abgesehen davon, daß ihre Lehre den Juden keine Zukunft mehr läßt und damit vielen, völlig klaren Texten widerspricht. Diesen Punkt haben wir ja bereits im Teil über Israel berührt.

6. Merkwürdigerweise begegnet man bis in die politische Welt hinein dem brennenden Wunsch, mit rein menschlichen Mitteln ein goldenes Zeitalter auf Erden herbeizuführen. „Die politischen, sozialistischen wie kommunistischen Bestrebungen unserer Tage, diese Vorläufer des Tausendjährigen Reichs, sind nichts anderes als ein grober Chiliasmus (Millenniumslehre). Nicht alles ist falsch an dem Ideal, das die Sozialisten und Kommunisten verfolgen. Was die Kirche übersah, haben sie erahnt, gesucht, heiß erstrebt. Auch darin sind die Kinder dieser Welt klüger gewesen als die Kinder des Lichts. Aber sie wollen dieses Ziel aus eigener Kraft erreichen, ohne Gott, ohne Christus. Da sie aber den Eckstein verworfen haben, wird das Werk den Bauleuten völlig mißlingen.

7. Wie köstlich ist es, den oben beleuchteten Irrtümern und sonderbaren Irrlehren die einfache Botschaft der Bibel gegenüber zu stellen! Läßt man sie allein zu Worte kommen, so staunt man über das Ausgeglichene und Geistliche ihrer Unterweisung. Durch all die Fälschungen aber sucht Satan die Gläubigen von der wunderbaren Hoffnung abzubringen, die unserer armen Erde geschenkt ist. Denn der Gedanke, bald gebunden und von dieser Ära der Heiligkeit und der Wonne ausgeschlossen zu werden, ist ihm entschieden unerträglich.

VI. Wie lange wird das Messianische Zeitalter dauern?

Sechsmal erklären die ersten sieben Verse von Offb. 20, daß es tausend Jahre dauern wird (daher der Name Millennium).

Manche behaupten, diese Zahl, wie viele andere in der Bibel, habe rein symbolische Bedeutung. Auf der menschlichen Ebene drückt sie die Totalität, hier die vollkommene Dauer aus. Es mag schon sein, daß Gott diese Zahl nicht zufällig bestimmt hat. Aber das läßt es uns, nach unserer Ansicht, durchaus zu, sie auch wörtlich zu nehmen. Daß Johannes diese Zeitangabe sechsmal wiederholt, berechtigt uns wohl zu dieser Annahme. Wir fanden oben, daß Daniel und Johannes, um unsere Aufmerksamkeit auf die dreieinhalbjährige Dauer der großen Trübsal zu lenken, sie achtmal in vier verschiedenen Ausdrücken wiederholen. Daher glauben wir, daß Christi Herrschaft auf Erden wirklich tausend Jahre währen wird.

Schon vor dem Kommen des Herrn haben die jüdischen Rabbiner, wie bereits einmal erwähnt, gestützt auf das AT, die Dauer des messianischen Reichs auf tausend Jahre festgelegt. Sie gründeten ihre Ansicht auf den Sabbat Gottes als Symbol für das Millennium.

Beachten wir noch, daß die Propheten des AT zuweilen das messianische Reich auf Erden und im Himmel in einer und derselben Vision vereinigen. Von ihrer Entfernung aus können sie nicht immer das Millennium von der Ewigkeit unterscheiden. Mit der Beschreibung des irdischen Königreiches verkündigen sie, daß der Messias ewig regieren werde. (S. z.B. Ps. 72,5-7; Dan. 7, 14-27 usw.!) Aber es ist klar, daß diese Herrschaft in den Himmel einmünden wird, und daß die tausend Jahre nur wie der Vorhof des königlichen Palastes sind.

VII. Einige Symbole für das Millennium.

1. Der Sabbat.
Ständig findet man in der Schrift den Zyklus von sechs Arbeitsperioden, auf die eine siebente der Ruhe folgt, während die achte einen neuen Anfang einleitet:

a) In sechs Tagen schuf Gott die Welt und ruhte am siebten Tage, Mose 2,2-3;
b) Jede Woche sollte Israel sechs Tage arbeiten und am siebenten 2. Mos. 20,8-1;
c) Es gab den Zyklus der sieben Wochen von Pfingsten. Mos. 23,15-16;
d) Ein anderer Zyklus von sechs Monaten führte zu den großen Festen der Posaunen, der Versöhnung und der Laubhütten, denen der siebente Monat geweiht war. Mos. 23, 24-25. 27. 34.
e) Die Israeliten sollten das Land sechs Jahre bebauen und es im siebenten ruhen lassen. 3. Mo 25,2-4. (Man findet noch solche Siebener-Zyklen im Jubeljahr, in der siebzigjährigen babylonischen Gefangenschaft und in den siebzig Jahrwochen von Daniel 9.)
Gestützt auf diese Analogien waren die Rabbiner zu der Ansicht gelangt, die Welt solle einen Zyklus erleben von:

sechs Jahrtausenden der Arbeit: 6 Tage;
tausend Jahren der Ruhe: 7. Tag;
darnach den Eingang in die Ewigkeit im Morgenrot des 8. Jahrtausends: 8. Tag.

Später drückten alte Kirchenväter denselben Gedanken in neuer Form aus. Sie glaubten, die Erde würde in großen Linien

zweitausend Jahre ohne das Gesetz sein – von Adam bis Abraham;
zweitausend Jahre unter dem Gesetz – von Abraham bis Christus;
zweitausend Jahre unter der Gnade – das jetzige Zeitalter;
eintausend Jahre unter der Herrschaft des großen Königs – das Millennium.

Selbstverständlich geben wir diese Einzelheiten nur dokumentarisch und mit allem Vorbehalt weiter. Wir möchten uns hüten, auch nur dem Anschein nach ein Datum für die Wiederkunft Christi festzulegen. Möglicherweise findet sie bald statt; aber sollte sie auch noch lange verziehen, so würde das unsern Glauben in keiner Weise erschüttern, denn Er allein kennt Tag und Stunde. Immerhin glauben wir – allein auf die Analogie des Glaubens gestützt und unter Vermeidung jeder Übertreibung – mit den Rabbinern aus dem Sabbatzyklus schließen zu dürfen, daß die aufgewühlte Weltgeschichte im Sabbat-Jahrtausend der großen Ruhe ihr Ende findet.

2. Das Jubeljahr.
Nach sieben Sabbatjahren, d.h. nach 49 Jahren, sollte Israel das Jubeljahr feiern. „Ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt ein Freijahr ausrufen im Lande allen, die darin wohnen; denn es ist euer Halljahr. Da soll ein jeglicher bei euch wieder zu seiner Habe und zu seinem Geschlecht kommen . . . Ihr sollt nicht säen auch was von selber wächst, nicht ernten; denn das Halljahr soll unter euch heilig sein.“ 3. Mos. 25,10-12. Und alle Kaufverträge mußten den Zeitabstand bis zum nächsten Jubeljahr berücksichtigen.
Welch schönes Bild vom kommenden großen Jubeljahr haben wir hier! Bald werden völlige Freiheit, Gleichheit, Eigentumsrecht, Ruhe, allgemeiner Wohlstand nicht mehr bloße Worte sein, sondern zur herrlichen Wirklichkeit werden. Könnten wir doch auch alle unsere Geschäfte von heute ab im Blick auf das kommende Reich erledigen!

3. Die Stiftshütte.
Gott hatte die Stiftshütte mit ihren Opfern und Riten als Mittel ersonnen, um Sein Wohnen unter dem Volke Israel zu ermöglichen: „Sie sollen Mir ein Heiligtum machen, daß Ich unter ihnen wohne. . . Da Ich Mich euch bezeugen und mit dir reden will . . . Daselbst will Ich . . . geheiligt werden in Meiner Herrlichkeit. So will Ich die Hütte des Stifts mit dem Altar heiligen . . . Und will unter den Kindern Israel wohnen und ihr Gott sein, daß sie wissen sollen, Ich sei der Herr, ihr Gott, der sie aus Ägyptenland führte, daß Ich unter ihnen wohne . . . Da bedeckte die Wolke die Hütte des Stifts, und die Herrlichkeit des Herrn füllte die Wohnung“ 2. Mos. 25, 8; 29. . . .

4. Das Gelobte Land.
Nach Jahrhunderten der Versklavung und Verbannung in Ägypten und mühevollen Wüstenwanderungen genossen die Israeliten unter Josuas Führung endlich die Freiheit, Ruhe und Fülle im Gelobten Land. Die Segnungen, die ihnen zuteil werden sollten, falls sie treu blieben, gleichen sehr den Verheißungen fürs Millennium: Gott selbst wird vor ihnen hergehen und mit ihnen sein; Er wird es z um heiligen Volk machen und zum Herrn über alle Völker. Großer materieller Wohlstand wird sein Erbteil in einem Lande sein, da „Milch und Honig fließt“. So wird das Volk in Freude und Frieden die Erfüllung der Verheißungen Gottes erleben. 5. Mos. 31, 8. Dann wird das Laubhüttenfest eine ständige Erinnerung an die vergangene Zeit seines Nomadenlebens in Zelten sein. 3. Mos. 23, 42-43. Der Hebräerbrief sieht im Einzug Israels in Palästina ein Bild der Ruhe, in die der Gläubige, indem er das vollkommene Werk Christi annimmt, im Glauben eingeht. 4, 8-10. Aber man darf auch darin ein Bild der Wonne im Millennium sehen. . . .

5. Die Herrschaft Salomos.
Nach der bewegten Zeit der Richter und all den Kriegen Davids (1. Chr. 28,3) erschien Salomo seinem Volke wahrlich als ein Friedenskönig. Er begann damit, seines Vaters Diener zu belohnen und Feinde zu bestrafen. Er gab seinem Volk Ruhe und Sicherheit, daß jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen konnte. Mit großer Weisheit begabt, baute er dem Herrn ein festes, prächtiges Haus. Gott schenkte ihm Reichtum, Güter und Ehren, wie ie vor ihm kein König besessen hatte. Mit außergewöhnlichem Scharfsinn übte er Gericht. . . .
Alle diese Symbole lassen uns die wunderbare Wirklichkeit ahnen, die uns die lichtvollen Blätter der Propheten vorführen sollen.

2. Kapitel

Aufrichtung des Reiches

Mehrere wichtige Ereignisse sollen zu Beginn des Millenniums stattfinden, auf die wir im einzelnen eingehen müssen.

I. Satan wir gebunden
Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in den Hand. Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan, und band ihn tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und versiegelte obendrauf, daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre; und danach muß er los werden eine kleine Zeit“. Offb. 20, 1-3.

Welche Veränderung, wenn der Versucher nicht mehr imstande ist, die Völker zu verführen! Wunderbarer wird es sein als im Paradies, da Satan dort unsere ersten Eltern zu Fall bringen konnte. Ganz abgesehen davon, daß Christus im Millennium in Herrlichkeit offenbart und bei den Menschen wohnen wird.

II. Die erste Auferstehung
„Und ich sah, . . . die Seelen derer, die enthauptet sind um des Zeugnisses Jesus und um des Wortes Gottes willen, und die nicht angebetet hatten das Tier noch sein Bild und nicht angenommen hatten sein Malzeichen an ihre Stirn und auf ihre Hand, diese lebten und regierten mit Christo tausend Jahre. Die anderen Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis daß tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung! Über solche hat der andere Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit Ihm regieren tausend Jahre“. Offb. 20, 4-6. Über die Entrückung der Gemeinde hörten wir, daß alle Gläubigen, ob lebend oder tot, den Auferstehungsleib bekamen und mit Christus in die Herrlichkeit eingingen. Mit Ihm kommen sie nun wieder und setzen sich auch auf den Richterstuhl. Andererseits hat sich, so wir es recht verstehen, seit der Entrückung die große Trübsal abgespielt, in der alle getötet wurden, die Christus und nicht den Antichristen zum Herrn wählten. Offb. 12, 6.17; 13,15. Johannes hat schon am Anfang der Offenbarung die Seelen dieser Märtyrer gesehen, die Gott um Gerechtigkeit anflehten. 6, 9-11. Diese erwachen nun zum Leben und haben teil an der ersten Auferstehung. Daraus folgt:

a) Die „erste Auferstehung“ umfaßt die Gläubigen im Blick auf das Millennium. Die daran teilhaben, werden selig gepr iesen; sie entrinnen der Hölle und werden mit dem Herrn tausend Jahre lang Könige und Priester sein. Diese Vorrechte sind allen vorbehalten, denen Christus der Heiland geworden ist. Offb. 1, 5-6; 2,11; 3,21. Folglich glauben wir, daß die ganze entrückte Gemeinde an derselben „ersten Auferstehung“ teilhat, wie die hier erwähnten Märtyrer. Johannes führt nur die letzteren an, weil die Gemeinde ja schon auferstanden ist und auf dem Richterstuhl sitzt.

b) Die erste Auferstehung unterscheidet sich klar von der zweiten. Mehrere Stellen der Schrift erwähnen beide: „Viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen; etliche zum ewigen Leben, etliche zu ewiger Schmach.“ Dan. 12,2. „Sie warten . . . der Auferstehung . . . der Gerechten und Ungerechten.“ Ap. 24, 15.
„Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden Seine (Christi) Stimme hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“. Joh. 5, 28. Aber es ist die Offenbarung, die uns lehrt, daß die ganze Dauer des Millenniums die zwei Auferstehungen voneinander trennt. Ohne diese Zahl anzugeben, sagte Jesaja faktisch dasselbe, als er schrieb: „Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen . . . die Könige der Erde, die auf Erden sind (bei Harmagedon), daß sie versammelt werden als Gefangene . . . im Kerker und nach langer Zeit wieder heimgesucht werden.“ 24, 21. Wie wichtig ist es, daß ein jeder von uns weiß, welche Auferstehung seiner wartet, und ob er teilhaben wird an der ersten Auferstehung!

III. Das Völkergericht.

1.Wenn Christus durch die Endgerichte und den Sieg bei Harmagedon alle Feinde, die sich offen gegen Ihn empörten, vernichtet hat, wird es noch viele Menschen auf Erden geben. Nach der Schrift scheinen zwei Drittel der Juden und ein Viertel der Menschheit in der großen Trübsal umzukommen. . . .

2. Die Gemeinde scheint zusammen mit Christus die Völker zu richten. . . .

3. Die so vom Herrn ausgewählten Menschen werden in Fleisch und Blut auf der Erde weiterleben . . . Wir werden auf den folgenden Seiten sehen, wie viele Texte deren geistliches und materielles Leben während der Tausend Jahre beschreiben. . . .

3. Kapitel

Die Merkmale des Messianischen Reiches

Im Millennium wird der Herr den wunderbaren Plan ausführen, den Er von jeher für die Menschheit vor hatte, und der im Garten Eden nur vorübergehend mißlang. Er wird die Fülle Seiner Güte offenbaren und alles tiefe Sehnen stillen, das Er selbst in des Menschen Herz gelegt. Alles, was die Menschen an höchsten Gütern ohne Gott vergebens erstrebt haben, wird nun im Reich Seines Sohnes in Hülle und Fülle über sie ausgeschüttet werden. Laßt uns die Merkmale dieses Reiches näher betrachten!

I. Die Gerechtigkeit
Daß Sünde und Ungerechtigkeit heute überall triumphieren, das macht unser Erdendasein in so schwierig. Jesus Christus wird das alles ändern.
„Das Zepter Deines Reichs ist ein gerades Zepter. Du liebest Gerechtigkeit und hassest gottloses Wesen.“ Ps. 45,7-8. . . .
Dann werden alle sozialen Probleme gelöst sein. Was die Moral in ihrer Ohnmacht nicht vermochte, was die politischen Parteien nicht erzwingen konnten, was die Kirchen vergeblich zu erreichen suchten, wird eines Tages durch den einzig Gerechten auf Erden verwirklicht werden, Jesus Christus.
„Euch aber, die ihr Meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln.“ Mal. 4, 2. . . .

II. Friede
Ungerechtigkeit führt immer zum Krieg. Ist jene endlich ausgemerzt, wird dieser auch verschwinden: „Laß die Berge den Frieden bringen unter das Volk und die Hügel die Gerechtigkeit . . . Großer Friede . . . wird blühen, bis daß der Mond nimmer sei. ” Ps. 72, 3.7.
„Er wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen . . .
Er heißt . . . Friedefürst, auf daß . . . des Friedens kein Ende werde auf dem Stuhl Davids und in Seinem Königreich, daß Er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. . . . Jes. 2, 4; 9, 5-6.

Seit Kain seinen Bruder getötet hat, ist die Menschheit in Kriege verstrickt. . . . Auf geistlicher Ebene besteht
dieser Friede schon zwischen dem Herrn und allen Seinen wahren Kindern. Aber eines Tages wird er sich hier auf Erden herrlich offenbaren. Dann geht endlich die Engelsbotschaft der Weihnacht in Erfüllung: „Friede auf Erden!“

III. Glückseligkeit
„Und es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind . . . Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht .   . . .

IV.  Langes Leben und Gesundheit
Der Tod lag ursprünglich nicht im Plan Gottes, er ist durch die Sünde in die Welt gekommen. 1. Mos. 3,19. Nach dem Sündenfall haben die Patriarchen soga r noch sehr lange gelebt. Adam wurde z.B. 930, Methusalah 969 Jahre alt. Erst die Verderbtheit der Generation der Sintflut ließ Gott die Lebenszeit des Menschen auf höchstens 120 Jahre kürzen, während späterhin nur die Kräftigsten im Durchschnitt 70 bis 80 Jahre erreichten. 1. Mos. 5, 5. 27.

Nach den Weissagungen soll das Leben der Menschen in der messianischen lüa wieder bedeutend länger werden. Keiner stirbt mehr eines frühzeitigen Todes, und ein Hundertjähriger wird noch jung sein . . .

Wir werden gleich sehen, daß der Tod nur ausnahmsweise über solche verhängt wird, die auf dem Weg der Sünde beharren. Dagegen sollen anscheinend Unzählige die Möglichkeit haben, fast das ganze Millennium hin durch zu leben. Solche Behauptungen konnten vor einigen Jahren ein Lächeln hervorrufen. Aber gelehrte Biologen haben entdeckt, daß unsere Organe so beschaffen sind, daß sie viel länger leben könnten. Man versteht nicht, weshalb der Tod so bald eintritt. . . . Und wir glauben, daß es für den allmächtigen Gott ein Kinderspiel sein wird, das Menschenleben zu verlängern, wenn Er den Augenblick für gekommen hält, die Weissagungen zu erfüllen. Bis dahin aber wollen wir Gott danken, daß Er unser Leben, wie es jetzt ist, nicht verlängert. In unserer Welt voll Sünde, Leiden und Gebrechen wäre Langlebigkeit keine Wohltat, eine sehr große dagegen im kommenden goldenen Zeitalter. Aus anderen Texten scheint hervorzugehen, daß der Herr auch in reichem Maße die Gabe der Gesundheit schenken wird:

„Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren werden geöffnet werden; alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch…“ Jes. 35,5-6.
Das erscheint ganz natürlich, da auch zur Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu Christi „die Stummen redeten, die Krüppel gesund waren, die Lahmen gingen, die Blinden sahen.“ Matt. 15, 30. So wird der Herr auch auf diesem Gebiet die „Wiederherstellung aller Dinge“, von der Petrus spricht, bewirken (Ap. 3, 21) . . .

V. Materieller Wohlstand
Gott hat uns einen Leib so gut wie einen Geist und eine Seele gegeben, und Er weiß wunderbar für die Bedürfnisse dieses Leibes zu sorgen. Er hatte Adam in einen Lustgarten gesetzt, wo eine üppige Fülle herrschte. Seitdem hat Er unaufhörlich den Menschen Gutes getan, indem Er „vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsre Herzen erfüllt mit Speise und Freude“. Ap. 14, 17. Denn der Herr gibt uns „reichlich, allerlei zu genießen“. 1. Tim. 6, 17.

So entspricht es wohl ganz dem göttlichen Willen, der Erde im messianischen Reim einen paradiesähnlichen Glückszustand zu gewähren. Auch die Erde soll an der „Wiederherstellung aller Dinge“ teilhaben; genau wie die durch Wiedergeburt und Auferstehung völlig wiederhergestellte Menschheit. Damit richtet Gott alles wieder auf, was im Sündenfall zerschlagen wurde. Manche halten diese Perspektive für viel zu wenig „geistlich“, als daß man sie in Betracht ziehen dürfe. Wenig „geistlich“ waren allerdings die Übertreibungen gewisser überspannter Lehrer wie Papias. Doch die Segnungen, die Gott unserm Leib und der Erde aufbewahrt hat, können nur heilig und vollkommen sein. Um ein Bild von ihnen zu haben, brauchen wir nur die Texte unverändert reden zu lassen:

„Auf Erden . . . wird das Getreide dick stehen; seine Frucht wird rauschen wie der Libanon, und sie werden grünen in den Städten wie das Gras auf Erden.“ Ps. 72,16. „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß man zugleich ackern und ernten und zugleich keltern und säen wird; und die Berge werden von süßem Wein triefen, und alle Hügel werden fruchtbar sein. Denn Ich will das Gefängnis Meines Volkes Israel wenden, daß sie sollen . . . Weinberge pflanzen und Wein davon trinken, Gärten machen und Früchte daraus essen.“ Amos 9,13-14.
„Zu derselben Zeit, spricht der Herr Zebaoth, wird einer den anderen laden unter den Weinstock und unter den Feigenbaum . . . Der Weinstock soll seine Frucht geben und das Land sein Gewächs geben, und der Himmel soll seinen Tau geben“. Sach. 3,10 ; 8,12.
So erfüllen sich an der ganzen Erde die alten Verheißungen, die Gott Seinem Volk gegeben hatte, falls es treu bliebe: „Werdet ihr Meine Gebote halten und tun, so will Ich euch Regen geben zu seiner Zeit, und das Land soll sein Gewächs geben und die Bäume auf dem Feld ihre Früchte bringen.  . . . 3. Mos. 26,3-5. 10.

So wird die Erde zum größten Wohl der Menschheit wieder ein Paradies werden, ein Paradies jedoch, das das erste gewissermaßen übertrifft, nicht seiner Fruchtbarkeit wegen, sondern weil Christus in ihm ist und der Teufel keinen Zugang hat. Der Wohlstand rührt also nicht von der materialisierten, mechanisierten Zivilisation her. Es ist gut, wenn wir das ein für allemal wissen.

VI. Der Fluch wird von der Natur genommen werden.
Nach dem Sündenfall spricht Gott zu dem Menschen: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen . . . Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ 1. Mos. 3, 17-19.
Darum sagt Paulus: Das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, . . . denn auch die Kreatur wird freiwerden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“ Röm. 8, 19-22. Soll die Erde zu der oben beschriebenen Fruchtbarkeit kommen, so muß erst der Fluch, der auf ihr liegt, aufgehoben werden. „Es sollen Tannen für Hecken wachsen und Myrten für Dornen . . . Ich will die Wüste zu Wasserseen machen und das dürre Land zu Wasser quellen; Ich will in der Wüste geben Zedern, Akazien, Myrten und Kiefern.“ Jes. 55, 13; 41,18.

Zudem werden auch die Raubtiere ihre Wildheit verlieren: „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden auf der Weide gehen . . . . Man wird nirgends Schaden tun noch verderben auf Meinem ganzen heiligen Berge.“ Jes. 11, 6-9 (s. auch Hes. 34, 25. 28; Hos. 2, 20).
Zuletzt dürfen wir wohl auch annehmen, daß die Erde nicht mehr von solchen Naturkatastrophen verwüstet werden wird, an denen Satan nach Hiob 1,12. 16. 19 nicht immer unbeteiligt ist. Wie herrlich werden diese „Zeiten der Erqui ckung“ sein, wenn alle Dinge in ihren paradiesischen Zustand zurückversetzt sind!

VII. Hat das „Atomzeitalter“, wie man es schon nennt, etwas mit diesen großen angekündigten Umwälzungen zu tun?
Tatsache ist, daß das Leben der Menschen, das Jahrtausende lang statisch geblieben war, sich seit etwa hundert Jahren gänzlich verändert hat: Kohle, Dampfkraft, Elektrizität, Treibstoffe, Eisenbahn, Motore, Industrie, Chemie, Chirurgie, das Luftwesen, alle diese Dinge haben die frühere Lebensweise ganz über den Haufen geworfen. Heute stehen wir an der Schwelle einer Zeit viel gewaltigerer Neuerungen: Radio, Fernsehen, wahnsinnige Geschwindigkeiten und vor allem die Atomenergie scheinen Möglichkeiten zu eröffnen, die über unsere Denkkraft gehen.
Es sind dies übrigens Möglichkeiten zum Guten und zum Bösen hin. Verkehrt angewandt, kann die Atomenergie die schlimmsten Katastrophen verursachen, dagegen kann sie, wie es scheint, unser Leben auf vielen Gebieten günstig beeinflussen und verbessern, wenn sie in der rechten Weise gebraucht wird: Gesundheit, Lebensdauer, Fruchtbarkeit, Heizung, Transport und Verkehr, Arbeit usw. Ist es nicht merkwürdig, daß diese unbegrenzte Kraftquelle gerade jetzt entdeckt wurde, da unsere Welt vor den zwei großen Umwälzungen steht, die ihre Geschichte beschließen sollen: dem Weltenbrand der Endgerichte und dem Anbruch des goldenen Zeitalters, das unseren Planeten umwandeln soll?

In Seinem Tun hat Gott natürlich tausend Mittel und Wege, und wir wollen nicht behaupten, daß Er Sich nur der von den Menschen entdeckten Kraftquellen bedienen werde, um das Gericht und die Erneuerung der Erde durchzuführen. Und doch wissen wir, daß Er oft zu ganz einfachen, natürlichen Mitteln greift (dem Wasser der Sintflut z.B.); und die uns jetzt schon bekannten genügen vollauf, die Gedanken der Propheten über die neue Lebensgestaltung in der Zukunft zu bestätigen.

5. Kapitel


Die Stellung der Gemeinde im Millennium


l. Die Gemeinde ist vor allem ein himmlisches Volk

Vergessen wir nicht, daß das Millennium vor allem der Israel und der Erde verheißene Segen sein soll, während die Gemeinde das himmlische Volk Gottes ist. So herrlich auch die messianische Zeit hier sein mag, so kann sie doch immer nur ein Vorgeschmack des Himmels sein. Wohl wird sie wunderbar sein für alle Wesen von Fleisch und Blut,
die auf Erden leben. Aber für die durch die Auferstehung schon zu den Wonnen der anderen Welt eingegangenen Gläubigen kann kein Geschehen auf Erden mehr ein Ziel an sich bedeuten.


Wir sind doch jetzt schon Fremdlinge und Pilgrime auf Erden und suchen ein himmlisches Vaterland. Hebr. 11, 13 -16. Durch den Glauben sind wir bereits mit Christus in die himmlischen Örter versetzt. Eph. 2,6. Mit dem Augenblick des Todes sind wir „bei Christo”, was „viel besser ist” als Freuden der Erde. Phil. 1,23. Und bei Seiner Wiederkunft werden wir alle auferweckt und verklärt, um im Himmel mit Ihm die Hochzeit des Lammes zu feiern. 1. Thess. 4, 1 6- 1 7 ; Offb. 1 9,6-8. Unsere Segnungen sind daher von vornherein auf ewig, nicht nur auf
tausend Jahre. Folglich handelt es sich für die Gemeinde nicht darum, von der herrlichen Stellung, in die sie ihr himmlischer Bräutigam gebracht, wieder herabzusteigen. Die auferstandenen Gläubigen werden
nicht auf die Erde in das materielle Leben zurückkehren, um dort mit allen Untertanen des Reichs am Ende des Millenniums versucht zu werden. Darum müssen wir genau wissen, was die Schrift über die der Gemeinde in der messianischen Zeit zugedachte Aufgabe sagt.


ll. Die Gemeinde wird mit Christus regieren.

So wie die Gläubigen am Gericht über die Welt und die Engel teilhaben, werden sie mit ihrem Heiland auch die Herrschaft teilen.
„Dulden wir, so werden wir mitherrschen.“ Tim. 2,12. Er „hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und Seinem Vater . . . Wer da überwindet und hält Meine Werke bis ans Ende, dem will Ich Macht geben über die Heiden. Und er soll sie weiden mit einem eisernen Stabe, und wie eines Töpfers Gefäße soll er sie zerschmeißen, wie Ich von Meinem Vater empfangen habe . . . Wer überwindet, dem will Ich geben, mit Mir auf Meinem Stuhl zu sitzen, wie Ich überwunden habe und Mich mit Meinem Vater gesetzt auf Seinen Stuhl. Offb. 1, 6; 2, 26-27; 3,21.

„Du hast uns Gott erkauft mit Deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zunge und Volk und Heiden, und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden“ . . . Die Märtyrer „lebten und regierten mit Christo tausend Jahre . . . Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung; über solche hat der andere Tod keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre“. Offb. 5, 9-10; 20,4-6.
Jesus verkündigt selbst, welchen Teil an Seiner Regierung er den Seinen einräumen wird: „Wahrlich, Ich sage euch: ihr, die ihr Mir seid nachgefolgt, werdet in der Wiedergeburt, da des Menschen Sohn wird sitzen auf dem Stuhl Seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter Israels . . . Ihr aber seid’s, die ihr beharrt habt bei Mir in Meinen Anfechtungen; und Ich will euch das Reich bescheiden, wie Mir’s Mein Vater beschieden hat . . . Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Re ich zu geben.“ Matt. 19, 28; Luk. 22, 28-29; 12,32. Und zu Seinen treuen Dienern sagt der Herr: „Ei, du frommer Knecht, dieweil du bist im Geringsten treu gewesen, sollst du Macht haben über zehn Städte“, und nachher: „Du sollst sein über fünf Städte. Luk. 19, 17-19.

Der Mensch wurde geschaffen, um sich „die Erde untertan“ zu machen. Er fiel und überließ seinen Platz dem Thronräuber Gottes. Welches Glück und welche Freude für ihn, wenn er, seiner ursprünglichen Bestimmung zurück gegeben, die Ehre haben wird, die Herrschaft seines allmächtigen Herrn zu teilen!


III. Wo wird sich die Gemeinde während des Millenniums aufhalten und wie sich betätigen?

Darüber wird nichts ausdrücklich gesagt; doch können wir aus der Schrift einige Schlüsse ziehen, müssen uns dabei aber hüten, von Gott nicht klar Enthülltes selbst erdenken zu wollen. Jetzt sind wir schon im Glauben in die himmlischen Örter versetzt, während wir noch auf Erden tätig sind. Nach der Auferstehung werden wir mit Christus in der Herrlichkeit sein, aber tausend Jahre lang mit Ihm hienieden herrschen. Nach der Hochzeit des Lammes wird die Gemeinde das „Neue Jerusalem“, die „Braut des Lammes“ sein. Offb. 21, 2-9. Sie wohnt dann zweifellos schon an dem wunderbaren Ort, den die Offenbarung Kap. 21 beschreibt. Damit sie gleichzeitig auf Erden wirken können, werden vielleicht bei den Gläubigen ähnliche Umstände walten wie bei Christus zwischen Ostern und Himmelfahrt. Denken wir zur Beleuchtung der unser harrenden Möglichkeiten an die Heiligen, die beim Tode Jesu leiblich auferstanden, in die heilige Stadt gingen und vielen erschienen. Matt. 27, 52-53. Vielleicht wird uns das auch möglich sein, aber, wie gesagt, ohne daß wir dabei unser früheres Leben wieder aufnehmen müßten. Andererseits erklärt der Herr, die Auferstandenen werden weder freien noch sich freien lassen. Denn sie können hinfort nicht sterben; denn sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder, die weil sie Kinder sind der Auferstehung“. Luk. 20, 35-36. Schon heute üben die Engel, deren Wohnort der Himmel ist, einen ausgedehnten Dienst auf Erden aus. Da wir ihnen gleich sein werden, verstehen wir einigermaßen, wie wir von der Herrlichkeit aus an der Herrschaft auf Erden werden teilnehmen können.

Nun können wir uns die drei Menschengruppen vorstellen, die am Millennium teilhaben sollen :


1. Die Gemeinde, im Allerheiligsten, d. h. in den himmlischen Örtern, Teilhaber Christi an der Königsherrschaft und am Priestertum;
2. Israel, im Heiligen, Diener Gottes im Heiligtum auf Erden, wie einst die Leviten;
3. die Völker, im Vorhof, Anbeter Gottes, wie einst die zwölf Stämme Israels.

Man hat aber auch seit langem in der Verklärungsszene eine Art Vorschau des messianischen Reiches gesehen, Luk. 9,28-43 :

1. Der Berg, das Neue Jerusalem, die prächtige Himmelsstadt, wo der Herr und die Seinen sind;

2. der verklärte Christus in der Herrlichkeit des Reiches, wie Er sich später Seinem Apostel Johannes (Offb. 1, 13-16) zeigen und während des Millenniums offenbaren wird;
3. Mose und Elia, auch sie verklärt, jeder ein Sinnbild : der erstere der verstorbenen und auferstandenen Heiligen, der letztere der entrückten Gläubigen, die den Tod nicht geschmeckt haben;
4. die Jünger, Vorbilder der Menschen im messianischen Reich, vor allem des wiederhergestellten Israel, das nun zum Segensträger für die ganze Welt geworden ist;
5. die Volksmenge, die ihnen am Fuß des Berges entgegenläuft, ein Sinnbild der Völker, die begierig sind, Christus kennen zu lernen.

Der Apostel Petrus selbst weist uns auf diese Deutung hin, wenn er in Erinnerung an die Verklärung schreibt: „Wir haben euch kundgetan die Kraft und Zukunft unsers Herrn Jesu Christi; . . . wir haben Seine Herrlichkeit selber gesehen, da Er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, . . . da wir mit Ihm waren auf dem heiligen Berge. Und wir haben desto fester das prophetische Wort.“ 2. Petr. l ,16-19. Das genügt zur Erkenntnis der wunderbaren Aussichten, die unser warten. Für uns ist es die Hauptsache, zu wissen, daß wir auf ewig beim Herrn und Ihm gleich sein werden, als Teilhaber an Seiner Wirksamkeit und sitzend mit Ihm auf Seinem Thron. „Wenn aber Christus, euer Leben, Sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit.“ Kol. 3, 4.


6. Kapitel



Die Stellung Israels im Millennium


l. Israel wird wieder das Hauptvolk der Erde werden.

Wir verließen Israel zur Zeit seiner Wiederherstellung und seiner Bekehrung bei der Wiederkunft Jesu Christi. Gehen wir nun über zu den Weissagungen über seine Rolle im Tausendjährigen Reich!
Einstmals wollte Gott das auserwählte Volk zu einem „priesterlichen Königreich und einem heiligen Volk“ machen. 2. Mos. 19, 6. Er hatte ihm verheißen: „Wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen wirst . . . so wird dich der Herr, dein Gott, zum höchsten machen über alle Völker auf Erden . . . daß du alle Seine Gebote hältst und Er dich zum höchsten mache, und du gerühmt, gepriesen und geehrt werdest über alle Völker, die Er gemacht hat; daß du dem Herrn, deinem Gott, ein heilig Volk seist, wie Er geredet hat. 5. Mos. 28, 1; 26,18. Nun ist aber Israel wegen seiner Untreue immer tiefer gesunken; es ist der Schwanz geworden, nicht mehr das Haupt. 5. Mos. 28, 43. Es wurde von den Völkern unterjocht, die es zerstreut, gehaßt und verfolgt haben. Aber Gott läßt Sich Seine Gaben nicht gereuen. Er wird dem wiederhergestellten und bekehrten Israel den ursprünglichen Vorrang zurückgeben. „Es wird dazu kommen, daß . . . Israel blühen und grünen wird, daß sie den Erdboden mit Früchten erfüllen . . . Die Völker werden sie nehmen und bringen an ihren Ort, daß sie das Haus Israel besitzen wird im Lande des Herrn zu Knechten und Mägden . . . Und deine Tore sollen stets offen stehen . . . daß der Heiden Macht zu dir gebracht und ihre Könige herzu geführt werden . . . Ihr aber sollt Priester des Herrn heißen . . . Siehe, Ich breite aus den Frieden bei ihr (Jerusalem) wie einen Strom und die Herrlichkeit der Heiden wie einen ergossenen Bach.“ Jes. 27, 6; 14,2; 60, 10; 61,6; 66,12. Es nimmt uns vielleicht wunder, daß im messianischen Reich ein Volk eine solche Vormachtstellung über die anderen haben soll. Sagt nicht die Schrift, daß in Christo „kein Jude noch Grieche, kein Sklave noch Freier sei?“ Gal. 3, 28. Das stimmt in Bezug auf das Heil. Aber vergessen wir nicht, daß in der Gemeinde und in der christlichen Familie der Mann die Autorität über seine Frau behält. 1. Tim. 2, 11-14; Eph. 5, 22-24. Das Millennium wird noch nicht der Himmel, sondern viel eher eine Theokratie, eine autoritäre Gottesherrschaft auf Erden sein. Es wird daher gut sein, wenn Israel in heiliger, geistlicher Weise an der Spitze der Völker steht, um sie dem Herrn zuzuführen.


II. Die Israeliten werden die Weltmissionare sein und Gottes Segnungen vermitteln.

Israel erhält nicht dazu die Oberhoheit wieder, damit es zu seinen eigenen Gunsten eine rein menschliche Herrschaft auf Erden wieder aufrichte. Sie soll ihm nur dazu helfen, die Völker unter das beseligende Joch Jesu Christi zu bringen. Wir haben schon gehört, daß der Überrest Israels sich bekehren wird. Diesen wird dann der Herr zur Ausbreitung Seines Wortes gebrauchen:
Wer da wird übrig sein zu Zion und übrig bleiben zu Jerusalem, der wird heilig heißen . . . Ihr aber sollt Priester des Hernn heißen, und man wird euch Diener unsers Gottes nennen . . . Ich will . . . ihrer etliche, die errettet sind, senden zu den Heiden, gen Tharsis, gen Phul und Lud zu den Bogenschützen, gen Thubal und Javan und in die Ferne zu den Inseln, da man nichts von Mir gehört hat, und die Meine Herrlichkeit nicht gesehen haben; und sollen Meine Herrlichkeit unter den Heiden verkündigen. Und sie werden alle eure Brüder aus allen Heiden herzubringen, dem Herrn zum Speisopfer.“ Jes. 4, 3; 61,6; 66, 20. „Wie ihr vom Hause Juda und vom Hause Israel seid ein Fluch gewesen unter den Heiden, so will Ich euch erlösen, daß ihr sollt ein Segen sein . . . Zu der Zeit werden zehn Männer aus allerlei Sprachen der Heiden einen jüdischen Mann bei dem Zipfel ergreifen und sagen: wir wollen mit euch gehn, denn wir hören, daß Gott mit euch ist.“ Sach. 8, 13. 23.

„Sie werden dir folgen, in Fesseln werden sie gehen und werden vor dir niederfallen und zu dir flehen; denn bei dir ist Gott, und ist sonst kein Gott mehr . . . Der Herr Herr, der die Verstoßenen aus Israel sammelt, spricht: Ich will noch mehr zu dem Haufen, die versammelt sind, sammeln . . . Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht; hebe deine Augen auf und siehe umher: diese alle versammelt kommen zu dir.“ Jes. 45, 14; 56,8; 60,3-4. Hatte nicht Paulus gesagt, daß Israels Bekehrung für die Welt wie ein Leben aus dem Tode sein würde? Röm. 11. 12. 15. Schon heute sind die für Jesus Christus gewonnenen Juden, welche alle Vorzüge ihrer Rasse in Seinen Dienst stellen, die bedeutendsten Missionare. Einst genügte ein Israelit, Saulus von Tarsus, um das ganze römische Reich zu erschüttern, Tausende von Seelen zu gewinnen und überall Gemeinden zu gründen; gerade Paulus kann als Typus des verstockten Israel gelten, das durch die herrliche Erscheinung Jesu Christi überwunden wird und sich sofort einsetzt, die Welt zu evangelisieren. Was vermag nicht die ganze jüdische Elite, wenn sie sich ganz und gar der Verherrlichung Gottes unter den Völkern weiht? Dann wird in einem neuen Sinn das Heil von den Juden kommen. Zu Beginn unseres Zeitalters hat Gott gläubige Juden gebraucht, um die Erstlinge unter den Heiden der Gemeinde zuzuführen. So wird auch Gott im Millennium das bekehrte Israel zum Volk von Evangelisten machen, das die Menge der Heiden für das Heil gewinnen wird.


III. Jerusalem wird die Hauptstadt der Welt sein.
Überraschend ist die Feststellung, wie sehr Palästina im Zentrum der Kontinente liegt. Zieht man eine Diagonale vom Südwesten der Länder zum äußersten Nordosten und eine von Nordwesten nach Südosten, so schneiden sich die beiden Linien ungefähr in Palästina. Rund um diese geographische Mitte hat nun Gott die Völker gruppiert: „Da der Allerhöchste die Völker zerteilte und zerstreute der Menschen Kinder, da setzte Er die Grenzen der Völker nach der Zahl der Kinder Israel. 5. Mos. 32, 8. „Er h at gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, und hat Ziel gesetzt und vorgesehen, wie lange und wie weit sie wohnen sollen; daß sie den Herrn suchen sollten.“ Ap. 17, 26. In der Tat sind die großen historischen Weltreiche rund um Palästina verteilt worden, damit sie mit dem wahren Gott in Berührung kämen. Im Osten lagen Assyrien, Babylonien und Persien; im Norden Syrien, Phönizien und Kleinasien; im Westen Griechenland, Rom und die Mittelmeerländer; im Süden Arabien, Ägypten und Äthiopien. Dabei wachte Gott darüber, daß dieses so zentral gelegene Land so abgesondert blieb, daß es die empfangene Offenbarung rein erhalten konnte. Geographisch lag Israel nach außen hin abgeschlossen: im Westen durch das Meer, im Süden und Osten durch die Wüste, im Norden durch das Gebirge; geistlich gesehen, war ihm durch strenge Gesetzesvorschriften die Vermengung mit den Völkern verwehrt. Dann kam der Zeitpunkt der Zerstreuung der Juden in ferne Länder, zur Vorbereitung der antiken Welt auf den kommenden Messias. Und wiederum waren es bekehrte Juden, die von Jerusalem aus die frohe Botschaft von Jesus überall hin brachten.
Im Millennium wird der Herr wieder von Palästina und von Jerusalem aus Sein Licht nach Nord und Süd, Sonnenaufgang und -untergang ausstrahlen lassen. „Der Herr wird Juda erben als Sein Teil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen . . . So spricht der Herr: Ich kehre Mich wieder zu Zion und will zu Jerusalem wohnen, daß Jerusalem soll eine Stadt der Wahrheit heißen und der Berg des Herrn Zebaoth ein Berg der Heiligkeit . . . Also werden viele Völker und die Heiden in Haufen kommen, zu suchen den Herrn Zebaoth zu Jerusalem, zu bitten vor dem Herrn . . . Alle übrigen unter allen Heiden . . . werden jährlich heraufkommen, anzubeten den König, den Herrn Zebaoth.“ Sach. 2, 16, (s . auch Micha 4,1-2; Jes. 60,13). „Zur selben Zeit wird man Jerusalem heißen „Des Herrn Thron“, und werden sich dahin sammeln alle Heiden um des Namens des Herrn willen.“ Jer. 3,17. Und als der Herr vom Tempel redet, der zu Jerusalem wieder erbaut werden soll, und wo die der Erde neugeschenkte Herrlichkeit des Herrn wohnen wird, sagt Er: „Das ist der Ort Meines Throns, da rin Ich ewiglich will wohnen unter den Kindern Israel. Hes. 43,7.

Ein jeder weiß, daß, trotz der vom Völkerbund getroffenen Entscheidung, Jerusalem zu internationalisieren, der Staat Israel seine Absicht kundgab, den Sitz seiner Regierung dorthin zu verlegen. Als letzteres geschah, erklärte Ben Gourion: „Jerusalem ist nicht nur die Hauptstadt Israels und des Weltjudentums, es soll auch nach dem Wort der Propheten die geistliche Hauptstadt für die ganze Welt werden. Wie viele Erfüllungen müssen denn noch kommen, damit unsern Zeitgenossen das Verständnis für das Zeitgeschehen aufgehe?

7. Kapitel


Die Völker während des Millenniums


I. Die Völker gehören zu dem Reich, das Jesus Christus verheißen ist.
Christus soll, wie wir gesehen haben, als Davids Sohn regieren und das Reich Israel wiederaufrichten. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß dem Messias die Weltherrschaft versprochen ist:
„Es wird das Zepter von Juda nicht entwendet werden . . . bis daß der Held (d.h. der, dem das Zepter gebührt) komme; und demselben werden die Völker anhangen.“ 1. Mos. 49,10.
„Siehe, das ist Mein Knecht . . . Er wird das Recht unter die Heiden bringen . . .Ich habe Dich zum Bund unter das Volk gegeben, zum Licht der Heiden . . . Es ist ein Geringes, daß Du Mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels wiederzubringen; sondern Ich habe Dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß Du seist Mein Heil bis an der Welt Ende.“ Jes. 42,1. 6; 49,6.

„Der gab Ihm (dem Menschensohn) Gewalt, Ehre und Reich, daß Ihm alle Völker, Leute und Zungen dienen sollten.“ Dan. 7,14.
Teilweise sind diese Weissagungen durch die Predigt des Evangeliums unter allen Rassen erfüllt worden. Ap. 13, 47. So ist Jesus wirklich das „Licht der Heiden“ geworden. Aber Er hat noch nie über die Völker geherrscht, und in ihrer Gesamtheit haben diese – weit davon entfernt, sich Ihm zu beugen – Ihn abgelehnt. Darum müssen im Lauf des Millenniums alle Verheißungen von der Bekehrung, nicht nur von Einzelmenschen, sondern der Völker selbst in Erfüllung gehen.


II. Die Evangelisation der Völker.

Vor fast zweitausend Jahren befahl der Herr Seiner Gemeinde, das Evangelium bis an die Enden der Erde zu tragen. Gewiß sind Fortschritte gemacht und ist die Botschaft in immer mehr Ländern verkündigt worden. Aber wie ziehen wir es hin, wie wenig bemühen wir uns! Wir haben gehört, daß alle Menschen noch vor dem Ende ernstlich gewarnt sein müssen. Und doch wissen wir, daß heute einerseits, trotz aller Verkündigung, das Zahlenverhältnis der Heiden in der Welt zunimmt und andererseits die große Mehrheit der Menschen der Endzeit, vom Feinde umgarnt, sich lieber dem Antichristen zuwenden wird.
Wann kommt denn die Zeit, da sich der größte Teil der Menschheit auf Erden für den Heiland gewinnen läßt, wenn nicht im Millennium?
„Dann wird das Ende kommen, das Ende, das das Tor zur Ewigkeit sein wird. Im vorigen Kapitel sagten wir, daß Israel nach seiner Bekehrung das Evangelistenvolk in der neuen (göttlichen) Haushaltung sein wird (Jes. 66, 18-19). „Siehe, das ist Mein Knecht . . . Er wird nicht matt werden noch verzagen, bis daß Er auf Erden das Recht anrichte; und die Inseln werden auf Sein Gesetz warten . . . (So weit sind wir noch nicht, es wird wohl im Millennium geschehen) . . . Siehe, Ich habe Ihn den Leuten zum Zeugen gestellt, zum Fürsten und Gebieter den Völkern. Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, und des Heiligen in Israel, der dich herrlich gemacht hat.“ Jes . 42, 1.4; 55,4-5.

III. Die Bekehrung der Völker.

1. Gott wird neue Bedürfnisse ein die Herzen legen.
„Zu der Zeit wird sich der Mensch halten zu Dem, der ihn gemacht hat, und seine Augen werden auf den Heiligen in Israel schauen. Jes. 17,7.
„Der Herr wird ein Neues im Lande erschaffen: das Weib wird den Mann umgeben.“ Jer. 31,22. Zunächst wird das bildlich für Israel gesagt. Gott, der Sich hier als Mann bezeichnet, liebt und sucht Sein Volk, das Er zu Seinem Weib machen will. Aber die Menschheit hat sich lange ihrem Schöpfer versagt. Doch es kommt der Tag, da erst Israel und dann die Völker von sich aus ihren himmlischen Bräutigam suchen werden. Das wird etwas Neues sein auf Erden. 

„Alsdann will Ich den Völkern reine Lippen geben, daß sie alle sollen des Herrn Namen anrufen und Ihm einträchtig dienen. Man wird Mir Meine Anbeter, Mein zerstreutes Volk, von jenseits des Wassers im Mohrenland herbeibringen zum Geschenk.“ Zeph. 3, 9-10.

2. Dann werden die Allerverhärtesten verstehen.

„Zu derselben Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buchs, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen
. . . Der Sehenden Augen werden sich nicht blenden lassen, und die Ohren der Zuhörer werden aufmerken, und die Unvorsichtigen werden Klugheit lernen, und der Stammelnden Zunge wird fertig und reinlich reden. (Welcher Unterschied zum heutigen Zustand der Herzen! Wieviele Diener Gottes wünschten sich heute schon Zuhörer
mit einem solchen Verständnis und Zeugenmut!) . . . Du sollst öffnen die Augen der Blinden und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen, und die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker . . . Die Blinden will Ich auf dem Wege leiten, den sie nicht wissen; Ich will sie führen auf den Steigen, die sie nicht kennen; Ich will die Finsternis vor ihnen her zum Licht machen und das Höckerichte zur Ebene.“ Jes. 29,18; 32,3-4; 42,7.16.


3. Die Gesamtheit der Völker wird sich zum Herrn bekehren.

„Er wird herrschen von einem Meer bis ans andere und von dem Strom an bis zu der Welt Enden. Vor Ihm werden sich neigen die in der Wüste und Seine Feinde werden Staub lecken. Die Könige zu Tharsis und auf den Inseln werden Geschenke bringen; die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen. Alle Könige werden Ihn anbeten; alle Heiden werden Ihm dienen. Ps. 72,8-11.

„Und es wird geschehen zu der Zeit, daß die Wurzel Isai, die dasteht zum Panier den Völkern, nach der werden die Heiden fragen. Jes. 11,10.

„Und die Fremden, die sich zum Herrn getan haben, daß sie Ihm dienen . . . die will Ich zu Meinem heiligen Berge bringen und will sie erfreuen in Meinem Bethause, . . . denn Mein Haus wird heißen ein Bethaus allen Völkern. Der Herr Herr, der die Verstoßenen aus Israel sammelt, spricht: Ich will noch mehr zu dem Haufen derer, die versammelt sind, sammeln . . . Und alles Fleisch wird einen Neumond nach dem andern und einen Sabbat nach dem andern
kommen, anzubeten vor Mir, spricht der Herr.“ Jes. 56,6-8; 66,23.
Zum Unglück bedeutet diese allgemeine Bekehrung der Völker nicht, daß sich alle bis auf den letzten Mann Gott ergeben werden. Es bleibt eine unselige Minderheit, die sich nur äußerlich Seiner Macht beugt. Aber verglichen mit der heutigen Lage, wird es doch ein ungeheurer Fortschritt sein. Heute ist die große Masse unwissend, gleichgültig oder feindselig eingestellt, und nur eine kleine Zahl von Gläubigen kennt den Herrn Jesus. Dann aber wird es umgekehrt sein: Die Gesamtheit der Völker wird dem Herrn mit Freuden dienen, die letzten Widerspenstigen aber werden die Minderheit bilden. Man wird nicht mehr mühsam nach einigen Bekehrten suchen müssen: von selbst werden die Menschen herbei eilen und sich um das Evangelium scharen.


4. Alle Völker werden zur Anbetung nach Jerusalem kommen.

„Weiter werden noch kommen viele Völker und vieler Städte Bürger; und werden die Bürger einer Stadt gehen zur andern und sagen: Laßt uns gehen, zu bitten vor dem Herrn und zu suchen den Herrn Z baoth . . . zu bitten vor dem Herrn (in Jerusalem, Jer. 3,17) . . . Zu der Zeit werden zehn Männer aus allerlei Sprachen der Heiden einen jüdischen Mann bei dem Zipfel ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir hören, daß Gott mit euch ist.“ Sach. 8,20-23 (s. auch 14,16; Jer. 3,17; Micha 4,1-2). Das bedeutet nicht, daß man an keinem anderen Ort mehr den allgegenwärtigen Herrn anbeten kann. Aber Jesus Christus wird Seinen Thron in Jerusalem haben, und diese Stadt wird in der Weltregierung an die Stelle aller unserer Hauptstädte getreten sein. Es wird also ganz normal sein, daß die Vertreter aller Völker der Erde regelmäßig zur Anbetung und zum Zeugnis ihrer Ergebenheit dort erscheinen.


IV. Endlich wird die Erde voll der Erkenntnis des Herrn sein.

Wenn Israel wiederhergestellt und die Völker für Jesus Christus gewonnen sind, dann erfüllen sich die Worte Jesajas: „Das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt.“ 11,9. „Mir sollen sich alle Kniee beugen und alle Zungen schwören und sagen: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.“ 45, 23-24. Ist die Herrschaft Gottes endlich auf Erden aufgerichtet, so sollen „in dem Namen Jesu sich beugen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden . . . sind.“ Phil. 2, 10.

8. Kapitel


Die Schatten des Millenniums


So schön das Millennium auch sein mag, der Himmel ist es doch noch nicht. Wenn der Herr auch der Erde eine Ära unsagbarer Wonne gewährt, wird Er trotzdem die innere Freiheit eines jeden achten. Und die Entartung der Menschennatur ist ,o groß, daß es ihr gelingen wird, dem bezaubernden Bild, das die Propheten für uns gemalt, einige dunkle Striche hinzuzufügen.

I. Im Millennium wird die Sünde noch möglich sein.

Die Propheten machen einige Andeutungen darüber. Der Herr wird „mit dem Odem Seiner Lippen den Gottlosen töten.” Jes. 11,4. Es sollen „die Sünder hundert Jahre alt verflucht werden.” 65,10. Manche Familien und Geschlechter werden sich weigern, nach Jerusalem zur Anbetung zu kommen. Sach. 14,17. Solche Handlungen werden umso unverzeihlicher sein, als der Versucher abwesend und die Offenbarung Gottes viel größer sein wird.

II. Der Tod wird, obwohl selten, in gewissen Fällen eintreten.

Wir lasen oben, daß der Herr mit dem Odem Seiner Lippen (Seinem Wort) die Bösen töten wird. Wer mit hundert Jahren stirbt, wird jung sein, und der Fluch trifft einen Sünder, der hundertjährig ist. Jes. 1 1,4; 65,20.

Jesaja lehrt uns zugleich, daß die Lebensdauer, wie zur Zeit der Patriarchen, wesentlich verlängert wird. In einem Reich, das nur tausend Jahre währt, wird daher der Tod eine Seltenheit sein (Methusalah lebte 969 Jahre! 1. Mos. 5,27). Er wird aber die hartnäckigen Sünder treffen, denen der Herr hundert Jahre Zeit gelassen hat, sich aufrichtig zu Ihm zu kehren.
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III. Der Herr wird mit eisernem Stabe regieren.

Im Millennium wird der Herr ein autoritäres Regime, eine Theokratie, einführen. Durch Jahrtausende hat sich die Menschheit einer totalen Freiheit unwürdig erwiesen. Solange Gott nur Langmut übte, wählten die Völker stets den Weg der Ungerechtigkeit und des Krieges. Um endlich der Erde Gerechtigkeit und Freude zu bringen, wird der Herr selbst die Zügel der Regierung wiede r in die Hand nehmen (Offb. 11, 15.17) und die Erde zwingen müssen, sich unter Sein Gesetz zu beugen. Wer den Gehorsam verweigert, wird streng bestraft werden (Wir verweisen auf die bereits zitierten Worte in Ps. 2, 8-12; Jes.11,4; 65,20; Offb. 19,15).
Die so Betroffenen sollen allen als Warnung dienen, die in Versuchung sind, ihnen nachzuahmen. „Sie werden hinausgehen und schauen die Leichname der Leute, die an Mir übel gehandelt haben; denn ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen, und werden allem Fleisch ein Greuel sein.“ Jes. 66,24.

Auch die werden zur Ordnung gerufen, die sich weigern, nach Jerusalem zu kommen, um sich Gott zu unterwerfen: „Es wird über sie auch nicht regnen. Das wird die Plage sein, womit der Herr plagen wird alle Heiden, die nicht heraufkommen, zu halten das Laubhüttenfest.“ Sach. 14,17-19.

Wagen wir es ja nicht, die Untertanen dieses autoritären Reiches zu bedauern! Mißbrauchte Freiheit führt zur Anarchie und zum Tode. Und wie gesagt, dieses durch die Schwachheit der menschlichen Natur bedingte Regime wird das einzige Mittel sein, allen Menschen, die guten Willens sind, ein volles, dauerndes Glück zu sichern.


IV. Das Millennium wird einen unfaßlichen Ausgang nehmen.


1. Am Ende der tausend Jahre wird Satan für kurze Zeit losgelassen.

Er ward in den Abgrund geworfen und verschlossen worden, „daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre; und darnach muß er loswerden eine kleine Zeit . . . Und wenn tausend Jahre vollendet sind, wird der Satanas los werden aus seinem Gefängnis und wird ausgehen, zu verführen
die Heiden an den vier Enden der Erde, den Gog und Magog, sie zu versammeln zum Streit.“ Offb. 20, 3.7-8.
Zunächst könnte es befremden, daß Satan wieder in Freiheit gesetzt wird, da doch seine Entfernung zur Entfaltung des Millenniums so nötig gewesen war. Wird Gott Sein Werk durch den Feind verderben lassen? Denken wir aber darüber nach, so werden wir es verstehen, weshalb Satan für kurze Zeit losgelassen werden muß. Tausend Jahre wurden die Völker einer wunderbaren, aber autoritären Regierung unterworfen. Alle mußten sich dem „eisernen Stab“ Christi beugen. Nach vielen – bereits angeführten – Stellen zu schließen, nahm glücklicherweise die Mehrheit der Menschen dieses Joch mit Freuden an. Aber die Schrift gibt zu verstehen, daß einzelne wenige es nur widerwillig ertrugen. Diese haben sich äußerlich gebeugt (um nicht vernichtet zu werden), in ihren Herzen aber hat die Auflehnung unter der Asche geschwelt.
Nun kommt der Augenblick, der eines jeden Schicksal endgültig besiegelt. Gott, der die geheimsten Gedanken kennt, könnte sehr gut diese Seiner Gnade widerstrebenden Herzen der Hölle überantworten. Aber würden solche Menschen dann nicht leicht sagen: „Herr, womit haben wir eine solche Strafe verdient? Haben wir uns nicht gebeugt wie die anderen und immer gehorcht?“ Um ihnen jeden Vorwand zu solcher Rede zu nehmen und ihnen Gelegenheit zu geben, die Tiefen ihres bösen Herzens zu offenbaren, wird Gott ihre Versuchung zulassen.
Vergessen wir übrigens nicht, daß für das Geschöpf die Versuchung gleichsam das Lösegeld für die Freiheit ist. Gott will keine .Sklaven zu Dienern haben, sondern Wesen, die aus freiem Willen Ihn lieben und Ihm gehorchen. Alle Seine mit einem Willen begabten Geschöpfe wurden in Versuchung geführt: die Engel im Himmel, Adam und
Eva im Paradies und alle Menschen aller Zeiten; es ging sogar unser göttlicher Heiland zur Zeit, da Er im Fleische war, darauf ein, wie wir in allen Dingen versucht zu werden. Gott wollte aus dem ersten Paradies keinen goldenen, aber zugesperrten Käfig machen; so möchte Er auch, daß die Untertanen des Millenniums wenigstens einmal die Möglichkeit haben, ihren Willen offen und ohne jeden Zwang kundzutun. Natürlich bleibt dem Teufel, sobald er wieder frei ist, nur das eine übrig: die Völker gegen Gott und die Seinen aufzustacheln. Er ist ein Lügner und Mörder von Anfang und bleibt es bis zum Ende.

2. Eine Menge, zahlreich wie der Sand am Meer, wird der Versuchung unterliegen.

„Er wird ausgehen, zu verführen die Heiden an den vier Enden der Erde, Gog und Magog, . . . welcher Zahl ist wie der Sand am Meer.” Offb. 20,8. Das ist die Tatsache, die uns am meisten bedrückt. Wir verstehen schließlich, daß der Teufel kurze Zeit losgelassen werden muß. Aber es übersteigt unseren Verstand, daß nach all den Herrlichkeiten und Wonnen des Millenniums der Teufel eine Menge, so zahlreich wie der Sand am Meer, finden soll, die ihm ins Garn geht. Jedenfalls können wir, nach dem, was uns die Propheten über die Bekehrung der Völker gesagt haben, kaum glauben, daß diese Empörer die Mehrheit der Menschen vorstellen werden. Doch wird sich die Menschheit während der tausendjährigen Ausschaltung von Krieg, Leiden und sogar Tod ungeheuer vermehrt haben. Die Fruchtbarmachung selbst der Wüsten und der durchweg gesegnete Boden werden der Erde den Unterhalt
dieser riesigen Bevölkerung ermöglicht haben. Folglich können noch ungeheure Scharen übrig sein, die Gott treu geblieben sind, auch wenn die Empörer so zahlreich sind wie der Sand am Meer.

Wie dem auch sei, allein die Tatsache des Erfolgs der Revolte genügt, um uns jede Illusion über den Wert der menschlichen Natur zu nehmen. Welche Undankbarkeit und welche Verblendung! Nach tausendjährigem Genuß aller Gaben des Himmels und aller Freuden der Erde den Satan Gott vorzuziehen, das ist wahrlich der Gipfel der Torheit und der Schuld! Man versteht, daß für solche Menschen nach all dem nur noch die Hölle übrigbleibt. Sie gleichen Kindern einer frommen Familie, die, widerwillig in der Atmosphäre des Glaubens erzogen, diese so satt haben, daß sie alles über Bord werfen, sobald sie frei sind. Sie wurden mit Wohltaten überhäuft und durch die väterliche Autorität vor Versuchungen bewahrt; doch sobald sie sich dieser entziehen können, stürzen sie sich in die Sünde. Damit wird der erdrückende Beweis erbracht, daß „das Fleisch“ (d.h. die menschliche Natur) sich trotz der tausend Jahre des Segens nicht verändert hat. Diese letzte Revolte wird im Gegenteil die ganze Gefahr des Hochmuts, der Lauheit, der fleischlichen Sicherheit aufzeigen, die eine lange Ära zeitlichen und geistlichen Wohlseins ohne Leiden und ohne Versuchungen vom Teufel her in sich birgt. Wahrlich, alle Zeitalter der Menschheit haben ein trauriges Ende genommen, und wie könnte es mit dem letzten anders sein! So können sich die Menschen nicht ihrer herrlichen Erfolge rühmen. Alles, was im Millennium gut war, kam einzig und allein von der Gegenwart des Herrn.

3. Was bedeuten die Namen Gog und Magog?
Bei Hesekiel steht Gog im Lande Magog für den großen Feind des Nordens, der sich im Augenblick der Schlacht von Harmagedon auf Palästina zuwälzt. 39,1-2. In der Offenbarung (20,8) werden die Namen Gog und Magog, in Erinnerung an den Aufruhr, der die große Trübsal beschloß, auf die bezogen, die sich von allen Enden der Erde (nicht nur vom Norden her) in den letzten Angriff hineinziehen lassen.

4. Der Angriff wird gegen die Heiligen und gegen Jerusalem gerichtet sein.
Noch einmal, aber zum letztenmal, wird sich die Wut der Feinde auf die Gläubigen und auf die Stadt des großen Königs stürzen: „Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt (zweifellos Jerusalem)“. Offb. 20,9. Diese Taktik kennt man. Da der aus dem Himmel gestürzte Satan nicht an Gott heran kann, wirft er sich auf Seine Vertreter auf Erden. Tausend Jahre war Jerusalem der Thron und das Heiligtum des Herrn. Kein Wunder, daß Satan das Herz des verhaßten Reiches zu treffen sucht! Aber diesmal ist der Aufruhr von kurzer Dauer.

5. Ein vernichtendes Gericht sichert den Sieg des Herrn.
„Und es fiel Feuer aus dem Himmel und verzehrte sie. Und der Teufel, der sie verführte, ward geworfen in den feurigen Pfuhl und Schwefel, da auch das Tier und der falsche Prophet war; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Offb. 20,9.10.

Gott hat Satan nur für „eine kleine Zeit” losgelassen. Sobald die Versuchung das Innerste der Herzen enthüllt und es jedem erlaubt hat, sich unter das Banner seiner Wahl zu stellen, wird die Revolte sofort im Keim erstickt. Die Empörer werden durch Feuer vom Himmel verzehrt, und der Verführer wird in die Hölle geworfen, wo er auf ewig gequält werden wird. Welche Erleichterung, zu denken, daß es danach in alle Ewigkeit keinen Aufruhr mehr gegen den Willen Gottes geben wird!

V. Schlußfolgerung.
Nach der langen Sündennacht kommt die allerdunkelste Stunde der großen Trübsal (die Stunde vor Tagesanbruch ist die dunkelste und kälteste). Dann bricht das strahlende Morgenrot des Millenniums an, wenn die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht und der Welt Heil unter ihren Flügeln bringt. Mal. 4,2 (bez. 3,20). Zuletzt versinkt der herrliche Tag der messianischen Ara in den Schatten der kurzen Endrevolte, gerade in dem Augenblick, da für die einen die ewige Höllennacht, für die anderen der ewige Himmelstag beginnt.

Wir wollen aber dem Aufruhr nach dem Millennium keine Bedeutung beilegen, die er nicht in der Schrift hat. Und vergessen wir nicht, daß die Menschheit, abgesehen von diesen kurzen Augenblicken, tausend Jahre eines goldenen Zeitalters vor sich hat. Wir, die Gläubigen, sind die Bevorzugtesten der Menschen. Denn wir allein sehen für die Welt und für uns einer frohen Zukunft entgegen. Alle menschlichen Systeme, die politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen, haben versagt und werden immer versagen. Wir aber haben eine untrügliche Hoffnung: das Kommen des Herrn ist so gewiß wie der Anbruch der Morgenröte (Hos. 6,3), und Sein herrliches Reich wird alles edle Verlangen erfüllen, das Gott selbst ins Menschenherz gelegt hat.

Da wir nun diese Botschaft kennen, würden wir eine große Schuld auf uns laden, wollten wir sie nicht um uns her verbreiten. In der ganzen Welt hören wir die politischen Parteien in unerschütterlichem Glauben Ideale verkünden, die ohne Gottes Kraft sind und darum nie verwirklicht werden können. Warum sollten wir nicht die einzige Lösung von den Dächern schreien, die jemals in der Praxis eine Antwort auf alle individuellen, sozialen, nationalen und internationalen Bestrebungen geben kann? Eines Tages werden wir Rechenschaft ablegen müssen über das uns für uns selbst und für andere anvertraute Licht.

Eine letzte Frage, bevor wir dieses Thema verlassen: Sind wir sicher, daß wir am Millennium teilhaben werden? Dazu müßten wir entweder mit der Gemeinde entrückt werden, um an der ersten Auferstehung teilzuhaben, oder zur Rechten des Weltenrichters stehen, um von Ihm die trostreichen Worte zu vernehmen: ,,Kommet her, ihr Gesegneten Meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ Matt. 25 ,34.

Möchten wir doch auf die eine oder andere Weise bei dieser herrlichen Begegnung dabei sein!

 

Separat eingestellt von Horst Koch, Herborn, im November 2023.
Aus dem Buch DIE WIEDERKUNFT JESU von René Pache, um den Haupbeitrag nicht zu groß sein zu lassen.

info@horst-koch.de

 

 

 

 

 

 




Der Falsche Prophet (R.Pache)

Dr. René Pache

DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI


Als Auszug die Seiten 155 bis 161



Der falsche Prophet


I. Die Person des falschen Propheten.

Dem Antichristen zur Seite stellt die biblische Prophetie eine Person , die ihm sozusagen als religiöser Premierminister hilft (wie Aaron dem Mose, wenn man so sagen darf). Jesus hat öfters das Kommen falscher
Propheten wie auch falscher Christi angekündigt. Matt. 24,5. 11.24 usw. In dem Augenblick, da der letzte und größte Antichrist auftritt, wird zugleich auch der schlimmste falsche Prophet auftauchen. Es scheint sicher, daß dieser ein Mensch von Fleisch und Blut sein wird, genau wie der Antichrist. Und wie sein Komplize wird er lebend in den feurigen Pfuhl und Schwefel geworfen und von Ewigkeit zu Ewigkeit gequält werden. Offb. 19,20; 20, 10.


ll. Das zweite Tier von Offenbarung 13 stellt sicher den falschen
 Propheten und nicht den Antichristen dar.


Besonders in Offb. 13, 11-17 wird uns der falsche Prophet in der Gestalt eines anderen Tieres mit den Hörnern eines Lammes und der Stimme eines Drachen beschrieben. Manche Ausleger meinten, in dieser Beschreibung den Antichristen, nicht den falschen Propheten sehen zu müssen. Die Hauptschuld an diesem Irrtum tragen die beiden Hörner des Lammes von V. 11. Da die Offenbarung Christus das Lamm nennt, meinte man, das zweite Tier mit den Lammeshörnern wäre der falsche Christus, der sich so tarnt, um die Menschen besser täuschen zu können.
Aber aus folgenden Gründen glauben wir, daß dem nicht so ist:


1. Das andere Tier wird tatsächlich der „falsche Prophet“ genannt. Offb. 16, 13; 19,20; 20,10.


2. Das erste Tier von Offb. 13,1-10 wird nur „das Tier“ genannt.


Im vorigen Kapitel sahen wir, daß dieses zweifellos dem Antichristen entspricht, wie die Bibel es sonst nennt. Eine Tabelle soll uns die R olle vergleichen, die einerseits die anderen Propheten dem Antichristen, andererseits Johannes dem Tier in Offb. 13,1-10 zuschreiben:


Der Antichrist


a ) Sein Kommen geschieht durch die Macht Satans. 2. Thess. 2,9.
b ) Er hat ein Maul, das große Dinge redet und den Allerhöchsten lästert. Dan.7,8.


c ) Er erhebt sich über alle Götter. Dan. 11. Er gibt sich für Gott aus. 2. Thess. 2,4.
d) Er ist des Reiches Haupt, das die ganze Erde beherrscht. Dan. 7,7 -8. 23.
e ) Er streitet wider die Heiligen und behält den Sieg über sie. Dan. 7,21. 25.
f ) Er hat Handlungsfreiheit für eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit, d.h. dreieinhalb
Jahre. Dan. 7,25; 9,27.


Das Tier von Offb. 13, 1-10.
a) Der Drache gibt ihm seine Kraft, seinen Stuhl und große Macht. Offb.13,2.
b) Es hat einen Mund, zu reden große Dinge und Lästerungen gegen Gott.V. 5-6.
c) Es läßt sich von allen Erdbewohnern anbeten. V. 4. 8.
d) Es wird ihm Macht gegeben über alle Geschlechter . . . und alle Völker. V. 7.
e) Es wird ihm gegeben, zu streiten mit den Heiligen und sie zu überwinden. V. 7.
f) Es wird ihm gegeben, zweiundvierzig Monate zu wirken, d h. dreieinhalb Jahre. V. 5.


Dieser einfache Vergleich beweist, daß das Tier von Offb. 13,1-10 identisch ist mit dem Antichristen. Da dieser Punkt wohl erledigt ist, wollen wir untersuchen, inwiefern das zweite Tier von Offb. 13,1-10 den falschen Propheten darstellt.


III. Wissen wir etwas über den Ursprung des falschen Propheten?

Johannes beschreibt ihn als ein Tier, das aus der Erde aufsteigt, während der Antichrist aus dem Meere steigt. Offb. 13,11 und
1. Die großen Wasser sind, wie der Apostel erklärt, “Völker und Scharen und Heiden und Sprachen” 17,1. 15. Aus diesem Bild  schloß man, daß der Antichrist mitten aus den Völkern und Nationen auftauchen wird, 
wenn sie von den letzten Zuckungen der Geschichte erschüttert sind. Aus einer solchen Masse steigen ja meist die  Diktatoren empor.

2. Was bedeutet dann die „Erde”, aus der der falsche Prophet steigt? 
Manche meinen, es sei das jüdische Volk, dem er entstamme, während das Meer die Völker darstelle. Man hat auch folgende Erklärung gefunden: Das ewig ruhelose Meer versinnbildliche die von Revolutionen aufgepeitschte politische Welt; die Erde sei die auf etwas festerer Grundlage gebaute religiöse Welt.
Diese Deutungen mögen interessant sein, lassen aber noch Fragen offen.


IV. Was bedeutet die äußere Gestalt des Tiers mit den zwei Lammeshörnern und der Drachenstimme?


„Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der Erde, das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm und redete wie ein Drache.“ Offb. 13,11.

Diese Beschreibung klingt an das Wort Jesu an: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ Matt. 7,15. 16.

Der falsche Prophet wird sich also den äußeren Anschein eines Lammes geben, während er innerlich einem Drachen gleicht (in der Offenbarung ist Jesus Christus das Lamm, und der Teufel der Drache. 5,12; 12,9) Diese Person wird ein Gesandter Satans in der Maske eines Botschafters Jesu Christi sein. Er wird der vollendetste Vertreter in der Reihe derer sein, die Paulus in 2. Kor. 11,13-15 beschreibt. In seinem christlichen Anstrich wird daher der falsche Prophet weit gefährlicher sein als der schlimmste Gottesleugner. Wahrscheinlich wird er sehr salbungsvoll sein, ein hohes, geistliches Amt bekleiden und sich für den ausgeben, der allen Gläubigen der Welt Sicherung und Einheit gewährleisten will. Aber mit seinen „Drachenrede“ wird er sicherlich so lügen und betrügen wie sein Vater, der Teufel (Joh. 8,44), und die Seelen vom wahren Christus zum falschen abwenden.


V. Inwiefern kann man den falschen Propheten mit dem Heiligen Geist vergleichen?

Wir haben gesehen, welche Ähnlichkeiten und vor allem welche Gegensätze man zwischen Christus und dem Antichristen hervorheben kann. Wir wollen versuchen, eine ähnliche Parallele zwischen dem Heiligen Geist und de0m falschen Propheten zu ziehen. . . .

VI. Welche Tätigkeit wird der falsche Prophet entfalten?


1. Der falsche Prophet wir die rechte Hand des Antichristen sein.
Der Teufel weiß, daß zwei besser sind als einer. Der Antichrist wird leichter Herr der Seelen, wenn er sich ihnen nicht selbst zur Anbetung aufdrängt. Dazu wird er sich einer Hilfskraf bedienen, welche die geistigen Kräfte der abgefallenen Welt zu seinen Gunsten mobil zu machen versteht. So kann er in gewissem Abstand von der Volksmasse bleiben, wie auf einem hohen Sockel, während das Haupt der falschen, endlich geeinten Religion ihm sozusagen als Premierminister dient, indem er „alle Macht des ersten Tieres vor ihm ausübt.“ Offb. 13,12. Der
falsche Prophet wird der Propagandaminister und Schöpfer der antichristlichen Mystik sein. Offb. 13,12. Er wird alles Denken und Wissen und allen Verstand der Welt in den Dienst des Antichristen zwingen. Wir haben es erst erlebt, welchen Erfolg eine solche Tätigkeit zeitigen kann.

Beachten wir, daß das Antichristentum keine dem Christentum opponierende, religionslose Bewegung ist. Es ist im Gegenteil eine auf eine Person konzentrierte Religion, die sich an die Stelle des Christentums setzen will. Das Antichristentum wird nicht aus der Welt, sondern aus dem Christentum selbst hervorgehen. Es ist eine Entartung der wahren Religion und zugleich das Endergebnis des modernen Heidentums. (1. Joh. 2,18) Darum wird der falsche Prophet als Haupt der abgefallenen Religion eine solch bedeutende Rolle darin spielen.


2. Er wird die Geister durch große Wunder verblüffen.
Die erzielten Erfolge werden um so überwältigender sein, als zu der klug organisierten Massenpsychose und- umgarnung auch wirkliche Wunder hinzukommen. „Die tödliche Wunde“ des Antichristen wird geheilt werden. Offb. 13,12. Feuer wird vor den Menschen vom Himmel fallen, V. 13, (nach der Atombombe kann man auf alles gefaßt sein). Weitere Wunder werden geschehen, vor allem das eine, daß das Bild des Tieres „belebt“ wird und daher reden kann. V.15. Man beachte, daß der Text „dem Bilde den Geist geben“ lautet, nicht, das Leben geben. Denn das Leben gehört Gott allein. Die Menschen machen schon Automaten, sog. Roboter, die sich von selbst bewegen, ja sogar solche Flugzeuge, und sie lassen die Lautsprecher in allen Sprachen sprechen. Das Wunder des falschen Propheten geht nur ein klein wenig weiter. Mitten im Frankreich des zwanzigsten Jahrhunderts wurde während des letzten Krieges (1939-45) eine Gipsfigur der Notre Dame von Boul ogne durch das ganze Land getragen, um den Frieden zu erlangen. überall auf ihrem Wege stauten sich Tausende von Anbetern. Im Triumphzug getragen, wurde sie immer bewacht und jede Nacht von Litaneien und Bittgebeten umgeben, und astronomisch große Summen wurden ihr zu Füßen geworfen. Und wie, wenn diese Statue „Geist und Rede“ gehabt hätte! Wer das erlebt hat, wird sich die zwangsläufige Wirkung vorstellen können, die das viel wunderbarere Bild des Antichristen auf die fanatischen Massen haben wird!


3. Der falsche Prophet wird furchtbare Verfolgungen veranlassen.


Eine falsche Religion kann nicht anders als ve folgen. Sie überträgt die Methoden der politischen Welt auf das religiöse Gebiet. Wenn das Evangelium die Herzen nicht ändert, dann regieren durch den Parteien – und Völkeregoismus die Unterdrückungs – und Eroberungslust. So sucht sich jede Religion, die nicht aus Jesus Christus ist, mit Feuer und Schwert durchzusetzen. „Religion“, könnte man sagen, „wie viele Verbrechen geschehen nicht in deinem Namen!“ Hat der falsche Prophet endlich die religiöse Einheit auf Erden zustande gebracht, wird er keine „Dissidenten“ dulden. Er wird tun, was jahrhundertelang Kaiser und römische Päpste getan haben: er wird allen, die den Götzendienst verweigern, das Leben unmöglich machen und sie foltern lassen. Offb. 13, 16-17. Es wird wie zur Zeit der Hugenotten in Frankreich sein, die weder kaufen noch verkaufen konnten: man verwehrte ihnen nahezu alle Ämter und Berufe, man konfiszierte ihre Güter, entriß ihnen ihre Kinder. Entgingen sie dem Scheiterhaufen, so blieb ihnen kein anderer Ausweg als das Gefängnis, die Galeeren oder die Verbannung (falls ihnen nicht die Flucht gelang). Der Fortschritt der Zivilisation schien eine Rückkehr zu solchen Greueln unmöglich zu machen. Die jüngsten Ereignisse haben uns aber solche Illusionen genommen und uns – leider – genötigt, den Weissagungen der Bibel zu glauben.


4. Der falsche Prophet wird offenbar das Haupt der großen Babylon sein.


Im nächsten Kapitel sehen wir, was die Bibel über die große Babylon lehrt. Mit diesem Namen bezeichnet Johannes die falsche Religion auf Erden, die abgefallene Kirche, die Gott am Ende der Zeit richten wird.
Er stellt eine deutlichte Beziehung zwischen dee „Babylon“ und Rom her, der Stadt der sieben Hügel und zugleich Welthauptstadt, als der Apostel schrieb. Offb. 17,9.18. Da es zuletzt nur eine Religion auf
der Erde geben soll, muß wohl der falsche Prophet ihr Haupt sein. Offb. 17 legt die Frage nahe, ob er nicht auch seinen Sitz in Rom haben wird.


VII. Welche! Ende wird der falsche Prophet nehmen?


Er und der Antichrist werden dasselbe Ende finden, denn die beiden Komplizen bleiben bis zum Ende zusammen. Nach der Schlacht von Harmagedon werden sie in den feurigen Pfuhl geworfen und von
Ewigkeit zu Ewigkeit gequält werden. Offb. 19,20; 20, 10.

VIII. Schlußfolgerung


Wir haben von Jesu Warnung vor den falschen Propheten in Schafskleidern gehört, Matt. 7 ,15-16a. Schon nehmen die falschen Propheten auf Erden überhand, wie auch die Vorläufer des Antichristen. 1. Joh. 4,1. 
In den religiösen Kreisen sind leider eine Reihe von Menschen, deren Lehre oder Wandel eine Verleugnung des Evangeliums bedeutet. Wer nicht schon jetzt die falschen Propheten zu durchschauen weiß,
läuft Gefahr, ahnungslos vom falschen Propheten mitgerissen zu werden. Der Herr schenke uns schon jetzt die Gabe, die Geister zu unterscheiden!

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im November 2023

info@horst-koch.de




Die Wiederkunft Jesu Christi (Pache)

Dr. RENÉ PACHE

DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI

 

Titel der Original-Ausgabe:

 LE RETOUR DE JESUS-CHRIST


 Übersetzt von Frau E. Wieter-Eoll, 1957

– Hier für meine HP leicht gekürzt eingestellt. Viele Textbetonungen sind auch von mir. Im November 2023. Horst Koch, Herborn
PS. Hier im ersten Teil geht es um die generelle Bedeutung von PROPHETIE; um ihre Quellen, Zeiten und Zeichen derselben usw. H. Koch –


Vorwort
Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist, denn die Zeit ist nahe: Offb. 1.3.


Mit Freuden bringen wir unsern Lesern dieses Buch, in dem wir den Versuch gemacht haben, die Weissagungen der Bibel, die sich auf die Wiederkunft Jesu Christi beziehen, systematisch zu erforschen. Dieses Studium hat uns so bereichert, daß wir unmöglich einen solchen Schatz für uns behalten könnten. Wir bitten den Herrn, tausendfach die zu segnen, die an der Hand dieses Buches das prophetische Wort lesen, hören und behalten wollen!


Die Wiederkunft Christi wird an so vielen Stellen der Bibel verkündigt (1527mal im AT und 319mal im NT), daß – nach der Geburt und dem Tod des Erlösers – für den Christen nichts von größerer Bedeutung ist. Die noch unerfüllten Weissagungen sind so zahlreich, daß wir alle in bezug auf das Jenseits (die Toten, Auferstehung, Gericht, Jüngstes Gericht, Hölle, Lohn der Gläubigen, Himmel usw.) für ein weiteres Buch (Das Jenseits) zurückstellen mußten. Im vorliegenden Band behandeln wir daher nur die Voraussagen, welche die Zukunft unsrer Erde bis zum Ende des Tausendjährigen Reichs betreffen. . . .
Zu Anfang des Buchs geben wir unsere Methode in der Auslegung der Weissagung an. Dabei möchten wir betonen, daß wir keineswegs einen Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben. Um der Klarheit unserer Ausführungen willen mußten wir, gemäß unserer eigenen Überzeugung, einen bestimmten Standpunkt einnehmen und festhalten. . .

Hüter, was dünkt dich um die Nacht?
Der Hüter spricht: Der Morgen naht – und auch die Nacht.
Jes. 21, 11-12.

Vorwort zur 6. Auflage
Seit der ersten Veröffentlichung dieses Buches im Jahre 1948 hat sich viel in der Welt ereignet.  . . .
So bildet jedes Kapitel ein Ganzes in sich, und wir meinen, die Darlegungen damit klarer gemacht zu haben . . . Doch sind wir uns vollkommen der Schwierigkeit bewußt, den buchstäblichen oder symbolischen Wert jeder Stelle, sowie die Zeitfolge bestimmter Ereignisse von vornherein festzulegen. Wie es einer gesagt hat: Die
Weissagung wandelt auf den Höhen der Geschichte, sie wirft ihr Licht nur auf die Spitzen und Gipfel der Berge. Die einzig vollständige Auslegung der Weissagung wird uns in ihrer Erfüllung gegeben werden. . . . Es ist wirklich unser Gebet, daß unsere Leser nicht von unseren Urteilen abhängig seien, sondern von der Schrift selbst und von dem allein unfehlbaren Ausleger, dem Heiligen Geist.
Als die Einwohner von Jerusalem Jesum kreuzigten, erfüllten sie damit die Worte der Propheten, die sie doch jeden Sabbat lasen. Apg. 13,27. Genau so laufen viele Namenchristen Gefahr, beim zweiten Kommen Christi gerade durch die Weissagungen verdammt zu werden, die sie lesen, ohne ihnen Beachtung zu schenken. . . . 

Vielleicht mag der eine oder andere Leser nicht mit jeder einzelnen Auslegung einig sein, aber es bleibt bei diesen Mahnworten doch der starke Eindruck, daß der Verfasser bewußt unter dem gewaltigen Ernst seines Auftrags steht, und es kann wohl keiner das Buch ohne ganz persönlichen Segen lesen.
Möge die deutsche Ausgabe dieses Buches dazu dienen, daß auch in Deutschland der Weckruf gehört werde, und daß alle Kinder Gottes sich zur wartenden Gemeinde sammeln, die sich bereit macht auf die 
Wiederkunft Jesu Christi.

E. F. Wieter-Eoll


ERSTER TEIL

Einführung

1. Kapitel
Bedeutung und Merkmale der biblischen Weissagung. 


1. Welchen Raum nimmt die Weissagung in der Bibel ein?
Unbestreitbar nimmt die Weissagung einen sehr großen Raum in der Hl. Schrift ein. Von den 39 Büchern des AT sind 17 prophetischen Inhalts, die zahlreichen Voraussagen nicht eingerechnet, die z. B. bei Mose und in den Psalmen zu finden sind. Im NT sind auch ganze Kapitel der Evangelien, viele Abschnitte der Episteln und die ganze Offenbarung der Weissagung gewidmet. Wir glauben mit Paulus, daß „alle Schrift, von Gott eingegeben, nütze ist zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt“. 2. Tim. 3, 16-17. Wollen wir wahre Christen sein, so müssen wir, ob es uns gefällt oder nicht, die ganze Botschaft der Propheten annehmen und uns zu eigen machen. Viele sog. Gläubige vernachlässigen die Weissagung, weil sie sie nicht verstehen oder gar fürchten. Aber es ist leicht erkennbar, daß ihrer geistlichen Nahrung ein wesentlicher Lebensstoff abgeht, und daß ihr Leben und Wirken der allein richtigen Orientierung entbehrt. Ihre Frömmigkeit gleicht einem Kompaß, dessen entmagnetisierte Nadel keine Richtung mehr anzeigt.

Vergessen wir nicht, daß Weissagung und Wunder zwei starke Beweisgründe bei der Verteidigung der christlichen Religion darstellen. Die Weissagung erbringt den Beweis für das übernatürliche in Worten, das Wunder dagegen in Werken. Sie beweisen damit die Allwissenheit, bzw. die Allmacht Gottes. Nur die Bibel bedient sich der Weissagung, denn sie allein ist das Wort Gottes; die anderen Religionen sind der Weissagung unfähig, da sie Irrlehren sind. Zudem zeigt uns die Prophetie Gott als Lenker der Geschichte, ein nicht geringer Trost für unsere gequälte Zeit.

II. Was sind die Hauptmerkmale der biblischen Weissagung?
An zwei berühmten Stellen erklärt der Apostel Petrus in meisterhafter Weise, was die Botschaft der Propheten ist (1. Petr. 1,10-12 und 2. Petr. 1,16.19-21).
Entnehmen wir diesen Versen die folgenden Tatsachen:

1. Das große Thema aller Propheten ist Jesus Christus. 1. Petr. 1,11.
2. Zeitraum und Umstände des zweifachen Kommens Christi werden von den Propheten angegeben. Vs.11.
3. Zwischen den Propheten des AT und des NT besteht volle Übereinstimmung. Vs.12.
4. Der Heilige Geist ist der alleinige Urheber der Weissagung. 2. Petr. 1,21.
5. Die Propheten haben selbst versucht, die ihnen aufgetragenen Weissagungen zu erforschen. Vs. 10-12.
6. Es gelüstet die Engel, in das Wunderbare hineinzuschauen, das Gott durch Seine Boten ankündigt. Vs. 12.
7. „Ihr tut wohl, daß ihr darauf (auf das prophetische Wort) achtet.“ 2. Petr. 1,19.
8. Das prophetische Wort „ist ein Licht, das scheint in einem dunklen Ort“.
9. Keine Weissagung der Schrift geschieht aus eigener Auslegung. Vs. 20-21.


III. „Der Herr, Herr tut nichts, Er offenbare denn Sein Geheimnis den Propheten, Seinen Knechten.“ Amos 3,7.

Als Jesus von Seiner Wiederkunft sprach, sagte Er zu Seinen Jüngern: ,,Ihr aber sehet euch vor! Siehe, Ich habe es euch alles zu vor gesagt!” Mk. 13,23. Diese Versicherungen geben den Weissagungen, die wir besitzen, ein ganz besonderes Gewicht. Wenn dem so ist, dürfen wir damit rechnen, in ihnen die großen Linien der Hauptereignisse zu finden, die sich bis zur Wiederkunft Christi abspielen sollen (und wir werden bald sehen, daß dies auch der Fall ist).
Schauen wir rückwärts, so erkennen wir, daß kein bedeutendes Ereignis, besonders kein großes Gericht, stattgefunden hat, ohne daß der Herr versucht hätte, die Welt, und vornehmlich die Gläubigen, darauf vorzubereiten. Dafür einige Beispiele:

1. Die Sintflut ist nicht unversehens hereingebrochen. Lange zuvor hatte Gott die Generation Noahs vor dem drohenden Strafgericht gewarnt. Und Er hatte alles zur Rettung Seines Knechtes vorbereitet. 1. Mose 6 -7.
2. Die Zerstörung Sodoms und Gomorras war auch vorhergesagt worden, und Lot wurde vom Herrn zur Flucht gedrängt, bevor es zu spät wäre. 1. Mose 18-19.
3. Als Gott die Vernichtung Ninives beschloß, beauftragte Er Jona ausdrücklich, es der ganzen Bevölkerung der Stadt kundzutun. Jona 3. Und diese Botschaft gab Ninive die Gelegenheit zur Buße und zur Errettung.
4. Die heidnischen Könige Nebukadnezar und Belsazar wurden ebenfalls zeitig von ihrem bevorstehenden Sturz unterrichtet, und die Stadt Babylon fiel erst nach eindringlicher Warnung vor ihrem kommenden Schicksal. Dan. 4-5.
5. Jerusalem, Samaria und dem ganzen Volk Israel war ihre unvermeidliche Vernichtung und Wegführung lange zuvor durch die Propheten angesagt worden. Um so größer wurde ihre Schuld, weil sie alle Warnungen Gottes mißachteten. 2. Chron. 36, 15-16. Genau so war es vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 unserer Zeitrechnung: Die Zeitgenossen Jesu wußten ganz gut, was ihnen bevorstand, und sie hatten Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten.
 Luk. 19,41-44; 21, 29-34.
Die Beispiele ließen sich häufen. Aber diese genügen, um klarzumachen, wie Gott Seine Kirche und zugleich die Welt auf das große Endgeschehen vorzubereiten sucht. Die Wiederkunft Jesu Christi und alle Begleitumstände sind mit einer solchen Überfülle von Einzelheiten vorausgesagt, daß auch der Ungelehrteste das Wesentliche zu verstehen vermag.
 Lassen wir uns diese Warnungen tief zu Herzen gehen, und gedenken wir der Ermahnung des Apostels: “Die Weissagung verachtet nicht“ 1. Thess. 5,20.


IV. Verfahren bei der Auslegung der Weissagung

1. Wörtliche und symbolische Auslegung.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Bibeltexte aufzufassen. Häufig liegt hinter der zunächst wörtlichen Bedeutung ein bildlicher oder geistlicher Sinn. Das trifft bei vielen Ereignissen in der Geschichte Israels zu, die das AT berichtet. “Solches aber widerfuhr jenen zum Vorbilde; es ist aber geschrieben uns zur Warnung.” 1. Kor. 10,11. Offensichtlich glauben die Apostel, daß die von ihnen angeführten Ereignisse sich wirklich zugetragen haben; das hindert sie aber nicht, in ihnen einen tiefen geistlichen Sinn für uns zu finden.

Hier einige aus den vielen Beispielen:



a.) Der Fels, den Mose am Horeb schlug, um das Volk zu tränken, stellte Christus dar, wie Er auf Golgatha für unser Heil geschlagen wurde. 2. Mose 17, 1-6; 1. Kor. 10,4 )
b.) Das Manna, das die Israeliten in der Wüste gegessen haben, war ein Sinnbild auf Christus, das vom Himmel gekommene, lebendige Brot. 2. Mose 16; Joh. 6, 31-35. 48-51.

c.) Das geschlachtete Osterlamm stellte Jesus dar, das Lamm Gottes, für uns geopfert. 2. Mose 12; 1. Kor. 5,7.
d.) Hagar und Sarah, die beiden Frauen Abrahams, versinnbildlichen den zweifachen Bund, den des Gesetzes und den der Gnade. Gal. 4, 22-26 usw
Auch in den Weissagungen, die sich beim ersten Kommen Christi erfüllten, finden wir oft, daß in demselben Text der wörtliche und der bildliche (oder geistliche) Sinn einander bei- oder übergeordnet sind.
Man urteile selber:

l.  Psalm 22 sagt die Leiden Christi voraus. Einige Verse sprechen in alltäglichen Ausdrücken von Dingen, die dann buchstäblich eingetroffen sind:
Christus wurde am Kreuz von Seinem Vater verlassen. Vs. 2.
Er wurde verachtet und verspottet vom Volk. Vs. 7-9.
Seine Hände und Füße wurden durchgraben. Vs. 17.
Die Soldaten teilten Seine Kleider unter sich und warfen das Los um Sein Gewand. Vs. 19.

Andere Verse dagegen bedienen sich der bildlichen (oder rein poetischen) Sprache:
Zahllose Stiere haben Mich umringt. Vs. 13.
Hunde haben Mich umgeben. Vs. 17.
Errette Meine Seele vom Schwert. Vs. 21.
Rette Mich von den Hunden, dem Löwen, Vs . 21-22.

Der Sinn dieser Bilder ist völlig klar, und er hat sich auch ganz real erfüllt.

2. Nach Jesaja 53 soll folgendes buchstäblich den Messias treffen:
Er wird von Seinem Volk verachtet und verstoßen, Vs. 3,
gestraft und gemartert, aus der Angst und dem Gericht genommen, Vs. 7-8, und
bei Gottlosen (zwei Mördern) am Kreuze getötet, Vs. 9, und

bei Reichen begraben werden. Vs. 9.

Gleichzeitig aber enthält diese Stelle folgende Bilder:
Wie ein Reis wird Er aus dürrem Erdreich emporsprießen, Vs. 2,

wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt werden, Vs. 7, und

durch Seinen Opfertod die Starken zum Raube haben. Vs. 12.

Viele andere Stellen ließen sich noch anführen. Halten wir es auf jeden Fall fest, daß wir bei der Ausdeutung der noch unerfüllten Weissagungen auf gleiche Weise vorgehen müssen. Wir werden daher:

a) zunächst die wörtliche Bedeutung, die einfachste Anwendung festzustellen suchen – und beim AT den Sinn, der zu Israel am ehesten in Beziehung steht;

b) davon ausgehend, noch einer etwa möglichen symbolischen Bedeutung forschen, einem geistlichen Sinn. Dabei wollen wir uns vom Text selber leiten lassen, oder, falls dessen Sinn dunkel, von anderen klaren Stellen über dasselbe Thema.
Es wäre in der Tat töricht, alles wörtlich nehmen zu wollen, und ebenso falsch, alles symbolisch zu deuten. Gott helfe uns bei dieser schwierigen Aufgabe und leite uns Schritt für Schritt auf dem schmalen Pfad der Wahrheit!


2. Zwei große Richtungen in der prophetischen Auslegung.
Was wir nun sagen, bezieht sich besonders auf die Art, die Offenbarung zu deuten, das Buch, das wir oft anführen werden müssen. Die meisten Ausleger dieser Prophetie nehmen einen der beiden folgenden Standpunkte ein:

a) den „historischen“ Standpunkt. Man betrachtet die Offenbarung als ein ununterbrochenes Freskengemälde der Geschichte der Kirche. Die ersten Siegel beginnen zur Zeit der Apostel, dann folgen die Trompeten und die Schalen, die uns in Etappen der Reihe nach bis zum Ende der Zeiten führen. Es scheint wohl, als schreite die sündige Menschheit unaufhaltsam dem Abgrund zu, und als entwickelten sich die Gerichte Gottes seit langem auf die Endlösung hin. Von diesem Standpunkt aus kann man allerdings in der Offenbarung und den Weissagungen Züge finden, die ein helles Licht auf gewisse, heute schon vergangene Ereignisse werfen. Aber das Ziel unseres Buches ist nicht, uns der Vergangenheit zuzuwenden, sondern den der Schrift gezeigten Zukunft der Welt. Wir ziehen daher den zweiten Standpunkt vor, ohne behaupten zu wollen, daß er immer eine andere Auffassung ausschließt.

b) den „futuristischen“ Standpunkt.
Hat es auch Teilerfüllungen der Weissagungen seit Christi Weggang gegeben, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die wichtigsten angekündigten Ereignisse noch vor uns liegen. Der allgemeine Abfall, das Offenbarwerden des Antichristen in Person, die Rückkehr der Juden nach Palästina und ihre Bekehrung, die furchtbarsten Gerichte, die Schlacht von Harmagedon, die endgültige Abrechnung, das Erscheinen des Herrn und Seine glorreiche Herrschaft, all das liegt ganz oder teilweise in der Zukunft. Und auf diese große Endlösung hin sind alle prophetischen Texte unentwegt ausgerichtet. Bengel hat gesagt, daß kein Ereignis zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft Christi diesem großen Endgeschehen an Bedeutung gleich sein wird. Darum berühren sich für die Propheten das erste und das zweite Kommen des Herrn. Wir werden uns daher bei den biblischen Weissagungen vor allem mit dem abgeben, was die Gegenwart und Zukunft betrifft. Was die Vergangenheit schon erfüllt hat, wird uns nur zuweilen als Beispiel und Bestätigung dienen.

3. Die fortschreitenden Erfüllungen der Weissagung und ihre Zeitfolge.

Zum rechten Verständnis gewisser Prophezeiungen muß man sich darüber klar sein, daß sie eine Erfüllung in fortschreitender Linie oder mehrere, in ihrer Folgenreihe sich stetig ergänzende umfassen. Z. B.:

a) In Matth. 24 und Lukas 21 erschaut Jesus offensichtlich in einem und demselben Bild zwei ähnliche, aber zeitlich weit auseinanderliegende Ereignisse:
einerseits
die Belagerung Jerusalems und die Leiden der Juden,
andererseits die letzte Belagerung der heiligen Stadt durch den Antichristen und die große Trübsal Israels. Beide Erfüllungen zusammen erschöpfen erst den Sinn der Worte Jesu.

b) In seinen Botschaften spielt der Prophet Jeremia immer wieder gleichzeitig auf die beiden Verbannungen und die beiden Wiederherstellungen Israels an. (So z.B. Jer. 25,39; 31,31-40; 32,36-44.) Die Einnahme Jerusalems durch Nebukadnezar, die babylonische Gefangenschaft, die Rückkehr mit Esra sind nur ein schwaches Vorspiel zu der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70, der weltweiten Zerstreuung der Juden und ihrer völligen Wiederherstellung bei der Wiederkunft Christi

c) Die Stellen, die sozusagen das erste und zweite Kommen des Erlösers verquicken, sind sehr zahlreich. Führen wir nur einige an:
die Geburt des Sohnes und die Herrschaft des Friedefürsten; 9,9-10;
der Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel und Seine Weltherrschaft; Mal. 3, 1-3:
die Erscheinung Johannes des Täufers und die des Herrn, der Israel im Ofen der  Trübsal bekehren wird. . . . Diese beiden Handlungen, die die gegenwärtige Heilszeit eröffnen und beschließen – und jetzt schon fast 2000 Jahre umfassen -, werden in demselben Satz erwähnt. Doch hat Jesus Seine Lesung in Nazareth folgerichtig mit dem ersten Teil des Satzes beendet. Luk.4, 17-19.

Anfänger im Studium der Weissagung sollen sich aber nicht durch solche Nebeneinanderstellungen erschrecken lassen. Erblicken wir eine Gebirgskette von weitem, so erscheinen uns vielleicht zwei Gipfel wie ein einziger. Im Weitergehen aber erkennen wir, daß ein tiefes Tal sie trennt, oder wir sehen, daß die ganze Kette in einem steten Auf und Ab sich allmählich zu ihrem höchsten Punkt erhebt.
Es war für die Juden des Alten Bundes nicht leicht, alle Weissagungen auf das erste Kommen Christi zu verstehen. Sollte nicht Jesus kommen

aus Bethlehem, Mich. 5, 1,
aus Ägypten, Hos. 11, 1,

aus Galiläa, Jes. 8,23,

nach Jerusalem, Sach. 9,9,

in den Tempel, Mal. 3,1 ?

Wie konnten sie so viele widersprechende Angaben in Einklang bringen? So ist auch die Wiederkunft des Herrn sehr vielseitig, und möglicherweise werfen wir manche Pläne zusammen. Wir werden ihre ganze Reihenfolge erst im Maße ihrer völligen Erfüllung verstehen. Weit voneinander entfernte Sterne bilden für uns eine Konstellation, die auf derselben Ebene zu liegen scheint. So ist es auch mit manchen Ereignissen der Prophetie. Die Bibel selbst scheint sie zu verquicken, wenn sie zum ersten Mal von ihnen spricht. Matthäus zeigt uns in Kap. 24 u. 25 in ein und demselben Bild die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70, die Entrückung der Gläubigen, die große Trübsal, die Errichtung des Reichs und das Endgericht, aber spätere Prophezeiungen unterscheiden diese Ereignisse ganz klar. So kündet Joh. 5, 28-29 die beiden Auferstehungen gleichzeitig an, während die Offenbarung sie um 1000 Jahre voneinander trennt (20, 4-5).

Bemühen wir uns daher, alles soweit wie möglich zu verstehen! Aber wir wollen auch warten können! Denen, die auf das prophetische Wort achten, wird im gegebenen Augenblick das erwünschte Licht geschenkt werden.


2. Kapitel



Die Botschaft von der Wiederkunft Jesu Christi.

I. Wichtigkeit der Lehre von der Wiederkunft Jesu Christi


1. Welchen Platz nimmt diese Lehre in der Schrift ein?
Die Antwort auf diese Frage gibt uns von vornherein einen Begriff von der Bedeutung, die Gott selbst ihr beimißt.
Beachten wir zu allererst, daß im AT mindestens die Hälfte der zahlreichen Weissagungen auf Jesus Christus sich auf Seine Herrlichkeit und Seine Herrschaft beziehen. Das tritt so deutlich hervor, daß die Juden und die Jünger selbst nur diesen Teil der Botschaft der Propheten in Erinnerung hatten: sie erwarteten unbedingt den Messias als den Sieger, der „das Reich Israel wieder aufrichten“ und Sein Volk von Seinen Feinden erlösen würde. Ap. 1,6; Luk. 24,21. Ihr einziger Irrtum lag darin, daß sie nicht erkannten, daß Christus nach denselben Weissagungen erst nach Seinem Leiden am Kreuz in Seiner Herrlichkeit erscheinen würde.
Was das NT betrifft, so hat man ausgerechnet, daß 319 Verse, d.h. 1 auf 25, der Wiederkunft Christi gewidmet sind. So darf man behaupten, daß wenige Lehren der Bibel die eine, die uns hier beschäftigt, an Bedeutung übertreffen.


2. Welchen Platz räumt Jesus Seiner Wiederkunft in Seiner Lehre ein?

Er hat oft und lang darüber geredet. Wir wollen hier nur folgendes anführen:

a) Seine großen endgeschichtlichen Reden in

Matth. 24 u. 25,

Markus 13,

Luk. 17 u. 21;

b) einige der Gleichnisse, die dasselbe Thema behandeln:

Unkraut und Weizen, Matth. 13,24-30 (bes. Vs. 38-43),
das Netz, Matth. 13,47-50,

die zehn Jungfrauen, Matth. 25,1-13,

die Pfunde, Luk. 19,12-27 (bes. Vs. 12: „Ein Edler zog ferne in ein Land, daß er ein Reich einnähme und dann wiederkäme“,

die getreuen und ungetreuen Knechte, Luk. 12, 35-46; Matth. 24, 45-51,

der ungetreue Richter, Luk. 18,1-8 (bes. Vs 7-8),
die verschlossene Tür, Luk. 13,23-30 usw.

Wie könnten wir also Christen sein, ohne den Voraussagen Christi zu glauben und freudig auf Seine Rückkehr zu warten?

3. Sollen wir die buchstäbliche Erfüllung der Weissagungen auf das zweite Kommen Christi erwarten?

Um das zu wissen, brauchen wir nur zu bedenken, wie buchstäblich sich die Voraussagen auf Sein erstes Kommen verwirklicht haben. Hier einige der genauesten Aussagen der Propheten:

Jesus ist von einer Jungfrau geboren, Jes. 7,14 ; Matth. 1,22-23,

aus dem Geschlechte Davids, Jes. 11,1,
in Bethlehem, Micha 5, 1; Matth. 2,4-6,

bei dieser Gelegenheit wurden die kleinen Kinder gemordet, Jer. 31, 15; Matth. 2,16-18,

das Kind Jesus wurde nach Ägypten gebracht, woher es später zurückgerufen ward, Hos. 11,1; Matth. 2,15,
Er wurde in Galiläa erzogen, Jes. 8, 23 ; Matth. 2,22-23,

Er wurde mit dem Geiste gesalbt, Jes. 11,2; Luk. 4, 17-21,

Er trug unsere Krankheit und lud auf Sich unsre Schmerzen, Jes. 53,4; Matth. 8, 16-17,

Er zog auf einem Esel reitend in Jerusalem ein, Sach. 9,9; Matth. 21,4-5,

Er wurde von einem Seiner Vertrauten verraten, Ps. 41, 10; Joh. 13,18,

Seine Jünger verließen Ihn, Sach. 13,7; Matth. 26,31,

Er wurde um 30 Silberlinge verkauft, die dann für den Töpferacker gegeben wurden, Sach. 11, 12-13; Matth. 26, 15:

Er wurde angespien und den Schlägen preisgegeben Jes. 50,6; Matth. 27,30,

Man bot Ihm Galle mit Essig zu trinken, Ps. 69,22; Matth. 27,3 4.48,

kein Bein wurde Ihm zerbrochen, 2. Mose 12,46; Joh. 19,33.

Seine Hände und Füße wurden durchgraben, Ps. 22, 17; Joh. 20,25-27,

Seine Kleider wurden verteilt und verlost , Ps. 22, 19 ; Joh. 19, 23.24,

Er mußte mit Übeltätern sterben und hatte bei Reichen Sein Grab, Jes. 53,9; Matth. 27,38. 57-60.

Da alle diese Weissagungen viele Jahrhunderte vor dem Kommen des Herrn geschrieben wurden, ist es für keinen aufrichtigen Geist möglich, darin nicht einen starken Beweis für die göttliche Inspiration der Bibel zu sehen. Und es ist klar, daß die Voraussagen auf die Wiederkunft Christi, von denselben Propheten geschrieben, auch dieselbe Vollmacht besitzen und sich ebenso wörtlich erfüllen werden. Jesus hat ausdrücklich erklärt: „Ich sage euch, bis daß Himmel und Erde zergehen, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe“; und nachdem Er Seine eigenen Weissagungen über die Endzeit ausgesprochen hatte, fügte Er hinzu: „Himmel und Erde werden vergehen; aber Meine Worte werden nicht vergehen.“ Matth. 5, 18; 24,35.
Wenn die Weissagungen der Bibel – weit davon entfernt, Träumreien oder poetische Bilder zu sein – bestimmt sind, bis ins Kleinste in Erfüllung zu gehen, wie wichtig sind sie dann doch für die Zukunft unsrer aus den Fugen geratenen Welt!


II. Weshalb muß Jesus Christus wiederkommen?
Aus allem bisher Gesagten geht deutlich hervor, daß Jesus Christus wiederkommen muß, um Sein Werk zu vollenden. Nicht als ob etwas zu der am Kreuz gebrachten Sühne für die Sünden hinzuzufügen bliebe – konnte doch Jesus mit dem Rufe verscheiden: “Es ist vollbracht!“ Aber noch sind nicht alle Absichten Gottes verwirklicht. Er hat Seinen Sohn mit Preis und Ehre gekrönt, darum, daß Er den Tod erlitten, und hat nichts gelassen, das Ihm nicht untertan sei. „Jetzt aber“, fährt der Hebräerbrief fort, „sehen wir noch nicht, daß lhm alles untertan sei.“ Nach der Himmelfahrt wollte der Herr in Seiner Gnade den Menschen und den Völkern eine lange Zeit der Freiheit lassen, in der sie Gelegenheit hätten, das Evangelium anzunehmen. Aber wenn die Zeit der göttlichen Geduld zu Ende ist, wird die Abwicklung Seines Planes ihren Lauf nehmen. Jesus Christus wird erscheinen, um auf den drei folgenden Gebieten Sein Werk zu vollenden:
1. Er wird die Seinen erlösen, Luk. 21,28;

2. Er wird die sündige Welt richten, 2. Thess. 1, 7-8;

3. Er wird Sein ewiges Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufrichten, Dan. 7,13-14.
Würde das zweite Kommen Christi nicht dieses dreifache Ergebnis bewirken, so wären wir wahrlich der Verzweiflung anheimgegeben. Die Gemeinde, die unter den Anläufen des Feindes und der Verfolgung der Welt leidet, würde niemals befreit werden. Die Ungläubigen würden unaufhörlich weitersündigen und Blut vergießen, ohne daß eine Abrechnung ihnen je Halt gebieten würde. Auf Erden würde weiterhin das Böse regieren und zunehmen, ohne jede Aussicht auf eine Ära des Friedens, der Gerechtigkeit und des wahren Glücks. Aber dem Herrn sei Dank, es wird anders kommen! Christus wird bald wiederkommen und den Willen des Vaters auf Erden wie im Himmel zur Vollendung bringen.


III. Aus welchen Gründen bereitet die Botschaft von der Wiederkunft Christi den einen tiefe Freude, den anderen Angst?

Weil sie je nach dem geistlichen Zustand des Hörers wunderbar oder erschrecklich ist.
„Hüter, ist die Nacht schier hin?“ Der Hüter aber sprach:
„Wenn der Morgen schon kommt, so wird es doch Nacht sein.“ Jes. 21, 12.

Jesus Christus wird wiederkommen um –
– der Gemeinde die Herrlichkeit,

– Israel die Wiederherstellung,

– der Welt das Gericht zu bringen.

Es ist daher sehr begreiflich, daß die Menschen Seiner Wiederkunft mit ganz verschiedenen Gefühlen entgegensehen.


1. Die Haltung der Ungläubigen.
Die Menschen, die in ihrem Unglauben und ihrer Unbußfertigkeit beharren, haben nichts Gutes von der Wiederkunft Christi zu erwarten. Sein Erscheinen als ihr Richter wird das Zeichen für eine furchtbare Abrechnung sein. Die Geduld Gottes wird zu Ende sein. Die gottlose und verderbte Kultur, die armselige Wissenschaft, die sonderlich der Vernichtung dient, werden kläglich zusammenbrechen. Unkeuschheit, Lüge und Bosheit werden endlich ihren gerechten Lohn empfangen.

Man versteht, daß die Welt sich nicht gern mit einer solchen Aussicht abgibt. Zur Selbstberuhigung sucht sie der biblischen Lehre von dem unabwendbaren Gericht und der Verdammnis eine völlig andere entgegenzustellen: sie behauptet, der Mensch sei gar nicht gefallen, sondern er stamme vom Affen ab und entwickle sich stetig aufwärts. Dank dem Fortschritt in Technik und Erziehung würde der Wohlstand zunehmen, Kriege aufhören, Glück und Frieden herrschen, und die Erde werde zum Paradiese werden. All das natürlich ohne Gott und einzig dank den Bemühungen des Menschen! Noch vor wenigen Jahren wurden diese Ideen mit einem dreisten Gleichmut gelehrt. Der Kampf auf Leben und Tod, der vor kurzem erst die „zivilisiert” genannten Völker aufeinander hetzte, spricht so laut vom Bankrott der materialisierten Welt, daß diese schöne Selbstsicherheit doch etwas erschüttert worden ist. Aber es gibt keine tauberen Menschen als die, die nicht hören wollen! Die meisten Menschen sind trotz allem überzeugt, daß sich schließlich alles wieder einrenken und daß die Menschheit mit einigen Reformen und guten Friedensverträgen von neuem ihren aufsteigenden Kurs einschlagen wird.

Die Ungläubigen sind sich des unverwischbaren Gegensatzes zwischen ihrem Zukunftsbild und dem biblischen derart bewußt, daß sie die Bibel immerzu mit Spott überschütten (zweifellos, um sich vollends beruhigen zu können). Wir wollen uns aber nicht durch solche stören lassen, die unsre Erwartung der Wiederkunft Christi ins Lächerliche ziehen, sondern der Worte des Petrus gedenken: ,,Und wisset das aufs erste, daß in den letzten Tagen kommen werden Spötter, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung Seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist. Aber aus Mutwillen wollen sie nicht wissen, daß der Himmel vor Zeiten auch war, dazu die Erde aus Wasser und im Wasser bestanden durch Gottes Wort; dennoch ward zu der Zeit die Welt durch dieselben mit der Sintflut verderbt. Also auch der Himmel, der jetzt und ist, und die Erde werden durch Sein Wort gespart, daß sie zum Feuer behalten werden auf den Tag des Gerichts und der Verdammnis der gottlosen Menschen.” 2. Petr. 3, 3-7. Wir werden noch sehen, daß der Herr, wenn Er auch verzieht, nicht weniger gewiß und sogar in Kürze kommen wird. . . .

2. Die Haltung der Juden.
Die Weissagungen schenken dem jüdischen Volk die herrlichsten Verheißungen: Sie verkünden, daß Israel nach langen Leiden nach Palästina zurückgeführt, zum Herrn bekehrt und in wunderbarer Weise wiederhergestellt wird. Die orthodoxen Juden erwarten wohl noch ihren Messias, wollen aber nicht zugeben, daß dieser Jesus Christus selbst ist. Die liberalen Juden hingegen (die zahlreich sind) glauben nicht mehr an die Propheten und sind nur noch der Rasse nach Juden; sie möchten lediglich in einem Land, das ihnen gehört, in Frieden leben. Die Botschaft von der Wiederkunft Christi läßt sie daher gleichgültig. Und doch ist nichts wichtiger und tröstlicher für Israel als die nahe Wiederkunft des Erlösers. Das jüdische Volk hat eine entsetzliche Zeit der Verfolgung durchgemacht. In zahlreichen Ländern wurde es aus geplündert, hingemetzelt oder vertrieben. Diese Leiden werden nach den Propheten so lange anhalten, bis die Juden, nach Palästina zurückgekehrt, ihre Blicke auf Den richten, „Den sie zerstochen haben“, und Ihm endlich als ihrem Messias zu jauchzen. Dann wird Jesus vom Himmel auf den Ölberg herabsteigen und sie endgültig von jeder Unterdrückung befreien. Sach. 12,10; 14,3-4. Suchen wir darum nach Möglichkeit den Israeliten, die wir kennen, die Botschaft von der Wiederkunft Christi nahezubringen, denn für sie ist diese Botschaft mehr als jede andere eine Mahnung zur Bekehrung und eine starkmachende Gewißheit.


3. Die Haltung der religiösen Welt .
Diese Haltung ist je nach der Einstellung des einzelnen sehr verschieden.

a) Gewisse Kreise meinen, wir seien jetzt im Tausendjährigen Reich, wie es die Offb. 20,1-10 beschreibt. Durch Seinen Kreuzestod hat Christus den Satan besiegt und gebunden und regiert seitdem in der Verkörperung der sichtbaren Kirche. Eines Tages kommt wohl das Ende der Welt, das mit dem Endpunkt und dem Übergang in die Ewigkeit zusammenfällt. Aber sie glauben nicht, daß Jesus zu vor kommen soll, um Seine Gemeinde zu Sich zu nehmen und 1000 Jahre mit ihr auf einer neuen Erde zu regieren. Alle diesbezüglichen Verheißungen der Schrift werden vergeistigt und auf die jetzige Zeitperiode bezogen. So bleibt die Lehre von der glorreichen Wiederkunft des Heilands verhüllt, wenn sie nicht gar als gefährlich gilt. Sie ist nicht mehr die lebendige Hoffnung solcher, die vielfach Grund haben, das jüngste Gericht zu fürchten, da ihnen oft die Heilsgewißheit abgeht.
Und doch läßt sich leicht erkennen, daß eine solche Auffassung zu zahlreichen prophetischen Stellen im Widerspruch steht. Wie kann man vor allem glauben, daß Satan 1900 Jahre gebunden liegt und abgehalten ist, die Völker zu verführen (Offb. 20,3), während er uns in der Vergangenheit wie auch jetzt tätiger denn je zu sein scheint. Wenn das wahr wäre , dann wäre die Herrschaft Gottes mehr als eine Täuschung.
b) Andere wieder haben sich von den Theorien der ungläubigen Welt über die Menschheitsentwicklung beeinflussen lassen. Für sie sind die Berichte der Genesis eine Legende und der Sündenfall ein Mythos. Die Menschheit macht immer weitere Fortschritte. Durch die Arbeit der Kirche wird die Welt immer besser. Durch rührige Verbreitung einer vor allem sozialen Religion und guter Moral werden die Gläubigen die Ursachen des Elends überwinden. Selbst Kriege wird es nicht mehr geben, sie werden unmöglich gemacht durch die gegenseitige Fühlungnahme der Kirchen, den Pazifismus und die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Hat der Sauerteig des Evangeliums den ganzen Teig zum Aufgehen gebracht, dann ist die ganze Welt christlich geworden. Durch ihre Frömmigkeit werden die Menschen Christus zum König ihrer Herzen krönen und selbst das Reich Gottes auf Erden aufrichten. Unter diesen Umständen braucht Christus garnicht leibhaftig in Seiner Herrlichkeit wiederzukommen (übrigens glaubt man nicht an Seine Auferstehung). Und die Apostel, Paulus allen voran, haben sich schweren Illusionen hingegeben, als sie glaubten, daß der Herr in Bälde wiederkehren würde. Auch alle, die nach ihnen an die nahe Wiederkunft glaubten, haben sich schwer getäuscht. Man komme doch nicht mit diesem alten Irrtum, nur weil die Lage etwas schlecht ist. Auch diesmal wird alles wieder in Ordnung kommen! Übrigens ist ja Christus an Pfingsten geistlich wiedergekommen. Er kommt auch beim Tode eines jeden Gläubigen, um dessen Seele zu Sich zu holen. Nur so darf man Seine Wiederkunft erwarten.

Es ist offensichtlich, daß eine solche Ansicht der biblischen Offenbarung nicht Rechnung trägt. Wir werden noch Gelegenheit haben, auf mehrere dieser Argumente eine Antwort zu geben.

c) Wieder andere Leute haben eine ganz orthodoxe, aber tote Lehre. Ihre Ansichten sind zwar biblisch begründet, doch haben sie sie im Kopf, ab er nicht im Herzen. Sie glauben an die ganze Bibel und wissen sehr gut, daß Christus wiederkehren wird. Aber wollt ihr ihnen etwas zuliebe tun, bitte ja nicht davon reden! Sind nicht alle, die sich mit den Weissagungen abgeben, Adventisten oder etwas ähnliches? (Genau, wie man alle, die vom Heiligen Geist reden, zu den „Pfingstlern“ rechnet.) Von der Wiederkunft Christi wissen sie nur den einen Satz aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis: „von dannen Er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Und da sie vor dem Gericht Angst haben, finden sie eine solche Lehre eher beunruhigend. O nein, sagt uns ja nicht, daß die Rückkehr des Herrn nahe sein könnte! Gewiß, Er kommt wieder, aber erst in tausend Jahren, vielleicht . . . ! Wäre das nicht wie die Haltung einer jahrelang von ihrem Bräutigam getrennten Braut, die auf die Frage, ob er bald käme, ob die Hochzeit bevorstehe, ausriefe: „Sprecht mir nur nicht davon! Nichts bringt mich mehr in Unruhe! Gewiß, er kommt wieder, ich zweifle nicht an seinem Wort! Aber vor zwanzig, vierzig Jahren kann ich nicht an seine Rückkehr denken. Was würdet ihr von der Liebe und der Treue eines solchen jungen Mädchens denken?

d) Für den Gläubigen ist nichts so wunderbar wie die Aussicht auf die Wiederkunft Christi. An dem Tag wird endlich die sehnlichst erwartete Erlösung kommen! Dann wird nicht Leid noch Sünde mehr sein. Dann werden wir mit den Erlösten aus allen Zeiten und unsern im Glauben entschlafenen Lieben in der Herrlichkeit und der Wonne die Hochzeit des Lammes feiern. Wir werden den König sehen in Seiner Schöne, verwandelt werden in Sein Bild und mit Ihm eingehen in Sein Reich.
Ja, in der verzweifelten Lage unsrer Welt sehen nur die wahrhaft Gläubigen einer trostvollen Zukunft entgegen. Denn wir haben uns bekehrt, „zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten Seines Sohns vom Himmel, welchen Er auferweckt hat von den Toten“ 1. Thess. 1 ,9-10. Wir sind „Gäste und Fremdlinge auf Erden“ und warten „auf eine Stadt, die einen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“. Hebr. 11,10.13. Darum bitten wir täglich erneut: „Dein Reich komme“, und sprechen mit dem Geist und der Braut in den Worten auf der letzten Seite der Schrift: „Amen, ja, komm, Herr Jesu!“ Offb. 22,17.20.


IV. Inwiefern ist die Botschaft von der Wiederkunft Christi aktueller denn je?

Trotz aller Gleichgültigkeit und sogar Gegnerschaft, welcher die Botschaft von der Wiederkunft Christi bei den meisten unsrer Zeitgenossen begegnet, halten wir ihre Verkündigung für dringlicher denn je. Ohne Übertreibung könnten wir sagen, daß zu keiner andern Zeit die Erde so verwirrt war wie heute. Nun ist es ganz normal, daß die Gläubigen in den schweren Zeiten, da die schlimmsten Prüfungen über die Menschen kommen, ihre Augen zum Himmel erheben, woher ihr Erlöser kommen soll. Wird der Bankrott dieser Welt zu offenbar, so erinnern sich die Christen an die Weissagungen, die ihnen eine bessere Welt verheißen. So ist periodisch in den dunklen Stunden der Geschichte die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi neu erstanden, die verzagten Herzen zu beleben. Wie sehr haben wir das heute nötig!

Aber mehr noch! Es wird ganz deutlich, daß wir uns rasch dem Ende der Welt nähern. Wir erleben den Zusammenbruch einer Kultur. Die Wissenschaft, die der Menschheit endgültiges Glück sichern sollte, hat sich als mörderisch und ohnmächtig erwiesen. Allerseits fragt man sich, ob wir ins Mittelalter zurückverfallen. Es ist aber wiederum klar, daß bestimmte Weissagungen sich erfüllen. Wie die Bibel vorausgesagt, werden die Kriege nur grauenvoller und weltumfassender. Die antireligiöse Bewegung entwickelt sich mit unerhörter Dreistigkeit. Die Juden kehren nach Palästina zurück. Mit Riesenschritten gehen wir der Weltdiktatur entgegen, die dem Antichristen vorbehalten ist. Man müßte blind sein, um nicht zu erkennen, wie erstaunlich die jetzige Lage dem Bilde der Bibel von der Endzeit gleicht. So ist es nicht verwunderlich , daß allerorts die Eschatologie (das Studium der letzten Dinge) die Geister beschäftigt. Die aufrichtigen Menschen verstehen endlich das Wort Christi: „Ohne Mich könnt ihr nichts tun“, und sie fangen an, nach Seinem Erscheinen als Heiland zu seufzen. Überall entstehen Kommentare über die Weissagungen, und die neuen Bücher über die Offenbarung lassen sich nicht zählen. . . .

V. Vor welchen Klippen müssen wir uns hüten bei unsrer Verkündigung der Wiederkehr Jesu Christi?

Ist je eine Lehre übertrieben und entstellt worden, so ist es wohl diese. Diese Tatsache beweist, nebenbei gesagt, wie sehr der Feind sie fürchtet und in Mißkredit zu bringen sucht (fast so sehr, könnte man sagen, wie die Lehre vom Heiligen Geist). Zu oft hat man das Datum der Wiederkunft Christi zum voraus festsetzen wollen, trotz der ausdrücklichen Worte der Schrift: „Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ Mk. 13, 32. . . . Jedesmal wurden solche unvorsichtigen Propheten enttäuscht, aber leider hat das andere nicht abgehalten, es wieder zu tun.

Gewisse Sekten verbreiten die weitere Irrlehre, daß Jesus Christus bereits wiedergekommen sei, 1844 nach den einen, 1914 nach den andern (die „Zeugen Jehovas“, die „Ernsten Bibelforscher“, „Wachtturm“).
Das Tausendjährige Reich hätte bereits begonnen (man würde es wirklich nicht vermuten!), da und dort tauchten Inselchen der neuen Welt auf, und die Anhänger dieser Lehre, die jetzt schon auferweckten 144.000 der Offenbarung, würden niemals den Tod schmecken. Ein Kommentar erübrigt sich.

Andere, sonst in jeder Hinsicht ernste Gläubige, haben sich auf dem Gebiet der Prophetie ungemein phantasievolle Deutungen erlaubt, die weder durch die Tatsachen, noch durch die Schrift gestützt werden. Nichts ist gefährlicher als der Versuch, Texte mit einer vorgefaßten Theorie gewaltsam in Einklang zu bringen. Will man in jedem Satz der Propheten das geringfügigste Ereignis der Gegenwart sehen, so läuft man Gefahr, mindestens alle zehn Jahre seine Deutungen revidieren zu müssen. Bleiben wir doch vor allem nüchtern und streng biblisch! Halten wir uns an die von der Schrift klar gewiesenen, großen Linien, und lassen wir die Anmaßung, alles erklären zu wollen! Gedenken wir der Warnungen der Apostel: Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kundgetan haben die Kraft und Zukunft unseres Herrn Jesu Christi . . .


VI. Welche Sonderverheißungen gelten denen, welche die Weissagungen beherzigen und auf die Wiederkunft Christi warten?
Die Offenbarung, das große Buch vom Endsieg unsres Heilands, wird von zwei Verheißungen eingerahmt:
„Selig ist, der da liest, und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darinnen geschrieben ist, denn die Zeit ist nahe“. Offb. 1 ,3.
„Siehe, Ich komme bald. Selig ist, der da hält die Worte der Weissagung in diesem Buch!“ Offb. 22,7.

Paulus schreibt an Timotheus: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, nicht mir aber allein, sondern auch allen, die Seine Erscheinung lieb haben.“ 2.Tim. 4,7-8. . . .
In den wenigen obigen Versen heißt also viermal der Herr die selig, die gemäß der Schrift auf Seine Rückkehr warten. Er verheißt, daß die Verständigen im gegebenen Augenblick sogar die bis dahin versiegelten Stellen verstehen werden, und Er bewahrt die Krone der Gerechtigkeit für alle, die Seine Erscheinung liebgehabt haben. Wollen wir in Wirklichkeit zu diesen gehören?

Zweiter Teil

Der Gegenstand der Verheißung


1. Kapitel

Jesus Christus, unsere Hoffnung

Die Welt sieht meist in der Wiederkunft Jesu Christi ein schreckliches Ereignis, das mit den furchtbaren Endgerichten in Verbindung steht. Von ihrem Standpunkt aus haben diese Leute nur zu sehr recht, wie wir gesehen haben. Aber ganz anders steht es bei der Kirche Christi. Für sie gibt es keine freudigere Aussicht als das Kommen ihres himmlischen Bräutigams. Mögen hier einige Texte zeigen, wie sehr diese Hoffnung für die Kinder Gottes zugleich als Trost und als Ansporn wirkt.

I. Der, auf den wir warten
Die wahren Gläubigen erwarten nicht das Ende der Welt, noch die Gerichte, nicht einmal die Entrückung der Gemeinde mit den herrlichen Vorrechten, die sie mit sich bringt. Der Gegenstand ihrer Hoffnung ist der Heiland selbst, Er, den Paulus mit Recht „Jesus Christus, unsere Hoffnung“ nennt. 1. Tim. 1,1. In Ihm haben wir alles vollkommen, denn „in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“. Kol. 2, 9-10. Nicht seine Gaben sind uns das Wichtige, sondern Sein Leben, Seine Gegenwart, Seine Person. Das Kommen Jesu wird die Antwort auf all unser Sehnen, die Lösung all unserer Probleme sein. Mit Ihm auf ewig vereint werden wir in Sein Bild verwandelt sein. „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, Sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit“ Kol. 3, 3-4.


II. Die einzige Hoffnung der Gemeinde
Erwarten wir den Sohn Gottes in Person, so gibt es für uns keine andere Hoffnung nebenher: „Ihr seid berufen auf einerlei Hoffnung eurer Berufung.“ Eph. 4 ,4. Wohl ist die Zukunft dunkel, menschlich gesehen. Aber die Gläubigen erwarten die Besserung ihrer Lage oder den Sieg ihrer Sache nicht von menschlichen Anstrengungen. Der gute Wille der Völker, Friedensverträge, politische Gruppierungen, Wissenschaft, Kultur, Moral, Evangelisation der Welt, der Einfluß der Kirchen, irgendein Übermensch, der auftreten und die Massen mit sich reißen könnte – nichts von all dem stellt die Hoffnung der Getreuen dar. Wir haben nur die eine Hoffnung auf Erden: das Kommen des Herrn. . . .


III. Die drei Erscheinungen Jesu Christi

Eine Stelle im Hebräerbrief wirft ein auffallendes Licht auf die Wiederkunft unseres Erlösers:


a) Sein erstes Kommen auf Erden: „Er ist einmal erschienen, um durch Sein Opfer die Sünde aufzuheben.“ 9,26.
b) Sein Erscheinen im Himmel: „Er ist eingegangen in den Himmel selbst, nun zu erscheinen vor dem Angesichte Gottes für uns.“ Vs. 24.


c) Sein zweites Erscheinen auf der Erde: „Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden; zum andern Mal wird Er ohne Sünde erscheinen denen, die auf Ihn warten zur Seligkeit.“ Vs. 28.

Der Verfasser des Hebräerbriefes bezieht sich auf Vorgänge im Alten Bund am großen Versöhnungstag. An dem Tag vollzog der Hohepriester folgende drei Handlungen:



1. Er opferte vor der Stiftshütte das Sühnopfer für das ganze Volk.

2. Er ging hinein in das Allerheiligste, um für die Sünder vor Gott zu erscheinen; er trug mit sich das vergossene Blut als Beweis dafür, daß dem Gesetz Genüge getan war (der Tod ist der Sünde Sold, Röm. 6 ,23) , und daß an Stelle der Schuldigen ein anderes Leben geopfert worden war.

3. Nachdem er die Vergebung für alle Übertretungen erlangt hatte, trat er wieder aus dem Heiligtum heraus, und, auf der Schwelle stehend, hob er die Hände, das Volk zu segnen.

Die vor dem Brandopferaltar versammelte, bußfertige Menge sah mit Zittern den Hohenpriester in die Gegenwart des dreimal heiligen Gottes eintreten, und während seiner Abwesenheit verharrte sie, angstvoll zu Boden gebeugt, im Gebet. Aber wenn er erschien und durch den Segen bezeugte, daß ihnen das Heil erworben war, brach das Volk in Jubelrufe und Lobpreisungen aus.

So sahen auch die Gläubigen den Herrn nach Seinem großen Opfer am Kreuz mit Seinem eigenen Blut in den Himmel selbst eingehen, nachdem Er eine ewige Erlösung erfunden. Hebr. 9, 12. Solange Er abwesend ist, besitzen wir nicht das völlige Heil. Unsere Nöte gehen weiter und leider oft auch unsere Niederlagen, während der Feind einen unbarmherzigen Kampf gegen uns führt. Laßt uns aber Mut fassen: bald werden wir in Lieder der Wonne und der Anbetung ausbrechen, wenn Jesus wieder aus dem himmlischen Heiligtum heraustreten und uns völlig und endgültig erlösen wird!

IV. Die Hoffnung auf das ewige Leben
Da Christus zu unserer Seligkeit wiederkommen wird, kann Paulus wohl sagen, daß wir in der Wartezeit nur in Hoffnung selig werden: „Wir selbst , die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unseres Leibes Erlösung. Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung.“ Röm. 8,23-24.

Sicher haben die aufrichtig Gläubigen schon hienieden durch den Heiligen Geist die Gewißheit des ewigen Lebens und der Gotteskindschaft. 1. Joh. 5, 13; Röm. 8, 16. Sie wissen, daß schon jetzt nichts Verdammliches ist an denen, die in Christo Jesu sind , und daß nichts sie zu scheiden vermag von der Liebe Gottes. Röm. 8, 1.38-39. Aber was wir hier auch empfangen und erleben dürfen, ist nur ein Angeld auf die ewige Erlösung, eine Erstlingsgabe des Heiligen Geistes, das Pfand unseres himmlischen Erbteils. 2. Kor. 1,21-22; Eph. 1, 13-14. . . .  Eine solche Hoffnung, auf ähnliche Verheißungen gegründet, wird zu einer wunderbaren Gewißheit. Selig sind , die sie besitzen!

V. Die dreifache Äußerung des christlichen Lebens
Paulus schreibt an die Thessalonicher: „Sie verkündigen . . . wie

a) ihr bekehret seid zu Gott von den Abgöttern,

b) zu dienen dem lebendigen und wahren Gott
c) und zu warten Seines Sohnes vom Himmel, welchen Er auferweckt hat von den Toten, Jesum, der uns von dem zukünftigen Zorn erlöst“. 1. Thess. 1,9-10. . . .


VI. Der Anker der Seele

„Die Hoffnung, welche wir haben als einen festen Anker unserer Seele, der auch hineingeht in das Inwendige des Vorhangs, dahin der Vorläufer für uns eingegangen, Jesus . . .“

Jedes Schiff, das nicht fest verankert ist, mag noch so nahe am Ufer sein, vom Sturm gepeitscht, treibt es ab und zerschellt. Wem der feste und sichere Anker der Hoffnung auf die Wiederkehr Christi fehlt, ist jedem Unwetter hienieden ausgeliefert. . . .  Sind wir dagegen bei Gott für die Geduld unserer Hoffnung bekannt, so bleiben wir unerschüttert im Hafen bewahrt.

VII. Die christliche Hoffnung ist das Ergebnis von Glaube und Zeugnis.
„Heiliget aber Gott, den Herrn, in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmütigkeit und Furcht.“ 1. Petr. 3,15. Das Merkmal des Christen, nachdem er Vergebung erlangt hat, ist die lebendige Hoffnung in seinem Herzen. Er schaut nicht auf die Vergangenheit – Gottes Gnade hat sie für ihn ausgelöscht -, sondern auf die Zukunft. . . .

VIII. Auch die Schöpfung hat teil an der Hoffnung der Gläubigen
Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit . . . auf Hoffnung, daß auch sie frei werden wird von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar“. Röm. 8,19-22. Nach dem Sündenfall wurde die Schöpfung der Sünde wegen verflucht. Aber auch sie wird bei der Erscheinung Jesu Christi neugeboren und frei werden. Wenn das ganze Weltall an dem Warten auf Christus teilnimmt, wie könnten wir uns dem entziehen?


IX. Schlußfolgerung
Gibt es aus der Schau all dieser Bibelstellen etwas Köstlicheres als die christliche Hoffnung auf die Wiederkunft des Heilands und die endgültige Erlösung? In der Tat, Jesus selbst ist unsere Hoffnung. Diese Feststellung genügt als Beweis dafür, daß die Rückkehr des Herrn für die Christen nichts Erschreckliches hat. Ganz im Gegenteil! Für sie wird durch diese wunderbare Aussicht die Zukunft in Licht getaucht. Beim ersten Erscheinen Jesu auf Erden ist Er nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten. Luk. 9,56. So wird es auch bei Seiner Rückkehr sein. Vor allem wird Er kommen, die aufrichtigen Menschen zu erretten und ein Reich der Glückseligkeit zu errichten.
 . . .

2. Kapitel



Die siebenfache Schau des Reiches Gottes

Vom Anfang der Bibel bis zum Ende wird uns das Reich Gottes von sieben verschiedenen Blickpunkten gezeigt, und es ist sehr wichtig, diese gut auseinanderzuhalten. Es sind:
1. Das irdische Paradies (der Garten Eden),

2. die Theokratie in Israel,

3. das von den Propheten angekündigte Gottesreich,

4. das beim ersten Kommen Jesu angebotene und abgelehnte Gottesreich,

5. das noch verborgene Reich Gottes in den Herzen,

6. das herrliche Königreich der Tausend Jahre auf Erden,

7. das ewige Reich im Himmel.

I. Das irdische Paradies
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Als Schöpfer aller Dinge ist der Ewige auch deren Besitzer und König. In Seiner Hand hält Er das ganze Weltall, wenn auch Seine väterliche Regierung Seinen Geschöpfen ein erstaunliches Maß an Freiheit läßt. Besonders eindrücklich unterstreichen die Psalmen diese Herrschaft Gottes: „Der Herr ist König immer und ewiglich.“ Ps. 10, 16. . . .
Von Anfang an offenbarte Gott Seinen Willen, Seine Herrschaft auf Erden auszuüben. Der Garten Eden war eine Theokratie (Gottesherrschaft). Der Mensch unterstand unmittelbar der Autorität Gottes. Nur in enger Abhängigkeit von Gott war er geheißen, über die Tiere zu herrschen und sich die Erde untertan zu machen. 1. Mose 1, 28. Durch die Sünde hat sich der Mensch willentlich der Untertänigkeit unter Gott entzogen und sich damit dem Teufel unterstellt. Auf diese Weise ist Satan durch einen Thronraub „der Fürst dieser Welt“ geworden, und so kann er vorgeben, ihm seien „alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit übergeben, um sie dem zu verleihen, welchem er will“. Luk. 4,5-6. Gleich nach dem Sündenfall bewies die Menschheit und weiter vor der Sintflut und beim Turmbau zu Babel, daß sie sich selbst zu regieren und unter der Herrschaft des Feindes zu bleiben gedachte.
So wurde der Idealzustand, den der Herr als erste Offenbarung Seines Reiches für den Menschen gewollt hatte, zerstört. Und fortan werden, die ganze Geschichte hindurch, alle Bemühungen Gottes dahingehen, dieses verlorene Reich wiederherzustellen und auf unzerstörbarer, vollkommener Grundlage neu zu errichten. Wir werden sehen, durch welche Stufen hindurch Er zur völligen Verwirklichung Seines Plans gelangen wird.

II. Die Theokratie in Israel
Da sich die Völker von Gott abkehrten, hat Er sie dahingegeben. In Seiner unfaßbaren Geduld überließ Er ihnen sogar weitgehend die Regierung der Welt. Aber darum hat Er Seinen Plan doch nicht aufgegeben. In Abraham erweckte Er Sich ein neues Volk, das die Wiederherstellung Seiner Autorität hienieden und zugleich das Heil der Welt sichern sollte. Und ganz natürlich baute der Herr dieses Volk, um es glücklich zu machen und zu seiner Aufgabe zu befähigen, als Theokratie auf. So suchte Er Sich bei den Menschen eine Basis zurückzugewinnen, von der etwas später Seine große Offensive gegen das Böse ausgehen könnte. Darum spricht Er zu Israel: „Ich habe euch auf Adlersflügeln getragenn und zu Mir gebracht. Werdet ihr nun Meiner Stimme gehorchen und Meinen Bund halten, so sollt ihr Mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Welt ist Mein; ihr sollt Mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein.“ 2. Mose 19,4-6.
Und als Er von der Niederlassung des Volkes in Palästina redet, fügt Er hinzu: „Ihr sollt das Land nicht verkaufen für immer; denn das Land ist Mein, und ihr seid Fremdlinge und Gäste vor Mir.“ 3. Mose 25,23.
Moses erinnert Israel in den folgenden Worten an die Taten Gottes: „Denn du bist ein heilig Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr erwählet zum Volk des Eigentums, aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ 5. Mose 7,6.

. . .  Darum verlangten sie von Samuel, daß er ihnen einen König gebe, der, wie sie meinten, weniger streng und leichter zu beeinflussen wäre, da er ihrer eigenen Fehler teilhaftig sei. Gott sprach zu Samuel: „Sie haben nicht dich, sondern Mich verworfen, daß Ich nicht soll König über sie sein!“ 1. Sam. 8,4-9.
Es ist dem Menschen unmöglich, zwei Herren zugleich zu dienen. Mit dem Augenblick, da Israel einen König begehrte, verwarf es die Oberhoheit Gottes. So geschah es gegen den Willen Gottes und in offener Empörung gegen Ihn, daß die Gottesherrschaft auf Erden und bei Israel ein Ende fand.  . . .


III. Das von den Propheten angekündigte Gottesreich
In dem Augenblick, da die Theokratie verschwand, sorgte Gott für die Ankündigung, daß sie noch viel herrlicher wieder erstehen würde. Es liegt in der Tat etwas Symbolhaftes in dem Auftreten der beiden ersten Könige Israels:
Saul, den der böse Wille des aufständischen Volkes zum König gewählt, setzt sich an Gottes Stelle und bürdet seinen Untertanen ein hartes Joch auf. Er wird seines Ungehorsams wegen verworfen und kommt elendiglich um. Saul ist das Bild der schlechten, vom Volk gewählten Oberhäupter, denen hörig zu sein viel mühseliger ist, als Gott zu dienen.

David ist der König nach dem Herzen Gottes, der Israel von allen seinen Feinden befreit, und dessen Stuhl ewiglich bestehen soll. 1. Sam. 13,14; 2. Sam. 7, 15. Seine Nachkommen werden auf immer über Jerusalem regieren, und durch den glorreichsten unter ihnen, Jesus Christus, wird das Reich Gottes (die frühere Theokratie) endgültig und auf ewig aufgerichtet werden. Ps. 89,21; 30, 36-38.
Von da an verkündigen die Propheten fortgesetzt das Kommen des Königs aller Könige und die Aufrichtung Seines herrlichen Reichs. Wir werden später eine Anzahl Prophezeiungen über das Tausendjährige Reich betrachten. Hier wollen wir nur einige anführen.
Um der Empörung der Menschen ein Ende zu machen, wird der Ewige selbst erscheinen und in der Person Seines Sohnes unter ihnen wohnen.
Dieser soll von einer Jungfrau geboren werden. Jes. 7,14; 9,5; Jer. 23,5-6. Um das Reich Gottes zu ermöglichen, wird der Messias damit beginnen, daß Er durch Sein Opfer die Sünden hinwegnimmt. Jes. 53, 68.12.
Dann wird der Herr den Menschen ein neues Herz schenken und Seinen Geist in sie geben können; dadurch werden sie imstande sein, Seinem Gesetz nachzuleben und Sein Joch zu ertragen (was sie in der früheren Theokratie nie vermochten). Hes. 36,26. Und wenn der Messias den Widerstand der Nationen mit einer eisernen Rute zerschlagen hat, wird Gott Seinen Sohn zum König über Zion und über die ganze Welt salben. Alle Könige werden vor Ihm niederfallen und alle Völker Ihm dienen. Ps. 2, 6-9; 72, 8.11.

Das Reich Gottes wird immerdar währen, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dan. 2, 44; 7,14-18. Nach tausend Jahren auf der jetzigen Erde wird es in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde auf ewig fortbestehen. Jes. 65, 17.22.
Noch keine dieser Weissagungen ist schon erfüllt. Aber wir wissen, daß sie es eines Tages alle sein werden, nach den Worten Jesu selbst: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen . . . Denn Ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe.“ Matth. 5,17-18.

IV. Das beim ersten Kommen Jesu angebotene und abgelehnte Gottesreich
Nach den Aussagen der Propheten stellt sich der Heiland nach den Evangelien von vornherein als der erwartete König dar.

1. Die Geburt des Königs
Die erste Bestätigung im NT über Seine Person besagt, daß Er als der Sohn Davids der Erbberechtigte des Thrones Israels ist. Matth. 1,1. Der Engel spricht zu Maria: „Gott, der Herr, wird Ihm den Stuhl Seines Vaters David geben; und Er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich, und Seines Königreichs wird kein Ende sein. Luk. 1,32-33. Bald nach Jesu Geburt erscheinen die Weisen in Jerusalem und fragen: „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ Ohne Zögern antworten die Schriftgelehrten, daß Christus aus der Königsstadt Bethlehem, der Heimat Davids, kommen sollte. Matth. 2, 4-6.

2. Das Angebot des Königreichs
Johannes, der Täufer, erscheint wie die Herolde, die den Fürsten vorausgehen, und ruft: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Matth. 3, 2. Auch Jesus Christus beginnt Seinen Dienst mit demselben Ruf an Sein Volk: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbei gekommen!“ Matth. 4, 17. Und dann verkündigt Er mit der wunderbaren Bergpredigt das Grundgesetz Seines Reiches. Matth. 5-7.
Durch den Heiligen Geist tut der Herr Wunder und treibt Teufel aus und beweist so Seine Vollmacht. So kann Er zu den Juden sagen: „Das Reich Gottes ist zu euch gekommen.“ Matth. 12,28. Dasselbe läßt Er in ganz Palästina durch die 70 Jünger wiederholen, die Er aussendet, um dem Volk zu verkünden: „Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.“ Luk. 10,9.
Aber die Juden versteifen sich in ihrem Hochmut, und ihr Herz verhärtet sich von Tag zu Tag mehr. Von den Weissagungen hatten sie nur die eine vom siegreichen Messias im Gedächtnis behalten, der kommen und mit Israel alle Völker beherrschen sollte. Sogar solche, die an Christus glaubten, waren von der Erwartung Seines sichtbaren Triumphs beherrscht. Die Emmausjünger sagen in bitterer Enttäuschung: „Wir aber hofften, Er sollte Israel erlösen. Und über das alles ist heute der dritte Tag, daß solches geschehen ist.“ Da erklärt ihnen Jesus, wie gerade nach den Propheten Sein Leiden Seiner Herrlichkeit und Seiner Herrschaft vorausgehen mußte. Luk. 24, 21. 25-27.

Und bis an den Tag der Himmelfahrt fragen die versammelten Apostel: „Herr, wirst Du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel?“ Apg. 1, 6. Gerne hätten die Juden Christo zugejubelt, wenn Er sie vom römischen Joch befreit und mit Ruhm bedeckt hätte. Einmal, bei Mehrung des Brots, hatten sie geglaubt, ihr Traum ginge in Erfüllung, und hatten Ihn ergreifen wollen, um Ihn zum König zu machen. Da Er aber ihre fleischlichen Beweggründe und ihr unbußfertiges Herz erkannte, entwich Er ihnen allein auf den Berg. Joh. 6, 15. Ein anderes Mal fragten die Pharisäer Jesus: „Wann kommt das Reich Gottes?“
Er antwortete ihnen: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier oder da ist es. Denn seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Luk. 17, 20-21. Solange sich Jesus in Seiner Erniedrigung dem Volke darbot, war das Reich Gottes tatsächlich in Reichweite der Juden. Das hindert Jesus aber durchaus nicht, in den folgenden Versen von diesem Reich zu sagen, daß es bald allen Augen sichtbar würde:
„Denn wieder Blitz oben vom Himmel blitzt und leuchtet über alles, was unter dem Himmel ist, also wird des Menschen Sohn an Seinem Tage sein.“ Luk. 17, 24. Und wenig später: „Auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit“ Luk. 21, 26-27.

Trotz der sichtlichen Herzensverhärtung der Juden wollte ihnen Jesus ein letztes Mal das Reich anbieten. Am Palmsonntag zog Er voll Demut und Sanftmut auf einem Esel in Jerusalem ein. Matth. 21, 4-5. In einem Augenblick der Begeisterung brach die Menge in den Ruf aus: „Hosianna dem Sohne Davids!“ „Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt.“ Matth. 21, 9; Mk. 11, 10. Aber der Herr gab sich keiner Illusion hin. Am selben Tag, beim Einzug in die Stadt, weinte Er über sie und sprach: „Wenn doch auch du erkennetest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen . . . Deine Feinde . . . werden keinen Stein auf dem andern lassen, darum, daß du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist.“ Luk. 19, 41-44.

3. Die Ablehnung des Reiches
Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden ist ein treffendes Bild dafür, wie Israel das Angebot des Reiches angenommen hat. Jesus erzählte dieses Gleichnis, weil Er nahe bei Jerusalem war, und man glaubte, das Reich würde in Bälde in Erscheinung treten. „Ein Mann von vornehmer Abkunft reiste in ein fernes Land, um für sich dort eine Königskrone zu gewinnen . . . Seine Mitbürger aber haßten ihn und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her, durch die sie sagen ließen: Wir wollen diesen Mann nicht zum König über uns haben.“ Luk. 19, 11-14.
Jesus ist tatsächlich, weil Er König war, abgelehnt und gekreuzigt worden. Als solcher wurde Er von Pilatus gerichtet. Der Statthalter fragte Ihn: „Bist Du der Juden König? . . . so bist Du dennoch ein König?“ Jesus antwortete: „Du sagst es. Ich bin ein König.“ Später schrieen die Juden aber und sprachen: „Läßt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum Könige macht, der ist wider den Kaiser!“ (Mit diesem Argument brachen die Juden den Widerstand des Statthalters und erreichten den Tod Christi.) „ . . . Spricht Pilatus zu ihnen: Soll ich euern König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König, denn den Kaiser. Da überantwortete er Ihn, daß Er gekreuzigt würde.“ Joh. 18, 33; 19,16.

Die Ablehnung der Königsherrschaft Jesu trat ebenso in Seinen Martern zutage, wie in Seiner Verurteilung. Die Kriegsknechte flochten eine Krone von Dornen, setzten sie auf Sein Haupt und legten Ihm ein Purpurkleid an und sprachen: “Sei gegrüßet, lieber Judenkönig!“ Joh. 19, 2-3. „Sie gaben Ihm ein Rohr in die rechte Hand“, um ein Zepter darzustellen. Matth. 27, 29. „Pilatus aber schrieb eine Überschrift und setzte sie auf das Kreuz, und war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König . . . Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: der Juden König, sondern daß Er gesagt habe: Ich bin der Juden König. Pilatus aber antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.“ Joh. 19, 19. 21-22.

Nach alldem hatten die Juden nur noch das furchtbare Gericht Gottes zu erwarten. Bald entlud es sich über ihnen, nach den Worten des Herrn in dem Gleichnis: „Doch jene Meine Feinde, die nicht wollten, daß Ich über sie herrschen sollte, bringet her und erwürget sie vor Mir!“ Luk. 19,27. Im Jahre 70 kamen die Römer, zerstörten Jerusalem, metzelten einen großen Teil der Bevölkerung nieder und zerstreuten den Rest über die ganze Welt. Jesus Christus hatte alles, was geschehen sollte, vorausgewußt und darum in tiefem Ernst erklärt: „Jerusalem,
Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe Ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus soll euch wüst gelassen werden. Denn Ich sage euch: Ihr werdet Mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Matth. 23,37-39. Bis sich die Juden am Ende der Tage zum Herrn bekehren, wird ihnen demnach das Reich Gottes entzogen, um in neuer Gestalt den Heiden gegeben zu werden.

V. Das in den Herzen verborgene Reich Gottes
Infolge der Ablehnung des Königs tritt das sichtbare und herrliche Reich vorerst zurück. Christus ist gegangen, Sich mit der Königswürde bekleiden zu lassen. Luk. 19,12. Während Seiner Abwesenheit läuft die Aera der Kirche, die Jesus selbst ein Geheimnis nennt. Als Er Seinen Jüngern die Gleichnisse erzählt – auf die wir später eingehen -, sagt Er ihnen: „Euch ist ‘s gegeben, daß ihr das Geheimnis des Himmelreichs erkennt.“ Matth. 13,11. Das kommende Reich der Herrlichkeit war für die Juden kein Geheimnis, es war ja durch die Propheten klar angekündigt worden. Aber die gegenwärtige Zwischenperiode mit ihren beängstigenden Formen mußte zum Gegenstand einer besonderen Offenbarung werden. Die Jünger mußten lernen, daß die Gemeinde, der Leib Christi, lange innerhalb einer dem Anschein nach evangelisierten Christenheit und einer dem Wesen nach mehr denn je heidnischen Welt verborgen sein sollte, und zwar bis zur Wiederkunft des Herrn, der eine neue und glorreiche Phase Seines Königreichs einleiten würde. Betrachten wir nun die Hauptmerkmale der gegenwärtigen Periode:

1. Sofort nach der Kreuzigung offenbart sich das Reich Gottes an Pfingsten mit Macht in einer neuen Gestalt
Es gibt keine Lücke in der Durchführung von Gottes Plan. Seine ewigen Ziele werden niemals wirklich vereitelt. Die Kreuzigung Jesu, scheinbar eine Niederlage, ist in Wirklichkeit ein Triumph. Israel und das irdische Reich sind allerdings, wie gesagt, eine Zeitlang beiseite gestellt. Nun aber die Sünden gesühnt sind und der Heilige Geist herabgekommen ist, kann Jesus Christus Sein Reich in den Herzen der Gläubigen errichten. In diesem Sinn hatte Er vor Seinem Tode gesagt: Wahrlich, Ich sage euch: „Es stehen etliche hier, die nicht schmecken werden den Tod, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in Seinem Reich. . . bis daß sie sehen das Reich Gottes mit Kraft kommen“. Matth. 16,28. Auch als Er Seine Jünger aussandte, das Land zu evangelisieren, hatte Er ihnen gesagt: „Wahrlich, Ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis des Menschen Sohn kommt.“ Matth. 10,23. (Dieser Vers hat wahrscheinlich noch die weitere Bedeutung, daß die Evangelisation Israels erst bei der glorreichen Wiederkunft Christi vollendet werden wird.) Seit Pfingsten ist die Kirche Christi gegründet, werden Seelen zu Tausenden gewonnen, vermehren sich die Gemeinden, erschließt sich ein Land nach dem andern dem Evangelium.

2. Während dieser neuen Gnadenzeit (Dispensation) ist das Reich Gottes ein geistliches
Christus ist geistlich und noch nicht leibhaftig darin gegenwärtig, Darum geschieht alles darin auf der geistlichen, der himmlischen Ebene. In diesem Sinne konnte Jesus zu Pilatus sagen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre Mein Reich von dieser Welt, Meine Diener würden darum kämpfen, daß Ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist Mein Reich nicht von dannen.“ Joh. 18,36. Da die Juden ihren König verstoßen haben, wird Jesus Christus nicht in dieser aufrührerischen Welt und nicht mit irdischen Mitteln Sein Reich errichten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Er, nachdem Er durch Seinen Geist in den Herzen der Gläubigen geherrscht, am Ende dieser jetzigen Welt aus dem Himmel wiederkehren und Sein Reich der Herrlichkeit auf Erden gründen wird.
Bis dahin können wir nur durch die Wiedergeburt das Reich Gottes sehen (mit dem geistlichen Auge) und hineinkommen. Joh. 3,3. 5. Jesus spricht: „Wahrlich, Ich sage euch : Es sei denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Matth. 18,3. . . . „Danksaget dem Vater, der uns versetzt hat in das Reich Seines lieben Sohnes.” Kol. 1, 12. . . . Und Jesus sagte schon: „Sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Luk. 17,21.
Dieser rein geistliche Charakter des Reiches Gottes im gegenwärtigen Zeitabschnitt muß kräftig betont werden. Zu oft haben religiös gesinnte Menschen die Zeit, da Christus durch Seine Wiederkunft mit Vollmacht und sichtbar Sein Reich hienieden aufrichten wird, vorauszunehmen gesucht. Durch Feuer und Schwert suchten sie, den Unglauben und die „Ketzerei“ auszurotten. Mit weltlichen und fleischlichen Mitteln, z. B. durch Verbindung Thron und Altar, von der zeitlichen Macht und den Reichtümern der Geistlichkeit, wollte man die Autorität der Kirche befestigen. Andere, die uns zeitlich näher stehen, glaubten, durch die Verquickung mit der Politik die Sache Gottes zu fördern. Alle diese verkehrten Auffassungen haben zu Katastrophen geführt; denn das Reich ist nicht von dieser jetzigen Welt.


3. Während das Reich Gottes in den Herzen verborgen bleibt, ist die Welt eine traurige Mischung von gut und böse
Die Gottesherrschaft ist auf der Erde noch nicht wiederhergestellt. Wir haben die Zeit der Langmut Gottes, die dem Menschen den freien Gebrauch seines Willens läßt. Sind auch alle berufen, so sind doch wenige auserwählt, da die Wahrheit den breiten, bequemen Weg vorzieht, der zur Verdammnis führt. Die sog. Gleichnisse vom Reich Gottes in Matth. 13 geben ein treffendes Bild von der heutigen Welt.

a) Das Gleichnis vom Sämann. Matth. 13,4-9; 18-23. In diesem wohlbekannten Gleichnis wird das Evangelium das „Wort vom Reich“ genannt, das in die Welt ausgestreut wird, Vs. 19. Aus Mangel an einem gut vorbereiteten Boden geht der größte Teil des göttlichen Samens verloren (je drei aus vier Körnern). Der Teufel ist eifrig am Werk und verhindert die verhärteten Herzen, das Gehörte zu bewahren. Während das Evangelium gepredigt wird, gibt es Trübsal, Verfolgung und Niederlagen auf der Erde, die Menschen lassen sich hingegen von der Sorge dieser Welt und dem Betrug des Reichtums einfangen, Vs. 21. Nur eine kleine Minderheit hört auf den Ruf Christi, und noch dazu mit sehr unterschiedlicher Treue, Vs. 23. Ist das nicht das genaue Bild unserer Zeit? Ganz anders wird das sein, wenn Jesus Sein Reich der Herrlichkeit hienieden aufrichten wird. Dann ist Satan gebunden, Offb. 20,2-3. Ganz Israel wird gerettet werden, Röm. 11,26, und „alle übrigen unter den Heiden . . . werden jährlich heraufkommen (nach Jerusalem), anzubeten den König, den Herrn Zebaoth“, Sach.14,16. Der zertretene, steinige oder dornige Boden wird ausgeschieden oder urbar gemacht sein.


b) Das Gleichnis vom Unkraut gibt eine wunderbare Übersicht über die Hauptmerkmale der jetzigen Zeitperiode, Matth. 13, 24 bis 30
.

1. Jesus Christus besät die Welt; denn Er möchte alle Menschen retten, Vs. 37-38.
2. Der gute Same, den Er überall setzt, sind Seine wahren Jünger… In jedem Land, in jedem Kreis erweckt Er Seine treuen Jünger.

3. Der Teufel bleibt nicht untätig. Er nutzt den Schlaf der Gläubigen aus, um das verderbliche Unkraut zwischen sie zu streuen und das Werk des Herrn zu hemmen, Vs. 25. 38-39.

4. Das Unkraut sind „die Kinder der Bosheit“, die bis zur Wiederkunft Christi groß an Zahl auf Erden sein werden. Besonders beunruhigend ist es, daß der Feind, um das Werk Gottes zu zerstören, sie mit Vorliebe zwischen die Gläubigen setzt. Beginnt das Unkraut zu sprießen, sieht es dem Weizen erstaunlich ähnlich; und die Wurzeln der beiden Pflanzen sind so verflochten, daß man keine herausreißen könnte, ohne die andere zu entwurzeln. Man wird sie daher bis zur Ernte miteinander wachsen lassen. Die religiöse Welt bietet tatsächlich diese verwirrende Mischung: In der sogenannten Christenheit stehen die falschen Gläubigen oft Seite an Seite mit den wahren, zum größten Ärgernis der aufrichtigen Seelen, wie auch der Ungläubigen. Das darf uns gewiß bekümmern, aber nicht befremden, denn so wird es sein, bis mit Gottes Geduld auch die Welt ein Ende nimmt.

5. Vergessen wir jedoch nicht, daß der Acker, auf dem der Herr das Unkraut duldet, die Welt ist (sogar die religiöse), aber nicht die wahre Kirche, Vs. 38. Zuweilen stützt man sich auf dieses Gleichnis, um zu behaupten, man könne unmöglich gegen Untreue und Ärgernis vorgehen, „da das Unkraut ja bis zum Ende mit dem Weizen vermengt sein werde“. Man müßte also die Kirchen und die Reichsgottesarbeit so lassen, wie sie seien, um nicht empfindsame Seelen noch mehr zu beunruhigen, das hieße sonst den Weizen entwurzeln! Nichts wäre falscher als das, da im Gegenteil Jesus Christus und Seine Apostel eine strenge Zucht innerhalb der Gemeinde fordern. „Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein . . . Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir . . . Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Heiden und Zöllner“. . . .

6. Den jetzigen Zeitlauf wird eine ungeheure Katastrophe beschließen, die der Herr das Ende der Welt nennt, Matth. 13,39-42. Christus wird kommen und alle, die da Böses tun, aus Seinem Reiche herausziehen: Er wird sie in den feurigen Ofen werfen, wo „Heulen und Zähneklappen“ sein wird. Unsere sündige Welt geht also nicht einer Vergöttlichung, sondern einem furchtbaren Gericht entgegen.

7. Auf das in den Herzen verborgene Gottesreich, das auf der Erde zur Zeit eine solch beängstigende Mischung von gut und böse beläßt, wird das Reich der Heiligkeit und Herrlichkeit folgen. „Dann werden die Gerechten leuchten, wie die Sonne in ihres Vaters Reich“, und der Weizen wird in Seine Scheuer gesammelt, Vs. 43.30. Diese Gnadenzeit ist also nur vor übergehend und nicht das letzte Wort Gottes auf der Erde. Bald wird Er kommen und mit Ihm eine furchtbare Vergeltung.

c) Das Gleichnis vom Sauerteig. „Das Himmelreich ist einem Sauerteig gleich, den ein Weib nahm und vermengte ihn unter drei Scheffel Mehl, bis daß es ganz durchsäuert ward“, Matth. 13,33.
Manche haben in diesem Gleichnis ein Bild vom alles durch dringenden Einfluß des Evangeliums sehen wollen, das manchmal auf verborgene Weise in jeden Kreis, in jedes Land seinen Weg findet; bis zu den Enden der Erde. Wie Paulus sagt: „Das Evangelium ist zu euch gekommen, wie auch in alle Welt, und ist fruchtbar, wie auch in euch“, Kol. 1 ,6.
Eine solche Auslegung würde förmlich den Gleichnissen vom Unkraut und vom Netz im Meer widersprechen. Im Gegenteil! „Bis daß es ganz durchsäuert ward, kann leider das bedeuten, daß gerade der verderbliche Einfluß des schädlichen Sauerteigs zuletzt den Sieg in der sogenannten Christenheit, in der Welt um uns her, davontragen wird. An anderer Stelle, da Er von der Endzeit redet, sagt uns Jesus ausdrücklich: ,,Ihr müsset gehaßt werden um Meines Namens willen von allen Völkern . . . Und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten“, Matth. 24,9. „Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, daß Er auch werde Glauben finden auf Erden?“ Luk. 18,8. . . . Diese Warnrufe allein können auch uns davor bewahren, den Glauben zu verlieren, wenn wir sehen, wie das in den Herzen der Gläubigen seit 1900 Jahren verborgene Reich die Welt am Versinken in den Abgrund nicht hindert. Es ist uns aber gesagt worden: wenn der Sauerteig der Sünde sich voll ausgewirkt hat, werden das Gericht Gottes und mit ihm unsere Erlösung nahe sein.

d) Das Gleichnis vom Netz im Meer.
„Abermals ist gleich das Himmelreich einem Netze, das ins Meer geworfen wird, damit man allerlei Gattung Fische fängt. Wenn es aber voll ist, so ziehen sie es heraus an das Ufer, sitzen und lesen die guten in ein Gefäß zusammen, aber die faulen werfen sie weg. Also wird es auch am Ende der Welt gehen; die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden . . .“ Matth. 13,47-50. Hier wieder legt dieses Gleichnis den Nachdruck auf die beiden Hauptgedanken, die wir bei den vorigen betont haben: im gegenwärtigen Gottesreich sind gut und böse vermischt, und, nach dieser Periode findet die große Scheidung statt und zugleich das Gericht über die Ungerechten. Es ist ja klar, daß ein solch entzweites Reich niemals Christi Reich der Herrlichkeit sein könnte, das die Propheten verkündet haben. Für die Welt bedeutet es auch nichts Wertvolleres als die früheren Epochen, nach den Geschehnissen unserer Tage zu urteilen. Im Gegenteil! Glücklicherweise bleibt das Reich Gottes für unsere arme Erde nicht immer verhüllt, wie es jetzt ist!

4. Von der Art unserer Annahme des verborgenen Reiches wird unser Schicksal im zukünftigen Reich der Herrlichkeit abhängen.
Die vier oben angeführten Gleichnisse müßten uns zu ernstem Nachdenken führen. Um ohne Angst der Zukunft entgegensehen zu können, müssen wir wissen, was wir sein wollen:
Ein unfruchtbarer Boden oder ein gutes Land?

Unkraut oder guter Same? 
Sauerteig oder Süßteig ?
Unter den faulen oder den guten Fischen im Netz ?
Haben wir diese wichtigste Frage gelöst?

Wer hier zum Unkraut gehört, wird beim Erscheinen des Königs verbrannt werden. Er wird in den Feuerofen geworfen werden, wo Heulen und Zähneklappen sein werden. Die Gerechten hingegen werden in die Scheuer Gottes gesammelt und werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich, Matth. 13,30. 41-43. Die Guten werden als kostbar bewahrt werden, während die Bösen in die Verdammnis geworfen werden, Vs. 48-50. Wollen wir daher bald in Christi Reich der Herrlichkeit eingehen, so laßt uns Ihn von nun an als den alleinigen König unseres Herzens krönen!


VI. Das herrliche Reich, das tausend Jahre lang auf Erden bestehen wird
Das in den Herzen verborgene Reich kann nicht ewig fortdauern. Der König selbst ist abwesend, und Sein Wille geschieht nicht auf Erden wie im Himmel. Seine Kirche leidet und seufzt nach Seiner Rückkehr. Die aufständische Welt versinkt in Schlamm und Blut. Die Verheißungen der Schrift sind noch nicht erfüllt. Darum wird Jesus in Seiner Herrlichkeit wiederkehren und tausend Jahre im Frieden und mit Gerechtigkeit auf der Erde regieren. (Bei unserer Behandlung des Tausendjährigen Reichs werden wir ausführlich auf diesen Gegenstand zurück kommen.)

VII. Das ewige Reich im Himmel
Das irdische Königreich, so herrlich es auch sein mag, kann nicht hat von ewiger Dauer sein. Die Erde ist von zu viel Verbrechen besudelt, so muß sie verschwinden. Wohl wird die Menschheit im Tausendjährigen Reich glücklich und dem König der Könige untertan sein, und doch werden in ihrer Mitte Menschen sein, die noch einen letzten Versuch zur Empörung gegen den Herrn unternehmen werden, Offb . 20,7-9. Darum muß das Reich Gottes an einem an deren Ort und in vollkommener, endgültiger Form errichtet werden.
„ … darnach das Ende, wenn Er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn Er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt. Er muß aber herrschen, bis daß Er alle Seine Feinde unter Seine Füße lege . . . Wenn aber alles Ihm untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein Dem, der Ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allen“ 1. Kor. 15, 24-26. 28.
Dann wird Gott alles neu machen und die Seinen in das himmlische Jerusalem versetzen, wo der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz noch Sünde, Offb. 21, 1-5. Und dieses Reich wird nicht tausend Jahre währen, sondern in alle Ewigkeit. „Seine Gewalt ist ewig, die nicht vergeht, und Sein Königreich hat kein Ende. . . Des Reich ewig ist“ Dan. 7,14.27. „Seine Knechte werden Ihm dienen und sehen Sein Angesicht . . . und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit“, Offb. 22,3-5. Freuen wir uns darum, nicht nur über die tausend Jahre der Herrlichkeit, die der Herr für uns hienieden bereit hält, sondern vor allem über die Ewigkeit einer unaussprechlichen Seligkeit, die unser in Seiner Gegenwart wartet. Laßt uns alles tun, was an uns liegt, um ihrer teilhaftig zu werden!
„Darum, liebe Brüder, tut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung festzumachen; denn wo ihr solches tut, werdet ihr nicht straucheln. Und also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang zu dem ewigen Reich unseres Herrn und Heilands Jesu Christi“, 2. Petr. 1, 10-11.

DRITTER TEIL

DER ZEITPUNKT DER WIEDERKUNFT CHRISTI

1. Kapitel

Wann wird Jesus Christus wiederkommen
Zu allen Zeiten wollten die Gläubigen. Bei den Jüngern angefangen, gern den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi wissen. In der Tat fragten diese Jesus einmal: „Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein Deiner Ankunft und des Endes der Welt?“ Matth. 24,3
Als Jesus im Begriff war, von den Elfen zu gehen, sagte Er: „Ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.“ Die aber so zusammengekommen waren, fragten Ihn und sprachen: „Herr, wirst Du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel?. Apg. 1, 5. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche der treuen den Horizont abgesucht, um zu sehen, ob ihr himmlischer Bräutigam nicht bald käme, um sie zu holen Und heute mehr denn je sprechen wir unter Seufzen: „Herr, wie lange noch?“
Auf diese natürliche Frage antwortet der Herr auf weise, mannigfache Art:

I. Niemand weiß Zeit noch Stunde
„Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater“. Mak. 13, 32. (Wir glauben, daß der Sohn, als Er Mensch war, so sprechgen konnte, daß Ihm aber nun in der Herrlichkeit kein Geheimnis Seines vaters verborgen bleicht.) Auf jeden Fall ist Jesus in Bezug darauf, was die Menschen angeht, völlig sachlich. Er sagt uns: „Darum wache euert, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird. Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausvater wüßte, welche Stunde der Dieb kommen wollte, so würde er ja wachen und nicht in sein Haus brechen lassen. Darum seid ihr auch bereit; denn des Menschen
 Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr ‘s nicht meint.“ Matth. 24, 42-44.
„So du nicht wirst wachen, werde Ich über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht wissen, welche Stunde Ich über dich kommen werde“ Offb. 3,3.
Suchen wir daher nicht zu erraten, was der Herr uns geheimhalten wollte! Denken wir an Seine Antwort auf die Frage der Jünger: „Es gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater Seiner Macht vorbehalten hat.“ Apg. 1,7. Gott hat gute Gründe, den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi geheimzuhalten. Hätte Er den ersten
Jüngern gesagt: „Es vergehen mindestens 19 Jahrhunderte bis zu diesem großen Ereignis“, was wäre dann geschehen? In dem Gedanken, noch so lange warten zu müssen, wäre die Kirche Christi sicher noch rascher
eingeschlafen, als sie es wirklich tat. Wir haben eine solche Neigung zur Trägheit und Schlaffheit, daß wir immer in Atem gehalten werden müssen. Würde man den Menschen von heute sagen: „Jesus Christus kommt erst in 10 oder 50 Jahren wieder“, so würden die meisten ausrufen: „Dann haben wir noch lange Zeit, Buße zu tun! Da wir die Zeit im voraus wissen, können wir uns in der letzten Minute darauf vorbereiten“. Ja, sagte man sogar den Christen, daß dies Ereignis erst in sechs Monaten stattfinden sollte, würden sie sich fünfeinhalb Monate lang von der Pflicht zu wachen entbunden fühlen. Wer aber nicht mehr wacht, ist praktisch der Versuchung bereits erlegen.
Wenn uns also der Herr die Stunde Seiner Wiederkunft vorenthalten hat, so will Er, daß wir immer darauf vorbereitet seien. Selig die Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend findet! Darum wachet, denn ihr wisset weder Tag noch Stunde!

II. Lasset euch niemand verführen in keinerlei Weise!
Gott braucht nur etwas zu verbieten, so sinnen der Teufel und die Menschen, wie sie es trotz dem tun können. Im Garten E den war unseren ersten Eltern alles gestattet, nur nicht die verbotene Frucht zu essen, und gerade danach gelüstete es sie. Über die Wiederkunft Christi hat uns Gott alles Wesentliche geoffenbart, nur deren Zeitpunkt nicht.
Aber gerade diesen möchten viele Menschen und Sekten um je den Preis bestimmen. So manches Mal hat man den ersehnten Zeitpunkt festgelegt. Es wurde z.B. behauptet, Jesus käme im Jahre 1844, 1934, dreieinhalb Jahre nach Ausbruch des Krieges von 1939, usw. Manche behaupten sogar, Christus sei 1914 wiedergekommen, und das Tausendjährige Reich habe damals begonnen (wer könnte das vermuten?).
Ist es nicht merkwürdig, daß der Feind die Christen immer wieder dazu treibt, entweder einen Zeitpunkt für die Wiederkunft Christi festzulegen, so daß sie, bald enttäuscht, überhaupt daran zweifeln, oder auch dieses Ereignis in eine so ferne Zukunft hinauszuschieben, daß sie schließlich gar nicht mehr daran denken
Der Herr selbst hat diese immer mehr zunehmen den Mißbräuche und Fallstricke vorausgesehen. Wiederholt hat Er uns davor gewarnt: „Sehet zu, lasset euch nicht verführen! Denn viele werden kommen in Meinem
Namen und sagen, ich sei es, und: die Zeit ist herbeigekommen. Folget ihnen nicht nach!“ Luk. 21,8.
Und Paulus fügt hinzu: „Aber der Zukunft halben unseres Herrn Jesu Christi und unserer Versammlung zu Ihm bitten wir euch, liebe Brüder, daß ihre euch nicht bald bewegen lasset von eurem Sinn noch erschrecken, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief, als von uns gesandt, daß der Tag Christi vorhanden sei. Lasset euch niemand verführen in keinerlei Weise; denn Er kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens ( der Antichrist)“, 2. Thess. 2,1-3.
Seien wir daher fest entschlossen, allein auf dem Boden der Schrift zu bleiben! Und wir wollen demütig und gehorsam genug sein, um uns an die Offenbarungen der Bibel zu halten; sie sind ganz und gar vollständig und ausreichend.

III. Der Meister verzieht zu kommen
Es ist offenbar, daß Gott allein die genaue Stunde der Wiederkunft Jesu Christi kennt. Und doch enthüllt die Schrift jedem aufmerksamen Leser, daß eine ziemlich lange Zeit zwischen dem Weggang und der Rückkehr unseres Heilands vergehen wird. Zunächst waren den Jüngern verschiedene Tatsachen mitgeteilt worden, die vor dem Kommen Christi in Herrlichkeit in Erfüllung gehen sollten: Der Heilige Geist sollte an Pfingsten ausgegossen werden und der Gemeinde die Offenbarungen des NT aufschließen, Joh. 16, 7.13. Petrus sollte den Märtyrertod erleiden; so konnte der Herr nicht zu Lebzeiten Seines Apostels erwartet werden, Joh. 21,18. Vor dem Ende sollte das Evangelium allen Völkern gepredigt werden und sollte der Antichrist mitten im Abfall auftreten, Matth. 24,14; 2. Thess. 2, 3.
Die ersten Jünger hätten also von vornherein verstehen können, daß eine gewisse Frist vor der Wiederkunft des Herrn vergehen würde. Aber wir wissen noch mehr. . . . Aber „da nun der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt; gehet aus, ihm entgegen!“ Matth. 25,5-6.
Im Gleichnis von den Pfunden zog der Meister weg, nachdem er jedem seiner Knechte eine gewisse Summe anvertraut hatte. „Über eine lange Zeit kam der Herr dieser Knechte und hielt Rechenschaft mit ihnen“, Matth. 25,19. . . . „In den letzten Tagen werden Spötter kommen, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung Seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur an gewesen ist“, 2. Petr. 3,3-4.

Genau das geschieht heute! Weil Jahrhunderte verstrichen sind und man in der Erwartung der Wiederkunft Christi öfter getäuscht wurde, werden diejenigen verspottet, die noch hoffen. „Ihr seht doch“, heißt es, „daß Gott die Erde vergessen hat, und daß Christus nicht wiederkommt.“ In Wirklichkeit aber liegt die Ursache für dieses Hinhalten der Erwartung in Gottes Verlangen, allen Menschen die Möglichkeit zur Errettung zu geben. Die Endereignisse werden sich erst abspielen, wenn „die Fülle der Heiden eingegangen ist“, Röm. 11,25. Gott kennt ja die Zahl derer, die das Heil annehmen werden, und Er wird die Gnadenpforte nicht zuschließen, bevor Er sie alle geborgen hat. Darum sagt
Petrus noch: „Der Herr verzieht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten, sondern Er hat Geduld mit uns, und Er will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre“, 2. Petr. 3,9. . . .


IV. Siehe, Ich komme bald!
Eines ist gewiß: Gott hat den Augenblick für die Wiederkunft Seines Sohnes genau bestimmt, und Er wenigstens weiß den Tag und die Stunde. Paulus schreibt an Timotheus: „Ich gebiete dir . . . , daß du haltest das Gebot ohne Flecken, untadelig, bis auf die Erscheinung unseres Herrn Jesu Christi, welche wird zeigen zu Seiner Zeit der allein Gewaltige, der König aller Könige und Herr aller Herren“, 1. Tim. 6, 13. Die Offenbarung zeigt uns einen Engel, der schwört: „daß hinfort keine Zeit mehr sein soll“ (d. h. kein Aufhalten in der Erfüllung der göttlichen Beschlüsse), sondern „so soll vollendet werden das Geheimnis Gottes, wie Er hat verkündigt Seinen Knechten, den Propheten“, Offb. 10,5. . . .
In demselben Sinne spricht die Bibel auch von den „letzten Zeiten“ als dem Zeitabschnitt zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi: „Christus, das unschuldige und unbefleckte Lamm, ist zuvor ersehen, ehe der Welt Grund gelegt ward, aber offenbart zu den letzten Zeiten um euretwillen, die ihr durch Ihn glaubet an Gott“, 1. Petr.
1 ,20)


Vor ewigen Zeiten hat der Herr unser Heil vorbereitet und es in Jesus Christus geoffenbart. Natürlich sind die paar tausend Jahre menschlicher Geschichte in Seinen Augen sehr kurz. Er sieht Seinen Sieg am Ende unserer armseligen Jahrhunderte kommen. Darum kann Johannes auch schreiben: „Kinder, es ist die letzte Stunde“ 1. Joh. 2, 18 (d.h. wir stehen in der letzten Geschichtsperiode der sündigen Menschheit). Danach wird Gott wieder die Zügel der Regierung der Welt in die Hand nehmen. Die letzte Stunde beginnt mit dem ersten Kommen Christi, dem Endziel der Geschichte. Sein zweites Kommen wird das Ende vom Ende sein. Wir wollen es lernen, den Blickpunkt Gottes einzunehmen, wenn wir die Wiederkunft Christi ins Auge fassen. . . . 


V. Siehe, Ich habe es euch alles zuvor gesagt, Mk. 13,23.

Viele Christen meinen, es werde immer unmöglich sein, die mehr oder weniger nah bevorstehende Wiederkunft Christi vorauszuahnen. Da nur Gott Tag und Stunde weiß, halten sie es für vergeblich oder gar gefährlich, mehr darüber wissen zu wollen. Eines schönen Tages, früher oder später, werde Christus wie ein Blitz aus dem Himmel hernieder fahren und alle Welt überraschen. Das ist nur zum Teil richtig. Ein Blitz fällt nicht aus heiterem Himmel: er kommt aus Wolken, die sich allmählich zusammengezogen haben. Wer darauf achtete, konnte das Nahen des Gewitters bemerken. Allerdings wahrt Gott das Geheimnis von Tag und Stunde, aber Er hat die Epoche der Endzeit deutlich gekennzeichnet, damit die Christen sie erkennen und sich rüsten können. Die Ungläubigen aber und die vorgeblichen Gläubigen, die das prophetische Wort mißachtet haben, werden völlig unvorbereitet überrascht werden. Es wird ihnen so gehen wie der Generation Noahs: „Gleich aber wie es zu der Zeit Noahs war, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Denn gleich wie sie waren in den Tagen vor der Sintflut . . . bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging; und sie achteten’s nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin: also wird auch sein die Zukunft des Menschensohns“, Matth. 24,37-39. Den wahren Gläubigen hingegen, welche die ganze Schrift beachten, hat der Herr mehrere Vorzeichen für das Ende aufgezeigt und hinzugefügt: „Also auch, wenn ihr das alles sehet, so wisset, daß es nahe vor der Tür ist“, Matth. 24,33.
Auf diese Vorzeichen wollen wir nun näher eingehen.

2. Kapitel



Die Zeichen für die Wiederkunft Jesu Christi

I. Gibt es Zeichen für die Wiederkunft Christi, und darf man ihnen nachforschen?

Die Jünger fragten Jesus eines Tages: „Sage uns, wann wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein Deiner Zukunft und des Endes der Welt?“ Matth. 24,3. Und statt sie anzufahren, deutete ihnen Jesus auf ganz natürliche Weise nicht nur ein einzelnes, sondern eine ganze Reihe von Anzeichen für Sein Kommen an. Es ist also nicht nur erlaubt, sie zu kennen, sondern für jeden Christen eine Pflicht, sie zu durchdenken. Wollen wir nicht wie die Weltmenschen durch die Wiederkunft Christi überrascht werden, so müssen wir unbedingt Seine Voraussagen ernst nehmen.

ll. Welches sind die Zeichen für die Wiederkunft Christi?

Um sie kennenzulernen, fragen wir ganz einfach die Schrift und nehmen als erstes die Antwort, die Jesus in den Evangelien auf die Frage der Jünger gibt. Es ist möglich, daß das Bild, das die Schrift von der Endzeit entwirft, uns nicht gefällt, weil es ein ganz düsteres ist. Aber unsere Meinung ändert weder die Tatsachen noch das Wort Gottes. „Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte werden nicht vergehen“, Matth. 24,35.


1. Der Abfall am Ende der Zeit
„Sehet zu, daß euch niemand verführe. Denn es werden viele kommen unter Meinem Namen und sagen: Ich bin Christus, und werden viele verführen“, Matth. 24,4-5. Dieses Zeichen scheint Jesus so wichtig, daß Er es noch zweimal in diesem Kapitel erwähnt. „Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele
verführen. Und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten“. . . . In der Hauptsache verkündet Jesus dreierlei:

a) Das Auftreten falscher Christi und falscher Propheten.
Satan hat solche Angst vor dem wahren Christus und Seiner Wiederkehr, daß er eine Menge von Christus- Karikaturen erzeugt, um die allermeisten zu verführen. Und schon Paulus konnte berichten: „Denn das weiß ich, daß nach meinem Abschied werden unter euch kommen greuliche Wölfe, die der Herde nicht verschonen werden. Auch aus euch selbst werden aufstehen Männer, die da verkehrte Lehren reden, die Jünger an sich zu ziehen“, Apg. 20,29. Seitdem hat es gewuchert von falschen Propheten, und gefährliche Sekten und falsche Lehren mehren sich heute mehr denn je. Von all den vielen, die wir anführen könnten, wollen wir nur wenige nennen: Mrs. Baker- Eddy von der „Christlichen Wissenschaft“ (die weder wissenschaftlich noch christlich ist), Josef Smith, den großen „Offenbarer“ der Mormonen , Rudolf Steiner, den Mann der „Anthroposophen“, usw., usw.


Unter dem Deckmantel des Evangeliums führt man den Götzendienst wieder ein, der die Seelen zugrunde richtet. Von sogenannten christlichen Kanzeln herab leugnet man die Grundwahrheiten des Glaubens. Man stellt einen falschen Christus auf, der, aller Göttlichkeit entkleidet, weder die Sünden sühnen noch den Tod besiegen könnte. Manche behaupten, es gäbe keine Verdammnis, und alle, mitsamt dem Teufel, würden gerettet werden. Man geht sogar soweit, die Person Gottes anzuzweifeln. Wieder andere lehren, daß Materie, Krankheit und sogar der Tod nur Einbildung wären. Viele sogenannte Offenbarungen und menschliche Überlieferungen werden der Schrift angehängt und ihr übergeordnet. Man sieht falsche religiöse Erweckungen, und der Feind erdreistet sich sogar, in wenig gefestigten Herzen die Wirkung des Heiligen Geistes nachzuahmen.

Der Spiritismus muß besonders erwähnt werden, der in den großen Städten seine Anhänger nach Zehntausenden zählt. Die angebliche Totenbeschwörung ist in Wirklichkeit ein Verkehr mit den Dämonen und wurde deshalb im AT mit dem Tode bestraft. Paulus reiht sie unter die Zeichen der Endzeit: „In der letzten Zeit werden etliche von dem Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel“, 1. Tim. 4,1.

Die falschen Laienpropheten lassen sich nicht mehr zählen, die heutigen Götzen mögen sich Fortschritt, Wissenschaft, Politik, Partei, Sport, Staat oder, wer weiß wie, nennen. Sie flößen ihren Anbetern denselben Fanatismus, denselben blinden Glauben wie irgendeine verachtete Religion ein. Tatsächlich sind sie nur neue Formen eines alten immer gleicchen Kults: des menschlichen Hochmuts, der sich selbst anbetet. Wie Paulus sagt: „Sie haben Gottes Wahrheit verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpf, mehr denn dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit“, Röm. 1,25. Aber es wird noch schlimmer. Jesus kündigt nicht nur das Kommen falscher Propheten, sondern auch falscher Christi an, die sich nicht scheuen werden, frech zu behaupten: „Ich bin Christus“ . . . Alle diese Menschen und die, die noch kommen werden, sind nur die Vorläufer des großen, falschen Christus, des Antichristen der Endzeit.

b) Der Abfall der Massen.
„Sie werden viele verführen, und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten“, Matth. 24, 11.
„Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinest du, daß Er auch werde Glauben finden auf Erden?“ Luk. 18, 8.
Und die Apostel fügen hinzu: „Lasset euch niemand verführen auf keinerlei Weise, denn Er kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens (der von allen angebetete Antichrist)“ 2. Thess. 2,3.


Was ist eigentlich der Abfall? Es ist das Drangeben des Glaubens durch solche, die ihn einmal gekannt und bekannt haben. Ohne jegliche Übertreibung kann man sagen, daß die sogenannten christlichen Völker mitten im Abfall begriffen sind. Die Massen unserer evangelisierten Länder wenden sich vom Evangelium ab. Sie „lieben die Wollust mehr denn Gott“; sie wahren vielleicht „den Schein eines gottseligen Lebens, aber seine Kraft verleugnen sie“. Schon lange enthüllen die Statistiken einen erschreckend en Tatbestand: In Frankreich, der früher „ältesten Tochter der Kirche“, halten (nach den Angaben der Priester selbst) nicht mehr als 3-4 Millionen Katholiken „ihre Ostern“. In Paris sollen nur 3 Prozent der Bevölkerung an den Gottesdiensten teilnehmen. In eben dieser Hauptstadt erklärte der Geistliche einer großen Pfarrei von 70 000 Seelen: „Ich habe zahlreiche Katholiken, welche die religiösen Bräuche einhalten, aber kaum zehn Christen, die wirklich ihres Glaubens leben. Unter den etwa 600.000 Gliedern der protestantischen Kirche bekundet auch nur eine bescheidene Minderheit eine wirkliche Frömmigkeit. Es gibt also in Frankreich mindestens 35 Millionen Menschen, die so leben, als gäbe es keinen Gott. In den protestantischen Ländern ist die Lage kaum besser: die Ereignisse der jüngsten Zeit in Deutschland beweisen es. Und die religiösen Blätter Englands sagen, daß nur 5 Prozent der Einwohner Londons die Gotteshäuser besuchen. Zu der passiven Haltung der Mehrheit kommen noch die Verheerungen des vordringenden Atheismus und die Fortschritte des ausgesprochenen Neuheidentums.

Aus dem Studium der Weissagungen und der Tatsachen geht es klar hervor, daß wir die Bekehrung der gesamten Menschheit zum Evangelium nicht vor der Wiederkunft des Herrn erwarten dürfen. Heute, wie zu Jesu Zeiten, sind viele berufen , aber wenige auserwählt, da die große Mehrheit sich weigert, die Sünde zu lassen. Hätte uns die Schrift dies nicht alles vorausgesagt, würden wir den Mut verlieren. Denn das Evangelium wird seit 2000 Jahren gepredigt, und die Welt wird nur immer schlechter. Aber nach der Bibel kann es gar nicht anders sein, denn die Welt will nichts vom Heil wissen. „Nicht etwa kommt Christus noch nicht, weil die Welt noch nicht christlich genug ist; sondern Er kommt deshalb noch nicht, weil die Welt noch nicht ungläubig genug ist.” ( Erich Sauer)


2. Der Krieg
„Ihr werdet hören Kriege und Geschrei von Kriegen; sehet zu und erschrecket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich empören ein Volk wider das andere und ein Königreich wider das andere“, Matth. 24,6-7. Seit dem Brudermord Kains hat es immer Kriege gegeben, und sie
werden bis zum Ende hin immer häufiger werden. Die Gesellschaft für Internationales Recht veröffentlichte Dokumente, nach denen es im Laufe der vergangenen 34 Jahrhunderte nur 268 Friedensjahre gegeben hat, in denen sich die Völker übrigens auch nur mit Mühe verstehen konnten. Während dieser 3400 Jahre sind 8000 Friedensverträge unterzeichnet worden. Obwohl nach der Meinung ihrer Verfasser für die Ewigkeit geschlossen, dauerte ihre Wirkung im Durchschnitt nicht länger als zwei Jahre. Die Worte „sehet zu und erschrecket nicht; denn das muß zum ersten alles geschehen“, bedeuten durchaus nicht, daß der Krieg gottgewollt ist. Im Gegenteil, er ist eine Übertretung aller Gebote Gottes! . . .


a) Der letzte Krieg wird restlos die ganze Welt einbeziehen. In der Offenbarung sieht Johannes in der Gestalt von symbolischen Reitern die Plagen, die schließlich die wider Gott empörte Menschheit treffen werden. „Und es ging heraus ein ander Pferd, das war rot; und dem, der drauf saß, ward gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde, und daß sie sich untereinander erwürgten; und ihm ward ein großes Schwert gegeben“, Offb. 6,4. . . .


b) Der letzte Krieg wird auch entsetzlich mörderisch sein. In seiner Beschreibung der Plagen, die den letzten Krieg begleiten sollen, sagt Johannes weiter: „Und ihnen ward Macht gegeben, zu töten den vierten Teil auf der Erde mit dem Schwert und Hunger und mit dem Tod und durch die Tiere auf Erden.“ Offb. 6,8. . . . Wer vor einigen Jahren solche Prophezeiungen las, zuckte die Achseln. Sollte nicht der Krieg von 1914-18 der letzte sein? Hatten wir nicht den Völkerbund?
Brachte es die Abrüstungskonferenz nicht fertig, mit ernsten Gesichtern zu verhandeln, während die Regierungen aufrüsteten wie nie zuvor? . . .

Dabei haben wir noch nicht von chemischen oder bakteriologischen Waffen geredet, die im Geheimen in den Laboratorien der Großmächte vorbereitet werden. . . . Man bereitet auch psycho-chemische Produkte vor. Sie bewirken Panik oder vollkommene Sinnesverwirrung, ohne jedoch den Tod nach sich zu ziehen . . .Wirklich, man braucht es nicht noch einmal zu wiederholen: Unsere einzige Hoffnung auf Frieden und Überleben ist die siegreiche Ankunft des Friedensfürsten!


3. Die Hungersnot


„ . . . und werden sein Pestilenz und teure Zeit.“ Matth. 24,7. Johannes sagt weiter: „Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd; und der darauf saß, hatte eine Waage in der Hand…!“ Offb. 6,5-6. Die Hungersnot ist die zwangsläufige Begleiterscheinung des Krieges; wir wissen etwas davon. Schon hatten mehr denn zehn Millionen Arbeiter unter der Arbeitslosigkeit und der Lahmlegung der Geschäfte gelitten. Aber das bedeutete noch nichts. Wer hätte geglaubt, daß man mitten im 20. Jahrhundert mit seinen modernen Mitteln in der Landwirtschaft und im Transport buchstäblich Hungers sterben könnte?

Und doch ergab die Hungersnot von 1921 in Rußland täglich 30.000 Tote. Dr. Nansen sagte: „Ohne Zweifel ist dies das Schrecklichste, das je in der Geschichte der Menschheit geschehen ist.“ (Aber wir haben leider gelernt, Schlimmeres zu sehen und zu erwarten.) Nach den offiziellen Schätzungen sind in Griechenland 1942 in elf Monaten 150-200.000 Personen auf diese Weise umgekommen. In Rumänien, der Kornkammer des Balkans, gab es mehrere brotlose Tage die Woche. Im Süden Frankreichs, wo nur der Wein gedeiht, hat es an Wein gefehlt (wie in Charleroi an Kohlen!), und im übrigen Teil des Landes, das doch so reich ist, hat man sehr schwere Tage erlebt Wer hätte geglaubt, daß parallel zur Zivilisationshöhe und zur Technik, auf die unser Zeitalter so stolz ist, die Not auf der Erde so anwachsen würde?
. . . Heute sind in Afrika, Asien, Lateinamerika viele Millionen von Menschen unterernährt. Jedes Jahr wächst die Zahl der Menschen, die in ihrer Existenz oder Gesundheit vom Hunger bedroht sind, um mehrere Millionen. Wo liegen die Ursachen dieses furchtbarsten Problemes, das sich je der Menschheit gestellt hat? Wie kann man eine Weltkatastrophe vermeiden?


Die Bevölkerungsexplosion. Das Problem des Hungers ist aufs engste mit folgenden Tatsachen verknüpft: „Die Erdbevölkerung wächst mit alarmierender Geschwindigkeit . . . Man schätzt sie zu Anfang unseres Jahrtausends auf zwei- bis dreihundert Millionen. 1650 hatte ihre Zahl fünfhundert Millionen erreicht und zwei Jahrhunderte
später, also 1850 eine Milliarde. 1930 erreichte die Erdbevölkerung die Grenze von zwei Milliarden, und seither hat sich das Anwachsen so beschleunigt, daß 3,3 Milliarden überschritten sind. . . . Im Jahre 2000 werden sich also
sieben Milliarden Menschen auf unserem Planeten drängen.
Und wie wird man alle diese Leute ernähren, ganz zu schweigen von denen, die nach ihnen kommen? . . .



4. Erdbeben
„Und werden geschehen große Erdbeben.“ Luk. 21, 11. In ihrer bilderreichen Sprache sagt die Offenbarung außerdem: „Da ward ein großes Erdbeben, und die Sonne ward schwarz . . . Es hat allerdings immer Erdbeben gegeben. Aber die Schrift prophezeit, daß sie in der Endzeit immer häufiger und furchtbarer sein werden. Ohne natürlich sagen zu können, wie nahe die endgültige Auflösung bevorsteht, stellen viele Wissenschaftler ein unbestreitbares Neuaufleben der Erdstöße fest . . .

. . . Der Prophet Sacharja verkündet, daß sich im Augenblick der Erscheinung Christi in Herrlichkeit der Ölberg in einem Erdbeben entzwei spalten wird: „Und Seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberge . . . Und der Ölberg wird sich mitten entzwei spalten, vom Aufgang bis zum Niedergang, sehr weit von einander.“ 14,4
Vor einigen Jahren haben wir nun in einer Pariser Zeitung, dem Jour-Echo de Paris, einen bemerkenswerten Artikel gelesen. Er berichtete, daß kurz zuvor, gemäß einer alten, biblischen Prophezeiung, ein erster Erdstoß auf dem Ölberg eine sichtbare Spalte von oben bis unten bewirkt habe. Weiter heißt es dort, daß auf dem Abhang des Berges ein von Kaiser Wilhelm II. erbauter Palast mit einem großen Mosaikbild steht. Dieses Mosaik war durchspalten und zerstört worden. Beim Erdbeben von 1927 gab es in Palästina 700 Tote, 3000 Verwundete und großen Sachschaden. Professor Bailey Willis, Sachverständiger für Erdbebenkunde an der Universität Stanford, erklärte: Das Heilige Land kann sich auf Erdbeben gefaßt machen; die Gegend um Jerusalem ist ein Gefahrenherd für etwaige Erdbeben. Eine Verwerfung, entlang welcher Erdrutsche vorkommen könnten, zieht sich direkt unter dem Ölberg hin.“ Natürlich haben diese Tatsachen noch wenig zu sagen, verglichen mit dem, was noch angekündigt ist.


5. Die Pest. (Vgl. Luk. 21, 1)

Krieg, Hungersnot und Seuchen treten oft gemeinsam auf. Als im Jahre 1918 eine furchtbare Grippe ausbrach, schrieb im Dezember dieses Jahres die Times: „Sechs Millionen Menschen sind von Grippe und Lungenentzündung dahingerafft worden. Das ist das Sechsfache der eigentlichen Kriegsverluste.“ In der ganzen Welt forderte diese Seuche zwölf Millionen Menschen, vier Jahre Krieg dagegen zwei Millionen an eigentlichen Kriegsopfern. Da der letzte aller Kriege besonders mörderisch sein wird, erscheint es durchaus glaubhaft, daß ein gewaltiger Teil der Menschheit durch Seuchendahingerafft wird.


6. Religiöse Verfolgungen

„Da wird sich allererst die Not anheben. Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten. Und ihr müßt gehaßt werden um Meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden sich viele ärgern und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen.“ Matth. 24,8. Es hat schon früher furchtbare religiöse Verfolgungen gegeben. Aber wer hätte geglaubt, daß sie nach der großen französischen Revolution und der Proklamation der Menschenrechte und der Gewissensfreiheit in unsrem aufgeklärten Zeitalter wieder aufkommen würden, wie im Mittelalter!
Doch da die Menschheit Gott immer offenkundiger verwirft, ist es garnicht erstaunlich, wenn sie die Gläubigen auszumerzen sucht, diese lästigen Zeugen, die sich nicht gleichschalten lassen. Jedermann weiß heute,
daß die religiösen Verfolgungen mit äußerster Heftigkeit wieder eingesetzt haben. In einem sehr großen Lande hetzte man gegen die Christen, entzog den Dienern Gottes allen gesetzlichen Schutz und zerstörte die Kirchen und Gotteshäuser, wenn man sie nicht zu Zwecken der Verächtlichmachung Gottes verwandte. Anderorts wurden Pfarrer, die sich weigerten, sich dem herrschenden Götzen zu beugen, in Konzentrationslager gebracht.

Nach dem Bürgerkrieg wurden in Spanien Jahre hindurch alle protestantischen Kirchen, bis auf vier oder fünf, zerstört oder geschlossen. Bei diesen hatte man die Fassaden umbauen lassen, „damit sie das katholische Gefühl des Landes nicht verletzten“. Lange Zeit hindurch wurden außer dem alle möglichen Unterdrückungsmaßnahmen gegen die evangelischen Christen aufrecht erhalten. Heute ist die Situation glücklicherweise besser. In Japan hat man ebenso die Christen verfolgt, die sich weigerten, den Kaiser und seine Ahnentafel anzubeten.

Die biblischen Prophezeiungen verkünden auch furchtbare Judenverfolgungen. So spricht Daniel von der Behandlung, die sie durch den Antichristen erleiden sollen: „Er wird die Heiligen des Höchsten verstören und wird sich unterstehen, Zeit und Gesetz zu ändern. Sie werden aber in seine Hand gegeben werden . . . Und wenn die Zerstreuung des heiligen Volkes ein Ende hat, soll solches alles geschehen.“ Dan. 7,25.

Zu allen Zeiten wurden die Juden leider in Europa verfolgt, bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein. Aber wer hätte gedacht, daß man sie erneut mit einer solchen Brutalität drangsalieren würde? . . . 
Offenbar ist das alles ein Vorspiel der kommenden Ereignisse unter der glücklicherweise kurzen Herrschaft des Antichristen. Unser Herz blutet, wenn wir an so viel Leiden denken, welche die menschliche Bosheit
verursacht, und mit den Märtyrern der Offenbarung rufen wir: „Wie lange noch, Herr, Du Heiliger und Wahrhaftiger? . . .“


7. Die weltweite Verbreitung des Evangeliums

„Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen.“ Matth. 24,14.
. . . Das Evangelium muß allen Menschen gepredigt werden, bevor die Gnadentür zugeschlossen wird. Jesus behauptet nicht, daß sich jedermann bekehren wird (Er hat ja gerade den Abfall am Ende angesagt). Aber das Evangelium soll in der ganzen Welt gepredigt werden „zum Zeugnis über alle Völker“.
So wird jeder Gelegenheit bekommen haben, das Heil zu ergreifen.

Als Jesus diese Worte sprach, konnten sie als ein großes Wagnis erscheinen. Und doch erfüllen sie sich immer mehr vor unsern Augen. Seit wenig mehr als einem Jahrhundert haben die Missionen ungeheuer an Ausdehnung zugenommen. Im Jahre 1500 erst in 14 Sprachen übersetzt, erscheint die Bibel heute in mehr denn 1500 Sprachen und ist 98%der Erdbevölkerung zugänglich gemacht; jedes Jahr bringt weitere Übertragungen. . . . Die Heilige Schrift ist heute noch der größte buchhändlerische Erfolg und wird in der ganzen Welt in Millionen von Exemplaren verkauft (1962 z.B. 50 Millionen Bibeln, Neue Testamente und Bibelteile). . . .
Vor wenigen Jahren schienen einige Länder für das Evangelium völlig verschlossen. Nun öffnet eines nach dem anderen seine Grenzen. In Indonesien wenden sich Hunderttausende dem Evangelium zu. Die Stämme im Innern Arabiens, wohin sich niemand gewagt hatte, werden seit kurzem auch erreicht. Ebenso ist es mit den Volksstämmen im riesigen Amazonas-Gebiet. Und wenn es in Afrika so weitergeht, wird es bald christlicher sein als Europa und selber Missionare zu uns aussenden. Nennen wir als Beispiel allein die Elfenbeinküste, wo riesige Stämme ihre Fetische verbrannt und Kapellen zur Verkündigung des Evangeliums gebaut haben, bevor sie einen einzigen weißen Missionar gesehen hatten. Diese Schwarzen flehen darum, daß man ihnen zu Hilfe komme und Jesum verkündige.

Selbstverständlich bleibt trotz alldem noch eine ungeheure Aufgabe übrig. Aber vergessen wir auch nicht, welche Mittel uns heute zur Verbreitung einer Botschaft zur Verfügung stehen: Presse, Radio, Fernsehen, Schallplatten usw. Allein die Gesellschaft „Gospel Recordings“ hat in wenigen Jahren Evangelisationsschallplatten in 3300 Sprachen herausgegeben. Mehr als 5 Millionen Exemplare davon wurden kostenlos verteilt. Ja, mehr als 50 evangelische Radiostationen, über die fünf Kontinente verteilt, senden Tag und Nacht die frohe Botschaft in vielen Sprachen (z.B. Quito, Manila, Bonaire, Monte Carlo, Monrovia, Okinawa, Addis-Abeba, usw. usw.). Die unerhörte Zunahme der Transistor-Apparate ermöglicht es, daß die Botschaft bis zu den fernsten Völkern vordringt. Sie gelangt in Länder hinter den Vorhängen und in die abgeschlossensten Heimstätten. Und erst das Fernsehen! Man weiß, daß 99 % der Einwohner Tokios täglich mindestens drei Stunden vor dem Apparat sitzen. Wenn uns nur eine Gnadenfrist gewährt würde, kann es also noch in unserer Generation möglich werden, buchstäblich jeden Menschen zu erreichen. Hat Jesus, als er von diesem erreichbaren Ziele sprach, nicht hinzugefügt: „Dann wird das Ende kommen?“

8. Israel und die Ereignisse in Palästina

„Wenn ihr nun sehen werdet den Greuel der Verwüstung (davon gesagt ist durch den Propheten Daniel), daß er stehet an der heiligen Stätte. . .“ Matth. 24, 15. In Judäa ist Christus das erste Mal erschienen, und dort, von den Juden verworfen, hat Er durch Seinen Tod am Kreuz über die Sünde gesiegt.
In Palästina wird Er auch das zweite Mal erscheinen, Sein Volk zu besuchen, das bis dahin durch den Ratschluß Gottes in sein Vaterland zurückgeführt sein wird. Und dort wird Er endlich über alle Seine Feinde triumphieren, die dort aus aller Welt Enden versammelt sind zur letzten Schlacht der Geschichte. Man sehe nach, was der Prophet Sacharja darüber verkündigt! Wie man auch über die Weissagungen denken mag, so lassen sich drei Tatsachen nicht leugnen:

a) Die Juden kehren schon nach Palästina zurück;

b) die Wüste Palästinas blüht wieder auf wie eine Rose;

c) Palästina liegt an einem Knotenpunkt von immer größerer strategischer Bedeutung.


9. Die Erscheinungen am Himmel
Bald aber nach der Trübsal derselbigen Zeit werden Sonne und Mond den Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und als dann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns im Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Matth. 24,29-30. „Auf Erden 
wird den Leuten bange sein, und sie werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen; und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen.“ Luk. 21,25-26. . . . 



10. Die überspannten Reichtümer
„Wohlan nun, ihr Reichen, weinet und heulet über euer Elend, das über euch kommen wird! Euer Reichtum ist verfaulet, eure Kleider sind mottenfräßig geworden. Euer Gold und Silber ist verrostet, und sein Rost wird euch zum Zeugnis sein und wird euer Fleisch fressen wie Feuer. Ihr habt euch Schätze gesammelt in den letzten Tagen.“
 Jak. 5, 1-3.

Man darf annehmen, daß diese Stelle auf die Vermögen hinweist, welche die unerhörte Entwicklung von Handel und Industrie ermöglicht hat. . . . Die Geldmittel, über die gewisse Welttrusts und gewisse Petroleum-, Stahl-, Gummi- und Rüstungskönige verfügen, übersteigen jeden Begriff. Man versichert, daß in den Vereinigten Staaten 1% der Bevölkerung mehr besitzt als die übrigen 99% zusammen. 6000 vielfache Millionäre und Milliardäre teilen unter sich ein Viertel vom Kapital der Nation (So Manco.)
Der Tadel des Jakobus ist aus zweierlei Gründen gerechtfertigt: manches Vermögens ist „faul“, weil es durch Ungerechtigkeit und Ausbeutung der Schwachen gewonnen wurde: „Siehe, der Arbeiter Lohn, die euer Land eingeerntet haben . . . , der schreit, und das Rufen der Ernter ist gekommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth. Ihr habt wohlgelebt auf Erden und eure Wollust gehabt und eure Herzen geweidet am Schlachttag. Jak. 5,4. Zum zweiten bewirkt die Zusammenballung solch kolossaler Reichtümer in einer Hand ein unnormales Verhältnis im nationalen Gleichgewicht. Es ist unmoralisch, wenn manche ihr Geld nicht einmal mehr zählen können, während neben ihnen so viele andere Hungers sterben. . . .


11. Die schweren Zeiten

„Das sollst du aber wissen, daß in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen. Denn es werden Menschen sein, die viel von sich halten, geizig, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, lieblos, unversöhnlich, Verleumder, unkeusch, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die mehr lieben Wollust denn Gott; die da haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie.“ 2. Tim. 3, 1-5. Gibt uns hier nicht Paulus die Fotografie unsrer heutigen Gesellschaft?

Eine Begleiterscheinung des von Jesus angekündigten Abfalls ist die größte Verwirrung auf moralischem, sozialem, ökonomischem und internationalem Gebiet. Wo keine Gottesfurcht mehr ist, wankt alles.

12. Das Auftreten von diktatorischen Regierungsformen
Wir werden später sehen, daß der Antichrist seine Weltherrschaft auf der Grundlage des alten, in Form eines Zehnstaatenbundes mehr oder weniger hergestellten Römischen Reiches aufrichten wird. Die Offenbarung zeichnet uns den Antichrist unter dem Bild eines Tieres mit zehn Hörnern und schreibt dazu: „Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, das sind zehn Könige, die das Reich noch nicht empfangen mit dem Tier. Die haben eine Meinung und werden ihre Kraft und Macht geben dem Tier . . . Denn Gott hat’s ihnen gegeben in ihr Herz, zu tun Seine Meinung und zu tun einerlei Meinung und zu geben ihr Reich dem Tier, bis daß vollendet werden die Worte Gottes.“ Offb. 17,12.17.
Wie nennen wir denn Personen, die noch kein Reich empfangen haben, aber für kurze Zeit wie Könige Macht erlangen, anders, wenn nicht Diktatoren?

Merkwürdig, gerade diesen Ausdruck nahmen die Ausleger vor fünfzig und vor hundert Jahren, um diese Stelle zu erklären. Heute haben wir Diktatoren plötzlich in fast all den Ländern auftauchen sehen, die dem Römischen Reich angegliedert waren: in Portugal, Spanien, Italien, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, der Türkei, Deutschland, sogar eine gewisse Zeitlang in Frankreich, und weiter entfernt in Rußland, Japan, China, Süd- und Mittelamerika. Und mehrere Länder, die gern eine Demokratie bleiben möchten, sehen sich durch den Krieg und die Macht der Umstände gezwungen, ein faktisch totalitäres Regime in der Hand einer Partei oder eines mächtigen Staatsoberhauptes aufzustellen.
Die Völker haben erklärt, auf ewig in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit leben zu wollen. Aber da sie dies ohne Gott erreichen wollen und sie von den Grundlagen der Moral abgewichen sind, haben sie dies schöne Ideal nicht verwirklichen können. Denn die Menschen müssen sich der Freiheit würdig erweisen und fähig, sie zu wahren. Wir scheinen aber im Gegenteil nah vor der Herrschaft des Antichristen zu stehen, die eine totalitäre Diktatur sein wird. Sogar die Umgruppierung der alten römischen Territorien erscheint nicht unmöglich: spricht man nicht oft von einem Mittelmeer-Block, der die Vereinigten Staaten von Europa bilden würde? Und ein Weltreich könnte sehr wohl als Folge eines Krieges wie der eben erlebte kommen.

13. Wenn die Menschen „Friede und Sicherheit“ sagen werden
„Von den Zeiten aber, liebe Brüder, ist nicht not, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisset gewiß, daß der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. Denn wenn sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen und werden nicht entfliehen.” 1. Thess. 5, 1-3.
Dieses Zeichen scheint den Stellen zu widersprechen, die von Kriegen bis ans Ende reden, aber der Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Es kommt der Tag, da es nach schrecklichen Feindseligkeiten einem Menschen gelingen wird, die Weltherrschaft an sich zu bringen. Dann wird er in hochmütig – triumphierender Vermessenheit ausrufen: „Friede und Sicherheit! Nun gibt es keinen Krieg mehr zwischen den Völkern! Endlich hat die Menschheit nur noch einen Herrn und ein Ziel. Nun beginnt das goldene Zeitalter. Und ich bin es, der der Welt Sicherheit und Gedeihen verschafft!“ . . .
Toll vor Freude werden sie ihm zujubeln, sich vor ihm niederwerfen und ihn anbeten. . . . Die furchtbaren Gerichte Gottes werden über den Antichristen und seine Anbeter hereinbrechen, und der falsche Friede wird in einer letzten Katastrophe vergehen. „Aber die Gottlosen, spricht der Herr, haben keinen Frieden.“ Jes. 48,22.


14. Die Zunahme der Erkenntnis
Gott sprach zu Daniel: „Und du, Daniel, verbirg diese Worte und versiegle diese Schrift bis auf die letzte Zeit; so werden viele großen Verstand finden.“ Dan. 12,4.

Das eine steht fest: Jahrhunderte lang waren die Weissagungen wie ein versiegeltes Buch, von dem man nicht sprach. Sogar die Reformatoren, die die ganze Bibel wieder zu Ehren gebracht haben, haben im Grunde genommen der Botschaft von der Wiederkunft Christi wenig Bedeutung beigemessen. . . . 
Vor allem haben die Gläubigen seit Darby – vor hundert Jahren – angefangen, sich für die Weissagungen zu interessieren. Heute beschäftigt man sich mehr denn je damit. Die Voraussagen der Bibel werfen ein helles Licht auf die Ereignisse, und diese wiederum tragen immer mehr zum Verständnis der Texte bei. Schon ist es offenbar möglich, die großen Linien der nahenden Endentwicklung deutlich zu erahnen. Unleugbar hat die Erkenntnis zugenommen. Die noch dunklen Einzelheiten werden ohne Zweifel nach dem Maße unserer Bedürfnisse enthüllt werden. Aber nicht nur auf dem Gebiet der Weissagung hat unsere Erkenntnis zugenommen. Nie zu vor hat die Menschheit so viel gewußt wie heute. Sie hat alle Gebiete durchforscht und die Wissenschaft auf eine ungeahnte Höhe gebracht. Sie hätte aber erkennen müssen, daß „Wissen ohne Liebe aufbläst“. 1. Kor. 8,1, . . .


III. Wie müssen wir diese Zeichen einschätzen?


1. Beziehen sich nicht gewisse Zeichen auf die Generation Jesu und die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70?

Ja, zum Teil. Denken wir daran, bei welcher Gelegenheit Jesus die Zeichen für Seine Wiederkunft genannt hat: „Und Jesus ging hinweg von dem Tempel, und Seine Jünger traten zu Ihm, daß sie Ihm zeigten des Tempels Gebäude. Jesus aber sprach zu ihnen: Sehet ihr nicht das alles? Wahrlich, Ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Und als Er auf dem Ölberg saß, traten zu Ihm Seine Jünger und sprachen: Sage uns, wann wird das geschehen? . . . Matt. 24,1-3. In Seiner Antwort spricht der Herr nun von zwei Dingen:
erstens von der Zerstörung des herodianischen Tempels, und
zweitens vom Ende der Welt.
. . . 
Das hat sich buchstäblich im Jahre 70 erfüllt. Unter dem Befehl von Titus nahmen die Römer Jerusalem nach einer grauenhaften Belagerung ein . . . und vollführten unsagbare Greueltaten. Bei der Verwerfung Jesu hatten die Juden geschrien: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Matt. 27,25. . . .

Aber das griechische Wort “genos” bedeutet „Rasse“ so gut wie „Geschlecht“. Luk. 21. Es bedeutete also auch: „Diese Rasse (die jüdische) wird nicht vergehen, bis daß es alles geschehe.“ Daß das jüdische Volk sich gegen zwei Jahrtausende der Zerstreuung und der Verfolgung gehalten hat, ist ein wirkliches Wunder.
Alle Völker des Altertums sind verschwunden . . . und Israel allein existiert noch, weil Gott versprochen hat, es zu erhalten, bis es bekehrt und bei der Wiederkunft Christi als Volk wiederhergestellt sein wird.
Außerdem sind die Geschehnisse des Jahres 70 offensichtlich auch ein Schattenbild davon, was sich am Ende der Zeiten in Palästina begeben wird. Dann wird Jerusalem wieder von Heeren umzingelt werden. Die heilige Stätte wird auf viel schlimmere Weise durch den Greuel der Verwüstung entweiht werden, den der Antichrist dort aufrichten wird, und das jüdische Volk wird vor seiner endgültigen Befreiung in den Tiegel der Trübsal kommen. Immer wieder bedient sich die Schrift der nächsten Ereignisse, um damit die fernsten anzukündigen. So ist es nicht verwunderlich, daß in den Reden Jesu die beiden Ereignisreihen vom Jahre 70 und vom Weltende nebeneinanderstehen. Wir müssen sie nur auseinanderhalten und verstehen, daß diese Weissagung fast in der Gesamtheit die Zukunft betrifft.


2. Hat man nicht schon oft die Erfüllung dieser Zeichen zu sehen geglaubt?
Ja, es ist richtig, daß man in stürmischen Zeiten, wenn Kriege die Erde verwüsteten, Pest und Hungersnot wüteten, die Gläubigen verfolgt wurden und Erdbeben und Erscheinungen am Himmel auftraten, geglaubt hat, die Zeichen der Endzeit zu erkennen. Aber dieser Irrtum der Christen lag dann nicht in der Zielrichtung, sondern in der Perspektive. Ihr Blick ging wohl in die rechte Richtung, und sie taten ganz recht daran, die von Jesus selbst so klar angegebenen Zeichen zu erkennen. Denn mehrere dieser Zeichen gelten ihrem Wesen nach für alle Zeiten: Es hat immer Kriege, Hungersnot, Seuchen, Erdbeben gegeben. Aber was die Ankündigung vom direkten Ende ausmachen muß, ist einerseits eine gewaltige Häufung eines jeden einzelnen dieser Zeichen und andererseits ihr völlig gleichzeitiges Auftreten. Diese beiden Elemente haben bisher gefehlt. Die Christen hielten das Ende für näher, als es war, weil sie nur das eine oder das andere Hauptzeichen und nicht alle Angaben der Schrift insgesamt beachteten. . . .

3. Kann man sagen, daß jetzt die Zeichen für die Wiederkehr Christi erfüllt sind?

. . . dieses Forschen soll nur dazu dienen, den Gläubigen eine immer klarere Erkenntnis dr Endentscheidung zu geben, jedoch niemals, um ein Datum festzulegen. Damit dürfen wir aber nun auch feststellen, daß sich die Zeichen wie nie zuvor erfüllen und in ausdrücklicher Weise übereinstimmen. Um uns davon zu überzeugen, lassen wir nochmals die wichtigsten rasch an uns vorüberziehen:


1. Die Menschheit ist mitten im Abfall begriffen, und die Gesamtheit der Massen wenden sich nun von der Frömmigkeit ab.

2. Der Krieg hat ein solch weltumfassendes Stadium erreicht
3. Die Häufigkeit der Erdbeben . . .


4. Die Christenverfolgungen haben zugenommen. . .
5. Die Evangelisation der Welt hat Riesenfortschritte gemacht. . . .


6. Die Rückehr der Juden nach Palästina, die ein solches Ausmaß annimmt, ist ein völlig neues Faktum. Sie begann vor einigen Jahrzehnten. 1900 Jahre lang eine Wüste, fängt das Land nun an, aufzublühen wie eine Rose. Nie zuvor war diese Prophezeiung zur Tatsache geworden, und ihre Erfüllung ist eines der auffallendsten Zeichen.
7. Die Möglichkeit einer Weltdiktatur ist noch nie in der Geschichte so aufgetreten, wie es heute der Fall ist. . . .

Zu welchen Schlußfolgerungen zwingt uns das Zusammenwirken all dieser Tatsachen?
Jesus selbst sagt es uns: „An dem Feigenbaum lernet ein Gleichnis. Wenn sein Zweig jetzt saftig wird und Blätter gewinnt, so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. Also auch, wenn ihr das alles sehet, so wisset, daß es nahe vor der Tür ist.“ Matt. 24,32- 33.


Wohl scheint es, daß wir diesem Augenblick nahe kommen.


4. Gehen die Zeichen für die Wiederkunft des Herrn die Gemeinde oder die Welt an?
Sie gehen die eine wie die andere an, aber nach verschiedenen Gesichtspunkten. Ihre Erfüllung wird von der Gemeinde offenbar nicht in allen Teilen erlebt, da sie wohl vor der großen Trübsal entrückt wird (siehe weiter unten die Behandlung dieser Frage!). Tatsächlich wird in den dreieinhalb Jahren am Ende der Antichrist hervortreten, und auch der Abfall, Kriege, Hungersnot, Seuchentod, Verfolgungen, die Ereignisse in Palästina usw. werden ihren Höhepunkt erreichen. So kann man sagen, daß die Zeichen beim Beginn ihrer Erfüllung die Gemeinde angehen. Dieses soll genügen, um sie aufmerken zu lassen, da sie ja wacht und die Weissagungen kennt. Die Gesamterfüllung der Zeichen jedoch betrifft die Welt, denn sie wartet erst auf das Niederfahren des Blitzes, bevor sie erfaßt, daß der Sturm da ist.
Aus diesem Grunde sagt Jesus Seinen Jüngern: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebt eure Häupter, darum, daß sich eure Erlösung naht.“ Luk. 21,28.


5. Wie müssen wir persönlich uns heute verhalten, angesichts der Zeichen, die in der Erfüllung begriffen sind?


a) “Sehet zu und erschrecket nicht!” Die Gesamtheit der prophetischen Zeichen läßt uns eine grauenvolle Zukunft für die Welt ahnen. Und auch wir könnten am Schluß dieses Kapitels voller Angst sein. Aber Jesus sagt uns: „Ihr werdet hören Krieg und Geschrei von Kriegen; sehet zu und erschrecket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da.“ Matt. 24,6 ; Luk. 21,9.
Wir wissen nicht, welches Maß an Verfolgung über uns kommen wird, da das Gericht am Hause Gottes anfangen soll (1. Petr. 4,17). Aber mag kommen, was will, wir brauchen nicht zu zittern: Sein Geist wird durch unseren Mund reden, kein Haar von unserem Haupt wird umkommen, und durch Ausharren bis ans Ende werden wir unserer Seelen Heil erlangen. Genügen diese Verheißungen nicht, unsere Herzen festzumachen?


b) Erkennet die Zeichen der Zeit!
Beim ersten Kommen Jesu hätten die Juden im Bilde sein können, durch allerlei von den Propheten angekündigte Zeichen, die Seiner Erscheinung vorangingen oder sie begleiteten: alle Umstände bei der Geburt des Kindleins, die Botschaften der Engel, der Dienst Johannes, des Täufers, die Wunder Jesu usw. Die lauteren Seelen in Israel erkannten diese Zeichen und wußten genau, daß die Zeit erfüllt war. Aber Jesus sagt zu den gleichgültigen und ungläubigen Seelen: „Des Abends sprecht ihr: Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot; und des Morgens sprecht ihr: Es wird heute Ungewitter sein, denn der Himmel ist rot und trübe. Ihr Heuchler, über des Himmels Gestalt könnt ihr urteilen; könnt ihr denn nicht auch über die Zeichen dieser Zeit urteilen?“

Welch ein Vorwurf: die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen! Könnte man ihn nicht auch einer Menge unserer sogar religiösen Zeitgenossen machen, da sie weder auf die Weissagungen noch auf die Ereignisse zu achten meinen? . . .


c) „Wisset, daß es nahe vor der Tür ist.“ „An dem Feigenbaum lernet ein Gleichnis. Wenn sein Zweig jetzt saftig wird und Blätter gewinnt, so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. Also auch, wenn ihr das alles sehet, so wisset, daß es, daß „des Menschen Sohn“ nahe vor der Tür ist.“ Matt. 24,32-33. . . .
Ebenso sollen die Gläubigen wissen, daß die Wiederkunft Christi nahe bevorsteht.

d) Sehet euch vor, wachet! „Ihr aber sehet euch vor! Siehe, Ich habe es euch alles zu vorgesagt . . . Sehet zu, wachet und betet; denn ihr wisset nicht, wann es Zeit ist . . . So wachet nun, denn ihr wisset nicht, wann der Herr des Hauses kommt . . . Was Ich aber euch sage, das sage Ich allen: Wachet!“
Mk. 13, 23.33.35.37.


e) Sehet auf und erhebt eure Häupter! Luk. 21,28.

Die Wiederkehr Christi ist die allergrößte Freude, die man sich denken kann. Wenn wir den Heiland lieben und bereit sind, Ihn zu empfangen, warum sollten wir an Sein Kommen als an etwas zu Fürchtendes denken? Wir werden niedergedrückt von der Sünde, von Krieg, Leid und Tränen. . . .

Lasset uns doch zu denen gehören, welche die Zeichen der Zeit zu erkennen wissen und sich beeilen, den vier Befehlsworten zu gehorchen:



Sehet zu und erschrecket nicht!

Erkennet die Zeichen der Zeit!
Wisset, daß es nahe vor der Tür ist!
Sehet auf und erhebt eure Häupter!

Allen, die Seine Erscheinung lieb haben, hält der Herr die Krone der Gerechtigkeit bereit. 2. Tim. 4,8

 

VIERTER TEIL

Die Gemeinde und die Wiederkunft Jesu Christi


Die Entrückung der Gemeinde


I. Die Erwartung der Gemeinde
Wir haben an früherer Stelle schon gesagt: Die Gemeinde erwartet weder das Ende der Welt noch die Wiederherstellung aller Dinge. Sie erwartet eine Person, ihren himmlischen Bräutigam. Die Zeichen der
Zeit sagen ihr, daß ihre Erlösung naht, ihre Leiden, die letzten Anläufe des Feindes, lassen sie immer heißer flehen: „Komm bald, Herr Jesus!“ Und der Herr wird ein zweites Mal die Gebete der Seinen erhören, die in ihrer Not schreien: ,,Ach, daß Du den Himmel zerrissest und führest herab!“ Jes. 64, 1. Er wird kommen und sie auf ewig zu Sich holen und so die Verheißung erfüllen, die Er Seinen Jüngern gab: „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn Ich hingehe . . . , so will Ich wiederkommen und euch zu Mir nehmen, auf daß ihr seid, wo Ich
 bin.“ Joh. 14, 2-3.
Die Entrückung der Gemeinde ist nicht die einzige derartige Erscheinung in der Schrift. Es lag Gott daran, uns durch frühere Beispiele zu lehren, wie Er die, die Ihn fürchten, der Verwesung und dem Gericht über die Welt zu entreißen vermag. Kurz vor der Sintflut wandelte Henoch mit Gott „und ward nicht mehr gesehn“, weil ihn Gott wegnahm. 1. Mose 5,24.
„Durch den Glauben ward Henoch weggenommen, daß er den Tod nicht sähe, und ward nicht erfunden, darum daß ihn Gott wegnahm; denn vor seinem Wegnehmen hat er Zeugnis gehabt, daß er Gott gefallen habe.“ Hebr. 11,5. So war es auch mit Elia 2. Kön. 2, 1-12. Zuletzt wurde auch Jesus Christus selbst am Tag der Himmelfahrt in die Herrlichkeit aufgenommen. „Und da Er solches gesagt, ward Er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm Ihn auf vor ihren Augen weg.“ Apg. 1,9.
Die drei Entrückungen, die von Henoch, Elia und Christus, gewähren uns ein Bild von der Entrückung der Gemeinde und einen festen frohen Glauben der Erwartung. Als Erstlingsfrucht wurde Jesus in den Himmel aufgenommen; Gott wird zu ihrer Stunde die Gemeinde als Ernte in Seine Scheunen einsammeln; zuletzt werden die Heiligen aus der großen Trübsal wie einzelne ihren auf dem Felde in der Nachlese ein gesammelt werden.


II. Die Entrückung der Gläubigen. 

„Gott hat Seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn selig werde.“ Joh. 3, 17. Was beim ersten Kommen Christi Wahrheit wurde, wird es auch bei Seiner Wiederkunft werden. Er erscheint dann zunächst nicht, um die Sünder zu richten, sondern die Gläubigen zu retten und zu Sich zu holen. „Er wird senden Seine Engel . . . und sie werden sammeln Seine Auserwählten von den vier Winden. . . Matt. 24, 31. „Dann werden zwei auf dem Felde sein; einer wird angenommen, und der andere wird verlassen werden . . .“ Vs. 40. 41

1. In dem von Gott bestimmten Moment

2. wird in einem Augenblick

3. Christus vom Himmel herniederkommen,

4. die im Glauben Entschlafenen auferwecken,

5. den Leib der zu der Zeit auf Erden lebenden Gläubigen verwandeln,

6. und werden alle Gläubigen, verwandelte wie auferweckte, „hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, um ewig bei Ihm zu sein.“

Die noch lebenden Ungläubigen werden zurückgelassen werden zum Gericht. Wir kommen noch im einzelnen auf diese Punkte zurück.


III. Wie geht die Entrückung vor sich?

1. Das Kommen Jesu für Seine Gemeinde unterscheidet sich von Seiner Erscheinung zum Völkergericht. 
Nach Paulus wird als erstes Jesus Christus vom Himmel hernieder kommen. Während Er noch in der Luft ist, werden die Gläubigen Ihm in den Wolken entgegengerückt werden. 1. Thess. 4, 16. Kommt Er jedoch, die Völker zu richten, wird Er mit der Gemeinde (allen Seinen Heiligen) erscheinen, und Seine Füße werden auf dem Ölberg stehen, von dem aus Er gen Himmel fuhr. Sach. 14, 4; Apg. 1,11. Normalerweise tritt ein Bräutigam anders auf als ein Richter. Wir werden noch sehen, welcher Zeitraum zwischen Seinem zweifachen Erscheinen liegen kann. Aber das ist sicher, daß der Herr nur mit allen Seinen Heiligen auf die Erde herabkommen kann, wenn Er sie schon vorher zu Sich geholt hat.

2. Es wird ein Signal gegeben werden. „Er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel.“ 1. Thess. 4, 16. „Wir werden alle verwandelt werden, in einem Augenblick, und zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden.“ 1. Kor. 15, 51. Das heißt, daß die Entrückung der Gemeinde nicht zufällig und irgendwann geschieht. Dieses große Ereignis ist der Angelpunkt im Plane Gottes für die Zukunft, da es das Ende auslösen soll. Es wird sich genau zu der Stunde einstellen, die bis ins kleinste im Himmel vorbedacht ist, und wird über den ganzen Weltkreis ausgerufen werden.

3. Jesus Christus wird selbst kommen, die Seinen zuholen. 
„Er selbst, der Herr, wird herniederkommen . . .“ 1. Thess. 4, 16. Es ist wohl die Rede von Engeln, die zur Ernte kommen und die Auserwählten sammeln werden. Matt. 13, 39. Aber damit wird Sich der Herr nicht begnügen. Er selbst wird mit ihnen vom Himmel herniedersteigen, um Seine Braut zu holen. Denn auch Er sehnt Sich tief nach der Vereinigung mit ihr. Welche Wonne wird es sein, wenn wir uns zu Ihm emporschwingen können! Endlich werden unsere Augen den König sehen in Seiner Schöne, endlich wird die Bewährung unseres Glaubens das Ende davonbringen, nämlich „Lob, Preis und Ehre, wenn uns offenbart wird Jesus Christus!“ 1. Petr. 1, 7.9.


4. Die verstorbenen Gläubigen aller Zeiten werden in dem Augenblick auferweckt werden. 
Die Entrückung ist vor allem die frohe Hoffnung der Kirche Christi, die ihrem Bräutigam in der Luft entgegeneilen wird. Die Erlösten aller Zeiten werden daran teilhaben, da die selige Auferstehung zur selben Zeit stattfinden wird: „Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden Seine Stimme hören. . . Joh. 5, 28.
. . . Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden; ein jeglicher aber in seiner Ordnung: der Erstling Christus, darnach die Christo angehören, wenn Er kommen wird.“ 1. Kor. 15,22. Demnach werden alle Seelen, die in der Ruhe beim Herrn auf den Endsieg warten, in dem einen Augenblick den Auferstehungsleib erhalten.


5. Was geschieht mit den Gläubigen, die der Herr auf Erden noch am Leben findet?


Paulus gibt deutliche Unterweisung darüber: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden . . . Die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.“ 1. Kor. 15, 51. „Denn das sagen wir euch als ein Wort des Herrn, daß wir, die wir leben, werden denen nicht zuvorkommen, die da schlafen . . . Die Toten in Christo werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben und übrig bleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft.“ 1. Thess. 4, 15.
Also werden die auf Erden leben den Gläubigen, ohne den Tod zu erleiden, in jenem Augenblick verwandelt werden. Das bedeutet, daß auch sie den Auferstehungsleib bekommen. Paulus sagt: Wir, die wir leben, werden verwandelt werden. Da er das Datum der Wiederkunft des Herrn nicht kannte, hoffte er ohne Zweifel, zu seinen Lebzeiten daran teilzuhaben – können wir ihm das verargen? . . . 


6. Wo findet die Begegnung zwischen Christus und Seiner Gemeinde statt?

Paulus sagt: „Wir werden zuhleich mit denselben hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, und werden also bei dem Herrn sein allezeit“. 1. Thess. 4, 17. . . . die Kirche ist nicht von dieser Welt, sie ist geistlich und von oben. Unsere Berufung ist eine himmlische. Hebr. 3, 1. . . . und sind „samt Ihm in das himmlische Wesen gesetzt in Christo Jesu“. Eph. 1, 3; 2,6. Und als letztes hält uns Gott im Himmel, nicht auf Erden, ein unvergängliches und unverwelkliches Erbe bereit. 1. Petr. 1, 4. …


7. Wieviel Zeit nimmt die Entrückung?
„Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick (en atomo), zur Zeit der letzten Posaune. . . “ 1. Kor. 15, 50. . . . Die Entrückung wird alle überraschen, sie kommt wie „ein Blitz, wie der Dieb in der Nacht“, Matth. 24, 27. . . .
Da Jesus alle über den Erdkreis zerstreuten Gläubigen entrücken wird, ist es klar, daß sie je nachdem. . . am Abend, um Mitternacht oder am Morgen überrascht werden. Darum gilt es, vorher bereit zu sein.

8. Wird die Entrückung von den Bewohnern der Erde gesehen werden?

Darüber schweigt die Schrift. Sie erlaubt uns höchstens, Vergleiche zu ziehen. Die Entrückung Henochs scheint nicht von den Menschen gesehen worden zu sein. Die Bibel sagt nur: „Gott nahm ihn hinweg, und er ward nicht mehr gesehn.“ 1. Mose 5,24. Der Hingang Elias wurde von niemand außer Elisa gesehen, und das nur als bsondere Gnade. Und nur Seine Apostel waren Zeugen von Jesu Himmelfahrt. Apg. 1, 6.9. Vom Gesamtvolk blieb sie unbemerkt. So fragt man sich, ob die Entrückung der Gläubigen nicht ebenso verborgen geschieht.
Denken wir auch daran, daß nur die Weisen den Stern von Bethlehem sahen und ihm folgten. Matt. 2, 2. Die Stimme Gottes, die vom Himmel an Seinen Sohn erging, hielt die Menge für Donner. Joh. 12, 28. Die Begleiter des Saulus auf dem Weg nach Damaskus nahmen das Licht, aber nicht die Worte Christi wahr. Apg. 22,9. So könnten vielleicht auch die Stimme des Erzengels und der Schall der Posaune, die das Zeichen zur Entrückung geben, unmittelbar nur von den Gläubigen gehört werden. Würde der Anblick der Entrückung die Ungläubigen nicht zur Bekehrung zwingen? Das wäre dann für sie ein Schauen, nicht ein Glauben.
Übrigens, findet die Entrückung in einer Sekunde, in einem Augenblick, statt, so gibt es überhaupt nicht viel zu sehen, besoners da es für die Hälfte der Erde Nacht sein wird. Eins ist aber sicher, überall wird man die leeren Plätze bemerken. Nach seiner Entrückung wurde Elia vergeblich gesucht. 2. Kön. 2,15. Bei Henoch geschah wohl dasselbe; denn Hebr. 11,5 heißt es: „er ward nicht gefunden.“ So wird man wohl auch überall nach den entrückten Gläubigen suchen. Welches Entsetzen wird dann die Herzen derer ergreifen, die sich trotz der treuen Zeugnisse der Gläubigen nicht hatten beizeiten warnen lassen.


lV. Wann findet die Entrückung statt?

1. Kann man den genauen Augenblick voraussehen, indem sie geschieht?

Nein, aus den bei den schon angeführten Gründen: Erstens, niemand weiß Tag noch Stunde. Matt. 24,36. Die Gemeinde hat auch nicht die restlose Erfüllung der Zeichen abzuwarten, die Jesus über die große Trübsal angegeben hat. Seine Jünger heißt Er nur bereit sein. Luk. 12,40. . . .


2. Findet die Entrückung statt, sobald die Kirche Christi vollzählig ist?
Ja, das sagt Paulus in der Tat: ” Ich will euch nicht verhalten, liebe Brüder, dieses Geheimnis, auf daß ihr nicht stolz seid. Blindheit ist zum Teil Israel widerfahren, so lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei, und also das ganze Israel selig werde, wie geschrieben steht: Es wird kommen aus Zion, der da erlöse und abwende das gottlose Wesen von Jakob.“ Röm. 11,25. Gott kennt zum voraus die Zahl Seiner Auserwählten. Hat die Vollzahl der zum ewigen Leben Bestimmten den Heiland angenommen, so geht die Gnadenzeit zu Ende, und die Gemeinde wird entrückt. Dann bekehrt sich auch Israel und wird in seine frühere Stellung vor Gott wieder eingesetzt. . . .


3. Findet die Entrückung vor oder nach der großen Trübsal statt?


a) Sicher ist zunächst, daß die Gemeinde nicht jedem Gericht entrinnen wird. Petrus sagt sogar, daß das Gericht am Hause Gottes anfangen muß. 1. Petr. 4,17. Damit die Gemeinde nicht mit der Welt verdammt werde, wird sie der Herr im Feuer der Trübsal reinigen. Andererseits laufen die Endgerichte, sogar schon vor der großen Trübsal, stufenweise an, und die Gläubigen werden mit allen Menschen leiden, da sie zu Zeugen berufen sind. Schließlich wird die Welt, in stetig zunehmender Empörung gegen Gott, Seine Kinder immer mehr verfolgen. Aber diese Leiden sind nicht zu vergleichen mit denen, die auf die Entrückung folgen.
b) Offensichtlich werden auch einige Auserwählte die große Trübsal erleiden. „Es wird alsdann eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bisher, und wie auch nicht werden wird. Und wo diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt . . . Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und alsdann werden kommen sehen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und Er wird senden Seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln Seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zu dem andern.“ Matt. 24, 21-22.29-31. Nach unserer Ansicht handelt es sich hier um solche, die sich nach der Entrückung der Gemeinde während der Herrschaft des Antichristen bekehren. In einem Kapitel über die große Trübsal werden wir tatsächlich sehen, daß diese Schreckenszeit trotz allem noch eine Offenbarung der Gnade Gottes erleben wird. Eine große Zahl von Israeliten und Menschen aus allen Völkern sollen noch gerettet werden. Offb. 7,3-4. 9-14. Um dieser Auserwählten willen werden die Gerichte abgekürzt.


c) Es scheint aber doch, daß die Gemeinde vor der großen Trübsal entrückt wird. Zahlreiche Stellen lassen diese Annahme zu.

1. „Dieweil du hast bewahrt das Wort Meiner Geduld, will Ich auch dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die da wohnen auf Erden.“ Offb. 3,10. Der griechische Text sagt sogar: Ich werde dich bewahren, heraus aus der Stunde der Versuchung, die nach der Sprache der Offenbarung nur die große Trübsal sein kann.

2. Die Gerichte der Trübsal werden „der Zorn des Lammes“ genannt. Offb. 6,16. Nun hat aber die Gemeinde diesen Zorn nicht zu befürchten. Sie erwartet Jesus nicht als ihren Richter, sondern als ihren Bräutigam, um mit Ihm die Hochzeit des Lammes zu feiern. Offb. 19,7-9.

3. Das Gericht muß am Hause Gottes anfangen. 1. Petr. 4,17. Aber Gott fängt mit uns an, gerade damit wir nicht mit der Welt verdammt werden.

4. „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebt eure Häupter, darum, daß sich eure Erlösung naht.“ Luk. 21, 28. Wie könnten wir in Erwartung der Trübsal anfangen, aufzuschauen und uns zu freuen? Gerade vor ihr sollen wir bewahrt werden.

5. „So seid nun wach allezeit und betet, daß ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem allem, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.“ Luk. 21,36. Durch Wachen und Beten ist es demnach möglich, all diesem, das kommen soll, zu entrinnen.

6. Nach Paulus geht das Auftreten des Antichrist der Wiederkunft des Herrn voraus: „Was es noch aufhält (den Antichristen), wißt ihr, daß er offenbart werde zu seiner Zeit (der Antichrist). Denn es regt sich bereits das Geheimnis der Bosheit, nur daß, der es jetzt aufhält, muß hinweg getan werden; und alsdann wird der Boshafte offenbart werden, welchen der Herr umbringen wird mit dem Geiste Seines Mundes und wird durch die Erscheinung Seiner Zukunft ihm ein Ende machen.“ 2. Thess. 2,6-8.


Man hat sich oft gefragt, wer mit „der es jetzt aufhält“ gemeint sei, dessen Verschwinden das Offenbarwerden des Antichrist erst ermöglichen soll. Folgende Auffassung erscheint uns als die zutreffendste:
Die Gemeinde ist der Tempel des Heiligen Geistes. 1. Kor. 3,16; Eph. 2, 21-22. Ist sie einmal entrückt, so hat der Heilige Geist keine Wohnung mehr auf Erden und wird auch nimmer der Flut der Versuchung entgegentreten. Dann ist die Bosheit entfesselt und „der Mensch der Sünde“ für kurze Zeit scheinbar Herr der Lage. Wenn wir es recht verstehen, wird Sich der Herr zu Beginn der großen Trübsal von der abgefallenen Menschheit zurückziehen. Andererseits sind die Christen das Salz der Erde. Matt. 5,13. Es ist daher nicht erstaunlich, wenn ihre Entrückung die Zersetzung der Welt beschleunigen würde. Vergessen wir dabei nicht, daß der Heilige Geist, auch nach der Entrückung der Gemeinde, in den Menschen, die guten Willens sind, noch wirken wird. Während der großen Trübsal wird Er über Israel ausgegossen werden, es zur Bekehrung zu führen. Sach. 12, 10; Hes. 39, 29; Jes. 59 ,20-21. Wir wissen auch, daß zur gleichen Zeit eine Menge aus allen Völkern gerettet wird. Offb. 7,9.14. Da nun der Glaube an Christus ohne den Beistand des Heiligen Geistes unmöglich ist, muß dieser wenigstens zum Teil Seine Arbeit auf Erden fortführen.


7. Wir haben schon gesehen, daß Jesus Christus am Ende der großen Trübsal mit all Seinen Heiligen auf dem Ölberg erscheinen wird, die Welt zu richten. Sach. 14,4-5. Das ist für jene nur möglich, wenn sie zuvor in den Himmel entrückt wurden.

8. Wir sehen, daß zu Beginn des Tausendjährigen Reich nur die Märtyrer auferweckt werden, die sich in der großen Trübsal geweigert haben, den Antichrist anzubeten. Offb. 20,4-6. Und doch haben die Gläubigen aller Zeiten Teil an der ersten Auferstehung, zum Leben und Herrschen mit Christus. Joh. 5,28-29. Wann sind diese Gläubigen auferstanden, wenn nicht bei der Entrückung der Gemeinde vor der großen Trübsal?

9. Außerdem sieht Johannes vor der Auferstehung der Märtyrer aus der großen Trübsal auf Thronen Menschen sitzen, welche die Macht empfangen haben zu richten. Offb. 20,4. Wer sind diese Richter? ( Mehrzahl!) Es gibt nur einen souveränen Richter, Jesus Christus, dem alles Gericht übergeben ist . Joh. 5, 22.27. Aber der Herr hat es für gut erachtet, Seine Gläubigen über die Welt mitrichten zu lassen: „Wisset ihr nicht , daß die Heiligen die Welt richten werden? . . . Wisset ihr nicht, daß wir über die Engel richten werden?“ 1. Kor. 6, 2-3. Die Richter, die sich noch vor der Auferstehung der Märtyrer aus der großen Trübsal auf jene Throne setzen, sind also Heilige. Hätten sie diese Schreckenszeit durchgemacht, wären auch sie Märtyrer geworden. Sind sie aber zu dem Zeitpunkt im ewigen Leben, so beweist das wiederum, daß sie vor der großen Trübsal entrückt wurden.

10. Jesus sagt: „Wie es geschah zu den Zeiten Lots: sie aßen, sie tranken . . . , an dem Tag aber, da Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer vom Himmel und brachte sie alle um. Auf diese Weise wird’s auch gehen an dem Tag. Er sprach zu ihm: „Eile und rette dich . . .“ 1. Mose 19,22.
„Aber gleichwie es zu der Zeit Noahs war, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“ Matt. 24, 37. Auch Noah wurde von Gott erst in Sicherheit gebracht, bevor die Katastrophe begann. Immerhin mußte er, trotz der göttlichen Bewahrung, durch die Wasser der Sintflut hindurch. Von da aus gesehen, ist es interessant, seine Erfahrung mit der des Henoch zu vergleichen: Henoch wurde, nach – einem Wandel mit Gott, vor den Gerichten von der Erde weggenommen (1. Mose 5, 24) und wäre so das Symbol der Gläubigen, die vor der großen Trübsal lebend entrückt werden. Noah dagegen, inmitten der Sintflut bewahrt, wäre der Hinweis auf die Heiligen (aus Israel und den Völkern), die wohl die große Trübsal erdulden müssen, aber das Siegel Gottes tragen. Und von diesen Heiligen schreibt Johannes: „Und ich sah einen anderen Engel, der sprach: Beschädigt die Erde nicht, noch das Meer, noch die Bäume, bis daß wir versiegeln die Knechte Gottes an ihren Stirnen.“ Offb. 7, 2-3.


11. Die Berufung und die Erwählung der Gemeinde ist ein Geheimnis (Eph. 3,3 -10) und ein Zwischenakt im Plane Gottes für die Welt. Sie geht mit dem Geheimnis der Entrückung zu Ende (1. Kor. 15, 55), bevor die Erfüllung der Weissagungen für Israel wieder ihren Lauf nimmt.

12. Es fällt direkt auf, daß keine der Episteln, die doch alle für die Gemeinde geschrieben sind, über Einzelheiten der großen Trübsal spricht. Bedeutet das nicht etwa, daß die Gemeinde diese Zeit nicht durchzumachen hat?

13. Nach Offb. Kap. 2 und 3, die (neben an deren Anwendungsmöglichkeiten) offenbar einen weiten Überblick über Entwicklungsstadien der Gemeinde geben, wird der letzte Zustand der sich Kirche nennen den Gemeinde auf Erden durch Laodizäa dargestellt, d. h. ihre Merkmale sind Lauheit, Rückgang und Abfall. Sie weist keine Züge einer verfolgten, aber treuen Kirche auf.

14. Vor den großen Gerichten der Offenbarung sehen wir die vierundzwanzig Ältesten im Himmel, welche, wie es scheint, die Erlösten aus dem Alten und Neuen Bund sind. Diese sitzen (d. h. sind eingesetzt) verklärt und gekrönt vor demThrone Gottes. Offb. 4.

15. In einer Vision sieht der Apostel Johannes, wie ein Weib ein Knäblein gebiert, das alle Heiden mit einem eisernen Stabe weiden sollte. Satan, der Drache, steht vor ihr, das Kind zu verschlingen; aber es wird zu Gott und Seinem Stuhl entrückt. Das Weib entflieht zur Wüste, vom Drachen verfolgt, aber von Gott beschützt, genau so lange wie die große Trübsal währt, nämlich tausend zweihundert und sechzig Tage. Offb. 12,4-6. 13- 17. Das Weib scheint das Volk Gottes aller Zeiten zu sein, das der Welt den Messias, dann die Gemeinde und zuletzt die Heiligen der großen Trübsal geschenkt hat. Christus, vom Satan wohl in die Feuersee gestoßen, hat ihm aber den Kopf zertreten und wurde zur Rechten Gottes in die Herrlichkeit erhöht. Von dort wird Er wiederkommen, die Völker mit eisernem Zepter zu weiden. Ps. 2,9. Auch die Gemeinde wird durch das Knäblein dargestellt: Vom Feinde belauert, wird sie gleich nach der Geburt ( d. h. wenn sie die Vollzahl erreicht hat) zu Gott und Seinem Thron entrückt, und der Herr gibt ihr die Vollmacht, gleich Ihm die Völker mit eisernem Stabe zu weiden. Offb. 2,26-27. Sofort nach ihrer Entrückung beginnen die dreieinhalb Jahre der Trübsal. Während dieser streitet der Drache in seiner Wut mit „den übrigen von des Weibes Samen, die da haben das Zeugnis Jesu Christi” (12,17), d. h. die aus Israel und den Völkern sich unter der Herrschaft des Antichristen zum Herrn bekehren.

16. Johannes verlegt die Hochzeit des Lammes, auf die sich “Sein Weib bereitet hat”, vor die Schlacht von Harmagedon. “Und es ward ihr gegeben, sich anzutun mit reiner und schöner Leinwand (die köstliche Leinwand aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen Offb. 19,7-8 . Anscheinend sind die Vorbereitung zur Hochzeit und die der Gemeinde erteilte Ermächtigung, ihr Kleid der Gerechtigkeit anzulegen, die Folge des unmittelbar nach der Entrückung vor dem Richterstuhl Christi gefallenen Entscheids. 2. Kor. 5,10; 1. Kor. 3,10-15. Erst nach diesem Gericht wird die Gemeinde verklärt und mit ihrem himmlischen Bräutigam vereint, um hernach, Ihm zur Seite, als Mitrichter und Mitherrscher vom Himmel herabzukommen.

17. Fände die Entrückung erst nach der Trübsal statt, so fragt man sich, welche Gläubigen am Leben blieben, um im Tausendjährigen Reich die Untertanen zu sein. Es wird ausdrücklich gesagt, daß sich das ganze jüdische Volk im Feuer der Läuterung zu Jesus Christus bekehren wird. Sach. 2,10; 13,8 -9. Würden diese bekehrten Juden zusammen mit der Gemeinde entrückt, so bliebe keiner von ihnen auf Erden zurück, um die ihnen in den Weissagungen verheissene Rolle zu spielen.

18. Eine Bestätigung dafür, daß der Weggang der Gemeinde den Auftakt zur großen Trübsal gibt, finden wir schließlich im folgenden Gedanken: Paulus nennt die Gläubigen die Botschafter Gottes in dieser Welt, welche die Sünder ermahnen: Lasset euch versöhnen mit Gott! 2. Kor. 5 ,20. Werden nun Botschafter, die den Frieden anbieten, schamlos abgewiesen und beschimpft, so ruft sie ihre Regierung zurück, und die Folge ist der Krieg. So wird auch einmal die Abberufung der Botschafter Gottes das furchtbare Gericht auslösen, das Seine Sache zum Endsieg führen wird.

So scheint nach all den angeführten Bibelstellen die Entrückung der Gemeinde der großen Trübsal vorauszugehen. Doch wollen wir in diesem Punkt ganz nüchtern bleiben und es bei dem allgemeinen Eindruck belassen. Gott hat es nicht für gut befunden, uns über den Zeitpunkt der Entrückung Bestimmteres zu sagen, und das wahrscheinlich, weil Er nicht will, daß wir in der sicheren Beruhigung einschlafen, allen Endgerichten zu entrinnen. Gewiß will Er uns durch die Verheißung einer sicheren Erlösung ermutigen, der Zukunft froh entgegen zu sehen. Aber ebenso mahnt Er uns, daß das Gericht am Hause Gottes beginnt, und daß es ein furchtbares sein kann. Solche, die in den letzten Jahren durch Krieg, Hunger und Verfolgung unaussprechlich gelitten haben, mögen sich manchmal gefragt haben, ob die große Trübsal schlimmer sein könnte. Laßt uns darum wachen und beten, daß der Herr die Zeit unserer Läuterung abkürzen und die Stunde unserer seligen Vereinigung mit Ihm beschleunige!

d) Welche Argumente liegen der Auffassung zugrunde, daß die Gemeinde nach der großen Trübsal entrückt wird? Manche Gläubige, welche die Schrift sehr ernst nehmen, können in den Prophezeiungen keine Pause finden zwischen der Entrückung der Gläubigen und dem Kommen Christi mit ihnen zum Weltgericht. Sie berufen sich auf folgende Gründe:

1. Viele Stellen im NT lassen anscheinend bei der Wiederkunft Christi ohne zeitliche Unterscheidung die Belohnung der Gerechten und das Strafgericht über die Ungerechten zusammenfallen. So wird bei Matt. 13, 30.41-43 das Unkraut ins Feuer geworfen und gleichzeitig der Weizen in die Scheunen gesammelt; nach Matt. 24, 22.29-31 werden die Auserwählten sogar erst nach der Drangsal und Trübsal gesammelt.
Paulus sagt, daß Gott auf den Tag Seines gerechten Gerichts den einen das ewige Leben, den anderen den Zorn vorbehält. Röm. 2, 5-9. Christus wird vom Himmel kommen und den Gläubigen die Ruhe, den Ungläubigen das ewige Verderben geben. 2. Thess. 1, 6-10. Darauf können wir antworten, daß diese Darstellungsweise schon im AT geläufig war. Immer wieder werden in denselben Texten das erste und das zweite Kommen Jesu Christi nebeneinander gestellt (z.B. Jes. 9, 5-6; 61,1-2; Sach. 9,9-10; Mal. 3, 1-2 usw.). Und doch sollten mindestens neunzehn Jahrhunderte zwischen diesen beiden Ereignissen liegen. Das wurde erst durch die Erfüllung des ersten Teils dieser Weissagungen offenbar. Wieviel mehr könnten die Erlösung der Gemeinde und das Endgericht über die Völker in gewissen Stellen des NT nebeneinander stehen, wenn sie tatsächlich nur durch die dreieinhalb Jahre der Trübsal getrennt sein sollen.
Wir haben schon einmal das Bild gebraucht: in der Ferne scheinen sich zwei Gipfel einer Bergkette zu berühren, in der Nähe aber sehen wir das tiefe Tal dazwischen. Besonders die Argumente des letzten Sehers der Schrift ( d.h. des Johannes, dem die Endoffenbarungen gegeben wurden) haben uns persönlich zu der Anschauung geführt, daß die Entrückung der Trübsal vorausgeht.

2. Nach 2. Thess. 2,1-8 scheint Paulus zu sagen, daß das Kommen des Herrn und unsere Vereinigung mit Ihm nicht vor dem Auftreten und der Vernichtung des Antichristen stattfinden werden. In seinem Buch „Die Braut des Lammes“ erklärt Stockmayer die Stelle folgendermaßen: „Warum beunruhigten sich denn die Thessalonicher, indem sie glaubten, der Tag (des Herrn) sei schon gekommen? Eben weil sie dachten, wenn der Tag des Herrn gekommen wäre, hätte die Herauswahl und die Entrückung stattgefunden, und sie wären zurückgelassen worden. Wenn die Gemeinde die ganze Trübsal erleiden müßte, dann hätte des Apostels Trost für die Thessalonicher etwa so viel bedeutet: Beruhigt euch, Christus wird in absehbarer Zeit nicht kommen, solange der Antichrist nicht erschienen ist. – Nun dachte aber der Apostel nicht im mindesten daran, einen Trost dieser Art zu bieten und zu behaupten, die Erscheinung Christi sei nicht nahe. Er wollte durchaus nicht den Thessalonichern sagen, daß viele unter ihnen vor der Wiederkunft sterben würden. Aber er tröstete sie, indem er sagt: Der Antichrist ist noch nicht aufgetreten, und der Tag des Herrn ist noch nicht da, wie ihr meinet. Darum hat auch die Entrückung noch nicht stattgefunden, wie ihr befürchtet, und ihr seid nicht zurückgelassen worden. . .
Die beiden Briefe an die Thessalonicher wurden im gleichen Jahre geschrieben. Im ersten tröstet sie Paulus mit der Erwartung der Wiederkunft. Widerspricht er sich im zweiten, wenn er schreibt: Erwartet jetzt Jesus nicht, ihr müßt erst die antichristliche Zeit durchleben; wir erwarten nicht das Kommen des Herrn, sondern des Antichristen . . . ? Gewiß hat der Apostel das nie sagen wollen.“ (S. Vers 3 u.4)
Zu eben dieser Stelle von 2. Thess. 2, 1-8 fügen wir noch bei, daß wir noch bei keinem, der das Auftreten des Antichristen vor die Entrückung stellt, eine befriedigende Erklärung für den berühmten siebten Vers gefunden haben. Wenn das (im gr. Text der), was den Antichristen aufhält, nicht der Leib Christi ist, der Tempel des Heiligen Geistes, wer ist es dann?
Ganz ohne Zweifel spricht hier Paulus von dem letzten Antichristen, dessen Laufbahn durch die glorreiche Erscheinung Christi ein Ende gesetzt wird. Wer könnte dann der sein, dessen Verschwinden den Anfang dieser verhängnisvollen Laufbahn einleitet? Für unseren Teil finden wir in der vorausgehenden Entrückung der Gemeinde die einzige triftige Antwort auf diese Frage. Manche dachten, mit diesem merkwürdigen Hindernis für den Antichristen sei die römische Weltordnung oder das römische Reich gemeint, wie es in den ersten drei Jahrhunderten der Gemeinde bestand.
Aber es ist klar, daß der Untergang der römischen Weltordnung unter den Vorstößen der Barbaren durchaus nicht
 die dreieinhalb Jahre der Endzeit einleitete.

3. Da die Offenbarung vor allem das dramatische Ende der Geschichte behandelt (hauptsächlich von Kap. 4 oder 6 an), würde sie – so sagt man – die Gemeinde nicht mehr interessieren, wenn diese vor all dem Geschehen entrückt würde. Nun sei aber die Offenbarung für die Gemeinde geschrieben und könne nicht lediglich eine Zeit angehen, da jene nimmer auf Erden weile. Das wäre für die zur Zeit des Apostels Johannes verfolgte Gemeinde ein armseliger Trost gewesen, hätte man ihr ein Buch gegeben, das nur für die Heiligen in der letzten, noch Jahrhundene entfernten Trübsal gültig wäre.
Auf dieses Argument gibt es folgende Antwort: Auch wir glauben, daß das letzte Buch der Bibel für die Christen aller Zeit geschrieben wurde. Wie wir schon am Anfang dieses Buches sagten, erfüllt sich die Weissagung oft in einem gewissen Zyklus, d. h. mehrere Teilerfüllungen können sehr wohl zu verschiedenen Zeiten aufeinanderfolgen, und docn in immer stärkerem Rhythmus. In allen stürmischen Zeiten haben die Gläubigen wunderbaren Trost und heilsame Warnungen aus der Offenbarung gescnöpft. Das hindert aber die Gläubigen der Endzeit nicht, ob vor, ob nach der Entrückung, noch mehr Kraft und Licht darin zu finden als alle früheren Geschlechter.


4. Auf Grund einer Unterscheidung der drei griechischen Ausdrücke für das Kommen des Herrn darf man nicht den Zeitpunkt der Entrückung bestimmen wollen:
Parusie – Epiphanie – Apokalypse.
Welchen feinen, ihm eigenen Sinn hat jeder dieser Ausdrücke!

a) Parusie bedeutet Ankunft, persönliche Gegenwart (meist mit „Wiederkunft“ oder „Zukunft“ übersetzt).

1. Kor. 15,23: die Auferstehung, „wenn Er kommen wird“.

1. Thess. 5,23: unsträflich auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi.

Jak. 5,7: geduldig auf die Zukunft des Herrn.

Phil. 2,12: Paulus sagt: . . . nicht allein in meiner Gegenwart (Parusie) . . schaffet, daß ihr selig werdet.

b) Epiphanie bedeutet Erscheinung, ausbrechender Glanz, Herrlichkeit.

1. Tim. 6, 14: untadelig bis auf die Erscheinung urueres Herrn Jesu Christi.
2. Tim. 4,8: die Seine Erscheinung liebhaben.

Tit. 2, 13: die Erscheinung der Herrlichkeit . . . unseres Heilandes Jesu Christi.

2. Thess. 2,8: der Boshafte . . . welchen der Herr umbringen wird . . . durch die Erscheinung (Epiphanie) Seiner Zukunft (Parusie).

c) Apokalypse bedeutet Offenbarung, Entschleierung unseres Herrn.

1. Kor. 1,7: ihr wartet auf die Offenbarung unseres Herrn.
2. Thess. 1,7: Ruhe, wenn der Herr Jesus wird offenbart werden (wörtlich: bei Seiner Apokalypse).

Aus diesem Verzeichnis geht hervor, daß diese drei Ausdrücke drei verschiedene Seiten derselben Begebenheit beleuchten: die persönliche und herrliche Wiederkunft Christi. Aber sie allein gestatten keine Unterscheidung der Zeit nach. Man hat zuweilen den Ausdruck “Parusie” nur auf das Kommen Jesu zur Entrückung der Seinen beschränken wollen, und „Epiphanie” auf Sein Herabkommen auf den Ölberg zur Vernichtung des Antichristen. Aber die oben angeführten Stellen und vor allem 2. Thess. 2,8 zeigen, daß diese Unterscheidung nicht im Text liegt. Wir stützen aber unsere Auffassung auch durchaus nicht auf ein solches Argument.


5. Paulus sagt den Thessalonichern: ,,Wir werden zugleich mit ihnen hingerückt . . . dem Herrn entgegen in der Luft.” 1. Thess. 4, 17. Das hier gebrauchte Wort scheint sagen zu wollen: jemandem entgegengehen, um mit ihm zurückzukehren.
Derselbe Ausdruck wird bei den Jungfrauen angewandt, die dem Bräutigam entgegengehen (Matt. 25, 6), und bei den Brüdern, die Paulus aus Rom entgegengehen, um mit ihm dahin zurückzukehren. Apg. 28, 15.
Dieser Ausdruck schließt in sich – so sagt man -, daß Abholer und Abgeholter gemeinsam zu einem Ort nahe beim Treffpunkt zurückkehren. Das mag sein! Aber ebenso gewiß ist, daß die Trübsal für den Gott der Ewigkeit von sehr kurzer Dauer ist, und daß die Gemeinde tatsächlich mit Jesus auf die Erde zurück kommt, wo Er erwartet wird.

6. Man findet es der wahren Streiter Christi unwürdig, immer zu berechnen, wie sie dem Leiden für ihren Meister entgehen könnten.

Die ersten Jünger dagegen freuten sich, „daß sie würdig gewesen waren, um Seines Namens willen Schmach zu leiden.“ Ap. 5,41. Paulus sagte zu den Philippern: „Euch ist gegeben, um Christi willen zu tun, daß ihr nicht allein an Ihn glaubet, sondern auch um Seinetwillen leidet.“ Warum, fragt man, sollte denn Gott die Gemeinde nicht die Trübsal erdulden lassen? Mußte sie doch im Lauf der Jahrhunderte schreckliche Verfolgungen von seiten der Juden erleiden, des heidnischen und des päpstlichen Rom und von allen modernen Verfolgern, – Gott hat es ihr nicht erspart.
Zieht man übrigens vor der Schlacht die besten Truppen aus dem Feld? Sollte der Gemeinde die Ehre genommen werden, in diesem allerwichtigsten Augenblick dem Herrn ihre Ergebenheit zu beweisen? Die Helden der Offenbarung haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod“. Sollten die Christen heute weniger Mut haben und es nicht als ihr Vorrecht fordern, an der größten aller Schlachten teilzunehmen, wo die treuen Kämpfer am nötigsten und der Sieg am herrlichsten sein wird? Der Gemeinde Herrschaft und Herrlichkeit versprechen ohne Kreuz, hieße von einem offenbar fleischlichen Sinne zeugen. (Nach R. Cameron.)

Es ist etwas sehr Richtiges an dieser stürmischen Anklage! Man hat die Lehre von der Entrückung zu oft mißbraucht, um die Christen glauben zu machen, sie hätten keine Leiden zu befürchten, sie könnten ruhig auf beiden Ohren weiter schlafen, und trotz ihrer kläglichen geistlichen Verfassung würde sie der Herr mit Freuden zu Sich nehmen. – Die Feigheit und das Schmachvolle an einer solchen Haltung sind nicht zu verkennen. Aber lassen wir die Schrift reden, so sehen wir sofort, daß Gericht und Leiden am Hause Gottes anfangen sollen. 1. Pet. 4,17. So werden nach unserer Meinung die Gläubigen reichlich Gelegenheit haben, dem Herrn vor der Entrückung ihre unbedingte Treue zu beweisen.

Übrigens bleiben, trotz der oben genannten Beweisführung, die Schriftstellen bestehen, nach denen die Gemeinde die Herrschaft des Antichristen nicht sehen wird. Es ist auch verständlich, daß der Herr, wenn Seine Geduld ein Ende hat, die rebellische Menschheit auf kurze Zeit den Händen des Feindes überläßt und vor dieser furchtbaren Prüfung die Glieder Seines Leibes von der Erde wegnimmt. Die vom Antichrist verfolgten Heiligen wären dann (wie gesagt) die nach der Entrückung bekehrten Juden und Heiden. (Dan. 7,25; Offb. 6, 9; 7,3-4. 13-14; 13,7; 20,4 usw.)

7. Um objektiv zu sein, haben wir uns bemüht, die Argumentenreihen vorzuführen, die man in dieser strittigen Frage geltend machen kann. Zum Schluß möchten wir aber nochmals sagen:
Hüten wir uns, zu bestimmt über einen Punkt zu urteilen, den erst die Zukunft ganz aufklären wird. Wir wollen suchen, mit dem uns geschenkten Licht zu einer festen Überzeugung zu kommen, aber nicht gegen solche polemisieren, deren Ansicht ein wenig von der unseren abweicht. Wir wollen mit Paulus sagen: ,,Lasset uns also gesinnt sein, und solltet ihr sonst etwas halten, das laßt euch Gott offenbaren. Doch sofern, daß wir nach derselben Regel, darein wir gekommen sind, wandeln und gleich gesinnt seien!“ Phil. 3, 15-16.
Das Allerwichtigste ist, daß wir zur Entrückung bereit sind, mag sie etwas früher oder später stattfinden.


V. Wer wird genommen, und wer wird zurückgelassen werden?
Eines ist sicher: Nicht alle Toten und Lebenden werden an der Entrückung teilhaben. Unermüdlich wird dieser Gedanke in den uns nun vertrauten Stellen wiederholt: ,,In derselben Nacht werden zwei auf einem Bette liegen; einer wird angenommen, der andere wird verlassen werden“ usw. Luk. 17, 34 ff. Welche Bedingungen müssen wir erfüllen, um vom Herrn angenommen zu werden? Wir müssen:
1. „In Christo“ sein.
d. h. durch den Glauben das Heil und das Leben aus Christus empfangen haben.  (1. Thess. 4, 13. 16-17) Wie ein Magnet nur Eisenteilchen an sich zieht und alles andere läßt, so wird Christus alle, welche die göttliche Natur empfangen haben, zu sich ziehen. An ihnen alle in wird das Wort wahr:
„Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird, werdet ihr auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit.“ Kol. 3 , 3-4.

2. Den Heilgen Geist empfangen haben und Sein Licht leuchten lassen.
Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen gehen nur die mit dem Bräutigam in den Hochzeitssaal ein, die bereit sind, während die anderen fünf die Pforte verschlossen finden. Durchgängig gilt in der Schrift das Öl als Symbol für den Heiligen Geist. Alle, die an Jesum glauben, empfangen Seinen Geist als Öl in ihre Lampen. Joh. 7, 39. „Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht Sein“. Röm. 8, 9.
Es ist aber möglich, eine Lampe ohne Öl zu haben, d.h. einen Schein von Frömmigkeit und Glauben zu haben, aber ohne das wirkliche Wesen: „Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot.“ Offb. 3, 1. So ist’s bei religiösen Menschen, die sich sogar religiös betätigen und nach außen fromm sind, aber ohne die Wiedergeburt erlebt zu haben. Gehören wir noch zu diesen?
Bedenken wir es wohl! Wenn Christus kommt, ist es zu spät, auf die Suche nach Öl zu gehen. Es genügt aber noch nicht, Öl bei sich zu haben. Auch die klugen Jungfrauen waren eingeschlafen und mußten erst aufwachen und ihre Lampen schmücken, um nicht ausgeschlossen zu werden. Viele sog. bekehrte Christen schlafen heute, man kann sogar sagen, daß die ganze Kirche schläft. Und doch rufen es uns die Weissagungen und Ereignisse laut zu: Es ist Zeit, vom Schlaf aufzustehen!
Allen, die wirklich den Heiligen Geist empfangen haben, wird es am Herzen liegen, ihre Trägheit abzuschütteln, sich zu heiligen und das göttliche Licht hell leuchten zu lassen. Hätte eine der klugen Jungfrauen in dem beruhigenden Gefühl, Öl im Vorrat zu haben, ein wenig weiterschlafen und später mit den törichten Jungfrauen eingehen wollen, so wäre sie mit ihnen verstoßen worden. Wenn sogenannte Christen in ihrer Lauheit verharren und dem Heiligen Geist wehren, sie auf die Entrückung vorzubereiten, beweisen sie damit ihren Mangel an Aufrichtigkeit und werden einfach zum Gericht auf Erden zurück gelassen werden.

3. Treu im Dienst sein.
Wir sind alle Knechte, denen der Herr je nach unserem Vermögen Gaben anvertraut hat. Bei Seiner Rückkehr wird Er zu denen, die sie verwertet haben, sagen: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, Ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude!“ Matt. 25, 21. Demnach werden nur solche an der Entrückung teilhaben, deren Werke den Herrn auf der Erde verherrlicht haben.


4. Zu den Überwindern gehören.
In den Briefen an die sieben Gemeinden in der Offenbarung behält der Herr das ewige Leben, das Paradies, die Herrschaft dem, „der überwindet“, vor. Gerettet werden nur die, welche bis zum Ende den guten Kampf des Glaubens gekämpft haben, die den „Widersacher überwunden haben durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses.“ (Offb. 12, 11) . . .

Und derselbe Apostel schreibt den Philippern: „Ich bin in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.“ . . .
Vertrauen wir dem Herrn: Seine Treue wird unsere Zubereitung auf Sein Kommen zu Ende führen.
Und da sich die Entrückung von einem Augenblick zum anderen ereignen kann, laßt uns in der ständigen Erwartung des Herrn leben und uns jeden Tag sagen: Wird es vielleicht heute sein? Dieser Gedanke wird uns keineswegs in ungesunde Schwärmerei treiben, sondern uns wachsam und nüchtern erhalten.

„Und nun, Kindlein, bleibet bei Ihm, auf daß, wenn Er offenbart wird, wir Freudigkeit haben und nicht zuschanden werden vor Ihm in Seiner Zukunft!“ 1. Joh. 2, 28.

 

Sechster Teil

ISRAEL UND DIE WIEDERKUNFT JESU

siehe separat auf der HP unter ISRAEL

 

Siebter Teil


DIE ANKUNFT JESU CHRISTI

1. Kapitel

Die glorreiche Erscheinung Jesu Christi

Das Hauptereignis, das die Propheten ankündigen, ist nicht das Weltgericht, nicht die Wiederherstellung Israels, nicht einmal der Sieg der Gemeinde: Es ist das Kommen des Sohnes Gottes in Herrlichkeit. Darum haben wir unserem Buch nicht ohne Grund den Titel DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI gegeben. Ohne die Erscheinung des Einen, Des wir warten, wären die Weissagungen gegenstandslos, die Zukunft leer.
Als der Heiland Seine Jünger durch Seine Himmelfahrt verlassen hatte, vernahmen sie die Botschaft der Engel: „Dieser Jesus, welcher ist von euch aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr Ihn gesehen habt gen Himmel fahren.“ Und es heißt: „Da wandten sie sich gen Jerusalem von dem Berge, der da heißt Ölberg.“ Apg. 1,12. Laßt uns sehen, wie der Herrn diesem Text zufolge wiederkommen soll.

1. Jesus Christus wird persönlich wiederkommen
Manche behaupten, wir könnten nicht mit der Rückkehr von Jesus Christus selbst rechnen. Damit nehmen sie diesem großen Ereignis seinen eigentlichen Inhalt, so daß es ganz nebelhaft und unpersönlich wird. Jesus sei an Pfingsten „im Geist“ wiedergekommen, oder Er käme überhaupt nicht wieder, zum einen, weil „man aus jener Welt nicht wiederkehrt“, zum andern, weil Seine Rückkehr gar nicht nötig sei. Das Reich Gottes auf Erden sei einfach der Triumph des guten Willens der Menschen. (Man wundert sich, daß derlei Ideen sich heute noch verbreiten lassen.)

Und doch ist die Schrift hierüber ganz unzweideutig: „Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Sehet, euer Gott, der kommt zur Rache; Gott, der da vergilt. Er selbst kommt und wird euch retten . . . Siehe, der Herr Herr kommt gewaltig, und Sein Arm wird herrschen. Siehe, Sein Lohn ist bei Ihm, und Seine Vergeltung ist vor Ihm. Er wird Seine Herde weiden wie ein Hirte.“ Jes. 35, 4; 40,10-11. „Der Herr wird ausziehen . . . Und Seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberge.“ Sach. 14, 3-4. Offenbar ist Jesus Christus selbst dieser Herr.

Im NT spricht der Herr dieselbe Sprache. Er schickt nicht Engel oder Erzengel, die Seinen zu holen und die Welt zu richten. In eigener Person wird Er ausziehen und von allen erkannt werden. „Ich will wiederkommen und euch zu Mir nehmen . . . Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen.“ Joh. 14, 3; 16,22.

Ebensowenig läßt Er Sich zu Seiner Vermählung vertreten. Gleich dem Bräutigam im Gleichnis von den zehn Jungfrauen überträgt Er niemandem das Recht, die Braut abzuholen: „Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt; gehet aus, ihm entgegen!“ Matt. 25, 6. „Siehe, Ich komme bald und Mein Lohn mit
 Mir . . . Ja, Ich komme bald.“ Offb. 22, 12. 20.

Zuletzt bekräftigen auch die Apostel diese Aussagen: „Bekehret euch . . . auf daß . . . der Herr sende Den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus.“ Ap. 3, 19.20. „Ihr seid bekehrt zu Gott . . . zu warten auf Seinen Sohn vom Himmel . . . Denn Er selbst, der Herr, wird herniederkommen vom Himmel.“ 1. Thess. 1, 9-10; 4,16 usw.


II. Jesus Christus wird als des Menschen Sohn erscheinen


Seit Pfingsten ließ der Herr Seinen Geist in Seiner Gemeinde wohnen. Nun soll Er leiblich wiederkommen, denn Er hat die Menschengestalt, die Er annahm, uns zu retten, nicht abgelegt. Als Johannes am Tage des Herrn im Geiste verzückt ist, sieht er den verklärten Menschensohn kommen, die Gemeinde zu warnen und die Welt zu richten. Der Unterschied zwischen dieser erhabenen Erscheinung und dem schlichten Zimmermann von Nazareth, an Dessen Brust Johannes gelegen hatte, ist so gewaltig, daß der Apostel seinem Meister wie tot zu Füßen fällt. Dieser aber legt die rechte Hand auf ihn und spricht: „Fürchte dich nicht!“ Offb. 1, 12-17. Für die Gläubigen liegt etwas unendlich Tröstliches in dem Gedanken, daß der Herr Sich dazu herabläßt, bis in Ewigkeit die Menschengestalt zu behalten, die Er angenommen hatte, um ans Kreuz zu gehen. Der Weltenbeherrscher ist einer der Unsern, Er nimmt uns in Seinen Himmel auf, wo wir ohne Ihn verloren wären, und läßt uns auf Seinem Throne sitzen. Erschreckend und demütigend aber ist für die Sünder der Gedanke, daß der höchste Richter der leibhafte Menschensohn sein wird. Bald werden sie vor Dem die Kniee beugen und zittern müssen, den sie so verachtet und dessen Vergebung sie so hochmütig verschmäht haben. Manche Texte bestätigen es, daß Jesus wirklich als Menschensohn erscheinen wird: „Siehe, es kam Einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn . . . Der gab Ihm Gewalt, Ehre und Reich.“ Dan. 7, 13. Alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit . . . Am Ende der Welt. . . wird des Menschen Sohn Seine Engel senden; und sie werden sammeln aus Seinem Reich alle Ärgernisse.“ Matt. 24, 30; 13,40.41.

III. Christus wird sichtbar wiederkommen


Der Herr könnte Sich damit begnügen, den Seinen zu erscheinen, aber alle Sünder vernichten, ohne Sich ihnen zu zeigen. Doch der Vater will, daß alle den Sohn Seiner Liebe erkennen und Ihn in Seiner Herrlichkeit sehen. An dem Tage werden alle, die auf Erden leben, die Blicke auf Ihn richten, doch mit sehr verschiedenen Gefühlen:


- Die Gläubigen werden Ihm zujauchzen,

- die Juden Ihn endlich anerkennen,

– die Ungläubigen bei Seinem Anblick erbeben.



„Sie (die Juden) werden Mich ansehen, welchen sie zerstochen haben.“ Sach. 12,10.
Jesus sagt zu den Juden, sie würden Ihn wieder sehen, wenn sie sagen: „Gelobt sei, Der da kommt im Namen des Herrn!“ Matt. 23,39. 

„Ihr werdet sehen des Menschen Sohn . . . kommen in den Wolken des Himmels.“ Matt. 26, 64. 
„Und es werden Ihn sehen alle Augen und die Ihn zerstochen haben; und werden heulen alle Geschlechter der Erde.“ Offb. 1,7.

Manche haben die etwas naive Frage gestellt, wieso Christus in einem Augenblick der ganzen Welt sichtbar werden könnte. Man braucht nur daran zu denken, daß das Licht 300.000 km in der Sekunde zurücklegt, und daß die Television erstaunliche Wunder vor unseren Augen vollbringt. Der Herr wird noch andere Mittel haben, um Sein Wort wahr zu machen.


IV. Er kommt vom Himmel auf den Wolken und mit den Wolken



1. Jesus kommt auf den Wolken, d.h. von obenher, wie Er das erste Mal kam. Es sind nicht die Menschen, die Ihn „zum König krönen“ und Sein Reich auf Erden aufrichten. Nein, Er erscheint aus dem Himmel in dem Augenblick, den Sein souveräner Wille bestimmt. Das große Bild, das Symbol der Reiche der Welt, wird von einem Steine zermalmt, der „ohne Hände vom Berg herabgerissen wird“. Dan. 2, 34.45. „Siehe, es kam Einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn.“ Dan. 7, 13. Und mehrere der schon angeführten Stellen betonen den Gedanken, da Jesus „auf den Wolken des Himmels“ kommt, nicht aus den Tiefen unserer dem Abfall verfallenen Erde.

2. „Siehe, Er kommt mit den Wolken.“ Offb. 1, 7.

Ohne diesen Text vergewaltigen zu wollen, scheint er uns zu sagen, daß Jesus auch mit den Wolken des Gerichts kommt, die die Welt bedrohen. Müßte man nicht blind sein, um zu übersehen, wie sich heute die düstersten Wolken am Horizont auftürmen? Ein Sturm ist im Anzug, dessen Umfang uns nur die Bibel ahnen läßt.

V. Jesus wird plötzlich wiederkommen.
Das Kommen des Herrn für Seine Braut wird unversehens sein. Aber wie ein Blitz wird es auch die Welt treffen, die nicht auf die prophetischen Berichte achtet: „Der Tag wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, wird sie das Verderben schnell überfallen, gleich wie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen.“ 1. Thess. 5, 2-3. „So alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus, oder da, so sollt ihr’s nicht glauben . . . Wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste! so gehet nicht hinaus; . . . Denn gleich wie der Blitz ausgeht vom Aufgang und scheinet bis zum Niedergang, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“ Matt. 24, 23.26-27. Gerade diese Blitzesschnelle kann Jesus Christus allen von einem Ende der Erde bis zum andern sichtbar machen. Dann wehe denen, die sich nicht zur Zeit gerüstet haben!

VI. Christus kommt in Herrlichkeit

Käme Er auch heute als schlichter Zimmermann von Nazareth, würde man Ihn nicht einmal dreißig Jahre leben lassen. Aber Er kommt wieder, um aller Welt Seine göttliche Herrlichkeit zu offenbaren. Es wird geschehen, daß des Menschen Sohn komme in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen Engeln; und alsdann wird Er einem jeglichen vergelten nach seinen Werken . . . Alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Matt. 16, 27; 24,30. Wir hörten, daß Jesus Christus bei Seiner Himmelfahrt in die höchste Herrlichkeit einging, und daß Er mit dieser Herrlichkeit bekleidet wiederkehren wird, um Gericht zu üben und Seine Herrschaft auf Erden aufzurichten. Dan. 7, 13-14. Und Johannes zeigt uns diesen König der Könige als den Sieger von Harmagedon. Offb. 19, 11-16. Schon sieht unser Glaubensauge „Jesum durchs Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Ehre“. Hebr. 2, 9. Aber unsere Sehnsucht ruft den Tag herbei, da unser Herr endlich im vollen Glanz Seiner Majestät offenbart wird.

VII. Der Herr kommt mit all Seinen Engeln
„Der Herr Jesus wird offenbart vom Himmel samt den Engeln Seiner Kraft und mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen.“ 2. Thess. 1, 7-8. „Es hat geweissagt Henoch . . . Siehe, der Herr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle.“ Jud. 14-15. „Die Schnitter sind die Engel . . . Des Menschen Sohn wird Seine Engel senden, und sie werden sammeln aus Seinem Reich alle Ärgernisse und die da unrecht tun . . . Und Er wird senden Seine Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln Seine Auserwählten von den vier Winden . . . Des Menschen Sohn wird kommen in Seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit Ihm.“ Matt. 13, 39-41; 24,31; 25,31. Und Ihm folgte nach das Heer im Himmel auf weißen Pferden, angetan mit weißer und reiner Leinwand.“ Offb. 19, 14. So sollen Ihm die zwölf Legionen Engel, die Er vom Vater nicht erbitten wollte, damit Ihm das Kreuz erspart bliebe, und noch weit mehr als Geleit bei Seinem Triumphzug beigegeben werden.


VIII. Christus kommt mit allen Seinen Heiligen

Die entrückte Gemeinde wird zur Hochzeit mit dem Lamm in den Himmel aufgenommen. Mit Seiner Herrlichkeit gekrönt, wird sie mit Ihm herabsteigen und an Seinem Gericht und Seiner Herrschaft teilnehmen. Nachdem Sacharja das Auftreten des siegreichen Christus bei der Schlacht von Harmagedon beschrieben hat, fährt er fort: „Da wird dann kommen der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit Dir.“ 
„Wenn aber Christus, euer Leben, Sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit.“ Kol. 3, 4. So wird der Herr Seine Braut dem ganzen Erdenrund vorstellen und sie für alle erlittene Qual, Schmach und Verfolgung trösten. „Ihr seid eine kleine Zeit traurig in mancherlei Anfechtungen, auf daß euer Glaube . . . erfunden werde . . . zu Lob, Preis und Ehre, wenn nun offenbart wird Jesus Christus.“ 1. Petr. 1, 6-7.


IX. Der Herr wird Seine Füße auf den Ölberg setzen

„Aber der Herr (Jesus selbst) wird ausziehen und streiten wider diese Heiden . . . Und Seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberg, der vor Jerusalem liegt gegen Morgen.“ Sach. 14, 3-4. Es ist ganz natürlich, daß der Herr gerade an den Ort zu Seiner glorreichen Vergeltung kommt, da Er im Garten Geth emane mit dem Tode rang, und von wo aus Er gen Himmel fuhr. Matt. 26, 30; Ap. 1, 12. Nahe bei liegt ja auch Golgatha, wo eine Welt von Empörern Ihn ans Kreuz schlug. Ebenfalls auf dem Ölberg hatte Hesekiel die Herrlichkeit des Herrn zuletzt gesehen, als sie vom Tempel gewichen war, der nun bald von Nebukadnezar zerstört werden sollte. Hes. 11, 22-32. Seitdem war der jüdische Tempel wohl wieder aufgebaut, aber nicht wieder sichtbar wie zuvor vom Herrn bewohnt worden. Die Niederfahrt des großen Siegers auf diesen vorbestimmten Ort wird die Herrlichkeit Gottes auf die Erde zurück bringen. Im Tausendjährigen Reich werden wir sie von Jerusalem aus die ganze Welt überstrahlen sehen. Nun wollen wir forschen, in welch zwiefacher Weise Sich Christus nach Seiner Niederfahrt offenbaren wird!

2. Kapitel



Der höchste Richter


I. Alles Gericht wird Jesus Christus übertragen



1. In Wirklichkeit hat Gott allein das Recht zu richten

Allein dem Herrn steht die Bestrafung der Sünder zu. Selbstverständlich kann kein Mensch den Bruder richten, da alle schuldig sind. „Gott, mache Dich auf und richte den Erdboden; denn Du bist Erbherr über alle Heiden . . . ! Herr, Gott, des die Rache ist, erscheine! Erhebe Dich, Du Richter der Welt . . . Er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit Recht.“ Ps. 82, 8; 94, 1; 98, 8-9. . . .
In erster Linie, weil Er Gott ist, wird daher Jesus Christus oberster Richter des Weltalls sein. Aber es gibt einen weiteren Grund!


2. Der Menschensohn soll Vollstrecker des Gerichts sein.

„Der Vater richtet niemand, sondern alles Gericht hat Er dem Sohn gegeben, auf daß sie alle den Sohn ehren . . . Und hat Ihm Macht gegeben, auch das Gericht zu halten, darum daß Er des Menschen Sohn ist.“ Joh. 5, 22.27. . . . „Auf den Tag, da Gott das Verborgene der Menschen durch Jesum Christum richten wird.“ Röm. 2, 16. „Jesus Christus . . . zu richten die Lebendigen und die Toten mit Seiner Erscheinung.“ 2. Tim. 4, 1. „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi, auf daß ein jeglicher empfange, nach dem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse.“ 2. Kor. 5, 10.
Aber warum wird aus drücklich das Gericht gera de dem Me nsche n soh n übergebe n? Aus zwei Grü nde n:

a) In Seiner Menschwerdung hat Sich Jesus uns gleichgestellt. Er lernte unsere Versuchungen und Nöte kennen; Er konnte die ganze Wucht der Angriffe des Feindes ermessen. So wird Er die Menschen aus Seiner Kenntnis des Falls und in aller Gerechtigkeit richten. Keiner kann auch nur versucht sein, Ihm zu sagen: „Herr, Du, der Du in der Ruhe des Himmels thronst, Du k nnst Dir meine Lage nicht vorstellen!“ (Natürlich wäre eine solche Sprache albern, da Gott alles weiß; aber Er nimmt dem Sünder jeden Vorwand, so zu reden.) Kurz, Gott hat dafür gesorgt, daß die Menschen von einem der Ihren, dem allein Sündlosen, gerichtet werden.

b) Indem Er Menschensohn wurde, einen Leib annahm, um an unserer Stelle am Kreuz zu sterben, hat Jesus den höchsten Beweis der göttlichen Liebe erbracht. Darum lag das größte Verbrechen der Menschen darin, daß sie diese unaussprechliche Gnade verschmähten. Ein Sprichwort sagt, daß der Haß nahe bei der Liebe wohne. Wir würden nicht wagen, so von Gott zu reden, aber das müssen wir uns sagen, daß der Heiland Sich für alle, die Seine Liebe mißachten, in einen unerbittlichen Richter verwandeln wird. Die Offenbarung zeigt uns Jesus Christus immer wieder als das unschuldige, sanftmütige Lamm, das für unsere Sünden geschlachtet wurde. Aber sie gibt auch den angehenden, furchtbaren Endgerichten einen erschrecklichen Namen: den Zorn des Lammes! Offb. 6,16.

II. Wie wird nun der Richter beschrieben?
Mehrere Stellen behandeln den scharfen Gegensatz zwischen Jesus Christus als Heiland und als Richter:
„Du bist Mein Sohn . . . Heische von Mir, so will Ich Dir die Heiden zum Erbe geben . . . Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen . . . Küsset den Sohn, daß Er nicht zürne und ihr umkommet auf dem Wege . . . Aber wohl allen, die auf Ihn trauen!“ Ps. 2, 7-12. „Der Geist des Herrn Herrn ist über Mir, darum daß Mich der Herr gesalbt hat . . . den Elenden zu predigen . . . zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unsers Gottes.“ Jes. 61,1-2.
Ebenso klar verkündigt das NT, daß Jesus alle Gerechtigkeit Gottes erfüllen wird. Johannes der Täufer sagt von Ihm: „Er wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen. Und Er hat Seine Wurfschaufel in der Hand: Er wird Seine Tenne fegen und den Weizen in Seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird Er verbrennen mit ewigem Feuer.“ . . .
Aber gehen wir weiter und gehen wir näher auf die kommende Tätigkeit des großen Richters ein!

III. Welche Gerichte wird Jesus Christus üben?


1. Das Gericht über die Gläubigen

Die Gläubigen entrinnen der ewigen Verdammnis, aber ihre Werke müssen geprüft und der Lohn muß für sie bestimmt werden. Einerseits sagt die Schrift: „Wer Mein Wort hört und glaubt Dem, der Mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Joh. 5,24.

„So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind.“ Röm. 8, 1. Und doch sagt Paulus in. 2. Kor. 5, 10 „Eines jeglichen Werk wird . . . durchs Feuer offenbar werden. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird selig werden, so doch wie durchs Feuer.“ 1. Kor. 3, 13-15.

2. Das Gericht von Harmagedon
Jesus ist’s, der an diesem denkwürdigen Tag der Vollstrecker des göttlichen Zorns sein wird. „Wer ist der, so von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern von Bozra? . . . Warum ist dein Gewand so rotfarben und dein Kleid wie eines Keltertreters? . . . Daher ist ihr Blut auf Meine Kleider gesp itzt, und Ich habe all Mein Gewand besudelt. Denn Ich habe einen Tag der Rache Mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, ist gekommen . . . Mein Zorn stand Mir bei. Und Ich habe die Völker zertreten in Meinem Zorn . . .“ Jes. 63,1-6.

Als Nebukadnezar das große Bild der Weltreiche betrachtete, ward „ein Stein herabgerissen ohne Hände; der schlug das Bild an seine Füße, die Eisen und Ton waren, und zermalmte sie . . . Der Stein aber, der das Bild schlug, ward ein großer Berg, daß er die ganze Welt füllte.“ Der Stein bedeutet das plötzliche Erscheinen Jesu Christi vom Himmel, um die irdischen Reiche zu vernichten und Sein Königreich aufzurichten. „Zur Zeit solcher Königreiche wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird . . . Es wird alle diese Königreiche zermalmen und verstören; aber es selbst wird ewiglich bleiben; wie du denn gesehen hast einen Stein, ohne Hände vom Berge herabgerissen. „Dan. 2,34. 44-45 (s .auch Sach. 14, 3-4).

Zuletzt tritt der Eine auf einem weißen Pferd auf, der „Treu und Wahrhaftig heißt; und Er richtet und streitet mit Gerechtigkeit. Seine Augen sind wie eine Feuerflamme . . . Aus Seinem Munde ging ein scharfes Schwert, daß Er damit die Heiden schlüge (mit Seinem Wort wird Er Seine Gegner vernichten), und Er wird sie regieren mit eisernem Stabe; und Er tritt die Kelter des Weins des grimmigen Zornes Gottes, des Allmächtigen . . . Und die anderen wurden erwürgt mit dem Schwert Des, der auf dem Pferde saß, und das aus Seinem Munde ging“. Offb. 9, 11.15.21 .

3. Das Gericht über den Antichristen

Es ist gerecht, daß der Antichrist von Dem gerichtet wird, gegen Den er sich so töricht aufgeworfen hat. „Alsdann wird der Boshafte offenbart werden, welchen der Herr umbringen wird mit dem Geist Seines Mundes (Sein Wort) und wird durch die Erscheinung Seiner Zukunft ihm ein Ende machen.“ 2. Thess. 2, 8. Die zehn Diktatoren und das Tier „werden streiten mit dem Lamm, und das Lamm wird sie überwinden (denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige).“ Offb. 17, 14.

4. Das Gericht über die Völker

Bei seinem Erscheinen wird Jesu s alle Lebenden vor Sich versammeln, zur Auslese derer, die Er für würdig hält, an Seinem Reich der Herrlichkeit teilzunehmen. Matt. 25, 31. (Wir sprechen noch über dieses Gericht im Teil über das Millennium.)


5. Das letzte Gericht

Nach den tausend Jahren findet die Auferstehung aller Gottlosen zur letzten Abrechnung statt. Auch hierbei ist Jesus Christus der hohe Richter. „Ich sah einen großen, weißen Stuhl und Den, der darauf saß; vor des Angesicht floh die Erde und der Himmel, und ihnen ward keine Stätte gefunden. Und ich sah die Toten, beide groß und klein, stehen vor Gott . . . Und so jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“ Offb. 20, 11.15. Wie muß man ihn fürchten, diesen Zorn des Lammes! Nun verstehen wir die Mahnung des Psalmisten: „Küsset den Sohn, daß Er nicht zürne und ihr umkommet auf dem Wege, denn Sein Zorn wird bald entbrennen! Aber wohl allen, die auf Ihn trauen!“ Ps. 2, 12.
Haben wir uns wirklich entschieden, wem wir begegnen möchten: dem Heiland . . . oder dem Richter ?


3. Kapitel

Der König der Könige

I. Die Ansprüche Jesu Christi auf die Königsherrschaft
Wir haben gesehen, daß Jesus Christus als Gottes und des Menschen Sohn der Richter ist. Als Herr und zugleich als Sohn Davids ist Er auch der König aller Könige.

1. Christus, der Herr

Gott allein gebührt die Herrschaft. Wir haben das erkannt, als die Rede vom Paradies und der ursprünglichen Gottesherrschaft war. „Der Herr ist König immer und ewiglich . . . Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdboden und was darauf wohnet! Denn Er hat ihn gegründet . . . Es ist der Herr Zebaoth, Er ist der König der Ehren . . . Lobsinget, lobsinget unserm König! Denn Gott ist König auf dem ganzen Erdboden.“ Ps. 10, 16; 24,1.10 . . . 

Gott ist nicht nur König des Weltalls und der Völker. Er ist auch der König Israels: „Der Herr ist unser Richter, der Herr ist unser König . . . Der Herr, der König Israels und sein Erlöser.“ Jes. 33, 22; 44,6.
Nun ist Jesus gerade als der im AT genannte, ewige König zum Herrscher über das ganze Weltall berufen. Bei Seiner Geburt verkündigten die Engel: 
„Er wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden . . . Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Luk. 1, 32; 2, 11. Jesus entnimmt dem 110. Psalm den Beweis, daß Er der Herr Davids ist: „Der Herr hat gesagt zu meinem Herrn: Setze Dich zu Meiner Rechten . . .“ Matt. 22, 41-45. An Pfingsten sagt Petrus: „So wisse nun das ganze Haus Israel gewiß, daß Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem Herrn und Christus gemacht hat.“ Ap. 2, 36. So können sich in Seiner Person die Weissagungen erfüllen, denen zufolge Gott selbst während des Tausendjährigen Reichs regiert: „Er (Gott) wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker . . . Der Herr Zebaoth wird König sein auf dem Berg Zion und zu Jerusalem und vor Seinen Ältesten in der Herrlichkeit.“ Jes. 2, 4; 24,23 u a m.

2. Der Sohn Davids
Als die Theokratie in Israel zerbrach, wollte Gott doch einen König nach Seinem Herzen erwählen, nämlich David. Er übertrug ihm sozusagen einen Teil Seiner Macht und verhieß ihm den Thron auf ewig. Der Prophet Nathan sagt zu David: „Der Herr verkündigt dir, daß der Herr dir ein Haus machen will . . . Ich will deinen Samen nach dir erwecken, der von deinem Leibe kommen soll; dem will Ich sein Reich bestätigen . . . Ich will den Stuhl seines Königreichs bestäigen ewiglich . . . Dein Haus und dein Königreich soll . . . ewiglich bestehen.“ 2. Sam. 7, 11.16. „Ich habe gefunden Meinen Knecht David . . . Ich will ihm ewiglich Samen geben und seinen Stuhl, solange der Himmel währt, erhalten . . . Sein Same soll ewigs ein und sein Stuhl vor Mir wie die Sonne . . .“ Ps. 89, 21.30.37.

Mit diesem Seinem prophetischen Bund mit David erfüllte der Herr Seine ältesten Verheißungen. Denn bei Gott geschieht nichts unversehens. Er hatte den Fehlschlag der Theokratie voraus gesehen und schon in den ersten Büchern der Bibel das Königtum angekündigt, das dereinst an ihre Stelle treten sollte. Der sterbende Jakob hatte vom Stamme Juda gesagt: „Juda ist ein junger Löwe . . . Es wird das Zepter von Juda nicht entwendet werden, noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis daß der Held (der Schilo, oder der, dem das Zepter gehört) komme; und demselben werden die Völker anhangen.“ 1. Mos. 49, 9-10.
Aus dem Stamme Juda kamen in der Tat die Königsfamilie Davids und auch Christus, den die Offenbarung „den Löwen vom Geschlecht Juda“ nennt. 5,5. Auch Bileam hatte das Kommen des Königs der Könige geschaut: „Ich sehe Ihn, aber nicht jetzt; ich schaue Ihn, aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen . . . Aus Jakob wird der Herrscher kommen.“ 4. Mos. 24, 17.19.

Natürlich haben sich alle diese Verheißungen nicht bei David und seinen Nachfolgern erfüllt. Nach ihnen wird mit der Absetzung des letzten Königs von Juda durch Nebukadnezar im Jahre 585 v.Chr. der Thron Israels leer. Aber in seiner Ankündigung des Messias sagt Amos: „Zur selben Zeit will Ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Lücken verzäunen, und was abgebrochen ist, wieder aufrichten und will sie bauen, wie sie vorzeiten gewesen ist.“ 9, 11.
Auch David hatte es verstanden, daß die seiner Dynastie gegebenen Verheißungen erst in Jesus Christus ihre Erfüllung finden würden. Das erklärt Petrus mit den Worten: „Da er (David) nun ein Prophet war und wußte, daß ihm Gott verheißen hatte mit einem Eide, daß die Frucht seiner Lenden sollte auf seinem Stuhl sitzen, hat er’s zuvor gesehen und geredet von der Aufe stehung Christi.“ Ap. 2, 30. Darum betont es das NT so stark, daß Jesus Christus dem Fleisch nach der Sohn Davids und der von Israel erwartete König ist: als diesen führt Ihn Matthäus im allerersten Vers ein. Joseph, sein Pflegevater, war aus dem Geschlecht Davids, Matt. 1, 16; Luk. 1, 27, ebenso Maria (vergleicht man die beiden verschiedenen Geschlechtsregister in Matt. 1,1-17 und Luk. 3, 23-38, so kommt man zu dem Schluß, daß das letztere wohl das der Maria ist). Der Engel Gabriel spric ht zu ihr: „Du wirst einen Sohn gebären . . . und Gott, der Herr, wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben.“ Und Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, ruft aus: „Gelobet sei der Herr . . . Er hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils in dem Hause Seines Dieners David, wie Er vorzeiten geredet hat durch den Mund Seiner heiligen Propheten.“ Luk. 1, 31-32. 68-70. Die Pharisäer und Schriftgelehrten wußten sehr wohl, daß Christus der Sohn Davids sein sollte ( Matt. 22, 42; Mk. 12, 35), und ohne Zögern wiesen sie die Weisen, die den König von Juda suchten, nach der Davidstadt Bethlehem. Matt. 2, 2-6. Micha hatte ja geschrieben: „Und du, Bethlehem aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei.“ 5, 1. Jesus erhielt öfter den Titel „Davids Sohn“, da Ihn die Menge und auch Bartimäus so nennen. Matt. 12, 23; Mk. 10, 47. Am Palmsonntag erfüllt Jesus die Verheißung des Sacharja: „Saget der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel.“ Sofort bricht die Menge in den Jubelruf aus: „Gelobt sei, der da kommt . . . Gelobt sei das Reich unsers Vaters David, das da kommt.“ Sach. 9, 9; Matt. 21, 5.9; Mk. 11,10. Und die Apostel Paulus und Johannes lehren, wie Jesus Christus „geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch“ und „die Wurzel Davids“ ist. Röm. 1, 3; Offb. 5, 5.
Mit einem solchen Recht auf das Königtum hätte Jesus natürlich schon bei Seinem ersten Kommen als der König Israels auftreten können. Wir haben schon gehört, in welcher Form Er den Juden das Königreich anbot, das sie aber so verstockt ablehnten. Wir wollen nun untersuchen, wie Jesus, der Sohn Davids, Sein wunderbares Reich aufrichtet.

II. Die Krönung des Königs der Könige

1. Jesus wird im Himmel zum König ausgerufen
Jesus ist „der Mann von vornehmer Abkunft, der in ein fernes Land reist, um für sich dort eine Königskrone zu gewinnen und dann wieder heimzukehren“. Luk. 19, 12. Bei Seiner Auffahrt setzte Er Sich zur Rechten Gottes, bis der Vater alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße mache. Mk. 16, 19; Ap. 2, 33-35. Gott hat in Christus Seine Macht gewirkt, „da Er Ihn von den Toten auferweckt hat und gesetzt zu Seiner Rechten im Himmel über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was genannt mag werden, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen; und hat alle Dinge unter Seine Füße getan.“ Eph. 1, 20-22. Jesus „erniedrigte Sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode . . . am Kreuz. Darum hat Ihn auch Gott erhöht und hat Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ Phil. 2, 8-11. Aber diese Königskrönung Jesu im Himmel ist auf Erden bisher nicht sichtbar geworden. „Jetzt aber sehen wir noch nicht, daß Ihm alles untertan sei.“ Hebr. 2, 8. Aber es naht der Tag, da sich das ändern wird.

2. Jesus Christus nimmt wirklich Besitz von Seinem Reich
„Und der siebente Engel posaunte. Und es wurden große Stimmen im Himmel, die sprachen: Es sind die Reiche der Welt unsers Herrn und Seines Christus geworden, und Er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit . . . Und die Ältesten fielen auf ihr Angesicht . . . und sprachen: Wir danken Dir, Herr, allmächtiger Gott . . . Offb. 11, 15-18.
. . . „Die Könige der Erden lehnen sich auf . . . wider den Herrn und Seinen Gesalbten: „Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!“ Aber Der im Himmel wohnt, lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. Er wird einst mit ihnen reden in Seinem Zorn. . .“ Aber Ich habe Meinen König eingesetzt auf Meinem heiligen Berg Zion.“ . . . .
Gottes Geduld ist zu Ende, die Zeit der Völker ist verstrichen. Der Herr hat zur Genüge gewartet, lange genug war Er auf Erden der Verachtete. Nun kommt Er als Herrscher . . .

III. Die Beschreibung des großen Königs
Um die Majestät und Herrlichkeit des Herrn aller Herren zu beschreiben, wollen wir nun einige, bisher zumeist unerwähnt gebliebene Stell n aus den Weissagungen anführen:


„Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf Seiner Schulter; und Er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst; auf daß Seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und in Seinem Königreich, daß Er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit; solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.“ Jes. 9, 5-6.
„Es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isais (Vater Davids und Vorfahre Jesu Christi) und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen; auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn . . . Zu der Zeit . . . steht . . . die Wurzel Isai zum Panier den Völkern, nach der werden die Heiden fragen; und seine Ruhe wird Ehre sein.“ Jes. 11, 1-2. 10. . .
„Und du Bethlehem . . . aus dir soll Mir Der kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist . . . Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und im Sieg des Namens des Herrn, Seines Gottes . . . Denn Er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und Er wird unser Friede sein.“ Micha 5, 1-4. . . .
Unter Christi Herrschaft wird kein Übergriff einer ehrgeizigen Königsmacht mehr zu befürchten sein; der Herr wird zugleich Priester und König auf Seinem Throne sein.
„Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm, und reitet auf einem Esel . . . (Die Erfüllung des ersten Teils dieser Weissagung geschah am Palmsonntag, die des zweiten Teils steht noch aus.)

„Der Streitbogen soll zerbrochen werden. Denn Er wird Frieden lehren unter den Heiden; und Seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis ans andere und vom Strom bis an der Welt Ende . . . Das Haus David wird sein wie Gott, wie des Herrn Engel vor ihnen.“ Sach. 9, 9-10; 12,8.
„Euch aber, die ihr Meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit . . .“ Mal. 4, 2.

Welche Wonne, einen solchen König auf Erden zu haben! Und welch ein Gegensatz zu dem grausigen König, den sich die Menschen zuletzt nehmen und so die lange, traurige Liste der meist in Hochmut und Sünde verstrickten Führer voll machen werden!
So wird schon allein die Ankunft Jesu Christi genügen, um auf Erden eine Ära tiefster Segnungen einzuleiten.
Darum drängt es uns zu erfahren, welcher Art die Herrschaft des Friedensfürsten sein wird.

 

8. Teil

DAS MILLENNIUM

( das Tausendjährige Reich )

 1. Kapitel

Einführung 

I. Was ist das Millennium?
Millennium ist ein lateinischer Ausdruck und bedeutet „tausend Jahre“. Man bezeichnet damit die so lange dauende Ära, da Christus nach Seiner Wiederkunft Gerechtigkeit und Frieden zur Herrschaft bringt.

II. Auf welchen biblischen Grundlagen beruht die Lehre vom Millennium?

1. Auf zahlreichen Stellen im AT.
Im AT gibt es, wie wir wissen, viele, noch unerfüllte Weissagungen. Denken wir an jene über die Endempörung der Völker, den Antichristen, die große Trübsal, Harmagedon; dann an die über Israel, das Ende ihrer weltweiten Zerstreuung, ihre Rückkehr nach Palästina und ihre Bekehrung, die Wiederherstellung des auserwählten Volkes, und schließlich über Jesus Christus selbst, nämlich über alles was Seine Rolle als Richter und König der ganzen Welt angeht!
Wir haben erkannt, wie wörtlich alle diese Prophezeiungen wohl in Erfüllung gehen sollen, ja, bereits im Zuge sind, sich zu erfüllen. Genau so sicher werden, unserer Überzeugung nach, alle Weissagungen auf die glorreiche Herrschaft des Messias auf Erden zur Vollendung kommen. Es wäre wirklich sonderbar, an die wörtliche Erfüllung der unserer armen Welt angedrohten Gerichte zu glauben, die alle gegenwärtigen Ereignisse bestätigen, alle verheißenen Segnungen hingegen zu „vergeistigen“, indem wir sie in den Himmel verlegen! In den folgenden Kapiteln werden wir ständig Gelegenheit haben, eine große Zahl solch wunderbarer Verheißungen anzuführen und aufzuzeigen, wie sie unmöglich alle erst im Jenseits zur Erfüllung kommen können.

Heben wir noch eines hervor: Im AT ist die Lehre vom Millennium so vollständig vorhanden, daß die Juden sie selbst im Talmud ganz zu entwickeln vermochten, obwohl ihnen die späteren Angaben aus dem NT abgingen. Sie hatten z.B. lange vor der Offenbarung behauptet, daß die messianische Herrschaft tausend Jahre dauern würde. So läßt es sich nicht behaupten (wie es manche getan haben), daß ohne die berühmte Stelle in Offb. 20, 1-10 die Lehre vom Millennium gar nicht bestünde.

2. Das NT bestätigt die Aussagen des AT.
Eines dürfen wir nicht vergessen: Das AT bedenkt vor allem die irdische Zukunft Israels und der Völker, auf die das Heil übergeht. Wir finden darin kaum etwas von dem erwähnt, was das Evangelium das „ewige Leben“ und das Jenseits nennt, es sei denn in kurzen Streiflichtern (doch genügend, um es den Juden in großen Linien verständlich zu machen, was ihrer in der anderen Welt wartet).

Das NT hingegen hat zum Hauptthema die Gemeinde, das geistliche Volk Gottes, und das ewige Heil oder die ewige Verdammnis der Menschheit. Nur gelegentlich spielen Christus und die Apostel auf das Millennium an. In ihrer Lehre scheinen sie sogar häufig die glorreiche Wiederkunft des Herrn und die Ewigkeit zusammen zufassen (wie es im AT oft mit dem zweifachen Kommen des Herrn der Fall ist). Aber was das NT über das messianische Zeitalter aussagt, genügt vollkommen, um die Lehre der alten Propheten zu bestätigen. Wir werden dies auch auf den folgenden Seiten sehen. Übrigens brauchte das NT die ausführlichen Beschreibungen vom Millennium, die im AT so zahlreich vorhanden sind, nicht zu wiederholen. Und gerade die noch fehlenden Offenbarungen zeigt Johannes auf:

Die Dauer des messianischen Reichs,
das Gebundenwerden Satans,
die erste Auferstehung zu Beginn der Tausend Jahre,
die zweite Auferstehung am Ende der Tausend Jahre,
die letzte Empörung,
den Zeitpunkt des Weltuntergangs und des letzten Gerichts. Offb. 20, 1-15.

III. Ist ein Millennium notwendig?
Zweifellos, da die Schrift soviel davon redet! Doch wir müssen auch den Grund dafür verstehen. Die Gegner dieser Lehre nennen den Glauben an ein sichtbares, herrliches Reich Christi auf Erden zu fleischlich, eines „Himmelsbürgers“, der von der Erde nichts erwartet, unwürdig. Diese biblische Wahrheit mag wohl zuweilen in fleischlichem Sinn entstellt worden sein. Überdenken wir aber die einfachen Angaben der Bibel, so scheinen sie die einzig mögliche Lösung zu erbringen für die letzten tausend Jahre der Erde vor ihrem Untergang.

Ginge die Entwicklung der Menschheit nur auf die Herrschaft des Antichristen und die Schlacht von Harmagedon hinaus, und sollte die Erde gleich danach vernichtet werden, so wäre im Grunde Satan der Sieger. Trotz der göttlichen Bemühungen, aus der Erde ein Paradies zu schaffen, hätte das Böse triumphiert. Haß , Krieg , Leiden, Abfall hätten sich bis zum Ende nur immer mehr gesteigert. Und Gott wäre als letzter Ausweg nur noch die Auslöschung einer unrettbaren Welt geblieben. In diesem Fall wäre die Wiederkunft Christi nur „ein Gang auf den Ruinen“ ( Mme. Brunel).
Ja, man kann sagen, daß es dann keine Aussicht auf irgendein weiteres Geschehen gäbe, da im Himmel Christus bereits den Thron Seiner göttlichen Majestät innehat. Nein, das ist unmöglich!
Schon um der Ehre des Herrn willen ist es klar, daß die Schrift uns einen ganz anderen Ausgang vor Augen stellen mußte. Gott wird das letzte Wort haben und gewaltige Rache nehmen. Aber nicht die furchtbaren Gerichte der großen Trübsal sind Seine Rache – denn der Herr richtet nur ungern -, sondern es sind vielmehr die tausend Jahre einer unvergleichlichen Wonne und Wohlfahrt, die Er der ihrem Haupte nun endlich unterworfenen Menschheit gewähren wird. Gott rächt Sich im Segnen und im Beweis der unbegrenzten Macht Seiner wunderbaren Liebe. Seine Gnadenabsichten mit dem Menschen, als Er ihn ins Paradies setzte, sind nur eine Zeit lag zurückgestellt worden. Endlich kommen sie zur Ausführung. Danach – wenn der Sieg des Herrn sich vollauf erwiesen hat – werden auch die anderen Weissagungen erfüllt werden. Die Erde wird vernichtet werden, und die Ewigkeit bricht an.

IV. Wird das Millennium tatsächlich auf Erden errichtet werden?
Indem sie alle Verheißungen des AT vergeistigen,
verweisen manche das herrliche Reich Christi in den Himmel (während sie die den Juden, dem Antichristen und den Völkern angedrohten Strafen wörtlich nehmen und der Erdenzeit vorbehalten). Aber aus den Propheten scheint uns klar hervorzugehen, daß Jesus Christus erst hienieden Sein Reich sichtbar aufrichten wird.

Der Stein, der die Füße des Bildes von Daniel zerschlägt, wird zum großen Berg, der „die ganze Welt füllte“, d.h. daß das Reich Gottes den Raum einnehmen wird, den bis dahin die Königreiche der Menschen innehatten. Dan. 2,35. 38-39. „Das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden.“ Dan. 7,27. „Und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erd.“ Offb. 5, 10. Der Engel Gabriel sagt von Jesus: „Gott, der Herr, wird Ihm den Stuhl Seines Vaters David geben.“ Luk. 1 ,32. Nun ist Gottes Thron im Himmel, aber Davids immer nur auf Erden gewesen.
Wie zahlreich und bestimmt fanden wir die Texte über Israels Rückkehr nach Palästina und seine Wiederherstellung! Eine ähnliche Fülle von Einzelheiten werden wir nun bei den Propheten über die glorreiche Periode feststellen, welche die Geschichte unseres Planeten beschließen wird.

V. Vor welchen Irrtümern müssen wir uns in Bezug auf das Millennium hüten?
Mehrere unheilvolle Irrtümer haben viele ernste Christen von der hier vorliegenden Lehre abgebracht. Darüber müssen einige Worte gesagt werden.

1. Der Glaube an das Millennium war unter den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte sehr verbreitet. Aber einige von ihnen verstiegen sich darin (wie in vielen andern Dingen) zu solchen Übertreibungen, daß sie ihre Lehre in Mißkredit brachten. Besonders ließ Papias seiner Phantasie die Zügel schießen; er suchte z.B. auszurechnen, wie viele Reben jeder Weinstock und wie viele Trauben jede Rebe im messianischen Zeitalter hervorbringen werde, um so in astronomischen Ziffern den Weinertrag zu bestimmen. „Im Millennium“, sagte er, „wird eine Weintraube einem Menschen, der gerade eine andere pflücken will, sagen: „Nimm mich, du Auserwählter des Herrn, ich bin reifer als meine Nachbarn!“ Zu derlei Beschreibungen kamen noch viele kindische Einzelheiten hinzu.
Solche fleischlichen und lächerlichen Auffassungen lösten bei Origenes, Augustinus und anderen eine heftige Reaktion aus, die zur völligen Aufgabe des ursprünglichen Begriffs vom Millennium und damit wieder zu ebenso schweren Irrtümern führte

2. Augustinus glaubte zuerst selbst an das kommende Reich des Messias, dann aber fing er an zu lehren, die tausend Jahre seien in geistlichem Sinne zu verstehen und hätten begonnen, als Jesus Christus am Kreuz den Satan besiegte und band. Als daher das Jahr 1000 kam, erwarteten große Massen voller Angst das Ende der Welt. Die Kirche ließ sich irdische Güter gegen die Sündenvergebung vermachen und besaß bald fast die Hälfte der Ländereien.

3. Danach erklärte man, daß der Ausdruck „Tausend Jahre“ nur eine lange Zeit bedeute, und daß die tatsächliche Fesselung Satans bei der Bekehrung des Kaisers Konstantin stattgefunden habe. Da habe das Evangelium über das heidnische und christenfeindliche Rom gesiegt und sei das messianische Zeitalter angebrochen. Seither regiere Christus in der Gestalt der Kirche und ihres sichtbaren Oberhauptes, des Papstes.

Solche Ideen sind aus der Begeisterung des Sieges über das Heidentum im vierten Jahrhundert begreiflich, da die langen und schrecklichen Verfolgungen aufhörten. Aber daß sich solche Ansichten trotz der Nacht des Mittelalters, der Kriege und der Verfolgungen der Reformationszeit und aller Greuel der neuesten Zeit halten konnten, ist kaum zu verstehen. Und doch ist dies die vorherrschende Auffassung in den katholischen Kreisen und sogar bei vielen Protestanten. In seiner Anmerkung zu der Stelle in der Offenbarung über die Fesselung Satans auf tausend Jahre (20, 1-3) schreibt Abbe Crampon: „Tausend Jahre: langer Zeitraum, wahrscheinlich von unbestimmter Dauer; umfaßt den Zeitabschnitt zwischen der Einschränkung der Macht Satans durch das erste Kommen des Erlösers und dem Zeitpunkt, da er, kurz vor dem Ende der Welt, wieder losgelassen wird (V. 3), positiv gesagt also, fast die ganze Zeit der Kirche im Kampf.“
Wenn dem so wäre, so müßte man die messianische Herrschaft eine wirklich jämmerliche nennen, denn es hat durchaus nicht den Anschein, als sei Satan gebunden und außerstande, die Völker zu verführen. Oder er müßte – wie es einmal einer gesagt hat – an einer schrecklich langen Kette liegen!

4. Seit der Reformation haben allerlei Sekten merkwürdige Theorien über das Millennium vertreten. Ein Schulbeispiel liefern die Schwärmer von Münster in Westfalen, die 1539 vorgeblich das “Neue Jerusalem” unter der direkten Herrschaft Christi gründeten. Ihre schauerlichen Ausschreitungen wirkten sehr ungünstig auf die Reformation in der Frage der Taufe und der Weissagung.

Von den heutigen Bewegungen nennen wir nur die „Zeugen Jehovas“, deren Anhänger die 144 000 Versiegelten aus der Offenbarung sein wollen. Ihnen zufolge ist Christus 1914 wiedergekommen und hat damals Seine wunderbare Herrschaft angetreten, wenigstens in den Enklaven der „Neuen Erde“, d.h. ihrer eigenen Gemeinschaftssiedlungen. In diesen Kolonien ist die Erde nicht mehr verflucht, ihre Eingeweihten sterben nicht mehr und leben zusammen wie die Engel im Himmel!

5. Zwei in gewissen Kreisen stark verbreitete Lehren sind die vom Post-Millennium“ und vom „A- (bzw. Anti) Millennium“.

Die Vertreter des „Prä- (bzw. Vor) –Millenniums“ glauben wie wir an die Wiederkunft Jesu Christi vor dem Millennium.

Der Glaube an das „Post-Millennium“ lehrt, daß die Menschheit, dank den religiösen, sittlichen, sozialen und technischen Fortschritten, sich immerzu aufwärts entwickelt und einem wunderbaren, goldenen Zeitalter des Friedens und der allgemeinen Brüderlichkeit entgegen geht. Der Herr käme dann nur, um diese Vergötterung der Menschenrasse mit ihrem Einlaß in die Ewigkeit zu krönen. Vor 1914 hatte diese Lehre viel Erfolg. Aber nach den beiden Weltkriegen, den Gaskammern, der Atombombe hat sie – und mit Recht – viele Anhänger eingebüßt. Entmutigt wurden diese zu A-Millennaristen, wie die Katholiken.
Der A-Millennarismus erklärt, daß wir überhaupt keine glorreiche Herrschaft Christi auf Erden zu erwarten haben. Hier einige der als Begründung für diese Ansicht vorgebrachten Argumente:
a) Die jetzige Periode der Gemeinde wird in der Schrift die „letzte Zeit“ genannt: „Gott hat am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn . . . Nun aber, am Ende der Welt, ist Er einmal erschienen, durch Sein eigen Opfer die Sünde aufzuheben.“ 1, 2; 9,26.
Petrus erklärt an Pfingsten: „Das ist’s, was durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: In den letzten Tagen will Ich ausgießen von Meinem Geist auf alles Fleisch.“ Ap. 2, 16-17.
Christus ist zuvor ersehen, ehe der Welt Grund gelegt ward, aber offenbart zu den letzten Zeiten.“ 1. Petr. 1, 20.
„Kinder, es ist die letzte Stunde! . . . es sind nun viele Widerchristen geworden; daher erkennen wir, daß die letzte Stunde ist.“ 1. Joh. 2, 18. Da wir – so sagen sie – schon am Zeitenende sind, bleibt kein Raum mehr für ein Millennium, und es steht uns nur noch die Ewigkeit bevor.

Darauf antworten wir: es geht hier nur darum, den Ausdruck „Zeitenende“ oder „letzte Stunde“ zu definieren. Wir glauben, daß das erste Kommen Christi wirklich den Anfang von Gottes Triumph bedeutet: es eröffnet die letzte Periode der Weltgeschichte. Aber das schließt zwei Tatsachen nicht aus:
Erstens, wenn die „letzte Stunde“ schon zweitausend Jahre gedauert hat, warum sollte sie nicht wenigstens tausend Jahre mehr andauern?
Zweitens, die so verlängerte „Endzeit“ kann sehr gut die an verschiedenen andern Stellen angekündigten Phasen umfassen, nämlich: die Zeit der Gemeinde, die große Trübsal, das Millennium und das letzte Gericht.

b) Mehrfach, sagt man, scheint die Schrift nur zwei „Zeitalter“ zu kennen:

das jetzige und
das zukünftige Zeitalter;
aber sie erwähnt keine Zwischenperiode (S. Matt. 12, 32 ; 20,34-35; Eph. 1,21 u.a.). Im Grunde wird immer derselbe Fehler gemacht: um eine Bibelstelle zu verstehen, darf man sie nicht für sich allein nehmen, sondern nur in Verbindung mit allen Texten, die dasselbe Thema behandeln. Weder diese „letzte Zeit“, noch „die letzte Stunde“ schließt den Triumph Gottes aus, mit dem sie beide zu Ende gehen.

Jesus bedient Sich eines ähnlichen Ausdrucks: „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben.“ Joh. 5, 25. Diese „Toten“ sind die Menschen, denen das geistliche Leben infolge ihrer Sünden abgeht (Eph. 2, 1), und die Stunde, von der Jesus spricht, hat nun fast zweitausend Jahre gedauert. Auf sie folgt eine andere „Stunde“, da alle, die in den Gräbern sind, leiblich auferstehen werden (Joh. 5, 28), die Gerechten vor den tausend Jahren, die Gottlosen gleich darnach. Ebenso nennen die Propheten sowohl die furchtbaren Endgerichte wie auch das darauf folgende messianische Reich den „Tag des Herrn“ (oder „diesen Tag“). Zeph. 1, 14-18; Sach. 14, 1.9.13.20 usw. Es ist also klar, daß in der Schrift Ausdrücke wie Zeit und Tag, Zeitalter, Jahrhundert, Endzeit verschiedene und oft sehr ausgedehnte Perioden decken können. Nur das gründliche Studium der Gesamttexte ergibt den Sinn einer jeden einzelnen Stelle.

c) Weiter sagt man, daß das NT ohne Unterbrechung (d.h. ohne Zwischenstadium des Millenniums
– die glorreiche Erscheinung Christi und den Eingang in die Ewigkeit (Matt.    25,31),
– die Auferstehung der Gerechten und der Gottlosen (Joh. 5,28; Ap. 24,15),
– die Bestrafung der Empörer und die Belohnung der Auserwählten (Matt.      13,30.41-43; 2. Thess. 1, 6-10 ),
– den Tag des Herrn und die Vernichtung der Erde (2. Petr. 3,10)
  beschreibt.

Ein solches Vorgehen darf uns nicht befremden. Wir haben ja gesehen, daß manche Propheten offenbar auch nicht die Zwischenzeit der dreieinhalb Jahre unterscheiden, welche die Entrückung der Gemeinde von ihrer glorreichen Herabkunft trennt. Ganz genau so sagten wir, wird im AT das zweifache Kommen Jesu zusammengefaßt:
Jes. 61, 1-2 spricht im gleichen Satz vom Kommen Jesu als Heiland und als Richter;
Jes. 53, 13-15 beschreibt gleichzeitig das Leiden, die Herrschaft und die               Herrlichkeit des Herrn;
Ps. 2 zeigt den vom Vater gezeugten Sohn, Seine Verwerfung, Seine Gerichte und Seine Herrschaft (Apg. 4, 25.)
Mal. 3, 1-2 scheint den Dienst Johannes des Täufers und das glorreiche Kommen des souveränen Richters nebeneinander zu stellen; usw., usw.

Solche Zusammenstellungen heben also keineswegs die vielen anderen Stellen auf, die von der Zeit der Gemeinde zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen des Herrn und vom Millennium zwischen Seiner Wiederkunft und dem Weltuntergang reden.

d) Endlich erklärt man, die Gemeinde sei himmlisch und dürfe nur geistliche Segnungen erwarten. Wir sind schon mit Christus in die himmlischen Örter versetzt. Eph. 1,3; 2,6. „Unser Bürgertum ist im Himmel“. So haben wir kein irdisches, materielles Reich in Ausicht.

Auf die Rolle der Gemeinde während des Millenniums werden wir später eingehen. Hier genüge es zu sagen, daß die auferstandenen Gläubigen, die mit Christus auf Seinem Throne sitzen, von der Herrlichkeit her mit Ihm regieren werden (wohl aus den „himmlischen Örtern“, in die wir schon hier im Glauben versetzt sind). Eine solche Perspektive schließt keineswegs aus, daß die Erde noch vor ihrer endgültigen Vernichtung am sichtbaren Triumph des Herrn teilhat.

Die Argumente der Millenniumsgegner scheinen uns also von der biblischen Sicht her nicht begründet; ganz abgesehen davon, daß ihre Lehre den Juden keine Zukunft mehr läßt und damit vielen, völlig klaren Texten widerspricht. Diesen Punkt haben wir ja bereits im Teil über Israel berührt.

6. Merkwürdigerweise begegnet man bis in die politische Welt hinein dem brennenden Wunsch, mit rein menschlichen Mitteln ein goldenes Zeitalter auf Erden herbeizuführen. „Die politischen, sozialistischen wie kommunistischen Bestrebungen unserer Tage, diese Vorläufer des Tausendjährigen Reichs, sind nichts anderes als ein grober Chiliasmus (Millenniumslehre). Nicht alles ist falsch an dem Ideal, das die Sozialisten und Kommunisten verfolgen. Was die Kirche übersah, haben sie erahnt, gesucht, heiß erstrebt. Auch darin sind die Kinder dieser Welt klüger gewesen als die Kinder des Lichts. Aber sie wollen dieses Ziel aus eigener Kraft erreichen, ohne Gott, ohne Christus. Da sie aber den Eckstein verworfen haben, wird das Werk den Bauleuten völlig mißlingen.

7. Wie köstlich ist es, den oben beleuchteten Irrtümern und sonderbaren Irrlehren die einfache Botschaft der Bibel gegenüber zu stellen! Läßt man sie allein zu Worte kommen, so staunt man über das Ausgeglichene und Geistliche ihrer Unterweisung. Durch all die Fälschungen aber sucht Satan die Gläubigen von der wunderbaren Hoffnung abzubringen, die unserer armen Erde geschenkt ist. Denn der Gedanke, bald gebunden und von dieser Ära der Heiligkeit und der Wonne ausgeschlossen zu werden, ist ihm entschieden unerträglich.

VI. Wie lange wird das Messianische Zeitalter dauern?

Sechsmal erklären die ersten sieben Verse von Offb. 20, daß es tausend Jahre dauern wird (daher der Name Millennium).

Manche behaupten, diese Zahl, wie viele andere in der Bibel, habe rein symbolische Bedeutung. Auf der menschlichen Ebene drückt sie die Totalität, hier die vollkommene Dauer aus. Es mag schon sein, daß Gott diese Zahl nicht zufällig bestimmt hat. Aber das läßt es uns, nach unserer Ansicht, durchaus zu, sie auch wörtlich zu nehmen. Daß Johannes diese Zeitangabe sechsmal wiederholt, berechtigt uns wohl zu dieser Annahme. Wir fanden oben, daß Daniel und Johannes, um unsere Aufmerksamkeit auf die dreieinhalbjährige Dauer der großen Trübsal zu lenken, sie achtmal in vier verschiedenen Ausdrücken wiederholen. Daher glauben wir, daß Christi Herrschaft auf Erden wirklich tausend Jahre währen wird.

Schon vor dem Kommen des Herrn haben die jüdischen Rabbiner, wie bereits einmal erwähnt, gestützt auf das AT, die Dauer des messianischen Reichs auf tausend Jahre festgelegt. Sie gründeten ihre Ansicht auf den Sabbat Gottes als Symbol für das Millennium.

Beachten wir noch, daß die Propheten des AT zuweilen das messianische Reich auf Erden und im Himmel in einer und derselben Vision vereinigen. Von ihrer Entfernung aus können sie nicht immer das Millennium von der Ewigkeit unterscheiden. Mit der Beschreibung des irdischen Königreiches verkündigen sie, daß der Messias ewig regieren werde. (S. z.B. Ps. 72,5-7; Dan. 7, 14-27 usw.!) Aber es ist klar, daß diese Herrschaft in den Himmel einmünden wird, und daß die tausend Jahre nur wie der Vorhof des königlichen Palastes sind.

VII. Einige Symbole für das Millennium.

1. Der Sabbat.
Ständig findet man in der Schrift den Zyklus von sechs Arbeitsperioden, auf die eine siebente der Ruhe folgt, während die achte einen neuen Anfang einleitet:

a) In sechs Tagen schuf Gott die Welt und ruhte am siebten Tage, Mose 2,2-3;
b) Jede Woche sollte Israel sechs Tage arbeiten und am siebenten 2. Mos. 20,8-1;
c) Es gab den Zyklus der sieben Wochen von Pfingsten. Mos. 23,15-16;
d) Ein anderer Zyklus von sechs Monaten führte zu den großen Festen der Posaunen, der Versöhnung und der Laubhütten, denen der siebente Monat geweiht war. Mos. 23, 24-25. 27. 34.
e) Die Israeliten sollten das Land sechs Jahre bebauen und es im siebenten ruhen lassen. 3. Mo 25,2-4. (Man findet noch solche Siebener-Zyklen im Jubeljahr, in der siebzigjährigen babylonischen Gefangenschaft und in den siebzig Jahrwochen von Daniel 9.)

Gestützt auf diese Analogien waren die Rabbiner zu der Ansicht gelangt, die Welt solle einen Zyklus erleben von:
sechs Jahrtausenden der Arbeit: 6 Tage;
tausend Jahren der Ruhe: 7. Tag;
darnach den Eingang in die Ewigkeit im Morgenrot des 8. Jahrtausends: 8. Tag.

Später drückten alte Kirchenväter denselben Gedanken in neuer Form aus. Sie glaubten, die Erde würde in großen Linien

zweitausend Jahre ohne das Gesetz sein – von Adam bis Abraham;
zweitausend Jahre unter dem Gesetz – von Abraham bis Christus;
zweitausend Jahre unter der Gnade – das jetzige Zeitalter;
eintausend Jahre unter der Herrschaft des großen Königs – das Millennium.

Selbstverständlich geben wir diese Einzelheiten nur dokumentarisch und mit allem Vorbehalt weiter. Wir möchten uns hüten, auch nur dem Anschein nach ein Datum für die Wiederkunft Christi festzulegen. Möglicherweise findet sie bald statt; aber sollte sie auch noch lange verziehen, so würde das unsern Glauben in keiner Weise erschüttern, denn Er allein kennt Tag und Stunde. Immerhin glauben wir – allein auf die Analogie des Glaubens gestützt und unter Vermeidung jeder Übertreibung – mit den Rabbinern aus dem Sabbatzyklus schließen zu dürfen, daß die aufgewühlte Weltgeschichte im Sabbat-Jahrtausend der großen Ruhe ihr Ende findet.

2. Das Jubeljahr.
Nach sieben Sabbatjahren, d.h. nach 49 Jahren, sollte Israel das Jubeljahr feiern. „Ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt ein Freijahr ausrufen im Lande allen, die darin wohnen; denn es ist euer Halljahr. Da soll ein jeglicher bei euch wieder zu seiner Habe und zu seinem Geschlecht kommen . . . Ihr sollt nicht säen auch was von selber wächst, nicht ernten; denn das Halljahr soll unter euch heilig sein.“ 3. Mos. 25,10-12. Und alle Kaufverträge mußten den Zeitabstand bis zum nächsten Jubeljahr berücksichtigen.
Welch schönes Bild vom kommenden großen Jubeljahr haben wir hier! Bald werden völlige Freiheit, Gleichheit, Eigentumsrecht, Ruhe, allgemeiner Wohlstand nicht mehr bloße Worte sein, sondern zur herrlichen Wirklichkeit werden. Könnten wir doch auch alle unsere Geschäfte von heute ab im Blick auf das kommende Reich erledigen!

3. Die Stiftshütte.
Gott hatte die Stiftshütte mit ihren Opfern und Riten als Mittel ersonnen, um Sein Wohnen unter dem Volke Israel zu ermöglichen: „Sie sollen Mir ein Heiligtum machen, daß Ich unter ihnen wohne. . . Da Ich Mich euch bezeugen und mit dir reden will . . . Daselbst will Ich . . . geheiligt werden in Meiner Herrlichkeit. So will Ich die Hütte des Stifts mit dem Altar heiligen . . . Und will unter den Kindern Israel wohnen und ihr Gott sein, daß sie wissen sollen, Ich sei der Herr, ihr Gott, der sie aus Ägyptenland führte, daß Ich unter ihnen wohne . . . Da bedeckte die Wolke die Hütte des Stifts, und die Herrlichkeit des Herrn füllte die Wohnung“ 2. Mos. 25, 8; 29. . . .

4. Das Gelobte Land.

Nach Jahrhunderten der Versklavung und Verbannung in Ägypten und mühevollen Wüstenwanderungen genossen die Israeliten unter Josuas Führung endlich die Freiheit, Ruhe und Fülle im Gelobten Land. Die Segnungen, die ihnen zuteil werden sollten, falls sie treu blieben, gleichen sehr den Verheißungen fürs Millennium: Gott selbst wird vor ihnen hergehen und mit ihnen sein; Er wird es z um heiligen Volk machen und zum Herrn über alle Völker. Großer materieller Wohlstand wird sein Erbteil in einem Lande sein, da „Milch und Honig fließt“. So wird das Volk in Freude und Frieden die Erfüllung der Verheißungen Gottes erleben. 5. Mos. 31, 8. Dann wird das Laubhüttenfest eine ständige Erinnerung an die vergangene Zeit seines Nomadenlebens in Zelten sein. 3. Mos. 23, 42-43. Der Hebräerbrief sieht im Einzug Israels in Palästina ein Bild der Ruhe, in die der Gläubige, indem er das vollkommene Werk Christi annimmt, im Glauben eingeht. 4, 8-10. Aber man darf auch darin ein Bild der Wonne im Millennium sehen. . . .

5. Die Herrschaft Salomos.

Nach der bewegten Zeit der Richter und all den Kriegen Davids (1. Chr. 28,3) erschien Salomo seinem Volke wahrlich als ein Friedenskönig. Er begann damit, seines Vaters Diener zu belohnen und Feinde zu bestrafen. Er gab seinem Volk Ruhe und Sicherheit, daß jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen konnte. Mit großer Weisheit begabt, baute er dem Herrn ein festes, prächtiges Haus. Gott schenkte ihm Reichtum, Güter und Ehren, wie ie vor ihm kein König besessen hatte. Mit außergewöhnlichem Scharfsinn übte er Gericht. . . .
Alle diese Symbole lassen uns die wunderbare Wirklichkeit ahnen, die uns die lichtvollen Blätter der Propheten vorführen sollen.

2. Kapitel

Aufrichtung des Reiches

Mehrere wichtige Ereignisse sollen zu Beginn des Millenniums stattfinden, auf die wir im einzelnen eingehen müssen.

I. Satan wir gebunden
Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in den Hand. Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan, und band ihn tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und versiegelte obendrauf, daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre; und danach muß er los werden eine kleine Zeit“. Offb. 20, 1-3.

Welche Veränderung, wenn der Versucher nicht mehr imstande ist, die Völker zu verführen! Wunderbarer wird es sein als im Paradies, da Satan dort unsere ersten Eltern zu Fall bringen konnte. Ganz abgesehen davon, daß Christus im Millennium in Herrlichkeit offenbart und bei den Menschen wohnen wird.

II. Die erste Auferstehung
„Und ich sah, . . . die Seelen derer, die enthauptet sind um des Zeugnisses Jesus und um des Wortes Gottes willen, und die nicht angebetet hatten das Tier noch sein Bild und nicht angenommen hatten sein Malzeichen an ihre Stirn und auf ihre Hand, diese lebten und regierten mit Christo tausend Jahre. Die anderen Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis daß tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung! Über solche hat der andere Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit Ihm regieren tausend Jahre“. Offb. 20, 4-6. Über die Entrückung der Gemeinde hörten wir, daß alle Gläubigen, ob lebend oder tot, den Auferstehungsleib bekamen und mit Christus in die Herrlichkeit eingingen. Mit Ihm kommen sie nun wieder und setzen sich auch auf den Richterstuhl. Andererseits hat sich, so wir es recht verstehen, seit der Entrückung die große Trübsal abgespielt, in der alle getötet wurden, die Christus und nicht den Antichristen zum Herrn wählten. Offb. 12, 6.17; 13,15. Johannes hat schon am Anfang der Offenbarung die Seelen dieser Märtyrer gesehen, die Gott um Gerechtigkeit anflehten. 6, 9-11. Diese erwachen nun zum Leben und haben teil an der ersten Auferstehung. Daraus folgt:

a) Die „erste Auferstehung“ umfaßt die Gläubigen im Blick auf das Millennium. Die daran teilhaben, werden selig gepriesen; sie entrinnen der Hölle und werden mit dem Herrn tausend Jahre lang Könige und Priester sein. Diese Vorrechte sind allen vorbehalten, denen Christus der Heiland geworden ist. Offb. 1, 5-6; 2,11; 3,21. Folglich glauben wir, daß die ganze entrückte Gemeinde an derselben „ersten Auferstehung“ teilhat, wie die hier erwähnten Märtyrer. Johannes führt nur die letzteren an, weil die Gemeinde ja schon auferstanden ist und auf dem Richterstuhl sitzt.

b) Die erste Auferstehung unterscheidet sich klar von der zweiten. Mehrere Stellen der Schrift erwähnen beide: „Viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen; etliche zum ewigen Leben, etliche zu ewiger Schmach.“ Dan. 12,2. „Sie warten . . . der Auferstehung . . . der Gerechten und Ungerechten.“ Ap. 24, 15.
„Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden Seine (Christi) Stimme hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“. Joh. 5, 28. Aber es ist die Offenbarung, die uns lehrt, daß die ganze Dauer des Millenniums die zwei Auferstehungen voneinander trennt. Ohne diese Zahl anzugeben, sagte Jesaja faktisch dasselbe, als er schrieb: „Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen . . . die Könige der Erde, die auf Erden sind (bei Harmagedon), daß sie versammelt werden als Gefangene . . . im Kerker und nach langer Zeit wieder heimgesucht werden.“ 24, 21. Wie wichtig ist es, daß ein jeder von uns weiß, welche Auferstehung seiner wartet, und ob er teilhaben wird an der ersten Auferstehung!

III. Das Völkergericht.

1.Wenn Christus durch die Endgerichte und den Sieg bei Harmagedon alle Feinde, die sich offen gegen Ihn empörten, vernichtet hat, wird es noch viele Menschen auf Erden geben. Nach der Schrift scheinen zwei Drittel der Juden und ein Viertel der Menschheit in der großen Trübsal umzukommen. . . .

2. Die Gemeinde scheint zusammen mit Christus die Völker zu richten. . . .

3. Die so vom Herrn ausgewählten Menschen werden in Fleisch und Blut auf der Erde weiterleben . . . Wir werden auf den folgenden Seiten sehen, wie viele Texte deren geistliches und materielles Leben während der Tausend Jahre beschreiben. . . .

3. Kapitel

Die Merkmale des Messianischen Reiches

Im Millennium wird der Herr den wunderbaren Plan ausführen, den Er von jeher für die Menschheit vor hatte, und der im Garten Eden nur vorübergehend mißlang. Er wird die Fülle Seiner Güte offenbaren und alles tiefe Sehnen stillen, das Er selbst in des Menschen Herz gelegt. Alles, was die Menschen an höchsten Gütern ohne Gott vergebens erstrebt haben, wird nun im Reich Seines Sohnes in Hülle und Fülle über sie ausgeschüttet werden. Laßt uns die Merkmale dieses Reiches näher betrachten!

I. Die Gerechtigkeit
Daß Sünde und Ungerechtigkeit heute überall triumphieren, das macht unser Erdendasein in so schwierig. Jesus Christus wird das alles ändern.
„Das Zepter Deines Reichs ist ein gerades Zepter. Du liebest Gerechtigkeit und hassest gottloses Wesen.“ Ps. 45,7-8. . . .
Dann werden alle sozialen Probleme gelöst sein. Was die Moral in ihrer Ohnmacht nicht vermochte, was die politischen Parteien nicht erzwingen konnten, was die Kirchen vergeblich zu erreichen suchten, wird eines Tages durch den einzig Gerechten auf Erden verwirklicht werden, Jesus Christus.
„Euch aber, die ihr Meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln.“ Mal. 4, 2. . . .

II. Friede
Ungerechtigkeit führt immer zum Krieg. Ist jene endlich ausgemerzt, wird dieser auch verschwinden: „Laß die Berge den Frieden bringen unter das Volk und die Hügel die Gerechtigkeit . . . Großer Friede . . . wird blühen, bis daß der Mond nimmer sei. ” Ps. 72, 3.7.
„Er wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen . . .
Er heißt . . . Friedefürst, auf daß . . . des Friedens kein Ende werde auf dem Stuhl Davids und in Seinem Königreich, daß Er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. . . . Jes. 2, 4; 9, 5-6.

Seit Kain seinen Bruder getötet hat, ist die Menschheit in Kriege verstrickt. . . . Auf geistlicher Ebene besteht dieser Friede schon zwischen dem Herrn und allen Seinen wahren Kindern. Aber eines Tages wird er sich hier auf Erden herrlich offenbaren. Dann geht endlich die Engelsbotschaft der Weihnacht in Erfüllung: „Friede auf Erden!“

III. Glückseligkeit
„Und es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind . . . Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht . . . . . .

IV.  Langes Leben und Gesundheit
Der Tod lag ursprünglich nicht im Plan Gottes, er ist durch die Sünde in die Welt gekommen. 1. Mos. 3,19. Nach dem Sündenfall haben die Patriarchen sogar noch sehr lange gelebt. Adam wurde z.B. 930, Methusalah 969 Jahre alt. Erst die Verderbtheit der Generation der Sintflut ließ Gott die Lebenszeit des Menschen auf höchstens 120 Jahre kürzen, während späterhin nur die Kräftigsten im Durchschnitt 70 bis 80 Jahre erreichten. 1. Mos. 5, 5. 27.

Nach den Weissagungen soll das Leben der Menschen in der messianischen Ära wieder bedeutend länger werden. Keiner stirbt mehr eines frühzeitigen Todes, und ein Hundertjähriger wird noch jung sein . . .

Wir werden gleich sehen, daß der Tod nur ausnahmsweise über solche verhängt wird, die auf dem Weg der Sünde beharren. Dagegen sollen anscheinend Unzählige die Möglichkeit haben, fast das ganze Millennium hin durch zu leben. Solche Behauptungen konnten vor einigen Jahren ein Lächeln hervorrufen. Aber gelehrte Biologen haben entdeckt, daß unsere Organe so beschaffen sind, daß sie viel länger leben könnten. Man versteht nicht, weshalb der Tod so bald eintritt. . . . Und wir glauben, daß es für den allmächtigen Gott ein Kinderspiel sein wird, das Menschenleben zu verlängern, wenn Er den Augenblick für gekommen hält, die Weissagungen zu erfüllen. Bis dahin aber wollen wir Gott danken, daß Er unser Leben, wie es jetzt ist, nicht verlängert. In unserer Welt voll Sünde, Leiden und Gebrechen wäre Langlebigkeit keine Wohltat, eine sehr große dagegen im kommenden goldenen Zeitalter. Aus anderen Texten scheint hervorzugehen, daß der Herr auch in reichem Maße die Gabe der Gesundheit schenken wird:

„Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren werden geöffnet werden; alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch…“ Jes. 35,5-6.
Das erscheint ganz natürlich, da auch zur Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu Christi „die Stummen redeten, die Krüppel gesund waren, die Lahmen gingen, die Blinden sahen.“ Matt. 15, 30. So wird der Herr auch auf diesem Gebiet die „Wiederherstellung aller Dinge“, von der Petrus spricht, bewirken (Ap. 3, 21) . . .

V. Materieller Wohlstand
Gott hat uns einen Leib so gut wie einen Geist und eine Seele gegeben, und Er weiß wunderbar für die Bedürfnisse dieses Leibes zu sorgen. Er hatte Adam in einen Lustgarten gesetzt, wo eine üppige Fülle herrschte. Seitdem hat Er unaufhörlich den Menschen Gutes getan, indem Er „vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsre Herzen erfüllt mit Speise und Freude“. Ap. 14, 17. Denn der Herr gibt uns „reichlich, allerlei zu genießen“. 1. Tim. 6, 17.

So entspricht es wohl ganz dem göttlichen Willen, der Erde im messianischen Reich einen paradiesähnlichen Glückszustand zu gewähren. Auch die Erde soll an der „Wiederherstellung aller Dinge“ teilhaben; genau wie die durch Wiedergeburt und Auferstehung völlig wiederhergestellte Menschheit. Damit richtet Gott alles wieder auf, was im Sündenfall zerschlagen wurde. Manche halten diese Perspektive für viel zu wenig „geistlich“, als daß man sie in Betracht ziehen dürfe. Wenig „geistlich“ waren allerdings die Übertreibungen gewisser überspannter Lehrer wie Papias. Doch die Segnungen, die Gott unserm Leib und der Erde aufbewahrt hat, können nur heilig und vollkommen sein. Um ein Bild von ihnen zu haben, brauchen wir nur die Texte unverändert reden zu lassen:
„Auf Erden . . . wird das Getreide dick stehen; seine Frucht wird rauschen wie der Libanon, und sie werden grünen in den Städten wie das Gras auf Erden.“ Ps. 72,16.
„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß man zugleich ackern und ernten und zugleich keltern und säen wird; und die Berge werden von süßem Wein triefen, und alle Hügel werden fruchtbar sein. Denn Ich will das Gefängnis Meines Volkes Israel wenden, daß sie sollen . . . Weinberge pflanzen und Wein davon trinken, Gärten machen und Früchte daraus essen.“ Amos 9,13-14.
„Zu derselben Zeit, spricht der Herr Zebaoth, wird einer den anderen laden unter den Weinstock und unter den Feigenbaum . . . Der Weinstock soll seine Frucht geben und das Land sein Gewächs geben, und der Himmel soll seinen Tau geben“. Sach. 3,10 ; 8,12.
So erfüllen sich an der ganzen Erde die alten Verheißungen, die Gott Seinem Volk gegeben hatte, falls es treu bliebe: „Werdet ihr Meine Gebote halten und tun, so will Ich euch Regen geben zu seiner Zeit, und das Land soll sein Gewächs geben und die Bäume auf dem Feld ihre Früchte bringen. … 3. Mos. 26, 3-5. 10.

So wird die Erde zum größten Wohl der Menschheit wieder ein Paradies werden, ein Paradies jedoch, das das erste gewissermaßen übertrifft, nicht seiner Fruchtbarkeit wegen, sondern weil Christus in ihm ist und der Teufel keinen Zugang hat. Der Wohlstand rührt also nicht von der materialisierten, mechanisierten Zivilisation her. Es ist gut, wenn wir das ein für allemal wissen.

VI. Der Fluch wird von der Natur genommen werden.
Nach dem Sündenfall spricht Gott zu dem Menschen: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen . . . Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ 1. Mos. 3, 17-19.
Darum sagt Paulus: Das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, . . . denn auch die Kreatur wird freiwerden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“ Röm. 8, 19-22.
Soll die Erde zu der oben beschriebenen Fruchtbarkeit kommen, so muß erst der Fluch, der auf ihr liegt, aufgehoben werden. „Es sollen Tannen für Hecken wachsen und Myrten für Dornen . . . Ich will die Wüste zu Wasserseen machen und das dürre Land zu Wasser quellen; Ich will in der Wüste geben Zedern, Akazien, Myrten und Kiefern.“ Jes. 55, 13; 41,18.

Zudem werden auch die Raubtiere ihre Wildheit verlieren: „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden auf der Weide gehen . . . . Man wird nirgends Schaden tun noch verderben auf Meinem ganzen heiligen Berge.“ Jes. 11, 6-9 (s. auch Hes. 34, 25. 28; Hos. 2, 20).
Zuletzt dürfen wir wohl auch annehmen, daß die Erde nicht mehr von solchen Naturkatastrophen verwüstet werden wird, an denen Satan nach Hiob 1,12. 16. 19 nicht immer unbeteiligt ist. Wie herrlich werden diese „Zeiten der Erqui ckung“ sein, wenn alle Dinge in ihren paradiesischen Zustand zurückversetzt sind!

VII. Hat das „Atomzeitalter“, wie man es schon nennt, etwas mit diesen großen angekündigten Umwälzungen zu tun?
Tatsache ist, daß das Leben der Menschen, das Jahrtausende lang statisch geblieben war, sich seit etwa hundert Jahren gänzlich verändert hat: Kohle, Dampfkraft, Elektrizität, Treibstoffe, Eisenbahn, Motore, Industrie, Chemie, Chirurgie, das Luftwesen, alle diese Dinge haben die frühere Lebensweise ganz über den Haufen geworfen. Heute stehen wir an der Schwelle einer Zeit viel gewaltigerer Neuerungen: Radio, Fernsehen, wahnsinnige Geschwindigkeiten und vor allem die Atomenergie scheinen Möglichkeiten zu eröffnen, die über unsere Denkkraft gehen. Es sind dies übrigens Möglichkeiten zum Guten und zum Bösen hin.
Verkehrt angewandt, kann die Atomenergie die schlimmsten Katastrophen verursachen, dagegen kann sie, wie es scheint, unser Leben auf vielen Gebieten günstig beeinflussen und verbessern, wenn sie in der rechten Weise gebraucht wird: Gesundheit, Lebensdauer, Fruchtbarkeit, Heizung, Transport und Verkehr, Arbeit usw. Ist es nicht merkwürdig, daß diese unbegrenzte Kraftquelle gerade jetzt entdeckt wurde, da unsere Welt vor den zwei großen Umwälzungen steht, die ihre Geschichte beschließen sollen: dem Weltenbrand der Endgerichte und dem Anbruch des goldenen Zeitalters, das unseren Planeten umwandeln soll?

In Seinem Tun hat Gott natürlich tausend Mittel und Wege, und wir wollen nicht behaupten, daß Er Sich nur der von den Menschen entdeckten Kraftquellen bedienen werde, um das Gericht und die Erneuerung der Erde durchzuführen. Und doch wissen wir, daß Er oft zu ganz einfachen, natürlichen Mitteln greift (dem Wasser der Sintflut z.B.); und die uns jetzt schon bekannten genügen vollauf, die Gedanken der Propheten über die neue Lebensgestaltung in der Zukunft zu bestätigen.

4. Kapitel

Deine Augen werden den König sehen in Seiner Schöne

Im siebenten Teil über die Wiederkunft Jesu Christi beschäftigten wir uns mit der Frage, wie uns die Schrift den König der Könige darstellt. Nun wollen wir sehen, wie der Herr Seine Herrschaft ausübt.

I. Jesus Christus wird Seine Gegenwart inmitten Seines irdischen Königreichs offenbaren.
Im Paradies sprach Gott mit dem Menschen und hatte direkte Verbindung mit ihm. Der Sündenfall unterbrach diese Gemeinschaft, da Adam und Eva aus Eden vertrieben wurden.

In der Theokratie Israels ging der Herr selbst in der Wolken- und Feuersäule vor dem Volke her und nahm dann Wohnung im Tempel zu Jerusalem. 2. Mos. 14, 19. 24; 2. Chr. 5, 13-14; 7, 1-2.
Während Seines ganzen Erdendienstes war Jesus Christus wirklich der „Immanuel“, d.h. Gott mit uns. Nach Seiner Auferstehung blieb Er noch vierzig Tage auf Erden, redete mit Seinen Jüngern, erschien und verschwand, kam und hob Sich hinweg, nach Seinem Belieben.

So ist es nicht verwunderlich, wenn die Propheten die göttliche Gegenwart für das Millennium verheißen: „Er wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker . . . Zu der Zeit wird des Herrn Zweig lieb und wert sein und die Frucht der Erde herrlich und schön bei denen, die erhalten werden in Israel . . . Der Herr Zebaoth wird König sein auf dem Berg Zion und zu Jerusalem und vor Seinen Ältesten in der Herrlichkeit . . . Deine Augen werden den König sehen in Seiner Schöne . . . Denn der Herr ist unser Richter, der Herr ist unser Meister, der Herr ist unser König, Der hilft uns.“ Jes. 2, 4; 4, 2; 24, 33; 33, 17.22

„Mein Knecht David soll ihr König und ihrer aller einiger Hirte sein . . . Mein Heiligtum soll unter ihnen sein ewiglich. Und Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein, und sie sollen Mein Volk sein.“ Hes. 37, 24. 26-27. „Der Herr wird König sein über alle Lande . . . Und alle übrigen unter allen Heiden . . . werden jährlich herauf kommen, anzubeten den König, den Herrn Zebaoth.“ Sach. 14, 9.16.

II. Wie wird sich Seine Gegenwart offenbaren?

1. Jesus Christus wird sichtbar erscheinen.
Wenn des Menschen Sohn zum Weltgericht kommt, „werden Ihn sehen alle Augen.“ Offb. 1, 7; Matt. 24, 30. Und ebenso gut wie als Richter kann Sich Jesus als König offenbaren.
Darum schreibt Jesaja: „Deine Augen werden den König sehen in Seiner Schöne.“ 33, 17. Zu derselben Gedankenreihe gehört folgendes: Zwischen Ostern und Himmelfahrt aß Jesus im Angesicht Seiner Jünger, um ihnen zu beweisen, daß Sein Leib wirklich auferstanden war. Luk. 24, 36-43. Auch als Er ihnen beim Abendmahl den Kelch reichte, erklärte Er: „Wahrlich, Ich sage euch, daß Ich hinfort nicht trinken werde vom Gewächs des Weinstocks, bis auf den Tag, da Ich’s neu trinke in dem Reich Gottes.“ Mk. 14, 25. Man fragt sich daher, ob der Herr nicht auch im Millennium Seine Menschensohnschaft ebenso greifbar machen wird.
Wir wollen noch das eigene Wort des Herrn anführen: „Wahrlich, wahrlich, . . . von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf – und herabfahren auf des Menschen Sohn. Joh. 1, 51. Der Himmel offen! Der Gedanke an alles, was dieses erahnen läßt, bewegt uns tief.

In ihrer Verkündigung von der sichtbaren Offenbarung des Herrn sagt die Schrift aber nichts Genaues darüber aus, ob diese eine ununterbrochene sein soll. Er könnte auftauchen und verschwinden, wie Er will, und wie Er es zwischen Ostern und Himmelfahrt tat.

2. Die Herrlichkeit des Herrn wird in dem wiedererbauten Tempel zu Jerusalem wohnen.
Menschenaugen können Jesus in Seiner Leiblichkeit sehen und das Maß Seiner Herrlichkeit, das Er ihnen enthüllen will, schauen. Aber es gibt einen Glanz Gottes, den kein Sterblicher zu ertragen vermag. „Denn kein Mensch wird leben, der Mich siehet“, sagt Gott zu Mose. 2. Mos. 33, 20. Im Geheimnis des Allerheiligsten des salomonischen Tempels hatte Gottes Herrlichkeit gewohnt. Aber in dem Augenblick, da sie sich dort niederließ, „konnten die Priester nicht hineingehen, denn die Herrlichkeit des Herrn füllte das Haus des Herrn.“ 2. Chr . 7, 2. Später zog sie dann Gott, wie gesagt, vor der Zerstörung des Tempels daraus zurück und vom Ölberg aus wieder in den Himmel. Hes. 9, 3-6; 11, 22-24.

Ist der Tempel im wiederhergestellten Jerusalem nach den Plänen Hesekiels neu erbaut, so wird der Herr wieder dort wohnen (davon noch später). Jesus Christus wird Seine Füße auf den Ölberg setzen und das Wort des Propheten an Zion erfüllen: „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir . . . Die Herrlichkeit soll an dich kommen, Tannen, Buchen und Buchsbaum miteinander, zu schmücken den Ort Meines Heiligtums; denn Ich will die Stätte Meiner Füße herrlich machen.“ Sach. 14, 4; Jes. 60, 1.13.
Hesekiel beschreibt dieses große Ereignis genauer: „Und siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israel kam von Morgen (von der Seite des Ölbergs) und brauste, wie ein großes Wasser braust; und es ward sehr licht auf der Erde von Seiner Herrlichkeit . . . Und die Herrlichkeit des Herrn kam hinein zum Hause durchs Tor gegen Morgen . . . und siehe, die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus . . . Und Er sprach zu mir: Du Menschenkind, das ist der Ort Meines Throns und die Stätte Meiner Fußsohlen, darin Ich ewiglich will wohnen unter den Kindern Israel . . . Und Er führe mich wiederum zu dem äußeren Tor des Heiligtums gegen Morgen; es war aber zugeschlossen. Und der Herr sprach zu mir: Dies Tor soll zugeschlossen bleiben und nicht aufgetan werden, und soll niemand dadurch gehen; denn der Herr der Gott Israels, ist dadurch eingegangen.“ 43, 2. 4-5. 7; 44, 1-2. Die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbar wie einst in einer Wolken- und Feuersäule nach außen hin kundtun (2. Mos. 13, 21).

Nach den Worten über die Pracht und Herrlichkeit des „Zweigs des Herrn“ sagt Jesaja: „Der Herr wird schaffen über alle Wohnungen des Berges Zion, und wo man versammelt ist, Wolke und Rauch des Tages, und Feuerglanz, der da brenne, des Nachts.“ 4, 2-5.
Mehr sagt uns die Schrift wohl nicht über die sichtbare Gegenwart des Herrn hienieden. Auf Grund der angeführten Stellen aber glauben wir, daß sie sich wirklich und wunderbar kundtun wird. Damit wollen wir aber nicht behaupten, daß der allgegenwärtige Herr tausend Jahre lang Sein Wesen und Wirken allein auf unsere kleine Erde beschränken wird. Hier handelt es sich nur um das, was Jesus Christus für die Menschheit im Millennium tun wird. Was danach kommt, wird uns später offenbart werden.

NEUNTER TEIL

Die Vorbereitung auf die Wiederkunft Jesu Christi

Wir kommen nun zum Schluß unseres Buches und hoffen, daß die Leser mit uns erkennen, wie fesselnd das Studium der Weissagungen ist. Und doch könnte es zu einer Falle für unsere Seelen werden, sollte es nur ein Spiel unserer geistigen Wißbegierde sein, ohne Einfluß auf unser Leben und unser ewiges Geschick. In Wahrheit haben wenige Lehren eine größere praktische Tragweite wie diese hier. Die Erwartung der Wiederkunft Jesu Christi muß unser ganzes Leben verwandeln. Bei Prüfung der Weissagungen kann man sich unmöglich des Eindrucks erwehren, daß die Zeit nahe ist, und daß sich das Endstück der Geschichte rasch abspielen könnte. Andererseits sagt die Bibel wiederholt, daß wir weder Tag noch Stunde wissen und wachen müssen, um nicht überrascht zu werden. So bleibt noch die letzte, allerwichtigste Frage zu behandeln übrig:

Wie können wir uns auf die Wiederkunft Jesu Christi vorbereiten?
Natürlich fällt die Antwort darauf sehr verschieden aus, je nachdem es sich um einen Unbekehrten oder um ein Gotteskind handelt.

I. Was muß ein Ungläubiger tun, wenn er von der Wiederkunft Christi hört? 

Die ganze Schrift und selbst der Verstand rufen ihm zu: Bekehre dich, eile, Jesus als Heiland anzunehmen, damit du nicht vor Ihm als Richter erzittern mußt! „Du hast den Namen, daß du lebest, und bist tot . . . Tue Buße! So du nicht wirst wachen, werde Ich über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht wissen, welche Stunde ich über dich kommen werde.“ Offb. 3, 1.3.

. . . Nur die werden bestehen können, die sich rechtzeitig zu Gott bekehrt haben, „zu warten auf Seinen Sohn vom Himmel . . . Der uns von dem zukünftigen Zorn erlöst.“ 1. Thess. 1 ,9- 10. Selig sind, die „ihre Kleider gewaschen haben im Blut des Lammes“ (Offb. 7, 14), d.h., die sich im Glauben durch das Blut Jesu von aller Sünde reinigen ließen. S ollte ein Leser dieser Zeilen noch nicht mit Gott im reinen sein, so flehen wir ihn an, sich doch zu besinnen un d zu h an deln, bevor es zu spät ist. Lebe nicht dahin in der Sorglosigkeit der Zeitgenossen Noahs:
„Sie aßen, sie tranken, bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging; und sie achteten’s nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin -, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“ Matt. 24, 38-39. Ihr, die ihr nun gewarnt seid, gehet ein in die Arche des Heils, solange es Zeit ist!

II. Welche Haltung wird der Gläubige in seiner Erwartung der Wiederkunft des Herrn einnehmen?

Wie gesagt, wenige Lehren haben eine größere praktische Tragweite als die Lehre von der Wiederkunft des Herrn. Eine solche Aussicht muß wahrlich das ganze tägliche Leben des Christen beeinflussen. Viele Schriftstellen zeigen die direkte Beziehung zwischen unserer seligen Hoffnung und unseren verschiedensten Lebensgebieten. Wir wollen nur einige der Hauptleitworte hervorheben, die diese Aufrufe für uns zusammenfassen.

1. Erwachen und Wachsamkeit.
Der Herr kommt wieder. Er darf uns nicht schlafend finden. „Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf (sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden; die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen): so lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes!“ Röm. 13,11-12.

2. Heiligung und Sieg.
„So nun das alles soll zergehen, wie sollt ihr denn geschickt sein mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen, daß ihr wartet und eilet zu der Zukunft des Tages des Herrn . . . Darum, meine Lieben, dieweil ihr darauf warten sollt, so tut Fleiß, daß ihr vor Ihm unbefleckt und unsträflich im Frieden erfunden werdet!“ 2. Petr. 3,11-12.14.
Wandelt „würdig vor Gott, der euch berufen hat zu Seinem Reich und zu Seiner Herrlichkeit . . . Euch aber vermehre der Herr und lasse die Liebe völlig werden untereinander und gegen jedermann . . . . Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz samt Seele und Leib müsse bewahrt werden unsträflich auf die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi.“ 1 . Thess. 2, 12; 3,12-13; 5,23-24
Diese Stellen zeigen uns, wie sehr die Heiligung das stete Anliegen dessen sein muß, der auf das Kommen Jesu wartet. Ohne sie „wird niemand den Herrn sehen.“ Hebr. 12, 14.
Laßt uns darum unser Möglichstes tun, sie zu erlangen, nach den Worten: „Tut Fleiß, daß ihr von Ihm unbefleckt erfunden werdet“ . . .

3. Vorsicht und Unterscheidungsvermögen.
„Sehet zu, daß euch nicht jemand verführe . . . Sie werden viele verführen . . . so alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus! oder: da! so sollt ihr’s nicht glauben. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, daß verführt werden in den Irrtum (wo es möglich wäre) auch die Auserwählten.“ Matt. 24, 4-5.23-24. ” Aber der Zukunft halben unsers Herrn Jesu Christi und unserer Versammlung zu Ihm bitten wir euch, liebe Brüder, daß ihr euch nicht bald bewegen lasset von eurem Sinn noch erschrecken . . .“ 2. Thess. 2,1-3.

4. Mut und Glauben.
„Sehet zu und erschrecket nicht. Das muß zum ersten alles geschehen . . . Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig.“ Matt. 24, 6.13. „Entsetzet euch nicht. Denn solches muß zuvor geschehen . . . So nehmet nun zu Herzen, daß ihr nicht sorget, wie ihr euch verantworten sollt (wenn man euch verfolgen wird); denn Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widersprechen können noch widerstehen alle eure Widersacher . . . Luk. 21, 9.14-19.

6. Trost und Freudigkeit.
„Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht.“ Luk. 21, 28.
„Auf daß euer Glaube . . . erfunden werde . . . zu Lob, Preis und Ehre, wenn nun offenbart wird Jesus Christus, welchen ihr nicht gesehen und doch liebhabt . . . Freuet euch, daß ihr mit Christo leidet, auf daß ihr auch zur Zeit der Offenbarung Seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben möget.“ 1. Petr. 1, 7-9; 4,13.

8. Warten in Geduld.
„Ihr seid bekehrt zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf Seinen Sohn vom Himmel.“ 1. Thess. 1, 9-10. „So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn. Seid ihr auch geduldig und stärket eure Herzen; denn die Zukunft des Herrn ist nahe.“ Jak. 5,7-8.
„Christus . . . wird zum andernmal ohne Sünde erscheinen denen, die auf Ihn warten, zur Seligkeit . . . Geduld aber ist euch not, auf daß ihr den Willen Gottes tut und die Verheißung empfanget. Denn noch über eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und nicht verziehen.“ Hebr. 9, 28; 10,36-37.

9. Liebe und Hilfsbereitschaft.
„Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in Seiner Herrlichkeit . . . wird Er sagen zu denen zu Seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten Meines Vaters, ererbet das Reich! . . . Denn Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt Mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr ha bt Mich getränkt . . . Was ihr getan habt einem unter diesen Meinen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir getan.“ Matt. 25,3 1-40.


10. Einkehr und Gebet.
„Und du, Daniel, verbirg diese Worte und versiegle diese Schrift bis auf die letzte Zeit; so werden viele darüberkommen und großen Verstand finden . . . Die Gottlosen werden’s alle nicht achten; aber die Verständigen werden’s achten.“ Dan. 12, 4.10.

„Wir haben desto fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, daß ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint in einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche.“ 2. Petr. 1, 19.
„Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ 1. Petr. 4,7.

„So seid nun wach allezeit und betet, daß ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem allem, und zu stehen vor des Menschen Sohn.” Luk . 21 ,36.


Und das Hauptgebet, das wir immer mehr zu Gott empor senden, wird das eine sein: Dein Reich komme! Amen, ja, komm, Herr Jesu! Matt. 6,10; Offb. 22,20.

III. Schlußfolgerung.

Stehen wir in der geduldigen Erwartung des Herrn?
Vermögen wir um Deswillen, der da kommt, alle Menschen zu lieben und alles zu ertragen? 
Und sind wir bereit, uns in das prophetische Wort zu vertiefen und noch inständiger zu flehen, bis die Sonne der Gerechtigkeit aufgeht?
Wenn all dies uns beseelt, so wird es uns nicht träge oder unfruchtbar in der Erkenntnis unseres Herrn Jesu Christi sein lassen. Das Lesen und Studieren so vieler prophetischer Bibelstellen wird für unsere Seelen nicht vergeblich gewesen sein.
Gott gebe, daß wir uns alle einmal das Wort des Apostels Paulus aneignen dürfen:
„Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, nicht mir aber allein, sondern auch allen, die Seine Erscheinung liebhaben.“ 2. Tim. 4, 7-8.

„Dem aber, der euch kann behüten ohne Fehl und stellen vor das Angesicht Seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden, dem Gott, der allein weise ist, unserm Heiland, sei Ehre und Majestät und Gewalt und Macht nun und zu aller Ewigkeit!“ Amen. Jud. 24-25.

 

Nachwort von Horst Koch:
Wegen der Fülle der Darlegungen teile ich das Material ein wenig.    

Auf der HP separat folgende Kapitel:

SATAN, FÜRST DIESER WELT,
https://horst-koch.de/wp-admin/post.php?post=7194&action=edit

DIE VÖLKER (Das römische Reich),
https://horst-koch.de/die-voelker-und-die-wiederkunft-christi-pache/

DAS MILLENNIUM (Das Tausendjährige Reich)
https://horst-koch.de/das-millennium-rene-pache/
 
DER ANTICHRIST
https://horst-koch.de/der-antichrist/

DER FALSCHE PROPHET
https://horst-koch.de/der-falsche-prophet-r-pache/

Die HURE BABYLON
https://horst-koch.de/die-grosse-babylon/

ISRAEL
https://horst-koch.de/israel-rene-pache/

DAS JENSEITS
https://horst-koch.de/das-jenseits/

DIE INSPIRATION DER BIBEL
https://horst-koch.de/wp-admin/post.php?post=399&action=edit

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Schweigt Gott zum Bösen? (Jaffin)

David Jaffin

Schweigt Gott zum Bösen?

Bucheinbandtext: – Ein altes, aber immer wieder aufwühlendes Thema – diesmal von einem Autor bearbeitet, der aus einem Volk stammt, das aufgrund seiner Geschichte besonders von dieser Frage betroffen ist. Um so spannender, welche Auflösung der Autor anbietet. David Jaffin ist evangelischer Pfarrer. Er wurde (als Jude) 1937 in New York geboren. Jaffin studierte Kunstgeschichte und Psychologie und Theologie. Er hat mehrere Gedichtbände und zahlreiche Predigtbände sowie Kunstbildbände veröffentlicht. –

Inhalt
Warum läßt Gott das Böse zu?

Paulus und Jakobus (Die Rechtfertigungslehre)

Menschliches und göttliches Leiden
Die zeichenhafte Bedeutung von Jesu Wunderheilungen

Kinder des Lichts

Wer bin ich?

Gottes Geist – unsere bestimmende Kraft

Göttliche Führung durch den Umgang mit der Bibel

Christliche Kultur – eine Einführung

– Eingestellt von Horst Koch. Einige Textbetonungen sind von mir. Herborn, im November 2023 –

Warum läßt Gott das Böse zu?

Ich werde versuchen, eine siebenfache Antwort zu geben auf die Frage »Warum läßt Gott das Böse zu?« Und Sie werden bei dieser siebenfachen Antwort merken, daß diese sieben Punkte nicht ganz voneinander getrennt sind, sie fließen ineinander, sie führen zu einander.

Erstens:

Die Fragestellung »Warum läßt Gott das Böse zu?«
ist für mich keine christliche Fragestellung, auch wenn ich selbst diese Frage so gestellt habe. Die Frage sollte umgekehrt gestellt werden: »Warum hat Gott uns nicht längst aufgegeben und uns alle umgebracht?«
Das ist die richtige, christliche Fragestellung. Das ist, was wir alle verdient haben, Juden wie Christen. Warum? Er hat uns für das Paradies geschaffen, zu seinem Bild geschaffen, daß es sehr gut war, so wie er das haben wollte. Er hat uns gezeigt, was wir tun sollen und was wir nicht tun sollen; nur zwei Grenzen hat er uns gegeben, die Grenze des Lebens und die Grenze gött licher Weisheit, denn diese beiden gehören uns nicht. Und was ist mit diesem großen Angebot passiert, wo wir alles bekamen, was unser Leib, Geist und unsere Seele brauchten? Wir haben diese Grenze überschritten.
Wir sind gefallen. Und was geschah dann? Brudermord (Kain und Abel), Massenmord (Lamech), Noah und die Sintflut, eine ganze Welt gegen Gott – und da hat er dann das Böse nicht zugelassen, er hat es zerstört, hat gereinigt. 
Noah ging da hindurch mit seiner Frau, mit seinen Söhnen und ihren Frauen und mit den Tieren.
Dann der Turmbau zu Babel, eine ganze Zivilisation kämpft, um Gott vom Himmel herunterzuholen, da mit wir hinaufkommen: Wir sind die Herren der Welt! Diese Geschichte vom Turm in Babel wiederholt sich ständig, durch die ganze Geschichte, ob das die Französische Revolution ist – »Jahr eins«, das Jahr eins der menschlichen Vernunft, der Freiheit und Brüderlichkeit! Nicht mit Jesu Geburt, sondern mit dem Jahr der Menschlichkeit, da sollte es anfangen. Und das geht durch unsere ganze Geschichte. Das ganze Geschwätz über Menschlichkeit anstelle von Göttlichkeit: »Alles, was menschlich ist, ist gut.« Ja, wenn man Auschwitz, den Holocaust gesehen hat, dann zweifelt man sehr daran, ob das, was menschlich ist, gut ist. Was Gott geschaffen hat, war gut, aber wir sind im Sündenfall. Und seither ist das Geschehen der Menschheit von uns aus nicht gut geworden.
»Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.« Und das hat sich bis heute nicht geändert. Wir sehen das Versagen Israels. Der Herr, der Gott Israels, hat ein Volk erwählt, zuerst durch einzelne Menschen, damit es sein Gesetz halte. Und Israel hat ganz und gar versagt, denn die Israeliten wollten das Gesetz sehen, wie sie es sehen wollten, nicht wie Gott es sieht. Gott hat Propheten geschickt, um zu zeigen, daß das Gesetz zum Lippenbekenntnis für sie geworden ist, daß sie es nur äußerlich hielten, nicht »von ganzem Herzen«. Und die Propheten wurden von ihnen verworfen. Und dann schickte er seinen eigenen Sohn, der wurde von ihnen umgebracht. Israel versagt.

Und die Jünger? Was passiert bei der Kreuzigung Jesu Christi? Waren die Jünger besser? Sie gingen alle in die Irre wie Schafe.
Warum »wie Schafe«? Weil sie selbst geopfert werden sollten für ihre Schuld, nicht Jesus. Aber gerade weil sie total versagt haben, vertreten sie uns und die Kirche. Die Jünger gingen in die Irre, gerade als Jesus erhöht wurde, und er hat dreimal vorausgesagt, daß er gekreuzigt werden würde. Die Jünger versagen ganz und gar, kein einziges Glaubensbekenntnis eines Jüngers findet sich bei der Kreuzigung Jesu. Grünewald hat auf seinem berühmten Bild der Kreuzigung Johannes den Täufer dargestellt, der mit seinem überlangen Finger auf Jesus weist. Der Täufer war zum Zeitpunkt der Kreuzigung Jesu aber längst tot. Stand dem Künstler das Versagen der Jünger vor Augen?
Wir versagen, und es steht deutlich im Neuen Testament, daß das Licht in die Welt gekommen ist, das Wort, welches Fleisch geworden ist, die Menschen aber haben es nicht angenommen. Das bedeutet: Es geht nicht nur um das Versagen im Paradies, es geht nicht nur um das Ver sagen Israels, es geht um das Versagen von uns Christen. Wie ist es bei uns heute? Können wir wirklich behaupten, daß wir Gott etwas vorzubringen haben mit unserer Frömmigkeit? Wie viele Kirchen sind leergepredigt! Da gab es in IDEA eine lustige Zeichnung: Zum Gottesdienst in einer riesigen Kirche sind etwa 20 Leute gekommen, und da macht der Pfarrer innerhalb der großen Kirche eine Minikirche und sagt: Die Kirche ist voll.

Das Versagen der Menschheit ist dreifach, absolut:
– das Versagen der ersten Menschen im Paradies

– das Versagen Israels und

– das Versagen der Christenheit.


Ein dreifaches Versagen. »Warum?« – ich kann das nicht begreifen, und ich muß sagen, das ist für mich immer die Grundfrage zu Karfreitag – »Herr, warum hast du das getan? Warum hast du uns nicht aufgegeben?«
Längst aufgegeben, schon beim Tanz um das Goldene Kalb, als Gottes Zorn entbrennt. Warum hat er das nicht längst getan mit Israel und dann mit der ganzen Welt, schließlich auch mit uns Christen? Ich verstehe Gottes Liebe nicht. Gott sei Dank, daß ich das nicht verstehen kann. Und keiner von uns kann das verstehen, weil das alles übersteigt, was menschlich ist. Als Jesus totalem Versagen gegenübersteht, als er geschlagen und verhöhnt wird und von seinen eigenen Jüngern verlassen wird, geht er freiwillig hin in Liebe und bittet den Vater: »Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Er stirbt für Versager. Gerade deswegen ist er gestorben, weil wir versagt haben.

Die Grundfrage für einen Christen ist also nicht »Warum läßt Gott das Böse zu?«, sondern »Warum hat Gott uns nicht längst ausgerottet?« Warum hat er nicht gesagt: »Ich höre auf! Wie oft muß ich menschliches Versagen erleben! Ich habe meinen einzi gen Sohn geschickt, und die Welt hat auch ihn nicht angenom men.« Das ist die Grundfrage, wie tief Gottes Liebe geht. Eine Liebe, über die wir nur staunen können und die wir nicht begrei fen. Wir müssen das verstehen lernen, nicht nur in Bezug zu anderen, den Adams und Evas um uns und zu Israel und zu den Jüngern, sondern in Bezug zu uns selbst. Warum nimmt Jesus uns immer wieder an, obwohl wir versagen und unsere eigenen Wege gehen? Wie oft tun wir das! Wir können keine große Frömmigkeit vorweisen. Wir wissen doch, was in unseren Herzen ist – und das ist nicht immer in Ordnung. Wenn wir wahrhaftig sind, wird uns das bewußt. Warum nimmt er uns immer wieder an? Warum vergibt er uns immer wieder? Warum sagt er: »Ja, ich werde deine Schwachheit und deine Verfehlung, das Böse in dir, ich werde das für dich tragen«? Warum tut er das, unendlich oft? Er hört nie auf, uns zu vergeben. »Wie oft soll man vergeben?« wird Jesus ge fragt. Eine typisch jüdische Frage. »Siebzigmal siebenmal«, ist seine Antwort – das ist eine unendliche Zahl, nicht wahr, eine unendliche Zahl für die Vergebung. Wer vergibt siebzigmal sie benmal? Jesus Christus! Es ist die Zahl der Schöpfung, eine endlose, unendliche Zahl. Das ist die Grundfrage. Wenn die Frage gestellt wird: »Warum läßt Gott das Böse zu?«, dann soll die Antwort sein: »Hast du wirklich verdient, daß Jesus am Kreuz für dich gestorben ist? Hast du das verdient? Kennst du jemand, der das verdient hat?« Das ist die zentrale Antwort auf diese Frage. Jesus Christus hat getan, was wir gar nicht verdient haben, gegen das Böse, das in uns selbst ist. Und das ist nicht nur in Israel und nicht nur in den ersten Menschen, das ist in der Christenheit und das ist in jedem Menschen. Wir sind gefallene Menschen, gerecht gemacht durch Jesu Kreuzesblut, wie Luther das in der letzten Tiefe ausdrückt.

Zweitens: Ich habe in Geschichte promoviert und habe mir immer wieder diese Frage gestellt: »Warum hat Gott uns nicht vollkommen gemacht im Paradies, so daß wir nicht von ihm abfallen können?« Denn er hat sehr genau gewußt, daß wir abfallen würden. Er gibt uns die Entscheidungsfreiheit. Weil Gott alles kennt und alles sieht, hat er im voraus gewußt, daß wir der Versuchung unterlie gen werden. Warum hat er das getan? Warum hat er uns nicht als Engel geschaffen, rein? Zwar gibt es auch Engel, die gefallen sind – aber auch Engel, die nicht fallen können. Er hat Allmacht. Die Frage ist: Warum hat Gott die Geschichte geschaffen? Wenn er uns als Engel geschaffen hätte, in seinem Reich, in einem Para dies, immer bei ihm, dann gäbe es keinen Tod, denn der Tod kommt wegen der Sünde, und es gäbe keine Geschichte, denn Geschichte bedeutet Leben in der Zeit, vom Anfang bis zum Ende. Es gäbe dann kein Ende. Wir wären bei Gott, und was bei Gott ist, kann nicht sterben. Was in Gott ist, das ist ewig.
Warum hat er nicht von vornherein Gottes Himmelreich geschaffen?
Warum hat er Menschen geschaffen, die sehr gut waren, die aber von Gott abfallen werden?
Die Antwort ist: Die Menschen im Paradies haben nicht gewußt, was böse ist. Sie haben nichts erfahren von Versuchung und Sünde. Durch den Fall, durch Schuld und Sünde, lernen sie, warum sie Jesus Christus, den Gott Israels, brauchen.
Im Paradies haben sie das nicht wirklich gewußt. Denn wenn ihnen das völlig bewußt gewesen wäre, wären sie nicht gefallen. Sie mußten das lernen. Das bedeutet: Der Mensch im Paradies und der Errettete in Gottes Himmelreich sind nicht dasselbe. Der Mensch im Paradies gehorcht, ohne zu verstehen, was die Alter native ist, ohne zu verstehen, was böse ist, ohne zu verstehen, warum er Gott gehorchen soll. Er tut das einfach blind. »Du sollst gehorchen«, und er tut das. Er kennt nicht die Gefahren des Nichtgehorchens. Und Jesus ließ uns in den Ungehorsam fallen – er ließ uns. Er hätte eingreifen können, daß wir nicht vom Baum genommen hätten. Er tut das nicht. Warum? Weil wir diesen geschichtlichen Prozeß des Fallens erleben müssen, um zu erken nen, daß wir Jesus Christus brauchen, unseren Heiland. Wir hätten keinen Heiland, wenn wir nicht gefallen wären; denn dann brauchten wir nicht errettet zu werden. Wir lebten dann als eine Art von primitivem guten Menschen, der gar nicht weiß, was übel ist; und solch ein Mensch kann Gott nicht in der letzten Tiefe loben, als seinen Retter loben. Deshalb sagt Paulus: Wir sind mehr als die Engel, mehr. Warum? Weil wir in der letzten Tiefe wissen, warum wir Jesus Christus loben sollen, weil wir um die letzte Tiefe des Bösen in uns, in unserer Geschichte wissen. Es ist sehr bemerkenswert zu sehen, wie das biblisch gedeutet wird. Nennen wir ein paar zentrale Gestalten in der Bibel, die durch die Erfah rung des Bösen zu einer neuen Schicht und Tiefe des Gehorsams kommen, kein Gehorsam aus Zwang, sondern ein Gehorsam als Notwendigkeit: Ich brauche Gott, weil ich weiß, daß das Böse zu stark ist für mich.

Wie ist es mit Mose? Für einen Juden ist er die zentrale Gestalt in der jüdischen Geschichte. Mose ist das Zentrum. Mose lernt in den ersten Jahren seines Lebens über die Verheißung an Israel. Nur so ist zu erklären, was passiert, als er zu den Sklaven ging und merkte, daß er ein Hebräer ist. Und was tut er? Mit eigener Gewalt – wie die Zeloten zu Jesu Zeit – will er Israel befreien; er tötet. In der Kraft seines eigenen Temperaments ging er los: Ich will den Feind umbringen. Und wenn Haß über uns kommt, dann bringen wir uns selbst um, nicht den Feind, dann gewinnt der Satan Macht über uns. Der Weg der Befreiung geht nicht über Mord und Totschlag. Und was tut der Gott Israels mit Mose? Er schickt ihn als Schafhirte in die Wüste, 40 Jahre lang, bis er alt und unwillig zum Dienst geworden ist. Und dann ruft er ihn zurück, dann ist er für die große Aufgabe der Richtige, nachdem Gott ihn gezüchtigt hatte. Und Mose sagt: »Nein, ich komme nicht.« Sein Wille hat dazu keine Kraft mehr. Sein Wille, das selbst zu tun, ist gebrochen. Gerade jetzt aber kann Gott durch ihn wirken. »Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig«, sagt Gott später zu Paulus; und so gilt das auch für Mose. Er ist jetzt ein anderer Mose.
Er ist nicht mehr der Mose des Eigenwillens, der eigenen Kraft, der gefallene Mose, in dem der Satan herrscht, Mose, der tötet, um zu befreien. Das bringt ihn nur selbst in die Knechtschaft des Bösen. Der andere Mose, der unwillige Diener, der Stotterer, der Gott einfach gehorcht, weiß, ich bin hundertpro zentig abhängig von Gott. Das ist der Unterschied zwischen dem Menschen, der sich selbst durchsetzen will, dem Menschen im Sündenfall, und dem, der in der letzten Tiefe versteht, was Gehorsam bedeutet: Ich kann nicht, aber der Herr wird – auch gegen meinen Willen – wirken. Das ist etwas, was wir als Christen alle lernen müssen. Das ist unser Weg als Christen, das ist Heiligung. Heiligung ist der Prozeß, zu lernen und zu erfahren, daß wir total abhängig sind von Christus. Heiligung kommt nicht aus unseren Werken, sondern heißt, daß wir ganz und gar, jeden Tag, abhängig sind von Christus, daß unsere Kraft von ihm kommt und nicht aus unserem Willen, nicht von unserer Gerechtigkeit, sondern von seiner Gerechtigkeit und Führung.

Wie sieht das bei David aus? Ich gebe nur ein paar Beispiele. David scheint ein sehr gerechter und guter König zu sein. Er war nicht geprüft. Er war zunächst so eine Art paradiesischer König. Alles war gerecht und gut, weil er noch nicht geprüft war – wie Adam und Eva vor dem Fall. Und was passiert, als David geprüft wird? Da ist so ein warmer Sommerabend, und er geht auf sein flaches Dach und sieht drüben diese schöne Batseba, und er begehrt sie. Er denkt: Ich bin der König, ich kann tun, was ich will, ich stehe über dem Gesetz. Vergißt aber, daß kein Jude über dem Gesetz steht. Er nimmt sie zu sich und veranlaßt, daß ihr Mann am gefährlichsten Frontabschnitt eingesetzt wird, wo er im Kampf umkommen muß. Dann heiratet David Batseba. David lebte im Ehebruch. Ehebruch und Mord – gerade die zwei Sünden, die Jesus, der »Sohn Davids«, in der Bergpredigt in den Mittel punkt stellt. Die Pharisäer bezichtigt er: Ehebruch und Mord ist in euren Herzen.
Und was passiert mit David? Er spricht das Todesurteil über sich selbst, als Nathan ihm die Geschichte von dem Mann erzählt, dem sein einziges Schäfchen von dem anderen genommen wird, der so viele hat. Und gerade als David weiß, daß er dem Tod geweiht ist, als er den Psalm 51, den großen Bußpsalm, ausspricht vor Gott, gerade dann ist er etwas ganz anderes und viel Tieferes als der ungeprüfte David. Das ist der gefallene David, der David, der weiß: Ich bin ein gefallener Mensch, ich brauche Gott ganz und gar – »gegen dich allein habe ich gesündigt«! Da redet er nicht von seiner Gerechtigkeit, von seiner Art, alles richtig zu machen, sondern er weiß: Gegen Gott hat er gesündigt und deswegen gegen seine Mitmenschen und gegen sich selbst. Hier ist ein neuer David, ein zerknirschter David. Einen zerknirschten Geist will Gott haben, einen David, der ganz und gar abhängig ist von Gott und merkt: Ich habe kein Recht mehr zu leben, weil ich ein schuldiger Mensch bin, ein Mörder und ein Ehebrecher. Aber das ist ein viel tieferer David. Ein David, der weiß, was das bedeutet, abhängig zu sein vor dem Herrn. Ein David, der weiß, was Erbsünde bedeutet, dem Tod geweiht zu sein. Das ist seine Lage.

Wie ist das mit Saulus? Da passiert genau das gleiche. Der gerechte Saulus eifert für das Gesetz, saß zu Füßen des großen Gamaliel. Er lernt und weiß: Das ist unmöglich, was diese Christen da treiben; sie spalten die Juden; sie beten einen Menschen an. Und er eifert für die Gerechtigkeit, für das Gesetz. Er hat Gefallen am Tod von Stephanus; er eifert wütend; schnaubend will er nach Damaskus, um die Christen dort umzubringen. Und was passiert? Das gleiche wie bei Mose. Er sieht Gott im Licht, wie Mose, und er fragt ihn nach seinem Namen (was ein Jude nicht wissen darf); und er bekommt Antwort, denn er wird kein gesetzestreuer Jude mehr sein, sondern ein gläubiger Christ: »Ich bin Jesus, den du verfolgst.« Und in diesem Moment weiß Paulus über sich: Ich bin ein Mörder. Genau das gleiche, was auch David weiß. Über diesem Erleben wird Paulus blind, er kann weder essen noch trinken, lebt total in Buße, drei Tage lang, hineinge nommen ins Kreuz, in die Dunkelheit des Kreuzesgeschehens. Und dann wird aus dem Saulus der größte Diener Jesu Christi, als einer, der sagte: »Von allen sündigen Menschen habe ich am meisten gesündigt, ich bin der unwerteste, ich kann Gott gar nichts vorbringen.« Und das ist sinnbildlich für uns alle: Wir können gar nichts vorbringen. Wir rühmen nicht unsere Frömmigkeit, son dern wir rühmen unseren Herrn und Heiland und seine Frömmig keit. Wir können gar nichts vorbringen. Paulus ist zerknirscht und zerbrochen, und deswegen kann er ein großer Diener Gottes sein, weil er weiß, ich bringe nichts. Ich bin dem Tod geweiht, aber allein aus Gottes Gnade darf ich ihm dienen.
Es ist schrecklich, was David tat, was Saulus getan hat. Aber aus diesen bösen Menschen sind große Diener Gottes geworden. Warum? Sie fallen heraus aus einer oberflächlichen Frömmigkeit, einer selbstgeformten Frömmigkeit, und fallen in die letzte Tiefe des menschlichen Daseins, das ist Erbsünde. Und dann sind sie total abhängig von Gottes Gnade. Dann erst können sie wunder bare Werkzeuge unseres Herrn Jesus Christus sein. Indem sie lernen, daß wir keine Macht über das Böse haben, sondern das Böse Macht über uns hat, werden sie zu großen Dienern Gottes. Sie lernen, daß es dem Bösen gegenüber einen Schutz gibt: Gott selbst, in Jesus Christus. Schrecklich Böses ist da geschehen, aber vor diesem Hintergrund des Bösen sehen diese Menschen, daß sie total gefallen sind – dann konnten sie große Gottesdiener werden und viele Menschen zum Heil und zur Rettung bringen.

Hier wird der Sinn der Geschichte deutlich: Er ist nicht das Urparadies. Der Sinn der Geschichte ist Gottes endgültiges Reich, in dem die Menschen, die ihm gehören und errettet werden, merken: Ich bin total abhängig von Jesus Christus, ich kann von mir selbst aus gar nichts vorbringen.

Bis jetzt haben wir zwei Antworten: Die Frage ist falsch: »Warum läßt Gott das Böse zu?« Die Frage soll lauten: »Warum sollte er für uns sterben? Wir sind unwürdig.« Die zweite Antwort ist, daß Gott durch das Böse wirkt, indem er uns dem Bösen ausliefert (denn er weiß, daß wir fallen werden), damit wir merken, daß wir total abhängig sind von ihm. Und der paradiesische Zustand, das Urparadies, ist nicht das gleiche wie der Zustand in seinem Reich, denn dazwischen gibt es die Geschichte des Abfalls und der Verlorenheit. Durch diese Geschichte lernen seine Diener, daß sie total abhängig sind von Jesus Christus, und erst dann können sie wirken. Ohne diese Erfahrung ist alles, was wir tun, sinnlos, es bringt kein Heil und keine Früchte. Totale Abhängigkeit von ihm – das ist der Weg zu Gottes Reich, wo wir mehr sein werden als die Engel. Denn wir werden unseren Heiland anbeten. Die Engel können keinen Heiland anbeten, sie können nur den Schöpfergott anbeten, denn sie sind nicht errettet von einem Fall, weil sie nicht gefallen sind. Deswegen sagt Paulus: Wir sind mehr als die Engel. Jesus als unser Heiland wird uns vollkommen wiederherstellen.

Drittens:

Persönliches Leiden ist nicht Strafe, sondern ein großes Angebot Gottes. Schauen wir die Hiobsgeschichte an. Hiob geht durch alle möglichen Leiden. Er verliert alles, auch seine Gesundheit. In diesen Leiden geht er wie David und Saulus in die letzte Tiefe der Fragestellung über Gottes Gerechtigkeit. Hiob wird geprüft, er fällt durch. Er kündigt sein Leben (Hiob 9). Er sagt, Gott ist kein gerechter Gott, ich bin gerecht. Er fällt durch, genau wie die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Jesu Zeit. Aber er hält fest an seinem Glauben. Hiob ist die personifizierte Geschichte Israels, die Geschichte der Erwählung, die Geschichte des Leidens und Versagens, die Geschichte vom Trotzdem des Festhaltens am Glauben. Wir sehen das heute an Elie Wiesel, dem bekannten jüdischen Dichter. Er ging durch Auschwitz, er hat das alles erlebt, und er sieht mehr und mehr, was Leiden in der letzten Tiefe bedeutet: totales Zerknirschtsein. Es kann nur mit Gott zu tun haben. Es kann nur mit Probe, mit Prüfung zu tun haben. »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.« Jesus verspricht uns nicht einen Wunder glauben in der Nachfolge – wenn ihr krank seid, dann heile ich euch. Er sagt kein Wort davon, sondern er verspricht uns Kreuz, er verspricht uns Leiden. Und er sagt, Leiden bedeutet leiden in seiner Nachfolge. Denn was ist das Wesen Jesu?
Wo ist Jesus erhöht und verherrlicht? Am Kreuz, in der letzten Tiefe des Leidens, der letzten Tiefe der Schwachheit. Es ist ein persönliches Angebot, in der letzten Tiefe mit Jesus Christus zu leben. So hat er zu Petrus gesagt (Johannes 21): »Früher hast du dich selbst gegürtet, aber jetzt wird ein anderer dich gürten und dir Wege zeigen, die du nicht gehen willst. Das sagte er, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde.« Und Petrus hat gesagt: »Ich bin nicht würdig, gekreuzigt zu werden wie mein Herr und Heiland.« Die Tradition bezeugt, man habe ihn mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Das ist die letzte Tiefe des Glaubens: zu leiden mit Jesus Christus. Das ist ein Angebot der Nachfolge, ob das verborgene Nachfolge ist von Hiob und Israel oder offenbarte Nachfolge im Kreuz von uns im Neuen Bund. Und seien wir uns darüber im klaren: Wie geht Jesu Weg zur Auferstehung, zur neuen Welt, zu neuem Leib und neuem Leben? Es geht nur übers Kreuz. Die Menschen nämlich, die den auferstandenen Jesus suchen, finden ihn nur, wenn sie zuvor den Gekreuzigten suchen und finden. Das klarste Beispiel ist Thomas: »Ich glaube nicht, daß er auferstanden ist.« Und Jesus kommt trotz geschlossener Türe herein und sagt: »Thomas, lege deinen Finger in meine Wunde« – das bedeutet: ins Kreuz. Und als er den gekreuzigten Jesus wahrnimmt, sagt er: »Mein Herr und mein Gott!« Das bedeutet: Er hat den Auferstandenen gefunden – aber nur durch den gekreuzigten Jesus. So erlebt es Maria Magdalena, so erleben es die Emmaus-Jünger. Sie müssen zuerst verstehen, was das Kreuz ist. Jesus bezeugt den beiden auf dem Weg nach Emmaus, warum er gekreuzigt werden mußte. Und dann erkennen sie ihn als den Auferstandenen an dem, wie er das Brot brach. Das bedeutet, der einzige Weg zur Auferstehung, zu der neuen Welt, geht über das Leiden.
Warum? Weil das Jesu Weg war. Sind wir mehr als unser Meister? Sollen wir es besser haben? Er ruft uns in eine Kreuzesnachfolge: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.« Mir ist bei diesem Thema das Leiden sehr wichtig, nicht so sehr die körperlichen Leiden, sondern die geistigen Leiden; und nicht so sehr die Leiden unter anderen, sondern die Leiden an uns selbst. Es scheint mir, daß die letzte Tiefe des Leidens, das wir als Christen erleben – und das auch die Juden erleben, die sich dessen wohl bewußt sind – , daß es das Leiden an uns selbst ist, an unserer Unvollkommenheit. Einer von vielen jungen Christen hat zu mir gesagt: »Ja, Herr Pfarrer, ich habe immer gedacht, wenn ich Christ werde, dann gibt es Freude und Glück und alles wird schön sein, und ich werde eine andere Person. Und ich merke, ich bin neu geboren, aber ich leide, weil ich kein Engel bin.« Das ist ein sehr tiefer Christ, er wird Jesus dienen, er wird Theologie studieren. Es hat lange gedauert, er hat meine Predigt lange abgelehnt und gesagt: »Ach, was predigt er immer das Kreuz. Ich will Freude hören.« Ja, das wollen die jungen Leute. Und sie merken nicht: Kreuz ist Freude, Freude, daß Jesus uns annimmt, wie wir sind, als verlorene Menschen, wenn wir uns zu ihm bekennen und erkennen, daß wir verlorene Menschen sind, die der Buße bedür fen. Und das schlimmste Leiden, das schwierigste Leiden für uns alle – wenn wir ehrlich sind und nicht pharisäisch – ist das Leiden an uns selbst. Ich leide täglich an mir selbst. Und ich nehme an, daß das bei vielen der Fall ist – oder sein sollte. Ja, wir sind neugeboren in Jesus, wir haben Frieden, wir haben Führung, wir haben Sinn und Ziel, aber wir sind immer noch der alte Adam – nur: gerechtgemacht durch Jesus. Das können wir nicht verneinen. Ein Judenchrist aus Amerika kam in mein Zimmer und sagte: »Halleluja, amen, ich bin gerettet, nichts kann mir mehr passie ren.« Ich antwortete ihm sehr deutlich: »Sie sind zutiefst gefähr det mit solch einem Standpunkt.« Das war kein Verdammen, kein Verurteilen, sondern ein mahnendes Warnen. Es soll Leute geben, die sagen: »Ich brauche nicht mehr das Vaterunser zu beten – Vergib uns unsere Schuld! – , denn ich habe keine Schuld mehr.« Solch ein Standpunkt ist absolut falsch. Wir sind jetzt nicht in Gottes Reich, wir müssen ausharren bis ans Ende. Das steht deutlich geschrieben. Die dritte Antwort ist: Persönliches Leiden ist ein Angebot Gottes. Ich denke an eine der schwersten Beerdigungen, die ich halten mußte. Ein Mädchen war zwei Tage nach ihrem sechsten Geburtstag überfahren worden. An ihrem sechsten Geburtstag war sie noch in der Kinderkirche, um beim Fest der Kinderkirche ihren Geburtstag mit Jesus zu teilen. Sie war ein frommes und gläubiges Mädchen. Zwei Tage später das Entsetzliche. Die Mutter war bei der Beerdigung in fassungslosem Schmerz. Ich sprach über den Text von der Tochter des Jairus – Weine nicht!
Alle haben versucht, die Mutter mit menschlichen Worten zu beruhigen, aber sie hat ununterbrochen laut geweint. Und ich schaute sie an und sagte: »Weine nicht, Weib!« Und dann habe ich diesen Text gelesen. Und ich habe deutlich erklärt: Wer mit Jesus Christus lebt, auch wenn man sechs Jahre alt ist, und seinen Geburtstag mit Jesus aus Dankbarkeit feiert, von dem können wir wissen, daß dieses Kind Jesus gehört und zu seinem Reich gehört, und wir können dankbar sein, daß dieses Kind nicht die Gelegenheit hatte, abzufallen. Jesus nimmt aus Gnade das Kind weg. Wenn wir daran denken, was für Versuchungen, was für Irrwege es hier gibt! Solches soll man auch bedenken, wenn gläubige Menschen plötzlich sterben, jung sterben. Es kommt nicht darauf an, wie lange wir leben, wir sind nicht in der Patriarchenzeit; es kommt darauf an, ob man mit Christus lebt, auch wenn man erst sechs Jahre alt ist.

Viertens:

Es ist nicht zu bezweifeln, daß das, was wir Menschen »böse« nennen, das Richtende, die Katastrophen, mit Gottes Zorn zu tun hat. Ich mag nicht dieses ständige Geschwätz nur über den barmherzigen und lieben Gott. Selbstverständlich ist er barmherzig und liebevoll – aber er kann auch zornig sein. Das wissen Juden allzugut. Wie oft kommt das Wort Zorn im Alten Testament vor! Und was hat Jesus getan in Beziehung zu seiner Stadt, Kapernaum, der Stadt, in der er gewirkt hat? Hat er gesagt: Ach, alle die lieben Menschen in dieser Stadt, sie werden alle bei mir im Himmelreich sein? Er hat sie verflucht! Er hat geweint über Kapernaum, daß diese Stadt ihn nicht angenommen hat.

Das wollen »moderne« Christen nicht hören, daß wir es mit einem ernsten Gott zu tun haben, einem Gott, der Auschwitz anschauen konnte, Tag um Tag, wie Kinder ins Feuer oder an die Wand geworfen wurden – und er tat nichts. Wir haben es zu tun mit einem Gott, der zornig sein kann und der Richter sein kann und endgültig richten wird. Er gibt uns viele Zeichen dafür, zum Beispiel Aids. Ich nenne Aids eine deutliche Zeichenhandlung Gottes gegen die primitive Sexualität unserer Zeit, ob das Homosexualität ist oder Heroinsüchtigkeit, oder Prostitution.
Das ist ein Zeichen des zornigen Gottes: Höre auf, halte die Treue! Sogar Ärzte treten in Amerika im Fernsehen auf und predigen: Seid eurer Frau treu, das ist die beste Medizin gegen Aids! Das ist äußerst wichtig, auch so zu predigen. Gott gibt hier ein Zorneszeichen: »Ich werde Baal ausrotten, wenn ich wiederkomme« und Baal ist der Götze der Lust.
Aids kommt nicht vom Satan, sondern kommt von Gott. Er weiß genau, was für ein Gericht er vorhat, wegen einer der Lust dienenden Welt, ohne Grenzen zu beachten, was sexuell richtig und nicht richtig ist. Obwohl das Alte wie das Neue Testament sehr deutliche Worte dazu hat.
Ich denke an ein bestimmtes Geschehen, das im Neuen Testament erwähnt wird (Lukas 13): Der Einsturz des Turms zu Siloah, durch den 18 Leute umkamen. Waren sie besonders böse? Sind die Eltern böse? Was ist passiert? Jesus sagt: »Jeder muß Buße tun, jeder ist schuldig.« Das bedeutet, Gottes Gericht wird jeden von uns treffen. Wir werden alle sterben. Ist das nicht Gottes Gericht? Daß wir sterben müssen, das ist die Antwort auf den Sündenfall.

Tut Buße! Das bedeutet: Wer Buße tut, der wird leben. David tut Buße und darf leben; Saulus auch. Wer Buße tut, wird leben. Der eine, der Schächer am Kreuz, tut im Sterben Buße, und er wird leben in Gottes Himmelreich. Tut Buße! Wir haben alle den Tod verdient.
Das ist ganz entgegengesetzt zu diesem mitmenschlichen Geschwätz unserer Zeit: »Der Mensch ist gut, der Mensch ist in Ordnung.« Wenn ich lese, was in Auschwitz passiert ist durch Menschen aus einem zivilisierten Volk – drei Leiter der Vernichtungslager waren promovierte Akademiker; Mengele hatte zwei Doktortitel erworben, einen der Medizin und einen der Philosophie. Und was hat er getan? Er hat gehandelt, als ob er selbst Gott sei (als ob er Satan sei). Er machte eine Art von göttlichem Gericht, zum Leben oder zum Tod, er hat entschieden. Er hat sich an Gottes Stelle gesetzt, unter der Regie Satans.
Gottes Zorn wird kommen, wie er kam mit der Sintflut, zu Sodom und Gomorra, dem Turm in Babel, zu Jerusalem, und er kommt heute.
Wehe dem Pfarrer, der nicht das Gericht Gottes predigt, zusammen mit seiner Gnade.
Und wehe dem Pfarrer, der nur Gericht predigt und nicht auch Gottes Gnade. Gericht und Gnade sind eine unzertrennliche Einheit in der Bibel.
Gottes Gericht kommt über uns, und es kommt alles auf einmal. Israel ist ständig gerichtet worden, und es steht in Sacharja 12,10, daß am Schluß ganz Israel getauft wird.
Was passiert mit dem verflachten, christlichen Abendland hier? Wo die Leute nicht mehr zum Gottesdienst gehen, weil wir einen so lieben Gott haben. Was bedeutet ihnen der »liebe Gott«? Die Genügsamkeit in der »Liebe Gottes« hat nichts mit Gottes Liebe zu tun. Da macht man sich einen Gott, wie man ihn haben will, der mir dient – und das ist kein Gott mehr. Gottes Zorn wird über uns kommen. Er hat uns im voraus bezeugt, was kommt, damit wir vorbereitet sind. »Wer Augen hat zu sehen, der sehe; und wer Ohren hat zu hören, der höre.« Das aber ist unser Evangelium, daß Gott der richtende und rettende Gott ist. Gottes Zorn und Gottes Gericht sind ein Grund für Katastrophen in dieser Welt, sind Zeichen und Warnungen zugleich.

Fünftens:

Alte und neue Schöpfung. Die alte Schöpfung ist dahin, die Endzeit fängt an mit Jesu Kreuz. Die alte Schöpfung ist nicht zu retten – zwar wird sie wiederhergestellt für tausend Jahre, bevor sie total dahin ist. Aber es gibt nur einen Weg, und das ist ein Weg vorwärts und nicht zurück.
Lot muß mit seiner Frau weg von Sodom und Gomorra, sie dürfen nicht zurückschauen, sie dürfen nicht festhalten an dem Alten. Warum? Sie sind reich, angesehen, Lot hatte das beste Land gewählt. Lots Frau aber schaut zurück und erstarrt zur Salzsäule, wird versteinert im Tod.
Ich kenne die Geschichte von einer reichen jüdischen Familie in Prag, wo im Dritten Reich genau das gleiche passiert ist. Sie haben gesehen, was kommt, haben ihre Kinder weggeschickt, haben sich aber nicht von ihrem vielen Geld trennen können. Die Nazis haben natürlich alles genommen, und dann haben sie ihnen auch ihr Leben genommen. Sie schauten nicht vorwärts, nach Israel, nach Gottes Verheißung. Zur Sicherheit hatten sie zwar die Kinder weggeschickt, aber sie selbst sind vergast worden. Wie Lots Frau kamen sie nicht weg vom Alten.
Ich habe in meiner Seelsorgearbeit einen Fall gehabt, der für mich ungeheuerlich war. Es war ein gläubiger Mann, der überzeugt war, daß er noch in der letzten Phase seiner Krebserkrankung geheilt würde. Warum war er davon überzeugt? Er sagte mir: »Ich glaube, Gott weiß, daß ich glaube, daß ich sein Kind bin. Gott ist allmächtig, deswegen heilt er mich.« Das ist fast eine Logik, nicht wahr?
Und dazu knüpfte er noch an einen Vorgang an: Gott hatte tatsächlich jemanden in unserer Gemeinde durch ein Wunder geheilt, einen ungläubigen Mann, der als todkrank fast aufgegeben war. Viele hatten für ihn gebetet: »Wenn es dein Wille ist, heile ihn.« Und der Mann wurde geheilt und ist zum Glauben gekommen und geht jetzt jeden Sonntag zum Gottesdienst. Der Krebskranke folgerte: »Wenn Gott den heilt, warum soll er mich nicht auch heilen, ich bin doch schon fromm.« Ich werde das Gespräch mit diesem Mann nie vergessen. Jedesmal kam ich hin und las übers Kreuz, über Leidensnachfolge. Und er hat zu seiner Frau immer gesagt: »Wir lassen den Pfarrer reden; Jesus wird mich heilen. Er mag über sein Kreuz sprechen, das hat er alles richtig gelernt, das ist nicht falsch – aber Jesus wird mich heilen.« Drei Wochen vor seinem Tod habe ich deutlich gesehen, was los war mit ihm. Und ich habe hart mit ihm geredet. Als Seelsorger der Liebe Gottes muß man manchmal hart reden. Und ich habe ihm gesagt: »Wenn du weitermachst, machst du, was Frau Lot tat. Du schaust zurück auf diese Welt, wegen deiner Kinder, wegen deiner Frau« (er hatte eine gute Ehe und Kinder, die lieb waren, und ein schönes Haus und einen schönen Garten), und ich fuhr fort: »Wenn du zurückschaust, wirst du im ewigen Tod erstarren, das verspreche ich dir, weil du festhältst an der alten Welt, die dir aber nichts mehr zu bieten hat. Ich sage dir im Namen Jesu, daß du jetzt mit mir vorwärts schauen mußt auf Gottes Reich und auf die Zukunft.« Und das hat er dann getan.
So hart ist Seelsorge nicht immer, aber manchmal muß man ein sehr deutliches Wort sagen, ein sehr hartes Wort. Er wollte das Alte, er hing so sehr an dem Alten, daß er in das Gericht über die alte Welt hineingezogen worden wäre, wenn er nicht gewarnt worden wäre. Es ist sehr unmenschlich, so zu reden, nicht wahr, aber heilsam.

Als Jesus gekreuzigt war, kam drei Stunden Dunkelheit über das Land. Das bedeutet, daß die alte Schöpfung im Sterben liegt mit ihrem Gott. Die Endzeit fängt an. Das ist auch die Dunkelheit der Gottesferne, der Sünde Sold, den Jesus für uns trägt, ohne daß er selbst ein Sünder ist, indem Gott sich von ihm entfernt.
Aber das ist auch die alte Schöpfung, die im Sterben liegt mit Gott. Jetzt sehen wir die toten Bäume. Die fingen damals an zu sterben, aber das war nicht sichtbar für uns. Die alte Schöpfung liegt im Sterben. Wenn Dunkelheit herrscht, gibt es kein Leben mehr. Die alte Schöpfung ist dahin. Warum?
Weil wir Gottesmörder sind. Wir haben Jesus Christus im Namen der zwei größten Gesetzgebungen, die die Welt je gesehen hat, im Namen menschlicher Gerechtigkeit umgebracht – das jüdische Gesetz, ausgelegt von den Schriftgelehrten und Pharisäern, und das römische Gesetz, welches die Grundlage unserer eigenen Gesetzgebung hier in Deutschland ist, wie in vielen anderen Staaten.

Drei Stunden Dunkelheit, die alte Schöpfung ist zeichenhaft im Sterben mit Gott. Und Jesus ging nicht zurück, es war nicht wie bei Lazarus, bei der Tochter des Jairus, bei dem Jüngling zu Nain, daß er zurückging zum alten Körper, zur alten Welt, sondern er geht vorwärts zur neuen Welt. Die alte Welt ist gerichtet am Kreuz. Es gibt nur das Vorwärtsgehen zur neuen Welt in seinem auferstandenen Leib. Das ist der einzige Weg für uns. Deswegen auch dieses Leiden, diese Not, die Katastrophen, daß wir merken, daß diese Welt nicht der Standort für uns ist. Wir sind das Wandervolk Gottes, wir haben keine bleibende Stadt hier. Und das ist für uns sehr hart. Deswegen kommen diese Gerichte und Kata strophen, daß wir merken, daß wir keine bleibende Stadt hier haben. Gott erleichtert es uns, das zu merken.

Sechstens:

Dieses Übel, diese Gerichte, all das, was wir »das Böse« nennen, hat fast immer in zentraler biblischer Handlung mit Gottes Heilsplan zu tun.
Nehmen wir die Josefsgeschichte als ein typisches Beispiel. Josef ist der von seinem Vater bevorzugte Sohn. Die Brüder wollen ihn umbringen. Im letzten Moment verkaufen sie ihn jedoch lieber als Sklaven. Und Josef geht durch alle möglichen Gerichte und Nöte – und dann bringt er den Weg des Heils, des fleischlichen und geistlichen Überlebens des jüdischen Volkes.
Wenn das nicht mit Josef geschehen wäre, wenn Josef im Elternhaus und bei den Brüdern geblieben wäre, was wäre mit Israel passiert? Sie hätten nichts gehabt in diesen sieben dürren Jahren, sie wären verloren gewesen. »Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.« Katastrophen dieser Art haben oft mit Gottes Heilsplan zu tun. Ich nenne eine typische Katastrophe in der jüngeren Geschichte Israels, die mit Gottes Heilsplan zu tun hat. Warum ist es so, daß gerade in dem Gebiet, in dem die Nazis fast jeden Juden umgebracht haben, in der Ukraine und Südrußland und auch in Polen, daß gerade in diesem Gebiet 50 Jahre zuvor Pogrome gegen das jüdische Volk ausgebrochen waren, Pogrome, gemeinsam inszeniert von der Kirche, vom Staat und von der Geheimpolizei, in denen Hunderte von Juden umgebracht wurden unter dem Kreuz, als Sündenbock für soziale Unruhen in Rußland und die Ermordung von Zar Alexander II.?
Warum dieses schreckliche, haarsträubende Übel? Weil wir Juden es nicht mehr ertragen konnten zu bleiben und auswanderten. Da fing die erste Auswanderung nach Israel an, die erste Aliyah, und die große Auswanderung nach Amerika.
Was wäre passiert, wenn Israel dieses schreckliche Leiden nicht gehabt hätte? Die Leute wären alle dageblieben – und kaum einer hätte Hitler überlebt. Durch diese schrecklichen Gerichte und die Not wurde es den Juden unmöglich gemacht, dort zu bleiben, und sie fingen an, massenweise über die Grenze zu gehen (auch ungesetzlich, geschmuggelt – wie soll man ein Gesetz ernst nehmen, wenn man so behandelt wird?).
In dieser Zeit sind auch meine Großeltern nach Amerika gekommen, wegen dieser schrecklichen Leidensgeschichten. Das bedeutet, Leidensgeschichte hat sehr viel mit Gottes Heilsplan zu tun. Das haben wir auch besprochen in bezug auf Mose, in bezug auf Saulus, vor allem in bezug auf Jesu Kreuz. Wie ist es in bezug auf uns Christen?
Keiner von uns betet: »Herr, laß mich leiden.« Es gab ein paar Leute in der Geschichte, die das getan haben, aber sehr wenige. Aber ist es nicht ein wunderbares Geheimnis, daß der Glaube wächst, wenn wir als Christen leiden?

Ein Missionar hat über den Iran gesagt: »Unter dem Schah haben wir totale Freiheit gehabt zu missionieren, aber niemand hatte Interesse an einer Bibel. Jetzt wird man mit der Todesstrafe bedroht, wenn man mit einer Bibel angetroffen wird – und viele wollen eine haben.«
Wie war das in Äthiopien, unter der extrem kommunistischen Regierung? Der Glaube ist von innen, unter Not und Leiden gewachsen. Das bedeutet, dieses Leiden hat mit dem Kreuzesgeheimnis zu tun. Gerade in der tiefsten Verfolgung werden die tiefste göttliche Führung und sein Angebot erkennbar. Das gilt für beide Bünde. Der Bund des Volkes Israel ist ein Leidensbund. Und ich kann es nicht hören, wenn Christen zu mir kommen und sagen: »Nicht wahr, Herr Pfarrer, wir werden entrückt werden vor der großen Leidenszeit.« Ja, das bedeutet, wir haben hier unsere Grillfeste, und dann sind wir weg, im Himmelreich, und wir haben keine Leiden. Meine Antwort ist: »Am Ende der Leidenszeit werden wir entrückt werden, dann wird er alle Tränen abwischen.«
Wehe uns, wenn wir sagen:
Ich bin zu gut, um zu leiden; das passiert nur den Juden, wir Christen sind viel zu gut für das Leiden. Das ist die Art zu denken, wenn es nur mir gut geht. Ich war sehr beeindruckt von einem Zitat von Bonhoeffer: »Ich glaube, daß uns Gott in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßten alle Ängste vor der Zukunft überwunden sein.«
Um das geht es. Wir müssen diesen Verlust erleben. Wir leben in Erbsünde. Wir müssen uns selbst verlieren, was uns nahe ist und diese alte Welt, damit wir eine neue Welt ererben. Und in dieser schrecklichen Leidenszeit gibt Jesus uns die Kraft, wenn wir wirklich an ihn glauben und wirklich an ihm festhalten. Aber er zeigt uns das nicht vorher. Jeder von uns hat Angst: Oh weh, wenn eine Verfolgung über uns kommt! Jesus will nicht, daß wir glauben, daß wir über ihn verfügen. Er verfügt über uns mit seinem Heiligen Geist, und er gibt uns die Kraft, wenn wir das nötig haben. So habe ich es erfahren von einer Frau, die schreckliche Leiden erlebt hat. Sie hat gesagt: »Auch als ich geschrieen habe vor Schmerzen, als ich überhaupt nicht an Jesus denken konnte, habe ich gewußt: Er ist trotzdem da.«

Siebtens:

Diese Gerichte, diese Leiden, all das, was wir gerne »das Böse« nennen, haben mit einem Angebot der Gnade zu tun. Gott will uns zeigen, daß wir ihn ganz und gar brauchen. Und er gibt uns drei Angebote der Gnade: Das erste ist Paradies ohne Leiden – und wir fallen ab; das zweite ist nach schrecklichem Leiden in der Urgeschichte, als er uns das Gesetz gibt – und wir fallen ab; dann geht er selbst in dieses Leiden am Kreuz – und trotzdem fallen wir ab. Und dann kommt diese ungeheure Aussage im Missionsbefehl: »Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.«
Das bedeutet: Bei allen Christen, unser ganzes Leben lang, bis an unserer Welt Ende, bis an das Ende aller Tage. Das steht im Zusammenhang mit dem Missionsbefehl. Wenn wir uns in Dialogen verlieren und nicht Mission treiben, dann ist Jesus nicht mehr »bei uns alle Tage bis an der Welt Ende«. Sobald wir den Missionsbefehl nicht wahrnehmen, ist Jesus nicht mehr »bei uns alle Tage bis an der Welt Ende«. Das steht direkt in diesem Missionsbefehl: »Gehet zu allen Völkern . . . « und dann: »Ich bin bei euch alle Tage.«
Das ist ein ungeheures Angebot der Gnade für uns versagende Christen, für uns schwache Christen, daß Jesus zu uns steht. Er ist da, jeden Tag neu. Das bedeutet nicht, daß wir das immer spüren. Man kann nicht erwarten, daß man jedesmal beim heiligen Abendmahl zutiefst ergriffen ist – aber das Abendmahl hat die gleiche Auswirkung, ob wir das tief erleben oder ob wir gar nichts erleben; denn nicht, was wir fühlen, steht im Mittelpunkt, sondern Jesu Wort, seine Verheißung, seine Vergebung. Das steht da, ob wir das in der letzten Tiefe spüren oder nicht spüren. Unser Glaube ist nicht gegründet auf Erlebnisse; unser Glaube ist gegründet auf das, was ER für uns erlebt hat. Und das ist gültig, ob wir das spüren oder nicht.
Das ist die erste, sehr große Verheißung für uns verlorene Menschen. Jesus wird alle Tage bei uns sein, was nicht bedeutet, daß wir das unbedingt spüren werden, aber er ist da, und wir werden ihn immer wieder finden, weil er uns immer wieder sucht. Wir haben ihn nicht im Griff, er hat uns im Griff, und er wartet immer auf uns. Das bedeutet: auch durch jedes Leiden. Und gerade das Leiden ist es, das uns zurückbringt zu Jesus. Wenn es uns in allem gut geht, dann sind wir sehr weit weg.
Und dann noch die zweite große Verheißung: Der Tod wird keine Macht mehr über uns haben. Wir gehen vom Leben zum Leben. Der Tod ist kein Scheidepunkt mehr für uns. Wir als Christen werden, wenn wir im Leben sind (das ist »in Christus«), immer im Leben bleiben. Das ist eine außerordentliche Aussage.

Und die dritte Verheißung: Einmal wurde ich gebeten, einen Text auszulegen, den ich sicher mehrmals gelesen, aber nie richtig wahrgenommen hatte: 1. Johannes 3,2, in dem wir lesen, daß wir »gleich wie Jesus sein« werden in seinem Reich. Ich war richtig erschrocken über diesen Text. Obwohl ich ihn schon mehrfach gelesen hatte, habe ich nie wirklich wahrgenommen, was dahintersteckt: Wir sind zu Gottes Bild geschaffen. Diese Ebenbildlichkeit mit Gott ist verlorengegangen durch den Sündenfall. Jesus aber hat das in jedem Sinn wiederhergestellt. Er allein ist jetzt in Gottes Bild – aber als Vertreter für uns. Und wenn wir durch das Gericht gehen – und er übernimmt das für uns, wenn wir ihm gehören im Glauben – , dann werden wir in Christus diese Gottesebenbildlichkeit übernehmen, denn er hat sie zurückgewonnen für uns durch sein Kreuz. Mir ist wichtiger als diese Auslegung das Erschrecken über diesen Text. Gottes Wort soll uns manchmal erschrecken, im Sinne von Betroffenmachen. Die Antwort ist: Herr, wir sind nicht würdig. Ich soll wie Christus sein? Solch eine Aussage sprengt jegliches Vorstellungsvermögen. Ein sündiger, gefallener Mensch wie ich wird gleich wie Christus sein -? So wird es aber sein. Das ist die letzte dieser drei großen Verheißun gen der Gnade:

1. »Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.«
2. Wer in Christus lebt, wird immer in ihm leben.

3. Wir werden gleich sein wie Christus.

Was bedeutet das nun aber? Was wir »Böses« nennen, gilt es zunächst einmal anzunehmen. Denn wir haben es mit einem Gott zu tun, der uns züchtigt. Das ist die ganze Geschichte, die der Prophet Hosea bezeugen muß. Hoseas Thema ist der liebende Gott als der züchtigende Gott. Gott züchtigt uns, damit wir reif werden durch seine Gerichte, damit wir reif werden für seine Gnade. Ich glaube, das ist die letzte Tiefe dieses Themas. Er züchtigt uns durch seine Gerichte, daß wir reif werden für seine überschwengliche Gnade, eine Gnade, die überhaupt keine Grenze kennt. Und diese Gnade reicht bis zur Gottähnlichkeit, die wir in seinem Reich ererben werden, wenn wir mit Christus leben, mit ihm leiden, mit ihm gezüchtigt werden durch Gerichte und trotzdem im Gehorsam auf seinem liebenden Kreuzesweg bleiben.

Paulus und Jakobus (Die Rechtfertigungslehre)

Wir hören öfter, daß ein Widerspruch sei zwischen der Verkündigung des Jakobus und der des Paulus. Selbst Luther hat das behauptet. Es wird gesagt, daß Paulus die Rechtfertigung der Sünden allein aus dem Glauben verkündigt, während Jakobus es im Kapitel 2 seines Briefes so bezeugt, daß die Sünder erst gerechtfertigt werden durch ihr Tun. In Römer 10,9-17 wird aber deutlich, daß Paulus (nicht anders als Jakobus) dieses zentrale Anliegen vielschichtig sieht.
Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.« Paulus meint damit, daß ein wahrer, lebendiger Glaube, welcher uns sündige Menschen rechtfertigt, ein zweifacher Schritt ist – ein Schritt, den Christus allein bewirkt hat durch sein Tun, und ein Schritt, der in uns vollzogen wird nur durch das Wort: »So kommt der Glaube aus der Predigt.«

Der erste Schritt ist: »Wenn man von Herzen glaubt . . . « »Herz« bedeutet in der Bibel – anders als in der Romantik – der Ort der Wahrnehmung, sowohl der Gefühle als auch des Verstan des. Zuerst muß das Wort, das Wort von Jesu erlösendem Kreuz, Platz in unserem Wesen, in unseren Gedanken und Gefühlen finden, zutiefst und bestimmend.

Und dann kommt der zweite Schritt: » . . . und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.« Paulus meint damit: Wenn wir wirklich die heilbringende Botschaft von Jesu Kreuz in unserem ganzen Wesen aufgenommen haben, dann bleibt diese Botschaft, diese rettende Wahrheit, nicht passiv in uns, sondern sie keimt mit neuen Früchten. Wenn wir wirklich gläubig geworden sind, dann müssen wir, was uns wichtig geworden ist, weitergeben. Wir können nicht selbstzufrieden sein mit unserem eigenen Glauben, sondern wir müssen mit anderen darüber sprechen. Und nur dann, wenn unser Glaube aktiv, nicht passiv ist, wenn unser Glaube missionarisch, nicht selbstsüchtig ist, nur dann werden wir errettet.

Jakobus meint im Grunde genommen das gleiche. Er legt den Akzent auf das Tun, auf den lebendigen Glauben als wesentlichen Teil der Rechtfertigung von uns sündigen Menschen durch Christi Kreuz. Beide, Paulus und Jakobus, predigen das gleiche: die Rechtfertigung von uns sündigen Menschen durch den lebendigen Glauben an unseren Heiland und Erretter Jesus Christus; und dieser lebendige Glaube erweist sich in unserem Tun, vor allem, wie hier bei Paulus, durch das Tun im Weitergeben des Wortes.

Jesus selbst hat dieses Thema in der letzten Tiefe entwickelt in seinem Gleichnis von den Talenten. Was Jesus uns durch Gaben und seine Vergebung gibt, sollen wir weitergeben, so tief wir nur können.
Auch wenn Paulus vorher von Israel geschrieben hatte – jetzt, in Jesus Christus, gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden (der Begriff »Griechen« steht im Neuen Testament stell vertretend für alle Heiden). Eigentlich können wir diese Aussage, welche auch im Epheserbrief nochmals angesprochen wird, zweifach vertiefen, denn Paulus sagt am Anfang des Römerbriefs: »Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst (auch mit »vornehmlich« zu übersetzen) und ebenso die Griechen.« Aber in Römer 11 zeigt uns Paulus, daß die Juden eine Binde vor den Augen haben, daß sie in ihrer Mehrzahl, als Volk, Jesus nicht annehmen werden bis zu seiner Wiederkunft. Aber trotz dieser beiden eigentlich sich gegenseitig ausschließenden Aussagen sind Christen jüdischer Herkunft, wie ich, und Christen aus den Völkern gleich und gleichberechtigt in Jesus Christus, wie es hier und im Epheserbrief steht.
»Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?«
In diesem Vers führt Paulus uns Israels tragische Lage vor Augen in einer fast niederschmetternden Reihe von Aussagen. Aber wenn wir diese drei Aussagen in Beziehung zu den damaligen Juden betrachten, müssen wir uns selbst fragen, ob diese Aussagen nicht auch auf Teile der sogenannten Christenheit am Ende der Tage zutreffen.
Zuerst: »Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben?« »Wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.« Israel aber will nicht an Christus, an sein Sühneopfer für uns glauben und ihn in ihren Herzen aufnehmen; und deswegen können sie ihn auch nicht anrufen und sich damit auch nicht mit ihrem Munde zu ihm bekennen.

Wir wollen uns fragen, wie viele sogenannte Namenschristen hier im »Christlichen Abendland« in der gleichen Lage sind. Wir können nicht wahres Gebet (ein »den Herrn anrufen«) von Menschen erwarten, die an diesen Herrn und Heiland nicht wirklich glauben, ihn nicht als ihren Retter und Erlöser ansehen. Wenn sie beten, dann ist ihr Gebet nur ein Lippenbekenntnis oder nur ein selbstsüchtiges Vorbringen eigener Anliegen. Sie wollen etwas bekommen, was ihnen nach ihrem Sinne wichtig erscheint, nicht aber unter der Prämisse »Herr, dein Wille geschehe«. Beides, nur Lippenbekenntnisse oder selbstsüchtige Versuche, unseren Willen dem Herrn aufzuzwingen, verneint seine Herrschaft über uns in seinem Sinne, im Sinne seines Kreuzes. Aber wie viele Menschen haben heute überhaupt aufgehört zu beten!

Paulus fährt fort: »Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben?« und »Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?« Ich kann nicht an etwas, an jemanden glauben, von dem ich nicht richtig gehört habe oder gar nichts gehört habe. Israels Geistliche haben zu Jesu Zeit schon Christus abgelehnt. Die wenigen Judenchristen haben es deswegen immer schwer gehabt, die befreiende Botschaft von Jesus, dem Messias, ihrem Volk zu bringen. Aber wir wollen uns heute selbst fragen, ob diese Lage nicht oft auch auf unser »Christliches Abendland« jetzt am Ende der Tage zutrifft. Denn Paulus sagt weiter: »Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden?« Von wem gesandt?
Von Christus, durch sein Wort, welches sie ins Herz auf genommen haben und dann weitergeben müssen. Viele von uns haben sicherlich Fragen, inwiefern die befreiende Botschaft von Jesu Kreuz wirklich immer klar und deutlich unter uns im biblischen Sinne verkündigt wird. Hier ist sicherlich nicht eine politische, soziologische und psychologisierende Botschaft gemeint, welche den Zeitgeist und auch unseren eigenen Standort spiegelt. Sondern hier ist, wie immer bei Paulus, die befreiende Botschaft von Jesu Kreuz gemeint, befreiend von unserer Schuld und Sünde, denn ohne Glauben im Sinne des Paulus und Jakobus bleiben wir verstrickt in Schuld und Sünde, trotz unseres politischen Standorts, unseres psychologischen Empfindens oder unserer soziologischen Lage. Jeder andere Ruf zur Befreiung stellt uns immer in ein neues Abhängigkeitsverhältnis, ob politisch, sozio logisch oder psychologisch. Wahre Befreiung ist Befreiung von uns selbst. Denn die Sünde, die Selbstbestimmung unseres Lebens und nicht Christi Herrschaft, ist der Weg des Verderbens. Diese Selbstbestimmung ohne wahren Glauben bis ins Herz hinein und bis hin zum Zeugnis bleibt in Politik, Soziologie und Psychologie stecken, denn diese alle sind Menschenwerk. Aber Gottes befreiendes Werk für uns ist und bleibt Christi Kreuz, die Befreiung von Sünde, Teufel und Tod.

»So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.« Wir können im biblischen Sinne nur predigen, wenn Gottes Wort uns bis ins Herz getroffen hat, so daß wir nicht mehr schweigen können. Wir können nicht mehr schweigen, weil wahrer Glaube diese Dynamik in sich trägt: vom Herzen bis zum Mund. Wir sind gerechtgemacht, gerettet durch Christi Blut, nicht nur für uns selbst, sondern als Christi Botschafter, durch das Wort von der Erlösung durch sein Kreuz an unseren Nächsten. So redet Jesus in seinem grundlegenden Gleichnis vom Säemann. Wenn das Wort, sein befreiendes Wort, auf guten Boden fällt, dann bringt es große Frucht, dreißig-, sechzig-, hundertfältig.

Und dieser Prozeß ist eine sich immer wiederholende Entwicklung. Wir kommen zum Glauben durch das Wort von Christi befreiendem Kreuz; und wenn dieser Glaube tief ist und echt, bis ins Herz geht, dann müssen wir dasselbe Wort weitergeben, daß auch andere errettet werden. Heute redet man von Multiplikatoren. Eine Strategie der Mission und des Gemeindeaufbaus, welche sich als Menschenwerk, als menschliche Überlegung erweist, wird uns letzten Endes nicht weiterbringen, denn das ist Menschenwerk. Und wir verfügen nicht über den Heiligen Geist, sondern es geht um »Christus allein«, und er bedient sich des gepredigten Wortes.
Machtdemonstrationen, Gefühlsbetonung, Geistesgaben als gruppendynamische Prozesse werden, wie Jesus im Gleichnis vom Säemann zeigt, nicht zu tiefem, im Wort ver wurzelten Glauben führen, sondern, was da aufbricht, wird schnell, hoch und rasch aufgehen und dann so schnell in sich zerstritten zusammenfallen, wie in den schwärmerischen Bewegungen am Anfang dieses Jahrhunderts.
»Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet… So kommt der Glaube aus der Predigt (nur aus der Predigt), das Predigen aber durch das Wort Christi.«

Menschliches und göttliches Leiden

Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muß viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohen priestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist. Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s ver lieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

(Markus 8,31-38)

Kaum ein Text in unserer Bibel ist für mich so erschütternd, bewegt mich bis in Mark und Bein, wie dieser. Jesus fragt seine Jünger, was die Leute von ihm halten. Er bekommt verschiedene Antworten. Aber dann schaut Jesus Petrus direkt an und fragt: »Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei?« Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: »Du bist der Christus, der Sohn Gottes!«
Warum ist diese Aussage so umwälzend? Weil Petrus und auch andere Jünger (das bedeutet hier das »ihr«) als Vertreter Israels jetzt wissen: Jesus Christus ist der, auf den Israel immer gewartet hat, auf den die ganze jüdische Bibel, das Alte Testament, hinzielt. Wir möchten denken, daß Jesus seinen Jünger Petrus jetzt umarmt und sagt: Jawohl, du und ein paar andere wissen jetzt, so ist es! Aber nein, gerade jetzt, in dieser Situation, zeigt Jesus, was es wirklich bedeutet, König der Juden zu sein: Er ist der wahre, endgültige Leidensknecht Gottes.
Und Jesus erzählt Petrus und den anderen, was seine Zielsetzung ist: »Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muß viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.«
Diese Aussage ist für Petrus und die anderen bestürzend. Zwar kann man von ihnen als Galiläern keine große Schriftkenntnis erwarten, denn die Galiläer waren sprichwörtlich etwas weniger geschult in Gottes Wort als die Judäer zum Beispiel, aber als Jünger Jesu können wir von ihnen doch gewisse tiefe Erkenntnisse erwarten. Jeder Jude, der etwas von der Bibel versteht – und besonders damals, als die messianische Erwartung so aktuell war wie heute – , weiß, daß der Messias kommen wird, Frieden in der Welt aufzurichten, die Erlösung Israels unter den Volkern. »Dann werden alle Völker hinpilgern nach Jerusalem (vgl. Jesaja 2 und andere sehr wichtige Schriftstellen), um den Gott Israels anzubeten. Und dieser Messias wird ein großer Held sein, mit Macht und Herrlichkeit wird er herrschen.« Zwar gibt es die verschiedenen Stellen in Jesaja über den Gottesknecht, besonders Jesaja 53, welche den Messias als Leidensgestalt darstellen, auch verschiedene Psalmen, wie Psalm 22, der Kreuzespsalm, aber Israel hat viel mehr einen Machtherrscher erwartet, der sein Volk mit Gewalt von den Römern befreit und sein Friedensreich in dieser Welt aufrichtet. Kreuz und Leiden bedeutete damals, wie heute, unter den Juden etwas Alltägliches, das, wovon sie befreit sein wollen. Jesu Art und Weise messianische Schriften zu erfüllen, wurde gerade damals in Israel nicht erwartet. Auch nicht seine Art von Befreiung und seine Art, den Frieden zu bringen.
Deswegen wehrt sich Petrus gegen Jesu eigene Zielsetzung: »Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren« in dem Sinne: »Herr Jesus, das soll nicht mit dir geschehen! Was? Du mußt leiden und verworfen werden? Nein! Das soll nicht sein!«
Darauf gab Jesus ihm eine Antwort, die auch für alle modernistischen Theologen gilt, die Jesus heute so menschlich sehen wollen: »Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.«
Gerade in dem Moment, als Petrus sich zur wahren Erkenntnis durchgerungen hatte, daß Jesus der Heiland ist, verleugnet er das Wesen dieses Heilands, nämlich sein Leiden und Kreuz. Petrus denkt hier menschlich, allzumenschlich. Seine Denkart kennen wir nur allzugut: Menschliche Not ist das Schlimmste; wir müssen uns mit Händen und Füßen dagegen wehren. Leiden – ja, das ist schlimm! Aber Jesu Weg, und wie er sagte, der Weg aller seiner Nachfolger, verspricht gerade Leiden. So ist es.

Warum bezeichnet Jesus Petrus hier als Satan? Das geht doch etwas zu weit, denken wir. Oder auch an anderer Stelle: Warum sagt er zu seinem eigenen Volk, welches ihn nicht annahm, daß sie Kinder Satans seien und nicht Kinder Abrahams? Bei beiden Texten geht es um das gleiche. Er meint, daß in diesem Moment durch seinen Widersacher, den Satan, hier Petrus und da sein Volk sich von Gott, von Jesus entfernt haben. Und diese Gottesferne ist nichts anderes als Sünde, Satans Bereich. Armer Petrus! Gerade in der tiefsten aller Erkenntnisse, daß Jesus der langersehnte Messias ist, verkennt er den wahren Sinn und die Zielsetzung seines Messias. Tun wir das nicht auch, Tag um Tag?
Wie viele von uns beten und meinen es wirklich so: »Herr, dein Wille geschehe«? Und wie viele von uns glauben wie Petrus: Weil ich dich als meinen Herrn anerkenne, wirst du letzten Endes meinen Willen geschehen lassen, denn ich meine es doch (wie Petrus) nur gut. »Dein Wille geschehe« bedeutet auch die Erkenntnis bis in Mark und Bein, daß der Herr allein über Tag und Stunde verfügt, nicht nur über seine Wiederkunft.

»Dein Wille geschehe« bedeutet, daß Jesus ans Ziel kommen wird, wann und wie er will; und nicht wann und wie wir das haben wollen. Satan forderte Jesus mit biblischen Worten und anscheinend in biblischem Sinne heraus. Die Zeichen, die er von ihm verlangt, sind göttliche Zeichen. Das sollten wir nicht übersehen! Satan ist klug. So sind auch die Zeichenforderungen der Pharisäer! Sie verlangen Zeichen von Jesus, wann und wie sie das haben wollen; nicht wann und wie er solche zur Ehre des Vaters einsetzen will.
Wir verfügen niemals über den Heiligen Geist, sondern dieser Geist kommt wann und wie er will und erreicht dann seine Ziele, nicht unsere Ziele. Richtiger Mitarbeiter Jesu sein, bedeutet die Erkenntnis, daß nur einer unser Meister ist: der wirkende, der bestimmende, der wahre Gott Israels, Jesus Christus. Und was verlangt Jesus von uns? Er verlangt unser Mitgehen, »in seinen Fußtapfen« dem Kreuztragenden nach. Das bedeutet: Er verspricht uns in der Nachfolge nichts anderes als Leiden. Allein durch Leiden ist der Weg zu seinem Reich bestimmt. »Mitgekreuzigt werden« bedeutet, daß wir auch mit ihm auferstehen werden, sein Reich ererben.

»Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?«

Gar nichts! Jesus zeigt uns klipp und klar, daß alle unsere Werke, unser gutes und menschliches Denken und unser Einsatz, daß uns das alles nicht helfen kann. Heute hören wir immer wieder – und das bestimmt unsere nachchristliche Gesellschaft – , daß Menschlichsein, Mitmenschlichkeit, von höchstem Wert sei. Wer kann nach Auschwitz, nach den Straflagern in Sibirien, nach den Diktaturen und der Dekadenz unserer Zeit wirklich glauben, daß der Mensch, das Menschliche, gut ist?
Wer kann das glauben? Jesus sagt ein sehr deutliches Nein dazu. Noch tiefer, er nennt solches Denken satanisch. Warum? Weil Satan Adam und Eva gerade durch solches Argument verführt hat, wie er auch versuchte, Jesus zu verführen. Satan behauptet, den Menschen gleich wie Gott stellen zu wollen und zu können. Er will in den Bereich des Gott eigenen, des ewigen Lebens und der Wahrheit hineindringen. Und gerade das ist der Sündenfall. Eine Gesellschaft, in der Menschlichsein, Mitmenschlichkeit, der höchste Wert ist, verherrlicht Satan und nicht Jesus Christus. Das müssen wir deutlich sagen:

»Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr Herr, der Gott Israels.«
Jesus ist bereit, sich selbst ganz und gar für uns zu geben, sogar verlassen am Kreuz in der Erniedrigung dieser »Erhöhung« zu sterben – verlassen sogar vom Vater. Und wenn wir seiner wert sein wollen, verlangt er zuerst die Nachfolge. »Komm, und folge mir nach!« Klipp und klar sagt er das. Er verlangt in diesem und durch dieses Nachfolgen, daß seine Liebe, sein Wort und sein Weg uns bestimmen und nicht unser allzumenschliches Gedankengut. »Oh«, werden nun viele abwehren, »dieser Jesus ist unmenschlich, er verlangt zuviel von uns. Wir beten doch ab und zu, auch gehen wir ein paarmal im Jahr in den Gottesdienst, wir sind getauft und konfirmiert, sogar christlich getraut. Das ist doch wohl genug – ? « Jesus sagt aber: »Komm, und folge mir nach.« Das bedeutet Tag um Tag, Stunde um Stunde, Jahr um Jahr.

»Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.«
Sind wir uns im klaren darüber, daß wir alle unser Leben verlieren müssen? Wir leben meist doch so, als ob wir gar nicht wüßten, daß wir alle sterben müssen. Diese Welt ist nicht das Letzte und Entscheidende. Wer aber weiß und Jesus bekennt, daß er schuldig ist an Jesu Kreuz, weil er Tag um Tag allzumenschlich denkt (wie Petrus), und darüber immer wieder Buße tut und jedesmal durch unseren Heiland wieder neu aufgehoben und weitergeführt wird, der allein wird Zukunft haben, nur der. So sagte es uns unser Herr, Jesus Christus, in seiner Vollmacht. Wer aber auf seiner Menschlichkeit beharrt und damit auf seiner eigenen Herrschaft über sein Leben, dem gilt das Wort Jesu: »Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?«
Gar nichts!

Herr Jesu, du allein kannst uns die Kraft geben, in deiner wahren Nachfolge zu gehen und zu bleiben. Wenn wir schwach werden und wieder einmal mit der Herrschaftsmacht unseres eigenen Willens konfrontiert werden, sind wir gewiß, daß du zu uns kommen wirst, uns aufzuheben und weiterzuführen wie und wann du willst, auf deinem guten und geraden Weg. Herr Jesus, du bist unsere Stärke, und auf dich allein vertrauen wir.

Die zeichenhafte Bedeutung von Jesu Wunderheilungen

Der alttestamentliche Hintergrund

Wie bei allem in der Bibel, gibt es auch hier eine Entwicklung der offenbarten Wahrheit, wie Gott seinen Weg Schritt um Schritt zeigt, bis er ans Ziel kommt.

Die ersten Heilungen in der Geschichte Israels werden uns wie in einem Block berichtet. Sie sind ganz anders als man das erwarten würde: Es sind die zehn Plagen, die Israel »heilen« sollten von ihrer Knechtschaft in Ägypten. In diesen zehn Plagen, die das Heil für Israel, den Auszug aus der Sklaverei in Ägypten, bedeuten, zeigt der Herr, der Gott Israels, seine Herrschaft über die ganze Schöpfung. Sie erweist sich im Entgegengesetzten, in negativer Art:
Gott zerstört, um Israel das Heil zu bringen, seine Heilung von dieser Knechtschaft. Richtig verstanden umfassen die zehn Plagen die gesamte Schöpfung Gottes:
In der ersten Plage wird Wasser in Blut verwandelt – das erinnert an Jesu Vollmacht auf der Hochzeit zu Kana, und es hat auch mit Jesu Abendmahl zu tun.

Es folgen verschiedene Tierplagen; Plagen über die Gesundheit allen Lebens; Plagen durch die Witterung; die Pflanzen werden durch eine Heuschreckenplage vernichtet; die Finsternisplage bezieht sogar die Elemente des Kosmos mit ein – wie später bei Jesu Kreuzigung; und schließlich die letzte Plage, die den Menschen unmittelbar betraf, durch die der jeweils älteste Sohn in allen ägyptischen Familien stellvertretend für das ganze Volk umgebracht wird. Hier wird deutlich: Der Herr zeigt seine Kraft des Heils zuerst negativ, indem er zerstört, und kollektiv, indem es jeweils das ganze Volk angeht und nicht einzelne Menschen.

Ein zweiter großer Bereich von Gottes Heilungshandeln findet sich auf der Wüstenwanderung. Da geschieht Heil und Heilung für das ganze Volk Israel, am deutlichsten in der Errichtung der ehernen Schlange: Das Volk hatte gegen Gott rebelliert, sogar das Manna als ekelerregend bezeichnet; da schickte Gott Giftschlangen unter sie; erst das Anschauen der ehernen Schlange, die Mose im Auftrag Gottes aufrichtete, brachte Heilung von dem tiefen Schaden des Murrens. (Der Evangelist Johannes bringt das Geschehen in unmittelbaren Bezug zum Kreuz Jesu.) Die kollektive Heilung für das Volk, das die eherne Schlange anschaut, ist eine Vordeutung auf Jesu Erlösungstat.

Das erste große Heilsgeschehen geht vom Negativen aus, in dem Gott zerstört, um Israel zu retten. In der Wüste geht es nun um eine Heilung von dem Gift, das die Giftschlangen bringen, mögliches Heil für ein ganzes Volk, nicht nur für einzelne.
Der nächste große Komplex von Heilungsgeschichten im Alten Testament hat mit zwei Propheten zu tun, mit Elia und Elisa. Damit gehen wir einen deutlichen Schritt vorwärts in Richtung auf das Neue Testament.
Elia
geht im Auftrag Gottes direkt zu einer einzelnen Person. Die Witwe hatte ihm gesagt, daß sie und ihr Sohn nun sterben müßten, weil sie nichts mehr zu essen hätten. Elia verspricht, daß sie genügend Mehl bekommen und daß das Öl nicht ausgehen würde. Ein persönliches Heil wird hier versprochen, Heil gegen die Not des Hungerns. Und dann erfolgt noch eine persönliche, bemerkenswerte Heilung, eine Heilung aus dem Tod – durch ein Verfahren, das auch heute noch in Notfällen eingesetzt wird, die Mund-zu-Mund-Beatmung: Elia legt sich auf den Knaben und atmet wieder Leben in ihn. Hier wird eines der zentralen Wunder Jesu vorgedeutet: die Auferstehung. Auch wenn hier noch eine natürliche Vorgehensweise zum Hilfsmittel wird und die neutestamentliche Todesüberwindung noch nicht zum vollen Tragen kommt, geschieht Wirkung persönlichen Heils.
Warum ist das persönliche Heil ein Schritt vorwärts? Weil der Alte Bund ein kollektiver Bund ist und der Neue Bund ein persönlicher Bund. Der Alte Bund ist ein Bund mit einem ganzen Volk, dem Volk Israel. Im Glaubensbekenntnis der Juden geht es nicht um eine, um meine Person. »Höre, o Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist eins«, so heißt es. Das ist eine kollektive, das ganze Volk betreffende Aussage. Der Glaubensbund auf dem Berg Sinai wurde nicht mit einzelnen Menschen, sondern mit Mose und den 70 Ältesten als Stellvertretern für alle geschlossen. Am Ende der Tage, wenn Israel Jesus annimmt (Sacharja 12, 10), wird das ganze Volk ihn annehmen. Dann wird es wieder ein kollektives Heil sein: »Und sie werden ihn annehmen, den sie durchbohrt (gekreuzigt) haben, und werden um ihn weinen, wie man weint um einen einzigen Sohn.«
Israel wird das erste Volk sein, das Jesus als ganzes Volk annimmt. Israels Selbstverständnis ist nicht ein persönliches Selbstverständnis, sondern ein kollektives – wir, als Volk Gottes. Deswegen sind die ersten Heilungen kollektiv, an dem Volk als Ganzem. Merkwürdig ist, daß die Heilungen bei diesen prophetischen Geschichten jetzt auf einzelne Menschen übergehen. Warum? Das hat einen tiefen Grund, der bei den Beobachtungen zu Elisas Taten deutlicher wird.
Der Neue Bund ist ein persönlicher Bund: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn . . . « Unser Glaubensbekenntnis lautet nicht, »Wir Christen glauben . . . « , sondern der Neue Bund ist ein persönlicher Bund. Jesus hat nicht einzelne Völker zu sich berufen, er ruft einzelne Menschen: »Komm, und folge mir nach.« Deshalb beobachten wir schon innerhalb des Alten Testaments – und das ist nicht nur bei den Heilungen der Fall, das ist allgemein so – eine Entwicklung vom Kollektiven, dem Völkischen als Ganzem, hin zum Persönlichen, in Richtung des Neuen Bundes. In diesem werden immer einzelne Menschen berufen.

Interessant ist, daß die Wunder Elisas in der modernen Theologie wenig beachtet und noch weniger verstanden werden. Aber im Blick auf Heilungen sind im Alten Testament die Kapitel, die uns von Elisa berichten, von zentraler Bedeutung. Sie weisen direkt auf den Neuen Bund hin.
Was geschah bei Elisa, dem Nachfolger Elias? Immer wieder tut er Wunder. Aber es geht nicht um einen Wunderglauben, sondern es geht um die zeichenhafte Bedeutung, die hinter diesen Heilungen steht. Ich muß von vorn herein klarstellen: Jede Heilung hat stattgefunden. Ich bin kein moderner Theologe, der alles umdeutet. Alles, was da steht, ist physisch passiert. Diese Menschen wurden geheilt. Aber wie bei allen Heilungen durch Jesus, wurden sie nicht nur von Krankheiten geheilt, sondern es gab immer konkrete Gründe, warum sie geheilt wurden, warum sie in dieser Art geheilt wurden, warum sie zuvor solch bestimmte Krankheit gehabt haben.

Betrachten wir die Berichte über Elisa genau. Elisa geht inzweifacher Hinsicht weiter als Elia. Zum einen steht im Mittelpunkt der Heilungen Elisas das Thema, das auch im Mittelpunkt der Heilungen Jesu steht: die Reinheit. Elisa vollzieht zwei Wunderheilungen, die etwas mit Reinheit zu tun haben: Die eine betrifft einen Fluß und die andere die Heilung von Aussatz. Elisa verwandelt einen unsauberen Fluß in einen reinen Fluß. Warum?
Das Mittel in Israel, Reinheit herzustellen, ist fließendes, sich bewegendes Wasser – beispielsweise das Sich-Bewegen des Wassers im Teich Bethesda. Geheilte Aussätzige waschen sich in fließendem Wasser, um zeichenhaft das abzuwaschen, was unrein war. Elisa verwandelt einen unreinen Fluß – das bedeutet: Die Reinheit war hier nicht mehr möglich, weil der Fluß, die Reinigungsquelle selbst, unrein geworden war. Er verwandelt sie in einen reinen Fluß, um das Mittel für die Reinheit wiederherzustellen.

Elisas Heilung eines Aussätzigen weist auf etwas Wichtiges hin: Die Heilung der Aussätzigen ist eins der zentralen Heilungswunder Jesu. Er hat immer wieder Aussätzige geheilt. Einmal waren es insgesamt zehn – nur einer kommt zurück, ihm zu danken, die anderen neun nicht. Bei Besuchen im Krankenhaus werde ich häufig an dies Geschehen erinnert. Sollten nicht Krankenschwestern, die sich von wiederhergestellten Patienten verabschieden, mit ihnen ein Dankgebet sprechen und ihnen diese Geschichte von den zehn Aussätzigen erzählen und fragen: Brauchen sie Jesus nur, wenn sie krank sind, oder wollen sie ihn wirklich als ihren Herrn annehmen, auch wenn sie gesund sind?

Das andere Thema von Elisas Heilungen ist die Grenzüberschreitung. Elisa heilt zwei Fremde, den Sohn der Schunemiterin und einen Aramäer, diesen vom Aussatz. Warum kommen gerade in der Elisa-Geschichte Heilungen von Gojim vor, von Menschen, die zu einem anderen Volk gehören, nicht zu Israel? Weil der Herr, der Gott Israels, keine Grenze kennt in seinem Heil. Das ist eine Vordeutung auf das, was ein Thema im Neuen Bund sein wird: Das Heil in Jesus Christus wird zu allen Völkern gebracht.

Die Entwicklung des Heils wird immer deutlicher: Bei den zehn Plagen zeigt Gott seine Herrschaft kollektiv im negativen Sinn, indem er zerstört; während der Wüstenwanderung kollektiv im positiven Sinn, indem er kollektiv heilt, das ganze Volk. Bei Elia geht es um das Persönliche, um die Frage nach Tod und Leben, nach Auferstehung (was wiederum zentral auf Jesus hinweist). Und bei Elisa wird zunächst auf das Thema Reinheit im zweifachen Sinne erweitert. Elisa stellt das Mittel, das zeichenhafte Mittel der Reinheit, wieder her; er reinigt den Fluß und heilt den Aussatz, die schlimmste Art von Unreinheit. (Auch bei Jesus ist das zentrale Thema seiner Heilungen die Wiederherstellung der Reinheit.) Und dann geht Elisa sogar zu zwei Ausländern, Fremden – die Doppelung bedeutet Unterstreichung – , als eine Vordeutung der Heilung: Das Heil des Gottes Israels ist nicht nur für die Juden gemeint, sondern für alle Völker.
Zentrale alttestamentliche Aussagen über Heilung sind folgende Texte:
Jesaja 53
»Er trug unsere Krankheit und unsere Leiden.« Diese zentrale Aussage über Jesus in Jesaja 53 ist zusammen mit Psalm 22 der einzige Text in der gesamten Bibel, in dem Jesu Kreuz und seine Deutung unmittelbar nebeneinanderstehen. So etwas findet sich noch nicht einmal im Neuen Testament. Dort gibt es in der Passionsgeschichte zwar eine Beschreibung des Kreuzestodes Jesu und in den Apostelbriefen seine Deutung. Es gibt aber keinen einzigen Text im Neuen Testament, in dem beides in der Tiefe nebeneinandersteht, wie bei Jesaja, 700 Jahre vor Jesus Christus.
»Er trug unsere Krankheit und unser Leiden.«
Was bedeutet »unsere Krankheit und unser Leiden«? Jesus Christus ist unser endgültiger Arzt. Wir dürfen wissen, wenn wir krank sind, daß Jesus Christus auch schreckliche Krankheit und Not erlebt hat und daß er uns deshalb besonders nahe ist. »Er trug unsere Krankheit« – im geistigen und seelischen Sinn – so ist er uns geistig und seelisch nahe.

Er hat diese Krankheit überwunden. Denn das Ziel einer schweren Krankheit ist der Tod. Und »fürwahr, er trug auch unseren Tod«. Das bedeutet: Er gibt uns geistige und seelische Nähe und Kraft, wenn wir krank sind. Und dem »Ziel« der Krankheit, dem Tod, hat er die Macht genommen. »Fürwahr, er trug unsere Krankheit und unser Leiden« – dies ist eine deutliche Voraussage in Bezug auf Jesus Christus.

Im Alten Testament steht auch geschrieben: »Der Herr ist dein Arzt.« Was soll das bedeuten? Im Wartezimmer eines angesehe nen alten Mediziners fand ich folgendes Goethezitat: »Wir leben, solange es Gott bestimmt hat; aber wie wir dieses Leben zubringen, ob jämmerlich, wie die Hunde, oder frisch und gesund, dazu vermag ein kluger Arzt viel.«

Ein Arzt vermag manches im Kampf gegen den Tod. Aber der Herr ist unser endgültiger Arzt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit unserer pensionierten Kinderärztin; es war das letzte Gespräch mit ihr, bevor sie selbst starb. Sie sagte: »Niemand ist während meiner Therapien gestorben.« Sie lebte, wie wohl jeder Arzt, mit der großen Angst: Vielleicht stirbt jemand, und ich bin mitschuldig, weil ich nicht das Richtige getan habe. Bei der Arbeit eines Arztes geht es letztlich immer um Leben und Tod. Sicher, die medizinische Fähigkeit eines Arztes ist eine Gabe Gottes, die Fähigkeit, richtig zu diagnostizieren und die helfende Therapie zu verordnen. Aber »der Herr ist dein Arzt« in dem Sinne, daß jeder Arzt gegen den Tod kämpfen will – aber gewonnen hat Jesus diesen Kampf. Das hängt mit Jesaja 53 zusammen: »Er trug unsere Krankheit und unser Leiden.« Jesus hat die Auswirkung, die letzte Tiefe der Krankheit, das Sterben, den Tod selbstgetragen und überwunden. Deswegen ist er unser wahrer Arzt. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn, und deswegen hat die Krankheit im letzten keine Macht mehr über uns.

Was sind die Voraussetzungen für Heilungen durch Jesus?
Jesus heilt nur, wenn Glaube vorhanden ist. Er heilt niemals, um eine Show zu inszenieren. Es gibt Sekten, die machen aus Heilungen eine Show: »Das ist der Satan in dir! Wenn du wirklich glaubst, dann wird der Satan weggehen, und dann bist du heil.«
Diese Aussage ist der Bibel entgegen, denn Krankheit kommt nicht von Satan, sondern von Gott. Wesentlich ist, daß man glaubt, daß Jesus heilen kann. Jesus erwartet das totale Vertrauen auf ihn. Psychologen können über Jesus sagen, daß er im Grunde genommen ein guter Psychologe war; er habe über Ängste und andere notvolle Grundbefindlichkeiten Bescheid gewußt; er wußte um psychosomatische Krankheiten und hat sie deshalb heilen können. Ich habe jedoch nie gehört, daß Aussatz oder Gicht eine psychosomatische Krankheit ist; auch nicht, daß der Tod ein psychosomatischer Zustand ist. Prof. Sauerbruch hat einmal gesagt, daß Psychologie das Ende der Medizin bedeutet. Die Gefahr besteht dann, daß man immer sagen kann, das ist irgend etwas Psychologisches.
Und Karl Barth soll einmal gesagt haben: »Wenn die Psychologen eine Rolle in der Theologie spielen, dann wird Gott austreten aus der Theologie.« Tatsache ist, daß man psychologische Erklärungen der Heilungen durch Jesus mehrfach widerlegen kann, weil Jesus Krankheiten geheilt hat, die überhaupt keine psychologische Ursache haben können.

Jesus hat aber auch Menschen geheilt, die nicht gläubig waren. Vielmehr kamen Angehörige oder Freunde, die gläubig waren, zu ihm und baten: »Heile meinen Knecht!« – wie der Hauptmann von Kapernaum; oder Petrus: »Heile meine Schwiegermutter.« Da kann man nicht von einer psychologischen Auswirkung auf diesen Knecht sprechen. Jesus war zunächst gar nicht bei diesem Knecht, und es steht an keiner Stelle, daß dieser Knecht an ihn glaubte; auch nicht, daß die Schwiegermutter von Petrus an ihn glaubte. Jesus hat das getan, wegen des Glaubens anderer. Jesus heilte nicht nur Menschen, die selbst an ihn glaubten, sondern für Menschen, die ihm nahe waren, hat er auch andere geheilt, die nicht gläubig waren.

»Der Herr ist dein Arzt.« Jesus erfüllt diesen Spruch sehr bewußt. Er ist die Erfüllung, wie Luther sagt. Er kommt bewußt als unser Arzt, um Menschen, die in Not sind, zu heilen. Nicht aus Mitmenschlichkeit, das ist moderne, theologische Redeweise. Er hilft nur, wenn Glaube vorhanden ist, wenn ein Mensch in Not sich ihm anvertraut. Nicht eine indifferente, Undefinierte allgemeine Brüderlichkeit, wovon in der modernen Theologie gesprochen wird, ist Voraussetzung für Jesu Heilungshandeln – das wäre Schiller und Beethovens 9. Sinfonie, aber nicht Jesus. Das Wort »Bruder« bedeutet in der Bibel: entweder mein leiblicher Bruder oder mein Bruder in Jesus Christus oder mein geringster Bruder oder der ältere Bruder, Israel. Nicht alle Menschen sind einfach »Brüder in Christus«. »Brüder« sind Leute, die eine persönliche Heilandsbeziehung zu Jesus Christus haben, oder Juden, die diese Beziehung noch in einer verborgenen Art haben. Die Voraussetzung der Heilung durch Jesus ist der Glaube an ihn.
Was für eine Erklärung hat die Bibel für Krankheit? Sie verallgemeinen nicht in sektiererischer Vereinfachung: »Der Satan ist in dir; wenn aber Jesus in dich kommt, bist du gesund.«

Nein, Jesus heilt einen Gichtbrüchigen, indem er sagt: »Geh hin, deine Sünden sind dir vergeben.« Die Krankheit des Betreffenden hatte also mit Schuld zu tun. Das Interessante an diesem Text ist, daß Jesus sich an Gottes Stelle setzt. Er sagt nicht: Gott, der Vater, der Gott Israels, vergibt dir deine Sünde; sondern er sagt: Ich vergebe dir. Deswegen kommt es dann zu dem großen Streit mit den Schriftgelehrten und Pharisäern. Krankheit kann also offensichtlich eine Auswirkung von Schuld sein. Sünde und Krankheit, Satan und Krankheit – da bestehen also offensichtlich schon Wechselbeziehungen. Nicht nur hier scheint das sektiererische Verständnis richtig zu sein, sondern zum Beispiel auch in dem paulinischen Satz »Tod ist der Sünde Sold«. Krankheiten sind ja Schritte in Richtung auf den Tod. Die Lebenskräfte werden geschwächt.

Nun heißt es: Jesus trug unsere Krankheit am Kreuz und damit auch unsere Schuld. So stehen Krankheit und Schuld in einem engen Zusammenhang. Aber – und das ist wichtig – indem er diese Aussage, daß Krankheit und Tod mit Schuld zu tun haben, so absolut hinstellt, überwindet er diese Aussage, wir selbst aber können und dürfen das persönlich nicht so sagen. Jesus nimmt in einem Gespräch mit Juden auf den Einsturz des Turms von Siloah Bezug, bei dem 18 Leute umgekommen sind, und fragt: »Sind sie gestorben, weil sie besonders schuldig waren?« Solch eine Analogie ist eine typisch jüdische Logik: Krankheit und Tod kommt von Schuld. Jesus aber sagt: »Alle Menschen sind absolut schuldig, deshalb tut Buße, sonst werdet ihr den gleichen Tod sterben.«
Indem Jesus sagt, daß der Tod (und damit auch die Krankheit, weil sie uns dem Tod einen Schritt näher bringt) eine Folge der Schuld ist, trifft das jeden von uns in Bezug auf die Erbsünde. Und so können wir nicht mehr sagen: Krankheit hängt mit einer besonderen Schuld zusammen. Denn jeder Mensch ist grundsätzlich schuldig. Unser Grundzustand ist Sünde. Es kommt nicht darauf an, was wir im besonderen getan haben oder tun, sondern wir werden alle leiden und sterben, weil wir in Gottes Augen alle absolut schuldig sind.
Deswegen können wir nicht angesichts einer bestimmten Krankheit sagen: Der Kranke ist krank wegen seiner Schuld. Denn wegen der Schuld aus Gottes Sicht hätten wir es eigentlich verdient, daß wir alle gleich sterben. Das wäre logisch gedacht. Indem Jesus verabsolutiert, daß alle Menschen total schuldig sind, nimmt er dem Argument besonderer Schuld bei persönlicher, individueller Erkrankung die Spitze. Daß ich irgendwann sterbe, ja, sterben muß, ist »der Sünde Sold«, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grundzustand aller Menschen, mit der Erbsünde. Die zwei Schächer, die mit Jesus gekreuzigt wurden, sind beide Mörder – einer aber von ihnen tut Buße. Auch wir sind nach der Bergpredigt in Gottes Augen alle Mörder, sofern wir jemals Zorn oder Haß auslebten – auch dies hängt mit dem Grundzustand unseres gefallenen Wesens zusammen. In Gottes Augen sind wir alle Mörder, auch Ehebrecher.

Was bedeutet aber eine bestimmte, persönliche Krankheit, die wir erleiden? Hiob sagt uns das – wie auch Jesus – deutlich: Hiobs ganzes Leiden ist eine Probe Gottes. Er wird auf den Prüfstein gestellt mit seinem Glauben. Jesus Christus sagt: »Wer mir nach folgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich« (sein Leiden, seine Krankheit, alles, was mit »Kreuz« zu tun hat) »und folge mir nach.«
Das Thema »Leiden« deutet in der Bibel immer auf die besondere Nähe zu Jesus Christus hin. Das ist unter anderem auch daran zu erkennen, wie der Auferstandene seinen wieder angenommenen Jünger Petrus auf dessen künftiges Sterben hinweist. Es ist Probe Gottes, daß wir im tiefsten Sinn in der Nachfolge Jesu mit ihm zu leben und zu leiden lernen. Wer nach dem Bedenken von Hiobs Leiden, nach Jesu Ruf in die Nachfolge und nach Jesu Feststellung zum Unglück mit dem Turm von Siloah behauptet, der Satan sei in mir, wenn ich krank bin, und ich müsse nur glauben, und dann gehe der Satan hinaus, der hat Jesus überhaupt nicht verstanden. Denn jede Krankheit kommt von Gott, der mich auf die Probe stellen will: Bist du bereit, mit mir zu leiden? Und wenn ich behaupte, daß Leiden gegen Gott ist, dann kämpfe ich gegen das Kreuz und nicht für das Kreuz. Der Gott, den ich dann haben will, ist ein selbstgemachter Gott, der sagt: Gesundheit ist ein Zeichen deines Glaubens; sei frisch, jung, gesund und sportlich! Das aber ist nicht der Weg Jesu.

Jesu Weg ist der Weg, der unsere Krankheit mitträgt, unsere Leiden und unsere Not. Und wahre Christen sind bereit, mit Jesus zu gehen. Ich habe in meiner Familie zwei Leute, die mir nahestehen, aber sehr krank sind. Ich bete nie: »Heile sie!« Ich bete: »Herr Jesus, gib mir und ihnen die Kraft, diese Leiden mit dir zu tragen. Und wenn es dein Wille ist – du weißt, daß ich es gern hätte – , dann laß sie gesund werden. Aber dein Wille geschehe.«
Alles andere wäre gegen Gottes Willen gebetet. Wie war es mit Paulus am Ende seines Lebens? Paulus will geheilt werden und sagt: »Herr, wenn es dein Wille ist, heile mich.« Jesus aber antwortet: »Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.« Das sind zentrale biblische Aussagen zum Leid und zur Prüfung. Krankheit ist eine Probe Gottes und ein Ruf Jesu in seine Nähe. Deswegen haben die Juden so gelitten, weil sie Gottes auserwähltes Volk sind, weil Jesus sein Ja zu diesem Volk sagt. Er kann seine Erwählung nicht bereuen (Römer 11). Er bringt sie in sein Kreuzesleiden, ohne daß sie das wissen oder gar wollten. Jeder Jude weiß, daß Leiden mit Erwählung zu tun hat. Auch wir sollten wissen, daß Leiden mit Erwählung zu tun hat. Christsein bedeutet nicht: Jetzt werde ich frisch, gesund und äußerlich, weltlich glücklich sein! sondern: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.«

Die Mittel der Heilung

Auch die »Mittel«, die Jesus zur Heilung benutzt, sind zeichenhaft. Jesus heilt zum Beispiel, indem er jemanden mit seiner Hand berührt. Oft ist es ein Auflegen seiner Hand bei einem, der in demütigem Glauben vor ihm kniet. Mit eigenen leeren Händen kniet er vor dem Herrn, in dessen Händen Schöpfungsreichtum liegt. Und Jesus heilt ihn wegen seiner Demut, seiner Erkenntnis: Nur du kannst mir helfen; ich komme mit leeren Händen zu dir. Wahrscheinlich beten wir deshalb mit gefalteten oder nach oben geöffneten Händen, die Augen geschlossen und mit gesenktem Kopf, als ein Zeichen unserer tief inneren Beziehung und Demut vor ihm.

Vor allem aber hat Jesus durch das Wort geheilt. Er sagt: »Steh auf, deine Schuld ist dir vergeben.« Das Wort ist das Schöpfermittel Gottes. Und das Leben des Schöpfergottes ist in Jesus Christus. Wenn Jesus spricht, ist Leben, auch Leben aus dem Tod. Das Wort Jesu ist das Schöpfermittel Gottes. Und wenn Jesus spricht: »Geh hin, du bist gesund«, dann spricht er ein Schöpferwort als der Herr der Schöpfung, als der Mittler der Schöpfung. Sein Wort erschuf Leben.
Deswegen geschehen die meisten Heilungen Jesu durch das Wort.
Da gibt es eine wichtige Parallele: Unsere Heilungen kommen auch durch das Wort – ich meine nicht Heilung von Krankheit, sondern von Sünde und Schuld. Das geschieht unter dem Wort, zu dem der Heilige Geist bevollmächtigt; es geschieht durch das Fleisch gewordene Wort, das Jesus Christus ist. Und das ist gegenwärtig, wo Wort Gottes und Geist Gottes sind, der Geist, der »Odem« Gottes, in dessen Kraft einmal Tote auferstehen, zu neuem Leben erweckt werden, wie es in Hesekiel 37 steht.

Jesus hat aber ausnahmsweise auch einmal mit Speichel geheilt. Da war ein Blinder. Jesus strich ihm seinen Speichel auf die Augen und fragte ihn: »Kannst du sehen?« Fragend wie ein Augenarzt, der eine Brille anpaßt. »Menschen wie Bäume«, antwortete der – alles ist noch verschwommen. Und Jesus legte nochmals seine mit Speichel benetzten Finger auf seine Augen. Das zweifache Tun mag von doppelter Bedeutung sein: Jesus tut nicht nur Wunder über das Naturgesetz hinaus, sondern benutzt dieses auch – im Speichel Jesu eine Heilkraft seiner Schöpfermacht? Das ist nicht einfach auch in unserem Speichel so. Jesus wirkte hier mit schöpfungsbedingten Gegebenheiten, die er geschaffen hatte, doch er muß nicht alles mit ihrer Hilfe tun. Doch wie das schöpferische Wort kam auch der Speichel aus seinem Mund, dem Urquell des Lebens.

Es gibt noch ein merkwürdiges Heilungsmittel: das Gewand. Jesus ist zum Krankenlager der Tochter des Jairus gerufen worden. Unterwegs drängt sich eine Frau an ihn heran. Sie berührt sein Gewand und wird geheilt von jahrelanger Krankheit. Nicht als Reliquien verehrte Gewänder haben Heilkraft – sondern was die Heilung ausgelöst hat, war der Glaube der Frau und nicht irgendeine magische Auswirkung. Aber diese Handlung hat auch eine zeichenhafte Bedeutung. Das ist das Kleid der Erwählung, das Josef trug. Auch das Gewand ist zu erwähnen, das die Propheten im Scheol tragen, wie Samuel zum Beispiel. Da ist auch das Kleid, das die Erlösten in Gottes Reich tragen werden, wenn wir nur »ausharren bis ans Ende«. Kleider der Erwählung. Auch das Gewand Jesu, um das schließlich vier Soldaten unter dem Kreuz losten, war ein solches. Die Frau wurde gerettet durch ihren Glauben, aber sie berührt das Zeichen der Erwählung.
Das Gewand Jesu ist Zeichen seiner Erwählung, und sie kommt und berührt diese Erwählung und wird geheilt. Aber sie wird durch ihren Glauben geheilt, nicht durch das Gewand, das hier eine zeichenhafte Bedeutung hat, wie in der Josefsgeschichte, wie in der Offenbarung. Sie ist zu dem Erwählten gekommen. Der Erwählte heilt, und sie wird aus Glauben geheilt.

Die Heilung selbst

Jesus hat bei seinen Heilungen bestimmte Krankheiten besonders beachtet. Das ist kein Zufall.

Aussätzige
Aussatz ist im Judentum der Inbegriff von Unreinheit, weil er den Zerfall unseres Körpers zeigt, des Leibes, der doch vom Schöpfergott kommt, dem lebendigen Gott Israels. Wenn einen ein Aussatz befällt, bekommt man zuerst weiße Flecken, so steht es in der Bibel. Dann geht man zum Priester, um feststellen zu lassen, ob es wirklich Aussatz ist oder nicht. Dann treten stinkende Geschwüre auf. Ganze Körperteile faulen ab. Man muß von der Gemeinde abgesondert werden, nicht nur wegen der Ansteckungsgefahr – das auch, das ist die humane Seite – , sondern weil man von Gott getrennt ist, von dem lebendigen Gott Israels. Hier kommen wir zurück zu dem Thema Schuld. Der Verfall der Person zeigt, daß bei ihr die Schöpferkräfte Gottes gelähmt, erstarrt sind. Der Betroffene trägt nach israelitischem Verständnis Zeichen des Abfalls vom lebendigen Gott Israels.
Warum hat Jesus immer wieder Aussätzige geheilt?
Warum? Er will bezeugen: Ich bin die Reinheit. Was unrein ist, werde ich wiederherstellen. Israel muß die Reinheitsgesetze halten wegen der messianischen Verheißung. Das Volk muß rein sein, damit der Messias empfangen werden kann, der alle Völker segnen wird. Jesus hat die Reinheitsgesetze erfüllt und vollendet und damit zu ihrem Ziel gebracht. Er sagt: »Ihr seid nicht unrein durch das, was ihr eßt« (er meint auch berührt), »sondern durch das Böse in euren Herzen.« Sein Heilen von Aussatz ist eine Zeichenhandlung, die besagt, ich bin die Reinheit selbst. Ich stelle wieder her, was unrein ist. So wird sein Heilen vom Aussatz zu einer Vordeutung auf das Kreuz.

Lahme
Lahme mit Gicht und anderen Lähmungserscheinungen sind auch vom Tempelgottesdienst ausgeschlossen. Sie wurden bis vor den Tempel getragen, aber nicht in den Tempel hineingelassen. Sie dürfen keine Gemeinschaft mehr haben mit dem lebendigen Gott Israels, weil ihre Lebenskräfte erstarrt sind. Die Leben schaffende Wirkung des Gottes Israels ist bei ihnen nicht mehr vorhanden. Deshalb warten sie am Teich Bethesda darauf, daß sich das Wasser bewegt, dem dann Reinigungs- und Heilungskraft zugesprochen wurde. Bewegtes Wasser ist Zeichen der Reinheit. Jesus heilt diese lahmen Menschen, um zu zeigen: Die Kraft des Lebens selbst, das bin ich. Ich bin der lebendige Gott Israels. Ständig handelt Jesus, um zu zeigen: Ich bin die Thora, das Wort, das Gesetz Gottes. Ich bin der lebendige Gott Israels, ich bin Gottes Sohn, ich bin der Allmächtige.
Auch wenn moderne Theologen, ob sie Juden oder Christen sind, meinen, das alles wegstreichen und umdeuten zu müssen. Das ist das deutlichste Zeichen, daß Jesus der lebendige Gott Israels ist, der Gott der Schöpfung: Er heilt Lahme, weil das Leben in ihnen erstarrt ist. So zeigt er, daß das Leben in ihm ist.

Blinde
Sehen bedeutet in der Bibel Erkenntnis. Der Seher, das ist ein Urwort für den Propheten. Er sieht Wahrheiten, die andere Menschen nicht sehen, Gottes Wahrheit. Jesus sagt über sein eigenes Volk: »Sie haben Augen und sie sehen nicht, und sie haben Ohren und sie hören nicht« – weshalb sie Gottes Wahrheit nicht erkennen. Jesus heilt blinde Menschen, um zu zeigen: Ich bin der endgültige Prophet, ich erfülle die ganze prophetische Tradition. Wahres Sehen, wahre Erkenntnis kommt durch mich. Und was sehen die Blinden als allererstes? Sie sehen Gott, sie sehen Jesus, ihren Heiland. Dann sind sie ganz sehend, denn sie sehen Gott selbst. Ich kenne einen Blinden, der wanderte immer 6 km zu mir in den Gottesdienst. Einmal sagte er im Bibelkreis: »Herr Pfarrer, als ich jung war, konnte ich sehen; ich hatte Augen zu sehen, aber meinen Heiland habe ich nicht gesehen. Und als ich blind gewor den bin, bin ich sehend geworden, denn ich habe meinen Heiland gefunden.« Jesu Blindenheilungen machen deutlich, daß er zeigen will: Ich bin die wahre Kraft des Sehens. Und das Volk Gottes? Sie haben alle Augen, aber sie haben eine Binde vor den Augen und können ihn nicht sehen (Römer 11).

Taube und Stumme
Es ist nicht wahr, daß Jesus jeden Menschen in Not heilt. Er hat nur geheilt, wenn Glaube vorhanden war, und er hat nur geheilt, wo ein tieferer Sinn dahinter erkennbar wird, Taube und Stumme hat er nicht in erster Linie deshalb geheilt, weil er ein Gefühl für die Mitmenschen hatte. Selbstverständlich liebt Jesus uns, aber er will, daß wir ihn lieben. Der natürliche Mensch hat keinen Zugang zu Gott. Sehr selten habe ich Menschen erlebt, die durch menschliche Liebe oder durch das Erleben von Schöpfung oder durch Freude zu Jesus Christus fanden. Die meisten bekehrten Menschen, die ich kenne, sind durch den Tod bekehrt, indem sie mit Jesus Christus sterben, ihre alte Person, der »alte Adam«, das alte Ich. Wenn Jesus uns richtet, uns dann aber auch aufrichtet durch sein Wort – das bedeutet neugeboren werden. Das ist der einzige Weg, um zum Glauben an Jesus Christus zu kommen. Jesus starb, um zu zeigen, daß er der lebendige Gott Israels ist. Dazu nahm er die ganze Unreinheit des Todes auf sich, die ganze Gottesferne. Aber gerade im Tod zeigt er seine lebendige Macht und Kraft. Er ist auferstanden aus der Kraft des Herrn.

Warum heilt er Taube und Stumme? Weil es um das Wort Gottes geht, welches Fleisch geworden ist in ihm. Es geht um den Weg zum Leben, allein durch das Wort. Ein Stummer kann das Wort Gottes nicht weitergeben, kann Gott nicht preisen und loben. Wer taub ist, kann das Wort nicht empfangen. Es geht nicht in erster Linie um eine menschliche Krankheit und Grenze, nicht um Mitmenschlichkeit. Sicher, Jesus liebt alle Menschen, aber sein Handeln geht viel tiefer. Taubstumme sind Menschen, die abgetrennt sind von der Gemeinde Jesu, weil sie das Wort nicht hören, das sie frei macht, und sie können das lebendige Wort nicht weitergeben. Deswegen heilt Jesus sie.

Besessene
Es ist schon eine bemerkenswerte Tatsache, wenn man im Neuen Testament liest, daß besessene Menschen wußten, daß Jesus Gott ist, sogar bevor seine eigenen Jünger dies wußten. Ein Besessener ruft: »Du Menschensohn, du Gottessohn, weg von mir!«, bevor Petrus das bezeugte. Junge Leute, die jetzt auf dunklen Wegen gehen und Rauschgift nehmen (das gibt es unter ehemaligen Konfirmanden!), verstehen oft viel schneller etwas über die Bibel als andere, weil sie viel mehr wissen über die Macht des Bösen und über das Leben ohne Gott. Sie wissen sehr genau, daß sie es letztlich mit Gott zu tun haben. Aber sie sagen: »Weg! Das ist gerade das, was gegen mich steht, was ich nicht hören und nicht haben will.« Aber die Erkenntnis über Jesus ist da.
So ist es bei den Besessenen auch. Sie wollen Abstand halten von Jesus, weil sie einem anderen Reich angehören, dem dämonischen Reich. Die Dämonen und Satan kennen sehr genau Gottes Macht. Er ist ein gefallener Engel. Menschen, die in seinem Zugriff stehen, sind keine Atheisten. Sie wissen um Gottes Kraft, aber sie stehen unter anderen Mächten und Kräften. Das ist heute ein sehr wichtiges Thema. Denn satanische Einflüsse sind sehr stark geworden – auffallend in der Rockmusik. Es gibt Gruppen, die Satan anbeten. Der Satan ist auch eine lebendige Kraft, eine Kraft, die jedoch töten und zerstören will.
Besessene Menschen heilt Jesus, um zu zeigen: Ich habe Macht über das Böse. Das Böse kann mir nicht widerstehen. Der Satan wird sich einmal auch beugen müssen und wird vernichtet. Auch sein Helfershelfer, der Antichrist. Der Satan wird tausend Jahre von Jesus gefangengenommen sein und dann in einem letzten Kampf endgültig vernichtet werden. Jesus hat Macht über das Böse, er allein. Aber sein Hauptziel ist nicht, den Bösen zu richten, sondern Menschen zu retten. Neues und Altes Testament sprechen deutlich davon, daß Gott zwar der Richter ist, aber er will retten, er will Gnade ausüben. Deshalb heilt Jesus auch Besessene, um zu zeigen: Es gibt keine Macht oder Kraft, die stärker ist als der lebendige Gott Israels. Er kann Menschen aus Satans Herrschaft reißen. David Wilkerson berichtet in sei nem berühmten Buch »Das Kreuz und die Messerhelden«, wie Rauschgiftsüchtige, die unheilbar sind, medizinisch und auch psychologisch, durch den Glauben an Jesus Christus befreit werden von dieser Besessenheit. Denn diese Not ist eine moderne Besessenheit.

Der Tod
Das zentrale Wunder Jesu in seiner Bedeutung ist seine Auferweckung aus dem Tod.
Elia hat einen Menschen auferweckt, auch Elisa. Jesus hat mehrere Menschen aus dem Tod erweckt, den Jüngling zu Nain, die Tochter des Jairus – aber das Erstaunlichste geschieht bei Lazarus. Er ist schon vier Tage tot. In Israel herrscht warmes Klima. Normalerweise beerdigt man dort innerhalb 24, höchstens 48 Stunden. Des Lazarus Verwesung hat in seiner Gruft schon eingesetzt. Er ist bereits länger tot, als Jesus es später war. Jesus heilt Lazarus vom Tod, indem er ihn mit dem lebendigen, dem Leben schaffenden Wort Gottes ruft: »Lazarus, komm heraus!«
Komm aus dem Tod, denn ich herrsche über den Tod, nicht nur über Satan und Besessenheit, sondern auch über den Tod, die Auswirkung der Erbsünde. Auch hier deutet er sein Kreuz voraus, an dem er den Tod endgültig entmächtigt in seiner Auferstehung. Die letzte Steigerung in der Todesüberwindung durch die Auferstehung ist, daß er sich als der lebendige Herr, der Gott Israels, in einem neuen, unzerstörbaren Lichtleib zeigt. Lazarus mußte nochmals sterben, Jesus Christus aber nicht. Er herrscht über Zeit und Raum als der Auferstandene.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« Das hat mit der Schöpfung zu tun. Da handelt der lebendige Schöpfergott. Anfang bedeutet Zeit – Himmel und Erde ist Raum. Zuerst hat er die Zeit geschaffen und dann Himmel und Erde, den Raum. Jesus Christus steht über beidem, Zeit und Raum. Deshalb kann der auferstandene Jesus plötzlich hier und plötzlich da sein; er ist weder an den Zeit- noch an den Raumbegriff gebunden. Das können wir nicht ohne weiteres begreifen, denn wir leben in Zeit und Raum.
Wir werden das erst begreifen können in Gottes ewigem Reich. Dann werden wir nicht mehr in Zeit und Raum leben. Einstein hat gezeigt, daß die Zeit ein relativer Begriff ist. In seiner Relativitätstheorie hat er aufgezeigt, daß bei sehr hohen Geschwindigkeiten die Zeit langsamer abläuft. Die Bibel spricht davon, daß »Tausend Jahre vor Gott sind wie ein Tag, der gestern vergangen ist«. Für den lebendigen Gott Israels gibt es keine Zeit und keinen Raum, denn sein Reich kennt keinen Tod mehr – keine Endlichkeit und damit keine Zeit mehr. Wo es Zeit gibt, muß es Tod geben. Wir leben, um zu sterben. Es gibt bei Gott keine Zeit und auch keinen Raum in unserem Sinn des Wortes. Das ist für uns eigentlich nicht möglich zu denken. Und so kommt die kritische Rückfrage: »Wie können wir alle auferstehen zum Gericht?« Menschliche Torheit fragt so.

Aber leben wir, um Gott zu prüfen, indem wir sagen: »Nicht möglich, das glaube ich nicht.«? Die Antwort Gottes an Hiob lautet: »Dann schaffe mir die Welt, Hiob.« Der Mensch bleibt stumm und sprachlos vor Jesus Christus als dem lebendigen Gott, weil wir auf das Zentrum des Lebens durch unsere Vernunft nicht antworten können. Das Leben selbst, die Liebe, die Quelle, die Nahrung des Lebens, die Liebe, kann man nicht mit Wissen und Willen schaffen und mit der Vernunft auch nicht erklären. Und ohne Jesus Christus gibt es keine Antwort auf das Leiden und keine Antwort auf den Tod. Kann ich mich selbst erklären?

Was da versucht wird, sind nur psychologische Theorien. Niemand kann mir sagen, wer ich bin. Jeder sieht mich anders. Jeder malt das Porträt eines anderen anders. Auch wenn er ihn beschreibt. Jeder sieht den anderen durch seine eigenen Augen. Nur Jesus Christus weiß, wie und wer wir wirklich sind.
In der Auferstehung Jesu liegt der Beweis begründet, daß Jesus Christus der lebendige Gott ist, der Leben aus dem Tod, aus dem Nichts geschaffen hat.

Wir haben über Jesu Heilungshandeln nachgedacht und begreifen nun zusammenfassend, daß das Wesentliche für uns das Heil ist und nicht eine Heilung. Wenn Menschen in Krankheitsnot sind – auch ich selbst – , stelle ich nicht die Bitte in den Mittelpunkt: »Herr, heile du!«, sondern: »Herr, gib mir und den Menschen, die mir nahe sind, die Kraft, diese Not zu tragen und deinen Willen zu bejahen.« Heil ist viel wichtiger als Heilung. Unser Heil ist der Arzt Jesus Christus. Viel wichtiger ist, daß wir mit ihm sterben, als daß wir gesund werden. Die Berichte über die Heilungen sollen uns nicht dazu verleiten zu sagen: »Ich erwarte geheilt zu werden, weil ich glaube.« Nicht Gesundheit ist das höchste Gut. Das höchste Gut ist Jesus Christus, und Jesu Weg ist ein Leidensweg. »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich, verleugne sich selbst und folge mir nach.« Das ist, was unser wahrer Arzt, unser Heil, Jesus Christus, zu uns gesagt hat.

Kinder des Lichts

»Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie viel mehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.«
(Epheser 5, 8 -14)

So strahlend klar, in Wellen des Klangs, intonierte Joseph Haydn diese zentrale Bibelstelle in seiner berühmten »Schöpfung«. Licht ist die Grundlage für das Leben. Licht bringt Leben. Der Herr selbst ist die Quelle des Lichtes, des Lebens. Und derselbe Herr erscheint Mose und Saulus als brennendes Licht; Mose als Licht in einem Dornstrauch, welcher aber nicht verbrennt, und Saulus als ein Licht vom Himmel, viel stärker als die Sonne, als Urlicht. Hier zeigt der Herr seinen brennenden Eifer, denn Mose soll zurück nach Ägypten gehen, um sein Volk zu befreien von seiner Sklaverei; und Saulus soll jetzt seinen Eifer verwenden aus dem Licht der Erleuchtung, aus Gottes Eifer, nicht gegen die Christen, sondern für das Volk des Neuen Bundes, in der Mission. Hier sehen wir den Herrn als brennendes, eiferndes Licht. Und brennende Kohlen werden auf die Lippen des großen Propheten Jesaja gelegt, um ihn zeichenhaft rein zu machen für seine Verkündigung der Botschaft des Herrn. Hier das Licht als Gottes Reinheit, welches uns reinigt. Und im längsten Psalm der Bibel, Psalm 119, steht geschrieben: »Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.«
Hier wird Gottes Licht, durch sein Wort, uns seinen Weg erleuchten, seinen Weg in seiner Nachfolge, wie es so deutlich in unserem Text steht: »Nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt wie die Kinder des Lichtes.« Und schließlich: Der Herr wird alles »ans Licht bringen« durch sein Gericht, das bedeutet, nach den Maßstäben seiner Gerechtigkeit. Und so steht es in unserem Text: »Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht bestraft wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht.«

Es läßt sich zusammengefaßt sagen: Wenn Jesus sagt »Ich bin das Licht der Welt«, meint er das in fünffachem, gesamtbiblischem Sinne:

1. Ich bin die Grundlage des Lebens, des Lichts.

2. Mein Licht bedeutet mein brennendes, eiferndes Wesen.

3. Mein Licht schafft nicht nur Klarheit, sondern auch Reinheit.

4. Sein Wort ist das Licht auf unserem Wege in der Nachfolge zu ihm.

5. Er wird alles ans Licht seines Gerichtes bringen.

Und wir sind »Kinder des Lichts«: »Denn ihr wäret vormals Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt wie die Kinder des Lichtes – die Frucht des Lichtes ist lauter Gütigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit.« In uns selbst sind wir nicht Licht, sondern wir sind nur Licht, wenn wir aus Gottes Wesen, aus seiner Leben spendenden, eifernden, reinigenden, wegweisenden, richtenden Kraft leben. Wir können diese Aussage durch ein Bild vielleicht besser verdeutlichen. Der Herr ist wie die Sonne, und wir sind wie der Mond. In uns selbst sind wir nur Finsternis (verloren in uns selbst), aber wir bekommen Licht, Leben, eifernde Kraft in der Nachfolge, Reinheit und Wegweisung aus seinem Licht. Wir verfügen dann nicht über dieses Licht, sondern das Licht verfügt über uns.
Das bedeutet auch, daß die Gaben des Geistes nicht uns gehören, sondern ihm; er gibt sie uns, wann und wie er will. Und diese »Frucht des Lichtes« kann dann genauso als »Gaben des Geistes« betrachtet werden. Sie heißen »Gütigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit«.
Als Christen sind wir in einer besonderen Lage im Hinblick auf die Wahrheit. Jesus Christus sagte von sich selbst: »Ich bin die Wahrheit«, und wir reden die Wahrheit, wenn wir im Sinne Jesu reden. Als Christen haben wir keine Angst vor der Wahrheit – jedenfalls haben wir das nicht nötig – , weil wir wissen, daß unser Herr ein gekreuzigter Herr ist, der für unsere Sünde gestorben ist und nicht für gerechte Menschen. Damit sind wir aber auch verpflichtet, unsere Sünde, unsere Entfernung von Gott, aufdecken zu lassen und auch für unsere noch unbekannten Sünden um Vergebung zu bitten. Denn »Ihr wäret vormals Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn«. In der Wahrheit reden, bedeutet dann in erster Linie, Jesus gemäß, wahrheitsgemäß zu reden und zu leben, auch unserem Nächsten das zu sagen, was er im Sinne Jesu nötig hat zu hören, soweit wir das erkennen. Christen sollen nie untereinander die Wahrheit verschweigen. Je offener wir sind, desto besser kann die Atmosphäre zwischen uns sein.

Das heißt nicht, daß die Wahrheit um jeden Preis gesagt werden muß. Das gilt vor allem, wenn erkennbar wird, daß eine verletzende Wahrheit dem Gebot der Liebe entgegensteht. So heißt es im vorangehenden Kapitel des Epheserbrief es: »Lasset uns wahrhaftig sein in der Liebe.« Und so steht in unserem Text, daß wir als Kinder des Lichts nicht nur aus der Wahrheit leben und die Wahrheit (Christus) bezeugen, sondern auch aus seiner Güte. Nur wenn wir beides tun, leben wir aus der Gerechtigkeit Gottes, welche zugleich seine Liebe und seine Wahrheit umfaßt. Ich kenne eine Frau, die ständig sagt, was sie denkt, und damit ihre Nächsten regelmäßig verletzt. Diese Frau behauptet aber, daß es ihr um Wahrheit gehe. Aber sie kann einfach nicht schweigen. Bei einem solchen angeblichen Wahrheitsbedürfnis hält man eine Sache für wichtiger als die Menschen, die es betrifft. Da glaubt man, alles sagen zu dürfen, solange es nur wahr ist, einerlei, ob Menschen dabei verletzt werden oder nicht. Unser Ephesertext zeigt aber, daß die Güte (Liebe) ein Maßstab für die Wahrheit ist. Und Gottes Gerechtigkeit, sein Kreuz, offenbart zugleich seine totale Hingabe, seine Liebe zu uns, und die Wahrheit unseres Verlorenseins als Gottesmörder, denn wir haben ihn gekreuzigt und tun das täglich, indem wir an ihm vorbeileben. Wer dann um der Wahrheit willen bedenkenlos verletzt, zeigt wenig Güte für andere und damit wenig Liebe. Darum sollen wir zwar mit unserem Nächsten offen umgehen, aber wir sollen uns dabei von der Liebe leiten lassen, damit wir die Wahrheit zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Weise sagen können, so daß sie zum Ausdruck unserer Güte und Liebe wird. Damit ist nicht gemeint, daß wir diplomatisch vorgehen sollen. Diplomatie ist oft versteckter Egoismus. Hier geht es darum, daß selbst unser Wahrheitsempfinden von der Liebe Christi, seiner Gütigkeit geleitet werden muß: »Ich sage etwas für dich Wichtiges, nicht weil ich dich verletzen will oder weil ich ehrlich sein will, sondern weil ich weiß, daß es für dich von Bedeutung ist, die Wahrheit zu wissen.«
Wer die Wahrheit sucht aus der Güte des Herrn, wird auch einen Weg finden,
daß diese Wahrheit klar zum Ausdruck gebracht werden kann, ohne daß sie verletzt. In der Wahrheit bleiben, bedeutet, nahe bei Jesus sein, aus seiner Gerechtigkeit (Kreuz) leben; auch Güte auszuüben, bedeutet, nahe bei Jesus sein, aus der Kraft seiner Gerechtigkeit und Liebe (das Kreuz) zu leben. Wahrheit und Gütigkeit gehören eng zusammen, beide als Ausdruck des wahren Lichtes der Welt: Christus, der Gekreuzigte, der selbst die Gerechtigkeit ist.

Aber unser Text enthält auch eine Warnung: » . . . denn ihr waret vormals Finsternis.« Das bedeutet doch, wir können nochmals Finsternis werden: » . . . und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern strafet sie vielmehr. Denn was heimlich von ihnen geschieht, das ist schändlich nur zu sagen. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht gestraft wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.«
Dies ist ein Bündel von Wahrheiten, die letzten Endes alle das gleiche betreffen: Auch wenn wir jetzt Kinder des Lichts in Christus sind und dies bezeugen aus seiner Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit, gibt es trotzdem immer noch Gefahren für uns.
Wir können dem Schlafgeist verfallen wie Petrus, Johannes und Jakobus im Garten Gethsemane. Auch Menschen, welche zu Christus gerufen worden waren, haben diesen Schlafgeist erlebt und sind wieder im Geist des Todes, sind wieder in Gottes-, in Christusferne geraten. Das gilt als Warnung für alle, die glauben, daß ihnen nichts geschehen könne und die deshalb nicht mehr eifernd in ihrem Glauben leben. Und diese Gefahr besteht nicht nur für uns, sondern selbstverständlich auch für unseren Nächsten. Hier redet Paulus sehr deutlich vom Gericht, von Gottes »Ans-Licht-bringen«, aber auch von unserer Haltung der Gottlosigkeit gegenüber: »Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie vielmehr . . . Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht gestraft wird.«
Wir sollen, wir müssen deutlich persönlichen Abstand vom Bösen nehmen (und heutzutage, in der Endzeit, ist das nicht so einfach), aber wir müssen auch diese bösen Werke und Wege strafen, und zwar aus Güte, in der Gerechtigkeit (im vergebenden Kreuz Christi), um der Wahrheit willen. Der Herr will viel lieber Barmherzigkeit erzeigen als Gericht, und er ruft uns, klare Worte zu sprechen, wo Sünde entsteht, damit die Sünder jetzt durch das Wort Christi gerichtet werden und damit nicht in das Endgericht kommen.
»Wandelt wie die Kinder des Lichtes – die Frucht des Lichtes ist lauter Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit – , und prüfet, was da sei wohlgefällig dem Herrn.«

Wer bin ich?

Ich habe in meinem Leben eine erschreckende Erfahrung gemacht, die wohl jeder Mensch irgendwann einmal macht. David Jaffin war in dem Ort, wo er als Schüler heranwuchs, bekannt als Dummkopf. Meine Lehrer haben lange von mir gesagt, daß ich weder im Lesen noch im Schreiben etwas tauge, nur ein sehr guter Sportler sei; vielleicht wird er da einmal Profi sein. Im Alter von acht Jahren habe ich Baseball gespielt, wie immer. Ich habe nie meine Hausaufgaben gemacht, nur den ganzen Nachmittag Baseball gespielt oder Fußball. Einmal kam ich in mein Zimmer und trat vor den Spiegel. Plötzlich stellte ich zum ersten Mal in meinem Leben die zentralste aller Fragen: Was siehst du in diesem Spiegel?
Am Abend vorher hatte ich in einem Gespräch mitbekommen, daß jemand aus meiner Familie gestorben war. Er stand mir nicht besonders nahe, aber es hatte mich doch ein wenig bewegt. Während ich nun meine Hände wusch, war mein Kopf noch ganz und gar beim Sport. Da überraschte mich mein Spiegelbild, und ich fragte mich: »David, wie schaust du aus, wenn du tot bist?« Innerlich wehrte ich ab: Dann gibt es weder ein Spiegelbild noch meine eigene Person. Dann aber bohrte der »Dummkopf« mit acht Jahren tiefer und fragte weiter: »Zeigt dein Spiegelbild DICH?« Und meine Antwort war richtig: Nein, das bist du nicht; das ist die Art, wie du zurückschaust auf dich, verstellt, physisch verstellt; das ist ein Kuckucksspiel, was du da machst; das bist du nicht.

Die Frage »Wer bin ich?« ist für mich eine zentrale Frage gewesen auf meinem Weg zu Gott. Auch in meinen lyrischen Büchern, wie in meinen Predigten spielt die Frage eine zentrale Rolle: »Wer bist du eigentlich?«

Ich fange jedes Jahr den Konfirmandenunterricht mit dieser Frage an: »Wenn ich euch nach Hause schicke mit einer Hausaufgabe, herauszufinden, wer ihr seid, wie werdet ihr mit diesem Problem umgehen?« Lachend kommen gleich Antworten: »Ich heiße Sabine« oder »Ich heiße Heinrich« . . . Aber das lasse ich nicht gelten, sondern ich fordere sie auf: »Denkt einmal an Briefe, die ihr vor drei Jahren geschrieben habt. Bist du die gleiche Person wie damals? Würdest du heute sagen: So bin ich – oder: So war ich?« Im Alter von 14 Jahren wagt keiner zu behaupten: So bin ich. »So war ich«, sagen sie alle. Und dann werden sie plötzlich ernst. Das ist die zentralste aller Fragen, zentraler als die Frage, ob es Gott gibt. Denn, wenn ich nicht weiß, wer ich bin, hat keine Aussage über Gott einen Sinn. Jede Aussage, die wir machen – Ich glaube…, Ich denke… – setzt eine Kenntnis meiner eigenen Person voraus. Und gerade das ist das Problem heute. Das ist die Frage hinter jeder Glaubensaussage und ebenso hinter jeder Aussage, die Gott verneint – Wer bin ich? Ganz bewußt frage ich meine Konfirmanden: Wie geht ihr mit diesem Problem um?

Wir wollen jetzt verschiedene Möglichkeiten überdenken. Ich bin überzeugt, daß jeder Mensch, der sagt, daß es keinen Gott gibt, sich von vorneherein selbst täuscht, weil niemand das sagen kann, ohne zu wissen, wer er ist. Ohne an Gott zu glauben, kann er nicht wissen, wer er ist. Darum täuscht sich jeder, der behauptet: »Es gibt keinen Gott«, weil niemand weiß, wer er selbst ist, ohne Gott. Darum ist der Atheismus logischerweise total unmöglich. Ohne Gott können wir nicht wissen, wer wir sind. Wer bin ich? Bin ich die gleiche Person, die ich vor fünf oder zehn Jahren war? Ändere ich mich durch die Jahre? Wie kann ich feststellen, wer ich wirklich bin? Ich frage das meine Konfirmanden, und die sagen: »Ja, probieren wir es bei unseren Eltern.« Wie viele Aussagen können sie über ihre Kinder machen, und wo ist die Grenze ihrer Kenntnis? Eltern kennen ihre Kinder ein paar Jahre ihres Lebens besser als jede andere Person. Sie kennen den Anfang der Kindheit, bis wir uns bewußtwerden über uns selbst, bis wir das Wort »Ich« aussprechen, meistens mit etwa drei Jahren. Über die ersten drei, vier Jahre unseres Lebens können unsere Eltern viele tiefe Aussagen machen über uns. Je älter wir werden, desto weniger gültig sind die Aussagen der Eltern über uns
. Ich würde nie behaupten, daß meine Eltern jetzt noch eine gültige Aussage über mich machen können. Ich sehe meine Eltern höchstens zweimal im Jahr. Sie kennen meine Entwicklung viel zu wenig, und je älter ich werde, desto weniger kennen sie mich. Das ist die erste Grenze meiner Eltern.

Wo liegt noch eine Grenze für Aussagen meiner Eltern über mich, ob ich ein kleines Kind bin oder ein Erwachsener? Sehen meine Eltern mich mit besonderen oder mit objektiven Augen? Ja, mit besonderen: Das ist mein Sohn. Unser vierjähriger Sohn war damals sehr beeindruckt von einem jungen Mann, der mit 20 Jahren jeden Monat ein anderes Auto hatte. Ihm war noch nicht bewußt, daß dieser junge Mann eine sehr schwache Mutter hatte, die ihm ständig Geld auslieh, und so hat er sehr mit seinen Autos angegeben. Schließlich ist seine Mutter in totaler Armut gestorben, und er landete im Gefängnis. Diese Mutter hatte immer gesagt: »Aber mein Peter, der hat ein so goldenes Herz.« Wir haben diesen Peter ganz anders gesehen – vielleicht hatte unser Sohn ihn auch positiv gesehen, wohl nicht gerade mit »goldenem Herz«, aber er mag gedacht haben: Der hat aber ein goldenes Bankkonto!

Eltern haben einen »besonderen« Blick für ihre Kinder, und das bedeutet: Sie sehen sie nicht wie »Außenstehende«. Emotionen spielen da stark mit hinein und verwischen die Wirklichkeit. Da liegen von vornherein Grenzen der Kenntnis unserer Eltern. Spätestens in der Pubertät fangen die Kinder an, ihren Eltern nicht mehr alles zu sagen. Und wenn sie nicht alles sagen, kann man nicht alles wissen. Da entstehen gewisse Geheimnisse zwischen Kindern und Eltern. Je älter das Kind wird, desto weniger werden die Eltern ihr Kind kennen und verstehen. Darum hat eine elter liche Aussage über ihr Kind letzten Endes keine Gültigkeit. Und wenn sie etwas aussagen, ist das mehr privater, persönlicher Natur, sicher von Liebe geformt, aber mit rosiger Brille gesehen: »Wenn ihr nur wüßtet, was für ein goldenes Herz mein Peter hat!«

Wir probieren es weiter bei den Freunden. Was können Freunde, jüngere oder ältere, über uns aussagen? Freunde verbinden gleiche Interessen, Vertrauen, vielleicht ähnliches Temperament oder ähnliches Verständnis. Einen zum Freund zu nehmen, da wird eine besondere Wahl getroffen. Ich fühle mich von seiner Wesensart angezogen; ich mache so vorab schon eine positive Aussage – ein anderer könnte dieselbe Person negativ sehen. Gewiß, ein Freund kann manchmal auch kritische Äußerungen machen. Aber normalerweise vergibt er recht schnell, er toleriert meine paar Schwächen hier oder da, während schon gemeinsame Interessen unserer Persönlichkeit zur Freundschaft führen.
Freundschaft lebt von vornherein von und mit positiven Vorurteilen. In ihr fehlt der objektive Blick füreinander. Kann ein Freund uns so gut kennen wie unsere Eltern? In mancher Hinsicht ja und in mancher Hinsicht nein. Es kommt auch darauf an, in welcher Lebensphase wir uns befinden. Dauerhafte Freundschaften sind selten. In der Regel fängt man erst später an, echte Freunde zu gewinnen. Deshalb kann ein noch so guter Freund uns nicht in unserer ganzen Entwicklung kennen. Ein Freund hat immer nur einen begrenzten Überblick über unsere ganze Geschichte. Ich habe erst seit anderthalb Jahren einen neuen Freund gefunden, einen sehr guten Freund. Ich kann ihm über meine Kindheit erzählen, von meinen Interessen usw., aber er hat das von mir und nicht von sich. Seine Kenntnisse sind begrenzt. Wenn ich einmal nach Amerika in Ferien gehe zu meinen alten Freunden, kennen die mich zwar aus meiner Kindheit, aber sie wissen nicht, wie es jetzt um mich steht. Freunde haben immer geschichtliche Lücken, einen begrenzten Einblick, weil sie Freunde sind. Darum können sie keine gültigen Aussagen darüber machen, wer ich bin.

Vielleicht wäre es klug, unsere Feinde zu fragen. Da würden wir interessante Sachen hören. Wir gehen zu jemand, der uns nicht mag und fragen: »Warum magst du mich nicht?« Trotz all des Negativen, was er über uns sagt – vielleicht sogar berechtigt – , wird er uns auf die Dauer tief kennen? Wenn ich eine Abneigung gegen jemand habe, ist es dann gerade diese Person, zu der ich immer wieder hingehe, mit der ich viel Zeit verbringe? Nein, man meidet dann doch einander. Ein Feind kann sicher eine sehr kluge Aussage über uns machen, viel leicht ist es auch ein verzerrtes Bild unserer Schwäche oder ein überbetontes Bild von dem, was er an uns nicht ertragen kann. Aber es ist immer eine sehr begrenzte Aussage, letzten Endes noch begrenzter als die unserer Freunde.

Wer aber kennt uns denn am besten?
Wir möchten sagen: Gott. Sicher – aber ich möchte mich in der allerzentralsten Frage »Mensch, wer bist du?« wiederholen: Wer sagt, daß es keinen Gott gibt, täuscht sich selbst, denn er kann nicht wissen, wer er ist, wenn es keinen Gott gibt. Wer sagt: »Ich glaube nicht an Gott«, täuscht sich, denn er setzt voraus, daß er weiß, wer er selbst ist. Wenn es aber keinen Gott gibt, kann er nicht wissen, wer er selbst ist. Darum hat diese Aussage überhaupt keine Gültigkeit. Ich muß wissen, wer ich bin, wenn überhaupt eine Aussage über mich einen Sinn haben soll, auch die Aussage von mir, wenn ich sage: »Es gibt Gott, ich glaube an Gott« oder »Ich glaube nicht an Gott.«

Kommen wir zurück zu meinem Spiegelbild. Ich behaupte, das ist das erschreckendste Bild, das einen Menschen treffen kann. Ich habe mindestens 40 Gedichte über das Thema »Spiegelbild« geschrieben und was es bedeutet. Es ist ein zentrales Bild in der Literatur und geht auch zurück zur Bibel. Wenn wir versuchen, uns ein Bild von uns selbst zu machen, wenn wir sehen wollen, wie wir körperlich ausschauen – können wir das mit eigenen Augen direkt sehen? Ich kann machen, was ich will – ich sehe mein eigenes Gesicht mit meinen Augen nie direkt. Merkwürdig, wie Gott uns erschaffen hat! Wir blicken alle hinaus, weg von uns, aber nicht in uns. Ich komme zu einem Spiegel und versuche, mich zu sehen. Nur in einem Spiegelbild kann man versuchen, sich zu finden. Es gibt eine lustige Geschichte in Aesops Fabeln über einen Hund, der mit einem großen Knochen in seiner Schnauze über eine Brücke läuft. Da sieht er im Spiegelbild im Wasser einen Hund mit einem Knochen, von dem er wähnt, dieser sei noch größer als sein Knochen. Gierig schaut er diesen Knochen an und will ihn haben; er macht seine Schnauze auf, sein Knochen fällt ins Wasser, und er hat nun keinen Knochen mehr. So geht es mit verzerrten Spiegelbildern – auch bei uns Menschen.

In unserem Spiegelbild wollen wir herausfinden, wer und wie wir physisch sind. Was für ein Bild sehen wir im Spiegel? Zeigt er, wie wir sind? Nein, wir sehen, wie wir sein wollen. Es ist ein Trugbild von uns selbst. Beobachten wir einmal, wie Mädchen, auch Jungs, in den Spiegel schauen, mit welcher Erwartung. Es gibt ein berühmtes Bild von Titian von einer sehr schönen Frau, die sich im Spiegel anschaut und sich als Königin der ganzen Welt fühlt; Eitelkeit beherrscht sie. Niemand tritt vor den Spiegel ohne eine vorgefaßte Vorstellung von dem, was er sehen will. Ein Kranker möchte gerne wieder frischrote Wangen sehen. Vielleicht reibt und klopft er sie vorher ein bißchen, um feststellen zu können: Die Gesundheit kommt. Niemand würde sich an einem mißmutigen Spiegelbild erfreuen. Jeder kommt zum Spiegel, um etwas Erfreuliches zu finden. Darum: Können wir im Spiegelbild die Wirklichkeit erwarten? Hinzu kommt, daß wir unser eigenes Gesicht spiegelverkehrt, seitenverkehrt sehen. Ich kann mich nicht mit meinen Augen richtig sehen. Es gibt Momente im Leben, in denen kann man sich selbst sehen durch die Augen von anderen. Wenn ich beispielsweise etwas wissen will über eine andere Per son, die ich selbst jedoch nicht kenne, und zu jemand komme, der sie sehr gut kennt, und dieser versucht mir zu erklären, wie diese Person ist, dann fängt er beim Beschreiben an, unbewußt, die Gesichtszüge dieser Person anzunehmen. Ich habe das seit langem beobachtet. Wir Menschen sind geborene Schauspieler. Wenn ich etwas wissen will über jemand, den ich nicht kenne, und ich rede mit einem guten Freund von ihm, dann erzählt dieser nicht nur mit seinem Mund, sondern mit seinem ganzen Gesicht. Ich kann mich selbst auch sehen in den Augen anderer: Ich sehe einen Blick, aber das ist ein Spiegelbild von mir. Manchmal erfahren wir durch den Blick von anderen etwas über uns.

Einmal ging ich zum Beispiel zum Friseur, ich war 17 Jahre alt; wie immer hatte ich ein Buch in der Hand. Der Friseur hat an mir gearbeitet, und ich habe in meinem Buch gelesen. Der Friseur hat mir so einen kurzen amerikanischen Schnitt gemacht, sehr kurz. Er guckte mich an, er war nicht glücklich, daß ich immer in mein Buch schaute, er sah nicht gerne Leute, die immer lesen. Und er hat gefragt, mit seinem Spiegel: »Wie schaut das jetzt aus?« Ich habe gesagt: »Noch ein bißchen kürzer« – ich war mitten in einem Kapitel und wollte das zu Ende lesen. So habe ich gar nicht bemerkt, daß er einen Rasierapparat nahm – ein ganz böser Mann war das, ich werde ihn nie vergessen – , er nahm einen Rasierapparat und fing an, meinen ganzen Kopf zu rasieren. Als er den ersten Teil gemacht hatte, mußte dann alles gemacht werden. Ich ging zu meinem besten Freund, ich läutete bei ihm, die Mutter machte auf und schaute – und in ihrem Gesicht habe ich mich selbst sehr deutlich gesehen. Sie hatte einen entsetzten Blick, dann fing sie an zu lachen. Ich habe in ihrem Gesicht gesehen, was mit mir los war, daß ich lächerlich ausschaute.

Kommen wir aber zurück zu unserem eigenen Spiegelbild: Von vornherein ist es verzerrt, physisch umgedreht, seitenverkehrt – aber es ist auch geistig verdreht. Denn wir treten vor den Spiegel, um ein vorgefaßtes Bild von uns zu sehen: Ich schaue stark aus, ich schaue hübsch aus, ich schaue klug aus, ich schaue interessiert aus . . . Das ist alles vorbereitet. Es gibt nur wenige Menschen, die zum Spiegel treten, um Wahrheit zu finden. Der große englische Dichter, T.S. Eliot, der sich vom Atheismus zu Christus bekehrte, ein sehr tiefsinniger Christ, sagte: »Der Mensch kann wenig Wahrheit ertragen.« Sicherlich ein wahres Wort. Eliot beschäftigte sich auch mit dem Problem, wie wir wirklich sind. Ein Vorbild ist auch der Mann, der sein Leben lang mit dieser Frage beschäftigt war; er war der größte aller christlichen Maler, der noch im Alter in ein Judenviertel umsiedelte, um Charakterköpfe für seine Evangeliumsbilder zu finden – Rembrandt. Er war ein tiefsinniger, ehrlicher Mann und wollte wirklich herausfinden: »Wer bin ich?«
Rembrandt hat sein Leben lang auch immer wieder sich selbst gemalt – zuerst als ein Genie, der sich mit einem Turban kleidet; auch seinen Vater hat er so angezogen, um exotisch auszusehen. Aber je älter er wurde, desto tiefer dringen seine Bilder in die Wahrheit ein. In seinen dreißiger Jahren stellte er sich als berühmter Mann dar. Man sieht es an seinem Gesichtsausdruck, an der Art, wie er angezogen ist: Dieser Mann ist reich, angesehen, brillant und anerkannt. In seinen vierziger Jahren verstand niemand mehr sein Genie, und er lebte in Armut und malt sich als einen Mann, der versucht, die inneren Gesichtszüge herauszuarbeiten, und das dauerte bis zu seinem Tod im Jahr 1669. In seinen späten Werken entdeckt man manchmal die tiefste Traurigkeit in seinem Gesicht geschrieben, die tiefste Fragestellung: »Mensch, wer bist du eigentlich?«
Warum malt Rembrandt immer wieder sich selbst, obwohl er doch der gleiche Rembrandt blieb? Warum malt ein Mann, wahrscheinlich der größte aller Maler, sich ständig selbst? Weil er weiß: Ich bin anders geworden.
Dieses Beispiel Rembrandts zeigt, wie tief diese Frage geht: Wer bin ich eigentlich?

Es gibt Menschen, die im Krieg Verbrechen begangen haben, die nicht fähig gewesen wären, das an ihrem Heimatort zu tun. Plötzlich befinden sie sich in einer anderen Lage und erschießen Frauen und Kinder. Und dann sagen sie nachher: »Das war ich nicht; so bin ich nicht; ich bin ein anständiger Bäcker- oder Metzgermeister in meinem Ort; ich habe nie in meinem Leben so etwas getan; das war jemand anderes; ich tue so etwas nicht.«
Sie erschrecken, daß sie plötzlich zu einem Mörder geworden sind. Wohl jeder von uns kann, wenn er ehrlich ist, von sich Dinge erleben, wozu er dann sagt: Bin ich wirklich so? Warum habe ich so reagiert? Plötzlich gibt es riesige Bemühungen, sich selbst zu bedecken, sich vor sich selbst zu verstecken. Die Novelle »Kleider machen Leute« erzählt das humorvoll auf ihre Art. Oder die Bemühung am Samstag, möglichst vor den Nachbarn alles sauber zu machen – auch ein Versuch, sich vor Menschen zu bedecken. Aber vor wem haben wir die größte Angst, erkannt zu werden? Nicht vor unseren Nachbarn, aber vor unserem eigenen Blick. Das ist das interessante an unserem Menschsein, daß unsere größte Angst die Angst vor uns selbst ist. Und die tiefste Angst vor uns selbst ist die Todesangst: Mensch, merke, daß du sterblich bist. Das wollen wir gar nicht sehen. Das war mein Spiegelbild, in das ich mit acht Jahren schaute: »Wie ist das, wenn du tot bist?« Wir haben Angst, vor unserem eigenen Blick entblößt zu werden. Der Psychoanalytiker Freud behauptete, alle Angstträume seien mit sexuellem Hintergrund. Das ist aber eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise. Im letzten ist jeder Angsttraum ein Todestraum. Das hat Tolstoi gewußt; und diese Erkenntnis geht viel tiefer. Jeder Traum, in dem wir entblößt werden und nicht weitermachen können, ist eine Angst vor der wahren Impotenz, der Impotenz gegenüber dem Tod, dem wir rettungslos ausgeliefert sind.

Was ist der Angsttraum eines Pfarrers? In meinem größten Angsttraum ziehe ich mich an, gehe zur Kirche und sehe die vielen erwartungsvollen Leute, die schon draußen warten, Hunderte, Tausende; ich verstehe nicht, warum so viele Leute gekommen sind und mich grüßen. Ich gehe hinein und komme auf die Kanzel, und was habe ich nicht dabei – meine Predigt! Ich bin wie entblößt. Die Leute kommen doch nicht, um mich zu sehen, sondern um Gottes Wort zu hören. Und da komme ich auf die Kanzel, ich schlage die Bibel auf – und meine Predigt ist nicht da! Ähnlich hat das auch einmal ein berühmter Opernsänger beschrieben: Er geht im Traum auf die Bühne in New York oder in der »Scala« in Mailand, Tausende von Leuten sind da; er fängt an zu singen und merkt, daß die anderen Darsteller etwas ganz anderes singen; er hat sich auf die falsche Oper eingestellt. Da ist man wie total entblößt.

Solche uns lustig anmutenden Träume sind letzten Endes Überlagerungen für Todesangst. Denn wo sind wir total entblößt? Wo haben wir kein Wort mehr parat? Genau im Tod sind wir sprachlos und hilflos.

Der wahre und tiefste Sinn des Spiegelbildes bei der Suche danach, wer wir sind, ist, daß der Spiegel letzten Endes nur ein kaltes, totes Bild von uns widerspiegelt. Das Erschreckende an dem Spiegelbild ist für uns, daß wir uns da als ein toter Mensch sehen, wir sind vor uns wie entblößt, ohne Ausweg. Das Spiegelbild täuscht.
Aber kommen wir zu unseren geistigen Aussagen über uns.
Was kann ich wissen über mich, was kein anderer Mensch weiß, was weder meine Eltern wissen noch meine besten Freunde noch meine schlimmsten Feinde? Kann ich wissen, was in meinem Herzen ist? Nur Gott weiß das besser als ich. Aber ich kann auch wissen, was in meinem Kopf ist. Wie viele Leute gehen auf die Straße und treffen einen Feind, grüßen ihn mit einem freundlichen Blick, denken im Herzen aber Böses über ihn. Man überdeckt diese Ungereimtheit gerne vor sich selbst. Es ist nicht leicht, mit sich selbst ehrlich umzugehen. Wenige Menschen tun das. Die meisten sind damit beschäftigt, den anderen zu täuschen, und damit täuschen sie sich selbst und verlieren das Bewußtsein dafür, wer sie selbst tatsächlich sind. Das ist auch typisch für die großen Diktatoren, daß sie ihre eigene Propaganda glauben, mit der sie eigentlich nur andere Leute überzeugen wollen. So haben Napoleon, Hitler, Stalin und alle anderen sich so viel Mühe gemacht, die Menschen zu täuschen, daß sie sich auch selbst durch ihre Propaganda getäuscht haben. Die meisten Menschen können nur wenig Wahrheit ertragen. Aber ihr Täuschungsbild anderen gegenüber führt letzten Endes zu einer grundsätzlichen Selbsttäuschung.

Aber ein Mann wie Rembrandt, der wirklich scharfsinnig erleben will, wie er ist, weiß, was in seinem Herzen ist, er weiß, was in seinem Verstand ist. Er hat eine historische Kenntnis von sich wie kein anderer. Es gibt diese berühmte Geschichte von Chamisso von einem Mann, der seinen Schatten verkaufen will. Können wir unseren Schatten verkaufen? Wir können nicht weg von uns selbst. Unser Schatten ist ein Bestandteil von uns selbst. Wir können keine Ferien von uns machen. Wir können zwar Ferien von unserer Arbeit machen oder gar einmal ohne Familie in Erholung fahren – aber wir können keine Ferien von uns selbst machen. Wir leben mit uns selbst, so gut und so schlecht es geht. Irgendwie müssen wir mit uns selbst auskommen. Aber was sind die Grenzen unserer Selbstkenntnis?

Suchen wir mit Rembrandt wirklich ernst und ehrlich die Grenzen unserer eigenen Aussagen über uns selbst? Mit welchen Augen sehen wir uns selbst? Mit unseren eigenen Augen. Und wer ist der allererste, der uns vergeben wird? Wir selbst – noch viel schneller als unsere Eltern. Mein Sohn vergibt sich, wenn er eine schlechte Note aus der Schule nach Hause bringt, noch bevor ich ihm vergebe. Das ist der erste Schritt: sich selbst vergeben. Und das tun wir auch am allerschnellsten. So sind wir Menschen. Wir sagen uns: »Ich habe doch ein gutes Herz; natürlich, ich mache auch manchmal Fehler, aber die anderen machen noch schlimmere Fehler.« Und damit hat man sich rasch vergeben. Wir sehen uns mit unseren Augen. Unsere Augen wollen sagen: Mensch, du bist die wichtigste Person der Welt. Aber so zu denken, ist Erbsünde, und wir leben alle in Erbsünde. U m diese Realität sich bewußt zu machen, sollte man einmal ehrlich Antwort auf die Frage geben: »Wenn du jemand anderes sein könntest – nicht nur nach Eigenschaften, Aussehen, sportlichen Fähigkeiten oder Intelligenz, sondern die ganze Person eines anderen übernehmen – , würdest du das tun?« Beim Überlegen gilt nur absolute Ehrlichkeit! Denn unser Glaube ist ein Aufruf zur Ehrlichkeit. Wir kommen nämlich zur schwierigsten Frage überhaupt: Sind wir bereit, den Balken aus unserem eigenen Auge entfernen zu lassen? Wer wollen wir am allerliebsten sein? Diese Frage ist sehr gefährlich! Denn wer wirklich lieber ein anderer Mensch sein würde, ist in seinem Selbst gefährdet.

Warum wollen sehr wenige Leute ganz und gar ein anderer Mensch sein? Jeder liebt sich selbst. Ich gebe zu: Es gibt Leute, die klüger sind oder feiner oder hübscher oder sportlicher – aber ich bin ich. Wir leben in uns, und wir leben für uns. Und darum vergeben wir uns auch am allerschnellsten, und wir lieben uns mehr als jeden anderen. Nur manchmal, in der Liebe, welche Christus ist, überwinden wir unsere Eigenliebe und lieben wirklich unseren Ehegatten oder jemand anderes mehr als uns selbst. Das sind seltene Momente, seltene Durchbrüche tiefsten Glaubens. Aber im allgemeinen lieben wir uns am allermeisten. Können wir aber darum ein Urteil geben über uns, ein objektives Urteil? Das ist total unmöglich.

Stellen wir die Frage:
Kann ein Psychologe eine gültige Aussage machen über einen von uns? Schwierig ist das schon deshalb, weil es viele verschie dene Schulen der Psychologie gibt, die sich oft widersprechen, weil jeder den anderen aus anderem Blickwinkel sieht. Jede Psychologie ist zeitgebunden, personengebunden, erziehungsgebunden. Aber gehen wir noch tiefer: Warum kann kein Psychologe, auch der klügste, letzten Endes keine Ahnung haben, wer wir sind? Was braucht man, um im tiefsten einen Menschen zu verstehen? Objektivität oder Liebe? Was braucht man am allermeisten, um einen anderen Menschen zu verstehen? Nehmen wir uns selbst als diesen anderen Menschen. Hätten wir gerne, daß jemand kalt und mit Abstand uns gegenübersteht und über uns urteilen will, wie wir sind? Oder würden wir lieber beurteilt werden von jemand, der uns total liebt? Jemand, der uns wirklich liebt, versteht uns doch viel besser. Hier kommen wir zum Grundrätsel des Problems Selbstverständnis.
Um richtig verstanden zu werden, wer ich bin, muß ich eine Objektivität haben, damit ich mein Bild nicht verzerre durch rasches Vergeben. Ich muß totale Objektivität haben, indem ich aus Abstand heraus urteilen kann, ohne von jemand anders beeinflußt zu werden. Gleichzeitig muß ich totale Liebe haben, totale Liebe zu dem anderen, daß ich von Herzen und (bis) ins Herz diese Person ganz und gar bejahen kann. Wenn man als Historiker eine Biographie schreibt, und man versucht, allein mit Abstand zu schreiben, wird man ein drittrangiger Historiker. Die großen Historiker schreiben aus Liebe, ob sie das wissen oder nicht. Sie identifizieren sich mit Bismarck oder Friedrich dem Großen so völlig, daß sie versuchen, in seiner Haut zu stecken. Nur dann können sie ihn richtig verstehen. Aber in dem Moment, wenn sie das tun, verlieren sie die Objektivität. Darum, um richtig verstanden zu werden, muß jemand da sein von unserer Geburt an, mindestens mit der Kenntnis, die unsere Eltern von uns haben, der Kenntnis unserer ersten vier Lebensjahre, die wir selbst nicht haben. Wir müßten jemanden finden, der uns sogar von unserer Zeugung an kennt und versteht. Diese Person muß einen totalen historischen Überblick haben bis zu unserem Sterben. Sie muß eine Objektivität uns gegenüber haben, die sich nicht blenden läßt durch unsere Täuschungsmanöver, durch unsere schöne saubere Weste, sondern die direkt in unser Herz sehen kann und sagt: »Ich weiß, was in deinem Herzen ist, und ich sehe die Dunkelheit deines Herzens.«
Gleichzeitig muß diese Person totale Liebe zu uns haben, totales Mitgefühl, so daß wir sagen können: Diese Person liebt mich noch mehr, als ich mich je selbst lieben könnte. Der einzige Weg, sich ein Bild von sich selbst machen zu können, zu wissen, wer ich bin, ist durch Gott.
Ohne Gott kann man kein Bild von sich selbst haben, und ohne Gott kann niemand existieren. (Ich meine nicht: physisch existieren; ich meine: als Person existieren.) Wenn es keinen Gott gibt, dann existiert kein Mensch in diesem Sinne. Das ist die radikalste, aber direkteste Aussage. Keiner von uns existiert als Person, wenn es Gott nicht gibt. Und ich meine das nicht in der Art, daß wir Gottes Geschöpf sind. Ich meine das viel tiefer. Kein Mensch kann wissen, wer er ist, ohne Gott, ohne Jesus Christus, der Gottes totale Liebe ist; ohne Gott, ohne Jesus Christus, der total Richter ist, zu dem wir am Ende der Tage kommen werden. Wer zu mir sagt: »Ich glaube nicht, daß es einen Gott gibt«, dem antworte ich dann: »Du existierst nicht; denn wenn es keinen Gott gibt, dann kannst du nicht existieren, weil du keine Aussage über dich selbst machen kannst. Jede Aussage, die du machst, ist nur ein verblendetes Bild deines Egoismus und deiner eigenen Wunschträume, so verblendet wie das Bild des Teenager-Mädchens, das in den Spiegel schaut und sieht, was es sehen will.« Die zentrale Frage für uns ist nicht die Frage nach Gott. Das ist sicher die wichtigste Frage, aber die zentrale Frage ist: Wer bin ich? Denn das muß ich wissen, bevor ich eine Aussage über Gott machen kann.

Jesus sagt in Jesaja 43 durch den Propheten:
 »Fürchte dich nicht, ich kenne dich, ich habe dich erschaffen, du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich kenne deine Persönlichkeit, wie du bist, und du gehörst mir.« Das ist eine total allumfassende Aussage über mich. Nur er sieht in unsere Herzen. Nur er weiß, wie es wirklich um uns steht. Nur er sieht uns mit totaler Objektivität und mit totaler Liebe.

Und 1. Korinther 13 ist ein sehr, sehr tiefer biblischer Text, in dem gerade dieses Spiegelbild eine so zentrale Aussage hat. Dieser Text ist zentral für alle möglichen Bereiche – was Liebe ist, was Erkenntnis ist, was ich bin:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht (Jesus Christus nicht), so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig, freundlich …

Und dann:
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene (das ist das Reich Gottes und das Gericht vor Gott), so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild (das ist das Schöpferwort Gottes, das Fleisch hier, unser verzerrtes Bild von uns und von Gott), dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Das ist der Moment, in dem wir wissen, wer wir sind, wenn wir vor unserem Herrn stehen, der alle unsere Gedanken und Wege erkennt und erforscht, der uns persönlich erschaffen hat, der unser Richter ist und der unser tiefster Liebhaber ist. Genau dann werden wir wissen, wer wir sind. Wenn es aber keinen Gott gibt, dann werden wir nie wissen, wer wir sind, und existieren dann nicht. Wir wissen aber als Christen, in der Liebe Christi, daß er uns kennt und daß unsere Person ihm allein gehört. Und darum können wir über unser Ich eine Aussage machen, auch wenn dieses Ich noch nicht ganz und gar erkannt ist in der vollen Tiefe, weil wir wissen, daß es erst in dem Herrn ganz und gar erkannt ist. Das ist das Zentrale. Das ist der Grund, warum ein glaubender Mensch die Wahrheit leben und erkennen kann, weil die Wahrheit allein Jesus Christus ist, der Richter und der Liebende, unser Schöpfer und auch unser Erlöser, der uns so gemacht hat, wie wir sind. Er, und er allein.

Gottes Geist – unsere bestimmende Kraft

So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, daß wir nach dem Fleisch leben. Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! (Römer 8,12-15)

Wie sollen wir »durch den Geist des Fleisches Geschäfte töten, damit wir leben können«? Das scheint für mich das Zentrum unseres Textes. Jeder einzelne von uns dient nicht nur dem Geist, sondern auch dem Fleisch. Wenn unser Körper müde ist, wollen wir schlafen. Wenn wir Hunger haben, wollen wir essen. Auch unsere sexuellen Begierden wollen befriedigt werden; dies sollte jedoch innerhalb des Rahmens geschehen, welchen der Herr uns gegeben hat, nämlich nur innerhalb des Rahmens der Ehe. Sind wir nicht alle abhängig von unserem Fleisch, was unser fleischliches Wohlbefinden betrifft? Können wir den Ruf des Fleisches töten? Selbstverständlich nicht. Das wäre auch unbiblisch und ganz und gar nicht im Sinne von Paulus. Die Bibel betont immer wieder neu, daß der Herr uns Leib, Geist und Seele gegeben hat, und daß diese voneinander nicht zu trennen sind. Alles, was er schuf, war gut, und er schuf uns mit unserem Leib, auch mit dem Verlangen des Leibes. Das zu verneinen, würde bedeuten, uns selbst zu verneinen und damit letzten Endes unseren Schöpfer.

Paulus aber sagt: »Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet.«
»Knecht« kann hier eine zweifache Bedeutung haben: daß wir »Knechte des Fleisches« sind oder/und daß wir in unserem Versuch, das Fleischliche in uns zu überwinden, in den knechtischen Geschäften der Werkgerechtigkeit, unseres Tuns gegen den Geist, steckenbleiben.
Wie gehen wir vor gegen diese doppelte Gefahr des Geknechtetseins vom Fleisch und des Geknechtetseins von unserer Werkgerechtigkeit, gegen unseren Versuch, die Fleischestriebe selbst zu töten? Die Antwort auf dieses doppelte Problem ist die gleiche: »Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind.«

Das bedeutet erstens: Das Geknechtetsein im Fleisch kann nur überwunden werden, indem wir einen anderen Herrn und Meister bekommen, nämlich den Geist;
und zweitens:
Wenn dieser Geist unser Meister ist, dann bleiben wir nicht mehr geknechtet in Gesetzeswerken, im eigenen Versuch, unseren Fleischestrieb durch unseren Willen und unsere Anstrengung zu überwinden.

Aber zuerst wollen wir auf unsere erste Frage Antwort geben. Wir alle leben im Fleisch, und das Fleisch und was es braucht bestimmt einen Teil unseres Tuns und unseres Lebens. Das ist selbstverständlich. Aber dieses fleischliche Streben soll nicht unser Leben als solches bestimmen. Hier geht es letzten Endes um die Grundfrage der Herrschaft, der bestimmenden Kraft über uns – entweder wird das Fleisch uns leiten oder der Geist. Herrscht das Fleisch über uns, dann wird unser Leben von Lust, Begierde, Mammonsgeist und fleischlichem Trieb bestimmt; herrscht aber der Geist Gottes, dann wird uns gegeben, was unser Fleisch braucht, aber innerhalb des geistlichen Rahmens und nicht mehr als selbständige, bestimmende Kraft.

Und so ist es mit dem Geknechtetsein im Fleisch im Sinne der Werkgerechtigkeit, indem wir durch unseren Willen gegen das Fleisch kämpfen.
Wenn der Kampf unser Kampf ist, dann wird eher das Fleischliche immer stärker werden, oder in unserer Absage an das Fleischliche werden wir selbst herrschen über unser Leben, in pharisäischer Eigenmacht und Selbstsicherheit.

Der einzige Weg, frei von diesen beiden Gefahren zu werden, bleibt das Bauen auf Christus, auf sein Wort, wo sein Heiliger Geist weht unter Brüdern und Schwestern in Liebe und Selbsthingabe. Praktisch kann das bedeuten: Jede Sucht zeigt, daß das Fleisch, die Begierde, Macht über uns besitzt, ob das die Sucht nach Alkohol, Drogen, Sex, Rauchen, Essen oder etwas ander Fleischlichen ist. Manches Obengenannte braucht nicht zur Sucht führen, wie gutes und ehegebundenes sexuelles Miteinander aus der Liebe, welche unsere ganze Person bestimmen soll, Leib wie Geist und Seele. So kann man gerne essen und ein Viertele trinken, ohne daß das zur Sucht, zum beherrschenden Trieb über uns zu werden braucht. Aber wenn wir in Gefahr stehen, daß z.B. Sex, Essen oder Alkohol über unser Leben bestimmend wird, zum Zentrum unseres Lebens wird, was sollen wir dann tun? Aus eigenem Willen und eigener Kraft zu kämpfen, führt in sich zu einem neuen Geknechtetsein unter unseren Willen, unter unsere Regie zur Werk- und Selbstgerechtigkeit – das wird so sein, wenn wir auch meinen, diesen Kampf zu gewinnen. Oder wir können sagen: Ich kann sowieso nichts dagegen tun, deswegen lasse ich diese Kräfte über mich bestimmen und sage innerlich zu mir selbst: Ich bin immer noch der Herr; wenn ich will, kann ich davon freikommen. – Ein Leben aus Selbsttäuschung, das von vielen gelebt wird!

Aber es gibt eine dritte Möglichkeit, und gerade diese ist der christliche Weg: »Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.« Statt aus eigener Kraft dagegen anzukämpfen, oder statt in Selbsttäuschung diese fleischliche Herrschaft anzunehmen, können und sollten wir auf Christus bauen. Das bedeutet: ER soll für uns kämpfen, nicht wir selbst. Je mehr und je tiefer wir mit Christus leben, jemehr ER über uns bestimmt, auch über unser Fleisch – denn er ist schließlich auch der Schöpfer unseres Fleisches und der Erlöser unserer fleischlichen Verfallenheit – , desto mehr und desto tiefer bestimmt seine Herrschaft unser Leben.
Und dann wird die Zeit des entscheidenden Machtwechsels kommen. Dann wird er wirklich unser Herr sein und nicht wir selbst. »Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist gibt Zeugnis unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind.«

Laßt uns aber im klaren darüber sein: Christsein bedeutet Kampf, nicht einen frontalen Kampf von uns gegen Satan, sondern unsere tägliche Übergabe unserer eigenen Person, unserer fleischlichen Wege, unseres Triebes zu Selbstbestimmung und eigenem Ruhm und Tun an Jesus Christus, der das alles für uns ans Kreuz getragen hat und der allein über den Satan in uns, um uns und über uns herrschen kann.
Wer aber diesen Bezug zu Christus lockert, im Namen von Freiheit und Mündigkeit, bei dem hat der Satan einen Zug gegen ihn gewonnen. Unsere Freiheit, unsere Mündigkeit als Selbstzweck, als Ziel des Lebens, weist letzten Endes hin auf die Erbsünde in uns. Denn was wollten Adam und Eva eigentlich? Sie wollten selbst der Herr ihres Lebens werden, sogar selbst über Leben und über (göttliche) Wahrheit und Weisheit verfügen.

Gerade dieser krampfhafte Versuch des modernen Menschen, sich von allem zu befreien, von allen Ordnungen und Wegen des Herrn, ob von der Ehe, von der Familie, vom Staat, von der Erziehung – gerade diese Befreiungsversuche führen zu einer totalen Abhängigkeit von sich selbst, führen zum Alleinsein; wir werden im Stich gelassen, weil niemand und nichts mehr für uns gilt und zu uns steht. Und das Endziel dieser Emanzipation ist, »befreit« zu sein von Gott, von Jesus Christus. Wer so lebt, erbt nicht Freiheit, sondern, wie die Geschichte von Adam und Eva und die weitere Urgeschichte der Menschheit uns zeigt, Haß, Lügengeist, Mord und unbegrenzte Begierde, und zwar nicht nur persönlich, sondern auch in der Gesellschaft, der sogenannten »befreiten« Gesellschaft.
Aber gerade Gott mit dem ihm kindlich vertrauenden »Abba« anzurufen, zeugt von unserer christlichen Abhängigkeit von ihm, einer Abhängigkeit, die wir (wie Hermann Bezzel es ausdrückte) als Glück bezeichnen. Warum? Weil der Vater durch Jesus Christus allein die Macht hat gegen den Satan, die satanische Knecht schaft in uns, um uns und über uns. Und gerade unsere bewußte Abhängigkeit von dem Herrn gibt allein uns die Kraft, uns selbst anzunehmen, wie wir sind, auch unser Fleisch und unsere kleinen Schwächen. Denn wir wissen: »Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn anders wir mit leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.«

Wir haben nur Zukunft, wenn wir mit Jesu Kreuzesblut überdeckt sind, nicht durch das Feigenblatt, das wir uns selbst anfertigen, um Unschuld vorzutäuschen. Mündig sein als Christ bedeutet, einen kindlichen Geist zu empfangen. Und gerade dieser »kindliche Geist« wird uns die Kraft geben, Leiden als Mitleiden mit Christus zu empfangen, sogar zu bejahen. Denn sein Geist zerbricht den natürlichen Menschen, für den Leiden und Sterben ein Greuel ist. Aber nur wenn wir mit leiden mit unserem Christus, werden wir Miterben seines Reiches werden. Jeder knechtische Weg aber, ob von fleischlicher Begierde oder von unserem Willen und unserer Werkgerechtigkeit geprägt, bezeugt die Herrschaft des Todes, des Fleisches und des Eigenwillens – beide sind dem ewigen Tod geweiht.
Herr, du sollst unser Herr und Vater sein und bleiben. Gib uns die tägliche, kindlich vertrauende Kraft durch Jesus Christus, deinen Sohn, im Vertrauen und Gehorsam zu dir zu bleiben bis ans Ende.

Göttliche Führung durch den Umgang mit der Bibel

Vor einigen Jahren bemerkte ich an einer empfindlichen Stelle meines Körpers eine Geschwulst. Ich ging zum Arzt, der mich alsbald zu beruhigen suchte: »Das wird nicht ernst sein.« Er verschrieb mir Medikamente und ermutigte mich: »In einer Woche ist bestimmt alles wieder in Ordnung; wenn nicht, kommen Sie nochmals.« Es war dann nicht in Ordnung. Er schickte mich weiter zu einem Facharzt. Auch er bestätigte zunächst, daß es wohl nichts Ernsthaftes sei. Doch nahm er dann noch eine weitere Spezialuntersuchung vor, die ergab, daß die Konsistenz der Geschwulst eine sofortige Operation angezeigt sein ließ. Meine Rückfrage nach Krebs beantwortete er: »Von Krebs habe ich nicht gesprochen; es sollte nur operiert werden, um sicher zu sein.« Ich wollte und konnte dem so schnell nicht zustimmen. Da bot er mir als Alternative zunächst eine Cortison-Behandlung an, die innerhalb einer Woche Erfolg zeigen müsse, wenn nicht operiert zu werden brauchte. Mich überfiel Angst trotz tiefen Glaubens. Ich war damals 43 Jahre alt und kam mir zum Sterben ein bißchen jung vor. Trotzdem ich weiß, daß alles in Gottes Händen liegt, habe ich als Mensch reagiert, habe ich in Angst gelebt.
Die Cortison-Dosis, die mir verschrieben wurde, wirkte sich in mancher Hinsicht beeinträchtigend auf mein psychisches Gleichgewicht aus. Tag um Tag schaute ich mehrmals die Stelle an: Ist es zurückgegangen? Aber die Geschwulst wurde nicht kleiner. Ich erschrak, als mir schließlich bewußt wurde, daß ich sofort operiert werden müsse, wenn sich in zwei Tagen nichts ändern würde. Die Wahrscheinlichkeit, daß es Krebs war, drängte sich mir auf. Ich werde bald sterben. In meiner Verzweiflung – ich kam nicht zur Ruhe, auch nicht mit Gebet – habe ich mir gesagt: Es gibt nur eine Antwort, die Bibel.
Ich nahm sie zur Hand, als ob sie ein Schwert wäre. Sie wird mir Antwort geben! Ich schloß meine Augen, schlug die Bibel einfach an irgendeiner Stelle auf, von der ich im Glauben erwartete, daß Gott will, daß ich sie lese. Als ich meine Augen öffnete, lasen sie als erstes: »Du wirst meine Herrlichkeit schauen.«

Augenblicklich war meine ganze Angst wie verflogen. Ich war mit Freude erfüllt. Die Gewißheit war da, daß Gott mir in diesem Moment sagen wollte: »Du gehörst zu meinem Reich.« Das ist wichtiger als alles andere. Plötzlich war ich uneingeschränkt bereit, operiert zu werden und – wenn Gott es will – zu sterben. Wenn’s seine Zeit für mich ist, würde ich ja zum Herrn gehen. Hatte er das nicht auch zu Paulus gesagt, als dieser krank war: »Meine Gnade ist genug.« Am nächsten Tag erinnerte ich mich zudem an etwas, was mir einmal mein Vater gesagt hatte: »David, laß dich nie operieren, wenn nicht drei Ärzte unabhängig voneinander das gleiche feststellen.«
Er hatte in seinem Leben einschlägige Erfahrungen gemacht. So ließ ich mich zu einem anderen Facharzt überweisen, damit dieser ein weiteres Gutachten erstellt. Nach eingehenden und gründlichen Untersuchungen kam dieser zu dem Schluß: »Sie haben keinen Krebs. Sie brauchen keine Angst zu haben. Das kann ich hundertprozentig sicher sagen.« Diese Aussage hat mich erstaunlicherweise wenig bewegt. Gottes Wort hatte es mir doch gesagt, daß ich zu seinem Reich gehöre. Und so wurde mir auch die Aussage, daß ich keinen Krebs hätte, völlig unwichtig, weil ich im tiefsten lernen mußte und gewußt habe, daß ich diese Schwelle der Todesangst erleben und überschreiten mußte, bis ich zu Jesus ja sagen konnte.

Gewiß, dies ist ein ungewöhnliches Beispiel für den Umgang mit der Bibel, ungewöhnlich in dem Sinne, daß es ein Mittel ist, das wir wenig benutzen sollen, nur in sehr großer Not, wenn es darum geht, ganz und gar von einem ganz bestimmten Gotteswort abhängig zu werden. Ungewöhnlich ist solche Erfahrung jedoch nicht, wenn wir in die Geschichte der christlichen Kirche hinein schauen. Immer wieder einmal hat eine bestimmte Bibelstelle – und die war öfters im Römerbrief – ein ganzes Menschenleben oder die ganze Kirche total verändert. Da leuchtete ein Wort oder Satz in einer Krise oder Not hell auf. Denken wir an Luther!

Das Erleben eines anderen Mannes wurde für die Kirche nicht weniger wichtig. Er war ein berühmter Gelehrter seiner Zeit und in seiner Rhetorik allen überlegen. Er hieß Augustin und lebte weit entfernt von Gott, obwohl er eine einfache und fromme Mutter hatte. Seine Mutter war verzweifelt: Wie könnte mein Sohn mit seinen Gaben unserer Kirche in Not so viel helfen – aber er steht gegen uns. Sie ging zu dem berühmten Kirchenvater Ambrosius, dem Erzbischof von Mailand, und fragte ihn um Rat. Er ermutigte sie: »Beten, jeden Tag inbrünstig beten. Nur der Herr kann ihn ändern.« In seiner Wahrheitssuche ging Augustin noch manche Irrwege, bis er zu den Manichäern kam, einer ganz bösen Sekte, die das Böse als Urkraft betrachtete und es Gottes Urkraft gleichstellte. Eines Tages – so schreibt Augustin später in seinen »Bekenntnissen«, wurde ihm erzählt, daß Leute den römischen Kulturraum verlassen hätten, um als Einsiedler zu leben. Dieser Gedanke interessierte ihn sehr. Er hörte immer mehr Berichte von Menschen, die plötzlich den Weg zu Jesus Christus gefunden haben und sich bekehrten. Augustin aber wurde innerlich immer verzweifelter und unsicherer und voll größter Unruhe, wie er das in einem späteren Gebet einmal ausdrückte. In diesem Zustand hörte er bei einem Gang durch seinen Garten eine Kinderstimme ein schlichtes Lied singen: »Lies im Buch, lies im Buch, lies im Buch . . . « Immer wieder diese helle Stimme. Plötzlich merkte er – wie später auch Luther – , daß er Dinge neu zu sehen begann. Es wurde ihm bewußt: Diese Bibel war gemeint. Er eilte in sein Arbeitszimmer, schlug die Bibel an einer Stelle auf. In der Rückschau merkte er später, daß diese Stelle für sein ganzes Leben entscheidend wurde:
»So laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Laßt uns ehrbar leben wie am Tage . . . (Röm. 13,12 b-14). Von dieser Stunde an erfuhr die christliche Kirche eine Vertiefung ihrer Schrifterkenntnis – Gott hatte Augustin überwunden. Seine Mutter starb, kurz nachdem er getauft wurde.
Solch ein Weg ist jedoch gar nicht so ungewöhnlich. Das kann zu einem zentralen Erleben werden für jeden Menschen, der sich in einer Krise befindet, wenn er dem inneren Verlangen nachgibt, die Bibel aufzuschlagen und darin den Weg wirklich suchend zu lesen. Gott redet und verändert durch sein Wort. Solch ein Erleben läßt sich nicht »machen«, sondern es ist wichtig, auf Zeit und Stunde zu achten, wenn es uns innerlich klar wird, daß Gott durch sein Wort zu uns reden will.

Man könnte einwenden, daß das doch etwas ungewöhnliche Beispiele im Umgang mit der Bibel seien. Wie ist das aber im Alltäglichen? Viele Künstler – besonders im Mittelalter – versuchten, Maria, die Mutter Jesu, zu malen, als der Verkündigungsengel zu ihr trat. Meist steht oder sitzt sie da in Stille in einem Raum, und sie liest in einem Buch, in der Bibel. Das ist so bestimmt nicht historisch. Was aber wollten die Maler damit zum Ausdruck bringen? Der Engel hatte zu ihr doch vom Empfangen des Heilands gesprochen. So können wir erkennen, daß die Maler in dem Bewußtsein malten, daß Bibel lesen Empfang ist, Vorbereitung. Und so soll auch jeder von uns vorbereitet sein, zum Beispiel auch einen neuen Tag zu empfangen. Viele tun das bewußt mit ihrer »Stillen Zeit« mit Wort und Gebet am Morgen – vor allem. Ich kenne zwei Möglichkeiten, einen Tag anzufangen – und Anfang bedeutet, diesen Tag zu bestimmen: Die eine ist, zu beten, bevor man auf steht: »Herr Jesus, du sollst diesen Tag bestimmen.«
Und wenn man schon mit Angst und Sorgen auf das schaut, was an diesem Tag auf einen zukommt, dann denkt man an Jesu Kreuz und vertraut sich seiner Führung an und betet: »Ich gebe dir diesen Tag ganz, du leitest mich, und du führst mich.« Eine andere Möglichkeit, den Tag anzufangen, ist beispielsweise die mit Hilfe des Losungsworts oder einer Bibellese. Bevor man sich Gedanken macht, was im Tagesablauf dazu gehört oder vor einem steht, schlägt man die Losung auf und die Bibel, liest und denkt über das Gelesene nach und betet dann vielleicht so: »Herr Jesus, du bist mein Herr, und du sollst mich heute so führen, daß dieses Wort, welches Fleisch geworden ist in dir, diesen Tag für mich bestimmt.«
Das ist eine Vorbereitung auf das Kommende durch das Schöpferwort Gottes. Andererseits soll das biblische Wort nicht nur am Anfang des Tages stehen. Gottes Wort stellt mich in Frage und richtet meinen ganzen Weg durch den Tag. Es steht nicht nur am Anfang, ist nicht nur eine Vorbereitung auf den Anfang des Tages, sondern, wenn wir das Wort richtig im Sinne Luthers verstehen, richtet mich jedes Wort – und damit rettet es mich. Und wenn ich das Bibelwort im tiefsten Sinn verstehe, dann verstehe ich es als richtendes und rettendes Wort, ein Wort, welches mich in Frage stellt und mir zugleich den Weg zur Erlösung in Christus zeigt.

Ich gebe hierzu ein Beispiel:
Es kam einmal ein Namenschrist katholischer Tradition zu mir und wollte mit mir über sein Suchen nach Gott sprechen. Im Gespräch machte ich ihm Vorschläge, wie er den Weg zum wahren Jesus Christus finden könnte. Ich machte ihn auf bestimmte Bibelstellen aufmerksam, empfahl ihm, bestimmte Psalmen zu beten, auch bestimmte Bücher in der Bibel zu lesen, in denen er seinen Problemen begegnen würde . . . Er las dann eifrig in der Bibel und suchte wirklich nach Gott. Beim nächsten Treffen erzählte er, daß er auf eine Stelle gestoßen sei, die ihn aufgefordert habe: »Ich soll in Gottes Gerechtigkeit wandeln.« Wie einst Luther fragte auch er eifrig und fromm: »Wie soll ich das tun?« Ich schaute ihn an und sagte: »Du sollst überhaupt nichts tun.« In seinen Augen stand das Erstaunen: Was für ein Pfarrer ist das? Ich suche den Weg zu Gott; ich frage ihn, wie ich in Gottes Gerechtigkeit wandeln soll, und er sagt zu mir: Du sollst überhaupt nichts tun. Ich erklärte ihm weiter: »Alles ist für dich getan. Du mußt nur noch das annehmen, was für dich getan ist.« Er fragte zurück: »Ja, was?« Und ich antwortete ihm: »Das Kreuz Jesu. Er ist unsere Gerechtigkeit, mit der David schon, in Psalm 31, gerechnet hatte, der dann auch so zentral für den jungen Luther wurde. Er, Jesus an seinem Kreuz, ist unsere Gerechtigkeit. Wir können nicht gerecht werden durch unsere Werke, durch unser tägliches Leben. Wir können nur gerecht sein durch ihn, denn wir sind ohne Jesus verlorene Sünder.« Das war ein hartes Wort für ihn. Denn er war eifrig, er wollte selbst gut und gerecht sein. Und dann mußte er hören, daß jemand das alles für ihn schon getan hat und er das nur noch anzunehmen braucht.

Wie aber nimmt man diese Gerechtigkeit an? Wer innerlich zerknirscht ist über die Vergeblichkeit seiner eigenen Leistung, wer nicht mehr versucht, seine eigene Gerechtigkeit durchzusetzen, wer gerichtet ist über dieser großen Mühe, wie Luther zutiefst gerichtet war, der wird zu Gottes Gerechtigkeit gelangen. Wie viel lieber würden wir der Aufforderung Folge leisten: »Du mußt das und das tun.« Es ist viel schwieriger, anzunehmen, daß ich das nicht tun kann, sondern daß er, Jesus, das alles für mich getan hat. Es geht ganz und gar nur um Jesus, was er zu uns sagt, was er für uns getan hat. Es geht nicht um unsere Wege und unsere Gerechtigkeit. Es geht um seinen Weg und seine Gerechtigkeit. Das zu lernen ist heutzutage sehr, sehr schwer.

Wir haben zuerst über eine ungewöhnliche Lage gesprochen, wie in einer zentralen Krise unseres Lebens Gottes Wort uns Richtung geben kann. Wir haben davon gesprochen, daß Gottes Wort eine Art Vorbereitung gibt auf den Empfang des Tages, auch von Entscheidungen, und wie es uns leitet. Wir haben davon gesprochen, daß Gottes Wort uns in Frage stellen, uns richten soll, damit wir durch dieses Wort leben können. Aber, wenn wir versuchen, die Vielfalt von Gottes Wort in seiner Tiefe zu verstehen, dann gewinnt jeder Text neue Bedeutung und neuen Sinn für uns. Zuerst habe ich mich innerlich dagegen gesträubt, daß wir als Pfarrer alle sieben/acht Jahre über den gleichen Text predigen sollen, innerhalb der Perikopenreihen. Gibt es doch viele wichtige Texte, vor allem im Alten Testament, die wir so nie hören und bedenken können, um sie für die Zuhörer zu öffnen. Doch das andere stimmt auch: Zentrale Texte schauen ganz anders aus in verschiedenen Phasen unseres Lebens. In sieben/acht Jahren erkenne ich manche Texte ganz anders als jetzt. Als Beispiel möge eine zentrale Geschichte in unserer Bibel dienen, was ihre verschiedenen Schichten und Aussagen in unserem Leben bedeuten können: die Josefsgeschichte. Mir ist diese Geschichte seit langem tief vertraut. Wenn wir diese geheimnisvolle Josefsgeschichte bedenken, entdecken wir manche zentrale Aussage über das Leben, über unser Leben und über das Leben Jesu. Wir erkennen, daß Gottes Gerechtigkeit nicht immer sichtbar ist und sich nicht immer nach unseren Wünschen vollzieht, sondern uns wird hier ein Weg der Irrungen und Verwirrungen deutlich. Josef muß alles Mögliche leiden, ungerechterweise, nach unserer Vorstellung, bis die wahre Gerechtigkeit, Gottes Weg, offenbar wird. Wie viele Rückschläge muß Josef erleben. Er wird fast umgebracht, in den Brunnen geworfen von den eigenen Brüdern, als Sklave verkauft, ungerechterweise ins Gefängnis geworfen… – wie schnell haben solche Erlebnisse auch mit jedem von uns zu tun!

Jede Woche besuchte ich im Krankenhaus einen noch nicht sehr alten Mann, der an Lungeninsuffizienz litt. Wegen seiner Atemnot konnte er nicht mit mir sprechen. Er mußte schon künstlich beatmet werden. Er hat noch nie in seinem Leben mit Gott, mit Kirche, überhaupt mit dem Glauben zu tun haben wollen. Da befand ich mich in der schwierigen Lage zu versuchen, diesem Mann Gottes Wort lebendig zu machen, ohne daß er reden konnte. Ein seelsorgerliches Gespräch findet doch mit einem Ich und einem Du statt. Hier hatte ich eigentlich kein Gegenüber. Vor mir lag ein Mensch in ständiger Atemnot.
Was konnte ich tun? Ich las ihm aus der Bibel den Leidensweg Jesu vor und sprach dann ein Gebet mit ihm. Vom dritten oder vierten Mal an kam seine Frau mit. Sie beobachtete, daß das, was ihr Mann hörte, wichtig wurde für ihn. Auch ich stellte fest, wenn ich zu ihm hineinkam, daß das Atmen schneller wurde und seine Augen auf mich fixiert waren, wie man es in Gottesdiensten beobachten kann, wenn Menschen da sind, die wirklich hineinhören wollen in Gottes Wort. Bevor ich zu Kranken gehe, bete ich immer, daß Jesus sprechen soll und nicht ich, denn meine Weisheit ist Torheit und hilft nicht. Eines Tages kam ich in das Zimmer hinein, schaute den Mann an, und plötzlich kommen über meine Lippen die Worte: »Wissen Sie, Sie sind ein von Gott begnadeter Mensch.« Sehr ernst sieht er mich an, als wolle er sagen: Das ist aber eine merkwürdige Aussage für jemanden, der schon lange Zeit um Atemluft ringen muß. »Durch ihre Leiden haben sie den Weg zu Jesus Christus gefunden«, sagte ich ihm weiter, sie sind von Gott begnadet, diesen Weg zu gehen.« Ein paar Wochen später starb er. Ich habe keinen Zweifel, daß er mit seinem Heiland starb – nur durch das biblische Wort. Das war der Weg für ihn, ein Weg, zu dem jeder menschlich gesehen sagen würde: Nein, das soll mir nicht passieren. – Auch der Weg Josefs erscheint menschlich gesehen alles andere als richtig und gerecht. Aber das war Gottes Weg für ihn zu seiner Erlösung, zur wahren Erlösung.

Noch ein Beispiel aus der Josefsgeschichte: Sie zeigt, daß man nicht Böses mit Bösem vergelten soll. Josef hatte die Möglichkeit, das zu tun, als seine Brüder zu ihm nach Ägypten kamen. Gerecht wäre das gewesen in den Augen der damaligen Zeit, nach dem, was er alles von seinen Brüdern erlebt hatte. Aber er sagte: »Ihr habt es böse mit mir gemeint, aber der Herr hat das Gute vollbracht.« Ist das nicht ein zentrales Problem auch für uns?

Ich habe viele Konfirmanden gehabt, auch Lausbuben, denen man gerne sagen würde: Raus mit euch, ich will euch hier nicht mehr sehen! Ich will hier mit jungen Leuten zusammen sein, mit denen man etwas erarbeiten kann, aber dazu gehört ihr offensichtlich nicht! Ich weiß aber, wenn ich den Lausbub, der mir gegenüber nur böse ist und alles lächerlich findet, der mit seinem grinsenden Blick, den ich nicht ertragen kann, scharf angreife und die Grenze zu mir zu stark mache, dann gibt es für ihn vielleicht nie mehr ein Zurück. Denn ich bin »Kirche« für ihn, einer, der immer von diesem Jesus reden muß.
Ich denke auch an Luther und Staupitz, seinen Beichtvater. Staupitz hatte Luther als Irrlehrer aufgegeben und ganz böse auf ihn reagiert. Luther aber hat trotzdem einen großartigen Brief an Staupitz geschrieben und ihm mitgeteilt, daß Staupitz ihm durch seine Art in der Beichte den Weg zu Jesus Christus geöffnet hat, indem er immer wieder betonte, daß Luther sich auf den Frieden Gottes, auf Gottes Gnade und nicht auf seine verzweifelten Wege der Buße konzentrieren solle. Es wäre für Luther leicht gewesen, die Fehler und die Grenzen von Staupitz’ Lehre anzugreifen und zurückzukämpfen. Er hat es nicht getan. Er hat im tiefsten Sinne dankbar geantwortet.

Es gab einen berühmten Rabbiner, Leo Baeck. Der wurde vor mehr als 50 Jahren nach Theresienstadt verschleppt. Seine ganze Familie wurde vor seinen Augen von der SS brutalst umgebracht. Das traf diesen feinfühligen Mann äußerst hart. Als das Lager befreit wurde, war Baeck noch am Leben. Da wollten die Befreiten gegen diese fürchterlichen Mörder losgehen. Baeck aber hat gesagt: »Lieber bringt mich um!« Wir denken an Mose, als Israel um das Goldene Kalb tanzte, und vor allem denken wir in noch viel tieferem Sinn an Jesus Christus.

Durch solche Beispiele – wie durch die Josefsgeschichte – , daß man nicht Böses mit Bösem vergelten soll, haben wir ein zentrales Leitmotiv für unser eigenes Leben, eine Grenze für uns selbst. Denn Böses mit Bösem zu vergelten – das ist der natürliche Mensch, der Mensch, der durch das Gesetz gerichtet ist.

Wir haben bis jetzt über einzelne Beispiele nachgedacht. Jetzt will ich in bezug auf die Josefsgeschichte den Bogen weiter spannen. Ich kann die Josefsgeschichte nicht lesen, ohne ständig an Jesus Christus zu denken. Josef ist ein Leidender. Was er erlebt hat wegen der besonderen Liebe seines Vaters zu ihm, wegen seines Gerechtigkeitssinns und seiner prophetischen Gabe – da ist nichts anderes als Leiden zu erkennen, in den Brunnen geworfen, fast umgebracht, mutterseelenallein als Sklave, dann im Gefängnis . . . Immer wieder erinnert diese Geschichte an Jesus.

Denn was ist sein Weg? Nur ein Leidensweg, ein Weg vielen Erleidens bis zur Vollendung, zum Heil. So war auch der Weg zum Heil für Josef, für seine Brüder, für den Vater und für Israel vom Leiden gezeichnet.
Josef ist der Gerechte im Alten Bund. Auch andere, die gerecht handelten, wären da noch zu nennen: Noah, Henoch, auch im Leben Davids findet sich Gerechtigkeit. Aber Josef wird ausführlich als gerecht beschrieben, als jemand, der innerlich aufbegehrt, wenn seine Brüder etwas Böses machen. Fast gesetzlich kann er sein, aber gerecht. Er hält an dem fest, was er für richtig hält. Aber er vergilt nicht Böses mit Bösem und verschont seine Brüder. Er weiß, was Versöhnung ist. Da verläuft die Linie zu Jesus Christus, dem Gerechten, dem wahrhaft endgültigen Gerechten, dessen Kreuz unsere Gerechtigkeit ist. Denn der Unschuldige starb für uns Schuldige. Josef war zwar nicht in dem allumfassenden Sinn wie Jesus ohne Schuld, aber er ist der Gehorsame, der Gott gehorcht, der auf Gott wartet. Jesus war absolut gehorsam, sein ganzes Leben lang. Josef ist der Helfende, der anderen im Gefängnis hilft, der angesichts der zu erwartenden Dürrejahre hilft, sowohl den Ägyptern als auch seinen Brüdern. Und Jesus ist der endgültige Helfer in der menschlichen Not der Gottlosigkeit, der Heiland. An diesen Beispielen merken wir, daß unsere Bibel eine Einheit ist – und diese Einheit heißt Jesus Christus. Luthers Theologie griff tiefer als die heutige Theologie. Als Luther die Psalmen auslegte, sein allererstes Werk, sprach er ständig über Jesus, weil die Psalmen Jesus zum Inhalt haben.

Letzten Endes hat die ganze Bibel in der Tiefe ihrer Aussagen immer wieder mit Jesus zu tun. Alle zentralen Gestalten der Bibel sind Vorschattungen Christi, ob Josef oder Mose, Elia oder David . . . So sollen diese Gestalten gesehen werden.
Wenn ich – welche Texte auch immer – in der Bibel lese, entdecke ich: Hier wird Jesus vorausgesagt, tausend Jahre bevor er kam; hier und da ist eindeutig Jesus gemeint.

Wenn Spötter fragen: »Wo ist denn dein Gott?«, dann gründet meine Antwort in der Entdeckung, daß das ganze Alte Testament von dem kommenden Christus zeugt. Unser Glaube braucht die tiefgreifende Bestätigung aus einer umfassenden biblischen Kenntnis. Luther verdeutlichte es: Die Bibel Alten und Neuen Testaments legt sich selbst aus, und der Mittelpunkt der Bibel ist Jesus Christus, von dem der Schreiber des Hebräerbriefs bezeugt: »Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.«

Das Zeugnis von ihm zieht sich durch die ganze Bibel als ihr Mittelpunkt hindurch. Diese Entdeckung bestätigt meinen Glauben und gibt mir die feste Zuversicht in Gesprächen mit Atheisten, mit Leuten, die Gottes Wort nicht hören wollen – denn ich weiß: Dies ist die Wahrheit.
Solche Gewißheit ist wichtig in unserem Umgang mit der Bibel. Sie ist nicht nur in seelsorgerlichem Sinn wichtig für unser Leben, sondern es geht um die Wahrheit. Und hier ist die Wahrheit. Nachdem ich 18 Semester lang in allen möglichen Fächern studiert und nach Wahrheit gesucht und keine gefunden hatte, habe ich angefangen, die Bibel zu lesen. Ich fand zuvor keine Antwort auf die zentralen Fragen. Nun aber fand ich Antwort um Antwort, wo auch in der Philosophie keine Antwort zu finden war. Beim Bibellesen entdeckte ich: Hier ist Christus bezeugt, als mein Heiland, mein Leben, mein Erretter, meine Zukunft und die Zukunft der ganzen Welt.

Die Josefsgeschichte zeigt uns, wie der Herr ans Ziel kommt. Sein Ziel ist die Errettung Israels. Wenn Josef nicht Sklave geworden wäre, wenn Josef das alles nicht erlebt hätte, wären die Israeliten damals alle verhungert. All die Ungerechtigkeiten, die Josef erleben mußte, waren das Heil Israels. Denn Gott war mit Israel. Darin erkenne ich auch die endzeitliche Bedeutung der Bibel.
Es geht in ihr nicht nur um das erste Kommen Jesu, sondern auch um sein Wiederkommen. Die Josefsgeschichte ist eine Darstellung der Juden und der schrecklichen Ungerechtigkeiten, die sie erlebt haben. Immer wieder haben sie die andere Wange hingehalten – nicht weil sie es wollten, sondern weil sie es mußten. Aber durch die Leiden dieses Volkes kommt unser Heil. »Das Heil kommt von den Juden« (Johannes 4), durch Jesus Christus, so sagt er es selbst.
Die schrecklichen Ungerechtigkeiten, die Israel durch uns Christen während Jahrhunderten erlebte – im letzten von Brüdern! – sind Gottes Weg zum Ziel. Und das Ziel ist die Wiederkunft Jesu, welche die Versöhnung beider Bünde in seinem Reich bringt.

So geht Gott auch mit jedem von uns persönliche Wege, mitunter Wege, die uns gar nicht gefallen. Oder es sind Wege, die wir so nie erwartet hätten – und bringt uns zum Ziel, zu seinem Ziel mit uns. Meine »Josefsgeschichte« war von vielen Veränderungen meines Wesens und Willens geprägt. Niemand hätte vor 50 Jahren damit rechnen können, daß ich einmal in Deutschland als evangelischer Pfarrer Jesus Christus als meinen Heiland bezeugen würde. Ich lebte mit meinen Eltern in den USA und war als Jude mit dem Geist von Dichtung, Kunst und Wissenschaft erfüllt.

Gott stellte mich in ein neues Land, schenkte mir einen neuen Glauben und ein neues Leben, und er vertraute mir eine Frau an, die überhaupt nicht zu mir als Juden »passen« würde. Alles hat er geändert. Das letzte Wort meiner Mutter, bevor ich 1961 nach Europa ging, lautete: »Geh nicht nach Deutschland!«
16 Jahre nach Auschwitz nur zu verständlich. »Und wenn du schon nach Deutschland gehst, bring mir keine deutsche Frau.«
Das vierte Gebot, »Ehre Vater und Mutter«, gilt (nach dem ersten) als das für Juden am schwersten zu erfüllende Gebot. Ich habe es gebrochen. Es war Jesu Weg mit mir, nicht mein Weg. Er trat in mein Leben. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß uns beim Lesen der Bibel Gottes Heilsplan mit Israel und mit der Welt bis zur Wiederkunft Jesu vor Augen gestellt wird. Der Glaube erkennt, daß Gott einen Weg und ein Ziel mit der Welt hat. Und sooft wir die Bibel zur Hand nehmen, erschließen sich uns neue Zusammen hänge in einer erstaunlichen geistlichen Vielfalt. Durch die Schrift sehen wir den wahren Geist Jesu Christi, sehen wir Gottes Heilsplan mit der Welt und sehen wir, was Gott auch mit uns persönlich vorhat.

Darum ist die Bibel zentral für uns, weil ihr Wort und Jesus Christus eins sind.

Die klagende Witwe (Lukas 18, 1-8)

Um uns die Tiefe von Gottes Gerechtigkeit und die wahre Kraft des Gebetes vor Augen zu führen, zeigt uns Jesus ein Beispiel von weltlicher Klage und weltlicher Gerechtigkeit, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen: »Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen?« Dazu betont er, daß »der Herr in Kürze Recht schaffen« werde.

Eine solche Aussage führt uns leicht zu dem Schluß: Wenn ich wirklich Tag und Nacht um etwas bete, dann werden also meine Gebete erhört und erfüllt, und zwar in kurzer Zeit. Aber, was bedeutet hier »Recht schaffen«?
Wer sagt zum Beispiel, daß die Anliegen der Witwe in unserer Geschichte »recht« sind, richtig sind? Ihre weltlichen Anliegen werden durch weltliche Mittel vorgebracht, indem sie das Leben des Richters so belasten, daß er konfrontiert wird mit seinem eigenen Mittel, denn er fürchtet Gott nicht und scheut sich vor keinem Menschen. Unter solchem Druck gibt dieser Richter nach. Darüber müssen wir uns im klaren sein: Dieser ungerechte Richter gibt nur nach, sobald seine eigenen Mittel gegen ihn eingesetzt werden. Und wenn dann die Witwe bekommt, was sie will, bedeutet das nicht von vornherein, daß ihre Methoden richtig waren, so wenig wie ihre Ziele. Darüber wird im biblischen Text nichts gesagt.

Darum müssen wir ganz andere Mittel und ganz andere Ziele im Auge haben, wenn es darum geht, im göttlichen Sinne Recht zu schaffen, als wenn es in unserem Sinne darum geht, recht zu bekommen.

Jesus nennt uns die wahre Methode des Gläubigen, daß er im Alltäglichen recht bekommen wird, sogar in Kürze: Gebet! Aber er sagt uns nicht, was es bedeutet, im göttlichen Sinne recht zu bekommen; denn im Mittelpunkt jeden Bittgebets soll stehen »Dein Wille geschehe«. Wir müssen inbrünstig beten im Blick auf das, was wirklich für uns wichtig ist, aber dabei ganz und gar unsere Person und unser Anliegen dem Herrn übergeben, dann wird er in kurzem für uns »Recht« schaffen. Mit dieser Überlegung sind wir ans Ziel gekommen, zu einer Antwort auf das, was »unser Recht bekommen« im göttlichen Sinne bedeutet. Jesus Christus ist unsere Gerechtigkeit. Er steht für uns an der Stelle des jüdischen Gesetzes, des Gesetzes Mose. Er schafft Recht für uns, indem er Gottes ganze Anforderungen an uns Menschen erfüllt hat in seinem Lebenswandel und vor allem am Kreuz, wo alles »erfüllt« wurde. Recht zu bekommen für unsere Sache, bedeutet dann für uns Gläubige, daß wir unser Anliegen und unsere ganze Person dem Herrn völlig übergeben, daß wir seinen Willen bejahen und annehmen, denn er schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden. Wir wissen, der Herr steht zu mir, er sieht und kennt meine Anliegen, meine Not. Weil er mein Herr ist und ich nicht über ihn herrsche mit meinen Anliegen, weiß ich, daß ich in Freude und in Leiden annehmen soll, was er mir schenken wird. Und öfters – anders als bei der weltlichen Klage der Witwe in unserer Geschichte – wird der Wille des Herrn geheimnisvoll für mich sein, öfters ganz anders, als ich es gedacht und gewünscht habe. Christen, anders als weltliche Menschen, glauben nicht, daß ihre Wege und Ziele die wahren Wege und Ziele sind, sondern wir leben bescheiden in der Nachfolge Christi, um anzunehmen, was er uns bereitet, sei es ein Gutes oder ein Leid . . .


Eigentlich zeigt uns der letzte Satz unseres Textes, wenn wir ihn richtig verstehen, den wahren Sinn unserer Worte: »Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, er werde den Glauben finden auf Erden?« Wie die klagende Witwe drängen wir auf die Erfüllung unserer Wünsche, sehen auf unsere Gerechtigkeit, auf die Ziele, die wir uns gesteckt haben. Darüber haben wir das wahre Ziel, nämlich den Glauben an Gottes Gerechtigkeit, an seine Weisheit, an seine Führung nicht mehr vor Augen. Wenn unsere Ziele für uns so wichtig geworden sind, daß alle Methoden, auch die der weltlichen, gottlosen Richter, annehmbar sind, dann richten wir uns selbst durch solches Vorgehen, und zwar im ewigen Gericht.

Wie viele von uns stehen näher bei der klagenden Witwe, und wie viele von uns leben in Demut im Gebet und nehmen das an, was der Herr uns gibt, nach seiner Weisheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, auch wenn es entgegengesetzt ist zu dem, was wir gerade wollen?
Ist es nicht so, daß wir öfters so überzeugt sind von der Richtigkeit unserer Ziele, daß wir sogar Methoden anwenden, welche nicht ganz und gar rein sind – wir haben das Recht »gepachtet«, wir sehen die Gefahren, wir wissen um die Ziele – , und darum ist fast jede Methode erlaubt. Vielleicht erreichen wir sogar unsere Ziele, aber der ganze Vorgang setzt voraus: Ich schaffe es, wie und wann ich will. Darum warnt Jesus uns in diesem Gleichnis, die Gerechtigkeit nicht in unsere Hände zu nehmen durch die Methode der klagenden Witwe oder die des ungerechten, gottlosen Richters.

Aber, wie steht es dann mit dem Gebet? Ich kam einmal spät und sehr müde nach Hause. Ich hatte viele Sorgen und schlief nicht gut. Mitten in der Nacht wachte ich auf mit einem hilflosen Gefühl: Wie soll das alles gutgehen? Wer weiß, was die Zukunft bringen wird? In dieser Zeit habe ich an dem, was ich für richtig hielt, ganz und gar festgehalten, und ich konnte nicht verstehen, wie vielleicht etwas ganz anderes passieren könnte. Aber – und dieses Aber umfaßte wirklich nur eine sehr kurze Zeit – plötzlich dachte ich an Jesus, nicht mehr an mein Ziel, an das, was ich für gerecht und richtig hielt, sondern allein an ihn. Ich spürte – wie ich es noch selten erlebte – , wie nahe er wirklich bei mir war, und ich sagte innerlich: »Herr Jesus, du bist bei mir, du bist der Gerechte, dein Wille geschehe, auch gegen meinen Willen. Deine Ziele sollen erreicht werden und nicht meine.« Und dann kam diese wahre, tiefe Stille über mich, seine schützende Hand, und ich war ganz und gar getrost, daß er alles gut und gerecht machen wird, daß sein Wille geschieht, – und dann hat er mir in kurzer Zeit Recht geschaffen, indem ich ihn als die Gerechtigkeit selbst annahm, nicht mehr meinen Willen und meine Wege durchsetzen wollte.

Vielleicht teilen manche mit mir meine Sorgen um die Zukunft. Manchmal sehe ich solche Bilder vor meinen Augen: Ich werde älter und schwächer; niemand wohnt im Hause außer meiner Frau und mir; vielleicht wird sie krank und sterben, und dann bin ich allein; oder vielleicht werde ich meine Kraft verlieren und keinen wahren Auftrag mehr im Leben haben; oder vielleicht dieses oder jenes. Und das Wissen ist ein Stück Lebenserfahrung, daß alles, was ich fürchte, irgendwann in irgendeiner Art und Weise eintreffen wird, und dann fühle ich mich innerlich total verunsichert. Gerade wenn solche Gedanken und Gefühle mich überwältigen – und das ist nicht selten – , dann fühle ich, wie schwach ich wirklich bin, und ich spüre meine Vergänglichkeit und die Eitelkeit meines Lebens und meiner Wünsche. Dann, gerade dann hilft nur eines – Gebet. Gebet im wahrsten und tiefsten Sinne, die Übergabe des eigenen Anliegens, des eigenen Lebens, der eigenen Person an den Herrn. Dann wird mir bewußt, daß das wirklich so ist, daß alles, was ich habe, und alles, was ich bin, vom Herrn kommt, aber auch von ihm genommen wird.
Und wenn ich mir im tiefsten darüber bewußt werde und mich meinem Retter als meinem Heiland ganz und gar überlasse, dann schafft er mir Recht im wahrsten und tiefsten Sinne, indem er, der gekreuzigte Jesus, für mich einsteht, für meine Person mit allen meinen Schwächen, meiner Vergänglichkeit, meiner Eitelkeit, und ich höre seinen Ruf: »Kommet her zu mir, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken.«

Dann spüre ich nicht nur, daß er mich annimmt mit allen meinen Unzulänglichkeiten, sondern ich weiß auch: Er wird alles recht machen, er ist der Herr meines Lebens und nicht ich. Dann schafft er mir Zukunft aus meiner Vergänglichkeit, denn die Zukunft gehört ihm allein, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, und er eröffnet diese wahre, rechte Zukunft für mich in meiner Schwachheit und Verlorenheit.

So meint es Jesus: »Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er es bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen – in Kürze.« Jesus mahnt jeden von uns: »Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, er werde den Glauben finden auf Erden?«

Christliche Kultur – eine Einführung

Graf von Zinzendorf war in seinen jungen Jahren ein Liebling der aristokratischen Gesellschaft, passionierter Tänzer und Idol der Frauen seiner Zeit – Zinzendorf wurde später einer der großen pietistischen Väter. Sein Weg dazu begann während einer Reise, auf der er in Düsseldorf Halt machte. Dort fiel sein Auge auf ein Bild der Kreuzigung Jesu. Bei diesem Bild stand: »Das tat ich für dich. Was tust du für mich?«
Das Anschauen dieses Bildes hat die Türe zum Herzen des Grafen von Zinzendorf geöffnet – er wurde ein frommer Christ. Sein Leben wurde total verändert. Das Bild war von Feti gemalt worden, einem Künstler, der in der Tradition der katholischen Gegenreformation stand. Gottes Wege können merkwürdig sein – ein junger Adliger, der ein verdorbenes Leben geführt hatte, kommt zum Glauben an Jesus Christus durch das Bild eines bewußt katholischen Malers und wird zu einer zentralen Gestalt des Pietismus. Katholische und evangelische Theologie sind nicht dasselbe. Aber hier geht es um die Frage der Glaubensdarstellung in der Kunst. Viele der größten Künstler lebten in katholischer Tradition, malten oder komponierten aber oft evangelisch, im Sinne biblischer Theologie. Am Beispiel des Erlebens Zinzendorfs in Düsseldorf läßt sich zeigen, wie zentral ein Kunstwerk sein konnte für Entwicklungen im christlichen Abendland.

Ich werde immer wieder einmal danach gefragt, wie ich zum Glauben kam. Grundsätzlich will ich zwar nur über Jesus reden, aber ich möchte im Zusammenhang dieses Themas doch einmal etwas von mir erzählen. Ich bin nicht jemand, der vom Glauben den Weg zur Kultur ging, sondern der von der Kultur zum Glauben kam. Ich wurde als aufgeklärter, liberaler, moderner Jude erzogen und komme aus einer wohlhabenden Familie, die in dritter Generation in den USA lebte. Die Großeltern waren teils sehr fromm, meine Eltern hingegen nicht. Meine frühen Jahre, als Sohn eines angesehenen Rechtsanwalts, waren vorwiegend dem Sport gewidmet. Ich war bester Sportler, überall aktiv mit dabei, flink wie eine Maus. Ich wußte alles über Baseball und den amerikanischen Football bis ich 13 Jahre alt wurde und meine Bar-Mizwa feierte, eine Art Konfirmation in der jüdischen Tradition. Ich wurde als Mann in die Synagogen-Gemeinde aufgenom men. Das brachte innerhalb von zwei Wochen eine riesige Verän derung mit sich. Während dieser Zeit sagte meine Schwester zu mir, die eine ausgesprochene dichterische Begabung hatte: »David, hast du Dostojewski gelesen?« Ich gestand ihr: »Du weißt, ich habe gar nichts außer Sportbüchern gelesen.« Niederschmetternd war ihre Reaktion: »Wenn man Dostojewski nicht gelesen hat, hat man nicht gelebt.« Das traf mich hart. Entschlossen nahm ich mir vor, etwas von Dostojewski zu lesen. In der Bibliothek lieh ich mir sein Buch mit dem Titel »Arme Leute« aus. Meine Eltern waren nicht gerade arm. So sah meine Mutter mich an und fragte: »Was willst du mit >Armen Leuten< zu tun haben, David? Du wirst nur traurig sein, wenn du etwas über sie liest.«
Aber ich las Dostojewski – nicht nur dies Buch. Mit der Zeit lernte ich, selbst zu schreiben – im Alter von 13 Jahren war das ein ziemlich später Anfang. Aber innerhalb eines Jahres gab es einen Durchbruch, ich fing an zu dichten. Mit 14 Jahren beschäftigte ich mich mit Beethovens späten Quartetten und mit Bachs h-Moll-Messe. Innerhalb eines Jahres drang ich vor vom Analphabeten in Tiefen der Kunst. Mit 16 Jahren entdeckte ich meine beiden Lieblingskomponisten, Heinrich Schütz und Joseph Haydn. Heute denke ich: Schütz ist der Inbegriff eines evangelischen Komponisten, nicht Bach. Schütz’ musikalisches Schaffen ist eigentlich Worttheologie, seine Musik ist auf das Wort der Bibel ausgerichtet – das fesselte mich, besonders als ich mit 16 Aufnahmen hörte, die Grischkat in Stuttgart dirigiert hatte, der große Schütz-Interpret. Dann begann ich russische Romane zu lesen, Werke, die für uns Ostjuden immer zentral gewesen sind (meine Vorväter stammen aus dem russisch verwalteten Teil Polens). Neben Dostojewski beschäftigte mich Tolstoi. Wenn ich beide theologisch auch nicht empfehlen kann, haben mir diese Werke doch den Weg gezeigt.
Als ich immer mehr religiöse, christliche Musik hörte, stutzten meine Eltern: »David hört die h-Moll-Messe – tut ein Jude so etwas?«
Ja, ich hörte die Passionen von Schütz – , und wer sie kennt, weiß, daß sie klare Wortverkündigung sind. Damals wußte ich noch nicht, daß die Werke des achtzigjährigen Komponisten die innere Vorbereitung für meinen Weg zu Jesus waren. Und als ich zum Glauben kam, konnte ich zurückblicken und sehen, wie der Herr mich durch diese Erlebnisse mit Bach und Schütz und Mendelssohn-Bartholdy zu sich geführt hat.
Als ich dann später in New York bei manchen der besten Kunsthistoriker unserer Zeit (das waren meistens deutsche Juden, die ausgewandert waren) Kunstgeschichte studierte, u.a. bei Horst Janson, da habe ich gelernt zu sehen. Das hilft mir heute außer ordentlich, Gottes Wort zu verstehen, denn Bild und Worttheolo gie sind kein Widerspruch. Es wäre unsinnig, das zu behaupten, denn die Bibel redet durch Bilder in Worten. In der ganzen Bibel finden wir eine Fülle von Bildern. So gehen auch alle meine Veröffentlichungen letzten Endes zurück auf die Bildsprache der Bibel. Gerade die Beschäftigung mit der Malerei, in der ich lernte, die Einheit zwischen Wort und Bild in der Kunst mit eigenen Augen zu sehen, hat mir besonders geholfen, die Bibel in der Tiefe ihrer Sprache zu verstehen.
Ich schreibe immer noch Gedichte, ich kenne mich in der Musikgeschichte aus und bin in der Geschichte der Malerei be wandert. Ich habe viel Freude an der Beschäftigung mit unseren Kulturgütern. Aber Kultur kann auch zu einer Gefahr für die Christen werden. Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Die Gefahren im Mittelpunkt zu sehen und nicht die Möglichkeiten, ist jedoch zu leicht unsere Tendenz. Ich weiß um die Gefahr, sich in der Beschäftigung mit der Kultur zu verlieren.

Es gibt Chöre, die sich weigern, im Rahmen von Gottesdiensten zu singen. Andererseits gibt es Menschen, die in der Passionszeit in eine Aufführung der Matthäus-Passion gehen, aber sie würden nie in einen Gottesdienst gehen; die Musik selbst ist für sie zu einem Glaubensersatz geworden – obwohl solch eine Haltung ganz gegen die von J.S. Bach steht, der diese Werke in tiefer Gläubigkeit geschrieben hat, nicht anders als Händel seinen »Messias«, Schütz seine Passionen und Haydn seine großen Messen. Die Aussagen dieser Werke sind alle aufs Kreuz Jesu bezogen. Eine Germanistikstudentin aus meiner Gemeinde brachte mir einmal ein Gedicht von Gerald Manley Hopkins, einem bekannten englischen Dichter, der bekennender Christ war. Dieses Gedicht ist eine Umschreibung des 90. Psalms, des Todespsalms. Ihr Professor war über diese Interpretation sehr überrascht – er hatte keine Ahnung vom biblischen Hintergrund. Warum lassen wir Kulturgut mißbraucht werden von säkularen Menschen, als ob diese große Kunst nicht christliche Kunst wäre?

Unser Sohn hatte einen Lehrer, der redete über die Bibel als vom größten aller Bücher. Die Bibel ist für ihn ein Buch wie die Werke Shakespeares oder Tolstois, – aber nicht Gottes Wort. Das sind Kultur-Christen, und das ist kein Weg. Da liegt eine große Gefahr. Das verschweige ich nicht. Im Umgang mit Kulturgeschichte soll man von vornherein die Grenze zu dieser Problematik sehen. Der Glaube an Kultur kann uns von Christus wegbringen, wie es bei vielen Menschen geschehen ist. So war auch Bultmann ein Kultur-Christ, und das hat vielleicht zu seiner diesseitigen Theologie geführt.

Solche Gefahren sind aber kein Grund, sich nicht mit großer Kunst zu beschäftigen, die wahre Verkündigung sein kann. Wir müssen lernen, die Geister zu unterscheiden. Das war immer ein Problem in gläubigen Kreisen.
Die Möglichkeiten, die christliche Kultur uns für die Verkündigung bietet, sind groß und vielfältig. Zinzendorf ist nicht der einzige, dem durch die Kunst der Weg zum Wort Gottes gewiesen wurde. Unter gläubigen Christen herrscht jedoch eine weitverbreitete Kultur-Ignoranz. Man kann über einen Schriftsteller wie Dostojewski sagen hören, daß man seine Bücher nicht lesen darf. Oder Mozart darf man nicht hören, weil er Freimaurer war. Solche Aussagen sind unqualifiziert. Mozart war zwar Freimaurer – und ich muß Freimaurerei ablehnen – , aber seine großartige Musik hat nicht im geringsten etwas mit seinem Freimaurertum zu tun. Das größte geistliche Werk Mozarts ist seine c-Moll-Messe, für deren Komposition er sich die h-Moll-Messe von J.S. Bach zum Vorbild genommen hat. Mozart hat Bachs Werke gekannt. Alfred Einstein, der Bruder des Physikers, ein großer Musikwissenschaftler, hat das dokumentiert. Gerade in der Entstehungszeit der Werke, die im Köchelverzeichnis unter den Nummern 390 – 430 erfaßt sind, war Mozart ganz und gar von Bach geprägt. Besonders in dieser Phase hat die Freimaurerei in Bezug zu seiner geistlichen Entwicklung in der Musik nicht die geringste Bedeutung. Pauschalablehnung wäre hier nicht angebracht.

Oder denken wir an Dostojewski. Er war als Epileptiker sehr krank, aber auch der Spielleidenschaft verfallen; das ist unzweifelhaft so, denn er hat es selbst beschrieben. Sein großer Roman »Die Brüder Karamasoff« ist eine Studie über drei Menschentypen – den Sinnlichen, den Intellektuellen und den Christen. Der Sinnliche, Fjodor, endet in Selbstzerstörung durch seine Sinnlichkeit. Der Intellektuelle, Iwan, ist ständig im Streit mit dem echten Christen, und er bricht geistig zusammen. Und der wahre Christ, Aljoscha, wächst und wächst in seiner Persönlichkeit durch Christus.

Dieses Thema hat Hemingway aufgegriffen in seinem Buch »A Farewell to Arms« (»In einem andern Land«). Er beschreibt zwei zentrale Typen: einen einfachen Priester, der aus dem Gebirge kommt, und einen gerissenen, intellektuellen Arzt, der mit diesem Priester zynisch umgeht. Beide kommen im Ersten Weltkrieg an die Front. Der Arzt bricht zusammen, und der Priester wächst in seiner Persönlichkeit durch seinen Glauben. Man könnte eine Doktorarbeit über das Thema schreiben: Der Intellektuelle im Gegenüber zum wahren, geistlichen, gläubigen Christen in der abendländischen Literatur.

Dostojewskis Gottesverständnis ist bemerkenswert, denn es enthält eine gewisse biblische Wahrheit: Auch große, heilige Menschen sind große Sünder. Denken wir an Mose, den Totschläger, an David, den Ehebrecher und Mörder, an Maria Magdalena, aus der Jesus sieben böse Geister vertrieb, darunter vielleicht auch den Hurengeist, oder an Saulus, den Mörder, der auf dem Weg zum Massenmörder war . . .

Auch Luther steht in dieser Reihe großer Gläubiger, die auch große Sünde auf sich luden; es ist erschütternd, was er in seiner Schrift »Die Juden und ihre Lügen« über die Juden gesagt hat. Aber wir brauchen das nicht zur Theologie zu machen. Denn schon beim aufmerksamen Lesen der Bergpredigt merken wir, was für schuldige und sündige Menschen wir alle sind in Gottes Augen. Denn nach der Bergpredigt Jesu ist jeder, der je gehaßt hat, in Gottes Augen ein Mörder im Geist; und wer je begehrt hat außer der Ehe, ist in Gottes Augen ein Ehebrecher. Dostojewski listet in seinem Werk solches auf und steht damit nicht weit außerhalb biblischer Aussagen über uns Menschen.

Tolstoi hat eine absolut falsche Theologie entwickelt. Er ist der Vater der Friedensbewegung. Denn in seinen späten Werken kam er zu dem Standpunkt, daß die Bergpredigt menschlich erfüllt werden müsse. Das ist aber unhaltbar, denn die Bergpredigt verlangt Vollkommenheit, wenn Jesus in ihr zentral fordert: »Ihr müßt vollkommen sein wie Gott.«
Tolstoi entwickelt in seinen späten Werken eine merkwürdige Theologie: »Das Reich Gottes ist in uns«, und in noch späteren Kleinschriften argumentiert er: »Wir müssen selbst Frieden auf Erden schaffen, wir sind die Friedensstifter, wir müssen die Bergpredigt selbst erfüllen.« Er versteigt sich zu der Behauptung, sexuelles Verlangen nach seiner eigenen Frau sei Sünde. Auch in seinen frühen Schriften läßt sich eine erstaunliche Tiefe christlich geprägten Denkens aufzeigen. In »Krieg und Frieden« zum Beispiel gibt es eine Stelle, die mich gefesselt hat, bevor ich gläubig wurde. Sie ist eine Selbstdarstellung Tolstois: Pierre kommt aus der Gefangenschaft unter Napoleon nach Hause zurück und findet zum Glauben an Jesus Christus. Tolstoi läßt Pierre sagen: »Es gibt drei Dinge im Leben, die zentral sind: Ich will wissen, was das ist, zu beten, wenn man wirklich glaubt. Ich will wissen, was das ist, zu lieben und geliebt zu werden. Und ich will wissen, was große Kunst eigentlich beinhaltet im Sinn unseres Schöpfers.« Diese zentrale Aussage hat mich außerordentlich betroffen gemacht, als ich noch nicht gläubig war.

In Tolstois »Tod des Iwan Iljitsch« erleben wir einen Mann, einen Erfolgsmenschen, im Sterben; er ist ein bedeutender Jurist, und alle denken nur daran, seine Stelle zu bekommen. Aber er hat eine problematische Ehe – seine Frau ist ein Püppchen und redet entsprechend mit ihm; darüber ist er verärgert. Familiär hat er nur eine Beziehung, die ihm etwas bedeutet, und das ist die zu seinem Sohn, der zu der Zeit ein Gymnasiast ist. In dieser Situation erlebt er plötzlich Umkehr, Buße, als ihm bewußt wird, daß sein ganzes Leben sinnlos ist. Er erlebt den Weg einer »Auferstehung« zu einem Neuanfang. Diese Aussage hat mich tiefbewegt, als ich auf dem Weg war, Christ zu werden. Als dritten seiner großen Romane hat Tolstoi noch ein Buch geschrieben mit dem Titel »Auferstehung«. Darin wird ein reicher, angesehener Richter mit einer Dirne konfrontiert, die alles Mögliche hinter sich hat. Und er merkt plötzlich: Dieses Mädchen habe ich verführt, als sie 17 Jahre alt war. Ich habe sie auf diese Wege gebracht. Das Leben dieses Mannes wird zutiefst erschüttert. Er soll sie richten, hat sie aber selbst auf diesen Weg gebracht. Er geht dann mit ihr in die Verbannung, zu der er sie dem bestehenden Recht nach verurteilen muß, obwohl er weiß und merkt, daß sie nichts für ihn übrig hat; trotzdem geht er mit ihr. In dieser Handlung steckt tief verborgen eine christliche Aussage.

Solche Literatur birgt wichtige Dokumente; sie öffnen Wege, auf denen Menschen wie David Jaffin zum Glauben geführt werden können. Und wenn diesen, warum dann nicht auch viele andere, die sich mit Kultur beschäftigen? Wenn wir aber kulturfeindlich, desinteressiert sind, verbauen wir uns den Zugang zu diesen Menschen.

Es gibt Menschen, die sich mit Kultur beschäftigen und denen dadurch der Weg zu Jesus geöffnet wurde. Ich denke da an einen jungen, einflußreichen französischen Schriftsteller, der einige meiner Gedichte hörte, die in Paris über Radio France vorgelesen wurden. Daraufhin schrieb er mir einen Brief, in dem ich las: »Sie sind Geistlicher. Ich bin kein gläubiger Mensch. Aber ich muß ehrlich gestehen: Wenn ich meine Lyrik erkläre, kann ich nur den Wortschatz der Metaphysik und vor allem den des Glaubens benutzen.« Solch eine Erkenntnis kann zu einem guten Anfang eines persönlichen Glaubens werden. Viele Möglichkeiten werden verschlossen bleiben, wenn wir mit Menschen ins Gespräch kommen und sie sofort merken, daß wir von ihrem Denkhintergrund keine Ahnung haben. Da fallen Türen ins Schloß. Mit solchen Menschen will man dann nichts zu tun haben. Aber so sollte es nicht sein, denn Jesus ist für jeden da, auch für Gebildete und Kulturkenner – nicht nur für Fischer.

Wie ist unser Verhältnis zum Theater?
Augustin
war sicherlich einer der größten Kirchenväter und mit Luther und Calvin einer der größten Theologen. Augustin sagte: »Theater ist übel.« Damit hat er eine durchgreifende pietistische Tradition begründet. Die Theater wurden durch die Puritaner 1642 in England geschlossen, als Reaktion auf ein damals frivoles Theater. Augustins Verständnis von Theater basierte nicht auf dem großen griechischen Theater, von dem wir viel lernen können, sondern auf dem frivolen und gewalttätigen römischen Theater seiner Zeit, das durch und durch heidnisch war und von Übel für jeden Christen. So war es auch, als die Theater in England geschlossen wurden. Nicht Shakespeare war die Ursache – von dem wir viel lernen können – , sondern die frivolen Dramen jener Zeit. Damit brauchen wir allerdings nichts zu tun haben als Christen. Aber das bedeutet doch nicht, daß Theater geschlossen werden sollten, in denen Shakespeare aufgeführt wird oder auch Strindberg, ein wenn auch merkwürdiger Christ, aber seine Verkündigung über Paulus in dem Werk »Auf dem Weg nach Damaskus« ist sehr interessant. Auch er hat mich beeinflußt, als ich siebzehn, achtzehn Jahre alt war. Gewiß, er hatte ein sehr schwieriges Leben geführt, ging merkwürdige Wege, aber er bekennt sich zu Jesus als seinen Heiland und seinen Erlöser. Es gibt bewußte Christen unter den Dramatikern, z.B. Paul Claudel und Thornton Wilder und andere.

Der Grundgedanke wahren Theaters ist es, den Menschen zu entblößen. Im griechischen Theater trägt jeder eine Maske, denn der Mensch ist ein Heuchler. Das griechische Wort für Schauspieler ist verwandt mit dem Wort für »Heuchler«. So ist die Zielsetzung der großen Dramatiker, die Menschen zu entblößen und zu zeigen, wie sie wirklich sind. Die größten Dramatiker, Sophokles und Shakespeare, entblößen wie kein anderer. Aber, ist das nicht auch ein zentraler Teil der Predigt? Ist der Prediger nicht da, um die Menschen zu entblößen in ihrer Heuchelei, in ihrer Selbsttäuschung in Bezug zu Schuld und Sünde und zum Tod? Gewiß, das ist nur der erste Schritt. Nachdem der Mensch entblößt ist, muß er überdeckt werden mit Jesu Kreuzesblut. Aber die Reihenfolge ist sehr wichtig. Shakespeare und Sophokles fordern heraus, ehrlich mit uns selbst zu sein. Jesus sagt, wir müssen den Balken aus unserem eigenen Auge entfernen.

Goethe verkehrte als junger Mann in pietistischen Kreisen und schrieb unter diesem Einfluß seinen »Urfaust«, in dem man Verkündigung entdecken kann. Manche sagen, Goethes Auffassung von Glauben ist anders als unsere. Das ist richtig. Aber der Glaube hat den jungen Goethe bewegt.

Es gibt ein noch radikaleres Beispiel: Friedrich Nietzsche, der Gottesspötter sondergleichen des 19. Jahrhunderts. Mit 18 Jahren schrieb Nietzsche mit »Der unbekannte Gott« eines der großartigsten religiösen Gedichte in der deutschen Literatur. Aber Nietzsche nicht zu zitieren, weil er ein Gottesspötter ohnegleichen war, ist sicher zu weit gegriffen, besonders wenn er nach dem Schreiben dieses Gedichtes vom Glauben weggekommen ist. Wir wollen von dem Werk ausgehen und nicht von dem Menschen. Das ist eine sehr zentrale Aussage. Es gibt großartige Werke von Mozart, die überhaupt nichts mit Freimaurertum zu tun haben.
Es gibt großartige Verkündigung von Tolstoi und Dostojewski, die überhaupt nichts mit ihrer Theologie zu tun haben. Und es gibt sogar Glaubensaussagen von Goethe und Nietzsche, so daß wir sie nicht mit ihrem ganzen Denken verwerfen müssen.

Es gibt katholisch und evangelisch geprägte Kultur. Das beobachte ich, auch ohne kirchlicher Ökumeniker zu sein. Ich bin in meiner theologischen Auffassung durch und durch evangelisch: allein Jesus Christus, allein die Heilige Schrift, allein durch Gottes Gnade aus Glauben. Das gilt in meiner Theologie, aber nicht immer in meinem Kulturverständnis.
Viele der größten christlichen Maler waren katholisch, aber sie waren zum guten Teil biblisch in ihren Bildern. Denken wir an Leonardo da Vincis »Das letzte Abendmahl«. Auf diesem Bild ist alles biblisch, genauso wie in der Darstellung des Abendmahls von Tilman Riemenschneider. Im Louvre in Paris wird das berühmte Bild von da Vinci gezeigt, auf dem der Künstler Jesus als Säugling darstellt; was um das Kind vor sich geht, interessiert es nicht, nur das Lämmchen neben sich. Das ist ganz und gar evangeliumsgemäß: Von Anfang an denkt Jesus an das »Lamm, das der Welt Sünde hinweg trägt«, an sein Kreuz. Das ist keine untypische katholische Darstellung. Es ist eine wunderbare Verkündigung.

Ein ganz anderes Gebiet biblisch orientierter Kunst bringt die russische Ikonen-Malerei, vor allem die Nowgorod-Schule und die Moskau-Schule des 15. Jahrhunderts. Die Voraussetzung für diese Maler war: Sie mußten sich in die Schrift vertiefen, bevor sie malten.
In der Reihe der größten religiösen Maler würde ich Giovanni Bellini im gleichen Atemzug mit Rembrandt nennen. Dürer gilt als evangelisch – aber Giovanni Bellini hat ihm geholfen, zu einem großen Maler zu werden. In Wien begegnete Dürer neben Mantegna besonders Bellini, der einen starken Einfluß auf ihn ausübte. Ich stieß auf diesen Zusammenhang während einer Reise nach Venedig, die unter dem Leitwort stand »Kunst als Verkündigung«. Wir waren dort die ganze Zeit mit Bellini beschäftigt, und es wurde uns deutlich, wie häufig Bellini Jesus als Kleinkind mit seiner Mutter darstellt, wie auch Cranach. Das ist ein Thema für beide großen christlichen Konfessionen. Auf fast allen Bildern sieht man Jesus mit dem Gesicht eines Erwachsenen. Das bedeutet: Jesus ist geboren, um zu sterben. Öfters erkennt man auch das Zeichen seines Kreuzes.
Grünewald hatte dafür wohl das tiefste Verständnis und malte bei der Darstellung der Geburt Jesu am Isenheimer Altar die Windeln genauso zerrissen wie das zerrissene Leintuch am Kreuz – er ist geboren, um zu sterben.

Dies ist Verkündigung in tiefer Erkenntnis. Wer Augen hat zu sehen, der sehe. Das Bild Bellinis, in dem die Verkündigung am tiefsten zum Ausdruck kommt und in dem auch die Innigkeit des klaren, klassischen Ausdrucks spürbar wird, ist ein Bild, bei dem unten auf dem Holzrahmen der Name Giovanni Bellini geschrieben steht, und der dargestellte Jesus ist gerade im Begriff, mit seinem Fuß auf diesen Namen auf dem Holzrahmen zu treten. Was bedeutet das? »Einer wird kommen, dem Satan den Kopf zu zertreten« (1. Mose 3,15b). Bellini will zum Ausdruck bringen: Er zertritt meinen Namen, denn der Satan lebt in mir. Das ist außerordentlich tiefe Erkenntnis in dieser Art Verkündigung! Wer Augen hat zu sehen, der sehe. Und Bellini war Katholik, sein Anliegen aber ist durchaus biblisch. Freilich gibt es von ihm auch Bilder, die man nur in ihrem künstlerischen Wert betrachten kann, deren Theologie das Biblische vermissen läßt, z.B. »Die Himmelfahrt Maria«. Hier sind trotz eines großartigen Kunstwerks Grenzen der Verkündigung überschritten.

Auch in der Musik gibt es Themen, die wir als schöne Musik bezeichnen können, deren theologische Aussage wir aber verneinen müssen, z.B. das »Ave Maria«. Da sind Grenzüberschreitungen. Doch weil jemand Katholik ist, bedeutet das nicht, daß seine Verkündigung unbiblisch ist. Denken wir nur an die Messen Haydns, eines der größten aller religiösen Komponisten – welch ein Tiefgang! Zum Beispiel die Mariazeller Messe: Das ist absolut biblisch, denn im Zentrum liegt die Betonung auf dem Kreuz.

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Es gibt große Kunstwerke, die ohne christliche Thematik trotzdem christliche Kunstwerke sind. Ich denke da aus der bildenden Kunst an Jakob van Ruisdael, einen der größten Landschaftsmaler aller Zeiten. Vielleicht kann man im gleichen Atemzug mit ihm nur die Donauschule, Altdorfer und Cranach, nennen oder Caspar David Friedrich. Jakob van Ruisdael ist Zeitgenosse Rembrandts, und er arbeitete in einer großen Glaubensepoche. Fast alle seine Bilder unterschreibt er nicht mit seinem Namen, sondern mit einem abgesägten Baum. Er will damit zum Ausdruck bringen: Ich bin ein verlorener Mensch, dem Tod geweiht.

Ich habe einen Freund, ein wirklicher Bruder im Glauben, der meine Lyrik gut kennt. Er meinte einmal: »David, deine besten religiösen Gedichte sind die, die kein religiöses Thema haben. Wenn du die innere Stille in der Schöpfung beschreibst, gehst du in eine metaphysische Welt, die direkt mit deiner Religiosität zu tun hat.« Das ist etwas ganz anderes als die katholische Mystik, die den Versuch unternimmt, sich mit Gott zu vereinigen. Solches Bemühen ist evangelischer Verkündigung entgegengesetzt. Der junge Luther – das zu wissen, ist sehr wichtig – stellt sich immer wieder bewußt unter das Kreuz zu Jesu Füßen und bezeugt damit: Ich bin ein verlorener Mensch, der Sünde und dem Tod verfallen, aber du, Herr, bist mein Heiland und Erlöser. Die Kreuzesmystik Luthers ist, sich total zu erniedrigen in der Erkenntnis, daß ich ein gefallener, verlorener Mensch bin – ich bin nicht würdig, die Riemen deiner Schuhe zu lösen, im Staub vor dir zu stehen.

Wenn ich mich ausruhen möchte, um neue Kraft zu schöpfen, tue ich das häufig, indem ich mich hinlege, an gar nichts denke, aber einem langsamen Satz aus einem Streichquartett von Haydn zuhöre. Eine innere Stille geht von solch einem Stück aus – »sei nur stille zu Gott, meine Seele«. Haydn hat immer gebetet, bevor er seine Werke schrieb. Jedes seiner großen Werke unterzeichnete er mit »in nomine domini«, im Namen des Herrn. Darunter sind auch Werke ohne christlichen Inhalt.

Es gibt eine ganze Entwicklung in der Musik, die man in den gebetsartig langsamen Sätzen beobachten kann – auch bei Bruckner und in den Beethoven-Quartetten, innige Sätze, bei denen sich der Künstler offensichtlich bewußt ist, daß er in musikalischer Sprache ohne Worte betet. Es gibt auch sonst wortlose Gebete, Gebete unter dem Zeichen von Gottes Heil, in der Erniedrigung des Bewußtseins: Ich bin im Staub vor Christus, er soll mich füllen mit seiner Kraft – das ist Beten ohne Worte. So bekomme ich große geistliche Kraft auch im Hören von Haydns langsamen Sätzen.
Der Höhepunkt in der Kammermusik-Literatur ist für mich der langsame Satz von Opus 76, Nr. 5, von Haydn. Das läßt sich einfach nicht überbieten in seiner tiefen Innerlichkeit. Es ist Verkündigung ohne christliches Thema – aber von einem bewußt als Christ lebenden Künstler. Luther sagt: »Unser ganzes Leben soll ein Gottesdienst sein.«

Ein Beispiel aus der bildenden Kunst veranschaulicht das, was ich hier meine: Vergleichen wir Rembrandt und Rubens. Rubens kann religiöse Themen malen, aber er malt sie fast immer im weltlichen Geist. Es gibt ein berühmtes Kreuzigungsbild von Rubens. Die Körperlichkeit der Gliedmaßen steht im Vordergrund, Muskeln, Knochen – er malt Körper. Wenn er ein Kreuzigungsbild malt, interessiert ihn überhaupt nicht die religiöse Thematik, nur der geschundene Körper. Er ist ein »fleischlicher« Maler. Aber Rembrandt kann ein Rind malen, und es wird ein geistliches Bild. Im Louvre ist sein Bild ausgestellt »Der geschlachtete Ochse«. Das ist Darstellung einer Opferung.

Luther war es wichtig: Bei einem wahren Christen – das war Rembrandt – ist sein ganzes Werk Gottesdienst. Rembrandt ist sich dessen bewußt, während man bei anderer innerer Haltung christliche Themen malen kann – wie Rubens – , wo die Kunst im »Fleischlichen« steckenbleibt.
Auch Rembrandts Selbstbildnisse sind christliche Zeugnisse. Wie kann man sich selbst – nicht Jesus – malen als christliches Zeugnis? Rembrandt hat sein ganzes Leben lang, vom jungen Mann bis ins hohe Alter, Selbstbildnisse gemalt. Auf den ersten Bildern malt er sich mit besonderem orientalischem Schmuck, etwas apart, das junge Genie, das zeigen kann, daß er etwas Besonderes ist. Auf den späteren Bildern malt er sich entblößt von alldem Beiwerk, keine Schönheit, aber erkennbar in körperlichem Verfall. Warum malt er sich? Weil Rembrandt weiß, daß er nicht wissen kann, wer er ist, denn der Mensch ändert sich von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Jede Sicht von mir selbst ist verzerrt (das ist auch ein zentrales Thema meiner Lyrik). Rembrandt versucht, sich so ehrlich wie möglich festzuhalten, und er malte sich zwei Wochen später wieder, weil er anders geworden war. Paulus hat dieses Thema in 1. Korinther 13 zentral behandelt: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort, aber dann von Angesicht zu Angesicht.«
Ich werde mich nur erkennen, indem ich von Christus erkannt bin. Nur Gott kann mir zeigen, wer ich bin. Das Wissen durchdringt und bestimmt auch Rembrandts Malerei, die Unfähigkeit des Menschen, sich selbst zu bestimmen. Und wo führt das hin? In dieser Entblößung gibt es immer einen Lichtschimmer. Das Licht/Dunkel in Rembrandts Gemälden ist keine Methode, es ist Inhalt. Dieser Lichtschimmer ist sein Glaube, er weiß: Jesus ist das Licht der Welt. In seinen religiösen Bildern hat er immer wieder dieses Licht gemalt, deshalb kann man aus dem gesamten Schaffen Rembrandts deutlich erkennen, worum es sich bei diesem Licht handelt. Wenn man erkennt, daß dieselbe Art von Licht von ihm in bezug zu Jesus benutzt wird wie auch in seinen Selbstbildnissen, dieses durch schimmernde Licht, dann meint er damit: Jesus ist der, der mich bestimmen kann; er ist der, der mich durchleuchten kann; er ist der, der mich aus der Dunkelheit der Sünde herausholen kann. Überall finden wir bei Rembrandt diese Symbolik, auch wo das Bild kein christliches Thema hat. Das Wesen geistlicher Malerei wird also nicht von ihrer Thematik bestimmt. Die Thematik ist nicht der einzige Maßstab dafür, was christlich ist. Es ist ein Maßstab, aber es ist nicht ein unbeirrbarer Maßstab. Das zu erkennen ist wichtig.

Ich möchte noch etwas über den großen englischen Dramatiker William Shakespeare sagen und zeigen, wie er biblische Themen benutzt, die einen Menschen zum Nachdenken bringen können. Shakespeare kannte die Bibel und ließ ihre Aussagen in seinen Werken immer wieder aufleuchten. Da berichtet die Bibel die Begegnung des Auferstandenen mit Maria Magdalena. Maria hält Jesus für den Gärtner, denn sie sucht ihn in seinem gekreuzigten Leib. In ihrer Trauer steht ihr der Leichnam Jesu vor Augen. Deshalb spricht sie den Unbekannten, der da plötzlich hinter ihr steht, als Gärtner an. Aber sie findet den Auferstandenen. Das ist die Aussage aller Erscheinungen des Auferstandenen: Wer den Gekreuzigten sucht, auch wie ein Thomas, der ihn als Beweis betasten will, der wird dem Auferstandenen begegnen. Wir leben in Kreuzesnachfolge, nicht in Auferstandenen-Nachfolge. Aber als Maria Magdalena ihm begegnet, verkennt sie ihn und wähnt, er sei ein Gärtner. Sie meint freilich einen normalen Gärtner, der da kommt, um zu arbeiten. Aber Jesus ist der Gärtner, und gerade das ist die Thematik. Er herrscht über zwei Gärten, den Garten der Tränen, den Garten Gethsemane. Sie selbst befindet sich noch in diesem Garten, sie ist wie aufgelöst in Tränen. Grünewald und Cranach malen Maria Magdalena so, daß ihr ganzes Haar mittränt, mitweint, ihre Kleider, ihr ganzer Körper weinen mit ihr, sie ist in Tränen verwandelt – sie ist im Garten Gethsemane.
Aber Jesus ist auch der Gärtner des Paradieses.
Es gibt eine ganze Tradition in der Malerei, Claude Lorrain zum Beispiel, im 17. Jahrhundert, der auch Caspar David Friedrich beeinflußt hat, in der Jesus als Gärtner gemalt wird.

Shakespeare nun hat dieses Thema in sein tiefstes poetisches Werk übernommen, »Richard II.« Dieses Drama ist als Theaterstück schwer aufzuführen. Aber wenn man es liest, empfindet man es als sein größtes Werk – großartige Lyrik! Shakespeares Thema ist darin der von Gott eingesetzte, gerechte König, der Gärtner ist seines Reiches. Das ist kein Zufall, sondern Shakespeare hat die Begegnung der Maria Magdalena mit Jesus vor Augen – auch wenn das von der weltlichen Literaturwissenschaft völlig verkannt wird.

Auch in Shakespeares »Macbeth« leuchtet sein Glaubenswissen durch. Neben Kleists »Michael Kohlhaas« und Melvilles »Moby Dick« ist »Macbeth« wohl das tiefste Werk über das Metaphyisch-Böse. Lady Macbeth und ihr Mann haben den gerechten, eingesetzten König umgebracht. Und jeden Abend wandelt sie im Schlaf und ruft: »Ich will meine Hände waschen vom Blut – ich will meine Hände waschen vom Blut.« Das erinnert sofort an Pontius Pilatus: »Ich wasche meine Hände in Unschuld« – vom Blut dieses Gerechten. Er will es, aber er kann es nicht; er hätte Jesus ja freilassen können, wenn er gewollt hätte. So knüpft Shakespeare mit seiner Lady Macbeth an diesem biblischen Gechehen an – das ist kein Zufall.

Noch ein Beispiel aus Shakespeares »Henry IV.«. Wohin geht der wahre, gute König als Vorbereitung, um König zu werden? Ins Armenviertel, und er lebt dort unter Verbrechern, zwischen Leuten, die zuviel trinken, und bei Huren. Aber er lebt nicht wie sie, sondern er lebt unter ihnen. Das ist ein gesamtbiblisches Thema von David bis zu Jesus hin. Als David von Saul verfolgt wird, kommen alle möglichen Menschen, zu ihm, nicht alle sind redliche Leute. Und Jesus hält später Tischgemeinschaft mit den Ausgestoßenen, mit Zöllnern und Verbrechern, und mit seinen Jüngern – der wahre König ist mit seinem Angebot für alle da.

Shakespeare übernimmt dieses Thema. Ein Christ, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der erkennt das. Shakespeares »King Lear« wurde fast immer christologisch verstanden; ein Franzose erklärt »Hamlet«, daß dieser unfähig ist zu töten, weil er Christ ist und weiß, daß er sich nicht rächen darf an seinen Feinden. Das führt zu seinem Untergang als Mensch. Der grundlegende Konflikt in ihm ist der Begriff der Ehre – als Heide – gegenüber dem »Du sollst deine Feinde lieben« – als Christ. Das ist eine tiefe Auslegung von Shakespeares Hamlet.

Kultur hat aber auch ihre gefährlichen Seiten. Viel modernes Theater ist blasphemisch. Ich empfehle nie, ins Theater zu gehen, ohne sich vorher ausreichend darüber informiert zu haben, was gespielt wird und wie es gespielt wird. Man kann üble Erfahrungen machen, wie ein an sich gutes Stück von modernen Theatergruppen und ihrer Regie zur Hurerei gemacht werden kann. Auch in der Musik gibt es Entgleisungen. So ist die 9. Symphonie von Beethoven, auch nach der Kritik vieler Musikwissenschaftler, in ihrem letzten Satz viel zu lang und absolut überschwenglich. Den vorausgehenden großartigen Instrumentalsätzen folgt eine Verkündigung im Schlußchor, die rein humanistisches Gedankengut ist: Alle Menschen sind Brüder; wir werden alle einander umarmen. Auch der Geist dieser Musik ist humanistisch.

Auch gibt es verblendete Komponisten wie Wagner. Er war ein massiver Antisemit. Deshalb muß seine Musik nicht antisemitisch sein. Aber in seinem Musikstil war er ein teutonischer Komponist. Deshalb wurde Wagner im Dritten Reich von Hitler benutzt. »Die Meistersinger«, das vielleicht auch noch neben »Tristan« und »Parsival« beste Stück Wagners, habe ich in Nürnberg erlebt, in der Stadt von Hitlers großen Parteitagen. Zunächst war ich eingenommen von der Musik, bis mich im Schlußsatz das Gefühl überfiel, ich sei im Dritten Reich. Plötzlich überkam mich Angst, ich war in Schweiß gebadet, denn ich spürte den Geist dieser Musik. Wagner zeigt in seinen Werken immer wieder den Typus des Juden und den des Deutschen. Darin ist er sehr gefährlich. Eine Aufführung von Wagners Werken wird in Israel nicht erlaubt. Das ist mir verständlich, aber daß in Israel auch Richard Strauß verboten ist, verstehe ich nicht, wenn ich persönlich auch seinen Musikstil nicht mag. Seine Musik hat keinen nazistischen Geist. Hier muß man einen Unterschied machen. Übel war jedoch, daß er sich propagandistisch von Hitler benutzen ließ.

Musik kann arg mißbraucht werden: Bruckners Sinfonien haben einen außerordentlich tiefen Geist, besonders seine Siebte. Der langsame Satz seiner Siebten Sinfonie ist einer der hohen Gipfel der sinfonischen Musik überhaupt. Er steht damit in einer Tradition, die zurückgeht zu Haydns langsamen Sätzen und zu den langsamen Sätzen in Beethovens Streichquartetten. Doch diese Musik wurde über alle deutschen Radiosender gespielt, als Hitlers Tod bekannt wurde: Heldenmusik für unseren Führer… Ich habe einen Juden getroffen, der nach Deutschland kam und sagte, er könne Bruckner deshalb nicht hören. Aber das ist kein Argument. Bruckner hat Hitler noch nicht kennen können. Er war ein frommer katholischer Christ. Es ist bedauerlich, daß seine Musik mißbraucht wurde. So etwas dürfen wir nicht zulassen, denn seine Musik ist im Grunde tief religiös.

Auch muß dringend gewarnt werden vor der Pornographie in der Kunst. Und Vorsicht vor Heavy metal und Satanischem! In meiner Kirche erlaubte ich alles, was christlich ist. Das bedeutet nicht unbedingt, daß ich alles Dargebotene als große Musik betrachtete. Aber wenn die Jugend modern-rhythmische Musik mag und echte christliche Verkündigung damit verbunden ist – gut. Aber noch besser ist, wenn die Musik tiefe christliche Verkündi gung bietet und wir die Jugend dafür gewinnen können, denn ihr Glaube kann dadurch vertieft werden, so wie es mir zum Beispiel bei den wunderbaren Vertonungen der Psalmen durch Mendelssohn-Bartholdy geht.

Doch ich möchte nicht mit Apologetik schließen, mit Warnungen und Grenzziehungen, sondern von einer Entdeckung berichten. Ich kaufe gerne Musik auf Platten oder CDs, um zu lernen. So entdeckte ich einen interessanten Komponisten mit Namen Homilius. Er war ein Schüler Johann Sebastian Bachs. Er stammt aus einem frommen Pfarrhaus und war auch selbst fromm. Homilius ist 1714 im gleichen Jahr geboren wie Gluck und Carl Philipp Emanuel Bach und ging den Weg der großen Komponisten seiner Zeit. Er hat mehr Kantaten geschrieben als Bach und wunderbare geistliche Motetten – aber er ist weitgehend unbekannt. Es gibt nur eine einzige Platte mit einer Auswahl seiner Werke – Motetten von Homilius. Das ist großartige Verkündigung, zum Beispiel seine Vertonung des 23. Psalms: »Mir wird nichts mangeln« – dreimal wiederholt! Dieser Psalm gewann existenzielle Bedeutung für ihn. Er hat ein Passionsoratorium zu einem faszinierenden Thema geschrieben: »Sie gingen alle in die Irre.« Niemand kam auf solch einen Gedanken, auch Bach nicht. Ich kenne nur 12 Motetten von ihm, aber sie zeigen, daß er ein zentraler religiöser Komponist seiner Zeit war. Er steht in der besten A-capella-Tradition, die zurückgeht auf Schütz und auf Scheins »Israels Brünnlein«, eines der großen alten Meisterwerke.

Aber noch viel wichtiger als die Wiederentdeckung von Homilius ist Bachs früher Zeitgenosse und großartiger böhmischer Barock-Komponist, Jan Dismas Zelenka. Heinz Holliger, der weltberühmte Oboist stellt fest: »Seine Musik steht wie die Bachs über der Zeit.« Es ist nicht zu bezweifeln, daß dieser eigenwillige Zelenka mit Bach, Händel und Corelli zu den wirklich großen Meistern des Hochbarock gehört, und bis vor zwanzig Jahren war gerade dieser Zelenka völlig unbekannt. Dazu sind unter anderem seine Triosonaten, seine »Missa Votiva« und »Missa dei patris« und sein Te Deum in D-Dur große musikalische und religiöse Erlebnisse.

Allein schon die Andeutungen in dieser Einführung in christliche Kultur lassen den Schluß zu: Wenn wir uns nicht mit der großen Kultur und ihren christlichen Wurzeln beschäftigen, schneiden wir uns von vornherein von einem Teil größter Verkündigungsmöglichkeiten ab. Wir schneiden uns ab von Künstlern wie Rembrandt, Grünewald, Bellini, Haydn, Tolstoi, Shakespeare und anderen, die in ihren Werken einen außerordentlich geistlichen Tiefgang haben. Diese Künstler haben manchmal Zusammenhänge erkannt, die Theologen nicht gesehen haben.
Zum anderen gibt es ganz gewiß auch eine Gefahr in der großen Kunst: Man kann von ihr so fasziniert sein, daß man sich immer weniger mit der Bibel beschäftigt. Und das ist nicht gut.
Das Zentrum meiner Verkündigung ist und bleibt Gottes Wort, die Bibel.
Wir wollen nicht zu einer beflissenen Kulturchristenheit werden. Aber für mich ist die große christliche Kultur nicht nur eine Bereicherung, sondern auch eine Vertiefung meines Glaubens. Und wenn wir die Beschäftigung mit diesen Kunstwerken ausklammern, schließen wir damit die Möglichkeit aus, eine ganze Reihe von Menschen für ein Leben mit Jesus zu gewinnen, die in unsere Gemeinden vielleicht manche Bereicherung einbringen könnten. Jesus ist nicht nur für die Fischer gekommen, sondern auch für Paulus, der ein ungewöhnlich intelligenter und gebildeter Mensch war. Und Christus ist auch gekommen für Menschen mit einem starken Empfinden für Kunst und Kultur.

Eingestellt von Horst Koch, Herborn, im November 2023

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