Spiritistische Kommunikation (Hunt)

Dave Hunt

Spiritistische Kommunikation und Besessenheit

 

Jeglicher Versuch, irgendwie mit Geistern von Toten in Kontakt zu tre­ten, ist von Gott absolut untersagt (3Mo 19,31; 20,6.27; 5Mo 18,11).

Dennoch wurde dies seit Anbeginn der Zeit in allen Kulturkreisen prak­tiziert. Natürlich glaubte man auch, dass man sich zwecks Hilfesuche eben­falls an Götter und andere leitende Geister wenden könne.
Im Abendland zog der Spiritismus das Interesse vieler Prominenter auf sich; wie z. B. des Erzählers William Lloyd Garrison, der Autoren James Fenimore Cooper und William Cullen Bryant und des Journali­sten Horace Greeley. Für Königin Viktoria war es eine alltägliche Ge­wohnheit, Medien zu Rate zu ziehen. Thomas Edison verbrachte Jahre mit dem Versuch, ein elektrisches Mittel zur Kommunikation mit den Geistern Verstorbener zu entdecken. Das Ouijaboard wurde speziell für die Kommunikation mit den Geistern derer entwickelt, die im 1. Welt­krieg umgekommen waren.

Seancen und Medien

Im Weißen Haus wurden Seancen abgehalten, bei denen man Kontakt mit angeblichen körperlosen Wesen aufnahm, während Abraham Lin­coln – ein bekennender Christ – Präsident der Vereinigten Staaten war. Bei diesen Seancen sollen Lincoln und einige Kabinett-Mitglieder Zeu­gen machtvoller Manifestationen von Poltergeistern geworden sein, ein­schließlich der Levitation eines Konzertflügels.
MacKenzie King, Pre­mierminister von Kanada, praktizierte heimlich Totenbeschwörung und glaubte, er stünde in Kontakt mit seiner verstorbenen Mutter. Im Gegen­satz zu King sprachen der berühmte W. E. Gladstone und der erste Graf von Balfour, zwei englische Premierminister, ganz offen über ihre spiriti­stischen Auffassungen und wohnen häufig Seancen bei. Durch das Besu­chen spiritistischer Seancen mit seiner Frau Helen wurde Carl Rogers erst von der Realität der Geisterwelt überzeugt.

Viele angebliche Medien sind zweifellos Betrüger, wie bei Astrologen, Handlinien-Deutern, vermeintlich übersinnlich Begabten und Wahrsa­gerinnen der Fall. In dem Buch The Psychic Mafia (»Die Psycho-Mafia«) wurde nachgewiesen, dass es eine organisierte mediale Betrügerei gibt.
Der ehemalige Spiritist M. Lamar Keene bekannte, 13 Jahre lang Mit­glied eines US-weiten Netzes von 2000 falschen Medien gewesen zu sein, die mit Information über Klienten handelten und sich verschworen hat­ten, von unzähligen Menschen Millionen von Dollar zu erschwindeln. Er schreibt, dass in Camp Chesterfield im US-Bundesstaat Indiana umfang­reiche Karteien über »Gläubige« geführt werden, die als »Nabel des Welt­spiritismus« bekannt sind und von »Insider-Medien« herangezogen wer­den.

Es gibt jedoch unbestreitbares Beweismaterial dafür, dass Kommuni­kation mit Geistwesen tatsächlich stattfindet. Ruth Montgomery gehörte zu den bestbezahlten Journalistinnen ihrer Zeit, als sie von einem Her­ausgeber beauftragt wurde, das seltsame Phänomen der angeblichen Kommunikation mit Geistern von Verstorbenen zu untersuchen. Über­rascht sah sie sich mit mehr als genug Indizien konfrontiert, um ihre ge­schärfte journalistische Skepsis zu überwinden. Schließlich begannen »Geistwesen«, Bücher durch Montgomery zu schreiben und so wurde sie als »Heroldin des Neuen Zeitalters« bekannt.
Der Bischof der Episkopalkirche von Kalifornien, James Pike, ein ehemaliger Rechtsanwalt, hat die Bibel zum Großteil verworfen. Nach dem Selbstmord seines Sohnes war Pike überzeugt, dass er mittels des Londo­ner Mediums Enna Twigg Kontakt mit dem Geist seines Sohnes aufge­nommen habe. Pike überwand seine anfängliche Skepsis, als der Geist, der durch Twigg sprach, etliche Details aus dem Privatleben erwähnte, von denen nur er und sein Sohn wussten.

»Beweis« wofür?

Der bekannte Psychologe William James und der Professor James Hys­lop erlebten einen höchst ungewöhnlichen Fall. Hyslop befasste sich mit der Erforschung des Übersinnlichen und war ein Freund von Carl G.Jung. Hyslop und Jung waren gemeinsam zur Schlussfolgerung gekommen, dass »Geister« aus einer nichtphysischen Dimension der Realität zur Kom­munikation fähig seien. Hyslop und James kamen überein, dass derjeni­ge von ihnen, der als Erster sterben würde, versuchen solle, mit dem Überlebenden in Kontakt zu treten. James starb 1910. Hyslop lebte noch zehn weitere Jahre.

Einige Zeit nach James’ Tod erhielt Hyslop einen Brief von einem Ehepaar (von dem er zuvor nie gehört hatte) aus Irland (er war nie in diesem Land gewesen). Sie hatten mit einer Vorrichtung ähnlich einem Ouijaboard experimentiert und wurden von Botschaften vom Geist einer Person namens William James bombardiert, der sie aufforderte, einen Professor James Hyslop zu kontaktieren, von dem sie noch nie gehört hatten. Die übermittelte Botschaft lautete: »Erinnerst du dich an den roten Pyjama?« Das war ein offensichtlicher Hinweis auf eine gemeinsame Reise von Hyslop und James, bei der sie bei ihrer Ankunft in Paris ihr Gepäck vermißten. Sie gingen die notwendigsten Utensilien einkau­fen. Hyslop kaufte sich einen knallroten Schlafanzug, womit James ihn damals aufgezogen hatte.

Zunächst scheint es zwar so, dass nur der Geist von William James eine solche Botschaft übermittelt haben konnte, aber es gibt noch eine weitere Erklärungsmöglichkeit: Ein Dämon, der von dem Vorfall mit dem roten Pyjama wusste, konnte sehr wohl diese Nachricht senden, um den Glauben an die teuflische Lüge zu fördern, dass der Tod eine Illusion sei.

Bemerkenswerte Fälle wie diesen gibt es noch viele weitere.

Kontakt mit den Verstorbenen – oder mit Dämonen?

Der Theologe John Heaney fasst in seinem Buch eine Reihe überzeugen­der Fälle zusammen, zu denen auch die angebliche Kommunikation von Toten durch bekannte Medien zählen. Die Fälle, die auch nach ausführ­lichen wissenschaftlichen Untersuchungen nicht erklärt werden können, werden der so genannten »Super-ASW« zugeschrieben (ASW=Aussersinnliche Wahrnehmung). Diese erstaunli­che Begabung soll angeblich befähigen, jede mögliche Information von jedem Ort und zu jeder Zeit zu erhalten.

Als Katholik glaubt Heaney natürlich an die Kommunikation mit ver­storbenen »Heiligen« durch Gebet, und diese »Heiligen« (die römisch-­katholische Kirche spricht Menschen erst lange nach ihrem Tod »heilig«) erscheinen manchmal auf der Erde, um den Lebenden zu helfen. Heaney tut sein Bestes, um eine gewöhnliche Erklärung herauszufinden, aber er kann die Beteiligung von Geistwesen nicht ausschließen. Er schließt: »Außer echtem Kontakt mit den Toten gibt es keine konkurrierende Theo­rie [außer »Super-ASW«], die die Fakten erklären könnte.«

Kontakt mit Toten würde aber eigentlich nichts erklären – und gewiß nicht solche Fälle (und derer gibt es viele), bei denen von Geistern de­taillierte Informationen übermittelt wurden, die die intellektuelle Fähig­keit der verstorbenen Person bei weitem übersteigen. Doch gibt es einige Fälle derartiger scheinbarer Allwissenheit. Beim angeblichen Geist von »Tante Jane«, die eine einfältige Seele war, beweist die intelligente Be­schreibung quantenmechanischer Prozesse wohl kaum, dass es sich wirk­lich um Tante Jane handelte, die sich nach ihrem Abscheiden mitteilte, sondern vielmehr, dass es sich hier nicht um Tante Jane handeln konnte! Ebenso wenig ist es eine vernünftige Annahme, dass die Geister von To­ten nach dem Tod unbegrenztes Wissen haben sollten.

Die scheinbare Kommunikation mit angeblichen Totengeistern wird als Beweis für die Lüge der Schlange angesehen, dass der Tod nichts ist, wovor man sich zu fürchten braucht. Wenn ein angeblicher Totengeist seine Identität »bewiesen« hat, fährt er unweigerlich fort, in überzeugen­der Weise den Rest der Lügen zu präsentieren, mit der die Schlange einst Eva verführte.

Als Bischof Pike erst einmal davon überzeugt war, dass er wirklich mit dem Geist seines verstorbenen Sohnes Jim sprach, machte sich dieses Wesen daran, den christlichen Glauben zu entkräften. Der Geist sagte: »Glaube auf keinen Fall, dass Gott personifiziert werden könnte … er ist die zentrale Kraft.« Weiter erklärte er, dass Jesus nicht der Retter sei, sondern lediglich eines von vielen erleuchteten Wesen, die auf einer hö­heren Ebene existieren. Ganz ähnlich sagte das Wesen, das durch Helen Schucman das Buch Ein Kurs in Wundern diktierte: »Der Name Jesus Christus als solcher ist nur ein Symbol … für Liebe, die nicht von dieser Welt ist … ein Symbol, das man mit Sicherheit als Ersatz für die vielen Namen all der Götter verwenden kann, zu denen man betet … Dieser Kursus stammt von ihm.«

Wozu das biblische Verbot?

Damit ein Hereinfallen auf derartige Verführung verhindert wird, ver­bietet die Bibel jeglichen Versuch, mit Totengeistern Kontakt aufzuneh­men. Nicht weil ein solcher Kontakt möglich wäre, sondern weil er viel­mehr unmöglich ist – und Dämonen dieses menschliche Wunschdenken ausnutzen und sich als ein bestimmter Verstorbener ausgeben, um so ihre Lügen zu verbreiten. Der Fall vom Geist Samuels, der nach seinem Tod zurückkam (1Sam 28,7-20), scheint da eine Ausnahme zu sein, die Gott eingeräumt hat, um aufgrund seines Ungehorsams das endgültige Urteil über König Saul auszusprechen. (Der Schrecken der Hexe von En-Dor und ihr plötzliches Erkennen Sauls spricht anscheinend dafür, dass es tatsächlich Samuel war, der erschien.)

Obwohl Heaney katholischer Theologe ist, widerspricht er der Bibel und spricht von »einer verstorbenen Person, die ›erdgebunden‹ bleibt … in einem verwirrten oder bösartigen Zustand …« Aber das Gegenteil ist der Fall: Kein Verstorbener ist »erdgebunden« und schweift umher, um Lebende zu verfolgen oder ihnen zu helfen. Wer als Christ stirbt, ist sofort »ausheimisch vom Leib und einheimisch beim Herrn« (2Kor 5,8). Wer hingegen das Evangelium abgelehnt hat, erfährt das Schicksal des »reichen Mannes«, von dem Jesus sagte: »Als er im Hades seine Augen aufschlug [war er] in Qualen …« (Lk 16,23).

Heaney gibt offen zu, dass sowohl die Bibel wie auch seine Kirche das Befragen von Toten verurteilt (die Kirche erlaubt allerdings die Anru­fung sogenannter »Heiliger«). Dennoch versucht er, diese Praktik zu rechtfertigen und sagt: »Die biblischen Verbote richteten sich offensicht­lich auf Ziele und Motive, die sich deutlich von denen unterscheiden, die heutige Forscher verfolgen.« Er zitiert den protestantischen Kleriker Donald Bretherton, der mit ihm übereinstimmt:

»In der Antike war das »Suchen nach den Toten« dazu gedacht, Jahwe entweder als nicht vertrauenswürdig zu erwei­sen, wohingegen heutige Medien zu zeigen versuchen, dass die Be­hauptung »unter dir sind ewige Arme« [5Mo 33,27], Realität ist.«

In Wirklichkeit ist die Vorstellung, die Botschaften von Totengeistern würden den Glauben an den Gott der Bibel fördern, eine Illusion der liberalen Theologie. Vielmehr untergraben sie diesen Glauben, indem sie Gott als »Kraft« und Jesus Christus als »Aufgestiegenen Meister« be­zeichnen, der »auf einer höheren Ebene als die meisten körperlosen See­len existiert«. Alle gechannelten Botschaften plappern nur die Lügen der Schlange von Eden nach. Durch diese okkulte Invasion dämonischer Wesen, die sich als Verstorbene ausgeben, ist sogar ein ganzes Heer von Irrtümern in die Welt eingefallen und hat auch die Christenheit verseucht.

Die Kommunikation mit Toten impliziert, dass Seelen und Geister die Freiheit haben, auf der Astralebene umherzuhuschen und für die Mensch­heit die Rolle von Vermittlern einer »antiken Weisheit« einzunehmen. Man kann nicht an Kommunikation mit Toten einerseits und gleichzeitig an Gottes Wort andererseits glauben, welches sagt: »Es [ist] den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht …« (Hebr 9,27).

Waren die »Musen« der Antike Geister?

In der griechischen Mythologie unterstanden die Künste der Leitung der neun Töchter, die Zeus gemeinsam mit Mnemosyne hatte. Diese Nym­phen oder niederen Gottheiten, die auch als Musen bekannt sind, inspi­rierten Dichter und Künstler. Die Muse Euterpe inspirierte die lyrische Poesie, die Muse Terpsichore inspirierte Musik und Tanz. Johannes Brahms spürte, dass er beim Komponieren bisweilen »im Einklang mit dem Unendlichen« war. Obschon er glaubte, dass seine Inspiration von Gott stammte, wird doch eine andere Quelle dadurch verraten, dass sei­nen eigenen Angaben zufolge »sein bewußtes Denken in einer Halbtrance zeitweilig ausgeschaltet war«, wie es auch bei einem spiritistischen Me­dium der Fall ist. Gott inspiriert kein Medium in Trance. Tschaikowsky bekannte, dass er sich unter ähnlicher Inspiration befindend »wie ein Verrückter benahm«.

Richard Strauss war sicher, dass zumindest ein Teil seiner Komposi­tionen ihm »von allmächtigen Wesen« diktiert wurde, die nicht von die­ser Erde waren. Giacomo Puccinis großartige Oper Madame Butterfly wurde ihm, davon war er überzeugt, »von Gott« diktiert. Gustav Mah­ler behauptete, andere Mächte würden ihn nötigen, etwas zu komponie­ren, was er eigentlich gar nicht schreiben wollte. George Gershwin be­zeugte, die Rhapsodie in Blau sei plötzlich über ihn gekommen; er habe »die vollständige Konstruktion der Rhapsodie, von Anfang bis zum Ende«, gehört und wie auf Papier gesehen. Von seinem Hit »The Blizzard« sagt der Country-Musiker Harlan Howard, sein Stift habe unaufhörlich ge­schrieben und ihn fortlaufend überrascht. Er wunderte sich: »Benutzt ir­gendein großer Songschreiber im Himmel mich als Medium?«

Der Operetten-Komponist Rudolf Friml sagte: Ich setze mich ans Klavier und lege meine Hände auf die Tasten. Und ich lasse mich vom Geist führen! Nein, ich mache die Musik nie. Ich komponiere sie niemals, oh nein, nein! Ich bin ein Werkzeug. Ich bin nichts. Ich werde benutzt. Es stammt von jemand anderem, einem Geist vielleicht, der mich benutzt.

Wir können nur schließen, dass diese Komponisten tatsächlich, so wie sie es auch selber glauben, von Wesen geführt werden, die nicht dieser Welt angehören. Aber wer sind diese Wesen? Und was ist mit Benny Hinn, Kenneth Copeland und anderen führenden Charismatikern, die behaupten, der Heilige Geist inspiriere sie, sodass sie Prophezeiungen ausspre­chen, die sich als falsch erweisen? Und was ist mit den Behauptungen, dass einigen von ihnen sogar Christus erschienen sein soll?

Würde Jesus wirklich Yonggi Cho in einer roten Feuerwehruniform erscheinen, oder Oral Roberts in einer 300 Meter hohen Gestalt? Und könnten die unzähligen Erscheinungen rund um die Welt tatsächlich die Maria sein, die Jesus geboren hat, wenn diese Erscheinungen doch so viele falsche Aussagen von sich geben und beständig der Bibel widerspre­chen?
Wer oder was sind diese Wesen?  Welche Absicht verfolgen sie?
Die Frage nach der Identität und der Absicht dieser Wesen erfordert eine sorgfältige Beantwortung.

Die Identifikation der modernen »Muse«

Die Schlüsselrolle der Musik für das Okkulte läßt sich bis zum Anfang der Geschichtsschreibung zurück verfolgen. Für Voodoo und die meisten Formen des Schamanismus, dem die Rockmusik nahe verwandt ist, ist der schlagende Beat von Trommeln und Rasseln unverzichtbar. »Christ­liche Rockbands« imitieren den Beat, den Schamanen schon seit langem zur Beschwörung von Dämonen verwenden. Ray Manzarek, Keyboard­spieler der Rockband The Doors, erklärt die Beziehung zwischen Scha­manismus und Rockmusik:

Wenn sich der sibirische Schamane auf die Trance vorbereitet, kom­men alle Leute aus dem Dorf zusammen … und spielen auf allen In­strumenten, die sie haben, um ihn so auf die Reise zu schicken [in Trance und Besessenheit] …
Bei The Doors war es auf den Konzerten genauso … Ich denke, unsere Drogenerfahrungen haben uns geholfen, schneller dahin [in die Trance] zu kommen.
Es war, als ob Jim [Morrison] ein elektrischer Schamane war und wir seine elektrische Schamanen-Band, die hinter ihm dröhnte … wir hämmerten und stampften unaufhörlich, und Stück für Stück kam es über ihn …
Manchmal war er geradezu unglaublich. Geradezu faszinierend. Und das Publikum hat das auch gespürt!

Viele Rockstars haben Okkultismus praktiziert und gestehen eine geheim­nisvolle Inspirationsquelle. John Lennon sprach von okkulten Erfahrun­gen als Teenager:
»Ich war gewohnt, buchstäblich in Trance in den Alpha­zustand zu fallen … und diese halluzinatorischen Bilder meines sich ver­ändernden Gesichts zu sehen, das kosmisch und erfüllt wurde.« Von sei­nem Songschreiben sagte Lennon: »Es ist wie Besessensein: wie ein Hell­seher oder Medium.«
Den vielen Rockstars, von Elvis Presley angefan­gen, muss zu einem Großteil zugeschrieben werden, bei Millionen von Jugendlichen Rebellion geschürt und sie gegen Gott und die Bibel aufge­bracht zu haben. Derek Taylor, der Pressesprecher der Beatles, gab zu:

»Sie sind durch und durch antichristlich. Ich meine, ich bin auch anti­christlich, aber sie sind so antichristlich, dass es mich schockiert.«

Keith Richards von den Rolling Stones erklärte:
»Die Songs der Stones entstanden spontan wie eine Inspiration bei einer Seance. Die Melodien kamen ›en masse‹, so als ob die Stones als Songschreiber nur ein bereit­williges und offenes Medium wären.«

Yoko Ono sagte von den Beatles: »Sie waren wie Medien. Sie waren sich nicht über alles bewusst, was sie sagten, aber es kam über sie und aus ihnen heraus.«

Marc Storace, Sän­ger der Heavy-Metal-Band Krokus, sagte über den Inspirationsprozeß: »Man kann es nicht beschreiben, höchstens als geheimnisvolle Energie, die aus der metaphysischen Ebene in meinen Körper hinein dringt. Das ist fast so, als ob man ein Medium wäre«

»Little Richard« sagte: »Ich unterstand der Leitung und den Befehlen einer anderen Macht. Die Mächte der Finsternis … von denen viele mei­nen, sie würde nicht existieren. Die Macht des Teufels. Satan.«

Jim Morrison nannte die Geister, von denen er immer wieder besessen wur­de, »The Lords« – »die Herren«, und schrieb ein Buch mit Gedichten über sie.

Die Kreativität der Folkrock-Künstlerin Joni Mitchell stammt von ihrem Leitgeist »Art«. Wenn er »rief«, konnte nichts sie aufhalten.

Heutige Musiker geben dasselbe einstimmige Zeugnis über die Inspi­ration von außerweltlichen Wesenheiten, wie wir es auch bei den berühm­testen Komponisten der Vergangenheit vorgefunden haben. Die Musi­ker von heute geben jedoch zu, dass ein Großteil ihrer Inspiration aus einer bösen Quelle stammt. Weshalb sollten wir ihr Zeugnis anzweifeln?

David Lee Roth, der »Running with the Devil« schrieb und sich selbst als »Toastmaster für die unmoralische Mehrheit« bezeichnete, gab zu, dass das Ziel in der Rockwelt das Beschwören böser Geister und die Ausliefe­rung an diese sei: »Ich werde meinen Geist an sie ausliefern. Das habe ich tatsächlich bereits versucht. Man bringt sich selbst in diesen Zustand und verfällt in Flehen an die Dämonen-Götter … «

Superstar Jimi Hendrix war nicht so darauf aus, besessen zu werden, son­dern schien vielmehr ein Opfer zu sein. Als »größter Rock-Gitarrist« und »Voodoo-Kind des Wassermann-Zeitalters« bekannt, glaubte Hendrix, dass er »von irgendeinem Geist besessen ist«.

Seine frühere Freundin Fayne Pridgon sagte: »Er sprach ständig von irgendeinem Teufel oder irgendetwas, das in ihm sei … und er hatte keine Kontrolle darüber, er wusste nicht, was ihn dazu brachte, sich gerade so zu verhalten wie er es tat … und die Songs … kamen geradezu so aus ihm heraus … Er wurde so gequält und hin und her gerissen … und er sprach häu­fig von … irgend jemanden, der den Dämon aus ihm austreiben sollte.«

Steven Halpern, einer der bekanntesten New-Age-Komponisten, bezeugt: »Ich fing an, das aufzuzeichnen, was ich in Trance oder erweiterten Bewußtseinszuständen empfangen hatte … das führte schließlich dazu, dass ich geleitet wurde.«

Diese Art von Leitung durch einen Geist ist weit verbreitet.

In Kapi­tel 1 sprachen wir von dem Atomwissenschaftler, der von Geistwesen Ein­blicke in höhere Begrifflichkeiten erhielt. Wir stellten fest, dass Chester Carlson, der Erfinder des Xerox-Fotokopierprozesses, die Führung zu seiner Erfindung aus der Welt der Geister erhielt. Der Medizinwissen­schaftler Andrija Puharich, der über 50 Patente hat, nahm Stellung zu diesen seltsamen Inspirationen: »Ich persönlich bin davon überzeugt, dass höhere Wesen von anderen Welten und anderen Zeiten einen erneuten Dialog mit der Mensch­heit aufgenommen haben . . . Ich habe zwar keinen Zweifel [an ihrer Existenz] … aber ich weiß nicht … was im Hinblick auf die Menschheit ihre Ziele sind.«

Einführung in das Ouijaboard

Das Ouijaboard ist ein Beispiel für die Leichtigkeit, mit der jedermann in die Welt des Okkulten verstrickt werden kann. Wissenschaftliche Tests mit dem Ouijaboard haben zweifellos erwiesen, dass diese Methode von einer Intelligenz geleitet wird, die unabhängig ist von der Person, die das Brett benutzt. Sir William Barrett führte Experimente durch, bei denen den Benutzern die Augen verbunden waren und das Alphabet um das Brett ohne ihr Wissen vermischt war. Zusätzlich war zwischen dem Pro­banden und dem Ouijaboard ein undurchsichtiger Schirm angebracht, damit 100%ig sichergestellt ist, dass der Anwender des Brettes die Buch­staben nicht sehen konnte. Unter diesen rigoros kontrollierten Bedin­gungen bewegten sich die Buchstaben noch schneller als sonst. In seinem Bericht für die Amerikanische Gesellschaft für übersinnliche Forschung sagte Barrett:

»Außer der Tatsache, dass dem Anwender die Augen verbunden waren, haben wir hier eine erstaunliche Gewandtheit, Präzision und Sorgfalt der Bewegung des Indikators, der lange und sinnreiche Botschaften buchstabierte … ohne Pause oder Fehler …
Diese Botschaften wider­sprachen häufig dem Wissen des Anwenders oder überstiegen dieses . . . Im Rückblick auf die Gesamtheit der Ergebnisse bin ich von ihrem übernatürlichen Charakter überzeugt sowie davon, dass wir es hier mit der Darstellung eines intelligenten, körperlosen Vermittlers zu tun ha­ben … der die Muskelbewegung [des Anwenders] steuert.«

Durch ein Ouijaboard wurde Carl Rogers (damals noch völliger Skepti­ker) überzeugt, dass er Kontakt mit dem Geist seiner verstorbenen Frau Helen aufgenommen und eine tröstende Botschaft von ihr empfangen habe. Viele Channeling-Medien haben den ersten Kontakt mit ihrem Leitgeist durch ein Ouijaboard bekommen. Nachforschungen haben er­geben, dass das Ouijaboard an zahlreichen Fällen dämonischer Beses­senheit beteiligt war. Dessen ungeachtet erlangte es 1967 die Monopol­stellung als das beliebteste Gesellschaftsspiel in den USA.

Als Erstes brachte das Ouijaboard die Hausfrau Pearl Curran aus St. Louis in Kontakt mit einem Geistwesen, das sich selbst Patience Worth nannte. Patience hatte angeblich im 17. Jahrhundert in Dorsetshire in England gelebt. Im Lauf von 20 Jahren diktierte Patience über Pearl Curran, die nur acht Schuljahre absolviert hatte, »über anderthalb Mil­lionen Wörter in Gedichten und historischen Erzählungen«. Ein Litera­turstück aus 70.000 Worten wurde von Professor C. H. S. Schiller von der Universität London analysiert, der feststellte, dass es »kein einziges Wort enthielt, das nach 1600 entstanden ist.«
Er sagte: »Wenn wir bedenken, dass die King-James-Bibel nur 70 % Angelsäch­sisch enthält und es nötig ist, bis zu Lyomen im Jahr 1205 zurückzuge­hen, um auf Patiences Prozentsatz zu kommen … erkennen wir, dass wir es hier mit einem philologischen Wunder zu tun haben.«

Ein Wunder? Das hört sich nicht gerade wissenschaftlich an. Wie ver­nünftiger ist da das Eingeständnis, dass Curran in Wirklichkeit von ei­nem Geist besessen war, der über eine perfekte Kenntnis des mittelalter­lichen Englisch und der Ereignisse jener Zeit verfügte. Wir sehen uns einem Phänomen gegenüber, das nicht wegerklärt werden kann und das die Realität des Okkultismus aufzeigt.

Dr. Raymond Moody hat viele Jahre mit der Untersuchung angebli­cher Begegnungen Lebender mit mutmaßlichen Geistern von verstorbe­nen Angehörigen verbracht. Ihm zufolge »kann die Wissenschaft nicht unterscheiden … ob es sich um ein bloßes Phänomen des Bewußtseins handelt oder ob ein Wesen dahinter steht, das über das Bewußtsein hinausgeht«.

Die Beschäftigung mit Geistern übersteigt die Grenzen der Wissen­schaft. Wir brauchen auch nicht die Hilfe der Wissenschaft, um die Be­funde zu sichten. Der Mediziner Armand DiMele, der den meisten Channeling-Medien zwar skeptisch gegenübersteht, gibt offen zu, dass in eini­gen Fällen durch ein Medium präzise Informationen vermittelt wurden, die durch normale Mittel nicht hätten erlangt werden können: »Ich habe mit Geisterstimmen gesprochen, die … mir Dinge über meine Kindheit gesagt haben. Einzelheiten wie z. B. Gegenstände, die sich in seinem Elternhaus befanden [an das er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte, sodass das Medium keineswegs »seine Gedanken las«]. Es liegen unbestreitbare Indizien dafür vor, dass irgendetwas geschieht, irgendetwas, was wir nicht verstehen und nicht messen können.

Sie »lehren uns etwas«

Eines der aussagekräftigsten Indizien, die wir für die Realität von Geist­wesen und ihrem ständigen Kontakt zur Menschheit haben, besteht in der Übereinstimmung der Botschaften, die sie durch diejenigen vermit­teln, die angeblich in Kontakt mit ihnen stehen. Verschiedene Personen, die rund um den Globus verteilt sind und niemals miteinander zu tun hatten, vermitteln unabhängig voneinander dieselbe Botschaft. Diese Tat­sache ist von allen festgestellt worden, die sich näher damit beschäftig­ten.

Der Parapsychologe D. Scott Rogo definiert Channeling als »Vermitt­lung einer Art von Intelligenz, deren Wesen nicht definiert ist und in de­ren Absicht steht, spirituelle Lehren und philosophische Diskussionen zu fördern«.
Terence McKenna, als amerikanischer Drogenguru an die Stel­le Timothy Learys getreten, bemerkt: Eine allen psychedelischen Trips gemeinsame Erfahrung ist der Kontakt mit Geistwesen, die eine Botschaft haben: »Wenn ich nicht völlig durchgedreht bin, versuchen sie uns etwas zu lehren.« Ihre Botschaft ist erstaunlich einstimmig und – wie Rogo sagt – umfaßt spirituelle Lehren.

Wie zu Beginn dieses Kapitels zitiert, erkennt auch die australische Zeitschrift New Age News die »bemerkenswerte Übereinstimmung, ja Einmütigkeit unter den verschiedenen gechannelten Wesenheiten«. Die­se Tatsache wird von Jon Klimo in seinem einschlägigen Buch zu diesem Thema immer wieder betont. Das Hauptthema ist, wie Klimo heraus­stellt, unser angebliches Einssein mit Gott, unsere Unkenntnis dieses Eins­seins, die Notwendigkeit, dieses Einssein mittels »Erleuchtung« zu er­kennen und unsere Wiederkehr zur Erde durch vielfache Reinkarnation in diesem Evolutionsprozeß, bei dem wir unser wahres oder höheres Selbst erstreben.

Das ist die religiöse Philosophie, mit der die Schlange Eva »erleuchtete«.

Als die Atheistin Helen Schucman eine Stimme zu hören begann, die sagte: »Dies ist ein Kursus in Wundern; schreibe ihn auf!«, war das für sie eine erschütternde Erfahrung. Schucman unterrichtete nicht nur medizi­nische Psychologie an der Universität von Columbia, sondern war zu­gleich stellvertretende Leiterin der Abteilung für Psychologie am Presby­terian Hospital in New York. Ihre gleichfalls atheistischen Kollegen wa­ren weit davon entfernt, sie als wahnsinnig zu diagnostizieren, sondern sagten ihr vielmehr, sie solle die Anweisungen befolgen. Als das Diktat schließlich fertig gestellt war, umfaßte der »Kurs« erstaunliche 1100 Sei­ten und wurde von Psychologen wie Theologen für seine brillanten Ein­blicke gepriesen.

Die Stimme, die den »Kurs in Wundern« diktierte, behauptete, Jesus Christus selbst zu sein, der beabsichtigte, Fehler in der Bibel zu korrigie­ren, an denen Ungläubige aufgrund der »Intoleranz« der betreffenden Passagen Anstoß nähmen. Der Kurs erklärt, dass »Vergebung« lediglich die Erkenntnis ist, dass Sünde gar nicht existiert und es deshalb nichts gibt, was zu vergeben wäre. Der Kurs ist unter solchen Leuten beliebt, die sich selbst als Christen bezeichnen, aber gleichzeitig klare biblische Leh­ren über Bord werfen. Er wurde in Robert Schullers Kristallkathedrale gelehrt.

Der diktierende »Jesus« widersprach nahezu allem, was die Bibel über ihn sagt. Diese Tatsache wird von Kenneth Wapnick zugestanden, dem Leiter der Stiftung, die den Kurs veröffentlichte. Nicht überraschend hingegen war es, dass die Aussagen dieses »Jesus« in völliger Überein­stimmung stehen mit den Botschaften, die von einer breiten Vielfalt von Wesen über Tausende von »Kanälen« rund um die Welt gechannelt wer­den. Doch Schucman wusste überhaupt nichts von Channeling, bis sie es selbst erlebte.
Als sich der Versicherungsvertreter Jach Pursel auf Geheiß seiner Frau in fernöstlicher Meditation versuchte, meinte er, ständig einzuschlafen. Seine Frau selbst befand sich jedoch währenddessen in einem Gespräch mit dem seltsam sprechenden »Lazaris«. Die Themen von »Lazaris« sind ein Echo auf den »Kurs in Wundern«, auf »Seth« (der von Jane Roberts im Lauf von 24 Jahren in zahlreichen Büchern aufgezeichnet wurde), auf »Ramtha« und vielen anderen gechannelten Wesenheiten: Alles ist eins und wir sind reinkarnierende, evolvierende unsterbliche Wesen, allesamt Teil von Gott, doch dieser großartigen Tatsache unbewußt und auf einer Reise der Erleuchtung, um zu erkennen, wer wir wirklich sind.

Das »höhere Selbst« von Meredith Lady Young, einer Autorin aus New Hampshire, channelte sich durch ihr Buch: Agartha: A Journey to the Stars (»Agartha: eine Reise zu den Sternen«). Wiederum lautete die Botschaft: positives Denken, evolutionäre Weiterentwicklung zur Vollkommenheit, die Einheit von allem, Gott ist eine »Energie« und der Mensch ist Gott: »Wir [die gechannelten Geister] sind multidimensionale Wesen aus einer anderen, spirituell höherentwickelten Ebene. Unser Ziel ist die positive Mobilisierung der Kräfte zur Förderung der Entwicklung des Menschen … Die Menschheit muss ihre tief vergrabene Verbindung mit der Universa­len Energie erkennen, ansonsten ist kein bedeutsames spirituelles Wachs­tum möglich.«

Das monotone Echo von Eden

Wenn echter Kontakt mit dem Bereich der Geister aufgenommen wird, erfolgt unausweichlich die Vermittlung antichristlicher Botschaften. Der »Gott« der gechannelten Botschaften widerspricht dem Wort Gottes und macht sich sogar darüber lustig. Eines der kühnsten, aktuellsten und be­kanntesten Beispiele ist das Buch Gespräche mit Gott – Ein ungewöhnli­cher Dialog, von dem Neale Donald Walsch behauptet, es sei geradezu »über ihn gekommen« und es sei »Gottes letztes Wort zu den Dingen«. In einer offensichtlichen Verunglimpfung Jesu sagt dieser »Gott«:

»Einst gab es … eine neue Seele … die gern Erfahrungen sammeln wollte. »Ich bin das Licht«, sagte sie. »Ich bin das Licht …« Jede Seele war edel … und jede Seele leuchtet mit dem Glanz meines majestätischen Lichts. Und so war die kleine fragliche Seele eine Kerze in der Sonne.«

Die Gotteslästerung fährt fort, indem diese »kleine Seele« auf die Erde kommt, um ihr wahres Selbst zu entdecken. Wie Buddha und viele ande­re erlangte Jesus schließlich »die Meisterhaftigkeit … Was Jesus tat … ist der Weg Buddhas, der Weg Krishnas, der Weg jedes Meisters, der auf diesem Planeten erschienen ist … Wer sagte also, dass Jesus vollkommen sei?«
Doch wir werden als Götter und Göttinnen geboren und es gibt weder Sünde noch ein Gericht . . . Es gibt keine moralischen Gebote; Gott hat keine Meinung und fällt kein Urteil; wir haben die Freiheit, alles zu tun, was uns gefällt (Neale D. Wasch).
Solches ist natürlich denjenigen äußerst willkom­men, die wie Phil Jackson ihre Ablehnung des biblischen Christus recht­fertigen und ihn durch einen »anderen Jesus« (2Kor 11,4) und »ein ande­res Evangelium« (Gal 1,6-7) ersetzen wollen.

Dieser »Gott« (der sich als Autor des »Kurses in Wundern« ausgibt) sagt außerdem zu Walsch, dass Satan und die Dämonen gar nicht existie­ren:
»In eurer Mythologie habt ihr das Wesen geschaffen, das ihr ›Teufel‹ nennt. Ihr habt euch sogar einen Gott vorgestellt, der Krieg gegen dieses Wesen führt … Einen wirklichen Teufel gibt es natürlich nicht.« Natür­lich sagt »Gott«, dass wir alle über viele Lebenszeiten immer höher evol­vieren, bis zur Einheit mit Gott. Walsch hat schon viele Leben auf der Erde gelebt und hat so viele Gelegenheiten, immer und immer wieder zu leben, sooft er möchte oder es nötig hat.

Walsch »Gott« sagt: »Dieses Unterfangen des »Sei-wer-du-wirklich-bist« … ist das Heraus­forderndste, was du jemals tun kannst … Vielleicht gelangst du nie­mals dorthin. Nur wenigen gelingt das. Nicht mit einem Leben. Nicht mit vielen …
Du bist unsterblich. Du wirst niemals sterben. Du veränderst nur deine Gestalt. [Über Adam und Eva:] es waren mehr als nur zwei. [Das Leben] entwickelte sich über Milliarden von Jahren … Die Evolutio­nisten haben Recht …!
Der Gebrauch übersinnlicher Fähigkeiten ist nichts weiteres als der Gebrauch deines sechsten Sinnes … und kein Einlassen mit dem Teu­fel … es gibt keinen Teufel … Jeder für sich selbst, ohne Verurteilung.«

Die erstaunliche Einstimmigkeit der gechannelten Informationen sowie die Tatsache, dass deren grundlegende Botschaft beständig die vier Lü­gen der Schlange aus Eden widerspiegelt, beweist sowohl die Realität des Channeling und identifiziert zugleich dessen Quelle. Erleuchtung bedeu­tet, die Illusion unserer alltäglichen verzückten Erfahrung zu erkennen und dann aufzuwachen für die wahre Realität, die sich dahinter befindet. Jean Houston erklärt:

»Diese [gechannelten] Wesen – wie wir sie nennen – sind im Grunde genommen »Gottheiten« aus der Tiefe der Psyche. Sie sind Personen des Selbst, die eine greifbare Gestalt annehmen, sodass wir eine Bezie­hung zu ihnen und somit einen Dialog mit ihnen haben können.«

Gottheiten aus der Tiefe der Seele, sodass wir einen Dialog mit uns selbst führen können? Jean kann uns noch nicht einmal erklären, was sie meint! Wie viel naheliegender ist es da, all die Bestätigungen dafür anzuneh­men, dass dämonische Wesen die Menschheit verführen.

So funktioniert Kommunikation mit Geistern

Wir hatten bereits den Nobelpreisträger Sir John Eccles zitiert, der sag­te, dass die Existenz von »Bewußtsein oder Geist … nicht in Einklang zu bringen ist mit den Naturgesetzen, wie wir sie derzeit verstehen«. Ec­cles faszinierenden Forschungsergebnissen zufolge kann der menschli­che Geist nicht Bestandteil des physischen Universums sein (einschließ­lich des Gehirns), sondern er ist vielmehr nichtphysisch bzw. spirituell und benutzt das Gehirn, um den Körper zu steuern. Eccles bezeichnet das Gehirn als »eine Maschine, die ein Geist steuern kann«. Normaler­weise ist der eigene Geist der Geist, der das Gehirn steuert – aber unter entsprechenden Umständen kann ein anderer »Geist« das Steuer über­nehmen. Diese Möglichkeit müssen wir bei unserer Auseinandersetzung mit dem Okkulten berücksichtigen.

Wenn unser Geist von unserem Körper unabhängig ist und deshalb den Tod des Körpers überleben kann, dann könnte es auch, wie Robert Jastrow meint, andere Geister geben, die ohne Körper existieren. Und wenn der Geist eines Hypnotiseurs jemand anderen beherrschen kann, dann kann das auch ein anderer Geist und vielleicht mit dem Prozess der Hypnose-Therapie zusammenwirken, die heute so viele Therapeuten an­wenden. Solche »Geister« könnten in dem Gehirn des Patienten falsche Erinnerungen oder Illusionen hervorrufen, sogar bis hin zur Vorstellung, in einem früheren Leben gelebt zu haben. Das immer wiederkehrende Thema dieser gechannelten Informationen ist ein überzeugender Hin­weis darauf, dass sie alle von denselben »Geistern« inspiriert werden.

Hier haben wir es mit einer Form von »Besessenheit« zu tun. Eine etwas weniger schlimme Form dieser »Besessenheit« könnte natürlich gerade die Inspiration sein, die in der Vergangenheit den Musen zuge­schrieben wurde und auch heute noch von Musikern, Künstlern, Wissen­schaftlern und anderen kreativen Menschen erfahren wird. In seinem Standardwerk über Channeling stellt Jon Klimo heraus:

»Das Argument lautet, dass der Geist das Gehirn (und den Rest des Körpers) stets auf eine im Wesentlichen psychokinetische Weise steu­ert … Doch – so geht das Argument weiter – wenn Ihr eigener Geist Ihr eigenes Gehirn beeinflußt, dann kann auch das gleiche nichtphysi­sche Wesen eines anderen Geistes imstande sein, Ihr Gehirn zu beein­flussen und bei Ihnen den Eindruck hervorrufen, eine Stimme zu hö­ren, eine Vision zu sehen, oder der andere Geist kann sprechen oder schreiben, indem er Ihren Körper auf dieselbe Weise benutzt, wie Sie ihn normalerweise lenken.«

Dass diese Wesen »das Steuer übernehmen« können, ist zahllose Male demonstriert worden. So hat auch Jesus Christus seine Macht erwiesen, die Besessenen befreien zu können. Eine TM-Lehrerin, die nach Süd­amerika ausgesandt worden war, um dort die Transzendentale Meditati­on zu verbreiten, fing an, jedesmal »Satan« zu sehen, wenn sie das Bild des TM-Gründers Maharishi Mahesh Yogi ansah. Nach einem Selbst­mordversuch wurde sie in ein Heim für Geisteskranke gesteckt, wo sie Christus als ihren Retter annahm.

Nachdem eine Hausfrau aus Chicago von Swami Rama (einer der preis­gekrönten Personen der Biofeedback-Forschung an der Menninger-Klinik) in das Yoga eingeführt worden war, wurde sie von übersinnlichen Erscheinungen Swamis gequält und in eine psychiatrische Anstalt einge­liefert.

Eine Lehrerin, die die Silva-Methode gelernt hatte, erzielte bei ihren geistig behinderten Kindern durch Visualisierung Erfolge. Für die be­merkenswerten Ergebnisse wurde sie ausgezeichnet. Eines Nachts dann erhielt ihr Bruder ungefähr um 2.00 Uhr morgens einen verzweifelten Anruf: »Mein Gott, George! Irgendetwas ist in meiner Wohnung – irgend­etwas Böses, und es verfolgt mich! Bitte komm und hilf mir!«

Diese und viele andere Fälle können nur als Überfälle von bösen We­sen auf diese Personen erklärt werden. In jedem dieser Fälle resultierte die Invasion aus dem Erlangen eines höheren Bewußtseinszustands durch Formen von Hypnose und fernöstliche Meditation. Trotz der Zeugnisse zahlloser Personen, die von diesen Wesen terrorisiert, in den Wahnsinn und sogar in den Selbstmord getrieben wurden, leugnet John Lilly deren Realität. Über die bösen Wesenheiten, denen man in höheren Bewußtseinszuständen begegnet, sagt er:
»Sie können dort auf Wesenheiten treffen, die Ihrem Gefühl nach Sie jeden Moment fressen oder aufsaugen könnten. Nun, das stellt sich als Unsinn heraus. Das ist unsere Projektion … das Böse in Ihnen. Das Böse ist das, was Sie projizieren.«

Trotz alles Beweismaterials weigern sich viele, die Existenz von Satan und Dämonen anzuerkennen. Der Parapsychologe Loyd Auerbach schreibt:
»Um Klartext zu reden, möchte ich sagen, dass die einzigen Dämonen, mit denen wir als Wissenschaftler zu tun haben, unsere eigenen ›Dämo­nen‹ sind, die vom Unterbewußtsein und der Vorstellungskraft herauf­beschwört werden können.«

Auerbach begeht einen Fehler, wenn er sich selbst und seine Mitpsy­chologen als »Wissenschaftler« bezeichnet. Psychologie ist keine Wissen­schaft. Außerdem kann die Wissenschaft keine Aussagen über Geister treffen. Dennoch glauben Heerscharen von Menschen an seine großspu­rigen Aussagen. Wenn die gesunde Furcht vor bösen Geistern von Psy­chologen geschickt entkräftet wird, dann werden okkulte Experimente äußerst verlockend. »Dämonen« sind dann nur noch Fragmente der ei­genen Persönlichkeit. Alles, was nötig ist, ist die Aneignung des neuen Verständnisses.

Dämonische Besessenheit

Dessen ungeachtet gestehen heute immer mehr Psychologen und Psychi­ater – frühere Skeptiker wie M. Scott Peck – wie einst Freud, Jung und James vor ihnen ihren Glauben an die Existenz von bösen Geistern zu. Ein ehemaliger Zweifler, der Psychiater Ralph B. Allison, sagt:
»Ich glaube mittlerweile an die Möglichkeit der Besessenheit … von dämonischen Geistern aus dem satanischen Reich und das ist ein Gebiet, bei dem ich es nicht wage, darüber zu diskutieren oder mich damit einzulassen.«

Ein ganzes Heer von Psychologen und Wissenschaftlern könnte ange­führt werden, die zur selben Schlussfolgerung gekommen sind. In dem Buch The Unquiet Dead (»Die unstillen Toten«) berichtet die Psycholo­gin Edith Fiore über das Versagen der Psychotherapien bei der Behand­lung und das Versagen psychologischer Theorien bei der Erklärung be­stimmter Verhaltensweisen. Das hat sie dazu veranlasst, sich auf eine Suche zu begeben, die darin resultierte, dass sie nunmehr an dämonische Besessenheit glaubt.

In Maya Derens Buch Der Tanz des Himmels mit der Erde: Die Götter des haitianischen Vaudou wird der nackte Terror von Be­sessenheit beschrieben:
»Ich habe die Besessenheit völlig aufgegeben, denn sie ist das Zentrum, auf das hin alle Wege des Voodoo zulaufen … Nie habe ich ein Gesicht von solcher Angst, Qual und blindem Ter­ror gesehen, wie in dem Augenblick, wenn der Loa [-Geist] kommt.«

Wade Davis ist ein junger Wissenschaftler mit Titeln von der Harvard-Universität in Anthropologie und Biologie. Er hat nicht nur die physische Welt, sondern auch die »Geisterwelt« einer Reihe von Naturreligionen untersucht. Er ist dorthin vorgedrungen, wohin sich bisher nur wenige Weiße gewagt haben: in das innere Heiligtum der Geheimgesellschaften der haitianischen Voodoo-Meister, die die Macht über Leben und Tod über diese gequälte Insel innehaben. Als Augenzeuge schreibt Davis in Serpent and Rainbow:

»Für den Ungläubigen gibt es etwas zutiefst Beunruhigendes an der Besessenheit. Ihre Macht ist roh, unmittelbar und unbestreitbar real, vernichtend … Die Psychologen, die versucht haben, Besessenheit aus wissenschaftlicher Sicht zu verstehen … warten mit einigen verwirren­den Schlußfolgerungen auf … Diese umständlichen Erklärungen klingen äußerst hohl, wenn man sie auf bestimmte unwiderlegbare körperliche Eigenschaften der Be­sessenen anwendet … [wie z. B.] die Fähigkeit des Gläubigen, seine Hände unbeschadet in siedendes Wasser zu tauchen …
Ich beobachtete eine Frau in einem offensichtlichen Trancezu­stand, die drei Minuten lang eine glühende Kohle in ihrem Mund trug … Das tat sie jeden Abend nach Plan. In anderen Kulturen bestä­tigen die Gläubigen ihren Glauben … indem sie über Kohlenfelder gehen, deren Temperatur mit 340° Celsius gemessen wurde …
Abendländische Wissenschaftler haben sich geradezu absurde Er­klärungen für solche Fähigkeiten erdacht … und führen den Effekt an, der Wassertropfen auf einer Bratpfanne tanzen läßt … Meiner Meinung nach geht das völlig an der eigentlichen Frage vorbei. Ein Wassertröpfchen, das in einer Bratpfanne hüpft, ist beim besten Wil­len weder ein Fuß auf einer rot glühenden Kohle, noch mit Lippen vergleichbar, die sich an Glut schmiegen. Ich verbrenne mir immer noch meine feuchte Zunge, wenn ich das glimmende Ende einer Ziga­rette in den Mund stecke …
Die Frau war sicherlich in eine Art Reich der Geister eingetreten. Was mich allerdings am meisten beeindruckte, war das Behagen, mit dem sie das tat. Ich verfüge über keine Erfahrung noch über eine Er­kenntnis, die mir erlauben würden, das Gesehene entweder rational zu erklären oder davor zu flüchten.«

Das Medium, das sich selbst der Wissenschaft hingab

Es liegt beträchtliches Faktenmaterial vor, das die Annahme bestätigt, dass zur »Besessenheit« die Invasion von anderen unabhängigen Wesen in die betreffende Person gehört. Eileen Garrett fühlte sich so unwohl mit ihrer Besessenheit von »Geistmächten«, die durch sie redeten, dass sie sich jedem möglichen wissenschaftlichen Test unterzog, um für sich selbst sicherzustellen, dass alles nur eine Einbildung ihrer Fantasie sei. Doch die Untersuchungen bestätigten vielmehr ihre schlimmsten Befürch­tungen: dass sie tatsächlich von Wesen besessen war, denen sie nicht ent­kommen konnte.

In New York wurde dann von Dr. Cornelium H. Traeger, einem Spe­zialisten für Arthritis und Herzkrankheiten, eine Reihe strenger medizi­nischer Tests durchgeführt. Als er mit den Untersuchungen begann, ver­trat Dr. Traeger entschieden die übliche Überzeugung der Psychologen: die Wesen, die angeblich durch Garrett sprachen, seien lediglich Bruch­stücke ihrer Psyche und keine eigenständigen Wesen mit eigenem Bewußtsein. Während Garrett von verschiedenen »Kontrollgeistern« be­sessen war, untersuchte Traeger ihr »Blutbild, die Blutsenkung, Blutge­rinnungsdauer, ihre Atmung, ihren Puls, Blutdruck und ihr EKG und verabreichte ihr dazu verschiedene Medikamente«.

Ein Kollege, Dr. Elmer Lindsay, sagte:
»Die Ergebnisse waren … derart überraschend, dass Dr. Traeger sie vor seinen Kollegen zurückhielt. Bei keinem menschlichen Herzen könnten Werte gemessen werden, die sich so diametral widersprechen und voneinander abweichen … Als die Blutsenkung … das Blutbild [usw.] geprüft wurden, ließen die Werte auf eine tatsächliche Änderung der physikalischen Zusam­mensetzung ihres Blutes gerade zu der Zeit schließen, als sie von ver­schiedenen Wesenheiten gesteuert wurde.«

Weitere ausführliche Untersuchungen wurden an Eileen Garrett von Hereward Carrington durchgeführt, dem Leiter des Amerikanischen In­stituts für Parapsychologie. Wiederum waren die Ergebnisse verblüffend. Als Carrington Frau Garrett und die verschiedenen Wesenheiten einem Lügendetektor-Test unterzog, bestätigte das Gerät, dass jedes einzelne Wesen sich grundlegend sowohl vom Medium als auch von den jeweils anderen Wesen unterschied. Willis Harman, leitender Wissenschaftler am Stanford Research Institute, spricht von Fällen, bei denen Verdacht auf »Besessenheit« besteht und stellt dabei heraus:

»Die physiologischen und biochemischen Veränderungen … können die Gehirnströme, die chemische Zusammensetzung der Körperflüssig­keiten, das Immunsystem, Allergien, die elektrische Reaktion der Haut und mehr umfassen [was je nach der steuernden »Persönlichkeit«, ver­schieden sein kann] … Diese Entwicklung läßt nur wenig Zweifel daran bestehen, dass in einem bedeutenden Sinne die wechselnde Persönlichkeit mit solcher Sicherheit »wirklich existiert«, wie dies für die normale Persönlichkeit gilt.«

Es überrascht nicht, dass die Wesen, die Eileen Garrett beherrschen, die­selben Lügen aus dem Mund der altbekannten Schlange vorbringen. Sie behaupten, Götter zu sein, die das »Gottesprinzip repräsentieren, das in uns allen ist«. Ihre Botschaft stimmte überein mit all den anderen ge­channelten Aussagen: dass es keinen Tod gibt und kein Gericht – nur Angenommensein, wenn die Verstorbenen von diesem Leben auf eine andere Existenzebene übergehen und weiter ihre Lektionen lernen und immer höher aufsteigen.

Ein überwältigender Befund von Fakten weist darauf hin, dass unab­hängig von der Menschheit intelligente Wesen existieren und dass diese imstande sind, den Körper eines Menschen für ihre eigenen Zwecke zu gebrauchen, wenn ihnen Einlaß gewährt wird. Ihre einstimmige Botschaft verrät wahre Identität und Absicht.

 

Aus Dave Hunt: DIE OKKULTE INVASION – Horst Koch, Herborn, im Mai 2006

www.horst-koch.deinfo@horst-koch.de

 




Krankheit oder Dämonie (A.Lechler)

Alfred Lechler

KRANKHEIT ODER DÄMONIE

 

Inhalt

I. Der Wert der Unterscheidung von Krankheit und Dämonie

II. Was verstehen wir unter Dämonie?

1. Die dämonische Gebundenheit – Ihre Ursachen – ihre Folgen – ihre Merkmale – die innere Zerrissenheit – das Verhalten gegenüber dem Seelsorger

2. Die Besessenheit – Ihre Merkmale – die Befreiung – Rückfälle

III. Die Unterscheidung von Krankheit und Dämonie

1. Schizophrenie oder Dämonie?  –  Der Besessenheitswahn – Schizophrenie bei Gläubigen – Zusammentreffen von Geisteskrankheit und Dämonie – Stimmenhören
2. Epilepsie oder Dämonie? –  Anfälle – Verstimmungszustände
3. Schwermut oder Dämonie? –  Lästergedanken – Selbstmordgedanken – Das Problem des Selbstmordes – Die Schwierigkeit der Unterscheidung
4. Neurose oder Dämonie? –  Visionen – Dämmerzustände – Eingebildete Besessenheit
5. Psychopathie oder Dämonie? –  Merkmale zur Unterscheidung
6. Alterserscheinungen oder Dämonie? – Verkalkung der Hirngefäße – Anfechtungen

IV. Christenglaube und Dämonie
Kann bei einem Christen eine Dämonie vorliegen? – Kann ein dämonisch Gebundener freiwerden und wie geschieht dies? – Kann der Umgang mit dämonischen Menschen, besonders die Fürbitte für sie, irgendwelchen Schaden oder gar eine Krankheit verursachen?

 

VORWORT
Über den Ursprung und das Wesen der Dämonie habe ich mich in meiner Schrift “Der Dämon im Menschen“ näher ausgelassen. In der vorliegenden Arbeit liegt es mir in erster Linie daran, eine Trennung zwischen Dämonie und Krankheit vorzunehmen. Eine solche Unterscheidung erscheint mir besonders nötig infolge der auf diesem Gebiet noch immer herrschenden großen Unklarheit.
Alfred Lechler

 

I. Der Wert der Unterscheidung von Krankheit und Dämonie
In unserer Umgebung begegnen wir häufig Menschen, die sich als seelisch abnorm erweisen und durch ihr ganzes Verhalten abstoßend wirken. Wir wissen vielfach nicht, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollen, und ringen um eine klare Beurteilung, damit wir ihnen nicht durch eine verkehrte Einstellung und Betreuung Schaden zufügen. Meist scheint uns eine krankhafte Störung bei ihnen vorzuliegen; in manchen Fällen aber stellen wir die berechtigte Frage, ob nicht eine Dämonie dahintersteckt. In der Tat   die Frage: Krankheit oder Dämonie? ist nicht nur vom medizinischen, sondern auch vom seelsorgerlichen und rein menschlichen Standpunkt aus äußerst dringend.

Die Unterscheidung des dämonischen Menschen von dem seelisch Kranken stößt jedoch häufig auf erhebliche Schwierigkeiten. Denn einerseits sind viele Seelsorger geneigt, hinter den meisten abnormen Erscheinungen des Seelenlebens dämonische Wirkungen zu sehen. Andererseits wird von zahlreichen Menschen, die mit seelisch Belasteten zu tun haben, das Vorliegen einer Dämonie grundsätzlich abgelehnt mit der Begründung, die fraglichen Erscheinungen seien rein tiefenpsychologisch oder psychopathologisch zu erklären. Doch übersieht der wissenschaftlich Orientierte zu leicht, daß es auch eine unsichtbare Wirklichkeit gibt. Es gilt daher eine möglichst klare Trennung von Seelenkrankheit und Dämonie vorzunehmen.

Ich glaube, daß der christliche Nervenarzt bei dieser Aufgabe einen wichtigen Beitrag zu leisten hat. Er befindet sich dabei jedoch in einer nicht leichten Lage. Denn auf der einen Seite ist es ihm nicht möglich, die Dämonie rundweg zu verneinen, wie es die psychiatrische Wissenschaft und die moderne Theologie tun, die nicht selten schon denjenigen, der das Wort “Dämonie” in den Mund nimmt, ohne weiteres als geistig abnorm bezeichnen. Auf der anderen Seite vermag der christliche Arzt der in gläubigen Kreisen meist verbreiteten Auffassung von der engen Beziehung der seelischen Erkrankungen zur Dämonie nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Er hat sich daher von dem Bestreben leiten zu lassen, jeden einzelnen Fall von fraglicher Dämonie einer sachlichen, unvoreingenommenen Prüfung zu unterziehen.

Ist es denn überhaupt begründet, von Dämonie zu reden? Zweifellos. Erkennen wir heutzutage nicht mehr und mehr, daß die Dämonie keineswegs ein veralteter biblischer Begriff ist? Seit den Tagen Jesu hat die Dämonie durch die Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart hinein eine nicht geringe Rolle gespielt. Die katholische Kirche zeigt auch heute noch eine bemerkenswerte Aufgeschlossenheit auf diesem Gebiet und hat eine besondere Lehre über die Besessenheit und den Exorzismus aufgestellt. Bei dem Wort “Dämonie”, das heutzutage in vieler Munde ist, denken allerdings die meisten Menschen nur an eine unheimliche, böse Macht, unter der sie sich nichts Genaueres vorstellen können. Sie pflegen über den, der hinter dieser Macht ein durchaus persönliches Wesen erkennt, zu lächeln. Und doch entpuppt sich dieses Wesen für diejenigen, die tiefer schauen als der Widersacher Gottes, der eine große Gewalt auszuüben vermag. Für sie ist die Dämonie nicht ein überlebter Begriff, sondern eine furchtbare Wirklichkeit, mit der wir, zumal in der heutigen Zeit, unbedingt zu rechnen haben. Traten nicht bei manchen Persönlichkeiten des Zweiten Weltkrieges sehr deutliche dämonische Kräfte zutage, und ist es nicht angesichts der sich auffallend häufenden Erscheinungen der Gegenwart zur Genüge ersichtlich, daß es ausgesprochen dämonische Wirkungen gibt in Form von Gewalttaten, Mord und Raub, von Zuchtlosigkeit auf den verschiedensten Gebieten, von Haß und Streit? Bestätigen diese Wirkungen nicht die Wahrheit der biblischen Berichte? Es erscheint daher in keiner Weise angebracht, eine Entmythologisierung dieser Berichte vorzunehmen, die der Wirklichkeit keineswegs gerecht wird. Es ist auch nicht so, daß Jesus sich dem jüdischen Volksglauben nur angepaßt und so getan habe, als ob Er Teufel austriebe. Wir dürfen vielmehr überzeugt sein, daß Jesus als der Sohn Gottes eine unfehlbare Menschenkenntnis besaß, und haben daher allen Grund, das Handeln Jesu gegenüber dämonischen Menschen völlig ernstzunehmen.

Die Bibel vermag uns in der Tat auf unsere Frage: Krankheit oder Dämonie? eine klare Antwort zu geben. So hat Jesus eine deutliche Trennung zwischen beiden Begriffen vorgenommen. Als Er Seine zwölf Jünger aussandte, waren die wichtigsten Anweisungen, die Er ihnen gab, neben der Predigt vom Reich Gottes: “Machet die Kranken gesund, treibt die Teufel aus” (Matth. 10, 1.8). Und in Markus 16, 17.18 führt Er die Zeichen an, die die an Ihn Glaubenden tun werden: In Meinem Namen werden sie Teufel austreiben. . ., auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird es besser mit ihnen werden.” Daß Jesus einen genauen Unterschied zwischen Kranken und Besessenen machte, zeigt die Heilung eines Taubstummen, indem Er die Finger in seine Ohren legte und seine Zunge berührte, betete und zu ihm sprach: “Tu dich auf!”, wonach der Kranke sofort wieder hören und sprechen konnte (Mark. 7, 32 bis 35). Andererseits trieb Er bei einem taubstummen Knaben einen Teufel aus mit den Worten: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir, daß du von ihm ausfahrest” (Mark. 9, 25). Und dem Herodes ließ Jesus sagen: “Ich treibe böse Geister aus und vollführe Heilungen” (Luk. 13, 32).

Ebenso unterschieden die Apostel zwischen Kranken und Besessenen. Markus berichtet z. B. (1, 32.34): “Sie brachten zu Jesus allerlei Kranke und Besessene und Er half vielen Kranken und trieb viele Teufel aus.” Und Markus 6, 13 lesen wir: “Sie trieben viele Teufel aus und salbten viele Sieche mit Öl und machten sie gesund” (vgl. Mark. 3, 10.11 und Luk. 7, 21). Aus diesen Gründen haben wir die Pflicht, gegenüber seelisch gestörten Menschen auf eine strenge Unterscheidung von Krankheit und Dämonie größten Wert zu legen.

 

II. Was verstehen wir unter Dämonie?

Doch zunächst haben wir die Frage zu klären, worin die Dämonie besteht. Wir verstehen unter dieser Bezeichnung eine Beeinflussung des Menschen durch Satan, der mitsamt seinen Untertanen, den Dämonen, alles darauf anlegt, den Menschen zur Sünde zu verführen und sein Seelenleben zu vergiften, um ihn dadurch in seine Gewalt zu bekommen. Diese Absicht erreicht Satan durch die dämonische Gebundenheit und die Besessenheit, in die er die Menschen geraten läßt, indem er ihnen besondere Merkmale aufdrückt und ihnen allerhand seelische Störungen beibringt.

Aus den biblischen Berichten über Saul und Hiob ersehen wir, daß die Tätigkeit der Dämonen von Gott zugelassen, ja von Ihm gewirkt ist. Ebenso wie Gott dem Menschen, der Ihm gehorsam ist, Seinen Geist gibt, kann Er denjenigen, der sich hartnäckig Seiner Stimme widersetzt und sich schwer versündigt, in die Hand eines bösen Geistes geben, der den Menschen an sich bindet und beherrscht. So schickte Gott dem König Saul einen bösen Geist, der ihn mit innerer Unruhe und Angst, mit Raserei und Mordabsichten erfüllte (1. Sam. 16, 14.15; 18, 9 12). Gott kann aber auch im Menschen vorübergehende satanische Anfechtungen zulassen, wie dies bei Hiob der Fall war, um ihn auf seine Standhaftigkeit zu prüfen (Hiob 1, 12; 2, 5.6). Gott besitzt die Macht und Kontrolle über die Geister, über die bösen ebenso wie über die guten (Matth. 8, 16). Die Dämonen vermögen nichts gegen den Willen Gottes zu unternehmen, ihrer Macht sind von Gott Grenzen gesetzt (Hiob 2,6).

Wenn von mancher Seite ein Beitrag der medizinischen Erfahrung gefordert wird, um der Frage einer Wirklichkeit der Dämonie näherzutreten, so glaube ich, im folgenden eine Reihe von typischen Merkmalen der Dämonie anführen zu können, die ein Licht auf den ganzen Fragenkomplex zu werfen geeignet sind. Im übrigen gilt das Wort von Bieneck: “Man erkennt die Dämonie nur, wenn man durch lebendigen Umgang mit der Bibel und durch die Nachfolge Jesu geübte Sinne dafür hat.”

 

1. Die dämonische Gebundenheit

Diese ist außerordentlich häufig anzutreffen und nimmt heutzutage rapide zu. Wir verstehen darunter einen Zustand der Bindung des Menschen an Satan, so daß dieser ihn in seiner Gewalt hat. So sagte Jesus zu Seinen Jüngern: “Einer von euch ist ein Teufel”, indem Er auf die Gebundenheit des Judas Ischarioth an Satan hinwies. Und Johannes schreibt von ihm (13, 2): Bei dem Abendessen, da schon der Teufel es dem Judas ins Herz gegeben hatte, daß er Ihn verriete . . .” Auch in Luk. 13,16 ist von einer Frau die Rede, die 18 Jahre lang von Satan mit Krankheitsfesseln gebunden war. Und von Ananias und Saphira wird erwähnt, daß der Teufel sie zur Geldliebe verführt hatte (Apg. 5, 3). Ebenso spricht Paulus 2. Tim. 2, 26 von Menschen, die sich von den Schlingen des Teufels haben einfangen lassen zur Ausführung seines Willens. Und Jesaja (61,1) spricht von der Befreiung der Gefangenen und der Entfesselung der Gebundenen. Aus diesen Stellen geht hervor, daß Satan einen Menschen an sich zu ketten vermag, indem er ihm seinen Willen aufzwingt oder ihn krank macht, so daß er zu einem Gefangenen Satans wird.

Was aber gibt Satan das Recht dazu, den Menschen an sich zu binden? Mit anderen Worten: was sind die U r s a c h e n der dämonischen Gebundenheit? Sie kommt zustande, wenn der Mensch in schweren, unvergebenen Sünden lebt und in völliger Verstocktheit dem Geiste Gottes andauernd widerstrebt, oder wenn er einen Mord, auch die Tötung des keimenden Lebens, auf dem Gewissen hat oder einen Meineid schwört. Besonders leicht gerät der Mensch in dämonische Gebundenheit, wenn er sich selbst bewußt in Berührung mit finsteren Mächten bringt, indem er sich mit okkulten Dingen abgibt. Dazu gehören Besuche bei einer Wahrsagerin, die mit dem Teufel im Bunde steht, spiritistisches Totenbefragen, aktive oder passive Besprecherei. Aber auch schon die Benützung eines Zauberbuches oder eines Horoskopes, abergläubische Gebräuche, wie das Tragen von Amuletten oder das Schreiben von sogenannten Schutzbriefen, ferner Pendeln und Rutengehen können zu einer dämonischen Bindung führen. Dasselbe geschieht, wenn der Mensch seine Feinde oder das Kreuz und Jesus oder Gott und den Heiligen Geist verflucht. Denn jeder Fluch ist ein Anruf an den Teufel und führt daher zu einer Bindung an ihn. Ebenso kann ein Mensch in dämonische Gebundenheit fallen, wenn er von einem dem Teufel hörigen Menschen verflucht wird.

Vor allem hat eine bewußte Verschreibung an Satan, zumal mit dem eigenen Blut, eine schwere Gebundenheit zur Folge. Solch ein förmlicher Vertrag mit dem Teufel ist häufiger als man denkt, aber meist unbekannt, weil der Betreffende auf keinen Fall darüber etwas auszusagen wagt. Eine solche Auslieferung an Satan mit Leib und Seele erfolgt meist zu dem Zweck, die Erfüllung besonderer Wünsche zu erreichen.

Aber nicht nur derjenige, der die genannten Sünden begeht, gerät in dämonische Bindung, sondern, wie Dr. Koch seinem Buch Seelsorge und Okkultismus schreibt, nicht selten auch der Mensch, dessen Eltern oder Vorfahren sich mit Zauberei und anderen okkulten Dingen abgegeben haben. Starke Zauberer oder Medien suchen nämlich vor ihrem Tode aus ihrer Verwandtschaft oder Umgebung einem ihnen geeignet erscheinenden Erwachsenen oder Kind ihre okkulten Fähigkeiten zu übertragen. Diese entdecken dann eines Tages ihre merkwürdigen Gaben.

Durch all die erwähnten Machenschaften beansprucht der Mensch die Dienste des Teufels. Er sucht entweder etwas zu erlangen, was ihm bisher versagt blieb, etwa Gesundheit und irdisches Glück, oder er sucht die Zukunft zu erfahren, die Gott ihm absichtlich verborgen hat. Satan aber gewährt ihm nur allzu gerne seine Hilfe. Doch diese Hilfe wirkt sich bald in verhängnisvollen F o l g e n aus. So werden die Menschen, die sich besprechen lassen, zwar meist gesund, und denen, die zur Wahrsagerin gehen, wird die Zukunft richtig vorausgesagt, wenn die Helfer sich dämonischer Kräfte bedienen. Auch der mit dem Teufel geschlossene Vertrag geht in Erfüllung, wie auch der gegen einen Menschen ausgesprochene Fluch, falls der Verfluchte nicht ein Jünger Jesu ist. Aber der Teufel leistet seine Dienste nicht umsonst. Er bindet die Menschen, die sich an ihn wenden, mit schweren Ketten an sich, so daß sie ihm hörig werden. Der Mensch ist nicht mehr imstande, sich in eigener Kraft aus diesen Banden zu lösen. Gott hat sich von ihm zurückgezogen, Er hat ihn “dahingegeben” (Römer 1, 24.26.28). Und meist zeigen sich alsbald schwere Folgen in seinem Seelenleben.

Damit kommen wir zu den M e r k m a l e n der dämonischen Gebundenheit, denen ich aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit immer wieder begegnet bin. Zwar vermag der Teufel auf die verschiedenste Weise seinen Einfluß auf den Menschen auszuüben, so daß es nicht leicht ist, eine erschöpfende und zuverlässige Beschreibung der Kennzeichen seiner Bindung zu geben. Und doch können wir in vielen Fällen ein ziemlich klar umrissenes Symptomenbild beobachten, das vor allem das Gebiet des Seelenlebens betrifft.

Zunächst gerät das ganze menschliche D e n k e n  u n d  F ü h l en unter den Einfluß des Teufels. Dementsprechend legt der Mensch eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber göttlichen Einwirkungen, ja oft eine direkte Ablehnung des Glaubens an Gott an den Tag. Das Wort Gottes hat ihm nichts zu sagen, die Verheißungen der Bibel lassen ihn kalt. Bei religiösen Beeinflussungsversuchen hat er nur Hohn und Spott übrig oder er läuft voller Wut weg. Er kann nur noch Böses, nur gottwidrige Dinge denken. Die Sucht zu unreinen Gedanken und zur Lüge erfüllt ihn, er ist geradezu besessen von der Lust, Unwahres zu sagen. Vielfach lügt er, ohne sich dessen bewußt zu sein. über seine Sünden empfindet er keinerlei Reue, und doch wird er von einer dauernden Unruhe, Friedelosigkeit und gedrückten Stimmung geplagt. Schon der Anblick eines Kruzifixes, eines Leuchtkreuzes oder eines Bildes von Jesus stört ihn. Nicht selten quält ihn eine furchtbare Angst, weil er sich Tag und Nacht verfolgt fühlt. Oft ist es ihm, als stehe jemand hinter ihm oder an seinem Bett.

Aber nicht nur das Denken und Fühlen, sondern auch das W o l l e n des dämonisch Gebundenen wird von Satan regiert. Er will Gott auf keinen Fall Gehorsam leisten und begeht bewußt Sünde, obwohl er meist genau weiß, daß sie ein Unrecht ist. Aber er wird innerlich gezwungen zu tun, was der Teufel ihm einredet oder befiehlt. So neigt er zur Auflehnung und Lästerung gegen Gott, zum Jähzorn und Trotz gegenüber seinen Nebenmenschen, zu Schikanen und Feindschaft, zu Erregtheit und Gewalttätigkeiten. Wenn er sich ärgert, verflucht er sich selbst; er verflucht und haßt die anderen, wenn sie ihm etwas angetan haben. Zu einer Aussöhnung ist er auf keinen Fall bereit. Selbst seine Angehörigen und Freunde kann er ohne besonderen Grund oder bei einer geringen Auseinandersetzung verwünschen und schlagen oder gar Mordgedanken gegen sie hegen. Eine übermäßige Stärke des Geschlechtstriebes, die Sucht zu abnormen sexuellen Handlungen, zu Alkohol und Nikotin und anderen groben Leidenschaften kann ihn völlig beherrschen. Auch verspürt er oft einen unwiderstehlichen Drang, Hand an sich zu legen, und setzt seine Selbstmordgedanken vielfach mit vollem Bewußtsein in die Tat um. Häufig begeht er auch unbedachte Taten, die sich gegen Gott wenden. So kann er seine Bibel vernichten oder er reißt Seiten, die ihn anklagen, aus ihr heraus, er verbrennt religiöse Schriften, wirft das Gesangbuch in die Ecke, entfernt fromme Wandsprüche. Gibt man ihm ein christliches Blatt, so kann es geschehen, daß er gemeine Reden führt, lästert und, ohne hineinzuschauen, das Blatt zerreißt und es in den Papierkorb wirft oder sogar mit dem Fuß darauf trampelt. Auch ruft er oft den Teufel an, damit dieser ihm helfe.

Ein sehr häufiges Merkmal der dämonischen Gebundenheit ist die Unfähigkeit, den Namen Jesu a u s z u s p r e c h e n oder zu schreiben. Nur mit größtem Widerstreben und nach innerer Überwindung vermag er dies schließlich, indem sich sein Gesicht entstellt oder wenn er den Namen mechanisch ausspricht. Satan will nicht an diesen Namen erinnert werden, denn es ist der Name dessen, der ihn am Kreuze besiegt hat.

Wenn daher der Gebundene ein Gebet oder einen Satz sagen soll, in dem das Wort “Jesus” vorkommt, so bleibt er gewöhnlich stumm. Schon wenn er diesen Namen hört, kann er in innere Erregung geraten, die Stirn runzeln, ja geradezu toben. Auch lehnt er es ab, ein Lied, das von Jesus handelt, zu singen oder ein Bild Jesu anzuschauen. Jedes Buch, in dem von Jesus die Rede ist, legt er beiseite. Eine Gebundene, die brieflich den Namen Jesu erwähnen wollte, schrieb mir: “Der, der am Kreuz hängt … Sie wissen, wen ich meine.“ Wird ein solcher Mensch aufgefordert, im Gebet sich an Jesus zu wenden, so wird ihm der Hals geradezu zugeschnürt oder es steigen ihm höhnische und lästerliche Gedanken auf, auch bringt er es nicht fertig, die Hände zu falten. Ebenso spürt er einen Widerwillen, wenn vom Teufel oder Satan, von Dämonen, von der Hölle die Rede ist. Bei jeglichem Versuch religiöser Beeinflussung wird er unruhig und abweisend.

Die Merkmale der dämonischen Gebundenheit, die mehr oder weniger den Eigenschaften des Bösen gleichen, können wie folgt zusammengefaßt werden:

1. Da Satan der Vater der Lüge ist (1. Mose 3,4.5; Joh. 8,44; 1. Joh. 2,22), zeigen sich bei dem von ihm Gebundenen Lüge und Falschheit, Hinterlist und Betrügerei, Verleumdung und Irrlehre (Spr. 12, 5; Jer. 9, 5; Röm. 1, 33; 1. Tim. 4, 2).

2. Da Satan ein Mörder von Anfang ist (Joh. 8, 44), flößt er den Menschen den Drang zum Selbst¬mord ein, dazu die Lust zum Töten, den Haß und Jähzorn, Zerstörungstrieb, Brutalität, Folterung, Rachsucht, Unversöhnlichkeit (l. Mose 4, 8; 1. Sam.18,11; Röm.1,29.31; Gal.5,20).

3. Da Satan der Fürst der unreinen Geister ist (Matth. 10,1; Apg. 5,16 u. a.), verführt er zur Sucht, zur Unkeuschheit, zu Hurerei und abnormen sexuellen Betätigungen (Röm. 1, 24; 1. Kor. 6,9; Gal. 6,19; 2. Tim. 3, 3).

4. Da Satan der Widersacher Gottes ist (Matth. 13,19.25.39; Eph.2,2; 1. Petr.5,8; 1.Joh.3,8 a), wirkt er in den “Kindern des Unglaubens” den Widerwillen und die Spottsucht gegenüber allem Göttlichen, Fluchen und Lästern, Auflehnung gegen Gottes Gebote, die Freude am Sündigen, das Unvermögen zu glauben und zu beten, bewußten Atheismus (Apg. 13, 8.10; 2. Kor. 4, 4; 2. Thess. 2, 4; 2. Tim. 3, 2).

5. Da Satan der Herr der friedelosen Geister ist (Luk. 11, 24), suchen diese auch im Menschen Unruhe, Friedelosigkeit, Unrast zu säen (l. Mos. 4, 12; Luk. 8, 29).

6. Da Satan der Fürst der Finsternis ist, weil er das Licht haßt, das die Sünde aufdeckt (Luk. 22, 53; Eph. 6,12; Kol. 1, 13), beobachten wir bei seinen Gebundenen oft ein finsteres, heimtückisches, undurchsichtiges, verschlossenes, unaufrichtiges, verräterisches Wesen sowie vielfach okkulte Betätigung (l. Mos. 4, 5; Spr. 2, 13; 1. Sam. 16, 14. 15; 18, 9; Matth. 6, 23; Joh. 3, 19.20; Apg. 8, 21.22).

7. Da Satan oft als getarnter “Engel des Lichts” auftritt (2. Kor. 11, 13.14; Offb. 13, 3.13), erweisen sich seine Anhänger häufig als falsche Propheten, die scheinheilig und heuchlerisch das Wort Gottes verfälschen, den Namen des Herrn im Munde führen, aber nicht Seinen Willen tun, die mit ihren Taten zu glänzen suchen und sich geradezu göttlich verehren lassen oder im Namen Gottes bewußt Falsches weissagen (Jer.14,14; 23,14; 29,8.9; Matth.7,15.21; Apg. 8, 9.10; 2. Kor. 2, 17; Kol. 2, 18.23; 2. Thess. 2, 9; 1. Tim. 4, 3; 2. Tim. 3, 5; Offb. 2, 2 b; 3, 9).

Eine besondere Art dämonischer Gebundenheit kann die m e d i a l e F ä h i g k e i t darstellen. Es gibt nämlich nach Dr. Kochs Erfahrungen Menschen, die von ihren okkult tätigen Vorfahren eine Medialität ererbt oder durch eigene okkulte Betätigung eine solche Fähigkeit erworben haben. Bei ihnen finden sich neben den erwähnten Merkmalen zuweilen Zustände von Bewußtlosigkeit (Selbsthypnose), Hellsehen, Telepathie, außergewöhnliche Memorierfähigkeit, Nachtwandeln, heilmagnetische Kräfte, Pendeln, Rutengehen. Hinzugefügt sei jedoch, daß diese Symptome in manchen Fällen nicht als dämonisch zu bezeichnen sind. Immerhin besteht auch hierbei die Gefahr der Einwirkung dämonischer Mächte.

Der Grad der dämonischen Gebundenheit ist sehr verschieden, er ist abhängig von der Schwere der Schuld, die der Mensch auf sich geladen hat. Die leichteren Formen der Dämonie sind oft nur nach eingehendem Befragen erkennbar.

Wenn nun ein Gebundener Satans religiös angefaßt ist, was durch anhaltende, vollmächtige Seelsorge geschehen kann, kommt es bei ihm zu einer typischen inneren Zerrissenheit. Zeitweise hat er den ehrlichen Wunsch, an Gott und Jesus zu glauben und Ihm nachzufolgen; und doch vermag er den Glauben nicht zu fassen, weil eine innere Stimme ihn davon abhält. “Ich möchte ein Eigentum Jesu sein, aber kann es nicht, weil eine Mauer dazwischensteht”, sagte mir solch ein Gebundener. Vor allem ist es ihm, auch wenn er das Verlangen dazu hat, zunächst nicht möglich, die Liebe Gottes und die Vergebung seiner Sünden für sich zu nehmen, auch wenn er theoretisch an das Sühnopfer Jesu glauben kann. Wie oft klagt er: “Es gibt für mich keine Erlösung und keinen Frieden. Könnte ich mich nur ausweinen! Aber mein Herz ist wie Stein.” Er empfindet einen starken Widerwillen, wenn er die Bibel lesen oder beten möchte. Und wenn er nach innerem Kampf es schließlich fertig bringt, Gottes Wort zu lesen und zu beten, ist er meist nicht imstande, sich zu konzentrieren, weil sofort andere Gedanken von ihm Besitz nehmen oder weil ihn eine auffallende Müdigkeit erfaßt. Hin und wieder vermag er seine Knie nicht zu beugen oder er steht während des Betens plötzlich auf und äußert voller Wut, alles Beten sei Lug und Trug. Unter seiner Zwiespältigkeit und Friedelosigkeit leidet er meist sehr. Er hört oft innere Stimmen und Eingebungen, ohne zu wissen, was sie zu bedeuten haben.

Seine vielfache Schuld erkennt der Gebundene, der innerlich zerrissen ist, meist, aber es fehlt ihm zunächst an der echten Reue. Zwar will er von seiner Gebundenheit loskommen, und doch muß er immer wieder seiner Lieblingssünde nachgehen, weil er die Kraft zu ernstem Widerstand nicht aufbringt. Bald fühlt er sich zum Guten hingezogen und ist entschlossen, sein Leben Gott auszuliefern; bald haßt er das Gute, hat Freude am Bösen und zweifelt an Gott und der Wahrheit der Bibel. Zu seinem Nebenmenschen kann er durchaus freundlich und hilfsbereit sein; doch unvermittelt gibt er ihm eine freche und gehässige Antwort, ja er kann ihn in unflätiger Weise beschimpfen. Einmal schreibt er dem anderen einen liebenswürdigen Brief, dann wieder sendet er ihm einen Wisch mit einem Inhalt voll von Unwahrheiten und Vorwürfen. Wenn er Gemeinschaft mit echten Christen aufsucht, fühlt er sich unter ihnen nicht wohl und kann sogar die “Frommen” verhöhnen. Wenn vom Teufel die Rede ist oder während des Gottesdienstes ist es ihm zuweilen kaum möglich, ein Lachen zu unterdrücken, er blättert gedankenlos im Gesangbuch oder er döst vor sich hin. Besucht er eine Evangelisationsversammlung, so gerät er nicht selten in starke Unruhe und Ablehnung oder in Anfechtungen und vermehrte Zweifel, so daß es ärger mit ihm wird, als es vorher war. Einmal ist er trotzig, verschlossen und verstockt, das andere Mal verzagt und reumütig und bittet Gott unter verzweifeltem Weinen, Er möge sich seiner erbarmen. Einmal verspricht er, das Trinken oder eine andere Leidenschaft aufzugeben, um kurz darauf sein Versprechen bewußt zu brechen. Einmal ist er von Selbstmordgedanken erfüllt, dann wieder plagt ihn die Furcht vor dem Tode und dem Gericht. An der Lüge hat er vielfach keine Lust mehr, doch wird er noch öfters von ihr überfallen. Auch vom Fluchen ist er noch nicht ganz frei. Die geheime Mordlust schwindet in manchen Fällen nur schwer. So schrieb mir eine Gebundene: “Vielleicht muß ich erst zur Mörderin werden, bevor ich auf Gott höre. Ich will nichts Böses, aber ich werde dazu getrieben.”

Besonders bezeichnend für das Vorliegen dämonischer Gebundenheit ist das Verhalten des Gebundenen gegenüber dem Seelsorger. Während er zeitweise für dessen Betreuung durchaus empfänglich ist und das Verlangen hat, seine Schuld zu bekennen, kann er plötzlich ein starkes Mißtrauen ihm gegenüber an den Tag legen, so daß er nicht zu bewegen ist, irgend etwas über seine bösen Gedanken und Taten auszusagen. Er vermag den Mund nicht zu öffnen oder es ist ihm plötzlich entfallen, wenn er etwas bekennen wollte. Und wenn er sich doch dazu aufschwingt, ein Sündenbekenntnis abzulegen, sucht er manche Sünde zu verheimlichen oder den Seelsorger bewußt zu belügen. So bat mich jemand: “Fragen Sie mich öfters, ob ich auch bestimmt die Wahrheit sage und ob ich alles bekannt habe.” In manchen Fällen sucht der Gebundene sich kurz vor der mit dem Seelsorger verabredeten Zeit zu drücken. Und wenn ihm seine Sünden vorgehalten werden, kann er dem Seelsorger einen bösen Blick zuwerfen und sich die Ohren zuhalten oder das Gespräch auf nebensächliche Dinge zu lenken suchen. Auch kann er dem Seelsorger den Vorwurf machen, was dieser sage, meine er gar nicht ernst, im Grunde seines Herzens verachte und hasse der Seelsorger ihn; er solle doch zu¬geben, daß er ihn als eine Last empfinde. Es sei viel richtiger, man bete nicht mehr für ihn und unterlasse das Reden und Schreiben, denn dies alles sei ja doch völlig zwecklos. Wenn er über seinen Zustand nicht reden wolle, schimpfe der Seelsorger; aber er lasse sich nicht erpressen, sonst würde er höchstens Unwahres aussagen. Die Mühe des Seelsorgers sei nur Kraft  und Zeitverschwendung, er könne ihm ja doch nicht helfen und solle sich daher lieber um andere Menschen kümmern. Auf solche und ähnliche Weise kann der Gebundene dem Seelsorger völlig unbegründete, geradezu aus der Luft gegriffene Vorwürfe machen. Auch äußert er des öfteren, es gebe für ihn keine Hoffnung mehr, weil sein Verlangen nach der Welt zu stark sei; es sei viel schöner, ein Leben der Freiheit zu führen, statt Gottes Gebote zu erfüllen. Dies führe nur zu einer seelischen Verkrampfung. Mit dem Teufel habe er keineswegs zu tun; es habe daher keinen Sinn, dem Teufel zu gebieten. Er stecke nicht in der Sünde, Gott habe ihn so, wie er sei, geschaffen. Aber er gebe zu, daß er oft Dinge tun müsse, die er gar nicht wolle. Wenn der Seelsorger ein Absagegebet mit dem Gebundenen spricht, kann dieser es entweder gar nicht oder erst nach innerem Kampf nachsprechen. Ja, schon ein einfaches Gebet, das der Seelsorger mit ihm sprechen will, lehnt er oft ab. Und wenn es dennoch zu einem Gebet kommt, steigen leicht unreine Gedanken in ihm auf. Auch wenn er den ehrlichen Willen hat, den Namen Jesu zu sagen, gelingt ihm dies häufig nicht. Bezeichnend ist es auch, daß der Zustand des Gebundenen sich meist zunächst um so mehr verschlimmert, je mehr er seine inneren Qualen offenbart oder den Namen Jesu aussprechen will.

All die erwähnten Angaben, die der Gebundene macht, sind nichts anderes als die “listigen Anläufe” des Teufels (Eph. 6, 11), der, ohne sich zu erkennen zu geben, seine Gedanken und Absichten dem Menschen eingibt und alle erdenklichen Lügen gebraucht in der Absicht, ihn von der Verbindung mit Gott und von der Vergebung seiner Schuld abzuhalten. Denn solange der Gebundene keine Vergebung erhält, bleibt er in der Hand des Teufels.

Ebenso ist es das Bestreben Satans, Zwietracht zwischen dem Gebundenen und dem Seelsorger zu säen. Es ist dem Teufel darum zu tun, auf jede Weise den Seelsorger in den Augen des Gebundenen herabzusetzen, damit dieser nicht auf die Stimme Gottes hört, sondern in der Gewalt des Teufels bleibt. Mancher Gebundene erklärt denn auch offen, es komme ihm so vor, als sei er selbst es gar nicht, der solche Gedanken und Absichten liege, vielmehr rede und handle ein ganz anderer aus ihm. Hinterher könne er nicht begreifen, daß er zu solchen Kurzschlußhandlungen und  äußerungen fähig war.

Die geschilderten Symptome, die besonders auf dem religiösen Gebiet sich zeigen, können psychologisch entweder gar nicht oder nur schwer und auf gekünstelte Weise erklärt werden. Es gibt in der Tat nur e i n e natürliche Deutung für das völlig widerspruchsvolle Wesen des Gebundenen, der innerlich hin  und hergerissen ist: die Stimme Gottes und die Stimme des Teufels stehen bei ihm dauernd im Kampf miteinander. Weil dem Feinde alles daran gelegen ist, den Gebundenen am Glauben, am Beten, am Bibellesen zu hindern, kommt es meist zu einem langwierigen Ringen des Seelsorgers um dessen Befreiung.

Zur Illustration sei einiges aus dem Brief einer dämonisch gebundenen Patientin angeführt, die nach längerer seelsorgerlicher Betreuung eine Zeitlang frei gewesen war, jedoch rückfällig wurde und sich nun im Stadium der inneren Zerrissenheit befindet:

„Ich kann die Sünde nicht hassen, ich kann dem Bösen nicht Widerstand leisten, ich bin wieder in schlechte Filme gegangen. Ich wollte Ihnen alles verheimlichen, denn ich habe Angst vor Ihnen, weil ich nicht auf Sie gehört habe. Bitte verstoßen Sie mich nicht. Es macht mich traurig, daß ich Ihnen so viel Kummer bereite. Obwohl Sie mich immer mahnen und ich auch hören will, tue ich doch wieder das Böse. Es lockt mich so. Mich zieht es in die Bars und in die Filme. Deshalb lassen Sie lieber das Beten für mich sein, es hat doch keinen Wert mehr. Der Böse redet mir ein, daß es doch gar nicht so schlimm ist. Da gehen so viele hin und ich darf nicht so eng denken. Gott hat uns doch in diese Welt gestellt, warum muß ich denn alles meiden? Aber gleichzeitig weiß ich, daß ich da nicht hingehöre. Ich werde doch nicht besser, es ist immer ein Hin und Her. Und doch habe ich davor Angst, daß ich einmal auf der Straße lande. Ich weiß, daß ich dazu zu schade bin. Aber der Mensch ist zu allem fähig, auf jeden Fall ich. Wenn ich meine innere Unruhe nicht mehr aushalte, trinke ich Wein und rauche. Und ich möchte dies so gerne lieber lassen. Was soll ich nur tun? Ich bete nicht mehr und fasse auch die Bibel nicht mehr an. Warum, weiß ich nicht. Ich komme auch so durch. Sagen Sie, hat Gott mich dahingegeben? Ich finde allein nicht mehr den Weg zurück. Gibt es keine Hilfe mehr für mich? Ich möchte doch im Grunde für Gott da sein und Ihm dienen. Aber immer versage ich. Bald gebe ich mich selbst auf, ich bin ja doch ein hoffnungsloser Fall. Weshalb mußte ich früher so viel Liebe entbehren, so daß ich zum Haß erzogen wurde? Helfen Sie mir doch bitte aus diesem Zustand wieder heraus!”

 

2. Die Besessenheit

Satan kann aber nicht nur eine Gebundenheit des Menschen an ihn hervorrufen, sondern auch wirklichen Besitz von ihm ergreifen. Die Besessenheit ist meist die Fortsetzung der Gebundenheit. Sie pflegt dann einzutreten, wenn der Gebundene in völliger Verstocktheit noch weitere Schuld auf sich lädt, indem er z. B. sich mit seinem eigenen Blut dem Teufel verschreibt. Doch kann es auch vorkommen, daß der Geist eines Besessenen nach dessen Tode auf einen seiner ungläubigen Nachkommen übergeht, wodurch eine sofortige Besessenheit erfolgt.

Viele Menschen, die eine dämonische Gebundenheit gelten lassen, leugnen die Tatsache der Besessenheit. Die Heilige Schrift kennt jedoch beide Arten von Dämonie und unterscheidet sie deutlich voneinander. So lesen wir Johannes 13, 2, daß der Teufel dem Judas Ischarioth den Verrat Jesu eingeredet hatte, und im gleichen Kapitel Vers 27 heißt es: “Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn.” Für den Bibelgläubigen besteht kein Zweifel, daß es zu Jesu und der Apostel Zeiten Besessene gab. Auch das Wort Jesu: “Die Zeichen, die denen zuteil werden, die da glauben, sind die: In Meinem Namen werden sie Teufel austreiben”, spricht dafür, daß die Besessenheit heutzutage nicht aufgehört hat. In der Tat gibt es auch in der Gegenwart Menschen, deren Zustand mit der in der Bibel beschriebenen Besessenheit manche Ähnlichkeit hat und weder psychiatrisch noch psychologisch befriedigend erklärt werden kann. Allerdings   das muß deutlich betont werden   wird die Besessenheit, wenigstens bei den Kulturvölkern, viel seltener beobachtet als die dämonische Gebundenheit. Zahlreiche Zustände von vermeintlicher Besessenheit sind entweder als dämonische Gebundenheit oder als eine seelische Krankheit anzusehen.

Welches sind nun die M e r k m a l e der Besessenheit? Da die dämonische Gebundenheit meist unmerklich in die Besessenheit übergeht, decken sich die Symptome der letzteren zum Teil mit den erwähnten Zeichen der dämonischen Gebundenheit oder sie finden sich in verstärktem Maße bei der Besessenheit wie die Abneigung gegen göttliche Dinge und die mediale Fähigkeit. Die Unterscheidung zwischen beiden Zuständen ist daher oft nicht leicht. Außer den Merkmalen der dämonischen Gebundenheit tritt jedoch bei der Besessenheit nicht selten eine ausgesprochene Tobsucht mit Schreien, Lästern, Zähneknirschen und der Neigung zu Gewalttaten und Verbrechen auf. In solchen Zuständen kann der Besessene Gegenstände beschädigen oder sich selbst Verletzungen beibringen, um sich das Leben zu nehmen. Auch fällt er beim Beten mit dem Seelsorger oder bei einer Predigt oft sofort in einen Dämmerzustand, so daß er nichts in sich aufnimmt. Ein “tauber Geist” sucht ihn vom Mitbeten und von religiöser Beeinflussung abzuhalten. Zuweilen wird ein höhnisches Lachen beobachtet, wenn in der Gegenwart des Besessenen vom Kreuz und Blut Jesu gesprochen wird. Vielfach hört er die laute oder flüsternde Stimme des Teufels, der ihm Dinge zu tun befiehlt oder verbietet. Manchmal sieht er auch dunkle Gestalten im Zimmer. Die Dämonen reden im allgemeinen nur wenig aus dem Besessenen, um möglichst unerkannt zu bleiben. Nur wenn der Zeitpunkt ihrer Austreibung gekommen ist, geben sie ihren Widerstand auf und können ihrer Verzweiflung und Angst vor dem Ausfahren Ausdruck geben.

Außer diesen Merkmalen gibt es noch einige bemerkenswerte, aber selten auftretende Phänomene bei der Besessenheit: einmal Trancezustände, in denen ein anderer mit veränderter Stimme oder in einer fremden Sprache, die dem Besessenen selbst nicht geläufig ist, aus ihm redet. Hinterher weiß er nichts von alledem. Sodann eine außergewöhnliche Körperkraft, die der Besessene in tobsüchtigem Zustand an den Tag legen kann, wenn er gebändigt werden muß (Mark. 5, 4; Apg. 19, 16). Ferner kann Hellsehen beobachtet werden, indem der Besessene von Dingen spricht, die er auf natürlichem Wege nicht erfahren haben konnte. Er sieht einem anderen an, wes Geistes Kind er ist, welche unvergebenen Sünden er begangen hat und welche Zukunft ihm bevorsteht. Es zeigt sich, daß seine Aussagen zutreffen, wie dies auch bei dem Mädchen in Philippi der Fall war (Apg. 16,16).

Bei diesen außergewöhnlichen Symptomen versagen alle Versuche einer medizinischen oder parapsychologischen Erklärung. Ausdrücklich muß jedoch bemerkt werden, daß das Hellsehen nicht nur bei Besessenen angetroffen wird, sondern auch von dazu veranlagten Menschen als eine besondere Gabe angesehen, aber öfters auch als eine schwere Last empfunden wird. Diese Art von Hellsehen ist wesentlich häufiger als die dämonisch bedingte. Beide Arten voneinander zu unterscheiden, ist ohne Schwierigkeit möglich.

Ferner werden in der Umgebung eines Besessenen bei Nacht nicht selten schwere Schritte, Klopfen, Poltern und andere Geräusche gehört und zwar nicht nur von den Menschen, die für den Besessenen beten – sie sollen durch die Geräusche in Angst versetzt und an der Fürbitte gehindert werden – , sondern auch von völlig unbeteiligten Personen.

Häufig fällt der Besessene durch einen finsteren, haßerfüllten Gesichtsausdruck auf. Dieser wird besonders dann offenbar, wenn in seiner Gegenwart geistliche Gespräche geführt werden oder wenn er auf dem Sterbebett liegt. Doch kann er bewußt eine Maske aufsetzen, so daß ihm von seinem inneren Zustand oft nichts anzumerken ist.

Auch körperliche Symptome finden wir bei der Besessenheit. Der Teufel sucht sein Opfer zu quälen, indem er vorübergehende Schmerzen aller Art an den verschiedensten Körperstellen verursacht. Sie treten mit größter Willkürlichkeit auf, wie wir sie bei echten Krankheiten nicht beobachten. Besonders bei Nacht können Besessene geplagt werden, so daß an Schlaf kaum zu denken ist.

Die B e f r e i u n g von der Besessenheit kann ohne besondere Zeichen vor sich gehen. Doch ist sie daran zu erkennen, daß der Befreite nach schwerem Gebetskampf plötzlich ein frohes und gelöstes Wesen an den Tag legt und den Namen Jesu freudig aussprechen kann. Er sagt sich auf Veranlassung des Seelsorgers oder auch spontan von allen finsteren Mächten los. Die krankhaften Störungen, auch die erwähnten, besonders auffallenden Zeichen schwinden nach der Befreiung schnell und völlig. So war die Wahrsagekunst des Mädchens in Philippi nach ihrer Befreiung schlagartig beseitigt (Apg. 16, 19).

R ü c k f ä l l e, auf die schon Jesus hingewiesen hatte (Matth. 12, 43   45), sind allerdings ziemlich häufig. Deshalb befahl Jesus dem Dämon in dem besessenen Knaben ausdrücklich: “Fahre aus und kehre nie mehr zurück!” Wenn der Befreite nicht weitere Seelsorge erfährt, wird sein Zustand entweder schlimmer als er zuvor gewesen war, oder er kann zum mindesten aufs neue in eine dämonische Gebundenheit geraten.

Als Beispiel einer wahrscheinlichen B e s e s s e n h e i t sei das Wesentliche aus einem Brief angeführt, den ich von einer verheirateten Frau erhielt:

“Meine Ehe ist keine glückliche. Mein Mann liebt mich nicht, und das, was ich ihm geben könnte, will er nicht. Er geht immer mehr seine eigenen Wege. Meine Ehe ist ein langer Leidensweg. Aber ich sehe ihn als eine Leidensgemeinschaft mit meinem Herrn an, so daß ich ihm auf diesem Wege näher sein darf, als wenn ich eine glückliche Ehe führen dürfte. Mein Mann ist fast immer von Unruhe und Friedelosigkeit erfüllt. jedes kleinste Mißgeschick bringt ihn außer sich. Unserem Kinde gegenüber ist er unbeherrscht, und nie ist dieses schwieriger, als wenn der Vater da ist. Oft ist mir seine Nähe eine Pein, da einfach etwas Böses von ihm ausgeht, während auch er meine Nähe nicht ertragen kann. Es scheint mir oft, daß das Böse sich bei jeder Gelegenheit in ihm bemerkbar machen will. Er muß streiten, wo gar kein Grund vorhanden ist. Er muß mit rauher Stimme bei jeder kleinsten Gelegenheit schreien, er muß die Türen zuschlagen, das Böse ständig in Schutz nehmen und sich über alles Gute lustig machen. Ich darf ihm kein Wort glauben, weil ich nie weiß, ob er die Wahrheit spricht. Oft ist sein Gesicht völlig kalt und finster, wenn er mich betrachtet, so finster, als wollte er mir etwas antun. Bei seinem Streiten widerspricht er sich ständig. Nach außen ist mein Mann von einer fast unnatürlichen Höflichkeit und Gefälligkeit. Er geht auch mit mir zur Kirche, aber er weiß hinterher nie, worüber gepredigt wurde. Und wenn er das Tischgebet spricht oder einen Choral mit uns singt, ist es, als ob ein Automat betete oder sänge; er selbst ist gar nicht dabei. Über die Gesangbuchlieder spottet er. Nie kann er bei sich eine Schuld finden, dagegen ist er voller Anklagen gegen seine Mitmenschen und unsere Lebensverhältnisse. Oft redet er bei anderen Schlechtes über mich. Ich bleibe aber dennoch im Frieden und schweige.

Seit einiger Zeit spukt es in unserem Hause. Auf dem Boden hört man nachts Schritte, Schleifen, Klopfen und andere Geräusche. Besonders wenn ich vor dem Schlafengehen zum Gebet niederknie, klopft es im Zimmer. Auch am Morgen während meiner stillen Zeit höre ich manchmal über mir Schritte und Klopfen. Unser Kind, das nichts von alledem weiß, wurde schon durch das Klopfen bei Nacht gestört. Als ich einmal mein Gebetsbuch holen wollte, spürte ich deutlich, wie auf dem Sofa etwas saß und mich mit demselben bösen Blick ansah, wie mein Mann es manchmal tut. Doch betete ich nach meiner Gewohnheit laut und rief Jesu Siegernamen an über meinen Mann und mein Kind, über mich und unser ganzes Haus, bis alle Furcht wich und eine große Freudigkeit über mich kam. Seitdem ist es ruhiger geworden. Der “Geist” ist zwar noch hörbar, besonders dann, wenn mein Mann seine unruhigen Zustände hat und schimpft. Aber das darf mich nicht mehr schrecken. Wenn ich Jesus, den Sieger über alle dunklen Mächte, rühme, wird es totenstill auf dem Boden und in der Wohnung. Auch wenn ich während des Klopfens laut bete, verstummen die Geräusche vorübergehend. Als mein Mann verreist war, hörte das Klopfen ganz auf und erst nach seiner Rückkehr machte es sich wieder bemerkbar. Als ich einmal gerade im Gebet versunken war, wurde von unsichtbarer Hand in der Bibel, die neben mir lag, geblättert und ein kalter Hauch traf mich. Fenster und Türen waren alle geschlossen. Meine Tochter, die im Nebenzimmer schläft, hörte kürzlich jemand bei Nacht in meinem Zimmer hin und her gehen, während ich fest schlief … Mein Mann tut mir in seiner dauernden Unruhe von Herzen leid, um so mehr als er auch von Selbstmordgedanken gequält wird…”

Einige Jahre später erhielt ich von dieser Frau folgende Nachricht:

“Einmal las ich ein Gebet von einem bekannten Evangelisten mit dem Hinweis, es vier Wochen lang zweimal täglich zu beten für den Menschen, der uns besonders am Herzen liegt. Ich betete dieses Gebet sehr ernstlich. Als ich es am zweiten Tag morgens betete, klopfte es zum ersten Mal seit langer Zeit wieder recht handfest. Es war das typische Klopfen zweimal hintereinander mit einem kurzen Abstand. Es kann auch immer noch vorkommen, daß ich nachts aufschrecke durch ein recht böses Klopfen an meine Tür. Zuerst meine ich immer, es sei mein Mann, aber draußen ist niemand. Sonst ist es ja Gottlob ruhig im Haus. Aber es geht immer noch etwas um. Kürzlich war ich einmal bis spät in die Nacht auf, da hörte ich über mir auf dem Boden deutliche Schritte ruhelos hin  und hergehen. Später hörte ich vom Wohnzimmer aus im Nebenzimmer, dem Zimmer meiner Tochter, jemand hin  und hergehen. Ich meinte zuerst, sie wäre es, aber sie lag in tiefem Schlaf im Bett. Ohne Zweifel ist im Haus immer noch ein ruheloser Geist, der keinen Frieden findet. . .”

Während hier angesichts des auffallenden Verhaltens des Ehemannes eine Besessenheit als durchaus möglich angesehen werden kann, besteht aufgrund der begleitenden Spukerscheinungen die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von wirklicher Besessenheit.

Zwar sucht die Parapsychologie mehrere Erklärungen für den Spuk zu geben. So stellt Professor Bender (Freiburg) die Hypothese auf, der Spuk sei als ein Aktivwerden unterbewußter seelischer Kräfte aufzufassen, die sich zu einer Masse verdichten. Indem diese psychischen Energien eine Sonderexistenz führen, verursachen sie den Spuk. Dabei handle es sich stets um psychisch kranke Menschen. Doch reichen sämtliche parapsychologischen Deutungsversuche zu einer befriedigenden Erklärung des Spukphänomens nicht aus, was auch von den Forschern zugegeben wird. Solange dies aber nicht der Fall ist, erhebt sich die Frage, ob die psychische Abnormität der Menschen, die den Spuk verursachen sollen, nicht mit einer dämonischen Bindung zusammenhängt, in die sie aus irgend welchen Gründen geraten sind. In solchem Falle würde der Spuk aus dem Bereich dämonischer Kräfte stammen, die die Fähigkeit zur Materialisierung besitzen. jedenfalls ist es auffallend, daß die meisten Spukfälle mit der Anwesenheit von Besessenen oder mit okkulter Betätigung von lebenden oder verstorbenen Bewohnern des betreffenden Hauses zusammenhängen. Auf eine metaphysische Ursache der Spukerscheinungen deutet auch die vom Seelsorger gemachte Erfahrung hin, daß der Spuk zu weichen pflegt, wenn die betreffenden Menschen zum Glauben an Christus kommen.

Zwei Fälle von Besessenheit sind auch in meiner Schrift “Der Dämon im Menschen” geschildert.

 

III. Die Unterscheidung von Krankheit und Dämonie

Nun aber erhebt sich die Frage: Worin besteht der Unterschied zwischen einer Dämonie und einer Krankheit? Decken sich die erwähnten Merkmale der dämonischen Gebundenheit und der Besessenheit mit den verschiedenen klassischen Krankheitssymptomen der Psychiatrie oder können sie  nicht bzw. nur teilweise in die üblichen psychiatrischen Krankheitsbilder eingereiht werden?

1. Schizophrenie oder Dämonie?

Sehen wir uns zunächst das Krankheitsbild der Schizophrenie an.
Bei dieser Krankheit ist es, besonders im Beginn, oft nicht leicht, die Unterscheidung zwischen ihr und einer Dämonie vorzunehmen, weil die Dämonie einer Schizophrenie und diese einer Dämonie in mancher Hinsicht ähnlich sehen kann. Es ist dal ier erklärlich, daß Verwechslungen recht häufig sind, zumal nicht wenige Seelsorger nur zu rasch fast jede Geisteskrankheit als eine Besessenheit ansehen und andererseits der Psychiater jeden Besessenen für einen Geisteskranken zu halten pflegt. Und doch gibt es manche Fälle, bei denen es dem Psychiater nicht gelingt, sie in die üblichen Symptomenbilder der Schizophrenie unterzubringen, so daß diese Diagnose nur mit einem Fragezeichen versehen werden kann.

Zunächst könnte der Unvoreingenommene bei der Schizophrenie eine Besessenheit vermuten, wenn ein bis dahin unauffälliger jugendlicher sich allmählich ohne besonderen Grund gegen seine Eltern auflehnt, störrisch, bösartig, erregt und unverträglich wird, gegen seine Umgebung tätlich vorgeht oder allerlei unberechenbare Handlungen ausführt. Auch liegt es nahe, eine Dämonie anzunehmen, wenn ein junger Mann ohne erkennbaren Anlaß von Angstzuständen und Depressionen überfallen wird, die nach seiner Aussage wie ein schwarzer Berg auf ihn zukommen, um ihn zu erdrücken; wenn er zeitweise meint, sich aufhängen zu müssen, oder wenn er bei unpassenden Gelegenheiten hinkniet und laut betet, um gegen den Feind, der ihn bedrohe, anzukämpfen. Oder muß man nicht geradezu an eine Besessenheit denken, wenn der Betreffende selbst von der Anwesenheit eines in ihm wohnenden Dämons felsenfest überzeugt ist und seine körperlichen Beschwerden mit einer Beeinflussung durch diesen Dämon in Verbindung bringt, sich von einem Dämon dauernd angesprochen, verhext, hypnotisiert fühlt und seiner Umgebung immer wieder erzählt, er werde von einer feindlichen Macht zu seinen Gedanken und Taten veranlaßt?

All diese Zeichen sind jedoch zumeist als typische Merkmale einer Schizophrenie anzusehen. So kann es nahezu als Regel gelten, daß derjenige, der fortgesetzt von vermeintlicher Besessenheit redet, nicht besessen, sondern krank ist. Eine Bestätigung für diese Auffassung bekommen wir, wenn in solchen Fällen häufig eine allmähliche Verschlimmerung mit zunehmenden Wahngedanken und einem langsamen Verfall der ganzen Persönlichkeit einsetzt. Dann liegt kein Zweifel mehr vor, daß die geschilderten Erscheinungen auf eine Schizophrenie und einen mit dieser verbundenen Besessenheitswahn zurückzuführen sind. Daß die Wahnideen dämonisch gefärbt sind, rührt meist daher, daß der Kranke vor oder zu Beginn seines Leidens manches über Dämonen und Besessenheit gehört oder gelesen hat. Selbst wenn ein solcher Mensch angibt, abnorme Geräusche zu hören und auffallende Erscheinungen zu sehen, muß man hierbei krankhafte Sinnestäuschungen annehmen, zumal wenn seine Umgebung nichts von solchen Erscheinungen wahrnimmt.

Der Besessenheitswahn kann bei der Geisteskrankheit völlig im Vordergrund stehen. Da dieser Zustand verhältnismäßig häufig anzutreffen ist, sei ein solcher Fall näher beschrieben:
>Eine dreißigjährige Kranke kam in meine Behandlung mit der Angabe, sie sei besessen. Sie führe dies auf die Behandlung durch einen Magnetopathen zurück, die vor vielen Jahren stattgefunden habe. Dieser Mann habe ihr einen unheimlichen Eindruck gemacht und ihr von spiritistischen Sitzungen erzählt. Sie habe von anderen gehört und auch in Büchern gelesen, welch schlimme Folgen eine solche Behandlung nach sich ziehen könne. Seit jener Zeit sei sie im Gemüt bedrückt und lebensüberdrüssig, auch habe sie bis vor einigen Jahren eine lähmende Schwere und Unruhe in sich verspürt. Vor drei Jahren sei sie in eine freikirchliche Gemeinde aufgenommen worden. Seitdem habe sie eigenartige Empfindungen an ihrem Körper. Als sie auf Veranlassung des Predigers das Absagegebet gesprochen habe, sei etwas rundherum um ihren Kopf gesaust wie ein Wirbelwind. Während sie bei der Taufe den Segen empfangen habe, sei ihr Leib vom Feind hin und her geworfen worden, so daß sie nicht still hinknien konnte. Bei dem Besuch eines auswärtigen Predigers habe sie während des Gottesdienstes hinauslaufen und schreien müssen. Deshalb habe dieser eine Teufelsaustreibung bei ihr vorgenommen. Sie habe dabei eine Befreiung im Leibe gespürt. Weil es aber im rechten Arm stark geklopft habe, habe sie gemerkt, daß der Teufel nicht ganz weggegangen sei. In der darauffolgenden Nacht habe sich etwas Großes und Schweres auf ihre Brust gelegt. Durch Gebet sei diese Empfindung geschwunden, doch sei sie bald wieder eingetreten. In der nächsten Nacht sei etwas wie ein Schwarm von wilden Raben auf sie zugeflogen, auch habe sie schwarze Eulen gesehen. Sie habe immer Püffe und Stöße im Bett bekommen. In einer anderen Nacht habe sie einen Druck im Kopf von hinten nach vorn bemerkt. Dabei habe sie in völlig wachem Zustand das Bild eines Mannes gesehen, der hemdsärmelig mit finsterem Gesicht vor dem Bett gestanden sei. Besonders oft werde sie von dem Dämon sexuell belästigt. Sie spüre dies deutlich an einem Kribbeln bei Nacht, so daß sie nicht wisse, wie sie sich hinlegen solle, um sich gegen die feindlichen Angriffe zu schützen. Auch am Tage spüre sie manchmal das Kribbeln, besonders wenn sie beten wolle. Der Feind habe zu ihr gesagt: Du hast den Heiligen Geist gelästert! Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Gib den Geist auf! Es sei eine innere Stimme gewesen, die sie gehört habe, so wie man auch mit dem geistigen Auge etwas sehen könne. Einmal sei etwas von ihrem Kopf heruntergeflogen, dann sei etwas wie ein Kampf in ihr durcheinandergegangen. Plötzlich habe sie wieder Verbindung mit Gott gehabt. Man könnte aus ihren Worten schließen, sie sei nicht ganz normal; aber das sei nicht der Fall. Ihre Freunde verstünden sie und wüßten, daß sie nicht geisteskrank sei. Eine Stimme habe ihr laut zugerufen: “Armes, gefesseltes Menschenkind!” Aber als sie daran dachte, daß Jesus bei ihr sei und für sie kämpfe, sei es ihr gewesen, als habe sie ein Lichtstrahl getroffen. Sie habe sofort gewußt, daß es ein Engel Gottes war, der mit dem Satan kämpfte. Als sie in der Bibel gelesen habe: Seine Barmherzigkeit hat kein Ende”, habe es warm und hell in ihr aufgeleuchtet. Das sei Jesus gewesen. Es sei ihr vorgekommen, als würde eine Hand an ihr Herz greifen. In einer Nacht habe sie mit ihren inneren Augen gesehen, wie Jesus in den Wolken saß und auf sie herunter sah. Auf einmal leuchteten seine Augen sie ganz lieb an. Da habe sie gewußt, daß sie keine Angst zu haben brauchte. Sie habe öfters solche herrlichen Erscheinungen gehabt. Bei einer zweiten Teufelsaustreibung, die eine gläubige Frau bei ihr vorgenommen habe, habe sie gemerkt, wie der Feind in ihr furchtbar gezappelt habe, wie wenn eine Hummel in ihr zappeln würde.
Obwohl die Frau ihr erklärt habe, sie sei freigeworden, habe das Zappeln nicht aufgehört und sie sei von neuem belästigt worden. Im letzten Jahr habe alles in ihr zwei Monate lang pestartig gerochen. jetzt verspüre sie noch oft ein Zappeln und intensive Ströme an verschiedenen Stellen des Körpers sowie bei Nacht das Kribbeln, so daß sie nur wenig schlafen könne. Da sie noch nicht frei sei, könne sie sich nur schwer zum Beten konzentrieren. Einen Beruf könne sie nicht ausüben, weil sie vieles vergesse und dauernd müde sei. Manchmal höre sie, wenn sie beten wolle, Lästerworte. Den Namen Jesu könne sie oft nicht aussprechen. Bei einer dritten Teufelsaustreibung habe sich der elektrische Strom in ihrem Körper gesenkt, doch sei er hernach wieder heraufgestiegen. Einmal habe sie bei der Morgenandacht plötzlich ein Zittern im Körper gespürt. Es sei ihr gewesen, als wenn der Dämon in ihr sich vorbeugte und gegen den Sprecher wütende Handbewegungen machte. Das seien alles nüchterne Tatsachen. Daß die Gemeinde, zu der sie gehöre, in letzter Zeit bei ihr keine Besessenheit mehr annahm, bedrücke sie sehr. Aber es sei die Absicht des Feindes, daß man sie als geisteskrank ansehe, damit er auf diese Weise in Ruhe gelassen werde.<

Diese Angaben der Patientin waren nur ein geringer Teil ihrer zahlreichen Beschwerden. Sie war unermüd¬lich im Erzählen ihrer abnormen Empfindungen. Wenn auch einige ihrer Äußerungen zunächst den Verdacht auf eine Dämonie erweckten, so bestand doch bald keinerlei Zweifel mehr daran, daß es sich um eine Schizophrenie handelte. Die unzusammenhängenden, absonderlichen und verschrobenen Vorstellungen und Empfindungen, die Gesichts  und Gehörstäuschungen, die ständigen Angaben über die Tätigkeit der in ihr wohnenden Dämonen waren ohne Zweifel krankhafter Natur. Eine wirkliche Besessenheit geht ohne die erwähnten Vorstellungen und Empfindungen einher. Nicht ein Dämon oder Engel mit ihren Botschaften redeten zu ihr, wie die Patientin meinte, sondern aus ihrem kranken Gehirn kommende Stimmen. Es wäre daher verkehrt, alles, was ein solcher Mensch über in ihm hausende Dämonen aussagt, für bare Münze zu halten. Dadurch würde er in seinen Wahnvorstellungen nur noch bestärkt werden.

Bei  G l ä u b i g e n  tritt die Schizophrenie meist in fast rein religiösem Gewande auf. Der Kranke ist der Auffassung, sein Glaubensleben sei durch satanische Beeinflussung krank geworden, weil oft eine furchtbare Unruhe über ihn komme, die ihm den Frieden mit Gott, und die Freude am Gebet nehme und dem Heiligen Geist aus seinem Herzen reiße. Alles sei dunkel in ihm, will Gott ihn verlassen und eine finstere Macht von ihm Besitz ergriffen habe, könne die Stimme Jesu nicht mehr vernehmen und Seinen Geist nicht mehr verspüren. Es sei ihm nicht mehr möglich, den Namen Jesu auszusprechen, so gerne er dies tun möchte. Er träumt unsinnige Dinge, aus denen er wichtige Schlüsse zieht.

Für kürzere Zeit kann er überglücklich im Glauben sein und überschwengliche Äußerungen tun; aber bald bricht er in lautes Weinen aus und ist völlig verzweifelt. Er ist nicht mehr imstande, sich zu den einfachsten Verrichtungen zu konzentrieren, und deshalb bald gezwungen, seine Arbeit aufzugeben. Gegen die immer wiederholte Auffassung seiner Umgebung, sein Zustand beruhe auf einer Krankheit, wehrt er sich mit Entschiedenheit.

So schrieb mir ein junger Mann:
>Vor einem Jahr hatte ich an einem Abend in der Bibel gelesen und gebetet und wollte einschlafen. Da kam mir ganz plötzlich ein furchtbares Fluchwort in den Sinn. Es fuhr etwas aus mir heraus, und ich glaubte sterben zu müssen. Ich sprang aus dem Bett und rannte durchs Zimmer, und noch einmal kam das Gefühl über mich, zu sterben. Ich fühlte, wie etwas, vielleicht der Heilige Geist, aus mir fuhr. Ich zitterte, nahm meine Bibel, ging auf die Knie und bat um Vergebung. Aber eine große innere Unruhe erfaßte mich, die bis heute nicht gewichen ist. Es ging mir von Tag zu Tag schlechter. Ich ging zum Hausarzt, von dort zum Nervenarzt und wurde von ihm in die Psychiatrische Klinik eingeliefert, wo ich viele Monate weilte und mit Medikamenten und Elektroschocks behandelt wurde. Ich bin überzeugt, daß ich verloren bin. Bitte, schreiben Sie mir, ob ich in die Hölle komme. Täglich, ja stündlich steigen die schlimmsten Fluchgedanken und Worte in mir hoch. (Er nannte mir über ein Dutzend von schweren Flüchen.) Ich habe an nichts mehr Freude, sondern nur noch Angst. Der leichten Arbeit, die ich tue, kann ich nur mit Mühe nachkommen. Mit okkulten Dingen haben weder ich noch meine Eltern zu tun gehabt. Ich war ein frohes Gotteskind. Nun habe ich allen Frieden und alle Heilsgewißheit verloren. Das Furchtbare ist, daß ich an allem schuld bin. Das Wort Hebräer 10, 26 31 trifft auf mich zu. Zwar haben mir viele erklärt, diese Stelle beziehe sich nicht auf mich; aber ich kann einfach nicht anders, ich muß sie für mich nehmen. In letzter Zeit habe ich auch Selbstmordgedanken. Kann ich wieder gesund werden? …<

Ein anderer Patient, der vor seiner Erkrankung in frohem Glauben an seinen Herrn gestanden hatte, war seit einiger Zeit öfters von entsetzlicher Furcht vor der ewigen Verdammnis erfüllt, dann wieder kam vorübergehend eine nie gekannte Freude über ihn. Einmal hörte er eine Stimme, die sich für Gott ausgab und ihm den Befehl erteilte, die Straßenbahn zu besteigen, um durch Gesang die frohe Botschaft zu verkünden. Ein anderes Mal sprang er bei Nacht aus dem Bett, warf sich auf die Knie und schrie voller Furcht zu Gott, weil er sich in die Hölle versetzt fühlte. Dann wieder hielt er sich für den Antichristen, bäumte sich gegen Gott auf und berief sich auf den Teufel. Oft fühlte er sich von bösen Geistern gequält. Auch im Leib spürte er die vermeintliche Einwirkung des Feindes: ein starkes Brennen sei der Beweis, daß die Dämonen in seinem Leibe sitzen. Harmlose Begebenheiten deutete er als dämonische Beeinflussungen und okkulte Machenschaften, die die Menschen mit ihm treiben. In völliger Uneinsichtigkeit lehnte er jede ärztliche Hilfe ab. Er erklärte sich lediglich bereit, den Rat eines Seelsorgers anzunehmen, wenn dieser auf seine Besessenheit eingehe. Ein Austreibungsversuch, den ein Seelsorger vornahm, verschlimmerte den Zustand. Aufgrund seines ganzen Verhaltens war auch für den Nichtarzt mehr und mehr zu erkennen, daß eine Geistesstörung vorlag.

In manchen Fällen beobachten wir ein gleichzeitiges Zusammentreffen von Geisteskrankheit und Dämonie. Auch hierfür sei ein Beispiel kurz erwähnt.

Die Vorfahren des Patienten waren Besprecher, seine Mutter war Trinkerin, seine Schwester war geisteskrank und starb in einer Heilanstalt. Er selbst leidet an Trunksucht mäßigen Grades. Er ist Heilpraktiker und gibt durch Pendeln treffsichere Auskunft über Vermißte und Verstorbene. Mehr und mehr entwickelte sich bei ihm ein Verfolgungswahn, der nicht beeinflußt werden konnte, obwohl er völlig unbegründet war. Ein bevollmächtigter Evangelist löste vorübergehend den Bann, die Wahngedanken ließen jedoch nicht nach. Sie machten auf seine Angehörigen durchaus den Eindruck einer echten Geistesstörung.

In diesem Falle handelt es sich offenbar um eine typische erblich bedingte Geisteskrankheit. Die daneben vorliegende dämonische Gebundenheit, die auf das Besprechen der Vorfahren zurückzuführen ist, zeigt sich in dem magischen Pendeln sowie in einem häufigen Fluchen und Schimpfen auf alles Fromme.
Aber nicht nur zahlreiche Fälle von Schizophrenie werden als Besessenheit angesehen, es muß auch mit der umgekehrten Möglichkeit gerechnet werden, daß nämlich ein wirklich Besessener für geisteskrank gehalten wird. Ein Mensch z. B., der die Symptome des in den Evangelien beschriebenen Gadareners aufweisen würde (Mark. 5,1 ff.), würde mit Bestimmtheit unter der Bezeichnung “geisteskrank” in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen werden. Sein Schreien und Toben, seine Nacktheit, seine Selbstbeschädigung, seine Gemeingefährlichkeit   das alles trifft man in der Tat auch bei einer schweren Geisteskrankheit an. Daß aber dennoch hinter diesem Zustand eine Besessenheit steckte, ersehen wir nicht nur aus der raschen und völligen Heilung nach der Austreibung durch Jesus, sondern auch aus der Tatsache, daß eine fremde Stimme sinnvolle Worte aus ihm sprach, wie: “Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesu, du Sohn Gottes, ich beschwörei dich bei Gott, daß du mich nicht quälst!“  Ein unruhiger Geisteskranker dagegen redet unsinniges Zeug, kann stundenlang dieselben Worte oder Sätze sprechen und sich mit Gestalten unterhalten, die er zeitweise vor sich sieht. Er gebraucht vielfach eine absonderliche Ausdrucksweise und äußert ungereimte Ideen. All dieses widerspricht einer Besessenheit, bei der der Mensch völlig klar bleibt, auch wenn er zeitweise unruhig oder sogar tobsüchtig werden kann.

So kann man sagen: ein Geisteskranker ist wirklich krank, auch wenn er manche der Besessenheit ähnliche Züge aufweisen sollte. Ein Besessener dagegen ist geistig gesund, auch wenn ihm zeitweise seelisch abnorme Zeichen anhaften sollten. Ferner spricht der Geisteskranke meist in lebhafter Weise von seinen Ideen, der Besessene dagegen redet vielfach nur stockend und erst dann, wenn man ihn unermüdlich ausfragt. Während ein Geisteskranker in phantastischer Art von in ihm wohnenden Dämonen spricht, scheut sich der Besessene, solange er religiös noch nicht angefaßt ist, von Dämonen etwas auszusagen. Denn der Dämon sucht es zu verhindern, daß sein Opfer seine Existenz verrät.

Das Vorliegen einer Geisteskrankheit ist auch dann wahrscheinlich, wenn der Mensch bis zu seiner Erkrankung in lebendiger Verbindung mit Gott gestanden hatte, ebenso wenn okkulte Bindungen nicht nachzuweisen sind, dagegen andere geistige oder seelische Störungen in der Familie des Betreffenden vorliegen. Wenn ferner bei religiöser Beeinflussung ein solcher Mensch sich nicht wehrt oder gleichgültig zuhört und auch bei dem Versuch der Austreibung nicht unruhig wird, oder wenn er den Namen Jesu ohne Widerstand aussprechen kann, so spricht dies alles für eine Geisteskrankheit. Denn der Besessene sträubt sich gegen das Beten und gegen jede religiöse Einwirkung, weil der Dämon in ihm fürchtet, seine Behausung verlassen zu müssen. Ein ausgesprochener Widerstand bei seelsorgerlicher Beeinflussung legt daher von vornherein den Verdacht auf Dämonie nahe.

Ein besonderes Merkmal, das häufig zu verschiedenen Deutungen Anlaß gibt, ist das Stimmenhören. Dieses wird von Unkundigen meist in eine direkte Verbindung mit teuflischer Einwirkung gebracht. Es wird jedoch bei Schizophrenie wesentlich häufiger beobachtet als bei Besessenen. Krankhaft sind die Stimmen, wenn der Betreffende meint, diese rührten von fremden Menschen her, die über reden, ihn beobachten, belästigen, verfolgen. Oft befiehlt ihm die Stimme etwas, das seiner Natur völlig zuwider ist, wie etwa: wegzulaufen, nichts mehr zu essen, sich das Leben zu nehmen; und doch muß er der Stimme folgen. Wenn er aber seinem eigenen Willen entsprechend handeln möchte, verwehrt ihm dies die Stimme. Vielfach sind es auch ganz unsinnige Worte, die der Geisteskranke hört. Besonders wenn das Stimmenhören mit Wahnvorstellungen verbunden ist, besteht kein Zweifel daran, daß eine Geistesstörung vorliegt.

Ganz anders die satanischen Stimmen, die ein Besessener häufig hört. Sie sind psychologisch durchaus begreiflich, indem sie dem Menschen gottwidrige Dinge einreden. Er hört etwa eine Stimme, die ihm sagt: “Du bist zu Großem berufen. Glaube doch nicht, daß es einen Gott gibt! Was die Bibel und der Seelsorger sagen, ist Quatsch! Dein Beten hilft dir nichts, du kommst nicht frei von mir, du bist mein. Nimm dir doch das Leben!” Die Stimmen können von unheimlichen Gestalten herrühren, die der Besessene als anwesend empfindet oder gar sieht. Eine meiner Patientinnen, die sich früher okkult betätigt hatte, sah ihren Vater seit seinem Tode fast jede Nacht vor sich und hielt Zwiesprache mit ihm wie mit einem lebenden Menschen. Eine andere, die sich dem Teufel verschrieben hatte, hörte oft eine Stimme, welche ihr verbot, die Anweisungen des Seelsorgers zu befolgen, und ihr drohte, es würde ihr schlecht ergehen, wenn sie das Gehörte ihm weitersage. Auch sah sie oft den Teufel vor sich, der ihr gebot, sie solle ihm angehören; wenn sie sich Gott übergäbe, würde dieser sie ihres bisherigen Sündenlebens bestrafen. Im allgemeinen ist festzustellen: dämonische Stimmen sagen nur das, was den Menschen von Gott abbringen soll; krankhafte Stimmen dagegen reden unnatürliche und unsinnige Dinge.
Mit Vorsicht aufzunehmen sind die Angaben der Angehörigen von Schizophrenen, es sei früher mit dem Kranken Zauberei getrieben worden, weshalb mit Bestimmtheit eine Besessenheit vorliegen müsse, zumal er selbst sich von fremden Menschen beeinflußt fühle. Zweifellos kann durch eine früher ausgeübte Zauberei eine seelische Störung hervorgerufen worden sein. Aber wesentlich häufiger sind die Fälle, in denen eine typische anlagebedingte Schizophrenie nachzuweisen ist, die nichts mit okkulter Behaftung zu tun hat.

2. Epilepsie oder Dämonie?

Können wir bei der mit Anfällen von Bewußtlosigkeit einhergehenden E p i l e p s i e zu einem klaren Urteil hinsichtlich der Entstehungsweise gelangen? Manche Seelsorger neigen zu der Auffassung, die Epilepsie sei, wie überhaupt die meisten A n f ä l l e von Bewußtlosigkeit, ein Kennzeichen der Dämonie. Sie stützen sich dabei auf den biblischen Bericht von dem von Anfällen geplagten “mondsüchtigen” Knaben, aus dem Jesus einen Teufel austrieb. Wenn wir bei einem Epileptischen eine dämonische Einwirkung annehmen wollen, muß auch eine der eingangs erwähnten Ursachen vorliegen. Davon ist aber bei den meisten Epileptikern nichts nachzuweisen. Auch sind unter ihnen nicht wenige Gläubige, die in lebendiger Verbindung mit Gott stehen. Und ferner würde, wenn die Epilepsie dämonischen Ursprungs wäre, keine Besserung der Anfälle durch bestimmte Medikamente erfolgen, wie dies meist der Fall ist. Ich glaube vielmehr, daß der “mondsüchtige” Knabe von Jugend auf an einer Besessenheit litt, die in epilepsieähnlichen Erscheinungen sich äußerte. Seine Anfälle wurden von dem Dämon wohl zu dem Zweck verursacht, ihn aus dem Leben zu schaffen. Denn es ist stets das Endziel der Besitzergreifung finsterer Mächte, den Menschen zu töten, um ihn auf diese Weise an Satan auszuliefern. So sagte der Vater des Knaben zu Jesus: “Oft hat er ihn in Feuer und Wasser geworfen, daß er ihn umbrächte” (Mark. 9, 22). Noch im letzten Augenblick, ehe er ausfahren mußte, hatte der Dämon einen solchen Versuch unternommen.

Die Epilepsie ist aber nicht nur mit Anfällen von Bewußtlosigkeit verbunden, sondern sie kann statt ihrer auch unter dem Bilde von V e r s t i m m u n g e n verlaufen, die alle paar Wochen auftreten und ein bis zwei Tage dauern. Meist beginnt die psychische Veränderung beim Aufwachen am Morgen ohne erkennbare Ursache. Der Kranke ist mißmutig, finster, mürrisch, eigenwillig, abweisend, er nörgelt und schimpft leicht, ärgert sich über Kleinigkeiten, gebraucht unflätige Ausdrücke, ist reiz¬bar, streitsüchtig und neigt zu Gewalttätigkeiten. Oder er ist lebensüberdrüssig und äußert Selbstmordgedanken. Das Bewußtsein ist dabei im allgemeinen klar, doch kann es zeitweise getrübt sein, ja, es können ausgesprochene Dämmerzustände eintreten, so daß der Kranke sich hinterher an sein Verhalten nicht erinnert. In gesunden Tagen ist ein solcher Mensch durchaus empfänglich und offen für alles Religiöse.

Daß der beschriebene Zustand den Eindruck einer Dämonie erwecken kann, ist ohne weiteres begreiflich. Und doch wäre es in solchen Fällen unberechtigt, wollten wir eine Dämonie annehmen, zumal wenn die elektrische Hirnstromkurve auf das Vorliegen einer Epilepsie hinweist. Es ist daher verhängnisvoll und nicht zu verantworten, wenn manche Seelsorger nahezu jede Epilepsie und die meisten Zustände von Anfällen und Bewußtseinsstörungen als Folgen einer Dämonie ansehen.

3. Schwermut oder Dämonie?

Betrachten wir die S c h w e r m u t (Melancholie). Auch bei dieser Krankheit vertreten nicht wenige Seelsorger die Auffassung, daß ihre Merkmale für das Vorliegen einer dämonischen Gebundenheit oder einer Besessenheit sprechen. Eine solche scheint in der Tat besonders dann vorzuliegen, wenn der Schwermütige auf dem Höhepunkt seines Leidens nicht fähig ist, das Wort Gottes, die vergebende Gnade, die Gotteskindschaft, die Heilsgewißheit zu erfassen, wenn er sich für innerlich tot und verstockt hält, wenn er keine Liebe zu Gott empfindet oder sich des Mangels an Reue anklagt. Auch vermag er sich zum Beten und Bibellesen weder aufzuraffen noch zu konzentrieren, oder er sieht sich selbst als besessen an.

Alle diese Merkmale sind jedoch keinerlei Zeichen einer tatsächlichen Gottentfremdung, sondern typische, auf krankhaften Hemmungen beruhende und im religiösem Gewand auftretende Symptome der Schwermut. Es wäre daher verkehrt, wollten wir dem Kranken, der von der Echtheit seiner Besessenheit überzeugt ist, Glauben schenken. Eine solche Meinung ist vielmehr als ein ausgesprochen krankhafter Wahngedanke anzusehen. Dies geht schon daraus hervor, daß der Besessenheitsglaube oft mit anderen Wahnvorstellungen verbunden ist (Versündigungswahn, Verarmungswahn, Beziehungswahn, Unheilbarkeitswahn), Befürchtungen, die sich meist als völlig unbegründet erweisen. Auch lehrt, ebenso wie bei der Schizophrenie, die ärztlich seelsorgerliche Erfahrung, daß bei demjenigen, der immer wieder von Besessenheit redet, eine solche nicht vorliegt. Im Gegensatz dazu, denkt der wirklich Besessene gar nicht an eine Besessenheit,  selbst wenn sein Zustand ihm unbegreiflich sein sollte. Denn Satan ist alles daran gelegen, möglichst unerkannt zu bleiben. Ferner handelt es sich bei den Schwermütigen, selbst bei denen, die sich, etwa infolge früher begangener Zaubereisünden, besessen wähnen, oft um Menschen, deren Vergangenheit vor Gott völlig geordnet ist und die bis zu ihrer Erkrankung in wahrem Glauben an Gott und Christus standen. Es ist daher nicht anzunehmen, daß sie nun plötzlich einem Dämon zum Opfer gefallen sind. Schon deshalb kann man bei einem Schwermütigen nicht von Dämonie reden, weil in seiner Seele Traurigkeit und Verzagtheit herrschen, nicht aber Finsternis und Haß.
Nun wird aber von zahlreichen Seelsorgern der Standpunkt vertreten, das Vorhandensein von Lästergedanken sei bei der Schwermut das sichere Zeichen einer Dämonie. So ist in dem weitverbreiteten Buch eines bekannten Evangelisten zu lesen: Wer mit Lästergedanken zu tun hat, der kann daraus mit Sicherheit schließen, daß er, vielleicht in früher Jugend, besprochen worden und nun unter einen Bann des Teufels geraten ist.” Eine solche Schlußfolgerung ist jedoch bei Schwermütigen völlig unbegründet. Dies muß ausdrücklich betont werden, damit nicht all den Schwermütigen, die von Lästergedanken geplagt sind, ein großes Unrecht angetan wird. Lästergedanken finden sich nämlich gerade bei gläubigen Schwermütigen recht häufig. Sie sind bei ihnen als krankhafte Zwangsgedanken anzusehen. Besonders bei der übergewissenhaften und ängstlichen Form der Schwermut entstehen solche Gedanken aus der Befürchtung des Kranken heraus, er könnte sich zu einer Lästerung gegen das Heilige hinreißen lassen.

Hier gilt das psychologische Gesetz: was man befürchtet, tritt ein. Und weil eine solche Angst besonders leicht beim Bibellesen, beim Beten oder während des Gottesdienstes und Abendmahls einsetzt, drängen sich gerade bei diesen Gelegenheiten die Lästergedanken oft mit stärkster Macht auf. Mit einer teuflischen Beeinflussung haben sie jedoch nichts zu tun. Dies geht schon daraus hervor, daß sie gleichzeitig mit der Heilung der Schwermut schwinden. Auch wäre es bei der Annahme einer dämonischen Einwirkung unverständlich, daß die Lästergedanken oft allein durch eine fachärztliche Behandlung sich beseitigen lassen. Etwas anderes ist es dagegen, wenn bei einem gottfernen Menschen Lästergedanken zusammen mit häufigem Fluchen sich finden, wobei keine Anzeichen von Schwermut, wohl aber okkulte Machenschaften oder andere schwere Versündigungen vorliegen. Hier besteht kein Zweifel an einer dämonischen Ursache der Lästergedanken.
So läßt sich geradezu die Regel aufstellen: wenn Lästergedanken aus dem Herzen kommen, bewußt ausgesprochen und nicht bereut werden, sind sie satanischer Art. Wenn sie dagegen ohne den Willen des Menschen zwanghaft auftreten und nicht ausgesprochen, vielmehr verabscheut und aufrichtig bereut werden, sind sie krankhafter Natur. Der dämonische Mensch macht sich aus seinen Lästerungen gar nichts, während der Schwermütige es aufs tiefste beklagt, daß er solcher Gedanken fähig ist. Auch kann letzterer manchmal den Namen Jesu nicht aussprechen aus Angst, ihn lästern zu müssen oder seinen Namen zu beflecken. Bei Dämonie dagegen kann der Name Jesu nicht ausgesprochen werden, weil der Mensch diesen Namen verabscheut oder haßt.

Ebenso muß zwischen den S e l b s t m o r d g e d a n k e n bei Schwermut und bei Dämonie grundsätzlich unterschieden werden. Der dämonische Mensch will nicht mehr leben, weil er Satan gehorchen muß, der ihn in den Selbstmord hineintreibt. Die Tat begeht er, wie schon oben erwähnt, bei klarem Bewußtsein, weshalb er die volle Verantwortung dafür trägt. Bei Schwermütigen dagegen ist es zunächst der ihn beherrschende krankhafte Gedanke, er könne nicht mehr leben, weil er sich zu schwer versündigt habe. Diesen Lebensüberdruß benützt Satan, um ihn zur Selbstmordabsicht zu verführen. Geht er in den Tod, so deshalb, weil zuletzt die Klarheit der Gedanken völlig ausgeschaltet ist. Er ist daher für die Tat nicht verantwortlich zu machen.
Nur zwei Beispiele seien aus der Vielzahl von Krankengeschichten depressiver gläubiger Menschen herausgegriffen:
>Ein unverheiratetes Mädchen in den dreißiger Jahren gibt an, ihre verstorbene Mutter sei äußerst verschlossen gewesen, ihre vier Geschwister seien seelisch gesund. Die ganze Familie sei gläubig. Okkulte Belastungen seien ausgeschlossen. Sie selbst sei von jeher still und ernst gewesen und mit dem Leben nur schwer fertig geworden. Nach dem Tode der Mutter, mit der sie eng verbunden war, sei erstmals eine Schwermut über sie gekommen. Seitdem habe sie Angst vor dem Leben. Sie habe deshalb in ein Kloster gehen wollen, um sich geborgen zu fühlen und ganz für Gott leben zu können.
Mit zwanzig Jahren habe sie ein sehr schweres Erlebnis gehabt, über das sie sich niemals habe aussprechen können. Seitdem sei sie nie mehr ganz frei von depressiven Verstimmungen gewesen und habe in den Jahren darnach an starkem Lebensüberdruß gelitten, so daß sie mehrmals Selbstmordversuche unternommen habe. Mit 21 Jahren sei sie in ein Diakonissenmutterhaus eingetreten, doch habe sie infolge eines Lungenleidens bald wieder austreten müssen und habe seitdem nur leichtere Arbeiten tun können. Mehrere Versuche, eine ihren Kräften entsprechende Arbeit zu finden, seien gescheitert. Dies habe zu einer Verschlimmerung ihrer häufigen Depressionen geführt. Sie habe viel gegrübelt, doch sei eine Aussprache mit ihren Angehörigen nicht möglich gewesen, weil diese von ihrem Beruf zu sehr in Anspruch genommen waren.
Das Glaubensleben der Patientin ist durch die Angst vor der Zukunft beeinträchtigt. Auch empfindet sie wegen des früheren Erlebnisses zeitweise einen Groll gegen Gott und sieht auch keinen Sinn mehr hinter dem Leben, zumal sie auch von schweren körperlichen Nöten befallen ist. Vielfach ist sie nicht imstande, ihre Grübeleien wegzulegen. Zeitweise hat sie den Eindruck, ihr Zustand sei eine Strafe Gottes für eine ihr vielleicht nicht bewußte Schuld. Doch hat sie ehrliche Bestreben, ihr körperliches und seelisches Leiden im Blick auf Gott zu tragen. Besonders am Morgen ist es ganz dunkel in ihrer Seele, so daß sie kaum zu beten und in der Bibel zu lesen vermag. Von ihren Geschwistern fühlt sie sich nicht verstanden und nicht für vollwertig angesehen, weil sie kein lebendiges Glaubensleben führen kann. Besonders bedrückend empfindet sie die Unmöglichkeit einer Gebetsgemeinschaft. Es wird ihr vorgeworfen, sie gewähre dem Teufel noch zuviel Raum in ihrem Herzen, sonst müßte sie doch ihre Depressionen mehr und mehr überwinden können. Daß diese krankhafter Art sind, können ihre Angehörigen nicht begreifen. Sie sehen sie vielmehr als die Folge einer Bitterkeit gegen Gott oder einer anderen Schuld an. Falls eine gewisse Bitterkeit in ihr hochkommt, kann sie diese sofort Gott bekennen und sich vergeben lassen. Der innere Zwiespalt bringt sie oft in eine richtige Schwermut hinein, wobei sie viel weinen muß. Nur durch ihre Arbeit wird sie von ihren trüben Gedanken etwas abgelenkt.«

Aufgrund zahlreicher Unterredungen, die mit der Patientin geführt wurden, unterliegt es keinem Zweifel, daß die Gemütsverstimmungen auf einer depressiven, von ihrer Mutter ererbten Anlage beruhen. Abgesehen von den früheren Selbstmordabsichten und der zeitweiligen Bitterkeit haben die Zustände mit einer teuflischen Einwirkung oder gar einer dämonischen Gebundenheit nichts zu tun.

Das besondere Problem des Selbstmords schwermütiger Christen sei an einem weiteren Beispiel näher erörtert:
>Ein in den vierziger Jahren stehender Pfarrer stammte aus belasteter Familie: seine Mutter und zwei ihrer Brüder waren schwermütig wie auch einer seiner eigenen Brüder. Eine okkulte Vorgeschichte ist nicht nachweisbar. Der Patient selbst war von jeher schwernehmend, leicht gedrückt und viel allein. Er machte infolge strenger Erziehung eine freudlose Jugendzeit durch. Einen Fehltritt, den er mit 18 Jahren begangen hatte, konnte er nicht verwinden, obwohl er vor Gott und Menschen echte Buße getan hatte. Nach Abschluß seines Theologiestudiums befiel ihn erstmals eine richtige Depression, die mit großer Angst vor dem Predigen einherging, weil er sich nicht begabt genug und des Pfarrberufs nicht würdig fühlte. Er heiratete eine gesunde Frau, die seinem melancholischen Wesen liebevolles Verstehen entgegenbrachte und ihm zwei Kinder schenkte. Die Ausübung seines Berufes machte ihm große Not, er grübelte viel und hatte immer Schwierigkeiten bei der Vorbereitung seiner Predigten. Besonders wurde er von zahlreichen Selbstvorwürfen und Minderwertigkeitsgefühlen, von Apathie und Willenshemmungen wie auch von Selbstmordgedanken geplagt. Dazu kam die Sorge um seine schwer herzleidende Frau. Während einer Reihe von Jahren befand er sich mehrfach, monatelang wegen schwerer Depressionen in klinischer Behandlung. Er war überzeugt, diese furchtbare Krankheit niemals mehr zu verlieren, und geriet öfters in starke Anfechtungen. Dennoch wußte er sich als ein Kind Gottes und zweifelte nicht an der Macht seines Herrn, dessen Verheißungen er Ihm immer wieder vorhielt. Aber die Nichterhörung seiner Gebete rieb ihn nahezu auf. “Mein Schreien um Hilfe stößt auf verschlossene Türen; das ist ja auch so schwer, daß man sich in der Schwermut stundenlang mit Gottes Wort und Gebet befassen kann und daß nichts vorhält und Krafl gibt. Und doch hoffe ich, daß Gott mich nicht fahren läßt”, schrieb er einmal. Eines Abends befiel ihn, wie so oft eine große innere Unruhe und Angst. Er suchte einen Seelsorger auf, mit dem er eine lange Aussprache hatte. Danach schrieb er mehrere Briefe, in denen er seine Angelegenheiten regelte. Bald darauf vollführte er die Tat, die zu einem raschen Tode führte. In seinem Arbeitszimmer landen sich die Briefe samt dem Gesangbuch, in welchem das Lied “Jesus nimmt die Sünder an“ aufgeschlagen war.

Die Dorfbewohner konnten nicht verstehen, daß ein Pfarrer Selbstmord beging, und meinten, wenn man einen solchen Glauben habe, wie er ihn auf der Kanzel verkündigt hatte, müsse man doch aufsteigende Selbstmordgedanken abwehren können. Als nun vollends seine herzleidende Frau infolge ihres schweren Erlebens bald darauf ebenfalls vorübergehend gemütskrank wurde und Selbstmordgedanken äußerte, fragten sich die Gemeindeglieder, ob Schwermut denn ansteckend sei, ja sie erklärten zuallermeist rundweg, der böse Geist des Pfarrers sei in seine Frau gefahren; es könne nicht anders sein, als daß satanische Einflüsse den Selbstmord verursacht hätten. In ungläubigen Kreisen war zu hören, da könne man sehen, wie weit man komme, wenn man fromm sein wolle. Sowohl die Schwermut des Pfarrers als auch sein Tod wurden vom rein moralischen Standpunkt beurteilt. Besonders konnte man nicht begreifen, daß er noch kurz vor seinem Tode ausführliche Briefe schrieb; denn sie waren der Auffassung, dann müsse er doch bei klarem Bewußtsein die Tat begangen haben.<

Aus dem Verhalten der Dorfbewohner geht hervor, wie verbreitet die Unkenntnis über die Schwermut ist. Wir sahen oben, daß sie als eine Gemütskrankheit anzusehen ist, bei der in der Seele des Menschen sich oft ein furchtbares Ringen abspielt. Wenn die Krankheit stärkere Grade erreicht, wird der Mensch vielfach von lebhaften Wahngedanken befallen, die er sich in keiner Weise ausreden läßt. Sehr häufig sind es die Gedanken, Gott habe ihn wegen seiner Schuld, die er dauernd in krankhaft gesteigertem Maße vor sich sieht, verstoßen, so daß er ewig verloren sei. Er wird völlig von dem Gedanken beherrscht, nicht mehr leben zu können und nicht mehr leben zu dürfen, ja es sei Gottes Wille, daß er aus dem Leben gehe, um seine Schuld zu büßen. Alle vernünftigen Gedanken sind mehr und mehr ausgelöscht. Wenn er dann zur Tat schreitet, weiß er nicht mehr, was er tut. Er befindet sich in einem Zustand geistiger Verwirrtheit. Eine solche kann ganz plötzlich über ihn kommen, während er unter Umständen noch kurz vorher eine klare Unterhaltung hatte führen können. Ein Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung ist die Tatsache, daß der Kranke, falls ihm sein Vorhaben nicht gelang, oft keine Erklärung für sein Handeln geben kann, ja sich des Vorgangs nur dunkel zu erinnern weiß. Vor allem ist er sich dessen oft nicht bewußt, daß der Feind die Krankheit benützt, um ihn umzubringen. Wir müssen annehmen, daß Gott es dem Feinde erlaubt, den Kranken zu diesem Schritt zu veranlassen, diesem aber die Tat nicht als Schuld anrechnet. Gott urteilt und handelt oft ganz anders, als wir Menschen es tun und es begreifen können. Den Grund dafür wissen wir nicht und brauchen ihn auch nicht zu wissen, Seine Wege sind unerforschlich. Nur das wissen wir: “Von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge” (Röm.11,32ff). Auf keinen Fall steht es uns daher zu, einen Menschen zu richten, wenn wir dessen Handeln nicht verstehen.
Wenn aber der Feind der Meinung ist, er könne den gläubigen Schwermütigen, den er zum Selbstmord verführt hat, an seinen Herrn, den Satan, ausliefern, so täuscht er sich. Es ist für mich kein Zweifel, daß Gott eine solche Tat zuläßt, weil der Kranke nidit in Satans Hände, sondern in die offenen Arme Gottes fällt, zumal wenn er zuvor den Namen des Herrn anrief (Apg. 2, 21). Wir dürfen es dem barmherzigen Gott unbedingt zutrauen, daß Er einen verzweifelten Schwermütigen, der für seine Tat nicht verantwortlich gemacht werden kann, aufgrund seines Glaubens in Sein Reich aufnimmt, wo es weder Tränen noch Leid noch Geschrei noch Schmerzen gibt. Wenn der Kranke vor Beginn seines Gemütsleidens in lebendiger Verbindung mit seinem Herrn stand, wird er, auch wenn er seinem Leben ein Ende machen zu müssen glaubte, nicht verloren gehen. Denn er wird von Gott nach dem Glauben beurteilt, den er vor seiner Erkrankung gehabt hatte. Der Selbstmord ist in diesem Fall nur ein Scheinsieg des Bösen, der eigentliche Sieger ist Jesus.

Es sei ausdrücklich betont: das Gesagte gilt nur für die erblich bedingte Schwermut, nicht für die reaktiven und psychopathischen Depressionen, bei denen der Kranke zwar auch häufig mit Selbstmordgedanken zu tun hat, jedoch bei klarem Bewußtsein bleibt, wenn er zur Tat schreitet. Er ist daher für sie voll verantwortlich zu machen.
Nun kann das beschriebene Bild der reinen Melancholie vom Teufel als Einfallstor benutzt werden, weil die seelische Widerstandskraft des Schwermütigen naturgemäß stark herabgesetzt ist. In diesem Falle macht der Kranke nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Angehörigen schwere Vorwürfe und gerät in heftiges Klagen und Murren gegen Gott, oder er ist überzeugt, seinem Leben ein Ende machen zu müssen, weil der Feind ihm einredet, er sei auf alle Fälle verloren, und ihn unablässig mit Selbstmordabsichten plagt, die er oft auch in die Tat umsetzt.

Aber auch dieses Zustandsbild ist zu unterscheiden von dem Gemütsdruck des dämonischen Menschen. Ein solcher zeigt sich häufig, wenn der Mensch schwere Versündigungen begangen hat oder wenn okkulte Machenschaften seitens seiner Vorfahren erfolgt sind. Seine Depressionen gehen vor allem mit großer innerer Unruhe und Angst, mit Trotz und Jähzorn und dem Widerwillen gegen alles Göttliche einher. Sie unterscheiden sich daher deutlich von den typischen endogenen Depressionen gläubiger Menschen. Jede Art von Gemütsdruck erfordert daher eine genaue Erforschung der Vorgeschichte des Betreffenden, auch hinsichtlich okkulter Einflüsse, sowie eine eingehende Aufdeckung der Symptome, um eine richtige Beurtelluii  zu ermöglichen.

Zur Illustrierung diene ein Beispiel, bei dem die Frage: Schwermut oder Dämonie? schwierig zu beantworten ist.
>Der Urgroßvater einer älteren Patientin war zeitweise sehr depressiv und neigte zum Selbstmord. Der Großvater trank viel und erhängte sich im Rausch. Ihr Vater plagte die ganze Familie durch wochenlang anhaltende Verstimmungen, wobei er oft kein Wort sprach oder die Drohung ausstieß, er werde sich eine Kugel durch den Kopf schießen. Im Kreise von Gästen war er äußerst gesellig und liebenswürdig. Die fast immer übliche Unterhaltung der Gäste bestand in Tisch  und Gläserrücken, Pendeln, Kartenlegen und Befragen von Verstorbenen, die ihre Antwort durch verschiedenartiges Klopfen des Tisches kundgaben. An all diesen magischen Gebräuchen beteiligte sich auch die Patientin, ohne sich der Bedeutung ihres Tuns bewußt zu sein. Die Mutter ihres Vaters, eine Hebamme, besprach oft Tiere und Menschen. Die Patientin selbst wurde als Säugling bei einer schweren Hautkrankheit zuerst über ein Feuer, auf dem Kräuter verbrannten, gehalten; als dies nichts half, wurde sie von einer Frau mit bald einsetzendem Erfolg besprochen.

Die Patientin legte schon als kleines Kind ein scheues und gedrücktes Wesen an den Tag und fühlte sich von jeher einsam, wobei sie sich oft einschloß und mit sich selbst redete. Auch war sie sehr stark beeindruckbar. Als Halbwüchsige ging sie mit einer Kameradin zur Wahrsagerin. Diese erzählte ihr wahre Dinge, die sie auf natürlichem Wege nicht wissen konnte, und sagte ihr auch die Zukunfl richtig voraus. Sie machte eine strenge Erziehung durch mit viel Schlägen seitens ihres Vaters. Einmal erlebte sie, wie ihre Mutter, als diese dazwischentrat, von dem Vater geschlagen und, ohnmächtig geworden, von ihm an den Haaren die Treppe heruntergezogen wurde. So wuchs in ihrem Herzen schon frühzeitig die Furcht vor ihrem Vater und später auch der Haß gegen ihn, besonders als er ihre Mutter in der Ehe betrog. Auch später litt sie viel unter Vereinsamung und unter dem Mangel einer Aussprachemöglichkeit mit ihren Eltern.

Mit 25 Jahren versuchte sie das erste Mal, infolge beruflicher Schwierigkeiten aus dem Leben zu gehen, worauf sie in eine Nervenklinik verbracht wurde. Einige Jahre darauf erfolgte nach dem Tode ihrer Mutter der zweite ernsthafte Selbstmordversuch. Sie wurde in ein christliches Sanatorium aufgenommen, wo sie zum lebendigen Glauben an Jesus kam. Ihre Depressionen traten daraufhin, besonders auch durch den Umgang mit einer gläubigen Freundin, weniger häufig auf. Dennoch empfand sie auch in der Folgezeit oft viel Bitterkeit und Murren gegen Gott und hatte schwere Depressionen durchzumachen, in denen ihr das Bewußtsein der Wirklichkeit Gottes und die Gewißheit der Sündenvergebung abhanden gingen. Von dem Gedanken und dem ernsten Willen, ihrem Leben selbst eine Ende zu machen, kam sie nicht los. Auch jetzt noch befällt sie zuweilen ein überstarker Drang, aus dem Leben zu gehen. Sehr schwer ist ihr in den depressiven Zeiten die Unfähigkeit zum Bibellesen und Beten, da sie sich von Gott wie durch eine dicke Mauer getrennt fühlt. Sie klagt dann in völliger Verzagtheit und Verzweiflung Gott an. Auch der Abgrund, der sich in solchen Zeiten zwischen ihr und ihren Mitmenschen auftut, ist äußerst quälend für sie, weil sie das Gefühl hat, von allen mißverstanden und alleingelassen oder gar abgelehnt und verachtet zu werden, so daß sie ihnen ein starkes Mißtrauen entgegenbringt.

In den depressionsfreien Zeiten jedoch beseelt sie eine innige Liebe zu Gott. Sie ist überzeugt, daß all ihre Schuld vergeben ist, und kann dafür danken, daß Jesus sie rein und frei gemacht hat. Das Gebet und Bibellesen sowie die Teilnahme am Gottesdienst wie an jeglicher Wortverkündigung ist ihr ein tiefes Bedürfnis. Sie selbst hat dann, wenn auch nach Überwindung starker Anfechtungen, große Freudigkeit, für ihren Herrn zu wirken. Auffallend ist dabei: während sie in ihrem Beruf vor einer großen Schar von Anwesenden ohne jegliche Hemmung zu reden vermag, gerät sie, wenn sie von Gott den Auftrag zur Wortverkündigung bekommt, in das Gefühl völligen Unvermögens hinein, das nur auf seelsorgerlichen Zuspruch hin überwunden werden kann.

Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine Melancholie auf der Grundlage einer depressiven Veranlagung erheblichen Grades, die durch eine schwere okkulte Belastung eine besondere Färbung bekam. Im Glaubensleben bestand gleichzeitig jahrelang eine dämonische Gebundenheit. Diese ist jedoch infolge der Übergabe der Patientin an Jesus sowie der Lossagung von Satan und der Lösung von dem Bann der Vorfahren seitens des Seelsorgers als nahezu überwunden anzusehen. Daß ein Rest von Gebundenheit noch vorliegt, zeigt ihr Unvermögen zur Wortverkündigung. Sie deutet dieses, wohl mit Recht, als eine Absicht des Feindes, sie von der Ausführung des göttlichen Auftrages abzuhalten.

 

4. Neurose oder Dämonie?

Gehen wir zu den erlebnisbedingten Seelenstörungen, den Neurosen, über. Es gibt zahlreiche seelisch empfindsame Menschen, die infolge schwerer Erlebnisse ihre Fassungskraft völlig verlieren und dadurch mit allerlei krankhaften Erscheinungen reagieren können: mit großer Unruhe und Angst, mit Weinkrämpfen und Jammern, Schreien und Davonlaufen, Dämmerzuständen und Visionen wie auch mit körperlichen Beschwerden der verschiedensten Art. Auch hierbei wird nicht selten allzu rasch eine dämonisdie Einwirkung angenommen. Aber eine eingehende Erforschung des Seelenlebens führt meist zu dem Ergebnis, daß ein vorher unerklärlicher oder als dämonisch beurteilter Zustand eine natürliche, psychologisch erklärbare Ursache aufweist.

So entpuppen sich nicht selten V i s i o n e n des Teufels oder angebliche Erscheinungen von Jesus und von Engeln als psychisch bedingte Angst  oder Wunschvisionen.
Eine Patientin z. B., die sich immer den Tod wünschte, sah eines Nachts den Tod als skelettartige Gestalt an ihrem Bett stehen. Als sie infolge dieses Erlebnisses große Angst vor dem Teufel und dem jüngsten Gericht bekam, sah sie bei Nacht den Bösen vor sich, der sie holen wollte. Eine Dämonie lag hier nicht vor; denn als der Patientin diese Zusammenhänge aufgedeckt wurden, verschwanden die Visionen sofort und für immer.
Es gibt also nicht nur satanische oder durch Geisteskrankheit hervorgerufene, sondern auch seelisch bedingte Visionen, die streng voneinander unterschieden werden müssen.

Ein weiteres Beispiel seelisch bedingter Visionen:
Ein gläubiges Mädchen litt an Angstzuständen, innerer Unruhe und dem Unvermögen, zu beten und die Bibel zu lesen. Auch sah sie oft finstere Geister vor sich, die sie verklagten. Sie hielt sich daher für besessen und war innerlich völlig verzweifelt. Ein psychologisch nicht geschulter Seelsorger hätte mit größter Wahrscheinlichkeit eine Besessenheit angenommen und dementsprechend mit ihr verfahren. Die Aufdeckung des Unterbewußten ergab jedoch eindeutig, daß der Zustand von einem bestimmten Erlebnis herrührte. Das Mädchen hatte nämlich eine Frau kennengelernt, die ihr von bösen Geistern erzählt und ihr gesagt hatte, diese würden auf sie übergehen und ihr Unglück bringen. Sie wurde infolge ihrer abnormen Beeindruckbarkeit von diesen Worten tief betroffen und in Angst versetzt. Durch die Klärung der Zusammenhänge konnte sie jedoch völlig beruhigt werden und wurde frei von allen Beschwerden. Damit war zugleich erwiesen, daß ihre vermeintliche Besessenheit nur die Folge einer Angstidee gewesen war.

Des öfteren wandten sich Menschen mit Depressionen, innerer Unruhe und Angst an mich. Sie fühlten sich durch angeblich besessene Menschen, mit denen sie zusammenkamen, stark belastet und waren von lebhafter Furcht vor einem Überspringen der feindlichen Mächte erfüllt. Manche von ihnen glaubten sogar, bereits selbst besessen zu sein. Da in sämtlichen Fällen festgestellt werden konnte, daß es sich bei den “Besessenen” nur um Neurosen handelte, konnte ihnen mit Bestimmtheit gesagt werden, daß ihre Befürchtungen unbegründet seien. Als sie sich davon überzeugen ließen, schwanden ihre Beschwerden sehr rasch.

Auch Dämmerzustände sind in erster Linie auf seelische Ursachen zurückzuführen und als hysterisch anzusehen. Der Kranke versetzt sich hierbei bewußt oder unbewußt in eine Art Selbsthypnose zu dem Zweck, sich der rauhen Wirklichkeit zu entziehen und in eine Wunschwelt zu flüchten. Erfolgt die Aufdeckung des wahren Grundes, können solche Zustände rasch zum Schwinden gebracht werden. Es ist mir jedoch kein Zweifel, daß es auch dämonisch gewirkte Dämmerzustände gibt. So beobachtete ich bei mehreren Besessenen Dämmerzustände, in denen sie schrien und tobten, die Bibel zerrissen oder höhnisch lachten, wenn von dem Erlöser Jesus die Rede war. Wenn nach einiger Zeit das Erwachen erfolgte, wußten sie nichts oder nur wenig von dem, was vor sich gegangen war. Auch bei Gottliebin Dittus sowie bei dem philippinischen Besessenen, den Kurt Koch beschreibt, traten während der Gebetskämpfe immer wieder dämonische Dämmerzustände ein. Während also die psychogenen Dämmerzustände aus dem Unterbewußtsein stammen und durch Einwirkung von außen abgebrochen werden können, werden die dämonischen Dämmerzustände vom Teufel zu seinen Zwecken benützt. Sie sind meist so tief, daß ein Aufwecken nicht möglich ist. Bei den spiritistischen Medien handelt es sich zum Teil um seelisch bedingte, zum Teil um dämonische Dämmerzustände.

Sogar bei Klopfgeräuschen muß mit einem neurotischen Ursprung gerechnet werden, wenn sie von stark beeindruckbaren, ängstlichen Menschen gehört werden, denen von Spukerscheinungen erzählt wurde. So hörte eine neurotische Patientin immer dann Klopfgeräusche, wenn sie bei Nacht an ihren verstorbenen, ungläubigen Vater dachte; sie fürchtete nämlich, sein Geist könnte auf sie übergehen. Diese Furcht bewirkte in ihr das eingebildete Hören von allerlei Geräuschen. Von den anderen Hausbewohnern wurde das Klopfen nicht wahrgenommen.

Wenn nun einerseits zahlreiche dämonisch erscheinende Zustände sich als rein neurotisch erweisen, so müssen andererseits auch manche scheinbaren Neurosen auf eine Dämonie zurückgeführt werden. Hierfür diene das folgende Beispiel:

>Ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen litt unter öfters auftretenden Zuständen von Gereiztheit, die sich zeitweise zu richtigen Erregungszuständen steigerten und auch mit Selbstmordgedanken einhergehen. Ihr Vater sei vor mehreren Jahren bei einem Unglücksfall tödlich verletzt worden. Von ihrer Mutter sei sie als kleines Kind wegen eines Hautausschlags besprochen worden. Als Ursache ihres Zustandes gab sie das schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter an, die sie auch jetzt noch wie ein Kind behandle und beaufsichtige, so daß sie sich völlig unfrei fühle. Sie habe schon oft Mordgedanken gegen sie gehabt. Auch stoße sie die christliche Einstellung ihrer Mutter völlig ab, so daß sie sich vorgenommen habe, niemals ihren Glauben anzunehmen. Sie habe dadurch einen Abscheu vor allen entschiedenen Christen bekommen, die sie geradezu hasse. Durch ihren Beruf sei sie mit einem Mann bekannt geworden, der sie schon mehrmals zu spiritistischen Sitzungen mitgenommen habe. Sie konnte dies bisher ihrer Mutter gegenüber verheimlichen. Auch mit ihren Freundinnen habe sie sich infolge ihrer Gereiztheit verkracht. In dieser Lage habe sie Gott mehrmals gelästert und ihre Mutter verflucht.
Der Zustand der Patientin ging entschieden über eine neurotische Protesthaltung gegenüber ihrer Mutter hin¬aus. Auch hysterische Anzeichen waren nicht nachweisbar. Die Angaben wurden völlig sachlich und nüchtern vorgebracht. Eine kürzere therapeutische Behandlung wurde von ihr abgebrochen. Mit Wahrscheinlichkeit stand eine Dämonie leichten Grades im Vordergrund.<

Auch die eigenartigen Erscheinungen, die Johann Christoph Blumhardt bei Gottliebin Dittus beobachtete, werden zumeist für eine schwere Hysterie, genauer für eine eingebildete Besessenheit gehalten. Dennoch glaube ich an eine wirkliche Besessenheit bei diesem Mädchen, und zwar einmal deshalb, weil mehrmals fremde Stimmen in höhnischer und gotteslästerlicher Weise in verschiedenen Sprachen, die der Gottliebin selbst unbekannt waren, aus ihr redeten, und ferner, weil häufig Poltergeräusche von neutralen urteilsfähigen Personen festgestellt wurden. So hielten sich sowohl der behandelnde Arzt als auch mehrere Gemeinderäte von Möttlingen bei Nacht in der Wohnung auf, wobei sie Töne, Schläge, Klopfen der verschiedensten Art sowie Bewegungen des Tisches bemerkten. Alles wurde genau untersucht, ohne daß eine natürliche Erklärung dafür gefunden werden konnte. Gerade solche Spukerscheinungen trifft man, wie erwähnt, nicht selten in der Umgebung von Besessenen an.

Zu den hysterischen Neurosen zählt auch die eingebildete Besessenheit, deren Verwechslung mit echter Besessenheit schon zu folgenschweren Irrtümern geführt hat. Ein geradezu erschütterndes Bei¬spiel aus neuester Zeit könnte angeführt werden. Ich habe bereits an anderen Stellen kurze Ausführungen über diese Zustände gemacht. Doch sei in diesem Zusammenhang ebenfalls einiges über die Pseudobesessenheit erwähnt, die nach meiner Erfahrung die echte Besessenheit an Häufigkeit weit übertrifft. Sie hat auch in den Anfängen der Pfingstbewegung eine erhebliche Rolle gespielt, wenn auch damals wirkliche Besessenheitsfälle vorkamen. Auch im Raum der katholischen Kirche gibt es zahlreiche Fälle von hysterischer Besessenheit wohl aus dem Grunde, weil sie dem Besessenheits Phänomen eine große Bedeutung beilegt, während die evangelische Kirche der Frage der Besessenheit nahezu völlig interesselos gegenübersteht.

Wenn ein leicht beeindruckbarer Mensch besonders weiblichen Geschlechts in einer Umgebung lebt, in der viel über Teufel, Dämonen und Besessenheit gesprochen wird, oder gar wenn ein wirklich Besessener von sich reden macht, kann ein solcher Mensch von der Angst befallen werden, er könnte selbst vom Teufel besessen sein. Oder er kann in einem vermeintlichen Sendungsbewußtsein von dem unterbewußten Wunsch durchdrungen sein, sich besessen zu fühlen, um durch den Mund der “Dämonen” wichtige Aussagen machen zu können. Dabei vermag er infolge seines lebhaften Vorstellungsvermögens oder seiner Nachahmungsfähigkeit sich vollkommen in die Rolle eines Besessenen zu ver¬setzen, so daß seine Umgebung keinen Zweifel an wirklicher Besessenheit hat. Er windet sich auf dem Boden, tobt, schreit, spricht Schimpfworte, ja sogar Lästerungen aus und spricht verächtlich über den Christenglauben, als wenn der Teufel aus ihm spräche. Wird der “Dämon” vom Exorzisten gefragt, warum er in den Menschen gefahren sei, wie er heiße, ob noch andere Dämonen anwesend seien, wann er ausfahren werde u. a., fällt seine Antwort so aus, wie sie nach seiner Vorstellung der in ihm wohnende “Geist” geben würde. Dabei läßt er meist eine klare Absicht seiner Worte erkennen. So bittet er etwa den Exorzisten, auf die Austreibung zu verzichten, oder er sagt den Termin seines Ausfahrens voraus, oder er läßt den Teufel über seine Verdammnis und über seine Angst vor dem Gericht reden. All diese Aussagen erfolgen in dem Tonfall, der dem “Besessenen” im natürlichen Zustand eigen ist. Nach anhaltendem Gebet und Kampf der anwesenden Beter kann ein wiederholtes auffallendes Aushusten erfolgen, das das Ausfahren der “Dämonen” demonstrieren soll. Ein derartiges Gebaren wirkt in einer suggestiblen Umgebung hochgradig ansteckend. So ist es kein Wunder, wenn ein solcher Mensch eine richtige Besessenheitsepidemie auslösen kann.

Bei einer derartigen Verhaltensweise eines vermeintlich Besessenen sind deutliche Unterscheidungsmerkmale gegenüber der echten Besessenheit festzustellen. Zunächst sind die Aussagen bei hysterischer Besessenheit durchaus menschlich gefärbt. Es kann nachgewiesen werden, daß der “Teufel” aus dem “Besessenen” solche Worte redet, die dessen eigener Vorstellungswelt entsprechen oder durch bestimmte Eindrücke von außen in sein Unterbewußtsein gelangt sind. Auch die ausführlichen Selbstgespräche oder die lebhafte Unterhaltung mit dem Seelsorger sprechen für eine Pseudobesessenheit, zumal wenn der Betreffende nicht in einer fremden Sprache redet, die ihm nicht geläufig ist. Nicht zuletzt deutet auf unechte Besessenheit auch der Umstand hin, daß der Betreffende außerhalb der Gebetskämpfe den Eindruck eines seelisch ausgeglichenen, frohen Menschen macht.

>Eine abnorm beeindruckbare und sehr suggestible Patientin fiel beim Beten und bei Hausandachten in einen Trancezustand, in dem sie in theatralischer Weise Aussagen des vermeintlich in ihr wohnenden Dämons machte. Dabei konnte festgestellt werden, daß die Trancezustände auf Autohypnose beruhten. Die Stimme, die aus ihr sprach, glich in der Klangfarbe und Sprechweise völlig ihrer eigenen Stimme. Auch der Inhalt ihrer Äußerungen entsprach den unterbewußten Erlebnissen, die nach eingehender Erforschung ihres Seelenlebens aufgedeckt worden waren. Bei ihren Trancezuständen handelte es sich daher nicht um eine dämonische Bewußtseinsstörung, sondern um eine unbewußt erfolgte Vortäuschung. Als die Patientin zur Erkenntnis dieser Zusammenhänge kam, schwanden die Trancezustände samt den “Geisterreden” sehr rasch.<

 

5. Psychopathie oder Dämonie?

Was haben wir von den anomalen Charakterzügen seelisch abwegiger Menschen zu halten? Denken wir an die Erregungszustände und Wutausbrüche des reizbaren P s y c h o p a t h e n, die Roheiten des Gefühllosen, die Launen des Willensschwachen, die Intrigen und Gehässigkeiten des Hysterischen, die Unwahrheiten des Lügensüchtigen, die sexuellen Verirrungen des sittlich Belasteten, die Gewalttätigkeiten des Alkoholsüchtigen, die Prahlereien des Geltungssüchtigen. Handelt es sich bei diesen Menschen um psychopathische Merkmale, die einer Dämonie ähnlich sehen, oder um eine dämonische Gebundenheit, die im Gewand einer Psychopathie auftritt?

Zunächst kann angenommen werden, daß bei den erwähnten Zuständen mit Wahrscheinlichkeit erblich bedingte krankhafte Seelenstörungen vorliegen. Aber gerade seelisch labile und leicht versuchliche Menschen, wie es die Psychopathen sind, sucht der Teufel zu sündigen Handlungen zu verleiten und an sich zu ketten. Er benützt die krankhafte Anlage solcher Menschen als willkommenen Angriffspunkt. So kann ein Psychopath sich gewohnheitsmäßig solchen Sünden hingeben und dadurch in eine dämonische Bindung geraten. Aus diesem Grunde finden wir die Psychopathie häufig in Verbindung mit Dämonie, so daß sich beide Zustände vielfach kaum voneinander trennen lassen. Wir sollten uns daher beim Vorliegen psychopathischer Symptome nicht mit der Annahme einer erblichen Belastung begnügen, sondern uns fragen, wieweit dämonische Einflüsse, etwa infolge einer okkulten Belastung, vorliegen.

Wie schwierig die Frage: Psychopathie oder Dämonie? zu klären ist, soll das folgende Beispiel verdeutlichen:
>Ein Kriegsversehrter in den fünfziger Jahren war von jeher leicht erregbar und depressiv. Sein Großvater war gedrückt und nahm sich das Leben. Sein Vater war ebenfalls leicht depressiv, dazu oft sehr aufbrausend; er wurde in der Jugend wegen einer Krankheit besprochen. Der Patient selbst war ein unerwünschtes Kind und litt sehr unter der Verachtung seiner Eltern und der Ungerechtigkeit seiner Mitmenschen. Mit 22 Jahren bekam er seine erste Depression. Daraufhin ließ er sich durch eine Wahrsagerin die Zukunft deuten; die Voraussage traf ein. Eine zweite Depression erfolgte nach schwerem Erleben während des letzten Weltkrieges. Sobald er sich von seinen Nebenmenschen nicht verstanden oder ungerecht und lieblos behandelt fühlt, wird er laut und erregt und kann ihnen allerhand Unfreundlichkeiten an den Kopf werfen, so daß diese sich oft von ihm zurückziehen. Dadurch aber wird er noch empfindlicher, wobei er dazu neigt, den anderen die ganze Schuld an seiner Erregtheit zuzuschieben, und ihnen mißtraut, wenn sie sich versöhnlich zeigen. In erregungsfreien Zeiten ist der Patient dagegen ruhig und kontaktfähig, er erkennt, daß er selbst auch schuld hat, bereut ehrlich, den anderen wehegetan zu haben, und sucht sich mit ihnen auszusöhnen. Auch erweist er ihnen Liebe und Hilfsbereitschaft und legt ein echtes christ¬liches Verhalten an den Tag, ja er kann anderen gegenüber öfters ein Zeugnis von seinem Glauben ablegen. Über kurz oder lang gerät er jedoch schon bei einem geringfügigen Anlaß aufs neue in Erregtheit, Ärger, Verzweiflungsausbrüche und Lebensüberdruß. Ist die auslösende Ursache beseitigt oder erfährt er liebevollen Zuspruch, so beruhigt er sich rasch wieder.<

Ob es sich hier um eine rein krankhafte Erbanlage (reizbare und depressive Psychopathie) handelt oder ob die okkulte Vorgeschichte eine ursächliche oder auslösende Rolle spielt, ist nicht mit Sicherheit festzustellen.
Einige Merkmale zur Unterscheidung von Psychopathie und Dämonie seien jedoch angeführt:
Empfindet der Mensch immer wieder aufrichtige Reue über seine Erregungszustände, seine Unwahrheiten und Launenhaftigkeiten, kann von der Annahme einer Dämonie abgesehen werden. Ebensowenig sind Zwangsbefürchtungen und  handlungen des Zwangskranken, die ängstliche Selbstbeobachtung des Hypochonders, die Menschenscheu und die Minderwertigkeitsgefühle des Selbstunsicheren, das hemmungslose Benehmen des hypomanischen Psychopathen auf eine Dämonie zurückzuführen. Eine Gewalttat dagegen, die der Patient im Jähzorn unter Fluchen vollbringt, oder eine ausgesprochene Sucht, von der er sich weder lösen kann noch will, ist ein Zeichen dafür, daß der Teufel ihn an sich gebunden hat.

Wenn ferner trotz intensiver Seelsorge keine oder eine nur vorübergehende Befreiung eintritt, ist an eine psychopathische Erbanlage zu denken. Erreicht diese ei¬nen stärkeren Grad, so brechen ihre Merkmale trotz guten Willens des Betroffenen immer wieder durch. Beim Vorliegen einer Dämonie jedoch tritt meist allmählich oder rasch eine befreiende Wirkung ein, wenn der Mensch den Mut aufbringt, in voller Offenheit alles zu bekennen, das Absagegebet zu sprechen und sich von seinen Bindungen zu lösen.

6. Alterserscheinungen oder Dämonie?

Auch bei alten Menschen wird die Frage der Dämonie oft aufgeworfen. Da die Verkalkung der Ge¬hirngefäße meist eine Erschwerung der Konzentrationsfähigkeit zur Folge hat, macht sich diese auch beim Beten und Bibellesen bemerkbar. So fehlt dem alten Menschen häufig die Freudigkeit zum Beten, wie sie vorher bestanden hatte. Er muß sich zum Beten zwingen, ja er bringt ein richtiges Gebet oft kaum mehr zustande, obwohl er weiß, wie wichtig das Beten für ihn ist, um die Verbindung mit Gott aufrecht zu erhalten. Er macht sich daher leicht schwere Vorwürfe, daß er nicht mehr richtig im Glauben stehe. Und doch haben solche Erscheinungen nichts mit Dämonie zu tun, sie sind vielmehr ohne Zweifel als krankhaft zu bewerten.

Grundsätzlich zu unterscheiden von solchen krankhaften Erscheinungen sind die A n f e c h t u n g e n des Feindes, wie sie bei Gläubigen im Alter, zumal auf dem Kranken  und Sterbebett, nicht selten auftreten. Der Teufel weiß, daß der alte Mensch oft genug in beson¬derem Maße für Versuchungen anfällig ist. Um ihn aus der Verbindung mit Gott zu lösen, sucht er ihm einen ausgesprochenen Widerwillen gegen das Beten, wie auch den Zweifel am Wort Gottes und am Glauben einzugeben. So kann den Bibellesenden plötzlich der Gedanke befallen, es sei alles Unsinn, was die Bibel sage. Auch kann der Teufel ihm einreden, er sei verloren, weil Gott ihn verstoßen habe. Oder er wird zu sexuellen Gedanken und Handlungen verführt, deren er sich nur schwer zu erwehren vermag, so daß er oft in Depressionen gerät. Auch können ihm unschöne Erinnerungen aus seinem früheren Leben zu schaffen machen, die das Gefühl der Gottesferne in ihm erwecken. Er selbst hat den Eindruck, als suche der Feind ihn durch all diese Gedanken der Verzweiflung und dem Selbstmord auszuliefern. Doch handelt es sich in solchen Fällen weder um eine dämonische Gebundenheit noch um Besessenheit, da diese letzteren Zustände, wie eingangs besprochen, sich nur bei solchen Menschen finden, die sich bewußt von Gott entfernt haben. Deshalb darf der Gläubige sich im Alter durch solche Anfechtungen nicht bedrücken lassen. Wenn er immer wieder Gott um Hilfe anruft oder dem Feinde im Namen Jesu zu weichen gebietet, schwinden diese Versuchungen meist rasch.

7. Vorsicht bei fraglicher Dämonie !

Durch die bisherigen Ausführungen wurde zu zeigen versucht, wieviele Irrtümer uns unterlaufen können, wenn wir nicht größte Vorsicht bei der Beurteilung einer Dämonie walten lassen. Vorsicht ist daher auf diesem Gebiet ganz besonders erforderlich. Denn die Unterscheidung zwischen Krankheit und Dämonie ist vielfach nicht nur eine schwierige, sondern auch eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Wenn es einerseits nötig ist, der Frage der Dämonie unvoreingenommen und aufgeschlossen gegenüberzutreten, so ist es andererseits dringend geboten, mit der Annahme einer dämonischen Gebundenheit und besonders einer echten Besessenheit größte Zurückhaltung zu üben. Dennoch besteht bedauerlicherweise, wie schon eingangs erwähnt, bei nicht wenigen Gläubigen die Neigung, in unklaren Fällen von seelischen Störungen ohne nähere Erforschung eine Dämonie anzunehmen. Mit dem Wort “besessen” wird vielfach geradezu Mißbrauch getrieben. Bei jedem Vorliegen einer seelischen Belastung wird nur allzu rasch der Verdacht auf Dämonie geäußert. Eine solche ist aber von vornherein fraglich, wenn keine der eingangs angeführten Ursachen nachzuweisen ist. Und selbst wenn deutliche okkulte Machenschaften bei den Vorfahren oder erhebliche Versündigungen bei dem seelisch Gestörten vorliegen, darf dennoch nicht ohne genauere Prüfung eine Dämonie angenommen werden. Entscheidend für diese Diagnose ist nach Ausschluß einer krankhaften Störung allein das Vorhandensein von mehreren der in Abschnitt I angeführten Merkmalen der dämonischen Gebundenheit und der Besessenheit.

Vorsicht bei der Beurteilung ist schon deshalb erforderlich, weil es sich bei den Menschen, bei denen eine Dämonie in Frage kommt, häufig um seelisch sehr empfindsame Naturen handelt. Wenn einem solchen Belasteten ohne eingehende Untersuchung vorgehalten wird, er sei ein Gebundener Satans oder gar er sei besessen, kann dieser durch einen solchen Vorwurf derart stark beeindruckt werden, daß er in schwere innere Unruhe, Angst und Depression gerät. Besonders wenn einem Schwermütigen, dessen Glaubensleben infolge krankhafter Hemmungen erstarrt ist oder der von Lästergedanken geplagt ist, vom Seelsorger gesagt wird, es liege ein teuflischer Bann auf ihm, ist es verständlich, daß ein solcher Kranker nun erst recht sich ewig verloren glaubt, zumal wenn eine “Teufelsaustreibung” zu keinem Erfolg führte. Ich habe in zahlreichen Fällen erlebt, welch ungünstige Wirkungen auf einen seelisch kranken Menschen ausgehen können, wenn er fälschlicherweise als dämonisch gebunden bezeichnet wird. Es ist ein großes Unrecht, wenn ein unter seinem Zustand leidender Gemüts  oder Geisteskranker den Vorwurf hören muß, er sei in die Gewalt des Teufels geraten. Wer ohne Kenntnis des krankhaften Seelenlebens und dämonischer Zustände sich ein solches Urteil anmaßt, der handelt höchst voreilig, ja geradezu grausam. So berichtete mir eine Patientin, die in einem christlichen Erholungsheim geweilt hatte, daß während ihres dortigen Aufenthalts ein Gast mit den bekannten Zeichen der Schwermut aufgenommen wurde. Der Hausvater erklärte ihn nach kurzer Unterredung für dämonisch und schickte ihn, als die entsprechende Seelsorge keine Wirkung zeigte, nach wenigen Tagen nach Hause zu¬rück. Ich selbst mußte oft ähnliche Erfahrungen machen.

Während wir solchen Menschen, bei denen man eine Dämonie vermuten könnte, zunächst mit Zurückhaltung in der Beurteilung gegenüberzutreten haben, ist es erforderlich, einem einwandfrei dämonisch Belasteten mit aller Deutlichkeit, aber zugleich mit verständnisvoller Liebe zu sagen, daß Satan ihn an sich gekettet oder gar von ihm Besitz ergriffen hat. Selbst wenn er sich gegen eine solche Äußerung wehren oder darüber erschrecken sollte, ist es doch ein heilsames Erschrecken. Denn er muß nun den Feind seiner Seele klar erkennen lernen und gemeinsam mit dem Seelsorger und, wenn möglich, mit Hilfe eines Kreises von Betern ihm zu widerstehen suchen.

Weil die Unterscheidung einer krankhaften Störung von einer Dämonie eine hohe Verantwortung in sich schließt, ist in allen fraglichen Fällen die Zuziehung eines gläubigen Nervenarztes oder eines auf diesem Gebiet kundigen und erfahrenen Seelsorgers dringend anzuraten. Aber daneben gilt es, ernstlich um die Gabe der Geisterunterscheidung zu bitten, die eine Gabe des Heiligen Geistes ist (1. Kor. 12, 10). Denn letztlich vermag der Geist Gottes allein uns die rechte Erkenntnis über die uns anbefohlenen Menschen zu vermitteln und uns vor verkehrten Worten und unbedachten Schritten zu bewahren.

 

IV. Christenglaube und Dämonie

Drei Fragen, die viele Gläubige stark beschäftigen, seien zum Schluß besprochen.

1. Kann bei einem Christen eine Dämonie vorliegen?

Wenn vielfach die Auffassung geäußert wird, der Teufel könne auch einen Jünger des Herrn an sich ketten, so ist zu sagen, daß in der Bibel kein Beispiel einer Dämonie bei einem an Jesus glaubenden und Ihm im Gehorsam treu bleibenden Menschen sich findet. So zeigt uns Maria Magdalena, die von sieben Teufeln besessen war (Mark. 16,9; Luk. 8,2), daß ein besessener Mensch durch die Verbindung mit jesus freiwerden kann. So wie in Ägypten jedes Haus, dessen Oberschwelle und Türpfosten mit dem Blut des Lammes besprengt war, den Vernichtungsengel nicht zu fürchten brauchte (2. Mose 12,13), so ist jeder, der im Glauben das Blut des gekreuzigten Christus als Sühnopfer für seine Schuld in Anspruch nimmt, vor einer Bindung an Satan geschützt. Es ist kein Zweifel: der Feind kann den nicht antasten, der durch das Blut seines Herrn gedeckt ist. Wer unter der ständigen vergebenden Gnade Jesu lebt, kann nicht in die Macht Satans geraten (Kol. 1,13.14).

Andererseits macht das Schicksal des Ananias und der Saphira wie auch der Fall des Judas Ischarioth deutlich, daß selbst Christen, die der Gemeinde Jesu angehören, oder daß ein von jesus erwählter und zum Dienst berufener jünger, wenn sie dem Geist Gottes bewußt Widerstreben und sich versündigen, ohne die Vergebung zu begehren, immer mehr unter den Einfluß Satans gelangen können, so daß dieser sie schließlich an sich kettet oder gar Besitz von ihnen ergreift. Der Anlaß hiezu war bei Ananias und Saphira ihre Lüge gegen den Heiligen Geist und gegen Gott (Apg. 5,3.4), bei Judas seine Gebundenheit an das Geld und sein wiederholter Diebstahl (Joh. 12, 6; Luk. 12, 3). Solche Menschen können zwar Buße tun wie Judas, der seine Schuld erkannte, bekannte, bereute und wiedergutzumachen suchte. Aber der Feind, der Gewalt über ihn hatte, redete ihm ein, seine Schuld sei zu groß, als daß er noch Vergebung finden könnte; es bleibe ihm daher nichts anderes übrig, als seinem Leben ein Ende zu machen. So unterließ er es, sich mit der Bitte um Vergebung an Gott zu wenden, und vollzog an sich selbst das göttliche Gericht.

2. Kann ein dämonisch Gebundener frei werden und wie geschieht dies.?

Oft ist selbst von gläubigen Christen zu hören, Satan habe heutzutage eine solch große Gewalt über viele Menschen, daß sie für die Verkündigung des Evangeliums unempfänglich seien, weil er sie eingeschläfert oder gar zur Gegnerschaft gegen Gott verführt habe. Daher sei auch die Fürbitte für diese Menschen nahezu wertlos; sie seien von solch einer Menge von Dämonen umgeben, daß die Gebete der Christen kaum noch zu Gott empor dringen könnten. Diese Auffassung ist jedoch das Zeichen eines ausgesprochenen Glaubensmangels. Wer mit Vollmacht im Vertrauen auf Jesu Sieg dem Feind entgegentritt und in eindringlichem Ringen für die dämonisch Gebundenen verharrt, der darf mit der Erhörung seiner Gebete rechnen. Wenn der Mensch Jesus als seinen Erlöser und Herrn annimmt und ernstlich bemüht ist, Ihm nachzufolgen, kann er von jeglicher Dämonie gelöst werden. Bei noch nicht allzu starker Gebundenheit tritt die Befreiung oft schon nach einer einzigen oder nach wenigen seelsorgerlichen Unterredungen ein. Allerdings kann die Befreiung sich über eine längere Zeit hinziehen, wenn die Versündigung des Menschen besonders schwer ist oder wenn der Seelsorger sich nicht der ganzen geistlichen Waffenrüstung bedient und es an dem entschiedenen Glaubenskampf fehlen läßt. Ebenso kann eine vollständige Lösung aus den Ketten Satans zunächst ausbleiben, wenn der Gebundene es mit der Übergabe an jesus nicht ganz ernst nimmt und dem Feinde, vielleicht unter dem Einfluß einer ungünstigen Erbanlage, weiterhin einen bestimmten Raum in seinem Herzen gewährt. Ein solcher Mensch kann zwar den Eindruck machen, wiedergeboren zu sein, weil in der Tat eine gewisse Wesensände¬rung bei ihm beobachtet werden kann. Und doch befindet er sich noch in Unkenntnis über die listigen Angriffe und betrügerischen Einflüsterungen des Teufels und erliegt ihnen zeitweise ohne seinen Willen. Er liebt zwar die Sünde nicht mehr, tut aber noch das Böse, das er nicht will. (Röm. 7, 15.19). In diesem Falle bleibt eine R e s t   D ä m o n i e bestehen, d. h. der Mensch ist zwar nicht mehr an Satan gebunden, aber der Feind sucht ihn mit allen Mitteln aufs neue durch V e r f ü h r u n g e n an sich zu binden, was ihm noch manchmal gelingt. Die Verführung äußert sich darin, daß die Lieblingssünden des Gebundenen sich noch zeitweise bemerkbar machen. So können etwa Trotz oder Lüge, Unversöhnlichkeit und Bitterkeit, Groll gegen Gott und Menschen, unreine Gedanken und sinnliche Begierden, häufiges Fluchen oder eine abnorm starke Empfindlichkeit mit Kurzschlußhandlungen den Menschen befallen; auch mediale Fähigkeiten bleiben oft noch längere Zeit bestehen. Besonders häufig kommen, auch wenn er nicht depressiv veranlagt ist, Selbstmordgedanken und  absichten über ihn.
Solche Zustände von Rest Dämonie sind vielfach zu beobachten. Nur ein Beispiel sei angeführt:

Eine Patientin hatte von Jugend auf mit schweren sexuellen Verirrungen zu tun. Jahrelang litt sie, besonders unter dem Einfluß ihres dämonischen Vaters, unter eindeutiger teuflischer Gebundenheit. Sie brachte es nicht fertig, sich mit eigener Kraft aus ihr zu lösen, bis schließlich unter dem Einfluß eines Seelsorgers ihre Hingabe an Christus erfolgte und sie von ihren sünd¬lichen Neigungen frei wurde. Nach einiger Zeit jedoch band der Feind sie wiederum an sich, sie suchte bewußt die Sünde auf, an der sie Gefallen hatte. Dieser Zustand datierte mehrere Jahre. Endlich wurde sie durch die schriftliche Beeinflussung des Seelsorgers und das regelmäßige Hören des Evangeliums Rundfunks so stark beeindruckt, daß sie eine wesentliche Besserung erleben durfte, die seit Jahren anhält. Doch der Teufel läßt sie noch nicht völlig in Ruhe. Jeden Abend vor dem Einschlafen gaukelt er ihr sinnliche Bilder vor und redet ihr ohne besonderen Grund Selbstmordgedanken und Angst ein. Sie aber wendet sich im Gebet zu Gott und gibt dem Teufel zu verstehen, daß sie nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Die Sünde, die ihr jahrelang zum Fallstrick geworden war, verabscheut sie nun, und doch fällt sie ihr noch hin und wieder zum Opfer. Auch die Selbstmordgedanken und Ängste machen ihr immer wieder zu schaffen. Sie selbst ist der Überzeugung, daß der Teufel hinter diesen Gedanken und Rückfällen steht, um sie aufs neue in seine Gewalt zu bekommen.

Je mehr jedoch der Geist Gottes in dem Glaubenden Raum gewinnt, um so mehr Siege darf er erleben. Zwar kann der Teufel, wenn er merkt, daß er seinen Einfluß völlig aufgeben muß, letzte schwere Angriffe unternehmen, indem er sein bisheriges Opfer auf jede erdenkliche Weise von dem entscheidenden Glaubensschritt abzuhalten sucht. Er kann dadurch eine erhebliche seelische Krise in dem Betreffenden auslösen und so die Gefahr eines schweren Rückfalles heraufbeschwören. Aber wenn dieser im Verein mit dem Seelsorger die endgültige und völlige Hingabe an den Befreier vollzieht und wenn im Namen Jesu dein Feinde geboten wird zu weichen, trägt zuletzt Jesus den Endsieg davon.

Der Glaubende wird allerdings auch weiterhin von dem Feind seiner Seele in Versuchung geführt; aber er behält dabei seinen freien Willen und kann nicht mehr, wie der Gebundene, zur Sünde gezwungen werden. Vielmehr schenkt der Heilige Geist dem Jünger Jesu die Fähigkeit, Satan zu widerstehen und die Sünde zu hassen, so daß dieser schließlich seine ständigen Angriffe aufgeben und fliehen muß (Jak.4,7). Die “feurigen Pfeile des Bösewichtes” prallen an dem Glaubensschild des Wiedergeborenen ab. Denn dieser ist von dem Gesetz der Sünde freigemacht, weil seine aufsteigenden sündlichen Begierden immer wieder durch den Geist Gottes getötet werden (Röm. 8, 2.13). Und wenn er dennoch der Versuchung zum Opfer fällt, bedeutet dies nur eine Überrumpelung. Er hat kein Gefallen mehr an der Sünde, sondern bereut sofort von Herzen seine Schuld und darf der Vergebung gewiß sein, so daß keine unvergebenen Sünden mehr dem Feinde Macht über ihn einräumen können.
Weil die Worte “Gebundenheit”, “Verführung” und “Versuchung” häufig durcheinandergeworfen werden, ist eine klare Unterscheidung dieser Begriffe erforderlich. Während bei der Gebundenheit und in abgeschwächtem Maße bei der Verführung von Dämonie geredet werden muß, sollte bei der Versuchung das Wort “Dämonie” nicht gebraucht werden.

3. Kann der Umgang mit dämonischen Menschen, besonders die Fürbitte für sie, irgendwelchen Schaden oder gar eine Krankheit verursachen?

Diese Auffassung, die immer wieder geäußert wird, ist auf den Glauben an das überspringen finsterer Mächte zurückzuführen. Zum Beweis wird auf die Tatsache hingewiesen, daß manche Menschen bei der Fürbitte für dämonisch Belastete in Angstzustände und innere Unruhe oder in Depressionen und Anfechtungen geraten. In der Bibel wird jedoch an keiner Stelle von einem übergehen von Dämonen auf Gläubige berichtet. Bei der Geschichte von den Söhnen des Skevas (Apg. 19,13 ff.), die vielfach als Beleg für diese Auffassung herangezogen wird, handelt es sich zwar um eine schwere Schädigung dieser Menschen durch einen Dämon. Doch waren sie nicht an Jesus gläubig, sondern sie maßten sich als jüdische Teufelsbeschwörer an, im Namen Jesu die bösen Geister aus Besessenen auszutreiben um ihrer Ehr- und Gewinnsucht willen. Von ihnen gilt das ernste Wort Jesu Matth. 7, 22.23.

Ein echter Jünger Jesu braucht jedoch keine Schädigung durch den Teufel zu befürchten. Hiervon ist auch in der Heiligen Schrift nirgends die Rede. Vielmehr verheißt jesus ausdrücklich den Seinen, daß niemand sie aus Seiner und Seines Vaters Hand reißen werde (Joh. 10, 28.29), ferner, daß Er ihnen Macht gegeben habe über alle Gewalt des Feindes und daß nichts ihnen schaden könne (Luk. 10, 19). Auch Paulus schreibt, daß der treue Herr die an Ihn Glaubenden vor dem Bösen bewahren werde (2. Thess. 3, 3) und daß keine finsteren Mächte sie von der Liebe Gottes zu trennen vermögen (Röm. 8, 3 8.3 9).

Auch die vielfach gehörte Warnung vor dem Beten für dämonische Menschen kann biblisch nicht begründet werden. Paulus ermahnt im Gegenteil, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen (l. Tim. 2, 1). Nur eine Ausnahme gibt es, nämlich bei dem, der eine “Sünde zum Tode” begangen hat, indem er jesus in bewußter Verstocktheit ablehnt. Bei einem solchen Sünder rät Johannes von der Fürbitte ab (l. Joh. 5, 16), weil es für diesen keine Vergebung gibt (Hebr. 10, 26 30), nicht aber weil ein solcher Sünder dem Fürbittenden Schaden antun könnte. Daher braucht ein Christ, der mit einem dämonischen Menschen in Berührung kommt oder für ihn betet, nicht in Angst vor Schädigungen zu geraten, falls er in lebendiger Gemeinschaft mit seinem Herrn steht, sich durch das Sühnopfer Jesu frei von Schuld und Bindung weiß und in vollem Vertrauen die erwähnten Schriftworte für sich in Anspruch nimmt.
Immerhin ist es sehr wohl möglich, daß ein Christ, der okkult belastet ist oder sich in unvergebene Schuld verstrickt hat, vom Feind angegriffen und in seiner Arbeit für Gott gelähmt wird, wenn er sich in den Kampf um dämonisch gebundene Menschen einläßt. Dafür sei ein Beispiel erwähnt:

Ein Seelsorger, der von seinem Großvater her okkult belastet war und in seiner Jugend infolge Krankheit öfters besprochen wurde, war nach seiner Bekehrung nicht klar und vollständig von dämonischen Einflüssen gelöst worden. Als er sich nun an Gebundenen seelsorgerlich betätigte und dabei in Selbstsicherheit geriet, ließ er sich von dem Schmutz, dem er begegnete, beeinflussen, wodurch er in seinem Dienst beeinträchtigt wurde. Dadurch fand der Teufel Gelegenheit, sich an ihm zu rächen und ihn selbst in Gebundenheit zu versetzen. Diese äußerte sich darin, daß er in Groll und Bitterkeit, ja in unversöhnlichen Haß  und in Mordgedanken gegen einen Menschen geriet, der ihm beruflich geschadet hatte. Auch wurde er oft von Jähzorn und Rechthaberei befallen, so daß er manchen seiner Nebenmenschen zum Anstoß wurde. Seine Arbeit an den Gebundenen erfolgte ohne Vollmacht und wurde immer mehr gelähmt. Er bereute zwar seine Schuld und doch mußte er gegen seinen Willen dem Feind gehorchen. Jahrelang litt er stark unter dem Bewußtsein der klar erkannten dämonischen Bindung, Schließlich suchte er einen Seelsorger auf, vor dem er in echter Buße ein restloses Bekenntnis ablegte. Er erlangte alsbald die Gewißheit der Vergebung und konnte nach Lossprechung von seinen Bindungen befreit werden. Auch wurde ihm die Kraft geschenkt, den Groll gegen seinen Feind aufzugeben und ihn um Vergebung zu bitten, worauf dieser ihm alles verzieh. Seitdem darf er vollen Frieden und Freude in Gott erfahren und den Sieg Jesu rühmen. Auch wurde ihm neue Freudigkeit zur Arbeit für seinen Herrn geschenkt.

Aber auch einen seelisch labilen Jünger Jesu, der im Gebet gegen Satan ankämpft, vermag dieser durch Spukerscheinungen in einen kurzdauernden Schrecken zu versetzen oder ihm Anfechtungen im Glaubensleben einzuflößen oder Zwietracht zwischen ihm und seinem Nächsten zu säen. Jeder, der um dämonische Menschen ringt, muß sich darauf gefaßt machen, daß der Feind sich zu rächen versucht. Aber wer seine heimtückischen Pläne und Einflüsterungen sofort als satanisch erkennt, wird sie auch rasch im Glauben abwehren können. Es wäre für ihn ein Zeichen von mangelndem Gottvertrauen, würde er durch die teuflischen Angriffe sich ernsthaft einschüchtern lassen. Auf keinen Fall darf der Christ die Fürbitte für die Gebundenen fürchten. Dies wäre ein Beweis dafür, daß seine Sorge um das eigene Wohlbefinden größer ist als die Sorge um das Seelenheil des in Ketten Befindlichen. Es ist ihm vielmehr aufgetragen, angetan mit dem Schild des Glaubens, dem Helm des Heils und dein Schwert des Geistes den Kampf mit dem Feind aufzunehmen (Eph. 6,12 17).

Wie ist es aber zu erklären, daß tatsächlich manchen Jüngern des Herrn, die für dämonisch Belastete Fürbitte tun oder in nähere Berührung mit ihnen kommen, Schädigungen in Form von schweren und längerdauernden Angstzuständen und Anfechtungen zustoßen? Es handelt sich nach meiner Erfahrung in solchen Fällen um leicht beeindruckbare, ängstlich veranlagte Menschen. Wenn diese von einem Überspringen von Dämonen hören oder lesen und einen dämonischen Menschen vor sich zu haben glauben, oder wenn sie auf die angebliche Gefahr der Fürbitte für Gebundene hingewiesen werden, befällt sie leicht eine lebhafte Unruhe und Angst, ja sie können sogar körperlich nervöse Beschwerden verspüren, die sie auf dämonische Einflüsse zurückführen. Solche Beschwerden sind jedoch nur durch die Angst vor Schädigungen durch die Feindesmacht hervorgerufen. Dies läßt sich deutlich daran erkennen, daß die Beschwerden nach eingehender Aufklärung und Beruhigung schwinden. Nur wenn der andere auf seiner Meinung beharrt, halten die Beschwerden an. Ein nervlich und seelisch gesunder, mit seinem Herrn verbundener Christ bleibt beim Umgang mit dämonischen Menschen und bei der Fürbitte für sie von körperlichen und seelischen Störungen frei.

So konnte Johann Christoph Blumhardt am Schluß seines Gebetskampfes um Gottliebin Dittus seiner Behörde berichten: “So groß auch meine Anstrengung war, so fühlbar war mir ein göttlicher Schutz, indem ich nicht die geringste Ermüdung und Angegriffenheit fühlte, selbst nicht nach vierzigstündigem Wachen, Fasten und Ringen.” Ich selbst wie auch eine Anzahl von Mitkämpfern und Mitbetern durften dieselbe Bewahrung beim Kampf um Gebundene und Besessene erfahren. Es erweist sich als eine Tatsache, daß ein wahrhafter Jünger des Herrn, wie bereits erwähnt, vor den Angriffen des Bösen bewahrt bleibt (l. Joh. 5, 18.19). Jesus selbst bittet als der himmlische Hohepriester Seinen Vater, Er möge die Seinen vor dem Einfluß des Teufels bewahren (Joh. 17,15). Und Paulus war bis ins Alter hinein von dem zuversichtlichen Glauben erfüllt, daß der Herr ihn auch fernerhin allen Anschlägen des Bösen entreißen werde (2. Tim. 4, 18).

Deshalb hat der Christ, der auf die bewahrende Macht seines Herrn vertraut, keinerlei Anlaß, den Umgang mit dämonischen Menschen zu scheuen und von der Fürbitte für sie Abstand zu nehmen. Gegen einen glaubensstarken Beter kann Satan keine ernstlichen Angriffe unternehmen. Wenn auch der Fürst dieser Welt schwerstes Unheil anzurichten vermag, darf der Jünger des Herrn in freudiger Zuversicht mit Martin Luther singen:

Und wenn die Welt voll Teufel wär’
und wollt’ uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
Das macht: er ist gericht’,
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Die Hervorhebungen sind von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, 4. November 2008
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Dr. med. ALFRED LECHLER

war viele Jahre lang ärztlicher Leiter einer Kuranstalt im Taunus. Durch seine zahlreichen Veröffentlichungen, in denen er akute Probleme und Nöte unserer Zeit aufzeigt und Mittel und Wege zu ihrer Meisterung weist, ist er einem sehr großen Kreis von Menschen aller Lebensbereiche bekanntgeworden.

Weitere Titel von Dr. med. Lechler  –  evtl. unter amazon.de oder booklooker.de

Leg deine Nerven in Gottes Hand, 21. Auf l., 48 S.
Frei von Angst, 6. Auflage, 32 Seiten.
Der Dämon im Menschen, 4. Auflage, 84 S.
Briefe an Angefochtene, 3. Auflage, 78 S.
Was sagt die Bibel über die Krankheit und ihre Heilung? 56 Seiten.
Belastung und Befreiung –Die seelsorgerliche Behandlung der okkult Belasteten

 

 




Weltreligionen

Prof. Dr. Peter Beyerhaus, D.D.

 

Kennen die Religionen den wahren Gott?

– Das Christuszeugnis in der interreligiösen Begegnung –

 

– Vortrag –    

Das universal menschheitliche Vorkommen von Religion läßt sich einleuchtend nicht mit Feuerbach und Freud rein psychologisch erklären als bloße Projektion bewußter oder unbewußter seelischer Vorgänge in eine mythische Überwelt. Vielmehr verdanken sich Religionen der verschiedensten Gestalt jeweils einem überwältigenden Anstoß einer geheimnisvollen Übermacht, auf welche dann erst in einem zweiten Schritt der betroffene Mensch, bzw. die soziale Gemeinschaft, reagiert. So sieht es auch die Bibel: Israels Glauben fand seine Begründung in einem heilsgeschichtlichen Offenbarungshandeln von oben her, nämlich Gottes Begegnung mit Abraham und mit Mose. In negativer Entsprechung sieht die Bibel auch die heidnischen Kulte durch transzendentale Einwirkung entstanden. Denn auch deren Göttern wird sehr wohl eine übermenschliche Wirklichkeit zuerkannt, wenn auch – v.a. für Israel – keine Legitimität.

Die gemeinsame Überzeugung fast aller Religionstheologen ist nun die, daß die Religionen sich in ihrer überirdischen Verursachung zumindest teilweise oder aber – hier gehen die Urteile auseinander – sogar ganz der Selbstmanifestierung des einen Gottes verdanken. Es handele sich hier also letztlich, auf der seinsmäßigen Ebene, um denselben Gott, den die Bibel als den Schöpfer und Herrn des Himmels und der Erde bezeugt, und zu dem sich die Kirche als dem Dreieinigen bekennt.

Hier ist nun allerdings ein beträchtlicher Meinungsunterschied zu konstatieren, und an diesem gehen die Schulrichtungen auseinander, – d.h. die (dialektisch) exklusive, die inklusive und die pluralistische Theologie der Religionen. Die entscheidende Frage lautet: Ist die aus der eben genannten Überzeugung zu folgernde Identität der höchsten Gottheit, die in vielen Religionen unter verschiedenen Namen und Vorstellungen verehrt wird, mit dem alleinigen Gott direkt oder indirekt zu erklären? Vollzieht man also eine völlige Gleichsetzung? Oder aber denkt man eher an eine Transparenz gewisser außerchristlicher Gottesbilder für den biblischen Gott, wobei man zugleich erkennt, daß die konkreten Gottesbilder der einzelnen Religionen auch durch sehr andersartiger Einflüsse mitbestimmt sein mögen und sich hinter den heidnischen Götterbildern (gr. eidola = Götzen!) auch ganz andere Wesen verbergen bz w. durch sie reden und sogar handeln können.

Letzteres ist die meinen folgenden Ausführungen zugrundeliegende Schau. Ich setze also mit den mir nahestehenden Theologen – Dogmatikern und Missiologen – voraus, daß sich der dreieinige Gott für sein universales, zielgerichtetes Wirken an der Menschheit auch der vorchristlichen Religionen bedient und daß sich seine Manifestationen in diesen diakritisch aufspüren lassen. Wir müssen aber – das ist ist nun mein besonderes Anliegen – bei den konkreten religionsgeschichtlich aufgetretenen Gottesvorstellungen drei Verursachungen – bzw. Pole – unterscheiden, die in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander stehen: Es sind dies 1. der theonome,d.h. göttliche, 2. der anthropologische d.h. menschliche und 3. der dämonologische Faktor. Ich bezeichne diese Analyse als die “tripolare Schau der Religionen”. Diese Sichtweise durchzieht alle meine Äußerungen zu diesem Thema seit dem Jahre 1967. Ich teile sie auch m it meinen Brüdern und Schwestern im Präsidium des Theologischen Konvents; denn sie ist sowohl biblisch, patristisch als auch reformatorisch gut begründet. Sie findet ihren Niederschlag auch in dem Ihnen vorliegenden Entwurf zu einer Theologischen Erklärung zur Beurteilung der Religionen im Licht des Evangeliums: “Kein anderer Name !”

 

I. Der theonome Faktor: Gottes Besorgtsein um den gefallenen Menschen.

a) Das auch völkerkundlich aufweisbare universale Vorkommen der Idee einer höchsten Gottheit – (Pater Wilhelm Schmidt nannte ihn Hochgott, Nathan Söderblom Urhebergott) – läßt sich im Widerspruch zu allen evolutionistischen Hypothesen am einleuchtendsten aus der ursprünglichen Einheit der menschlichen Geschichte (vgl. Apg 17,26) erklären. An deren Anfang stehen jene Ereignisse, von denen die alttestamentliche Urgeschichte (1Mo 1-11) berichtet. Hier machte das Menschengeschlecht seine grundlegenden Segens-, Gerichts- und Errettungserfahrungen mit Gott, von denen auch zahlreiche Urmythen weit verstreuter Völker erzählen. Am Anfang der sich später aufspaltenden Religionsgeschichte steht demnach eine monotheistische Urreligion. Diese schimmert noch durch zahlreiche empirische Religionen hindurch und bietet der missionarischen Begegnung willkommene Anknüpfungspunkte.

Eine den gesamten weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte bestimmende Uroffenbarung an die Stammväter aller menschlichen Rassen ist Gottes in 1Mo 8,21-9,17 berichteter Bundesschluß mit Noah und seinen Söhnen. In diesem Akt verbürgt sich Gott feierlich, künftig die Schöpfung vor einer zweiten kosmischen Katastrophe zu bewahren. Er tut dies mit der erstaunlichen, fast paradoxen Begründung: “denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf” (1Mo 8,21b). Die tiefeingewurzelte Sünde aller Menschen ist also gerade die Ursache einer fortdauernden göttlichen Zuwendung zu ihnen, in welcher Er ihnen Nahrung, Segen, Schutz und für die sozialen Bezüge grundlegende Erhaltungsordnungen gibt (Apg 14,16f; auch Mt 5,45). Die scheinbare Illogik dieses “denn” findet ihre zunächst verborgene Auflösung in Gottes heilsgeschichtlichem Plan. Er möchte nämlich die sündige Menschheit in Seiner Geduld (anoche Rö 3,26; makrothymei in 2Petr 3,9) auf ihre künftige Erlösung durch Jesus Christus bewahren. Das Dankesopfer Noahs ist also das Urbild eines monotheistischen Kultes, der noch vor und außerhalb der mit Abraham einsetzenden biblischen Heilsgeschichte praktiziert wurde. Dieser war dem Dank und Lobpreis für die von Gott, dem Schöpfer und Erhalter, erfahrene Lebensrettung und seine Wohltaten gewidmet. In Rö 1,21 läßt Paulus erkennen, daß genau das diejenige Verehrung und der Dank sei, welche Gott aufgrund Seiner seit Erschaffung der Welt von allen Menschen vernehmbaren ewigen Macht und Größe erwartet. Zwar macht der Apostel diese Aussage im Sinne eines Vorwurfes gegenüber der tatsächlichen Entartung des Kultes in der empirischen heidnischen Religionsgeschichte. Trotzdem läßt sich nicht ausschließen, daß die sich im Noachitischen Bundesschluß exemplarisch dokumentierende Urreli gion tatsächlich noch in vielen nachfolgenden Generationen praktiziert worden war. Als Vorbild dafür kann Melchisedek genannt werden, der geheimnisvolle König von Salem – dem späteren Jerusalem. Er wird als “Priester des höchsten Gottes” (1Mo 14,18) bezeichnet und übt die Vollmacht aus, den Abram von “Ihm, dem Schöpfer des Himmels und der Erde” her, zu segnen.

Gott beläßt dem Menschen also trotz dessen gefallenem Zustand die Möglichkeit, Ihn in wesentlichen Zügen – und zwar noch vor bzw. außerhalb der besonderen heilsgeschichtlichen Offenbarung! – durch seine Vernunft, d.h. hier seine inneren Anschauungsorgane, zu erkennen. Aufgrund dessen erwartete Gott einen Seinem erhabenen Wesen entsprechenden Gottesdienst bei allen Menschen in allen Völkern. Diese Sicht bildet nicht etwa ein Sondergut des Paulus. Er spricht hier vielmehr eine Überzeugung des hellenistischen Judentums aus, die wir auch im Buch der Weisheit (Kap. 13-15) finden: “Denn aus der Größe und Schönheit der geschaffenen Werke wird vergleichsweise auch ihr Schöpfer wahrgenommen” (13,5). Zwar erfolgt dieser ihm geschuldete Gottesdienst im Sinne der reinen Urreligion offensichtlich nirgends mehr, wie Paulus in Rö 1,21 ff. beklagt.Und doch findet der Apostel in der Verehrung des “unbekannten Gottes” in Athen (Apg 17,23 ) zumindest eine Abschattung eines solchen Kultes, dem er die Transparenz für den wahren, von ihm verkündigten Gott zuerkennt.

Eine andere Weise, wie sich Gott den Heiden weiterhin zu erkennen gibt, ist die Einpflanzung der Forderung Seines allgemeinen Sittengesetzes in das Menschenherz (Rö 2,15). Bestätigt durch das Gewissenstellt dieses ungeschriebene Gesetz auch die Heiden unmittelbar in Verantwortung vor Gott, aufgrund welcher Er sie am jüngsten Tage richten wird (V. 16). Die Heiden kennen also Gott hinsichtlich Seiner ethischen Forderungen. Eine Gestalt, in welcher diese ihren gesellschaftlich verbindlichen Niederschlag gefunden haben, sind die verschiedenen Religionen; deren moralische Anweisungen stehen nämlich vielfach in überraschender Nähe zu den biblisch offenbarten Geboten (Rö 2,14). Ja, in den Mythen der Völker schlägt sich auch die erschütternde Erfahrung nieder, daß die Götter über die Einhaltung der sittlichen Ordnung wachen und den schuldig Gewordenen unentrinnbar heimsuchen.

Insofern können die Religionen, weil sie den sittlichen Forderungen die metaphysische Sanktion verleihen, als Instrumente des Welthandelns Gottes verstanden werden. Durch sie bewahrt Er Seine für den Bestand allen menschlichen und kreatürlichen Lebens grundlegende Ordnung vor der Zerstörung. In den Religionen bekundet sich der dreieinige Gott also vornehmlich in Seiner ersten Person als Schöpfer und Erhalter. Dieses sein segnendes, lebenspendendes, sinngebendes, schützendes und richtendes Handeln spiegelt sich dementsprechend in bisweilen ergreifender Weise in zahlreichen Gebeten und Hymnen wider. Manche könnten auch in christliche Textsammlungen aufgenommen werden, ohne daß sich ihr außerchristlicher Ursprung störend bemerkbar machen würde.

b) Kann von einem Wirken in außerchristlichen Religionen theologisch legitim auch im Blick auf Gott, den Sohn, die zweite Person der Dreieinigkeit, gesprochen werden? Dogmatisch ließe sich das mit Augustin folgern aus der unteilbaren Einheit der opera Trinitatis ad extra (des Wirkens der drei göttlichen Personen nach außen, d.h. auf die Schöpfung hin). In der zeitgenössischen inklusiven Religionstheologie, zumal im christozentrischen Modell, bildet sowohl auf ökumenischer als auch auf römisch-katholischer Seite das Wirken Christi in den Religionen und durch sie sogar die Grundvoraussetzung. Die Begründungen dafür sind unterschiedlich: Sie sowohl aus der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes (“kosmischer Christus” von Neu-Delhi 1961), aus Gottes universalem Geschichtshandeln oder aus der Gnadenlehre (Karl Rahner) gefolgert werden. (In fast allen diesen Fällen handelt es sich um eine – allerdings zuweilen vergröbernde – Aktualisierung der patristischen Konzeption vom logos spermatikos).

Eine biblische Basis für eine gründliche Behandlung der gestellten Frage läßt sich am ehesten im Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1-10) finden. Hier wird von dem vorzeitlichen logos, der geschichtlich in Jesus Christus Fleisch angenommen hat, ausgesagt, er sei “das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen” (V. 9). Alle Einsicht, welche Menschen – und zwar auch solche außerhalb der biblischen Offenbarung –, in Gottes Wesen gewinnen können, ja alle tiefere Wahrheitserkenntnis überhaupt, ist bewirkt

durch den ewigen Logos, das schöpferische Wort, das bei Gott war und selbst Gott ist. Das bedeutet, daß sich auch die in den Religionen vorhandenen Teilwahrheiten in dogmatischer und ethischer Beziehung dem Licht zu verdanken sind, das der in ihnen anwesende Logos entzündet und das die Erleuchtung wirkt.

Es darf nun aber – um das biblische Zeugnis in Joh 1,8 nicht für falsche, d.h. religiös universalistische Behauptungen zu mißbrauchen – nicht der unmittelbare Textzusammenhang übersehen werden, in welchem diese Aussage des Johannesprologes erscheint. Ihr geht nämlich schon voraus die kontrastierende andere Aussage in V. 5, daß das Licht in der Finsternis scheine, “und die Welt hat es nicht begriffen” bzw. “nicht erfaßt”. Das innere Zeugnis des Logos wird von der gottentfremdeten, unter der Herrschaft des Bösen stehenden Masse der Menschheit entweder gar nicht oder falsch verstanden. Sie gewinnt von diesem inneren Licht des Logos nicht eine allgemeine Gotteserkenntnis, die gerade auch durch die Religionen vermittelt würde. Erst recht darf man aus Joh. 1 keine Heilsmächtigkeit der Religionen folgern.. Denn um die Erlösung der Menschheit zu vollbringen, mußte ja der ewige Logos in Jesus von Nazareth Mensch werden und unter Pontiu s Pilatus sein Leben zum Sühneopfer hingeben. Die Präsenz des Logos spermatikos in den Religionen macht diese, auch wo sie angenommen werden darf, keineswegs zu ordentlichen Heilswegen der nichtchristlichen Völker. Aber sie kann die von ihm innerlich Erleuchteten für den Empfang der Erlösungsbotschaft von Jesus Christus vorbereiten. Das bedeutet, daß die christologische Beeinflussung der Religionen bei deren Anhängern die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der verlorenen Gottesgemeinschaft erweckt und sie nach einem Erlöser Ausschau halten läßt.

In diesem Sinn gibt es in der Tat bei den Heiden Ahnungen, welche der authentischen Erfüllung im Christusereignis erstaunlich entsprechen. Solche Vorstellungen können entweder in Form von Mythen, Träumen, Gebeten oder seherischer Vorschau auftreten. Ebenso gibt es Parallelen zwischen manchen außerchristlichen Ritualen und den christlichen Sakramenten. Auf solche Analogien wurde sogar Paulus aufmerksam, woraufhin er sie in den Dienst seiner pastoralen Unterweisung der jungen Heidenchristen stellt (z.B. 1Kor 10,20-21).

c) In den neueren Entwürfen zu einer ökumenischen Theologie der Religionen, die im Rahmen der Arbeit des Weltkirchenrates vorgelegt werden, tritt seit der umstrittenen Vollversammlung zu Canberra 1991 eine starke Tendenz hervor, das Prinzip der Vermittlung zwischen Christentum und anderen “lebendigen Glaubensweisen” (Fremdreligionen) von der zweiten auf die dritte Person der Trinität, den Heiligen Geist, zu verlagern. An die Stelle der traditionellen christologischen Betrachtung tritt also eine pneumatologische. Angesichts der in Canberra und danach sogar massiv aufgetretenen synkretistischen Konsequenzen stellt sich hier die Frage, ob und inwieweit es theologisch berechtigt ist, von einem Wirken des Heiligen Geistes auch in den nichtchristlichen Religionen zu sprechen.

Bei der Behandlung dieser Problematik wird man ebenso wie bei der christologischen Komponente der Religionen so auch bei der pneumatologischen auszugehen haben von der Untrennbarkeit des Welthandelns der drei göttlichen Personen. Damit verbunden ist besonders in der Ostkirche bewahrte Erkenntnis der griechischen Kirchenväter, daß die Bibel selbst von einem universalen Wirken des Geistes spricht. Dieses geht dem endzeitlichen Kommen des Hl. Geistes zu Pfingsten voraus.

Wenn man nun die Religionen prinzipiell als solche Instrumente verstehen darf, die dem Welthandeln Gottes dienen, so hat folglich daran auch der Heilige Geist einen wesentlichen Anteil, – in Ausführung der Ihm eigenen Aufgaben. Wir können fünf Wirkungen des Geistes an der außerchristlichen Menschheit erkennen, die wir im vorbereitenden Zusammenhang mit Seiner besonderen heilsgeschichtlichen Sendung zu verstehen haben:

1. Der Geist ist der Mittler des vom Vater geschenkten kreatürlichen Lebens und läßt die Menschen Erfahrungen machen, durch die sie sich selbst als Objekt seiner gütigen Zuwendung bewußt werden. In diesem Zusammenhang kann erweiternd von allen Zuteilungen göttlichen Segens auch im geschöpflichen Bereich gesprochen werden. Dieser ist zwar in der Regel vom Heil als der endgültigen Wiederherstellung der personalen Beziehung zwischen Gott und den Menschen zu unterscheiden; aber er ist doch schon antizipierend darauf bezogen.

2. Der Geist erhält den Menschen das Wissen um ihre eigene Geisthaftigkeit. So ermöglicht Er es ihnen, Erlebnisse des schöpferischen Reichtums Gottes geisthaft zu deuten und darauf kreativ zu antworten. Von diesem geistigen Gestaltungsvermögen legen auch die Religionen im Reichtum ihrer Weisheit und ihrer Kunst eindrucksvoll Zeugnis ab. Solche Einsichten und Kunstwerke entstanden oft im Bewußtsein um die dafür nötige Inspiration durch eine höhere geistige Macht. Sie können und sollen darum auch den Respekt des christlichen Betrachters erheischen.

3. Zur Geisthaftigkeit des Menschen gehört wesentlich auch das Fragen nach der Wahrheit, also der Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Diese ist bei dem gefallenen Menschen radikal gestört, zum einen, weil er sich selbst seine sündhafte Gottentfremdung nicht eingestehen will, zum anderen, weil er den Täuschungsmanövern Satans und der Dämonen ausgesetzt ist. Bemerkenswerter Weise bildet die Umfangenheit von der Unwissenheit (avidya) den Ausgangspunkt der Elendsdiagnose in den mystischen Religionen, während das Erkennen der Wahrheit ihr wichtigstes Heilsziel darstellt. Das Erwachen des unstillbaren Verlangens nach Erleuchtung kann sehr wohl eine Auswirkung der Berührung von jener göttlichen Macht sein, die im Johannesevangelium (14,17) der “Geist der Wahrheit” genannt wird.” Gewiß ist es erst Jesus Christus, der sich selbst die Wahrheit nennt (Joh 14,6), der den Menschen in den Religionen die echte Befreiung b ringt (Joh 8,31f.). Aber er sagt dem Heiden Pilatus, daß Seine Stimme von dem gehört werde, der aus der Wahrheit ist (Joh 18,37).

4. Das nach Rö 2,15 (vgl. 1,32) den Menschen ins Herz gepflanzte Sittengesetz und das Gewissen verdanken sich einer Vermittlung durch Gott den Heiligen Geist. Das gilt auch für die dem Schuldbewußtsein entspringende Furcht vor dem göttlichen Zorn, bzw. auch das Schuldbewußtsein, das sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen äußert (Rö 2,15b).

5. Der Geist bewahrt dem Menschen die innere Hörfähigkeit für die Stimme Gottes, ebenso wie er sie dazu anregt, “Gott zu suchen und ihn zu ertasten” (so wörtlich), wodurch sie seiner unsichtbaren Anwesenheit ja sogar ihrer Wesensverwandtschaft mit Ihm gewahr werden (Apg 17,27f).

Angesichts der hier offenbar werdenden inneren Zusammenhänge zwischen dem universalen und dem heilsgeschichtlichen Wirken des Geistes wollen wir einer theologischen Deutung der Religionen auch vom Dritten Glaubensartikel her eine grundsätzkiche Berechtigung nicht bestreiten. Jedoch haben wir uns gerade hier zu hüten vor allzu direkten und pauschalen Aussagen, als ob jede einzelne Religion sich einer Vollinspiration ihres Stifters – Zarathustra, Lao Tse, Gautama Buddha oder Mohammed – verdanke. Vielmehr müssen wir angesichts der enormen Gefahr einer Verwechslung des Heiligen Geistes mit Geistvorstellungen und Geist-erfahrungen fremdartigen Charakters gerade an dieser Stelle diakritische Wachsamkeit üben. Besonders im Blick auf den Heiligen Geist in den Religionen gilt das, was über das vorbereitende Wirken des dreieinigen Gottes in den Religionen überhaupt zu bedenken ist: Dieses Wirken ist ein verborgenes, in der unmittelbaren Betrachtung weder auffällig noch nachweisbar. Erst im Nachhinein, im Licht der Erfüllung der Religionen durch das Evangelium, werden sich die in ihnen enthaltenen Wahrheitselemente in ihrer vorbereitenden Funktion erkennen lassen. Solche Elemente sollten in der missionarischen Begegnung bereits als stepping stones angesprochen und aufgenommen werden. Aber entsprechende Vorschläge bedürfen zunächst einer sorgfältigen Überprüfung im Licht des Evangeliums.

Zusammenfassend sind hinsichtlich des theonomen Faktors in den nichtchristlichen Religionen drei Erkenntnisse festzuhalten:

1. Das Hineinstrahlen der allgemeinen Gottesoffenbarung auch in die Religionen macht deren Anhänger vor dem Urteil des dreieinigen Gottes verantwortlich und darin für die missionarische Verkündigung ansprechbar.

2. Nirgends sind die Erfahrungen des Welthandelns des dreieinigen Gottes so eindeutig, daß sie nicht einer sorgfältigen Prüfung und Deutung im Licht des Evangeliums von Jesus Christus bedürften.

3. Angesichts des gleichzeitigen Wirkens auch des dämonischen Faktors in den Religionen verbietet es sich, alle in der religiösen Erfahrung, z.B. in Ekstase, wahrgenommenen geisthaften Mächte mit dem biblischen, trinitarischen Gott in eins zu setzen.

 

II. Die anthropologische Dimension der Religion:

Die zwiespältige Suche des gefallenen Menschen nach Gott

Eine biblisch stimmige Analyse der Religionenen muß zusammen mit deren von Gott gewirkten Komponente auch das Menschenbild der Hl. Schrift voll einbeziehen.. In Konzentrierung auf die religionstheologische Frage möchte ich das hierfür Entscheidende zunächst in drei Grundaussagen zusammenfassen:

1. Dem Menschen ist als Ebenbild Gottes ein wesensmäßiger Bezug auf diesen eingepflanzt, ein Gespür für das Göttliche (der sensus divinitatis). Dadurch wird er auch noch in seinem gefallenen Zustand dazu veranlaßt, unaufhörlich nach seinem Schöpfer zu suchen.

2. Die Religionen sind als Aufwärtsbewegung des gefallenen Menschen in ihrem Erkenntnisvermögen begrenzt. Sie kommen deswegen nur zu einer unvollkommenen, getrübten Wahrnehmung Gottes.

3. Aufgrund der durch die Sünde verkehrten Willensrichtung des gefallenen Menschen sind alle seine religiösen Gestaltungsbemühungen zugleich auch vom Aufruhr gegen Gott und der Flucht vor Ihm geprägt.

Ich entfalte diese Thesen nun im einzelnen:

Daß der Mensch, auch in seiner Gottentfremdung, ein zutiefst religiöses Wesen ist, wird von den Vertretern aller drei zeitgenössischer religionstheologischer Hauptrichtungen – der exklusiven, der inklusiven und der pluralistischen – gesehen. Das kann mit mannigfaltigen Ausdrücken beschrieben werden, z.B.: “Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit” (Schleiermacher), “religiöses a priori” (Troeltsch), “Sinn für das Numinose” (Otto), transzendentales Existential” (Rahner), “Bewußtsein um die äußerste Realität” (Hick). Dietrich Bonhoeffer hat zwar in der Beobachtung recht, daß die Religion für das Selbst- und Weltverständnis des modernen Menschen kaum noch eine Rolle spielt. Die bleibende religiöse Verankerung auch des Sünders (Pred 3,11) ist die menschliche Entsprechung zu jener allgemeinen Selbstbekundung Gottes, die wir als den “theonomen (bzw. göttlichen) Faktor der Religionen” bezeichnet haben. Durch diese Entsprechung, d.h. das wechselseitige Entgegenkommen von Gott und Mensch in der natürlichen Religion, gibt Gott der menschlichen Suche nach Ihm Seine Zustimmung und ihren heilsgeschichtlich vorlaufenden Sinn. Gott will, sagt Paulus den heidnischen Athenern, daß die Menschen “ihn suchen, ob sie ihn wohl wahrnehmen und ihn finden möchten” (Apg 17,27a). Gewiß ist dieser Suche als solcher das Finden des Heils schon vor Christus und außerhalb seiner nicht versprochen. Aber der der suchende Mensch wird durch die gottgefällige Betätigung seiner religiösen Veranlagung unter dem Einfluß von Gottes zuvorkommender Güte (Apg 14,17; Rö 2,4) und Gnade (Joh 6,44; 12,32) vorbereitet für die heilsgeschichtliche Begegnung mit dem Evange lium. Darum findet die missionarische den ins uns Wohnung nehmenden Heiligen Geist, ganz schenken will. In Jesus allein will Gott uns und allen Menschen wahre und volle Erkenntnis seiner selbst geben.

Das bedeutet nicht, daß wir jetzt das widerrufen, was wir zuvor über die natürliche Gotteserkenntnis auch in den Religionen gesagt haben. Es gibt, daran halten wir fest, auch in diesen schon ein gewisses Maß des Wissens von Gott. “Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen [den Heiden] offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart” (Röm 1, 19). Aber dieses “Wissen”, wie Paulus es in VV. 19 + 20 beschreibt, ist ein unvollständiges. Außerdem ist es aufgrund der menschlichen Undankbarkeit gegen Gott und der Abtrünnigkeit von Ihm in sich gebrochen und pervertiert (VV. 21-25). Es ist günstigstenfalls noch rudimentär vorhanden.

Neureformatorische Theologen wie der junge Karl Barth und auch manche evangelikalen Hyperbarthianer – Vertreter einer radikal exklusiven Religionstheorie – neigen dazu, das grundsätzliche Wissen der Heiden von Gott zu bestreiten. Aber wir dürfen auch an dieser Stelle nicht biblischer sein wollen als die Bibel. Die Heilige Schrift, besonders der Apostel Paulus, gibt den Tatbestand der natürlichen Gotteserkenntnis nicht nur zähneknirschend zu; er ist vielmehr brennend daran interessiert, ihn aufzuweisen. Warum ist es auch für uns unverzichtbar, an der Lehre von der allgemeinen Gottesoffenbarung festzuhalten? Aus drei wesentlich missionarischen Gründen:

Erstens gilt es, den Menschen bewußt zu machen, daß auch sie zumindest unterbewußt von Gott her bestimmt sind, und daß sie ohne ihn gar nicht leben können, weder als einzelne noch als Gemeinschaft.

Zweitens hält das Wissen auch der Heiden von Gott sie in ihrem sittlichen Leben und auch in ihrem Kult vor Gott verantwortlich, so daß sie – wenn sie ihm ungehorsam blieben – im Jüngsten Gericht unentschuldbar dastehen werden (Röm 3,19).

Drittens gibt das Wissen von Gott – und sei es noch so rudimentär – der Missionspredigt die Chance, die Anhänger nichtchristlicher Religionen von ihren eigenen Voraussetzungen her abzuholen und sie pädagogisch von der unvollkommenen Vorstufe auf die Stufe der vollen Erkenntnis in Jesus Christus weiterzuführen, so wie Paulus dies in Athen getan hat.

Man begegnet bei solcher Argumentation gelegentlich dem Einwand: Wenn es stimmt, daß es auch in den nichtchristlichen Religionen schon Gotteserkenntnis gibt, warum sollen wir dann noch Mission unter ihnen treiben?

Aber diese Schlußfolgerung ist oberflächlich, Das Entscheidende ist doch nicht, daß Menschen an die Existenz Gottes – bzw. eines “höheren Wesens” – vage geglaubt haben; denn ein solcher sog. Glaube, wie ihn nach Jak 2,19 sogar die Dämonen haben, würde uns doch noch nicht aus unserer Verlorenheit unter dem Zorn Gottes über alle menschliche Schuld retten. Entscheidend ist noch nicht die Frage: Gibt es einen Gott?, sondern vielmehr wie Luther sie stellte: “Wie kriege ich einen gnädigen Gott?” Der Mensch kann ihn nicht von sich aus, auch nicht durch ethische und religöse Werke, gewinnen. Gott selber mußte uns entgegenkommen, und Er hat es getan und tut es immer noch: In Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn, in ihm allein, und in ihm ganz. Jesus hat den Abgrund überbrückt, der uns von Gott trennt. Er hat die Entfremdung zwischen der abtrünnigen Menschheit und dem sich von ihm im Zorn abwendenden Schöpfer dur ch sein Kreuzesopfer überwunden, so daß wir gerechtfertigt durch den Glauben an ihn Frieden mit dem Vater haben (Röm 5,1). Ohne diese Liebesoffenbarung in seinem Sohn Jesus Christus aber bleibt Gott ein Deus absconditus Gott), d.h. ein verborgener, ferner Gott, dessen Walten uns oft rätselvoll erscheint und ängstigt.

Solche erschreckende Gotteserfahrung schlägt sich auch in den Göttervorstellungen der nichtchristlichen Religionen nieder, in paradoxer Spannung zwischen ihren eudämonistischen (die Dämonen als gütig empfindenden) Erfahrungen einerseits und ihrem Horror vor deren Furchtbarkeit. So ist die nordindische Göttin Kali bzw. Durga einerseits die von den Frauen geliebte Geberin der Fruchtbarkeit; aber als der Rächerin des Bösen geht von ihr auch Terror aus. Das wiederum macht sie widersprüchlicher Weise für Diebe und Räuber attraktiv, und die Statuen in ihren Tempeln zeigen sie mit grausig aufgerissenen Augen, mit nach Blut lechzender Zunge und mit abgeschlagenen Menschenköpfen in den Pranken.

Ähnlich bleibt den Muslimen ihr Gott Allah – trotz ihrer gehorsamen Unterwerfung unter seinen Willen – ein Willkürgott, der in seinem unerforschlichen Ratschluß die einen für das Paradies, die andern für die Hölle bestimmt hat. Darum kennt der Islam keine Heilsgewißheit.

Ich sage es noch einmal: Die Vermittlung zwischen dem zu fürchtenden, letztlich verborgenen Gott einerseits und dem uns sein Antlitz leuchtend zuwendenden Vater andererseits ist allein in seiner Heilsoffenbarung durch seinen Sohn Jesus Christus gegeben. Jesus ist die Erfüllung der alttestamentlichen messianischen Verheißungen. Er ist auch die Antwort auf die Heilssehnsucht in den nichtchristlichen Religionen. Er erschließt uns das liebende Vaterherz. Er antwortet auch dem menschlichen Herzen, das unruhig in uns schlägt, bis es Ruhe findet in Gott (Augustinus).

Doch ist Jesus nicht allein die Erfüllung der Religionen; er ist zugleich deren Gericht und ihr Ende. Nach biblischer Lehre ist die Zeit, in welcher die außerisraelischen Völker in ihren eigenen Religionen fremden Göttern dienen – nach 5 Mo 4,19 sind es Gestirnsmächte – eine vorläufige Zeit. Es ist eine Zeit der Unwissenheit und steht als solche unter Gottes heilsgeschichtlicher Geduld (Röm 3,26; Apg. 14,16; 17,30). Um ihretwillen hat er sich – in Treue zu seinem universalen Bund mit Noah – den Menschen nicht unbezeugt gelassen. Vielmehr hat er ihnen beständige Erweise seiner Güte geschenkt. Trotzdem aber haben die Heidenvölker Gottes

Verkündigung hier ihren wesentlichen Ansatzpunkt.

Ausgelöst wird die menschliche Suche nach Gott im allgemeinen dadurch, daß der gefallene Mensch in der bedrängenden Erfahrung seines Elendes sich seines verlorenen Zustandes bewußt wird. Indem wir diesen Verlust als ein Abgeschnittensein von der lebensspendenden, himmlischen Quelle erkennen, wird der Wiederanschluß an diese zum Leitmotiv unseres Strebens. Beflügelt wird die Suche durch die Hoffnung, daß ihr Mühen nicht vergeblich ist, sondern ihr die Erlösung schlußendlich zuteil werden wird.

Es ist religionsvergleichend auffällig, daß die Betätigung des menschlichen Drangs, die abgerissene Verbindung mit der Gottheit wieder aufzunehmen, sich in den vorfindlichen Religionen in sehr ähnlichen Formen ausdrückt: Der Mensch hat das Bedürfnis zu beten, opfern, meditieren, sich rituell zu reinigen, sich asketischen Disziplinen zu unterwerfen und Pilgerreisen zu Heiligtümern zu unternehmen. Durch all diese Übungen möchte er die Gottheit wohlgefällig stimmen. Dabei ist ihm vielfach auch bewußt, daß diese bei ihm eine die äußeren Riten beglaubigende innere Haltung, die Frömmigkeit, sucht. Beispiele einer solchen, die sich sogar in inbrünstiger Liebe zu Gott äußern kann, finden sich in vielen Religionen.

Ebenso wissen alle Religionen wenigstens ansatzweise, daß sich mit der Zuwendung zu Gott auch ein sittliches Verhalten den Mitmenschen und ihrer Gemeinschaft gegenüber verbinden muß. Dementsprechend gibt es keine menschliche Religion ohne ethische Gebote, die inhaltlich den Forderungen der zweiten Gesetzestafel sehr ähnlich sein können. Daß unter den Heiden de facto eine wenigstens teilweise Erfüllung des von Gott ihnen gegebenen Naturgesetzes geschieht, erkennt auch Paulus (wie Rö 2,14f. u. 26) positiv an, – trotz seiner vorhergehenden, das Gesamtbild düster schildernden Anklage des Heidentums in Rö 1,18 – 2,32.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich in der Menschheit die Wirklichkeit einer sich in allen Religionen äußernden Religiosität erkennen läßt, die – wenigstens teilweise – auf Gottes in der allgemeinen Offenbarung geschenkte Vorgaben positiv antwortet. Diese Schau liegt offensichtlich dem Gottesausspruch in Maleachi 1,11 zugrunde, der in seiner innerbiblischen Einzigartigkeit erstaunlich ist: “Denn vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang ist mein Name groß unter den Völkern, und überall werden meinem Namen Weihrauch und Opfer dargebracht, und zwar reine Gaben; denn groß ist mein Name unter den Völkern”.

2. Dies ist allerdings nicht als allgemeine Zustandsbeschreibung der vorfindlichen Religionen zu verstehen. Paulus macht nämlich in seiner berühmten Missionspredigt auf dem Areopag in Athen (Apg 17,16-34) deutlich, daß die von den Heiden in ihrem Kult demonstrierte Gotteserkenntnis eine sehr beschränkte und gebrochene geblieben ist. Trotz seiner positiven Anknüpfung an den einem unbekannten Gott geweihten Altar ist das eigentliche Ziel der Predigt nicht aufzuzeigen, wie weitgehend die athenische Religion, bzw. Philosophie mit dem biblischem Glauben übereinstimme. Vielmehr will Paulus gerade umgekehrt den Griechen aufdecken, “daß ihnen trotz gewissen Wahrheitselement ihres Glaubens alles Wesentliche ‘unbekannt’ ist und sie in die Irre gehen.” Die in sich lobenswerte religiöse Suche der Heiden hat also noch nicht bis zur Erkenntnis des wahren Gottes geführt. Bestenfalls sind sie zu einem ihnen unbekannten Gott gelangt, hint er und über dem allerdings letztlich der eine, lebendige Gott Himmels und der Erde steht: “Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkündigen wir euch”(Apg. 17, 23b).

3. Das Scheitern der religiösen Bemühungen des gefallenen Menschen zeigt sich aber nicht nur in der Unvollkommenheit der Gotteserkenntnis, die er mit seinem natürlichen Wahrnehmungsvermögen gewonnen. hat. Die Tragik der nichtchristlichen Religion beruht vielmehr darauf, daß das menschliche Streben, aus der innerweltlichen Eingeschlossenheit durchzubrechen zur wahren himmlischen Wirklichkeit, selbst hineingenommen worden ist in die gottwidrige Willensrichtung des Sünders. Der religiöse Mensch sucht nämlich nicht wirklich “von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüte” (5Mo 6,5; 10,12; Mt. 10,12) den heiligen Gott, um Ihn zu lieben und zu ehren. Vielmehr sucht er in seiner sündigen Verkehrung bei Gott oder gar an Ihm vorbei, was ihm, dem sündhaften Menschen, selbst zur Bereicherung seines Lebensgenusses wertvoll erscheint, ohne dem Schöpfer dafür die schuldige Verehrung und den kindlichen Dank zu erweisen. Das wahre Erkennen Gottes is t nämlich von dem rechten Respekt Ihm gegenüber untrennbar. Deswegen tritt im selben Augenblick, wo sich der Mensch von Gott dem Geber abwendet zugunsten Seiner Gaben, oder wo er sich egozentrisch in sich selbst verkrümmt (Luther), die schon angesprochene Verdunkelung seines Herzens ein: Gott überläßt den sich von Ihm trennenden Menschen sich selbst und den Auswirkungen seiner Sünde (Rö 1,18ff.). Die Religion der Heiden ist, wie Paul Althaus sagt, zustande gekommen durch Abfall von dem lebendigen Gott, von der Wahrheit, die er in seiner ur-offenbaren Wirklichkeit ist”. Ein abstößiger abergläubiger “Naturkult” verdrängt die reine Gottesverehrung. In der Magie und dem Spiritismus bemächtigt sich der Mensch selbst durch Beschwörungsriten des Objektes seines Begehrens. Damit gerät der Götzendiener in die Gefangenschaft der von ihrem Schöpfungszweck isolierten naturhaften Kräfte und Triebe, wie besonder s schamlos in Gestalt homosexueller Praktiken (Rö 1,26f.).

Weil der gefallene Mensch vergißt, daß er in allem seinem Tun von Gott abhängig ist, sucht er den ns Elend bringenden Konsequenzen seiner Sünde dadurch zu entrinnen, daß er sich Wege und Mittel ausdenkt, sich selbst zu erlösen. Die vielgestaltigen rituellen, gesetzlichen oder asketischen Bemühungen kennzeichnen den eigenmächtigen Charakter der nichtchristlichen Erlösungsreligionen. Segen und Heil – auch wenn man sie im Prinzip noch von Gott erwartet – werden so als Verdienst des frommen Bemühens des Menschen mißverstanden. In jedem religiösen Akt seitens des sündigen Menschen schwingt immer auch ein Element des Aufruhrs gegen Gott mit, wie zugleich auch eine Fluchtbewegung; denn der schuldig Gewordene wagt nicht, sich dem Heiligen verantwortungsbewußt zu stellen.

Die Güter, welche der sündige Mensch in seinen Religionen zu erlangen hofft, können sehr unterschiedlich sein. Die Spannweite reicht von der Sicherstellung der elementaren Lebensbedingungen in den Stammesreligionen bis hin zur Überwindung des Todes in einem wiedergewonnenen ewigen Leben, z.B. bei den alten Ägyptern. Leben, Wissen und Macht sind die Objekte des Begehrens, um derentwillen schon das erste Elternpaar willentlich das Gebot Gottes übertrat und dadurch die Gemeinschaft mit Ihm aufkündigte. Diese Objekte werden noch überboten durch das sich mit ihrem Begehren verbindende blasphemische Verlangen, wie Gott zu sein, d.h. sich selbst zu vergotten, statt die Vollendung seiner Gotteskindesschaft von Gott her gehorsam abzuwarten (vgl. Joh 10,34-36; 1Joh 3,1-3; 2Petr 1,4b). Mit diesem überheblichen Begehren ist die totale Emanzipation des Menschen von seinem Schöpfer erreicht. Eva und Adam schieben Gottes ausdrückliches Verbot bei seite und bezweifeltn die Wahrheit Seiner Worte, um die Verwirklichung des Sinnes ihrer menschlichen Existenz in eigene Hände zu nehmen.

Dieses Anmaßen stammte allerdings ursprünglich nicht aus ihrem eigenen Herzen. Vielmehr ist es ihnen gemäß des Urberichts in 1Mo 3 eingeflüstert durch eine außermenschliche, gottwidrige höhere Macht. Das führt uns zum dritten wesentlichen Bezugspunkt unseres tripolaren Religionsverständnisses:

 

III. Die dämonische Dimension:

Die heidnische Religion im Bannkreis des Teufels

Wenn man in die theologische Diagnose der Religionen die Versuchungsgeschichte einbezieht, ja sie sogar zum Ausgangspunkt macht, so wird es offenbar, daß in der biblischen Schau des Heidentums vom 1. Mosebuch bis zur Johannes-Apokalypse die dämonische Perspektive eine mitbestimmende Rolle spielt. Erkennt man in der folgenschweren Versuchung des Weibes durch die Schlange einen kultstiftenden Akt, so wird es unheilsgeschichtlich einsichtig, daß in den Beweggründen der heidnischer Religionen, im Vollzug heidnischer Opfer und in den heidnischen Ekstase-Erfahrungen, okkulte Mächte als real gegenwärtig und wirkend diagnostiziert werden. Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament begegnet uns eine Gleichsetzung der heidnischen Götter mit den Dämonen (5Mo 32,17; Ps 106,37; 1Kor 10,20), und die heidnische Religion als solche wird dem Bereich der Finsternis bzw. der Herrschaft des Teufels zugeordnet (Apg 26,18; 2Kor 6,14-18; Eph 2, 2; Kol 1,13). Die dämonische Kompone nte gilt es in Anbetracht ihrer mitbestimmenden Bedeutung, im Auge zu behalten. Allerdings müssen wir dies – gemäß unserer tripolaren Schau – tun in spannungsvoller Zusammenschau mit den beiden oben behandelten Dimensionen, der göttlichen und der menschlichen.

Daß die Religion in der Tat neben allem positiv Beeindruckenden oder unser Mitgefühl Erweckenden auch eine finstere Seite besitzt, vor der bereits die apostolischen Missionare erschraken (Apg 17,16) ist auch die Erfahrung der neuzeitlichen Missionsgeschichte. Nicht nur Missionare berichten über ihre erschreckenden Erlebnisse von Manifestationen okkulter Wirklichkeit sowohl in den “animistischen” als auch in den höheren Religionen. Unwiderleglicher noch sind die Zeugnisse neubekehrter Christen, welche gerade im Kampf mit ihren bisherigen fremdreligiösen Bindungen die versklavende Gewalt der darin wirkenden okkulten Kräfte erfuhren.

Die biblische Schau vom dämonischen Ursprung und Wesen der Fremdgötterverehrung wurde von den altkirchlichen Vätern voll übernommen und aktualisiert. Nach Justinus und Clemens sind die heidnischen Götter böse Dämonen, die die Menschen hassen. Sie veranlassen sie, den trügerischen Mythen zu glauben und entsprechende schamlose Kulte zu praktizieren. Auch noch Augustinus verurteilt unter Berufung auf Ps 56,5, Ps 115,5 und 1Kor 10,19f. den sakrilegischen, dämonischen Charakter der heidnischen Riten. Er erklärt die Götter des Polytheismus als “nutzlose Idole, unreine Geister und verderbliche Dämonen oder ganz gewiß Geschöpfe und nicht Gott”. Diese Schau hat sich weitgehend durch die ganze Geschichte von Kirche, Mission und Theologie gehalten bis in das erste Drittel dieses Jahrhunderts

Dagegen ist die dämonologische Diagnose in der zeitgenössischen Religionstheologie weitgehend zurückgetreten; ja sie ist durch die rationalistische bzw. auch theologische Entmythologisierung sogar völlig ausgeblendet worden. Auch in der offiziellen römisch-katholischen Missions- und Religionstheologie begegnen uns seit dem II. Vatikanischen Konzil nur noch verhaltene Hinweise auf den in der früheren Lehrtradition doch so nachdrücklich hervorgehobenen düsteren Zug der nichtchristlichen Religionen.

Zu Recht konnte Walter Freytag “das Dämonische in den Religionen” als einen “vergessenen Faktor in der Diskussion über die Religionen” bezeichnen.

Die Religion des Menschen hat also schon von Anfang an zwei gegensätzliche transzendentale Veranlassungen, die sich beide auf den “Baum der Erkenntnis” (2Mo 2,9) als religiöses Ursymbol beziehen: Die eine ist das sich gegen den eigenmächtigen Genuß seiner Frucht richtende Verbot Gottes, an welchem der Mensch in seiner Gottesbeziehung reifen sollte; die andere Veranlassung ist die Verlockung der Schlange, welche den religiös Suchenden in die entgegengesetzte Richtung weist: Erlangung des Heils aus eigenen Kräften oder gar aus Satans okkulten Quellen.

Ich fasse zusammen: Die außerbiblischen Religionen haben von Anfang an drei zu unterscheidende Veranlassungen: eine (in sich selbst widersprüchliche) menschliche Motivierung und zwei einander entgegengesetzte tranzendentale Ursprünge, nämlich einen göttlichen und einen dämonischen. Angesichts dieser Ambivalenz ist es theologisch unzulässig, den nichtchristlichen Religionen pauschal eine eindeutige Ausrichtung auf das Evangelium hin zuzusprechen.

 

IV. Jesus Christus – der einzige Weg, Gott wahrhaft zu erkennen

Unsere religions-theologische Untersuchung hat ergeben, daß wir die Frage: “Kennen die Religionen den wahren Gott?” – wenn sie so zugespitzt gestellt wird – mit “Nein” beantworten müssen. Die Hl. Schrift zeigt uns eindeutig, daß die außerisraelischen Völker in ihren heidnischen Kulten fremden Göttern dienen, und daß sie dies in weitgehender Unwissenheit und Täuschung über den wahren, lebendigen Gott Himmels und der Erde tun. Mit diesem biblischen Befund stimmen auch die Ergebnisse der empirischen Religionsgeschichte überein.

Nun finden sich andererseits in zahlreichen Religionen – sogar unter urtümlichen Stämmen – gewisse Anschauungen von der Gottheit, die – wenn auch gebrochen und überfremdet – dem entsprechen, was die biblischen Autoren über Gottes Selbstbekundung in Schöpfung, Geschichte und im menschlichen Gewissen aussagen (Röm 1, 19-23). Deswegen tun wir gut daran, diesen sich von zwei Blickwinkeln her ergebenden dialektischen Tatbestand in einer “natürlichen Theologie” festzuhalten.

Darüber hinaus gibt es später entstandene Religionen, welche zu uns noch vertrauter klingenden Aussagen über Gott gelangt sind. Sie haben diese nämlich übernommen aus der Wirkungsgeschichte des Christentums – v.a. der Missionspredigt -, sie dann allerdings auch synkretistisch verfälscht. Das ist nämlich das Wesen einer “nachchristlichen Religion”, die durch diese Verbindung von Ähnlichkeit und Verkehrung zur “antichristlichen Religion” wird.

Besonders trifft dies für den Islam zu. Dessen Begründer Mohammed hatte ja auf seinen Handelsreisen auch die eindringliche Verkündigung syrischer Mönche gehört und war von dem im Namen des einen Gottes betonten eschatologischen Gerichtsernst tief beeindruckt worden. Das spiegelt sich auch in den ersten, zur mekkanischen Zeit niedergeschriebenen Suren wider. Im Koran wird Allah – der arabische Name für Gott – als allmächtiger und allwissender Schöpfer beschrieben, der die Geschicke der Menschen in seinen Händen hält und ihnen am Jüngsten Tage nach ihren guten und bösen Taten vergelten wird. Diese Aussagen, noch dazu, wenn alle Suren ihn eingangs als den “Barmherzigen und Allerbarmer” bezeichnen, sind ja in sich nicht falsch. Aber aus zwei Gründen vermitteln sie keine zureichende Gotteserkenntnis:

Zum einen fehlen dem islamischen Gottesbild wesentliche Züge der authentischen Gottesoffenbarung im Alten und Neuen Testament: Die Muslime erfahren nicht, daß – wie es im 1. Johannesbrief (4, 8) heißt – Gott Liebe ist. Auch fehlt unter den vielen Beinahmen, welche sie Allah geben, – man zählt 99 solcher – ausgerechnet derjenige, der für uns Christen der wichtigste ist, weil Jesus uns gelehrt und durch seine Versöhnungstat ermöglicht hat, Ihn so anzurufen: Vater! (Matth. 6,9) Abba, lieber Vater! (Röm 8,15)

Zum anderen werden im Koran vehement einige Aussagen über Gott bestritten, die für das christliche Bekenntis zu Gott grundlegend sind, nämlich seine Dreifaltigkeit, die damit verbundene Göttlichkeit Jesu als Sohn Gottes des Vaters, wie schließlich auch die personale Gottheit des Heiligen Geistes. Gott in drei Personen anzurufen, wäre sogar die unvergebbare Sünde “shirk = Beigesellung) und wird als Blasphemie scharf verurteilt.

Aufgrund dessen nimmt das islamische Gottesbild die Züge eines dem Menschen weit entrückten Willkürpotentaten an, der letztlich nur ein anderes Wort für das blinde Schicksal ist. Wenn aber die Muslime meinen, den Willen Allahs nicht nur erkannt zu haben, sondern ihn in gehorsamer Unterwerfung rücksichtslos vollstrecken zu müssen, können im Namen Allahs die grausamsten Verbrechen begangen werden. Dafür liefert der islamistische Terror in vielen Ländern entsetzliche Beispiele.

In Gestalt des koranischen Allah ist also die des biblischen Gottes verzerrt. Das liegt zum einen daran, daß im Islam menschliche Spekulation an die Stelle der persönlichen Selbstoffenbarung Gottes einen rationalen Monotheismus gesetzt hat. Zum anderen – schlimmer noch! – muß bereits der den Mohammed inspirierende Offenbarungsengel Gibrel (=Gabriel) als ein lügenhafter Geist identifiziert werden. Dieser widersprach angeblich im Namen Allahs diametral zentralen biblischen Aussagen über die Gottessohnschaft Jesu (Sure 9,3o; 19,91-93) und seinen Sühnetod am Kreuz (Sure 4,156). Im Licht von 1 Joh 4, 2f müssen wir diesen Geist diakritisch als einen Dämon, ja als den Geist des Antichrist entlarven; denn dieser ist es ja, der die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus bestreitet. .Das aber bedeutet, daß aus den im Namen Allahs getanen antibiblischen Äußerungen des Koran wie auch aus deren fanatischer Anwendung heute, z.B. der islamistischen Anweisung und Praxis, Christen erbarmungslos zu verfolgen – letztinstanzlich Satan selber spricht.

Wie aber konnte es zu zu diesen schrecklichen Entgleisungen des koranischen Ein-Gott-Glaubens kommen? Die Ursache ist die: Schon Mohammed selbst verkannte, daß der ewige, lebendige, eine Gott, auf dessen allmächtiges Walten er in der Tat gestoßen war, sich authentisch, wahrhaftig und abschließend in Jesus von Nazareth geoffenbart hat. Dieser war nicht bloß ein Prophet, wie Mohammed selber einer zu sein meinte. Vielmehr ist in Ihm Gott selbst in Menschengestalt (Matth 11,27), in unlösbarer Verbindung beider Naturen, zu uns gekommen, um uns den Vater zu offenbaren, um uns mit Ihm zu versöhnen und uns zu Seinen Kindern zu machen. Sagt Jesus doch von sich selbst: “Wer mich sieht, der sieht den Vater” (Joh 14,9). Schon im Johannesprolog (1, 18) heißt es ja: “Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat Kunde [d.h. authentische und volle Kenntnis] von ihm gebracht.”

Wahre Gotteserkenntnis, die über die vage Gottesahnung der Religionen weit hinausgeht, ist möglich geworden, weil Gott selber im Kind von Bethlehem als Heiland zu uns gekommen ist und sich uns in ihm, vermittelt durch zurückgehaltenen Zorn in dieser Zeit ständig provoziert, – und dies besonders auch durch die abstoßenden Zügen ihrer Religionen: In der von diesen gedeckten Unmoral – man denke an die hinduistische Witwenverbrennung – im Stolz der Selbstrechtfertigung und schließlich sogar im Streben, sich selbst zu vergotten.

Zu all diesen gottwidrigen Zügen sagt Gott in seiner Volloffenbarung durch Jesus Christus ein schneidendes Nein, zumal die Menschen sich dadurch in einen Selbstwiderspruch zu ihrem besseren eigenen Wissen um Ihn (Röm 1,21.28; Apg. 17,29) begeben. Darum ergeht mit der Verkündigung des Evangeliums an die Heiden zugleich auch ein Gericht über ihre Religionen. Deren Zeit ist nunmehr endgültig abgelaufen; die

 




Die Verführung d. Jugend (Hunt)

Dave Hunt

Die Verführung der Jugend

 

Robert Muller, früher stellvertretender UNO-Generalsekretär und be­kannt als »Philosoph der Vereinten Nationen und ihr Prophet der Hoffnung«, ist eine der heute führenden Gestalten des weltweiten Bil­dungswesens. Er ist Kanzler der Friedensuniversität in Costa Rica und Gründer der Rober-Muller-Schule in Arlington (Texas) sowie Autor ih­res World Core Curriulum Manual (Handbuch zum Weltlehrplan), das in vielen Ländern von Pädagogen in verbreitetem Gebrauch ist.
Muller betrachtet sich selbst als guten Katholiken – und seine Kirche ihn auch. Eine seiner Auszeichnungen ist ein »goldener Kruzifix, der ihm von Papst Johannes Paul II. verliehen wurde«.

Muller leistet bedeutende Beiträge zur okkulten Invasion. Sein »Gott« ist eine »geheimnisvolle Kraft, die das Universum regiert« und für alle Religionen annehmbar ist. Zur Rettung der Welt indoktriniert er die Jugend mit einer universalen Spiritualität (d.h. Okkultismus), wofür er den Lehrplan entwickelt hat. Der frühere Uno-Generalsekretär U Thant, ein hingegebener Buddhist und Atheist, ist einer der spirituellen Lehr­meister Mullers. In seiner Abschiedsansprache an die UNO im Dezem­ber 1971 gab U Thant zu verstehen, daß die globale Erziehung nicht re­ligiös, sondern spirituell sein muß:

Ich würde spirituellen Werten die allerhöchste Wichtigkeit zumessen . . .  Ich vermeide bewußt den Begriff »Religion«. Ich denke an den Glauben an sich selbst, die Reinheit des inneren Selbst, die für mich der höchste Wert überhaupt ist. Mit dieser Herangehensweise al­lein mit diesem Konzept, werden wir imstande sein, die Art von Ge­sellschaft zu gestalten, wie wir sie wünschen. Die Notwendigkeit glo­baler Erziehung muß über die intellektuellen Errungenschaften hinausgehen und sich bewußt auf die Sphären des Moralischen und Spirituellen erstrecken.

Wie funktioniert »Glauben an sich selbst, die Reinheit des inneren Selbst« bei denen, die nicht rein sind?
Bibel wie Alltagserfahrung stimmen darin überein, daß alle Menschen Sünder sind. Wie könnte irgendjemand, ge­schweige denn ein Weltführer, die Zukunft einer innewohnenden mensch­lichen Gottheit anvertrauen, welcher der Geschichte widerspricht? Den­noch sind die Leute an der Weltspitze sicher, dass die globale Erziehung der nächsten Jugendgeneration eine spirituelle Entwicklung des inneren Gottes verkörpert.

Dieses Thema stand beim zweiten jährlichen Weltforum im Oktober 1996 im Vordergrund. Dieses Forum wurde von der Gorbatschow-Stiftung organisiert und zog über 600 Führungspersonen aus aller Welt an, um die neue Weltordnung zu diskutieren.

Rabbi Arthur Hertzberg be­zeichnete in seiner Ansprache vor dem Plenum Religionen als »Anstifter des Hasses«.

Das Forum pries den Buddhismus an, während es das Chris­tentum verunglimpfte.
Ein Großteil der Aussagen gab nur die Behaup­tung des Autors Duane Elgin wieder, dass »die Erkenntnis unserer Ver­bindung mit dem Bewußtsein des lebendigen Kosmos … die Grundlage für die globale Kultur« bereitet. Als Sprecher der anwesenden Jugend­leiter sagte der Harvard-Student Bill Burke-White:

Diese Gemeinschaft [heutiger Schüler] … hat keine Toleranz gegen­über Dogmatismus und Fundamentalismus … wir wurden in eine er­wachende Erde hineingeboren … Stellen Sie sich eine Welt vor … die die Vision des Jugendgipfels vom Bau einer globalen Jugendverbin­dung verwirklicht hat … ein Netzwerk der vielen verschiedenen Ju­gendorganisationen, die diese ersehnte Vision für das neue Jahrtau­send teilen.

Globale Spiritualität in der Erziehung

Was können U Thant, Muller, Gorbatschow und andere Führungsperso­nen mit Spiritualität meinen? U Thants Spiritualität leugnet den Gott der Bibel und stammt von einer okkulten Kraft.

Muller erklärt:
Natürlich erhebt sich sogleich die Frage: Wie kann man von einer glo­balen Spiritualität sprechen in einer Welt so vieler Religionen und Atheisten sowie solchen Religionen wie Buddhismus, Jainismus und Sikhismus, die gar keinen Gott haben? Es gibt jedoch einen gemeinsa­men Nenner, wenn sich die Menschen als Teil eines äußerst geheim­nisvollen und schönen Universums sehen. Aus dieser Ehrfurcht er­wächst ein spirituelles Herangehen ans Leben. Alles wird heilig … und wundersam … im Blick auf die geheimnisvolle Kraft, die das Univer­sum regiert.

Keine Kraft kann, so geheimnisvoll sie auch sein mag, die Quelle irgend­welcher »spirituellen« Qualitäten sein. Wir haben nur deshalb spirituelle Fähigkeiten, weil wir nach dem Bild Gottes geschaffen sind.
»Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten« (Joh 4,24). Die verrückte Vorstellung – dass eine unpersönliche Kraft persön­liche Wesen hervorbringen könnte – wird als Wissenschaft aufgegriffen und verteidigt. So versucht der Mensch, der moralischen Verantwortung gegenüber seinem Schöpfer zu entfliehen.

Muller ist fest entschlossen, die Jugend der Welt mit seiner Spirituali­tät zu indoktrinieren, die mit der Spiritualität von Norman Vincent Peale und John Marks Templeton übereinstimmt. Er ist überzeugt, dass Glau­be – insbesondere wenn er visualisiert wird – zur »Materialisierung« des­sen führt, was wir so sehnlich wünschen.
Mullers Spiritualität stammt von einem verführerischen Geist, der behauptet, einem lange verstorbe­nen tibetischen Meister zu gehören, der im Okkultismus als Djwhal Khul bekannt ist. Im Vorwort von Mullers Weltlehrplan lesen wir:

Die zugrunde liegende Philosophie, auf der die Robert-Muller-Schule basiert, findet sich in den Lehren, die in den Büchern Alice A. Baileys vom tibetischen Lehrer Djwhal Khul dargelegt werden … und den Lehren von M. Morya, wie sie in der Agni-Yoga-Buchreihe beschrie­ben sind … Die Robert-Muller-Schule wurde 1985 voll anerkannt … Die Schu­le wird jetzt als offizielle den Vereinten Nationen angegliederte Schu­le bestätigt, die eine Erziehung zu internationaler Zusammenarbeit und Frieden bietet.

Muller wurde 1989 mit dem UNESCO-Friedenspreis für Erziehung aus­gezeichnet. 1990 trafen sich Abgeordnete aus 155 Ländern in Thailand zur »Weltkonferenz Bildung für alle«, um in Anknüpfung an Mullers Ide­en die Pläne für einen Weltlehrplan weiterzuführen. Weitere Konferen­zen folgten mit der Zusammenarbeit republikanischer und demokrati­scher Behörden: »America 2000« von US-Präsident Bush und Clintons »Goals 2000«, die in das Projekt »Global 2000« mündeten.

Dr. Dennis Laurence Cuddy, ehemals für das US-Bildungsministerium tätig, erklärt:

UNESCO und UNICEF, die Partner bei Global 2000 sind, setzten [welt­weit] die Initiativen in Gang, die bei der Weltkonferenz Bildung für alle [Thailand 1990] entwickelt wurden, der größten Bildungskonfe­renz aller Zeiten.

Erziehung zur Weltbürgerschaft

Ein hauptsächliches Ziel von America 2000 ist die Be­gründung von Schulbildungs- und Prüfungsmaßstäben für die ganze USA, die die gesamte Schulbildung unter die Kontrolle der US-Regierung stel­len. Dazu wurde die Einrichtung »Ergebnisbasierte Bildung« (OBE, Out­come Based Education) eingeführt.
OBE hat wenig mit den Erwartun­gen der Eltern an die Schulbildung zu tun und dafür umso mehr mit der Indoktrinierung der Kinder mit »politisch korrekten Reaktionen« in be­stimmten ethischen Situationen. Wie der Iowa Report es ausdrückt, sind OBE und ML = Mastery Learning (etwa: »Erlernen von Meisterhaftig­keit«) darauf ausgelegt, »Schüler durch Verhaltensmodifikation zu ma­nipulieren, basierend auf den Methoden von B. F. Skinner … [sie] öffnen die Tür zur Zerstörung ihrer traditionellen und religiösen Werte … In einem solchen Programm sind traditionelle christliche Werte unannehmbar …«

Dieses US-weite Programm wurde bereits gestartet, um die »Ergeb­nisse« zu beobachten, d. h. zu bestimmen, ob das Verhalten der Schüler annähernd der erwarteten Transformation entspricht. Die »Nationale Be­urteilung des Bildungsprozesses« (NAEP) wertet die Programme an staat­lichen Schulen aus. Wenn die »Ergebnisse« nicht den Maßstäben ent­sprechen, wird vom »Nationalen Distributions-Netzwerk« (NDN) ent­sprechendes Hilfsmaterial an die Schulen verteilt, damit die Defizite »be­hoben« werden.

Dieses Programm ist international.
Jean-Francois Revel weist auf das gleiche Programm in Frankreich hin.
Wir werden Zeugen der Anhäu­fung von gut vorgetragenen Plänen, die viele Jahre zurück reichen und sogar die Sowjetunion umfassen. 1934 finanzierte die Carnegie Corpora­tion eine Studie über Bildung, worin die Rede davon war, dass »die west­liche Zivilisation in eine Weltordnung übergeht … ein Neues Zeitalter des Kollektivismus [Sozialismus] bricht an«.

1958 unterzeichnete US-Präsident Eisenhower das erste Abkommen zwischen der USA und der Sowjetunion, das auch das Bildungswesen mit einbezog. Die Umgestal­tung des Bildungswesens beschleunigte sich mit dem historischen Gene­ralabkommen, das von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow im No­vember 1985 in Genf unterzeichnet wurde.

Dieses Abkommen »tauschte US-Technologie gegen psychosoziale Stra­tegien der UdSSR ein, die eingesetzt werden, um Kinder zu indoktrinie­ren, ihr Verhalten zu modifizieren und Menschen zu beobachten, um ihre Willfährigkeit sicherzustellen«. Es rief auf zu »gemeinsamen Überprü­fungen der Schulbücher«, was in einen gemeinsamen Lehrplan »für den Unterricht in allen Klassen der Grund- und weiterführenden Schulen so­wie auf Oberschulen und Universitäten« resultierte.

Malachi Martin warnte: Bald ist der Tag gekommen, so nimmt man an, dass Schulkinder in Gorbatschows Geburtsort Privolnoye und in Reagans Geburtsort Tampico in Illinois alle denselben Stoff lernen werden.

Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, wollten wir auf die vielen Organisationen eingehen, die zusammenarbeiten, um die Welt-Schulbildung zu vereinen, bzw. auf den Stand des Fortschritts bei diesem Unter­fangen.
Uns geht es um die okkulte und antichristliche Spiritualität und die damit einhergehende Unmoral, unter deren Einfluß die Jugend steht. Die okkulte Invasion an den öffentlichen Schulen, die unausweichlich den christlichen Glauben zerstört, vollzog sich nicht bei Nacht und Ne­bel.
1972 sagte der Harvard-Professor für Pädagogik und Psychiatrie Che­ster M. Pierce in seiner Ansprache vor der Internationalen Gesellschaft für Kindererziehung:

Jedes Kind in Amerika, das mit fünf Jahren auf die Schule kommt, ist geisteskrank, weil es auf die Schule kommt mit bestimmten Bindun­gen an unsere Gründerväter, an seine Eltern, an einen Glauben an ein übernatürliches Wesen …
Es ist nun Ihre Aufgabe, liebe Lehrer, aus all diesen kranken Kin­dern gesunde zu machen – indem Sie die internationalen Kinder der Zukunft erschaffen.

 

Eine kalkulierte Gehirnwäsche

Da die öffentlichen Schulen sich dem christlichen Glauben gegenüber als zu dogmatisch verschlossen, wurden sie zu Experimentierlabors für die neuesten psychologischen Theorien und alle Arten des Okkultismus, von Indianerspiritualität über Yoga bis zu Hexerei. Die Universitäten wurden zu den Versuchsfeldern der Revolution nicht allein gegen Demo­kratie sondern gegen die konventionelle Familie und alle christlichen Werte.

Phil Jacksons vier Jahre älterer Bruder Joe, der ebenfalls »seinen Glau­ben verloren« hatte, obwohl er eine Zeit lang »in Zungen sprach«, führte Phil in die Selbsthypnose und in den Zen-Buddhismus ein. Joe wiederum hatte Letzteren von einem Professor der Universität von Texas gelernt. Das College hatte auf Phil denselben Effekt. Sein Zimmergenosse, ein ehemaliger Lutheraner, ermutigte Phil, »einen unvoreingenommeneren Blick auf das [christliche] Glaubenssystem zu werfen … und das Leben etwas lockerer zu sehen. Das war ein begeisterndes Gefühl. Die 60er waren in vollem Gange und ich widmete mich ganz der Konterkultur... «

Während seinem letzten Hochschul-Jahr (1967) heiratete Phil und bekam mit seiner Frau zusammen eine Tochter. Er schreibt, die große Her­ausforderung der 60er war für ihn »die Betonung von Mitgefühl und Brü­derlichkeit, sich zusammenzutun und einander hier und jetzt zu lieben …«

Doch obwohl er und seine Frau sich die gegenseitige Liebe geschworen hatten, wurden sie geschieden. Jackson erklärt, dass die Jugendlichen »versuchen, aus den antiquierten Ansichten der Eltern auszubrechen und die Welt noch einmal neu zu erfinden«. Und die Schulen förderten die­sen »Ausbruch« bewußt, insbesondere aus dem christlichen Glauben.

Oberstes Ziel ist natürlich, das Denken der Weltbürger zu beherr­schen – und das Christentum steht dem im Weg. Die meisten Regierun­gen der Welt haben Experimente mit verdeckter Hypnose, geheimer Ver­abreichung von Drogen, Behandlung mit Elektroschocks und elektrischer Reizung des Gehirns betrieben. Damit wird versucht, das Verhalten des Menschen zu steuern. Bei diesen Experimenten wurden Tausende gefol­tert, und das nicht nur einst im Nazi-Deutschland und in der Sowjetuni­on, sondern auch heute in muslimischen Ländern und sogar im Abend­land. Die USA sind da keine Ausnahme. Bluebird und Mkultra sind zwei CIA-Programme, die der Öffentlichkeit ein wenig bekannt wurden. Zu ausführlicherer Dokumentation fehlt hier der Platz.

Pädagogen, Psychologen und Psychiater (angefangen von Dewey, Skin­ner, Pierce u.a.) sind fest entschlossen, das Denken unserer Jugend durch scheinbar legitime Mittel zu steuern. Die Regierung hat Gesetze erlas­sen, die eine Manipulation des Denkens an öffentlichen Schulen ermög­lichen. Dem evangelikalen Christentum (das der künftigen Weltreligion im Wege steht) muß der Garaus gemacht werden. An seiner Stelle wird die amerikanische Eingeborenen- Spiritualität eingeführt sowie okkulte Techniken des Schamanismus (wie Visualisierung von inneren Führern).

 

Holistische Pädagogik

Der neue Fahrplan für eine weltweite Pädagogik besteht aus denselben holistischen Konzepten, die auch im Gesundheitswesen um sich greifen. Jeffrey Kane, Herausgeber einer Zeitschrift für holistische Pädagogik, gesteht, dass »Holismus sich auf das Heilige bezieht«. Was aber bedeutet »heilig« für Humanisten? Und was hat »heilig« mit der staatlichen Pä­dagogik in den USA zu tun, wo Kirche und Staat angeblich getrennt sind? Wenn Kane sagt, das Ziel holistischer Pädagogik werde »das Kind zur Entfaltung seiner Spiritualität befähigen«, wissen wir, dass er damit nichts meint, was mit dem Christentum auch nur vergleichbar wäre.

Das Huma­nist Magazine schreibt sogar:
Das Klassenzimmer wird und muß zur Arena des Kampfes werden … zwischen dem faulenden Kadaver des Christentums … und dem neu­en Glauben des Humanismus.

Humanismus ist die Religion des Menschen als sein eigener Gott mit unendlicher Macht und seinen eigenen »Werten« in sich selbst. Er ist die Religion der »Human-Potential«-Bewegung der okkulten Religion von übersinnlichen Kräften, die der Mensch mittels »höherer Bewußtseinszustände« zu entwickeln hofft. Imagination ist die wichtigste Triebfeder holistischer Pädagogik und das Mittel, mit dem dieser Bewußtseinszustand am einfachsten erreicht wird und mit dem man den Wesenheiten der okkulten Sphäre begegnen kann. Donald A. Cowan, früherer Rektor der Universität von Dallas, sagte:

Was wird im kommenden Zeitalter den Platz von Logik, Fakten und Analyse einnehmen? In dieser Ära wird die Imagination der zentrale Weg des Denkens sein. Imagination wird das aktive, kreative Werk­zeug der Kultur sein und primitives Gedankengut in einen höheren, greifbaren Zustand verwandeln …

In ihrem Buch Growing Up Gifted (»Begabt aufwachsen«) spricht sich Barbara Clark für Yoga und Visualisierung und die Entwicklung über­sinnlicher Kräfte aus. »Transzendenz« soll erreicht werden, indem die Schüler einen Sinn für das Einheits-Bewußtsein entwickeln. Das soll mit­tels »transpersonaler Kommunikation« geschehen, die zu einem Vertrauen auf eine innere Reinheit führt, wie U Thant sie vertritt:

Transpersonale Kommunikation ist dazu konzipiert, Menschen zu hel­fen, dass sie Vertrauen auf die Gültigkeit ihrer persönlichen Erfah­rung entwickeln und das annehmen, was sie aus diesen Erfahrungen als ihre beste Quelle der Weisheit und Wahrheit lernen.

Als er noch Gouverneur von Arkansas war, gründete Bill Clinton mit seiner Frau Hillary die »Governor’s School« als »Umstrukturierung« der öffentlichen Schulen dieses US-Staates.

Als Bestandteil einer systemati­schen Gehirnwäsche wurde u.a. ein vulgärer Sprachgebrauch gefördert. Ziel war dabei, die Schüler aller biblischen Moralmaßstäbe zu entledi­gen. Homosexualität, freier Sex, New-Age-Gedankengut und -Praktiken (einschließlich der Anbetung des Selbst und des Universums als Gott), Auflehnung gegen Autorität und Entfremdung von den Eltern wurden als Vorbereitung auf die Führerschaft in einer Neuen Weltordnung in dreister Weise vorangetrieben. Die Clinton-Regierung zielt ab auf die Umstrukturierung des gesamten öffentlichen Schulsystems der USA nach diesem Muster.

In dieser Atmosphäre der offenen Feindseligkeit gegenüber dem christ­lichen Glauben müssen unsere Kinder und Enkel nun aufgezogen wer­den. Wer den Kompromiß eingeht und mitläuft, wird Stück um Stück zugrunde gehen.

Wenn »Werte« biblische »Tugenden« ersetzen

Die Ablehnung des Gottes, der uns zu einem bestimmten Zweck erschaf­fen und Moralmaßstäbe für unser Verhalten bestimmt hat, führte dazu, dass der Mensch haltlos im Universum treibt und seine Imagination sei­ne einzige Orientierung ist. Vor Jahren zerstörte in den USA die Aktion »Werte-Klarstellung« die Moral. Grundschulkindern wurde beigebracht, ihre eigenen »Werte« von sich selbst von innen heraus zu bestimmen. Heute ist es »Konsens-Bildung«, in deren Rahmen individuelle Werte – wie auch immer erlangt – durch »Gruppendenken« niedergerissen wer­den. Der neue globale Maßstab wird allmählich zu dem, worin alle über­einstimmen – »zum Nutzen der ganzen Erde«.

Die Gesellschaft achtet jetzt »homosexuelle Werte« genauso wie »fa­miliäre Werte«. Homosexuelle Werte hält man für tolerant und somit anerkennenswert; familiäre Werte hingegen werden als engstirnig und »negativ« gegenüber Homosexualität und anderen Arten von Unmoral angesehen und gelten somit als unvertretbar. Das ist die unmoralische Atmosphäre in den Schulen, in der unsere Jugend global »erzogen« wird.

Malachi Martin bringt es auf den Punkt:
»Gut« wird nicht länger mit einer moralischen oder religiösen Fär­bung belastet … [sondern] lediglich zu einem Synonym für »global« gemacht … Die Betonung liegt auf der Homogenität der Köpfe, auf der Schaffung und Förderung einer wahrhaft globalen Denkungsart«.

Bruce Logan, Leiter einer neuseeländischen Stiftung zur Förderung der Erziehung, beklagt das Verlassen der Sicherheit biblischer, von Gott be­stimmter Tugenden und deren Ersetzung durch ungewisse »Werte«. Bei Letzteren, so Logan, »kann es sich um Glaubenssätze … Gefühle … Vor­lieben handeln … wie es einer Person, Gruppe oder Gesellschaft gerade gefällt, zu jeder möglichen Zeit und aus jedem erdenklichen Grund … So haben Michael Jackson und [die verstorbene] Mutter Teresa beide ›Wer­te‹, an denen sie jeweils fest halten … wodurch eine Art moralischer Gleichwertigkeit nahegelegt wird …«

Der anglikanische Priester David Guthrie widerspricht Logan. Er schwärmt von der neuen Freiheit von biblischen Geboten und behauptet sogar, seine Unmoral sei christlich:

»Was immer es in der heutigen Welt heißen mag, Christ zu sein, die Annahme eines Gesetze erteilenden Gottes gehört gewiß nicht dazu … Die Welt der globalen Kultur schlägt eine neue Richtung ein, und da­mit wird es auch eine neue Reihe von »Tugenden« geben … Tugenden, die die menschliche Gemeinschaft in einem bestimmten Augenblick sich anzueignen entscheidet, nicht weil sie etwa durch göttliche Auto­rität erlassen wurden … sondern weil die Gesellschaft sie dazu erwählt«.

In Wirklichkeit ist es nicht »die Gesellschaft«, die diese Entscheidung trifft, sondern ein Teil dieser Gesellschaft entgegen den Einwänden der Übrigen. Reicht ein Wahlergebnis von 51 zu 49 % aus, um Recht und Unrecht zu bestimmen? Auch die Meinungen schwanken, so daß die heu­tigen Tugenden die Laster von morgen sein können. »Gut« und »Böse« haben dann keine Bedeutung. Was Homosexualität betrifft, hat eine klei­ne Minderheit durch Einschüchterungsmethoden ihren Willen der gan­zen Gesellschaft aufgedrückt.

Kalkulierte Zerstörung der Moralmaßstäbe

Eine aktuelle Umfrage in den USA zeigt, dass die Gerichte, Medien und öffentlichen Schulen den Kindern humanistische Werte aufzwingen, ge­gen die sich ihre Eltern und die überwältigende Mehrheit der Amerikaner aussprechen. Beispielsweise mißbilligen 80 % die Entscheidung des Ober­sten US-Gerichtshofs, dass es verfassungswidrig sei, bei einer Hochschul-Entlassungsfeier zu beten, wohingegen nur 18 % diesen Entschluß guthei­ßen. Was das (freiwillige und persönliche, nicht reglementierte) Gebet in öffentlichen Schulen betrifft, sprechen sich 75 % dafür und 19 % dagegen aus.

William J. Bennett, von 1985 bis 1988 US-Bildungsminister, erklärt:
»Die Gründerväter wollten, dass die [christliche] Religion als morali­scher Anker unserer Demokratie dient … Doch als US-Bildungsminister wurde ich immer wieder … als »Ayatollah« angegriffen, wenn ich das freiwillige Gebet – und das Aushängen der Zehn Gebote – in den Schulen unterstütze«.

In diesem Land ist ein Kampf im Gange um die Köpfe unserer Kinder.

Das öffentliche Schulsystem der USA hat sich leider der Zerstörung des christlichen Glaubens hingegeben und seiner Ersetzung durch Evoluti­on, Schamanismus, Hinduismus, Buddhismus und amerikanischer Ein­geborenenreligion. In den meisten Schulen der westlichen Welt wird In­doktrination mit Unterricht entschuldigt.

Jean-François Revel zeigt dies auch für sein Geburtsland Frankreich auf:
»Der Vertrauensmißbrauch und die Preisgabe der moralischen Ver­pflichtung der Lehrer zeichnet sich auch hier auf schändlichste Weise ab … Bereits vor 1967 boten französische Schulbücher ein idyllisches Bild der UdSSR, im Einklang mit den optimistischsten Propaganda-Klischees … Der Unterricht bereitete militanter Verkündigung den Weg. So wies ein Autor eines Handbuchs für Lehrer (Vincent, Bordas, 1980) seine Kollegen an: »In der Welt gibt es zwei Lager: ein imperia­listisches und antidemokratisches (die USA) und ein antiimperialisti­sches und demokratisches (die UdSSR) …«

[Noch 1987, als es keine Ausrede für die Unkenntnis der schreckli­chen Wahrheit gab], wurden die Errungenschaften der sowjetischen Wirtschaft in [glühenden] Worten beschrieben … nicht in Untergrund-Zeitungen … sondern in Schulbüchern als Pflichtlektüre der Kinder.

Wenn Eltern sich gegen diesen horrenden Vertrauensbruch auf Seiten des Schulsystems wehren und gegen die kalkulierte Zerstörung der Moral­maßstäbe ihrer Kinder, verwehrt man ihnen das Recht zur »Einmischung« in das Treiben der öffent­lichen Schulen mit ihren Kindern. Für ihre berechtigte Sorge werden sie als »fanatische fundamentalistische Christen« verschmäht, so der heute erniedrigendste Schimpfname.

Der Autor Tom Robbins beschreibt tref­fend die heutige Haltung der Verachtung von Gott und seinem Wort:
»Unser Ziel ist es, bewußt und vorsätzlich auf einen klügeren, emanzi­pierteren und brillanteren Zustand des Seins zuzustreben, nach Eden zurückzukehren, Freundschaft mit der Schlange zu schließen und un­sere Computer unter den wilden Apfelbäumen aufzustellen«.

Die Psychologisierung der Gesellschaft

Zum Zweck der Umgestaltung der Jugend in die Weltbürger der Zukunft gibt die Regierung ihre Sorge um das psychische Wohlergehen des Kin­des zum Besten. Martin L. Gross lamentiert in seinem Buch Die psycho­logische Gesellschaft:

»Das Schulgebäude ist zum pulsierenden Psychozentrum geworden, aus­gestattet nicht allein mit Lehrern, die in »pädagogischer Psychologie« trainiert sind, sondern zudem mit 60.000 Sozialarbeitern und 7.000 Schulpsychologen, deren »Sprechstunde« an Therapie grenzt«.

Was hat der dominante Einfluß der Psychologie in unseren öffentlichen Schulen erreicht? Vor 50 Jahren waren die schlimmsten Probleme, de­nen sich Lehrer und Schulverwalter gegenübersahen, folgende: 1.) Schwat­zen beim Unterricht, 2.) Kaugummi kauen, 3.) Krach machen, 4.) Ren­nen auf den Fluren, 5.) fortgesetztes Schwänzen, 6.) Verstöße gegen die Kleiderordnung, 7.) Verstreuen von Abfall.
Heute sind es: 1.) Drogenmißbrauch, 2.) Alkoholmißbrauch, 3.) Schwangerschaft, 4.) Selbstmord, 5.) Vergewaltigung, 6.) Raub, 7.) Körperverletzung.

Ein Artikel in Reader’s Digest kommentierte:
»Die Amerikaner lernten die Lektionen, dass Magic Johnson sich mit AIDS infiziert hat, dass die Schulen in New York City Kondome an Jugendliche verteilen und dass ein Neffe von Präsident John F. Ken­nedy Sex mit einer Frau hatte, die er in einer Bar aufgegabelt hatte. Jede Nachricht handelte von etwas, was der derzeitigen Kultur insge­samt fremd war: Sünde«.

In den vergangenen 25 Jahren war Sünde nichts, worüber sich viele lange Zeit den Kopf zerbrochen hätten. Aber … Sünde … bot zumin­dest einen Rahmen für das Verhalten. Als dieser Rahmen mit der se­xuellen Revolution abgeschafft wurde, haben wir die Richtschnur für die persönliche Verantwortung verloren … Die USA hat Probleme mit Drogen, Sex an Highschools, AIDS und Vergewaltigung. Keines die­ser Probleme wird verschwinden, solange nicht Verantwortungsträger auftreten und in offener moralischer Sprache erklären, dass einiges von dem, was Menschen heute tun, falsch ist.

Die neuen »Werte«, die auf den öffentlichen Schulen eingeflößt werden, spiegeln sich auch in den amoralischen, bösartigen Idolen und Drogen­abhängigen wider, die die heutige Jugend bewundert.
Marilyn Mansons Album Antichrist Superstar »war in der ersten Woche nach Erscheinen auf dem dritten Platz der Hitliste meistverkaufter CDs [im Herbst 1996]. Mit seinem Künstlernamen, der sich aus dem Sexsymbol Marilyn Mon­roe und dem Massenmörder Charles Manson zusammensetzt, spottet die­ser ordinierte Satanspriester mit seiner headbangenden Band offen je­dem moralischen Prinzip. Mit T-Shirts mit der Aufschrift ›Töte Gott, töte deine Eltern, töte dich selbst‹ feiert die Band Hass, Rassismus, sexuelle Perversion, Gewalt und Gotteslästerung … und verhöhnen Gott und be­schimpfen Jesus. Marilyn [Manson] sagte: ›Ich bin jetzt auf meinem Weg nach unten; ich möchte dich gern mitnehmen.‹«

Die Theologen der Psychologie konnten ihre okkulte Religion nur auf den Ruinen des christlichen Glaubens erbauen.

Carl Rogers gab zu: »Ja, es stimmt, Psychotherapie ist subversiv … Therapie, Theorien und Tech­niken fördern ein neues Menschenbild entgegen der traditionellen Auffassung.« In Psychology Today frohlockte Rollo May: »Wir haben uns von den Theologen verabschiedet, die im Kielwasser unseres toten Gottes treiben.« Schon 1969 erklärte PT: Wir müssen »unsere eigenen inneren Erfahrungen unabhängig von den traditionellen … Grundlagen der jüdisch-christlichen Erfahrung deuten … Wir sind gezwungen, unse­re eigene Moral aufzurichten, unseren eigenen Glauben zu erreichen …«

Der schuldlose Mensch von heute

Recht und Unrecht haben ihre Bedeutung verloren, weil der modernen Psychologie zufolge niemand für irgendetwas, was er tut, verantwortlich ist. Wir alle sind Opfer, durch Kindheitstraumen zu dem getrieben, was wir tun. Diese Traumen, die wir einst erlitten, haben verborgene Motive und Triebe erzeugt, die im Unterbewußtsein vergraben liegen und uns somit unbekannt und von uns nicht zu kontrollieren sind. Heute sind vie­le Eltern von solchen Lügen überzeugt und bestrafen ihre Kinder nicht mehr mit Zucht, weil sie fürchten, sie könnten ihnen seelischen Schaden zufügen.
Gross stellt heraus:

Vor Freud konnte kein gebildeter Erwachsener einen plausiblen Grund finden, die Verantwortlichkeit für sein Verhalten zu umgehen. Die Schaffung eines schuldlosen … Menschen war der Psychoanalyse und psychodynamischen Psychologie vorbehalten. Das ist nicht mit dem Vertuschen seiner Fehler getan, sondern diese Fehler müssen auf sei­ne Kindheit zurückgeführt werden – die Zeit, als er moralisch unschul­dig war … Freud erklärte diese Schuldlosigkeit einmal einem Patien­ten, der sich für seine Feigheit schämte. »Ich zeigte ihm auf, dass er sich selbst logischerweise als in keiner Weise für einen dieser seiner Charakterzüge verantwortlich betrachten solle … Diese verwerflichen Impulse … waren nichts als Abkömmlinge seines infantilen Charak­ters, die in seinem Unbewussten überlebt hatten; und … moralische Verantwortlichkeit kann auf Kinder nicht angewendet werden.«

Das ist die Theorie der fortdauernden Kindheit. Nicht nur Neurose, sondern auch Mißmut oder die Unfähigkeit, Liebe oder Freundschaft zu finden, sind uns von unseren erwachsenen Schultern genommen und zurückverwiesen worden auf die schlaffe Brust der Mutter …

Unglücklich verheiratete 45-Jährige suchen die Antwort nicht in ihrer eigenen Selbstsucht oder Unreife … »Meine Mutter (oder mein Vater) hat dies und jenes getan …«, lautet die Litanei der psychologi­schen Gesellschaft.

Sünde wurde neu definiert als Krankheit und die Liste »mentaler Krank­heiten« wird fast täglich länger. Anstatt zur Verantwortung gezogen und zur Reue aufgerufen zu werden, wird dem Sünder »Therapie« verabreicht. Alles, von Ungehorsam bis zum Mord, wird als irgendein Syndrom oder als Sucht entschuldigt. Ehebrecher sind jetzt »Sexsüchtige«, deren Kran­kenversicherung für langwierige »Behandlungen« in säkularen und sogar »christlichen« Psychiatrien aufkommt.

Die Explosion von Rebellion, Kriminalität und Unmoral unter Jugend­lichen läuft seit Anfang der 50er Jahre parallel zum exponentiellen Wachs­tum der Psychologie. In den Jahren 1980 bis 1987 nahm in den USA die Anzahl der 10- bis 19-Jährigen, die in psychiatrische Klinken eingeliefert wurden, um 43 % zu. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Plätze in privaten Psychiatrien pro 100.000 Personen innerhalb der fünf Jahre von 1983 bis 1988 mehr als verdoppelt. Was für eine Wachstumsbranche! Die Psycho­logie wurde zu Recht bezeichnet als der einzige Berufszweig, der »die Krankheiten erzeugt, die er angeblich heilen soll«.

Die konsequente Disziplin, die Kinder brauchen und die die Bibel an­ordnet (Spr 13,24; 22,15; Hebr 12,6 u.v.m.) wird jetzt »Kindesmißbrauch« genannt. Staatliche Einrichtungen nehmen christlichen Eltern ihre Kin­der weg, weil diese Eltern liebevoll von der korrigierenden Rute Gebrauch gemacht haben. Was einst als Faulheit, Gleichgültigkeit, Widerspenstig­keit oder Rebellion bestraft wurde, wird jetzt als mentale »Störung« ent­schuldigt. Die Zahl der Kinder, bei denen »Lernschwäche« diagnostiziert wird, hat sich von 1977 bis 1992 verdreifacht! Kinder werden auf Ritalin gesetzt, nachdem sie samt ihren Eltern von einem Therapeuten von ihrer Abnormalität überzeugt wurden – ein Stigma (und eine Ausrede), das sie wahrscheinlich fürs Leben behalten werden. Obwohl Ritalin süchtig macht und trotz der fehlender Belege für eine positive Wirkung und trotz der vielen Fälle von Gewalt und Selbstmord infolge des Absetzens wird Rita­lin etwa einer Million amerikanischer Kinder verabreicht.

 

Breiten sich psychische Krankheiten epidemieartig aus?

Zur Steigerung ihrer Macht über die Gesellschaft erfinden Psychiater und Psychologen ständen neue Arten »mentaler Krankheiten«. Die Ameri­kaner leiden jetzt zu Millionen an angeblichen Gebrechen, die vor ein paar Jahren noch unbekannt waren. Diese werden in der »Bibel der men­talen Krankheiten« definiert, dem Diagnostischen und Statistischen Ma­nual Psychischer Störungen (DSM). Als dieses Kompendium 1952 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, führte es 112 psychische Störungen auf, im Vergleich zu einem halben Dutzend bekannter Geistesstörungen 100 Jahre zuvor. Die zweite Ausgabe von DSM im Jahre 1968 umfaßte 163 Störungen; das 1980 herausgegebene DSM-III 224. DSM-IV erschien 1994 und die Liste der mentalen Störungen war auf 374 angewachsen! Ist das eine wütende Epidemie psychischer Krankheiten – oder werden wir an der Nase herumgeführt? Ein Redakteur schrieb sarkastisch:

Hat Ihre 10-jährige Tochter keine Lust auf ihre Mathe-Hausaufgaben? Beordern Sie sie besser auf die nächste Couch, denn sie hat Nr. 315.4, Entwicklungsmentale Arithmetische Störung. Oder vielleicht bist du ein Teenager, der Streit mit seinen Eltern hat. Oh, oh! Schleunigst Medi­zin besorgen, denn du hast Nr. 313.8, Oppositionelle Trotzstörung … Ich übertreibe nicht. (Das wäre nämlich das Fiktions-Störungs-Syndrom.) …

Ich weiß, dass es da draußen einige Zyniker gibt, die … sich im Leben nie auf die Couch eines Psychiaters herablassen würden … Ihr Widerwillen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist an sich ein Symptom für ein schweres psychisches Problem. Das steht hier in dem Buch: Nr. 15.81, Behandlungs-Verweigerungs-Störung.

Eine Sondersendung von CBS-TV berichtete, dass im Denken der inter­viewten Jugendlichen »nagende Zweifel an der eigenen psychischen Gesundheit« vorherrschen. Ein Autor versucht die Unsinnigkeit aufzuzei­gen, von der Amerika befallen wurde:

Seit eh und je waren manche Kinder, wie auch Erwachsene, etwas ak­tiver als andere Altersgenossen. Vielleicht spielen sie eifriger oder sind im Denken sprunghaft, weil sie eine kurze Phase der Aufmerksamkeit haben … die Eltern gingen damit einfach als Gegebenheit des Lebens um … Und kluge Eltern sahen, dass die Kinder, wie die Erwachsenen, ihr Verhalten zu verbessern lernen …

Die Psychologie meinte jedoch, dass etwas im Argen läge … Als sie die Praxis des Psychiaters betraten, dachten das Kind und seine El­tern, es sei normal. Wenn sie herauskommen, denken sie, es ist abnor­mal … Als normales Kind wäre es toleriert, ertragen und bestraft wor­den … wie Eltern es seit Tausenden von Jahren getan haben. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wäre das Kind da ohne viel Aufhebens herausgewachsen.

Als abnormales Kind wird es jedoch von seinen Eltern, Lehrern und vielleicht auch seinen Klassenkameraden wesentlich anders be­handelt. Es ist ein »Sonderling« … über die Jahre der Behandlung … Das Kind selbst wird natürlich denken, irgendetwas in seinem Inneren stimme nicht … Dieses Gespür der »Abnormalität« wird es für den Rest seines Lebens begleiten.

 

Okkultismus an öffentlichen Schulen

Ein Artikel in der Zeitschrift Journal of Humanistic Psychology mit der Überschrift »Fantasiereisen in der Pädagogik« erklärt: »Von Delphis ›Er­kenne dich selbst‹ bis zum ›ihr werdet sein wie Gott!‹ der Schrift wird uns versichert, dass wir tatsächlich multidimensionale Wesen sind, die zu Werken imstande sind, die unsere Vorstellungskraft übersteigen, und dass unsere Phantasie und unser hauptsächlicher Lebenssinn ist, zu entdecken, wer wir sind und zu was wir werden können.« Anscheinend ist sich der Autor nicht darüber im Klaren, dass »ihr werdet sein wie Gott« die große Lüge Satans ist. Der Artikel stellt die transpersonale Pädagogik vor und sagt, dass »Meditation und Fantasiereisen der Kern des Lehrplans sind«.

Die Techniken, die den Kindern an öffentlichen Schulen beigebracht werden, sind die gleichen, wie sie von Hexenmeistern gebraucht werden, um Kontakt mit den »Leitgeistern« (Dämonen) aufzunehmen, von de­nen sie ihre Kraft beziehen. Schulkindern wird beigebracht, sich selbst unter Wasser zu visualisieren, den Delfin Duso auf sich zukommen zu sehen, sich auf ihn zu konzentrieren bis sein Bild deutlich wird und dann mit ihm zu sprechen. Er wird antworten. So wird Kontakt mit einem Geist­wesen aufgenommen. Danach braucht DUSO nur visualisiert zu werden und wird sogleich zu Hilfe kommen. Der US-weite Lehrplan für Sprach­kunst Read umfaßt die folgende Visualisierungs-Übung:

Schließe deine Augen und atme tief durch, um dich zu entspannen … Stelle dir in Gedanken einen Platz vor … mache dich mit der Umge­bung vertraut … bitte, einen Führer zu treffen. Ein Tier, eine Person oder ein Wesen wird dich begleiten und wird dir jede Kraft geben, die du brauchst …

Beobachte, was dieser neue Begleiter tut oder dir zeigt. Höre zu, was er dir sagt. Gehe überall hin, wohin dieser Betreuer dich führen möchte. Du bist in Sicherheit …

In Kalifornien bringt man Drittkläßlern bei, einen persönlichen Leit­geist in Form eines Tieres zu visualisieren und dann ihre okkulten Erfah­rungen mit diesem Wesen für eine Ausstellung am Schwarzen Brett auf­zuschreiben. In Oregon wurden Schüler bei einem Mittwinterfest aufge­fordert, sich in Anordnung ihrer Sternzeichen hinzusetzen. Dann sollte der »Sonnengott« und der »Mondgott« den Raum betreten, begleitet von Gesang und Trommelschlägen. »Die Feier des Mittwinterfestes mit ›Tanz um den Sonnenwendbaum‹ ist eine der Alternativen, den der Anti-Vorurteil-Lehrplan als Alternative zu Weihnachten vorschlägt.«

Denen, die den Okkultismus in die Schulbildung einbringen, wird hohe Ehre erwiesen. Die okkulte Psychologin Jean Houston wurde 1984/85 in den USA von Pädagogenvereinigungen zur »Pädagogin des Jahres« ge­kürt. Lamar Alexander, US-Bildungsminister unter Präsident Bush, gab zu, dass das Buch, das sein Denken in den letzten zehn Jahren am mei­sten beeinflußt hat, A God Within (»Ein innerer Gott«) von Rene Dubos war. Der Autor sagt darin, dass »unser Seelenheil von unserer Fähigkeit abhängt, eine Religion der Natur zu schaffen … die dem modernen Men­schen … angepaßt ist«.

Eine Mutter aus Montana entdeckte, dass ihr Kind aus der 4. Klasse behauptete, einem mythischen Indianerstamm anzugehören. Die Kinder sollten sich vorstellen, dass sie sich auf eine Suche »allein in die Wüste begeben … um ihrem Stamm zu beweisen, dass sie würdig sind, als Er­wachsene angesehen zu werden«. In der Sorge, dass diese Suche zur Be­gegnung mit Leitgeistern herangezogen würde, befaßte die Mutter sich näher mit den Lektionen. In einer Lektion begegneten die Kinder einem geheimnisvollen Jugendlichen »vom Modat-Stamm, ›der bekannt ist für seine großen Schamanen‹«. Sie sollten ihm (in Gedanken) »in eine tiefe Schlucht folgen … [wo] du spürst, dass viele Geister aufsteigen … die dich rufen, um diesen unglaublichen Ort aufzusuchen«. Das sind nur ei­nige wenige Beispiele von Okkultismus, der in öffentlichen Schulen klei­nen Kindern beigebracht wird.

 

Spielzeug, Spiele und Filme

Viele der Spiele, Spielzeuge, Videos und Kinofilme, die sich unter Kin­dern und Jugendlichen größter Beliebtheit erfreuen, haben mit dem Ok­kulten zu tun. Spiele wie »Dungeons and Dragons« (D+D) – von dem es sogar ein christliches Gegenstück namens »Dragon-Raid« gibt – ziehen die Spieler in ununterbrochenen Okkultismus. Diese »Fantasie-Rollenspiele« sind extrem gefährlich, weil sie auf Imagination beruhen, und das ist der schnellste Weg ins Okkulte. Hier würde es den Rahmen sprengen, wenn wir diese Spiele auflisten und analysieren wollten. Eltern sollten diese Spiele selbst unter die Lupe nehmen.

Zeichentrickfilme und -serien im Fernsehen und auf Video sind so­wohl eine Verlockung zum wie auch eine Einführung in den Okkultis­mus. Eltern sollten sorgsam auf das Ziel und die Bedeutung dahinter achten. Die Medien haben die Kinder der westlichen Welt in reinste Be­sessenheit mit dem Okkulten gebracht. Sowohl von der äußeren Erschei­nung her als auch was ihre Macht betrifft, besteht eine Parallele zwischen den Helden und Drogenidolen der heutigen Jugend und den antiken heid­nischen Göttern und Göttinnen.

Zu den populärsten Helden gehören die »Teenager Mutant Ninja Turt­les«, die ihre besondere Kraft durch fernöstliche Meditation erhalten, die sie von ihrem Guru »Splinter, die Ratte« lernten. She-Ra ist der An­führer einer Gruppe von Zauberern und Göttinnen, die das Universum von Crystal Castle aus regieren, dem Zentrum und die Quelle aller Macht.

Dann sind da die halb menschlichen, halb tierischen Donnerkatzen, de­ren Augen mit einer inneren okkulten Kraft aufleuchten. Viele weitere könnten angeführt werden.

Oft kommt es vor, dass ein Mitarbeiter einer Kinderbibelstunde oder einer christlichen Kinderfreizeit die Kinder fragt, was sie in Gefahr oder Bedrohung tun würden und als Antwort erhält, dass sie nicht zu Gott bzw. zum Herrn Jesus rufen würden, sondern zu She-Ra, der Fürstin der Macht, oder zu He-Man oder zu den Power-Rangers.

Die Filmreihe Krieg der Sterne setzte vor 20 Jahren einen Trend in Gang. George Lukas machte Werbung für Hexerei, indem er »die Macht« mit einer dunklen und einer hellen Seite vorstellte (schwarze und weiße Ma­gie). Die Jedi-Ritter waren die Anhänger der »alten Religion«, eine an­dere Bezeichnung für Wicca bzw. Hexerei. Das Laserschwert war keine Waffe, sondern ein Weissagungs-Instrument, das nur die benutzen konn­ten, die in seine Kräfte eingeweiht waren. Luke Skywalker konnte es nicht anwenden, bis er gelernt hatte, wie man einen erweiterten Bewußtseinszustand erlangt und so »der Macht die Kontrolle überläßt«. Obi Wan Kenobi wurde Lukes Leitgeist und kommunizierte mit ihm von der ande­ren Seite. Bei Darth Vader, scheinbar die Verkörperung des Bösen, stellt sich heraus, dass er U Thants innere Perfektion hat und er schließt sich Obi Wan jenseits des Todes an. So offenbart er die universale Einheit. Yoda ist ein Yogi, der Luke die Macht des positiven Denkens beibringt. Für Millionen junger Menschen trat die okkulte »Kraft« an die Stelle von Gott.

Auf Krieg der Sterne folgten weitere Filme, die offen Okkultismus ver­breiteten. Da gab es Die unheimliche Begegnung der dritten Art, Poltergeist, Ghost und eine Fülle anderer. Durch Filme und Videos wird die heutige Jugend zu der unheiligen Dreifaltigkeit von sexueller Unmoral, Rebelli­on und Okkultismus verführt. Einer der heißesten Filme des Jahres 1996 war Der Hexenclub. Diese Geschichte von vier Mädchen, die sich in He­xerei verstrickten, war für Teenager konzipiert.

»Wizards« ist ein Spiel, das in den öffentlichen Schulen Südkaliforni­ens eingesetzt wurde, angeblich um Rechtschreibung zu lehren. Es för­dert jedoch Dämonie und Zauberei und stellt Satan auf witzige Weise als großen Macher und Anführer dar. Ein weiteres okkultes Buch ist Medita­tion für Kinder von Deborah Rozman, das viel Anerkennung und Lob gefunden hat. Mit Verweis auf die Wirkung dieses Buches erklärte die Zeitung San Jose Mercury begeistert: »Erzieher, die bei hyperaktiven Kin­dern einst zu Ritalin und anderen Drogen griffen … setzen nun tägliche Meditationsübungen ein – mit positiven Ergebnissen.«

Ein Buch, das den christlichen Glauben darstellt, wäre in den USA an öffentlichen Schulen nicht erlaubt, weil die Trennung von Kirche und Staat in diesem Fall geltend gemacht würde. Aber Rozmans Buch wird allgemein gut geheißen, obwohl es grundlegende religiöse Praktiken des Hinduismus lehrt und Paramahansa Yogananda gewidmet ist, »da einige der Übungen und ein großer Teil der Inspiration zu diesem Buch von ihm stammt«. Seine grundlegende Prämisse ist »die göttliche Natur der Kind­heit«, und sein ausdrücklicher Zweck ist, »Kindern von überall … zu ei­ner Entwicklung zu ihrer spirituellen Bestimmung« zu verhelfen. Das Buch ist ein Kompendium von unverhohlenen Symbolen und Praktiken des Hin­duismus, vom Singen des »Om« und Yogaübungen bis hin zur Selbstver­wirklichung. Doch das East-West-Journal sagt: »Das Fehlen eines religiö­sen Standpunktes macht dieses Buch zu einem exzellenten Lerninstrument.«

 

Ein todbringendes Übel, eine zerstörerische Verschwörung

Okkultismus ist stets mit Unmoral und sexueller Perversion verbunden. Gegen den Willen der Eltern werden an Schulen Kondome verteilt und die Kindern im »Safer Sex« unterwiesen. Die Empfehlung von Verzicht auf vorehelichen Verkehr als bester Schutz wird als religiöse Vorstellung abgewiesen. Doch sogar säkulare Studien haben gezeigt, dass voreheli­cher Verkehr die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine spätere Ehe in der Scheidung enden wird. Das ist genau das Gegenteil dessen, was heute propagiert wird und was jene meinen, die vorehelichen Sex praktizieren.

Eine der todbringendsten Sexualpraktiken ist die Homosexualität. Wer in ausschließlich homosexuellen Kreisen verkehrt, wird sich mit einer 1000­fach höheren Wahrscheinlichkeit AIDS zuziehen als ein Heterosexueller. Homosexuelle Praktiken umfassen die übelsten Ausgeburten pervertier­ter animalischer Fantasie. 37 % der Homosexuellen praktizieren Sado­masochismus.

Wer sich gegen Homosexualität ausspricht, wird als borniert denun­ziert. Doch allein die Statistiken sollten bei jedem zu einer ablehnenden Einstellung führen. Der Volksprotest gegen diese tödliche Gewohnheit sollte weit lauter sein als der Protest gegen Rauchen. Das mittlere Ster­bealter ist bei verheirateten heterosexuellen Männern fast doppelt so hoch wie bei Homosexuellen: 75 Jahre im Vergleich zu 39. Nur 1 % der Homo­sexuellen wird älter als 65. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei verheirateten Frauen ist 79 Jahre, im Vergleich zu 45 Jahre bei Lesben. Die Selbstmordgefahr ist bei Homosexuellen um 87 % höher als bei He­terosexuellen und sie sterben mit einer um 23 % höheren Wahrschein­lichkeit an Herzinfarkt. Aufgrund dieser Fakten ist es allgemein verwerf­lich, für Homosexualität einzutreten.

Diese Zahlen werden jedoch von der Öffentlichkeit ferngehalten. Die Politiker sind eingeschüchtert und müssen sich unter die Wählermacht der Schwulen und Lesben beugen. Das gilt insbesondere für die Clinton-Regierung. Immer mehr religiöse Führungspersonen, Katholiken wie Protestanten, lassen Homosexualität als rechtmäßig gelten. Billy Graham hat sie als Sünde bezeichnet, doch andererseits schweigt er praktisch zu diesem Thema. Während seiner Evangelisation in Portland (Oregon) vom 23. – 27. September 1992 forderte Graham zu Neutralität in politischen Streitfragen auf. Er weigerte sich, zum staatlichen Gesetzesvorschlag 9 Stellung zu nehmen, der die Regierung davon abhalten würde, »Homo­sexualität zu fördern, zu verbreiten oder zu erleichtern«.

Besorgte Konservative rufen zu einer »Rückkehr zu traditionellen ethi­schen Werten« auf. Ja sicher, aber welche »Tradition« soll das sein, und aufgrund welcher Autorität? Im gegenseitigen Einvernehmen mit einer anständigen Gesellschaft? Wer definiert diese Begriffe? Wir haben es dringend nötig, auf den Rat Gottes zu achten! Christus sagte: »Ich über­führe und züchtige alle, die ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße!« (Offb 3,19). Man erweist Homosexuellen einen weit größeren Liebesdienst, wenn man sie korrigiert, als wenn man sie »akzeptiert«. Wer diese irrege­leiteten Seelen wirklich liebt, wird sie auf die Bibel hinweisen, die ihr Verhalten als sündiges Greuel für Gott brandmarkt. Wer sie liebt, wird sie flehentlich bitten, mit dieser Sünde zu brechen, die ihnen und ihren »Partnern« nur einen vorzeitigen und schmerzlichen Tod und letztlich die Hölle einbringen wird.

AIDS erfreut sich eines Status, wie er nie zuvor einer hochgradig an­steckenden und tödlichen Krankheit zugebilligt wurde. Anstatt dass sie als todbringende Plage behandelt wird, hat AIDS sich zu einem bürgerli­chen Recht etabliert. Wer AIDS hat, hat damit einen privilegierten Sta­tus und sogar das Vorrecht, seine Infektion geheim zu halten. Die Hygie­negesetze verbieten jedem, der an Krankheiten wie Hepatitis leidet, die Arbeit in einem Restaurant, doch viele AIDS-Kranke üben eine solche Beschäftigung aus. Die Identifikation von AIDS-Kranken, die der gesun­de Menschenverstand eigentlich fordert, ist als »Diskriminierung« unter­sagt, obwohl es das sichere Todesurteil für jemanden ist, der sich infolge dieser unvernünftigen Rücksichtnahme mit dem HIV-Virus infiziert.

Solche kriminelle Dummheit bedroht uns mit einer beispiellosen Ka­tastrophe. Die Verseuchung von Blutkonserven aufgrund von Ignoranz und Fahrlässigkeit führte zu einer großen Zahl von an AIDS gestorbenen Bluterkranken. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen haben sich auch solche mit AIDS angesteckt, die im medizinischen Bereich arbeiten und mit HIV-Patienten zu tun hatten. Kürzlich wurde eine ganze Familie (Eltern und Kinder) von AIDS ausgelöscht. Wie sie sich den HIV-Virus zugezogen haben, bleibt rätselhaft.

Bei den neuesten, Ende November 1997 veröffentlichten Studien wur­den neue Arten des HIV-Virus entdeckt, die weit schwieriger zu identifi­zieren sind, sowie eine epidemieartige Ausbreitung, die schneller voran­schreitet, als zuvor geschätzt, mit mittlerweile 30 Millionen (1 % aller se­xuell aktiven Erwachsenen) Infizierten. Hilfe erhofft man immer noch von einem Impfstoff, obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass ein sol­cher niemals gefunden werden wird.

 

Homosexuelle: die neue privilegierte Klasse

Sowohl die Medien als auch die öffentlichen Schulen werden von der kleinen, aber militanten Minderheit von Homosexuellen (Umfragen zu­folge ca. 2 bis 3 %) unter Druck gesetzt und stellen so Homosexualität als natürlich und vertretbar dar. Die Türen der Schulen, die christlichen Rednern verschlossen sind, öffnen sich weit für solche, die sich durch Verdrehung der Tatsachen und offensichtliche Lügen für Homosexuali­tät aussprechen. »Project 10« ist nur eines der öffentlichen Schulprogram­me, das darauf ausgelegt ist, Amerikas Kinder für Homosexualität zu öff­nen. Die Kinder werden aufgefordert zu experimentieren, um ihre sexu­elle »Orientierung« oder »Vorliebe« in Erfahrung zu bringen.

In den gesamten USA werden Lesebücher für das erste Schuljahr zur Förderung von Homosexualität eingesetzt (z. B. Papas Freund, das Ho­mosexualität als normal hinstellt, und Heather Has Two Mommies – »Hea­ther hat zwei Muttis« –, die Geschichte eines Kindes eines lesbischen Paares, das durch künstliche Befruchtung zur Welt kam). Eine Schwulen­zeitung prahlte:

Wenn der religiöse rechte Flügel sich schon über Papas Freund auf­regt, Michael Willhoites bahnbrechendes Kinderbuch über einen Jun­gen, der mit seinem schwulen Vater und dessen Liebhaber zusammen­lebt, dann geht Willhoite davon aus, dass sie erst recht in die Luft ge­hen, wenn er den Nachfolgeband Daddy’s Wedding (»Papas Hochzeit«) fertig gestellt hat. Er spricht bereits von sich selbst und seiner Kollegin Leslea Newman, die das gleichfalls umstrittene Kinderbuch Heather Has Two Mommies schrieb, als »antichristliches Zwillingspaar«.

Sich selbst als »antichristliches Zwillingspaar« zu bezeichnen, ist ein Ein­geständnis des antichristlichen Wesens dieser Perversion. Es wird einge­standen, dass die homosexuelle Gesellschaft fest entschlossen ist, die Ju­gend zu pervertieren. Willhoite sagt: »Ihr Denken [das der Eltern] können wir vielleicht nicht ändern, aber wir können zumindest einen Schuss auf sie abfeuern, indem wir das Denken ihrer Kinder ändern.«  Das ist ein unab­sichtliches Eingeständnis, dass entgegen ihren Behauptungen niemand homosexuell geboren wird, sondern dass man zu dieser Sünde verführt wird.

Die homosexuelle Propaganda verbreitet zahlreiche Lügen. Der Ho­mosexuelle wird als weit liebevoller und freundlicher dargestellt als der Durchschnittsbürger. Wenn das stimmt, warum beharren dann Homose­xuelle in einem Verhalten, das sowohl für ihre »Partner« wie auch für die ganze Bevölkerung lebensbedrohlich ist? Eine weitere Lüge ist die Be­hauptung, AIDS sei nicht wirklich ansteckend. Warum gibt es dann eine AIDS-Epidemie? Dr. John G. Barlett, Leiter der Abteilung für Infekti­onskrankheiten am John Hopkins Hospital, hat AIDS in Wirklichkeit als »die tödlichste Epidemie der Geschichte«
bezeichnet. Dann gibt es den cleveren Missbrauch von Statistiken, dass sich mehr Hetero- als Homo­sexuelle an Kindern vergehen. Ja, auf die 98 % der heterosexuellen Be­völkerung fallen mehr Sexualvergehen als auf die 2 % der Homosexuel­len. Diese Minderheit von 2 % ist jedoch stets für ein Drittel bis die Hälfte allen sexuellen Kindesmißbrauchs verantwortlich und sieht diesen auch noch als normales Verhalten an. Die bis heute ausführlichste Studie über männ­lichen Kindesmißbrauch zeigt, dass Homosexuelle durchschnittlich 7,5-mal so viele Sexualdelikte an Jungen verüben wie Heterosexuelle an Mädchen.

Ein hauptsächliches Ziel einer Schwulenvereinigung (National Gay Task Force) ist die Aufhebung aller Gesetze zur Einschränkung von Min­derjährigen. Schockierende Tatsache ist, dass NAMBLA (die »Nordame­rikanische Liebesvereinigung für Beziehungen zwischen Männern und Jungen«), die ausdrücklich für Pädophilie eintritt, in einer Kirche ge­gründet wurde. Daran war eine Reihe von katholischen wie protestanti­schen »christlichen« Führungspersonen beteiligt, die ihre Stimme zuguns­ten dieser Perversion abgaben. Traurigerweise ist ein bedeutender Pro­zentsatz der Pädophilen römisch-katholische Priester.

Vom 29. Mai bis 1. Juni 1997 fand in Disney World in Orlando der siebte Jahrestag der Schwulen und Lesben statt. In Werbeanzeigen wa­ren Mickey Mouse und Donald Duck Hand in Hand abgebildet, die an einem Schild mit der Aufschrift »Schwulentag in Disney« vorbeispazier­ten. Die Veranstaltung zog 60.000 »Schwule, Lesben, Bisexuelle und ihre Familien« an, im Vergleich zu 30.000 im Vorjahr. Wie böse ist es doch, Kindern eine sexuelle Perversion zu empfehlen, die die Lebenserwartung voraussichtlich halbiert!

Im Rahmen der Festivitäten zur Begrüßung der Clinton-Regierung in Washington DC. im Januar 1993 fungierte die US-Hauptstadt als Gast­geber eines »Homosexuellen-Einführungsballs«, der vom Einführungs­komitee des Präsidenten finanziert wurde und dessen Einladungen das offizielle Siegel des Präsidenten trugen. Über den Köpfen der tanzenden und feiernden Homosexuellen zeigte ein riesiger Videoschirm – unter dem Beifall der Schwulen – Clips aller positiven Aussagen aus Clintons Reden über Homosexuelle. Clinton hat zahlreiche Schwulen und Lesben in Schlüsselpositionen seiner Regierung eingesetzt.

 

Um Ihrer Kinder willen

Nicht lange nachdem Bush und Quayle die Wahl verloren und Clinton und Gore gewonnen hatten, erschien eine Ausgabe des Atlantic Monthly mit einer Titelstory unter der Überschrift »Dan Quayle hatte Recht«. Sie stellte heraus, was jetzt, nach zwei Jahrzehnten Forschung, sogar die So­ziologen zugeben: dass die Auswirkungen von der Zerstörung der Fami­lie katastrophal und verheerend sind. Der zunehmende Spott, der sich gegen heile Familien mit Müttern und Vätern richtet, die um jeden Preis ihre Verbindung der Liebe und Treue erhalten wollen, hat Chaos und Unheil angerichtet. Die Mißachtung biblischer Sexualmoral führt nicht nur zu Scheidungen, allein erziehenden Müttern und Vätern und unehe­lichen Kindern, sondern ist der tiefe Grund der meisten gesellschaftli­chen Probleme, die uns heute große Sorgen bereiten. Auch ein noch so hoher Etat kann weder die von Kriminalität geplagten Städte noch die zerbrochenen Familien heilen, und die »neue Moral« und »alternative Lebensstile«, die von der liberalen Regierung befürwortet werden, ma­chen alles nur noch schlimmer.

Viele christliche Eltern haben den Lügen der Psychologie geglaubt und somit versäumt, ihre Kinder auf liebevolle und biblische Weise mit der nötigen Zucht zu erziehen. Ohne dieses Schutzschild ist dem gefährli­chen Einfluß der Welt nur umso mehr Tür und Tor geöffnet. In vielen Fällen wird der Glaube der Eltern nicht mehr an die Kinder weiterver­mittelt.

Jemand, der in Drogen und Rebellion verstrickt war, aber das Übel erkannte und floh, schreibt:

Ich war ein Kind der 60er, gehörte zur Blumenkinder-Bewegung. Ich erinnere mich, wie aufregend es mir vorkam … zum weltweiten Bünd­nis der Jugend zu gehören, mit einer neuen Vision des Friedens, der Liebe und der Brüderlichkeit, verbunden durch Drogen und Musik.

Anfänglich schien mir alles neu und wunderbar. Am Ende kam et­was ganz anderes dabei heraus. Ich habe Glück gehabt, dass ich da mit intaktem Verstand herausgekommen bin, wenngleich ich Jahre ge­braucht habe, um wieder durchzublicken und von der geistlichen Ge­bundenheit befreit zu werden, in die ich geraten war. Andere Freunde hatten dieses Glück nicht. Tod und Verlust von Verstand und Geist waren an der Tagesordnung. Ich war noch nicht mal ein richtiger Hip­pie – nur ein normales Baptistenkind, das Spaß hatte an Drogen und Spielarten des Satanismus, die ich damals nicht durchschaute …

Ich … staune darüber, wie ich verführt wurde … Ich habe mit Freun­den geredet … und wir haben über diese Zeit nachgedacht … ungläu­big zurückgeblickt, als wären wir eine Zeit lang hypnotisiert gewesen … [Außer den] Drogen … gab es noch eine andere mächtige Kraft … Die Rockbands waren unsere Idole, unsere Gurus … Musik hat sicherlich zur Hinwendung zu Mystizismus, Drogen und dem Geist des Antichristen … beigetragen. Unsere geliebten Beatles wandten sich den östlichen Religionen und den Drogen zu – und wir folgten ihrem Beispiel.

Trotz allen Protests seitens der Eltern sind die Verfechter des Umschwungs fest entschlossen, fortzufahren und ihren spirituellen Fahrplan durchzu­ziehen.
Eltern sollten

1.) tägliche Familienandachten halten und sicher­stellen, dass ihre Kinder Christus persönlich kennen und ihm ihr Leben übergeben und geweiht haben;
2.) darauf achten, dass ihre Kinder dem Herrn aus freier Entscheidung glauben und nachfolgen und dies nicht aufgrund elterlichen oder gemeindlichen Drucks tun;
3.) darauf achten, dass die aufrichtigen Fragen der Kinder beantwortet werden und dass sie auf der Grundlage des Wortes Gottes wissen, was sie und warum sie glau­ben;
4.) wissen, was ihren Kindern auf der Schule beigebracht wird (sei es eine staatliche oder christliche Schule), die Kinder wappnen, um Falschem widerstehen zu können und ggf. die Kinder aus Klassen oder Program­men herausnehmen, die darauf konzipiert sind, ihren Glauben und ihre Moralmaßstäbe zu untergraben;
5.) sorgsam Freundschaften, Aktivitä­ten und andere Einflüsse auf ihr Leben beobachten, die genauso todbrin­gend sein können wie der Einfluß der öffentlichen Schule; und
6.) ernst­lich Gott um Weisheit bitten, die Kinder inbrünstig lieben und alle Zeit zu biblischen Ratschlägen bereit sein, die sie ihnen in Geduld und Liebe mit auf den Weg geben.

Jugendliche sollten vollkommen überzeugt davon sein, dass es aus­schließlich darauf ankommt, was Gott von ihnen denkt und was er ihnen sagen wird, wenn sie eines Tages vor ihm stehen werden. So wie Jim Elli­ot sagte, einer der Märtyrer von Ecuador, der sich als junger Mann auf Kosten einer einträglichen Karriere für das Missionsfeld entschied: »Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf dass er gewinne, was er nicht verlieren kann.«

Dem Buch OKKULTE INVASION entnommen von Horst Koch, Herborn, im März 2006

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Die FM und Jesus Christus (Hohl-Wirz)

Dr.  Martin  Hohl  – Wirz

Die Freimaurerei und der Absolutheitsanspruch des Herrn Jesus Christus

(Biographische Angaben finden sich am Ende dieses Artikels)

Die Literatur zum Thema Freimaurerei ist außerordentlich umfangreich. Die 1911 vom deutschen Gelehrten August Wolfstieg begründete »Bibliographie der freimaurerischen Literatur« umfasst heute über 50’000 Titel. Nach Zendralli wird die gesamte Literatur zum Thema Freimaurerei von Fachleuten auf rund 100’000 Bücher  und Schriften Titel geschätzt. Ein Teil dieser Literatur ist im Verzeichnis der Deutschen Freimaurer Bibliothek, die dem Deutschen Freimaurer Museum in Bayreuth angeschlossen ist, enthalten (Schneider, 1977).

Trotz dieser Literaturflut ignoriert nach Mellor (Alec Mellor, Logen, Rituale, Hochgrade. Handbuch der Freimaurerei, 1985) »die grosse Mehrheit des Publikums die Freimaurerei«, und von den Historikern werde sie kaum und erst spät zur Kenntnis genommen. »Sie ist ein Tabu, über das man gleichsam verabredungsgemäß nicht spricht« (S.33) »Seit etwa 10 Jahren erst ist die Freimaurerei zum Gegenstand intensiverer wissenschaftlicher Forschung geworden.« (Ulrich Im Hof, Zur Geschichte der Freimaurer im 18. Und 19. Jahrhunderts – aus der Sicht eines Historikers, Basel, 1984). Schenkel schreibt: »Die Lehrbücher der Kirchengeschichte enthalten zwar kurze Hinweise auf die Freimaurerei, behandeln sie aber nebensächlicher als irgendwelche belanglosen Erscheinungen auf kirchlichem Gebiet und verraten in nichts ein Bewusstsein um die teilweise geradezu entscheidende Bedeutung der Freimaurerei in der Kulturpolitik einiger europäischer Staaten.« Diese Aussage gilt m.E. auch heute noch.

Warum diese Unwissenheit, Ignoranz, Vorsicht? Der Grund dafür liegt sicher nicht zuletzt in der Freimaurerei selbst, für die Öffentlichkeitsarbeit nicht wesensgemäß ist. Die Freimaurerei versteht sich zwar heute nicht mehr als eine Geheimgesellschaft, immer noch aber als eine geschlossene Gesellschaft: »not secret but privat«.

Bis vor kurzem waren zuverlässige, autorisierte Informationen nur schwer zugänglich. Zudem war die Freimaurerei seit ihrer Gründung im Jahre 1717 heftig umstritten und von den vielfältigsten Gerüchten begleitet. Je nach Standort und Interessenlage waren die Aussagen unterschiedlich und widersprüchlich. Dazu kommt, »dass es nicht einmal im Innersten des Ordens Übereinstimmung über das Wesen und über die wesentlichen Ziele der Freimaurerei gibt.« (Mellor) Die Freimaurerei ist nicht nur umstritten, sondern auch zerstritten. Es gibt verschiedene Spielarten und Abarten, die sich zum Teil die Anerkennung versagen. In dieser Situation ist es schwierig und für Außenstehende fast unmöglich, sich ein objektives Bild zu machen.

Kann es aber ein solch ‘objektives’ Bild überhaupt geben? Ein Freimaurer wird diese Frage möglicherweise verneinen. Jeder erlebt Freimaurerei anders. Wahrheit ist relativ, subjektiv. Das Wesentliche der Freimaurerei lässt sich zudem nach freimaurerischer Auffassung nicht durch Worte und Bücher mitteilen. »Der Geist des freimaurerischen Rituals… beruht auf dem Glauben, dass es gewisse Wahrheiten gebe, die zu tief sind, als dass Worte oder Begriffe sie ausdrücken könnten. Allein Symbole können eine stumme Andeutung davon geben.« (Alec Mellor, Logen, Rituale, Hochgrade. Handbuch der Freimaurerei, S. 304)

Dies ist meines Erachtens der Kern und der gemeinsame Nenner aller Freimaurerei, dass sie dem Wort im weitesten Sinn, d. h. auch der Sprache, als gestaltende, ordnende, verbindende und rettende Kraft misstraut und an seine Stelle das Symbol setzt.

Dieser Sachverhalt war mir mit seinen weitreichenden Konsequenzen nicht bewusst, als ich am 5. Juni 1988 in die »Freimaurerloge Libertas et Fraternitas im Orient von Zürich« aufgenommen wurde. Ich erwartete eine offene, faire und anregende geistige Auseinandersetzung, ohne die ich buchstäblich nicht atmen kann. In der Loge hingegen wird jede politische, theologische oder andere ‘hitzige’ Diskussion bewusst und konsequent vermieden. Auch mir sind leere Wortgefechte, bloße Wortklaubereien und gewalttätige geistige Auseinandersetzungen zuwider, und ebenso lehne ich jedes Missionieren mit Schwert, Zwang und Aufdringlichkeit ab. Doch sollen und können wir an die Stelle der blutigen Religions- und Konfessionskriege das Schweigen setzen? »Hear, see and silence«, so lautet die Devise der englischen Freimaurer.

In dieser Arbeit gehe ich von einer Auffassung aus, die der freimaurerischen diametral entgegengesetzt ist: Die Sprache ist die wichtigste Kommunikationsform. Sie konstituiert alles Sein, alles Leben. Gerade die wichtigsten Wahrheiten können nur durch die Sprache vermittelt werden, und wirkliche, dauerhafte Gemeinschaft entsteht nur durch das Wort. Es geht mir im folgenden nicht darum, die freimaurerische Auffassung zu widerlegen und zu bekämpfen, vielmehr geht es darum, die beiden Auffassungen einander gegenüber zu stellen und einer möglichst unvoreingenommenen Beurteilung und einer möglichst freien persönlichen Entscheidung zugänglich zu machen.

Welche Sprache sollen wir nun aber sprechen, um nicht in einer dauernden Sprachverwirrung zu leben? Ich gehe im folgenden von der Annahme aus, dass Jesus Christus die höchste, die absolute Autorität in Sachen verbaler Kommunikation ist. Er ist uns bezeugt als das ‘fleischgewordene Wort’. Er ist mit seinem Leben dafür eingestanden, dass Gottes Wort gilt; Er hat uns den Zugang zu demjenigen Gott wieder ermöglicht, der kommuniziert, der mit uns spricht und sich uns gegenüber ausdrücklich verpflichtet; Er hat uns das Vertrauen auf das Wort, den Sinn für die Bedeutung der gegenseitigen Verständigung und damit die Sprache wiedergegeben. Mit anderen Worten: Ich nehme im folgenden an, dass der Absolutheitsanspruch des in der Bibel bezeugten Jesus Christus gerechtfertigt ist, und ich werde versuchen, die Freimaurerei im Lichte dieses Jesus Christus zu beleuchten. Er ist derjenige, der auferstanden ist, der also lebt, und dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden übertragen ist. Ich nehme diese Herrschaftssituation als durchaus wirklich an, auch wenn ich den obersten Machthaber nicht sehe, nicht immer spüre und von dieser ganzen Wirklichkeit und Wahrheit nur aufgrund des uns überlieferten Evangeliums etwas weiß. Die Annahme dieser Realität bedeutete eine Umkehr, die es mir ermöglichte, wieder aus der Freimaurerloge auszutreten. Das geschah am 28. September 1988.

Die Freimaurer wenden sich – mit Erfolg, wie wir sehen werden – gegen alle Absolutheitsansprüche einzelner Religionen, Konfessionen, Parteien, Rassen, Klassen, Institutionen, Nationen usw. und wollen alle Gegensätze miteinander versöhnen. Ist der Absolutheitsanspruch Christi gerechtfertigt, so hat dieser Kampf der Freimaurer auch aus unserer Sicht eine gewisse Berechtigung: Wir finden ja unser Heil nicht in einer bestimmten Institution, Partei, Klasse, Nation usw., sondern wirklich nur und ausschließlich in der Person Christi. Darum soll mit dieser Arbeit keinesfalls irgend eine absolutistische, totalitäre, rassistische, religiöse, konfessionelle oder andere Partei unterstützt werden, welche die Freimaurerei bekämpft. Mit diesen Auseinandersetzungen zwischen ‘Anti Absolutisten’ einerseits und den Verfechtern unserer Sicht andererseits, die zum Teil ‘falschen’ Absolutheitsansprüchen mit äußerster Verbitterung und Gehässigkeit geführt werden, wollen wir nichts zu tun haben. Die entsprechende Literatur bleibt in dieser Arbeit unberücksichtigt. Ebenso wenig will ich mich auf die unzähligen Gerüchte um die Freimaurerei und auf die ganze Gerüchteliteratur einlassen. Es kommt auf möglichst zuverlässige Informationen an. Es sollen bei der Darstellung der Freimaurerei möglichst Freimaurer selbst sowie Wissenschaftler zu Wort kommen, denen ein Einblick gewährt wurde. Bei der Beurteilung sollen sich die gemachten Aussagen niemals gegen die Freimaurer als menschliche Personen richten, sondern allenfalls gegen den Geist, der hinter der Freimaurerei steckt.

In den letzten Jahren sind einige größere Werke von Freimaurern und von Wissenschaftlern erschienen, die einen vertieften Einblick in die Freimaurerei und ihre ‘Geheimnisse’ ermöglichen. (Binder, 1988, Mellor,1985, Oslo, 1988, Valmy, 1988). Zudem wurden im Fernsehen Dokumentarfilme gezeigt (z.B. ORF 1990), und die Zeitschrift GEO veröffentlichte eine Bildreportage (Nr. 2/1988) mit Aufnahmen von wichtigen ‘Tempelarbeiten’. Diese letztgenannten Resultate freimaurerischer Öffentlichkeitsarbeit stießen allerdings bei Freimaurern auf äußerst harte Kritik (Alpina Nr. 8 9 1988, S. 205: ‘weitreichendster und unverantwortlichster Verstoß gegen die Arkan Disziplin’). Nicht zuletzt dank dieser Veröffentlichungen können wir die Freimaurerei selbst beim Wort (und Bild) nehmen und müssen nur noch in Ausnahmefällen auf sogenannte ‘Verräterliteratur’ zurückgreifen.

Es geht mir in dieser Arbeit darum, einen Überblick mit möglichst allen wichtigen Aspekten zu vermitteln, um das Phänomen der Freimaurerei in seiner ganzen Gestalt sichtbar werden zu lassen. Einzelne Aspekte könnten vertieft werden. Am Schluss der Darstellungen sollen, wo sinnvoll und möglich, die einzelnen Aspekte mit der Sicht der Bibel gemäß unserem Verständnis verglichen werden. Eine Beurteilung der Freimaurerei erfolgt in Kapitel 7.

 

1. Geistige Wurzeln

Die Freimaurerei im heutigen Sinn besteht seit 1717. Über die Entstehungsgeschichte besteht kein sicheres Wissen. Es gibt aber verschiedene Entstehungstheorien. (Dazu Dieter A. Binder, Die diskrete Gesellschaft. Geschichte und Symbolik der Freimaurer, Wien, 1988). Auf die verschiedenen Entstehungstheorien soll im folgenden nicht eingegangen werden. Uns interessieren aber die verschiedenen geistigen Wurzeln, von denen sich die Freimaurerei herleitet. (C. Zendralli, Freimaurerei heute, S.4) nennt die folgenden Ansatzpunkte: die Bauhüttenüberlieferung, die frühchristlichen Gesellschaften, das Rosenkreuzertum, die jüdische Kabbala-Tradition, die Tempelritterlegende und die Mysterienbünde. Unter Berücksichtigung des Werkes von Allan Oslo (Freimaurer. Humanisten? Häretiker? Hochverräter? Umschau-Verlag, Frankfurt/Main ,1988), der die geistigen Wurzeln der Freimaurerei ausführlich untersucht, teile ich diese in die folgenden Hauptstränge ein, die sich allerdings teilweise überlappen und durchdringen:

1. Die Bauhüttentradition
2. Verehrung menschlichen Schaffens aller Zeiten und Völker
3. Mönchtum und Ritterorden
4. Geheimgesellschaften und Mysterienbünde
5. Jüdische und christliche Tradition
6. Humanismus, Aufklärung, Liberalismus
7. Reformation und Protestantismus

 

1.1. Die Bauhüttentradition

»FREIMAUREREI, MAUREREI, MASONEY, MASONNERIE, KÖNIGLICHE KUNST, weltbürgerliche Bewegung mit dem humanitären Ideal des vollkommenen Menschentums. Der Name rührt her von den freien (im Gegensatz zu den zunftgebundenen) Steinmetzen an den mittelalterlichen Bauhütten.» (Neuer Brockhaus, 5. Aufl. 1974, Bd. 2, S. 259, zit. in Oslo 1988, S.12)

Eine andere Auffassung über die Entstehung des Namens ‘Freimaurer’, die ebenfalls mit den Bauhütten zu tun hat, vertritt G. A. Schiffmann (Das Verhältnis der FM zum Christentum und zur Kirche, Stettin, 1857-1883, 28f.): »Der Name Freemasons ist eine Abkürzung der Bezeichnung Free-stone-masons. So wurden die Steinmetzen genannt, weil sie die Steine bearbeiteten, welche an der Außenseite der Mauern freistanden, so dass sie von jedermann gesehen werden konnten. Im Gegensatz dazu hießen diejenigen Bauarbeiter, welche die Steine unbehauen vermauerten, so wie sie aus den Steinbrüchen kommen, rough-stone-masons. Nun kürzte man die Namen so ab, dass man das Wort stone ganz wegließ. Auf diese Weise entstand das Wort Free masons, Freimaurer. Es sind mit dieser Bezeichnung deshalb nicht eigentlich die Arbeiter gemeint, die man jetzt Maurer nennt, sondern die Steinmetzen. Daher auch die Bezeichnung Loge oder Bauhütte. Die eigentlichen Maurer bedurften keiner besonderen Hütten. Sie verrichteten ihre Arbeiten unmittelbar am Gebäude selbst. Die Steinmetzen dagegen mussten die aus den Steinbrüchen herbeigeführten rohen Steine erst kunstgemäß bearbeiten, ehe diese dem Bau eingefügt werden konnten. Sie hatten also einen Arbeitsraum in der Nähe des Baues nötig, wo sie die Steine behauen konnten. Dies waren die Bauhütten.«

In diesen Bauhütten, die im Mittelalter zu den Klöstern gehörten und mit der Zeit verweltlicht wurden, pflegten die klerikalen und die weltlichen Steinmetzen ihre eigene, besondere Tradition. Sie »trachteten danach, ihre Konstruktionsgeheimnisse vor den Augen Uneingeweihter zu verbergen, sie waren einem strengen Zunftsystem unterworfen, gegliedert in Lehrling, Geselle und Meister, mit einer Menge innerer und äußerer Regeln. Auch betrachteten sie ihre Arbeit als eine ‘göttliche Kunst’.« (Jürg von Ins, Zur Frage nach den Quellen der freimaurerischen Symbolik, 1974)

Die Steinmetzen waren in der Regel nicht lokal, sondern überregional organisiert und entwickelten bald ein internationales, kosmopolitisches Bewusstsein. Steinbauwerke waren selten, und die Auftraggeber waren vielfach die höchsten kirchlichen und weltlichen Autoritäten. War ein Bauwerk beendet, so musste der Steinmetz oft weiterziehen. Er war nicht in einer lokalen Kirche, Gemeinde oder Zunft zuhause. »Seine Heimat war die Bauhütte am Arbeitsort, die darum von den fürstlichen Protektoren ihre überlokale Organisation und ihre Freiheiten empfing.« (Rudolf Spitzbarth, Die Freimaurerei, ihr Herkommen und Wirken. 1968)

Dank dieser Freiheiten wurden die Bauhütten zu Zufluchtsorten für Verfolgte, Verfemte und Freidenker aller Art. (Spitzbarth) Diese zugelassenen Nicht Steinmetzen wurden ‘angenommene’ Maurer genannt. Mit der Zeit trat die bauhandwerkliche Tradition in den Hintergrund, und es wurden vermehrt esoterische, philosophische, sittliche und gesellschaftliche Traditionen gepflegt.

1717 gründeten vier Bauhütten in London die erste Grossloge. Dieses Jahr gilt als das Gründungsjahr der Freimaurerei im heutigen Sinn. Die 1717 gegründete Freimaurerei hat mit dem ursprünglichen Bauhandwerk, das als ‘operative Maurerei’ bezeichnet wird, nichts mehr zu tun. Es geht nicht mehr um den Bau von Steinbauwerken, sondern um den Bau am ‘Tempel der Humanität’. Die heutige Freimaurerei wird gegenüber der ‘operativen Mauerei’ als ‘spekulative Maurerei’ bezeichnet. (A. Oslo, S. 55).

Von der Bauhüttentradition sind aber verschiedene Elemente übernommen: der Name ‘Freimaurer’, ‘Freimaurerei’, die Bezeichnung Loge (lodge) für die Arbeitsstätte, die Einteilung der ersten drei Grade in Lehrling, Geselle und Meister sowie »eine an Steinmetzen  und Bauhandwerk anknüpfende Deutung der Stellung des arbeitenden Menschen im christlichen Kosmos und ein daraus abgeleiteter Sittenkodex«. (Spitzbarth) Dazu kommen verschiedene Symbole wie: Winkelmass, Wasserwaage, Zirkel, Senkblei, Maßstab, Reißbrett, Schurz, rauher Stein u.a.m. In der Johannismaurerei (Grade 1 3) sowie in der ‘jüdisch architektonischen Etappe’ der schottischen Hochgradmaurerei (Grade 1 14) lehnen sich zudem die Arbeiten und die symbolischen Handlungen an die Bauhüttentradition an. Nach Lerich (Konrad Lerich, Der Tempel der Freimaurer. Der 1. Bis 33. Grad. Vom Suchenden zum Wissenden, Bern, 1937) «erreichen Bausymbolik und Bausage der Freimaurerei im 13. Grad ihren esoterischen Höhepunkt«. (S. dazu Kapitel 3)

 

1.2. Verehrung menschlichen Schaffens aller Zeiten und Völker

1.2. 1. Diesseitigkeit

»Die wahren Taten der Freimäurer sind so groß, so weit aussehend, dass ganze Jahrhunderte vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie getan! Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt ist, merke wohl: in der Welt!   Und fahren fort, an all dem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt werden wird,   merke wohl, in der Welt.« (Aus: G. E. Lessing, Ernst und Falk, Gespräche für Freimäurer.)

Dass die Freimaurerei hauptsächlich diesseitig orientiert ist, geht auch aus den Aussagen vieler anderer FM hervor.

So schreibt zum Beispiel Seydel (Rudolf Seydel, Katholicismus und Freimaurerei, Leipzig, 1862), das höchste Ideal sei die ‘Darstellung des Reiches Gottes auf Erden’, und auch ImHof meint: «Es geht um das ‘Reich Gottes auf Erden’.»

Bei Lagutt (Jan K. Lagutt, Der Grundstein der Freimaurerei, Erkenntnis und Verkennung, Zürich, 1958) lesen wir: »Wollen die Religionen den Menschen vor allem auf das Leben nach dem Tod vorbereiten, so die Maurerei in erster Linie für das Erdenleben… Ist das Streben der Religionen himmelwärts gerichtet, so dasjenige der Maurerei erdenwärts … Das Wahre, Gute und Schöne ist der Erde und des Menschen wegen zu tun.«

Die Freimaurerei ist nach Valmy (Marcel Valmy, Die Freimaurer. Arbeit am Rauhen Stein. Mit Hammer, Zirkel und Winkelmass. München, 1988) durch die Glaubensform des Deismus beeinflusst, «auch Freidenkertum oder Vernunftreligion genannt, die eine Anleitung zum sittlichen Leben im Diesseits, nicht zum Übergang in die Transzendenz, sein will.»

Bei diesem Diesseits handelt es sich um die ganze dem Menschen zugängliche und wahrnehmbare Welt, um das ganze Universum. Es interessieren nicht nur die Vorgänge auf dieser Erde, sondern auch die ‘Gesetzmässigkeiten des Universums’. (Oslo). »Der Ort freimaurerischer Arbeit ist die Loge. Sie hat die Form eines ‘länglichen Vierecks’ und ist als Sinnbild des Weltalls, als Wohnstätte der ganzen Menschheit gedacht.« (Heinz Günter Deiters, Die Freimaurer. Geheimnis und Enthüllung, München, 1963). Im Tempel ist symbolisch dargestellt, woran sich der diesseitige Mensch orientiert: die Himmelsrichtungen Nord, Süd, Ost und West; Sonne, Mond und Sterne; der andere Mensch. Die Zeitrechnung der alten Maurer begann nach Oslo mit Adam, mit dem Beginn der Welt: Der Anfang der Welt war demnach unweigerlich auch der Beginn der Maurerei. Deshalb datierten sie statt ‘im Jahre der Welt’ (anno mundi) einfach ‘im Jahre der Maurerei’ (anno maconii), und beide trugen die Abkürzung AM.»

1.2.2. Taten statt Worte

»Geschrieben steht: ‘Im Anfang war das Wort!’ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, Ich muss es anders übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. … Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat, Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! (Aus: J.W. von Goethe, Faust, 1225 -1238)

Die Freimaurer bedienten sich nach Schiffmann Symbolen aus dem Bereich des Handwerks, um deutlich zu machen, »dass nicht theoretische Untersuchung, sondern praktische Tätigkeit der eigentliche Zweck des neu gestifteten Bundes war.«

Das Reich Gottes soll durch die menschliche Tat auf Erden verwirklicht werden. »Arbeit ist Gottesdienst, weil in ihr und durch sie die höheren Lebenswerte zur Verwirklichung kommen« (Schenkel, 1926). In den Logen der Freimaurer wird ‘gearbeitet’ . »Alle Feiern werden ‘Arbeit’ genannt, und zwar je nach den Graden am rauhen Stein, am kubischen Stein, am Reißbrett.» (S. 66)

Die Freimaurer nehmen an einem ‘Kultus der Arbeits- und Berufsethik’ teil. (S. 67) »Dem Theologisch- Dogmatischen kommt von Anfang an kein Gewicht zu, sondern alles ist ethisch praktisch gemeint. Es ist aber nicht nur die Tätigkeit als solche, welche gefeiert wird, sondern dass sie mit Weisheit, in Schönheit, durch Kraft geschieht. Der Wert der Arbeit ist unabhängig vom Erfolg« (S. 67). »Die ganze Arbeitssymbolik erhält ihre Krönung in dem Gedanken der Pflicht. ‘Tue deine Pflicht!’ ist der ernste männliche Klang, der durch das Ritual der Johannis-Maurerei hindurchklingt« (S. 69) Der Arbeitsgedanke findet seine Ergänzung in dem Gedanken der Erholung. Auch sie ist geweiht … Auf jede Arbeit folgt eine Tafelloge mit rituellen Formen oder wenigstens ein geselliges Beisammensein.« (S. 69) In der Freimaurerei geht es also um eine Betonung der Aktivität gegenüber der Passivität. »Die Erlösung wird nicht im Mystischen gesucht, sondern in der tapferen Bejahung des Schicksals und in der Betätigung des freien Willens (S. 85) Oft wird das Reden, das ‘bloße’ Aussprechen von Worten nicht als Tat betrachtet und dem ‘Tun’ gegenübergestellt: »Das Tun ist viel mehr wert als das bloße Diskutieren« (Ernst Moser, Die Freimaurerei und die Satzungen der Vereinten Nationen, in: Alpina Nr. 5/1964).

Wir werden sehen, dass zwischen Freimaurerei und liberalem Protestantismus eine enge geistige Verwandtschaft besteht und dass zwischen beiden enge Beziehungen bestanden haben und bestehen. Vielleicht müsste Max Webers berühmtes Werk ’die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus’ ergänzt oder vertieft werden durch eine Untersuchung über die Bedeutung der freimaurerischen Arbeits  und Berufsethik für die Wirtschaftswelt der neusten Zeit.

1.2.3. Ein Herz für Kain

Aus der Parteinahme für die Tat und die Tatmenschen ergibt sich auch eine Parteinahme für Kain und seine Nachkommenschaft. Die Hiramslegende, die in der Freimaurerei eine außerordentlich grosse Rolle spielt, »schildert die Kains-Kinder als den vorwärtsstürmenden, erfindungsreichen, schöpferischen Menschentypus, während Abel jenen Typus darstellt, der sich mit dem natürlich Gewordenen, dem ‘Gott-Gegebenen’ zufrieden gibt (Lagutt). Hiram Abif, der legendäre Architekt und Baumeister des Salomonischen Tempels, wird als Nachkomme Kains betrachtet. »Der Tradition nach gilt Hiram als Kainit.« (Ebd. S. 45) »Hiram errichtete den wunderbaren Tempel Salomonis, er schuf den herrlich goldenen Königsthron und führte viele prachtvolle Werke und Bauten auf.» (S. 52) Aus der Sicht dieser Legende erscheint es ungerecht und willkürlich zu sein, dass der Gott der Bibel das Opfer Abels annahm und ausgerechnet dasjenige des Kain ablehnte. »Und Kain erschlug Abel. Doch nun verfolgte Adonai die Söhne Kains und machte sie den Kindern Abels untertan. Das Geschlecht Kains aber war schöpferisch und erfand die Wissenschaften und Künste.» (S. 51 ff.)

«Enoch, ein Sohn Kains, lehrte die Menschen die Kunst, Steine zu behauen, Häuser zu bauen und in Gemeinschaften zu leben. Enochs Sohn Irad und sein Enkel Mehujahel errichteten Dämme und machten Zedernstämme zu Balken, Methusael, ein anderer Sprosse Kains, ersann die heiligen Buchstaben, die Tau Bücher und das sinnbildliche T (Tau), an dem die vom Feuer stammenden Arbeiter sich erkannten. Lamech, dessen Weissagungen den Profanen verschlossen sind, hatte vier Kinder: Jabal, der als erster Felle zu gerben verstand, Jubal, den Erfinder der Harfe, Naamah, die Mutter der Spinnerei und Weberei, und Tubalkain, der den ersten Schmelzofen baute. Tubalkain trieb auch tiefe Schächte in die Berge, um sein Geschlecht vor der kommenden Flut zu schützen. Allein nur er und sein Sohn entgingen den Wassern.« (S. 51f.) Nach der Hiramslegende soll Hiram, nachdem er von drei seiner Gesellen erschlagen worden war, von Tubalkain »in den Mittelpunkt der Erde, in die Seele der Welt, ins Reich des großen Kain« (S. 54) geführt worden sein. Dort »sah Hiram seinen Urvater Kain… Und Kain erzählte seine Leiden, die Jehovas Grausamkeit über ihn verhängte.« S. 55) »Und Tubalkain übergab ihm den Hammer, mit dem er selbst so Großes geschaffen hatte und sprach: ‘Diesen Hammer nimm!’ Die Feuergeister werden dir helfen, das Werk zu beenden.« (S. 55)

Es ist wohl selbstverständlich, »dass eine Legende nie als Darstellung geschichtlicher Vorgänge betrachtet werden darf» (S. 57), doch sollten diese Ausschnitte, die den meisten Freimaurern möglicherweise unbekannt sind, deutlich machen, für wen hier Partei ergriffen wird: für Kain und seine Nachkommenschaft. »Gewisse Namen aus dem Geschlechte der Kains Söhne sind zu Passworten geworden.« (S. 45) Die einzelnen Passworte sind im Werk von Binder, (164, 167, 203) enthalten. So lautet das Passwort der Lehrlinge und der Meister: ‘Tubalkain’. Wiederum ist wohl den meisten Freimaurern nicht bewusst, was das für ein Wort ist, und was es bedeutet   Worte sind ja scheinbar nicht so wichtig.

1.2.4. Grosse Leistungen, Werke, Persönlichkeiten

Die Verehrung menschlicher Leistungen, Werke und Persönlichkeiten in der Freimaurerei geht nun über Kain und sein Geschlecht weit hinaus und umfasst die gesamte Menschheit, alle Völker und Zeiten. Dabei «ist das Bauen, der Bau der sichtbare Ausdruck schöpferischen Tuns schlechthin». (Lagutt, S.106) Solch schöpferisches Tun findet natürlich nicht nur im Baugewerbe statt, sondern in allen Lebensbereichen des Menschen: Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Kunst, Literatur. Überall braucht es Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die erworben, entwickelt und weitergegeben werden müssen. Die menschliche Geschichte erscheint als eine Geschichte des seine Leistungen und Werke und damit auch sich selbst stets weiter und (evolutiv) höher entwickelnden Menschen. »Es ist nur ein Bau, der fortgeführt werden soll, der simpelste, der größte; er erstreckt sich über alle Jahrhunderte und Nationen. Wie physisch, so ist auch moralisch und politisch die Menschheit in ewigem Fortgang und Streben.« (J.G.v. Herder zitiert in J. N. J. Schmidt, Wurzeln der Freimaurerischen Gemeinschaft, Zürich, 1961) Für Herder ist die Freimaurerei ein ‘Areopag des Verdienstes, der Sitten und der Talente’. (Imhof, S. 294)

In der seit 1723 geltenden Konstitution der Freimaurerei, die von James Anderson, einem Prediger der Kirche der schottischen Presbyterianer in London, verfasst wurde, ist eine Weltgeschichte menschlichen Schaffens enthalten. Sie wird zwar oft als ‘geschichtlich wertlos’ betrachtet (Schenkel, 1926, Lagutt, 1958) und selten abgedruckt. Im Anhang des Buches von Oslo (1988, 366ff.) ist dieser ‘geschichtliche Teil’ allerdings enthalten. Uns scheint dieser Teil der Anderson’schen Verfassung wichtig zu sein, nicht weil darin eine wirkliche Geschichte, sondern eine ‘Möchtegern-Geschichte’, eine Geisteshaltung, zum Ausdruck kommt. Immerhin besteht «das Gemeinsame der Freimaurer in aller Welt … darin, dass sie sich an die sogenannten ‘Alten Pflichten’ von 1723 (Andersonsche Konstitution) halten.« (Von Ins, S.29)

In Andersons ‘Geschichte’ der menschlichen Künste von Adam bis zur damaligen Zeit erscheinen die erwähnten ‘Grossen’ der Vergangenheit als ‘Großmeister’ und ‘Großbeamte’. Neben Kain und seiner Nachkommenschaft – Abel wird hier nicht erwähnt – kommen auch die Erbauer des babylonischen Tempels zu Ehren, denn trotz ihrer ‘Eitelkeit’ werde ‘ihre Fertigkeit in der Maurerei … gerühmt’ (zit. in Oslo, S.366). Bewundert wird in diesem Zusammenhang auch die ‘Fertigkeit der Maurer’, ‘ungeachtet der Verwirrung der Sprachen’, ‘miteinander ohne Sprechen zu verkehren und einander von weitem zu erkennen’. (S. 367) Nach den ‘herrschaftlichen Städten’ und den anderen ‘großartigen Bauwerken’ (Pyramiden etc.) Ägyptens wird auch ‘Gross-Meister Moses’ erwähnt. (S. 367f.)

Gerühmt wird nach dem ‘Tempel des Dagon in Gaza der Philister’ natürlich besonders der Tempel Salomos und sein Architekt und ‘Meister des Baus’ Hiram Abif. Schließlich werden in dieser Geschichte menschlichen Schaffens unter anderem erwähnt: der ‘Gross-Meister-Maurer’ Nebukadnezar, die ‘Künste und Wissenschaften mit den bedeutendsten Gelehrten und Handwerkern’ in Griechenland und Rom, die Entwicklung der ‘königlichen Kunst’ im Abendland, besonders in England und in Schottland. (Der Name Jesus Christus fehlt in dieser ‘Geschichte der Grossen’.)

1.2.5. Vergleich

Ein kurzer Vergleich zeigt an dieser Stelle bereits deutlich, dass die Weltanschauung der Freimaurerei sich wesentlich von derjenigen unterscheidet, die uns in der Bibel bezeugt ist: Das Reich Jesu ist nicht von dieser Welt. Die diesseitige Welt ist nicht bedeutungslos, hat aber nur eine begrenzte, relative Bedeutung. Selbst das Tausendjährige Reich ist vergänglich. Wichtig und ursprünglich ist eine unsichtbare, dem Menschen unzugängliche Welt, aus der alles Diesseitige, Irdische entstanden ist, und aus der alles seinen Sinn und Wert erhält. Ebenso ist auch in der Freimaurerei die jenseitige Welt nicht bedeutungslos, sie wird nun aber ihrerseits relativiert: Selbstverständlich darf jeder Freimaurer an ein Jenseits glauben, doch dieser Glaube ist subjektiv dem Belieben des einzelnen unterstellt und darf in der Loge keine absolute Geltung beanspruchen. Der Unterschied liegt also in der Priorität, in der Vorrangigkeit: absolutes Jenseits und relatives Diesseits in der Bibel, relatives Jenseits und absolutes Diesseits in der Freimaurerei.

Das Gleiche gilt für die Gegenüberstellung von Taten und Worten. Das Wort hat in der Bibel eine absolute Bedeutung, und was ‘geschrieben steht’ dient selbst Jesus als höchste Autorität, der sich sein Widersacher beugen muss. »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen«, spricht Jesus. (Mt. 24,35) Die menschlichen Taten kommen in der Bibel auch vor, haben aber eine untergeordnete Bedeutung. In der Freimaurerei ist auch dieses ‘Herrschaftsverhältnis’ umgekehrt: Taten haben absolute Bedeutung, Worte relative Bedeutung. Auch Freimaurer sprechen und verwenden Worte. Die höchsten Einsichten sind für sie aber nicht mit Worten kommunizierbar. Wichtiger ist ihnen, dass »sie einander kennen und lieben, sogar ohne das Hilfsmittel der Sprache oder in unterschiedlichen Sprachen«. (Anderson zitiert in Oslo, 1988, S.378)

Die biblische Heilsgeschichte ist mit dem Namen Abel verbunden, Kain hat eine ‘undankbare’ Nebenrolle. In den freimaurerischen Legenden wird Kain sozusagen rehabilitiert und Abel in den Hintergrund gedrängt. Die Bibel segnet nicht alle menschlichen Leistungen, Werke und Personen. Wichtig, vorrangig ist das Gottvertrauen, die Gottesbeziehung, aufgrund der der Mensch opfert, arbeitet und aufbaut. Für diese Gottesbeziehung trägt auch der Mensch einen Teil der Verantwortung: Er muss zum biblischen Gott und zu seinem Sohn ja sagen. Wer den biblischen Gott verneint, wer undankbar und selbstgerecht Gottes Gaben zu eigenen, menschlichen Leistungen erklärt, dem wird der Segen entzogen.’ Die Freimaurerei hingegen will alle Menschen, unabhängig von ihrer Gottesbeziehung ‘gerecht’ sein lassen. Der Wert des einzelnen hängt von seinem Beitrag für die Menschheit ab. Statt um Gnadenannahme und Gottvertrauen geht es um »eine Schule des Wettlaufs zur Erreichung des schönsten Kranzes der Humanität und Menschenwürde.« (Böni 1944, 290) Das Wichtigste: Die Subjekte und Objekte der freimaurerischen Verehrung sind vergänglich, tot. Bei Jesus Christus hingegen können wir annehmen, dass er ewig lebt.

1.3. Mönchtum und Ritterorden

Die Beziehungen zwischen Mönchtum und Ritterorden einerseits sowie Freimaurerei andererseits sind ausführlich in Oslo (FM 1988) dargestellt. Die Freimaurerei wird selbst vielfach als Orden bezeichnet sowie als geistige Nachfolgerin und Erbin alten Priester  und Mönchtums betrachtet. Dabei scheinen mir die folgenden Parallelen am wichtigsten zu sein: die Bewahrung und Pflege von Wissen und Können, das Streben nach persönlicher Vervollkommnung, das Anliegen, Zufluchtsort für Verfolgte und Verfemte zu sein. Eine besondere Rolle spielt in der Freimaurerei der Templerorden. Die Templer gelten als vorbildliche, erste Verfechter des Toleranzgedankens.

 

1.3.1. Bewahrung und Pflege von Wissen und Können

»Die ausführliche Darstellung der Entwicklung des Klosterwesens und des Templerordens zeigt eindeutig, wo das Wissen gepflegt und gehütet wurde, wo die Beschäftigung mit den Hermetischen und Freien Künsten und der Königlichen Kunst möglich gewesen war. Die Anziehungskraft der Klöster und Ritterorden auf den Adel und den Klerus lag nicht im Gebet, noch im Handwerk, sondern im Wissen begründet. Und um zu diesem Wissen zu gelangen, musste man sich Probezeit und Prüfungen unterziehen. All dem begegnen wir später in der Freimaurerei wieder.» (Oslo, 1988, 51) »Dieses Wissen teilte sich in drei Hauptgruppen:

1. die Hermetischen Künste: die okkulten Weisheiten Gottes aus Religion, Astrologie, Magie, Zaubertrank bzw. Heilkunde, Mystik, Esoterik, Alchimie   das Wesen aller Mysterien;

2. die Freien Künste: Schreibkunst, Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Verskunst, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Harmonie;

3. die Königliche Kunst: nicht das Handwerk des Bauwesens, vielmehr Planentwurf, Architektur, Statik, Materiallehre, Harmoniegesetze und Bauleitung – kurz: die Baukunst.« (Ebd. S. 99)

Nach Oslo wurde dieses Wissen in der Menschheitsgeschichte früher hauptsächlich von den Priestern bewahrt und gepflegt: «Priester schrieben die Chronik ihrer Zeit, trieben Studien in der Philosophie und Theologie, machten Experimente in der Alchimie und Naturwissenschaft, ergänzten die Kenntnis der Heilkunde und der heilenden Kraft der Kräuter, operierten Kranke und balsamierten Mumien ein, entwickelten das Handwerk, brauten Bier, kelterten Wein und pflegten die Freien Künste einschließlich der Baukunst.« (S. 14)

1.3.2. Streben nach persönlicher Vervollkommnung

In den Klöstern ging es nach Oslo immer auch um die ‘innere Vervollkommnung des Mönches’. »Die Meditation in der Einsamkeit der Zelle förderte das Entstehen eines esoterischen Christentums, das sich im Laufe der Jahrhunderte in eigenartigen Aufnahmeritualen manifestierte, die an die Denkformen frühchristlicher Gnostiker erinnern. Eine Symbolik besonderer Art beeinflusste die Gedankenwelt des Ordens. Ziel aller Bestrebungen des Mönches sollte die Erlangung der persönlichen Vervollkommnung sein.« (S. 24) Die Freimaurerei will diese Tradition fortsetzen. Sie bietet sich als ein «Mittel zur ‘inneren Ganzwerdung’» an. (Von Ins, S. 29).

1.3.3. Zufluchtorte für Verfolgte und Verfemte

Wie die Bauhütten so waren nach Oslo auch die Klöster früher vielfach Zufluchtsorte für Verfolgte und Verfemte. Also ergibt sich auch aus diesem Gesichtspunkt eine gewisse Verwandtschaft und eine Tradition, die die Freimaurerei weiterzupflegen bemüht ist. (Oslo,1988, 16ff.)

1.3.4. Die Templer als Verfechter des Toleranzgedankens

Die Templer werden von Oslo als Verfechter, wenn nicht gar als Begründer des für die Freimaurerei zentralen Toleranzgedankens angesehen: «Das wirklich neue an diesem Ritterorden war jedoch die Toleranz. Die Ritter waren verschiedener Nationalität und mussten im Heiligen Land zusammenstehen und zusammen kämpfen, was zur Verwischung der nationalen Eigenarten führen musste. Die Kleriker des Ordens studierten den Feind und dessen Kultur und Sprache, fungierten als Dolmetscher bei den zahlreichen Verhandlungen… Von daher rührt der Respekt der Templer gegenüber den Errungenschaften ihrer Feinde.« (Oslo, 1988, S.45)

Oslo sieht eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Templern und Freimaurern in der besonderen Initiation sowie in der Verwendung von Symbolen: «Der höchste Rang, der innere Kreis der Templer, war der geistliche Ritter.

Dieser wurde durch besondere Initiation (Einweihung) in den Kreis berufen. Jetzt war er würdig, sich in den Geheimzeichen der Kabbala auszukennen… Die Mitglieder dieses Kreises verständigten sich untereinander in bildhaften Symbolen, durch phonetische Wortspielereien und musikalische Harmonien.« (Ebd. 100)

1.3.5. Die Templer und der ‘Rachegrad’

»Die Geschichte der Tempelherren, des Tempelordens (1118 bis 1314) hatte im 18. Jahrhundert auf eine Reihe freimaurerischer Lehrarten starken Einfluss, obwohl auch zwischen Freimaurerei und Templertum kein direkter historischer Zusammenhang nachweisbar ist.» (Lerich, 1937, 41) Gross ist dieser Einfluss hauptsächlich in dem heute am weitesten verbreiteten schottischen Hochgradsystem.« An die Stelle Hiram Abifs, des Erbauers des salomonischen Tempels, dessen Ermordung in der Johannisfreimaurerei als rituelle Legende eine grosse Rolle spielt, tritt in den Areopagen, in den Werkstätten vom 19. bis zum 30. Grad, der letzte Templergroßmeister Jakob de Molay, der auf Befehl König Philipps des Schönen von Frankreich und Papst Clemens V. am 3. März 1314 am Scheiterhaufen den Tod fand… Die Hinrichtung des Molays findet in der Kulthandlung des 30. Grades, im Initiationsritus, eine realistische Darstellung. Der Lehrgehalt des Ritter Kadosch Grades symbolisiert den Untergang des Templertums durch die geistliche und weltliche Gewalt, an deren Stelle der Sieg der Gewissensfreiheit gesetzt wird.» (Ebd. S. 41) Im 30. Grad, der auch ‘Rachegrad’ genannt wird (siehe Kapitel 3), rächt sich also die Gewissensfreiheit, der Gedanke der Toleranz gewissermassen symbolisch an den dogmatischen kirchlichen und intoleranten weltlichen Autoritäten. (S. a. Kapitel 3)

Die freimaurerische Jugendorganisation trägt den Namen des letzten Großmeisters der Templer, den wir auch als ‘freimaurerischen Märtyrer’ bezeichnen können. Der ‘De Molay Orden’ ist »den Vierzehn  bis Einundzwanzigjährigen vorbehalten«. »Die Aufgabe des Ordens ist die Heranbildung einer zukünftigen Elite der Freimaurerei.» (Mellor,1985, 91)

1.3.6. Vergleich

Ein kurzer Vergleich zeigt wiederum wesentliche Unterschiede zur Lehre Christi. Während die Freimaurer jede Art von Wissen bewahren und pflegen wollen, unterscheidet die Bibel zwischen Wissen, das von oben und Wissen, das von unten inspiriert ist. Gerade die Öffnung des Menschen für das ‘Wissen von unten’ hat zur Trennung von Gott geführt. Die ‘hermetischen’ Künste sind höchst gefährlich und dem biblischen Gott ein Greuel. In der Heiligung soll ein Christ lernen, sich davon zu distanzieren, bewusst und entschieden ‘nein danke’ zu diesem Erkenntnisangebot zu sagen. Aus bib¬lischer Sicht kann zudem der Mensch niemals aus eigener Anstrengung Vollkommenheit erreichen. Er ist stets auf die Gnade Gottes angewiesen und erreicht Vollkommenheit niemals allein, sondern erst in der Gemeinschaft Christi und seiner Gemeinde. Christus gleicht unsere Schwächen aus, und unsere relativen Stärken werden erst durch die Kommunikation und Kooperation fruchtbringend. Das Heilswissen Christi wird nicht gehütet und selektiv weitergegeben, sondern soll möglichst in aller Öffentlichkeit aller Welt verkündigt, vervielfältigt werden. Christen sollten sich zudem natürlich der Rache enthalten. Sie steht allein Gott zu.

1.4. Geheimgesellschaften und Mysterienbünde

»Die Freimaurerei versteht sich als geistiges Erbe der antiken Mysterientdünde.» (Valmy, S. 19) «Aus Brauchtum und Werklehren der Freimaurerei geht … mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit hervor, dass diese ihre Hauptimpulse aus den Mysterienschulen vor allem ägyptischer und griechischer Prägung bezog.« (Von Ins, S. 29) »Der Freimaurerbund ist der einzige echte Mysterienbund, der in der Gegenwart noch lebendig ist.« (Schenkel, S. 65) Ebenso äussert sich Spitzbarth und er meint, dass es gerade diese Komponente der Freimaurerei sei, «der wir ihre Anziehungskraft zuschreiben dürfen». Nach Schenkel versucht die Freimaurerei, einen humanistischen Inhalt mit Formen der alten Mysterien zu vermitteln: «Das Eigentümlichste an diesem Bund ist, dass er in seinen Formen ein Mysterienbund ist, seinem Inhalt nach aber ein reiner Humanitätsbund.« (Ebd. S. 63) Welches sind die wesentlichen Merkmale der von den antiken Mysterien übernommenen Formen? »Die Bestandteile dieser Mysterienform sind neben dem Geheimnis des Bundes der Initiationsritus, die Wanderungen, die mit den vier alten Elementen der Erde, des Wassers, des Feuers und der Luft in Berührung bringen und durch Furcht und Hoffnung zum Licht führen, die stufenweise Erleuchtung, die teilweise Entkleidung und kultische Bekleidung, die Reinheit, der Spiegel. die Bruderschaft, das kultische Mahl, Tod und Auferstehung. Ich führe ,iier nur diejenigen Punkte an, die so gut wie in allen Logen der Welt vorhanden sind. Sie könnten ergänzt werden durch weitere zahlreiche Einzelheiten aus verschiedenen Systemen der Vergangenheit und der Gegenwart.« (Ebd. S.71f.) Im folgenden sollen die wichtigsten Bestandteile kurz beleuchtet werden.

 

1.4.1. Geheimhaltung und Abgeschlossenheit

Wir haben gesehen, dass die Freimaurerei sich heute nicht mehr als eine ,geheime’ sondern nur noch als eine ‘geschlossene’ Gesellschaft versteht. (Valmy) Dennoch spielt die Geheimhaltung eine wichtige Rolle, und Geheimgesellschaften verschiedenster Art haben die Freimaurerei be¬einflusst, am meisten wohl die Rosenkreuzer. Zudem mag der Erfolg der Freimaurerei dazu beigetragen haben, dass gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts Geheimgesellschaften in Europa Mode wurden. Im folgenden soll auf den Aspekt der Geheimgesellschaften nicht näher eingegangen werden, denn in ihnen verschwimmen die Grenzen zwischen Ernst und Spiel, zwischen Wirklichkeit und Täuschung, Verkleidung, Schwindel. Im Werk von Kaltenbrunner sind verschiedene Beiträge zur Geschichte der (wirklichen und erdichteten) Geheimgesellschaften enthalten. Es enthält zudem eine »Zusammenstellung einer Bibliographie über Geheimbünde».

»Das charakteristische Kennzeichen des Mysterienkultes ist das Geheimnis, in das derselbe gehüllt ist… Es ist gerade das kultische Element, dem der Charakter des Geheimen eignet.» (Schenkel) «Nicht der Inhalt, sondern die Symbole und rituellen Formen seiner Darstellung sind geheim. Gerade das ist typisch für die Mysterienform.« (Ebd. 74) »Der Verschwiegenheit unterliegen die Erkennungszeichen, das Ritual der einzelnen Grade und bis zu einem gewissen Grad die Namen der Mitglieder.» (Ebd. 73) Die Geheimhaltung gilt nicht nur gegen aussen, sondern auch gegen innen: Die unteren Grade sollen (noch) nicht wissen, was die oberen tun: »Diese Verschwiegenheit wird auch innerhalb des Bundes selbst geübt, insofern es verboten ist, Erkennungszeichen und Ritual höherer Grade den Brüdern niederer Grade mitzuteilen.» (Ebd. 76) »Die Geheimhaltung gibt dem Bunde auch das Gefühl einer viel stärkeren Gemeinschaft und brüderlichen Verbundenheit.« (Ebd. 74) Wir haben gesehen, dass heute viele Informationen über Symbole, Rituale, Erkennungszeichen usw. der Freimaurerei in Wort und Bild öffentlich zugänglich sind. Damit ist aber das ‘Geheimnis’ nach freimaurerischer Auffassung noch gar nicht gelüftet. Denn es sei gar nicht in Worten mitteilbar, sondern müsse von jedem persönlich erlebt werden. Der Zugang zu diesen freimaurerischen Erlebnissen untersteht nun allerdings strenger menschlicher Kontrolle. Schenkel spricht von einer ‘strengen Auswahl der Mitglieder’. «Die Freimaurerei wollte nie Massenbewegung sein.« (Ebd.75) Zudem finden die Veranstaltungen hinter verschlossenen Türen statt, und die Zutrittsberechtigung wird für jeden Grad überwacht. Das wird unter anderem damit begründet, «dass der Kultus, soll er wirklich ein höchstes Mass von Wirkung erzielen, der Abgeschlossenheit bedarf.« (Ebd. 75)

1.4.2. Kultische Handlungen, Riten und Symbole

Die Freimaurerei will die scheinbar allgemein menschliche’Sehnsucht nach einem echten Kult’ befriedigen. (Lagutt FM 1958, 132) «Es liegt im Wesen des Kultischen begründet, dass es den Menschen tiefer und stärker erfasst als beispielsweise das belehrende Wort… Der Kultus wendet sich in erster Linie nicht an das intellektuelle Verständnis, sondern an die Gemütskräfte… Es liegt im Wesen des Kultischen, dass es bindet.» (Ebd. 131) »Man darf nicht vergessen, dass in längst abgeklungenen Zeiten Riten und Kulte das Mittel bildeten, die Menschen zu führen.» (Ebd. 132)

Der Zweck von Kulten liegt nach Schenkel in der ‘Menschwerdung’ und in der ‘Gemeinschaft’. Auch er betont besonders das Gemeinschaftsfördernde: «Der Kultus ist von ganz ungeheurer Bedeutung für den Bestand menschlicher Kultur. Er ist das stärkste Gemeinschaftsband, fesselnder und umfassender als das Band gemeinsamen Blutes, gleicher Sprache, gleicher Wirtschaftsinteressen. Kultverbände überdauern nicht nur Jahrhunderte, sondern Jahrtausende.» Schenkel meint, dass es ohne Kult nicht gehe: »Auch der Mensch der Gegenwart braucht einen Kultus.» ‘Alles kultische Handeln’ ist nach Schenkel ‘Erleben und Handeln in Symbolen’. (S. 59) Das Wort wird also durch die Tat einerseits und durch das Erlebnis andererseits relativiert; Erlebnisse, Gefühle sind vorrangig, Worte sind zweitrangig.

Der freimaurerische Kult unterscheidet sich nicht nach der Form, wohl aber nach seinem Inhalt wesentlich von den antiken Mysterienkulten. »Die Mitglieder der antiken Mysterienbünde denken sich die Wirkung ihres Ritus mystisch vermittelt und magisch.« (Ebd. 81) »Die antiken Mysterien wollten Offenbarung, Erlösung und Unsterblichkeit vermitteln. Sie versprachen die Erkenntnis höherer Weiten, wie heute die Theosophie. Dem gegenüber will die Loge bei ihren Mitgliedern ethische Erkenntnis fördern.«, (Ebd. 80) Wir werden sehen, dass sich aber auch manche Freimaurer von ihren Kulten ‘höhere Erkenntnis’ erhoffen. Der Inhalt des kultischen Handelns sowie des ethischen Strebens der Freimaurer ist wesentlich durch den Humanismus, aber auch durch jüdisch christliche Tradition und Aufklärung geprägt.

Symbolische Handlungen (Riten) und Zeichen (Symbole im engeren Sinn) dienen im freimaurerischen Kultus, wie auch in den Mysterienkulten dazu, die gewünschte Erkenntnis zu vermitteln. »Seit altersher haben sich die Völker… der Rituale und Symbole bedient, um geistige Erkenntnisse erfahrbar zu machen, die durch das blosse Wort nicht vermittelt werden können« (Valmy). Die Quellen der freimaurerischen Symbolik liegen nun nicht nur in der Bauhüttentradition, sondern sie verwenden auch andere, uralte Symbole. Sie beschäftigen sich mit Studien zum Thema Symbolik und betreiben ‘vergleichenden Symbolismus’ (Mellor Wiss. 1985, 307, siehe auch von Ins, FM 1984, 78ff. ‘zur Frage nach den Quellen der freimaurerischen Symbolik’; Endres FM 1977) Kurz zusammengefasst schätzen die Freimaurer die Symbole aus den folgenden Gründen: Symbole dienen der Vermittlung von Erkenntnissen, von ‘Realitäten’ (Valmy FM 1988, 12, Lagutt FM 1958, 139).

– Symbole sind undogmatisch, antidogmatisch und lassen eine ‘freie’, individuelle Interpretation zu. (Valmy, S. 15, Schenkel, S.78)

 – Symbole sind vielfältig, vielseitig verwendbar und anschaulich. (Zendralli, S.13)

 – Symbole sind dauerhaft, unveränderlich, wiederholbar und reproduzierbar. (Imhof)

 – Symbole ermöglichen es, die Wirklichkeit so ‘ambivalent’ darzustellen, wie sie nach freimaurerischer Auffassung ist (Deiters, 140).

 – Symbole erlauben es, die gegenseitige Durchdringung und die Vereinigung von Gegensätzen aufzuzeigen. (Von Ins FM 1984, 78ff.) Kultus, Riten und Symbole ersetzen also die Sprache, sie schaffen und sind eingefügt in eine ‘aussersprachliche Ordnung’. (Ebd. 82) »Schau alle Wirkenskraft und Samen und tu nicht mehr in Worten kramen.» (Goethes Faust, 534)

1.4.3. Stufenweise Einweihung und ‘höhere’ Erkenntnis

Wie in den alten Mysterienbünden gibt es in der Freimaurerei Initiationsriten. Vor allem die Aufnahme in den Freimaurerbund sowie die ‘Erhebung’ zum Meister sind nicht nur in ihrer Form, sondern auch im Inhalt mit den alten Mysterien verwandt.

Die entsprechenden Rituale, die in Kapitel 3 kurz beschrieben sind, zeigen »Analogien bis in die Einzelheiten dessen, was uns von den Mysterien bekannt ist.« (Schenkel,1926, 84, s.a. Deiters,1963, 123ff.) In der ‘Tempelarbeit’ geht es vielen Freimaurern nicht nur um ethische, sondern auch um esotorische Belehrung und Erkenntnis. Esoterik gilt als ‘Kunst, die Dinge von innen zu sehen’ (Mellor,1985, S.308), und die Erkenntnisse werden nicht einfach von aussen herangetragen, sondern müssen auch selbst ‘erarbeitet’ werden: »Allo esoterischen Schulen sprechen davon, dass es höhere Bewusstseinsebenen gibt als jene zwei, die wir im gewöhnlichen Sprachgebrauch Schlaf und Wachsein nennen. Die mögliche Bekanntschaft mit höheren Stufen des Bewusstseins ist es, was wir Freimaurer Streben nach Vervollkommnung und Lichtsuche nennen. Licht, Tag, Sonne, Gold usw. sind in der Esoterik Symbole für ein mögliches neues Bewusstsein. Der Dämmerzustand des natürlichen Menschen, das sogenannte Wachsein, wird in der Regel durch den Mond dargestellt. So auch im Freimaurertempel. Was da im Osten über dem Meister vom Stuhl aufleuchtet, das Nachtgestirn des Mondes und die golden strahlende Sonne, sind in Wahrheit eine Offenbarung von erschütternder Grösse. Der Mensch, dargestellt durch den Meister vom Stuhl, kann aus dem Schlaf (Mond) erwachen und sich hinwenden zu neuen Bewußtseinsebenen, die in der Sonne gipfeln.   Doch dies muss gehört und wohlverstanden werden: Bewusstsein entsteht nicht automatisch wie eine Pflanze, wenn sie nur genug Licht, Luft, Wasser und Erde hat. Zunehmendes Bewusstsein ist von organisierter, zielgerichteter Arbeit an sich selbst abhängig.« (Hochreutener, 1981, S. 12) Freimaurer übernehmen also von den alten Mysterien auch den Glauben an ‘höhere’ Erkenntnis, die stufenweise Einweihung sowie einzelne Initiationsriten, fügen dem aber noch den Aspekt der ‘Arbeit an sich selbst’ hinzu.

1.4.4. Vergleich

Wiederum ergeben sich im Vergleich zur Lehre des biblischen Jesus Christus wesentliche Unterschiede: Seine Wahrheit soll nicht geheim gehalten, sondern aller Welt verkündet werden; seine Apostel und Jünger arbeiten und wirken nicht anonym, sondern treten trotz grösster Verfolgung offen und mit vollem Namen auf. Nicht ein Kult ist es, der die Christen verbindet, sondern Jesus Christus selbst. Selbst Schenkel schreibt, »dass Jesus dem Kultus nicht die geringste Rolle beilegt». (Ebd. 58) Er ersetzt jede Art von Kultus, denn er führt seine Gemeinde persönlich. Alle menschengemachte religiöse Anstrengung und kultische Handlung wird überflüssig. Sein Kommunikationsmittel ist in erster Linie das Wort, nicht das Symbol. Sein Wort versöhnt nicht die Gegensätze, sondern trennt Spreu und Weizen, Mark und Bein. Es ist nicht vieldeutig, sondern eindeutig. Es ist nicht beliebig reproduzierbar, sondern an die Person Jesu gebunden und ohne ihn und seinen Geist nicht verständlich. Nicht menschliche Anstrengung, sondern der Heilige Geist weiht uns schrittweise in die biblischen Wahrheiten ein. Die Bibel warnt uns ausdrücklich vor’höherer’ Erkenntnis und vor Leuten, die vorgeben, solche zu besitzen. Er ist das Licht, andere Leuchtkörper leuchten nur in seinem Schein, sind Irrlichter. Er lehrt uns, uns ausschliesslich auf unsere natürlichen Sinne zu verlassen. Was an ‘Übernatürlichem’ mit der Person, dem Leben und den Taten Jesu in Zusammenhang steht, ist einmalig, einzigartig und durch keine menschlichen Praktiken reproduzierbar.

1.5. Jüdische und christliche Tradition

Im letzten Abschnitt ging es um die geistigen Wurzeln der Form, in diesem und im nächsten Abschnitt geht es um die geistigen Wurzeln des Inhaltes der freimaurerischen ‘Tempelarbeit’.

»Was das Verhältnis zur Bibel, die auf dem Altar jedes Logentempels liegt, betrifft, so ist es ein Leichtes, nachzuweisen, dass fast alle Symbole, deren die Freimaurerei sich zur geistigen Förderung ihrer Mitglieder bedient, ihre Parallelen in der biblischen, zumal auch in der neutestamentlichen Überlieferung haben.« (Schenkel,150) »Bei Betrachtung der englischen Hochgrade fällt auf, dass sie sich immer wieder an die Bibel klammern, um die Freimaurerei zu rechtfertigen … Die Zeremonien der Hochgrade sind durch lange Gebete und Bibelzitate gekennzeichnet, deren Ausführlichkeit manchmal ermüdend ist.   Die Freimaurerei wurde schon in den blauen Graden mit der Geschichte des jüdischen Volkes als Hintergrunddekoration geschmückt. In den Ergänzungsgraden wird daraus eine Symbiose.« (Mellor, 387) Im folgenden soll wiederum derschottische Ritus etwas näher betrachtet werden, in dem die ‘blaue’ Johannismaurerei enthalten ist. (S. a. Kapitel 3)

Der Schottische Ritus will mit seinen verschiedenen Erkenntnisstufen symbolisch die geistige und kulturelle Entwicklung der Menschheit durchwandern. Seine 33 Grade, in welchen die drei Stufen der Johannis Freimaurerei, die des Lehrlings, Gesellen und Meisters mitgezählt sind, teilt er in drei Perioden, denen die grossen Kulturabschnitte der Menschheitsgeschichte, die jüdisch architektonische, die religiös christliche und die freiheitlich aufgeklärte Zeit entsprechen sollen.» (Lerich,1937, S.27)

 

1.5.1. Jüdische Tradition

«Die Werkstätten vom 4. bis zum 14. Grad, die sogenannten Perfektions- oder Vervollkommnungslogen, kennzeichnen zusammen mit den drei Graden der blauen Loge die jüdisch architektonische Periode, denn ihre Rituale wurzeln ausschliesslich in biblischen Überlieferungen, spielen im jüdischen Milieu des Alten Testamentes, und in ihrem Mittelpunkte stehen das Bausymbol des salomonischen Tempels und dessen Erbauer Hiram Abif.« Lerich, 1937, S. 7) Dabei ist der in der Bibel erwähnte Hiram von Tyrus (1. Kön. 7,13) nicht mit dem freimaurerischen Hiram Abif identisch. Die Herkunft der freimaurerischen Hiram Legende ist unbekannt. Nach Lagutt, S 46ff.) kennt die Sagenwelt der Juden die Tempellegende nicht, doch steht sie in einem engen inneren Zusammenhang zum jüdischen Mythos, der sich um Kain rankt. Hiram Abif soll ein Nachfahre Kains gewesen sein, und in der Legende wird, in Abweichung von der biblischen Darstellung, Kain und seine Nachkommenschaft sozusagen rehabilitiert.

Der Legende nach soll Hiram Abif von seinen Gesellen erschlagen worden und nach einer Reise ins Innere der Erde wieder auferweckt worden sein. Es geht hier also um eine symbolische Darstellung von Leben, Tod und Auferstehung   unabhängig von Jesus Christus. Lagutt zitiert den deutschen Philosophen und Freimaurer Friedrich Schlegel (1772-1829): »Der erschlagene Meister Hiram (hic Jesus est resurgens a mortuis = Hier ersteht Jesus von den Toten auf) ist aller Wahrscheinlichkeit nach der in den alten Mysterien bekannte und verehrte Todesgott des neuen Lebens Dionysos oder Osiris. Es ist Christus als Idee vor und außer dem Christentum.« Die jüdische Tradition dient also nur als Hintergrunddekoration zur Darstellung eines anderen Inhalts. Jüdisch kabbalistische Quellen haben aber nach von Ins  die freimaurerische Symbolik beeinflusst.

1.5.2. Christliche Tradition

Wir fahren fort mit den weiteren Stufen des schottischen Ritus: »Die Werkstätten des 15. bis 18. Grades sind die Kapitel Logen, deren Rituale die christlich religiöse Periode der Menschheitsgeschichte, die Zeit der Kreuzzüge versinnbildlichen.» (Lerich, S.32) In den ‘Kapiteln’ tritt die Innenarbeit in den Hintergrund, und die Hauptaktivitäten verlagern sich auf konkrete, hauptsächlich kulturpolitische Aktionen. (Ebd. 32f.) Der wichtigste, rituell bearbeitete Grad ist der 18., der ‘Ritter vom Rosenkreuz’, wobei historische Einflüsse der Rosenkreuzer nicht nachweisbar sind. (Ebd. S. 34). In der Initiation zu diesem Grad spielen viele christliche Motive eine Rolle, die aber umgedeutet werden. Die Buchstaben INRI erhalten «eine zweite Bedeutung, nämlich ‘Igne natura renovatur integra’ (Durch das Feuer erneuert sich die Natur zur Gänze).« (Mellor, 1985 400, s.a. Lerich obd. 35). Das ‘Symbol der Aufopferung bis zum Letzten’ ist ein goldener Pelikan, «der sich mit seinem Schnabel die Brust aufreißt, um mit seinem Herzblut die hungernden Jungen zu nähren«. (Lerich, ebd. 35) Ein Bruder legt einem anderen symbolisch ein Kreuz auf, und schließlich wird mit einem Kelch Wein, einer Schüssel mit Brot und einer ‘schwelenden Räucherpfanne’ eine Art Abendmahl gefeiert. (Ebd. S. 35f.) »Das Zeichen des Grades ist dasjenige des ‘Guten Hirten’ und das Kennwort ’Emmanuel’« (Mellor). »Die Ritter vom Rosenkreuz erhalten lange, übermannshohe Stöcke, die Stäbe des ‘guten Hirten’«, und am Schluss des Rituals wird ihnen erklärt, »dass die Rosenkreuzer die guten Hirten des Volkes sein wollen, die Kämpfer für die Freiheit der Völker und deren Versöhnung untereinander. Die Johannisfreimaurerei schlage Brücken von Mensch zu Mensch, die Hochgradfreimaurer des 18. Grades Brücken Volk zu Volk« (Lerich ). »Dieser Kult ist das Agape, das Liebesmahl der Kapitelbrüder, die freimaurerische Wiedergabe des christlichen Abendmahles. In seiner Zeremonie haben die christlich religiösen Kapitelrituale ihren Höhepunkt erreicht.« (Ebd. 36)

In Schweden besteht eine besondere, ‘christlich’ genannte Lehrart der Freimaurerei, in der Christus als ‘oberster Meister’ verehrt wird. Sie ist innerhalb der Freimaurerei umstritten (z.B. Schiffmann, 1883) und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden. Eingehend hat sich der dänische Kirchengeschichtsprofessor Nielsen (1882 und 1883) damit auseinander gesetzt. Vom biblischen Christentum unterscheidet sie sich nach seiner Auffassung grundlegend.

1.5.3. Vergleich

Die Legenden und Handlungen der Johannismaurerei wie auch der schottischen Hochgradfreimaurerei erwecken den Eindruck, als beruhten sie auf jüdisch christlichen Traditionen, als habe ihr Inhalt etwas mit dem Geist der Bibel zu tun. Dieser Eindruck ist meines Erachtens falsch, wenn sich auch die meisten Freimaurer selbst als ‘gute Christen’ bezeichnen mögen. Mellor schreibt dazu: «Bei der Lektüre der alten Schottischen Rituale kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eben dieser Grad voll christlicher Emotionen ist. Ohne Zweifel haben die Ritter vom Rosenkreuz in ihrer Mehrheit ihn immer so aufgefasst, jedoch ist dieses Christentum nicht mehr das der Kirche… Im 18. Jahrhundert wurde eine Schicht Christlichkeit darüber gestrichen, ähnlich wie ein Bild übermalt wird« (S.399). Die echte Heilige Schrift wird hier unentwirrbar mit einem von Menschen erfundenen Ritual verflochten und das Wort Gottes … an Legenden geknüpft. Es hat allerdings nicht den Anschein, dass dieser Cocktail den anglikanischen Episkopat oder die zahllosen Geistlichen, welche das Kaplanamt der Logen innehaben, abgeschreckt oder gar am Beitritt gehindert hat. Diese predigen sonntags das Wort der Heiligen Schrift von der Kanzel und zelebrieren wochentags das Ritual in der Loge, indem sie die Heilige Schrift zu Erzählungen verwandeln« (S. 388).

Gehen wir wiederum davon aus, dass der Absolutheitsanspruch von Jesus Christus, wie er in der Bibel bezeugt wird, gerechtfertigt ist, so lässt sich folgendes sagen: In den Tempeln der Freimaurer dienen biblische Erzählungen und christliche Geschichte als Kulisse für einen Inhalt, in dem nicht der biblische Jesus Christus die Hauptrolle spielt. Christus wird vielmehr die Einzigartigkeit, die Einmaligkeit, die Absolutheit genommen. Er wird sozusagen entmachtet und mit seinem ganzen Leben relativiert, vermenschlicht. Die wichtigen Ereignisse seines Lebens werden zu allgemeinmenschlichen Erlebnissen gemacht, die durch Menschen wiederholt und reproduziert werden können. Die freimaurerischen Motive haben zwar vielfach ihre biblischen Parallelen, sie sind der Bibel entnommen, doch Christus ist nicht mehr das Zentrum allen Geschehens. In den Gebeten der Freimaurer wird niemals Christus angesprochen (s.z.B. die in Schenkel veröffentlichten freimaurerischen Gebete, S.151). Die Auferstehung erscheint als eine urmenschliche, vorchristliche Idee; Golgatha wird zu einem Mythos. Auch gewöhnliche Menschen können ihr Leben für andere hingeben, jeder ‘Ritter vom Rosenkreuz’ darf sich als ‘guter Hirte’ fühlen. Während in der Bibel die Führer, Erlöser  und Herrscherrolle allein Christus zukommt, versucht in der Freimaurerei der Mensch, alle diese Rollen selbst zu übernehmen. Menschen und Völker regieren, versöhnen und verbinden sich selbst; das Abendmahl findet ohne Christus statt. Die Freimaurerei relativiert die jüdische und die christliche Tradition selbst, indem sie diesen ‘Etappen der Menschheitsentwicklung’ eine ‘höhere’ Stufe folgen lässt: In der ‘freiheitlich aufgeklärten’ Zeit sind diese Traditionen offenbar überwunden. Der Inhalt, der Gehalt des freimaurerischen Lehrgebäudes ist weder jüdisch noch christlich. In der Freimaurerei finden wir also nur eine Schein Christlichkeit. Das Christliche dient als Lieferant von Motiven sowie als Kulisse.

1.6. Humanismus und Aufklärung

»Im Mittelpunkt unseres Denkens steht der Mensch.« (Zendralli, S. 10) Die Freimaurerei versteht sich als ‘Weltbruderschaft der wahrhaft Aufgeklärten’. (Im Hof, S. 167)

1. 6. 1. Humanismus

Die Ideale der Freimaurerei entstammen dem Humanismus und der Aufklärung. Die Lehrinhalte sind auch bei jüdischer und christlicher Kulisse humanistisch aufklärerisch. »Es ist die Meinung der Maurerei der ganzen Welt, ein Kultus der Humanität zu sein.« (Schenkel, S.93) Über die humanistischen Wurzeln und das ‘Humanitätsideal der Freimaurerei’ finden sich interessante Ausführungen bei Schenkel und Oslo). In dieser Arbeit sollen die Anliegen und die Ideale der Freimaurer in Kapitel 2 dargestellt werden.

Im Hof zeigt Verbindungen der Freimaurerei zur humanistischen ‘Sozietäts  oder Gesellschaftsbewegung’ auf, besonders auch zur ‘Akademiebewegung’ mit ihrem Doppelaspekt humanistischer Gelehrsamkeit und humanistischer Geselligkeit. »Die Freimaurer sind … Meister eines neuen festlichen Stils geworden« S. 11). (Die französischsprechenden Brüder nennen die Loge augenzwinkernd ‘une église avec un restaurant’ = Eine Kirche mit einem Restaurant (Hochreutener).

1.6.2. Aufklärung

«Die Freimaurerei entsteht in einer besonderen Krisensituation Europas. Sie ist Ausdruck der frühaufklärerischen Reaktion auf Orthodoxie und Absolutismus.« (Im Hof 1984, S. 10) »Im 18. Jahrhundert versammelten sich in den Logen die fortschrittlichsten Geister ihrer Zeit: Lessing, Goethe. Herder, Fichte   fast die ganze Prominenz der Aufklärung findet man in den alten Mitgliederverzeichnissen aufgelistet. Offenbar waren die Logenhäuser der einzige Ort, wo Oppositionelle sicher sein konnten vor dem Zugriff absolutistischer Staats  und Kirchenmacht. Bei solchen Zusammenkünften genossen Andersdenkende gleichsam diplomatische Immunität.

Draußen geltende Standesprivilegien waren in den Logen eingeebnet, Meinungs  und Gedankenfreiheit Teil des Vereinsstatuts. Nur unter diesen Voraussetzungen konnten die Gedanken der Aufklärung formuliert werden.« (Rohländer GEO 1988) Zum Thema ‘Freimaurerei und Aufklärung’ äußert sich auch Binder. In der Freimaurerei ist das Rationale und das untergründig Mystische der Aufklärung vereinigt. Die ‘wirklich’ Aufgeklärten sind nicht nur Rationalisten. Sie wissen. »Vertreibt das Mystische, es kommt im Galopp zurück«. (Im Hof, S. 168)

Die Ideen der Aufklärung werden in den obersten Graden des schottischen Ritus gelehrt. »Mit der Aufnahme in das Atelier des 19. Grades beginnt für den Hochgradfreimaurer der Weg zur ‘vollen Einweihung’, die sich im 30. Grad vollzieht. Die maurerischen Werkstätten vom 19. bis zum 30. Grad heißen Areopage, benannt nach dem altgriechischen Gerichtshof zu Athen. Sie bilden zusammen die dritte Periode der Erkenntnisstufen des Schottischen Ritus, der in der Menschheitsgeschichte das Zeitalter der Aufklärung und Gewissensfreiheit und die Zukunft der Menschheit, die durch den Sieg der Freimaurerei beherrscht werden soll, entsprechen.» (Lerich, 1937, S. 36) Der 19. Grad «lehrt den Kampf gegen ‘Unwissenheit’, ‘Aberglaube’, ‘Dogmatik’ und ‘Fanatismus’ in jeder Form« (Ebd. S. 37). In den nächsten Graden geht es darum, für eine ‘gelenkte Volksherrschaft’ einzustehen. Die ‘Despotie der Massen’, die auf eine völlige Anarchie hinausläuft, wird verworfen. Dabei gilt es, ‘die Volksrechte zu erkennen und nach aussen hin zu vertreten’. Die einzelnen Religionen sind zu überwinden, die in allen Religionen enthaltenen Wahrheiten sollen in einer ‘Überreligion’ zusammengefasst werden. Die obersten Grade schließlich wollen alle Stadien der religiösen Zweifel hinter sich gelassen haben und auf der Stufe einer über alle Dogmatik und ‘Vorurteile’ erhabenen Ethik und Weltanschauung stehen. (Ebd. 37) Im Aufnahmeritual in den 30. Grad (‘Rachegrad’) muss der Aufnahmebewerber drei »symbolische Degenstiche führen: Gegen die Tiara (Dreifache Papstkrone) als Sinnbild des Papsttums und überhaupt der geistlichen Gewalt, gegen die Königskrone als Sinnbild jeder weltlichen Macht und gegen eine dritte Krone, die Bürgerkrone, als Sinnbild der Despotie der Massen und Willkür überhaupt!» (S. 42) Zudem muss er die drei Säulen der Maurerei (Weisheit, Stärke, Schönheit) »mit eigener Hand umstürzen! Die Worte des Rituals deuten diesen Akt dahin, dass der nunmehr in die letzten Geheimnisse der Loge eingeweihte Ritter Kadosch  die völlige Vorurteilslosigkeit erlangt habe, die unbedingte geistige Freiheit.» (S. 42)

1.6.3. Vergleich

Auf die freimaurerischen Ideale wird im nächsten Kapitel näher eingegangen. Ihre Beurteilung aus der Sicht Christi erfolgt in Kapitel 7. Die humanistische, völlig menschenzentrierte Sicht ist diejenige des ‘alten Menschen’ der Bibel, desjenigen, der (noch) nicht erkannt und angenommen hat, dass Christus der oberste Machthaber aller Himmel und aller Welten ist.

Die Freimaurer lehnen jeden Absolutheitsanspruch von Kirche, Staat, Massen oder einzelnen Personen ab, denn es gibt aus ihrer rein menschlichen Sicht keine absolute Wahrheit. Die obigen Ausführungen zeigen, dass diese Auffassung nun (nicht nur gegen innen, sondern auch gegen aussen) mit einer Energie und einer Verbissenheit vertreten wird, die darauf schliessen lassen, dass sich dahinter ihrerseits ein Absolutheitsanspruch verbirgt: die Auffassung nämlich, dass es keine absolute Gewissheit gibt. Demgegenüber gibt es nach unserer Auffassung nur einen einzigen Menschen, der von sich zu Recht sagen konnte: »Ich bin die Wahrheit!«, Jesus Christus, der Sohn Gottes.

1.7. Reformation und Protestantismus

Nach Schenkel besteht eine enge wesenhafte und schicksalhafte Verbundenheit von Freimaurerei und Protestantismus. Während in der Öffentlichkeit und in den protestantischen Kirchen dies kaum empfunden werde, sei das Bewusstsein um diese Zusammenhänge stark lebendig in der deutschen Freimaurerei selbst, aber auch, was besonders bezeichnend ist, bei dem grossen gemeinsamen Gegner beider, bei der römisch-katholischen Kirche. Konservative Katholiken sehen in der Freimaurerei eine Waffe des Protestantismus, um ihre Kirche zu zerstören. Für sie ist klar: Ohne 1517 kein 1717! »In einem protestantischen Lande wurde sie geboren, und die meisten Logen finden sich in protestantischen Ländern. Protestantischer Geist zeigt sich in der Freimaurerei nicht nur bei protestantischen, sondern auch bei anderen Völkern. Er durchdringt das Kulturleben aller Staaten.« (Schenkel, S. 4) Welches ist nun die schicksalhafte, welches die wesenhafte Verbundenheit zwischen Freimaurerei und Protestantismus?

1.7.1. Reformation

Auf die konkreten historischen Zusammenhänge zwischen Reformation und Freimaurerei geht Oslo ausführlich ein. Dabei behandelt er auch die Vorläufer der Reformatoren: die Katharer, die Waldenser, John Wycliffe, Jan Hus u.a.m. An dieser Stelle können nur einige Aspekte herausgegriffen werden. Der schottische Reformator John Knox habe, im Gegensatz zu anderen Reformatoren, das Recht auf ‘bewaffneten Widerstand’ einem Herrscher gegenüber gefordert, ‘der die Sicherheit der wahren Religion bedrohte’. (Ebd. S. 95) Zudem: »Der Protestantismus bot dem Adel und den Gutsbesitzern von Schottland nicht nur eine geistlich lebendige Kirche mit Laienbeteiligung, sondern auch die Möglichkeit, das belohnte Kirchengut nicht mehr zurückgeben zu müssen. So wurden in kürzester Zeit Hunderte von Klöstern überfallen, geplündert und aufgelöst. Die Folge war, dass Tausende von Mönchen zu Flüchtlingen und Vertriebenen wurden, ohne Obidienz im Lande, womit wir bei der Geburt der Freimaurerei angelangt sind.« (Ebd. S. 99) Die Mönche waren im Besitz des nötigen Wissens und Könnens. Dazu kommt nach Oslo eine ‘dynastiepolitische Komponente’: »Die Geschichte der Freimaurerei ist mit den Stuarts in England eng verknüpft.« (Ebd. S. 104)

Zusammengefasst: »Die Entstehung bzw. Entwicklung der Freimaurerei beruht auf drei wesentlichen Komponenten: die geheimwissenschaftliche, die religiös-politische und die dynastiepolitische. Wir haben gesehen, dass die Auflösung der Klöster in Schottland ab August 1560 die Hermetischen Künste und die Königliche Kunst mit dem Kreis der Auserwählten, die sie pflegten, in die Korporationen und Logen des Bauhandwerks trieb. Der religiöspolitische Aspekt hing zwar mit dem Kampf der Reformation gegen die etablierte Lehre der christlichen Kirche zusammen, doch erst im Laufe des 17. Jahrhunderts spielte er für die Freimaurerei eine entscheidende Rolle. Hingegen sind die Verhältnisse um das Haus Stuart bis 1813 aus dem Orden nicht wegzudenken. Seit 1688 wurde die Loge zum geheimen Treffpunkt der Anhänger des abgesetzten Stuart Königs« (Ebd. S. 121). Man kann also nicht sagen, dass die Freimaurerei eine notwendige oder gar beabsichtigte Folge der Reformation war. Durch die Reformation wurden aber Kräfte frei, die zusammen mit geeigneten religiöspolitischen und dynastiepolitischen Voraussetzungen schließlich zur Begründung der Freimaurerei führten. Dazu kommt, dass die Glaubenskriege im Zuge der Reformation ein tiefes Bedürfnis nach wirklich gelebter Liebe, nach Friede und Toleranz weckten. Zusammen mit der Aufhebung des Ediktes von Nantes (1685) erschütterten diese Kriege das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der weltlichen und kirchlichen Instanzen. Nicht das Christentum, sondern eine gewisse Verzweiflung am damals gelebten Christentum hat die Gründung der Freimaurerei begünstigt.

1.7.2. Protestantismus

Bei den in dieser Arbeit berücksichtigten Autoren herrscht weitgehend Übereinstimmung in der Auffassung, dass die in der Freimaurerei zentralen Ideen der Glaubens  und Gewissensfreiheit sowie der Toleranz ihren Ursprung im Protestantismus haben. (Boller, S. 42, Oslo, S. 65, Schenkel, S.6) Das Anliegen, die menschliche Subjektivität und Individualität zu befreien, zu würdigen und zu fördern, ist Protestantismus und Freimaurerei gemeinsam und nach Schenkel (Ebd. 6f.) der katholischen Kirche suspekt: «In Rom weiss man, dass Protestantismus und Freimaurerei im letzten Grund der gleichen geistigen Quelle entspringen, nämlich dem freien Gewissen und der frommen Innerlichkeit der selbständigen Persönlichkeit. Beiden gemeinsam ist die Tendenz der Ethisierung in der Säkularisation weiter Lebensgebiete, und beide sind in jenem höchsten Sinne liberal, dass sie der Gewissensentscheidung, welcher sich der Gehorsam gegen die unmittelbar erlebte höchste Wirklichkeit kundgibt, Lebensrecht einräumen.«

Eine weitgehende geistige Einheit und auch praktische gegenseitige Durchdringung, auf die wir noch zu sprechen kommen, besteht nun aber nur zwischen liberalem Protestantismus und Freimaurerei. »Dagegen wird die Freimaurerei in den pietistischen und orthodoxen Kreisen bekämpft.« (Ebd. 34) Besonders die anglikanische Kirche wurde zum Nährboden für die Freimaurerei: «Die anglikanische Kirche hatte eine Theologie der Toleranz mit Akzentverlegung auf die christliche Tat der Nächstenliebe entwickelt. In dieser Atmosphäre bot die Freimaurerei eine neue Art von Gemeinschaft an.» (Im Hof, 1984, S. 10) Der liberale Protestantismus birgt nach Schenkel in sich die Gefahr der Vereinzelung, der Vereinsamung. Gegen diese ‘innere Not’ des liberalen Protestanten bietet sich nun die Freimaurerei als feste Gemeinschaft an. (Ebd. S. 11) «In dieser Verknüpfung von Liberalismus mit einem Geistesleben und Zusammengehörigkeitsbewusstsein, wie es der heutige protestantische Mensch sonst nirgends kennt, liegt die soziologische Bedeutung der Freimaurerei aber auch ihre religionsgeschichtliche Vorbildlichkeit.» (Ebd.)10

 

2. Anliegen und Ideale

Der folgende Überblick über die Anliegen und Ideale der Freimaurer soll kurz gehalten werden, denn sie sind wohl allgemein bekannt. Zudem werden sie in der Literatur ausführlich behandelt. Die Anliegen und Ideale sind das Vordergründige, das auf den Fahnen geschrieben steht; mit ihnen wird um Vertrauen und Sympathie geworben. Darum soll in diesem Kapitel auch kurz auf die Beitrittsmotive eingegangen werden. Die Beurteilung der Ideale und ihrer Verwirklichung erfolgt in Kapitel 7.

2.1. Friede auf Erden

Die Freimaurerei entstand nach den Konfessionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa. Jedermann sehnte sich nach Frieden. Viele trauten es den Christen nicht mehr zu, den versprochenen ‘Frieden auf Erden’ herzustellen, und auch das Vertrauen in den ‘Friedefürst’ Jesus Christus war offenbar in weiten Kreisen der Bevölkerung geschwunden. In dieser Situation lag es nahe, dass sich vernünftige Männer zusammenschlossen und die Herrschenden der Welt dafür zu gewinnen suchten, den Frieden auf Erden herzustellen. Der Friede ist die Voraussetzung für die Verwirklichung des Hauptanliegens der Freimaurerei: das ‘Reich Gottes auf Erden’ (Seydel, 1862, S. 24). Friede ist auch notwendig dafür, dass die Wirtschaft gedeihen kann, dass durch internationale Arbeitsteilung der Wohlstand aller wachsen kann und auch, dass ein ‘Aufbau’ in den gesellschaftlichen Bereichen erfolgen kann. Unter den Konfessionskriegen hatte nicht zuletzt auch das Baugewerbe, der Stein  und Sakralbau, gelitten.

2.2. Humanität, Toleranz, Brüderlichkeit

Der Friede auf Erden soll erreicht werden durch die Relativierung der Absolutheitsansprüche der Religionen und Konfessionen. In der ‘Ringparabel’ von Lessings ‘Nathan der Weise’ wird das auf eindrückliche aber auch aufschlussreiche Art und Weise dargestellt. Anstelle Menschen trennender Religionen, Konfessionen, Stände, Nationen, Rassen, Klassen usw. tritt die ‘Menschheit’ als Objekt der Verehrung und Grundlage der Orientierung. »Das Wesen der Freimaurerei ist nichts anderes als das Wesen der Menschheit selbst.« (Böni, 1954) Herder bezeichnet die Freimaurerei als ‘Auge und Herz der Menschheit’. (zit. in Imhof, 1944, S.,294)

»Die weltweite Devise ‘Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’, die zuerst in französischen Freimaurerlogen geprägt wurde, ist das unmittelbare politische Destillat aus der ethischen Grundsatzformel ‘Humanität, Toleranz, Brüderlichkeit’.» (Valmy, 1988, S, 10) Zur Humanität: «Für den Freimaurer bedeutet Humanität schlicht die Lehre und das Streben nach menschlicher Würde. Der nach den freimaurerischen Ritualen stattfindende symbolische Bau des Tempels der Humanität soll in jedem Beteiligten dessen beste Anlagen und Kräfte erwecken, veredeln und vervollkommnen, um diese in der Bewährung des Alltags bei der Begegnung mit seinen Mitmenschen anzuwenden. Dies bedeutet Achtung von allen Menschen, unabhängig von Geburt, Stand, Konfession, Nationalität und Hautfarbe; bedingungslose Anerkennung der Menschenrechte, als da sind: das Recht auf persönliche Freiheit und auf Eigentum, Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit und auch das Recht, sich notfalls persönlich für die Durchsetzung dieser Forderungen engagieren zu können.« (Valmy,1988, S. 10). Zur Toleranz. »Die zweite Maxime ‘Toleranz’ stellt sich gleichfalls gegen ein mittelalterliches Schattenbild, als der Mensch, dogmen  und religionsmüde, gegen Fanatismus und Absolutismus weltlicher und geistlicher Herrschaft aufzubegehren begann… Das Geltenlassen fremder Anschauungen und Überzeugungen, Sitten und Gewohnheiten sollte längst zur Grundhaltung eines kultivierten Menschen gehören als Zeichen für Selbstvertrauen und Weltoffenheit eines gefestigten Charakters, der auch für den Verfechter gegensätzlicher Meinungen ein offenes Ohr behält… Das unermüdliche Bemühen, Intoleranz abzubauen, bleibt eines der vornehmsten Ziele der Maurerei.» (S.10) Zur Brüderlichkeit: »Wenigstens im Logenleben versucht man dem Ruf nach Brüderlichkeit gerecht zu werden; der schwerste Vorwurf, den Freimaurer gegeneinander erheben können, ist unbrüderliches Verhalten und Handeln. Brüderlichkeit vermittelt ihnen dieses stärkende Bewusstsein, in eine internationale Kette Gleichgesinnter integriert zu sein, in allen Ländern der freien Welt, wo sie eine Loge besuchen, wozu jeder von ihnen ein Recht hat, als willkommener Gast aufgenommen zu werden und in eventuellen Notlagen Hilfe zu erfahren. Dieses Bestreben brüderlicher Gesinnung ist universell und nicht nur auf den internen Kreis der Logenmitglieder beschränkt, es bezieht sich auch auf die profane Öffentlichkeit, ohne sich aufdrängen zu wollen. Bewusst unauffällig praktiziert, lebt es in der Spendenfreudigkeit für karitative Zwecke.« (Ebd. S. 11)

2.3. Erziehung des Menschengeschlechts

Weil der Mensch offenbar nicht immer von Natur aus den Idealen gemäß handelt, wird die ‘Erziehung des Menschengeschlechts’ (Lessing) zu einem vordringlichen Anliegen. »Die Freimaurerei will einen neuen, einen besseren Menschen schaffen, doch das wollen die Religionen auch. Das Ergebnis ist am Verlauf der Weltgeschichte abzulesen.» (Valmy FM 1988 7) Die Freimaurer wollen es besser machen als die Religionen, und zwar hauptsächlich durch a) ‘Selbsterziehung’, ‘Selbstvervollkommnung’, ‘Selbstverwirklichung’ und b) durch die ‘Übung und Förderung des sittlichen Lebens’. (Schiffmann, 1883)

2.3.1. Selbsterkenntnis und Selbsterziehung

»Zutiefst ist die Freimaurerei eine Kunst. Ihr Ziel ist die Ausreifung des einzelnen Bundesgliedes zur harmonischen, sittlichen Persönlichkeit«. (Böni, 1954, S. 9) Und nun die Freimaurerei, was will sie?   Uns zum wahren Menschen, wie er sein soll, erziehen. Unabhängig von jedem Religionsbekenntnis, wobei sie jedoch jedes achtet. Der flammende Stern im Osten, als Symbol des allmächtigen Baumeisters aller Welten, gibt die Blickrichtung; die drei grossen Lichter zeigen den Weg: Notwendigkeit der göttlichen Führung, Rechtschaffenheit, Aufrichtigkeit und Pflichterfüllung. Maßhalten und weit gespannte, alles umfassende Liebe. Unermüdliches Arbeiten am rohen Stein, unermüdliches Emporschreiten, trotz aller Rückschritte, Freisein von jeder Leidenschaft und Sucht, offenes Herz und offene Hand für jede Not, Selbsterkenntnis und Selbsterziehung und Verlässlichkeit bis in den Tod. Das sind kurz gefasst die Lehren und Bestrebungen der Freimaurerei.» (Bender, 1942, S. 217)

2.3.2. ‘Übung und Förderung des sittlichen Lebens’:

Nach englischer Definition ist die Freimaurerei ein besonderes, in Allegorien gekleidetes und durch Symbole dargestelltes Moralsystem.« (v. Merhart zit. in von Ins, 1874, S. 29).  Schiffmann, S. 47) bezeichnet die ‘Übung und Förderung des sittlichen Lebens’ als die ‘einzige Aufgabe’ des Ordens. Dies soll nun nicht durch die Freimaurerei als Organisation oder Institution geschehen, sondern durch das Wirken jedes einzelnen Freimaurers in seinem persönlichen Alltag. Wir werden sehen, dass auch durch diese Methode durchaus wesentlicher Einfluss ausgeübt werden konnte und werden kann.

2.4. Weitere Ideale und Anliegen

Es könnten an dieser Stelle viele weitere freimaurerische Ideale genannt werden, die mit obigen in Zusammenhang stehen. Die Orientierung und Ausrichtung nach Idealen birgt meines Erachtens die Gefahr einer besonderen Art von Vielgötterei. In den Tempeln symbolisieren drei Säulen die Ideale Weisheit, Schönheit und Kraft oder Stärke. Das Bild einer Leiter mit drei Sprossen soll an Glaube, Liebe, Hoffnung erinnern. (Lurker, 1984, S. 200) Die zwei Säulen ‘Jachin’ und’ Boas’ werden auch als Sinnbild für die Beständigkeit der freimaurerischen Lehre oder auch als Grundpfeiler der Humanität (Gerechtigkeit und Wohlwollen) ausgelegt. (Ebd. S. 201) Der Schlüssel gilt als Symbol der Verschwiegenheit, der Schurz ist ein Zeichen der Unschuld. Das Senkblei soll auf Geradheit und Wahrhaftigkeit hinweisen. Das Winkelmass ist Symbol der Gewissenhaftigkeit, der Zirkel soll allumfassende Menschenliebe versinnbildlichen. (Ebd. S. 200) Nach Schenkel befriedigt die Freimaurerei neben dem Bedürfnis nach Gemeinschaft vor allem auch das ‘Bedürfnis nach kultischem Erleben und Handeln’. Sie vermittle religiöse Erlebnisse ohne Priester und Dogma.

2.5. Beitrittsmotive

Freimaurer selbst kennen von der Freimaurerei oft nicht viel mehr als die erwähnten Anliegen und Ideale. Sie sind denn auch nach Schenkel das Hauptmotiv zum Beitritt. »Diese ethische Grundeinstellung humaner Art war der geheimnisvolle Magnet, der die Menschen anzog. Selbstverständlich ging nebenher auch mancherlei Unterethisches, das bloße Geselligkeitsbedürfnis, der Wunsch vertrauten Verkehrs mit hochgestellten Persönlichkeiten, Neugierde, persönliche Eitelkeit und anderes mehr.» (Schenkel, 1926, S. 24) »Dadurch, dass in diesem Sammelpunkt politische und religiöse Diskussion ausgeschlossen wurde, trat in den Mittelpunkt… die Bewertung des Menschen nach seinen rein menschlichen Eigenschaften.« (Ebd. 24) Mellor nennt als die wichtigsten Beitrittsgründe heute das Gemeinschaftsbedürfnis, die ‘Vervollständigung einer politischen Färbung’ , womit auch die Hoffnung auf wirtschaftliche, politische und Karriere Vorteile gemeint sein kann. Zudem: »Bei vielen ist es Familientradition, und schon die Väter waren Freimaurer.« (Mellor, S. 327) Früher war auch die Suche nach sozialer Sicherheit durch die Solidarität der Brüder ein wichtiger Beitrittsgrund.

2.6. Vergleich

In Kapitel 7 soll versucht werden, die freimaurerischen Ideale aufgrund der Annahme zu beurteilen, dass in Wirklichkeit Jesus Christus alle Macht im Himmel und auf Erden übertragen ist. Die Ideale der Freimaurer sind wohl keineswegs unchristlich, und für die Anliegen dürften auch Christen grosses Verständnis haben. Man kann vielleicht sogar sagen, dass die Freimaurer eigentlich genau das wollen, was Christus auch wollte. Sie haben seine Anliegen übernommen, und wollen sie nun endlich verwirklichen. Nur: Sie wollen sie ohne ihn verwirklichen. Die Freimaurer wollen christliche Anliegen ohne Christus verwirklichen. Nicht Christus und sein Reich, sondern der Mensch und die Welt stehen im Mittelpunkt allen Strebens. Sie ‘arbeiten’ nicht mit Christus und nicht für Christus, sondern mit Menschen und für Menschen.

Freimaurer verehren Ideale, Christen in unserem Sinn verehren eine lebende Person. Zwischen einer Verehrung von Idealen und der Verehrung einer Person bestehen natürlich wesentliche Unterschiede. Ideale sind abstrakt, eine Person   auch wenn sie unsichtbar ist  ist konkret. Ideale sind stumm, mit einer Person können wir sprechen. So ist den Freimaurern auch die ‘Verschwiegenheit’ eine Tugend, nicht das Gespräch. Ideale sind unfassbar, offen für unendliche Auslegungen und Definitionen, eine Person kann sich verbindlich äussern, festlegen und verpflichten. Ideale sind anonym, Personen haben einen Namen. Ideale werfen uns immer wieder auf unsere Subjektivität zurück, eine Person kann Anlass sein, uns selbst zu ‘entäussern’ und eine Beziehung einzugehen. Mit Idealen können wir wohl keine sinnvolle Beziehung haben, durch die Beziehung mit Christus nehmen wir an seiner ganzen Fülle teil. Ideale sind und bleiben menschlich. Christus verbindet uns mit dem biblischen Gott und seiner Herrlichkeit. Die Verheissungen des biblischen Gottes und seines Sohnes übertreffen diejenigen der Freimaurerei um Dimensionen.

 

3. Veranstaltungen und ‘Tempelarbeit’

In diesem Kapitel wollen wir einen Blick in die Logen werfen, um zu sehen, was dort geschieht. Dabei stützen wir uns wiederum hauptsächlich auf freimaurerische Publikationen ab sowie auf Veröffentlichungen, die von Freimaurern autorisiert oder zugelassen wurden. Einzige Ausnahme ist die ‘Verräterschrift’ von Lerich, der zehn Jahre lang Hochgradfreimaurer des 33. Grades war, und in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Loge austrat. Seine Ausführungen stimmen bis in die Einzelheiten mit dem überein, was später von Freimaurern selbst publiziert wurde. Darum nehmen wir an, dass auch diejenigen Aussagen zutreffen, über die wir bis heute keine Bestätigung von Seiten der Freimaurer haben. Die Darstellung soll kurz gehalten werden, manches ist schon im Kapitel über die ‘geistigen Wurzeln’ beschrieben worden. Es geht hier um einen zusammenhängenden Überblick.

3.1. Die Aufnahme

1723 verfasste der Presbyterianer J. Anderson das freimaurerische ‘Konstitutionsbuch’ 14 , das auch die ‘Alten Pflichten’ enthält, an die sich Freimaurer heute noch in aller Welt halten. (Vollständig abgedruckt in Oslo, 364). Dieses Konstitutionsbuch enthält auch Ausführungen über die Aufnahmevoraussetzungen: 311 Aufnahmevoraussetzungen. Es werden nur erwachsene Männer, keine Frauen und Kinder aufgenommen. Der Kandidat soll nicht unter 25 Jahren alt und ‘sein eigener Herr’ sein. (zit. in Oslo, S. 384) Damit ist gemeint, dass er finanziell unabhängig sein soll. Es soll ein freier Mann von ‘gutem Ruf’ sein, der umgänglich ist. Keiner Loge soll ein ‘störrisches Mitglied’ aufgezwungen werden, das die ‘Harmonie sprengen’ könnte. (Ebd.) »Die in den Alten Pflichten angesprochene körperliche Unversehrtheit erinnert an jene Vorstellungen, wie sie häufig in unserem Kulturkreis als Voraussetzung für Priesterberufe formuliert worden sind.« (Binder, S. 138) Als geistige Voraussetzung für die Aufnahme gilt, dass der Kandidat ein ‘Suchender’ sein sollte. «Um Freimaurer zu werden, muss man das Licht suchen. (Mellor, S. 327) Neben diesen Bestimmungen gibt es bezüglich der Aufnahmevoraussetzungen verschiedene regionale Eigenheiten. »Das krasseste Beispiel ist in den Vereinigten Staaten die Ausschliessung von Schwarzen, was in Europa an sich unvorstellbar wäre«, (Ebd. 138f.)

3.1.2. Das Prüfungsvefahren

Um diese Aufnahmevoraussetzungen zu überprüfen, ist ein Prüfungsverfahren notwendig. Es braucht ‘eine gebührende Untersuchung über den Ruf und die Fähigkeit des Kandidaten’. (Alte Pflichten zit. in Oslo S. 384) Dieses Prüfungsverfahren ist von den Logen bis in die Einzelheiten ‘gesetzlich’ geregelt. In Binder sind die entsprechenden Paragraphen aus dem ‘Hausgesetz einer Wiener Loge’ abgedruckt. (Binder Wiss. 1985, S. 139f.) ‘Auszüge aus dem Strafregister’ genügen dabei oft nicht. So »haben etwa die Logen in Frankreich ihre Vertrauensleute in den Gerichten und Polizeidienststellen, um sich Informationen aus erster Hand beschaffen zu können. Drei Informatoren treten mit dem Suchenden in Verbindung und erstatten ihre Berichte.« (Mellor, 331)

3.1.3. Die Initiation

Das Aufnahmeverfahren, der Initiationsritus, ist bei vielen Autoren genau beschrieben, so zum Beispiel bei Binder, 140), Deiters, 1963, S. 11 8ff.), Mellor, S. 334). In der Zeitschrift GEO (Nr. 2, 1988) ist ein Bildbericht dazu erschienen. Der Ritus ist auch schon in der Literatur beschrieben worden, so in Tolstois ‘Krieg und Frieden’ (Deiters, S. 118). Vor der eigentlichen Aufnahme erhält der Neophyt’ (Neophyt = ein neues Mitglied vor dem Gelöbnis) in einer Dunkelkammer, bei Kerzenlicht mit Bibel und Totenkopf, noch einmal die ‘Gelegenheit, seinen Schritt zu überdenken’. Anschliessend wird er mit verbundenen Augen, teilweise entkleidet und ohne jede persönliche Habe (‘blind’, ‘nackt’ und ‘arm’) vor die Tempeltüre geführt. Nachdem der Zeremonienmeister dreimal für ihn angeklopft hat, wird ihm geöffnet. Nun tritt er in diesem Zustand drei symbolische Reisen im Tempel (‘auf Erden’) an, wobei er mit den Elementen Erde, Luft, Wasser und Feuer in Berührung kommt. Schliesslich legt der Kandidat sein ‘Gelöbnis’ ab, und die Augenbinde wird ihm abgenommen. So hat der Suchende symbolisch durch das Dunkel zum ‘Licht’ gefunden. »Der zum Lehrling Aufgenommene wird mit den Symbolen bekannt gemacht, mit Zeichen, Erkennungsworten und besonderen Handgriffen. Er empfängt den weissen Schurz als Symbol sittlicher Reinheit und weisse Handschuhe, die ausdrücken sollen . wie die Hände, so sollen auch die Gesinnung und die Handlungen immer unbefleckt bleiben.« (Deiters, S. 127)

3.2. Die Veranstaltungen

Der neu Aufgenommene kann nun an allen freimaurerischen Veranstaltungen teilnehmen, zu denen Lehrlinge zugelassen sind. Es werden folgende Veranstaltungen unterschieden:

1. Rituelle Arbeiten. »Sie werden im freimaurerischen Tempel abgehalten. Bei diesen Arbeiten muss die maurerische Bekleidung getragen werden.» (Deiters S. 161)

2. Instruktionsabende, bei denen Fragen des Rituals und Symbolwesens besprochen werden.

3. Vorträge, zu denen gelegentlich auch Nichtmitglieder zugelassen werden.

4. Diskussionsabende.

5. Tafellogen. Sie finden nach wichtigen Tempelarbeiten statt. Dabei geht es um ein »Festessen, das nach einem bestimmten Ritual durchgeführt wird.« (Ebd. S. 162)

6. Das Brudermahl findet im Anschluss an einfache Tempelarbeiten statt und dient ‘der körperlichen Stärkung’ und der ‘Vertiefung der brüderlichen Beziehungen’. (Ebd. S. 163)

7. Die Trauerlogen. Sie werden jährlich im November abgehalten. «Daneben gibt es gesellige Veranstaltungen, die sich nicht wesentlich von denen anderer Vereinigungen unterscheiden: das Stiftungsfest, Veranstaltungen mit ‘Schwestern’ und Gästen… Am 24. Juni wird das Johannisfest zu Ehren des Schutzpatrons der Freimaurer, Johannes des Täufers, gefeiert.» (Deiters, 163) Eine Umfrage unter 1500 amerikanischen Freimaurern ergab, dass 89 % nicht regelmässig an den Veranstaltungen teilnehmen, obwohl die Teilnahme eigentlich ‘Pflicht’ ist. (Ebd. 161, 164f.)

3.3. Die Johannis Maurerei

Die Johannis Maurerei, auch ‘blaue’ Maurerei genannt, hat Johannes den Täufer zum ‘Schutzpatron’. Sie ist den ‘regulären’ Logen der ganzen Welt gemeinsam und enthält die drei ‘Johannisgrade’ Lehrling, Geselle und Meister, die nach Valmy (S. 245) den ‘Inhalt der maurerischen Lehre voll ausschöpfen’. Wohl die meisten Freimaurer lernen nur diese Art der Freimaurerei kennen. Im Werk von Binder sind die Logenarbeiten dieser drei Grade ausführlich dargestellt, und ihre symbolische Bedeutung wird diskutiert. Zudem sind die Katechismen, die Lehrgespräche, die Zeichen und Worte enthalten, sowie die Griffe beschrieben.

3.3.1. Der Lehrling: vom Dunkel zum Licht

Der Lehrling wird unter anderem in die freimaurerische Symbolik eingeführt. Er lernt sich als ‘rauhen Stein’ kennen, den er zu behauen lernen muss, damit er als kubischer Stein in den ‘Tempel der Humanität’ eingefügt werden kann. Die Bibel lernt er als Symbol für die allgemein verpflichtende Sittenlehre betrachten. Das für den Lehrlingsgrad kennzeichnende Symbol ist dasjenige des Lichtes. Es hat schon bei der Aufnahme eine wichtige Rolle gespielt. »Der Kultus des Lichtes bzw. das Symbol des Lichtes und der Erleuchtung spielt eine grosse Rolle. Das Licht ist wohl das grösste, umfassendste, allgemeinste und verbreitetste Symbol der Menschheit überhaupt. Seine Beziehungen sind unerschöpflich. Seine Wirkungen auf das menschliche Gemüt sind machtvoll, erhebend und läuternd« (Schenkel, S.77).

3.3.2. Der Geselle: reifender Geist

Anlässlich der Beförderung des Lehrlings zum Gesellen sagt der freimaurerische Redner: »Der Lehrlingsgrad hebt an mit unserer Geburt zum sittlichen Leben, das uns Maurern heilige Pflicht ist. Der Gesellengrad verkörpert den Fortschritt in unserer maurerischen Bildung… Sie wurden heute mit offenen Augen in die Loge eingeführt und haben Ihre neue Wanderung unverhüllten Blickes vollzogen.» (zit. in Deiters, 1963, S. 130) Bei den Reisen begegnete der Geselle den drei ‘Versuchungen’ Geld, Ruhm und Macht, die durch Gold, Lorbeer und Schwert symbolisiert sind. Die von der Maurerei angebotene Weisheitslehre soll es den Gesellen ermöglichen, die Versuchungen des Lebens souverän vorübergehen zu las¬sen (Binder, 182). Im Osten der Gesellenloge hängt »der Flammende Stern, in dessen Zentrum der Buchstabe G steht, als umfassendes Symbol des Gesellengrades und des Maurertums schlechthin« (Ebd. 180). Der ‘Flammende Stern’ ist ein Fünfeck (Pentagramm, Drudenfuss) von dem Strahlen ausgehen, Die symbolische Bedeutung wird sehr vielfältig interpretiert. Einigen gilt der ‘Flammende Stern’ als ‘Symbol des erwachenden und reifenden Geistes’, für andere versinnbildlicht er Gott. (Binder, S.188) Gott erscheint als das «ewige Licht, das in den Herzen der Menschen widerstrahlt». (Schenkel, S.78)

3.3.3. Der Meister: Leben, Tod und Auferstehung

Bei der Erhebung des Gesellen zum Meister wird die Legende um Hiram Abif, den sagenhaften Baumeister des salomonischen Tempels, sinnbildlich dargestellt. Nachdem der Geselle das Vorbereitungsverfahren, die Reisen mit einem Totenschädel um und über einen Sarg sowie das Gelöbnis hinter sich gebracht hat, wird er symbolisch mit drei Hammerschlägen ‘getötet’, zu Boden geworfen und mit einem Tuch bedeckt. »Der Geselle erlebt die Identifikation mit dem ‘Meister Hiram’, dem vorbildlichen Menschen. Im Grabe erfolgt die Läuterung; er wird vorbereitet auf die grosse Wandlung. Abstreifen des alten Adam und Geburt des neuen Menschen« (Binder, S. 204). Nachdem das neue Meisterwort gesucht, gefunden und dem Liegenden ins Ohr geflüstert wurde, wird der Geselle ‘erhoben’, d.h. von einem Bruder ‘Fuss gegen Fuss’, ‘Knie gegen Knie’, ‘Brust gegen Brust’ aufgezogen und auf die Beine gestellt. Für Schenkel ist »die Darstellung der Hiram Legende wohl das Wirkungsvollste und Ergreifendste… im gesamten Umfang des maurerischen Kultus«. Diese ganze ‘Meister Erhebung’ ist voll von symbolischen Zeichen und Handlungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Unter anderem wird in der Meisterloge der fünfzackige Stern durch einen sechseckigen ersetzt. In diesem dritten und letzten Grad der Johannis Maurerei werden Themen wie ‘Angst vor dem Tod’, ‘Überwindung des Todes’, ‘Wiedergeburt’ und ‘Auferstehung’ auf die freimaurerische Art und Weise behandelt.

 

3. 4. Die Hochgradmaurerei

Die Hochgradmaurerei baut auf den drei Graden der Johannis Maurerei auf. Sie ist ein ‘Geheimnis’ innerhalb des Ordens und darum entsprechend umstritten. (Dazu Mellor, 392, Valmy, S. 35). Im folgenden sollen die Grade des ‘Schottischen Ritus’ (mit vollem Namen: ‘Alter und Angenommener Schottischer Ritus’) kurz vorgestellt werden. Dieser Ritus ist weltweit am weitesten verbreitet und gilt als ‘Aristokratie der Freimaurerei’ (Mellor, S. 256).

«Den Hochgraden des Schottischen Ritus ist traditionell der Apostel Andreas heilig, sie sind die Andreasmaurerei. Hier herrscht die rote Farbe. Die Logen der Hochgradfreimaurerei werden Ateliers genannt und bearbeiten die Grade vom 4. bis zum 33. Sie unterstehen nicht der Verwaltung und Leitung, der ‘Jurisdiktion’ der Grossloge, sondern haben in jedem Staate ihre eigene, selbständige ‘souveräne’ Oberbehörde… Die Mitglieder des Schottischen Ritus… dürfen keinem Bruder, Lehrling, Gesellen oder Meister davon Mitteilung machen, dass sie den Hochgraden angehören. Nicht nur die Lehren und Riten der Schottischen Maurerei, sondern sogar die Namen der Hochgradbrüder bleiben demnach dem Durchschnittsfreimaurer unbekannt.

»Die Hochgrade sind ein Geheimnis innerhalb des Geheimbundes, ein doppeltes für die ‘profane’ Aussenwelt« (Lerich, S. 24).

Wie bereits erwähnt will der Schottische Ritus mit seinen 33 Graden (die drei Grade der Johannis Maurerei mitgezählt) symbolisch die Entwicklung der Menschheit durchwandern, wobei diese ganze Entwicklung in drei Perioden eingeteilt wird: die ‘jüdisch architektonische’, die ‘religiös christliche’ und die ‘freiheitlich aufgeklärte’ Periode. Dabei werden nicht alle diese Grade ‘rituell bearbeitet’, sondern der Lehrgehalt wird oft auch nur mündlich mitgeteilt. Nach Mellor (S. 393) werden heute in Deutschland nur die Grade 4, 18, 30, 32 und 33 wirklich praktiziert. Es ist möglich, dass eine wichtige Persönlichkeit bereits in einen hohen Grad aufgenommen wird. In diesem Fall werden die unteren Grade durch Mitteilung verliehen. In anderen Ländern sind die tatsächlich praktizierten Grade zahlreicher. Die bei Lerich und Mellor angegebenen Namen der Grade sind weitgehend identisch.

3.4.1. Die jüdisch architektonischen Grade

Die jüdisch architektonischen Grade werden auch ‘Perfektionsgrade’, ‘Vervollkommnungsgrade’ genannt. (Mellor, S. 292, 296, Lerich, S. 27) Diese Erkenntnisperiode umfasst die Grade 4 bis 14. Ausser in den USA werden nach Lerich in den meisten Ländern nur die Grade 4 und 13 ‘rituell bearbeitet’.  Die Gradfolge lautet:

4. °: Geheimer Meister. Nach Schenkel geht es hier wiederum um das The¬ma Tod als ‘Übergang von Traum zu Erwachen’.

5. °: Vollkommener Meister. Hier soll das Thema ‘Sünde und Gnade’ zur Darstellung kommen. (Schenkel S. 91)

6. °: Geheimer Sekretär. In diesem Grad geht es nach Schenkel um das Thema der ‘Hoffnung auf Unsterblichkeit’. (Ebd. 92)

7. °: Vorsteher und Richter.

8. °: Intendant der Gebäude.

9. °: Auserwählter Meister der Neun.

10.°: Erlauchter Auserwählter der Fünfzehn.

11.°: Erhabener Auserwählter Ritter.

12.°: Gross Architekt.

13.°: Meister des königlichen Gewölbes (Royal Arch).

14.°: Grosser Auserwählter Vollkommener und Erhabener Maurer.

«Der wichtigste Grad der Vervollkommnungslogen ist die Erkenntnisstufe des Königlichen Gewölbes, jenes Ateliers des 13. Grades, das dem Bau eines Idealtempels dient, des zweiten Tempelbaues, der an Stelle des salomonischen den der freimaurerischen Humanität setzt. Über allen Wassern der Sintflut soll er stehen, welche die Erde vernichten können: deshalb ruht sein Gewölbe auf neun hohen Strebepfeilern. Bausymbolik und Bausage der Freimaurerei erreichen im 13. Grad ihren esoterischen Höhepunkt… Es gibt keinen zeitlichen Anspruch auf die Einweihung in die verschiedenen Erkenntnisstufen der Vervollkommnung, die in ihren Lehren und Zeremonien, in ihrer Symbolik und Ritualistik in verschiedenfältigster Weise, farbenprächtig in der Ausschmückung der Logenräumlichkeiten, phantastisch in den Legenden, prunkvoll in den Schürzen und Bändern, immer wieder das Thema vom symbolischen Bau der Freimaurerei abwickeln« (Lerich S. 31 f.).

3.4.2. Die religiös christlichen Grade

Die religiös christlichen Grade umfassen die Grade 15 bis 18 und werden auch ‘Kapitelgrade’ genannt. (Mellor, S. 393, Lerich, S. 32). Die Rituale sollen die christliche Periode der Menschheitsgeschichte versinnbildlichen, wobei die Kreuzzüge als Kulisse dienen. Nach Lerich tritt hier nun die Aussenarbeit an die Stelle der Innenarbeit. Rituelle, kultische Handlungen finden in der Regel nur noch einmal jährlich statt. Der Inhalt der Arbeiten sind Debatten und Beschlussfassungen über ganz reale Aktionen, Zielsetzungen und Pläne. Vorzüglich in der romanischen Freimaurerei sind bereits die Kapitel politische Klubs. (Lerich S. 32) In den übrigen Ländern geht es hauptsächlich um Kulturpolitik.

Die Gradfolge lautet:

15.°: Ritter des Ostens oder des Schwertes.

16.°: Meister (oder Prinz) von Jerusalem.

17.° Ritter vom Osten und Westen.

18.° Ritter vom Rosenkreuz.

Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass hauptsächlich die Themen, Motive und Symbole der Kapitellogen auf biblische, christliche Tradition zurückgehen. Statt Christus steht nun aber der Mensch im Mittelpunkt. In den meisten Ländern wird nur der 18. Grad ‘rituell bearbeitet’. Für Lerich ist der »Initiationsritus des Kapitels der Rosenkreuzer… einer der schönsten der Freimaurerei« und eine der ‘stärksten Kulthandlungen’. (S. 34) Erinnert sei an Motive wie: ‘vollkommene Hingabe’, ‘INRI’ (was statt ‘Jesus Nazarenus Rex Judaeorum’ ‘Igne Natura Renovatur Integra’, ‘durch das Feuer erneuert sich die Natur zur Gänze’ bedeutet), das ‘Kreuz’, das ‘Abendmahl’, der ‘gute Hirte’ . (Dazu Lerich 34ff., Mellor 398ff.) Der ‘christlichen’ folgt im Entwicklungsschema der Schottischen Hochgrade eine weitere und offenbar ‘höchste’ Periode der Menschheitsgeschichte: die freiheitlich aufgeklärte Periode.

3.4.3. Die freiheitlich aufgeklärten Grade

Mit den freiheitlich aufgeklärten Graden, die auch ‘philosophische Grade’ genannt werden und die Grade 19 bis 30 umfassen, finden die kultisch rituellen ‘Arbeiten’ der Freimaurerei ihren Abschluss. (Lerich 36, Mellor 393, 401) Die höheren Grade 31 bis 33 sind reine ‘Verwaltungsgrade’.

Die Gradfolge lautet:

19.°: Hoher Priester oder Erhabener Schotte (auch: Gross Pontifex).

20.°: Obermeister aller regulären (auch: symbolischen) Logen.

21.°: Noachit oder Preussischer Ritter.

22.°: Ritter der Königlichen Axt oder Prinz von Libanon.

23.°: Meister des Tabernakels oder des Allerheiligsten.

24.°: Obermeister oder Prinz des Tabernakels bzw. des Allerheiligsten.

25.°: Ritter der Ehernen Schlange.

26.°: Schottischer Trinitarier oder Prinz der Gnade.

27.°: Ritterkommandant oder Obermeister des Tempels.

28.°: Ritter der Sonne.

29.°: Grossschotte des heiligen Andreas.

30.°: Ritter Kadosch. (qadosch = hebr.: ‘heilig’)

Die meisten dieser Grade (vom 28. und vor allem vom 30. abgesehen) weden nur ‘historisch’, durch mündliche Mitteilung und Ausdeutung verliehen. Den Inhalt stellt Lerich wie folgt dar: »Schon der 19. Grad, der des ‘Gross Pontifex’, der erste Areopag, lehrt… den Kampf gegen alle völkischen und religiösen Werte, Gesetze, Ordnungen und Autoritäten. Er lehrt den Kampf gegen ‘Unwissenheit’, ‘Aberglaube’, ‘Dogmatik’ und ‘Fanatismus’ in jeder Form. Der ‘Grossmeister aller symbolischen Logen’, der 20. Grad, bedeutet esoterisch das Streben des Hochgradfreimaurers zur höchsten ‘Meisterschaft’. Exoterisch bedeutet er, dass bereits diese Erkenntnisstufe über die ganze Johannisfreimaurerei souverän ist. Der 21. Grad gibt die Würde des ‘Noachiten oder preussischen Ritters’. Seine Lehre preist die von den Ideen der Freimaurer gelenkte Volksherrschaft, verwirft die Despotie der Massen, die auf völlige Anarchie ausgeht. Der ‘Ritter der königlichen Axt’… verpflichtet sich, für das Los der arbeitenden Klassen zu kämpfen… Der 23. und 24. Grad, der ‘Chef des Tabernakels’ und der ‘Prinz des Tabernakels’ müssen die Volksrechte zu erkennen und nach aussen hin zu vertreten trachten. Der ‘Ritter der ehernen Schlange’… übernimmt die Verpflichtung zur Heilung der sozialen Schäden in der menschlichen Gemeinschaft. Ihm folgt der ‘Prinz der Gnade’, der jede einzelne Religion zu überwinden hat, indem er die in allen Religionen enthaltenen Wahrheiten zu einer Überreligion zusammenfasst. Der ‘Ritterkommandeur des Tempels’ und der ‘Ritter der Sonne’… haben bereits alle Stadien religiöser Zweifel hinter sich und stehen auf der Stufe einer über alle ‘Dogmatik’, alle ‘Vorurteile’ erhabenen Ethik und Weltanschauung. Der Würdenträger des 29. Grades, des letzten Areopages vor der völligen Einweihung, der ‘Großschotte des heiligen Andreas’, gelobt, alle freimaurerischen Grundsätze und Pflichten zum Wohl der Menschheit im kulturellen und sozialen Sinne zu verwirklichen.«

Auf den 30. Grad, den ‘Vergeltungsgrad’, in dessen Initiationsritus unter anderem die drei Degenstiche gegen Papstkrone, Königkrone und Bürgerkrone zu führen sowie die drei Säulen des Tempels (Weisheit, Schönheit, Stärke) umzuwerfen sind, sind wir bereits zu sprechen gekommen. (Pkt. 1.3.5 und 1.6.2) Diese Ausführungen seien durch ein Zitat aus Mellor (S. 404) ergänzt: «Der Kadosch Ritter ist der 30. Grad innerhalb der Schottischen Reihe und praktisch der höchsterreichbare, denn die Folgegrade sind ‘administrativer’ Art. Sein Studium ist daher von besonderer Bedeutung. Der philosophische Symbolismus des Grades besteht wesentlich im Ritual des Ersteigens einer geheimnisvollen Leiter, deren sieben Stufen die sieben freien Künste bezeichnen. Nec plus ultra (Und nichts darüber hinaus). Die oberste Stufe zeigt an, dass der Kandidat die Höhe der freimaurerischen Einweihung erreicht hat. Dieser Ritus und einige andere Teile des Rituals… beinhalten jedoch nicht das Wesen des Grades. Dieses besteht vielmehr in seinem Charakter als Vergeltungsgrad. Die Ehrsucht, die Unwissenheit und der Fanatismus, das sind die drei infamen Feinde des Ordens, die es ohne Unterlass zu bekämpfen gilt   so wird der Kandidat unterrichtet. Das Zeichen des Grades ist ein Dolch, und das Heilige Wort lautet ‘Nekam’ (hebr.: Vergeltung). Die Vergeltung, um die es sich hier handelt, ist symbolisch die des Templerordens auf Grund der Ermordung seines Grossmeisters Jacques de Molay durch ‘zwei Verächtliche’. Damit sind Papst Clemens V. und König Philipp der Schöne gemeint«.

Der Wortlaut des Gelöbnisses macht deutlich, dass es um den bedingungslosen Kampf um individuelle Glaubens  und Gewissensfreiheit geht.

»(Man zeigt auf den Totenschädel mit der Königskrone): ‘Unter keinem wie immer gearteten Vorwand werde ich jemals einen Kompromiss irgendwelcher Art mit einer Regierung eingehen, welche der Despotismus die Rechte des Individuums missachten lässt.’

(Man zeigt auf den Totenkopf, welcher die Tiara trägt): ‘Unter keinem wie auch immer gearteten Vorwand werde ich jemals einen Kompromiss irgendwelcher Art mit einer geistlichen Gewalt eingehen, welche das Gewissen und die Freiheit des Denkens in Fesseln legt und welche den aufrichtigen Zweifel und den ehrlichen Glauben als Verbrechen brandmarkt .. …. Ich gelobe, niemals einer zivilen oder religiösen Gesellschaft anzugehören, welche die Freimaurerei bekämpft’« (zit. in Mellor, S. 411).

3.4.4. Die administrativen Grade

Die Gradfolge der Verwaltunsgrade lautet:

31.°: Grossrichter oder Grossinspektor Inquisitor Kommandeur.

32.°: Meister des königlichen Geheimnisses.

33.°: Souveräner General Grossinspekteur.

«In den obersten Räten hat die Aktivistik der Freimaurerei ihre reinste und restlose Verkörperung gefunden, ist Exoterik vollständig an die Stelle der Esoterik, die Außenarbeit vollständig an die Stelle der Innenarbeit getreten. Sie sind die eigentlichen und innersten Aktionszentren des Weltlogentums. (Lerich, 1937, S. 50)

3.5. Vergleich

Im Gegensatz zur Freimaurerei gibt es zur Aufnahme in die Gemeinde Christi, so wie wir sie verstehen, keine besonderen Aufnahmevoraussetzungen und kein menschliches Prüfungsverfahren. Jeder ist willkommen   wirklich unabhängig von allen menschlichen Kriterien. Die Aufnahme ist Sache einer persönlichen Beziehung zwischen der Person und Christus, der Umkehr und der Annahme des Absolutheitsanspruches Christi. Die Freimaurerei hingegen lehnt den Absolutheitsanspruch Christi ab und setzt an seine Stelle die kompromisslose Glaubens  und Gewissensfreiheit des Menschen. Ich bin davon überzeugt, dass auch Christus jedem diese Glaubens  und Gewissensfreiheit lässt. Nur hat sie ihrerseits eine höchst relative Bedeutung. Durch sie finden wir nicht zum ‘Licht’, zum ‘Heil’ etc. Die Freimaurerei hingegen erweckt den Eindruck, als könne der Mensch allein zum Licht finden, als könne der Mensch den Menschen ‘auferwecken’ und ‘erheben’, als könne der Mensch selbst der ‘gute Hirte’ des Menschen und der ganzen Menschheit sein.

 

4. Auseinandersetzungen, Kämpfe

Die Freimaurerei war seit ihrer Gründung von einer Vielfalt von Auseinandersetzungen begleitet, von denen nur die externen allgemein bekannt sind. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatten aber auch die internen Auseinandersetzungen zumindest zeitweise einen grossen Einfluss auf den Gang der Weltgeschichte. Ich denke zum Beispiel an die Napoleonischen Kriege, in denen die Heere aller Beteiligten fast ausschliesslich von Freimaurern geführt wurden. (Die Generale Napoleons sowie Wellington, Blücher und Gneisenau waren Freimaurer.) Es ist meines Wissens kaum erforscht, inwieweit unterschiedliche Auffassungen über die ‘richtige’ Art von Maurerei ‘profane’ Auseinandersetzungen beeinflussten. Im folgenden sollen die Ergebnisse der internen Auseinandersetzungen kurz dargestellt werden , auf die externen Auseinandersetzungen wollen wir etwas genauer eingehen.

4.1. Interne Auseinandersetzungen

Im Werk von Mellor (Wiss. 1985) sind die wichtigsten internen Auseinandersetzungen ausführlich und exakt dargestellt. Sie sind ausserordentlich verwirrend und für Aussenstehende kaum verständlich. Jedenfalls haben sich die heute weltweit am weitesten verbreiteten und einflussreichsten Formen (Johannismaurerei und Schottische Hochgradmaurerei, die kurz vorgestellt wurden) nur nach zum Teil harten Kämpfen intern durchsetzen können. Demokraten standen gegen Royalisten, Rationalisten gegen Esoteriker und Mystiker, Rosenkreuzer gegen ‘Anti Rosenkreuzer’, Christliche gegen Humanitäre, Theisten gegen Atheisten, Kirchentreue gegen Antiklerikale

Am grössten ist heute noch der Gegensatz zwischen angelsächsischer und romanischer Freimaurerei. Während in England Kirche und Krone für die Freimaurerei gewonnen werden konnten, hat sich in Frankreich die Freimaurerei antiklerikal und republikanisch entwickelt. Im Jahre 1877 strichen die französischen Freimaurer unter Leitung des ehemaligen Pastors F. Desmons den Artikel 1 der Konstitution, der den Glauben an die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele fordert. So wurde der ‘Grand Orient de France’ zur ‘irregulären’ Freimaurerei.

4.1.1. Reguläre und irreguläre Freimaurereien

Mellor schreibt zum Thema der ‘Regularität’: »Der Begriff der Regularität kann zweierlei bedeuten: Regularität des Ursprungs und Regularität der Prinzipien.   Regulären Ursprungs ist eine Obödienz, oder innerhalb einer Obödienz eine Loge, die legal konstituiert worden ist. Nach dem englischen Grundsatz ist eine neu konstituierte Grossloge dann regulären Ursprungs, wenn sie entweder durch eine andere reguläre Grossloge oder aber durch drei reguläre Logen gegründet worden ist.   Dennoch kann eine Obödienz irregulär werden. Wenn sie eine oder mehrere der wesentlichen freimaurerischen Voraussetzungen nicht erfüllt, verfällt sie der Profanation. Sie verliert ihre freimaurerische Qualität. Als Beispiel wird hier häufig auf den Grand Orient de France hingewiesen, der 1877 den Begriff des ‘Allmächtigen Baumeisters aller Welten’ aus seinen Konstitutionen gestrichen hat und damit durch Preisgabe der wichtigsten Landmarke in der Perspektive der gesamten regulären Freimaurerei zu einer Pseudo Maurerei geworden ist, die mit der regulären Kunst nur den Namen gemein hat. Die Regularität im Grundsätzlichen ist also der juristische Status, der durch die Anerkennung eben dieser Grundsätze erworben und bewahrt wird» (Mellor, S. 67).

Mellor unterscheidet sieben reguläre Freimaurereien: die englische, die amerikanische, die französische Freimaurerei (Grande Loge Nationale Francaise), die deutsche, österreichische, skandinavische und die holländische Freimaurerei. Dabei bestehen zwischen diesen Freimaurereien zum Teil grosse Unterschiede in der Lehrart, und es ist keineswegs so, dass sich alle wechselseitig anerkennen und ‘brüderliche Beziehungen’ aufrechterhalten. So gibt es zum Beispiel ‘Obödienzien’, die von der Vereinigten Grossloge Englands (UGL) nicht anerkannt, von der Grossloge des Staates New York anerkannt sind. Andere werden von der Grossloge des Staates New York nicht anerkannt, von der UGL Englands aber anerkannt. (Mellor S.68ff.) Als reguläre Maurereien gelten in der Regel auch die in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten besonders blühenden ‘Sonderlogen’: Akademikerlogen, Feld-, Forschungs-, Kaufmanns-, Kriegsgefangenen-, Militär-, Regiments-, Residenz-, Seelsorger-, Universitätslogen u.a.m. (S. dazu Binder, S. 220)

4.1.2. Lehrarten und Hochgradsysteme

Im Verlauf der Geschichte der Freimaurerei kam es oft zu schwärmerischen Gründungen und phantastischen Lehren (Valmy, 35ff.).

Das Werk von Brodbeck gibt einen Überblick über die heute noch bestehenden freimaurerischen Systeme und ähnlichen Organisationen. In den USA von nicht unerheblicher Bedeutung und jüngst auch im deutschsprechenden Raum Europas ist der »Alte Arabische Orden der Edlen vom Mystischen Schrein» (= »Shriners«). Sämtliche Zugehörige verstehen sich als Hochgradmaurer (Prantner Kath. 1989 16).

4.1.3. Freimaurerähnliche Organisationen und ‘Sekten’

Von Brodbeck sind die folgenden ‘freimaurerähnlichen Organisationen’ dargestellt: Die Ritterorden (die Johanniter, die Tempelritter, der deutsche Ritterorden), die heilige Feme, das Haberfeldtreiben, der Odd Fellow Orden. der Rosenkreuzorden, der Illuminatenorden, der Martinsorden, der orientalische Templerorden, der Gralsorden, der Druidenorden, der Guttemplerorden, der Rechabiterorden, die asiatischen Brüder, der Alchemistenorden, Les Compagnons. Daneben gibt es nach Mellor freimaurerische ‘Sekten’, die sich zum Teil bewusst dem Okkulten zuwenden, und vor denen die Freimaurerei selbst warnt: »Jede Hinwendung zum Okkulten führt tiefer hinein in den Okkultismus. Dies ist ein Lebensgesetz aller geheimen Gesellschaften, ebenso wie auch der initiatorischen Vereinigungen, die sich nicht als geheim bezeichnen. Es ist durch nur zu gut bekannte Gründe zu erklären: enttäuschte Neugier, Eitelkeit, Verlangen nach dem Mysterium, Stolz darauf, den Eingeweihten spielen zu können. Diejenigen, die heute diese menschlichen Schwächen missbrauchen, erfinden zwar keine neuen Hochgrade mehr, fahren aber fort, Vereinigungen freimaurerischer Art ausserhalb der Freimaurerei ins Leben zu rufen, indem sie sich dieser als eines Auswahlzentrums bedienen und häufig von den Adepten (Adept = in eine geheime Lehre Eingeweihter) verlangen, dass sie Eingeweihte in freimaurerischen Hochgraden sein müssen« (Mellor, 451).

4.2. Externe Auseinandersetzungen

«Die Freimaurerei vertrug sich nie und nirgendwo mit Absolutismen und Totalitarismen. Überall dort, wo jemand die letzte Wahrheit zu besitzen wähnte und beanspruchte, kam es zu Konfliktsituationen, weil diesem jemand der maurerische Toleranzgedanke grundsätzlich unerträglich scheinen musste.» (Zendralli, S. 8) In der Geschichte dieser externen Auseinandersetzungen stellen sich die Freimaurer gern als die Märtyrer für Freiheit und Fortschritt hin, den Gegnern erscheinen sie als Verschwörer und Zerstörer jeder Ordnung. Über diese ‘Verschwörungstheorien’ siehe Rogalla von Bieberstein.

4.2. 1. Der Absolutismus

Die Ereignisse der Französischen Revolution können wohl kaum als das bewusste oder gar geplante Werk der Freimaurer bezeichnet werden. Die Revolution hat vielmehr eine völlig unkontrollierte Eigendynamik entfaltet, die zeitweise für alle Beteiligten gefährlich wurde. Dennoch haben Freimaurer bei der Bekämpfung des (französischen) Absolutismus eine bedeutende, wenn nicht massgebende Rolle gespielt. Das sollen einige Auszüge aus einem Artikel von Hess in der Zeitschrift ‘Alpina’ (1989 Nr. 6/7 S. 162ff.) verdeutlichen.

»Frankreich besass am Vorabend der Revolution 70’000 Freimaurer, fast doppelt so viele wie heute bei halb so grosser Bevölkerung (26 Millionen). Die über 600 Logen hatten einen bedeutenden Einfluss. Von den drei grossen Aufklärern war zwar nur einer, Montesquieu, der Vordenker der Gewaltentrennung, früh Freimaurer geworden. Rousseau, der Prophet der Gleichheit, hat nie dem Bund angehört, und Voltaire, der Kämpfer gegen Unrecht und Willkür, wurde erst im Jahre seines Todes in die Loge ‘Les neuf Soeurs’ aufgenommen. Auch die Enzyklopädisten Diderot und Dalembert waren keine Maurer, wohl aber zahlreiche Aufklärer der zweiten Garnitur: Helvetius, Marmontel, Chamfort, Condorcet, Beaumarchais, der Baron Holbach.« (Hess,1989, S. 162). Im Frühjahr 1789 versammelten sich die drei Generalstände Adel, Klerus und dritter Stand. »Von den 578 Abgeordneten des dritten Standes sind 477 Freimaurer. Die grosse Mehrheit von ihnen will Reformen, will eine konstitutionelle Monarchie.» (S.163) Nach dem Sturm auf die Bastille legen Adel und Klerus auf Antrag der Freimaurer Duc d’Aiguillon und Vicomte de Noailles ‘freiwillig’ sämtliche Privilegien nieder. (164) Am 26. August verabschiedet die Versammlung auf Antrag der Freimaurer Lafayette, Mirabeau und Sieyès die berühmte ‘Erklärung der Rechte eines Menschen und Bürgers’. «Sie setzt die uns heute selbstverständlichen Menschenrechte fest: ‘Jeder Mensch ist frei geboren und bleibt frei. Keine Autorität kann ausgeübt werden, die nicht vom Volk ausgeht.’ 26 kurze Artikel verkünden die Sicherheit der Person, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Pressefreiheit, Schutz vor behördlicher Willkür und vor Festnahme.« (164) «Erstmals spielt eine neue Macht in der Politik mit, die öffentliche Meinung.» (165) Die weitere Entwicklung spaltet die Freimaurer: »Einige Freimaurer wie Desmoulins, Danton, Marat trieben die Radikalisierung immer weiter; anderen wie Lafayette, Bailly, Mirabeau ging die Revolution bald zu weit.« (165) Robespierre war nie Freimaurer, wohl aber noch verschiedene andere Persönlichkeiten der Revolution, wie zum Beispiel Rouget de Lisle, der Komponist der Marseillaise und der Arzt Guillotin, der »eine humanere Exekutionsmethode und die ‘Gleichheit vor dem Schafott’» forderte. (168) Nach ihm wurde die Guillotine benannt. »Nur noch wenige Freimaurer sind unter den ‘Königsmördern’: Fouchä, Cauthon, Danton, Marat und der Vetter des Königs, Philippe d’Orléans, Grossmeister des Grand Orient, der sich jetzt Citoyen Philippe Egalité nennt.« (167) Unter den Anführern royalistischer Aufstände finden sich Freimaurer: Stofflet, Savare, Charette, Scepetaux. Von den drei Führern des ‘Wohlfahrtsausschusses’ des Revolutionstribunals (Robespierre, St. Just und Couthon) ist nur Couthon Freimaurer. (168) »Eine zunehmende Dechristianisation (Entchristlichung) findet statt, bei welcher sich Bruder Chaumette auszeichnet; der christliche Kalender wird abgeschafft, der ‘Kult des höchsten Wesens’ inauguriert (eingeführt) , der Altar der Vernunft errichtet.« (168)

Zusammenfassend kann gesagt werden: Freimaurer haben die Revolution inszeniert und angeführt. Aber die Revolution hat ‘die Brüder getrennt’ und schliesslich fast alle Freimaurer vernichtet. Die Freimaurer sind nicht die Sieger, sondern die Opfer der Revolution. Dennoch ist wohl eindeutig, dass der Geist der Freimaurerei den Absolutismus besiegt hat.

4.2.2. Die Katholische Kirche

Die Auseinandersetzung zwischen Freimaurerei und Katholizismus hat das kulturelle und politische Leben Europas vor allem im letzten Jahrhundert (‘Kulturkampf’) wesentlich geprägt. Sie ist schon mehrfach ausführlich dargestellt worden. (Siehe zum Beispiel Binder (Wissenschaftler,1988 56ff.), Conzemius (Kath. 1984 30ff.), Seydel (FM 1862), Valmy (FM 1988 64ff.) und die bei diesen Autoren angegebene Literatur.)

«Was die Freimaurerei ablehnt, ist die politische Herrschaft des Klerikalismus und den Anspruch der Päpste auf beherrschenden Einfluss auch in allen kulturellen Fragen, weil sich daraus schwere Hemmungen für den menschlichen Fortschritt und die freie Geistesentwicklung ergeben haben.» (Schenkel, 1926, S.171) Die Freimaurer bekämpfen nicht die Katholiken, sondern den Absolutheitsanspruch der römisch katholischen Kirche , »weil Rom behauptet, die alleinseligmachende Kirche zu sein, die über Wahrheit und Vergebung autonom verfügt und sich als sichtbare Stellvertretung Gottes betrachtet.« (Böni, S. 68)

Die Antwort der katholischen Kirche auf die Herausforderung durch die Freimaurerei liess nicht lange auf sich warten. »Die erste Verurteilung wurde 1738 von Papst Clemens XII. ausgesprochen in der Bulle ‘In eminenti’. Benedikt X. bestätigte dieses Verdikt in der Bulle ‘Providas’ (1751). Zwischen 1738 und 1918 wurden über 12 Verbote in päpstlichen Bullen gegen die Freimaurerei gefällt.« (Conzemius, Kath., 1984, 30) Schenkel kommentiert die Bestimmungen gegen die Freimaurer im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 (Codex juris canonici) wie folgt: »Nicht nur ist den Maurern der Eintritt in kirchliche Orden und religiöse Vereinigungen verschlossen…. sondern die Freimaurer werden als solche exkommuniziert, Geistliche und Ordensleute, die Freimaurer wären, verlieren ihre Stellung und werden in besondere Strafe genommen. Dem Freimaurer ist die kirchliche Trauung versagt. Selbst der Tod löscht die Feindschaft nicht aus. Noch der Leichnam des Freimaurers ist ein Gegenstand des Hasses und Abscheus. Er darf nicht kirchlich beerdigt werden, und wenn dies versehentlich doch geschehen ist, so soll sein Leichnam… wieder ausgegraben und an ungeweihter Stätte vergraben werden. Der treue Sohn der Kirche aber darf sich nicht einmal sachlich über Ziel und Zweck der Freimaurerei… unterrichten; auch das ist ihm ausdrücklich untersagt« (Schenkel, S. 171).

Die katholischen Gegenmaßnahmen hatten nur eine beschränkte Wirkung: «Päpstliche Bullen kamen in jener Zeit nur dann zur rechtlichen Geltung, wenn sie von staatlicher Seite registriert wurden. Das war in den protestantischen Ländern von vornherein ausgeschlossen; außer in Spanien, Portugal und Polen wurde die staatliche Genehmigung der päpstlichen Bulle in manchen katholischen Ländern (z. B. Frankreich) verweigert. So kam es, dass hier Katholiken. Laien und Kleriker, ungeachtet päpstlicher Bestimmungen, der Freimaurerei beitraten. Unter den prominentesten Laien seien Mozart und Haydn erwähnt, die Liste geistlicher Würdenträger ist lang.« (Conzemius Kath. 1984 32) Im Werk von Taute (FM 1909) über ’die katholische Geistlichkeit und die Freimaurerei’ ist eine Liste mit den Namen von über 500 katholischen Geistlichen und Würdenträgern enthalten, die nachgewiesenermaßen Freimaurer waren. »1772 wird mit Lord Robert Edward Petre ein Katholik Großmeister der englischen Grossloge… Gerade katholische Länder sind zu starken Freimaurerzentren geworden.» (Im Hof, Wiss. 1982, S. 1 66f.) In Italien rührten im letzten Jahrhundert die revolutionären Umtriebe von geheimen Gesellschaften, die zum Teil von Freimaurern gegründet wurden (z.B. die ‘Carbonari’), an die politische Existenz des Kirchenstaates. «Auf katholischer Seite brach nach der Jahrhundertmitte eine antifreimaurerische Hysterie aus. Es entstanden Zeitschriften und Verbände, um die Freimaurer zu entlarven… Ihren Höhepunkt erreichte diese Hysterie im berüchtigten Leo Taxil Schwindel (Deckname für Gabriel Jogand Pagès). Angeregt durch die Antifreimaurerenzyklika Leos XIII. ‘Humanum genus’ von 1884, hielt Taxil die katholische Öffentlichkeit als angeblich bekehrter Freimaurer durch seine Enthüllungen in Aufregung… 1887 empfing Leo XIII. Taxil… Kurze Zeit darauf hat Taxil in Paris den Schwindel öffentlich gestanden.» (Conzemius Kath. 1984, S. 33)

«Erst das 2. Vatikanische Konzil brachte Bewegung in die erstarrten Fronten. Die Erklärung des Konzils zur Religionsfreiheit und die sachliche Auseinandersetzung des französischen Juristen Alec Mellor mit der Geschichte der Freimaurerei schufen die Voraussetzungen für ein neues Verhältnis… Im neuen kirchlichen Strafrecht wird der Kirchenstrafen androhende Kanon 2335 nicht mehr erwähnt» (Conzemius Kath. 1984, S. 34). Die Streichung dieses Strafen Kanons hat aber keine Klärung gebracht, sondern eine Situation der Unsicherheit geschaffen: Die Position der katholischen Kirche dem Geist des Relativismus und der Oekumene gegenüber wurde unklar und widersprüchlich. So erklärte einerseits Josef Kardinal Ratzinger in einer ‘Erklärung der Glaubenskongregation zur Freimaurerei’ vom 26.11.1983: «Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert.» Andererseits wird dieses Urteil von wichtigen katholischen Persönlichkeiten in Frage gestellt. So erklärte zum Beispiel Herbert Vorgrimler, Dekan der katholischen theologischen Fakultät der Universität Münster, in einem Interview mit dem Österreichischen Fernsehen (ORF 1990), Ratzinger äussere in seinem Urteil über die Freimaurerei bloss seine persönlichen Vorbehalte und Ängste in einer Materie, in der er offenkundig nicht genug Bescheid wisse.

Wie dem auch sei: Die Streichung des Strafartikels hat die Situation für die katholische Kirche nicht erleichtert, sondern erschwert. Die Auseinandersetzung zwischen ‘katholischem Absolutismus’ und ‘freimaurerischem Relativismus’ findet nun nicht mehr zwischen Katholizismus und Freimaurerei, sondern in der katholischen Kirche selbst statt! Dieser Kampf, der in der Schweiz heute bei der umstrittenen Bischofswahl in Chur zum Ausdruck kommt, ist wohl für alle katholischen Beteiligten ausserordentlich schmerzhaft. Bei konservativen katholischen Autoren wie Adler (Kath. 1975, 1982, 1983), Baum (1975, 1976, 1977), Feuling (1975), Rothkranz (1990) herrscht Panikstimmung. Für sie steht ‘die Kirche im Endkampf’ (Baum). Dabei brauchen sie nicht nach ‘Verschwörern’ im Vatikan selbst zu suchen, »weil die Neu-‘Theologie’ das Gedankengut der Freimaurerei freiwillig übernommen hat und es nun aus dem Innersten der Kirche heraus zur Geltung bringt.« (Feuling, Kath. 1975, S. 72)

4.2.3. Andere Kirchen Ablehnung

Die Freimaurerei wird nicht nur von der katholischen, sondern auch von den orthodoxen Kirchen abgelehnt. »Die Bischöfe der griechisch-orthodoxen Kirche untersuchten am 12. Oktober 1933 das Verhältnis der Freimaurerei zum Christentum und kamen zum vernichtenden Urteil: “Die Freimaurerei ist eine Mysterienreligion, sie ist vom christlichen Glauben völlig verschieden, ihm entgegengesetzt und fremd.” Sie kann mit dem Christentum nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Den Geistlichen und Laien ist die Mitgliedschaft in Logen verboten. Tritt ein Geistlicher einer Loge bei, wird er aus dem Klerus entlassen.» (Bauhofer FM 1975, S. 22f.)

»Ferner haben sich gegen die Freimaurerei formell ausgesprochen: die kalvinistische Kirche in den USA, die reformierte niederländische Kirche in Südafrika (1940 und 1967), die Adventisten und die Zeugen Jehovas» (Bauhofer FM 1975). In protestantischen Ländern wurde die Freimaurerei anfänglich zum Teil verboten, die meisten protestantischen Kirchen kamen aber mit der Zeit zu einer neutralen oder positiven Haltung. So verboten die Regierung von Holland 1735, die Regierung von Schweden 1736, diejenige von Hamburg und Genf ebenfalls 1736 die Freimaurerei. (Hammer Prot. 1984, S. 26) »Drei Jahre später erreichten die zwinglianischen Pfarrer Zürichs dasselbe Verbot.« (Bauhofer FM 1975, S. 22) »König Friedrich von Schweden aus dem Hause Hessen Kassel verbot die Freimaurerei zunächst sogar bei Todesstrafe, stellte sich freilich später, dem preussischen Beispiel des grossen Friedrich II. folgend, an deren Spitze.» (Hammer Prot. 1984, S. 26) Nach Binder gibt es auch heute noch – vor allem in den Vereinigten Staaten – Gemeinden calvinistischen und lutheranischen Ursprungs, die sich gegen Mitgliedschaften aussprechen und ihren Mitgliedern mit Sanktionen im Falle einer Logenzugehörigkeit drohen. Ähnliche Beschlüsse weisen auch presbyterianische Gemeinden in Schottland und Irland auf«. Zudem wird die Freimaurerei nach Schenkel «in den pietistischen und orthodoxen Kreisen bekämpft«. Gesamthaft lässt sich sagen, «dass die Beziehungen der evangelischen Kirchen zur Freimaurerei ebenso vielfältig wechselnd wie gespalten waren und noch sind.» (Hammer, 1984, S.26)

Übrigens: Auch im Einzugsbereich anderer Religionen, besonders im Islam, wurde die Freimaurerei verboten. »Im ausserchristlichen Raum wurde der Sultan durch eifrige Muselmanen zu einem Verbot der ‘neuen Sekte’ überredet.« (Bauhofer, 1975, S. 22). Zu einem Erfolg der Freimaurerei gegenüber dem islamischen Fundamentalismus kam es 1923 in der Türkei. Kemal Atatürk, der ‘Vater der modernen Türkei’, war Freimaurer. (Oslo,1988, S.404)

Neutralität

»Die Methodisten, Baptisten, Presbyterianer und Episkopale haben nie Einwände gegen die Freimaurerei erhoben… Die altkatholischen Nationalkirchen haben weder in der Konvention von Utrecht 1889, noch anlässlich der Interkommunion mit der anglikanischen Kirche 1932, noch in ihrer Literatur sich mit der Freimaurerei auseinandergesetzt.» (Bauhofer, 1975, S. 23) In letzter Zeit ist auch die Haltung der Anglikanischen Kirche wieder etwas zurückhaltender. Denn: »1984 häuften sich – im Zuge einer breit angelegten Freimaurerdebatte in Grossbritannien – negative Stimmen, wobei auch seitens der Church of England und der Unitarischen Kirche gewisse Bedenken gegenüber der Bruderschaft erhoben wurden.« (Binder, 1988, S. 103).

Zustimmung

»In England, Schweden, Preussen und den meisten überwiegend protestantischen deutschen Bundesstaaten hat schon die Teilnahme der Fürsten am Logenleben ein friedliches Verhältnis nahegelegt. Von seiten der Freimaurerei ist dieses friedliche Verhältnis nie und nirgends gestört worden… Immer haben in Deutschland zahlreiche evangelische Geistliche der Loge angehört. Viele Freimaurer waren und sind Mitglieder kirchlicher Kollegien. Evangelische Geistliche nehmen als Redner, Meister vom Stuhl, ja auch als Grossbeamte und selbst als Grossmeister wichtige Stellen im deutschen Logenleben ein. Auf der Jahresversammlung des Vereins deutscher Freimaurer 1925 wurden einige der wichtigsten Beratungsgegenstände von Pfarrern vorgetragen. Die Gedankenwelt der meisten deutschen Logen ist weithin dadurch bestimmt, dass die meisten Mitglieder gebildete Protestanten sind.« (Schenkel, 1926,  S. 33f.) Ähnliches kann von der evangelischen Kirche in Schweden sowie von der Anglikanischen Kirche gesagt werden. Rund 100’000 Anglikaner sind Mitglieder der Logen. Es gehören den Logen auch mehr als 17 Bischöfe und über 500 Geistliche an. Selbst das ehemalige Kirchenoberhaupt, Erzbischof Fisher von Canterbury, war Logenmitglied. (Bauhofer, 1975, S. 23) In Deutschland und England war es unter Umständen sogar möglich, dass Logen praktisch identisch waren mit einem Bund der Theologen! In der Schweiz war meines Wissens die Freimaurerei nie einem solchen Ausmass geistiger Beeinflussung ausgesetzt, wenngleich es nie an Pfarrern als Mitglieder von Bauhütten fehlte. So war zum Beispiel der langjährige Grossmeister der ‘Alpina’, J. Böni, Pfarrer. Zudem waren beispielsweise Liederdichter wie Matthias Claudius, Friedrich Gottlob Klopstock und Friedrich Rückert, deren Lieder heute noch in der Landeskirche gesungen werden, Freimaurer. (Schenkel, S. 33)

Trotz der grundsätzlichen Zustimmung kam es auch in den erwähnten Landeskirchen zu Auseinandersetzungen über die Freimaurerei und ihre enge Verflechtung mit der Kirche. Die schwerste dieser Auseinandersetzungen wurde vom Berliner Theologieprofessor und Begründer der ‘Evangelischen Kirchenzeitung’ Ernst Wilhelm Hengstenberg initiiert. In seinem dreiteiligen Werk ‘Die Freimaurerei und das evangelische Pfarramt’ (Berlin 1854 und 1855) forderte er, evangelischen Geistlichen sei die Mitgliedschaft in den Logen zu verunmöglichen. (S. dazu Schenkel S. 34f.) Den freimaurerischen Standpunkt vertrat in dieser Auseinandersetzung hauptsächlich der evangelische Geistliche G.A. Schiffmann, ‘Archidiaconus’ an St. Jacobi in Stettin sowie freimaurerischer ‘Provinzial Grossmeister’ für Posen und ‘Unterarchitekt’ des Ordens. (Stettin 1857) Der Streit wurde schliesslich weniger durch Argumente entschieden, als durch den Umstand, dass der damalige Prinz Wilhelm, der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I., Freimaurer war. (Schenkel, S. 35)

Schenkel (Ebd. 170) fasst die kirchengeschichtliche Bedeutung der Freimaurerei aus seiner Sicht wie folgt zusammen: »Die kirchengeschichtliche Bedeutung der Freimaurerei liegt in ihrem Gegensatz gegen den römischen Klerikalismus, in der Ablehnung des materialistischen Atheismus und dem Festhalten an dem theistischen Idealismus, endlich aber darin, dass sie die einzige grosse und festgefügte Organisation ist, deren Geist im allgemeinen der liberal protestantischen Lebensauffassung entspricht.«

4.2.4. Totalitarismus

Zum Thema ‘Freimaurerei im Zeitalter des Totalitarismus’ siehe besonders den Aufsatz von Kreis (1984, S. 19ff.) und die darin angegebene Literatur. Die Freimaurerei wurde verboten: 1917 in Russland, 1919 in Ungarn, 1925 in Italien, 1934/35 in Deutschland, 1938 in Österreich und 1940 im besiegten Frankreich, zudem in Portugal unter Salazar und in Spanien unter Franco. In der Schweiz lancierten 1934 Frontisten eine Volksinitiative zum Verbot der Freimaurerei. Diese Volksinitiative wurde vom Nationalrat mit 107:2, vom Ständerat mit 22:0 und vom Volk am 28.11.1937 mit 68,7% der Stimmen abgelehnt. (S. dazu Kreis, 1984,20ff. sowie Herren,1981, S. 215ff.)

Kommunismus

»1922 wurde auf dem vierten Kongress der Kommunistischen Internationale die Freimaurerei als politische Organisation der Bourgeoisie gebrandmarkt und gleichzeitig eine Mitgliedschaft für Kommunisten als unvereinbar deklariert, während die Freimaurerei Fidel Castros Revolution auf Cuba überlebte.» (Binder) Das Urteil der orthodoxen Kommunisten und Marxisten Leninisten über die Freimaurerei kommt im folgenden Zitat Leo Trotzkis (1923 im Moskauer Regierungsorgan ‘Iswestija’ wohl treffend zum Ausdruck: »Sie ist die kapitalistische Feindin des Kommunismus; sie ist rückständig wie die Kirche, der Katholizismus. Sie stumpft die Schärfe des Klassenkampfes durch Mystizismus, Sentimentalität und moralischen Formenkram ab… Mit glühenden Eisen müsste sie mit ihrer Gefolgschaft ausgerottet werden, denn sie schwächt die Lehren des Kommunismus durch ihre bürgerlichen Journalisten ab.» (Trotzki zit. in Oslo, S. 349)

Mit den Umwälzungen im Ostblock erleben auch die Logen eine ‘stille Renaissance’   Ende Januar 1990 wurde zum Beispiel in Ungarn, nach vierzigjährigem Verbot, eine Loge wiederbelebt. (Ulmer Journ. 1990) Der Absolutheitsanspruch einer einzigen Partei ist natürlich mit dem freimaurerischen Credo ebensowenig vereinbar wie der Absolutheitsanspruch einer einzelnen Rasse oder gar eines einzelnen Volkes.

Nationalsozialismus

Das folgende Urteil Hitlers über die Freimaurerei scheint mir sehr aufschlussreich zu sein: «Ich glaube natürlich nicht im Ernst an die abgrundtiefe Bosheit und Schädlichkeit dieser in Deutschland immer harmlos gewesenen Vereinigung. Ich habe mir sehr genau Bericht erstatten lassen. Nun, was da von angeblichen Greueln zutage kam, von Skeletten, Totenköpfen, Särgen und geheimnisvollen Zeremonien, das ist alles Kinderschreck. Aber eins ist das Gefährliche, und ist auch dasjenige, was ich von den Freimaurern übernommen habe. Sie haben eine Lehre gebildet, die in Symbolen und Riten stufenweise höhere Einsicht gewährt. Die Erziehung durch Symbole und Riten ist das Gefährliche und Grosse und von mir Übernommene. Sehen Sie nicht, dass unsere Partei etwas ganz ähnliches sein muss? Aber das bedeutet natürlich, dass es nicht etwas Ähnliches von anderer Seite geben darf. Entweder wir oder die Freimaurer oder die Kirche. Aber niemals zwei nebeneinander. (Hitler zit. in Itor,1987, S. 64f.)

In der Auseinandersetzung der Alliierten mit dem Nationalsozialismus spielten nicht nur Worte und Panzer, sondern auch Symbole eine Rolle. Der Handmagie Hitlers zum Beispiel (‘deutscher Gruss’) setzte der Freimaurer Winston Churchill die brennende Zigarre und das V Zeichen entgegen. Das V Zeichen (Victory) soll Churchill von seinem Mentor in Sachen Magie, dem Satanisten Aleister Crowley, übernommen haben. (Dazu Memopress Nr. 2, S. 1982) Neben Winston Churchill waren noch andere prominente Führer der Alliierten Freimaurer, so die amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry S. Truman. (Itor FM 1987 69) Von den deutschen Freimaurern nahmen viele am aktiven und passiven Widerstand teil; viele wurden ermordet. (Binder Wiss. 1988 79f.)

4.2.5. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann zum Thema ‘externe Auseinandersetzungen’ gesagt werden: Der Geist der Freimaurerei hat nicht nur den Absolutismus besiegt, sondern auch den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Die evangelischen Kirchen hat er gespalten und zum Teil ganz beschlagnahmt, wobei der Hauptangriff gegen die Waffe gerichtet ist, die die Reformatoren dem Katholizismus entgegenhielten: das Wort. Seit dem zweiten vatikanischen Konzil wirkt er innerhalb der katholischen Kirche.

 

5. Einfluss auf Staat, Wirtschaft und Gesellschaft

Die Freimaurerei tritt gegen aussen nicht durch ihre Institutionen, Logen, Grosslogen oder internationalen Vereinigungen in Erscheinung, sondern will hauptsächlich über die einzelnen Mitglieder als individuelle Persönlichkeiten Einfluss auf Staat, Wirtschaft und Gesellschaft nehmen. Darum geht es in diesem Kapitel in erster Linie um eine Zusammenstellung der Namen von Personen, die nachgewiesenermassen Freimaurer waren. Dabei werden wohl einige Lücken offen bleiben, vor allem was die Mitgliedschaft der heute noch lebenden Freimaurer angeht. Jeder Freimaurer kann sich über seine eigene Mitgliedschaft offen äussern, gleichzeitig hat er sich aber verpflichtet, nichts über die Mitgliedschaft anderer auszusagen. So mag aber dennoch ein Mosaik entstehen, das ein mehr oder weniger deutliches Bild über das Wirken der Freimaurer und die Wirkung der Freimaurerei sichtbar macht.

Natürlich sind auch die internationalen freimaurerischen Vereinigungen nicht ohne Einfluss, von denen die drei wichtigsten ihren Sitz in der Schweiz haben:   Die Internationale Maurerische Vereinigung (AMI) mit Sitz in Genf hat die Grosslogen der Johannismaurerei als Mitglied.   In der Allgemeinen Freimaurer Liga mit Sitz in Basel können alle Freimaurer als Einzelpersonen Mitglied werden.   Die Lausanner Konföderation der Hochgradfreimaurer gilt als das Aktionszentrum der sogenannten ‘Weltfreimaurerei’. (S. dazu auch: Blaubuch FM 1934, Lerich FM 1937 28f.) Auf die Aktionen dieser Vereinigungen kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden, da wir über zuwenig zuverlässige Informationen verfügen.

5. 1. Einfluss auf den Staat

Der Einfluss der Freimaurerei auf den Staat hat sich vorerst in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich gestaltet, bedingt durch «den verschiedenen Volkscharakter, die Verschiedenheit der politischen Zustände und vor allem durch die Verschiedenheit der kirchlichen und kulturellen Verhältnisse.» (Schenkel, S. 30) Auf die einzelnen Länder soll im folgenden kurz eingegangen werden. Im allgemeinen können wir sagen, dass die Freimaurerei in den angelsächsischen sowie in anderen protestantischen Ländern sehr bald zu einer staatsfreundlichen, staatsbildenden und staatstragenden Macht wurde, während in den romanischen und anderen katholischen Ländern bis zum Zeitpunkt der allfälligen Machtübernahme ein antiklerikaler, kritisch bis revolutionärer Einfluss ausgeübt wurde.

Seit ihrer Gründung hat die Freimaurerei versucht, in den einzelnen Staaten ‘von oben’ Einfluss auszuüben und die obersten Machthaber für sich zu gewinnen. Das ist ihr in manchen Ländern sehr bald gelungen.

5.1.1. Die konstitutionelle Monarchie

Zur Zeit der Gründung waren die obersten Machthaber Monarchen. Im umfassenden und aufschlussreichen Werk von Riegelmann (1943, Neudruck 1985) über ‘die europäischen Dynastien in ihrem Verhältnis zur Freimaurerei’ sind unter anderem übersichtliche ‘genealogische Tafeln’ enthalten, wobei von jeder Person angegeben ist, in welchem Verhältnis sie zur Freimaurerei stand (Mitglied, Freund, Gegner) und wie sich das Verhältnis entwickelte. In England kam es schon früh zu einer ‘Identität zwischen Dynastie und Freimaurerei’. Riegelmann findet »in 225 Jahren zwanzig Angehörige des englischen Königshauses als Mitglieder der Freimaurerei vor und z.T. sogar mit höchsten maurerischen Würden ausgestattet, darunter fünf britische Könige… Zugleich finden wir keinen einzigen Gegner der Freimaurerei im englischen Königshause.» (Ebd. 402f.) Hauptsächlich in England und durch England, später auch durch die USA, machte die Freimaurerei Politik. Zeitweise war der Einfluss über die Monarchen auch in Deutschland stark, und besonders auch »die nordischen Dynastien sind mit sehr zahlreichen Angehörigen aktiv der Freimaurerei verbunden.» (Ebd. 408)

Die Monarchen versuchten in der Regel, sich der Freimaurerei als machtpolitisches Instrument zu bedienen: Die Dynastie schafft sich in der Freimaurerei ein politisches Instrument. Riegelmann zeigt, dass diese Rechnung im Rückblick nicht aufgegangen ist. Umgekehrt: Die Freimaurerei hat sich der Dynastien bedient. Manchen Monarchen war ‘die grundsätzlich antimonarchische Einstellung der Freimaurerei’ von Anfang an bewusst. Daher »die so zahlreichen Verbote der Freimaurerei in den verschiedensten monarchischen Staaten Europas im Wandel der Zeiten.« (Ebd. 41.) In Deutschland und Dänemark entstanden ‘Antimassonianische Sozietäten’. «Hier bildet sich sozusagen erstmalig eine antifreimaurerische Organisation rein aristokratischen Charakters bzw. eine regelrechte Dynasten Bewegung gegen die als staatsfeindlich erkannte Freimaurerei.« (Ebd. 411) Manche Freimaurer Monarchen haben sich mit der Zeit selbst wieder von der Freimaurerei distanziert, so auch Friedrich der Grosse, dessen Vater, Friedrich Wilhelm I., ein ausgesprochener Feind der Freimaurerei war.

Der Rückblick zeigt also, dass sich die Freimaurerei der monarchischen Dynastien nur bedient hat, um ihr eigenes Programm durchzusetzen, das nicht monarchistisch ist. Auf monarchistischem Boden ist die konstitutionelle Monarchie das Ziel der Freimaurerei. Das war auch, wie wir gesehen haben, am Anfang der Französischen Revolution so. (Hess FM 1989 163) Diejenigen Monarchien und Dynastien aber, die sich nicht mit einer weitgehenden und grundsätzlichen Relativierung ihres Herrschaftsbereiches haben abfinden können, sind von der politischen Landkarte verschwunden. «Im Grunde widerspricht die Existenz jeder Monarchie jeglicher freimaurerischen Lehre, Haltung, Zielsetzung: der universal überstaatlich, inter  und antinational gemeinte, empfundene und angewandte Satz von ‘Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit’ bestreitet von vornherein jeder Dynastie, jeder nationalen Monarchie wie überhaupt jedem eigenständigen und ‘autoritären’ Führertum das Daseinsrecht.« (Riegelmann, S.412).

5.1.2. Gewaltentrennung, demokratischer Rechtsstaat

Den freimaurerischen Idealen entspricht auf politischer Ebene die Idee der Gewaltentrennung und der Versuch, national und international einen demokratischen Rechtsstaat zu bilden. Wenn es keine absolute Wahrheit gibt, dann kann es auch niemanden geben, der ‘rechtmässig’ uneingeschränkt Macht ausüben kann. Jeder menschlichen Machtausübung ist zu misstrauen, und jede Gewalt muss durch eine andere Gewalt kontrolliert werden und notfalls in die Schranken gewiesen werden können. Charles Louis de Secondant, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689 1755) war Freimaurer und «Mitbegründer einer der ersten französischen Logen». (Oslo, S.406) Montesquieu gilt bekanntlich als Vordenker der Gewaltentrennung und als einer der Begründer des demokratischen Rechtsstaates. Nach seiner Vorstellung der Gewaltentrennung in Legislative, Exekutive und Judikative sind die USA, die Schweiz und andere Länder politisch organisiert. Heute spielen die Medien als sog. 4. politische Kraft eine immer wichtigere Rolle.

Das Wesen des demokratischen Rechtsstaates besteht darin, dass alles staatliche Handeln nur innerhalb und aufgrund von Gesetzen erfolgen soll, die in einem demokratischen Verfahren zustande gekommen sind. Nicht Gott stiftet jetzt mehr die Gesetze, und es geht nun auch nicht mehr nur um ein Volk. Der Mensch gibt sich die eigenen Gesetze selbst. Jedes Volk soll sich seine eigenen Gesetze selbst geben. Es kommt nun zu einer neuen Art von Gesetzlichkeit’: der Mensch erwartet Ruhe, Ordnung, Sicherheit etc. aufgrund der selbst gegebenen Gesetze, und er verzichtet auf Selbstjustiz zugunsten der gemeinsamen Justiz. Die Einübung in diese rechtsstaatliche Art sittlichen Verhaltens wird heute noch oft in den ‘Western’ dargestellt: Der ‘Wilde Westen’ wird zivilisiert, indem der wirklich ‘Gute’ den Bösewicht nicht umbringt, sondern einem ordentlichen Gericht übergibt.

5.1.3. Einzelne Länder

Im folgenden sollen die wichtigsten Staatsmänner der einzelnen Länder, die Freimaurer waren, genannt werden. Die Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft werden in den nächsten Abschnitten aufgeführt.

Grossbritannien:

«Der Einfluss der Freimaurerei in England ist kaum abzuschätzen. Wenn man alle berühmten Freimaurer Englands, Schottlands und Irlands aufzählen wollte, hiesse das, eine Geschichte dieser Länder seit bald dreihundert Jahren in ihrem Verlauf auf allen Gebieten darzulegen. Darunter sind fünf Könige und viele ihrer Brüder und nächsten Verwandten, die Politiker von Lord Chesterfield bis Winston Churchill; das Heer und die Flotte sind durch Männer wie Wellington, Kitchener, Haig und viele andere vertreten.» (Naudon,1982, S. 58) Zu nennen wäre noch der Seeheld Admiral Nelson sowie der einflussreiche Staatsmann und Schriftsteller Benjamin Disraeli (1804  1881). Die folgenden Könige von England waren Freimaurer: Georg IV., Wilhelm IV., Eduard VII., Eduard VIII., und Georg Vl. Die Zahl der Freimaurer in Grossbritannien wird heute auf 600’000 geschätzt.

Deutschland und Österreich:

Auf englisches Betreiben konnte Friedrich der Grosse während seiner Kronprinzenzeit zum Eintritt in eine Loge gewonnen werden. (Riegelmann, 406) »Freimaurer waren im übrigen König Friedrich Wilhelm II., der aber zunehmend immer mehr der Rosenkreuzerei in die Hände geriet, Wilhelm I., der spätere Kaiser, der auch Protektor der Altpreussischen Grosslogen war, wie sein Sohn, der spätere Kaiser Friedrich III. … Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., war nicht Freimaurer, ebensowenig sein Bruder… und die sechs Söhne des Kaisers. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es Bismarck gewesen ist, der einen etwaigen Eintritt Wilhelms II. noch als Prinz von Preussen zu verhindern gewusst hat.» (Riegelmann S. 406) Berühmte Freimaurer Militärs waren die Generäle Gebhard von Blücher, Neidhardt von Gneisenau und G.J.D von Scharnhorst. (Oslo, S. 401) Nur wenige wichtige Angehörige des Hauses Habsburg Lothringen waren Freimaurer. «Der erste von ihnen war der spätere Kaiser Franz I. und Gemahl der Kaiserin Maria Theresia… Als letzter Angehöriger dieser Dynastie galt Kronprinz Rudolf von Österreich in Hofkreisen als Freimaurer… Demgegenüber hat die Freimaurerei in Österreich seit der Zeit Maria Theresias über Joseph II., Leopold II., Franz II. (Metternich) bis zum Zusammenbruch des Habsburgerreiches beständig unter schärfsten Verboten der kaiserlichen Regierung gestanden.» (Ebd. 405) Heute gilt die FDP in Deutschland als die Partei der Freimaurer. Im übrigen beschäftigen sich laut Valmy die deutschen Freimaurer hauptsächlich mit der Interpretation von Symbol und Ritual sowie mit Forschung und Philosophie. Ihre Zahl wird auf 20’000 geschätzt. Von den Nachkriegspolitikern in Österreich ist Fred Sinowatz sicher Freimaurer (Binder,107). Bruno Kreisky soll angefragt worden sein, aber den Beitritt abgelehnt haben. (Memopress, Nr.2, 1982, S.4 »Ich wollte keinem geheimen Verein angehören.»)

Schweiz:

«Der seit 1830/48 politisch herrschende Freisinn war teils von Freimaurern durchsetzt. Zumindest sprach man davon, dass, wenn man Helveter, Freisinniger und Freimaurer sei, man den Aufstieg zum Regimentskommandanten und Nationalrat nicht verhindern könne. Nachweislich waren die Freimaurer zwischen 1881 und 1919 mit gut zehn Prozent in beiden Kammern vertreten… Es gehörten allerdings nur fünf Bundesräte   darunter hervorragende wie Furrer und Ruchonnet   der Freimaurerei an. Der Einfluss war in den Kantonen Waadt, Genf und Neuenburg, wo die Logen seit jeher zahlreich waren, besonders stark, später auch in anderen Kantonen.» (Im Hof, 1984, 14) Jonas Furrer war der erste Schweizer Bundespräsident, die Namen der anderen Bundesräte, die mit Sicherheit Freimaurer waren, sind: Borel, Lachenal, Ruchet, Ruchonnet. (Itor S. 68) Während des zweiten Weltkrieges betrieb der Freimaurer Hans Hausamann (1897 1974) mit seinem ‘Büro Ha’ einen erfolgreichen ‘privaten’ Geheimdienst. (Alpina Nr. 10/1984 235) Heute gibt es in der Schweiz rund 4’000 Freimaurer in 59 Logen.

Frankreich:

Der Einfluss der Freimaurer zur Zeit der Französischen Revolution wurde bereits kurz dargestellt. Die Mitgliedschaft Napoleons I. in einer Loge ist nicht nachgewiesen. Hingegen behandelte er die Freimaurerei als eine offiziöse Einrichtung und unter seiner Protektion stehend. Die Mehrheit der Offiziere in Napoleons Heeren waren Maurer, die überall, wo sie hinkamen, Logen gründeten, und es gab kaum einen Marschall von Frankreich, der nicht dem Bunde angehörte. (Naudon,1982, 91) «Der ‘Bürgerkönig’ Louis Philippe von Orléans, der Sohn des Renegaten und einstigen Grossmeisters des ‘Grand Orient de France’, Philippe Egalité , war der einzige französische König, der selber Freimaurer war… Napoleon III. war mit Hilfe der schärfsten Gegnerin aller Freimaurerei, der klerikal jesuitischen Partei, ’Präsident der Republik’ und schliesslich ‘Kaiser der Franzosen’ geworden… Zuletzt aber triumphierte in der ‘dritten Republik’ jenes radikal demokratische System, das seine freimaurerische Herkunft und Beschaffenheit nie verleugnet hat.» (Riegelmann, S.404) Die Trennung von Kirche und Staat, die ausschliesslich von Laien geleitete Volksschule, die Aufhebung der religiösen Orden   all dies war kurz nach der Jahrhundertwende im wesentlichen das Werk freimaurerischer Politiker, wobei freimaurerische Gesichtspunkte die entscheidende Rolle gespielt haben. (Valmy, S. 27) Valmy bezeichnet die französische Freimaurerei als ein ‘schillerndes Gebilde’, aufgespalten in ‘sieben Obedienzen mit teilweisen Kontakthürden’ und insgesamt rund 35’000 Mitgliedern. Sie stehen heute meist der sozialistischen Partei nahe. Der heutige Staatspräsident Francois Mitterrand soll einer Loge angehören.

Italien:

Die italienische Freimaurerei des 19. Jahrhunderts hat stets «in heftigster Weise gegen das Papsttum frondiert«. (Frondieren = Widerstand zeigen) (Mellor Wiss. 1985, 177) Wichtigste Mitglieder waren der Freiheitskämpfer und Staatsmann Giuseppe Garibaldi (1807 1882), der geistige Führer der radikalen Richtung des italienischen Risorgimento (Risorgimento = ital. Einigungsbestrebungen im 19. Jh.), Giuseppe Mazzini (1805-1872) sowie der liberale Staatsmann Camilio Benso Graf v. Cavour (1810-1861). Der Offizier und Dichter Gabriele D’Annunzio (1863-1938) war ebenfalls Freimaurer. (Naudon, S. 162) Im 20. Jahrhundert hat die italienische Freimaurerei unter anderem durch die unrühmliche ‘Geheimloge P2’ von sich reden gemacht.

Skandinavien:

Der schwedische Mystiker Emanuel Swedenborg (1688-1772) war nie Freimaurer, hat jedoch die Schwedische Lehrart beeinflusst. (Naudon, S. 157) Diese entwickelte sich «um 1760 aufgrund französischer und anderer Hochgradmaterialien zu einem hierarchisch eingerichteten, gnostisch kabbalistischen System mit neun Graden, das im alleinigen Bewahrer des Geheimnisses, dem Ordensmeister gipfelt, der auch Vicarius Salomonis oder ‘Stellvertreter Christi’ heissen konnte» (Hammer Prot. 1984 26, s.a. Nielsen Prot, FMG 1882, 1883). Mitglied waren die meisten schwedischen Könige, nämlich: Oskar I., Oskar II., Gustav III., Gustav IV., Karl XIII., Karl XIV., Karl XV., Gustav V., Gustav VI. (Itor S. 68). Auch viele dänische Könige waren Freimaurer: Friedrich V., Friedrich VI., Friedrich VIII., Christian VIII., Christian X. (Itor S. 69) Christian VIII. führte die Schwedische Lehrart in Dänemark ein. (Nielsen 1882 S.2) Bekannte norwegische Freimaurer waren König Haakon VII. (1872 1957) und der als Kollaborant mit Hitler hingerichtete Vidkun Quisling (1887 1945). (Itor S.59, Naudon S. 157) Freimaurer war auch der erste isländische Staatspräsident Sveinn Björnsson (18811952). (Itor S.68)

Niederlande und Belgien:

«Die Königshäuser der Niederlande und Belgiens haben zwar der Freimaurerei einige Angehörige gestellt, ohne jedoch politisch hiermit irgendwie hervorzutreten. Selbst Leopold I. von Belgien z.B. hielt sich im Gegenteil aus politischer Klugheit… von der Freimaurerei, der er selber angehörte, sehr distanziert.« (Riegelmann S. 409) Itor nennt die holländischen Könige Louis Bonaparte und Wilhelm II. als Logenmitglieder.

Andere westeuropäische Länder.

Die Dynastien in Spanien und Portugal sind »fast gar nicht mit Mitgliedern in der Freimaurerei vertreten.» (Riegelmann S. 409) Einzig die spanischen Könige Karl III. und Amadeus Ferdinand von Savoyen sollen einer Loge angehört haben. (Itor S. 69) Die Monarchien und Herrscher dieser Länder werden oft von der Freimaurerei bekämpft. «Nirgends hat sich der Kampf zwischen der revolutionären Freimaurerei und der streng katholischen Monarchie in so radikalen Formen abgespielt wie hier.» (Riegelmann S. 409) Freimaurer waren die griechischen Könige Konstantin I. (1868-1923) und Georg II. (1890 1947). (Oslo S. 401, 404) Der irische Katholikenführer Daniel O’Connell (1775-1847) gehörte ebenfalls einer Loge an. (Oslo S. 407)

Osteuropa:

Die folgenden russischen Zaren sollen Freimaurer gewesen sein: Alexander I., Peter III., Paul I., Alexander II. (Itor S. 68) Zwischen Zarentum und Freimaurerei kam es auch zu schweren Auseinandersetzungen. »Die Führer des Dekabristen Aufstandes vom 14.12.1825 waren fast ausnahmslos Freimaurer: an ihrer Spitze P.I. Pestel (1792-1825), der geistige Urheber der ersten organisierten Erhebung gegen das Zarenreich.« (Itor S. 49) Später waren die Freimaurer in der liberalrevolutionären ‘Kadettenpartei’ vertreten und versuchten, die Aufklärung in Russland voranzutreiben. Freimaurer war auch der russische Politiker A.F. Kerenskij (1881-1970). (Lerich S.43) «Die Fürsten Lwow und Nolde waren eifrige Freimaurer, und bis zur Revolution wahren die russischen Logen ihren Mystizismus, der sich vor allem in der Wertschätzung des Grades vom Rosenkreuz kundtut. Das politische Leitbild der Logen war eine parlamentarische Demokratie des westlichen Typs.» (Mellor S. 471) Die bekannten tschechischen Politiker Eduard Benesch (1884-1948) und Jan G. Masaryk (1886-1948) waren Freimaurer. (Oslo S. 395, Itor S. 59f.) Die polnischen Könige Stanislaus I. und Stanislaus II. waren Logenmitglieder. (Itor S. 69) Wie erwähnt erfahren die Logen jetzt im Osten eine Renaissance.

Vereinigte Staaten von Amerika:

In den USA hat die Freimaurerei eine staatsbegründende und staatstragende Bedeutung. »50 von den 55 Mitgliedern der konstituierenden Nationalversammlung, sämtliche Gouverneure der 13 Gründerstaaten, 20 von 29 Generälen George Washingtons und 104 seiner 106 Offiziere waren aktive Freimaurer. Der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson, gehörte ebenso einer Loge an… Die Grundsteinlegung zum Kapitol in Washington, die nach freimaurerischem Ritus vor sich ging, vollzog George Washington bekleidet mit einem von der Marquise Lafayette für ihn angefertigten Freimaurerschurz» (Itor,1987, S.11). Auch der Diplomat, Erfinder und Schriftsteller Benjamin Franklin (1706-1790) war Freimaurer; 1734 wurde er Provinzialgrossmeister für Pennsylvania. Ein grosser Teil der amerikanischen Präsidenten gehörte einer Freimaurerloge an, so unter anderen nach George Washington: James Monroe, Andrew Jackson, James K. Polk, James Buchanan, Abraham Lincoln, Andrew Jackson, James A. Garfield, William McKinley, Theodore Roosevelt, William Howard Taft, Warren G. Harding, Franklin D. Roosevelt, Harry S. Truman, Lyndon B. Johnson, Gerald Ford. (Itor S.69, Naudon S. 194, Oslo S. 400ff.) Auch viele Generäle machten in der Freimaurerei mit, so zum Beispiel: John J. Pershing, Charles P. Summerall, Douglas Mac Arthur, Malin Craig, Henry H. Arnold. (Itor S. 69, Naudon S. 194) Auch John Edgar Hoover, langjähriger Direktor des FBI, war Freimaurer. (Oslo S. 403) Neben England sind die USA wohl das ‘freimaurerischste’ Land der Welt. Von den weltweit 6 Millionen Freimaurern leben 4 Millionen in den USA. Es bestehen in den USA rund 15’700 Logen, weltweit gibt es etwa 33’600 Logen. (Von Ins,1974 S. 29) Wie wir sehen werden, haben Freimaurer auch das amerikanische Kulturleben entscheidend mitgeprägt.

Südamerika:

Bekannte Freimaurer waren:

 – Simon Bolivar (1783 1830), Führer der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und Freiheitsheld des ganzen Kontinents. (Oslo S.397)
 – Miguel Hidalgo y Costilla (1753 1811), katholischer Priester und ‘Vater der mexikanischen Unabhängigkeit’. (Oslo S. 403)
 – José Maria Marti (1853 1895), ‘Apostel und Märtyrer der kubanischen Unabhängigkeit’. (Itor S. 60)
 – Tomas Cipriano de Mosquera (1798 1878), kolumbianischer Patriot und General. (Naudon S. 204)
 – Anastasio Somoza Gareia (1896 1956), von 1937 bis 1947 Präsident von Nicaragua. (Oslo S. 409)
 – Salvadore Gossens Allende (1908 1973), Arzt, Marxist, 1970 1973 chilenischer Staatspräsident. (Oslo S. 409)

Andere Länder.

Ausserhalb der westlichen Welt gelang der Freimaurerei der bisher wohl grösste politische Erfolg in der Türkei. 1923 setzte der Freimaurer Kemal Atatürk (1881-1938), der ‘Vater der Türken’, den Sultan ab und rief die Republik aus. Die Auseinandersetzung zwischen westlicher Orientierung und islamischem Fundamentalismus prägt noch heute die politische Landschaft dieses Landes. In China war der grosse Politiker Sun Yat sen (1866-1925), der Begründer und Führer der ‘Kou min tang’ (KMT), Freimaurer. Logenmitglied war auch der chinesische General und Politiker Tschiang Kai-schek (1887-1975), der Begründer des heutigen Staates Taiwan. (Itor S. 68, Lerich S. 48) Freimaurer waren zudem der philippinische Nationalheld José Rizal sowie der Präsident der kurzlebigen philippinischen Republik nach dem spanisch amerikanischen Krieg, Aninaldo. (Lerich S. 48) Der indische Jurist und Politiker Pandit Motilal Nehru (1861-1931), der Vater von Jawaharlal Nehru, war Mitglied einer Loge. (Oslo S. 407) Schliesslich war der südafrikanische Verwaltungsexperte und Finanzier John Cecil Rhodes (1853-1902) Freimaurer. Nach ihm war der Staat ‘Rhodesien’ benannt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die westlich demokratische Staatsauffassung wesentliche Impulse durch freimaurerischen Geist empfangen hat. Manche Staaten bauen buchstäblich auf dem Fundament der Freimaurerei auf. Freimaurerischer Geist wird vor allem in den angelsächsischen Ländern und durch die angelsächsischen Länder in der ganzen Welt wirksam. Der ideale freimaurerische Staat ist derjenige, in dem die Gewalten getrennt sind, sich wechselseitig begrenzen und kontrollieren, so dass niemand absolute Macht ausüben kann. Jede Machtausübung soll innerhalb und aufgrund von Gesetzen erfolgen, die in einem demokratischen Verfahren zustande gekommen sind.

Wenn wir uns auch heute auf staatspolitischem Gebiet nichts besseres vorstellen können als einen demokratischen Rechtsstaat, so wissen wir aus unserer christlichen Sicht eines gewiss: auch er hat nur eine relative, beschränkte Bedeutung. Ob und wie diese – wie auch jede andere – Staatsform funktioniert, hängt vom Geist ab, der durch sie zur Geltung gebracht wird oder gebracht werden kann. Ohne den Geist Christi ist meines Erachtens gerade diese Staatsform nicht dauerhaft lebbar, sie wird zur Farce und oft bald wieder abgeschafft. Die Beter erhalten den Staat, nicht die Gesetze. Rein menschliche Gesetze, Gesetze, die nicht aus dem Geist des Lebens geboren sind, blockieren das Leben, wirken ungerecht, werden umgangen und übertreten, untergraben letztlich das Vertrauen in den Staat. Aufgrund von Gesetzen allein kann niemand leben. Gesetze sind notwendig zur Disziplinierung von Menschen.

 

5.1.4. Überstaatliche Vereinigungen, Weltpolitik

Freimaurer haben sich nicht nur für nationalstaatliche Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit, sondern schon bald auch für überstaatliche Vereinigungen eingesetzt. Der deutsche Philosoph und Freimaurer Karl C. F. Krause (1781 1832) zum Beispiel konzipierte die «frühzeitige Form eines Völkerbundes in föderativer Form». (Valmy, S. 55) Auch der französische Publizist Maurice Monier (1877-1931) gilt als ein ‘Vorkämpfer für Völkerversöhnung’. (Oslo, 406) »Der Völkerbund ist keine direkte freimaurerische Gründung, er ist aber eine Institution, die naturnotwendig aus dem Geiste der Loge heraus geboren wurde« (Lerich, S. 39). Der deutsche Staatsmann und Freimaurer Gustav Stresemann (1878-1929) »erregte weltweites grosses Aufsehen mit der unverkennbar freimaurerisch geprägten Antrittsrede vor dem Völkerbund.» (Oslo S. 409) Der erste Vorsitzende des Völkerbundrates war der damalige französische Ministerpräsident und Freimaurer Léon Victor Auguste Bourgeois (1851-1925). (Oslo, S. 397)

Der Völkerverständigung   unabhängig und trotz jeder Sprachverwirrung sollte auch die Schaffung einer neuen, künstlichen Weltsprache dienen.

Der Erfinder des Esperanto, der Deutsche Ludwig Lazarus Zamenhof (1859 1917) war Freimaurer. Der im Jahre 1913 unter anderen vom Schweizer Theologieprofessor Quartier la Tente mitgegründete freimaurerische ‘Weltbund’ erklärte das Esperanto zur ‘Weltsprache’. (Wichtl, 1919, S.6)

Von freimaurerischem Ursprung und Geist ist auch die Paneuropa Bewegung. Der Begründer der Paneuropa Bewegung, der Freimaurer Richard Niklaus Graf v. Coudenhove   Kalerghi (1894 1972), vertrat das Ziel eines europäischen Staatenbundes. Er war auch Generalsekretär der von ihm begründeten ‘Europäischen Parlamentarier Union’. Zur Zeit des Nationalsozialismus trat er aus der Loge aus, «um den deutschnationalen Angriffen gegen die Paneuropa Bewegung nicht noch zusätzliches Material zu liefern.« (Binder, S. 90)

Moser schreibt unter anderem in seinem Aufsatz über ‘die Freimaurerei und die Satzungen der Vereinten Nationen’: Der Gedanke der Vereinten Nationen (UNO) ist eine freimaurerische Schöpfung und stammt in erster Linie aus den USA. (S. 148) Freimaurer sind vor allem der ‘Charta der Vereinten Nationen’ und der ‘Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte’ zu Gevatter gestanden. Sie atmen ‘freimaurerischen Geist’. «Darüber, dass viele Freimaurer an diesem Werk gearbeitet und sich eingesetzt haben, sind die meisten Freimaurer gar nicht aufgeklärt.« (S.144)

Weltpolitik:

Verschiedene Gruppen und Gesellschaften einflussreicher Persönlichkeiten, die auf höchster Ebene Einfluss auf die Weltpolitik nehmen, sollen mit der Freimaurerei in Verbindung stehen. So unter anderen der Club of Rome, die Trilaterale Kommission, der Council on Foreign Relations (CFR), die ‘Bilderberger’, die Round table Gruppen, die B’nai B’rith sowie engere Kreise um die Familien Rothschild und Rockefeller. Diese informellen Gruppen sollen hierarchisch, wie eine Pyramide, geordnet sein. Eine solche Pyramide ist, zusammen mit dem ‘allsehenden Auge Gottes’ und anderen FM Symbolen, auf der US 1 $ Note abgebildet. Zur Weltfreimaurerei sollen rund 100 Organisationen gehören. Im Zusammenhang mit dem Bestreben nach Völkerverständigung steht auch der Einsatz für den Frieden. Die Zeitschrift ‘Alpina’ (Nr. 12 1986 S. 298) nennt die folgenden Freimaurer, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden: 1902 Elie Ducommun (1833-1906), 1906 Theodore Roosevelt (1858-1919), 1911 Alfred Hermann Fried (1864-1921), 1913 Henri de la Fontaine (1854-1943), 1920 Léon Victor Auguste Bourgeois (1851-1925), 1926 Gustav Stresemann (1878-1929), 1929 Frank B. Kellogg (1856-1937), 1935 Carl von Ossietzky (1889-1938), 1953 George C. Marshall (1880 1959). Der ‘Marshall Plan’ hat nach dem zweiten Weltkrieg bekanntlich wesentlich zur wirtschaftlichen Erholung Deutschlands und damit Europas beigetragen. In der FM Literatur nicht genannt ist, möglicherweise weil er der Schwedischen Lehrart angehörte: 1930 Nathan Söderblom (1866-1931), Mitbegründer der ökumenischen Bewegung.

5.2. Einfluss in Wirtschaft, Wissenschaft, Technik

Der Einfluss der Freimaurerei auf die Arbeitsethik in den westlichen, protestantischen Ländern scheint mir ausserordentlich gross aber unabschätzbar zu sein. Die Konzentration auf das Diesseits, auf ‘Taten statt Worte’, und die Pflege eines ‘Kultes der Arbeit’ haben sicher den ‘Geist des Kapitalismus’ stark geprägt. Wirtschaft, Wissenschaft und Technik werden dem Herrschaftsbereich der Kirchen entzogen, verselbständigt und von jeglicher religiösen Auseinandersetzung ‘befreit’, ‘neutralisiert’. Sie sollten ihrerseits Massstab für Sinn, Wahrheit und Erfolg werden. Das Kirchliche, Religiöse wird stark relativiert, aus der Alltagswirklichkeit verbannt, und bekommt seine Geltung höchstens noch am Sonntag Vormittag. Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sind scheinbar ‘wertfrei’, über jede geistige Auseinandersetzung erhaben. Die Hauptaufmerksamkeit gilt nicht nur dem diesseitigen Tun, sondern auch dem Erleben aller Art, dem Beschaffen und Konsumieren von Erlebnissen. Diese heutige Realität atmet wohl eindeutig und deutlich auch den Geist der Freimaurerei.

Die Freimaurerei erhebt denn auch den Anspruch, in dieser Welt der Wirtschaft, Wissenschaft und Technik Orientierung zu ermöglichen. «Die Freimaurerei entwickelt die ethischen Normen, die Wissenschaft und Technik erst zu Werkzeugen des Menschen statt zur Gefahr der Menschlichkeit machen.« (Dazu Ulmer Journ. 1990)

5.2.1. Die Eroberung der Welt

Wir haben gesehen, dass der freimaurerische Arbeitsraum eine diesseitige, dem Menschen zugängliche Welt (bzw. Welten) symbolisiert, in der sich der Mensch nach seinen Massstäben orientiert: Nach Osten und Westen, Norden und Süden, nach Sonne, Mond und Sternen sowie nach anderen Menschen (Meister vom Stuhl) richtet sich der Blick, die Aufmerksamkeit, die Orientierung.

Die folgenden Namen zeigen, dass erstaunlich viele derjenigen, die das Diesseits erobern wollten, Freimaurer waren. Dazu sollen auch die Abenteurer aller Art gezählt werden. Freimaurer waren die Arktisforscher Ronald Amundsen und Robert F. Scott. Der Antarktisforscher Admiral Richard E. Byrd gründete zusammen mit 60 von 85 Teilnehmern einer Expedition 1935 die ‘Antarctic Loge No. 777’ (Itor S. 51). Der Erfinder des Heissluftballons, Jacques Etienne Mongolfier, sowie der Flugpionier Charles August Lindbergh besuchten eine Loge. Von den amerikanischen Astronauten waren die folgenden sicher Freimaurer: L.G. Cooper jun., John H. Glenn, Grissom, Eisele, Aldrin, Stafford, Schirra. (Oslo, S. 401, 405f., Zendralli, S. 22) Eroberer von altertümlichen Schätzen war der bekannte deutsche Altertumsforscher und Kaufmann Heinrich Schliemann (1822-1890), der u.a. Troja entdeckte.

Wesentlich wichtiger und einflussreicher als die realen Abenteurer sind die phantastischen Abenteuer der Helden freimaurerischer Schriftsteller und Filmemacher, auf die wir noch zu sprechen kommen werden (von Goethes Faust und Peter Schlemihl bis z.B. zu Gullivers Reisen, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Sherlock Holmes, Ben Hur, Kipling’s Dschungelkind Mowgly, Micky Maus & Co., die Filmhelden von Charlie Chaplin und viele andere mehr).

5.2.2. Wer steuert die Wirtschaft?

In Verschwörungstheorien erscheinen die Freimaurer oft als die geheimen Drahtzieher des wirtschaftlichen Geschehens. Hitler pflegte in diesem Zusammenhang die Freimaurer in einem Atemzug mit den Juden zu nennen. Aus unserer Sicht sind es natürlich sicher nicht die Freimaurer, die die Welt regieren. Hinter allem Geschehen stehen geistige Mächte, und der Mensch meint höchstens, die wirtschaftlichen Verhältnisse selbst gestalten und kontrollieren zu können.

Ein solcher Versuch, die wirtschaftlichen Beziehungen selbst zu gestalten, sind die sogenannten ‘Service Clubs’ (Rotary, Lions, Kiwanis u.a.m.), von denen die meisten erwiesenermassen mit der Freimaurerei in einem direkten Zusammenhang stehen. Sie gelten auch als ein Missionsfeld der Freimaurerei, indem bei Leuten, die in diesen Klubs noch nicht die wichtigen und richtigen Kontakte haben anknüpfen können, inoffiziell die Erwartung geweckt wird, bei den Freimaurern seien die wirklich einflussreichen ‘Freunde’ zu finden. (S.a. Rothkranz Kath. 1990 49ff.) »1905 rief der Hochgradfreimaurer Paul Harris in Chicago ‘Rotary International’ ins Leben, 1917 folgte in derselben Stadt Melvin Jones mit den ‘Lions International’.« (Ebd. 49).

Böni verteidigt in seinem Artikel ‘Rom und die Rotarier’ die Rotarier vehement gegen einen ‘Erlass der katholischen Kirche gegen die Rotarier’. Er schreibt: «Freimaurer standen an der Wiege des Rotary-Klubs.» (S. 66) Und es gibt «eine grosse Zahl von Rotariern, die zugleich Freimaurer sind.» (S. 67) Die Rotarier haben ähnliche Ideale wie die Freimaurer. Im Gegensatz zu den Freimaurern ist aber die ‘Erweiterung des Bekanntenkreises’ ausdrückliches Ziel. Beiden gemeinsam ist das Bekenntnis zu einem allgemeinen Menschentum   unabhängig von Konfession, Religion und Parteizugehörigkeit sowie das Bestreben ‘hitzige’ geistige Auseinandersetzungen zu vermeiden. »Politische und religiöse Gespräche von Partei gegen Partei oder Religion gegen Religion werden bei ihnen ebensowenig wie in unseren Logen gehalten.« (S. 66) Ähnliches kann von den Mitgliedern des Lions Club (Liberty Intelligence Our Nations Safety) gesagt werden: Viele Lions sind zugleich Freimaurer (Rothkrantz S. 51). Melvin Jones (1880 1961), der Gründer des Lions Club, »war Mitglied der ‘Garden City Lodge No. 141’ in Chicago« (Oslo, 404). Älter und heute wohl weniger einflussreich ist der 1803 in London gegründete Odd Fellow Orden, der noch direkter und offizieller mit der Freimaurerei verbunden ist. Dieser wollte (und will) eine ‘Pflanzstätte der Menschlichkeit und der Wohltätigkeit’ sein (Brodbeck, 79).

Von den in der Wirtschaft wirklich massgebenden Personen und Firmengründern scheinen mir relativ wenige Freimaurer gewesen zu sein, bzw. zu sein. In der freimaurerischen Literatur werden die folgenden Firmengründer und Unternehmer genannt (S. Oslo, S. 393ff., Zendralli S. 22, Itor S. 67ff.): Henry Ford (Autos), Charles C. Hilton (Hotels), John Jacob Astor (Hotels), Frank G. Hoover (Staubsauger), George Mortimer Pullman (Eisenbahn-Schlafwagen), Samuel Colt (Feuerwaffen), Pierre Samuel du Pont de Nemours (Chemie u.a.m.), Eberhard Faber (Schreibmaterial), King Camp Gillette (Rasierapparate), Anton Philipp Reclam (Verleger). Die Rothschilds sollen seit 1809 den deutschen, französischen und englischen Logen angehören. (Wichtl,1909, 61) In der Schweiz sind Jakob Rieter (Spinnereimaschinen) und Philippe Suchard (Schokolade) zu nennen.

Auch unter den wissenschaftlichen Ökonomen scheint es relativ wenige Freimaurer zu geben. Bekannt ist, dass der deutsche Volkswirt Friedrich List (1789-1846) Freimaurer war. (Deiters S. 202)

5.2.3. ‘Humane’ Wissenschaft und Technik

In der freimaurerischen Literatur werden auch sehr wenige Wissenschaftler und Techniker genannt, die Freimaurer waren oder sind. Erwähnenswert sind: Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, der Zoologe Alfred Edmund Brehm (‘Brehms Tierleben’), der Physiker Albert Abraham Michelson sowie verschiedene Ärzte. Der grösste Teil der von Itor in dieser Rubrik genannten Personen sind Ärzte. (Itor S. 68) Von den Ärzten seien erwähnt: Christoph Wilhelm von Hufeland (1762-1836), Charles Richet (1850-1935), der 1913 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Auffallend ist der relativ grosse Anteil der ‘Alternativ Mediziner’: Freimaurer war der Arzt und Magnetiseur Anton Mesmer (1734-1815), «der Begründer des Mesmerismus, des animalischen Magnetismus und anderer Heilmethoden jenseits der Schulmedizin.« (Itor S. 41) Der Begründer der Homöopathie, Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755-1843) war ebenfalls Freimaurer. (Oslo S. 402) Zu den Freimaurern gehörte auch der englische Arzt Bach, der die heute in esoterischen Kreisen berühmte und beliebte ‘Bach Blüten-Therapie’ entwickelte. Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung war Sohn und Enkel führender schweizerischer Freimaurer». (Spitzbarth FM 1968 11)

5.3. Einfluss auf die Gesellschaft

Seit der Aufklärung entwickelt sich ein gesellschaftlicher Bereich als eine von Kirche und Staat unabhängige Lebenssphäre. Der Mensch ’emanzipiert’ sich von kirchlicher und staatlicher Bevormundung und organisiert sich sein Gesellschafts  und Privatleben selbst. Er schafft sich seine eigenen Beziehungen und Vereine, wählt sich seine eigene Kirche und Religion aus, er erzieht und bildet sich selbst, er erdenkt und erdichtet sich seine eigenen Welten, und er sorgt für die eigene Unterhaltung. Nicht zuletzt versichert er sich selbst und hilft er sich selbst bei allen Wechselfällen des Lebens. Freimaurer haben bei der Verselbständigung und Ausgestaltung dieses gesellschaftlichen Lebensbereiches wesentlich mitgewirkt. Der Mensch schafft sich die Regeln des Zusammenlebens selbst: Der Verfasser des Werkes ‘Über den Umgang mit Menschen’, Adolph Freiherr von Knigge (1752-1796) war Freimaurer. (Itor FM 1987 20, Oslo FM 1988 404)

5.3.1. Sozietäten und Vereine

Nach Im Hof ist die Freimaurerei ein Teil der ‘umfassenden Sozietäts  oder Gesellschaftsbewegung’, die im 18. Jahrhundert entstand und bis heute nachwirkt. Die wissenschaftlichen Akademien und gelehrten Gesellschaften, die literarischen Gesellschaften und Lesegesellschaften, die gemeinnützigen Gesellschaften, die ökonomisch landwirtschaftlichen Gesellschaften sowie die patriotisch politischen Gesellschaften wirkten als ‘Beförderer von Reform und Aufklärung’. In ihnen wirkte ein humanitär liberal aufgeklärter Geist, der mit dem freimaurerischen Geist eng verwandt war. (Im Hof 1982 168f.) »Ähnlich wie in vielen Sozietäten wurde der internationale Zusammenhang gepflegt. Schliesslich war die Freimaurerei den Sozietäten gleich in der Betonung der Gleichheit innerhalb der Gesellschaft. Adelige und Bürgerschaft fanden sich hier auf gleichem Fuss als ‘Brüder’ einem höheren Ideal, dem Tempelbau, unterstellt.« (Ebd. 169) Sozietäten wie Freimaurer pflegten zudem die Geselligkeit und die Gemeinschaft, was auch für die heute blühenden Vereine gilt, die ebenfalls eine gemeinsame menschliche Aktivität (Turnen, Schiessen, Wandern, Kegeln, Singen etc.) verbindet. (S.11) Die Gesellschaften standen miteinander in Beziehung, und es gab stets viele Doppel- und Mehrfachmitglieder. »Darum finden wir Freimaurer stets und oft führend in verschiedenen Sozietäten. Man war oft nicht nur Mitglied einer Loge, sondern auch der lokalen gemeinnützigen, literarischen oder wissenschaftlichen Gesellschaft.» (S. 13) »Zum Beispiel sind in der Helvetischen Gesellschaft mindestens 22 Freimaurer nachweisbar, darunter drei Präsidenten der Gesellschaft.« (S. 168)

5.3.2. Schule, Erziehung, Pfadfinderbewegung

Wir haben bereits gesehen, dass die ‘Selbsterziehung’ und die ‘Beförderung des sittlichen Lebens’ zu den Hauptanliegen der Freimaurer gehören. Die ‘Erziehung des Menschengeschlechtes’ (Lessing) soll vor keiner Kategorie von Menschen Halt machen. Stets waren wohl viele Erzieher und Lehrer Freimaurer. Der Schweizer Pädagoge Heinrich Pestalozzi war nicht Freimaurer, aber Illuminat. Der Orden der Illuminaten war mit der Freimaurerei geistig und personell eng verbunden (Im Hof, 1982 169). Sie wollten politisch aktiver … und «klarer als die Freimaurerei, für Aufklärung und Moral wirksam sein … Pestalozzi – eines der wenigen Schweizer Mitglieder – hatte den Namen ‘Alfred’.« (Ebd. 170)

Die internationale Pfadfinderbewegung ist eindeutig auf freimaurerischem Boden entstanden und gewachsen. «Das Pfadfindertum ist freimaurerischen Ursprungs. Sein Gründer, Sir Baden Powell, war ein bedeutender Freimaurer.» (Mellor,1985, 513) Für Rothkrantz ist die «internationale Pfadfinderkonföderation nachweislich ein Logeninstrument.« (S.a. Zendralli, S. 22)

5.3.3. Wohltätigkeit und Religion

Wir haben gesehen, dass die Freimaurerei eine sittliche Bewegung sein will, die Nächstenliebe nicht nur predigt, sondern auch praktiziert. Ihre ‘Religion’ ist die sittliche Tat   nicht nur den Brüdern, sondern auch den ‘Profanen’ gegenüber. «Da alle Freimaurer Brüder sind, müssen sie einander helfen und sich gegenseitig Beistand leisten, wenn dies notwendig ist. Das ist ein Grundsatz, den fast sämtliche Obödienzien mit fast den gleichen Worten in ihren Statuten und Gelöbnissen formulieren. Die elementarste Form der Anwendung diese Prinzips ist die freimaurerische Wohltätigkeit. Jede Loge der französischen Obödienzien besitzt ihren Bruder Almosenier, dessen Kasse getrennt von jener des Bruders Kassiers geführt wird, und jede Obödienz hat ihren Gross Almosenier… Es gibt darüberhinaus Waisenhäuser und Spitäler, die von Freimaurern unterhalten werden, und das Wohltätigkeitsbudget vor allem der angelsächsischen Freimaurerei ist gewaltig.» (Mellor, Wiss., 1985, 442) Die Freimaurerei bot eine Form von Sozialversicherung an, was besonders zu Zeiten, als es noch keine staatliche Sozialversicherung gab, ein wichtiger Grund für ihre Attraktivität gewesen sein mochte. Der Freimaurer fühlte sich durch die Solidarität der Brüder gegen die Wechselfälle des Lebens wie Krankheit, Unfall etc. versichert. (S.a. Im Hof, 165, 168) In der Schweiz «ist z.B. der ‘Verein zur Verbreitung guter Schriften’ eine Freimaurer Gründung. Ebenso sind es verschiedene Brockenhäuser, Wohltätigkeitsvereinigungen, Altersheime, Armen  und Krankenkassen usw.« (Von Ins FM 1974, S. 29)

Freimaurerischer Geist weht wohl durch weitere, auch internationale, Wohltätigkeits  und Hilforganisationen der verschiedensten Art. So zum Beispiel entstand das ‘erste Pestalozzi Kinderdorf Europas’ in Trogen zur Zeit, als der Trogener Pfarrer J. Böni Grossmeister der Schweizer Grossloge ‘Alpina’ war (1942 1947). (S. dazu einen Bericht in: Alpina Nr. 5, 1946, S. 137ff.) Nach Deiters (Wiss. 1963 202) und Naudon (Wiss. 1982 146, 234) war der Gründer des Roten Kreuzes Henri Dunant (1828 1910) ein Freimaurer. In der freimaurerischen Literatur selbst wird er jedoch nicht aufgeführt. (Nach Dr. Gabriel Mützenberg hat man bis heute kein Dokument gefunden, das die Zugehörigkeit Dunants zu einer Freimaurerloge beweisen würde).

 Böni empfiehlt in seinem Aufsatz ‘Moralische Aufrüstung und Freimaurerei’ seinen Brüdern, bei der Moralischen Aufrüstung mitzumachen. Es bestünde eine ‘Geistesverwandtschaft’, und es gebe viele Berührungspunkte. »Beide verfolgen das Ziel einer besseren Menschheit, und beide stehen ausserhalb des konfessionellen Streites. Wir können viele weitere Berührungspunkte finden, wenn wir auf die Grundsätze schauen.» (S. 9)

Oekumene: Der Geist der Oekumene steht dem der Freimaurerei sehr nahe. Der Mitbegründer der ökumenischen Bewegung Nathan Söderblom (1866-1931) soll Hochgradfreimaurer gewesen sein, ebenso Willem Adolph Visser’t Hooft, der 1948-1966 Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen war. Carl Friedrich von Weizsäcker soll Hochgradfreimaurer des 33. Grades sein. (Fundamentum 3/88 S. 99.)

Noch eine Bemerkung zum Thema Religion: Eine Zeitschrift der amerikanischen Freimaurer trägt den Titel ‘The New Age’. (Mellor, 1985, 93) Die zum ‘Lucis Trust’ in Genf gehörende ‘Arkanschule’ soll von Freimaurern geleitet sein und sich als ‘magnetisches Zentrum’ der Freimaurerei betrachten. (Rothkrantz, Kath. 1990, 55)

5.3.4. Philosophen, Dichter, Schriftsteller

Auffallend viele bekannte Philosophen, Schriftsteller und Dichter waren Freimaurer. Bekannt ist die Mitgliedschaft bei den deutschen Idealisten und Klassikern wie J.W. Goethe, G.E. Lessing, J.G. Herder, J.G. Fichte, C.M. Wieland, E.v. Kleist, F.G. Klopstock, Matthias Claudius. Dazu kommen Autoren wie Adalbert von Chamisso, Heinrich Heine, Georg Büchner, G.A. Bürger, Friedrich Rückert, Johann Heinrich Voss, Ferdinand Freiligrath, Felix Salten, Kurt Tucholsky. (Deiters S. 201f., Naudon 124ff., Oslo S. 393ff., Valmy S. 58, 183, Zendralli S. 22) Im französischen Sprachbereich sind neben den genannten Montesquieu und Voltaire zu erwähnen: Alexandre Dumas, Stendhal (Henry Beyle), Victor Hugo. (Oslo S. 399, Deiters S. 202) Freimaurer war auch der russische Dichter A.S. Puschkin. (Oslo S. 407) Aus dem angelsächsischen Kulturbereich sind zu nennen: Sir Arthur Conan Doyle, Robert Burns, Walter L. Scott, Jonathan Swift, Oscar Wilde, Laurence Sterne, Rudyard Kipling, Mark Twain, Lewis Wallace. (Oslo S. 399ff., Zendralli S. 22)

5.3.5. Unterhalter; Musiker und andere Künstler

Sehr viele bekannte Musiker, nicht nur Klassiker, sondern zum Beispiel auch Jazz Musiker, waren Freimaurer. Folgende Namen sind bekannt: Johann Nepomuk Hummel, Leopold Mozart, Wolfgang Amadeus Mozart (Die ‘Zauberflöte’ gilt als das klassische Werk der Freimaurerei.), Franz Joseph Haydn, Jean Sibelius, Giacomo Puccini, Jean Philippe Rameau, Johann Christian Bach, Gustav Albert Lorzing. Louis Spohr, Giacomo Meyerbeer, Franz Liszt, George Gershwin, Duke Ellington. (Oslo S. 399ff., Naudon S. 136, Zendralli S. 22)

In der amerikanischen Film  und Unterhaltungsbranche sind die Freimaurer auffallend stark vertreten. So gehörten zu den ersten und bedeutendsten amerikanischen Filmproduzenten die Freimaurer Cecil B. de Mille und Jack M. Warner. Logenmitglieder waren auch die folgenden US Filmschauspieler und Komiker: Oliver Hardy, Harold Lloyd, Red Skelton, Clark Gable. Einen unschätzbar grossen, weltweiten Einfluss übten die Filmproduzenten und Künstler Walt Disney (1901 1966) und Charles S. Chaplin (1889-1977) aus. (Itor S. 68, Oslo 401 ff.)

Die amerikanischen Zirkuskönige ‘The Ringling Brothers’ waren Freimaurer, ebenso der zu seiner Zeit bekannte Schweizer Clown Adrian Wettach (‘Grock’).

5.3.6. Zusammenfassung

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Wirkung der Freimaurerei im gesellschaftlichen und durch den gesellschaftlichen Bereich aussergewöhnlich gross war und ist. Dabei geht es nicht nur um die vielen berühmten Namen, sondern auch um die unzählbaren ‘Maurer ohne Schurz’, die in Kunst, Literatur, Film und Medien für das Wohl der Menschheit zu wirken suchen. Die Helden dieser Werke sind oftmals Suchende, Heimatlose, Abenteurer, Einzelgänger, Kinder oder auch Tiere, denen die wirkliche Welt der ‘Etablierten’, scheinbar ‘Wissenden’, der ‘Erwachsenen’ bzw. der ‘Menschen’ ‘unmenschlich’, ‘borniert’ und ‘einfältig’ vorkommt. Die tatsächliche Welt entspricht nie den humanistischen Idealen, darum gibt es scheinbar noch viel an sich zu arbeiten und noch vieles in der Welt zu verbessern. Demgegenüber können wir in der Annahme der Absolutheit Jesu Christi die Relativität von allem Menschlichen erkennen und akzeptieren. Wir brauchen uns damit nicht mehr an Menschen zu orientieren und Hilfe primär von Menschen zu erwarten, deren sämtliche Vermögen in jeder Beziehung beschränkt sind. Durch die Annahme unserer Grenzen erfahren wir seine Kraft und Führung und müssen das Gute nicht mehr aus eigener Kraft vollbringen.

 

6. Christus aus freimaurerischer Sicht

In diesem Kapitel soll kurz dargestellt werden, wie aus freimaurerischer Sicht das Christentum, Gott und Jesus Christus betrachtet und behandelt werden. Anschliessend folgen Bemerkungen über Zusammenhänge zwischen Freimaurerei und liberaler protestantischer Theologie.

6.1. Das Christentum aus FM Sicht

Wir haben gesehen, dass eine wesentliche geistige Wurzel der Freimaurerei die Enttäuschung über das Christentum ist. Wegen der »schweren Glaubenskämpfe, welche ganz Europa erschütterten, … war innerhalb der Logenmauern jedes Gespräch über religiöse Themen nicht nur verpönt, sondern verboten.« (Lagutt. S. 120) Für manchen Freimaurer ist die Freimaurerei ein «Ersatz für seinen verlorengegangenen christlichen Glauben und Kult« (Keller FM 1941 262) Die Freimaurerei versucht also, die geistigen Auseinandersetzungen, die im Verlauf der abendländischen Geschichte zweifellos nicht immer im Sinne Christi ausgetragen wurden, zu vermeiden und an deren Stelle das Schweigen zu setzen. Die Diskussionen vor allem über den Absolutheitsanspruch Christi werden abgestellt; dem Wort wird die Spitze, dem Schwert die Schärfe, dem Salz die Würze genommen. Somit erhebt sich die Freimaurerei über das Christentum, erklärt das Christentum zu einer ~Religion~, zu einer Religion unter anderen, die ebenfalls ihre Existenzberechtigung haben. Die Freimaurerei erhebt sich über alle Religionen, erklärt sich zum Richter über die Religionen und erklärt alle als gleichwertig. Keiner kommt absolute Wahrheit zu, ihr relativer Wert soll anhand der praktischen Früchte für die Welt und den Menschen gemessen werden. (vgl. Lessings Ringparabel) Aus der Sicht der Freimaurerei hat das Christentum nur eine bedingte, relative Bedeutung. Die Freimaurerei stellt sich darüber. Sie hat das Christentum vermeintlicherweise überwunden. Im Schottischen Ritus, in dem symbolisch die Menschheitsgeschichte durchwandert wird, erscheint das Christentum als eine vorübergehende Entwicklungsperiode, die durch die aufgeklärt freiheitliche Zeit abgelöst und überholt wird.

Gleichzeitig wollen die Freimaurer das Beste des Christentums erhalten, schützen und der Nachwelt weitergeben. (Keller FM 1941 262f) Dabei geht es nicht nur um die religiösen Schriften, Liturgien und Gesänge, sondern auch um die «wundervollen Kirchenbauten», den «unermesslichen Reichtum des künstlerischen Schmuckes«. Das christliche Erbe wird also gewissermassen unter menschlichen Denkmalschutz gestellt. Die Freimaurerei sieht sich als Verwalterin des Erbes.

Im übrigen wird meines Erachtens der Eindruck erweckt, als stehe dieses Erbe jedem Menschen frei zur Verfügung, wie wenn der Mensch das Verfügungsrecht über dieses Erbe hätte. Die Schrift und alles andere, was früher Christen heilig war, wird zum »Selbstbedienungsladen», zum «Ausbeutungsobjekt». Jedes Individuum kann sich scheinbar »frei« bedienen und das Gefundene für seine persönlichen Interessen gebrauchen. Das Christentum wird also von der Freimaurerei beschlagnahmt, integriert und von »oben herab« behandelt. Sie spielt sich zum Hüter aller Religionen auf und legt es ihren Mitgliedern nahe, ihren «religiösen Pflichten» nachzukommen.

6.2. Gott aus FM Sicht

6.2. 1. Individuell verschiedene Gottesvorstellungen:

Die Freimaurerei will sich nicht auf ein eindeutig fixiertes Gottesbild festlegen lassen und wehrt sich gegen jede Art von Dogmatik. »Bekenner jeder Religion ohne Unterschie« werden aufgenommen. (Seydel FM 1862 11) Nicht das Finden und Kennen, sondern das Suchen Gottes ist wichtig. »Wer immer strebend sich bemüht … » «Dem Freimaurerbunde gehört eine grosse Zahl von Menschen an, die dem Heere der Zweifler und der Sucher zuzuzählen sind.« (Lagutt FM 1958 115)

Die Freimaurerei verlangt einen Gottesglauben (mit Ausnahme des »Grand Orient de France«), aber kein Glaubensbekenntnis. «Einer der fundamentalen Grundsätze der Maurerei sagt eindeutig, dass ein Mann ohne Gottesglauben nie ein echter Maurer werden könne … Irgend ein Credo, ein Glaubensbekenntnis im Sinne der Kirchen wird nicht verlangt … Wie der Einzelne sein Verhältnis zur Gottheit gestaltet, ist und bleibt ureigenste, persönliche Angelegenheit. Ob er als frommer Christ dem Weltganzen eine dreifaltige Gottheit zugrunde legt, ob einer im Sinne des Judentums in der Gottheit den alttestamentlichen ‘Herrn der Welt’ erkennt, ob er als Moslim Allah seine Verehrung zollt, als Hindu seinen Gottheiten, bleibt jedem unbenommen.» (Lagutt S. 105)

Also kann gesagt werden, dass die Freimaurerei Gott relativiert, individuellem Belieben unterstellt. Nicht Gott erschafft und erwählt sich die Menschen, sondern der Mensch wählt sich seine Götter aus. Jeder kann seinen persönlichen Gott haben. Es ist nicht ein gemeinsames Gottesbild, das die Freimaurer vereinigt, sondern das Fehlen eines gemeinsamen Gottesbildes. »Damit jeder genügend ‘Raum’ hat, musste das Bild der Gottheit … eine solche Ausweitung erfahren.« (Lagutt S. 108)

6.2.2. Gott als Geheimnis und individuelles Erlebnis:

Das inhaltliche Offenlassen des Gottesbildes entspreche dem biblischen Bilderverbot, meint Lagutt (S. 108), und schaffe die Basis, »die es erlaubt, sich rein menschlich gegenüberzustehen,« (S. 109) Wer und was Gott ist, das kann der Mensch niemals ergründen. Gott ist und bleibt ein Geheimnis, das nicht intellektuell erfasst, wohl aber individuell erfahren werden kann. «Der Gott der Theologen ist ein ersonnener und erklügelter, eine gedankliche Abstraktion, ohne die lebendige Kraft des Erlebnisses. Mit dem Intellekt, mit einer Wissenschaft ist Gottjedoch nicht zu fassen. Er wird auf diese Weise verkleinert und in ein Schema, eben in ein Dogma gepresst … Gott als das grosse Geheimnis kann mit der unzureichenden und unvollkommenen menschlichen Sprache nicht beschrieben, er kann nur in Bildern und Symbolen dargestellt werden. Da Gott der grossen Menge nicht fassbar ist, sind die meisten Mystiker Einsame und Schweiger. Sie schweigen über ihr Gotteserleben und teilen sich esoterisch nur einigen wenigen auserwählten Schülern mit.» (Zuber FM 1975 181) (Also: Worte scheinen gegen das Bilderverbot zu verstossen, eigentliche Bilder und Symbole aber nicht.   Mehr zum Thema «Gotteserfahrung und Innerlichkeit« in Pt.6.2.4.) Es ist hier also wiederum deutlich, dass das Erleben über das Wort gestellt wird, entsprechend auch der Tradition der Mysterienkulte (Pt.1.4.2.). Die Priorität, die Vorrangigkeit macht den Unterschied aus: Christen, die dem Wort vertrauen, haben auch Erlebnisse. Aber sie orientieren sich nicht anhand von Erlebnissen. Demgegenüber sind Gespräche für denjenigen, der Erlebnisse sucht, zweitrangig, ja oft störend.

6.2.3. Gott als Person:

Obwohl Gott in der Freimaurerei »das grosse Geheimnis« ist, und sich jeder sein eigenes Gottesbild machen und seine individuellen Gotteserfahrungen haben kann, besteht meines Erachtens in der freimaurerischen Literatur weitgehend immerhin über eines Einigkeit: Gott ist eine Person. Und es gibt diese Person. «In der freimaurerischen Formel: ‘Im Namen des allmächtigen Baumeisters der Welten, der unendlichen Schöpfer  und Erhalterkraft des Alls …’ kommt die Auffassung eines persönlichen Gottes zum Ausdruck … Die Meinung, die Freimaurerei vertrete Pantheismus, Deismus, Agnostizismus, Atheismus, Materialismus usw., ist falsch.« (Lagutt FM 1958 109) Der einzelne Freimaurer mag zwar für sich eine solche Auffassung vertreten (Ebd. 109), doch der allen gemeinsame Nenner kann als theistisch bezeichnet werden. «Der Theismus ist die religiöse oder philosophische Lehre von der Existenz eines überweltlichen, allmächtigen und persönlichen Gottwesens, welches die Welt erschaffen hat, regiert und erhält. Er tritt als Monotheismus und als Polytheismus auf.« (Ebd. 109) Schenkel, 1926, 170) bezeichnet die Freimaurerei als »theistischen Idealismus». In den Gebeten der Zürcher Loge »Modestia cum Libertate« kommt »die theistische Gottesidee« zum Ausdruck. (Zuber FM 1975 184)

6.2.4. Gotteserfahrung durch Innerlichkeit:

Gott kann nach freimaurerischer Auffassung prinzipiell immer und durch jedermann »erfahren« werden. «Es hat aber zu jeder Zeit Menschen gegeben, die in diesem innigen Kontakt mit Gott gestanden haben. Sie haben Gott gesehen; sie werden deshalb ‘Seher’ genannt … Wie diese Propheten in Visionen und Auditionen erfahren die Mystiker Gott als lebendige Realität in geistiger Schau und letztlich das Erlebnis der Einheit des eigenen Seelengrundes mit dem unendlichen Gott, die ‘unio mystica’. Dieses Gotteserlebnis ist bei allen Völkern und zu allen Zeiten gleich.« (Zuber, FM 1975 181) Auch durch das Gewissen können wir nach freimaurerischer Auffassung Gott erfahren: »Das Gewissen ist unser einziges Wissen. Es weiss und ist die Wahrheit. Eine andere Wahrheit ist nirgends zu finden … Das Gewissen ist nie ein fertiger Besitz, sondern eine Aufgabe, an der wir zu arbeiten haben … Das Gewissen, gleichsam eingebaut in die menschliche Seele, ermöglicht uns, Gott im eigenen Innern zu erleben.« (Ebd. 182)

»Wir sind nicht bereit, an einen Gott zu glauben, der irgendwo in einem fernen Himmel weilt, von wo aus er die Menschen leitet, prüft, belohnt oder bestraft, ihre Bitten erhört   oder auch nicht. Wir sind auch nicht gern bereit, uns als Sünder vorzukommen, die durch eine vor zweitausend Jahren geschehene, uns schwer verständliche Erlösertat errettel worden sind. Wir wären aber bereit, uns einen Weg zeigen zu lassen, der ohne die Zuhilfenahme künstlicher Mittel zum Erfahren Gottes im eigenen Inneren führt. Dieser Weg ist das Gebet, oder eher das, was man Meditation nennt. Es ist nicht ein Bitten um Dinge, sondern vielmehr ein Lauschen, ein Erfühlen der Gegenwart Gottes im Inneren.« (Ebd. 183)

Noch ein letztes Zitat zur Verdeutlichung: »Es wäre gut, wenn die Vorstellung von ‘Gott im Himmel’ einer neuen Platz machen würde. Gott würde nicht ferner gerückt, sondern näher, wenn der Mensch ihn als das Leben oder den Geist begreift, der das ganze Universum durchströmt und erhält und der auch im eigenen Inneren erlebt werden kann als Liebe und Kraft. So erlebt der Mensch nicht nur Gott in seiner Fülle und Unendlichkeit, sondern er fühlt sich auch durchdrungen von der Ewigkeit des Kosmischen. Er empfindet sich als Teil des Ganzen, in welchem er aufgeht.« (Ebd. 183)

6.2.5. Wer ist der «Allmächtige Baumeister aller Welten» ?

Die obigen kurzen Ausführungen zum freimaurerischen Gottesverständnis zeigen, dass es wesentliche Unterschiede zu demjenigen Gott gibt, der uns in der Bibel als »Vater« bezeugt ist:

Der biblische Vater Gott will uns auf Schritt und Tritt klar machen, dass es nicht völlig egal ist, an welchen Gott wir glauben. Aus biblischer Sicht gibt es «richtige» und »falsche« Gottesvorstellungen. Es gibt unendlich viele falsche «Götter« und einen wahren Gott. Die falschen Götter bzw. Gottesbilder führen uns ins Verderben, in die Dunkelheit, in den Tod. Der biblische Gott verspricht uns das Leben, wenn wir die anderen Götter aufgeben und zu ihm zurückkehren. Und er warnt uns davor, ihn nicht ernst zu nehmen. Natürlich sind diese Warnungen nicht bequem, sie klingen nicht immer »human«, und sie kränken unsere Eitelkeit. Aber wenn sie dennoch ernst zu nehmen sind, wenn sie letztlich dennoch gut gemeint sind? Aus biblischer Sicht ist auch das Böse eine personale geistige Macht, und das irdische Geschehen ist Ausdruck von Auseinandersetzungen in der geistigen Welt. Als »Aufgeklärte» haben wir gelernt, dass nur Vorgestrige an die Existenz eines Satans glauben. Wenn es nun aber trotz aller Aufklärung doch einen gibt, wenn gut und böse nicht bloss zwei ewig «widerstreitende Naturen innerhalb des Menschen« (Schenkel S. 163) sind? In der Freimaurerei ist dies ausgeschlossen. Alle Gottesvorstellungen sind gleich, jeder kann sich seinen Gott frei wählen, es kommt nicht so darauf an, woran wir glauben. Aus biblischer Sicht kommt es darauf an. Es sind nicht alle Götter und Gottesvorstellungen gleich, wir sollen lernen, gute und schlechte nicht miteinander zu vermengen, sondern voneinander zu unterscheiden. Zur Entwicklung des geistigen Beurteilungsvermögens nicht zuletzt bezüglich der Götter und Gottesvorstellungen braucht es eine geistige Auseinandersetzung. Diese ist in den Logen verboten. Sie findet nicht statt.

Aus biblischer Sicht ist Gott auch kein «Geheimnis», sondern er gibt sich uns zu erkennen. Der biblische Gott ergreift seinerseits die Initiative und offenbart sich uns in seinem Wort. Der biblische Gott ist wie der freimaurerische eine Person, aber keine beliebige Person, sondern eine identifizierbare Person, eine Person mit Namen. Der freimaurerische Allmächtige Baumeister aller Welten (,»ABaW») ist nicht identifizierbar. Er hat keinen konkreten Namen.

Der biblische Gott kann nicht in erster Linie durch Innerlichkeit und Gewissensbildung wahrgenommen und kennengelernt werden, sondern hauptsächlich durch sein Wort. Die verbale Kommunikation ist zentral. Den biblischen Gott erreicht, wer ihn und sein Wort ernst nimmt, ihm vertraut. Sein Wort gilt ewig. Wort gläubige Christen sind nicht untätig, haben auch Erlebnisse und Gefühle, doch sie orientieren sich nicht daran. Taten, Erlebnisse und Gefühle sind zweitrangig. Zwischen dem ABAW und den Freimaurern besteht ein Arbeitsverhältnis, zwischen dem biblischen Gott und denen, die ihm vertrauen, ein Familienverhältnis. Der Freimaurer »geht in den ewigen Osten ein, wofern der dreifach grosse Weltbaumeister, Gott der Allgütige, mit seiner Arbeit zufrieden gewesen ist.« (Bloch Suhr FM zit. in Nielsen Prot.bibl. 1882 64) Demgegenüber ist nicht unsere Leistung, sondern Jesus Christus der Weg zum biblischen Gott, nicht Werke, sondern Glaube und Gnade.

Aufgrund solcher und anderer Unterschiede kommen hauptsächlich konservativ katholische Autoren zum Schluss: Der ABAW ist in Wirklichkeit der Teufel. Die Freimaurerei ist nichts anderes als die »Synagoge Satans«. (Baum Kath. 1975 2) Das Werk von Baum (1975) trägt den Titel: »Freimaurerischer Satanismus heute«. Adler betitelt die Freimaurer als «die Söhne der Finsternis« (1975, 1982, 1983). Aber auch nach van Dam (Prot.bibl.) entpuppt sich die Freimaurerei letztlich als Satanismus. Die zwei Säulen »J« und »B« (Jachin und Boas) würden auch als Jahwe und Baal gedeutet; die »Weisheit« des (späten) Salomo hätte darin bestanden, dass er beide vereinen wollte. In den obersten Hochgraden werde der ABAW »Jabulon« genannt, was eine Art Antitrinität bedeute, die aus den Namen Jahwe, Baal und Osiris gebildet worden sei.

Wie dem auch sei: Ich wäre vorsichtig mit der Aussage, dass der ABAW der Teufel ist, denn tatsächlich wissen wir es ja nicht. Der Geist der Freimaurerei hat sich der Menschheit (noch) nicht persönlich und mit Namen vorgestellt. Somit wissen wir nicht, ob es ihn gibt und ob er mehr ist, als bloss ein synkretistisches Hirngespinst. Sicher gehört er nicht zum Reich des biblischen Gottes. Aber es könnte statt des Teufels auch einer seiner »Fürsten« sein, der die Freimaurerei inszeniert hat. Zudem sind meines Erachtens sicher die allerwenigsten Freimaurer wirkliche Satanisten im eigentlichen Sinn. Sie sind nicht die (bewussten) Täter, sondern die Opfer. So schreibt auch Baum (Kath. 1975, 27): «Die Freimaurer sind … keine Satanisten, sie sind lediglich die zuerst Hereingefallenen des raffiniert getarnten Satanismus.« Sie sind die Opfer des sie am Narrenseil führenden Riesenbetrugs.

Ganz sicher ist eines: Der «Allnlächtige Baumeister aller Welten» ist nicht der gleiche Gott Vater, der sich uns in der Bibel offenbart. Darüber sind sich alle einig: Freimaurer (z. B. Lagutt FM 1958 60) und Christen: »Wer die Schriften der Freimaurer durchliest, dem wird es klar, dass dieser ‘dreifach grosse Baumeister’ wesentlich von dem dreieinigen Gott verschieden ist, an welchen wir Christen glauben.« (Nielsen Prot.bibl. 1882 60)

6.3. Christus aus FM Sicht

Wie das Gottesbild, so wird auch das Jesus Bild in der Freimaurerei auf verschiedene Art relativiert, hauptsächlich subjektiv und historisch: Es gibt über ihn scheinbar kein absolut sicheres Wissen. Jede Person und jede Geschichtsperiode sieht ihn wieder anders.

6.3. 1. Individuelle Christus  Vorstellungen:

»Nun ist freilich gerade das sehr umstritten, was Jesus eigentlich war und was er eigentlich wollte. Bücher … zeigen selbst den Uneingeweihten die ungeheure Schwierigkeit eines objektiven Jesusbildes. Innerhalb der evangelischen Theologie ist die Auffassung der wesentlichen Bedeutung Jesu kaum weniger mannigfaltig, als in den anderen grossen Lebenskreisen. Jeder sieht seine Ideale oder seine Sehnsucht in ihn hinein. Den Liberalen erscheint er liberal, den Orthodoxen erscheint er orthodox, den Kommunisten ist er ein Kommunist und den Anthroposophen erscheint er in anthroposophischem Licht. Aber auch innerhalb des liberal protestantischen Kreises wird sein Bild verschieden gesehen.« (Schenkel Prot.Iib. 1926 154)

Was aus unserer Sicht dieses Zitat kennzeichnet, das ist, dass von Jesus in der Vergangenheitsform gesprochen wird. Die «Freiheit« der Interpretationen basiert auf der stillschweigenden Annahme, dass er tot ist, dass er bloss eine geschichtliche Erscheinung war.

6.3.2. Christus als geschichtlicher Mensch:

Für Lessing (FM 1793, 1976 634) ist es «unstreitig», dass die frühen Christen «keinen solchen Sohn Gottes meinten, welcher mit Gott von gleichem Wesen sei.»

Auch für Bender (FM 1942 214ff) ist Jesus kein Sohn Gottes im biblischen Sinn. Dazu wurde er erst später gemacht. Er schreibt: «Er beanspruchte nicht etwa die Gottessohnschaft allein für sich, wie es später ausgelegt wurde, sondern nannte Söhne Gottes, Kinder Gottes alle, die Gottes Willen aufrichtig zu erfüllen sich bemühen … Vielmehr nannte er sich viel öfter ausdrücklich des Menschen Sohn , wohl eben, weil das Volk ihn immer wieder als Gott verehren wollte, wobei er dann aber immer in die Einöde entwich.» (S. 214f) «Bald wurde die einfache Lehre der Liebe mit einem Glaubensbekenntnis vertauscht, das Christus zu einem Gott statt Menschensohn machte.«

Der Inhalt der Auffassung über Christus und Gott ist nach Schenkel abhängig »von der Stufe der erreichten Menschlichkeit». (S. 159)

6.3.3. Christus als Humanist und Vorbild:

Die meisten Freimaurer sind wohl der Überzeugung, «keinen anderen Geist zu pflegen, als den des grossen Meisters Jesus von Nazareth«. (Schenkel, Bauhofer FM 1975 22)

Christus wird nicht als Gott gesehen, sondern als Humanist und als entsprechendes Vorbild: »Für Jesus handelte es sich ganz wesentlich um den Menschen und die Menschlichkeit. Er hat den Menschen rein als solchen in seinem Verhältnis zu Gott genommen. Er suchte den Menschen hinzuführen auf das Problem seiner Seele, oder, für unser Bewusstsein ausgedrückt, auf das Problem seiner sittlichen Eigenpersönlichkeit. Er hat die Menschen beurteilt nur nach ihrem persönlichen Wert oder Unwert, aber nicht nach Kategorien der Rasse und des Volkstums, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder nach ihrer dogmatischen Einstellung … Wer also im Sinne Jesu leben will, muss vorurteilslos jedem Menschen als solchem gegenübertreten und muss bei aller Verankerung im Nationalen und Kirchlichen doch auch über diese Schranken hinwegzusehen vermögen.« (Schenkel S. 157f)

«Dass es Jesus um die Menschlichkeit geht, zeigt das unerreichte Gleichnis vom barmherzigen Samariter … Bei der Frömmigkeit Jesu ist das Charakteristische das unbedingte Vorwiegen der ethischen Gesichtspunkte und damit des humanen Sinnes.« (Ebd. 158) Schenkel will «die innere Verwandtschaft des humanitären Geistes der Freimaurerei mit Jesus auch noch in vielfacher anderer Weise aufzeigen.« (S. 160) Jesus habe in erster Linie Liebe, Nächstenliebe, Menschenliebe gepredigt und vorgelebt, er habe sein »Leben restlos in den Dienst der Menschen» gestellt. Das sei auch das Anliegen der Freimaurerei. «Treue bis in den Tod, wie sie das Lebensende Jesu krönt, ist der Inhalt des Meistergrades.» (S. 1 60f)

Aus dieser Sicht erscheint der Gott des Alten Testamentes als »inhuman», und Jesus habe ihn sozusagen humanisiert, «indem er dem inhumanen Gottesbegriff der pharisäischen Tradition Beispiele aus der Welt edlen Menschentums als Beweis für seine humanere Gottesauffassung entgegenstellte.« (S. 158)

Anstössig ist für Schenkel hauptsächlich die Auffassung, dass der Mensch ein Sünder sein soll, dass die Menschen in Sünder und Gerechte eingeteilt werden, angesichts »der Tatsache, dass Gott Sonne und Regen allen gleichermassen zuteil werden lässt.» (S. 158) Die »pietistische Sündenangst«, die «jede edlere Regung« verspotte, sei »Jesus gänzlich fremd«. (S. 158) Menschenunwürdig ist für Schenkel auch die Vorstellung, dass die ja so »edlen« Menschen eines Tages gerichtet werden sollen. Die »eschatologische Auffassung« sei «praktisch wertlos und inhaltlich anstössig«, meint er. (Ebd. 162) Wer die biblische Sicht Jesu und nicht die humanistische Sicht vertritt, der wird nun seinerseits abgewertet, auf eine niedrigere «Stufe der erreichten Menschlichkeit« versetzt: »Der kirchliche Volksglaube enthält in seiner Gottesvorstellung inhumane Züge als Erbe jüdischen und vorreformatorischen Denkens.» (S. 159)

Schenkels Jesus steht im Gegensatz zur angeblichen »Phantastik der eschatologischen Erlösungsreligion … Er ist die Verkörperung der sittlichen Erlösungsreligion … Da es ihm ganz auf die Echtheit und Lebenswirklichkeit ankam, formulierte er keine abstrakten Begriffe, sondern versuchte, seine geistige Welt in Bildern zu übermitteln … Die Freimaurerei geht den gleichen Weg bewusst, indem sie grundsätzlich auf jede begriffliche Formulierung der eigentlichen Lebensgeheimnisse verzichtet und die Bildersprache für genügend, ja für geeigneter hält.« (S. 155)

Der Abgrund, der zwischen dieser humanistischen und der biblischen Jesus Auffassung besteht, scheint Schenkel nicht bewusst zu sein. Jesus als das »Wort», das «fleischgewordene Wort«, hat zur Verkündigung und eben auch zur Darstellung seiner »Bilder« das Wort gebraucht. Niemals hat er das Schweigen propagiert und das stumme »Erleben» gefördert, sondern stets ein ausgesprochenes Bekenntnis erwartet – nicht für die »Menschlichkeit«, das ist ein abstrakter Begriff, – sondern für sich.

6.3.4. Jesus als «Eingeweihter», «Priester», «Meister»:

Hauptsächlich in der Schwedischen Lehrart der Freimaurerei, aber auch bei anderen freimaurerischen Autoren, erscheint Jesus auch in einem gnostischen Licht. Jesus ist »ganz Mensch» und als solcher »Christusträger«. Dank des «Christusgeistes« wird er »göttlicher Eingeweihter und Priester». (Lagutt FM 1958 44) Bei der Auferweckung des Lazarus werde dies aller Welt deutlich. Jesus vollziehe «öffentlich an Lazarus, was sonst verborgenstes Tempelgeheimnis war.« (Ebd. 44) «Im Johannes Evangelium tritt Jesus in Deutlichkeit als der grosse Initiator, als Eingeweihter im höchsten Sinne auf … In aller Offenheit tritt Jesus als der grosse Eingeweihte, als Hierophant im Sinne der alten Mysterien auf, als er die Auferweckung des Lazarus vollzieht … In Lazarus bricht das Ewige durch … Wo immer im Menschen der Geist, das Ewige, das höhere Selbst durchbricht, oder anders ausgedrückt, der Mensch in seinem strebenden Bemühen sich dem Quell seines wahren Wesens nähert, erlebt er die grosse Auferweckung.   Ist es nun verwunderlich, dass das Johannes Evangelium in der esoterischchristlichen Strömung eine solch zentrale Stellung einnimmt?« (S. 143)

In der schwedischen Lehrart erscheint Jesus als »erster Grossmeister« der Loge. »Der erste Grossmeister der Loge war Jesus; nach Jesus kam Jakobus, und nach dessen Tod traten die Jünger und Verwandten Jesu zusammen und wählten Simeon … Christus trat als Philosoph und Lehrer einer reinen Naturreligion auf.« (Nielsen Prot.bibl. 1882 88 über die Schwedische Lehrart) Nielsen zitiert einen schwedischen Freimaurer Text über das «exoterische» und das »esoterische« Auftreten Christi: «Bei dem exoterischen Vortrage liess er daher manche Vorurteile stehen … Aber bei dem esoterischen Vortrage   im Innern seiner Meisterlogen   um jedoch bloss einen Wink zu geben   trat Jesus z.B. niemals als wahrer und eigentlicher Gott auf, sondern allein als der Grossmeister im Osten, welcher die Menschheit erleuchten, wahre moralische Begriffe verbreiten und uns dereinst die Unsterblichkeit zusichern wollte.« (Ebd. 89) Im schwedischen Lehrsystem wird auch die Ansicht verbreitet, Johannes der Täufer und Jesus seien »Vorsteher des Essäerbundes« gewesen. (Nielsen 1883 22ff) Dieses kurze Stimmungsbild soll hier genügen. Die schwedische Lehrart ist auch unter Freimaurern umstritten (z.B. Schiffmann, 1883 23). Nielsen (1882, 1883) hat die »Pseudo Christlichkeit des schwedischen Systems» (1883 27) ausführlich dargestellt.

6.3.5. Zusammenfassung und Vergleich

Zusammenfassend kann eindeutig gesagt werden: Das Jesus Bild, das die Freimaurerei vermittelt, entspricht nicht dem Jesus Bild der Bibel.

In der Freimaurerei wird Jesus als geschichtlicher Mensch betrachtet, über den sich jeder beliebige Vorstellungen machen kann. Aus biblischer Sicht steht Jesus nicht nur in der Geschichte, sondern auch über der Geschichte. Und die biblischen Aussagen über ihn sind nicht mehrdeutig, sondern eindeutig. Das geht auch aus den Ergebnissen der Bibeiforschung hervor. Sie »zeigen, dass alle Schichten der Evangelienschriften durchdrungen sind von dem einen, übereinstimmenden Bild Jesu: Er ist der Messias und der Sohn Gottes.» (Bruce Prot.bibl. 1976)

Nicht erfüllt haben sich die humanistischen Erwartungen, »dass man durch immer weiteres Zurückgehen auf die ursprünglichsten Schichten der Evangeliumsüberlieferung auf einen rein menschlichen Jesus stossen würde, der nichts weiter lehrte als die Vaterschaft Gottes und die Bruderschaft aller Menschen. Aber das findet sich gerade nicht.« (Ebd. 39)

Freimaurer haben das Gefühl, der Mensch sei von sich aus gerecht und bedürfe der Erlösertat Christi nicht (Zuber FM 1975 183). Aus biblischer Sicht ist wirkliche »Selbsterkenntnis» Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit und Verlorenheit. Der Glaube an »das Gute im Menschen« beruht meines Erachtens auf einem Mangel an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis.

Freimaurer lehnen die Vorstellung von einem Gott ab, der über Menschen zu Gericht sitzt. Aus biblischer Sicht ist es gerade Jesus Christus, dem die Rolle des Richters über alle vom Vater übertragen wurde. Er ist der Herr aller Welten und Zeiten. Erlösung und Befreiung erfolgt durch die Annahme dieser (biblischen) Tatsache.

Aus freimaurerischer Sicht hingegen ist Jesus Christus tot und lebt nur durch seine Lehre, den symbolischen Gehalt seiner Taten und als ethisches Vorbild weiter. Der biblische Jesus hat keine Lehre angeboten, sondern sich selbst hingegeben; Er hat keine religiösen Erlebnisse vermittelt, sondern «Worte des Lebens« gesprochen; Er hat die Menschen nicht mit ethischen Geboten und Richtlinien belastet, sondern Frieden mit dem lebendigen Gott gestiftet, die Beziehungen zwischen den Lebenden befreit und damit alle Gesetzlichkeit »aufgehoben«.

Der gnostische Jesus Christus ist gespalten in Jesus und Christus, in Mensch und Gott, in Körper, Seele und Geist. Der biblische Jesus Christus ist eine lebendige Einheit von dem allem, die jede bloss menschliche Vorstellungskraft übersteigt.

6.4. Freimaurerei und liberale Theologie

Nach Schenkel besteht zwar kein »bewusstes Bündnis zwischen Freimaurerei und liberaler protestantischer Theologie». Aber es gibt eine »wesenhafte und schicksalhafte Verbundenheit« (S. 3), eine «innere Verwandtschaft« (S. 163) sowie dichte personelle Verflechtungen. (S. 40f.)

6.4. 1. Enge Geistesverwandtschaft zwischen Freimaurerei und liberalem Protestantismus

Schenkel stellt eine weitgehende geistige Übereinstimmung zwischen Freimaurerei und liberalem Protestantismus fest:

»Man wird sagen können, dass im ganzen genommen in der Freimaurerei die Auffassung Jesu, wie sie sich aus der liberalen protestantischen Forschung von den Anfängen der Aufklärung an ergeben hat, schon immer praktisch verwertet ist, allerdings unter selbstverständlicher Ausschaltung der zeitweise hervorgehobenen eschatologischen Auffassung, die praktisch wertlos und inhaltlich anstössig ist. Diese inhaltliche Übereinstimmung hätte die Möglichkeit einer viel stärkeren Verankerung des protestantischen

Liberalismus geboten, wenn nicht die meisten führenden Persönlichkeiten des liberalen Protestantismus des Sinnes für Kultus wie des Sinnes für die Bedeutung festgefügter Organisationen ermangelt hätten. Der liberale Protestantismus hat aus sich selbst heraus feste kirchliche Gemeinschaften kaum zu schaffen vermocht. Besonders stark empfindet man die innere Verwandtschaft, wenn man die freimaurerische Gedankenwelt in Beziehung setzt nicht zum christlichen Dogma, sondern zur protestantischen Ethik. Hier treten die verwandten Züge am deutlichsten hervor. Ich wüsste nicht, welche Unterschiede zwischen dem Pflichtgedanken, dem Berufsgedanken, dem Arbeitsgedanken in der Auffassung der Freimaurerei und diesen Gedanken in einer modernen protestantischen Ethik nachzuweisen wären. Vor allem aber ist es die gleiche Grundeinstellung, nämlich die Ablehnung aller Heteronomie und aller Kasuistik und die zentrale Bedeutung des freien, vor dem ewigen Gott verantwortlichen Gewissens …« (Schenkel S. 162ff)

Hammer (Prot. 1984) meint, die heutige protestantische Theologie sei über die Freimaurerei hinausgewachsen: »Das Gedankengut der Freimaurerei, das im Kontext des 18. Jahrhunderts eindeutig »Fortschritt« bedeutete, aber beim damals behaupteten und erreichten Deismus im wesentlichen stehenblieb, darf für die heutige protestantische Theologie, ganz gleich, wo sie angesiedelt ist, als überwunden gelten.« (S. 27) Eine humanistische, allgemein menschliche Religion »kann ebensowenig befriedigen wie ein von der Botschaft von Sünde und Gnade absehendes freies, edles Menschentum, das sich gnostisch mystisch aus eigener Kraft von Stufe zu Stufe selbst vervollkommnet und dabei doch nur den im engen, für die Aussenstehenden verborgenen Bruderbund vereinigten Brüdern zugute kommt.   Die Einwände der evangelischen Theologie gegen das Gedankengut der Freimaurerei sind im wesentlichen dieselben wie gegen die Aufklärung eines Voltaire und seines Schülers auf dem Preußenthron und gegen den Idealismus der Freimaurer Lessing, Herder, Fichte, Goethe, von Humboldt und von Knigge. Bedeutendere Geister als die genannte Prominenz sind aus dem protestantischen Bereich seither in der Freimaurerei nicht mehr wahrzunehmen. Ihre geheimnisvolle Arbeit im geschlosssenen Tempel wirkt sowohl in der modernen Demokratie wie in einem modernen freien Protestantismus, in denen alle ethischen Postulate und Probleme diskutiert und alle liturgischen Anlässe öffentlich sind, anachronistisch.« (Hammer Prot. 1984 27)

6.4.2. Freimaurerei und Bibelkritik:

Möglicherweise prägt der Geist der Freimaurerei auch die moderne protestantische Theologie doch noch tiefer als Hammer annimmt.

Wir haben gesehen, dass das Wesen der Freimaurerei darin liegt, dass sie dem Wort im weitesten Sinne misstraut und an seine Stelle das Symbol setzt, dass sie alles Jenseitige relativiert und das Diesseitige, dem Menschen durch eigene Anstrengungen Zugängliche, verabsolutiert. Wir haben zudem gesehen, dass Weltbild, Menschenbild, Gottesbild und Jesusbild der Freimaurerei radikal den entsprechenden Aussagen der Bibel entgegenstehen. Die beiden »Realitäten« widersprechen sich, sie schliessen sich aus, sie können nicht beide gleichzeitig wahr sein. Aus freimaurerischer Sicht liegt natürlich der Grund für diese Widersprüche nicht in der Freimaurerei, sondern in der Bibel. Freimaurerei ist darum ihrem Wesen gemäss Bibelkritik. Es kommt mir hier nicht in erster Linie darauf an, festzustellen, wie viele und welche bibelkritischen Theologen Freimaurer waren, Eine solche Untersuchung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und hätte, nicht zuletzt wegen dem geheimen bzw. »diskreten» Charakter der Freimaurerei, eine äusserst relative Bedeutung. Neben den unbekannten Maurern gibt es zudem auch die ungezählten »Maurer ohne Schurz». Darum kommt es in erster Linie auf den Geist an. Und bezüglich des Geistes kann eindeutig gesagt werden: Der Geist der Freimaurerei ist bibelkritisch. Er akzeptiert keine über ihm stehende, absolute Geltung beanspruchende Wahrheit, Person oder Aussage, selbst wenn sie in der Bibel steht. Die Freimaurerei stellt sich über die Bibel, beschlagnahmt die Bibel und unterwirft sie. Die Bibel wird nicht abgelehnt, sondern relativiert, konserviert, in »Schutz« genommen und menschlicher, »wissenschaftlicher» Untersuchung zugänglich gemacht. Plumpe Ablehnung wäre primitiv: In Andersons Konstitution wird der Atheist als »einfältig« bezeichnet. (Zit. in Oslo, S. 379) Die Relativierung ist Ausdruck einer viel raffinierteren, tieferen, dafür äusserst abgründigen Feindschaft.«

Die Reformatoren konnten das in der Bibel bezeugte Wort Gottes als wichtigste, »heiligste» Waffe der geballten Macht des etablierten Katholizismus entgegensetzen. Ab 1717 beginnen protestantische Theologen, diese «heilige Kuh« der eigenen Herkunft zu zerlegen, in einen rein menschlichen Zusammenhang zu stellen und allenfalls auch auf ein menschliches Podest zu heben. Im folgenden sei kurz auf die Freimaurer und protestantischen Theologen Gotthold Ephraim Lessing (1729 1781) und Johann Gottfried von Herder(1744 1803) eingegangen, die einen wesentlichen Einfluss auf die protestantische Theologie ausübten. Dabei geht es vor allem um ihre Stellung zur Bibel.

Aus Lessings »Theologiekritischen Schriften» 1778 geht eindeutig hervor, dass er die Bibel nicht als von Gott inspiriertes Wort, sondern als rein menschliches Machwerk ansah. Die Ausführungen über die Entstehung der Evangelien tragen den Titel: »Neue Hypothese über die Evangelisten als bloss menschliche Geschichtsschreiber betrachtet«. Auch bei der Zusammenstellung des Kanons hat nach Lessing keine höhere Macht mitgewirkt. Die »Offenbarung Johannis« ist ihm »ein Beweis, wie planlos sich der Kanon des neuen Testaments gebildet« hat. Nach seiner Meinung waren Redaktoren am Werk, die »mit aller Freiheit abgeschrieben« haben. Inspiration ist höchstens Einbildung der scheinbar Inspirierten. Vermutlich zuckte man auch damals schon die Achseln über Leute, die etwas Historisches aus Inspiration zu wissen vorgaben. Ein Evangelium braucht es nach Lessing nicht für alle Leute, sondern es wird nur so lange eines geben, »als es Menschen gibt, die eines Mittlers zwischen ihnen und der Gottheit zu bedürfen glauben.« (1976 635) Lessing hat mit dem gläubigen Hauptpastor Johann Melchior Goeze eine harte theologische Auseinandersetzung geführt, die einen grossen Teil seiner »Theologiekritischen Schriften» ausmacht (»Anti-Goeze«, I XII.)

Die folgenden Herder Zitate sind dem Artikel von J. Böni, Pfarrer und Grossmeister der »Alpina», über den »Theologen Johann Gottfried Herder« (1944) entnommen. Herder hat nach Böni die Denkart des »christlichen Humanismus« geprägt und auch als «erster Geistlicher der protestantischen Landeskirche« in Deutschland einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt. Er lehnte es ab, die Bibel als «sakrosankte Schriften» zu betrachten und wandte sich gegen »theologische Engherzigkeit». Die Bibel ist nicht übermenschlicher und allgemeinmenschlicher Maßstab, sondern in die Menschheitsgeschichte eingebettet. »Die Bibel ist aus der Vorstellungswelt der Antike zu verstehen.» (Böni, S. 288) Das Christentum ist eine Religion unter vielen, die ebenfalls ihre Bedeutung und ihre Wahrheiten haben. «Ebenso unbefangen wie das Christentum würdigt der protestantische Geistliche die nichtchristlichen Religionen, von denen insbesondere auf die Religion der Griechen ein verklärendes Licht fällt.» (S. 286). Herder relativiert das Wort auch insofern, als er ihm gegenüber das Gefühl, das Erlebnis, die «Leidenschaft» aufwerten möchte. (S. 291) Bei Herder hören wir »nichts von Erlösung, Sündenvergebung, Rechtfertigung» (S. 290).

Diesem liberal kritischen, freimaurerischen Einfluss haben sich nach Schenkel auch die scheinbar etwas unterbelichteten bibeltreuen Protestan¬ten nicht entziehen können. »Selbst die positiven und orthodoxen Kreise, soweit sie sich einer gewissen Allgemeinbildung erfreuen, sind von liberalen Gedanken, wenn auch langsam und vielfach unbewußt, durchsetzt worden.« (Schenkel). Nach W. Neuer waren unter anderen folgende Begründer der modernen Bibelkritik Freimaurer: Hermann Samuel Reimarus (1694-1768), Ernst Renan (1823- 1892), Christian Wolff (1679- 1754), David Friedrich Strauss (1808- 1874).  

6.4.3. Personelle Verflechtungen zwischen Freimaurerei und liberalem Protestantismus

Zu diesem Thema müssen wir uns hier mit einigen Zitaten aus Schenkel begnügen.

»Wohl aber sind durch einzelne Persönlichkeiten starke Verbindungsfäden zwischen Loge und freien protestantischen Organisationen vorhanden. Es sei nur erinnert an den bekannten Heidelberger Juristen Bluntschli, den ersten Vorsitzenden des Protestantenvereins, der zugleich ein sehr eifriger Freimaurer war und die Würde eines Grossmeisters in der Grossloge ‘Zur Sonne’ (Bayreuther System) bekleidete. Über die gegenwärtigen Beziehungen ist es aus begreiflichen Gründen nicht ratsam, Einzelheiten anzuführen. Es genügt, auf die Tatsache zu verweisen, dass sowohl Geistliche hervorragende Stellen in den Logen und Grosslogen einnehmen, wie umgekehrt Freimaurer in beachtenswertem Umfang in kirchlichen Vertretungen vorhanden sind. Jedenfalls betrachten gerade in Deutschland die meisten Freimaurer die Freimaurerei als in der Geistesrichtung des freien Protestantismus liegend.« (S. 41) Der aus der Schweiz stammende Johann Kaspar Bluntschli (1808  1881) war liberaler Staatsrechtler und Politiker. Er gilt »als Stifter des deutschen Protestantenvereins, der im Gegensatz zu der damals vorherrschenden protestantischen Orthodoxie für grössere Freiheit in den theologischen Wissenschaften eintrat.« (Valmy, 62)

»In der Schweiz zeigt sich die Verbindung von Freimaurerei und Protestantismus in Männern wie Quartier la Tente, der im Januar 1925 als ein in der ganzen Welt bekannter Freimaurer gestorben ist. In Neuenburg geboren, wurde er später Pfarrer, bekleidete eine theologische Professur, und war ein halbes Jahrzehnt Grossmeister der Schweizer Grossloge Alpina. Bekannt wurde er vor allem durch sein eifriges Streben nach Ausbau der übernationalen Fühlungnahme der Freimaurerei.« (Schenkel S. 40) Zu erwähnen ist an dieser Stelle nochmals der liberale protestantische Theologe und Pfarrer J. Böni. 1942  1947 war er Grossmeister der «Alpina« und Pfarrer in Trogen. In dieser Zeit entstand in Trogen das Pestalozzi Kinderdorf.

 

7. Die Freimaurerei aus der Sicht Christi

Im letzten Kapitel haben wir versucht, das Christentum, Gott, Christus und die protestantische Theologie aus dem Blickwinkel der Freimaurerei zu betrachten. In diesem Kapitel soll die Blickrichtung umgedreht werden. Es soll der Versuch gewagt werden, die Freimaurerei aus der Sicht Christi zu beurteilen, wobei wir annehmen, dass er wirklich »leibhaftig auferstanden» ist, und dass ihm alle Macht im Himmel und auf Erden übertragen wurde. Bei den Aussagen Christi verlassen wir uns hauptsächlich auf die in der Bibel von ihm und über ihn bezeugten Worte. Also: Gott hat Jesus Christus «eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.« (Eph. 1, 20f)

7.1. Die Freimaurerei als Gegner Christi

Wir haben gesehen, dass die Freimaurerei jeden Absolutheitsanspruch (ausser dem eigenen natürlich) ablehnt. Der Geist der Freimaurerei bekämpft jeden Anspruch auf absolute Wahrheit und hat bisher bereits den Absolutismus, den Faschismus, die kommunistische Einparteienherrschaft besiegt. In der katholischen Kirche und in den protestantischen Kirchen sind die Auseinandersetzungen noch im Gange. Es ist wohl möglich, dass am Schluss nur noch ein Gegner übrig bleibt: Jesus Christus.

7.1.1. Ablehnung des Absolutheitsanspruches Christi

Der Absolutheitsanspruch Christi ist der «Stein des Anstosses» für die Freimaurer: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich« (Joh. 14, 6). Oder: »Ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen …« (Joh. 15, 5f). Für einen Humanisten sind das unglaubliche, ungeheure, unerhörte Worte. Warum soll es nicht auch andere Wege geben? Gibt es nicht auch in anderen Religionen »Erkenntnis« und schöne Erlebnisse? Ist es nicht unfair und ungerecht, die Menschen derart ungleich zu behandeln und zu verurteilen? Die Freimaurerei nimmt diese Worte Jesu nicht ernst, sondern relativiert sie und damit den, mit dem sie zu tun haben. Der Absolutheitsanspruch Christi wird abgelehnt. Damit ist aus freimaurerischer Sicht noch keine Gegnerschaft verbunden, sondern es sieht so aus, als ob erst der «moderne», «aufgeklärte» Mensch die Zusammenhänge richtig erkennen und Jesus Christus ins richtige Licht rücken könne. Aus der Sicht Christi ist nun aber gerade das eine ungeheure Anmassung und totale Verkennung der wirklichen Herrschaftsverhältnisse. Die Relativierung ist in Wahrheit Ablehnung, und hinter den zum Teil schönen »christlichen« Worten verbirgt sich äusserste Feindschaft. Der Geist der Freimaurerei macht dem auferstandenen Jesus Christus die Herrschaft streitig. Er wird auf ein rein menschliches Maß reduziert, abgewertet, verniedlicht und in ein theoretisches Schema der menschlichen Entwicklungsgeschichte integriert. Seine Worte, besonders die, die Anstoss erregen, sind in der Loge Tabu. Wer Christus als den Herrn verkündet, der wird zum Schweigen gebracht und auf den Sonntagvormittag verwiesen.

Ist Christus wirklich auferstanden, so ist eindeutig: Die Freimaurerei ist nicht für, sondern gegen ihn. Auf die Freimaurerei trifft also das folgende Wort Jesu zu: »Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut« (Lk. 11, 23).

7.1.2. Die Freimaurer als die «Bauleute» der Bibel

In der Bibel kommt das Wort »Freimaurer» natürlich nicht vor. Dagegen gibt es den Ausdruck »Bauleute«, der zur Bezeichnung derjenigen Menschen und Menschengruppen (Pharisäer, Schriftgelehrte vor allem) verwendet wird, die nicht auf Jesus Christus bauen, sondern auf eigene, menschliche Weisheit, Kraft und Schönheit. Wesen und Inhalt, Bauhüttentradition und Tempelbausymbolik der Freimaurerei legen nun nahe, dass dieser Ausdruck auch auf die Freimaurerei zutrifft, so dass gesagt werden kann: Die Freimaurer sind die Bauleute der Bibel.

Diese Bauleute sind in der Bibel dadurch charakterisiert, dass sie den tragenden Stein, den «Eckstein» des Baues Gottes verworfen haben. (Ps. 118, 22f; Mt. 21, 42; Mk. 12, 10; Lk. 20, 17; Apg. 4, 11; 1. Petr. 2, 7) Der Eckstein des Baues Gottes ist Jesus Christus. »Er (Jesus) ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen.» (Apg. 4, 11 f).

7.1.3. Der «Tempel der Humanität» ist nicht der «Tempel Gottes»

Der Bau des Gottes der Bibel wird ebenfalls als »Tempel» bezeichnet. Die folgende Aussage gilt für diejenigen, die den Absolutheitsanspruch Christi ernst genommen haben und nun an seinem Bau mitwirken: »Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Jesus Christus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut« (Eph. 2, 19 22).

Dieser Bau Gottes ist nun gewiss nicht mit dem freimaurerischen «Tempel der Humanität» identisch. Es handelt sich um zwei grundsätzlich verschie¬dene Bauwerke: Beim Bau Gottes ist Jesus der Eck  oder Schlussstein, der alles zusammenhält. Er wird, um einen anderen Bau Ausdruck zu verwenden, auch als «Grund« oder «Fundament« bezeichnet: «Das Fundament ist gelegt: Jesus Christus. Niemand kann ein anderes legen.« (l. Kor. 3, 11) Beim «Tempel der Humanität» hingegen ist Jesus ein gewöhnlicher Stein, vielleicht ein besonders schöner Stein, aber ganz bestimmt nicht der Eckstein, Schlussstein oder das Fundament. Da der freimaurerische Bau nicht der Bau des in der Bibel bezeugten Gottes und seines Sohnes ist, gilt für ihn aus biblischer Sicht: Er ist nicht stabil, nicht dauerhaft; er hält nicht, was er verspricht. Wer dort arbeitet, der wird nicht belohnt, hat falsch investiert und sollte so rasch wie möglich innerlich »umstrukturieren», die Stelle wechseln. »Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran arbeiten.» (Ps. 127, 1)

Alles hängt von der Einstellung zu Jesus Christus ab: »Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar… Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist ‘der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstosses und ein Fels des Ärgernisses’ (Ps. 118, 22; Jes. 8, 14); sie stossen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben.« (l. Petr. 2, 4.7f) Die Ablehnung bleibt nicht ohne Folgen. Die Bibel droht meines Erachtens nicht, sondern sie warnt und stellt fest: »Jeder, der auf diesen Stein fällt, wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.» (Lk. 20, 18) Jesus Christus ist also aus biblischer Sicht derjenige, an dem sich alles entscheidet. «Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat.« (Joh. 3, 17f) Aus biblischer Sicht ist alles ganz einfach und eindeutig: »wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn nicht hat, der hat das Leben nicht.» (l. Joh. 5, 12) »Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.» (Joh. 17, 3)

7.2. Falscher Absolutheitsanspruch der FM

Die Freimaurerei lehnt den Absolutheitsanspruch Christi ab und stellt sich damit in Opposition zu ihm. Sie stellt sich über ihn. Damit erhebt sie selbst einen Absolutheitsanspruch, was den meisten Freimaurern wohl gar nicht bewusst ist. Die beiden Absolutheitsansprüche schliessen sich gegenseitig aus, sie sind unvereinbar. Nur einer kann richtig, gerechtfertigt, wahr sein. Der andere ist falsch, angemasst, eingebildet, erschwindelt. Aus freimaurerischer Sicht ist der Absolutheitsanspruch Christi falsch. Die entsprechenden Aussagen in der Bibel sind unwahr. Wenn nicht Christus selbst ein Hochstapler, Verrückter oder Lügner war, so haben die ersten Gemeinden und/oder irgendwelche Redaktoren »in aller Freiheit» die Göttlichkeit Christi erdichtet und die Schriften entsprechend »frisiert«. Wenn wir annehmen, dass dies nicht so ist, dann ist aber der Absolutheitsanspruch der Freimaurerei falsch. Aus biblischer Sicht steht der «Tempel der Humanität» auf sumpfigem Boden. Die paradigmatischen, weltanschaulichen Grundüberzeugungen der Freimaurerei sind unrealistisch, verkennen die wirkliche Realität und die wahren Herrschaftsverhältnisse. Nicht die Bibelleser, sondern die Freimaurer wurden getäuscht, in die Irre geführt.

Es ist nicht ein anonymer »Allmächtiger Baumeister aller Welten«, der oberster Herrscher, Ursprung und Maß aller Dinge wäre. Vielmehr ist es Jesus Christus, der sagt: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde« (Mt. 28, 18).

Es trifft nicht zu, dass es keine dem Menschen zugängliche absolute Wahrheit gibt. Zwar kann niemand diese Wahrheit besitzen, weil sie eine Person ist. Aber diese Person, ganz Gott, ganz Mensch, sagt von sich: «Ich bin die Wahrheit«. (Joh. 14, 6)

Es ist nicht wahr, dass erlöst wird, «wer immer strebend sich bemüht«. Jesus Christus schenkt allen seine Gnade, sein Leben, seine Fülle, die seine Herrschaft akzeptieren. Die Annahme dieser Herrschaft soll nicht erzwungen werden, sondern sie ist ganz freiwillig. Nicht Streberei, Leistungen und Werke, sondern Vertrauen, Glaube und Gnade bringen Sicherheit und Heil. Nicht die Arbeit und die Arbeitsverhältnisse, sondern die Liebe, Liebesbeziehungen sind die Grundlage allen Lebens, sind die Voraussetzung für unseren »Lebensunterhalt» in jeder Beziehung.

Es ist nicht so, dass Christus unterschiedslos allen Menschen das Leben schenkt. Denjenigen, die ihn ablehnen, kann er es nicht schenken, denn nur er ist das Leben, hat den Tod überwunden. «Ich bin die Auferstehung und das Leben …« (Joh. 11, 25) Gerade die Freiheit der Entscheidung hat zur Folge, dass letztlich nicht alle leben werden. Aus dieser Sicht ist es nutzlos und lächerlich, dass Menschen »symbolisch« Särge überschreiten und sich selbst »erheben».

Es ist nicht so, dass es unser bestes und »edelstes« Los ist, ein Licht-Suchender zu sein, denn Jesus Christus sagt: «Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben« (Joh. 8, 12). So lange wir Christus nicht nachfolgen, tappen wir aus biblischer Sicht im Dunkeln. Wir kommen ganz grundsätzlich nicht draus, auch wenn wir uns noch so klug vorkommen. Zur Erleuchtung dieser Finsternis helfen keine Lichtkulte, keine angezündeten Kerzen, keine asketischen und meditativen Exerzitien. Wer hingegen den Gott der Bibel sucht, der wird ihn finden!

Es ist auch nicht so, dass das Diesseits, die dem Menschen zugängliche Welt, wichtiger ist als das Jenseits. Die Bibel lehrt, dass die sichtbare Welt vergänglich ist, dass sie aus einer unsichtbaren Welt hervorgegangen ist und aus dieser unsichtbaren Welt gesteuert wird. Wer diesen Sachverhalt nicht berücksichtigt, der baut sein Leben auf Vergängliches, setzt auf den Tod. »Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.» (Jes. 51, 6)

Es ist nicht wahr, dass Symbole für die Verständigung und die Erkenntnis wichtiger sind als Worte. Aus biblischer Sicht hat das Wort absoluten Vorrang. »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen«, spricht der Jesus der Bibel. (Mt. 24, 35) »Wer das Wort verachtet, muss dafür büssen.« (Spr. 13, 13) Der Mensch lebt von einem jeden Wort Gottes (Dtn. 8, 3; Mt. 4, 4; Lk. 4, 4). Hingegen erstickt gerade die «Sorge der Welt« das Wort. (Mt. 13, 22)

Nicht die Tat, sondern das Wort war am Anfang. Und alle Dinge sind durch das Wort gemacht, »und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.» (Joh. 1, 1 3) Jesus Christus ist dieses Wort, das «Fleisch ward«. (Joh. 1, 14) Durch die Beziehung mit ihm erhalten auch unsere Worte Wert, Sinn, Bestand. Ohne ihn ist unsere Sprache wertlos, sinnlos, Geschwätz. «Niemand täusche euch mit leeren Worten.» (Eph. 5, 6) Natürlich soll das nicht Tatenlosigkeit bedeuten: »Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein.» (Jak. 1, 22) Es geht hier nicht um Alternativen, sondern um Prioritäten. «Täter des Worts», nicht «Täter des Schweigens», sollen Christen sein. Worte schaffen andere Beziehungen zwischen Menschen als bloße Handgriffe. Es ist darum nicht egal, ob wir sprechen und was wir reden. Dazu noch eine Aussage Jesu: «Ich sage euch: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen; denn aufgrund deiner Worte wirst du freigesprochen, und aufgrund deiner Worte wirst du verurteilt werden.» (Mt. 12, 36f) Und: «Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich gesprochen habe, wird ihn richten am Letzten Tag.« (Joh. 12, 48)

Gemäß der Bibel ist es nichtwahr, dass der Mensch durch eine Evolution aus dem Nichts entstanden ist, und es trifft nicht zu, dass er das am höchsten entwickelte Lebewesen ist. Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Er ist Geschöpf, Kreatur, nicht Schöpfer, Die Verehrung von Geschöpfen, Geschaffenem anstelle des Schöpfers, wird in der Bibel als »Götzendienst« bezeichnet. Humanisten aller Schattierung können als Götzendiener bezeichnet werden. »Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers.« (Röm. 1, 25) Obwohl die Schöpfung und die Geschöpfe vom Schöpfer zeugen, haben sie ihn nicht geehrt und ihm nicht gedankt. «Sie verfielen in ihrem Denken der Nichtigkeit, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. Sie behaupteten, weise zu sein, und wurden zu Toren.« (Röm. 1, 21f)

Die maßlose Unterschätzung Gottes und die entsprechend ungeheure Überschätzung des Menschen führt zu wahnhaft übersteigerten Anforderungen und Erwartungen an den Menschen, die letztlich niemand erfüllen kann. Die Enttäuschung, die Gefangenheit in Gedanken der scheinbaren Minderwertigkeit, sind darum die notwendige Konsequenz aller Menschenvergötzung. «Ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten.« (Lk. 11, 46)

Die freimaurerische Verehrung menschlicher Leistungen und Werke ist aus biblischer Sicht natürlich ebenfalls maßlos übertrieben und angesichts der Tatsache, dass Gott alles Können und Vollbringen ermöglicht, völlig ungerechtfertigt. Der Tanz um die menschlichen «Künste« und ihre Resultate kann als »doppelter Götzendienst» bezeichnet werden. «Alle Menschen aber sind Toren mit ihrer Kunst, und alle Goldschmiede stehen beschämt da mit ihren Bildern; denn ihre Götzen sind Trug und haben kein Leben, sie sind nichts, ein Spottgebilde; sie müssen zugrunde gehen, wenn sie heimgesucht werden.» (Jer. 10, 14f)

Unseres Erachtens ist es also eindeutig, dass das Welt  und Menschenbild der Freimaurerei demjenigen, das uns durch die Bibel vermittelt wird, radikal entgegengesetzt ist. Der Absolutheitsanspruch der Freimaurerei ist aus biblischer Sicht falsch   eine ungeheure Anmaßung.

7.3. Dunkle Herkunft

Wir haben gesehen, dass es über Ursprung und Entwicklung der Freimaurerei bis 1717 kein gesichertes Wissen, dafür aber vielfältige Sagen, Mythen und Legenden gibt. Wir kennen keinen Namen des Erfinders, die Legenden wollen aber den Eindruck erwecken, als habe die Freimaurerei eine lange Tradition, als sei sie uralt, als gehe sie auf Adam und Eva zurück (s. Andersons Verfassung in Oslo). »Die Freimaurerei war immer», meint sogar Falk in Lessings »Gesprächen für Freimäurer».

Die Bibel lehrt uns, solchen Aussagen und Behauptungen ebenso wie Mythen, Sagen und Märchen nicht zuviel Bedeutung zuzumessen. Wir sollen uns auf die sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen, auf die Aussagen von namentlich bekannten Zeugen verlassen. In der Bibel spielt die Namengebung eine entscheidende Rolle. Es sollte jede Person als Individuum identifiziert werden können. Ebenso wichtig sind Stammbäume. Der Stammbaum Jesu ist zweifach, lückenlos zurück über David bis Abraham aufgeführt. Es ist nicht egal, woher etwas oder jemand kommt.

Die Freimaurerei wird auch hinsichtlich der Herkunft den biblischen Maßstäben nicht gerecht: Sie basiert auf Legenden, nicht Tatsachen; Sagen, nicht Aussagen; Gerüchten, nicht Zeugen; Anonymität, nicht Namengebung; historischen Phantasien, nicht Stammbäumen. Wir können darum nicht anders, als ihre Herkunft als unsicher, ungeklärt, dunkel zu bezeichnen.

Aus biblischer Sicht sind natürlich auch die geistigen Wurzeln der Freimaurerei zum Teil mehr als dubios. Die von Priestern und Mönchen, in Geheimgesellschaften, Mysterienbünden, Klöstern und Bauhütten gepflegten »hermetischen Künste» sind aus biblischer Sicht verabscheuungswürdig, und wir sollten lernen, uns ihrer zu enthalten. »Dass nicht jemand unter dir gefunden werde, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste oder Zauberei treibt oder Bannungen oder Geisterbeschwörungen oder Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt. Denn wer das tut, der ist dem Herrn ein Greuel.» (Dtn. 18. 10-12)

Wir haben gesehen, dass auch die Inhalte der Legenden zum Teil einen deutlichen Protest gegen die Darstellungen der Bibel und gegen den Gott der Bibel zum Ausdruck bringen. Erinnert sei an die Parteinahme für Kain in der Hiramslegende, an die Vorstellung, die Maurer hätten im Erdinneren die Sintflut überlebt, an die Phantasie weltweiter außersprachlicher Kommunikation der Menschen trotz aller Sprachverwirrung. Aus biblischer Sicht sind solche «Möchtegern Geschichten» mit Sicherheit nicht vom Heiligen Geist inspiriert.

7.4. Unerreichte Ideale

Die Freimaurer werfen dem Christentum vor, es hätte seine Verheißungen nicht erfüllt, wobei sie sich an den Christen orientieren, nicht an Jesus Christus. In diesem Kapitel wollen wir versuchen, zu beurteilen, ob denn die Freimaurerei in ihrer Geschichte ihre Ideale erreicht hat.

7.4.1. Untaugliche Orientierung anhand von Idealen

Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich unser Glaube nicht an Idealen, sondern an einer Person orientiert. Mit Idealen können wir nicht sprechen. Sie haben keine reale Macht. Sie übernehmen keine Verantwortung und setzen sich nicht für uns ein. Ideale lassen sich trotz endloser Definitionsversuche und Streitereien nicht eindeutig festlegen. Sie sind ambivalent und können in unbestimmbarer Vielzahl auftreten. Die Orientierung anhand von Idealen kann als moderne Form von Vielgötterei bezeichnet werden, was deutlich wird, wenn sie «personifiziert«, in Stein gehauen und auf einen Sockel gestellt sind.

7.4.2. Enttäuschung

Die Freimaurerei weckt äusserst hohe Erwartungen, die wohl enttäuscht werden müssen. Enttäuschung gehört zum Freimaurerdasein und wird in der Literatur auch behandelt. »Dieses Phänomen der Enttäuschung über die Kluft zwischen idealer Vorstellung und Realität wird sowohl in der freimaurerischen Literatur als auch in der antimaurerischen angezogen und interpretiert.« (Binder, Wiss. 1988 130) Aus freimaurerischer Sicht können alle erdenklichen Gründe für diese Enttäuschung in Betracht gezogen werden, nicht aber die Freimaurerei selbst. Vielleicht ist man selbst oder vielleicht ist der »Bruder« noch zu wenig «wirklicher« Freimaurer. Vielleicht erfüllt der nächst höhere Grad die Erwartungen. Dem Enttäuschten wird auch deutlich gemacht, dass die Freimaurerei nicht mehr geben könne als man selbst zu geben bereit ist. Schuld an der Enttäuschung ist letztlich scheinbar jeder einzelne selbst.

7.4.3. Friede auf Erden?

Wir haben gesehen, dass der angehende «Ritter Kadosch» des «Rachegrades» lernt, die Ideale der Freimaurerei mit allen Mitteln durchzusetzen. Niemand kann wohl behaupten, dass die Auseinandersetzungen im Zuge von Humanismus, Aufklärung und Französischer Revolution friedlich, «gewaltfrei« verlaufen sind. Die innerhumanistischen Abgrenzungen, welche Form des Humanismus, welche Rasse, Klasse, Nation, welches Individuum den Weltfrieden wirklich garantieren kann, haben wohl kaum weniger Opfer gefordert und Greuel verursacht als die vorangegangenen Konfessionskriege. Dabei soll natürlich nicht gesagt werden, dass die Freimaurer an all diesen Streiten und Kriegen »schuld« sind, und auch aus unserer Sicht hat ihr Kampf gegen all die falschen humanistischen Absolutismen eine gewisse Berechtigung. Meines Erachtens ist aber der Geist des Humanismus, auf dem auch die Freimaurerei beruht, von Natur aus nicht friedlich. Homo homini lupus, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Diese Einsicht liegt auch der Forderung nach Gewaltentrennung zugrunde: Dem Menschen ist in Wahrheit ganz grundsätzlich nicht zu trauen, und um Machtmissbrauch zu verhindern, soll jede Gewalt die andere relativieren, kontrollieren. Jeder soll jedem auf die Finger schauen, niemandes Bäume sollen in den Himmel wachsen. Divide et impera, teile und herrsche!

Der Humanismus schafft nicht Friede, sondern Konkurrenz, Kampf um die Güter der Welt, Stress der Selbsterlösung, »Selbstverwirklichung«. Es ist dies nicht nur eine Konkurrenz der Rassen, Klassen und Nationen, sondern auch der Individuen, der Streber, der Schaffer und der Friedensstifter. Ist in dieser Situation wirklicher, dauerhafter Friede überhaupt möglich? Reicht es, wenn wir die gegenseitigen Ansprüche und Differenzen einfach verschweigen und uns «symbolisch« die Hand zum Bund reichen? Glaubt heute noch jemand, dass die Bruderküsse (auch eine symbolische Handlung) der kommunistischen Brüder echt waren? Durch Schweigen und symbolische Friedenshandlungen entsteht meines Erachtens kein echter Friede. Die Feindseligkeiten, die Konkurrenz, die Aggressionen werden bloss verdeckt und können sich schliesslich zu ungeheuren Spannungen aufstauen. Menschen selbst können keinen dauerhaften Frieden, höchstens einen Scheinfrieden schaffen. Sie heilen den Schaden meines Volks nur oberflächlich, indem sie sagen: »Friede! Friede! und ist doch nicht Friede« (Jer. 6, 14).

Auch die Freimaurerei stiftet keinen wirklichen Frieden. Nicht einmal unter den Freimaurern selbst. Das zeigen die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Systemen und Logen, die sich zum Teil heute noch gegenseitig die Anerkennung versagen. Ihr »Friede« ist ein Waffenstillstand bei Abbruch der Beziehungen und des Gesprächs.

Gegen solchen falschen Frieden bringt Christus das Schwert (Mt. 10, 34). Dafür garantiert der biblische »Friedefürst», sofern wir ihn annehmen, Friede mit Gott. »Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus» (Röm. 5, 1). Sein Friede eröffnet uns ganz neue Welten und Dimensionen. Das Gerangel und Gezänk der Welt wird klein, relativiert. Und der innere Friede gibt uns die Kraft, auch in einer humanistischen Welt friedlich zu bleiben. (Joh. 14, 27; Röm. 12, 18)

7.4.4. Menschliche Menschlichkeit?

Wie steht es nun mit dem hohen Ideal der Humanität und der »Menschenwürde»? Die Leistungen des Roten Kreuzes und anderer humanitärer Organisationen sollen hier nicht verachtet werden. Christi Geist kann auch in Lebenden wirken, die ihn noch nicht erkannt haben. Dennoch hat aus biblischer Sicht rein menschliche Hilfe und Wohltätigkeit eine relative, untergeordnete, nebensächliche Bedeutung. Die Bibel sagt es deutlicher: «Menschenhilfe ist nichts nütze.» (Ps. 60, 13) Mehr noch: Es ist schädlich, sich auf Menschen und Menschenhilfe zu verlassen. Das schafft Abhängigkeiten, die die Existenzangst vergrößern, denn Menschen sind unzuverlässig, krankheitsanfällig und sterblich. Es entstehen Beziehungen, die niemals halten, was sie versprechen, und Abhängigkeiten, die sich als Gebundenheiten erweisen. «Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und sich auf schwaches Fleisch stützt, und dessen Herz sich abwendet vom Herrn.« (Jer. 17, 5) Wer sich nur auf Menschen verlässt, der nimmt Gott, Jesus Christus, die Chance, einzugreifen. Er verbaut sich durch seine enge, diesseitige Sicht den Weg zum umfassenden Hilfsangebot Gottes. Unzählige Christen haben erfahren, dass durch die Annahme eines wirklich lebendigen Gottes ausserhalb der diesseitigen Welt und unserer eigenen Subjektivität Kräfte sich entfalten konnten und Lösungen möglich wurden, die alle ursprünglichen Vorstellungen weit übertrafen. Natürlich spielen auch bei christlicher Hilfe menschliche Anstrengungen und Spenden eine Rolle. Aber sie stehen nicht am Anfang und nicht im Mittelpunkt. Es ist nicht egal, aus welcher Einstellung heraus die Hilfstätigkeit erfolgt.

Ähnliches ist zum Thema »Menschenwürde« und »Menschenrechte« zu sagen. Kann sich der Mensch selbst Würde geben, sich selbst Recht verschaffen? Wer garantiert die Einhaltung der Menschenrechte? Wieviel wert sind die Orden und Ehrenpreise, die Menschen Menschen verleihen? Natürlich wollen auch die von Menschen verliehenen Würden, Namen und Titel beachtet und ernst genommen werden. Ohne göttliche Perspektive werden meines Erachtens diese Dinge viel zu ernst genommen, und es kann nicht gesehen werden, dass wir letztlich unsere wirkliche Würde niemals uns selbst verdanken. Von Menschen erwartete und angenommene »Menschenwürde» schafft künstliche Barrieren und Hierarchien. Der freimaurerische »Meister« fühlt sich dem «Profanen« voraus. Der «Grosse Auserwählte Vollkommene und Erhabene Maurer» (14. Grad) ist offenbar über den bloß »Erlauchten Auserwählten der Fünfzehn« (10. Grad) erhaben. Die Künstlichkeit und Lächerlichkeit dieser »Würden» ist meines Erachtens für Aussenstehende offensichtlich. Die nach menschlichen Kriterien verteilten Würden schaffen Ungleichheit. Freimaurer sehen das, meinen aber, nur die Hochgrade seien mit dem Ideal der Gleichheit unvereinbar: »Nicht von der Hand zu weisen ist der kritische Vorwurf, dass die Schaffung der Hochgradsysteme die ursprüngliche demokratische Tendenz der Freimaurerei aufgehoben habe, zugunsten einer streng gegliederten Hierarchie, die dem persönlichen Geltungsbedürfnis des einzelnen entgegenkommt und dem maurerischen Gleichheitsprinzip widerspricht« (Valmy FM 1988 36).

Die Beharrung auf falschen Würden ist wohl der Grund aller Menschenverachtung. Menschen können sich von sich aus keine echten Würden verleihen, höchstens die Würden streitig machen. Das Streben nach menschlichem Ansehen absorbiert so viel Aufmerksamkeit, Zeit und Energie, dass wir unsere wahre Würde, die nur vom lebendigen Gott kommt, nicht mehr erkennen und das Ziel verfehlen. »Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt?» (Joh. 5, 44)

Menschen können Menschenrechte proklamieren, Transparente durch die Strassen tragen und vielfältige Forderungen aufstellen. Doch können sie diese Rechte auch durchsetzen und die Forderungen erfüllen? Niemand wird heute noch bestreiten, dass auch die kommunistische Internationale das «Menschenrecht» nicht »erkämpft« hat. Der Fluch des Humanismus ist, dass, wenn etwas schief läuft oder etwas als »unmenschlich« empfunden wird, Proklamationen, Resolutionen und Forderungen nur an Menschen gerichtet werden können. Es fehlt ein anderes mögliches Objekt oder Subjekt der Aggressionen als der Mensch. Der »Aufgeklärte« glaubt nicht mehr an böse Geister. So ist, wenn es Unannehmlichkeiten gibt, der Mensch der Unmensch. Der Humanismus löst seine Probleme durch das Rollen der Köpfe: Die »bösen« Menschen (auch Klassen, Völker etc.) müssen weg, die scheinbar »guten« ans Ruder! Es ist sicher kein Zufall, dass kurz nach der erstmaligen Proklamation der Menschenrechte die Guillotine aufgestellt wurde. Die menschliche Menschlichkeit entpuppt sich als humane Hinrichtung, als »Gleichheit vor dem Schafott«. Auch Ereignisse wie Auschwitz und Hiroschima in diesem Jahrhundert sollten wohl mehr als deutlich machen, dass es eine menschliche Evolution, eine »Entwicklung zu höherem Menschentum« nicht gibt.

Im Gegensatz zu den Humanisten kämpfen Christusgläubige nicht gegen Menschen, sondern gegen die unsichtbaren Mächte der Finsternis. (Eph. 6, 12) Gerade die (anfangs sicher ungemütliche) Annahme, dass es solche Mächte gibt, schafft die Voraussetzung dafür, dass wir auch diejenigen Menschen lieben können, die uns als ihre Feinde betrachten. Die Vergötzung des Menschen bringt ständige Unzufriedenheit mit sich. Jeder muss mehr scheinen, als er ist. Auch die Freimaurerei nimmt nicht jeden auf, ihre Mitglieder sind erlesen, »erwählt», möglichst einflussreich. Der »Wettlauf um den Kranz der Humanität« erweist sich als gnadenlos, unbarmherzig, »unmenschlich». Wir wissen, dass im völligen Gegensatz dazu bei Christus alle willkommen sind, auch diejenigen, die nach menschlichen Maßstäben nicht genügen. (Mt. 11, 28)

Gegen den humanistischen Terror hilft meines Erachtens nur die Annahme eines liebenden, wirklich »menschenfreundlichen« Gottes. Bei einem solchen sind Menschlichkeit, Menschenwürde, Menschenrechte und all die andern Ideale viel besser aufgehoben. Die Bibel spricht davon, dass es einen solchen Gott gibt: »Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.« (Joh. 3, 16) Also: »So lasset nun ab von dem Menschen, der nur ein Hauch ist; denn für was ist er zu achten?« (Jes. 2,22)

7.4.5. Freiheit durch»Emanzipation« vom Wort?

Wir haben gesehen, dass sich die Freimaurer für die Emanzipation des Menschen von allen Absolutheit beanspruchenden Autoritäten und Mächten einsetzen. Unter anderem fällt darunter auch das Wort im weitesten Sinn. Aus biblischer Sicht erfahren wir Befreiung gerade durch das Wort, das Blut, die Wahrheit, die Person Christi. (Lk. 4, 18; Joh. 8, 31 f.36; Gal. 5, 1 u.a.m.) Er hat die Glaubenden befreit von dunklen Mächten, von Süchten, Ängsten und Sorgen, von Schuld und Isolation; er befreit die »Produktivkräfte» wirklich, er befreit das Leben. Die Botschaft von dieser Befreiung wird von der Freimaurerei relativiert und damit unwirksam gemacht. Dafür bietet sie die Befreiung von Autoritäten aller Art an.

Aus biblischer Sicht ist eine solche Freiheit nicht möglich. Der Mensch ist immer einer geistigen Macht untertan und wird von ihr geführt. Ist diese Macht nicht Christus, so ist es sein Feind. »Freiheit versprechen sie ihnen und sind doch selbst Sklaven des Verderbens; denn von wem jemand überwältigt worden ist, dessen Sklave ist er.« (2. Petr. 2, 19) Die Freimaurerei ist bestrebt, die Botschaft vom Befreiungswerk Jesu zu zerstören und dafür eine Scheinfreiheit anzubieten. Das ist wohl den meisten Freimaurern nicht bewusst, und von den wenigsten beabsichtigt. Dennoch ist es aus biblischer Sicht eindeutig so.

Wir haben gesehen, dass es nicht ungefährlich ist, die absolut lebenswichtige Bedeutung des Wortes, der sprachlichen Kommunikation, zu verneinen. Indem die Freimaurer dies tun und dafür das Schweigen, das rituelle Erleben fördern und trainieren, befinden sie sich auf dem Weg zur Sprachlosigkeit, zur kommunikativen Isolation. Die Pflege des persönlichen, individuellen Erlebnisses und die Vernachlässigung der sprachlichen Verständigung, besonders auch außerhalb der Loge   der Familie darf ja nicht mitgeteilt werden, was dort geschieht   muss letztlich zur Vereinsamung führen. Einsamkeit aber ist Gefangenheit.

Aus biblischer Sicht spielen Gedanken für die geistige Gesundheit eine wichtige Rolle. Für die gedankliche «Hygiene» und »Disziplin« sind Aussprachen, letztlich vor Jesus Christus, entscheidend wichtig. Sind solche Aussprachen erschwert oder unmöglich, so können Gedanken, Grübeleien, eine zerstörerische Eigendynamik entfalten. Die Gedanken »klagen einander an» (Röm. 2, 15), werden zu immer unentwirrbareren Gespinsten, zu »Festungen« des Gegners (2. Kor. 10, 4f). Die wortlose »Gedankenfreiheit» entpuppt sich als Blockierung, Gefangennahme des wirklichen Lebens.

Auch das sich Verlassen auf menschliche Weisheit, Brüderlichkeit und Hilfe etc. führt zu Bindungen, die aus biblischer Sicht nicht gesund sind.

Während die Hilfe Christi gratis ist, eine Gnade, ein Geschenk, hat Menschenhilfe ihren Preis. Aus menschlicher Sicht sollte Nehmen und Geben zumindest langfristig im Gleichgewicht sein. Einem Gefallen oder einer Leistung sollte mit der Zeit eine Gegenleistung folgen. So entsteht langsam aber sicher ein immer dichter werdendes Netz von gegenseitigen Verpflichtungen und Rücksichtnahmen, das zum Gefängnis werden kann.

Zudem werden wir sehen, dass katholische wie protestantische Autoren der Auffassung sind, dass die Kulte, Riten und Zeremonien der Freimaurer zu okkulter Gebundenheit führen.

Ganz allgemein aber ist die Konzentration auf Erlebnisse, statt auf das Wort, problematisch. Während uns Jesus Christus durch seinen Geist überall und jederzeit zur Verfügung steht, benötigen Erlebnisse stets bestimmte Rahmenbedingungen, die immer wieder reproduziert werden müssen. Der Erlebnishunger kann zur Sucht werden, die uns an konkrete Personen, Räume und Zeiten bindet: «fesselnde» Erlebnisse!

7.4.6. Gleichheit der Menschen?

Bei diesem Ideal kommt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit am krassesten zum Ausdruck. Die Freimaurerei selbst erzeugt in ihrem Bereich vielfältige und aus biblischer Sicht völlig unnötige, eingebildete, kontakthemmende und «Würde Neid» fördernde Ungleichheiten und Abstufungen zwischen Menschen. Valmy meint zwar, dass nur die Hochgrade dem «maurerischen Gleichheitsprinzip widersprechen. Doch meines Erachtens liegt die Förderung von Ungleichheit im Wesen der Freimaurerei selbst, in ihren mystischen, bauhandwerklichen, esoterischen Wurzeln begründet. Die Auswahl der Mitglieder schafft Ungleichheit: Warum werden Frauen, Kinder, Behinderte und Farbige (in den USA) nicht aufgenommen? Die Abstufung von Wissens  und Erleuchtungsstufen schafft künstliche Ungleichheit, die mit dem hinduistischen Kastensystem letztlich wohl verwandt ist. Die Beurteilung der Menschen nach ihren Werken und Leistungen fördert Ungleichheit. Die Menschen Würden begünstigen Ehrsucht, Neid, Kampf ums Ansehen. Die Relativierung des Wortes und Verabsolutierung des Erlebens schafft Ungleichheit. Niemand hat die gleichen Erlebnisse wie ein anderer, und die Möglichkeit des Erlebnis  und Erfahrungsaustausches sind, besonders ohne sprachliche Kommunikation, höchst begrenzt.

Demgegenüber betont die Bibel immer wieder, dass es »kein Ansehen der Person vor Gott« gibt. (Röm. 2, 11) »Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.« (Apg. 10, 34) Bei Jesus Christus sind wirklich alle willkommen. (Mt. 11, 28) Natürlich gibt es auch in der (unsichtbaren) Gemeinde Christi Ungleichheit. Doch diese Ungleichheit ist gottgewollt und unabänderlich. Da nützt alles menschliche «Streben« nichts. Allen Neidereien und allen Eifersüchteleien ist damit der Boden entzogen, und es wird möglich, sich gerade an der gegenseitigen Ungleichheit zu freuen. Die Ungleichheit im «Leib Christi» ist eine Folge davon, dass bei ihm, im Gegensatz zu den Religionen, der einzelne überhaupt nicht vollkommen sein muss, um gerettet zu werden. Er muss nur seine eigene, begrenzte Bestimmung erfüllen   nicht mehr und nicht weniger. Die Gemeinde Christi wird als lebendiger Organismus geschildert, als arbeitsteiliges System (l. Kor. 12, 12ff), in dem die Stärken der einen die Schwächen der anderen ausgleichen. Das Ganze wird durch Christus und seinen Geist zusammengehalten. Dieser Geist also verbindet Ungleichheiten. In der Welt und in den Religionen hingegen wirkt Ungleichheit trennend.

7.4.7. Brüderlichkeit?

Wir haben gesehen, dass den freimaurerischen Legenden, vor allem der Hiramslegende, eine »Parteinahme für Kain» zugrunde liegt. Dieser ist aus unserer Sicht natürlich nicht gerade das größte Vorbild für Brüderlichkeit. Zudem wurde bereits erwähnt, dass das »Elend des Humanismus» unseres Erachtens darin liegt, dass er, sobald etwas schief geht, wiederum nur Menschen beschuldigen kann. Der Vergötzung des Menschen folgt die Anklage, die Bitterkeit gegen Menschen auf dem Fuß. Der »Bruder«, der dem hohen Ideal der Brüderlichkeit nicht entspricht, wird   sogar öffentlich und in der Literatur   des »unbrüderlichen Verhaltens« bezichtigt. Diese Vorwürfe fördern nun ihrerseits sicher nicht gerade eine brüderliche Atmosphäre. »Dann gibt es leider auch den schlechten Freimaurer, der das Nest beschmutzt, wie in allen Vereinigungen von Menschen. Dieser ist es, der der ganzen Bewegung schadet, dem Idealbild, das strahlend human ist.» (Boitel, 22) In einer freimaurerischen Ritualkunde steht geschrieben, wie sich der «schlechte Bruder« verhalten sollte: »So wie wir häufig im profanen Leben dem ‘Freimaurer ohne Schurz’ begegnen, so gibt es auch in jeder Loge den Fremden mit Schurz, der innerlich ein Profaner geblieben ist. Wem das widerfährt, der sollte ehrlich genug sein, sich still wieder zu entfernen, statt jahrelang … die Harmonie der Gemeinschaft zu stören.« (zit. in Binder, S.130) Also: »Bruderkette»? Bruder: nein! Kette: ja! Die eben genannten Faktoren, die Ungleichheit schaffen und fördern, tragen zudem mit Sicherheit auch nicht zu größerer Brüderlichkeit bei. In der Freimaurerei darf sich mit der Zeit jeder «Meister» nennen. Wer ist denn aber wirklich der Meister? Wer zeigt wem den Meister? Die humanistischen Vorstellungen erzeugen Konkurrenz und Rivalität   auch unter «Brüdern». Demgegenüber warnt uns die Bibel eindeutig davor, uns »Meister» nennen zu lassen. Wirkliche Brüder werden wir erst, wenn nur einer unser Meister ist. »Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr aber seid Brüder.« (Mt. 23, 8) Jesus Christus wird in der Bibel auch bezeichnet als der »Erstgeborene von vielen Brüdern«. (Röm. 8, 29) Meines Erachtens kann aufgrund von rein menschlichen Kriterien keine wirkliche Brüderlichkeit entstehen, höchstens eine kurzfristige Gemeinschaftlichkeit, eine eingebildete, geheuchelte Brüderlichkeit. Demgegenüber bezeichnet Christus als seine Brüder diejenigen, die die gleiche Beziehung zum lebendigen, biblischen Gott haben. »Und er streckte die Hand über seine Jünger aus und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.« (Mt. 12, 49f)

Das obige Zitat zeigt auch, dass bei Jesus die Frauen nicht ausgeschlossen sind. Bloße Männerbünde aller Art pflegen eine Art von Gemeinschaft, die in der Bibel nicht vorgesehen ist. Sie ziehen zudem Aufmerksamkeit, Zeit, Energie und Geld von den biblisch erwünschten Formen des Zusammenlebens in Familie und Gesellschaft ab. Es sollte doch wohl darum gehen, dass Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder, Gesunde und Kranke usw. lernen, «brüderlich« zusammenzuleben.

7.4.8. Toleranz?

Die Auseinandersetzungen, die im Verlauf der Geschichte seit der Gründung der Freimaurerei innerhalb der Bewegung und gegen außen geführt wurden, zeigen meines Erachtens mehr als deutlich, dass die Freimaurerei nur dort wirklich tolerant ist, wo der eigene Absolutheitsanspruch nicht in Frage gestellt wird. Gegen die aus ihrer Sicht «falschen« Absolutheitsansprüche von Absolutismus, Totalitarismus, Katholischer Kirche usw., die auch aus unserer Sicht »falsch« sind, geht der Geist der Freimaurerei mit allen Waffen vor. Nicht Feindesliebe, sondern Vergeltung mit allen Mitteln, gemäß den rituellen Handlungen des Ritter Kadosch Grades, ist der Weg. Die Freimaurerei ist also tolerant mit den in ihrem Sinn Toleranten, aber selbst intolerant mit ihren Gegnern, die sie als «intolerant» verurteilt. Das soll kurz anhand eines Nebenkriegsschauplatzes illustriert werden.

Die »intoleranten«, bibeltreuen, «orthodoxen», »fundamentalistischen« Protestanten werden keineswegs mit liebendem Verständnis behandelt, was bei wirklicher Überlegenheit angebracht wäre.

Der erwähnte Kirchengeschichtsprofessor Hengstenberg, dessen Argumente gegen die Freimaurerei durch das Eingreifen des späteren Kaisers Wilhelm I. autoritativ «erledigt» wurden, gilt als «intolerant»: «Seine Ablehnung der Freimaurerei wurzelt in seiner Antipathie gegen die Toleranz, deren Wesen ihm fremd war, und gegen die liberal protestantische Auffassung des Christentums, die ihm verhasst war.» (Schenkel, S. 35) Die »positiven« Protestanten werden als unterentwickelt, ungebildet, unfair und abergläubisch hingestellt. (Ebd. S. 34, 40f., 158f., 164f.) Es «wird die Freimaurerei in den pietistischen und orthodoxen Kreisen bekämpft. Doch wird dieser Kampf mehr im stillen geführt mit Verdächtigungen und Verleumdungen, denen ähnliche abergläubische Vorstellungen zugrunde liegen, wie bei der populären katholischen Gegnerschaft.« (Ebd. S. 34) Aus unserer Sicht ist es natürlich die Freimaurerei selbst, die durch ihre fehlende Öffentlichkeitsarbeit den Informationsnotstand produziert. Und das Gebot des Schweigens ist in einer Welt, in der sprachliche Kommunikation lebensnotwendig ist, niemals absolut einzuhalten. Darum kommt es zu all den vielfältigen Gerüchten über die Freimaurerei.

In den humanistischen Universitäten kann scheinbar naiver Christusglaube nicht die Grundlage des Forschens und Lehrens sein, und auch in vielen Landeskirchen wurden die »positiven« Pfarrer systematisch und gründlichlich aus Amt und Würden verdrängt. So gibt es in Europa weite Landstriche, in denen das biblische Evangelium seit Jahrzehnten nicht mehr verkündet wurde und aus unserer Sicht von einem «neuen Heidentum» gesprochen werden muss.

Das Toleranzideal der Freimaurerei beruht auf der Annahme, dass die Götter aller Religionen, besonders der monotheistischen Religionen, letztlich gleich seien. Jesus Christus wird die Göttlichkeit und damit die Einzigartigkeit versagt. Ist der Absolutheitsanspruch Christi aber gerechtfertigt, so beruhen obige freimaurerische Annahme und auch das Toleranzideal auf einem Schwindel. Es ist interessant zu sehen, dass auch die Ringparabel in Lessings »Nathan der Weise«, dem freimaurerischen Lieblingsstück zum Thema «Toleranz», bei genauer Betrachtung nichts anderes darstellt als einen Schwindel: Aus einem einzigen Ring werden drei hervorgezaubert, wobei das Kunststück Lessings darin besteht, zu vertuschen, dass es sich hier eigentlich um einen Taschenspielertrick handelt. Die Freimaurerei lässt also den einen wahren Ring, Jesus Christus, verschwinden und präsentiert der Menschheit stattdessen drei falsche. Die Toleranz ist die gebotene Umgangsform zwischen denen, die die Herrschaft und Gottessohnschaft Christi ablehnen.

Christusgläubigen wird von denen, deren Herz voll von allen Religionen und Nicht Religionen ist, vorgeworfen, sie seien einseitig, «eng», «stur» und liessen andere Glaubensformen nicht leben. Insofern seien sie »intolerant«. Meines Erachtens können und sollen wir es niemandem verbieten, Freimaurer zu sein oder das Glück in anderem humanistischem, religiösem oder sonstigem Erleben zu suchen. Druck, Zwang und Ungeduld sollten un¬bedingt vermieden werden. Sie sind auch nicht nötig, wenn Jesus Christus wirklich auferstanden und der Herr der Welt ist. Der erzieherische Zwang, die »Gesetzlichkeit« mancher Christen mag zur Abwendung vieler Zöglinge beigetragen haben. »Der Zwang des Gewissens ist das Gemeinste und Unwürdigste, was man einem Menschen antun kann.« (Schenkel,164) Dieses Anliegen der Toleranz im Sinne des Vermeidens von Zwang, im Sinn der Glaubens , Gewissens  und Entscheidungsfreiheit sollten wir unbedingt ernst nehmen.

Auf der anderen Seite brauchen wir uns aber auch die freimaurerischen und liberalprotestantischen Zwänge, Intoleranzen und Diffamierungen nicht länger gefallen zu lassen. Wir brauchen nicht mehr unbedingt dort mitzubauen, wo nicht Jesus Christus der Eckstein ist. Die Zuwendung zum biblischen Jesus Christus bedeutet die Abwendung von allen anderen Göttern und Gurus. Diese Konzentration bedeutet nicht Armut und Engstirnigkeit, sondern Reichtum und Öffnung von unermesslichen Horizonten. Wirklicher Reichtum ist nicht von der grossen Zahl abhängig. Wenn Jesus Christus wirklich grundsätzlich überlegen ist, wenn er wirklich als einziger lebt, während alle anderen tot sind, dann kann er auch z. B. von, den 350 Millionen Hindugöttern nicht geschlagen werden. Alle andern können nicht gegen den Hauch seines Atems bestehen. Es sind Scheingötter, Götzen, und es wäre dumm, ihnen weiterhin Referenz zu erweisen. Wir lehnen die Vielfalt des Todes ab, und wenden uns der Vielfalt, dem Reichtum des Lebens zu. Eng ist nun allerdings der Weg, die Tür zu diesem Reichtum. «Schmal ist der Weg, der zum Leben führt …« (Mt. 7, 14) Der biblische Christus sagt bekanntlich: »Ich bin der Weg … » (Joh. 14, 6) «Ich bin die Tür … « (Joh. 10, 9) Zum Reichtum des Gottes der Bibel gelangen wir also nur, wenn wir Jesus Christus samt seinem Absolutheitsanspruch ernst nehmen. Der Absolutheitsanspruch ist der Kern, das Wesen, die Spitze, der Sinn seines Lebens. Ohne den Absolutheitsanspruch Christi betreiben wir Totenverehrung, setzen uns bewusst oder unbewusst sogar selbst an seine Stelle. Es ist wohl verständlich und sogar zu begrüssen, wenn ein grosser Teil der Bevölkerung solchen »Gottesdienste« fern bleibt. In Jesus Christus «wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.» (Kol. 9, 9f) Es soll jedem frei stehen, sich mit weniger zu begnügen. Doch die Glaubenden werden sich diese Fülle niemals mehr wegzaubern lassen. Der echte Ring ist nicht verloren, wir brauchen keine künstlichen Ringe.

7.4.9. Weisheit?

Es ist bereits zur Sprache gekommen, dass aus biblischer Sicht »die Weisheit der Welt Torheit vor Gott» ist (1. Kor. 3, 19). In Jesus Christus «sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen. Das sage ich, damit euch niemand durch Überredungskünstetäuscht.« (Kol. 2, 3f) Wirbrauchen uns also nie mehr vom Gerede von Leuten täuschen zu lassen, die behaupten, »höhere» Erkenntnis zu besitzen, oder sich auf ihre »Gelehrtheit» etwas einbilden. Wir brauchen auch nie mehr solche Erkenntnis zu suchen. Täuschung führt zur Enttäuschung. Als Christusgläubige versuchen wir nicht mehr, unsere Weisheit selbst zu produzieren. Das würde zu lächerlichen Resultaten führen. Der Heilige Geist, der »Geist der Wahrheit», wird uns in alle Wahrheit leiten. (Joh. 16, 13)

An dieser Stelle sei noch eine Bibelstelle angeführt, die mir wichtig und deutlich zu sein scheint (l. Kor. 1, 20 31):

»Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen. Seht doch auf eure Berufung, Brüder! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt; das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn.»

Zusammenfassung: Die freimaurerischen Ideale wie Friede, Humanität, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz, Weisheit usw. sind wohl der biblischen Tradition entnommen, doch die Freimaurer versuchen nun, diese ohne den Absolutheit beanspruchenden Jesus Christus zu verwirklichen. Aus biblischer Sicht muss dieses Unterfangen scheitern, weil es von falschen Voraussetzungen und einer völligen Verkennung der wirklichen, «wahren» Herrschaftsverhältnisse ausgeht. So werden denn diese Ideale nicht nur nicht erreicht, sondern es entsteht sogar das pure Gegenteil: statt Friede Auseinandersetzungen bisher ungeahnten Ausmasses und mit völlig neuen Waffen; statt Humanität Rollen der Köpfe; statt Freiheit Einsamkeit, Sprachlosigkeit, Isolation, Gebundenheit; statt Gleichheit künstliche, unnötige, menschengemachte Ungleichheit; statt Brüderlichkeit Enttäuschung gegen und Bitterkeit über Menschen; statt Weisheit Torheit.

7.5. Gefährlicher Kult

Wir haben gesehen, dass die kultischen Handlungen der Freimaurer hinter geschlossenen Türen, in »gedeckter Loge« stattfinden. Zudem meinen sie, die »wirklichen«, «tiefsten» Wahrheiten seien sprachlich nicht kommunizierbar. So setzen sie an die Stelle des Wortes das kultische Erleben. In der Loge werden symbolische Handlungen vollzogen, die insofern ein »Geheimnis« darstellen, als sie nicht intersubjektiv gleich erlebt und darum scheinbar anderen nicht mitgeteilt werden können.

Die biblische Sicht der Dinge ist dem völlig entgegengesetzt. Die biblischen Wahrheiten sollen nicht «privatisiert», wie ein Schatz gehütet und verborgen, sondern aller Welt in aller Öffentlichkeit mitgeteilt werden: »Gehet hin in alle Welt. . .« (Mt. 28, 18ff) Am Anfang war zudem nicht die Tat oder das Erleben, sondern das Wort. Natürlich sind auch für Christen Erlebnisse nicht ohne Bedeutung, doch Erlebnisse sind Folgeerscheinungen, wir orientieren uns nicht in erster Linie am Erleben. Aus biblischer Sicht gibt es zudem keine «Geheimnisse», die nicht ans Licht kommen können und sollen. «Wir meiden schändliche Heimlichkeit und gehen nicht mit List um, fälschen auch nicht Gottes Wort, sondern durch Offenbarung der Wahrheit empfehlen wir uns dem Gewissen aller Menschen vor Gott.» (2. Kor. 4, 2)

Aus biblischer Sicht ist alles verdächtig und für die Menschen gefährlich, was sich verbirgt, was sich mit »Geheimnissen« umgibt und mit »höherer Erkenntnis» brüstet. Das Verborgenene, Heimliche liegt in der »Finsternis«, und es soll ans «Licht» kommen, es soll schliesslich alles «offenbar» werden. «Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf!« (Eph. 5, 1; 1. Tim. 6, 20)

»Es ist aber nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Darum, was ihr in der Finsternis sagt, das wird man im Licht hören; und was ihr flüstert in der Kammer, das wird man auf den Dächern predigen.« (Lk. 12, 2f; 8, 17; Mt. 10, 26f; Mk. 4, 22) Über die heimlichen Taten heisst es: »Was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird.« (Eph. 5, 1 2f) Jesus Christus ist dieses Licht. (Joh. 8, 12; Eph. 5, 14)

Natürlich würden Freimaurer energisch dagegen protestieren, ihre kultischen Handlungen als »Werke der Finsternis» zu bezeichnen. Es werden ja schliesslich keine Verbrechen und keine Vergehen begangen. Die meisten Freimaurer wollen im Gegenteil sicher ehrlich und aufrichtig das Beste für die Menschheit. Sie sind sich keiner »bösen Taten» bewusst. Nach Schenkel sind nur die Formen der freimaurerischen Kulthandlungen den antiken Mysterienkulten entnommen, die Inhalte dagegen seien »aufgeklärt» und rein humanistisch, hätten mit Mystik, Magie und Okkultismus nichts zu tun. Unseres Erachtens lassen sich Formen und Inhalte niemals derart trennen. Alle Formen vermitteln auch Inhalte, und Inhalte können ohne ihnen gemässe Form gar nicht vermittelt werden. Zudem haben wir gesehen, dass im Schottischen Ritus erst die obersten Grade einen aufklärerischen Inhalt haben. Die Tore zum Okkultismus sind sperrangelweit offen. Mehr noch: Wenn Christus das Licht ist und seine Aussagen absolute Geltung haben, dann befindet sich schon (oder noch) jeder im Bereich der Finsternis, der diese geistige Tatsache ablehnt. Zudem ist es unmöglich, mit dem Okkulten nur ein bisschen zu spielen und trotz allem den Kopf oben zu behalten. »Jede Hinwendung zum Okkulten führt tiefer hinein in den Okkultismus. Dies ist ein Lebensgesetz aller geheimen Gesellschaften, ebenso wie auch der initiatorischen Vereinigungen, die sich nicht als geheim bezeichnen. Es ist durch nur zu gut bekannte Gründe zu erklären: enttäuschte Neugier, Eitelkeit, Verlangen nach dem Mysterium, Stolz darauf, die Eingeweihten spielen zu können.« (Mellor, 451). Nach Mellor treiben die Logen mit grosser Selbstverständlichkeit Magie   meist ohne es zu wissen. (Ebd. S. 312)

Nach unserer Auffassung kann nur Jesus Christus Licht in diese Zusammenhänge bringen. In der Bibel steht, was das Passwort der Lehrlinge und Meister »Tubalkain« bedeutet. Den meisten Freimaurern ist dies wohl nicht bekannt, und es käme ihnen nie in den Sinn, dass es gefährlich sein könnte, immer wieder ausgerechnet dieses Wort auszusprechen. Worte sind scheinbar nebensächlich. Bewusst oder unbewusst lernen Freimaurer laufend und immer gründlicher, am Wort Gottes und am biblischen Jesus zu zweifeln, seine Worte zu relativieren. Das Wort »Tubalkain» ist nur ein Beispiel. Tatsächlich führt jedes Wort, jedes Symbol und alles Handeln schrittweise weiter weg vom biblischen Gott und seinem Sohn. Baum stellt das besonders fest bei: der »Magie der Bruderkette«, den Hals-, Brust- und Bauchzeichen, den «Gebeten», der »Magie des freimaurerischen Symbolismus«, den Ritualen der Hochgradfreimaurerei sowie der Magie des Würfels, der Würfelkreuze, des Merkursiegels, der Amulette, Abzeichen und anderen Kleinodien, die den Freimaurern wichtig sind.

Manche Freimaurer spüren, dass ihnen das kultische Erleben und Handeln nicht gut tut. Die »Ritualfähigkeit« ist ein Problem, das auch in der Freimaurerei selbst wahrgenommen wird. «Ein weiteres Problem im Bereich der Enttäuschung stellt die Gewöhnung an das Ritual dar, da sichtlich die Ritualfähigkeit im Zuge des gruppendynamischen Formungsprozesses und der persönlichen Rezeption des Dargebotenen erst allmählich steigt.« (Binder,132)

In Kurt Koch’s «Okkultem ABC« ist die Freimaurerei m. E. zu Recht aufgeführt. Er berichtet von einem Freimaurer in seiner Seelsorge, der »regelrecht unter einer geistlichen Blockade stand. Er war nicht in der Lage, die Heilstatsachen des Neuen Testamentes zu verstehen, geschweige denn, sie anzunehmen.» (Koch, 1988, S.144) »Es ist die Erfahrung vieler geistlich lebendiger Pfarrer in Nord Amerika, dass die Gemeinden, deren Pastor Freimaurer ist, geistlich tot sind. Es ist auch schwer, solchen Gemeinden das Evangelium zu verkündigen. Man hat den Eindruck, dass irgendwie ein Bann über der ganzen Kirche liegt.« (Ebd. 144)

7.6. Relativierender Einfluss

Die Freimaurerei hat durch ihre Mitglieder einen relativierenden Einfluss in allen Bereichen des staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Mit den Worten der Bibel ausgedrückt: Sie sammelt nicht, sondern sie zerstreut. (Lk. 11 , 23)

Die Freimaurerei relativiert jeden menschlichen Glauben und jede Lebensäusserung als subjektiv, geschichtlich, kulturell, familiär, ökonomisch oder vielfältig anders bedingt. Sie relativiert jeden Aspekt menschlichen Seins durch sein Gegenteil und vermischt alle lebendigen Gegensätze, so zum Beispiel: Leben und Tod, Licht und Schatten, Wissen und Glauben, die Rationalität der Aufklärung und die mystische Form des Kultus, die Freiheit der Person und die starre, «rechtwinklige» Haltung in und ausserhalb der Loge usw.

Die Freimaurerei hebt alle Herrschaftsformen auf, indem sie sie gegeneinander ausspielt. Die Monarchien sollen durch demokratische Elemente ergänzt, relativiert werden. In den Demokratien soll die Gewaltentrennung Machtmissbrauch verhindern. Gesetze sollen das staatliche Handeln kalkulierbar machen, der Willkür entziehen und die individuelle Freiheit begrenzen. Die Gesetze gelten nicht absolut, sondern müssen in einem bestimmten Verfahren geändert werden können. Heute treten immer mehr auch die Medien als neue politische Macht in Erscheinung.

Gefördert werden überstaatliche Vereinigungen, doch sollen diese nicht zu stark werden. Einem Übermass an staatlicher oder wirtschaftlicher Zentralisierung wird mit Dezentralisierung und Föderalismus begegnet. Das Ideal ist die ideelle aber auch die politische und die religiöse Vereinigung aller Menschen bei gleichzeitiger Wahrung der »Freiheit« der einzelnen Individuen, Staaten und Kirchen.

Die Herrschaftsbereiche von Kirche und Staat sollen begrenzt werden durch die Trennung beider voneinander sowie durch die Schaffung eines neuen, dritten Bereiches der »freien« gesellschaftlichen Betätigung.

Die Freimaurerei fördert die Konzentration auf alles konkrete, diesseitige Schaffen und verrichtet gleichzeitig in den Logen »spekulative« Arbeiten. Dabei relativiert sie auch sich selbst: Dem »Allmächtigen Baumeister aller Welten» wird durch die Existenz atheistischer Logen absolute Anerkennung versagt. Im Gegensatz zu den humanistischen Systemen wird in deer christlichen Lehrart ein gnostischer Christus verehrt, der sich vom biblischen Jesus Christus grundsätzlich unterscheidet.

Alle freimaurerischen Lehrarten relativieren die Bedeutung des Wortes, der sprachlichen Kommunikation im weitesten Sinn. Die Freimaurerei erzieht zum Schweigen und fördert aussersprachliche Kommunikations  und Erlebnisformen. Gleichzeitig relativiert sie die Geltung und Bedeutung der eigenen Symbole, Riten und Kulte, indem sie auf allgemein verbindliche Symbolinterpretationen verzichtet.

Man kann den Geist der Freimaurerei als einen Geist des «absoluten Relativismus» bezeichnen. Es liegt ihm sozusagen die absolute Gewissheit zugrunde, dass es keine absolute Gewissheit gibt.

Aus biblischer Sicht ist diese absolute Gewissheit   zum grossen Glück für uns alle   falsch. Die absolute «Emanzipation» von allen Absolutheit beanspruchenden Autoritäten wird heute noch als «Freiheit« gefeiert und als »Mündigkeit« gepriesen. Doch wenn der Erlebnisrausch ausgeschlafen ist, könnte deutlich werden, wohin dieser Weg führt: in die Irre, in die totale Verwirrung, in den Wahnsinn, in die Trennung aller von allen. Das könnte nichts anderes sein als der Vorhof zur Hölle, an deren Existenz »aufgeklärte» und »gebildete« Geister natürlich nicht glauben.

7.7. Herausforderung

Die Freimaurerei ist erst seit kurzem Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Lange konnte sich dieses bedeutende geistige Gebilde mit Erfolg verbergen. Noch in den heute gebräuchlichen Lehrbüchern der Kirchengeschichte wird sie kaum in Fussnoten erwähnt, dabei ist sie für die Entstehung, die Entwicklung und das Verständnis der heutigen Zeit von ausserordentlicher Bedeutung.

Der hinter der Freimaurerei steckende Geist strebt eindeutig Weltherrschaft an. Aber die tatsächliche Herrschaft übt gemäss biblischer Wirklichkeit nicht er aus. Er scheint zu herrschen, indem er erfolgreich auch aus unserer Sicht »falsche« Herrschaft bekämpft. Er kann aber die von ihm geförderten Staats , Wirtschafts  und Gesellschaftsformen nicht mit Leben füllen. Er erlaubt keine allgemeine Orientierung in der Welt der von ihm entthronten Absolutismen. Er sammelt nicht, sondern zerstreut. Seine zersetzende »Arbeit» mag aber zum Bewusstsein der Verlorenheit der Menschheit führen, zur Einsicht, dass wir alle verloren sind, sofern wir nicht annehmen, dass es einen einzigen, einmaligen, göttlichen Menschen gibt, der den Geist des absoluten Relativismus längst besiegt hat und der allen Relativierungsangriffen widersteht. Dank dieser Annahme brauchen wir uns vor der »freimaurerischen Herrschaft« nicht zu fürchten. Wir wissen: Alles was mit diesem freimaurerischen Geist zusammenhängt, ist seinerseits höchst relativ, vergänglich, Schall und Rauch, dem Tod geweiht.

Freimaurern kann aus unserer Sicht nur eines geraten werden: Umkehren, das Leben dem biblischen Jesus Christus anvertrauen, aus der Loge austreten, zur besseren Bewältigung der wahrscheinlich folgenden geistigen Kämpfe einen gläubigen Seelsorger beiziehen. Das alles so rasch wie möglich, besser heute als morgen.

Den Freimaurern sollten wir mit Verständnis, nicht mit Verteufelung begegnen. Sie sind die Getäuschten, nicht die Täuscher, die Opfer, nicht die Täter. Wir kämpfen nicht gegen Menschen. Dem Geist des Humanismus liegt es daran, unter dem Deckmantel der Humanität, der Menschenrechte und der Menschenwürde Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Wir werden dann zur lebenden Menschheit, wenn wir diesem Geist widerstehen und nicht mehr auf seine Tricks hereinfallen. Das ist nur mit dem Schutz, der Kraft und der Führung dessen möglich, der vor zweitausend Jahren sein Leben für uns hingegeben hat.

 

Literaturverzeichnis

Abkürzungen:

FM = Freimaurer; FM? = Freimaurer Freund, möglicherweise Freimaurer; FMG = Freimaurer-Gegner; Wiss. = Wissenschaftler; Kath. = Katholik; Prot. = Protestant (lib. = liberal, bibl. = biblisch positiv»); Journ. = Journalist; SA = Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich; ZB = Schweizerische Zentralbibliothek, Zürich.

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G. A. Schiffmann, Das Verhältnis der Freimaurerei zum Christentum und zur Kirche. Stettin 1857. [FM, Prot. lib.] ZB BBN 6266. 1; Gal XVI 1061   Ders., Offener Brief an Herrn Dr. Nielsen, Professor der Kirchengeschichte in Copenhagen, als Antwort auf seine Schrift Freimaurerthum und Christenthum, Leipzig: Verlag Bruno Zechel, 1883. (Schiffmann war einer der wichtigsten Wortführer der Freimaurerei in der Auseinandersetzung mit den positiven Theologen Hengstenberg und Nielsen. Er war evangelischer Geistlicher, Archidiaconus an St. Jacobi in Stettin, Mitglied des »Protestantenvereins» sowie als Freimaurer Provinzial Grossmeister für Posen und Unterarchitekt des Ordens).

J. N. J. Schmidt, Wurzeln der Freimaurerischen Gemeinschaft. Rückblick und Ausblick, Zürich: Origo Verlag, Reihe Lehre und Symbol Bd. 14, 1961. [FMI SA 28 120

Herbert Schneider, Deutsche Freimaurer Bibliothek. Verzeichnis der Bi¬bliothek des Deutschen Freimaurer Museums Bayreuth, Hamburg 1977. [FM] ZB Bibliogr. 111 B 206

Hermann und Georg Schreiber, Mysten, Maurer und Mormonen. Geheimbünde in vier Jahrtausenden, Wien/Berlin/Stuttgart: Paul Neff Verlag, 1956. (Wiss.) SA 22 777

Rudolf Spitzbarth, Die Freimaurerei, ihr Herkommen und Wirken. Neue Zürcher Zeitung Nr. 283, 9.5.1968. (FMJ)

Reinhold Taute, Die katholische Geistlichkeit und die Freimaurerei. Ein kulturgeschichtlicher Rückblick, Berlin: Verlag von Franz Wunder, 1909, 3. Aufl. [FM] ZB BBN 6266.4

Brigitte Ulmer, Freimaurer Logen: Die stille Renaissance, in: Sonntags¬-Zeitung, 11.2.1990. [Journ.]

Marcel Valmy, Die Freimaurer. Arbeit am Rauhen Stein. Mit Hammer, Zirkel und Winkelmass. München: Callwey Verlag, 1988. [FM]

Karl Theodor August Wernicke, Beleuchtung der Angriffe der Evangelischen Kirchenzeitung gegen den Freimaurer Orden und den Eintritt evangelischer Geistlicher in denselben von einem Freimaurer. Berlin 1854. [FM] ZB AB 57512

Friedrich Wichtl, Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik. Eine Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkrieges, München: J. F. Lehmanns Verlag, 1919. [Nat., FMG] SA 5815

August Wolfstieg, Bibliographie der freimaurerischen Literatur. Leipzig/ Burg/Hildesheim 1911, 1926 und 1964. [Wiss.]

C. Zendralli, Freimaurerei heute. Typoskript der Schweizerischen Grossloge Alpina, o. Jg. [FM]

Otto Zuber, Der maurerische Gottesbegriff, in: Alpina, Nr. 11/1975. [FM]

 

Der Autor:

Martin Hohl Wirz wurde 1949 in Herisau/AR geboren und studierte in den Jahren 1968 bis 1973 Ökonomie an der Hochschule St. Gallen für Wirtschafts  und Sozialwissenschaften. Mit der Dissertation zum Thema «Die wirtschaftstheoretische Bedeutung von Entfremdungstheorien» promovierte er zum Doktor der Ökonomie. 1978 bis 1980 erteilte er Unterricht an der Kantonsschule Hottingen in Zürich. Anschliessend war er während fünf Jahren (1981-1985) für ausserbetriebliche Information bei der BBC AG Brown, Boveri & Cie. in Baden zuständig. 1986 bis 1989 arbeitete er als Sekretär und Redaktor beim Verband schweizerischer Angestelltenvereine der Maschinen- und Elektroindustrie (VSAM). Seit 1989 studiert er Theologie an der Freien Evangelisch Theologischen Akademie Basel (FETA).

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen der kirchengeschichtlichen Seminare an der FETA unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. E. Grossmann.

Weiter Artikel zum Thema Freimaurerei aus biblischer Sicht:

Die Freimaurerei – von Pfr. Dr. Kurt E. Koch

Freimaurerei und Evangelische Allianz – Erich Brüning

Charta Oecumenica – Ulrich Skambraks

Gleichheit – Freiheit – Brüderlichkeit – Dr. Samuel Külling

Die antichristliche Revolution der Freimaurerei – Manfred Adler

Die Verschwörung des Antichristus – Norbert Homuth

Christus und die Welt des Antichristen – Pfr. Wolfgang Borowsky

Weltmacht Zionismus  – Manfred Adler

Die geplante Weltregierung – Manfred Adler

www.horst-koch.de

info@horst-koch.de

 




Triumph d. Gekreuzigten Teil I

Erich Sauer

Der Triumph des Gekreuzigten

– Ein Gang durch die neutestamentliche Offenbarungsgeschichte-

Hier Teil 1

Teil 1: Der Aufgang aus der Höhe
Teil 2: Die Gemeinde der Erstgeborenen
Teil 3: Das kommende Gottesreich
Teil 4: Weltvollendung

Hier Teil 1; näheres siehe letzte Seite. Leichte Kürzungen und die Hervorhebungen sind von mir. Horst Koch, Herborn, 2003

Vorwort

»Triumph des Gekreuzigten« -, das ist der Sinn der neutesta­mentlichen Offenbarungsgeschichte. In immer helleren Lichtkreisen läßt Christus, der Triumphator, seinen Himmelsglanz erstrahlen. Die Gewinnung der Gemeinde, die Bekehrung der Völkerwelt, die Verklärung des Universums – das sind die drei Hauptstufen in dem Triumphzug seiner Erlösung.

Christus selbst ist der »Erstling«, der Anfang einer neuen Mensch­heit. In har­monischem Rhythmus von Äonen und Perioden geht der Gesamt­haushalt Gottes seinem Ewigkeitsziel entgegen. Das Ende des Gan­zen ist, wie der Anfang, Gott selbst (1. Kor. 15, 28).

Diesen Zusammenhang zu schauen, ist die Aufgabe der Heilsge­schichte. Sie zeigt uns den göttlichen Weltplan als Einheit in der Vielheit, als Stufengang, der nach oben führt, als Erdengeschichte, die das Weltall umspannt. Sie zeigt uns die Bedeutung der einzelnen Heilsereignisse, die Gottesordnung der Zeitalter, das Ziel des geschöpflichen Gesamtwerdens. …

Auf Vollständigkeit ist es nirgends im folgenden abgesehen. Worum es sich nur handeln kann, ist lediglich die Her­ausstellung gewisser Grundzüge der neutestamentlichen Haushal­tungen, und auch dies nur überblickartig und in bewußter Be­schränkung auf das Allerwichtigste, sondern überall Vorherrschaft der geschichtlichen Gesichtspunkte, keine »Neutestamentliche Theologie«, sondern einfache Beschreibung der neutestamentlichen Heilsentfaltung, vor allem des »Sinnes« der Heilsereignisse.

Erich Sauer, Bibelschule Wiedenest, im Januar 1937

 

Erster Teil: Der Aufgang aus der Höhe

1. Das Erscheinen des Welterlösers
2. Der Name »Jesus Christus«. Das dreifache Amt
3. Die Himmelreichsbotschaft
4. Der Entscheidungskampf von Golgatha
5. Der Triumph der Auferstehung
6. Die Auffahrt des Siegers
7. Die Eröffnung des Gottesreiches

1. Kapitel. Das Erscheinen des Welterlösers

Mit jubelndem Frohlocken himmlischer Heerscharen trat das Evangelium auf den Schauplatz der irdischen Welt. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!” So klang es zur nächtlichen Stunde auf Bethlehems Fluren (Luk. 2, 14).

Er, auf den die Väter längst geharrt, trat in die Mitte seines Volkes als die Hoffnung« und der Trost« Israels (Luk. 2, 25). Gott geoffenbart im Fleisch!« Welch Geheimnis der Gottseligkeit! (1. Tim. 3, 16). Zwar kam er in Knechtsgestalt (Phil. 2, 7) und bettelarmer Niedrigkeit; aber dies Äußere war nur das Zelt« seiner innewohnenden Göttlichkeit. Auch im Lande des Todes blieb er der Fürst des Lebens« (Apg. 3, 15); denn in ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen« (Joh. 1, 4).

I. Die Gottesbotschaft der Zeitenwende

Ein dreifaches Zeugnis himmlischer Boten hatte das große Ereignis angesagt.

1. Christus – der Gottessohn. Die erste Ankündigung ge­schah im Tempel an Zacharias den Priester (Luk.1, 8-13). Sie schloß sich sofort an die letzte und höchste der alttesta­mentlichen Weissagungen an (Mal. 3, 23). Sie handelte zunächst von der Geburt des Wegbereiters, des zweiten »Elias«, und sagte, daß er, dessen Vorläufer dieser »Elias« werden sollte, kein Geringerer sein würde als der HErr, der Gott Israels selbst. »Viele von den Kindern Israels wird er zu dem HErrп, ihrem Gott, zurückführen. Gerade diesen nahenden HErrп und Gott hatte Maleachi im Geiste geschaut und ihn als den »HErrn der Heerscharen« bezeichnet, »der da unversehens zu seinem Tempel kommt« (Mal. 3,1). Wie passend war es darum, daß gerade in einem Tempel diese Prophe­tenbotschaft ver­kündigt wurde.

2. Christus – der Davidssohn. Die zweite Ankündigung ward Maria, der frommen Jungfrau aus Davids Hause, zuteil (Luk. 1, 26-38). Hier knüpfte der Engel an die davidischen Verheißungen an, und zwar sofort an die älteste und erste, die dem David selbst durch Nathan den Propheten gegeben wor­den war und die den Messias als Gottes- und Davidssohn bezeichnet hatte (1. Chron. 17, 13; Luk. 1, 32). »Der wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott der HErr wird ihm den Thron seines Vaters David geben (Luk. 1, 32). Auch hier ist also die Engelbotschaft wun­dersam fein auf die Person des empfangenden Menschen ab­gestimmt.

3. Christus – der Heiland. Die dritte Ankündigung ward schließlich dem Joseph gegeben. Er kam, trotz seiner davidi­schen Abstammung, nicht als Vater, sondern nur als Pflege­vater in Betracht, also lediglich als gläubiger, bußfertiger Israelit, nur dazu bestimmt, den Erlöser in sein Haus aufzu­nehmen. Ihm wurde darum gesagt, was der Messias für das erlösungsbedürftige, glaubende Israel sein würde. Er ist der »Immanuel, der von Jesaja geweissagte »Gott mit uns« (Jes. 7, 14; Matth.1, 23). »Des Namen sollst du >Jesus< heißen; denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sün­den« (Matth. 1, 21). Hier war von dem Amt und dem Werk des Erlösers als solchem die Rede. Und gerade dies ist das Wichtigste; denn Christus ward nicht Erlöser, um Gottes- und Davidssohn zu sein, sondern er trat als Gottes- und Davids­sohn auf, um Erlöser zu sein. »Jesus« – »Der HErr ist Ret­tung« – ist darum sein eigentlicher Name, und das Erlösersein ist so ganz sein eigenstes, innerstes Wesen, daß er den Namen »Erretter« direkt als menschlichen Personennamen trägt.

Alle drei Engelankündigungen aber wurden zusammenge­faßt in der nächtlichen Botschaft der himmlischen Heerscharen auf dem Hirtenfelde von Bethlehem:

»Euch ist heute der Heiland geboren« – das ist die Er­füllung der Immanuelsweissagung Jesajas und der Anord­nung des Jesusnamens an Joseph -,
»welcher ist Christus der HErr – das ist die Erfüllung dei Maleachibotschaft von dem kommenden »HErrn« und »Gott« an Zacharias -,
»in der Stadt Davids« – das ist die Erfüllung der Nathans­botschaft vom Davidssohn an Maria.

Mit diesem vierfachen Zeugnis direkter Himmelsbotschaften durch Engelmund klang noch harmonisch zusammen ein sie­benfaches, indirektes Geisteszeugnis durch den Mund gläu­biger Menschen:
Zacharias, die Hirten, Simeon und die Wei­sen aus dem Morgenlande, ferner Elisabeth, Maria und Hanna standen da wie leuchtende Fackeln am Eingang der Zeiten­wende, welche hinwiesen auf den, der da kommen sollte, den »Aufgang aus der Höhe« (Luk. 1, 78), den großen Erretter aus Davids Geschlecht. Und zwar priesen

Zacharias – den Besuch Gottes (Luk. 1, 68),
die Hirten – den Heiland (Luk. 2, 20 vgl. 11),
die Weisen – den König (Matth. 2, 11 vgl. 2),
Simeon – das Licht der Welt (Luk. 2, 31).E
Elisabeth – die Glückseligkeit (Luk. 1, 41-45)
Maria – die Barmherzigkeit (Luk. 1, 54)
Hanna – die Erlösung (Luk.2, 38).

II. Die Menschwerdung als geschichtliche Tat

Gewaltige Bewegungen in der oberen Welt müssen dem Erscheinen des Gottessohnes auf Erden vorangegangen sein. Nur wenig lüftet die Schrift den Schleier. Doch teilt sie uns, gleichsam aus einem innergöttlichen Zwiegespräch, ein Wort mit, das der Sohn gerade »bei seinem Eintritt in die Welt« zum Vater sprach: »Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, wohl aber hast du mir einen Leib bereitet; an Brandopfern und Sündopfern hast du kein Wohlgefallen ge­funden. Da sprach ich: Siehe, ich komme, in der Rolle des Buches ist von mir geschrieben, daß ich tue, o Gott, deinen Willen« (Hebr. 10, 5-7).

Und dann geschah das Unbegreifliche. Der Sohn verließ des Himmels Pracht und ward ein Mensch wie wir. Aus der Ewigkeitsform göttlicher Überweltlichkeit begab er sich freiwillig in das Verhältnis menschlicher Innenweltlichkeit. Aus der freien Unbedingtheit und weltregierenden Absolutheit der göttlichen Gestalt trat er ein in die raumzeitliche Begrenztheit dei Kreatur. Das ewige »Worte ward menschliche Seele und entäußerte sich seiner weltumspannenden Herrschergewalt. Mag die Gesinnung der Selbstsucht sogar fremdes, unrecht­mäßiges Gut als willkommenen »Raub« (Phil. 2, 6) mit Zähigkeit festhalten: er, der Urquell der Liebe, sah nicht einmal seinen ureigenen, rechtmäßigen Besitz, seine göttliche Gestalt und gottgleiche Stellung, als unbedingt zu behauptendes Gut an, sondern gab ihn dahin, um uns zu erretten. Er stieg hinab »in die niederen Gegenden der Erde (Eph. 4, 9), um uns, die Erlösten, dann mit sich und in sich emporzuheben in die Hö­hen des Himmels. Gott wurde Mensch, auf daß die Menschen göttlich würden. Er ward arm um unsertwillen, auf daß wir durch seine Armut reich würden (2. Kor. 8, 9).

Für die Heilsgeschichte der Menschheit aber ist Christi Er­scheinen die innerste »Sinnmitte«. Was vor ihm geschah, kam lediglich im Hinblick auf ihn zustande; was nach ihm ge­schieht, wird nur in seinem Namen vollbracht. Wie die buntschillernden Farben eines Prismas, trotz aller Verschiedenheit, dennoch nur Ausstrahlungen eines und desselben Lichtes sind, so wird auch die Offenbarungsgeschichte mit all ihren Haus­haltungen von einem einheitlichen Lebensprinzip getragen. Christus der Mittler ist der Eckstein des Ganzen. Sein Wirken auf Erden ist der Wendepunkt alles Werdens, und die Ge­schichte seiner Person ist der wesenhafte Inhalt aller Ge­schichte. Damit aber wird die Menschwerdung Christi das In-Erscheinung-Treten des göttlichen Weltfundaments, der Eintritt des HErrn der Geschichte in die Geschichte selbst, und die Krippe von Bethlehem, in Verbindung mit Golgatha, wird auf ewig

Aller Zeiten Wendepunkt,
aller Liebe Höhepunkt,
alles Heiles Ausgangspunkt,
aller Anbetung Mittelpunkt.

Wie sich aber in Christo diese beiden, seine Gottheit und seine Menschheit, in einem vereinen, das vermag niemand zu erklären. Das Geheimnis seiner Selbsterniedrigung ist ewig un­ergründlich. Christus tat nicht nur Wunder, sondern war selber ein Wunder. Begreifen wir doch schon die Zeit nicht; sie ist uns ein Rätsel. Noch viel weniger begreifen wir die Ewigkeit; sie ist uns erst recht ein Rätsel. Wie können wir da das Rätsel der Rätsel begreifen, die Vereinigung dieser beiden, entgegenge­setzten Geheimnisse, den »Schnittpunkt« dieser zwei »Paralle­len« in der Zeit, die organisch-harmonische Verbindung von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Gottheit und Mensch­heit in einer Person, in Jesus von Nazareth.

III. Menschwerdung und Auferstehung

Um aber die Heilsbedeutung der Menschwerdung noch le­bendiger zu schauen, müssen wir sie im Zusammenhang mit der Auferstehung des HErrn betrachten, und zwar hier unter einem dreifachen Gegensatz:

1. Erniedrigung und Erhöhung,
2. Heilserwerbung und Heilsvollendung,
3. Geschichtliche Form und ewige Idee.

1. Denn in der Tat! Trotz alles Herabsteigens aus Himmels­höhen war es nicht eigentlich das Menschwerden an sich, was für den Sohn des Höchsten jene unendliche Erniedrigung be­deutete, sondern das Eingehen in die Form der unverklärten, unter den Folgen der Sünde stehenden Menschheit (Röm. 8,3); denn wenn schon das Menschsein als solches eine Erniedri­gung des Sohnes Gottes gewesen wäre, dann hätte ja seine Erhöhung nicht etwa in einer Verklärung, sondern in der völ­ligen Ablegung seines ganzen menschlichen Wesens bestehen müssen! Und doch ist es die klare Lehre der Heiligen Schrift, daß Jesus in seiner Erhöhung die Form der Menschheit behal­ten habe, daß also seine Auferstehung und Himmelfahrt nichts Geringeres in sich schlössen als die Verewigung seines Menschseins in verklärter, verherrlichter Form, wenn auch in einer uns völlig unvorstellbaren Weise!
Er ging zwar ein in die »Knechtsgestalt« (Phil. 2, 7) der erniedrigten Mensch­heit; doch durch sein Erlösungswerk erhöhte und verklärte er sie so, daß sie selbst zu seiner eigenen Herrlichkeit als des zur Rechten des Vaters Sitzenden keinen Ge­gensatz mehr bilden kann. Denn die Herrlichkeit des ver­klärten Menschen Christus Jesus im Himmel ist gewiß keine geringere als die, welche das ewige »Wort« vor seiner Menschwerdung gehabt hat. Sagt er doch selbst: »Verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich schon bei dir besessen habe, ehe die Welt ward (Joh. 17, 5).

2. Aber noch mehr. Dies ewige Menschbleiben des Sohnes Gottes ist sogar unerläßliche Bedingung für die Vollendung seines Werkes. Denn nur als verherrlichter Mensch konnte er der »letzte Adam« (Röm. 5, 12-21; 1. Kor. 15,21) und das erhöhte »Haupt« (Eph. 4, 15; Kol. 2, 19) des »neuen Menschen« (Eph. 2, 15), des von ihm erlösten Menschheitsorganismus, seiner Gemeinde, sein. Nur so konnte das »In-Christo-Sein« der Geretteten, die organische Lebens­gemeinschaft der »Glieder« seines »Lei­bes« (Eph. 1,23) mit ihm, dem Haupte, er­möglicht werden. Darum ist das Menschbleiben Christi ein wesenhaft notwendiges Stück seiner Erhöhung, und erst durch die Auferstehung und Himmelfahrt wird das Wunder von Bethlehem in das rechte, biblische Licht gestellt.

3. Christus ward Mensch, um »letzter Adam« sein zu können. Das ist die ewige Grundidee seines Erscheinens in der Kreatur, und insofern ist dieses eine Verklärung seiner Person als des Erlösers; doch er ward erniedrigter Mensch, um auf dem Wege der Stellvertretung für die Sünder die Herrlichkeiten dieses letzten Аdam durch Leiden zu erlangen. Das war die geschicht­liche Form seines Kommens in die Welt.
Aber die geschichtliche Form war nur der Weg zur Verwirk­lichung der ewigen Idee. Er kam, um zu dienen und sein Leben zu geben als ein Lösegeld für viele (Matth. 20, 28) und um so, durch seine »Stunde« von Golgatha, die für die Ewigkeit zu erretten, die sich von ihm zur Buße rufen suchen und finden lassen würden (Luk. 19, 10). In uns aber gewinnt, durch unser Eingegliedertsein in ihn, un­ser Leben (Kol. 3, 4), der himmlische Christus immer sieg­hafter Gestalt.

2.  Der Name »Jesus Christus«.  Das dreifache Amt

»Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden« (Apg. 4, 12). Was ist mit diesem Namen ge­meint? Warum heißt der Erlöser gerade »Jesus Christus«

I. Der Name »Jesus«

Dieser ist ein Dreifaches: zunächst ganz einfach sein

1. Personenname. »Du sollst seinen Namen Jesus heißen« (Matth. 1 21). Indem er aber gerade bei der Menschwerdung dem Sohne Gottes gegeben wurde, ist er zugleich auch sein

2. Niedrigkeitsname. Ja, so sehr ist dieser Name mit der Erniedrigung des HErrn verbunden, daß ihn dieser geradezu mit anderen, mit sterblichen Menschen, gemeinsam hat. Von hier aus wird auch klar, warum die Evangelien meistens von »Jesus« reden, während in den Briefen der »Christus«titel durchaus im Vordergrund steht. Denn die Evangelien handeln von der Zeit seiner Niedrigkeit, während die Briefe von ihm, dem Erhöhten und Verherrlichten, zeugen, und in dem Jesusnamen wiegt das Heil, in dem Christustitel die Herrlichkeit vor.Erst in der Auferstehung und Himmelfahrt ist »Jesus«, wie Petrus am Pfingsttage sagt, recht eigentlich zum »Christus« im Vollsinn des Wortes geworden. »Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, daß Gott ihn sowohl zum HErrn als auch zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr ge­kreuzigt habt« (Apg. 2, 36). Insofern also der Weg des HErrn von Selbstentäußerung zu Herrlichkeit voranging, geht auch das Neue Testament denselben Weg: den Weg von »Jesus« zu »Christus«.Die Hauptbedeutung des Jesusnamens aber liegt in seinem eigentlichen Wortsinn: »Jehoschua«, »Der HErr ist Rettung«. Darum ist er der besondere

3. Heilsname des Welterlösers. »Er wird sein Volk erretten von ihren Sünden« (Matth. 1, 21). Als solcher aber offenbart er dreierlei:
die Ausschließlichkeit seines Heils; denn er und nur er kann erretten (Apg. 4,12)
die Grenze seines Heils; denn nur »sein Volk« (d. h. seine Erlösten aus allen Völkern) wird er retten (vgl. 1. Petr. 2,9; Apg. 15,14) und
die Tiefe und Weite seines Heils; denn nicht nur von den Folgen der Sünde – von Verdammung und Gericht – will er erlösen, sondern von den Sünden selber, von ihrer Knech­tung, Herrschaft und Macht. Er ist nicht nur Rechtferti­gungs-, sondern auch Heiligungsquell (1. Kor. 1,30). Dies alles liegt in dem Jesusnamen.
Aber welches ist der Weg und die Weise, auf welche der HErr diese Schätze seines Jesusnamens offenbart? Die Ant­wort liegt in dem Christustitel. 

II. Der Name »Christus«

Hier sind es vor allem vier dreieinheitliche Tatsachen, die uns den Inhalt dieses Namens erschließen:

1. die dreifache Amtssalbung im Alten Testament,
2. die dreifache Entfaltung im Neuen Testament,
3. die dreifache Bindung des Menschen durch die Sünde,
4. das dreifache Christuswerk des Erlösers.

1. In der alttestamentlichen Heilszeit hatte es drei theokra­tische Hauptsalbungsämter gegeben, eine Salbung des Hohenpriesters (3. Mose 8,12; Ps. 133, 2), des Königs (1. Sam. 10,1) und des Propheten (1.Könige 19,16).
Wenn also der Mittler des Heils als »Christus«, »Messias«, d. h. »Gesalbter« bezeichnet wird, so heißt dies, daß die höchsten Ämter und Würden des ganzen Alten Bundes in seiner Person vereint sind, daß in ihm alle Gedanken der Weissagung auf ewig zur Erfüllung gelangen. Er bringt, nach der Weissagung Jeremias vom Neuen Bunde (Jer. 31, 31-34: vgl. Hebr. 8, 8-12),

eine Verinnerlichung des Königtums (2. Kor. 3, 3)
eine Verallgemeinerung des Prophetentums (Jer. 31, 34a) und
eine Ewig-vollkommen-Machung des Priestertums (Jer. 31, 34b).

Er legt sein Wesen in die Seinen hinein und macht sie des­gleichen zu Königen, Priestern und Zeugen seiner propheti­schen Wahrheit (1. Petr. 2, 9; Off. 1, 6).

2. Nicht auf einmal, sondern in drei großen Stufen entfaltet der HErr den Herrlichkeitsinhalt seines Christustitels. Er kommt zuerst als Prophet (5.Mose 18, 15-19), als »Sohn«, in dem Gott »am Ende der Tage« geredet hat (Hebr. 1,1-3) und der, als der »Abglanz der Herrlichkeit« Gottes, das Wesen seines Vaters unvergleichlich vollkommener offenbar macht als alle Propheten von alters (Joh. 1, 18; 3,13).
Und dann geht dieser Prophet an das Kreuz. Er läßt sich beladen mit den Sünden der Welt (Joh. 1, 29; 1. Joh. 2, 2), wird Opferlamm und Priester zugleich (Hebr. 9,12; 14; 25) und bewirkt durch sich selbst die Reinigung der Sünden (Hebr. 1, 3).
Zuletzt aber wird er erhöht und setzt sich zur Rechten der Majestät in der Höhe, und nun sehen wir ihn, der »ein wenig unter die Engel erniedrigt« gewesen war, gerade »um seines Todesleidens willen« als König »mit Herrlichkeit und Ehre ge­krönt« (Hebr. 2,9).3.

3. Aber warum gerade ein dreifaches Amt? – Weil ein dreifaches Heilsbedürfnis der Menschheit vorliegt! Weil die gefallene Nach­kommenschaft Adams dreifach gebunden ist und darum auch nach drei Beziehungen hin erlöst werden muß!

Gott hat die Menschen zu einem geschöpflichen Abglanz sei­nes geistigen, heiligen und seligen Wesens geschaffen. Damit sie ein Spiegel seiner Geistigkeit sein könnten, gab er ihnen den Verstand, damit sie ein Abbild seiner Heiligkeit und Lie­be sein könnten, den Willen, und damit sie ein Gefäß seiner Seligkeit würden, das Gefühl.

Doch dann kam die Sünde. Der ganze Mensch fiel: sein Verstand wurde verfinstert (Eph. 4, 18), sein Wille wurde bö­se (Joh. 3, 19), und sein Gefühl wurde unselig (Röm. 7, 24).4.

4. Aus diesem totalen, dreifachen Verderben errettet ihn nun das Werk Christi.

Als Prophet bringt er die Erkenntnis, das Licht, erlöst den Verstand aus seiner Sündenverfinsterung und richtet das Reich der Wahrheit auf.
Als Priester bringt er das Opfer, tilgt die Schuld und damit das Bewußtsein der Schuld, erlöst also das Gefühl von dem lähmenden Druck der Unseligkeit und des anklagenden Ge­wissens und richtet das Reich des Friedens und der Freude auf.
Als König beherrscht er den Willen, lenkt ihn in den Bahnen der Heiligkeit und richtet das Reich der Liebe und der Gerechtigkeit auf.

So wird sein Christustitel mit seinem dreifachen Heilsinhalt zur Entfaltung und Auslegung seines Jesusnamens. Der Erlö­ser ist dadurch der »Jesus«, der »Retter«, daß er der »Chri­stus«, der dreifach Gesalbte, ist. Sein dreifaches Amt befreit den Menschen nach seinen drei Seelenkräften, nach Verstand, Gefühl und Wille. Ein volles, freies und ganzes Heil ist eingeführt, so daß die Erlösung nicht vollständiger sein kann, als sie ist.

3. Kapitel. Die Himmelreichsbotschaft

»Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.« Matth. 3,2.

I. Der Herold
Am Jordan, in der Wüste, predigte Johannes die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden (Markus 1, 4). Er war der »Elias« (Mal. 4, 5; Luk. 1, 17), der »Wegbereiter (Jes. 40,3), gewaltiger als alle Propheten (Matth. 11, 9-10), der Zeuge vom Licht und vom Lamm (Joh. 1, 7- 8; 29; 36), der Herold des unmittelbar kom­menden Königs (Mal. 3,1; Joh. 1, 26). Er war die »Stimme« eines Rufenden in der Wüste, die da hinwies auf das »Wort« aus der Ewigkeit (Joh. 1, 1-3; 14).
So sagt auch Johannes: »Nach mir kommt ein Mann, der vor mir ge­wesen ist; denn er war eher denn ich« (Joh. 1, 30).

Ist aber schließlich das Wort gesprochen, so verschwindet die Stimme, verhallt und existiert nicht mehr. Das Wort aber bleibt; denn es ist in das Herz des Hörenden eingepflanzt. So auch bei Jesus und Johannes. »Er muß wachsen; ich aber muß abnehmen« (Joh. 3, 30). Sobald der Täufer seine Sendung er­füllt hat, wird er hinweggenommen; Jesus aber bleibt.

II. Der König
An die Botschaft des Herolds knüpfte der König an (Matth. 4, 17 vgl. 3, 2). In seiner Person war das Gottesreich mitten unter die Menschen getreten. Er selber war das personhaft anwesende Reich. Dies drückte er, verhül­lend und enthüllend zugleich, durch seine Selbstbezeichnung »Menschensohn« aus.

1. Der Ursprung des Menschensohn -Titels.
Diese in den Evangelien über 80 mal vorkommende Redeweise Jesu hat ihre Wurzel im Buche Daniel. Dort war das Messianische Reich, im Gegensatz zu der Raubtiernatur der Weltreiche – Löwe-Adler, Bär, Panther und Schreckenstier – als das Reich des »Men­schensohnes« bezeichnet worden, das heißt, als das erste und einzige Reich der Geschichte, in dem wahres Menschentum im Sinne der Heiligen Schrift auf der Erde regiert. »Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn, und er kam zu dem Al­ten an Tagen, … und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben« (Dan. 7, 13).
Diese Weissagung von dem Menschensohn in den Wolken des Himmels, der als Messiaskönig das Reich errichtet, deutet Christus in seiner Ölbergrede vor seinen Jüngern (Matth. 24,30) und in seinem Eidschwur vor dem Hohen Rat unverkennbar auf sich: »Von nun an wird’s geschehen, daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wol­ken des Himmels« (Matth. 26, 64).

2. Der Sinn des Menschensohn -Titels.
Mit der Selbstbe­zeichnung »Menschensohn« will Christus also nicht etwa im Hinblick auf seine himmlische Vergangenheit seine Selbsterniedrigung zum Ausdruck bringen, daß er, der Gottessohn, nun Menschensohn geworden war, sondern, daß er, als verherrlichter Mensch, auf den Wolken des Himmels einst wiederkommend, der Bringer des Gottesreichs sei und somit in seiner göttlichen Person die Verwirklichung der Idee wahrer Menschheit auf den Thron der Völkergeschichte erhebe. Der Ausdruck »Men­schensohn« ist also ein göttlicher Messias- und Königstitel, gleichwie schon David, der Psalmist, gerade vom »Menschen­sohn« gesagt hatte: »Mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über das Werk deiner Hände. Alles hast du ihm unter die Füße gestellt« (Ps. 8, 6; Hebr. 2, 6-9). Und weil in dem Menschensohntitel zugleich auch das verhüllte Geheimnis seiner Gottessohnschaft enthalten ist, sagt Christus in seiner Antwort auf die Frage des Hohenpriesters, ob er der »Gottessohn« sei: »Von nun an werdet ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels« (Matth. 26, 63).
Immer wieder tritt diese Gotteskönigsbeziehung des Men­schensohntitels hervor. »Der »Menschensohn« wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters (Matth, 16, 27), »mit großer Kraft und Herrlichkeit«. Des »Menschen­sohnes« Ankunft wird sein, »wie der Blitz ausgeht vom Auf­gang und scheint bis zum Niedergang« (Matth. 24, 27) . . .
Allerdings ist es eine verhüllte Gottes- und Königsbezeich­nung Joh. 12, 16; 34); denn nur von dem Glauben wollte Christus, bei seinem ersten Erscheinen, als Gottkönig anerkannt sein. Daher auch sein oftmaliges Verbot, ihn als Messias offenbar zu machen. Der Öffentlichkeit hat er sich erst unmittelbar vor seinem Kreuzestode als Messias kundgetan, und auch da nur in der Form einer sinnbildlichen Handlung, dem Einzug in Jerusalem (Luk. 19,29-40; Sach. 9, 9). Nur im Kreise der Sei­nen hat er sich, gleich von Anfang an, mit immer wachsender Klarheit, als Messias geoffenbart (Joh. 1, 41; 49; 4,25), bis schließlich der Felsenapostel, erleuchtet durch die Offenbarung des Vaters, das sieghafte Bekenntnis aussprach: »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Got­tes« (Matth. 11, 16).

III. Das Reich

1. Der Ausdruck »Himmelreich«.
Vom Himmelreich hatten die Juden schon vor Johannes dem Täufer gesprochen. Sie nannten es »Malekut Schamajim« (»Königreich der Himmel«) und verstanden darunter die Herrschaft Gottes über alle Geschöpfe schlechthin, die Königsherrschaft Gottes über Israel insonderheit und namentlich das endgeschichtliche Herrlichkeitsreich des Messias. …

2. Die Erscheinungsformen des Himmelreiches.
Die Verkündigung des Himmelreiches war darum auch das eigentliche Thema seiner irdischen Botschaft, und alle seine Gleichnisse sind Himmelreichsgleichnisse. Hierbei ist das »Him­melreich« nicht einfach »der Himmel«, das »himmlische Reich« (vgl. 2. Tim. 4, 18), auch nicht nur das zukünftige Reich des Messias (Off. 20, 4) oder die Gemeinde des gegenwärtigen Zeitalters (vgl. Kol. 1, 13; Röm. 14, 17), sondern ganz all­gemein die Königsherrschaft Gottes schlechthin, wie sie, vom Himmel her kommend, auf dem Wege der Erlösung, auf der alten Erde errichtet und auf der neuen in Ewigkeit fortgesetzt werden soll. …

3. Das Evangelium vom Reich.
Dies alles gehört mit zum »Evangelium des Reichs« (Markus 1,14). Es ist das eigentliche Grundthema der Botschaft Christi. Es redet bald von dem gegenwärtigen, bald von dem nahen, fernen oder fernsten Reich. Daher auch bei dem HErrn die vorherrschende Bezeichnung »Himmelreich« für »Reich Gottes« Das Gottesreich ist eben »Himmelreich, weil es seinem Ursprung nach – vom Himmel her kommt, seinem Wesen nach – den Himmel in sich trägt und seinem Mittelpunkt nach – den HErrn zum König hat, durch den der Himmel recht eigentlich erst »Himmel« wird (Ps. 73, 25).

Aber immer ist es das eine Reich, das aus dem Himmel und der Ewigkeit stammt und, durch die Zeiten hindurch, in die Ewigkeit Gottes wieder einmündet. Dies eine (Gal. 1, 6-9) Evangelium aber ist:

»Evangelium Gottes« – dein Gott ist sein Ursprung (Röm. 1, 1; 2. Kor. 11,7),
»Evangelium Christi« – denn Christus ist sein Mittler (Röm. 15, 19; Gal. 1,7),
»Evangelium der Gnade« – denn Gnade ist seine Seele (Apg. 20, 24),
»Evangelium des Heils« – denn Heil ist seine Gabe (Eph. 1, 13)
»Evangelium des Reichs« – denn Gottes Reich ist sein Endziel (Matth. 6,10),
»Evangelium der Herrlichkeit« – denn Herrlichkeit ist seine Gesamtwirkung (1. Tim. 1, 11).

Und Paulus sagt von sich und seinen Mitarbeitern »mein Evangelium« (Röm, 16,25) oder »un­ser Evangelium« (2. Kor. 4,3) – denn sie waren die Boten (Gal. 1,11).

IV. Der Weg zum Reich
Aber der Weg zur Krone ging über das Kreuz. Nachdem darum der König zuerst das Ergebnis seines Werkes, das Reich, in den Mittelpunkt seiner Botschaft gestellt hatte, ließ er hernach immer mehr das Mittel zur Erreichung dieses Zieles – das Leiden – hervortreten.

Er sprach von der Tatsache seines Todes in der Hinwegnah­me des Bräutigams, dem Trinken des Kelches und dem Getauftwerden mit der Leidenstaufe (Matth. 20, 22).
Er sprach von der Notwendigkeit seines Todes, von dem göttlichen »Muß« seines Erhöhtwerdens wie die Schlange in der Wüste und seines Sterbens wie ein Weizen­korn, um durch Fruchtbringen verherrlicht zu werden (Joh. 12, 23).
Er sprach von der Freiwilligkeit seines Todes: Niemand nimmt es (mein Leben) von mir, sondern ich lasse es von mir selbst« (Joh. 10,18), und
Er sprach von der Bedeutung seines Todes als Grundlage völligen weltweiten (Joh. 12, 32) Heils durch stellver­tretendes Sterben (Matth. 20, 28) für verlorene Sünder, zwecks Aufrichtung eines Neuen Bundes durch Vergebung der Sünden, und als Grundlage praktischer Heiligung in echter Jünger­schaft in Selbstverleugnung und Kreuznachtragen (Matth. 10, 38; Joh. 12, 24-26).

Und in dem allen schaute er sein Sterben stets im Zusam­menhang mit seiner Auferstehung und Verherrlichung (Joh. 10, 17). Dies beweisen seine Worte vom Tempelabbruch (Joh. 2, 18-20), Jonaszeichen, Eckstein und Weizenkorn (Joh. 12, 23). Und auf diesem Bo­den der Auferstehung, in der Mitteilung seines Lebens an das Leben der Glaubenden sah er den einzigen Weg zum Teilha­ben der Sünder an der Heilsbedeutung seines Werkes; daher seine Worte vom Essen und Trinken seines Fleisches und Blu­tes, ohne das niemand Leben hat in sich selbst (Joh. 6,53). »Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt« (Joh. 6, 51; 58). »Wer dies Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit«.

V. Die Reichsbotschaft

Unmöglich ist es, das sittliche Wesen der Himmelreichsbot­schaft erschöpfend zu schildern. »Die Welt würde die Bücher nicht fassen« (Joh. 21, 25). Die Reichsbotschaft ist

1. Heilig erhaben in ihrer Autorität. »Er lehrte, wie einer, der Gewalt hat, und nicht wie die Schriftgelehrten« (Joh. 7, 46), bestätigt durch Zeichen und Wunder (Joh. 5, 36; Hebr. 2, 4). Seine Worte waren Taten. Seine Taten waren Wunder, und Er Selber der göttlich gebietende Lebens­fürst (Apg. 3, 15). Ferner: Die Reichsbotschaft war

2. Wunderbar weise in ihrer Belehrung. Den Alten Bund deutete er als Vorstufe des Neuen, als Wahrheitsbeweis (Joh. 10, 34) und als Weis­sagung seiner eigenen Botschaft (Luk. 24, 27), also: erklärend.
Die Natur vergeistigte er zu Bildern und Gleichnissen des Himmelreichs, desgleichen das Menschen­leben und die Geschichte (Luk. 19, 12), also: verklärend.
Die fragenden Feinde bringt er durch Gegenfragen zum Ver­stummen (Joh. 10, 34), also: abwehrend.
Die lernbegierigen Jünger weiht er noch besonders in seine Geheimnisse ein (Matth. 13, 18), also: belehrend.

Von besonderer Bedeutung ist hierbei Jesu Stellung zum Alten Testament. Für Christus, das personhaft lebendige »Wort« (Joh. 1,14; Off. 19,13), ist das alttestamentliche, geschriebene Wort eine unauflösbare Einheit, ein Organismus, »die Schrift« (Joh. 10, 35).
Und im einzelnen ist es für ihn:

die Autorität, unter die er sich stellt (Gal. 4, 4),
die Speise, von der er sich nährt (Matth. 4.4)
die Waffe, mit der er sich weht (Matth. 12,3),
das Lehrbuch, das er erklärt (Luk. 24,27),
die Weissagung, die er erfüllt (Joh. 5,39),

Bei dem allen aber war seine Verkündigung

3. unheimlich hart in ihrem Urteil. Arg« ist der Mensch von Natur (Matth. 7, 11), »ein ehebrecherisches Geschlecht« (Mark. 8, 38), ein »Greuel vor Gott« alle Frömmigkeit des Fleisches (Luk. 16,15).
Mit »verzehrendem Eifer« (Joh. 2, 17) kämpft Christus gegen die Pharisäer, seine »Feinde« (Luk. 19, 27), diese Hauptvertreter der Scheinreligion. Er nennt sie Blinde, Lügner und Heuchler, (Joh, 10,8) und »Mörder« (Matth. 22,7), »reißende Wölfe« (Matth. 7,15) und Kinder des Teufels (Joh. 8, 44).
Den Tempel nennt er eine »Räuberhöhle« (Mark. 11, 17), Herodes einen »Fuchs« (Luk. 13, 32), seine falschen Bekenner »Übeltäter« (Matth. 7, 23) und alle, die ihn ablehnen: ärger als Sodom und Gomorrha (Matth. 10, 15).
Sie alle, die so bleiben, sind »Verlorene« und ihr Los ist »Heulen und Zähneknirschen«, ihr Ort das »unaus­löschliche Feuer« (Mark. 9, 44; Matth. 25, 41).

Und doch ist die Himmelreichsbotschaft zugleich

4. Unendlich erbarmend in ihrem Evangelium  Der Freund der Sünder, der Arzt der Kranken, der Erquicker der Mühseligen und Beladenen, die Kinder segnend, den Armen gute Botschaft verkündend und noch dem sterbenden Mörder das Paradies verheißend (Luk. 23, 43).

So wird er, der König, der Diener seiner Knechte (Markus 10, 42-45; Luk. 12,37).Und doch leibt er der König und verlangt restlosen Gehor­sam. Seine Botschaft ist Befehl, ja

5. Rückhaltlos total in ihren Forderungen.Er verlangt rest­losen Gehorsam. Seine Himmelreichsbotschaft ist Geschenk und Gebot, Gabe und Aufgabe zugleich. Wenn je ein Reich Totalitätsanspruch erhebt, so das Reich Gottes. Autorität und Gehorsam, Befehls­gewalt und Unterwerfung – das ist seine Ordnung. Ein tota­ler König, ein totales Reich, eine totale Gemeinde! Alles Halbe und Laue ist dem König ein Greuel. Der ganze Mensch gehört ihm, nach Geist, Seele und Leib, das Kreuz auf sich nehmen (Matth. 16, 24), nur ihm allein dienen (Luk. 16, 13), sein eigenes Ich hassen (Luk. 14, 26), sein Leben ver­lieren, um es auf ewig zu gewinnen (Joh. 12, 25) : das ist die Gesinnung, die der König verlangt.Das alles aber herausgeboren aus dem Leben von oben, aus dem königlichen Standesbewußtsein der Adelskinder aus göttlichem Samen. Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist« (Matth. 5, 48).Zuletzt aber wird das Ende kommen und mit ihm der Sieg; denn des Himmelreichs Botschaft ist

6. Weltweit erlösend in ihrem Ziel. »Der Acker ist die Welt« (Matth. 13, 38). Predigt das Evangelium aller Krea­tur« (Mark. 16, 15). Denn »in seinem Na­men muß Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden unter allen Völkern« (Luk. 24, 47), »in Jerusalem, ganz Judäa, Samaria und bis an das Ende der Welt« (Apg. 1, 8).Und wenn dann der König erscheint, wird sein Reich offen­bar. Die Gesegneten des Vaters werden die Herrschaft ererben, und die Gerechten werden leuchten wie die Sonne immer und ewiglich (Matth. 13, 43). Das ist die Hoff­nung der Himmelreichsbotschaft.

VI. Die Hörer
Aber alle diese Worte waren auf jüdischem Volksboden ge­sprochen. In den Tagen seines Fleisches war der Herr durchaus »Diener der Beschneidung« (Röm. 15,8), für seine Person so­gar selber »unter Gesetz« (Gal. 4, 4). Ich bin nicht gesandt als nur zu den ver­lorenen Schafen des Hauses Israel« (Matth. 15, 24).
Die in der Bergpredigt (Matth. 5-7), Seepredigt (Matth. 13), Ölbergsrede (Matth. 24 und 25) und allen Gleichnissen Ange­redeten waren zunächst Söhne des Volkes Israel. Erst seit der Hinwegnahme der »Umzäunung durch das Kreuz (Eph. 2, 13-16) und der Öffnung des Himmelreichs auch für die Vollhei­den bei der Bekehrung des Kornelius (Apg. 10) hatten auch die Nationen das Recht, den wesentlichen Lehr­inhalt der Evangelien in gleicher Weise wie die Juden direkt auf sich zu beziehen (Joh. 12, 32). Erst diese beiden, nach dem Erdenleben Jesu vollzogenen Ereignisse eröffneten hinterher auch den Nichtisraeliten die Tür in den Lehrsaal des Herrn.

Nun aber besteht auch »kein Unterschied« mehr (Apg. 15, 8-9); denn beide haben das »gleiches Heil (Apg. 28, 38; 11,17). Nun gibt es nicht zwei Evangelien – ein judenchristliches und ein heidenchristliches -, sondern nur ein Evangelium und eine Gemeinde (Gal. 1, 6-9; Eph.2, 11-22; 3,6).1] Und den »Anfang« seiner Verkündigung hat das »Heil« des Gemeinde­zeitalters in der Erdenbotschaft Jesu genommen (Hebr. 2,3). »Heil« und »Errettung« ist also die inspirierte Überschrift der irdischen Verkündigung des HErrn. Und wenn Paulus »sein« Evangelium, im Gegensatz zu dem »Buchsta­ben« und »Tod« des Gesetzes, als »Geist« und »Lebens be­zeichnet – »der >Geist< macht >lebendig<~ (2. Kor. 3, 6) -, so steht der Charakter der Jesusworte auf derselben Haushal­tungslinie: »Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben« (Joh. 6, 63)

So ist die Zeit der Evangelien eine Übergangszeit. Der Um­fang, die Umwelt und oft auch die Lehrform der Himmelreichsbotschaft waren alttestamentlich und national begrenzt; aber ihr Wesen und Geist waren neutestamentliche Freiheit. Die Haushaltungen des Gesetzes und der Gnade sind also nicht durch ein einziges Einzelereignis scharf voneinander ge­schieden, sondern gehen ineinander über wie die Farben des Regenbogens, beginnend mit der Geburtsankündigung des Wegbereiters und abschließend mit der Öffnung des Himmel­reiches für die Heiden durch Petrus in Cäsarea und dem Auf­treten und den Offenbarungen des Paulus (Eph. 2 und 3). Erst von da an war das Zeitalter der Gnade in vollem Umfange angebrochen.

4. Kapitel. DER ENTSCHEIDUNGSKAMPF VON GOLGATHA

Der Haß der Pharisäer brachte Christus ans Kreuz. Die Hin­richtung Jesu war der größte Justizmord der Weltgeschichte. Sie war der feigste Gesandtenmord, das schmutzigste Atten­tat, das jemals Rebellen gegen einen gütigen Vater ihres Va­terlandes begangen haben.

Was aber tat Gott?
Er hat diesen teuflisch gemeinen Aufruhr gegen seine Per­son in das Sühnopfer zur Errettung dieser Rebellen verwan­delt! Er hat auf den Faustschlag in sein heiliges Angesicht mit dem Kuß versöhnender Liebe geantwortet! Wir taten das Äu­ßerste an Bosheit gegen ihn; er aber tat das Äußerste an Güte gegen uns, und zwar beides zur selben Stunde, und so wurde die Schandtat am Kreuz noch im selben Augenblick zum erlö­senden Wendepunkt der Menschheitsgeschichte und zum Umbruch des gesamten Dramas der Weltall-Übergeschichte.

I. Die Bedeutung des Kreuzes für Gott

Das Kreuz ist das größte Ereignis der Heilsgeschichte, noch größer als die Auferstehung. Denn das Kreuz ist der Sieg, die Auferstehung der Triumph; aber der Sieg ist noch wichtiger als der Triumph, obwohl sich dieser mit Notwendigkeit aus ihm ergibt. Die Auferstehung ist das Offenbarwerden des Sie­ges, der Triumph des Gekreuzigten. Der Sieg selber war vollkommen. Es ist vollbrachte (Joh. 19, 30; Hebr. 2, 14).

Für Gott ist das Kreuz
1. Die höchste Erweisung der Liebe Gottes.
Denn dort gab der Allherr des Lebens sein Liebstes in den Tod, seinen eingeborenen Sohn, den Mittler und Erben der Schöpfung (Hebr. 1, 2;3). Christus der HErr starb am Kreuz, er, für den im Äther die Sterne kreisen und für den jedes Mücklein im Sonnenschein tanzt (Hebr. 2,10). Wahrlich: »Darin be­weist Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns ge­storben ist, da wir noch Sünder waren« (Röm. 5, 8). Zugleich aber ist das Kreuz

2. Der größte Beweis der Gerechtigkeit Gottes. Denn dort hat der Richter der Welt »zur Erweisung seiner Gerechtigkeit« nicht einmal seines eigenen Sohnes geschont (Röm. 8, 32). In all den Jahrhunderten vor Golgatha hatte Gott, trotz vieler Gerichte im einzelnen, die Sünde doch niemals hundertprozentig bestraft (Apg. 17, 30), so daß schließlich seine Heiligkeit durch seine Geduld in Frage gestellt zu sein schien »wegen des Dahingehenlassens der vor­her geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes« (Röm. 3,25). Da hat erst der Sühntod des Erlösers, als göttliche Selbst­rechtfertigung der vergangenen Menschheitsgeschichte, die un­umstößliche Gerechtigkeit des obersten Weltenrichters erwie­sen. Alle Geduld der Vergangenheit war nur möglich im Hin­blick auf das Kreuz, und alle Vergebung der Zu­kunft ist nur »gerecht« durch den Rückblick auf das Kreuz (Röm. 3, 23; 1. Joh. 1,9). Und gerade dadurch ist das Kreuz

3. Die wunderbarste Vermehrung des Reichtums Gottes. »Du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft durch dein Blut aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht (Off. 5, 9). Sie sind nun erworben für Gott, das »Volk zum Besitztum« (1. Petr. 2, 9), das »Eigentumsvolk« (Tit. 2, 14).

II. Die Bedeutung des Kreuzes für Christus

Für Christus und Gott ist das Kreuz
1. Die höchste Anerkennung der Herrschaft Gottes; denn der Sohn »ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze (Phil. 2, 8; Röm. 5,19).

2. Die höchste Vollendung des Glaubens an Gott; denn er hat »an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt (Hebr. 5, 8; 9) und ist also der »Anführer« und »vollkommenste Ausge­staltung des Glaubens geworden (Hebr. 12, 2).

3. Die entscheidendste Erwerbung des Wohlgefallens Got­tes, denn er gab sich als Opfer dahin, »Gott zu einem duftenden Wohlgeruch« (Eph. 5), und

4. Die endgültige Verewigung der Liehe Gottes. »Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf daß ich es wiedernehme« (Joh. 10, 17). Und was Christus persönlich be­trifft, so ist das Kreuz für ihn:

5. Der Weg zur Verklärung seiner Liebes- und Machtstel­lung zur Siegerstellung, vom Sein »in dem Schoße des Vaters« bis hin zum Sitzen »zur Rechten der Majestät in der Höhe« (Phil. 2, 9; Hebr. 2, 9; 8, 1), und ferner

6. Der Weg zum Besitz einer erlösten Gemeinde, vom »Al­leinsein« des Weizenkorns, durch Sterben hindurch, zum sieghaften »Verherrlichtwerden« und »Fruchtbringen« (Joh. 12, 24).

 III. Die Heilsbedeutung des Kreuzes für uns

A. Das Einzelheil

Für den einzelnen ist das Kreuz ein doppeltes: die Grund­lage seiner Rechtfertigung, juristisch seine Vergangenheit ord­nend, und die Grundlage seiner Heiligung, sittlich seine Ge­genwart beherrschend.

1. Die Grundlage der Rechtfertigung.
Auf den Bürgen muß all unsere Sünde gelegt werden (Jes. 53, 5), er muß sie tragen an Stelle der andern (Hebr. 9, 28), damit sie, der Sünde gestorben, nunmehr der Gerechtigkeit leben; und wie das Verderben der Mensch­heit durch den Fall – also ein geschichtliches Einzelereignis – hervorgerufen worden war (1. Mose 3; Röm. 5,12), so muß nun auch seine Aufhebung durch den Bürgen desgleichen durch ein Einzelereignis – eben die einzigartige »Rechtstat« von Golgatha – bewirkt werden (Röm. 5,18). Und da das Wesen der Sünde in der Trennung des Geschöpfes vom Schöp­fer besteht, also in der Trennung vom Urquell des Lebens und Folglich im Tode, so muß nun auch der Erlöser, wegen der not­wendigen Entsprechung von Sünde und Sühne, das Urteil die­ses Todes erdulden und so durch sein Sterben die Wiederher­stellung des Lebens bewirken. »Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung« (Hebr. 9, 22). Nur so kann er, durch den Tod, dem die Macht nehmen, der die Gewalt des Todes hat, dem Teufel (Hebr. 2,14; 1. Kor. 15, 21).

Dies ist die Logik des Heils. Festgewurzelt und unantastbar steht sie im Erlösungsplan Gottes da. An ihrer zwingenden Beweisführung zerschellen alle hochmütigen Angriffe des Un­glaubens. Die verhaßte »Bluttheologie« der Bibel (Hebr. 9, 22), mit dеm gekreuzigten Christus als ihrem Zentrum, bleibt dennoch der Felsen des Heils, zwar vielen ein Stein des Anstoßes, den Erlösten aber der lebendige Eckstein.

Für die Erretteten ist dann das Kreuz

2. Die Grundlage der Heiligung.
Christus der HErr starb am Kreuz, damit wir nicht an das Kreuz brauchten. Das ist die uns ausschließende, rechtliche Seite seines Sterbens, das »Er­lösende« von Golgatha. Und dennoch: Er starb dort am Kreuz, damit wir, zusammen mit ihm trotzdem an das Kreuz kämen. Das ist die uns einschließende, sittliche Seite seines Sterbens, das »Bindende« von Golgatha. Wir sind mit dem Gekreuzigten »zusammengepflanzt« (Röm. 6, 5) und zur »Gleichheit seines Todes« organisch verbunden. Wir sind Nachfolger, Kreuzträ­ger (Matth. 10, 38), »Weizenkörner« wie er, die nur durch Sterben zum Leben gelangen (Joh. 12,24). Wir sind beru­fen zum Teilhaben an dem Charakter der zwar dunklen, aber nichtsdestoweniger kostbaren Grundlage unserer eigenen Er­lösung. Wir sind »mit Christo gekreuzigt« (Gal. 2, 19).

a) Die Welt um uns ist durch den Gekreuzigten für uns tot. Sie ist durch das Kreuz uns »gekreuzigt« und wir der Welt (Gal. 6, 14).

b) Die Welt in uns ist gleichfalls mit am Kreuz. »Indem wir dies wissen, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt wor­den ist, … daß wir der Sünde nicht mehr dienen« (Röm. 6, 6; 11).

c) Die Welt unter uns ist durch das Kreuz völlig besiegt. Denn »nachdem Christus die Mächte und Gewalten entwaffnet hatte, hat er sie öffentlich an den Pranger gestellt und durch das Kreuz über sie triumphiert« (Kol. 2, 15; 1. Mose 3,15), und schließlich

d) Die Welt über uns ist durch das Kreuz für uns Gnade und Segen; denn der Fluch des Gesetzes ist abgetan (Gal. 3, 13). Die in ihren Geboten wider uns zeugende Schuldhand­schrift ist ausgelöscht und ans Kreuz geheftet (Kol. 2,14). Gottes Blick kann nun nicht mehr auf sie fallen, ohne zugleich auf das Kreuz zu fallen; sie ist gleichsam mitgetötet, mitge­kreuzigt. »Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe« (Gal. 2,19).

Das Gesetz Gottes hatte den Tod über den Sünder verhängt (Gal. 3,10), und diesen hat Christus an seiner Statt getragen. Also ist Christus »durch« das Gesetz gestorben. Damit aber hat das Gesetz seine weiteren Geltungsansprüche an ihn verloren, gleichwie ein zum Tode Verurteilter durch die Hinrich­tung aus dem Untertanenverhältnis gegen die hinrichtende Obrigkeit ausscheidet. So ist nun auch Christus »dem« Gesetz gestorben. Was aber Christus erfuhr, hat der Gläubige in ihm miterlebt (Röm. 6,5-11). Also ist auch er dem Gesetz gegen­über tot und lebt nun in der Freiheit des Auferstandenen (Röm. 7, 4)

B. Das Gesamtheil

Auch für die Gesamtheit ist durch das Kreuz eine vollstän­dige Neuordnung eingetreten, und zwar

nach innen hin – als Aufhebung des Gesetzes,
nach außen hin – als Heilszulassung der Völkerwelt,
nach allen Seiten hin – als Weltall-Triumph des Gekreu­zigten.

1. Die Aufhebung des Gesetzes.
Nach innen hin bedeutet das Kreuz die Erfüllung und Abschaffung aller mosaischen Opfer (Hebr. 10, 10-14) und damit die »Aufhebung« des Ge­setzes überhaupt (Hebr. 7,18). So aber ist Christus durch das Kreuz »des Gesetzes Ende« (Röm. 10, 4) und also der »Bürge eines besseren Bundes« geworden (Hebr. 7, 22).

2. Die Heilszulassung der Völkerwelt.
Ist aber das Gesetz abgeschafft, so auch nach außen hin. Bis zum Kreuz war das Gesetz der »Zaun«, der das jüdische Volk von den Weltvölkern trenn­te (Eph.2, 14.). Die Nationen waren »ohne Gesetz« (Röm. 2, 12) und »Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheißung« (Eph. 2, 12). Zwischen beiden bestand eine Spannung. Nun aber ist Christus »unser Friede«. Mit der Erfüllung des Gesetzes hat er die »Zwischenwand der Umzäunung« hinweg­getan und die beiden, die Juden und die Heiden, in dem einen Leibe seiner Gemeinde, durch das Kreuz, miteinander wie auch mit Gott versöhnt (Eph. 2, 13-16). …

3. Der Weltall -Triumph des Gekreuzigten.
»Jetzt ist das Gericht dieser Welt! Jetzt wird der Fürst dieser Welt hinaus­geworfen werden« (Joh, 12,31). Gerade durch das Kreuz hat der Sterbende triumphiert. Gerade »durch den Tod« hat er »dem die Macht ge­nommen, der die Gewalt des Todes hat«, dem Teufel (Hebr. 2, 14). Daher sein Siegesruf: »Es ist vollbracht!« (Joh. 19, 30.) Das Ausgestoßenwerden Satans ist seiner Kraft nach begründet auf Golgatha (Joh. 12, 31), seiner Auswirkung nach geschieht es allmählich (Matth. 12, 29), seiner Vollendung nach wird es einst völlig sein (Off. 20, 10).

4. Christus – das Weizenkorn.
Durch dies alles wurde »Christus das Weizenkorn, welches welterlösende Liebe am Karfreitag in die Erde gesenkt hat, das Weizenkorn, das Ostersonntag die Erde durchbricht und himmelan zu wachsen beginnt, das Weizenkorn, dessen goldner Halm am Himmelfahrts­tage zum Himmel emporsteigt, das Weizenkorn, dessen myriadenreiche Ähre sich am Pfingsttage zur Erde herabneigt und die Samenkörner aus­streut, aus denen die Gemeinde geboren wird« (Joh. 12, 24).

5. Das Kreuz von Ewigkeit zu Ewigkeit.
So sehen wir das Kreuz überall:
das Kreuz in der Ewigkeit – das Lamm, zuvorerkannt vor Grundlegung der Welt (1. Petr. 1, 19),
das Kreuz in der Vergangenheit der Zeit – Gethsemane, Gabbatha, Golgatha;
das Kreuz in der Gegenwart – der gekreuzigte Christus als das lebendige Grundthema unserer eigenen Verkündi­gung (1. Kor. 2, 2);
das Kreuz in der Zukunft – der früher einst erniedrigte Heiland dann als König des geoffenbarten Messiasreiches (Phil. 2,8-11) und
das Kreuz in der Herrlichkeit – die Botschaft vom Lamm, als das Edelsteinfundament der himmlischen Stadt (Off. 21, 14).

5. Kapitel. DER TRIUMPH DER AUFERSTEHUNG

Christus ist auferstanden!« Mit diesem Siegesruf ist das Evangelium durch die Lande gedrungen. Die Botschaft vom Kreuz ist zugleich Botschaft der Auferstehung (Apg. 1, 22). Darin besteht ihre Unüberwindbarkeit (Off. 5, 5-6).

An sich wäre eine Rückkehr des Erlösers in den Himmel auch ohne leibliche Auferstehung denkbar gewesen. Ein Lebendiger wäre Christus ja auch dann geblieben, wenn er, un­mittelbar nach dem Tode, als Geist in die Herrlichkeit seines Vaters zurückgekehrt wäre! Als Geist ohne menschlichen Leib hatte er, vor seiner Menschwerdung, ja schon immer in allen Äonen der Ewigkeit im Himmel existiert und war dennoch der Brunnquell und Fürst alles Lebens gewesen (Apg. 3, 15). Nein, Fortexistenz nach dem Tode und Aufstieg zum himmlischen Thron war durchaus noch nicht notwendig dasselbe wie Auferstehung des Leibes!

Und doch war gerade sie die Voraussetzung für die Durch­führung der Erlösung. Denn nur sie war

I. Die volle Auswirkung des Sieges des Erlösers über den Tod
Bei einer Rückkehr in den Himmel ohne leibliche Auferste­hung wäre Christus nicht als voller Todesüberwinder offen­bar geworden. Er hätte nur geistig und sittlich über den Tod triumphiert; aber sein Sieg über den materiel­len Tod wäre nicht königlich hervorgetreten. Sein Triumph wäre nur gleichsam ein »Zwei-Drittel«-Triumph, nicht aber ein vollständiger Triumph gewesen; denn von der dreiteiligen menschlichen Persönlichkeit wären nur zwei Teile – Seele und Geist -, nicht aber auch der Leib in den Triumph seiner Erlösung mit eingeschlossen gewesen.

Ja, noch mehr. Ohne leibliche Auferstehung wäre Christus im Vollsinn des Wortes überhaupt nicht als Todesüberwinder offenbar geworden. Denn »Тоd« ist doch nicht Aufhören der Existenz, sondern Auflösung der menschlichen Persönlichkeit, nicht Auslöschung des Daseins, sondern Auseinanderreißung des Zusammenhangs von Geist, Seele und Leib. Überwindung des Todes muß darum in der Wiedereinsetzung dieser Einheit, in der Wiederherstellung des organischen Zusammenhangs von Geist, Seele und Leib offenbar werden, das aber heißt – vom Leibe aus gesehen – in der Wiedervereinigung des Lei­bes mit der Seele und dem Geist. Ohne leibliche Auferstehung darum überhaupt kein Triumph des Lebens (1. Kor. 15, 54­-57). Als überwunden erwiesen wird das Sterben nur in der Form der leiblichen Auferstehung.

Weiterhin war die Auferstehung notwendig als

II. Die Voraussetzung für die Entstehung des Glaubens in den zu Erlösenden
»Denn der Glaube kommt aus der Predigt« (Röm. 10, 14-17), und diese geht zurück auf den Glauben der ersten Zeit. Der einzelne glaubt durch das Zeugnis des Glaubens der Ge­meinde (Kol. 3, 15), und der Glaube der Gemeinde ist undenkbar ohne den Glauben der ersten Generation (Eph. 2, 20). Aber gerade dieser war nach dem Kreuzestode Christi zusammengebrochen (Joh. 20, 19; 25; Luk. 24, 21). Da waren es erst die leibliche Auferstehung des HErrn und die sich daran anschließenden Erscheinungen des Aufer­standenen, durch welche er wieder neu aufgerichtet wurde (1. Petr. 1, 21). Ohne leibliche Auferstehung hätte niemals ein denkender Mensch je an den Gekreuzigten geglaubt; denn sein Ende hätte seine eigenen Voraussagun­gen von seiner Auferstehung und seinem Triumph widerlegt (Matth. 16,21; 17,23; Joh. 2,19). Die Auferstehung des HErrn ist darum das Siegel des Vaters auf die Person und das Werk seines Sohnes (Apg. 2, 32). Durch Totenauferstehung ist Christus als Prophet und Sohn Gottes in Kraft »erwiesen« (Röm. 1, 4).
Die Auferstehung ist das Siegel auf

1. das Zeugnis der Propheten,
2. das Selbstzeugnis Jesu
3. das Zeugnis seiner Apostel. Sie beweist
4. die Gottessohnschaft Jesu,
5. die Königsherrschaft Jesu,
6. die Weltrichtervollmacht Jesu, und sie gewährleistet
7. unsere eigene, zukünftige Auferstehung und Verklä­rung.

Darum ist sie auch das urkundlich verbürgteste Ereignis der Heilsgeschichte. Gerade in dem selbst von der radikalsten Bibelkritik als echt anerkannten ersten Korintherbrief gibt Pau­lus vor kritischen Lesern unter Hinweisung auf Hunderte noch lebender Augenzeugen (1. Kor. 15, 6) folgende vier Hauptbeweise:

1. Den Erfahrungsbeweis: Ihr Korinther seid selbst durch die Botschaft vom leiblich Auferstandenen gerettet worden(1. Kor. 15, 1);
2. den Schriftbeweis: Nicht nur gestorben, sondern auch auferstanden ist Christus »nach den Schriften« (1. Kor. 15,3-4)
3. dеn Zeugenbeweis: Über ein Halbtausend Männer haben ihn bei den verschiedensten Gelegenheiten nach seiner Auferstehung persönlich gesehen (1. Kor. 15, 5-12):
4. dеn heilsgeschichtlichen Notwendigkeitsbeweis: »Ist Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich und euer Glaube eitel; so sind die, die in Christo entschlafen sind, verloren; so sind wir die elendsten unter allen Men­schen« (1.Kor. 15, 13-19).

Das Kreuz und die Auferstehung gehören folglich zusam­men. Der Gekreuzigte starb, um aufzuerstehen (Joh. 10, 17), und der Auferstandene lebt ewig als der “Gekreuzigte« (1. Kor. 2, 2; Off. 5, 6). Darum werden auch die Heilswirkun­gen der Erlősung immer wieder mit diesen beiden Tatsachen zusammen in Verbindung gebracht.

Damit ist aber auch zugleich schon gesagt: Die Auferste­hung ist – in Verbindung mit dеm Kreuz –

III. Die Grundlage des neues Lebens für die Gläubigen

Erst dann nämlich kann das Sühnopfer Christi dem schuldi­gen Sünder zugutekommen, wenn dieser an ihn glaubt als an das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinweggetragen hat (Joh. 1, 29). Zur Ermöglichung des Glaubens aber war die Auferstehung notwendig. Denn ohne das Offenbarwerden des vollkommenen Sieges von Golgatha im Tri­umph der Auferstehung wäre der Glaube an das Lamm Got­tes nicht möglich geworden.

Darum wird erst in dеm aufer­standenen und erhöhten Mittler das am Kreuz für uns erwor­bene Heil flüssig. Erst in dem zur Herrlichkeit erhöhten Lamm steht die Gnade für alle offen. Und deshalb, weil wir so durch den Glauben die Vergebung der Sünden empfangen haben und damit im Urteil Gottes gerecht und seine Kinder gewor­den sind, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt (Gal. 4, 6), wodurch es zur Wiedergeburt gekommen ist. So ergibt sich als selige Frucht der im Opfertod Christi geschehenen und in der Auferstehung besiegelten Versöhnung eine organische Verbindung des Glaubenden mit Christus, eine Todes- und Lebensgemeinschaft der Erlösten mit dem Er­löser (Röm. 6,5; Gal. 2,19; Kol. 3,3), gleichsam ein Es­sen und Trinken seines Fleisches und seines Blutes (Joh. 6, 53), und der »Christus für uns« wird »Christus in uns«, die Hoffnung der Herrlichkeit (Kol. 1, 27).

Die leibliche Auferstehung des HErrn bedeutet darum die Rückkehr des Erlösers zur Menschennatur, die Verewigung seiner Menschheit in verklärter, verherrlichter Form. Sie be­deutet, daß Christus der »letzte Adam« ist (Röm. 5, 12-21; 1. Kor. 15, 45) und im Himmel zur Rechten Gottes (Apg. 1,11; Dan. 7,13; Phil. 3,21), der schöpferische Anfänger und das organische »Haupt« einer erlösten Geistes­menschheit.

Zugleich aber stehen wir hier vor einer ungeheuren Span­nung unseres Denkens. Denn wie kann der Erlöser noch nach seiner Erhöhung in der Herrlichkeit »Mensch« sein, noch dazu in der Form eines verklärten »Leibes«? Sagt er doch selbst zu den Seinen: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage!«, und ist er doch vor allem die zweite Person in der Gottheit! Hier zeigt sich von neuem der Abgrund des Ewigen. Das Überräumliche und Überzeitliche ist uns restlos unerklärbar. Wenn wir darum hier – mit der Bibel – von »Stofflichkeit« und »Leiblich­keit« reden, so hat dies alles für uns einen unbegreiflichen Sinn. Christus aber ist gerade in die »Ewigkeit« eingegangen. Dennoch lehrt die Heilige Schrift dieses ewige Menschbleiben des Erlösers. Gerade dies verbürgt die Inkraftsetzung und Erhaltung seines Werkes. Sein Sieg über den Tod muß die endlose Fortsetzung seiner Menschwerdung in sich einschlie­ßen. Nur als der »Erstgeborene unter vielen Brüdern« (Röm. 8, 29; Kol. 1,18) kann er der »Urheber ewigen Heils sein (Hebr. 2,10; 5,9).

Zuletzt aber ist die Auferstehung

IV. Das Fundament für die Verklärung der Welt

Als solches entfaltet sie sich in drei stets größeren Kreisen. Sie gewährleistet
im Leben des einzelnen – die Auferstehung des Fleisches,
im Leben der Erdwelt – die Erscheinung des Herrlich­keitsreiches,
im Leben des Weltalls – das verklärte Universum.

1. Die Auferstehung des Fleisches ist nur möglich auf der Grundlage der Auferstehung des HErrn Jesu. Die Auferweckung Jesu ist die Verklärung der Menschheit in Christo als ihrem »Erstling« (Kol. 1,18). Die Aufer­stehung beweist: Der Weg zur Auferstehung der Erlösten ist frei. Sein Triumph über den Tod ge­währleistet uns unsere eigene Auferweckung (Röm. 8, 11). Sein Herrlichkeitsleib ist das Muster und Urbild unseres eigenen, zukünftigen Leibes (Phil. 3, 20; 1. Kor. 15, 49). Die Auferstehung des »Erstlings« ist die Grundlage aller Auferstehung (Joh. 5,26-29).

2. Das Tausendjährige Reich ist durchaus auf der Aufer­stehung des HErrn Jesu gegründet. Denn die dem David gegebenen Verheißungen sprachen von einem ewigen, verklär­ten Menschheitsreich (2. Sam. 7, 13). Dazu ist aber ein ewiger Menschheitskönig erforderlich, eben der Menschensohn, der dereinst auf den Wolken des Himmels erscheint (Dan. 7,13; Matth. 26, 64; Off. 1, 13).
Das Menschbleiben Christi in der Auferstehung ist also die grundsätzliche Erfüllung der davidischen Reichsprophetie. Die Auferstehung des »Königs« ist die Grundlage der messianischen Welt»wiedergeburt« (Matth. 19, 28); und was bei der Wiederkunft Christi geschieht, ist nur die geschichtliche Offenbarung und Durchführung dieser schon längst bei seinem ersten Kommen gegebenen »Erfüllung«. Darum sagt auch Paulus: »Daß Gott ihn (Jesum) aus den To­ten auferweckt hat, … hat er in den Worten ausgesprochen: Ich will euch die dеm David verheißenen, unverbrüchlichen Gnadengüter geben (Apg. 13, 34).

Geistliche »Auferstehung« Israels! (Hes. 37,1-14).
Geist­liche Wiedergeburt der Nationen! (Ps. 87, 4-6; Jes. 25, 7).
Neubelebung der Natur! (Jes. 41,18).

So werden dereinst die Lebens­kräfte des Auferstandenen die ganze Erde erfüllen, und die sichtbare Herrschaft des Messias wird für die irdische Schöp­fung neues Leben sein (Matth. 19,28).

Aber auch das Tausendjährige Reich ist nur Einleitung und Vorspiel. Das Endziel ist
3. Der neue Himmel und die neue Erde nach dem Großen Weißen Thron. Dann werden nicht nur Seele und Geist, sondern auch Stoff und Natur in Voll­endung verklärt sein. Im himmlischen Jerusalem wird es gleichsam Gold geben, »durchsichtig wie Glas« (Off. 21,18). Nicht Geistigkeit, sondern Geistleiblichkeit ist das Ende der Wege Gottes mit seiner Kreatur.
Aber auch hier ist das Osterereignis das schöpferische Fun­dament. Die Auferstehung des »Erben aller Dinge« ist die Gewähr des neuen Himmels und der neuen Erde.
An Jesu Lei­be wurde in der Auferstehung zum erstenmal Materie ver­klärt (Joh. 20, 27 und bes. Luk. 24, 39-43), und damit der Grundsatz der Verklärbarkeit des Stoffes in der Heilsgeschichte geoffenbart und gewährleistet. Auch in dieser Hinsicht ist Christus »der Erstling«. Fortan beruht alle Verklärung des Himmels und der Erde auf der Auferste­hung des Leibes des Erlösers, und nach dem Großen Weißen Thron werden die Lebenswirkungen des Auferstandenen in weltumspannendster Weise offenbar. Darum ist dies der letz­te und umfassendste Sinn seiner Auferstehung: »Siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde« (Jes. 65,17; 2. Petr. 3,13).

6. Kapitel. DIE AUFFAHRT DES SIEGERS

Der siegreich Auferstandene ist gen Himmel gefahren. Der von den Menschen ans Kreuz »Erhöhte« (Joh. 12,32) wurde von Gott in die Herrlichkeit »erhöht« (Phil. 2,9). »Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße« (Ps. 110,1).

Für alle drei Ämter des Erlösers ist die Himmelfahrt von entscheidendster Bedeutung. Sie ist
für das prophetische Amt – der Übergang aus der un­mittelbaren Prophetie in die Geistprophetie,
für das priesterliche Amt – der Übergang in das Hohepriestertum »nach der Ordnung Melchisedeks«,
für das königliche Amt – die Erweiterung der könig­lichen Vollmacht zur königlichen Herrschaft.

I. Das prophetische Amt
war zunächst vornehmlich:

1. Zeugendienst durch Wandel. Von der Menschwerdung des Erlösers bis zu seinem öffentlichen Auftreten war die Kundmachung Gottes, wie Christus sie vollzog, durchaus ein Prophetentum der Persönlichkeit. Das Leben des Kindes, des Jünglings, des werdenden Mannes offenbarte die Heiligkeit Gottes – »Wer mich sieht, der sieht den Vater« – und zeigte das göttliche Ideal für die normale Lebensentwicklung der Menschen (vgl. Luk. 2, 40; 52). Das »Themas dieses Prophetentums lautete gleichsam: »Der Mensch Gottes«. Seit der Taufe trat noch die

2. Wortprophetie hinzu, zu dem Prophetentums des Lebens das Prophetentum der Lehre. Christus »lehrte wie einer, der Gewalt hat, und nicht wie die Schriftgelehrten« (Matth. 7, 29). Sein Thema war jetzt: »Das Reich Gottes. Seine Himmelfahrt aber bedeutete den Übergang dieses direkten Prophetentums in ein indirek­tes, und – in Verbindung mit Pfingsten – den Beginn einer vom Himmеl her wirkenden

3. Geistprophetie. Nun gibt es ein »Kommen« des erhöhten Propheten in Wort und in Geist zu uns, den zu Belehrenden (Joh, 14, 18; 28). Nicht nur seine Sendboten »kommen« – die Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer (Eph. 4, 11) und überhaupt seine »Zeugen« allzumal (Apg. 1, 8) -, sondern in ihnen und ihrer Botschaft »kommt« Christus sel­ber (Matth. 10, 40) und setzt sein Prophetentum durch den Geist von der Herrlichkeit aus fort; wie Paulus von dem Gekreuzigten und Auferstandenen bezeugt: »Er kam und ver­kündigte Frieden, euch, den Fernen (den Nichtjuden) und Frieden den Nahen (den Juden)« (Eph. 2, 17). Sein Thema ist jetzt: »Die vollbrachte Erlösung«, der »Friede«, das »Licht« (Apg. 26, 23).

Von noch größerer Bedeutung ist die Himmelfahrt für

II. Das hohepriesterliche Amt

Auf Erden brachte Christus die wesenhafte Erfüllung des aaronitischen Priestertums (Hebr. 5, 1-4; 9, 6-23), das Sühnopfer stellend zur Errettung der Sünder; doch, von der Erde erhöht und in die Himmelswelt eingegan­gen ist er nun »von Gott begrüßt als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks« (Hebr. 5, 10). Seine Himmelfahrt ist also nicht nur der Wendepunkt zwi­schen seinem Stande der Niedrigkeit und seinem Stande der Hoheit, sondern zugleich auch der Wendepunkt zwischen zwei Formen der Ausübung seines hohenpriesterlichen Wir­kens.
In der Himmelfahrt ist Christus in das obere Allerhei­ligste eingegangen, »nicht mit fremdem Blut«, wie die alt­testamentlichen Hohenpriester am Großen Versöhnungstage in das irdische Allerheiligste eingingen (3. Mose 16, 15-19), sondern »mit seinem eigenen Blut«, d. h. mit seinem Selbstopfer auf Golgatha, um so, auf dieser Grundlage, nunmehr vor dem Angesicht Gottes für uns zu er­scheinen (Hebr. 9, 11-14; Röm. 8, 34).

Damit aber wird die Himmelfahrt Christi zugleich die Rechtfertigung des Gekreuzigten (Phil. 2, 9),
die An­nahme des Werkes des Sohnes durch den Vater (Hebr. 5, 10),
die Gültigerklärung seines irdischen Hohenpriestertums durch die höchste Majestät in der Himmelswelt (Apg. 2, 34-36),
der wesenhafte Sinn und die zentralste Erfüllung der feierlichsten Hohenpriesterhandlung des größten aller israelitischen Feste (Hebr.9,7).

III. Das königliche Amt
Sie ist die »Thronbesteigung« des »Königs der Ehren« (Ps. 24, 8) . . .
Vom Himmel her offenbart Christus sein Königtum in vielfacher Weise:
als Gründung seiner Gemeinde – durch die Ausgießung des Geistes,
als Ausbreitung seines Reiches – durch Bekräftigung der Heilsbotschaft,
als Verteidigung seines Reiches – durch Überwindung der Hindernisse
als Vollendung seines Reiches – durch seine Ankunft in Herrlichkeit (1. Tim. 6, 14) . . .

7. Kapitel. DIE ERÖFFNUNG DES GOTTESREICHES
                     (Die Ausgießung des Heiligen Geistes).

Mit Pfingsten beginnt eine neue Zeit, das Zeitalter des heiligen Geistes. Der Unterschied zur alttestamentlichen Zeit ist ein dreifacher:

I. Der Umfang. Im Alten Bunde kam der Geist nur auf einzelne (4. Mose 11, 29), im Neuen Bunde kommt er auf alle Gläubigen (Apg. 2, 4; 17; Röm. 8, 9).

II. Die Dauer. Im Alten Bunde wirkte der Geist immer nur für eine Zeitlang (4. Mose 11, 25), im Neuen Bunde »wohnt« er in den Gläubigen (Joh. 14, 17; 23; 1. Kor. 3, 16)

III. Der Inhalt und Zweck. Im Alten Bunde wirkte der Geist nur erziehend und dienstbefähigend; im Neuen wirkt er in der mannigfaltigsten Weise, nämlich

zur Weckung des Glaubens – heilswerbend, als »Geist der Wahrheit;
zur Bewirkung der Wiedergeburt – lebensspendend, als Geist der Sohnschaft;
zur Lenkung der Heiligung – erziehend, als »Geist der Heiligkeit« (Ps. 51, 11);
zur Belebung des Dienstes – ausrüstend, als »Geist der Kraft« (2. Tim. 1, 7);
zur Herbeiführung der Verherrlichung – erklärend, als »Geist der Herrlichkeit« (1. Petr. 4, 14)

1. Heilswerbend. Die Aufgabe des Geistes ist es, Christum zu verklären. Als »Zeuge« des HErrn an die Welt (Joh. 15, 26) ist er der große Evangelist des Sohnes (Off. 22,17). Er redet zur Welt von Sünde, Gerechtig­keit und Gericht (Joh. 16, 8-11), von Sünde der Welt, Gerech­tigkeit Christi und Gericht über Satan.

Die Sünde der Welt deckt er auf durch den Hinweis auf ih­ren Unglauben, mit dem sie den HErrn, den einzig wahren Guten, verworfen haben (Apg. 2, 22)

Die Gerechtigkeit Christi stellt er fest durch den Hinweis auf die Himmelfahrt; denn gerade in der Erhöhung ist der von den Sündern als »ungerecht« Verworfene von Gott als der »Heilige« und »Gerechte« anerkannt worden (Joh. 16, 10; Apg. 2, 25; 1. Tim. 3,16)

Das Gerichtetsein Satans macht er klar durch den Hinweis auf Jesu Kreuzessieg (Joh. 19, 30); denn gerade durch das Kreuz ist der Fürst dieser Welt gerichtet worden (Kol. 2, 15), und darum kann nunmehr die Welt aufgefordert werden, einem anderen, dem eigentlichen Fürsten, zu huldigen.

So wird die in ihren eigenen Augen gerechte Welt durch das Zeugnis des Geistes sündig gesprochen; der von dеп Men­schen als Sünder Gekreuzigte wird durch den Geist als der Heilige und Gerechte erwiesen, und Satan, der Urheber des Mordes von Golgatha, wird als der Besiegte und Gerichtete bloßgestellt. Dies ist das dreifache Zeugnis des Geistes an die Welt …

Gerade dies ist die eigentliche Hauptbedeutung des Pfingstereignisses: Der von dem Himmel herniedergesandte »Geist des Sohnes«(Gal. 4, 6) verbindet die Erlösten mit dem Erlöser, und eignet dem Glaubenden die volle Frucht des Opfers Christi zu. Das in der Menschwerdung und Auferstehung Christi erst  göttlicherseits  begründete, organische Verhältnis wird nun durch die Ausgießung des Geistes auch menschlicherseits er­fahrene Wirklichkeit. »Der HErr ist der Geist« (2. Kor. 3, 17), und »wer dem HErrn anhängt, ist ein Geist mit ihm« (1. Kor. 6, 17).

So ragt die Bedeutung von Pfingsten in die Ewigkeit hinein. Durch den Geist sind wir Söhne (Röm. 8, 14), als Söhne sind wir Erben (Gal. 4, 7), und als Erben Teilhaber seiner kommenden Herrlichkeit (Römer 8, 17) . . .

Zusammengestellt und die Hervorhebungen von Horst Koch, Herborn, im Februar 2006

Das komplette Buch ist nur noch antiquar erhältlich, evtl unter  – www.amazon.de

 

Erich Sauer

Der Triumph des Gekreuzigten
Erster Teil:    Der Aufgang aus der Höhe (hier)
Zweiter Teil: Die Gemeinde der Erstgeborenen (unter Gemeinde Jesu)
Dritter Teil:  Das kommende Gottesreich  (unter Antichrist)
Vierter Teil: Weltvollendung und Himmlisches Jerusalem (unter Antichrist)

 

info@horst-koch.de




Bibel-Buch d. Heilsgeschichte (E.Sauer)

Erich Sauer


DIE BIBEL – DAS BUCH DER HEILSGESCHICHTE

 


Gott ‑ der Herr der Geschichte

Als der Überzeitliche durchschaut Gott alle Zeit. Als der Schöpfer des Geschichtsverlaufs und als Weltregent von Himmel und Erde durchwaltet er den ganzen Werdegang. Als der Herr der Geschichte kann er darum auch als einziger die Deu­tung der Geschichte geben.

Dies tut er durch seine Offenbarung in Wort und Geschichte. Bei aller Selbstverhüllung Gottes im Ablauf der Entwicklung bezeugt er sich durch den Mund seiner Propheten, durch sein Walten in Gericht und Gnade im Einzel‑ und Völkerleben, durch die Verknüpfung der Ereignisse nach dem Gesetz von Saat und Ernte.

Urkunde hiervon ist die Bibel. Darum ist die Bibel »das Buch der Menschheit«, der Schlüssel zum Weltgeschehen. Von der Stellung zu ihr hängt somit alles Verständnis des menschheitlichen Gesamtwerdegangs ab.
Dieses sein Buch hat Gott wunderbar geordnet.

«Die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist« (2. Petr. 1,21).

«Alle Schrift ist von Gott eingegeben« (2. Tim. 3, 16).

«Heilige sie in deiner Wahrheit. Dein Wort ist die Wahrheit« (Joh. 17, 17).

»Wort Gottes« und »Buch Gottes«
»Wort Gottes« und »Buch Gottes« sind ‑ was den Begriffs­umfang betrifft ‑ nicht ohne weiteres dasselbe. Vielmehr ragt der Ausdruck »Wort Gottes« über den Ausdruck »Buch Got­tes« hinaus. Er schließt ihn dabei aber zugleich in sich ein. Vom »Wort« Gottes haben wir in dreifachem Sinn zu reden.

1. Christus ist das personhafte »Wort«, der »Logos«, der von Ewigkeit her anfangslos und wesensgleich als Gott in Gott und bei Gott ist und der dann, bei und seit Erschaffung der Welt, das »Wort« ist, das Gott spricht, der Offenbarer des We­sens, der Gedanken und Taten Gottes, der Mittler der Welt­schöpfung, der Welterhaltung, der Welterlösung und der Herr des Weltgerichts.

2. Von Ihm zeugt das verkündete »Wort«, das »Wort Gottes« als allgemeine Botschaft, als Inbegriff der biblischen Heilswahr­heit, als Verkündigung schlechthin, als Gesamtheit alles des­sen, was Gott spricht. In diesem Sinne soll alle mündliche Ver­kündigung der Zeugen Jesu nicht Menschenwort, sondern »Got­teswort« sein (1. Thess. 2, 13) , sowohl das Evangeliumszeug­nis als auch der Dienst am Wort in der Gemeinde (1. Petr. 4, 11) . Dies ist der Sinn fast aller Stellen des Neuen Testaments, in denen der Ausdruck »Wort Gottes« gebraucht wird.

3. Aus diesem verkündeten Wort ist dann, unter der Leitung und im Namen des personhaften Wortes, durch die Inspiration des Heiligen Geistes das schriftliche »Wort Gottes«, das Buch Gottes, die Bibel, hervorgegangen. Aber obwohl dies ‑ seinem Begriffsumfang nach ‑ also einen engeren Kreis umschließt, hat es doch, seit dem Aufhören der unmittelbaren, prophetisch-­apostolischen Offenbarung geradezu einzigartige, denkbar al­lerhöchste Bedeutung. Von nun an ist alle mündliche »Gotteswort«‑Verkündigung schlechthin Ausschöpfung, Auslegung und Anwendung des schriftlichen Gotteswortes, und das schriftliche ist richtung‑ und maßgebend (normativ und korrektiv) für jede rechte Verkündigung des mündlichen Gotteswortes. Darum ist das urkundliche, biblische Schriftwort vollgültige, gottgegebene, unausweichliche Autorität.

Sieben Hauptgründe veranlassen uns zu dieser Glaubens­haltung. Hierbei können wir ‑ im beschränkten Raum unserer Darlegungen ‑ nur das Grundsätzliche nennen. Einzelheiten würden den Rahmen unserer Arbeit sprengen. Nicht Darstellung einer Lehre von der biblischen Inspiration, nicht wissen­schaftliche Einzelbegründung oder Glaubensverteidigung ist hier unser Ziel, sondern persönliches Glaubenszeugnis.

1. Wir glauben an eine notwendige, volle Inspiration um der absoluten Unzulänglichkeit des gefallenen Menschen willen.

Denn wie sollten wir sonst überhaupt in der Lage sein, eine gottgegebene Schau zu gewinnen? Wenn die Bibel eine Mischung von Wahrheit und Irrtum wäre, würden wir selbst ja erst die Entscheidung zu treffen haben, was in ihr als von Gott gekommen anzuerkennen sei und was wir, als von Menschen irrtümlich beigemischt, zu verneinen hätten. Wie aber will Menschengeist unterscheiden können, was göttlich und was menschlich ist, wenn er nicht einen ihm von Gott selbst gegebenen, eindeutigen Maßstab hat? Wie könnte unser Geist sich erküh­nen, Gottes Buch zu analysieren oder gar zu sezieren und ‑ meist nach stark subjektiven »Eindrücken« und Empfindungen oder auf Grund unzulänglicher Geschichtskenntnisse ‑ dar­über zu Gericht zu sitzen, welches Bibelwort Glaube und wel­ches Nichtglaube verdient? Wir, die Gefallenen! Wir, die nicht nur sittlich, sondern auch geistig und erkenntnismäßig durch die Sünde in Verfinsterung und Nebel hineingestoßen sind!
»In ihrem Denken verfinstert, dem Leben Gottes entfremdet in­folge der Unwissenheit, die in ihnen . . . wohnt« (Eph. 4, 18) .
»Ein natürlicher Mensch nimmt nicht an, was vom Geiste Got­tes kommt; . . . er ist nicht imstande, es zu verstehen« (1. Kor. 2, 14).

Die notwendige Folge eines solchen Zustandes ist, daß nun alle göttlichen Dinge durch Offenbarung von oben her kund­getan werden müssen, daß eine objektive Erkenntnisgrundlage vom Himmel her gegeben werden muß.

Darum liegt hier auch zugleich der entscheidende Ausgangs­punkt für die Lehre von der biblischen Inspiration. Das, was der gefallene Mensch über Gott denkt, ist unzuverlässig und meist irrig, ist »Religion«.
Was er erkennen muß, ist, was der Höchste über ihn denkt und was er über sich selbst und seinen Heilsweg bezeugt.
Diese objektive Heilswirklichkeit ist, ihrem Wesen nach, nicht ein Buch, sondern eine Person. Es ist der gekreuzigte, auf­erstandene und zur Rechten Gottes erhöhte Christus, mit dem uns der Heilige Geist organisch verbindet. Christus ist die le­bendige »Wahrheit«, das personhafte »Licht«, der Quell aller Erkenntnis und als Lichtspender zugleich auch der Retter, der aus der Finsternis befreit und uns zu Lichteskindern macht.

Von ihm zeugte die erste Generation. Augen‑ und Ohren­zeugen der heiligen Geschichte Jesu (2.Petr.1,16), Geistoffenbarungen in den Versammlungen der ersten Christen (Apg.11,27), genaue Berichterstat­tung der heilsgeschichtlichen Ereignisse durch gläubige Men­schen, die dabei gewesen waren oder ihre Kenntnisse aus aller­erster Quelle erhalten hatten: Durch dies alles hatte die erste Generation ‑ obwohl sie, was das heilige Buch betrifft, nur erst das Alte Testament, nicht aber schon das Neue Testament in seiner jetzigen Vollständigkeit besaß ‑ dennoch eine klare Kenntnis dieser objektiven Heils‑ und Erkenntnisgrundlage.

Dann aber traten, mit der Abberufung der ersten Generation, diese direkten Botschaften und Bezeugungen immer mehr zurück. Darum mußte ‑ gleichsam als Fortsetzung dieses aposto­lischen Zeugnisses, den kommenden Geschlechtern die Substanz dieser objektiven, voll zuverlässigen, geschichts‑ und lehrmäßi­gen Erkenntnisgrundlage erhalten bleiben. Nur so konnten die kommenden Generationen vor allmählichen Verdunkelungen bewahrt und im Erkennen, Glauben und Leben klar, frisch und gesund erhalten werden.

Darum fügte Gott zu dem schon vorhandenen Alten Testa­ment ‑ und zwar schon in der apostolischen Zeit selbst ‑ das Neue Testament hinzu. Fortan ist diese ganze Heilige Schrift die uns von oben gegebene, voll zuverlässige, prophetisch‑apo­stolische Botschaft von der Heilswirklichkeit Gottes in Christus Jesus.

Ausschlaggebend für die kanonische Gültigkeit einer solchen, zum Alten Testament neu hinzutretenden Schrift war nicht letztlich die unmittelbare oder mittelbare apostolische Verfas­serschrift. Denn es hat apostolische Briefe gegeben, die wir heute nicht mehr besitzen, die also im Neuen Testament keine Aufnahme gefunden haben (1. Kor. 5, 9; 2. Kor. 2, 4; Kol. 4, 16).
Vielmehr war die Tatsache entscheidend, daß solche Schrif­ten von den Aposteln und ihren Bevollmächtigten und engeren Mitarbeitern den urchristlichen Gemeinden mit apostolischer Autorität als glaubensverbindlich übergeben worden waren. Wie Paulus schreibt:
»Wenn jemand unserm Wort durch den Brief nicht gehorcht, den bezeichnet und habt keinen Umgang mit ihm« (2. Thess. 2, 14) .
Wie die alttestamentlichen, sind nun auch die neutestamentlichen Schriften ein Gnadengeschenk des Herrn an seine Gemeinde, und als solches erleuchtend und verpflichtend, beschenkend und heilig fordernd, bestimmend und bindend.

So ist die Bibel das Buch der Wahrheit, lebenbezeugend und lebenvermittelnd, vom Heiligen Geist geschenkt und vom Heiligen Geist begleitet.
Ohne sie wäre die Gemeinde Jesu hoff­nungslos allmählicher Verwirrung und Verflachung anheim­gegeben. Statt Licht und Glauben käme religiöses Zwielicht, statt Nüchternheit Schwarmgeist, statt Klarheit nebelhafte Verhüllung, und immer mehr würde die Stimme des Unterbewusstseins, das dann noch dazu oft missverstandene »innere Licht«, mit Gottes Zuspruch verwechselt werden, und die objektive Gottesbezeugung würde sich im Lauf der Jahrhunderte allmäh­lich subjektiv verflüchtigen.

Nein, genauso wie wir in bezug auf unser sittliches Vermö­gen die Gnade benötigen, so brauchen wir im Hinblick auf un­ser Erkenntnisvermögen ‑ besonders seit dem Verstummen der unmittelbaren, prophetisch‑apostolischen Gottesbezeugung ‑ eine absolut zuverlässige Offenbarungsurkunde, eine volle, biblische Inspiration!

Ohne den Glauben an eine volle Inspiration öffnen wir der Willkür des Subjektivismus Tür und Tor. Der Rationalismus steigt auf den Thron, und letzten Endes steht unser unvollkom­mener, durch den Sündenfall verdunkelter Menschenverstand als der Richter über Gottes Buch und Gottes Wort da. Das aber sei ferne!
Der auf der Anklagebank sitzende Sünder kann nim­mermehr die Fähigkeit und das Recht haben, selber auf dem Richterstuhl Platz zu nehmen, um zu entscheiden, was Gott ge­sagt haben könnte und was nicht. Dies bezieht sich auf den Gesamtorganismus der göttlichen Offenbarung und Heilsur­kunde bis hinein in ihre kleinsten Bestandteile.

Dies alles gilt zunächst und in erster Linie im Hinblick auf die Heilslehre der Schrift. Da aber die Offenbarung zugleich Heilsgeschichte ist, kann ihr lehrhafter Inhalt von dem ge­schichtlichen Element einfach nicht losgelöst werden. Manche Lehren der Schrift hängen schlechthin davon ab, ob der biblische Geschichtsbericht überhaupt richtig ist, daß Jesus z. B. diesen oder jenen Ausspruch getan hat, also diese oder jene Lehre überhaupt verkündigt hat. Mit einer Unsicherheit geschicht­licher Berichte würde sich zugleich auch eine Unsicherheit ge­wisser Heilslehren verbinden.
Zweifellos ist die Bibel kein Lehrbuch der Geschichte ‑ wie sie ebensowenig ein Lehrbuch der Naturwissenschaft ist ‑; aber bei der unzerreißbaren Verkettung von Lehre und Ge­schichtsbericht muß ebenso stark betont werden, daß auch die biblischen Geschichtsmitteilungen zuverlässig sein müssen.

2. Wir glauben an eine folgerichtige, volle Inspiration um der inneren Beziehung zwischen Wort und Gedanke willen.

In jeder klaren Aussage gehört zum unmissverständlichen Aus­druck des Gedankens eine sorgfältige Wahl der entsprechenden Worte. Wohl sind die Worte der menschlichen Sprache zu­nächst nur lautliche Symbole und Zeichen für gemeinte Gedan­ken; denn der Mensch denkt nicht in Worten, sondern in Vor­stellungen. Dies widerlegt aber nicht die Tatsache, daß alles Geistige, wenn es zu klarer Entfaltung gelangen soll, sich im Wort offenbart. Ein Gedanke wird erst dann recht eigentlich zum oberbewußten Gedanken, wenn aus dem Unterbewußt­sein des Empfindens und dem unbestimmten Eindruck des Wol­lens und Fühlens das Wort herausgeboren wird. Wie eben erst durch die Geburt das keimende Leben zum Menschen oder Tier wird, so wird auch erst durch das Wort die geistige Mög­lichkeit und die geistige Urempfindung zur klar geistigen Voll-­Wirklichkeit. Das Wort ist gleichsam der »Leib« des Gedan­kens, die Sichtbarkeit und Form des Geistes. Wankt darum das Wort, so wankt auch der Sinn, und alles wird in Nebel verflüchtigt. Die Parole »Geist ohne Wort« ist darum ein »Wort ohne Geist« !

Das aber bedeutet im Hinblick auf die biblische Inspiration: Sind die Gedanken inspiriert, dann müssen es auch die Worte sein. Ohne Inspiration der biblischen Worte wären auch die biblischen Gedanken ohne feste Gestalt. Eine gewisse Abände­rung (Variierung) der Worte schließt in einer großen Anzahl von Fällen auch eine mehr oder weniger starke Abwandlung der Gedanken oder Gefühlswerte in sich ein.
Unklar und unbefriedigend ist darum der Satz, die biblische Inspiration sei wohl eine Inspiration des Wortes, nicht aber auch der Wörter gewesen, das heißt, eine Inspiration der Heilsbotschaft allgemein, nicht aber zugleich auch all ihrer sprachlichen Einzelausdrucksformen, geschichtlichen und son­stigen Einzelangaben.

Tatsache ist, daß gerade die Feinheiten und Nuancen der biblischen Ausdrucksformen ‑ also gerade der »Wörter« ‑ oft ganz besondere Schönheiten des biblischen »Wortes« ausmachen. Mit Recht sagt Johann Albrecht Bengel:
»Den Propheten wurden alle Worte genau vorgeschrieben, die sie reden und schreiben sollten … Gott hat ihnen mit den Ideen zugleich auch die Worte gegeben«.
 »Wir kämpfen«, er­klärt Spurgeon, der König unter den Predigern, »um jedes Wort der Bibel . . . Wenn uns die Wörter genommen werde so geht uns damit der klare Sinn ganz von selbst verloren«.  – »Die Bibel ist der Himmel in Worten« (Monod).

Unzureichend wäre auch die Überzeugung von einer bloß Personal ‑ Inspiration. Es geht um die heiligen Texte selbst. Denn Paulus erklärt ausdrücklich ‑ und er spricht in dieser seiner Feststellung nicht von den Schreibern der heiligen Schriften, sondern von den heiligen Schriften selbst ‑, daß sie inspiriert und gotteingegeben seien. Er sagt nicht: »Jeder Prophet ist von Gott inspiriert«, sondern: »Alle Schrift ist von Gott eingegeben« (2. Tim. 3, 16).

Daß auch die Schreiber bei der Abfassung ihrer Schriften unter der Leitung und Inspiration des Heiligen Geistes gestand haben, ist damit nicht verneint, ja ist geradezu Voraussetzung hierfür. Wie Petrus bezeugt: 
»Noch nie ist eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist« (2. Petr. 1, 21).
Die Tatsache, daß die neutestamentlichen Schreiber bei Anführungen aus dem Alten Testament den hebräischen Text nicht immer wörtlich wiedergeben, ist durchaus nicht als Ungenauigkeit oder gar als Widerlegung des Inspirationscharakters der Heiligen Schrift zu bewerten. Denn der eigentliche und einheitliche Verfasser der ganzen Bibel ist der Heilige Geist. Ein Verfasser hat aber das Recht, seine eigenen Äußerungen auch in freier Weise zu wiederholen, ohne sich genau an einen bestimmten Wortlaut binden zu müssen. Auch hat er ein Recht eine Aussage zu machen, die sich zwar eng an den Inhalt einer seiner früheren Aussprüche anschließt, aber ‑ der besonderen neuen Lage angepaßt ‑ leichte Variationen enthält. Christus und der Heilige Geist aber haben die Worte, die sie aus dem Alten Testament anführten, ihrem eigenen Buche entnommen.

Man mißverstehe uns nicht. Wir reden nicht einer starr mechanischen Diktatinspiration das Wort! Eine solche wäre der göttlichen Offenbarung durchaus unwürdig. Eine mechanische Inspiration (»automatisches Diktat«) gibt es auf dem Boden des Okkulten, Spiritistischen, also Dämonischen. Dort wirkt der böse, inspirierende Geist unter Beiseitesetzung (»Substitution«) und Ausschaltung der menschlichen Individualität.
Die göttliche Offenbarung aber hat mit solcher Herabsetzung des menschlichen Eigen‑Ichs nichts zu tun. Sie will nicht Aufhebung der sonstigen Gesetze des menschlichen Bewußtseins, nicht Ver­wandlung von Menschen in Automaten, nicht Ausschaltung, sondern eher Steigerung der menschlichen Vorstellungswelt.
Gottes Offenbarung will Gemeinschaft des menschlichen Geistes mit dem göttlichen Geist. Sie will Heiligung, Verklärung und In‑Dienst‑Stellung der Persönlich­keit. Sie will nicht passive »Medien«, sondern aktive »Men­schen« Gottes (2. Petr. 1,21), nicht tote Werkzeuge, sondern lebendig geheiligte Mitarbeiter Gottes, nicht »Sklaven«, son­dern »Freunde« (Joh. 15, 15).

Darum ist ihre Inspiration nicht mechanisch, sondern orga­nisch, nicht magisch, sondern göttlich‑natürlich, nicht totes Dik­tat, sondern lebendiges Geisteswort. Nur so kann Gotteswort Menschenwort und Menschenwort Gotteswort sein. Nur so konnte Gotteswort als Menschenwort ‑ im Gewande der menschlichen (hebräischen, aramäischen und griechischen) Sprache ‑ an uns herantreten. In einer geheimnisvollen, uner­klärbaren Weise ‑ wie sie überhaupt dem Mysterium der Gottmenschheit des gesamten Reiches Gottes entspricht ‑ wer­den in der Heiligen Schrift die Verschiedenheiten der Schreiber nach Charakterveranlagung, Schreibweise, geistiger Arbeit, ja auch die Verschiedenheit ihrer zeitgenössischen Kultur­umgebung und persönlichen Lebensgeschichte von dem inspi­rierenden Gottesgeist überwaltet und dabei voll gewahrt.

Man vergleiche nur den Donner‑ bzw. Kraftstil eines Amos und Jesaja und den Klageton des melancholischen Jeremia!
Wie unterschiedlich sind Gedankenaufbau und Schreibweise eines Paulus oder Johannes!
Was die zeitgenössische Kulturumgebung betrifft, so ist das Alte Testament, besonders die alttestamentlichen Gottesdienst­bestimmungen, geradezu voll von Beziehungen und Parallelen zu den religiösen und kulturellen Verhältnissen des Alten Ori­ents, während das Neue Testament ‑ abgesehen von den Evan­gelien ‑ kulturgeschichtlich betrachtet dann ein durchaus »hel­lenistisches« Buch ist mit Hunderten von Parallelen und Bezug­nahmen auf die Denkart der griechisch ‑ römischen Mittelmeer­welt. Besonders Paulus, der Großstadtmissionar, hat eine aus­gesprochen hellenistische Großstadtbildersprache. Vgl. seine zahlreichen Bilder und Bezugnahmen auf das griechisch‑römi­sche Militär‑, Sport‑, Amphitheater‑ und Rechtsleben.

Die persönliche Lebensgeschichte der Schreiber spiegelt sich wider z. B. in der ländlichen Bildersprache des Hirten Amos (Amos 7, 14; vgl. 2,13; 3, 4‑6), den Völkerprophetien des Mi­nisters Daniel, den Schilderungen des zukünftigen Priesterdien­stes durch den Priester Hesekiel (Hes. 1, 3; vgl. Kap. 40‑48) , der Aufforderung zum Tempelbau ebenfalls durch einen Prie­ster (Sacharia).
Es gibt also in der Tat ganz unverkennbar einen »mensch­lichen Faktor« in der Bibel. Nur muß hierbei dem Glauben be­wußt sein, daß dieser »menschliche« Faktor nicht in einer ori­ginaltextlichen Fehlerhaftigkeit, d. h. in einer Beimischung von persönlichen oder zeitgenössischen, geschichtlichen oder natur­wissenschaftlichen Irrtümern in den heiligen Text, besteht, son­dern eben in diesem Verwobensein des Göttlichen mit der ir­dischen Geschichte.

Daß die heiligen Schreiber dabei selber nicht fehlerfrei wa­ren und als Kinder ihrer Zeit auch an zahlreichen, namentlich naturwissenschaftlichen Irrtümern ihrer Zeitgenossen teilnah­men, ist selbstverständlich. Die Heilige Schrift lehrt ja auch nirgends eine absolut sittliche Vollkommenheit oder wissen­schaftliche Irrtumslosigkeit ihrer Schreiber als Personen (vgl. z. B. Petrus in Gal. 2, 11 ff.). Das Entscheidende ist, daß die persönlichen Irrtümer der Werkzeuge der Inspiration nicht in den heiligen Text selbst eingedrungen sind.
Mit Recht ist gesagt worden, daß sich die Heilige Schrift in astronomischer, geologischer und überhaupt in naturwissen­schaftlicher Hinsicht volkstümlicher Ausdrucksweise bedient (wie dies ja übrigens unsere modernen Gelehrten im Alltags­verkehr auch heute noch meist ebenso tun).

Aber genauso ist zu sagen, daß die Inspiration des Geistes die biblischen Schrei­ber davor bewahrt hat, etwas für wirklich geschichtlich oder naturwissenschaftlich richtig zu erklären, was tatsächlich falsch ist. »Mose war in aller Weisheit Ägyptens unterrichtet.
 Was be­wahrte ihn davor, daß er in die fünf Bücher Mose nicht die alt­ägyptische Chronologie aufnahm, welche später Manetho schriftlich festlegte und die 30.000 Jahre vor Christi Geburt be­gann?
 Was veranlaßte den Daniel, der in chaldäischer Wissen­schaft bewandert war, den ungeheuerlichen chaldäischen Fabeln von der Entstehung der Welt sein Ohr zu verschließen?


Paulus kannte die beste Wissenschaft seiner Zeit. Warum fin­den wir in seinen Reden und Briefen nichts, was an Augustins zornige Verwerfung der Lehre von den Antipoden oder an die Meinung des Ambrosius erinnert, daß die Sonne Wasser an sich zieht, damit sie sich bei ihrer außerordentlichen Hitze kühle und erfrische?«
Das ist eben das Geheimnis der biblischen Inspiration, daß sie ihre menschlichen Werkzeuge durchaus aktiv sein läßt, dabei aber dennoch jeden Gedanken und jedes Wort überwacht und bewahrt, so daß das Ergebnis im Originaltext ein irrtumsfreies, vom Geist voll durchdrungenes, absolut zuverlässiges Gotteswort ist.
»Der Gott«, sagt Dr. Saphir, »ohne den kein Sperling vom Dach fällt und dessen Weisheit auch das kleinste seiner Werke verkündigt, vermochte sicherlich auch über dem Schriftausdruck zu wachen, und die Wunder seines Wortes mikroskopisch zu untersuchen, ist weniger Zeichen eines kleinlichen als vielmehr eines denkenden Geistes.«

In diesem allen müssen wir klar unterscheiden zwischen Offenbarung, Erleuchtung und Inspiration.

»Offenbarung« ist die Enthüllung göttlicher Geheimnisse, zu deren Verständnis die »Erleuchtung« führt. »Geoffenbart« brauchte den heiligen Schreibern nicht zu werden, was sie selbst mit Augen und Ohren miterlebt hatten oder was sie durch Erkundigung in Erfahrung bringen konnten (Luk. 1, 1‑3) . Hier benutzt später der Geist Gottes ihr Wissen und reinigt es von allem Irrtum.

»Biblische Inspiration« ist dann hinterher (!) diejenige Tätigkeit des Heiligen Geistes, durch die er den aktiven (!) menschlichen Geist des biblischen Schreibers geheimnisvoll erfüllt, lenkt und überwaltet, so daß eine untrügliche, geistdurchwirkte Niederschrift entsteht, eine heilige Urkunde, ein Buch Gottes, mit dem sich der Geist Gottes auch weiterhin organisch verbindet.
Selbstverständlich beziehen sich diese Darlegungen auf die biblischen Originaltexte. Die Zahl der voneinander abweichenden Lesarten in der späteren Textüberlieferung ist zwar nicht gering. Dennoch braucht niemand zu erschrecken.
Besonders die Genauigkeit der jüdischen »Massoreten« (Abschreiber, von hebr. massora = Überlieferung) beweist, daß das heilige Buch der Juden das am allersorgfältigsten überlieferte Schrifttum des ganzen Altertums ist. So stellten jene Abschreiber zur Wahrung des richtigen (Konsonanten‑) Textes unter anderem folgende Regeln auf: Man zählte genau, wie oft ein und dasselbe Wort im ganzen Alten Testament oder in Teilen desselben vorkommt. Man notierte, wie ähnlich lautende Stellen voneinander abweichen. Man zählte, wie oft ein und dasselbe Wort in Versanfang, Versmitte und Versende vorkommt. Man stellte den mittelsten Buchstaben der Thora (des Gesetzes) fest, ja, man gab am Ende des Alten Testaments geradezu an, wie oft jeder Buchstabe im ganzen vorkomme.
Die hohe Qualität des von den jüdischen Abschreibern überlieferten (»massoretischen«) Textes hat auch neuerdings der Vergleich mit der 1947 in einer Höhle am Toten Meer gefundenen Jesaja‑Handschrift bestätigt. Diese stammt aus dem zweiten oder ersten vorchristlichen Jahrhundert. Sie ist also ungefähr 1000 Jahre älter als die ältesten, uns bisher bekannten alttestamentlichen Manuskripte. Letztere stammen aus der Zeit um 900 und 1000 nach Christi Geburt. Die Arbeit der Massoreten selbst geschah seit ungefähr 600 nach Chr., besonders von Tiberias aus. Hierbei waren sie Erben älterer Texte.
Dr. Hort erklärt in seiner auf dem Gebiet der neutestamentlichen Textforschung epochemachenden »Einleitung zum griechischen Neuen Testament«:
»Was man in irgendeinem Sinn wirklich inhaltliche Lesart‑Verschiedenheit nennen könnte, ist ein so kleiner Bruchteil, daß er kaum mehr als ein Tausendstel des Gesamttextes ausmacht.«
In diesem Sinne spricht Bischof Dr. Westcott, Horts Mitarbeiter, von dem «Bewußtsein der Ruhe und des Vertrauens, das mit zunehmender Erkenntnis immer fester wird«, eben in dem Maße, wie ihre Forscherarbeit »immer tiefer und tiefer grub, um die Schätze zu gewinnen, die in den Worten, Rede‑ und Schriftteilen und Sätzen verborgen sind.«
So sagt auch Sir Frederic G. Kenyon, eine der höchsten Autoritäten auf dem Gebiet der neutestamentlichen Textforschung:
»Sowohl die Glaubwürdigkeit als auch die Echtheit der Bücher des neuen Testaments können als erwiesen angesehen werden… Der Christ kann die ganze Bibel in die Hand nehmen und ohne Furcht und Zögern erklären, daß er damit das wahre Wort Gottes in Händen hat, so wie es uns ohne wesenhaften Verlust von Generation zu Generation durch die Jahrhunderte hindurch übergeben worden ist.«

Trotzdem ist wahr: Gott hat ein gewisses Eindringen von Abschreibefehlern in den heiligen Text nun einmal doch zugelassen. Dies beweist die Geschichte der alt‑ und neutestamentlichen Textgestalt unwiderleglich. Wir weisen nur auf den kleinen, textkritischen Apparat in den Fußnoten der Elberfelder Bibel hin, wie ebenfalls auf die Einleitung in die 7. und 8. Ausgabe dieser selben Übersetzung. Ebenso verweisen wir auf den Nachtrag zum Alten Testament in der Miniatur‑Bibel, wo desgleichen eine Anzahl verschiedenartiger Lesarten mitgeteilt wird. Vor allem natürlich ist hier der textkritische Apparat des griechischen Nestle‑Testaments zu nennen, wie überhaupt die entsprechenden Hinweise aller wissenschaftlichen Kommentare und Textausgaben des Neuen Testaments in der Ursprache. Aus diesem allen heraus ist ein weitverbreiteter Einwand gegen den Glauben an die volle Inspiration gefolgert worden.
Man hat gesagt: Ist demnach die ganze Frage nach einer vollen Inspiration nicht von vornherein eine mehr oder weniger unfruchtbare, eine mehr historische, nicht aber eigentlich praktische, mehr eine Frage der Vergangenheit als der Gegenwart?
Die biblischen Originaltexte liegen heute doch nun einmal nicht mehr vor! Auch wird niemand, dessen Urteil hier in irgendeiner Weise ernst zu nehmen ist, zu behaupten wagen, die von ihm benutzte Übersetzung, so sorgfältig und ausgezeichnet sie auch sein mag ‑ ganz gleich in welcher Sprache ‑, sei bis in alle Texteinzelheiten hinein fehlerfrei, absolut vollkommen und restlos klar. Ja, nicht einmal von den allerbesten, uns heute noch vorliegenden hebräischen und griechischen, also ursprachlichen Texten kann dies ohne Einschränkung ausgesagt werden. Nur offensichtliche Unkenntnis der textgeschichtlichen Tatbestände könnte etwas anderes behaupten.



Liegt darum nicht, so fragt man, in Anbetracht alles dessen, eigentlich gar kein Unterschied vor, ob wir nun an eine volle Inspiration der Originaltexte glauben oder nicht, vorausgesetzt nur, daß wir überhaupt die Heilige Schrift grundsätzlich als Gotteswort anerkennen, auch wenn sie, unter Umständen, schon von vornherein verbunden gewesen wäre mit mancher menschlichen Unvollkommenheit und »Knechtsgestalt«? Den eigentlichen Originaltext hat heute ja schließlich doch keiner!

Unsere Antwort lautet: Wir unterschätzen durchaus nicht das Gewicht dieses Einwandes. Ein mathematischer Gegenbeweis ist nicht möglich, aber auch gar nicht erforderlich. Wir befinden uns eben ‑ wie in unserer Beziehung zum »lebendigen« Wort »Christus«, so auch hier in unserer Beziehung zum geschriebenen Wort der Bibel ‑ durchaus auf persönlichem Glaubensboden. Dennoch stehen diesem Einwand ganz bestimmte, klare Glaubenspostulate gegenüber. Wir verweisen nur auf die sieben Hauptgesichtspunkte dieser unserer Darlegungen über den Inspirationscharakter der Bibel als des Buches der Heilsgeschichte.
Wir müssen aber trotzdem mit Nachdruck hervorheben: Der Unterschied ist gewaltig!

Es ist doch etwas durchaus anderes, wenn jemand erklärt: Gott hat uns in der Entstehung der Heiligen Schrift eine ursprünglich fehlerfreie, voll inspirierte Heilsurkunde gegeben, die nun ‑ in Verbindung mit Christus, dem lebendigen Wort, und dem beständigen Wirken des Heiligen Geistes ‑ für unser Glaubensleben Felsenfundament ist, und der wir durch sorgfältigste Textforschung, wissenschaftliche, geistgemäße Übersetzungsarbeit und christusgebundene Schriftauslegung so nahe wie nur möglich zu kommen bestrebt sein sollen.
Oder ob jemand erklärt: Ein solches, voll inspiriertes Gottesbuch hat Gott niemals gegeben, und darum kann auch gewissenhafteste Textforschung und geisterfüllte, denkbar beste Übersetzung und Auslegung niemals zu einer solchen letzten, restlos verbindlichen, fundamentalen Gottesurkunde durchstoßen, und zwar einfach deshalb nicht, weil ein solches Gottesbuch als Felsenfundament in dieser Form niemals existiert hat.

Der Unterschied ist also von höchster Bedeutung, und zwar gerade auch in bezug auf unsere heutige Stellung zur Bibel! Darum wird gerade der, welcher an die volle Inspiration der Originaldokumente glaubt, die wissenschaftliche Arbeit an der Textgeschichte und der Textforschung doppelt bejahen. Ja, je mehr wir die biblische Sachkritik verneinen, desto mehr werden wir die biblische Textkritik (Textforschung) bejahen. Wir möchten doch eben, gerade aus einer solchen Glaubenshaltung heraus, möglichst genau wissen, was Gott in Seinem vollkommenen, geschriebenen Wort nun einmal gesagt hat.

3. Wir glauben an eine gotteswürdige, volle Inspiration um der Genauigkeit der göttlichen Naturoffenbarung willen, die auch das Winzigste in der Schöpfung sorgfältig ordnet.

Die Natur ist von ihren größten Vertretern in der Sternenwelt an bis hin zu den winzigsten Tierchen und Pflänzlein, ja bis zu den Molekülen, Atomen und Elektronen des Stoffs unfaßbar genau nach gewaltigen, feinen und allerfeinsten Gesetzen aufgebaut.
Sollte da der Höchste, wenn er schon die niedere Form seiner Selbstbekundung, die Naturoffenbarung, so wunderbar geordnet hat, etwa weniger Sorgfalt auf seine unendlich viel höhere und edlere Offenbarung, sein Zeugnis im geschriebenen Wort, verwandt haben?

Jeder Schmetterlingsflügel mit seinen hunderttausend Häutchen, jedes Fliegenauge mit seinen 6000 bis 7000 Linsen, jeder Spinnfaden mit seinen 300 Einzelfäden können uns dafür ein Zeugnis sein. Und die 306 Panzerplatten eines Käfers, die 8000 Paar Muskeln einer Seidenraupe, die 700 Schwingungen des Flügelschlages einer Schnake je Sekunde, die Samen sämtlicher 300 000  Pilzarten, die so winzig sind, daß sie alle ‑ von jeder Art einer ‑ in weniger als einem einzigen Fingerhut Platz hätten: Sind sie nicht alle ein geradezu unwiderleglicher Beweis dafür, nicht nur daß es Gottes nicht etwa unwürdig ist, sondern im Gegenteil, wie es gerade seine Größe offenbart, wenn er, der Allergrößte, auch das Allerkleinste durchwaltet?

Oder wir denken an den Wunderbau des Bienenkörpers. 31 000 Sinneshärchen sitzen an den Fühlern der Drohnen. Ganz genau sechseckig sind die 5000 Facetten (Linsen), aus denen jedes einzelne Bienenauge zusammengesetzt ist, und mit ihrem Flügelschlag von 440 Schwingungen erreichen sie eine Stundengeschwindigkeit von 65 Kilometern, eine Geschwindigkeit also, die fast der Durchschnittsgeschwindigkeit eines modernen Zuges entspricht!
Ganz zu schweigen von der Wunderkraft jenes Zehntausendstel Gramms Materie, das wir Ameisengehirn nennen, oder von den völlig unbegreifbaren Atomplanetensystemen in den Grundbestandteilen der Materie und all den anderen Millionen und aber Millionen von Wundern in der Mikrowelt des Allerkleinsten…
Wenn nach den Worten Jesu selbst die Haare auf unserem Haupte gezählt sind (Matth. 10, 30) , wird Gott etwa da die Einzelbestandteile seines Wortes weniger beachten, durch das er doch Millionen unsterblicher Menschenseelen zur Errettung führen will und zur Seligkeit und Herrlichkeit in allen Äonen der Ewigkeit?
Und welch ein Wunderbau ist doch in der Tat sein Wort und sein Buch!


4. Wir glauben an eine harmonische, volle Inspiration um des Zusammenklangs aller Einzelbestandteile des biblischen Gesamtzeugnisses willen.

In drei verschiedenen Sprachen ist das Gottesbuch geschrieben (Hebräisch, Aramäisch, Griechisch). Das Neue Testament ist von neun, das Alte von mindestens dreißig verschiedenen Schreibern verfaßt. Verschieden waren die Bildungsgrade, Klassen, Lebensalter und Berufsstände dieser Männer ‑ Propheten, Könige, Hofbeamte, Minister, Hirten, Zöllner, Priester, Fischer, Theologen, Richter.

Verschieden waren die Plätze und Ursprungsländer ‑ in Babylon und Ephesus; im Geräusch des Häusermeeres des heidnischen Doppelhafens Korinth (Römer-Brief), in der stillen Sternennacht unter freiem Himmel im Heiligen Lande (Ps. 8) ; in Rom, der Zentrale des Weltreiches, in Jerusalem, dem Mittelpunkt des auserwählten Gottesvolkes; in den wilden, zackigen Bergeinöden, die Davids Zufluchtsstätte waren, wie in den kunstgeschmückten Städten der Griechen, in denen Paulus predigte; in der fruchtleeren, sandtrockenen Wüste des Sinai, wie in dem Land, das von Milch und Honig fließt.
Und obwohl es schließlich von Moses Zeiten an bis zu Johannes, dem Seher von Patmos, über anderthalb Jahrtau­sende gewesen sind, in deren Verlauf Gott an der Fertigstellung dieses edelsten aller Bücher arbeiten ließ, obwohl also eine Mannigfaltigkeit die andere geradezu drängt, so ist dennoch eine Harmonie, die selbst unter dem kritischsten Seziermesser des Unglaubens sich immer wieder neu zu behaupten weiß.

Als Gegenbeweis hat man auf die vermeintlichen, zahlrei­chen »Widersprüche« in der Bibel hingewiesen, besonders in den Evangelienberichten, z. B. bei den Wundern Jesu und in der Auferstehungsgeschichte. Aber wie oft ist doch schon in ge­radezu überraschendster Form nachgewiesen worden, daß sol­che »Widersprüche« sich bei genauer Kenntnis der Zeitlage, der Einzelumstände und auch der sprachlichen Ausdrucksweise des biblischen Berichterstatters ohne Künsteleien harmonisch auflösen!
Darum hat der Glaube durchaus fest erprobten, viel­fach unter Beweis gestellten, sicheren Grund zu froher Zuver­sichtlichkeit, daß auch da, wo wir heute vielleicht noch nicht restlos die volle Erklärung haben, sie dennoch schon jetzt ir­gendwie besteht: Entweder hat ein anderer sie anderswo schon heute, oder aber sie wird in kürzerer oder längerer Zeit von an­deren oder möglicherweise auch von uns selbst noch gefunden werden. In jedem Fall wird sie in der Vollendung von uns allen klar geschaut werden.
Wenn wir glauben, Widersprüche zu erkennen, so ist es dar­um durchaus nicht unsere Aufgabe, sie alle erst miteinander auszugleichen, bevor wir dem Wort der Schrift glauben kön­nen. Wenn wir sie gar nur durch erzwungene oder künstliche Exegese zu harmonisieren vermögen, ist es besser, sie einfach unerklärt und unausgeglichen zu belassen.
Andererseits dürfen wir aber auch nicht meinen, daß sie nun deshalb überhaupt nicht ausgleichbar seien, eben weil wir noch nicht imstande sind, sie zu harmonisieren. Unsere eigene, persönliche Fähig­keit in Schriftauslegung und geistlicher Einsicht ist noch lange nicht der Maßstab der Wahrheit. Was wir nicht können, mögen andere imstande sein zu tun. Und wenn wir alle zusammen es noch nicht können, dann wird sich die Wahrheit zu ihrer Zeit schon selbst offenbaren und rechtfertigen. In jedem Fall glau­ben wir, daß die Harmonie möglich und wirklich ist.
Wäre es wohl möglich, heute einen Kranken nach einem Me­dizinbuch zu heilen, das von 40 verschiedenen Ärzten zusam­mengestellt wäre, die in den Zeiten des Alten Orients und des klassischen Altertums gelebt haben, von Männern in Vorder­asien, von Fachärzten und »Laien«, von Akademikern und Handwerkern, wobei dann noch dazu Rezepte dargeboten würden, die während des Zeitlaufs von 1500 Jahren je und je angewandt worden sind, also von der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus bis zum Abschluß des ersten Jahrhunderts nach der Zeitenwende? Die Bibel aber ist gerade das Heilmittel für alle Welt, das Heilmittel für unsere Seele! Millionen und aber Millionen aller Zeiten und Länder haben ihre Heilkraft erfahren, und obwohl ihre ältesten Bestandteile schon über 3300 Jahre alt sind, ist ihre Heilkraft doch auch heute noch so stark und ihr Heilswort so wirksam und lebendig, als wenn das Ganze gerade soeben entstanden wäre.

Die gesamte Heilige Schrift treibt eine Lehre und zeigt einen Heilsweg für unser Inneres. Mögen auch die Offenbarungswege Gottes in den verschiedenen Heilszeiten recht mannigfaltig gewesen sein, so ist es doch ein gemeinsames Lebensprinzip, das das Ganze durchdringt. Damit aber beweist gerade diese Einheit des Vielgestaltigen seine göttliche Planung. 

5. Wir glauben an eine organisch sich entfaltende, volle Inspiration, um der   
     Geschichtseinheit der von der Bibel bezeugten Heilsoffenbarung willen.
Das ist das Wundersame an der Bibel: Sie ist, trotz ihrer erstaunlichen Mannigfaltigkeit, ein einheitlicher Organismus, ein lebensvolles, von einem Geist beseeltes, harmonisches System.

Da die Heilsoffenbarung Gottes ein zusammenhängender, geschichtlicher Werdegang ist, muß auch ihre Urkunde ein zusammenhängendes, geschichtlich planmäßiges Ganzes sein, ein wohlgeordnetes, prophetisch historisches System. Wie Gott in der Heilsentwicklung selbst, so bringt auch sein Buch die erlösende Wahrheit nicht in abstrakt begrifflicher, philosophischer Form, sondern in konkret faßlicher, lebendig natürlicher Anschauung und in stufenmäßig fortschreitender, geschichtlicher Entfaltung. Mit Recht haben darum in der evangelischen Kirche schon Männer wie Bengel, Oetinger, Beck und Blumhardt und vor ihnen, als ihre gemeinsame Wurzel, der deutsch-niederländische Bibelerklärer Johannes Coccejus in Leiden die Heilige Schrift als ein kunstreiches Gebäude aufgefaßt, zu dem der Grundriß schon vorher entworfen war, als ein auf Christus abzielendes Ganzes, ein System mit Gleichmaß und Zusammenklang, in das jedes einzelne als ein Teil des Ganzen organisch eingegliedert ist. »In weisester Anordnung, ohne jede Verwirrung, erstrahlt alles. Die Harmonie aller Teile macht die Durchsichtigkeit und Klarheit des Ganzen aus.«
Darum treiben alle Bücher eine Wahrheit und eine Lehre, weshalb sie sich auch gegenseitig auslegen, und Schriftwort erklärt sich durch Schriftwort. Das Thema vom Reiche Gottes und seinen planmäßigen Haushaltungen ist die leitende Melodie dieser gewaltigen göttlichen Gesamtsymphonie. Wir aber haben uns »schauend und lauschend niederzubeugen, um die Harmonie des Gegebenen zu erfassen«, und in dem Maße, wie dies in Demut, Glauben und Gehorsam geschieht, wird uns die göttliche Herrlichkeit der Bibel stets neu aufgehen und von Fall zu Fall, von Einzelheit zu Einzelheit, lebendig bestätigt werden, und die heilsgeschichtliche Einheit und die bis ins Kleinste gehende Großartigkeit der Heiligen Schrift wird uns ihren Inspirationscharakter stets neu beweisen.
Besonders tut dies ‑ abgesehen von vielen, kleinen und großen Einzelheiten in der Übereinstimmung von Weissagung und Erfüllung ‑ der innere Aufbau und die folgerichtige Struktur des Ganzen in der Aufeinanderfolge der Heilszeiten mit ihren jeweiligen Zielen. Kann denn die alttestamentliche Heilsvorbereitung zielklarer aufgebaut sein als sie ist?

Zuerst sind ‑ in der biblischen Urgeschichte, als dem Geschichtsfundament des Gesamtverlaufs ‑ zwei Hauptoffenbarungsperioden gegensätzlicher Harmonie (Polarität). Da gilt, nach der Austreibung aus dem Paradiese, zunächst Jahrhunderte hindurch der Grundsatz der menschlichen Selbstbestimmung, ohne göttliche Gesetzesoffenbarung und ohne von Gott angeordnete, menschliche Obrigkeit (von Adam bis Noah).
Dann als dieser Grundsatz das menschliche Versagen gezeigt hatte ‑ wird sein harmonischer Gegensatz eingeführt: der Grundsatz der Kontrollgewalt (»Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden«, 1. Mose 9, 6), und es folgt nunmehr Menschheitsgeschichte mit menschlicher Obrigkeit und Aufbau von Staatsgebilden (vgl.1. Mose 10). (Näheres siehe Das babylonische Menschheitsgericht, unter Antichrist, bei www.horst-koch.de )

Und welche Harmonie, welche innere Logik zeigt die sich daran anschließende Weiterführung der Heilsvorbereitung von Abraham auf Christus! Wie ist gerade hier absolut klarste, völlig unübertreffbare Zielausrichtung auf den Erlöser und sein Werk!
Zwei Hauptbundesschließungen (Abraham und Mose) in polarer Harmonie! Eine zweitausend Jahre lang währende Erziehung zum Glauben (Abrahamsbund) ; dann, als Ergänzung hinzutretend, eine anderthalb Jahrtausend lang währende Erziehung zur Buße (durch Weckung von Sündenerkenntnis im Mosaischen Gesetz).

Kann die neutestamentliche Heilsentfaltung passender vorbereitet sein? Handelt es sich nicht darum, daß der Sünder errettet werden soll, daß er aber nur dann das volle Heil durch das Stellvertretungswerk Christi empfangen kann, wenn er sich zu Christus, als dem Sünderheiland, »bekehrt«? Und ist nicht »Bekehrung« schlechthin die Summe von Abkehr und Hinkehr, von Nein zu sich selbst und von Ja zum Herrn, also von Buße und Glauben? Ist damit nicht die Bekehrung, als diese Einheit von Buße und Glaube, das subjektive, erzieherische Kernziel der Gesamtoffenbarung des ganzen Alten Testaments? Ist hier überhaupt durchsichtigere Planmäßigkeit denkbar als in dieser Anordnung gerade zweier, solcher Hauptvorbereitungsperioden (Abraham und Mose) mit gerade diesen, ihnen innewohnenden, bei aller Unterschiedlichkeit klar zusammenhängenden, zentralen Hauptzielen?

Und ist nicht das ganze Alte Testament ‑ gerade in dieser seiner Zweigipfligkeit zugleich wunderbar planmäßig auch auf das objektive Heilswerk des Erlösers selbst ausgerichtet?
Da ist der Glaube an die Lebens‑ und Auferweckungskraft Gottes geradezu der Höhepunkt bei Abraham (vgl. Isaaks Geburt und Isaaks Opferung).
Da ist das Todesurteil Gottes über den Sünder geradezu der Tiefpunkt von Gericht und Verdammung im Mosaischen Gesetz.


Da ist also letzteres ganz klar ausgerichtet auf Karfreitag, ersteres auf Christi Auferstehung. So sind sie denn alle beide (Abraham und Mose) in ihrer gegensätzlichen Einheit ‑ ganz durchsichtig und erkennbar zielbestimmt hinweisend auf die beiden Hauptseiten im Heilswerk des Erlösers, und es wird offensichtlich, daß das ganze Alte Testament nicht nur auf das subjektive Ziel der »Bekehrung« des Sünders (Buße und Glaube), sondern auch auf das objektive Ziel des Heilswerkes des Sünderheilands (Tod und Auferstehung), also auf das menschliche Zentralheilserlebnis und das gottgewirkte Zentralsheilsereignis ausgerichtet ist.

Man müßte blind sein, hinter diesem allen nicht einen von vornherein festliegenden, zielsicher vorgesehenen, großzügig und folgerichtig durchgeführten Gottesplan zu erkennen!

Und wie organisch und innerlich zusammenhängend ist dann auch der Aufbau der neutestamentlichen Heilsentfaltung!
Zuerst steht ‑ im Zeugnis von Wort und Geist ‑ der gen Himmel gefahrene, abwesende Christus im Mittelpunkt (in der Zeit zwischen seinem ersten und seinem zweiten Erscheinen).
Dann ‑ seit der Parusie (Ankunft, Wiederkunft) ‑ regiert Christus als der in Herrlichkeit offenbar gewordene, anwesende Gottkönig.


Erst Verborgenheit mit besonderem Rückblick auf die Erniedrigung, dann Offenbarung mit dem Triumph königlicher Erhöhung.
Erst Dornenkrone, dann Königskrone.
Erst Heilserleben durch Glauben, dann Heilserleben im Schauen.
Zuerst Sammlung der Gemeinde, dann Segnung der Völkerwelt, zuletzt neuer Himmel und neue Erde, ein verklärtes Universum. (Ausführlicher in DER TRIUMPH DES GEKREUZIGTEN, bei www.horst-koch.de)

Also auch hier wieder völlig klare, wachstümliche Entfaltung eines großartigen Planes!

Klarer, harmonischer, großartiger kann es überhaupt keinen Geschichtsplan geben. Gerade aber diese Zielklarheit und Einheitlichkeit des Ganzen macht die Heilsgeschichte zu einem universal historischen Selbstbeweis ihres göttlichen Charakters.
Da aber die Bibel die Urkunde dieser Offenbarungsgeschichte ist, wird durch diese Harmonie des Gesamten auch ihre eigene Geschichtseinheit und ihr göttlicher Inspirationscharakter erwiesen.
Wir verkennen durchaus nicht die sich aus solcher Glaubenshaltung ergebenden Probleme, besonders geologischer und chronologischer Art.
Aber ungelöste Fragen sind für den Glauben kein Hindernis für seine Grundhaltung zu Christus und dem Zeugnis seiner Propheten und Apostel.
Schwierigkeiten stellen sich auch sonst dem denkenden Glauben entgegen. Niemand bezweifelt, daß die biblische Lehre von der göttlichen Dreieinheit dem menschlichen Denken eine »Schwierigkeit« darbietet.
Es ist eine »Schwierigkeit«, zu erkennen, daß Gott zugleich Einer und Drei sein kann, daß Christus gleichzeitig göttlich und menschlich, wahrer Gott und wahrer Mensch ist.
Es ist eine »Schwierigkeit«, zu erkennen, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist, der in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten.
Es ist »schwierig«, einzusehen, daß das stellvertretende Leiden eines Unschuldigen einem Schuldigen rechtlich zugerechnet werden kann.
Es ist »schwierig« zu begreifen, daß der Mensch gleichzeitig unfähig und doch verantwortlich ist, daß ein Glaubender, obwohl oft noch sündigend, dennoch vor Gott heilig und gerecht ist.
Aber sollen wir warten, bis wir alle diese »Schwierigkeiten« geklärt haben, bevor wir glauben können?
Zweifellos würde dann kein Mensch errettet werden! Nein, wir müssen die Lehren der Heiligen Schrift im Glauben einfach annehmen, und zwar schlechthin deshalb, weil sie von den Propheten und Aposteln des Alten und Neuen Testaments und vor allem von dem Herrn selbst geglaubt und gelehrt worden sind. In diesem Sinne ist auch der Glaube an die biblische Inspiration unzertrennbar verbunden mit der Anerkennung der Autorität und der Zuverlässigkeit der heiligen Schreiber.
Übrigens, schon oft sind scheinbar unlösbare Fragen plötzlich aufgehellt worden, und die Bibel, die man naturwissenschaftlicher oder geschichtlicher Irrtümer bezichtigt hatte, stand gerechtfertigt da. Mit Recht erklärt Augustinus in einem Brief an Hieronymus: »Wenn ich hier oder da auf etwas stoße, was mit der Wahrheit nicht übereinzustimmen scheint, so zweifle ich keinen Augenblick, daß entweder die Abschrift fehlerhaft sei oder daß der Übersetzer den Gedanken des Originals nicht genau ausgedrückt hat, oder daß ich die Sache nicht verstanden habe«.
In dem gewaltigen Entwicklungsgang der Heilsgeschichte und Bibeloffenbarung ist Christus der Mittelpunkt. Er ist die Zentralsonne der ganzen Bibel. Alle Bücher der Heiligen Schrift »treiben Christus« (Joh. 5, 39) . Gerade oft auch an solchen Stellen, wo es zunächst gar nicht so scheint ‑ wie z. B. im Auftreten Melchisedeks (1. Mos. 14, 17‑24) oder dem Zeugnis des Hosea über Israel, daß Gott aus Ägypten seinen Sohn gerufen habe (Hos. 11, 1) und vielen anderen mehr ‑ zeigt uns die Belehrung des Heiligen Geistes im Neuen Testament, daß auch dort zugleich von Christus die Rede gewesen war (Hebr. 7; Matth. 2, 15).
Auch hier sind es oft gerade die Feinheiten und Einzelheiten des Textes, die nicht nur eine allgemeine, sondern geradezu eine genau spezialisierte Inspiration offenbaren, die sich sogar auf die einzelnen Wörter, Sätze und Satzverbindungen bezieht.
Nur dieser Inspirationsglaube kann es Paulus ermöglichen, seinen Schriftbeweis im Galaterbrief in der Form durchzuführen, wie er es tut (Gal. 3, 16). Er sagt:
«Nun aber sind die göttlichen Verheißungen dem Abraham und seinem Samen gegeben. Es heißt nicht: ,und deinen Samen` in der Mehrzahl, sondern in bezug auf einen einzelnen: ,und deinem Samen`, und das ist Christus«.
So sieht Paulus die Messiasprophetie des Alten Bundes als bis in die kleinsten Einzelheiten des Textes, ja bis in die Einzahl‑ und Mehrzahl-Endungen der Wörter genau göttlich geordnet an. Ja, der Hebräerbrief geht sogar so weit, daß er nicht nur das Reden, sondern auch das Schweigen des Alten Testaments für göttlich inspiriert ansieht. Denn gerade seinen Hauptschriftbeweis für die Ewigkeit der Melchisedekschen Hohenpriesterordnung leitet er von dem ab, was im heiligen Text nicht steht, eben von der Tatsache, daß der alttestamentliche Geschichtsbericht über den Melchisedek der Abrahamszeit weder seinen Vater noch seine Mutter, weder den Anfang noch das Ende seines Lebens erwähnt, so daß also der Priester‑König von Salem in der biblischen Urkunde gleichsam »ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlechtsregister« auftritt, »weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens habend«, und gerade in dieser Hinsicht darum dem Sohn Gottes »verglichen« und (typologisch) »vollkommen gleichgemacht« sei.
Das einer solchen Beweisführung zugrunde liegende Schriftprinzip ist aber durchaus das einer vollen Inspiration. »Des Verfassers Anschauung geht offenbar dahin, daß der Geist Gottes nicht nur die tatsächlichen Gestaltungen der Heilsgeschichte, sondern auch die urkundlichen Gestaltungen der heiligen Geschichtsschreibung derartig beseelt und geordnet hat, daß nicht nur ihr positives Reden, sondern auch ihr tatsächliches Schweigen typisch‑messianische Geltung hat« (Prof. J. H. Kurtz).

Ferner ist auch dies ein Zeugnis von der wunderbaren Ordnung des heiligen Textes, daß die Propheten zuweilen über Dinge geweissagt haben, die sie selber nicht voll verstanden, so daß sie geradezu »nachgesonnen« haben, »indem sie nachforschten, welche oder was für eine Zeit es sei, auf die der in ihnen wirkende Geist Christi hinweise«. Und da sie offenbar über ihre eigenen Botschaften und deren Bedeutung nicht recht zur Ruhe gelangten, wurde ihnen von Gott als allgemeine Erklärung geoffenbart, »daß sie durch ihren Dienst nicht sich selbst, sondern euch dasjenige vermitteln, was … euch jetzt verkündigt worden ist« (1. Petr. 1, 11; 12). Diese Tatsache erhebt es über allen Zweifel, daß, nach dem Zeugnis des Neuen Testaments, die biblisch‑prophetische Inspiration über den Begriff einer bloßen »Gedanken«- ­oder »Personal«‑ Inspiration hinausgeht, ja sich zu einer von Gottes Geist geleiteten Auswahl der Worte gesteigert hat. Denn wenn die Propheten Botschaften erhielten, die sie zuweilen selber nicht voll verstanden, wenn also in ihren Worten, in die sich doch ihre Botschaften kleiden mußten, mehr enthalten war, als sie es selber erfaßten, so ist dies eben nur dadurch möglich, daß auch die Worte selber und nicht nur die Gedanken oder Botschaften vom Geist Gottes eingegeben und angeordnet waren.
So geht aus der praktischen Stellungnahme des Neuen Testaments zum alttestamentlichen Schriftwort hervor, daß der Glaube an eine volle Inspiration für die Apostel Jesu Christi geradezu stillschweigende Voraussetzung gewesen ist. Der Glaube an eine volle Inspiration findet sich im Neuen Testament zwar nicht als dogmatisch theologische Formel, wohl aber als praktisches, geistliches Glaubensgut.


6. Wir glauben an eine zuverlässige, volle Inspiration um der Autorität  Jesu und seiner Apostel willen

Hunderte Male bezeugt das Alte Testament »So spricht der Herr!«
Christus selbst hat erklärt: »Die Schrift kann nicht aufgelöst werden.« (Joh. 10,35).

Hierbei bezieht er sich auf ein alttestamentliches Bibelwort, welches nur ein einziges Mal im ganzen Alten Testament vorkommt. Wer also dies eine Wort, das sich nur einmal in einem Psalm findet (Ps. 82, 6), auflöst, löst, nach dem Zeugnis Jesu, den Gesamtorganismus der »Schrift« auf! 
Die Bibel gleicht sozusagen dem ungenähten Rock Jesu, gleichsam einem Hause, aus dem man nur durch eine Tür hinauszugehen hat, um damit zugleich außerhalb des ganzen Hauses zu sein. So stark glaubt Jesus an den Organismuscharakter der «Schrift«!
Zu den Emmausjüngern sagt er: »Es muß alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Moses, in den Propheten und in den Psalmen . . . Also ist’s geschrieben, und also mußte Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tage« (Luk. 24, 44‑47).
Und in der Bergpredigt bezeugt er: »Wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird vom Gesetz nicht der kleinste Buchstabe und kein Strichlein vergehen, bis alles in Erfüllung gegangen ist« (Matth. 5, 18) .
Für Christus, das personhaft lebendige »Wort« (Joh. 1, 1; 14), war schon ein »Tüttel« oder »Jota« des geschriebenen (!) Wortes mehr wert als alle Sternenwelten und Sonnensysteme des gesamten Universums. Hier haben wir den Autoritätsbeweis in besonders wuchtiger Form.
Und Paulus, sein größter Apostel, bekennt: »Ich glaube an alles, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht« (Apg. 24, 14).
Der Glaube an den Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift und ihre unzerstörbare Autorität ist darum keine geistlose Vergötterung des Buchstabens, sondern hat die größten Geister der Heilsgeschichte, ja Christus, den Sohn Gottes selber, auf seiner Seite.
Die Ausdrücke: »Es steht geschrieben«, »Die Heilige Schrift sagt« waren bei den neutestamentlichen Schreibern dasselbe wie »Gott sagt«. Immer wieder finden wir im Neuen Testament einen geradezu wechselseitigen Austausch, ja eine unmittelbare Gleichsetzung dieser Ausdrücke.
Natürlich hatte es weder in den Tagen Abrahams (1900 v. Chr.) noch Pharaos vor dem Auszug aus Ägypten (1500 v. Chr.) eine alttestamentliche, heilige »Schrift« gegeben, und Paulus und der Schreiber des Hebräerbriefes haben dies genau so gut gewußt wie wir.
Gott hatte zu Abraham gesagt: »In dir werden gesegnet werden alle Nationen« (1. Mose 12, 1; 3). Paulus aber erklärt: »Die Schrift verkündete dem Abraham: »In dir werden gesegnet werden alle Nationen« (Gal. 3, 8).
Gott hatte zu Pharao gesagt: »Ich habe dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige« (2. Mose 9, 16; vgl. V. 13) . Paulus aber schreibt: »Die Schrift sagt zum Pharao« (Röm. 9, 17).
David, der Psalmist, hatte gesagt: »Heute, wenn ihr seine (des Herrn) Stimme höret, so verhärtet eure Herzen nicht« (Ps. 95, 7; Hebr. 4, 7) . Der Schreiber des Hebräerbriefes aber erklärt: »Der Heilige Geist sagt: ,Heute . . . verhärtet eure Herzen nicht!«` (Hebr. 3, 7).
Diese doppelte Gleichsetzung »Gott = Schrift«, »Schrift = Gott = Heiliger Geist« entspringt eben der tiefen Überzeugung, daß das Wort der »Schrift« zugleich Wort »Gottes« ist. Für die Schreiber des Neuen Testaments und darum auch für uns und alle Zeiten ist die heilige Urkunde Stimme Gottes.
Aus diesem allen ergibt sich unsere persönliche Stellungnahme: Wir glauben an die volle, biblische Inspiration in erster Linie um dieser Gesamthaltung des Neuen Testaments willen, eben deshalb, weil sie Glaubensgut Christi und seiner Apostel gewesen ist.
Darum: Wer die Lehre von der vollen Inspiration leugnet, muß entweder beweisen, daß dies nicht ein Glaubensgut ist, das im Neuen Testament selbst bezeugt ist und in ihm lebt, oder er muß beweisen, daß das Neue Testament in Fragen der Glaubenshaltung nicht absolut zuverlässig und maßgebend ist. Wenn dies erstere nicht möglich ist, bleibt bei folgerichtigem Denken nichts anderes übrig, als mit der Verneinung einer vollen Inspiration zugleich auch das absolute Vertrauen auf die Urkunde alles Heilsglaubens, d. h. das Neue Testament, zu erschüttern.
So glauben wir gleichsam zuerst an die allgemeine Zuverlässigkeit der Bibel in Glaubensfragen, und dadurch nehmen wir auch in gleicher Weise ihre Lehre und ihr Glaubensgut über die Inspiration an.
Wir lösen die Frage der Bibel zentral, das heißt vom Mittelpunkt, von Jesus Christus, aus. Wir glauben an die Bibel um Jesu willen. Durch den Glauben an Christus kommen wir auch zum vollen Glauben an sein Wort. In Christus, dem Zentrum der Heilsoffenbarung Gottes, haben wir auch das Zentrum einer gottgemäßen Bibelanschauung.
Dies ist auch glaubensmäßig das allein Folgerichtige. Denn Christus selbst ist der »Logos«, die Urform des Wortes, das personhaft lebendige »Wort«, der treue und wahrhaftige Zeuge (Joh.1,1), der Mund der ewigen Wahrheit, ja die Wahrheit selbst (Joh. 14, 6) . Sein Geist aber, der Geist Christi, hat die Propheten inspiriert (l. Petr. 1, I1), und  das Zeugnis Jesu  ist der Geist der Weissagung (Offb. 19, 10) .
Zweifellos gibt es Schwierigkeiten im Hinblick auf die biblische Inspiration. Aber ist es nicht noch schwieriger, zu glauben, daß die ganze Gemeinde Gottes, von ihren allerersten Anfängen an, sich nun schon fast 2000 Jahre hindurch getäuscht haben soll in ihrer Wertschätzung der heiligen Schriften?
Und ist es nicht noch viel schwieriger, zu glauben, daß die ganze Gruppe der Apostel, mit Jesus Christus selbst an ihrer Spitze, sich geirrt haben soll im Hinblick auf die Natur der heiligen Schriften, die sie vom Alten Bund her übernommen hatten? Nein, wir bekennen uns zur Haltung des Herrn und seiner Apostel auch im Hinblick auf die biblische Inspiration.

Wir glauben an die volle Inspiration nicht auf der Grundlage rein gefühlsmäßiger Erwägungen, auch nicht bloßer Glaubenspostulate, die wir aus allgemeinen Gedankengängen heraus von vornherein für notwendig erachten. Die entscheidende Grundhaltung ist:

Wir glauben an die volle Inspiration, weil dies das Glaubensgut Jesu, seiner Apostel und überhaupt aller Schreiber des Neuen Testaments ist. Unser Glaube an die volle Inspiration ist ein Ausfluß unseres Glaubens an die Zuverlässigkeit Christi und seiner Apostel als Verkündiger der Heilslehre überhaupt. Glaube an die Inspiration ist unzertrennbar verbunden mit der vollen Anerkennung der Autorität der neutestamentlichen Schreiber. Wenn wir die anderen Lehren des Neuen Testaments, trotz mancher Geheimnisse und Schwierigkeiten, annehmen, und zwar auf keiner anderen Grundlage als der, daß wir die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Bibel als Führer der Wahrheit grundsätzlich und praktisch bejahen, so nehmen wir auch diese Lehre ‑ das Glaubensgut der vollen Inspiration ‑ auf derselben Grundlage an. Mit Recht ist gesagt worden: Wenn wir das Zeugnis der Bibel über sich selbst nicht annehmen, warum sollten wir dann ihr Zeugnis annehmen, das sie über andere Dinge aussagt?
Hier aber stehen wir auf Glaubensboden. Autorität ist auch schon im rein menschlichen Leben ‑ stets etwas, das nicht »bewiesen«, sondern erlebt werden muß. Alles geistig Lebendige erkennt man durch Intuition (unmittelbare, innere Schau). Die Gottheit Jesu von Nazareth und damit seine unbedingte Autorität in allen Fragen des Glaubens und Lebens ist zwar nicht mathematisch beweisbar; aber Wahrheit beweist sich selbst. Hier setzt das Christuserlebnis, die Herzenserfahrung, ein.

7. Wir glauben an eine lebendige, volle Inspiration um der auch die kleinsten 
    Bestandteile der Bibel durchwaltenden Geisteskraft willen.

Oft ist die Frage gestellt worden, wie wohl die Abgrenzung der biblischen Bücher als »kanonisch« von allem anderen Schrifttum begründet werden könne (Kanon = Richtschnur, Maßstab). Die Antwort liegt ‑ abgesehen von dem Hinweis auf ihre inhaltliche Harmonie und ihre heilsgeschichtliche Einheit ‑ besonders in dem »Zeugnis des Heiligen Geistes« (lat. testimonium Spiritus Sancti).
Man lese nur einmal die doch so überaus wertvollen Schriften der sogenannten »Apostolischen Väter«, also der führenden Männer des Urchristentums, die unmittelbar auf die Generationen der Apostel und neutestamentlichen Schreiber folgten, d. h. die Briefe eines Clemens, eines Ignatius, eines Barnabas, eines Polykarp oder die Zwölfapostellehre (Didache), den Hirten des Hermas, den Brief an Diognet!
Man vergleiche einmal z. B. den Römer‑ oder Epheserbrief des Ignatius mit den an dieselben Gemeinden gerichteten, neutestamentlichen Briefen des Paulus, den Korintherbrief des Clemens mit dem des großen Heidenapostels oder den Philipperbrief des Polykarp mit dem uns bekannten Philipperbrief des Neuen Testaments! Welch gewaltiger Abstand macht sich doch hier ‑ trotz höchster Wertschätzung all des vielen wahrhaft Geistlichen, Edlen und Schönen ‑ schon in diesem Schrifttum des zweiten Jahrhunderts im Vergleich zum Neuen Testament bemerkbar! Oder man vergleiche die alttestamentlichen Apokryphen mit den Schriften des hebräischen Kanons! Hier steht überall das Zeugnis des Heiligen Geistes durchaus auf der Seite der biblischen Schriften!
Niemand sage, daß wir damit in den Fehler eines willkürlichen Subjektivismus verfielen! Das Zeugnis des Heiligen Geistes wird in der Schrift deutlich von dem Zeugnis unseres eigenen, auch des in Christus erlösten Menschengeistes unterschieden. »Dieser Geist selbst zeugt mit unserem Geist (d. h. in Übereinstimmung mit unserem Geist, der also vom Heiligen Geist unterschieden wird), daß wir Kinder Gottes sind« (Röm. 8, 16). Der in der Gemeinde waltende göttliche Geist ist es, der seine eigenen Erzeugnisse anerkennt. Die Autorität der Heiligen Schrift ist eine inwendige, geistgewirkte, unmittelbar sich selbst bezeugende. Sie ist keine bloße Buchautorität, sondern durchaus Geistautorität. Die Heilige Schrift ist, wie Paulus es einmal in bezug auf das Alte Testament ausdrückt, »gottgegeistet«.
Nur so entsteht die Fähigkeit der Bibel, Übernatürliches und Himmlisches hervorzurufen. Nur so kommt es zur inwendigen Wirkungskraft des Bibelwortes und zur Selbstbezeugung des Heiligen Geistes in den Herzen der Gläubigen, welche in und durch die Bibel geschieht.
»Das Herz spricht: Das ist wahr, und sollte ich hundert Tode darum leiden« (Luther). Mit Recht sagt Calvin: Die Schrift trägt in sich selbst den Beweis der Wahrheit, gerade wie Schwarz und Weiß den seiner Farbe, Süß und Bitter den seines Geschmacks.«
Die Autorität der Heiligen Schrift ist in der Person ihres göttlichen Autors begründet. Ihre Autorität wurzelt geschichtlich in ihrer Inspiration. Sie ist eine innerliche, objektive und bleibende. Die Bibel hat ihre Autorität in sich selbst.
Das subjektive Erleben dieser Autorität wird dann durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes vermittelt, der sich mit dem geschriebenen Wort lebendig und dauernd wirksam verbindet.
Inspiration des Heiligen Geistes und Zeugnis des Heiligen Geistes sind darum hier zu unterscheiden.
Die biblische Inspiration des Heiligen Geistes ist ein Werk Gottes der Vergangenheit. Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes geschieht ‑ in Verbindung mit diesem Wort ‑ in aller Folgezeit bis in unsere Gegenwart und Zukunft.
Die Inspiration des Heiligen Geistes bezieht sich auf die Bibel selbst. Das Zeugnis des Heiligen Geistes bezieht sich auf ihre Leser und Hörer. Diese sollen durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes zur Überzeugung von der Inspiration und der Autorität der Heiligen Schrift und damit zum Glaubensgehorsam geführt werden.
Darum war auch der Kanon der Heiligen Schrift ‑ von Gott aus, also ideell und tatsächlich in sich selbst ‑ schon im ersten Augenblick der fertigen Abfassung der zuletzt entstandenen, neutestamentlichen Schrift abgeschlossen und vollständig vorhanden. Was noch zu geschehen hatte, war nur die tatsächliche Zusammenfassung dieser Schriften in einem einzigen Buch und die allgemeine Anerkennung ihrer göttlichen Autorität in der christlichen Gemeinde.
Dies Ziel wurde ‑ nach Überwindung mancher Schwankungen ‑ im Verlauf der folgenden zwei Jahrhunderte erreicht. Hierbei war das Entscheidende nicht menschliche Übereinkunft ‑ Gemeindebeschlüsse oder Konzilien ‑, sondern die eigene, geistgewirkte Autorität der Heiligen Schrift, ihre durch die Inspiration des Heiligen Geistes von vornherein innewohnende, göttliche Vollmacht.
Zugleich stand das Ganze unter der Überwaltung und Führung durch das erhöhte, göttliche Haupt der Gemeinde. Die Gemeinde selbst hatte also keineswegs den biblischen Kanon erst »abzuschließen« oder gar zu »schaffen«, sondern lediglich ihn anzuerkennen.

Der Geist Gottes hat das geschriebene Wort nicht nur »eingehaucht« (inspiriert) und »gegeben«, sondern ist bei ihm geblieben. Er begleitet es und macht es wirksam. Er macht die bloße »Urkunde« zu einer Himmelsbrücke. Gott »kommt« nun durch sein Wort zu uns, und das Jahrhunderte alte Wort bleibt frisch und ewig jung. Es ist, als sei es gestern, ja gerade soeben erst geschrieben, »als sei die Tinte noch nicht trocken«. So nimmermehr alternd, so zeitüberlegen, so gegenwartsnahe!
Dabei aber sind es oft ganz winzige Ausdrücke, an denen der Leser vielleicht hundertmal vorbeigelesen hat, die ihm urplötzlich strahlend aufleuchten und zu Gottesbotschaften werden, die sein Leben beeinflussen, ja es grundlegend umgestalten können. Welch großer Unterschied, ob Gott sagt, daß er uns »nach« seinem Reichtum oder nur »aus« seinem Reichtum segnen wolle (Eph. 3, 16) ! Wieviel zuversichtliches Hoffen für irrende Seelen liegt doch in den beiden kleinen Wörtchen »bis jetzt«: »Wer da sagt, daß er in dem Lichte sei und haßt seinen Bruder, ist in der Finsternis bis jetzt« (1. Joh. 2,9). Wieviel seelsorgerliche Weisheit offenbart das kleine Wort »teilweise«: »Ich höre, es seien Spaltungen unter euch, und teilweise glaube ich es!« (1. Kor. 11, 18) .
Und überhaupt: Wie stärkt es doch den Glauben, wenn er die Verheißungen Gottes beim Wort nehmen kann! Hat nicht gerade dieses Sichstützen auf das ganze Wort immer wieder in der Geschichte des Reiches Gottes Glaubensmut geweckt, frohe Zuversicht beflügelt, Taten gewirkt, ja Geschichte gemacht? War diese Glaubenshaltung nicht die Kraft eines Georg Müller, eines Hudson Taylor, eines August Hermann Francke, eines Charles Haddon Spurgeon und so vieler anderer Männer Gottes, von deren Leben und Werk Ströme des Segens in die Welt und in die Gemeinde Gottes ausgegangen sind?
Und vor allem: War dies nicht die Siegeswaffe Jesu selbst, als er in der Versuchung in der Wüste den Feind bezwang? »Es steht geschrieben!« (Matth. 4, 4; 7; 10.)

Mit dieser wunderbaren inneren Geisteskraft der Bibel verbindet sich ihre äußere Unüberwindbarkeit und Siegeskraft. Auch dies ist ein Erfahrungsbeweis und ein Zeugnis ihrer göttlichen Inspiration.
Die Bibel ist ein Hochgebirge, das alle anderen Bücher der Welt gleichsam wie Hügel oder Niederungen überragt. An die Verbreitung, die Lebensdauer und Lebenskraft der Bibel kommt kein Schriftstudium der ganzen Erde heran.
Die Bibel hat die größte Lebensdauer bewiesen. Denn sie ist in ihren ältesten Teilen über 3300 Jahre alt, und doch ist alles in ihr taufrisch und jugendneu, eben »ewig neues Altes Testament« und »ewig neues Neues Testament«!

So hat das Wort der Schrift immer wieder seine Gotteskraft bewiesen. Wie Christus, das personhafte »Wort«, ist allerdings auch das geschriebene Wort ‑ und zwar oft ‑ gleichsam ans Kreuz geschlagen, begraben und totgesagt worden. Aber stets ist es auch ‑ so wie er, das »lebendige« Wort ‑ am dritten Tage wieder auferstanden und lebt! Wie die Boten Jesu Christi allgemein, so können es auch die Bücher und Worte der Bibel mit Paulus bezeugen: »Durch Ehre und Unehre, durch böses Gerücht und gutes Gerücht . . ., als Sterbende, und siehe, wir leben! (2. Kor. 6, 8; 9) .«
So ist die Bibel wie die Sonne: uralt und doch immer wieder neu, stets die Nacht überwindend, Licht und Leben verbreitend, alles andere Licht überstrahlend, kurz, die Königin im Reich des Geistes, die Zentralquelle aller bleibenden, wahren Erleuchtung.

 »An deiner Rede will ich bleiben,

Drauf läßt sich’s bauen felsenfest.

Ich weiß ja, daß von deinen Worten

Du keins zur Erde fallen läßt.

Eh’ sollen Berg und Hügel weichen,

Eh’ stürzt der ganze Weltkreis ein,

Eh’ auch das kleinste deiner Worte,

Herr Jesu, unerfüllt wird sein.«  –  (Dr. Adolf Morath)
 
Vorliegender Text ist – stark gekürzt – entnommen:

Erich Sauer, GOTT, MENSCHHEIT UND EWIGKEIT, 2. Auflage 1955.

Horst Koch, im Dezember 2005.

www.horst-koch.de  –  info@horst-koch.de

 




Menschheitsgericht (E.Sauer)

Erich Sauer

Das babylonische Menschheitsgericht

Auszug:
Kapitel 7 aus DAS MORGENROT DER WELTGESCHICHTE, Seiten 91-99.

Über der Menschheit lastet das babylonische Gericht. Alle Geistes- und Kulturgeschichte steht unter dem Zeichen dieser zerschmetternden Urkatastrophe. Vergeblich ringt die Welt gegen sie, ihren Bann mit eigener Kraft zu überwinden.

I. Die urgeschichtliche Menschheitszersplitterung

Drei Beweggründe führten nach der Heiligen Schrift zum babylonischen Turmbau: Trotz, Vereinigungswille und Ruhmsucht.

Dreifach ist darum auch das göttliche Gericht: Der nach „oben” stürmende Trotz wurde durch das „Hernieder“fahren des HErrn (Vers 4, 5), der Wille zur Vereinigung durch die Zerstreuung und Zersplitterung und der ruhmsüchtige Ehrgeiz durch den Namen der Schande gerichtet.
Fortan ist gerade die Stadt, durch die man sich einen „Namen“ machen wollte (1. Mose 11, 4) gerade in ihrem Namen ‑ ein Symbol der Niederlage;
und Babel, die „Wirrstadt“, die Stadt der „Zermengung”, ist schon als bloßer Ortsname ein Beweis für die Ohnmacht des Sünders und die Zwecklosigkeit aller Rebellion gegen Gott.

II. Die sprachgeschichtliche Bewußtseinsverwirrung

Die Verwirrung der Sprachen ist zunächst etwas Vierfaches: eine Verwirrung von Wörterbuch, Grammatik, Aussprache und Ausdrucksweise („Phraseologie”), und in diesem Sinne gibt es heute ungefähr eintausend Sprachen und Hauptdialekte. Aber sie ist doch noch mehr.

Ganz gleich, welches die Ursprache gewesen sein mag, ob ‑ wie die Rabbinen und Kirchenväter meinten ‑ das Hebräische oder das Syrische oder ‑ was wohl das allein Richtige ist ‑ keine der uns überlieferten alten Sprachen: In jedem Fall ist die Gemeinsamkeit der Sprache mit einer starken Einheitlichkeit des Geisteslebens verbunden gewesen. Denn da die Sprache die lautliche Versinnlichung des Geistigen ist, muß auch das Geistige aller Menschen so lange in besonderem Sinne einheitlich gewesen sein, als noch der Ausdruck dieses Geistigen, die Sprache, einheitlich war.
Die Sprachenverwirrung war also zugleich eine Verwirrung der geistigen Grundanschauungen der Menschheit, indem durch eine Machtwirkung Gottes auf den menschlichen Geist, an Stelle der ursprünglichen Einheit, eine vielfache Zersplitterung des Denkens, Empfindens und Vorstellens eingesetzt wurde. So aber wird die Sprachenverwirrung zugleich eine Verwirrung des Bewußtseins.

„Die ursprüngliche Sprache, in der Adam im Paradiese alle Tiere benannte (1. Mose 2, 20), war gleichsam ein großer Spiegel gewesen, in dem sich die ganze Natur getreulich widergespiegelt hatte. Nun aber zerbrach Gott diesen Spiegel, und jedes Volk erhielt nur eine Scherbe davon, das eine eine größere, das andere eine kleinere, und nun sieht jedes Volk nur ein Etwas von dem Ganzen, nimmermehr aber das Ganze selbst. Deshalb weichen auch die Auffassungen der Nationen hinsichtlich Religion und Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Geschichte so stark voneinander ab, ja steigern sich oft bis zu gegenseitigem Widerspruch.

Dies alles mußte jedoch noch mehr Folgen nach sich ziehen. Mit der Zerrüttung des Weltbewußtseins verband sich eine weitere Zerrüttung des Gottesbewußtseins.

III. Die religionsgeschichtliche Glaubensentartung

Am Anfang der Menschheit steht der Glaube an den einen Gott da, der sich in dreifacher Weise offenbart:
in Natur (Röm. 1, 19; 20), Gewissen (Röm. 2, 12‑15) und Geschichte (1. Mose 1‑11).

Das spätere Heidentum ist dann eine Verkehrung dieses seines dreifachen Ursprungs:
Verzerrung der Erinnerung an die Uroffenbarung, Mißdeutung der Naturoffenbarung (Röm. 1, 23) und unklarer Seelenkonflikt mit der Gewissensoffenbarung ‑ das sind die drei Grundelemente außerheidnischen Religion.

Dennoch aber blieb die göttliche Einwirkung auf die Menschheit durch die a l l g e m e i n e Offenbarung bestehen. Gott hält den Menschen wie ein gewaltiger, starker Magnet. „Fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns” (Apg. 17, 27). Gott sucht den Menschen, um in ihm selber ein Suchen zu wecken, ein Suchen nach ihm, wie die Mutter die Seele ihres Kindes sucht, damit es sie wieder suche, „daß sie den HErrn suchen sollten, ob sie ihn fühlen und finden möchten” (Apg. 17, 27).

Daher ‑ von Gott selbst gewirkt ‑ das auffallend große Fragen und Suchen in der Völkerwelt, auch unter den Heiden. Aber das ist das Tragische, daß dies Suchen der Menschen von Satan, dem großen Betrüger, auf eine falsche Spur abgelenkt wird. Fortan ist der Mensch auf der Suche nach Gott und doch zugleich auf der Flucht vor ihm. Er will ihn haben und stößt ihn von sich; er sucht seine Segnungen und meidet seine Nähe; er will nichts von ihm wissen und kann doch nicht los von ihm (Bracker).

Die menschliche Urwurzel dieser ganzen religiösen Zwiespältigkeit und Entartung ist, nach der Belehrung von Paulus, die U n d a n k b a r k e i t.
Denn „obwohl sie wußten, daß ein Gott ist, haben sie ihn nicht gepriesen als einen Gott, noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert” (Röm. 1, 21).

Im einzelnen aber sind es besonders die folgenden Elemente, die ‑ unter dämonischer Irreführung ‑ diese Umwertung aller Werte auf dem Gebiet des religiösen Lebens hervorgebracht haben.

Zunächst die Beobachtung des T r a u m e s. Denn da handelt ein Etwas, das sich „bewegte”, ,.hörte” und „sah”, auch wenn alle Glieder des Leibes in Untätigkeit warenl Da „erschienen” auch Tote, ebenfalls „handelnd”, und „bewiesen” damit ihre „geist”‑artige Weiterexistenz.

Dann ferner die Beobachtung des T o d e s. Denn war es nicht hier diese „Seele”, dieses Unsichtbare, Innere, das nun mit dem letzten Hauch atemartig, luftartig den Körper verließ? Und dann wurde der Tote so still! Ist dies nicht ein Beweis, daß es keine Bewegung gibt, ohne das Wollen eines inneren Ich, einer innewohnenden wirksamen Atemseele?

In der N a t u r aber draußen ist alles v o l l  Bewegung: in den Pflanzen und Tieren, im Lauf der Gestirne, im majestätischen Gewitter, im Dahinbrausen der Ströme, im geheimnisvollen Magneten und im Feuerfunken des angeschlagenen Steines! Ist dies alles nicht ein deutliches, überwältigendes Zeugnis von dem Dasein und Innewohnen gewaltiger Wesen, die in allen diesen Bewegungen um uns herum wirksam sind? ‑ So aber wird die Natur von Geistern beseelt gedacht, und die animistische Weltanschauung ist entstanden.

Da aber der Mensch keine andere „Seele” kannte als nur die seine, ist die Ausstattung dieser Naturgeister mit den Eigenschaften der Menschenseele nur das durchaus Folgerichtige, und da es sich ferner bei den Naturgeistern ‑ entsprechend der Wucht ihrer Elemente ‑ nur um Wesen gesteigerter Lebensform handeln konnte, mußten ihnen auch diese menschlichen Eigenschaften in gesteigertem Maße zugeschrieben werden. Dadurch jedoch entstand notwendig eine Verbindung von  D ä m o n  u n d  H e l d,  wobei das Dämonische durch das Menschliche ins Personhafte und das Heldische durch das Dämonische ins Übermenschliche gesteigert wurde. Dies ist aber das Wesen des heidnischen Gottbegriffes.

Hier nun setzt die religionsbildende Kraft der menschlichen  S p r a c h e  ein. Denn es ist eine Eigentümlichkeit des menschlichen Geistes, unwillkürlich und oft unbewußt das Stoffliche und Geistige nebeneinander zu stellen und beide gegenseitig ineinander hineinzutragen. So „vermenschlicht” die Sprache das Außermenschliche und redet von einer „lachenden” Sonne, einem „freundlichen” Zimmer, einem „munteren” Bach; und umgekehrt überträgt sie das Außermenschliche in das Menschliche und spricht von einer „kalten” Lieblosigkeit, einem „sonnigen” Charakter oder einer „strahlenden” Freude. Noch phantasiereicher spricht sie von den „Pfeilen” der Sonne (den Sonnenstrahlen), dem „Stechen” des Mondes (vgl. Ps. 121, 6), den „Fenstern des Himmels” (Mal. 3, 10), den „Wimpern” der Morgenröte (Hiob 3, 9).

Solange der Mensch nun an der Bildhaftigkeit dieser sprachlichen Vergleiche festhält, besteht keine Gefahr, im Gegenteil, sogar eine Bereicherung seines Geistes.

Im Augenblick aber, wo er, verfinstert durch die Sünde (Eph. 4,18; Röm. 1, 21b; 22) und irregeleitet durch dämonische Mächte, von dieser phantasievollen Umkleidung des Wirklichen mit Bildern fortschreitet zum Glauben an die Wirklichkeit dieser Bilder selbst, ist auch von dieser Seite aus eine neue Welt naturvergötternder Vorstellungen am Entstehen, und die Sprache reiht sich ein unter die Haupttriebkräfte heidnischer Religionsbildung.

Von Bedeutung ist hierbei auch das grammatische Geschlecht; denn in manchen Fällen war gerade dies das Entscheidende, ob man sich eine Gottheit männlich oder weiblich dachte.

Dies alles beweist, daß von einem eigentlichen, national gearteten Heidentum vor der Sprachenverwirrung nicht die Rede sein kann. Mögen einzelne, naturvergötternde Ideen schon vor dem babylonischen Gericht vorhanden gewesen sein: Das eigentliche Heidentum selbst hat erst mit der Beiseitesetzung der Völkerwelt und der Zersplitterung der Menschheit in getrennte Nationen seinen Anfang genommen (vgl. 5. Mose 4,19; Röm. 1,18‑32).

Dies alles aber geschah zugleich unter d ä m o n i s c h e r   M i t w i r k u n g.  Denn die Götter der Heiden sind keine leere Einbildung. Apollo und Diana, Aphrodite und Istar und wie sie alle heißen, sind, nach dem apostolischen Zeugnis des Neuen Testaments, keine bloßen, gedanklichen Personifikationen von Naturkräften oder reine Idealgebilde irrender, naturvergötternder Phantasie, sondern in ihrem Hintergrund sind irgendwie wirklich vorhandene, dämonische Geistmächte, die sich auf dem Wege okkulter Inspirationen, in national geartetem, mythologischem Gewande ‑ teils in lichtvoll‑poetischer, teils schauerlich‑düsterer Einkleidung ‑ den einzelnen Völkern offenbarten. Sonst hätte der große Völkerapostel auch nicht aus jener Wahrsagerin in Philippi einen „Python‑Geist”  unter ausdrücklicher Berufung auf den Namen des HErrn Jesu, „austreiben” können (Apg. 16,18); und ebensowenig hätte er von den außerisraelitischen Religionen sagen können, daß „die Heiden das Opfer, das sie darbringen, den bösen Geistern darbringen” (1. Kor. 10, 20),
So aber beruht das gesamte Heidentum nicht nur auf Irrtum und Trug, sondern zugleich mit auf spiritistischer Grundlage.

Durch dies alles wird der Heide, unter dämonischer Beeinflussung, „der Schöpfer seiner Götter. In seinen Religionen drückt sich seine Gottlosigkeit aus. Religion ist die Sünde, nämlich die Sünde gegen das erste Gebot, die Vertauschung Gottes mit den Götzen” (P. Althaus), „der kräftigste Ausdruck des Widerspruchs des Menschen zu Gott und mit sich selber“(K. Barth).

Dies Ganze jedoch ist der Irrweg von Milliarden von Menschen! Jahrtausende hindurch hat er die Menschheit beherrscht. „Indem sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden” (Röm. 1, 22).
Damit aber wird das babylonische Menschheitsgericht zu einem Gericht von ungeheuerster Auswirkung. Denn die mit der Zersplitterung der Menschheit und der Beiseitesetzung der Völkerwelt verbundene Bewußtseinsverwirrung hatte eine Religionsverwirrung zur Folge, die die Sprachenverwirrung an Bedeutung noch weit übertraf.

Auch politisch war er von den schwersten Folgen.

IV. Die weltgeschichtliche Völkerspannung

Von nun an ist die Weltgeschichte ein Ringen zwischen zwei Kräften: der Mittelpunktsziehkraft der Weltreiche  und der Mittelpunktsfliehkraft der einzelnen Völker,  und zwar so, daß immer wieder die Mittelpunktsziehkraft der Welteroberer zuschanden gemacht wird durch die Mittelpunktsfliehkraft der einzelnen Nationen. Die bedeutsamste .Form dieser Auseinandersetzung ist der Krieg, und darum werden Kriege und Kriegsgeschrei sein, bis daß der HErr kommt (Matth. 24, 6).

Zugleich aber wird all dieser Widerstreit der Geschichtskräfte von dem obersten Geschichtsherrn überwaltet (Am. 9, 7; Jes. 45, 1‑3), und dadurch wird die Völkergeschichte ein Völkergericht.
„Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist Schande der Nationen” (Spr. 14, 34). „Alle Epochen, in denen der Glaube herrscht, sind glänzend und fruchtbar” (Goethe); aber sittlich morsche Kulturen gehen unfehlbar zugrunde.

Das Maß des Gesegnetwerdens der Völker hängt zu großem Teil  ab von dem Grad ihrer Beachtung der göttlichen Schöpfungs‑ und Geschichtsordnungen (Jer. 18, 7‑9). Völker sind Organismen (Hos. 11, 1) und werden darum als Einheit zur Verantwortung gezogen. Sie leben ein einheitliches Leben durch Generationen hindurch. Darum werden auch die Nachkommen zu Trägern des Gerichts oder des Segens der Taten ihrer Vorfahren (z. B. Hes. 35, 5; 6).
Nur durch dies alles erklärt sich die dramatische Spannung des Ganzen und das Auf und Nieder der Kulturen im Wirbel der Reiche und Rassen.

V. Das heilsgeschichtliche Erlösungsziel

Dennoch bedeutet die Sprachenverwirrung nicht, daß Gott etwa gegen j e d e Vereinigung des Menschengeschlechts sei. Im Gegenteil, die innigste, geistliche, umfassendste Gemeinschaft der Menschen ist geradezu sein Ziel (Micha 4, 1‑4).

Aber die Einheit, die Er will, hat ihn selber zum Mittelpunkt, ist „in Christo” seinem Sohne (Eph. 1, 10; Joh. 10, 16; 17, 21, 22), den er zum König bestimmt hat (Ps. 2, 6; Sach. 14, 9).

Der Mensch aber wollte eine Entthronung des Schöpfers, um selber die Regierung in die Hand zu nehmen; und gerade diese Zusammenballung der fleischlichen Kraft war ein Bollwerk gegen die Durchführung der Erlösung.

Darum mußte sie fallen und der „zerstreuende Arm Gottes” sich offenbaren. Auf dem Wege der Zerstörung der dämonischen, fleischlichen Einheit sollte die wahre, göttliche, geistliche Einheit bewirkt werden. Die Aufhebung des Universalismus der Uroffenbarung hatte darum die desto sicherere Erreichung des End ‑ Universalismus zum Ziel, und deshalb ist auch das babylonische Gericht ‑ eine Gnade.

VI. Der endgeschichtliche Gottestriumph

Aber die Menschheit kämpft dauernd gegen den göttlichen Plan. Der Geist des besiegten, rebellischen Babel wirkt auch in den folgenden Jahrtausenden fort; ja am Ende der Zeit wird er sogar scheinbar sein Ziel erreicht haben und triumphieren, und der Antichrist wird das Werk Nimrods vollenden (Off. 13, 7; 8).

Die Geschichte der Stadt Babel hat
ihr Vorzeichen ‑ in der Stadt Kains (1. Mose 4, 17),
ihr Sinnbild ‑ im Turmbau (1. Mose 11),
ihren Hauptanfang ‑ in Nebukadnezar (Dan. 2, 38),
ihren Fortgang ‑ in der Weltgeschichte (Dan. 2 u. Kap. 7),
ihre Vollendung ‑ im Antichristentum (Off. 13 u. Kap. 17),
ihr Ende ‑ im Triumph Christi (Off. 18 u. 19).

Denn nach dem Antichristen wird Christus erscheinen und den Sieg gewinnen (Off. 19, 11‑21);
und über die „Hure” (Off. 14, 8; 17,1‑18), das gen Himmel hinaufstürmende Babylon, wird die „Braut” triumphieren (Off. 21, 9), die vom Himmel herabgekommene Gottesstadt, das neue Jerusalem.

Aus E. Sauer: DAS MORGENROT DER WELTERLÖSUNG, Teil 2: Biblische Offenbarungsgeschichte – Zusammengestellt von Horst Koch, Herborn, im Februar 2006

Ergänzende Beiträge in meiner Homepage:

1. E. Sauer – Der Triumph des Gekreuzigten
2. E. Sauer – Das Reich des Antichristen
3. E. Sauer – Satan – der Fürst dieser Welt
4. E. Sauer – Das kommende Gottesreich
5. E. Sauer – Die Bibel-das Buch der Heilsgeschichte

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“Maria” u. die NWO (D.Hunt)

Dave Hunt

Der Vatikan, Maria und die Neue Weltordnung

 Das Nachrichtenmagazin Time berichtet, rund um die Welt habe es so viele Erscheinungen der „Jungfrau Maria“ gegeben, daß das „ausgehende 20. Jahrhundert zum Zeitalter der Marienwallfahrten“ zu den vielen Heiligtümern geworden ist, die man zum Gedächtnis an diese Erscheinungen errichtet hat. Allein in Frankreich gibt es 937 Marienheiligtümer. Von 1961 bis 1965 kam es im nordwestspanischen Dorf Garabandal zu etwa 2.000 Visionen, begleitet von okkulten Phänomenen und apokalyptischen Botschaften an die Welt. Im Jahre 1983 sahen Hunderte von palästinensischen Arabern „die Jungfrau Maria“ in der Nähe von Bethlehem. Sie ist in jedem Winkel der Welt erschienen:

Da gibt es noch Dozule … und Kibeho in Ruanda … Erscheinungen unserer Lieben Frau im japanischen Akita … Erscheinungen in Chile, in Australien und in Polen … in Kanada … Kairo, Amsterdam, New York u.a.m.

Diese Erscheinungen haben Millionen Menschen zum Glauben an die Maria des Katholizismus geführt. Die Heiligtümer im französischen Lourdes ziehen alljährlich etwa 5,5 Millionen Pilger an; 5 Millionen kommen zur Schwarzen Madonna in Polen; Fatima in Portugal „zieht jährlich stets 4,5 Millionen Pilger aus immer mehr Ländern an“. Seitdem Johannes Paul II. das Marienheiligtum im irischen Knox besucht hat, „verdoppelte sich die Besucherzahl auf 1,5 Millionen Menschen pro Jahr. Um den Andrang zu bewältigen, eröffnete man 1986 einen neuen Flughafen in Knox.“  In Orlando in Florida ist kürzlich ein Heiligtum der „Maria, Königin des Universums“ eröffnet worden. Das Heiligtum Unserer Lieben Frau von Guadalupe bei Mexiko City „zieht jedes Jahr an die 20 Millionen Besucher an“

Rund um die Welt wird Marias wirksamer Schutz gefeiert. Unsere Liebe Frau von Lanka, der man zuschreibt, während des 2. Weltkriegs eine japanische Invasion verhindert zu haben, ist seit 1948 die Patronin von Sri Lanka. Unsere Liebe Frau von Copacabana ist „Patronin der bolivianischen Marine … Unsere Liebe Frau von Coromoto Patronin von Venezuela“.  Der polnische Präsident Lech Walesa pilgerte nach Fatima, wo er „Dankgebete für die Befreiung Polens darbrachte“.  Johannes Paul II. glaubt, daß „Maria dem Kommunismus in ganz Europa ein Ende gemacht hat“.  Moskaus Erzbischof Kondrusiewicz pilgerte im Jahre 1991 aus gleicher Überzeugung nach Fatima, worüber das sowjetische Nationalfernsehen zur besten Sendezeit berichtete. In Moskau soll in Kürze aus Dank für ihren Sieg über den Kommunismus ein Heiligtum „Unserer Lieben Frau von Fatima“ errichtet werden, die unmittelbar vor dem Fall der Berliner Mauer in der Sowjetunion erschienen war. Kondrusiewicz möchte, daß ihr Heiligtum zu einem immerwährenden Gedächtnis an diese große Eroberung wird.

Die Erscheinungen verkünden in übereinstimmender Weise die zukünftige Welteinheitsreligion des Antichristen: Alle Religionen sind im Grunde genommen gleich und müssen sich zusammentun, um Frieden zu erlangen. Maria bietet ein ökumenisches Evangelium an, das „von Katholiken, Protestanten, Muslimen und Juden angenommen“ werden kann und erklärt: „Jeder betet Gott auf seine eigene Weise an mit Frieden im Herzen.“ Das sagt Unsere Liebe Frau von Medjugorje im Süden von Bosnien-Herzegowina, wo die Visionäre behaupten, die Jungfrau sei in den letzten 13 Jahren täglich erschienen.

Erscheinungen und die offizielle katholische Lehre.

Die Marienerscheinungen würden wohl kaum so große Gefolgschaften anziehen, wenn die offiziellen Dogmen das nicht unterstützten. Den Katholiken wird beigebracht, zu Maria zu beten, und man verspricht ihnen, sie werde sie vor jeder Gefahr beschützen und jeden Wunsch gewähren. Der neue Katechismus der katholischen Kirche erklärt mit einem Zitat vom 2. Vatikanum: „Schon seit ältester Zeit wird die selige Jungfrau unter dem Titel der ‚Gottesgebärerin‘ verehrt, unter deren Schutz die Gläubigen in allen Gefahren und Nöten bittend Zuflucht nehmen.“ Hier haben wir offizielle katholische Lehre von oberster Stelle, die Maria eine Autorität und Macht zuschreibt, welche allein Gott zusteht!

In der ganzen Bibel gibt es nicht ein Gebet an Maria, nicht einen Fall, daß sie jemandem auf wunderbare Weise geholfen hätte, und auch keine Verheißung, daß sie das könnte oder täte. Von Mose bis zur Offenbarung wird Schutz und Hilfe allein bei Gott bzw. Christus gesucht, allein von Gott bzw. Christus verheißen und allein bei Gott bzw. Christus gefunden. Das belegen Hunderte von Versen, von denen die folgenden nur eine kleine Zusammenstellung sind:

Eine Zuflucht ist der Gott der Urzeit, und unter dir sind ewige Arme (5. Mose 33,27).
Gott ist unsere Zuflucht und Stärke, als Beistand in Nöten reichlich gefunden (Psalm 46,2).
Auf Gott ruht mein Heil … der Fels meines Schutzes, meine Zuflucht ist in Gott (Psalm 62,8).
Ich sage zum HERRN: Meine Zuflucht … mein Gott, ich vertraue auf ihn (Psalm 91,2).
Laßt uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe! (Hebr. 4,16).

Der unendlich machtvolle und liebende Gott, und Christus (der eins ist mit dem Vater), haben über die Jahrhunderte alle, die auf ihn vertrauten – wie verheißen – beschützt. Weshalb sollte dann jemand Maria anrufen? Ist sie vielleicht mächtiger als Gott oder hat sie mehr Mitleid oder ist sie verläßlicher oder antwortet sie schneller? Obwohl es die meisten Katholiken abstreiten würden, hat „Maria“ in heimtückischer Weise die christliche Dreieinigkeit ersetzt. Dem Bildnis Unserer Lieben Frau von Guadalupe hat man während seiner letzten Reise durch die USA Wundertaten zugeschrieben. Die Ehrerbietungen, mit denen es in Mexiko empfangen wurde, sehen u.a. wie folgt aus:

Die öffentlichen Busse in den Außenbezirken von Mexiko City haben blumengeschmückte Gnadenbilder der Jungfrau auf ihren Armaturenbrettern, mexikanische Fabriken hängen vielfach Bilder der Jungfrau auf, um von schlechtem Benehmen abzuschrecken, und Zigtausende der alljährlichen Pilger der Basilika beenden ihre Reise rutschend auf  ihren Knien.

Maria um Hilfe und Schutz anzuflehen bedeutet, daß sie Gott zumindest an Macht gleichkommt und vor Gott bzw. Christus bevorzugt wird. Das ist nicht die Maria der Bibel. Der Glaube an die Maria des Katholizismus, gefördert durch die Tausende von Erscheinungen, bereitet den Weg für eine Welteinheitsreligion, eine Neue Weltordnung und die Herrschaft des Antichristen.

Die einzigartige Rolle der erstaunlichen Maria

Die Frauen von heute setzen sich weltweit mehr durch, als jemals zuvor in der Geschichte. Entgegen der landläufigen Meinung, „stiften Frauen den meisten Familienkrach an und schlagen die Männer häufiger und heftiger als die Männer die Frauen“, und in lesbischen Beziehungen gibt es weit mehr Gewalt, als in Beziehungen zwischen Mann und Frau. (USA-Today,1994)
Frauen übernehmen das, was einst Aufgabe der Männer war, und auch in den höchsten Ebenen des leitenden Managements, der Politik und der Religion finden sie zunehmend Anerkennung. Gott allein kann Johannes vor 1900 Jahren eine Vision gegeben haben, die sich heute so genau erfüllt – eine Frau hat die Kontrolle.

Von den heutigen Entwicklungen her erscheint es unumgänglich, daß eine Frau das Tier reiten muß. Und von allen Frauen der Geschichte kann es keine mit der allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen „Maria“ aufnehmen. Kann es vielleicht sein, daß sie als Vorbereitung auf ihre einzigartige Rolle in der Neuen Weltordnung auf dem Rücken des Tieres derzeit Millionen rund um die Welt in einem blendenden Machterweis erscheint? Das Drehbuch ist genial! Johannes Paul II. sagte:

Maria … sollte alle begeistern, die in der apostolischen Mission der Kirche für die Wiedergeburt der Menschlichkeit mitwirken … Die Kirche reist durch die Zeit … auf dem Weg, den die Jungfrau Maria bereits vorgezeichnet hat.

Die ökumenische Macht dieser Maria liegt darin begründet, daß sie eine neue Gottheit darstellt, die für die Anhänger aller Religionen annehmbar ist – eine weibliche Gottheit im Gleichschritt mit dem Zeitgeist von heute. Selbst die Protestanten finden sie attraktiv. Bei einer Frauenkonferenz im November 1993 „sprachen über 2.000 Teilnehmerinnen ein Gebet zu … einer weiblichen Gottheit … [und] in einem der heiligen Kommunion nachempfundenen Ritual nahmen die Frauen zur Ehre der Gottheit Milch und Honig zu sich“. – Eine uns fernliegende New-Age Veranstaltung? Nein, „die meisten Teilnehmerinnen repräsentierten vornehmlich protestantische Denominationen …“

Eine lutherische Pastorin „sagte stolz, daß der Name Jesus Christus nicht genannt wurde“ und andere Gemeindeleiter forderten die Anwesenden auf, „die patriarchale Vorstellung eines Vater-Gottes“ umzustürzen.  Die koreanische Theologin Chung Hyun Kyung „drängte die Christen, eine ‚neue Dreifaltigkeit‘ aus buddhistischen, hinduistischen und philippinischen Göttinnen anzunehmen“. (Charisma, Mai 1994)

Der Katholizismus ist ein Sprung nach vorn. Seine „Maria“, eine für alle Religionen geeignete Göttin, wird bereits von einem Viertel der Weltbevölkerung angebetet. Außerdem hat sich ihre Tauglichkeit zur Beherrschung einer loyalen Menschenmasse jahrhundertelang auf nationaler Ebene erwiesen:

Maria war im Jahre 1037 die „erklärte Königin des ukrainischen Volkes“, und der hl. König Stephan hatte ihr etwa zur gleichen Zeit Ungarn geweiht. „Richard II. weihte im Jahre 1381 England feierlich als ‚ihre Mitgift‘ an Maria …“ Frankreich wurde im Jahre 1638 auf Befehl Ludwigs XIII. an Maria geweiht, welcher sagte: „Wir weihen ihr insbesondere unsere Person, unseren Staat, unsere Krone und unsere Untertanen“; Polen im Jahre 1656 durch König Kasimir. Alle „südamerikanischen Kolonien Spaniens wurden Maria im Jahre 1643 durch eine ‚feierliche Einsegnung‘ unter dem Befehl König Philips IV. geweiht“, und 1664 geschah gleiches „für Portugal und alle seine Kolonien auf die Anregung König Johanns IV. hin … Österreich im darauffolgenden Jahr“ usw. Im Jahre 1846 schrieben die Bischöfe von Amerika: „Wir … stellen uns selbst samt allen, die unserem Amt vertrauen … unter die besondere Schirmherrschaft der heiligen Mutter Gottes …“ (Soul Magazine April 1993)

Maria und der Islam

Man kann sich leicht vorstellen, wie Buddhisten, Hinduisten, New-Ager und Liberale – wie auch Katholiken und Protestanten – sich zu einer Welteinheitsreligion vereinen, aber die Milliarde Muslime stellt ein besonderes Problem dar. Maria scheint jedoch eine Besonderheit zu sein, durch die selbst die Muslime zu einem universalen Glauben geführt werden können. Eine britische katholische Zeitung (The Tablet 1992) berichtet, daß „eine marianische Erweckung sich über ganz Afrika ausbreitet, begleitet von angeblichen Erscheinungen der Jungfrau Maria, die auch unter den Muslimen eine Gefolgschaft versammeln …“Afrikanische Muslime sehen selbst Erscheinungen der Jungfrau Maria und „werden nicht aufgefordert, Christen zu werden“, um ihr folgen zu können. Die Zeitschrift Our Sunday Visitor weist auf die große Ehre hin, die Maria im Koran zuteil wird, und auf die verdächtigen Verbindungen zwischen ihr und Mohammeds Lieblingstochter Fatima.

Bischof Fulton J. Sheen schrieb ein interessantes Buch (Mary and the Moslems – The World`s First Love 1952), in dem er die Voraussage aufstellte, daß der Islam sich „durch die Aufforderung an die Muslime zur Verehrung der Mutter Gottes“ zum Christentum bekehrt. Er schreibt dazu:

„Der Koran … enthält viele Abschnitte über die selige Jungfrau. Zunächst glaubt der Koran an ihre Unbefleckte Empfängnis wie auch an ihre Jungfrauengeburt … Dann ist Maria für die Muslime die wahre Sayyida, oder Liebe Frau. Die einzige, die ihr möglicherweise und ernsthaft diese Stellung streitig machen könnte, ist Fatima, die eigene Tochter Mohammeds. Aber nach dem Tode Fatimas schrieb Mohammed: „Du sollst die gesegnetste aller Frauen im Paradiese sein, nach Maria.“ 

Sheen fährt fort und sagt, wie bemerkenswert es sei, daß „Unsere Liebe Frau die Weitsicht hatte, in dem portugiesischen Dörfchen namens Fatima zu erscheinen (das nach der Tochter Mohammeds während der muslimischen Besatzung benannt wurde) und so als Unsere Liebe Frau von Fatima bekannt wurde. Wenn in Afrika, Indien oder sonstwo eine Statue „Unserer Lieben Frau von Fatima“ durch muslimische Gebiete getragen wird, strömen die Muslime tatsächlich zu Hunderten herbei, um sie zu verehren.“  Innerhalb von zwei Tagen kamen im indischen Bombay schätzungsweise 500.000 zur Ehrerbietung dieses Abgottes herbei.

Maria und Johannes Paul II.

Niemand ist mehr von der Echtheit der Erscheinungen in Fatima überzeugt, als der gegenwärtige Papst. Und niemand zeigt auch eine größere Hingabe an Maria. Johannes Paul II., der „sich selbst und sein Pontifikat ganz Unserer Lieben Frau geweiht hat, trägt das M an seinen Gewandsärmeln, und sein persönlicher Wahlspruch lautet totus tuus sum Maria (Maria, ich bin ganz dein). Der Papst hat für seine besondere Hingabe ungewöhnliche persönliche Gründe. Der Mordversuch an ihm wurde am 13. Mai 1981 verübt, dem Jahrestag der ersten angeblichen Erscheinung der Jungfrau vom 13. Mai 1917 in Fatima. Während seiner Genesung sagte sie ihm in einer Vision, daß sie ihm sein Leben für eine bestimmte Aufgabe für den Friedensprozeß gerettet habe, die er zu erfüllen hätte.

Als Johannes Paul II. nach seiner Gesundung in den Vatikan zurückkehrte, betete er an den Gräbern seiner direkten Vorgänger und sagte: „Hier könnte nun ein weiteres Grab sein, aber die selige Jungfrau … hat es anders gewollt.“  Voll Dank und Ehrerbietung fügte er hinzu: „Bei allem, was an jenem Tag geschah, fühlte ich die außerordentliche mütterliche Bewahrung und Fürsorge, die sich stärker als die tödlichen Kugeln erwies.“Wozu brauchst du also Gott, wenn du im Schutz Mariens stehst?

Der dankbare Papst unternahm am 13. Mai 1982 eine feierliche Wallfahrt nach Fatima, wo er vor der Statue Unserer Lieben Frau von Fatima betete. Tausende hörten ihn sprechen und die Welt an Maria weihen, so wie sie es gefordert hatte.“ Bei mindestens drei weiteren Gelegenheiten, am 16. Oktober 1983, am 25. März 1984 und am 8. Dezember 1985 … weihte er die Welt an Unsere Liebe Frau“ (The Fatima Crusader, 1986) und nannte dabei insbesondere das russische Volk. Jetzt, da die Berliner Mauer gefallen ist und der Sowjetkommunismus sich in ganz Osteuropa aufgelöst hat, schreibt man darin Unserer Lieben Frau von Fatima die Erfüllung ihrer Verheißung zu, daß bei einer Weihe der Welt und Rußlands an ihr Unbeflecktes Herz durch die Päpste und Bischöfe, Rußland sich bekehren und Frieden sein wird! 

Eine solche Aussage steht in vollem Gegensatz zu den klaren Lehren der Bibel, die „Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Römer 5,1) als bedingungsloses Geschenk der Gnade Gottes anbietet – einen Frieden, der „durch das Blut seines Kreuzes“ (Kolosser 1,20) gebracht worden ist. Durch den Glauben an das Evangelium kommt der Friede zu jedem einzelnen. Weltfriede kann nur dann aufgerichtet werden, wenn Christus wiederkehrt und, wie von den Propheten vorausgesagt, von Jerusalem aus seine Herrschaft antritt.

Doch die Maria des Katholizismus ist als die eine, durch die der Friede kommen soll, an die Stelle Christi getreten, und der jetzige Papst und seine Kirche unterstützen diese Irrlehre. Die heutige Welt (einschließlich derjenigen, die sich selbst Christen nennen) ist nur allzu bereit, eine Lösung für ihre Probleme anzunehmen, die Christus außen vor läßt. Daß die Frau auf dem Rücken des Tieres sitzt, scheint daraufhinzudeuten, daß diese Pseudomaria der Erscheinungen bei dem falschen Frieden, durch den der Antichrist „viele vernichten wird“ (Daniel 8,25), eine Schlüsselrolle spielt. Die Gestalt, die als Jungfrau von Fatima erschien und verkündete, daß der Herr „ihr den Frieden der Welt anvertraut hat“, bietet anstelle von Christus ihren eigenen Friedensplan an: Betet täglich den Rosenkranz, damit in der Welt Frieden wird …

Ein verführerischer Geist.

Jeder Papst der vergangenen 60 Jahre hat Unsere Liebe Frau von Fatima verehrt. Die Weihe an ein mystisches „Unbeflecktes Herz“ ist an die Stelle der Hingabe an Christus getreten, und der Gehorsam zu „Unserer Lieben Frau“ bringt den Frieden.

Die Erscheinung ist gewiß nicht Maria! In Fatima sagte die Erscheinung, die für sich selbst die Autorität Christi beansprucht: Ich werde euch niemals im Stich lassen. – Das ist die Verheißung Christi an seine Jünger, und sie setzt Allgegenwart voraus, eine allein Gott zustehende Eigenschaft.

Diese „Erscheinungen“ stehen eindeutig dem biblischen Evangelium der Errettung allein aus Gnade durch Glauben an das vollbrachte Opfer Christi entgegen und glorifizieren an seiner Stelle eine falsche Maria. Ein „verführerischer Geist“ (1. Timotheus 4,1) ist am Werk.

Der Jesus des Katholizismus: Maria untergeordnet

Den Erscheinungen schreibt man zu, daß sie die Menschen auf Jesus hinweisen, doch bei den Pilgern an den Marienwallfahrtsorten ist nur wenig von einer wirklichen Hingabe an Christus zu erkennen. Immer und immer wieder betet man den Rosenkranz, und ständig ist die Rede von Maria anstatt von Gott bzw. Christus. Ihr gilt die ganze Hingabe, und die Pilger sehen sich selbst als ihre Knechte an, die ihren Willen erfüllen.Außerdem ist der Jesus, der in den Erscheinungen vorgestellt wird, eine Fälschung und stets Maria untergeordnet . . .

Am 15. Februar 1926 erschien „das Jesuskind“ wieder und drängte die Katholiken, „diese Hingabe und Wiedergutmachung an das Unbefleckte Herz seiner heiligen Mutter zu verbreiten“. Dabei erklärte es, daß dem Unbefleckten Herzen Marias Wiedergutmachung geleistet werden müsse, damit die Menschheit gerettet wird!
Das ist wiederum Gotteslästerung
der schlimmsten Art. Die wirkliche Mutter Jesu oder er selbst würden das niemals verlangen.

Christus ist kein Kind mehr und würde deshalb nicht mehr in dieser Gestalt erscheinen – und wozu sollte er das auch?
Als er für unsere Sünden starb, war er ein erwachsener Mann, und jetzt sitzt er mit einem verherrlichten Auferstehungsleib zur Rechten des Vaters. Die Vorstellung, Christus sei immer noch ein kleines Kind in Begleitung seiner Mutter, widerspricht allem logischen Denken, der Wirklichkeit und vor allem der Bibel.

Doch wer kein Problem mit dem Glauben daran hat, Millionen einzelner Hostien würden sich in den tatsächlichen stofflichen Leib Christi verwandeln, „ganz und völlig“, hat auch keine Schwierigkeit zu glauben, daß Christus als kleines Kind auf der Erde erscheint, obwohl er gleichzeitig als erwachsener Mann mit seinem Auferstehungsleib im Himmel ist.

Außerdem sagte der wirkliche Jesus nach seiner Auferstehung zu seinen Jüngern, daß „allen Nationen in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden“ sollte (Lukas 24,47).
Paulus sagte in seiner Predigt, daß „durch diesen [Jesus] euch Vergebung der Sünden verkündigt wird, und von allem, wovon ihr durch das Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird durch diesen jeder Glaubende gerechtfertigt“ Apostelgeschichte 13,38.39).

In der Bibel gibt es keinen Hinweis darauf, daß man Maria Wiedergutmachung wegen Sünden leisten müsse, und erst recht nicht darauf, daß dies „für die Rettung der Menschheit“ notwendig sei. Alle Erscheinungen präsentieren in dreister Weise ein falsches Evangelium der Errettung durch Maria und des üblichen sakramentalen Katholizismus des Fegefeuers, der Rituale und der Werke.Hier sehen wir ganz eindeutig das, wovor Paulus warnte und sagte, es geschehe in den letzten Tagen:  „…manche werden vom Glauben abfallen, indem sie auf verführerische Geister und Lehren von Dämonen achten“ (1. Timotheus 4,1). Was diese Erscheinungen lehren, ist definitiv Lehre von Dämonen, die die Hinlänglichkeit von Christi Tod für unsere Sünden leugnen, seine Stellung als Herr über alles abstreiten und eine falsche Maria über ihn erheben.

Die Wiederbelebung der alten römischen  Religion

Die weltweite Wiedererstehung des Römischen Reichs unter dem Antichristen wird offenbar von einer Wiederbelebung seiner Religion begleitet sein, die, wie wir gesehen haben, in einem Heidentum besteht, das unter einem dünnen Anstrich christlicher Terminologie überlebt hat. Es ist schließlich als römischer Katholizismus bekannt geworden. Statuen von Fruchtbarkeitsgöttinnen wurden in Maria umbenannt. Von den römischen Kaisern fertigte man Bildnisse an, und wer sich weigerte, sich vor diesen niederzuwerfen und den Kaiser als Gott anzubeten, wurde getötet. Als Nachfolger der römischen Kaiser ließen auch die Päpste all jene umbringen, die ihnen und ihrer Religion die Untertänigkeit verweigerten. Das ist unbestreitbare Geschichte, von der die Bibel sagt, daß sie sich unter dem Antichristen wiederholen wird:

[Es wurde befohlen] dem Tier [dem Antichristen] … ein Bild zu machen … [und] das Bild des Tieres …bewirkte, daß alle getötet wurden, die das Bild des Tieres nicht anbeteten (Offenbarung 13,14.15).

Der Antichrist wird nicht ein Papst sein, jedoch wird ein Papst seine rechte Hand sein, Offenbarung 19,20 und 20,10. Wenn der Papst zur Zeit irgendwo auftritt, kann man jedoch eine ihm entgegengebrachte Verehrung beobachten, die der gleichkommt, die die Welt dem Antichristen zollen wird, wenn sie ihn als Gott anbetet. Erschreckend aufschlussreich ist folgender Bericht vom Weltjugendtag in Denver 1993:

„In seiner weißen Tracht besteigt Johannes Paul II. die Stufen zu seinem Stuhl, einem thronartigen Gebilde aus Eichenholz. Noch einmal winkt er den stehenden Pilgern zu, dann steigt er hinauf und setzt sich … Die Musik spielt sanft weiter, als ein Jugendlicher vom Internationalen Jugendforum von der Vorbühne verliest: „Ich sah eine große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen vor dem Thron und vor dem Lamm stehen, bekleidet mit weißen Gewändern und Palmen in ihren Händen. Und sie rufen mit lauter Stimme und sagen: Das Heil unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!“

Die Bedeutung dieser besonderen Schriftstelle in diesem Zusammenhang … schlug bei den Protestanten Alarm und versetzte sie in Furcht und Schrecken. Die Verse stammen aus Offenbarung 7,9-10 und stellen den Blick auf Christus und seinen Thron im Himmel dar. „Die große Volksmenge, die niemand zählen konnte“ ist die wahre Kirche, die Gemeinde, die Braut … Im Cherry Park sitzt jedoch der Papst auf einem Thron vor Jugendlichen aus vielen Nationen und Sprachen. Sie jubeln ihm zu, als diese Schriftstelle vorgelesen wird.

Gibt der Papst sich einschmeichelnd als Christus auf seinem Thron und die Jugendlichen zu seinen Füßen als seine Schafe aus …?

… Die Arroganz ist überwältigend, obgleich Johannes Paul einen demütigen Eindruck vermittelt. Wer sich mit der Bibel nicht auskennt und auch die Bedeutung der polnischen Hymne nicht kennt, sieht und merkt nichts von dieser Arroganz. Er sieht und fühlt Liebe…
Papst Johannes Paul II. hat offenbar einen Geist von gewaltiger verführerischer Kraft … Er läßt sich Abba/Vater nennen und sitzt dabei in weißen Gewändern auf einem Thron … In ihren nationalen Trachten gekleidete Jugendliche, die jeden Kontinent repräsentieren, kommen mit ihren Nationalflaggen nach vorn. Sie betreten die Mittelstufen und plazieren ihre Flaggen auf dem Podium, buchstäblich zu den Füßen Johannes Pauls. (Hayes, Trumpet, 1993)

Das alte Spiel beginnt von vorn

Die heidnischen Römer, die den Kaiser anbeteten, waren geistig nicht eingeschränkt. Sie hatten viele Götter und tolerierten ein breites Glaubensspektrum. Die Christen verfolgte man nicht aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus, sondern weil sie an ihn allein glaubten und neben dem Gott der Bibel keine anderen Götter akzeptierten. Der Katholizismus toleriert in ähnlicher Weise jede Religion und gestattet seinen Mitgliedern, von Yoga bis Voodoo alles zu praktizieren, solange sie nur in der Kirche bleiben. Sowohl die öffentliche Meinung als auch die Gesetzgebung unterstützen die gleiche Haltung.

In Kanada und den Vereinigten Staaten (und anderswo) stellt man „Haßgesetze“ auf, die Äußerungen, jemand läge mit seiner Religion oder seinen Moralvorstellungen falsch, zu einem Verbrechen erklären. So wird es auch wohl bald gesetzeswidrig sein, wenn man sagt, Homosexualität sei Sünde oder irgendeine Religion sei falsch. Der von den USA und vielen anderen Ländern unterzeichnete „Völkermord-Vertrag“ (ist noch nicht in Kraft getreten,) macht es bereits zu einem Verbrechen, zu jemanden zu sagen, sein religiöser Glaube sei falsch, und zu versuchen, andere zu dem zu bekehren, was man selbst als die Wahrheit ansieht.

Komischerweise behauptet der römische Katholizismus einerseits, er sei die eine wahre Kirche, während er andererseits, wie wir gesehen haben, gleichzeitig allen Religionen beipflichtet. Auch in diesem Punkt weist sich der Vatikan in einzigartiger Weise als die Frau auf dem Tier aus Offenbarung 17 aus.
Wir haben Johannes Pauls II. Gutheißung aller Religionen gesehen, wie auch seine Behauptung, alle Götter seien dasselbe, während er gleichzeitig die fundamentalistischen Christen verurteilt. Sein Freund und Bewunderer, der Fernsehevangelist Robert Schuller, stellt aus angeblich evangelikaler Sicht ähnliche Ideen vor: Die Weise, auf die man „die gute Religion von der schlechten unterscheidet“, habe man zu prüfen, ob sie „positiv“ ist. Schuller fordert die „religiösen Führungspersönlichkeiten auf … in einem massiven, vereinten Bestreben aller Religionsführer … ungeachtet ihrer Theologie … ihren Glauben in positiven Begriffen auszudrücken … um die positive Macht von Weltgemeinschafts aufbauenden religiösen Werten zu proklamieren“.

„Weltgemeinschafts-aufbauende religiöse Werte“, die für alle Religionen akzeptabel sind? Der Antichrist persönlich könnte diese zweideutige Redeweise nicht besser bringen! Doch Schuller wird von führenden Evangelikalen empfohlen und erfreut sich jeden Sonntagmorgen des größten Publikums von allen Fernsehevangelisten. Schullers freundschaftliches Verhältnis zum Katholizismus und sein Eintreten für das „Heimkommen“ der Protestanten haben wir bereits ausführlich dargelegt.

Die bevorstehende Welteinheitsreligion wird auf eine heimtückische, nicht offensichtliche Weise eine antichristliche sein. Sie wird sich, wie Hitlers Nationalsozialismus, als positives Christentum ausgeben und für die ganze Welt unwiderstehlich attraktiv sein. Wie so vieles von dem, was wir bereits jetzt selbst in evangelikalen Kreisen finden, wird sie eine Verdrehung des Christentums in Christi Namen darstellen.
Die Marienerscheinungen und die anerkannteste katholische Evangelistin, Mutter Theresa von Kalkutta, fordern beide in gleicher Weise zur Annahme aller Religionen auf. Dabei wagt niemand, Mutter Theresa zu kritisieren, weil sie für ihren herausragenden selbstaufopfernden Dienst der Nächstenliebe bekannt ist. Der weltweite Ruhm Mutter Theresas von Kalkutta hat dem Katholizismus zu Anerkennung auch bei den Protestanten verholfen, die ihr aufopferungsvolles Leben der Nächstenliebe zurecht bewundern.

Der Vatikan und die Neue Weltordnung

Die neue Welteinheitsreligion wird alle Glaubensrichtungen gleicherweise tolerieren, sofern sie nur bereit sind, sich in der wohltätigen Rettung der Menschheit miteinander zu vereinen. Christen, die nicht zu Kompromissen bereit sind, wird man töten, weil sie der Einheit und dem Frieden im Wege stehen.Von Rom bis Washington sprechen die geopolitischen Analytiker von einer „neuen Allianz“ zwischen der größten Militärmacht der Welt, der USA, und dem größten geistlichen Führer der Welt, dem Papst.

Diese Allianz wird schon bald zwischen dem Weltherrscher und dem Vatikan bestehen. Die Frau wird in der Tat das Tier reiten und steuern, so wesentlich wird ihre Rolle sein. Der Antichrist wird sich darüber im klaren sein, daß ohne religiösen Frieden kein politischer Frieden herrschen kann. Es kann kein globaler Friede sein, bis nicht alle Religionen bereit sind, sich einander als Partner in der Zusammenarbeit auf globale Ziele hin anzunehmen – und aus den von uns dargelegten Gründen wird der Papst für die Aufrichtung der totalen Ökumene unabkömmlich sein.

Robert Müller, Katholik, ehemaliger stellvertretender UNO-Generalsekretär und Direktor der Friedensuniversität, sagte: „Was wir brauchen, ist eine Welt- oder kosmische Spiritualität … Ich hoffe darauf, daß sich die Religionsführer zusammentun und die kosmischen Gesetze definieren, die in allen Religionen gleichermaßen enthalten sind …“ Wenn sich die religiösen und politischen Führer schließlich zur Verwirklichung der gleichen Ziele vereinen, dann ist das Reich des Antichristen gekommen. Diese Situation bestand (in unvollkommener Einheit) in der Vergangenheit bereits über 1000 Jahre lang unter der Vorherrschaft des Vatikans. Und so wird es auch wieder sein, dieses Mal jedoch mit der schrecklichen totalen Kontrolle, die nur durch die heutigen Computer und Spionagesatelliten durchführbar ist.

Eine ernstliche Warnung vom Himmel

Wie können Religionsführer und ihre Anhänger einen solchen Totalitarismus tolerieren? Sehen wir uns als Beispiel einmal die 266 Mitglieder umfassende Delegation von Amerikas Nationalrat der Kirchen (NCC) an, die im Juni 1984 die Sowjetunion besuchte. Sie bereiste 14 Städte und besuchte zahlreiche staatlich genehmigte Kirchen. Die New York Times berichtete, daß die NCC-Delegation „die Stellung der Religion in der Sowjetunion lobte und die Rolle der Vereinigten Staaten beim Wettrüsten verurteilte … und Verwirrung darüber zum Ausdruck brachte, daß die Harmonie ihres Besuchs durch zwei Demonstranten getrübt wurde, die während eines baptistischen Gottesdienstes Religionsfreiheit forderten und ein Spruchband hochhielten: ‚Das ist keine freie Kirche‘. Der Leiter der NCC-Delegation, Bruce Rigdon vom theologischen Seminar McCormick in Chicago, „drückte seine Mißbilligung des Protests und seine Bewunderung für die Sowjetbeamten aus, die den Aufruhr unterbanden“.

Im spanischen Santiago de Compostela hielt die Konferenz Weltweiter Christlicher Gemeinschaften (WCC) vom 4. – 13. August 1993 ihre 5. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung. Die römisch-katholische Kirche war zum allerersten Mal offizielle und volle Teilnehmerin an einem WCC-Treffen. Das Ziel, das die Teilnehmer anstrebten, ist eine Weltkirche – und nicht eine Weltkirche, die durch Glauben vereint ist, als vielmehr eine, die sichtbar in den Augen der ganzen Welt vereint ist. Die Abgeordneten einigten sich auf die Aussage:

Es gibt keinen Weg zurück … von der alleinigen ökumenischen Bewegung, die die Belange der Einheit der Kirche und die Belange bezüglich … der Probleme der Welt in sich vereint.

Diese bedeutsame Erklärung erkennt an, daß die Weltkirche in Zusammenarbeit mit der Weltregierung operieren muß. Der Moderator des WCC-Zentralkomitees, Aram Keshishian, erklärte in seiner Ansprache, daß die WCC „ihren Kurs bezüglich Lehrfragen mehr auf die soziale Ethik hinsteuern muß … Glaube und Ordnung können bei dem Streben nach Einheit der Kirche nicht über die sozio-politische und wirtschaftliche Dimension hinwegsehen … Jeder Zwiespalt zwischen christlichem Glauben und politischen Belangen, zwischen der Einheit der Kirche und dem Kampf um Gerechtigkeit, stellt eine ökumenische Häresie dar.“Das Ziel wird verwirklicht werden. Die Vernunftehe zwischen dem Antichristen und der falschen Weltkirche wird jedoch nicht unbegrenzt andauern. Wenn die Flitterwochen vorüber sind, wird der Antichrist sein wahres Gesicht zeigen und die „Hure“ vernichten (Offenbarung 17,16) und somit Gottes Willen in diesem Prozeß bewirken (Vers 17).
Eine der schärfsten Anklagen, die Gott gegen die Frau auf dem Tier erhebt, ist die, daß sie nicht allein mit „Ware von Gold und Silber und Edelgestein“ gehandelt hat, sondern auch mit „Leibeigenen und Menschenseelen“ (Offenbarung 18,12.13).

In der Zwischenzeit ergeht eine „Stimme aus dem Himmel“, die mit erschreckendem Tonfall ruft:

Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht an ihren Sünden teilhabt und damit ihr nicht von ihren Plagen empfangt! Denn ihre Sünden sind aufgehäuft bis zum Himmel, und Gott hat ihrer Ungerechtigkeit gedacht…   Darum werden ihre Plagen an einem Tag kommen: Tod und Trauer und Hunger, und mit Feuer wird sie verbrannt werden; denn stark ist der Herr, Gott, der sie gerichtet hat (Offenbarung 18,4-8).

Mögen all jene, die Christus und sein Evangelium lieben, in Mitleid und wahrer Einheit zusammenfinden, um so viele wie möglich vor diesem harten Gericht zu retten.

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Europa – 8.Reich d. Drachen

Europa – Das achte Reich des Drachen

 Eine Betrachtung über Offenbarung 17, 1-14

von Gerhard Becker

1. Weltgeschichte und Heilsgeschichte

Die Heilige Schrift weist auf ein Königreich hin, das unmittelbar vor dem zweiten Kommen Jesu Christi bestehen und vom wiederkommenden Herrn zerstört werden wird. Dann wird Gottes Reich in der Heilsgeschichte sichtbar durchbrechen und das jetzige Weltzeitalter beenden (Offb 17,14.19).

Mit “Tier” bezeichnet der Seher Johannes sowohl ein Reich, als auch eine Person, die dieses Reich vertritt. Das Tier (das Reich und dessen Führer) empfängt seine Kraft vom Drachen, der auch Satan genannt wird (Offb 13,2; 12,3). Darum ist dieses Königreich letztlich ein Reich des Drachen. Das Tier hat sieben Häupter (Offb 17,7). Die Häupter haben eine doppelte Bedeutung. Sie stellen einmal 7 Berge dar, auf welchem das Weib sitzt, zum anderen sind die 7 Häupter auch als 7 Könige und damit als Staatsgebilde oder Reiche zu verstehen. Auf den 7. König folgt noch ein achter (Offb 17,11). Sie sind sämtlich Drachenreiche in unterschiedlichen Zeiten.

2. Die gefallenen 5 Häupter

In Offb 13,2 werden die Charaktereigenschaften des Tieres mit Raubtieren verglichen, nämlich mit einem Panther, einem Bären und einem Löwen. Mit diesen Raubtieren werden auch drei der vier Reiche beschrieben, von denen im Kapitel 7 des Propheten Daniel zu lesen ist. Für das vierte Reich nach Daniel 7 fehlt ein Vergleich mit einem Raubtier. Von ihm wird gesagt, dass es greulich und schrecklich und sehr stark ist und auch viel anders denn die vorigen und zehn Hörner hat (Dan 7,7). Offb 17 wiederholt und ergänzt die Prophetie von Dan 7. über die Königreiche.

Die fünf Reiche, die z.Zt. des Sehers Johannes bereits gefallen waren, lassen sich als folgende Reiche der Weltgeschichte erkennen:

1. Ägypten, 2. Assyrien, 3. Babel, 4. Medo-Persien, 5. Griechenland. Jedes dieser Reiche stand zu Israel in einer besonderen Beziehung:
In Ägypten lebte Israel in der Gefangenschaft. Die 10 Stämme des Nordreichs Israel gerieten in die assyrische Gefangenschaft. Die zwei Stämme des Südreichs, Juda und Benjamin, waren in Babel gefangen. Das medo-persische Reich behielt nach dem Zusammenbruch Babels die Oberherrschaft über Juda. Der griechische Feldherr Alexander der Große eroberte 333 v.Chr., kurz nach der berühmten Schlacht bei Issus, Jerusalem und Palästina, weil dies zur Rückendeckung für seinen weiteren Vormarsch nach Indien notwendig war.

Die Verbindung mit Israel erklärt sich daraus, dass das prophetische Wort nicht über profane Weltgeschichte berichtet, sondern über die Reich- Gottes- Geschichte. Letztere aber ist untrennbar mit Israel verbunden. Welche Reiche in Offb 17 gemeint sind, ist daher an der Geschichte Israels abzulesen.
Gott hatte das Volk Israel aus- und abgesondert, damit es als Zeuge der Heilsoffenbarung allen Völkern dient. Israel sollte daher als Gottesstaat über allen Völkern stehen. Darum führte Gott es aus der Knechtschaft, in der es zur Zeit seines Entstehens in Ägypten lebte, heraus in die Freiheit. Da Israel seinem Gott jedoch ungehorsam war, tat es Gott unter die Völker (2.Mose19,5f; 5.Mo28,25.64-68). Israel verlor seine politische Freiheit wieder. Es geriet als politisches Gemeinwesen unter die Herrschaft von bestimmten Reichen dieser Welt. Das sind die Reiche zwei bis acht, die Offb 17 (außer dem ersten) zahlenmäßig aufführt.

3. Das sechste Haupt

Vom sechsten Haupt (König) heißt es: “. . . und einer ist”. Das war das Reich Roms, das z. Zt. des Johannes noch bestand. Satan versuchte Jesus in der Wüste damit, ihm “alle Reiche der ganzen Welt” geben zu wollen, so er niederfalle und ihn anbete (Luk.4,5 und 6). Mit “alle Reiche dieser Welt” übersetzt Luther das griechische Wort ” oikumene ” des Urtextes. Das Wort “oikumene” ist auch in Lk 2,1 mit “alle Welt” übersetzt. Dort heißt es: “Es begab sich, dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging, dass ‘alle Welt’ geschätzt würde.” Das griechische Wort ” oikumene ” bezieht sich im ganzen NT auf das Römische Reich oder die römische Welt.
Aus dem Bericht über die Versuchung Jesu ergibt sich somit, dass Satan, auch Drache genannt, der gefallene Engelfürst des Römischen Reiches war.  Jesus widerstand der satanischen Versuchung. Im Gegensatz zu Adam ordnete er sich nicht dem satanischen Willen unter. Im Jahre 395 wurde das Römische Reich in Westrom und Ostrom geteilt. Westrom – das ursprüngliche und eigentliche Rom – ging 476 mit dem letzten Kaiser Romulus in einer Schlacht gegen den Herulerfürsten Odoaker unter. Das immer kleiner werdende Ostrom blieb bis zum Jahre 1453 bestehen, als die Türken Konstantinopel eroberten. Wie die vorausgegangenen fünf Reiche, so stand auch Rom in einer besonderen Stellung zu Israel. Judäa gehörte zum römischen Imperium. Jesus von Nazareth, ein Jude nach seiner menschlichen Herkunft, wurde unter dem römischen Statthalter Pontius Pilatus gekreuzigt.

4. Das siebente Haupt

Vom siebten Haupt heißt es in Offb 17,10: “. . . und der andere ist noch nicht gekommen; und wenn er kommt, muss er eine kleine Zeit bleiben.” Da Israel seinen Messias verworfen hatte, wurde es im Jahre 70 n.Chr. durch römische Soldaten in alle Welt zerstreut. Die Reich- Gottes- Geschichte Israels ist aber damit noch nicht beendet, sondern nur unterbrochen (Römer 11). Da es seit jener Zeit keinen Judenstaat mehr gab, konnte es auch kein einzelnes weltliches Reich geben, dem es hätte untergeordnet sein können. Das siebente Reich nach Offb 17 ist daher nicht in der Zeit der Zerstreuung zu suchen, als die Juden unter vielen Völkern lebten, denen es mehr oder weniger untergeordnet war. Als die Zerstreuung jedoch ihrem Ende zuging und schon viele Juden in das Land ihrer Väter zurückgekehrt waren, trat ein einzelnes Reich hervor, das sich zum Ziele setzte, alle Juden auszurotten, derer es habhaft werden konnte.

Der österreichische Journalist Theodor Herzl begründete im Jahre 1896 durch sein Buch “Der Judenstaat” den modernen Zionismus. Die zionistische Bewegung strebte an, in Palästina wieder eine öffentlich-rechtlich gesicherte nationale Heimstätte für die Juden zu schaffen. Daraufhin setzte allmählich die Rückwanderung der Juden ins Land der Väter ein.
Dies löste die Gegenwirkung des Drachen aus. Er wollte offensichtlich verhindern, dass der Staat Israel neu entstehen und Gott seine Reichsgeschichte mit seinem Volk fortsetzen kann. So gelang dem Widersacher, einen Mann zu gewinnen, der es sich zur Aufgabe machte, sämtliche Juden zu töten. Das war Adolf Hitler, ein Katholik, der ebenfalls – wie Herzl – Österreicher war. Ihm gelang es, sich an die Spitze des Deutschen Reiches zu setzen und – ausgerüstet mit staatlicher Machtfülle – seine judenfeindlichen Pläne zum größten Teil in die Tat umzusetzen.
Er verfolgte die Juden nicht nur in Deutschland sondern auch in fremden Ländern, über die er militärische Macht ausübte. Das Hitlerreich muss daher als das 7. Reich des Drachen angesehen werden. Es gibt keinen anderen Staat, der in vergleichbarer Weise gegen Israel wirkte, als es im Begriff war, sich zu sammeln und wieder ein Staat zu werden. Dieses Geschichtsverständnis findet sich im Buch Daniel bestätigt. Der Prophet Daniel sieht einen frechen und tückischen König aufkommen (Dan 8,23-25). Dieser König stimmt überein mit dem siebten Haupt in Offb 17.  . . .

Daniel schaut über die Zeit der Nachfolger Alexanders hinaus (Kap. 8,22f) auf eine damals in weiter Ferne liegende Zeit (Kap. 8,26). Sie gehört in die Zeit des Endes (Dan 8,17). In dieser Endzeit, die dem Kommen des Messias vorhergeht, sieht Daniel einen frechen und tückischen König aufkommen. Von diesem König heißt es:
a. Er wird mächtig sein, doch nicht durch seine Kraft. Er wird greulich verwüsten. Er wird die Starken samt dem heiligen Volk verstören – Dan 8,24
b. Er wird sich in seinem Herzen erheben und mitten im Frieden wird er viele verderben
c. und sich gegen den Fürsten aller Fürsten auflehnen
d. und ohne Hand zerbrochen werden – Dan 8,25

Alle diese Merkmale treffen auf Adolf Hitler zu:

a) Hitler nannte sich selbst den “größten Magier aller Zeiten”. Es waren ausgesprochen okkulte politische Kräfte, die bei seiner Machtübernahme im Jahre 1933 durchgebrochen waren. Der frühere Senatspräsident von Danzig, Hermann Rauschning, bestätigte in seinem Buch “Gespräche mit Hitler”, dass Hitler unter einem starken dämonischen, okkulten Einfluss gestanden habe.
Selbst Gebildete hätten damals erklärt, ‘der Führer ist ein Halbgott’. Das weithin vom reformatorischen Bekenntnis abgefallene Deutschland fiel dem zu Füßen, von dem es vorher in der behördlichen Kartei geheißen hatte: “Asozialer, Arbeitsscheuer”. Hitler hatte es im Kriege nur bis zum Gefreiten gebracht. Er besaß keine natürlichen Führungsqualitäten, wie Rauschning in dem genannten Buch in aufschlussreicher Weise darstellt. Als der Adjutant von Hitlers Einheit ihn 1923 in München reden hörte, meinte er, einen ganz anderen Menschen vor sich zu haben. Hitlers Erwählung war durchgebrochen. “Und der Drache gab ihm seine Kraft” (Offb 13,1). Hermann Rauschning schreibt als Zeitzeuge, dass Hitler ‘trunken vom Größenwahn’ gewesen sei und ‘nicht bloß der Parteiführung, sondern auch seinen konservativen Gegnern und der Reichswehrführung an Einsicht und Weitsicht sehr überlegen war’.

b) Hitler verstörte das “Heilige Volk”. Er ließ viele Juden verderben. Er tat dies mitten im Frieden; denn er befand sich mit den Juden nicht in einem Kriegszustand. Hitler ließ Millionen friedlicher und wehrloser Juden in KZ’s gefangen setzen. Das ist in der Geschichte ohne Beispiel. . . .

c) Der Hitlergruß bedeutete, dass in Hitler das Heil liege. Das war offenkundige Auflehnung gegen den Fürsten aller Fürsten, den Sohn Gottes.

d) Hitler wurde ohne fremde Hand zerbrochen. Er endete durch Selbstmord. Antiochus Epiphanes starb dagegen eines natürlichen Todes.
Aus all diesen Gründen darf angenommen werden, dass Hitler das siebente Haupt des Tieres nach Offb 17,7 war, das eine kleine Zeit, 12 Jahre, bleiben musste.

5. Das achte Haupt

Das 8.Reich ist nach dem Wortlaut von Offb 17,11 die Erneuerung eines der vorausgegangenen sieben Reiche. Um welches Reich es sich handelt, ergibt sich, wenn Dan 7,7 f. und Offb 17,11 miteinander verglichen werden. Auf das vierte Reich nach Dan 7,7f und das achte Reich (Haupt) nach Offb 17,11 folgt das Reich Gottes in sichtbarer Gestalt (Dan 7,27; Offb 19,6). Das 4. Reich nach Daniel und das achte Reich (Haupt) nach Offb 17 ist also als ein- und dasselbe Reich zu verstehen.
Offb 17 erklärt das 8. Reich (Haupt) als die Wiedererscheinung eines der vorausgegangenen Reiche. Diese Besonderheit des letzten Weltreiches sieht Daniel nicht. Das vierte und letzte Reich nach Daniel 7 und das 6. Reich nach Offb 17 aber ist eindeutig Rom. Folglich muss das 8. und letzte Reich nach Offb 17 die Neugestalt des 6. Reiches, nämlich Roms sein, die wir Europäische Union nennen. Dieses Verständnis stimmt mit der geschichtlichen Entwicklung überein.

Nach dem Untergang Westroms erwachte der Gedanke, das römische Reich in Form eines europäischen Reiches erneut entstehen zu lassen. Er ließ sich jedoch trotz mancher Ansätze zunächst nicht verwirklichen. Der römische Reichsgedanke musste aufkommendem nationalen Denken weichen.

Der Gedanke an ein vereintes Europa in Erbfolge des römischen Reiches erwachte wieder.

Am 25. Dezember 800 wurde der Frankenkönig Karl der Große in Rom von Papst Leo III. zum römischen Kaiser gekrönt. Aber schon im Jahre 817 entschloss sich Karl, sein fränkisches Reich unter seine Söhne Lothar, Phillip und Ludwig aufzuteilen. Das war die Geburtsstunde von Deutschland und Frankreich. Als Folge der Teilung des Frankenreiches entstanden in Europa Nationalstaaten. Deutsche und Franzosen beanspruchten fortan, Erben des Römischen Reiches zu sein. Darum die Jahrhunderte lange Erbfeindschaft zwischen beiden Völkern.
In Frankreich lebte die mit dem Gälischen vermischte lateinische Sprache der Römer im Französischen fort, ferner das römische Verwaltungswesen.
Frankreich war im Gegensatz zu Deutschland nach römischem Vorbild immer ein Zentralstaat. Die deutschsprachigen germanischen Stämme verstanden sich aber ebenso als Nachfolger Roms. Darum ließ sich der sächsische König Otto I. im Jahre 962 durch Papst Johannes XII. zum römischen Kaiser krönen. So entstand im Hochmittelalter das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Es galt als die Fortsetzung des römischen Kaiserreichs und wurde wegen der Verbindung mit der römischen Kirche heilig genannt. Es bestand bis zum Jahre 1806, als Kaiser Franz II. von Österreich die deutsche Kaiserkrone niederlegte. Der Gedanke an ein vereintes Europa in Erbfolge des römischen Reiches erwachte jedoch später wieder.

Das siebente Reich, das Hitlerreich, hatte noch keine römischen Ausmaße, obwohl sich in der Achse Berlin-Rom Ansätze zeigten. Es führte nicht zur Einigung Europas, bereitete sie aber entscheidend vor.

Inzwischen ist die Europäische Union entstanden. Sie darf – obwohl sie noch nicht ihre endgültige Gestalt erhalten hat – aus den genannten Gründen als das neuerstandene 6. Reich angesehen werden, das 8. Reich des Drachen.

Der Wiederentstehung Roms in europäischer und antichristlicher Form standen zunächst folgende Hindernisse entgegen, die noch bis zum Zweiten Weltkrieg als unüberwindlich galten:

a. Das Evangelium und biblische Maßstäbe für Sitte, Ehe und Familie. Sie prägten trotz mancherlei sündhaftem Verhaltens der Menschen die Kultur der Völker Europas und führten zum christlichen Abendland. Solange die Bibel allgemeine Richtschnur für das Leben eines Volkes ist, kann der Drache nichts ausrichten

b. Organisatorisch selbständige Nationalstaaten

c. Ein angestammtes normales Nationalbewusstsein und eine natürliche Vaterlandsliebe. Diese Hindernisse kann der Drache nur mit Hilfe der Menschen überwinden, indem er sie verführt. In der Geschichte des Abendlandes, insbesondere Deutschlands, ist die Verführungsmacht Satans deutlich erkennbar, mit deren Hilfe er die gezeigten Hindernisse angeht:

Der Drache bekämpfte das Evangelium, seitdem Paulus es nach Europa gebracht hatte. Zunächst durch blutige Verfolgung der Christen. Da dies nicht zum Erfolg führte, änderte er seine Methode. Er nahm und nimmt Einfluss auf die biblische Lehre. Insbesondere erreichte er, dass die frühe Kirche die Lehre der Heiligen Schrift über die Rechtfertigung des Sünders veränderte und durch eine unbiblische Marienlehre Jesus Christus in seiner Bedeutung zurückdrängte. Die Reformation führte auf dem Weg zum biblischen Evangelium zurück. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in Zeiten des geistlichen Aufbruchs, die damals begannen, die Bildung eines neuen europäischen Reiches in weite Ferne gerückt war.

Bibelkritische Theologien führten sowohl zu einem anderen Evangelium als auch zu einer anderen Ethik

Der evangelisch-kirchliche Bereich war nun besonderer Verführung ausgesetzt. Bibelkritische Theologien entstanden, die sowohl zu einem anderen Evangelium als auch zu einer anderen Ethik führten.
Der Großangriff gegen die Bibel setzte durch die Zeit der Aufklärung und die damit verbundene Französische Revolution ein. Unterstützt wurde dieser Angriff von der Darwinschen Evolutionstheorie, die den Schöpfergott durch lange Zeiträume und den Zufall ersetzt. Schließlich verdrängten ideologische Vorstellungen, insbesondere die Lehren von Karl Marx, den Gott der Bibel aus dem politischen Leben. Der Mensch von heute will ohne Gott regieren. Das führt zwangsläufig zu einem Niedergang von Sitte und Moral. Erinnert sei an die staatliche Billigung der Tötung ungeborener Kinder, die Legitimierung homosexueller Betätigung und die Freigabe der Pornographie. Dies wiederum führt zum Niedergang der Familie, der durch die schöpfungswidrige Gleichstellung von Mann und Frau noch gefördert wird.

Der Staat verschließt sich zwar dem Willen Gottes, er öffnet sich jedoch dem Übersinnlichen, dem Okkulten, das aus satanischer Quelle fließt. An öffentlichen Schulen werden Schüler gezwungen, sich mit okkulten Praktiken zu beschäftigen.

So geraten bereits junge Menschen unter die Herrschaft derselben Finsternismächte, die sich im Hitlerreich entfalten konnten, wenn auch in anderer Weise. Ziel dieses okkulten Aufbruchs ist “die neue Welt”. Aber diese neue Welt ist das künftige Reich des Drachen, der jetzt bereits am Werk ist, sich seine Untertanen zuzubereiten.

Ein neues Rom, das achte Reich des Drachen, könnte nicht entstehen, wenn die europäischen Staaten eigenständig bleiben wollten. Insbesondere stünden starke, um den Vorrang streitende Länder in Europa einem wiedererstehenden römischen Reich im Wege. Die letzten beiden Weltkriege scheinen daher aus der Sicht des Drachen allein deswegen notwendig gewesen zu sein, um den beteiligten europäischen Völkern Anlass zu dem Bestreben zu geben, künftig nie mehr gegeneinander zu kämpfen, sondern fortan Freunde zu sein und vereint miteinander zu gehen. Diese Neubesinnung begann damit, dass Deutschland und Frankreich sich entschlossen, ihre alte Erbfeindschaft zu begraben.

Paneuropa – ein Vorschlag

Den Weg zur Europäischen Union bereitete bereits im Jahre 1922 der Sohn eines böhmisch-altösterreichischen Diplomaten und einer Japanerin: Richard Graf Coudenhove-Kalergi. Damals veröffentlichte er in der Neuen Freien Presse in Wien seinen ersten politischen Entwurf, den Essay ‘Paneuropa – ein Vorschlag’.
Führende Staatsmänner griffen nach dem letzten Weltkrieg die Gedanken von Coudenhove-Kalergi auf. Der Deutsche Konrad Adenauer, der Franzose Robert Schuman und der Italiener Alcide De Gasperi – sämtlich katholische Politiker – waren die drei Gründungsväter der anfänglichen europäischen Sechsergemeinschaft, die 1952 bis 1957 Schritt um Schritt geschaffen wurde. Am 25. März 1957 wurden in einer feierlichen Zeremonie die Römischen Verträge unterzeichnet – der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft. Sie traten am 1. Januar 1958 in Kraft. Das war der Anfang. Maßgeblich führte später der bayerische Altministerpräsident Alfons Goppel im Europarat die Parlamentariergruppen zu einer handlungsfähigen Gemeinschaft zusammen. Es wollte das Recht in seiner völkerverbindenden Form vom Heiligen Römischen Reich auf die demokratische Gemeinschaft europäischer Völker übertragen.

Inzwischen schritt die politische Einigung Europas fort. Im Maastrichter ‘Vertrag über die Europäische Union’ vom 7.12.92 wurde die europäische Einigung besiegelt. Dieser Vertrag trat am 1. November 1993 in Kraft. Ein vereinigtes Europa kann selbstverständlich nicht ohne gemeinsame Währung sein. Darum gibt Deutschland seine gute, stabile DM-Währung auf und verbindet sie mit den schwachen Währungen anderer Mitgliedstaaten zu Euro.

Nicht zuletzt aber gibt der deutsche Staat sich selbst als Nationalstaat auf, in dem er unser Land gegen den mehrheitlichen Willen des eigenen Volkes zum Siedlungsgebiet für fremde Völker in dem uns bekannten Maße freigegeben hat. Aus dem Nationalstaat Deutschland wird ein Vielvölkerstaat.  . . .

c. Nationales Denken steht einem vereinten Europa entgegen. Anscheinend durch den Einfluss der Medien wird heute derjenige rechtsextremer, verwerflicher Gesinnung verdächtigt, der nationale Belange vertritt. Auf diese Weise wird der Widerstand gegen den Abbau des Nationalstaates und die Europäisierung Deutschlands unterdrückt und zu paneuropäischem Denken erzogen.

Die Loslösung vom göttlichen Sittengesetz, die Vernachlässigung von Ehe und Familie sowie die neue multikulturelle und multinationale Gesellschaft führen je länger je mehr zu chaotischen Zuständen. Erinnert sei an die beständig hohe Zahl von Arbeitslosen,
an die Zulassung eines nicht abreißenden Stromes von Asylbewerbern,
an die durch die Hinnahme eines sehr hohen Ausländeranteils eingetretene Störung des inneren Friedens, die sich augenfällig in der unverhältnismäßig hohen Ausländerkriminalität und dem Einbruch des Islam zeigt,
an den durch die Lockerung des Sittenstrafrechts eingetretenen Sittenverfall,
an die Bestrebungen den Verbrauch von Drogen zu erleichtern,
an die hohe Staatsverschuldung und an anderes mehr.

Die Frage nach der neuen Weltordnung wird gestellt, aber noch nicht beantwortet

Unser Land zu regieren, wird immer schwieriger. Ist dieses Chaos gewollt?
‘Ordo ab Chao’, “Die Ordnung entspringt der Unordnung”, ist eine freimaurerische Devise. Dabei wird zwar vorgegeben, die Unordnung vorgefunden zu haben, tatsächlich aber hat die Loge durch ihren Einfluss auf den Staat das Chaos erst geschaffen.
In dem Buch “Europa als Auftrag” schreibt der Mitherausgeber Prof. Dr. Rinsche, der Mitglied des Europäischen Parlamentes ist, im Hinblick auf die Zersplitterung der Weltpolitik:
“Die Frage nach der neuen Weltordnung wird gestellt, aber noch nicht beantwortet. Es gilt, aus Chaos Ordnung zu schaffen.”

Es drängt sich der Verdacht auf, dass in Europa, insbesondre aber in Deutschland, Chaosmächten Raum gegeben wurde, damit auf den Trümmern des christlichen Abendlandes ein neues Reich entstehen kann.

Das “Tier” will mit Hilfe der Kräfte des Drachens aus dem Chaos erretten, damit es sodann als Retter angebetet werden kann (Offb 13,15). Es ist noch nicht vergessen, dass das siebente Haupt des Tieres im Jahre 1933 auch als Retter des Vaterlandes empfangen und gottähnlich verehrt wurde.

Seit dem 14. Mai 1948 ist Israel wieder ein selbständiger Staat und nicht mehr den Völkern untergeordnet.
Es ist seinem Gott aber wie vor 2000 Jahren weiterhin ungehorsam und hat seinen Messias nach wie vor nicht angenommen. Hieraus erklärt sich, dass Israel je länger je mehr unter zunehmenden Druck der Völker gerät. Die Vorgeschichte spricht dafür, dass Israel wie bei den vorausgegangenen Reichen so auch vom 8. Reich des Drachen abhängig werden wird. Die gegenwärtige politische Lage lässt diese Entwicklung bereits erahnen.
So unterstützt die EU die Bildung eines palästinensischen Staates in Gebieten, die Israel im Sechstagekrieg als sein ihm von Gott gegebenes Land zurückerobert und in denen es noch nie einen Staat Palästina gegeben hat. Außerdem erkennt die Europäische Union Jerusalem – insbesondere die Altstadt – nicht als ungeteilte Hauptstadt Israels an. Sie will einen Sonderstatus für diese Stadt.

Bei seinem zweiten Kommen wird der Herr Jesus ähnliche Verhältnisse vorfinden wie bei seiner ersten Ankunft. Israel befindet sich nach langer Zeit wieder im Land der Väter, steht jedoch wie damals unter einem gewissen Druck einer europäischen Großmacht. Damals war dies Rom.
Vor Jesu Wiederkunft wird Israel erneut von einem europäischen Reich, der Europäischen Union, in seiner Souveränität beschnitten sein, wahrscheinlich zugunsten der Palästinenser. Aus den Zwängen dieses Reiches, des Reiches des Antichristen, wird sich Israel nicht selbst befreien können. In einer Zeit größter Not wird es nach seinem Messias schreien und ihn als Retter und Erlöser erfahren und empfangen (vgl. Sach 8-10).

Die Europäische Union wird das Kernreich des Antichristen sein.

Wer die 10 Könige sein werden, die eine Zeit lang mit dem Tier (Antichrist) Macht empfangen werden, vermag ich noch nicht zu erkennen. Es werden jedoch global miteinander verbundene Machtgebilde sein, über die der Antichrist herrschen wird. Die Europäische Union aber wird das Kernreich des Antichristen sein.

6. Das neunte Reich

Das achte Reich des Drachen ist sein letztes. Wer wird es besiegen? Ein Reich das mit einem unbezwingbaren Raubtier zu vergleichen wäre?

Nein, ein Lamm wird das achte Reich und die mit ihm verbündeten 10 Könige überwinden! Ein Lamm ist Sinnbild für Schwäche, Wehrlosigkeit und Opferfähigkeit. Das ohnmächtige Lamm Gottes hat den Drachen bereits besiegt auf Golgatha. Nun muss Satan am Ende dieses Äons das Feld räumen. Ein Hauch aus dem Munde des Gottessohnes genügt. Die Macht Gottes ist stärker als alle Macht des Teufels.

Große Scharen im Himmel jubeln: Halleluja! Denn der allmächtige Gott hat sein Reich eingenommen (Offb 19,6). Selig sind, die zum Abendmahl – man wird wohl auch sagen dürfen Siegesmahl – des Lammes berufen sind.

Gerhard Becker Jg. 1930, verh. ist Mitglied im Vorstand der Bekenntnisbewegung “Kein anderes Evangelium”.

Horst Koch, Herborn

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