Verrat an der Reformation (D.Hunt)

Dave Hunt

Verrat an der Reformation

Annahme und Förderung einer gütigen Sicht der römischen Kirche unter den heutigen Evangelikalen ist ein zunehmender Trend zu verzeichnen, die im Widerspruch zu den über 400 Jahre lang von Protestanten vertretenen Überzeugungen steht. Sofern man sich überhaupt noch an die Reformation erinnert, wird sie als überflüssige Trennung von einer bibeltreuen Kirche hingestellt. Äußerungen von verschiedensten Evangelikalen greifen heute Glauben und Überzeugungen von Millionen Märtyrern an, die lieber starben, als daß sie Transsubstantiation, Fegefeuer, Ablässe, Heiligenverehrung und die übrigen Lehren des falschen römischen Evangeliums der Rituale und Werke annahmen. Wenn der Katholizismus fest für „die großen fundamentalen Lehren des Christentums“ steht, wozu war die Reformation dann überhaupt gut?

Wenn die von vielen Evangelikalen vertretene Ansicht richtig ist, dann starben die Millionen, die Rom über die Jahrhunderte umgebracht hat, nicht für ihren Glauben, sondern aufgrund eines Mißverständnisses aufgrund unterschiedlicher Ausdrucksweisen. Wie tragisch!
Wenn evangelikale und katholische Lehren „im wesentlichen die gleichen“ sind, dann beruhte die Reformation auf einem unglaublichen Fehler, der nur erst jetzt nach über vier Jahrhunderten erkannt wird. Aber wenn das nicht der Fall ist, und es bestanden zur Zeit der Reformation in der Tat eindeutige und wesentliche Unterschiede zwischen katholischen und protestantischen Ansichten bezüglich grundlegender Lehren, weshalb dann heute nicht mehr? Hat der Katholizismus sich etwa geändert?

Wir haben gesehen, daß sich die von den Märtyrern unannehmbaren Dogmen des römischen Katholizismus nicht geändert haben. Und die Evangelikalen haben sich auch nicht als ganzes für ein anderes Evangelium als das von den Reformatoren verkündete der Errettung aus Gnade allein durch Glauben entschieden. Männer wie Billy Graham und W.A. Criswell haben sicherlich mit ihrem lebenslangen Dienst für Christus und dem Gewinn von Tausenden für ihn gezeigt, daß sie das Evangelium von der Gnade Gottes durch Jesus Christus nicht wissentlich kompromittieren würden. Das macht es umso schwieriger zu verstehen, wie sie und andere führende Evangelikale sich zu einer Gemeinsamkeit des Glaubens mit dem Katholizismus bekennen können, was für die vergangenen Generationen von Protestanten undenkbar gewesen wäre.

Ein hauptsächlicher Anlaß zu diesem Buch ist es, die schwerwiegenden Mißverständnisse bezüglich des Katholizismus auszuräumen. Rom verbirgt seine wirklichen Absichten geschickt durch schöne Worte und versteckt seinen wahren Charakter hinter schöner Kunst und bewegenden Frömmigkeitsbekundungen. Vieles von dem bis hierher Dargelegten – selbst die Wahrheit hinter solchen aktuellen Geschehnissen wie der Krieg in Jugoslawien, die weitverbreitete Promiskuität der Priester und die Eheannullierungen in der Größenordnung von Zehntausenden – hat wahrscheinlich viele Leser schockiert und womöglich auch verletzt. Das ist darauf zurückzuführen, daß Rom durch seine Beherrschung der Medien ein Image entwirft, das die Wahrheit sehr unglaubwürdig erscheinen läßt.

Da die Katholiken und Protestanten doch in politischen und sozialem Engagement zusammengearbeitet haben, warum sollten sie nun nicht auch gemeinsam die Welt evangelisieren? Zumindest unterschreiben sie das gleiche Glaubensbekenntnis und in vielerlei Hinsicht die gleichen moralischen Ansichten. Was immer auch an „kleinen Unterschieden in der Lehre“ besteht, kann doch wohl kaum von großer Bedeutung sein und sollte die Christen nicht trennen. So denken viele führende Evangelikale, und ihre Anhänger nehmen diese Auffassung aufgrund der gleichen Mißverständnisse gerne an.

Geschichte vergessen – Wahrheit unterdrückt

Die Reformation liegt so weit in der Vergangenheit zurück, daß ihre zentralen Streitfragen vergessen sind. Wir müssen uns an alle Umstände erinnern, egal wie unbequem das auch sein mag, damit wir die Missverständnisse ausräumen können, auf denen der neue ökumenische Prozeß beruht und die er fördert. Die meisten Protestanten haben nur sehr vage Vorstellungen davon, wogegen man vor so langer Zeit eigentlich „protestiert“ hat, und verstehen noch viel weniger von dessen heutiger Relevanz.

Selbst so ein unerschütterlicher Evangelist wie Billy Graham scheint, wie so viele andere führende Evangelikale, durch Roms neue Haltung überzeugt worden zu sein. Er hat Papst Johannes Paul II. dreimal besucht. Anscheinend aufgrund dieser Treffen nennt er den Papst den „weltweit größten Evangelisten“ und sagt, die wenigen Unterschiede in ihrer Theologie „sind, was die Errettung des Einzelnen betrifft, nicht wichtig“. Daß der Papst zu Graham weniger denn ehrlich war, ist daraus ersichtlich, was wir als offizielle Lehre Roms festgestellt haben eine Lehre, über die viele Evangelikale anscheinend nur sehr unzureichend informiert sind.

So eifrig sind viele Evangelikale in der Zusammenarbeit mit Katholiken, daß sie dabei Roms eigennützige Revision der Geschichtsschreibung akzeptieren, ohne selber die Tatsachen zu prüfen. Roms Beteuerungen von Frieden, Liebe und Bruderschaft in Christus sind ja ganz bestimmt aufrichtig, so laßt uns doch barmherzig sein und die Vergangenheit vergessen.

Selbst wohlwollende evangelikale Organisationen und Führungspersönlichkeiten haben bisweilen die Tatsachen zurückgehalten, um die Katholiken, die sie evangelisieren wollten, nicht anzugreifen. Wilson Ewin führt ein klassisches Beispiel an:

Die BGEA [Billy Graham Evangelistic Association] erwarb die Rechte [für eine Sonderausgabe] des … klassischen Henry H. Halley-Bibelkommentars mit dem Titel Pocket Bible Handbook … [Darin wird das von Rom angeordnete] Martyrium von Millionen beschrieben … [In ihrer Billy-Graham-Feldzug-Ausgabe von 1962] entfernte die Graham- Association alle diese Seiten …

In den weiteren Sonderausgaben von 1964 und 1969 nahm man die gleichen Streichungen vor. Die Folge war, daß den Lesern Dutzende Seiten mit bedeutenden historischen Tatsachen vorenthalten wurden. Diese Seiten berichteten sowohl von der Boshaftigkeit einiger Päpste als auch über Roms jahrhundertelange Verfolgung und Hinrichtung von Christen auch schon vor der Reformation. Im folgenden ist ein Auszug aus den von Halley sorgfältig ausgewählten Fakten gegeben, die auch heute noch in den im Buchhandel erhältlichen Ausgaben enthalten sind, sofern es sich nicht um die besagten Sonderausgaben handelt:

[Die Albigenser] predigten gegen die Sittenlosigkeit der [katholischen] Priesterschaft, Wallfahrten, Heiligen- und Bilderverehrung … sprachen sich gegen die Ansprüche der römischen Kirche aus und benutzten die Schrift in großem Umfang. … Um das Jahr 1167 umfaßten sie möglicherweise den größten Teil der Bevölkerung Südfrankreichs … Papst Innozenz rief im Jahre 1208 einen Kreuzzug gegen sie aus, daraufhin folgte ein blutiger Vernichtungskrieg, der in der Geschichte wohl kaum seinesgleichen findet. Stadt um Stadt fiel unter das Schwert und die Einwohner wurden ungeachtet ihres Alters oder Geschlechts ermordet … innerhalb von 100 Jahren waren die Albigenser völlig ausgerottet.

[Zwei Jahrhunderte später] zwischen 1540 und 1570 wurden im vom Papst ausgerufenen Krieg zur Vernichtung der Waldenser nicht weniger als 900.000 Protestanten umgebracht. Stellen wir uns Mönche und Priester vor, die mit unbarmherziger Grausamkeit und unmenschlicher Brutalität die Folterung und das Verbrennen bei lebendigem Leibe von unschuldigen Männern und Frauen anordnen, und das im Namen Christi, kraft des direkten Befehls des „Stellvertreters Christi“!

In der Nacht des 24. Augusts 1572 wurden 70.000 Hugenotten, einschließlich der meisten ihrer Anführer, massakriert [die Bartholomäusnacht]. Etwa 200.000 weitere kamen als Märtyrer um … und 500.000 flohen in protestantische Länder. [6]

Wozu die Reformation?

Wir hatten bereits angeführt, daß schon Jahrhunderte vor der Reformation außerhalb der katholischen Kirche einfache christliche Gemeinschaften existierten. Diese Gläubigen verabscheuten die Irrlehren und die Heuchelei Roms und weigerten sich, den Papst zu ehren. Dafür wurden sie zu Hunderttausenden den grausamsten Toden überliefert. Genauso wie es Kreuzzüge zur Vertreibung der Juden und Muslime aus dem Heiligen Land gegeben hatte, so riefen die Päpste auch Kreuzzüge zur Vernichtung dieser „Ketzer“ aus. Wir erinnern uns, daß Papst Pius III. als „krönende Errungenschaft seines Pontifikats“ an einem einzigen Tag 60.000 Menschen massakrierte.

Aufgrund des Zeugnisses dieser verfolgten Christen und durch die von ihnen unter das Volk gebrachten Bibeln kamen Männer wie John Wycliff (1329-1384), Jan Hus (1373-1415) und Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510) zum Glauben an das Evangelium und fingen an, es ihren Mitkatholiken zu verkündigen. Viele von ihnen glaubten und blieben ihrem Glauben bis zum Feuertod treu. Sie waren die Vorläufer der Reformation.

Wenn die Todesstrafe in der westlichen Welt heute auch nicht mehr rechtmäßig gegen Ketzer vollstreckt werden kann, so ist es in Teilen Lateinamerikas und in den katholischen Bollwerken Europas aber immer noch schwierig, ein evangelikaler Christ zu sein. Die Wahrheit wird unterdrückt und der Durchschnittskatholik wird wahrscheinlich in seinem oder ihrem gesamten Leben niemals mit dem biblischen Evangelium konfrontiert werden. Wenn man solche Gegenden besucht, fällt einem zuerst Roms Widerstreit gegen das Evangelium auf, und so kann man sich leichter vorstellen, wie es zur Zeit der Reformation zugegangen sein muß.

Als ich kürzlich in Spanien mit Bekannten unterwegs war, fragte ich sie, wie für sie das Leben als Katholiken gewesen war, was sie geglaubt hatten und wie sie Christen geworden waren. Die Geschichten können einen zum Heulen bringen! Sie gingen zur Beichte und Messe, beteten zu Marien- und Heiligenbildern, zündeten Kerzen an, bekreuzigten sich fortwährend und hofften darauf, daß die Kirche sie einst irgendwie in den Himmel bringt. Sie konnten darauf nur vertrauen, wenn nach ihrem Tod ihre Freunde und Verwandten weiterhin Messen lesen lassen, damit sie aus dem Fegefeuer entkommen.

Ein Mann hörte das Evangelium auf einem Friedhof, wo die Katholiken an Feiertagen hingehen und zu den Heiligen und ihren Ahnen beten. Eine kleine Gruppe verachteter evangelikaler Christen, die von diesem heidnischen Brauch wußten, war dort aufgetaucht und hatte Literatur verteilt. Ein anderer junger Mann lernte das Evangelium anhand eines Traktats kennen, das ein Freund in Wut zerrissen und weggeworfen hatte. Dieser fromme Katholik war so hungrig nach Wahrheit, daß er das Traktat mühsam wieder zusammenfügte, es las und errettet wurde.

Auch lange nachdem die Reformation Fuß gefaßt hatte, konnte es einem das Leben kosten, in einem katholischen Land wie z.B. Spanien oder Italien oder den weiten Gebieten Europas, die katholisch geblieben waren, Christ zu werden. Da wir uns in den vorigen Kapiteln hauptsächlich mit dem europäischen Festland beschäftigt haben, lenken wir unsere Aufmerksamkeit nun auf England, und sehen, wie die Reformation in dieses Land kam und wie das heute mißachtet wird.

England war einzigartig. Das gesamte Land fiel schließlich unter die Kontrolle der Protestanten. Deshalb wurde es zu einem Zufluchtsort für alle, die es erreichen konnten. D. Antonio Gavin, ein spanischer katholischer Priester, der, nachdem er Anfang des 18. Jahrhunderts Christ geworden war, nach England flüchtete, schrieb:

Als es Gott in seiner Gnade wohlgefiel, die Vorurteile in mir zu überwinden … die ich zugunsten der verdorbenen Kirche hatte, in der ich geboren war … mußte ich Spanien sofort verlassen, denn dort werden alle, die sich nicht öffentlich zur römischen Religion bekennen, zum Tode verurteilt. [7]

Heinrich VIII., Englands neuer „Papst“

England hatte schon vor der Zeit Martin Luthers seine eigenen Reformatoren, die die konsekrierte Hostie als „bloßes Brot“ bezeichneten, die besondere Vollmacht der Priester zur Sündenvergebung ebenso wie „Heilsnotwendigkeit der Sakramente“ leugneten und „Wallfahrten, Heiligtümer und Gebete für Tote“ für nutzlos erklärten. Sie bezeugten, daß „der Mensch allein durch Glauben errettet werden kann … [und] die Bibel, und nicht die Kirche, die einzige Norm des Glaubens sein sollte“. Für ihre Abweichung vom Katholizismus wurden viele dieser „Ketzer“ noch bevor im Jahre 1517 in Deutschland die Reformation begann, den Flammen übergeben. [8]

Im Gegensatz zu der geheiligten Lebensführung dieser Märtyrer war die Verderblichkeit des englischen Klerus und seiner Kirche für das Volk nur allzu offensichtlich. Selbst einige kirchliche Persönlichkeiten sprachen sich gegen die umsichgreifende Sittenlosigkeit aus. Im Jahre 1489 klagte Erzbischof Mortom die Äbte an, in ihren Klöstern „öffentlich und fortwährend mit Huren und Mätressen zu leben“ und bezichtigte die Mönche „eines Lebens der Lüsternheit … ja sogar die heiligen Stätten, selbst die wahrhaftigen Kirchen Gottes, durch schändlichen Verkehr mit Nonnen zu entehren …“ [9] Die Kirche war wegen ihrer Steuern und ihres großen Reichtums verhaßt, da sie dadurch das Volk arm machte. Um 1500 war die vermeintlich „himmlisch-gesinnte“ Kirche der bei weitem größte Landbesitzer Europas, im Besitz etwa eines Fünftels des gesamten Grundbesitzes von England. [10]

Von daher stand Heinrich VIII. in der Gunst des Volkes oben, als er den Papst mit seinem Wunsch auf Scheidung von seiner spanischen Gemahlin konfrontierte. Als treuer Katholik war Heinrich für seine glühend polemische Schrift Verteidigung der sieben Sakramente gegen Martin Luther vom Papst mit Titeln wie Verteidiger der Wahrheit“ geehrt worden (seltsamerweise wird dieser Titel immer noch von Englands protestantischen Monarchen beibehalten). Der König erwartete eine Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragon, damit er die jüngere, hübschere und hoffentlich fruchtbarere Anne Boleyn heiraten konnte. Rom hatte kurz zuvor Heinrichs Schwester Margaret, Königin von Schottland, eine Annullierung gewährt. Aber der von Katharinas Neffen Kaiser Karl V. gefangen gehaltene und unter Druck gesetzte Papst Klemens VII. verweigerte die Erfüllung dieses Wunsches. So brach Heinrich VIII. mit Rom und erklärte sich selbst zum Oberhaupt der katholischen Kirche Englands.

Um den König zu schützen ließ das englische Unterhaus zahlreiche rechtskräftige Anschuldigungen, die berühmte Anklageakte, gegen die römische Hierarchie verlautbaren: „Der niedere Klerus erzwinge Gebühren für die Erteilung der Sakramente, die Bischöfe gäben jungen Männern [ihren unehelichen Söhnen] – angeblichen Neffen – fette Pfründe, die Urteile der bischöflichen Gerichte seien von Raffgier diktiert und Menschen würden ohne präzise Anklagen eingekerkert [usw.].“ Das Dokument endet mit „der Bitte an den König um eine ‚Reformation‘ [aber keinesfalls eine protestantische] von diesen Krankheiten“. [11]

Das Parlament verabschiedete schließlich das Suprematsstatut (11. November 1534), das Heinrich VIII., der immer noch vom Scheitel bis zur Sohle Katholik war, anstelle des Papstes als Oberhaupt der Kirche von England einsetzte. Ironischerweise halten die protestantischen Monarchen Englands immer noch an diesem Amt fest. Will Durant schreibt:

Von nun an diktierte Heinrich als höchste Instanz, was das englische Volk in religiöser und politischer Hinsicht zu glauben hatte. Da seine Theologie immer noch durch und durch katholisch war, ausgenommen der päpstlichen Macht, machte er sich die Verfolgung protestantischer Kritiker der katholischen Dogmen sowie katholischer Kritiker seines Suprematanspruchs ganz unvoreingenommen zum Prinzip …

In Heinrichs letzten acht Regierungsjahren endeten noch 26 Personen auf den theologischen Scheiterhaufen … darunter eine junge Frau, Anna Askew, die trotz fünfstündigem Verhör auf ihrer Auffassung bestand: „Was ihr euren Gott nennt, ist ein Stückchen Brot; wenn ihr einen Beweis haben wollt, legt es drei Monate in eine Schachtel, und es wird verschimmeln.“

Man folterte sie, um die Namen weiterer Ketzer zu erpressen; sie schwieg trotz ihrer Qualen, aber in den Tod ging sie mit den Worten: „Ich bin so heiter, wie jemand, dem der Himmel bestimmt ist.“ [12]

Der Bischof von Lincoln gewährte bei den Verbrennungen von protestantischen Ketzern „einen Ablaß von vierzig Tagen für gute Christen, die Reisig für das Feuer herbeischafften“. [13] Die Regierungszeit des königlichen Papstes von England wurde zu einer Schreckensherrschaft. Heinrichs Untergebene wußten nie, wessen Kopf als nächstes rollen würde, ob eines Katholiken oder eines Protestanten. Katholiken wie z.B. Bischof John Fisher und Thomas More (genannt Morus) wurden hingerichtet, weil sie sich dem König als Oberhaupt der englischen Kirche widersetzten. Auch Protestanten sollten später den protestantischen Herrschern wegen dieses Anpruchs entgegentreten, aber keiner dieser Monarchen ließ irgendeinen Untergebenen deswegen hinrichten.

 

Vorbereitung auf eine einzigartige Rolle

Heinrichs tyrannische Rolle bereitete England auf eine einzigartige Rolle vor. Die Religion dieses Landes sollte von da an die seiner Herrscher sein. Als schließlich die protestantische Reformation nach England kam, war sie bald die Religion des gesamten Landes, wodurch die Insel zu einem Zufluchtsort für die Flüchtlinge der katholischen Verfolgung vom europäischen Festland wurde. Die Hugenotten, die aus dem katholischen Frankreich flüchteten, wo man sie massakrierte, gestalteten die englische Wirtschaft um und brachten einen enormen Aufschwung. Von England ausgesandte evangelikale Missionare sollten das Evangelium bis in die letzten Winkel der Erde verbreiten. Durant zieht das Fazit:

Heinrich dachte, den Papst auszuschalten, den althergebrachten Glauben aber unverändert beibehalten zu können … aber in Wirklichkeit schwächte seine erfolgreiche Herausforderung des Heiligen Stuhls, die schnelle Zerstreuung der Mönche samt ihrer Reliquien, die wiederholte Demütigung des Klerus, die Enteignung des Kirchenvermögens und die Säkularisation der Verwaltung das Ansehen und die Autorität der Kirche so sehr, daß sich die Veränderung der Glaubenslehre unter Edward und Elisabeth beinahe von selbst ergab …

Die Ausschaltung des Heiligen Stuhls aus dem englischen Leben überantwortete das Volk eine Zeitlang der Willkür der Krone, zwang es aber auf lange Sicht, sich auf die eigene Kraft zu verlassen, wenn es den Herrscher in seine Schranken weisen wollte. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt errang es ein größeres Maß an Freiheit und Selbstverwaltung … Elisabeth und Shakespeare hätten vielleicht nicht sein können, wäre England nicht von seinem stärksten und schlimmsten König der Freiheit entgegengeführt worden. [14]

Die wichtigste Vorbereitung auf die Reformation in England sollte jedoch durch die Ausbreitung der Bibel geschehen. Sogar während der Regierungszeit Heinrichs VIII. schmuggelte man Exemplare von William Tyndales englischem Neuen Testament von Deutschland aus ein. Der Bischof von London beschlagnahmte alle Exemplare, die er ausfindig machen konnte, und verbrannte sie öffentlich auf dem Paulusplatz. Nichts aber, nicht einmal ein Verbot „der Einführung und des Besitzes ketzerischer Schriften“ seitens der Regierung vermochte den Einfluß der Bibel oder das Feuer der Erlösung und der Freiheit aufzuhalten, welches die Wahrheit der Schrift in den hungrigen Herzen entzündet hatte.

Als ein inbrünstiger Katholik William Tyndale sein Vorhaben auszureden versuchte, die Bibel ins Englische zu übersetzen und zu drucken, antwortete dieser mit Ernst: „Wenn mich Gott bewahrt, will ich in wenigen Jahren dafür sorgen, daß der Knabe hinter dem Pflug die Schrift besser kennt als du.“ Dieses Gebet wurde erhört, und die sprühenden Funken der Wahrheit entfachten ein Feuer, das nichts und niemand auslöschen konnte.

Tyndale wurde im Jahre 1536 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Heinrich VIII. saß immer noch auf dem Thron. Die letzten Worte des Märtyrers lauteten: „Herr, öffne dem König von England die Augen.“ Heinrich starb 1547; seine Augen blieben bis zum Ende verschlossen. Zur Gewährleistung seines Seelenheils „hinterließ er einen großen Geldbetrag für Seelenmessen“. [15]

Englands Märtyrer der Reformation

Der Tod Heinrichs VIII. öffnete die Tür für einen schwachen Protestantismus. Sein Sohn Edward VI. war erst ein Knabe von zehn Jahren, als er seinem Vater auf den Thron folgte. In einem Kampf zwischen eigennützigen und einflußreichen Landherren und Adligen einerseits und in Armut gestürzten Bewohnern und Bauern andererseits wurde er zur Schachfigur skrupelloser Ratgeber. Wirkliche Freiheit war sowohl in politischer als auch in religiöser Hinsicht immer noch nur ein Traum.

Seit Kindheit krank gewesen, starb Edward bereits im Alter von 15 Jahren, viel zu jung, als daß er für seine unglückliche Regierung verantwortlich gemacht werden könnte. Lady Jane Grey, eine fromme Protestantin, proklamierte man gegen ihren Willen im Jahre 1553 zur Königin. Als die Volksmeinung fünf Tage später umschlug, setzte man Maria Tudor als rechtmäßige Erbin auf den Thron. Ein inbrünstiger katholischer Glaube hatte Maria während jahrelanger Krankheit und Verbannung getragen. Schon bald sollte sie mit ihrem berüchtigten Namen Bloody Mary in die Geschichte eingehen.

Der Katholizismus wurde wieder einmal per Gesetz zur offiziellen Religion erklärt. „Protestantische Lehren und andere ‚Ketzereien‘ wurden verboten, ebenso wie jegliche protestantische Verkündigungen oder Schriften.“ [16] Eines der ersten bemitleidenswerten Opfer war Jane Grey, die bei ihrer Enthauptung der zuschauenden Menge bezeugte:

Ich weiß, daß ich durch nichts anderes errettet bin als durch die Gnade Gottes im Blute seines einzigen Sohnes Jesus Christus. Und ich bekenne, daß ich, als ich das Wort Gottes kennenlernte, es verachtete und mich selbst und die Welt liebte … und doch danke ich Gott, daß er mich in seiner Güte zur Umkehr geleitet hat … Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist. [17]

Anfänglich begrüßte England zu weiten Teilen die Rückkehr zum Katholizismus. (Die meisten Leute verstanden die Streitfragen gar nicht.) Ironischerweise sollte die Verfolgung der Abweichler während der fünfjährigen Regierungszeit der Bloody Mary die Wahrheit bekanntmachen. „Die Opfer sahen ihre Verhöre und Hinrichtungen als von Gott bestimmte Gelegenheiten an, das Evangelium zu bezeugen.“ [18] Der Kirchenhistoriker R. Tudor Jones schreibt:

Die meisten Märtyrer waren einfache Leute, darunter auch viele Frauen … Die weitschweifigen Verhöre dieser Menschen sind uns erhalten geblieben und drehen sich um Fragestellungen wie z.B. ihre Glaubensüberzeugungen bezüglich der Bibel und deren Autorität, Transsubstantiation, ihre Einstellung zu katholischen Praktiken und Lehren wie Heiligenverehrung, Gebete für Tote und Fegefeuer.

Man kann nicht anders, als nur erstaunt sein über die Stärke und Fähigkeit, mit der sich diese [einfachen] Leute … verteidigten, wie auch über den gewaltigen Mut der Opfer angesichts ihrer unsagbaren Qualen. [19]

John Foxe war Augenzeuge und Geschichtsschreiber dieser grausamen Verfolgung. Sein Book of Martyrs („Buch der Märtyrer“) berichtet detailliert über viele öffentliche Verhöre und Hinrichtungen. Nach dem Tod der Bloody Mary kettete man an jede Kanzel ein Exemplar dieses Klassikers, damit er jedem zugänglich war. Foxe berichtet, wie der eingekerkerte Erzbischof Thomas Cranmer aus Angst seine Unterwerfung unter Rom und die Anerkennung der Transsubstantiationslehre unterschrieben hatte. Am 21. März 1556 stellte man ihn dann bei der Oxforder Marienkirche vor eine aufgebrachte Menge, wo er seine „Ketzereien“ öffentlich widerrufen sollte. Cranmer sammelte allen zuvor ermangelten Mut und drehte den Spieß vor seinen Bedrängern mit den kühnen Worten um:

Und nun, da das Ende meines Lebens naht, … sehe ich entweder den Himmel vor meinen Augen geöffnet, um mich aufzunehmen, oder aber die Hölle, bereit, mich zu verschlingen. Dessenthalben werde ich euch nun meinen wahren Glauben kundtun … Und nun komme ich zu dieser großen Angelegenheit, welche mich in meinem Gewissen so tief zermürbte, mehr als alles andere, das ich je in meinem ganzen Leben getan oder gesagt habe, nämlich die Veröffentlichung eines Schreibens, das der Wahrheit widerspricht, welches ich aber hier und jetzt widerrufe … denn ich tat dies in Todesangst …

Und da meine Hand sündigte und entgegen meinem Herzen schrieb, dessenthalben soll diese meine Hand nun auch als erstes gestraft werden; ja, wenn ich den Flammen übergeben werde, soll sie als erstes brennen.

Und was den Papst betrifft, so weise ich ihn als Christi Feind und als Antichrist mit all seiner falschen Lehre zurück. [20]

Die schockierten Papisten schrien ihn nieder und führten ihn zu seiner Hinrichtung vor das Balliol College der Universität von Oxford ab, zur gleichen Stelle, an der man sechs Monate zuvor die Bischöfe Hugh Latimer und Nicholas Ridley verbrannt hatte. Foxe berichtet, wie Cranmer seine Versprechen erfüllte: „Als sich die Flammen Cranmer näherten, streckte er die Hand aus und hielt sie ruhig und unbeweglich ins Feuer, bis sie verkohlt war und rief, bereits als sein Leib noch unversehrt war, immer wieder: ‚diese unwürdige rechte Hand!‘ … und solange seine Stimme es zuließ“, unterbrochen mit den Worten des Stephanus, „‚Oh, Herr Jesus, nimm meinen Geist auf‘, [bis] er schließlich in der vollen Flamme seinen Atem aushauchte.“ [21]

Vor dem Balliol College in Oxford steht ein Steinkreuz im Kopfsteinpflaster, und an dem Haus gegenüber befindet sich eine kleine Tafel an der Wand. Sie bezeichnet die Stelle, an der man Cranmer, Ridley und Latimer verbrannte, weil sie die Transsubstantiationslehre ablehnten. An einer breiteren Straße um die Ecke steht seit 153 Jahren ein verwittertes Denkmal als stummer Zeuge. Heute wird es kaum noch beachtet oder besucht. Die wenigen, die hier haltmachen, lesen die Worte:

ZUR EHRE GOTTES UND IN DANKBAREM GEDENKEN SEINER DIENER THOMAS CRANMER, NICHOLAS RIDLEY UND HUGH LATIMER, BISCHÖFE DER KIRCHE VON ENGLAND, DIE NAHE BEI DIESEM ORT IHRE LEIBER DEN FLAMMEN ÜBERGABEN, DIE HEILIGEN WAHRHEITEN BEZEUGTEN, DIE SIE GEGEN DIE IRRTÜMER DER RÖMISCHEN KIRCHE VERTEIDIGT HATTEN UND SICH DARAN FREUTEN, DASS ES IHNEN NICHT ALLEIN GESCHENKT WAR, AN CHRISTUS ZU GLAUBEN, SONDERN AUCH UM SEINETWILLEN ZU LEIDEN.

DIESES DENKMAL WURDE AUFGESTELLT UNTER ZUSTIMMUNG DER ÖFFENTLICHKEIT IM JAHRE UNSERES HERRN UND GOTTES – MDCCCXLI.

Durant schreibt: „Je länger die Brandopfer andauerten, desto klarer zeigte sich, daß sie einen Mißgriff darstellten. Der Protestantismus zog aus seinen Märtyrern eine ähnliche Kraft wie seinerzeit das Frühchristentum; zahlreiche Katholiken empfanden Scham für ihre Königin, die Leiden und die Standhaftigkeit der Opfer, und wurden selber in ihrem Glauben schwankend. Die ‚Bloody Mary‘ zeigte dem immer noch katholischen England die schlimmste Seite der Kirche, zu der es sich bekannte. Als sie starb, war die Nation bereiter als je zuvor, das neue Bekenntnis anzunehmen, das zu unterdrücken sie sich so bemüht hatte.“ [22]

Neuschreibung der Geschichte

Nach Marias Tod folgte ihr ihre Halbschwester Elisabeth auf den Thron, die England wieder zum Protestantismus zurückführte und die Macht des Papstes über dieses Land beendete. Das ließ einen frischen Wind von Freiheit aufkommen, dem es Einhalt zu gebieten galt. Voller Zuversicht, daß seine riesige Armee von treuen Untertanen, mit Versprechen auf vollständige Ablässe bestärkt, seinen Wunsch erfüllen würde, machte der Papst seinem Zorn von Rom aus Luft.

Wie bereits erwähnt, erklärte Papst Pius V. im Februar 1570 Königin Elisabeth zur Ketzerin, enthob sie ihres Königreichs, untersagte ihren Untergebenen, ihr zu gehorchen, und exkommunizierte alle, die ihr weiterhin treu blieben. [23] Aber Elisabeth und mit ihr der größte Teil Englands ignorierten die Verwünschungen des Papstes einfach. Viele von Roms fanatischen Eiferern waren jedoch auf einen Versuch versessen, die Königin zu stürzen.

Der Komplott wurde entlarvt, die Verschwörer verhaftet und etwa 120 Priester und 60 Laien hingerichtet. Das waren keine um ihres Glaubens willen Verfolgten, sondern wegen Verrats hingerichtete Aufrührer. Ironischerweise werden diese Verräter jedes Jahr als die „englischen Märtyrer“ geehrt, während die Hunderte, die wegen ihres Glaubens an Christus unter den katholischen Herrschern in den Flammen umkamen, vergessen sind.

Eine Erwähnung der evangelikalen, um ihres Glaubens willen hingerichteten Märtyrer würde die Katholiken verletzen und den ökumenischen Dialog mit Rom gefährden. Und so schreibt man einfach die Geschichte neu. Die führenden Evangelikalen, die sich jetzt mit Rom in einem Geist des gegenseitigen Vertrauens und der Partnerschaft verbünden, verhöhnen in Wirklichkeit die Märtyrer der Reformation. Der Autor Michael de Semlyen berichtet erschüttert aus England:

Viele von uns wurden in dem Glauben erzogen, daß die Märtyrer unseres Glaubens jene waren, die den Feuertod starben, weil sie nicht fähig und bereit waren, ihren Glauben an die Schrift als das offenbarte Wort Gottes aufs Spiel zu setzen. Doch im November 1987 berichteten die seriösen Zeitungen sowie Fernsehen und Rundfunk ungewohnt ausführlich über die „Ehrung englischer Märtyrer“.

Wir waren entsetzt, daß es sich hier um 85 katholische Helden des Widerstandes gegen die protestantische Reformation handelte. Diese Männer wurden in Gegenwart des anglikanischen Bischofs von Birmingham, Mark Santer, vom Papst in Rom „seliggesprochen“. [24]

De Semlyen berichtet uns, daß „zur Zeit der ausgedehnten Presseberichterstattung über die Seligsprechung der 85 ‚englischen Märtyrer‘ im Jahre 1987 der in London beheimatete ‚Vereinigte Protestantische Rat‘ (United Protestant Council) eine gut fundierte Verlautbarung veröffentlichte“, die er allen englischen Zeitungen zukommen ließ, jedoch keine von ihnen druckte sie auch nur auszugsweise ab:

Niemand, dem an der geschichtlichen Wahrheit gelegen ist, kann sich mit der Behauptung der Kirche Roms zufrieden geben, die 85 englischen Untertanen, die vom Papst seliggesprochen wurden, seien Märtyrer gewesen, d.h. sie hätten für ihren Glauben allein gelitten. Die 288 Märtyrer, die unter der Regentschaft Marias I. getötet wurden, litten einzig und allein für ihren Glauben. Sie wurden aufgrund rein religiöser Anklagepunkte verurteilt, hauptsächlich deswegen, weil sie die Lehre von der Transsubstantiation ablehnten … Weder bestritten sie, daß Maria die rechtmäßige Königin von England war, noch unterstützten sie irgendwelche ihrer offenen und ausländischen Feinde, noch verursachten sie einen Umsturz oder Bürgerkrieg. Sie planten keinen Aufruhr an geheimen Orten, noch hinderten sie einen Untertanen am Gehorsam.

Solche Anklagen des Verrats waren jedoch rechtmäßig gegen jene Katholiken vorgebracht worden, die unter Elisabeth und ihren Nachfolgern zum Tode verurteilt worden waren und deren Namen in der jüngsten Liste der vom Papst in Rom „Seliggesprochenen“ enthalten sind …

Kein römischer Katholik war in den ersten elf Jahren unter Elisabeth I. hingerichtet worden, d.h. bevor Papst Pius V. alle römischen Katholiken zum Aufruhr anstachelte und ihnen befahl, der Königin, bei Strafe der Exkommunikation, den Gehorsam zu verweigern. Es ist eine unanfechtbare Tatsache, daß kein römischer Katholik einzig aufgrund seiner religiösen Ansichten hingerichtet wurde. Die Wahrheit ist, daß die meisten jener „seliggesprochenen“ Laien deshalb zum Tode verurteilt wurden, weil sie die „Seminarpriester“ in ihrer Absicht unterstützten, den Thron zu stürzen; 63 der 85 „englischen Märtyrer“ waren „Seminarpriester“, im Ausland ausgebildet und zurückgesandt, um die Verschwörungen des Papstes zur Untergrabung des englischen Throns voranzutreiben. Diese Bemühungen waren verstärkt worden, nachdem Papst Gregor XIII. 1580 der Ermordung Elisabeths und 1588 der Vorbereitung der Invasion [der spanischen Armada in England] seine Zustimmung erteilt hatte …

Vor diesem Hintergrund kann unmöglich gesagt werden, daß diese Männer Märtyrer in einem rechtmäßigen Sinne des Wortes waren. Im Gegenteil, was die Kirche Roms hier tut, ist die Verherrlichung von Verrätern, Spionen und Verschwörern. [25]

 

Verrat an der Reformation

Es erscheint unfaßbar, daß gerade die Engländer sorgfältig jede Erwähnung der ursprünglichen Märtyrer verhindern und anstatt dessen aufrührerische Verräter ehren. Als im April 1991 George Carey sein Amt als neuer Erzbischof von Canterbury antrat, blickte er weit in Englands Vergangenheit vor der Reformation zurück und nannte einige katholische Erzbischöfe Canterburys aus jener Zeit zu ihrer Ehre beim Namen. Damit ließ er vorsätzlich viele seiner Amtsvorgänger außer Acht, die sich hartnäckig gegen das Übel Roms gestellt hatten. Besonders verdächtig war das Fehlen jeglicher Erwähnung des ersten protestantischen Erzbischofs von Canterbury, Thomas Cranmer, der als Märtyrer für den wahren Glauben starb, den Carey zu verteidigen geschworen hatte.

Die Geschichte wird auf dem Altar der Ökumene als eine Gabe an Rom geopfert. Kein Opfer ist zu groß dafür, die „Einheitsbestrebungen“ voranzutreiben, welche die nichtkatholischen Kirchen zurück unter die Macht des Papstes bringen sollen. In jüngster Zeit konvertierten die Herzogin von Kent, sieben anglikanische Bischöfe sowie über 700 englische Geistliche zum Katholizismus. [26] In den USA praktizieren evangelikale Führungspersönlichkeiten die gleiche Umkehrung der Geschichte und verunehren damit das Andenken an jene, die mit ihrem eigenen Blut für das Evangelium eintraten.

Auch die Verteidiger des katholischen Glaubens aus Amerika treiben diese Geschichtsneuschreibung voran. Peter Kreeft schreibt über die edlen „katholischen Märtyrer“, erwähnt aber nicht, daß sie wegen Verrats und nicht wegen ihres Glaubens hingerichtet worden sind. Ebenso verschweigt er die weitaus zahlreicheren von Katholiken umgebrachten Märtyrer – ein Versäumnis, das umso weniger zu entschuldigen ist, wenn der Autor doch in demselben Buch die Argumente für die Wahrheit anführt. [27] Aber von tausend Protestanten erkennt kaum einer die durch diese Auslassung gegebene Fehlinformation, vielmehr geben die evangelikalen Führungspersönlichkeiten sie noch als Wahrheit weiter.

Während auf der einen Seite Rom einen Wandel vortäuscht und dadurch viele Evangelikale verführt, verschärfen katholische Glaubensverfechter wie z.B. Karl Keating, Jerry Matatics, Scott Hahn, Thomas Howard und weitere auf der anderen Seite ihre Bemühungen, Katholiken gegen das zuzurüsten, was sie dreist als die Irrtümer der evangelikalen Lehre bezeichnen. Der Papst selbst denunziert in vorderster Front den evangelikalen Glauben vor katholischem Publikum, [28] während er den „getrennten Brüdern“ von seiner Liebe und seinem Verlangen nach Einheit mit ihnen erzählt.

 

Liebe und Dialog?

Wir sollen einander lieben, so wie Christus uns geliebt hat. Die Populärpsychologie trivialisiert diesen Befehl und setzt ihn mit einer „positiven“ Haltung gleich. Die erste Pflicht der Liebe ist vergessen: die Wahrheit zu sagen (Epheser 4,15). Echte Liebe schmeichelt und beruhigt nicht, wenn Korrektur von Nöten ist, sondern zeigt die Fehler auf, die den Geliebten verblenden und schaden. Christus spricht: „Ich überführe und züchtige alle, die ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße!“ (Offenbarung 3,19). Anstatt dessen herrscht heute die landläufige Ansicht vor, Liebe schließe eine Überführung aus, ignoriere die Wahrheit und strebe um jeden Preis nach Einheit. Aber das kann nur in einer Katastrophe enden.

Eugene Daniels, Seniorberater für die Beziehung zur Kirche bei World Vision International, sagte kürzlich: „Wir haben entdeckt, daß wir mit der katholischen Kirche in Fragen bezüglich der geistlichen Bedürfnisse der Menschen genauso gut zusammenarbeiten können, wie wir das üblicherweise mit den protestantischen Kirchen tun.“ [29] Auch andere evangelikale Organisationen arbeiten bereits mit Katholiken als Mitchristen zusammen, wie z.B. die Billy Graham Evangelistic Association, Charles Colsons Prison Fellowship (Gefangenenhilfe), InterVarsity Christian Fellowship, Campus für Christus, Full Gospel Businessmen’s Fellowship (Geschäftsleute des vollen Evangeliums), Jugend mit einer Mission, die Wycliff-Bibelübersetzer und andere. [30] Offensichtlich ist diese jüngste, für unsere Generation eigentümliche Entwicklung von größter Bedeutung, und sie gewinnt desto mehr an Auftrieb, je weiter Rom seinen Feldzug fortsetzt, sich der Welt selbst als „evangelikal“ zu präsentieren.

Ein von der Liebe Christi erfüllter Christ wäre sicher bereit, die Geschehnisse der Vergangenheit zu vergeben, sogar die Unterdrückung, Folter und Hinrichtung. Aber Rom hat ja weder um Vergebung gebeten, noch irgendwelche Fehler eingestanden. Seine Dogmen haben sich in der Gegenwart nicht geändert, und sein falsches Evangelium schickt die Seelen immer noch millionenweise ins ewige Gericht. Die große Streitfrage ist die Errettung der Seelen: Wie kann der Mensch Vergebung erlangen und sich darüber gewiß werden, daß er die Ewigkeit im Himmel verbringen wird? Alles andere ist zweitrangig. Der Katholizismus ist ein gefälschtes Evangelium. Auch noch soviele Dialoge können diese Tatsache nicht ändern, sondern machen vielmehr nur die Bühne frei für einen letztendlichen falschen Kompromiß.

„Dialog“ ist ein modernes Schlagwort für eine Torheit, von der man in den Tagen der Märtyrer nichts wußte. Dialog? Entweder hatte man sich unter Roms herrschende Autorität zu beugen und sein falsches Evangelium unbefragt anzunehmen, oder unter seiner Hand zu sterben. Und Rom hat zwar seine Dogmen nicht geändert, dafür aber seine Taktik. Das 2. Vatikanum erklärt unmißverständlich, daß die Lehren Roms „unanfechtbar“ sind. Die Vermittler Roms in diesen Dialogen sind darauf bedacht, daß sich die römisch-katholische Kirche letzten Endes als die einzig wahre Kirche erweist, daß sie über die heilbringenden Sakramente verfügt und daß sie von dieser Eigenschaft niemals Abstriche zugunsten anderer macht.

Das Ziel des Dialogs ist, die „getrennten Brüder“ zurück unter die Macht des Papstes zu führen – das ist eindeutig der Weg, auf den die Evangelikalen nun ihren Fuß gesetzt haben. Im Januar 1986 traten die römisch-katholische Kirche und 29 protestantische Denominationen mit „Plänen für weltweite evangelistische Bemühungen, genannt Kongreß ’88“ an die Öffentlichkeit. Zu dem leitenden Komitee gehörten Mitglieder

vieler protestantischer Konfessionen. Hätte sich der Apostel Paulus wohl mit den Judaisten zur Evangelisation verbündet? Im Jahre 1992 traf ein 19köpfiges Team von religiösen Persönlichkeiten aus den Vereinigten Staaten mit Papst Johannes Paul II. zusammen, „um Möglichkeiten für internationale, interkonfessionelle Bemühungen zum Kampf gegen Kinder- und Hardcore-Pornographie zu erörtern“. Hätten Luther und Calvin sich im Kampf gegen Sittenlosigkeit wohl mit den Papisten zusammengetan? Selbstverständlich nicht, denn Moral und sogar gesellschaftliche Probleme können nicht losgelöst vom Evangelium angegangen werden.

Zwei größere Artikel (13 Seiten) in der Ausgabe vom Februar 1992 des Bookstore Journals, der „offiziellen Zeitschrift der Christlichen Buchhändler-Vereinigung“ in den USA, forderten die Mitglieder auf, mit katholischen Kunden als „Brüder und Schwestern in Christus“ umzugehen. Traurigerweise wird dadurch verhindert, daß die Katholiken das Evangelium hören, das sie so dringend brauchen. Sogar einige führende evangelikale „Wachgruppen“, die ansonsten einen lobenswerten Dienst tun, indem sie die Kirchen auf falsche Lehren und Sekten aufmerksam machen, verlieren ihre Schärfe, wenn es um den Katholizismus geht, und auch die christlichen Medien verkommen zu Förderern des falschen Kompromisses.

Beim Trinity Broadcasting Network, der größten christlichen Fernsehanstalt, erklärten ihr Gründer Paul Crouch und der bekannte Fernsehevangelist und Glaubensheiler Benny Hinn, die römisch-katholische Lehre sei kein Problem, denn letzten Endes „lieben die Katholiken Jesus“. Aber das tat auch Gandhi, das tun viele Muslime, ganz zu schweigen von den Mormonen und Zeugen Jehovas. Aber was ist das für ein „Jesus“? Die Bibel warnt vor einem „anderen Jesus“ und einem „anderen Evangelium“ (2. Korinther 11,4; Galater 1,6.7), und Rom hat sicherlich beides. In einer anderen Sendung sagte Crouch zu zwei Priestern und einer einflußreichen Frau der katholischen Kirche, die zu Gast in der Sendung waren:

Im den wesentlichen Dingen ist unsere Theologie grundsätzlich gleich: Einige dieser sogenannten lehrmäßigen Unterschiede … sind einfach eine Frage der Ausdrucksweise. Eine dieser Sachen, die uns diese ganzen Jahre getrennt hat [er bezieht sich auf die Transsubstantiationslehre], hätte nicht sein brauchen … wir meinen in Wirklichkeit dasselbe, drücken es aber ein wenig anders aus …

Deshalb rufe ich die Kritiker und theologischen Erbsenzähler auf:„Hört auf, in Jesu Namen!“ Laßt uns im Geiste der Liebe und Einheit [mit Rom] zueinander finden … [Applaus aus dem Publikum] [35]

Selbst solch angesehene Evangelikale wie J.I. Packer und Os Guiness haben den Katholizismus als grundsätzlich christlich akzeptiert und treten für eine gemeinsame Weltevangelisation mit Katholiken ein, wie aus ihren Unterschriften unter der Erklärung Evangelikale und Katholiken zusammen hervorgeht. Einer der angesehensten Verteidiger des evangelikalen Glaubens, Norman L. Geisler, meinte unlängst, daß Katholiken „an die Rechtfertigung aus Gnade glauben“ und daß die Unterschiede zwischen Katholiken und Evangelikalen „gar nicht so groß sind, wie allgemein angenommen, und sie sind weder entscheidend … noch stellen sie Irrlehren dar … die gesamten zentralen Glaubensinhalte der historischen Christenheit werden gemeinsam bewahrt“. [36] Wir haben gezeigt, daß das nicht der Fall sein kann.

Die unveränderte Streitfrage – die Errettung der Seelen.

Manche Evangelisten, zu denen auch Billy Graham und Luis Palau gehören, haben lange Zeit darum gebeten, bei Katholiken nicht „Proselyten zu machen“, d.h. sie nicht aus ihrer Kirche abzuwerben, stellen sie doch bei Billy Grahams Evangelisationen „die größte einzelne konfessionelle Gruppierung“ dar. [37] Das ist sicherlich sinnvoll, wenn man Katholiken jetzt als Christen ansieht. Die Namen von Katholiken, die bei den Veranstaltungen nach vorne kamen, werden erfaßt und zur Nacharbeit an die jeweilige katholische Heimatpfarrei weitergegeben.

Aus den ganzen Staaten melden die katholischen Bischöfe, daß solche Evangelisationen die besten ihnen bekannten Mittel seien, um gefallene Katholiken wieder in die Kirchen zurückzuführen. Graham sagt: „Wir sind erleichtert, daß die römisch-katholische Kirche jetzt mit uns zusammenarbeitet, wo immer wir auch hingehen.“ Teil dieser Zusammenarbeit waren u.a. 400 katholische „Berater“ bei der Evangelisation von Billy Graham Mitte September 1990 in Nassau im Bundesstaat Long Island. Die örtliche Abteilung der Katholisch-Charismatischen Erneuerung ließ verlautbaren, die Evangelisation „biete eine Möglichkeit für Katholiken, die mittels katholischem Bibelstudium wieder mit ihren Heimatpfarreien Kontakt aufnehmen wollen“. Die 1991er Evangelisation in St. Louis wurde von der dortigen Erzdiözese mitfinanziert, dabei stellten sich 300 bis 400 Katholiken als Gemeindehelfer zur Verfügung.

Als Graham im Kloster Belmont (einem Jesuitenkolleg) die Würde eines Ehrendoktors erhielt, sagte er: „Das Evangelium, das diese Schule errichtet hat, und das Evangelium, das mich heute abend hierher gebracht hat, ist immer noch der Weg zum Seelenheil.“ [42] Sicherlich waren sowohl die Märtyrer, als auch die, die sie den Flammen überlieferten, fest davon überzeugt, daß zwischen katholischer und protestantischer Sichtweise der Errettung ein großer Unterschied besteht. Charles Dullea, Jesuit und Beamter im Vatikan, versichert den Katholiken, die Grahams Evangelisationsveranstaltungen beiwohnen: „Ein Katholik wird dort nichts von einer Mißachtung weder der kirchlichen Lehrautoritäten, noch der päpstlichen oder bischöflichen Vorrechte hören, ebenso kein Wort gegen die Messe, Sakramente oder katholischen Bräuche.“ (Aber der Papst und seine Verfechter denunzieren den „Fundamentalismus“ und die evangelikale Botschaft. Der Vatikan hat den Bau der leistungsstärksten Radiosendeanlage Südamerikas finanziert, die insbesondere zur Bekämpfung der Evangelikalen eingesetzt werden soll.) Andere Evangelikale haben mittlerweile die gleiche Haltung zu Rom eingenommen. Eine südkalifornische Zeitung berichtete kürzlich:

Der aus Puerto Rico stammende Evangelist Dr. Raimundo Jimenez kommt in Los Angeles wieder mit einer einzigartigen mehrsprachigen Evangeliumsverkündigung ins Fernsehen, welche die etwa 17 Millionen Menschen umfassenden spanischen und französischen Gemeinschaften dieser Gegend erreichen soll …

Der Sender ist sich eigenen Angaben zufolge darüber bewußt, daß die meisten spanisch sprechenden Zuschauer nominell Katholiken sind. „In Südkalifornien sind angeblich von den 6 Millionen spanisch Sprechenden weniger als 200.000 [also etwa 3 %] Evangelikale“, sagte Jimenez. „Wir lassen jedoch keine Angriffe auf die katholische Kirche zu … Wir verkünden nur das positive Evangelium Jesu Christi.“

Der Katholizismus ist ein nachgemachtes Christentum, das in mancher Hinsicht der Wahrheit so ähnlich ist, daß man, solange keine klare Unterscheidung vorgenommen wird, „das positive Evangelium Jesu Christi“ vergeblich vorstellt. Ein besonderes Problem besteht darin, daß die Katholiken zwar einerseits vieles aus dem Evangelium glauben, aber andererseits auch viele wahrheitszerstörende Zusätze annehmen. Paulus „unterredete sich in der Synagoge mit den Juden und mit den [griechischen] Anbetern und auf dem Markt an jedem Tag mit denen, die gerade herbeikamen“ (Apostelgeschichte 17,17). Jesus wies seinerzeit die Schriftgelehrten und die durch sie Verblendeten mit Entschlossenheit zurecht. Sollten nicht auch wir dasselbe tun? Es ist nicht gerade ein freundliches Verhalten gegenüber Katholiken, wenn man sie in ihrem Irrtum dem Schicksal überläßt.

Mehr als nur ein Mißverständnis

Wenn man Katholiken als Christen annimmt und abstreitet, daß sie überhaupt das Evangelium brauchen, so ist das sicherlich schlimmer als ein aufrichtiges und liebevolles Hinweisen auf die Irrtümer des Katholizismus. Und genau hierin besteht der schwerwiegende Fehler der am Anfang dieses Buches dargelegten Verbündung mit dem Titel „Evangelikale und Katholiken zusammen: Die Christliche Mission im dritten Jahrtausend“. Dieses von führenden Evangelikalen unterzeichnete historische Dokument besagt, daß die Reformatoren verblendet gewesen sein müssen, daß, wie heute angenommen wird, alle aktiven Katholiken gerettet sind, ohne es zu wissen, und daß Roms Evangelium der Transsubstantiation, sakramentalen Rituale, Gebete zu Heiligen, guten Werke, Ablässe und des Fegefeuers die Seelen errettet.

Wenn das wahr ist, dann widersetzten sich die Märtyrer irrtümlicherweise einer Lehre, von der sie überzeugt waren, daß sie aus der Hölle stammt, uns jetzt aber zugesichert wird, sie sei in Wirklichkeit vom Himmel. Die zig Millionen Katholiken, die seit der Reformation allein Christus im Glauben angenommen und die katholische Kirche verlassen haben, sind gleichsam betrogen worden. Die gesamte evangelikale Kirche von heute ist ebenfalls in der Frage verblendet, was es heißt, Christ zu sein. Die Kirche von Rom lag die ganze Zeit über richtig, und jetzt ist es an uns, sich mit ihr zur Evangelisation zu verbünden. Doch selbst der katholische Glaubensverteidiger Peter Kreeft gibt zu:

In den letzten 25 Jahren habe ich Hunderten von katholischen Kollegstudenten die Frage gestellt: Wenn du heute nacht stirbst und Gott dich fragt, aus welchem Grund er dich in den Himmel lassen sollte, was würdest du ihm dann antworten? Der weitaus größte Teil von ihnen wußte nicht die richtige Antwort darauf, auf die allerwichtigste aller Fragen, das innerste Wesen des Christentums. Normalerweise erwähnen sie Jesus nicht einmal!

Hier sehen wir also ein Eingeständnis, daß die katholische Kirche „die Errettung aus Gnade durch Glauben“ nicht in der Weise lehrt, daß die meisten Katholiken es verstünden. Luther, Calvin und die anderen Reformatoren erfuhren das Evangelium nicht in ihren langen Jahren als katholische Mönche. Sie behaupteten vielmehr, Rom lehre diese Wahrheit nicht, und appellierten an die Kirche, dies doch zu tun. Und ihre Antwort? Die lautete: „Nein!“

 Kreeft behauptet im selben Buch, Rom hätte stets das wahre Evangelium gelehrt und tue das auch heute noch, und die Reformation sei auf ein unglückliches Mißverständnis zurückzuführen. Aber seinem eigenen Eingeständnis zufolge existiert dieses „Mißverständnis“ bis auf den heutigen Tag selbst in den Köpfen seiner intelligenten, in der katholischen Kirche aufgewachsenen Kollegstudenten. Weshalb? Weil es kein Mißverständnis ist: Zur Rechtfertigung durch Glauben hat Rom ein komplexes religiöses System hinzugefügt, durch das die Katholiken ein falsches Evangelium annehmen. Das ist genau die Verdrehung des Evangeliums, die Paulus in Galater 1,6-9 so verfluchte.

Ein mit dem Autor befreundeter Missionar, der jahrelang in der Türzu-Tür- und Straßenevangelisation in Spanien tätig war, berichtete betrübt:

Ich habe hier drüben immer noch mit keinem einzigen Katholiken gesprochen, der erklären konnte, was das Evangelium besagt, oder lediglich, wie man gerettet wird … sie können nicht verstehen, wenn ich ihnen sage, weil die Bibel es sagt und Gott nicht lügt, sei ich mir sicher, daß ich nach meinem Tod in den Himmel gehe. Von ihnen würde keiner sagen, um gerettet zu werden genüge es, allein an Jesus zu glauben, oder allein das Blut Jesu sei der angemessene Preis, der für die Erlösung vom Fluch der Sünde bezahlt werden müsse. Je tiefer sie im Katholizismus verstrickt sind, so scheint es, desto standhafter beharren sie auf die Notwendigkeit von neben ihrem „Glauben“ zusätzlichen Werken.

Ein flackerndes Licht der Wahrheit

Wenn wir die verlorenen Seelen um uns herum wirklich ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit liebten, dann würden wir mehr Bemühungen an den Tag legen, ihnen die Wahrheit des Evangeliums zu verkünden, ehe es für immer zu spät ist. Dem hatte Bischof Hugh Latimer sich verschrieben, seinerzeit der machtvollste Prediger Englands. Er hatte es sogar während der Regierung Heinrichs VIII. gewagt, die Irrtümer der Transsubstantiationslehre und des falschen Evangeliums Roms darzulegen, wofür man ihn im Londoner Tower einkerkerte. Als Edward an die Macht kam, ließ man Latimer frei, und er setzte seine hingebungsvolle Verkündigung des Evangeliums der Errettung aus Gnade durch Glauben an des vollendete Werk Christi fort, bis er unter der „Bloody Mary“ wieder verhaftet und am 16. Oktober 1555 am Balliol College verbrannt wurde.

Mit eisernen Ketten Rücken an Rücken mit Bischof Nicholas Ridley gefesselt, hörte man Latimer seinem leidensgenossen zurufen, als die Flammen über sie aufschlugen:

Sei guten Mutes, Meister Ridley, und sei ein Mann. An diesem Tag sollen wir, durch Gottes Gnade, in England ein Licht anzünden, und ich bin überzeugt, daß es nie ausgelöscht werden wird! [46]

Und das ist das Erbe der Protestanten von heute, welches führende Evangelikale jetzt verunehren und sogar verwerfen. Christenführer, die das Evangelium wohl nie kennengelernt hätten, wären diese Märtyrer nicht mutig gegen Rom aufgestanden, verbünden sich jetzt in einer unheiligen Partnerschaft mit der Institution, die das Blut der Märtyrer vergossen hat!

Ja, die Frau reitet das Tier, und ein Teil dieses Rittes geschieht in unheiliger Allianz mit denen, die es besser wissen müßten. Laßt uns entschlossen gegen die aufkommende Finsternis angehen, als das Licht, das von den geopferten Leibern der unzähligen Märtyrer angezündet wurde und in unseren Tagen immer schwächer flackert. 

Abfall und Ökumene

Jeder Christ hat die heilige Pflicht, im Gebet den Antichristen zu bekämpfen, und was der Antichrist ist, darüber dürfte es bei keinem normalgesinnten Christen Fragen geben. Wenn es nicht das Papsttum der Kirche Roms ist, dann gibt es nichts auf der Welt, das mit diesem Namen bezeichnet werden könnte. Es verletzt Christus, weil es ihn seiner Herrlichkeit beraubt, weil es die Wirkungskraft der Sakramente an die Stelle seines Sühnopfers setzt und ein Stück Brot an die Stelle des Erlösers erhebt …. Wenn wir das Papsttum im Gebet bekämpfen, weil es gegen Christus steht, dann sollen wir die Personen lieben, auch wenn wir ihre Irrlehren hassen; wir lieben ihre Seelen, auch wenn wir ihre Dogmen verabscheuen.  –  Charles Haddon Spurgeon

Ich persönlich habe das Wort Protestant sogar aus meinem Wortschatz gestrichen … Ich protestiere gegen gar nichts … für Katholiken und Nichtkatholiken wird es Zeit, daß sie als eins im Geist und eins im Herrn zueinander finden.  –  Paul Crouch im TBN-Fernsehen

Für die Protestanten ist die Zeit gekommen, daß sie zum Hirten [dem Papst] gehen und sagen: „Was müssen wir tun, damit wir heim kommen können?“  –  Robert Schuller

Die Zitate, mit denen wir dieses und das vorige Kapitel einleiteten, verdeutlichen angefangen mit der Zeit Spurgeons bis heute, einen dramatischen Wechsel im Denken von Führungspersönlichkeiten der Christenheit bezüglich des Katholizismus. 350 Jahre lang identifizierten die meisten protestantischen Glaubensbekenntnisse das Papsttum als das System des Antichristen. Diese Identifikation läßt man nun fallen. Der wohl bekannteste Evangelist überhaupt hat Papst Johannes Paul II. als „den größten geistlichen Führer der modernen Welt …“ bezeichnet. Einer von Amerikas besten „Familienexperten“ betrachtet den Papst als „hervorragendsten geistlichen Führer, der den Namen Jesu Christi nennt“.  Immer wieder hört man von führenden Evangelikalen, die den Papst besucht haben und mit der Überzeugung zurückkehren, er sei „wiedergeboren“. Wenn das der Fall ist, wie kann er dann weiterhin sein betrügerisches Amt ausüben als Oberhaupt dieses korrupten Systems mit seinem falschen Evangelium der Werke und Rituale, das die Seelen scharenweise in die Verdammnis schickt?

Eine steigende Zahl der heutigen Evangelikalen akzeptiert die Katholiken als Christen und scheint kein Problem darin zu sehen, sich mit ihnen zur Evangelisierung der Welt zusammenzutun. Das wird schon anhand des Titels der historischen gemeinsamen Erklärung von katholischen und protestantischen Führungspersönlichkeiten deutlich (über die wir bereits ausführlich berichtet haben): Evangelikale und Katholiken zusammen: Die Christliche Mission im dritten Jahrtausend. Evangelikale und Katholiken haben sich zu vollen Partnern in der christlichen Mission erklärt, der Welt das Evangelium zu verkünden, und wollen sich gegenseitig nicht mehr abwerben. „Für eine christliche Gemeinschaft [Evangelikale] ist es weder theologisch legitim, noch ein weiser Gebrauch der gegebenen Mittel, unter den aktiven Anhängern einer anderen christlichen Gemeinschaft [Katholiken] Proselyten zu machen.“ Einige der führenden protestantischen Evangelisten führen ihre Evangelisationen in Zusammenarbeit mit Katholiken durch. D. Martyn Lloyd-Jones erklärt jedoch, weshalb er solche Evangelisationen in England nicht unterstützen könnte:

Ich rufe ins Gedächtnis, daß die Reformatoren keine übereifrigen Fanatiker oder Narren waren. Der Heilige Geist hatte ihre Augen geöffnet … sie sahen dieses fürchterliche Ungeheuer in der Bibel dargestellt und warnten davor. Selbst auf die Gefahr hin, ihr Leben zu verlieren, erhoben sie Einspruch und leisteten Widerstand …

Ein Christentum, das lediglich predigt: „Komm zu Christus“ oder „komm zu Jesus“, kann vor Rom nicht bestehen. Ein solches Christentum wird wahrscheinlich am Ende die Zahl derer, die zu Rom gehören, noch vergrößern. Leute, die evangelistische Feldzüge durchführen und sagen: „Ihr seid römisch-katholisch? Dann geht zurück in eure Kirche!“, verleugnen die Lehre des Neuen Testaments. Wir müssen die Menschen warnen!

Wir haben gezeigt, daß das Tier aus Offenbarung 13 und 17 sowohl das wiedererstandene römische Reich als auch den Antichristen darstellt. Die falsche Kirche mit ihrem Zentrum in Rom ist die Frau, die auf diesem Tier sitzt. Aber diese Identifikation der Frau, die unter Protestanten jahrhundertelang beinahe einmütig vorherrschte, akzeptieren heute nur noch wenige evangelikale Führungspersönlichkeiten. In der christlichen Welt weht und herrscht ein neuer Geist der Ökumene. In einem Editorial der Zeitschrift Christianity Today lesen wir:

Als wir [Katholiken und Evangelikale] darüber diskutierten, was das Evangelium überhaupt und Christus uns persönlich bedeutet, wurde uns völlig klar, daß wir einen gemeinsamen Glauben teilen … Herkömmliche Katholiken lassen die Lehre von der Gnade allein gelten … Sie [Katholiken und Evangelikale] haben beide die Verheißung des Vaters, von ihm angenommen zu sein, und so hätten sie sich als seine Kinder besser gegenseitig annehmen sollen.

Nichts könnte der Wahrheit ferner stehen, wie wir es ja gründlich dargelegt haben. Die katholische Sichtweise von Gnade, Glauben und Errettung ist in keinster Weise das, was die Bibel lehrt. Doch die Fehlinformation über den Katholizismus besteht weiter fort. Tom Houston, zu der Zeit Direktor des internationalen Lausanner Komitees für Weltevangelisation, sagte beispielsweise auf einer Plenarsitzung der Lausanne II Konferenz in Manila im Jahre 1989:

Gott vollführt in Jesus Christus sechs Heilshandlungen … Die Fleischwerdung … das Kreuz … die Versöhnung … die Auferstehung … die Himmelfahrt … Pfingsten … die Wiederkunft Christi. Nun glauben alle diese Kirchen (die anglikanische, römisch-katholische, lutherische, evangelikale, orthodoxe, pfingstlerische) an alle diese sechs Heilshandlungen … Laßt es unser entschlossenes Ziel sein, zusammenzubleiben … wie im Lausanner Bündnis dargelegt.

So erfahren wir schließlich vom ehemaligen Direktor selbst, daß das Lausanner Bündnis von Anfang an Katholiken und Orthodoxe miteinschließen sollte! Für die Teilnehmer, die sich über die in Houstons Rede geleugneten Irrlehren Roms im klaren sind, war diese Entdeckung ein Schock. Abgeordnete aus Lateinamerika, die den Katholizismus nur zu gut kennen, protestierten energisch gegen die Anerkennung der Katholiken als Christen. Dieser Protest wurde zeitweilig berücksichtigt, aber mittlerweile scheint der Trend hin auf volle Gemeinschaft mit den Katholiken unaufhaltbar zu sein.

Eine Einbahnstraße

Evangelikale, die sich eine gleichwertige Partnerschaft mit Rom ausmalen, sind anscheinend blind für das, was auf der Hand liegt. Der beim 2. Vatikanum und seitdem in allen katholisch-ökumenischen Schriften verwendete Begriff „getrennte Brüder“ verdeutlicht unmißverständlich, daß für Nichtkatholiken „Einheit“ nur erlangt werden kann, indem sie sich der katholischen Kirche anschließen. Dieses ist gleichfalls bereits vor dem Konzil in zahlreichen päpstlichen Verlautbarungen an die katholischen Gläubigen verkündet worden. Typisch ist z.B. die folgende Erklärung von Papst Pius XII.:

Wir dürfen nicht schweigend über die Wahrheit der katholischen Lehre hinweggehen oder in zweideutige Begriffe hüllen … daß die einzig wahre Einheit nur durch die Rückkehr der getrennten Christen in die eine wahre Kirche Christi herbeigeführt wird.

Jenen, die nicht zum sichtbaren Leib der Kirche gehören … kann für das ewige Heil nichts zugesichert werden, denn … sie entbehren immer noch der Hilfen und himmlischen Gnaden, die nur in der katholischen Kirche gefunden werden.

Hier sehen wir Rom wieder einmal lehren, daß jemand nicht einfach zu Christus kommen kann und durch Glauben an sein allgenügsames Opfer für die Sünden gerettet wird. Da gibt es weitere „Hilfen und himmlische Gnaden“, die zur Errettung notwendig sind, und die kann man nur in der römisch-katholischen Kirche finden. Glücklicherweise sind die Zeiten vorbei, als dieses Dogma unter Androhung der Todesstrafe angenommen werden mußte. Einmal wird es jedoch wieder eine solche Zeit geben, und die kommt vielleicht schneller, als wir denken.

Ökumene heißt nicht gleichwertige Partnerschaft, sondern ist vielmehr eine Einbahnstraße nach Rom. Bei den Verfechtern des Katholizismus ist ein uneingeschränktes Bemühen zu verzeichnen, die Irrtümer und Unzulänglichkeiten der Evangelikalen zu widerlegen. Das Buch von Thomas Howard, in welchem er seine Romreise beschreibt, trägt den Titel Evangelical Is Not Enough („Evangelikal ist nicht genug“).

Christliche Händler bieten Kassetten und Bücher dieser Art frei an und bringen diese somit ohne jeden Einwand in die christlichen Buchläden. Hingegen weigern sich viele derselben katholische Literatur verkaufenden Händler und Buchläden, Bücher oder Kassetten anzubieten, die in irgendeiner Weise den Katholizismus kritisieren. 

Die neue Strategie: Ökumene

Da Rom in den meisten Teilen der Welt seinen Status als offizielle Staatskirche eingebüßt hat und auf Abweichung nicht mehr länger die Todesstrafe aussetzen kann, hat es sich neue Taktiken angeeignet. Auf die Veröffentlichung der Erklärung über die Religionsfreiheit des 2. Vatikanums Dignitatis Humanae hin zeigte Rom Initiative und wandelte die Konkordate in den wenigen Ländern, in denen nur der Katholizismus erlaubt war, in Bewilligungen der Religionsfreiheit um. So geschehen in Kolumbien im Jahre 1973, was dort allen Religionen die Tür öffnete und Kirche und Staat trennte. Gleiches vollzog sich 1974 im Schweizer Kanton

Wallis, gefolgt von der Annullierung des Artikels 24 des 1940er Konkordats mit Portugal. In Spanien gewährte man 1976 durch die Änderung des Konkordats zur Verhinderung der Trennung von Kirche und Staat die Religionsfreiheit, gefolgt von entsprechenden Aktionen in Peru 1980 und in Italien 1984. Schließlich traten im Juli 1992 auch noch in Mexiko Gesetze in Kraft, die den Nichtkatholiken Religionsfreiheit garantieren (obwohl die Verfolgung und sogar Tötung von Christen durch Katholiken weitergeht). Diese Züge spiegeln nicht eine Freigiebigkeit auf Seiten Roms wider, sondern stellen vielmehr die clevere Strategie dar, das zu verwirklichen, was in der heutigen Welt ohnehin unumgänglich ist.

Der Katholizismus ist zum ökumenischen Anführer in dem Bestreben geworden, nicht allein die protestantischen „getrennten Brüder“, sondern alle Religionen der Welt in einer neuen Weltkirche zu vereinen. Papst Johannes Paul II. verkündete 1986 vor einem großen hinduistischen Publikum: „Indiens Auftrag … ist aufgrund seiner Erkenntnis über das spirituelle Wesen des Menschen von entscheidender Bedeutung. Indiens größter Dienst für die Welt kann tatsächlich darin bestehen, ihr eine spirituelle Sicht des Menschen zu liefern. Und die Welt tut gut daran, diese uralte Weisheit bereitwillig anzunehmen und in ihr eine Bereicherung des menschlichen Lebens zu finden.“ Welch erstaunliche Empfehlung des Hinduismus!

Einer der einflußreichsten Hinduführer der Welt, der als „Guru der Vereinten Nationen“ (in deren Sitz er zweimal wöchentlich Meditationen hält) bekannte Sri Chinmoy, ist von mehr als einem Papst angepriesen worden. Die mehr als 80 weltweiten Meditationszentren Chinmoys haben bereits Millionen in die Finsternis des Hinduismus geführt, doch Johannes Paul II. sieht ihn als Freund und Mitarbeiter an und grüßte ihn mit den Worten: „Besondere Grüße an Dich … [und] Deine Mitglieder. Wir werden zusammen weitermachen.“ Papst Paul VI. sagte zu Chinmoy: „Das hinduistische und das christliche Leben sollten ihren Weg gemeinsam gehen. Deine Botschaft und meine Botschaft sind dieselben.“

Und jetzt sagen führende Evangelikale zu Rom, sein Evangelium und ihr Evangelium seien ebenso dieselben!

Rom wird selbstverständlich das Zentrum der neuen Weltreligion und die katholische Hierarchie ihr Amtsträger sein. Rom bereitet den Weg schon vor durch verblüffende Anerkennungserklärungen zu fast allem, vom Voodookult bis zum Glauben der Evangelikalen, während es letztere gleichzeitig angreift. Auf seiner 1993er Afrikareise fand der Papst „eine gemeinsame Grundlage mit den Anhängern des Voodookults … und meinte, sie sollten ihrem traditionellem Glauben nicht durch eine Konvertierung zum Christentum abtrünnig werden.“ Johannes Paul II. erklärte, „die katholische Kirche wünscht … im Hinblick auf eine gegenseitige Befruchtung die Einführung positiver und kooperativer Beziehungen mit … verschiedenen Glaubensrichtungen“ und wies dabei darauf hin, daß „das 2. Vatikanische Konzil … anerkannte, daß es in [allen] verschiedenen religiösen Überlieferungen etwas Wahres und Gutes gibt, die Saat des Wortes. Das hat Christi Jünger ermutigt, ‚die Reichtümer zu entdecken, die ein großzügiger Gott an die Völker ausgeteilt hat‘.

Versuchen wir uns einmal Mose vorzustellen, wie er dem Volk Israel empfiehlt, „die Reichtümer zu entdecken“, die in den Religionen der sie umgebenden götzendienerischen Heiden zu finden sind, oder Paulus, wie er den Christen in Ephesus nahelegt, „die Reichtümer“ des heidnischen Kultes im Tempel der Diana zu entdecken! Was haben evangelikale Führungspersönlichkeiten dann in einer Partnerschaft mit Rom zu suchen?

Alle Religionen umfassend

Ebenso wie Mutter Theresa preist auch Johannes Paul II. alle Religionen an. Beispiele gibt es in Hülle und Fülle, hier haben wir jedoch nur für einige wenige Platz. Im Jahre 1985 sagte der Papst zu Muslimen in Brüssel: „Christen und Muslime, wir begegnen uns einander im Glauben an den einen Gott … [und] sind bestrebt … die Lehre unserer jeweiligen heiligen Bücher zu praktizieren.“ Weder ist der Allah des Islam der Gott der Bibel, noch könnte ein Christ die Lehren des Koran gutheißen. Als der Papst 1993 in Westafrika mit muslimischen Führern zusammentraf, „rief er Christen, Muslime und Anhänger der Naturreligionen … zur gegenseitigen Anerkennung der religiösen Überzeugungen auf …“  Wie kann man Glaubensüberzeugungen anerkennen, welche die Menschen in die Hölle bringen? Die Bibel ist weit davon entfernt, uns zur „Anerkennung“ heidnischer Religionen aufzufordern, und verdammt sie vielmehr.

Als er 1981 in Tokio zu Schintoisten und Buddhisten sprach, lobte Johannes Paul II. die Weisheit ihrer alten Religionen, die sie dazu angeregt hat, „in jedem Menschen eine göttliche Präsenz zu sehen … [Als Stellvertreter Christi] freue ich mich darüber, daß Gott diese [religiösen] Gaben an euch ausgeteilt hat“ [18] – angesichts der Irrtümer des Schintoismus und des Buddhismus eine undenkbare Aussage! Im Jahre 1985 frohlockte der Papst in Togo, er habe „zum ersten Mal mit Animisten gebetet“. Ein konservativer katholischer Kritiker der erstaunlichen ökumenischen Bestrebungen seiner Kirche schreibt:

Ursprünglich bezog sich die Ökumene auf die Einheit unter den Christen. Aber jetzt sucht sie in zunehmendem Maße … die Einheit aller Religionen, der christlichen sowie nichtchristlichen. Am 19. Mai 1964 eröffnete Paul VI. offiziell ein Sekretariat für die Nichtchristen … [das] bei den letzten zwei Sitzungen des Konzils [2. Vatikanum] eine wichtige Rolle spielte … Einige Monate später erklärte Msgr. Wojtyla [der jetzige Papst Johannes Paul II.]:

„Die Sehnsucht nach der Einheit der Christen macht gemeinsame Sache mit der Sehnsucht nach der Einheit der ganzen Menschheit … Das ruft bei der Kirche eine Annäherung an die anderen Religionen hervor, eine Annäherung, die auf der Anerkennung ihrer den Christen und anderen Menschen gemeinsamen spirituellen Werte beruht und sich nach den Religionen wie Islam, Buddhismus und Hinduismus ausstreckt …“

Die Vereinigungsambitionen des Papstes bezüglich aller Religionen schockieren zwar die konservativen Katholiken, stimmen in Wirklichkeit jedoch mit der Geschichte dieser Kirche überein. Angefangen unter Konstantin, als Isis- und Horusstatuen in Maria und Jesus umbenannt wurden, und unter Papst Leo I. (440-461), der voller Stolz verkündete, Petrus und Paulus seien „als Schutzpatrone [Roms] an die Stelle von Romulus und Remus getreten“, hat der römische Katholizismus sich von Anfang an den heidnischen Religionen der „christianisierten“ Völker angepaßt. Während seines Besuchs in Neu Guinea im Jahre 1984 leitete Papst Johannes Paul II. die Freiluftfeier einer „neuen Messe“ für Eingeborene. Bei der Messe gab es auch „Tänzer, die sich zur Gabenbereitung vor dem Altar verrenkten und orangene und gelbe Rauchschwaden aufwarfen, ein heidnisches Ritual zur Abwehr böser Geister … [während] ein 18jähriger Student in ihrer traditionellen Kleidung [oberhalb der Taille nackt] am päpstlichen Altar eine Schriftstelle las“. Die New York Times schrieb, diese Messe sei ein Zeichen der –  Bestrebungen der römisch-katholischen Kirche, ihre Gottesdienste durch Integration von Elementen in ihre Zeremonie und Liturgie, die den Kulturen der Völker entnommen sind, denen westliche Missionare ihre Religion gebracht haben, universaler zu gestalten.

Eine solche Integration ist so alt wie der Katholizismus selbst. In Haiti beginnt jedes Voodoo-Ritual mit katholischen Gebeten. Es gibt eine Redensart, derzufolge die Leute in Haiti zu 85 % katholisch und zu 110 % Anhänger des Voodookultes sind. Die unheimliche spiritistische Sekte Santeria, die sich in ganz Amerika explosionsartig ausbreitet, ist mit ihren als katholische Heilige ausgegebenen „Göttern“, die für Dämonen stehen, ebenfalls ein Verschnitt aus afrikanischem Heidenkult und Katholizismus. Besucht man an einem kirchlichen Feiertag in Rio de Janeiro einen Friedhof, so sieht man dort die gläubigen Katholiken, wie sie die Geister ihrer Ahnen zusammen mit katholischen Heiligen anrufen. In Brasilien und Kuba vermischen sich Spiritismus und an den Voodookult angelehnte afrikanische Religionen verschiedenster Art mit dem Katholizismus, und in ganz Lateinamerika halten Katholiken am Aberglauben der Eingeborenen fest. Der Gebrauch von Bildern, Weihwasser und vieles von dem, was jetzt Bestandteil des Katholizismus ist, sind aus dem Heidentum übernommen worden.

Heidentum innerhalb der katholischen Kirche

Innerhalb der römisch-katholischen Kirche selbst kann man jede Schattierung des New-Age, Okkultismus und Mystizismus entdecken. Die Zeitschrift Catholic World brachte eine ganze Ausgabe über die New- Age-Bewegung, und das ohne ein einziges kritisierendes oder korrigierendes Wort. Tausende von Priestern und Nonnen praktizieren Yoga und andere Formen des hinduistischen oder buddhistischen Mystizismus.

Im ganzen Land sind die katholischen Schulen, die man einst als Bastionen gesunder Ausbildung ansah, genauso wie die öffentlichen Schulen von okkulten und New-Age Praktiken durchdrungen. Die Sonderausgabe Spirituality of the Catholic Educator („Spiritualität des katholischen Erziehers“) stellt eine Kostprobe von heutiger katholischer Erziehung vor: Die katholischen Schulen im Gebiet von New Jersey/New York haben ein Programm mit dem Namen Energetik fürs Leben: Ein Lehrplanerweiterungs-Programm zur Erziehung zum Frieden in Gebrauch, das von den Schwestern O.S.F. Vergila Jim und O.S.U. Claire Lange entwickelt wurde. Ziel dieses Programms ist „nichts geringeres als die Umgestaltung des Kindes von innen her“, mittels dem Kontakt mit der kreativen „Energie“, die sich „im innersten ihres Wesens“ befindet, was zu einer Erfahrung der „Verbundenheit und wechselseitigen Abhängigkeit aller lebenden Geschöpfe“ führt … Der Kontakt mit dem „heiligen Mittelpunkt“ des Kindes wird durch „die regelmäßige Ausübung von Meditation, Visualisierung, Entspannungsübungen, Atemtechniken usw.“ herbeigeführt.

Sie haben sich den hinduistischen Gruß „Namaste“ angeeignet, was soviel heißt wie „der Gott in mir grüßt den Gott in dir!“ Wenn der Schüler erst einmal erkannt hat, daß er und alles Gott ist, „wer würde dann Gott oder irgendeinem seiner Geschöpfe Gewalt antun?“, fragt Schwester R.D.C. Loretta Carey von der Universität Fordham.

Schwester C.S.J. Mary L. O’Hara, Professorin für Philosophie am Kollegium der heiligen Maria in Omaha, hat sich auf die Förderung buddhistischer und hinduistischer Techniken zur Verbesserung der Erziehung in katholischen Schulen spezialisiert.

Weltweit vermischen katholische Einkehr- und Erholungszentren „Christentum“ mit Hinduismus, Buddhismus und allen Spielarten von New- Age Denken und New-Age Praktiken. Ein typisches Beispiel ist das von Franziskanerschwestern geleitete Meditationszentrum Ashram Ya Azim in Willard im Bundesstaat Wisconsin. Hier versucht man, mittels verschiedener New-Age Techniken „das Bewußtsein Christi“ zu erlangen. Virginia Barta, Vorsteherin der Franziskanerschwestern in den USA, erklärt zur Verteidigung dieses Zentrums: „Wir können katholisch sein und uns gleichzeitig … für die Erkenntnis der mystischen Wahrheit in allen Religionen öffnen.

Zu Beginn seiner Amerikareise wurde der Dalai Lama, der von sich behauptet, Gott und die vierzehnte Reinkarnation des ursprünglichen Dalai Lamas zu sein, in der New Yorker St. Patrick-Kathedrale gefeiert, was das Time-Magazin als „ein außergewöhnliches interreligiöses Fest“ bezeichnete, dessen Gastgeber Kardinal Cooke war. Als der Dalai Lama erklärte, „alle größeren Religionen der Welt sind im Grunde gleich“, erhob sich die Menge und beehrte ihn mit stehenden Ovationen.

Kardinal Cooke bezeichnete das Ereignis als „einen der dramatischsten Aufbrüche des Geistes in unserer Zeit“.  Das ist jedoch sicherlich nicht der Heilige Geist.

Die gesamte Mai/Juni-Ausgabe der Zeitschrift Catholic World von 1990 war dem Buddhismus gewidmet. Alle Artikel sind sehr wohlwollend geschrieben, einschließlich einiger lobender Zitate vom Papst. Ein Aufsatz hatte sogar die Überschrift „Der Buddha – verehrt als christlicher Heiliger“! Johannes Paul II. nimmt eine offenherzige Haltung zum Buddhismus und allen anderen Religionen ein. Für ihn setzt die tibetanisch-buddhistische Gottheit Yoga seines Intimfreundes Dalai Lama neben den Gebeten von Hexen, Wunderdoktoren, Spiritisten und allen anderen Religionen „große spirituelle Energien“ frei, die ein „neues Klima des Friedens schaffen“. Ähnliche Beispiele könnten hier zur Genüge angeführt werden. In einer Reportage der Los Angeles Times lesen wir:

Papst Johannes Paul II. zog im Buddhistenkloster von Bangkok seine Schuhe aus und saß dann feierlich schweigend neben dem Patriarchen der thailändischen Buddhisten … Später pries der römisch-katholische Pontifex die „uralte und ehrwürdige Weisheit“ der asiatischen Religionen.

Stellen wir uns einmal Petrus vor, wie er an einem buddhistischen Tempelritual teilnimmt und die buddhistische Weisheit anpreist! Oder Paulus, wie er, wie Johannes Paul II. bei seinem Indienbesuch, hinduistischen Zuhörern erklärt, er sei nicht gekommen, sie etwas zu lehren, sondern vielmehr selbst „von ihrem reichen spirituellen Erbe“ zu lernen, und die Welt hätte es nötig, auf Indiens „spirituelle Sicht des Menschen“ achtzuhaben.

Die ersten Christen wären niemals als Märtyrer gestorben, hätten sie nur zu Roms heidnischen Praktiken die entsprechende ökumenische Haltung eingenommen.

Weshalb ökumenische Päpste beliebt sind Johannes Paul II. scheint gesundheitlich angegriffen zu sein. Ob er zu seiner Kraft zurückfindet und weitermacht, oder ob ein anderer Papst seinen Platz einnimmt, wird sich auf die zukünftige Entwicklung nicht sonderlich auswirken. Johannes Paul II. ist zwar der kühnste und wirkungsvollste Ökumeniker überhaupt, doch er folgt nur den Fußstapfen seiner Vorgänger, und auch sein Nachfolger wird diese gleiche Richtung einschlagen. Papst Johannes XXIII. (der das 2. Vatikanische Konzil eröffnete) und Papst Paul VI. (der es zuende führte) trafen sich mit herausragenden Persönlichkeiten wie dem Dalai Lama, Anwar el-Sadat (einem Muslim) und dem UNO-Generalsekretär U Thant (einem Buddhisten) zur Gründung des als „UNO der Religionen“ bekannten „Tempels der Verständigung“. Seither haben sich in der Leitung dieser wichtigen Einrichtung zur Herbeiführung einer Welteinheitsreligion vor allem Katholiken hervorgetan.

Als ein weiteres Beispiel für die ökumenischen Ambitionen von Johannes Pauls II. Vorgänger kann hier angeführt werden, daß Paul VI. im Jahre 1974 der 2. Weltkonferenz für Religion und Frieden im belgischen Louvain seinen Segen erteilte. Unter katholischer Federführung heißt es in der Abschlußerklärung dieser Konferenz:

Buddhisten, Christen, Konfuzianisten, Hindus, Dschainas, Juden, Schintoisten, Sikhs, Zoroastrier und all die anderen, wir waren hier bestrebt, auf den Geist unserer mannigfaltigen ehrwürdigen religiösen Traditionen zu hören …Wir haben um die brennenden Fragen gerungen, die unsere Gesellschaften lösen müssen, damit Frieden sein kann …

Es ist uns eine große Genugtuung, daß … die lange Zeit einer von Stolz und Vorurteilen geprägten Isolation unter den Religionen der Menschheit nun, so hoffen wir, für immer vorüber ist.

Es ist interessant, daß die große Mehrheit der Katholiken zwar in vielerlei Hinsicht abstreitet, die päpstlichen Dogmen zu befolgen, die ökumenischen Bestrebungen des Papstes aber vollauf gutheißt. Weshalb auch nicht? Der hohe Prozentsatz der Katholiken, die die grundlegenden Lehren der Kirche ablehnen, ist ein Anzeichen für eine sich öffnende „Christenheit“. Eine Umfrage aus dem Jahre 1989 zeigte, daß 25 % der amerikanischen Katholiken nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, weitere 46 % meinten, das wisse ja niemand so richtig, und 55 % glaubten, sie könnten auch dann Katholiken bleiben, wenn sie eine von den offiziellen kirchlichen Lehren abweichende Meinung vertreten. Eine Umfrage im Jahre 1990 ergab, daß 67 % der Katholiken die Ordination von Frauen befürworten, 52 % konnten der Abtreibung zustimmen, 75 % meinten, den Priestern sollte das Heiraten erlaubt werden, und 87 % sagten, Ehepaare sollten in Sachen Geburtenregelung ihrer eigenen Entscheidung folgen. [32] Bei einer Umfrage im April 1994 „glaubten weniger als 45 %, daß ‚Brot und Wein sich in Christi Leib und Blut verwandeln‘“.

In Frankreich und Italien ist die Situation noch erstaunlicher: 49 % der Katholiken Frankreichs glauben nicht an die Auferstehung Christi, 60 % nicht an den Himmel, 77 % nicht an die Existenz einer Hölle und 75 % glauben weder, daß es ein Fegefeuer noch den Teufel gibt. [34] Tatsächlich „bezweifeln auch zwei Drittel der katholischen Theologen … die Existenz Satans …“ [35] 90 % der Italiener bezeichnen sich zwar als Katholiken, jedoch besuchen lediglich etwa 30 % die sonntägliche Messe, und innerhalb des vergangenen Jahrzehnts sind in Italien sowohl Ehescheidung als auch Abtreibung per Volksentscheid legalisiert worden, obwohl die Kirche Druck dagegen ausübte.

Aber nicht nur die Katholiken zeigen diese Erscheinungen des Abfalls. Eine Anfang 1994 durchgeführte Umfrage ergab, daß „vier von zehn [Amerikanern], die sich selbst als evangelikal bezeichnen, nicht glauben, daß es so etwas wie absolute Wahrheit gibt“. [Wird „evangelikal“, so wie auch „wiedergeboren“, zu einer bedeutungslosen Floskel?] „Von allen amerikanischen Erwachsenen sagen 71 %, eine absolute Wahrheit gäbe es nicht.“ Relativismus und Ökumene gehen Hand in Hand. Wer solche unbestimmten Ansichten vertritt, läßt sich leicht zu einer Verbündung mit jedem überreden, sofern ein einleuchtender Grund vorliegt. John W. Robbins schreibt in seiner Rezension des Buches Rome Sweet Home („Rom, trautes Heim“, die Geschichte von Scott und Kimberley Hahns Konvertierung zum Katholizismus): [Scott] Hahns Abtrünnigkeit ist kein Einzelfall. Die Leute werden nicht abtrünnig, weil Rom die wahre Kirche ist, sondern aufgrund des Abfalls des „Protestantismus“ … Gerade wenn die Verkündigung des Evangeliums am dringendsten von Nöten wäre, wird sie von „protestantischen“ Kanzeln kaum vernommen … Allein die Gnade Gottes kann uns vor einem weiteren finsteren Zeitalter und vor der Kirche, die Luther als das Schlachthaus der Seelen bezeichnete, bewahren.

Alle im „Gebet“ vereinen

Seit seinem Amtsantritt im Jahre 1978 hat Johannes Paul II. die Ökumene ein gutes Stück weit auf die zukünftige Welteinheitsreligion zugesteuert. Eine der wichtigsten Taktiken des Papstes zur Herbeiführung der Einheit besteht darin, die religiösen Führer zum gemeinsamen Gebet zu versammeln. Einem vom Vatikan veröffentlichtem Brief zufolge will er das neue Jahrtausend mit einem noch nie dagewesenen Gebetstag mit Muslimen und Juden zusammen auf dem ägyptischen Berg Sinai einleiten.

Eine der erstaunlichsten Aktionen Johannes Pauls II. war das Treffen im italienischen Assisi im Jahre 1986, bei dem 130 Religionsführer von den 12 größten Weltreligionen zum gemeinsamen Gebet für den Frieden zusammenkamen. Dort beteten Schlangenbeschwörer, Feueranbeter, Spiritisten, Animisten, nordamerikanische Medizinmänner, Buddhisten, Muslime und Hindus wie auch „Christen“ und Katholiken. Der Papst erklärte, alle würden „zu demselben Gott beten“. Bei dieser Gelegenheit gestattete der Papst auch seinem guten Freund, dem Dalai Lama samt seinen Mönchen, das Kreuz auf dem Altar der Peterskirche von Assisi durch eine Buddhafigur zu ersetzen und dort ihre buddhistische Art der Anbetung zu praktizieren.

Die beiden triftigsten Motive, die für die Einheit der Welt eine große Rolle spielen werden, sind Ökologie und Frieden. Immer mehr Menschen glauben daran, daß „Frieden“ durch Gebete zu einer höheren Macht erlangt wird und, wie Masonry sagt, „jeder Gott eingreifen wird“.

Durch das Beispiel des Papstes von Assisi angeregt, schießen in den ganzen Vereinigten Staaten „Interfaith Councils“ („Inter-Glaubens- Räte“) aus dem Boden, bei denen Christen zusammen mit Anhängern aller Religionen zum Gebet und zur Planung gesellschaftlicher Aktionen zusammenkommen. Ein Teilnehmer beschreibt das Vorgehen auf einem solchen Treffen: Swami Bhaskaranada, ein Hindu, stimmte ein Gebet zu Gott an …

Ismail Ahmed, ein Muslim, sagte ein kurzes Gebet zu Gott auf … als sie so vor dem mit Bildern von Sri Ramakrishna, Jesus Christus und Buddha geschmückten Altar standen.  Gebete haben weltweit alle Religionen vereint, und das selbst unter evangelikaler Federführung. Beim 1993er nationalen Gebetsfrühstück in Washington D.C. las Senator Kerry Johannes 3,1-21 vor (wobei er den Schlüsselvers 16 ausließ) und meinte, Christus spräche von einer „geistlichen Erneuerung“ und Hindus, Buddhisten, Muslime, Juden und Christen kämen mit diesem Ziel „im Geiste Christi“ zusammen. Der Vizepräsident Al Gore sagte: „Glauben an Gott, Vertrauen auf eine höhere Macht, wie immer man sie auch nennen mag, ist meiner Ansicht nach das Wichtigste.“

Gott sagte: „Wenn … mein Volk, über dem mein Name ausgerufen ist … betet … dann werde ich vom Himmel her hören“ (2. Chronika 7,14). Das war keine Einladung an die Verehrer des Baals und der Astarot und anderer Götter, sich im Gebet mit dem Volk Israel zu vereinen. Das wäre ein Greuel gewesen! Doch die Evangelikalen von heute schließen sich einem religiösen Mischmasch an und dort beten sie und setzen sich ein für soziale Gerechtigkeit und Frieden.

Weltweit im Aufwärtstrend

Es ist immer wieder erstaunlich, bis zu welchem Ausmaß die, die sich selbst Christen nennen, ihre Teilnahme an religiösen Praktiken mit Anhängern aller anderen Religionen mit dem Verweis auf Frieden und ökologische Ganzheitlichkeit rechtfertigen können. In Südamerika gibt es eine große Bewegung mit dem Namen „Erste Versammlung des Volkes Gottes von Lateinamerika und der Karibik“ (engl. APD), die mit dem Segen der katholischen Kirche eine wahrhaft ökumenische Welle von Katholiken, Protestanten und Heiden anzieht. Der Ausdruck „Volk Gottes“ stammt aus dem 2. Vatikanum, und die Bewegung behauptet von sich, „das in den Lehren des 2. Vatikanischen Konzils dargestellte Modell einer pluralistischen und dienstorientierten Kirche ins Leben gerufen“ zu haben. Der National Catholic Reporter berichtete zustimmend über eine kürzlich abgehaltene Tagung in Brasilien:

Einer [der Leiter] hielt ein silbernes Zepter von Kandomble, dem afrikanischen Götterkult … Ein anderer, ein baptistischer Geistlicher, zeigte ein Bild der Erdkugel, durchkreuzt von einem Kruzifix … Neben ihm erhob ein Voodoopriester ein Weihrauchgefäß und breitete damit positive Energien über die Teilnehmer aus. Und ein Pastor der United Presbyterian Church las aus dem Brief des Paulus an die Galater. Zu den Zelebranten zählte auch ein katholischer Bruder aus Brasilien, der die Stola eines Priesters hochhielt. Dieses farbige Stoffband wurde von jedem geküßt.

Ein ähnliches, aber viel größeres Treffen, das Parlament der Weltreligionen, wurde im September 1993 in Chicago abgehalten und von etwa 6.000 Repräsentanten aus allen wichtigen Glaubensrichtungen der Welt besucht. Einer der Redner, der Dalai Lama, rief zu einer weltweiten „spirituellen Erweckung“ auf, an der alle Religionen beteiligt sein könnten

Ein herausragendes Ereignis bei diesem Treffen war die Verleihung des Templeton-Preises für religiösen Fortschritt an Charles Colson, der begehrtesten und höchst dotierten (mit einem Geldwert von über 1,2 Millionen Dollar) ökumenischen Auszeichnung. Verliehen wird er speziell für das „ermutigende Verständnis gegenüber dem Segensreichtum aller anderen großen Religionen“. (Stellen wir uns nur einmal Elia vor, wie er einen Preis verliehen bekommt für das „ermutigende Verständnis gegenüber dem Segensreichtum des Baalskultes“ oder Paulus auf dem Marshügel für sein „ermutigendes Verständnis für den Segensreichtum des Heidentums“!)

Wie immer bei derartigen ökumenischen Meilensteinen, war die katholische Führerschaft stark vertreten, einschließlich Kardinal Joseph Bernardin von Chicago und Fr. Thomas A. Baima, Direktor des Amtes für ökumenische und interreligiöse Angelegenheiten der Erzdiözese Chicago. Der römisch-katholische Theologe Hans Küng war „der wichtigste Verfasser der ‚Globalen Ethik‘ … zur Förderung der interreligiösen Kooperation“, die ein Produkt des Parlaments ist. Die meisten der anwesenden Führungspersönlichkeiten unterzeichneten sie, einschließlich Hw. Wesley Ariarajah, seines Zeichens stellvertretender Generalsekretär des Weltkirchenrats. „Zum ersten Mal in der Geschichte fanden Repräsentanten aller Weltreligionen – Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, Judentum und 120 weiterer religiösen Gruppierungen – zu einer gemeinsamen Grundlage bezüglich ethischen Verhaltens … Vertreter aus dem Vatikan und der Nationalkonferenz der katholischen Bischöfe waren anwesend“ und zeigten ihre Zustimmung. Die Los Angeles Times berichtete:

Priester in römischen Kragen unterhielten sich mit in Safrangewändern gehüllten buddhistischen Mönchen, und Rastafari diskutierten angeregt mit turbantragenden Sikhs … An einem Abend vollzogen die Anhänger der neuheidnischen Wicca-Religion [Hexerei] ein Vollmondritual …

Der römische Katholizismus erweist sich als die Brücke, die alle Glaubensrichtungen zusammenführt. Diese Tatsache allein überrascht nicht, aber es ist erstaunlich zu sehen, daß am einen Ufer evangelikale Christen diese Brücke betreten und gleichzeitig Hindus, Buddhisten und Heiden jeder Spielart sie vom anderen Ufer aus erstürmen. Wenn wir uns tatsächlich in den letzten Tagen befinden, was offenbar der Fall ist, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis sich beide Seiten in der Mitte treffen.

Ein Feldzug der Annäherungen

Am 16. September 1980 sagte Johannes Paul II. vor deutschen Katholiken in Osnabrück: „Ermutigt eure evangelischen Brüder [die Lutheraner] ihren Glauben auf einem Weg der Nächstenliebe zu bezeugen, damit sie ihre Form des religiösen Lebens in Christus vertiefen.

 Führt der Papst die Protestanten nur an der Nase herum, oder schraubt er wirklich seine Maßstäbe herunter, wie von vielen Katholiken befürchtet? Am 6. Februar 1983 sprach er davon, „die Mißverständnisse hinter sich zu lassen … um wieder zu dem zurückzukehren, was allen Christen gemein ist …“ Derartige Äußerungen der Ökumene sind alltäglich geworden und haben innerhalb dieser Kirche das Feuer der Kritik seitens der konservativen Katholiken auf sich gezogen.

Johannes Paul II. hat mit seinen „Einheits“-Bestrebungen zweifellos ein neues Gebiet erschlossen. Als er vor dem Altar der anglikanischen Kathedrale von Canterbury neben dem dortigen Erzbischof Robert Runcie niederkniete, umarmten sich die beiden Oberhirten. Im Jahre 1981 lud der Papst den „Metropoliten Damaskinos zu einer Ansprache an seiner Stelle ein. So saß zum ersten Mal seit dem Schisma [von 1054] ein orthodoxer Würdenträger auf dem Stuhl der Basilika.“ Die gegenseitigen Verdammungen zwischen Rom und Konstantinopel waren bereits 1965 aufgehoben worden. Am 2. August 1982 nahm der Papst wieder diplomatische Beziehungen mit drei skandinavischen Ländern auf, die seit dem Bruch mit Rom zur Zeit der Reformation vom Vatikan nicht anerkannt waren. Am 11. Dezember 1983 wurde Johannes Paul II. zum ersten Papst der Geschichte, der eine lutherische Kirche betrat. Das tat er in Rom, wo er auch am Gottesdienst teilnahm und sagte:

Ich bin hier, weil der Geist des Herrn uns zum ökumenischen Dialog drängt, damit wir unter den Christen zu einer völligen Einheit finden.

Im Jahre 1987 hieß Johannes Paul II. den Patriarchen Dimitrios I. im Petersdom willkommen und stellte ihn vor als „Seine Heiligkeit, Dimitrios I., unser wohlgeliebter Bruder in Christus“ und ermunterte die anwesende Gemeinde, „die Worte des obersten Patriarchen …“ zu hören. Am Ende der Messe kehrte Dimitrios zum Altar zurück und „segnete die Gläubigen“.

Der Papst entgegnete daraufhin: „Der katholischen und der orthodoxen Kirche ist die Gnade zuteil geworden, einander als Geschwisterkirchen anzuerkennen und gemeinsam auf die vollständige Gemeinschaft zuzugehen. Am 7. Dezember 1987 unterzeichneten der Patriarch Dimitrios I. und Johannes Paul II. eine Erklärung, die mit dem aktuellen katholisch-evangelikalen Übereinkommen in den USA vergleichbar ist: „Unseren beiden Kirchen sind dieselben Sakramente zuteil geworden, welche sie auch feierlich begehen [und] … wir nehmen Abstand von jeglicher Art des Abwerbens …“ 

Seltsame Genossen

Am 31. Januar 1994 unterzeichnete der chinesische Premierminister Li Peng die Gesetzestexte 144 („Verwaltungsvorschriften für die religiösen Aktivitäten von Ausländern innerhalb der Grenzen Chinas“) und 145 („Verwaltung von Orten religiösen Brauchtums“). Wie die bedeutende Hong Konger Zeitung Wen Wei Po zugab, ist das Ziel dieser Vorschriften die Verhinderung des „Proselyten-Machens“ durch Ausländer. Die chinesische Regierung erkannte die Gefahr für den Kommunismus, wenn man Evangelikalen gestattet, Christi Befehl zu gehorchen und jedem Menschen auf Erden das Evangelium zu verkünden

In der aufstrebenden ökumenischen Bewegung stellt das hiermit vergleichbare, aber freiwillige Verbot des „Proselyten-Machens“ ein Schlüsselelement dar. Billy Grahams Weltmission ’95 umfaßt eine solche Zusage seitens der beteiligen Kirchen. Die Anweisungen für Frankreich bei der Teilnahme an dieser weltweit von Satelliten übertragenen Evangelisationsveranstaltung beispielsweise sind eindeutig: „Alle Denominationen (Katholiken, Orthodoxe usw.) müssen benachrichtigt werden, und zwischen allen muß gegenseitige Kooperation herrschen … ungeachtet der theologischen Differenzen“ – und es darf absolut „kein inter-kirchliches Abwerben“ geben. Ironischerweise befindet sich der französische Stützpunkt der Mission in Beziers, der Stadt, die Papst Innozenz III., wie der Leser sich erinnern wird, unter Verlust von 60.000 Menschenleben und als „krönende Errungenschaft“ seines Pontifikats zerstörte.

Auf erstaunlichste Art und Weise trat dieser Kompromiß des „Antiproselytismus“ seitens der Evangelikalen entgegen Christi Befehl, das Evangelium der ganzen Schöpfung zu verkünden (Markus 16,15), im Bundesstaat Colorado zutage. In den letzten Jahren erlebte die Stadt Colorado Springs den Zustrom zahlreicher evangelikaler Organisationen, die dort ihre Zelte aufschlugen. Die evangelikale Jugend gewann ihre katholischen und jüdischen Schulkameraden für Christus, was Beschwerden der katholischen und jüdischen Verantwortlichen nach sich zog. Um wieder Frieden herzustellen, unterzeichneten die evangelikalen Führungspersönlichkeiten, darunter James Dobson, die Leiter der „Navigators“ Terry Taylor und des „Young Life“ Terry P. McGonigal sowie die örtlichen evangelikalen Pastoren, ein „Abkommen der gegenseitigen Rücksichtnahme“, zusammen mit dem örtlichen katholischen Bischof, jüdischen Rabbinern und anderen. Das Abkommen selbst wurde am 22. April 1993 in der Zeitung von Colorado Springs Gazette Telegraph unter dem Titel „Eine Botschaft an die Bewohner von Colorado Springs“ abgedruckt. Seine Unterzeichner anerkannten darin das „jüdisch-christliche Erbe“ als allen Glaubensrichtungen gemein, und versicherten, lieber „in einem Geist des guten Willens und der gegenseitigen Rücksichtnahme voneinander zu lernen“, als zu evangelisieren. Eine katholische Zeitung berichtete triumphierend:

„Die Evangelisationsbestrebungen einiger Gemeinschaften schufen eine Atmosphäre der Feindseligkeit“, sagte Bischof Richard Hanifen von der Diözese Colorado Springs. Etwa vor einem Jahr stellten sowohl der Rabbiner Howard Hirsch vom „Tempel Shalom“ als auch Bischof Hanifen fest, daß in den Schulen jüdische und katholische Jugendliche von Schülern anderen Glaubens evangelisiert werden.

Auch Terry McGonigal, Leiter der Jugendorganisation Young Life, stimmte zu, daß in den Schulen andere christliche Jugendliche ebenfalls evangelisiert werden …

Um Unstimmigkeiten aus dem Weg zu gehen und die Verständigung zu fördern, fingen die Verantwortlichen der kirchlichen Gemeinschaften und Organisationen an, sich inoffiziell zu treffen und die Situation zu besprechen … Zum ersten Treffen am 26. Juni 1992 erschienen die Jugendleiter und diskutierten, ob die evangelistischen Bestrebungen ein Problem darstellen, was sich dann als zutreffend herausstellte …

Bischof Hanifen sagte, er hoffe darauf, daß diese Gruppen sich in Zukunft Gedanken machen und den Wert der verschiedenen Glaubensrichtungen und deren Sichtweise der Schrift einsehen. „Anstatt zu versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen, auf welche Weise sich Streitfragen klären lassen, hoffen wir die Vorgänge zu verstehen, wie wir Streitfragen beilegen können“, sagte er. „Ich denke, mit Gottes Hilfe wird dies den zukünftigen Weg für die Entwicklung unserer unterschiedlichen Traditionen bereiten, und das ist für Colorado Springs sehr gut.“

Die charismatische Brücke nach Rom

Zur gleichen Zeit, da Rom sich über die Evangelisierung von Katholiken beschwert, beteiligt es sich merkwürdigerweise am größten Evangelisationsprogramm der Geschichte. Das Programm „Evangelisation 2000“ wird vom Vatikan durch Fr. Tom Forrest geleitet, auf den wir bereits eingegangen sind. Er organisierte weltweite Einkehrtage für Priester, die im September 1990 im Vatikan stattfanden und dort das Jahrzehnt der Evangelisation einläuteten. Forrest sagte interessanterweise, „das erklärte Ziel der Einkehrtage ist die Evangelisation der Priester“. Etwa 1.000 der 6.000 teilnehmenden Priester antworteten auf den Aufruf, „Christus als Heiland anzunehmen und mit dem Heiligen Geist erfüllt zu sein“.

Wozu sollte ein solcher Aufruf nötig sein, insbesondere für Priester, wenn Katholiken doch errettet sind? Und wie konnten diese 1.000 wirklich im biblischen Sinne „Christus als Heiland“ annehmen, ohne dabei den größten Teil des Katholizismus zu verleugnen, der ihnen für die Ewigkeit indoktriniert worden ist? Tom Forrest selbst, der immer noch römisch-katholischer Priester ist und die Messe zelebriert, der an ein Fegefeuer und Ablässe glaubt und nicht wagt zu behaupten, er sei auf ewig errettet, zeigt hierdurch, daß er das biblische Evangelium niemals angenommen hat. Doch die Evangelikalen sehen in ihm einen Partner zur Verkündigung des Evangeliums.

Forrest ist Charismatiker. Gewissen Persönlichkeiten der charismatischen Bewegung ist ein großer Teil der Verantwortung für die wachsende Partnerschaft mit Katholiken zuzuschreiben. Die Charismatiker waren die ersten, die protestantisch-katholische Konferenzen veranstalteten und sich gegenseitig als Christen anerkannten. Zur Zeit reden in Amerika etwa 10 Millionen und weltweit 72 Millionen Katholiken in 163 Ländern „in Zungen“. Diese angebliche Fähigkeit wurde von anderen Charismatikern als Beweis dafür angesehen, daß Katholiken tatsächlich wiedergeboren sind. Die dieser Erfahrung zugemessene Bedeutung bringt es fertig, daß selbst die drastischsten Unterschiede in der Lehre ignoriert werden. Die charismatische Bewegung ist zur wichtigsten Brücke nach Rom geworden.

Daß dort ein falscher „Heiliger Geist“ am Werk ist, liegt auf der Hand. Eine der ersten prophetischen Äußerungen in der katholisch-charismatischen Bewegung (die Mitte der 60er Jahre an den Universitäten Duquesne und Notre Dame ihren Anfang nahm) war, daß das, „was Maria in Fatima verheißen hat, wirklich eintreten wird“. Doch die Erscheinungen von „Maria“ in Fatima waren dämonischer Art, wie wir in den folgenden zwei Kapiteln noch sehen werden. Viele Katholiken empfingen spontan die „Gabe der Zungen“, als sie zu Maria beteten. „Tom N. machte diese Erfahrung, als er sein Rosenkranzgebet beendete … Schwester M. empfing die Gabe, als sie im stillen Gebet zur Seligen Jungfrau kniete.“ [59] Bei den meisten Katholiken wirkte sich ihre „Geistestaufe“ hauptsächlich in einer gesteigerten Hingabe an Maria und größerem Eifer für die häretischen Dogmen des Katholizismus aus. Der Geist, der diese Irrlehren bestätigt, wird auch den Antichristen bestätigen.

Vom 2. – 4. März 1990 veranstaltete Robert Schuller in seiner Kristallkathedrale die katholisch-charismatisch gesponsorte „6. jährliche Westküstenkonferenz über den Heiligen Geist“. Die Mehrheit des Publikums waren Katholiken, so wie auch etwa die Hälfte der Redner. Das überwältigende katholische Publikum war hocherfreut, als es Schuller erklären hörte:

Als ich den Traum von dieser Kathedrale hatte, wollte ich sie nicht ohne den Segen des Heiligen Vaters bauen. Und so reiste ich nach Rom und traf mich mit dem Papst … Ich nahm eine Zeichnung von der Kathedrale mit und erzählte ihm, daß ich sie bauen und um seine Segensgebete dafür bitten wollte. Natürlich machte man ein Foto von uns, und das hängt jetzt bei mir im zwölften Stock … Dann, am 30. Jahrestag meines hiesigen Dienstes, erhielt ich das allerschönste farbenprächtige Foto vom Heiligen Vater, wie er meinem heiligen Dienst seinen apostolischen Segen erteilt, versehen mit einer wunderbaren handschriftlichen Botschaft … 

Die biblische Prophetie erfüllt sich vor unseren Augen. Christus warnte, daß das unmittelbare Bevorstehen seiner Wiederkunft, bei der er seine Braut in den Himmel führen wird, von religiösem Betrug angekündigt wird, wie ihn die Welt bis dahin noch nicht gesehen hat (Matthäus 24,4.11.24). Dieser wird so schlimm sein, daß selbst die Auserwählten Gefahr laufen, verführt zu werden. Männer, die überhaupt keine Christen sind, werden als Christenführer angenommen und vollbringen sogar Zeichen und Wunder (Matthäus 7,22). Paulus warnte vor derselben Verführung und gab zu verstehen, daß sie die entscheidende Vorbereitung für den Antichristen sein wird (2. Thess. 2,3), eine Vorbereitung, die heute offensichtlich auf vollen Touren läuft.

Zur Verteidigung seiner Unterzeichnung der historischen Erklärung Evangelikale und Katholiken zusammen frohlockte ein führender Baptist, sie werde letztlich auf eine Anerkennung der Evangelikalen als legitime religiöse Gruppierung seitens der Katholiken hinauslaufen. Die Reformatoren hätten sich durch eine solche „Anerkennung“ wohl kaum geschmeichelt gefühlt. Außerdem hat Rom diesen Status seit langem allen Religionen zugebilligt. Vor fast 30 Jahren hatte Papst Paul VI. gesagt: Die Kirche gibt ihren Söhnen und Töchtern diese Ermahnung: Anerkennt, bewahrt und fördert die geistlichen und moralischen Güter, die bei den Anhängern anderer Religionen gefunden werden, in umsichtiger und liebender Weise, durch Dialog und Zusammenarbeit mit diesen Völkern, und zum Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens

Das ist der römische Katholizismus, ein „Christentum“, das sich der Partnerschaft mit allen religiösen Richtungen und Praktiken von selbst anpassen kann. Das Fundament für die Welteinheitsreligion mit ihrem Sitz in Rom ist gelegt.

Aus Dave Hunt: DIE FRAU UND DAS TIER.

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Taize und Evangelium (J.Hitz)

Jakob Hitz

 

Entspricht der Taizé – Glaube dem biblischen Evangelium?

Als sich 1940 der gebürtige Schweizer Roger Schutz, Sohn eines evangelisch-reformierten Pastors, im französischen Örtchen Taizé-les-Cluny niederließ, kannte kaum jemand diesen Flecken im romantischen Burgund. 1949 gründete der reformierte Theologe mit einigen anderen Brüdern in Taizé die erste protestantische Mönchsgemeinschaft seit der Reformation. Seitdem geht der Name Taizé um die ganze Welt, und Roger Schutz wurde zu einem berühmten Mann.

Taizé, das ist nicht nur die Mönchsgemeinschaft in dem burgundischen Dorf, zu der seit 1950 Hunderttausende zumeist junge Leute aus allen Teilen dieser Erde pilgerten, um dort die theologische Ausrichtung und das Leben und Wirken des Ordens kennenzulernen. Mit dem Namen Taizé  verbinden sich auch jährliche Jugendtreffen. Das Europäische Jugendtreffen 1996 fand zum Jahreswechsel  in Stuttgart statt und lockte etwa 70 000 Jugendliche an. Viele Christen fragen sich allerdings, ob die Ziele von Taizé mit dem biblischen Evangelium übereinstimmen. Auf den ersten Blick scheint dies der Fall zu sein.

Während des Zweiten Weltkriegs versteckte Roger Schutz  in seinem Haus politische Flüchtlinge und Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Später, als sich seine Gemeinschaft bereits um einige Glaubensbrüder erweitert hatte, nahm er auch über 20 Waisenkinder und Hinterbliebene des Judenmordes auf. Von Anfang an herrschte in Taizé eine Atmosphäre von Opfer- und Hilfsbereitschaft, Güte und Freundlichkeit, die bestimmt war von einem zentralen Anliegen, das Prior Roger Schutz bis heute eisern verfolgt: die Suche nach Versöhnung innerhalb der Christenheit und der gesamten Menschheitsfamilie. Mit dieser Zielvorstellung wurde der Prior der Taizé-Gemeinschaft schnell zum Fackelträger und Vater der ökumenischen Idee – und ist es bis heute geblieben.

Bei der klerikalen Prominenz – von Papst Johannes Paul II über den Patriarchen Alexij von Moskau bis hin zum englischen Erzbischof George Carey von Canterbury –  ist der protestantische  Glaubensbruder aus Taizé  immer wieder ein gern gesehener Gast. In der Öffentlichkeit genießen Schutz und seine Taizé-Brüder ein hohes Ansehen, treffen sie doch mit ihrem Versöhnungsgedanken das Empfinden vieler, vor allem junger Menschen. Das, was auf den ersten Blick als verwirklichte christliche Nächstenliebe erscheint und auch permanent mit biblischen Aussagen begründet wird, ist bei theologischer Prüfung jedoch weniger bis gar nicht im biblischen Urgrund verankert.

Nach Auffassung des Taizé-Gründungsvaters  sollen Gott und Christus schon von Natur aus im Menschen sein. Der Mensch sei eigentlich gut und bedürfe der Erlösung durch Christus nicht. In dem regelmäßig erscheinenden “Brief aus Taizé” (Sonderausgabe 1996), der in 58 Sprachen übersetzt wird, formuliert Schutz das aktuell so: “Wir alle sind Menschen, die bewohnt sind, bewohnt von der Gegenwart, mit der Christus unser Leben durchdringt.” Auch den Jugendlichen in Stuttgart wurde von Roger Schutz mehrfach verkündet, daß der Heilige Geist, der Geist Gottes, in jedem Menschen wohne. Deshalb ist auch nicht verwunderlich, daß in Taizé die Anschauung vertreten wird, daß sich Christus in allen Religionen manifestiere.

Für Schutz befindet sich Christus “in der weiten Tiefenschicht der menschlichen Person, im Unterbewußtsein und bete,  daß er tief in uns selbst entdeckt werden könne und daß sich in solcher Tiefe das Fest des auferstandenen Christus ereigne.” Wer zu diesem Christus durchdringen will, muß einen Weg der Selbsterlösung gehen durch Kontemplation, Askese, Armwerden usw. Besonders die Kontemplation, ein mystisches Meditieren, nimmt in der Taizé-Religiosität einen breiten Raum ein und ist die eigentliche Pforte auf dem Weg zum “Taizé-Christus”. Roger Schutz schreibt: “Um nicht in der Trockenheit des Schweigens stehenzubleiben, sollten wir sehen, daß das Schweigen Wege zu unbekannten schöpferischen Möglichkeiten eröffnet. In der weiten Tiefenschicht der menschlichen Person, im Unterbewußtsein, betet Christus weit mehr, als wir es uns vorstellen können. Verglichen mit der Unermeßlichkeit dieses verborgenen Betens Christi in uns, ist unser artikuliertes Gebet nur ein kleiner Teil. Das Wesentliche des Gebets vollzieht sich vor allem in einem großen Schweigen … Wenn wir Christus mit kindlichem Vertrauen in uns beten lassen, werden eines Tages die Abgründe bewohnbar sein. Eines Tages, später einmal, werden wir feststellen, daß sich in uns eine Revolution vollzogen hat.”

Die Bibel kennt diesen Weg der Kontemplation nicht. Nirgendwo in der Bibel ist von einer Selbstversenkung die Rede, durch die man in eigener Kraft Christus finden könnte. Auch von einer sich selbst vollziehenden Revolution im Inneren des Menschen wird im Wort Gottes nicht gesprochen. Ebenso ist der Bibel eine passive Haltung beim Beten fremd. Die in Taizé vorgestellten Glaubenspraktiken haben ihr Zuhause in der Esoterik und in fernöstlichen Religionen. Deren Herzstück ist das Aufspüren einer Jenseitsdimension im Unterbewußtsein des Menschen, die durch Passivität und Versenkungstechniken anvisiert wird. Wer sie erreicht, berichtet von paradiesischen Zuständen, von Explosionen von Liebesgefühlen. Für Menschen, die danach über den Weg von biblischen Erkenntnissen zu Gott fanden, offenbarte diese beglückende Jenseitsdimension ihre Kehrseite: eine raffinierte diabolische Verstrickung.

In den Schriften von Roger Schutz ist viel von der Liebe zu Gott, zu Christus und zu den Menschen die Rede, doch die Grundtatsachen der biblischen Heilslehre fehlen: der Mensch als Sünder; die Trennung von Gott wegen seiner Sünden; Gottes einziger Rettungsweg durch Jesu Sterben und Auferstehung; die Vergebung der Sünden und die Versöhnung mit Gott durch die persönliche Annahme dieser Heilstat – bei Schutz Fehlanzeige! Wer diesen einzigartigen Heilsweg verkündigt, kann dann schnell auch eine ganz andere Seite der ansonsten friedsamen Taizé-Anhänger kennenlernen. Als auf dem Taizé-Jugendtreffen 1994 in München, zu dem 80 000 Jugendliche aus ganz Europa angereist waren, Schriftenmissionare evangelistische Schriften sowie 40 000 Gutscheine für das Wilhelm Busch-Buch “Jesus unser Schicksal” verteilen wollten,  sorgten Taizé-Ordner dafür, daß die Missionare mit Polizeigewalt entfernt wurden. Ein Schriftenmissionar: “Einen derartigen, organisierten Widerstand haben wir bei Straßeneinsätzen noch nicht erlebt!”

Viele Jugendliche, die Taizé besuchen, erleben eine Spiritualität, die sie schnell ansteckt und begeistert. Sie geraten in eine Art religiösen Rausch, der einerseits durch mystische Erlebnisse in der Selbstversenkung, andrerseits auch durch ekstatische Elemente gefördert wird. Neben der Stille haben auch Musik und Tanz im religiösen Leben von Taizé einen festen Platz. Immer wieder kommt es vor, daß zu Texten wie “Christus ist auferstanden” am Lagerfeuer bis zur Erschöpfung gesungen und getanzt wird. Nach dem seelischen High in der Kommunität erlebt so mancher jugendliche Taizé-Pilger in der Wirklichkeit des heimischen Alltags allerdings einen jähen psychischen Absturz,  wie Betreuer von lokalen Taizé-Gruppen zu berichten wissen.

Die Bruderschaft Taizé versteht sich heute als ökumenische Gemeinschaft mit einem starken sozialpolitischen Engagement, wobei man mittlerweile nicht mehr eindeutig sagen kann, ob Taizé nun katholisch oder protestantisch ist. Roger Schutz jedenfalls verbirgt in seinen Schriften seine Sympathien zur katholischen Kirche nicht. Regelmäßig besuchte er die Päpste und beriet sie. So soll er beispielsweise den Vatikan vor der Gefahr der protestantischen Mission in Lateinamerika gewarnt haben, worauf der Heilige Stuhl ein ganzes Heer von Priestern und Missionaren dorthin entsandte.

1985 überreichte Schutz dem damaligen UN-Generalsekretär Perez de Cuellar eine Aufforderung zur Schaffung einer Weltautorität und offenbarte damit Sympathien für eine Vorstellung, die nach der Bibel in einem antichristlichen Umfeld angesiedelt ist und zur Zeit ihrer Verwirklichung entgegenstrebt. Die in Taizé zelebrierte  Frömmigkeit ist eine christliche Variante von esoterischem Glaubensgut und New Age-Vorstellungen, eine Mischung aus mildem Mystizismus und friedlichen Weltveränderungsideen. Wer glaubt, der Mensch sei in Wirklichkeit gut und könne Christus durch eigene Anstrengungen in sich selbst aufspüren, um dadurch positive Energien zur Veränderung der Welt zu erlangen, befindet sich auf einem gefährlichen Irrweg.

Der Erlösungsweg, den die  Bibel vorstellt, sieht völlig anders aus: “Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Jesus Christus ist” (Römer 3, Verse 23-24). Wer sich als Sünder erkennt, Buße tut  und zur Rettungstat Jesu Christi voll und ganz ja sagt, dringt zu Jesus Christus durch. Einen anderen Weg gibt es nicht! Über einen solchen Menschen sagt Jesus Christus selbst: “Ich sage euch, also wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut …” (Lukas 15 Vers 7).

Aus dem Buch von Jakob Hitz: “Entspricht Taizé dem Evangelium?” (Schwengeler-Verlag, 1978

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Mächte u. d. Macht Jesu (H.Rohrbach)

Hans Rohrbach

Mit dem Unsichtbaren leben

– Unsichtbare Mächte und die Macht Jesu –

 

I.  Die biblische Sicht von der Gesamtwirklichkeit
2.   Kapitel: Sichtbares und Unsichtbares
4.   Kapitel: Gliederung des Unsichtbaren

II.  Bedrohung durch Mächte des Unsichtbaren
6.   Kapitel: Vom Wesen des Bösen
7.   Kapitel: Die Geister im Unsichtbaren

III. Bewahrung durch die Macht Jesu
8.   Kapitel: Jesu Kampf und Sieg
9.   Kapitel: Der Mensch und sein Gewissen
10. Kapitel: Entstehung von okkulter Belastung
11. Kapitel: Befreiung von okkulter Belastung

Vorwort
Anlaß zu diesem Buch war der mehrfach geäußerte Wunsch, einen Vortrag von mir, den ich vor vielen Jahren über »Seelsorge an okkult Belasteten« gehalten habe, in einer erweiterten Form verfügbar zu haben. Diese seelsorgerliche Thematik wird im dritten Abschnitt behandelt.

Da aber die Erscheinungen des Okkulten in der Gegenwart mehr und mehr um sich greifen und auch Gläubige in Gefahr stehen, ohne Orientierung zu bleiben oder verführt zu werden, halte ich es für notwendig, das Thema weiter zu fassen und in der mir gegebenen Sicht von einem »Leben mit dem Unsichtbaren« zu sprechen. Damit soll zugleich herausgestellt werden, daß bei dem Eingehen auf Okkultes diesem kein breiter Raum gegeben, sondern in erster Linie von der Macht und dem Sieg Jesu Zeugnis abgelegt wird. Denn Jesus hat alle seine Feinde überwunden, vor ihm können auch okkulte Mächte nicht bestehen.

So möchte ich zunächst von dem Leben in Fülle und Freiheit reden, das in Jesus verheißen und gegeben wird. Sodann will ich deutlich machen, daß auch alle Bedrohungen von Fülle und Freiheit, die vom Widersacher Gottes und seinen Mächten kommen können, allein von Jesus her überwunden werden können. Dafür braucht es vollmächtige brüderliche Hilfe, von der als Drittem hier gesprochen werden soll.

Der Begriff des Okkulten wird unterschiedlich verstanden. Das Sammelwerk »Die Religion in Geschichte und Gegenwart« begreift Okkultismus als ein »Sammelwort für die Fülle der geheimnisvollen Kräfte und Beziehungen, die im Bereich der Seele, im Haushalt der Natur und zwischen diesen beiden Größen wirken«. Der so verstandene Okkultismus achtet nicht nur auf die Geheimnisse der menschlichen Seele, er ist überzeugt, daß auch die Natur in einem weiteren Sinn beseelt ist und daß darum innige Wechselbeziehungen zwischen der Natur und der Seele des Menschen möglich sind. Beobachtungen dieser Art wurden häufig in zivilisatorisch noch unerschlossenen Missionsgebieten gemacht, wo Christentum und Stammesreligionen einander begegneten. Man spricht hier sogar von »Okkultistischer Begabung«, die – religionsgeschichtlich gesehen – zur ursprünglichen Ausrüstung des Menschengeschlechts gehört habe, so daß man dem prähistorischen Menschen ungewöhnliche parapsychische und magische Fähigkeiten zuschreibt, die der moderne Mensch verloren habe. Immerhin ist so ein Ansatzpunkt gegeben, die (im genannten Sinne) okkulten Phänomene parapsychologisch zu erforschen, indem man Menschen auf ihre sogenannte »Psi-Fähigkeit« testet. Praktisch wird dabei das Okkulte mit dem Forschungsbereich der Parapsychologie gleichgesetzt.

Ich möchte diese Forschungen, die mit wissenschaftlichen Maßstäben, d.h. mit schärfster Kritik und Skepsis und mit strengstens abgesicherten Prüfungsmethoden an die Untersuchung solcher okkulten Phänomene herangehen, keineswegs abwerten. Doch muß deutlich sein, daß es bei diesen Forschungen um den Nachweis außer  oder übersinnlicher Fähigkeiten der menschlichen Seele geht, nicht um den Nachweis von Einwirkungen unsichtbarer Mächte. Das muß betont werden. Nach meiner Überzeugung ist es nicht möglich, Einwirkungen aus der unsichtbaren in das Sichtbare hinein wissenschaftlich zu erfassen. Man kann in gewissem Umfang ihre Spuren im Sichtbaren feststellen, nicht aber ihr Wesen oder ihren Ursprung erkennen. Diese Unmöglichkeit liegt darin begründet, daß Gott nicht wissenschaftlich, d.h. mit den Mitteln menschlicher Vernunft, erkannt werden kann und ebensowenig eine Einwirkung guter oder böser Mächte, die auf Gottes Geheiß hin oder unter seiner Duldung tätig werden.

Von der Bibel aus, die ich durchweg als Offenbarungsquelle verstehe, steht fest, daß wir in der sichtbaren, gegenständlichen Welt von einer unsichtbaren Welt umgeben sind, die wir zwar mit den Sinnen nicht wahrnehmen können, von der aber spürbare Einwirkungen auf den Menschen ausgehen. Des Näheren weiß die Bibel von guten und bösen Mächten in dieser anderen Welt; sie spricht von Engeln und von Dämonen, von Thronen und Herrschaften, von Mächtigen und Gewaltigen, die auf Leib, Seele, Geist der Menschen Einfluß nehmen können und nehmen. Ursache und Urheber dieser Ein¬wirkungen bleiben verborgen. Menschliche Neugier aber sucht gern Verborgenes aufzuspüren. Da das seine Gefahren hat und sich für das ewige Leben schädlich auswirken kann, warnt Gottes Wort vor dem Umgang mit verborgenen Mächten. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, sind es gottwidrige Mächte, die auf menschliches Bemühen hin sich melden. Von dieser biblischen Warnung aus pflegt man die Begriffe »okkult« und »Okkultes« auf diejenigen Einwirkungen aus der unsichtbaren Welt zu beschränken, die von gottwidrigen Mächten ausgehen und Menschen nach Leib, Seele, Geist in Gefahr oder in schädliche Abhängigkeit bringen. Ich verstehe das »Okkulte« hier stets in diesem Sinn.

Natürlich wird die Existenz von Mächten einer »anderen Welt« weithin bezweifelt, sogar abgestritten. Im wissenschaftlichen Bereich ist man viel mehr geneigt, die davon ausgelösten Erscheinungen und Auswirkungen rein innerweltlich, insbesondere innermenschlich zu erklären. Weder die eine noch die andere Auffassung läßt sich durch rationale Argumente stützen. Hier ist eine Entscheidung erforderlich, wie man glaubensmäßig zu dem lebendigen Gott steht und zu seiner in der Bibel überlieferten Offenbarung. Sie spricht von einem »geschichtlichen Prozeß«, den Gott begann, lenkt und einem Ende zuführt. In diesem Prozeß ist der Böse eine aktive geschichtsträchtige Figur.

Es ist der Sinn der beiden ersten Abschnitte des vorliegenden Buches, die Aussagen der Bibel über die »andere Welt«, die sie als das Unsichtbare bezeichnet, zu einer Gesamtschau zusammenzufassen, damit von daher die Warnungen und die Verheißungen der Bibel neu verstanden und Zusammenhänge neu erkannt werden mögen, vor allem jedoch auch das Erlösungswerk Jesu von dieser Sicht her neu in den Blick kommen kann.

Mainz, Februar 1976  Hans Rohrbach

 

I. Einleitung: Ein Leben der Fülle

Verheißung und Erfüllung

»Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.« Dieses Wort Jesu (Joh. 10,10) zeigt, was uns Menschen im Grunde fehlt: ein Leben, das den Namen Leben verdient, und eine Versorgung, die keinen Mangel kennt. Uns das zu bringen, ist Jesus gekommen, ist ein Anlaß unter vielen für sein Kommen auf die Erde.

Hinsichtlich des Lebens hören wir von Jesus weiter (Joh. 14,19): »Ich lebe, und ihr sollt auch leben.« Man kann dieses Wort als ein Wort des Auferstandenen verstehen und auf das ewige Leben beziehen. Da es aber in den Abschiedsreden zu den Jüngern gesagt ist, kann es ebenso gut auf das irdische Leben bezogen werden. Dann gibt das »ich lebe« in Jesu Mund einen Hinweis auf die ihm eigene Art des Lebens, auf die sein Denken, Reden und Tun bestimmende völlige Abhängigkeit vom Vater im Himmel. Nach dem Willen des Schöpfers, der den Menschen bei der Erschaffung mit dem Einblasen seines Geistes in seine Gemeinschaft berufen hat, soll Leben mehr sein als Existenz, mehr als ein Dasein. Wie auch sonst in der Bibel bedeutet »Leben«, in den Worten Jesu ein »Leben in der Gemeinschaft mit Gott«. Leben ohne Gott ist im Sinne der Bibel gleichbedeutend mit Tod (Off. 3,1). Vor einem solchen geistlichen Tod will Jesus uns bewahren. Er will uns ein geistliches Leben geben, ein Leben, wie er es in sich gehabt hat.

Daß es etwas Besonderes um dieses Leben ist, sagt uns die Bibel mehrfach. Petrus bekennt von Jesus (Joh. 6,69): »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!« Und von diesem Gott wird ausgesagt (Joh. 5,26): »Wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber«. Weiter bezeugt Johannes für die Jünger (1. Joh. 1,2): »Das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater und ist uns erschienen.«

An einem solchen Leben will Gott uns über das irdische Leben hinaus Anteil geben durch den Glauben an Jesus. Denn »der Sünde Sold ist Tod; Gottes Gabe aber ist ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn (Röm. 6,23). Es geht um höchste innere Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, wie Jesus selbst sie kennzeichnet: »Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen« Joh. 17,3). Und ein Leben in der Erkenntnis Gottes erweist sich im irdischen Leben dadurch, daß wir nach dem Willen Gottes für unser Leben fragen, es danach führen lernen und Jesus in uns Herr sein lassen. Das besagen Worte wie: ». . . also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln« (Röm. 6,4b). »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur« (2. Kor. 5,17). »Ich lebe; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes« (Gal. 2,20).

Doch nicht nur Leben, auch volle Genüge soll uns durch Jesus werden. Diese Zusage bezieht sich zunächst auf den täglichen Bedarf an Nahrung, Kleidung, Wohnung für jeden, den Jesus sich als Zeugen erwählt, Am Ende seines irdischen Wirkens fragt er seine Jünger (Luk. 22,   3): »Sooft ich euch ausgesandt habe, . . . , habt ihr je Mangel gehabt? Sie sprachen: Nie.« Aber die Zusage gilt vor allem für die geistigen und geistlichen Gaben derer, die an Jesus glauben. »Ihr seid durch ihn an allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre und in aller Erkenntnis. Denn die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden, so daß ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe« (1.Kor.1,5-7). Das bezeugt Paulus auch in seinem Brief an die Epheser: »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christus« (Eph. 1,3).

Was es um diese volle Genüge im einzelnen ist, hebt Paulus anschließend hervor: In ihm (Jesus Christus) hat Gott uns erwählt und dazu verordnet, daß wir seine Kinder seien (Eph. 1,4.5). In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, und Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens (Eph. 1,7,9). In ihm sind wir auch zum Erbteil gekommen, auf daß wir etwas seien zum Lobe seiner Herrlichkeit (Eph. 1,11-12). Und dies alles kommt jedem an Jesus Glaubenden zu, denn, so beschließt Paulus die Aufzählung der himmlischen Güter, »in ihm seid auch ihr, da ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem heiligen Geist, der verheißen ist, welcher ist das Unterpfand unseres Erbes zu unserer Erlösung, daß wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit« (Eph.1,13-14).

Frage an uns

Nachdem wir uns so Jesu Verheißung und ihre Erfüllung in den Urgemeinden vor Augen gestellt haben, erhebt sich die Frage: Haben wir, die wir heute an Jesus glauben, diese Fülle und volle Genüge? Oder begnügen wir uns mit wenigem an Frömmigkeit und Christlichkeit, obgleich wir aus Jesu Fülle nehmen könnten Gnade um Gnade? Gibt sein Geist Zeugnis unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind? Haben wir Heilsgewißheit? Haben wir Vergebung unserer Sünden? Deckt uns sein Geist auf, was in unserem Leben noch zu bereinigen ist? Wissen wir von Ältesten in der Gemeinde, bei denen wir beichten können? Durch deren Zuspruch uns Jesu Vergebung erreicht und uns mit Freude und Seligkeit erfüllt? Haben wir Freude am Wort Gottes? Wissen wir um den Sinn von Anfechtungen? Um die Weisungen der Bibel zu deren Überwindung? Um die Möglichkeit von Seelsorge? Wollen wir immer noch allein mit unseren Sorgen und Problemen fertig werden, statt in Anspruch zu nehmen, was Jesus uns bietet? Finden wir uns zurecht in der Vielfalt von Bewegungen der Gegenwart, die Freude, Frieden, Liebe, Licht, Erkenntnis u.a. zu vermitteln versprechen und sich oft auf Gott und Christus berufen?

Jesus hat gesagt: Ich bin gekommen, dag sie das Leben und volle Genüge haben. Und er fügt hinzu: »Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen. Ich lasse mein Leben für die Schafe…. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir» (Joh. 10,14.15.27). Weiter warnt uns Jesus vor Fremden, die er mit Dieben, Räubern und Mietlingen vergleicht. Er ist zwar gewiß: »Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen vor ihm; denn sie kennen der Fremden Stimme nicht« (Joh. 10,5). Aber sind wir uns dessen gewiß? Können wir unter den vielen Stimmen, die in der Gegenwart auf uns eindringen, eindeutig die Stimme Jesu heraushören? Es gibt viele falsche Apostel und falsche Propheten! Paulus wird sehr deutlich, wenn er von ihnen redet: »Solche falschen Apostel und arglistigen Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es auch nichts Großes, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit« (2. Kor. 11,13 15).

Wachsamkeit tut not  

Menschen, die an Jesus glauben, sind zu jeder Zeit, aber vielleicht noch niemals so stark wie jetzt, den Verführungen Satans ausgesetzt, der sich äußerst geschickt zu tarnen versteht und seine Diener zurüstet und aussendet, um Christen von Jesus abwendig zu machen. Sind wir wachsam? Greifen wir ständig zu dem, was Jesus uns bietet? Damit sein Wort für uns wahr bleibt: »Niemand wird sie aus meiner Hand reißen« (Joh. 10,28)? Schon Jesu Jünger, die wahren Apostel, mußten zu ihrer Zeit die Gemeinden warnen: »Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widerstehet fest im Glauben und wisset, daß eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen« (1. Petr. 5,8.9). »Lasset euch von niemand verführen! Wer recht tut, der ist gerecht, gleichwie er (Jesus) gerecht ist. Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang. Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre« (1. Joh. 3,7.8).

Damit setzen die Jünger einen Kontrapunkt zu Jesu Wort vom Leben und voller Genüge. Denn diese Gaben sind bedroht. Es ist ein Widersacher da. Der Widersacher Gottes ist auch unser Widersacher, die wir an Jesus als unseren Herrn und Erlöser glauben. Und nur dadurch, dag Jesus der Stärkere und allein imstande ist, die Werke des Teufels   damals wie heute   zu zerstören, haben wir als Christen die Möglichkeit, mit Jesus im Kampf gegen Satan und seine (menschlichen und dämonischen) Diener zu bestehen.

Beides, das Kommen Jesu als Sohn Gottes auf die Erde zur Erlösung für viele und das Bemühen Satans, Jesu Erlösungswerk zu vernichten, ist Realität. Von dieser Realität redet die Bibel sehr nüchtern – warnend im Wissen um die Macht der Finsternis, ermutigend im Wissen um den Sieg Jesu.

Die Bibel in beidem ernst zu nehmen, ist wie eh und je lebensnotwendig   für jeden, ob er schon glaubt oder noch nicht glaubt. Dieses Buch versucht, einiges an Zusammenhängen um Licht und Finsternis in praktischer Seelsorge aufzudecken.

 

Kapitel 1: Kritische Besinnung

Weltbild und Gottesbild

Wir haben von Gott und von Jesus Christus, dem Auferstandenen, auch von dem Widersacher Gottes, dem Teufel, gesprochen   als von Realitäten. Dabei haben wir uns an die Bibel gehalten und betont, daß es notwendig, sogar lebensnotwendig sei, sie in ihren Aussagen ernst zu nehmen, in ihren Verheißungen sowohl wie in ihren Warnungen. Darf man aber heute so noch reden ? Handelt es sich dabei nicht um längst überholte Vorstellungen? Haben nicht historische, naturwissenschaftliche, medizinische, psychologische Forschungen die Angaben der Bibel als zeitbedingt und mythologisch erkannt? Wo soll es in dieser Welt einen Himmel oder eine Hölle geben, wo soll man sich Gott und Jesus, den Auferstandenen, wo Engel, Teufel und Dämonen denken?

Gewiß, das sogenannte »biblische Weltbild«, das sich die Wirklichkeit mit Himmel, Erde und Hölle wie in drei Stockwerke gegliedert dachte, gehört zu den naiven, vorwissenschaftlichen Vorstellungen der Christenheit. Die Geschehnisse, von denen die Bibel berichtet, haben zwar durch die Jahrhunderte hindurch viele bedeutende Künstler zu großen Kunstwerken inspiriert, vor allem in Malerei und Dichtung. Aber auch diese Darstellungen müssen in vielerlei Hinsicht als naiv angesehen werden. Die Bilder Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle nehmen zweifellos jeden Beschauer gefangen und geben ein überwältigendes Zeugnis für den Glauben des Künstlers. Sich Gott als Ehrfurcht gebietenden Mann mit wallendem Haupthaar und Bart vorzustellen, ist menschlich verständlich, entbehrt aber jeder biblischen Grundlage. Denn dort wird uns gesagt (Joh. 1,18): »Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.« Und dieser Sohn Gottes spricht: »Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten« (Joh. 4,24).

Jede bildhafte Darstellung Gottes geht an seiner Seinsweise vorbei. Nicht umsonst ist dem ersten Gebot die Weisung beigegeben: »Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht« (2. Mo  20,4 5). In der Dreigliederung dieser Weisung scheint sich das naive Weltbild anzudeuten, doch trifft das nicht zu. Man muß die Gliederung tiefer verstehen, was später (Kapitel 4) ausgeführt werden wird. Hier geht es in der Weisung darum, daß Menschen von Mächten   im Himmel, auf der Erde, unter der Erde   wissen und sich in dem Wunsche, sich an Sichtbares und Greifbares zu halten, Bildnisse von ihnen machen und diese Götzenbilder, wie die Bibel sie nennt, anbeten und sich ihnen unterwerfen. Ob gute oder böse Mächte so dargestellt und verehrt werden, Engel, Heilige, Teufel, Dämonen, ist Gott in gleicher Weise ein Greuel. Er schließt sich selbst in dieses Gebot ein; auch von ihm sollen wir uns kein Bild machen, wie etwa aus den Stellen 5. Mo 4,15 oder Jes. 40,18 hervorgeht. Sehr deutlich greift Paulus darauf zurück, wenn er schreibt (Röm. 1,23): »Sie haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen.«

Gott erwartet von uns, daß wir an ihn als den Unsichtbaren glauben. Das einzige »Bild«, das uns erlaubt ist, ist   Jesus. Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Kol. 1, 15). An ihn allein sollen wir uns halten, zu ihm allein aufschauen (Hebr. 12,2). jede bildliche oder allegorische Darstellung Gottes entspringt menschlichem Denken und ist damit naiv. Gleiches gilt für Darstellungen des Auferstandenen oder von Engeln. Ihre Seinsweise ist mit menschlichen Mitteln nicht ausdrückbar.

Das Böse und der Teufel

Ebenso sind die mittelalterlichen Darstellungen vom Teufel und von Dämonen als naiv zu bezeichnen. Attribute wie Pferdefuß, Schwanz und Hörner sind Produkte menschlicher Phantasie, die mit der Realität des Teufels nichts zu tun haben. Solcherlei Darstellungen wurden seit der Aufklärung mit Recht als lächerlich empfunden und führten nur dazu, Teufel und Dämonen als Kategorien des Aberglaubens anzusehen, von denen ein aufgeklärter Mensch sich mittels der Vernunft zu lösen habe. Hexenprozesse und andere inquisitorische Maßnahmen taten ein Übriges, die Glaubwürdigkeit biblischer Aussagen in Frage zu stellen. Mit dem Sich lösen von kirchlicher Lehre und naivem Volksglauben wurden die Mächte des Bösen mehr und mehr verharmlost, im Grunde geleugnet.

Aber das Böse in der Welt blieb und mehrte sich. Es macht sich in der Gegenwart in ungeahnter und erschreckender Weise bemerkbar. Um es zu erfassen, bedurfte es neuer Kategorien. So versteht man Teufel und Dämonen vielfach nur als Begriffe, als Personifikation des Bösen in der Welt und im Menschen. Damit ordnet man dieses ein in den Bereich von Ethik und Moral, von Philosophie, Weltanschauung oder Ideologie. Die darauf gegründeten Maßstäbe und Normen sind aber für den Großteil der Menschen unverbindlich, und es entsteht ein Leerraum, in den hinein Information und Orientierung gegeben werden sollten. Dazu werden die richtigen Kategorien noch gesucht.

So ist es kein Wunder, daß in der Gegenwart die Diskussion um den Teufel und das Böse, um ihr Wesen und ihre Realität erneut aufgegriffen wird, insbesondere von theologischer Seite. Einen Überblick über die hierbei vertretenen Ansichten verschafft die kürzlich erfolgte repräsentative Meinungsumfrage bei katholischen und evangelischen Theologen (A. J. Hammers und U. Rosin, Fragen über den Teufel, in Psi und Psyche, Stuttgart 1974). Ihnen wurden zahlreiche Thesen vorgelegt, zu denen sie sich zustimmend oder ablehnend äußern sollten. Beispiele für solche Thesen sind:

* Die traditionelle Teufelslehre der Kirche ist ein Hindernis für den Kampf gegen den Aberglauben.

* Der Teufel wird nur deswegen in der Bibel als Person dargestellt, weil die Bibel ganz allgemein die mythische Ausdrucksweise ihrer Zeit übernommen hat.

* Der Teufel ist die Personifikation des Bösen in uns und in der Welt, nicht aber ein real existierendes personales Wesen.

* Der Mensch ist zu den größten Untaten fähig, ohne daß der Teufel auch nur einen Finger rühren muß.

* Leute, die den Teufel für ihre Anfechtungen verantwortlich machen wollen, versuchen, ihren innerseelischen Konflikten auszuweichen .

* Wenn wir das Böse als solches ernst nehmen und bekämpfen, ist die Intention der Bibel erfüllt, egal, ob wir an die personale Existenz des Teufels glauben oder nicht.

Von den befragten Theologen haben evangelischerseits die meisten allen sechs Thesen zugestimmt, katholischerseits den ersten drei Thesen etwa ein Drittel, den letzten drei Thesen etwa zwei Drittel. So aufschlußreich dieses Ergebnis auch sein mag   von Bedeutung ist in unserem Zusammenhang nur die Naivität, mit der die Thesen formuliert und angenommen wurden. Denn die Thesen setzen voraus, daß sie gesicherte oder entscheidbare Aussagen machen. Dem gegenüber muß zurückgefragt werden: ist der Glaube an die Realität des Teufels wirklich Aberglaube? Ist die biblische Ausdrucksweise mythisch? Ist die Frage nach der Personalität des Teufels entscheidbar? Ist die Wurzel menschlicher Untaten letztlich erkennbar? Sind Anfechtungen nur psychologisch bedingt? Ist es möglich, das Böse zu bekämpfen ohne das biblische Zeugnis vom Sieg Jesu?

Wer meint, solche Rückfragen seien theologisch erledigt, hat Vorentscheidungen getroffen, besonders über das Verständnis der Bibel. Bei Diskussionen um den Teufel und das Böse kommen dann nur menschliche Vorstellungen und Erkenntnisse zum Zuge. Da nicht geprüft wird, ob das für das vorliegende Problem ausreicht, handelt es sich bei den gewonnenen Ergebnissen auch um Naivitäten.

Vom Sein Gottes

Aus zwei entgegengesetzten Richtungen sind wir auf Naivitäten gestoßen. Einmal von der Seite der Bibelgläubigen her, für die am traditionellen Verständnis biblischer Aussagen nichts geändert werden darf. Zum anderen von der Seite der Bibelkritiker her, für die die Bibel mehr oder weniger ein Buch wie jedes andere Buch ist.

Die einen halten an der Stockwerksvorstellung fest, weil sie meinen, damit im Weltbild der Bibel zu leben. Würden sie die Vorstellung aufgeben, so fürchten sie, würden alle biblischen Worte von ei¬nem Oben und einem Unten, besonders die von der Höllen  und der Himmelfahrt Jesu, von der Entrückung der Gemeinde und von der Wiederkunft Jesu hinfällig werden. Die anderen halten sich an wissenschaftliche Erkenntnisse und sehen in vielen biblischen Aussagen zeitbedingte Vorstellungen, die neu zu interpretieren sind. Die einen gehen von der Menschwerdung Gottes, von seiner Zuwendung zu den Menschen aus und haben ein nahes, anschauliches, menschliches Gottesbild. Die anderen betonen den Unterschied von Schöpfung und Schöpfer, kommen nach und nach zu einem fernen, abstrakten Gottesbild und können vom sogenannten naturwissenschaftlichen Weltbild her das biblische Zeugnis von einem persönlichen Gott nicht nachvollziehen, da ein Himmel in dieser Welt nicht existiert. Die einen verstehen mit dem Glauben an einen persönlichen Gott auch den Widersacher Gottes, den Teufel, als Person. Die anderen können, wenn sie Gott nur als innermenschliches Prinzip (das Wie meiner Existenz, das Warum meiner schlechthinnigen Abhängigkeit) oder als zwischenmenschliche Beziehung (Mitmenschlichkeit) verstehen, auch dem Teufel keine personale Existenz zuordnen.

Mit diesen beiden nur angedeuteten Richtungen sind Extreme von Glaubenshaltungen skizziert, die zwar je in sich konsequent sind, aber doch als naiv gelten müssen. Denn sie meinen, über das Sein oder Nichtsein Gottes könne nach menschlichen Vorstellungen entschieden werden. Beide Richtungen werden die Worte kennen (Jes. 55,8.9):

»Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.«

Aber sie beachten zu wenig oder gar nicht, daß wir damit auf das große Geheimnis hingewiesen werden, das über der Person Gottes liegt und das die Bibel nicht lüftet. Paulus beugt sich darunter, wenn er schreibt (1. Kor. 13,9.10.12): »Unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.«

Wenn wir recht vom Sein Gottes reden wollen, müssen wir von allen wissenschaftlichen oder weltanschaulichen, allen philosophischen oder ideologischen Seinsvorstellungen absehen und allein auf die Bibel hören. Sie gibt uns Zeugnisse von Menschen, zu denen Gott geredet hat. Sie stellt zunächst fest (Hebr.11,6):

»Wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er sei«, und bezeugt:

»Nach dem vor Zeiten Gott manchmal und auf mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn« (Hebr.1,1-2).

Nach diesem Grundzeugnis der Bibel wissen wir: Gott ist. Aber nach eben diesem Grundzeugnis ist Gott nicht wie wir Menschen oder die Dinge sind. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Gottes Offenbarung im Orient geschah und daß er sich ein Volk des Nahen Ostens ausgesucht hat, das alte Volk Israel, dem er die Offenbarung in seinem Wort schenkte. Dieses Volk hat   sicher auch unter dem Einfluß der ihm gegebenen Offenbarung   ein Denken entwickelt, das vom abendländischen Denken, etwa dem griechischen, grundverschieden ist.

Im Orient geht es um ein vor philosophisches Denken, das die Frage nach dem Sein nicht durchreflektiert hat. Es sieht auch keine Veranlassung, das zu tun. Denn die Beziehung ist wichtig, nicht das Sein. Frau und Kinder hat man, darauf kommt es an, nicht daß sie sind. Wird ein Kind aus der Familie ausgestoßen, etwa weil es einen anderen Glauben angenommen hat, so ist dieses Kind nicht mehr, weil die Beziehung zur Familie aufgehört hat. Auch das Selbstzeugnis Gottes im Alten Testament: »Ich bin der Ich bin« (2¬. Mose 3,14) ist keine metaphysische Seinsaussage, sondern setzt eine Beziehung, zeigt die Hinwendung Gottes zu seinem Volk: Mose soll vom Pharao fordern, daß der das Volk frei lasse, und dabei sagen: »Der ich bin schickt mich.«

Wir pflegen zu fragen, ob Gott ist, wo er ist, wie er ist u.a. Darauf aber antwortet Gott nicht. Er will nicht unsere Logik befriedigen, sondern schafft durch Offenbarung sein Verhältnis zu uns Menschen und setzt damit auch unsere Beziehung zu ihm. Darum geht es der Bibel. Sie philosophiert nicht über das Sein Gottes. Sie spricht von seinen großen Taten und zeigt, was die Hinwendung Gottes zum Menschen für diesen bedeutet. Will man einen »Gottesbeweis« versuchen, so müßte er lauten: Gott ist, weil es Menschen gibt, die von ihm wissen und ihm vertrauen aufgrund einer Beziehung zu ihm, die durch sein Wort gewirkt wurde. Demgegenüber gilt: Ein Ding ist, weil jemand die Idee hatte, das Ding zu machen. Im griechischen, philosophischen Denken muß die Idee des Dinges da sein, im orientalischen der Mann, der das Ding gebrauchen will. Alle Abstraktionen sind der Bibel fremd. Gott ist keine Idee. Gott ist kein Prinzip. Die Argumente für die heute mancherorts modern gewordene Gott ist-tot Theologie beruhen auf einem philosophischen Seinsdenken, das an der Bibel völlig vorbeigeht.

Personalität im Geist

Was über das Sein Gottes ausgeführt wurde, gilt für alle drei Personen der Gottheit, für den Vater, für den Sohn, für den Heiligen Geist. Während wir aber Gott Vater und Gott Sohn ohne Mühe personhaft denken können, fällt es bei Gott, dem Heiligen Geist, im allgemeinen schwer. Inwiefern ist auch er Person?

Um zu einer Antwort zu kommen, bedenke man, ob die Schwierig¬keit nicht da herrührt, daß wir uns Gott Vater und Gott Sohn in fal¬scher Weise als Person vorstellen; daß wir Erfahrungen und Begriffe unserer Welt auf die Welt Gottes übertragen, ohne zu überlegen, ob das sinnvoll ist. Gott ist nicht, wie wir Menschen sind.

Das ist sogar gegenüber einem Gesicht zu beachten, das dem Propheten Daniel geschenkt wurde. Er berichtet (Daniel 7,9.13): »Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupte rein wie Wolle; Feuerflammen waren sein Thron, und dessen Räder loderndes Feuer … Ich sah in diesem Gesichte in der Nacht und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich.«

Hier sieht Daniel prophetisch die Erhöhung Jesu, nach dessen Entrückung ins Unsichtbare, zur Rechten des Vaters voraus. Und Gott offenbart sich in diesem und anderen Gesichten und Worten so, daß wir ihn, den Unermeßlichen, in unserer Begrenztheit erfassen können. Wie er wirklich ist, können wir als endliche Wesen nicht erkennen, ebenso wie das ei¬gentliche Wort Gottes für uns unaussprechlich ist (2. Kor. 12,4).

Wir sollten uns daher, aus biblischer Sicht, von jeder anthropomorphen, uns noch so geläufigen Vorstellung trennen, d.h. von der Vaterfigur und von der Sohnsgestalt ganz absehen. Stattdessen sollten wir lernen, für Gott den Vater und Gott den Sohn und Gott den Heiligen Geist ein und dasselbe pneumatische Sein anzunehmen und seine biblische Bedeutung darin zu sehen, daß es eine Beziehung zum Menschen setzt. Der Vater, der uns geschaffen hat, der Sohn, der uns erlöst hat, der Heilige Geist, der uns in alle Wahrheit leitet   das ist jeweils die Beziehung, die uns mit dem Glauben gegeben ist, in der wir stehen und an die allein wir uns zu halten haben. Alle drei Personen der Gottheit sind in gleicher Weise unvorstellbar, alle drei sind Geist und im Geist und in der Wahrheit anzubeten. Das Personhafte liegt allein in ihrem Wirken: im Wollen, im Reden, im Handeln, in der liebenden, rettenden oder richtenden Zuwendung zu uns Menschen. Nur hierin liegt das Personhafte, nicht in einem wie auch immer gearteten Gestalthaften.

Jeder von ihnen ist Person, aber sie können als solche nicht erfaßt, sondern nur verkündigt werden (Joh. 1,18) und sind über ihrer Hinwendung zu den Menschen anzubeten. In der Richtung von uns zu ihnen: alle drei gleich unvorstellbar für unser Denken. In der Richtung von ihnen zu uns: alle drei ganz und gar Person in ihrem Wirken. Daß Gott sich in der Menschheit offenbart hat, daß er sich mit Zeichen und Wundern manifestiert hat, besonders durch seine Menschwerdung in Jesus, durch die Auferweckung Jesu vom Tode, durch die Sendung des Heiligen Geistes   davon redet die Bibel. Aber das Geheimnis, das dahinter steht, bleibt davon unberührt und wird durch die Aussage des Personseins nicht getroffen (O. Michel und A. Fischer, Gestaltwandel des Bösen, Verlag R. Brockhaus).

In gleicher Weise liegt auch über der Personhaftigkeit des Bösen, des Teufels, ein Geheimnis, das die Bibel nicht preisgibt. Auch er ist Geist, Macht und Person und wirkt deshalb personhaft auf den Menschen, weil er sich in konkreten Anläufen so manifestiert. In der Manifestation liegt das Personhafte. Es geht aber nicht an, wie C. G. Jung es formuliert hat, in Parallele zur Trinität Gottes unter Hinzunahme des Teufels von einer »Quaternität« zu sprechen. Denn man darf den gewaltigen Unterschied nicht übersehen, der zwischen Gott und dem Teufel besteht: Satan, der Teufel, der Widersacher, der Drache, die Schlange, wie immer die Bibel den Bösen bezeichnet, ist Kreatur, Geschöpf. Wie O. Michel es beschreibt: Das Satanische steht im Schatten Gottes, ohne selbst Schatten zu sein. Alles kommt auf den Scheidungsprozeß zwischen Gott und Satan an, den das Denken des Menschen vollziehen muß. Eine spannungslose Gotteslehre ist ständig in Gefahr, unbiblisch zu werden. Für den Menschen bedeutet das Satanische, daß er es biblisch zunächst als ein Geschehen im Schatten Gottes kennenlernt, daß er es aber ernstnehmen muß im konkreten Zusammenstoß, in der konkreten Versuchung und Gefährdung einer Situation. Der Zusammenstoß in der Geschichte ist wichtig, nicht nur der Willensakt der Entscheidung (O. Michel).

Weil trotz der personhaften Manifestation des Teufels das Geheimnis, das dahinter steht, von der Bibel nicht gelüftet, höchstens hier und da angedeutet wird, sind alle menschlichen Überlegungen über Existenz bzw. Person des Teufels zum Scheitern verurteilt. Aus diesem Grunde wurde im Abschnitt über »Das Böse und der Teufel« von Naivitäten gesprochen.

Kapitel 2: Sichtbares und Unsichtbares

Eine grundsätzliche Klärung
Das vordergründige Stockwerksweltbild von Himmel, Erde und Hölle hatte durchaus den Vorzug, anschaulich zu sein und einsichtige Relationen von »oben« und »unten« zu setzen. Aber es barg den unheilvollen Kern, daß viele Menschen ihren Glauben darauf stützten und ein so vom Sichtbaren abhängiger Glaube mit einer Zerstörung des naiven Weltbildes schwer erschüttert werden konnte. Als es in der Neuzeit dazu kam., begann eine weitgehende Abkehr vom Glauben, die bis in die Gegenwart anhält und sich mehr und mehr ausbreitet. Damit zeigt sich, wie wichtig die Warnung Gottes war, kein Bildnis noch Gleichnis zu machen (2.Mo.20, 4.5). Damals wie heute will er sein Volk vor einer Vergötzung natürlicher oder übernatürlicher Kräfte und Mächte bewahren. Zu solchen Mächten ist auch jedes anschauliche Weltbild zu rechnen, weil es von Menschen absolut gesetzt und damit vergötzt werden kann. Deshalb durfte menschliche Weisheit das naive Weltbild zerschlagen und ein neues, das naturwissenschaftliche Weltbild des 19. Jahrhunderts, aufbauen. Doch auch dieses Weltbild war trotz seiner gewaltigen Dimensionen anschaulich, weil es einseitig war. Es umfaßte nur die sichtbare Wirklichkeit und hatte keinen Raum für den Himmel, für den lebendigen Gott, für Mächte und Gewalten, für übernatürliche Zeichen und Wunder, auch nicht für die Hölle. Deshalb hat Gott dafür gesorgt, daß auch das naturwissenschaftliche Weltbild seine Geltung verlor. Es wurde in diesem Jahrhundert, vielleicht dem letzten der menschlichen Geschichte, von der Naturwissenschaft selbst widerlegt (vgl. H. Rohrbach Naturwissenschaft, Weltbild, Glaube, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal, 1967).

Die gegenwärtige Sicht bezieht sich zwar auch nur auf das Sichtbare (denn anderes kann wissenschaftlich nicht erforscht und erkannt werden) und ist damit ein Naturbild und nicht mehr ein Weltbild. Es kennt aber seine Grenzen und läßt dem einzelnen, der danach verlangt, den Raum und die Freiheit, vom Naturbild her sein persönliches Weltbild zu gewinnen, d.h. eine weltanschauliche oder philosophische oder ideologische oder glaubensmäßige Gesamtschau, die dem wissenschaftlich begründeten Naturbild nicht widerspricht.

Die Einseitigkeit des naturwissenschaftlichen Weltbildes des vergangenen Jahrhunderts, das das naive Weltbild nicht nur ablöste, sondern bewußt ablehnte, hat in diesem Jahrhundert zu der schwerwiegenden Konsequenz geführt, daß auch im Raum der wissenschaftlichen Theologie weithin nur eine Wirklichkeit, die sichtbare, gegenständliche Welt, als allein denkbar angenommen wird. Das ist im Grunde eine Vergötzung von Wissenschaft und naturwissenschaftlichem Weltbild, die wiederum zur Folge hat, daß in weiten Bereichen der Christenheit an Gott als den persönlichen Gott der Bibel nicht mehr geglaubt und folglich die Realität des Teufels als absurd angesehen wird. Damit sind große Teile der Christenheit in der gegenwärtigen, gewiß schon endzeitlich geprägten Situation von ihren Hirten verlassen (Joh. 10,12.13) und ohne seelsorgerliche Hilfe für eine Orientierung in den Wirren der Zeit.

Im vorangehenden Kapitel war bereits die Rede von den beiden extremen Einstellungen, dem Festhalten am naiven Weltbild als dem vermeintlichen Weltbild der Bibel und dem Festhalten am naturwissenschaftlichen Weltbild als dem vermeintlichen Weltbild der Vernunft. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Einstellungen wird für viele Menschen, ob gläubig oder nicht, dadurch erschwert, daß die Verfasser der biblischen, insbesondere der neutestamentlichen Bücher im naiven Weltbild gelebt und von da her formuliert haben. Man denke etwa an Aussagen im zweiten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses und an zahlreiche Bibelstellen, die von einem »Oben« und von einem »Unten« sprechen. Vielen erscheint diese naive Sicht als die Sicht der Bibel. Wenn man aber weiß, daß die Bibel nicht menschliche Weisheit wiedergibt, sondern in ihr Gott selbst zum Menschen redet, muß man sich einerseits sagen, daß ein angeblich biblisches Weltbild das durch menschliche Erkenntnis   die Ergebnisse der Naturwissenschaft   widerlegt werden konnte, Gott die Ehre nimmt. Denn er, der Schöpfer, weiß, wie seine Welt aussieht, und offenbart in seinem Wort keine falsche Sicht. Daher kann das naive Weltbild nicht auf göttlicher Offenbarung beruhen. Und man muß andererseits zur Kenntnis nehmen, daß Gott auch das naturwissenschaftliche Weltbild durch die Naturwissenschaft außer Kurs setzen ließ. In beiden Fällen zeigt sich, wie Gott über seinem Wort in 2. Mose 20,4.5 (Du sollst dir kein Bildnis …machen) wacht.

Beim Überdenken dieser Zusammenhänge erscheint die Frage berechtigt, ob die glaubende Gemeinde an der Stockwerksvorstellung als dem Weltbild der Bibel festhalten will, weil sie meint, daß mit dessen Preisgabe eine biblische Wahrheit aufgegeben wird. Oder ob sie bereit ist, die Weisung Gottes von 2. Mo. 20,4.5 und sein Handeln an den Weltbildern zu beachten und sich von da her sagen zu lassen, daß die Bibel als offenbartes Wort Gottes die richtige Schau von der Gesamtwirklichkeit in einer tieferliegenden, verborgenen Weise hat und daß nach Gottes Plan jetzt die Stunde gekommen ist, sie nach dieser Schau zu befragen und sich dazu auf ein Neues einzustellen (Jer, 4,3; Hos. 10,12).

Das unbekannte Unsichtbare

»«

Die Bibel bezeugt nicht nur eine, sondern zwei Wirklichkeiten, das Sichtbare und das Unsichtbare (2. Kor. 4,18,  Hebr. 11,3; Kol. 1, 15. 16). Diese ihre Schau umfaßt die gesamte Wirklichkeit, mit der es der Mensch zu tun hat, die ihn unbedingt angeht, von der er also wissen sollte.

Die sichtbare Wirklichkeit ist die Welt des Menschen, in die hinein er geboren wird, in der er lebt und arbeitet, die er erforscht und sich nutzbar macht, die er verwaltet und zu beherrschen sucht, die er aber auch wieder verlassen muß.

Das Unsichtbare als die Welt Gottes ist die Wirklichkeit, in der der Mensch als ein Gedanke Gottes entsteht (Ps. 139,15 16), von der er abhängig ist, vor der er sich zu bewähren hat und in die er zurückgerufen wird (Psalm 90,3), weil er sich dort für sein Leben im Sichtbaren zu verantworten hat. Es ist daher eine der ärgsten Täuschungen, die dem heutigen Menschen von atheistischer oder von wissenschaftlicher Seite zugemutet wird, daß er es nur mit einer Wirklichkeit, dem Sichtbaren, zu tun habe.

Sichtbar im Sinne des biblischen Zeugnisses ist alles, was durch menschliches Bemühen erkennbar ist, sei es mit den scharfsinnigsten Überlegungen des menschlichen Verstandes, sei es mit den leistungsfähigsten Instrumenten und Geräten von Naturwissenschaft und Technik, sei es zurück in die tiefste Vergangenheit irdischer und kosmischer Geschichte, sei es, noch bevorstehend, in die Zukunft hinaus, also alles Raumzeitliche, alles rational Erfaßbare. Unsichtbar ist demgegenüber alles andersartige Sein, das Überraumzeitliche, das Transwissenschaftliche, das nie durch menschliche Bemühungen lind Fähigkeiten erkannt worden ist noch je erkannt werden wird.

Vom Unsichtbaren wissen wir nur dadurch, daß dem Menschen von dort her Kunde gegeben wurde, d.h. durch Offenbarung, durch Selbstmitteilung Gottes oder der Mächte und Gewalten aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare hinein. Daß das geschah und mehrfach geschehen ist (1. Mo. 1,1ff.; Hebr. 1,1.2; Matth. 4,3ff.), wissen wir nur durch Bezeugungen von Menschen, denen eine Offenbarung zuteil wurde. Die Bibel nennt solche Menschen Propheten. Ihre Zeugnisse sind uns in der Bibel überliefert. Solche Zeugnisse erfordern Glauben, nicht Glauben im Sinne eines Für wahr haltens, sondern Glauben (im Sinne von Hebr. 11, 1) als »eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht«.

Es ist gut, hier auf die Reihenfolge in den beiden Kennzeichnungen des Glaubens zu achten: Als erstes wird die feste Zuversicht genannt, d.h. das Vertrauen in die Verheißungen Gottes (in das, das man hofft), und erst als zweites das Nichtzweifeln an dem Unsichtbaren (an dem, das man nicht sieht). Menschen, die noch nicht glauben oder meinen, nicht glauben zu können, sind meist auf den umgekehrten Weg aus. Sie wollen erst ihre Zweifel behoben haben, erst einen Beweis für die Existenz und Gerechtigkeit Gottes, ehe es ihnen möglich wäre zu glauben. Die Bibel verweist den Suchenden darauf, zuvor den Zuspruch und das Angebot Gottes zu hören und ihm Vertrauen zu schenken, um dann durch seinen Geist die Gewißheit zu empfangen, daß Gott ist und daß er so ist, wie ihn die Bibel bezeugt: ein liebender und ein gerechter Gott.

Aber auch der Glaubende muß wissen, daß er   bevor aus seinem Glauben ein Schauen wird   die Offenbarung Gottes nur nach und nach und nie in vollem Umfang erkennt. Manche Worte und Aussa¬gen der Bibel sind dunkel für uns und bleiben es auch (1. Kor. 13,12).

Aber die Erkenntnis wächst unter der Wirkung des Heiligen Geistes (Joh. 16,13). Sie wächst auch mit der geschichtlichen Erfahrung. Denn auch in ihr wirkt Gottes Geist, wie es besonders in der Geschichte des Volkes Israel deutlich wird. Um tiefere Erkenntnis der Offenbarung Gottes dürfen wir uns bemühen. Paulus betet für die Gemeinden, »daß ihr erfüllt werdet mit Erkenntnis seines Willens in aller geistlichen Weisheit und Einsicht« (Kol. 1,9), und er ermahnt sie: »wachset in der Erkenntnis Gottes« (Kol. 1, 11). Dazu darf auch wissenschaftliche Erkenntnis dienen; denn der Verstand, mit dem wir sie gewinnen, ist eine Gabe Gottes. Jedoch bedarf es beim Durchdenken der Ehrfurcht vor der Offenbarung, die Gott gegeben hat, und ebenso der Achtung vor den Menschen, denen sie gegeben würde. Denn sie waren von Gott dazu erwählt, und er hat sie zu rechten Haushaltern über seine Geheimnisse bestimmt.

Das unanschauliche Ineinander

In dieser Haltung gehe ich an die in der Bibel überlieferten Berichte heran und befrage sie nach ihrer Sicht von der Gesamtwirklichkeit, d.h. nach der Sicht, wie sie von der Offenbarung (nicht von der Menge der Zeugen) vermittelt wird. Als »Gesamtwirklichkeit« verstehe ich dabei die beiden Wirklichkeiten, von denen die Bibel spricht, das Sichtbare und das Unsichtbare in dem vorhin beschriebenen Sinne. Die Bezeichnung »Weltbild« ist unzureichend und irreführend, denn die Sicht der Bibel ist überzeitlich und bleibt von jedem Wechsel wissenschaftlicher und ideologischer Weltbilder unberührt. (Damit distanziere ich mich von einer Redeweise, die ich selbst früher gebraucht habe. Vgl. H. Rohrbach, Naturwissenschaft, Weltbild, Glaube, 1967) Vor allem ist ihre Sicht, wie es sein muß, unanschaulich und von einem an die diskursive Logik gewohnten Denken nicht zu erfassen.

Die Beziehung, in der die beiden Wirklichkeiten zueinander stehen, erweist sich, wie im nächsten Kapitel durch charakteristische Beispiele belegt werden soll, als ein eigentümliches Ineinander. Es geht weder um ein Übereinander wie bei Stockwerken noch um ein Umeinander wie bei Kern und Schale, sondern um ein Ineinander be¬sonderer Art: um ein gegenseitiges Sichdurchdringen . Das Unsichtbare durchdringt das Sichtbare in einer unanschaulichen, dem natürlichen Verstand unbegreifbaren, nur im Glauben erfaßbaren Weise.

Um diese Aussage näher zu präzisieren, knüpfe ich an einen Sachverhalt an, der im Grunde genau so unbegreifbar und unanschaulich ist. Er ist uns aber vertrauter, da er das Zentrum des christlichen Glaubens umfaßt. Es ist die Aussage im Glaubensbekenntnis von Chalzedon, in dem 451 unsere Väter im Glauben von der Bibel her die Lehre von den zwei Naturen Jesu in Worte gefaßt haben. Vom Heiligen Geist geleitet haben sie die paradox klingende, aber zutreffende Formulierung gewagt, daß in der einen Person Jesus von Nazareth die wahre Menschheit und die wahre Gottheit »unvermischt, unwandelbar, ungeschieden und ungetrennt« vereinigt sind. Diese Formulierung spiegelt in vollkommener Parallele das Ineinander von Sichtbarem und Unsichtbarem wider.

Ich folge hier gern dem Theologen H.  H. Schrey (Schrey, Weltbild und Glaube im 20. Jahrhundert, Göttingen 1956), wenn er sagt, daß ein Dualismus, d.h. ein unverbundenes Nebeneinander von Weltbild und Glauben unzumutbar sei, da »es nicht zu unserem Schicksal gehöre, in zwei Bereichen leben zu müssen, zwischen denen es keine Brücke geben kann«. Weiter meint er, daß wir ebensowenig an die Stelle des Dualismus einen Monismus setzen dürfen, also Weltbild und Glauben zusammenfügen und damit gewaltsam einen Brückenschlag versuchen, weil »solche Syntheseversuche weder der Eigenständigkeit des Denkens noch der des Glaubens gerecht werden«.

Wer noch im alternativen Denken des »entweder oder« (der diskursiven Logik) befangen ist, wird der Ansicht sein, sich nur zwischen diesen beiden Möglichkeiten eines Dualismus (Auseinanderfallens) von Weltbild und Glauben oder eines Monismus (Zusammenfallens) entscheiden zu können, falls er sich überhaupt entscheiden will. Demgegenüber weist Schrey auf die dritte Möglichkeit hin, auf das in der Physik entwickelte komplementäre Denken, »das allein der Christologie des Credo Chalcedonense mit ihren für die diskursive Logik widerspruchsvollen Aussagen über das Zusammen von Menschheit und Gottheit in der Person Jesu angemessen« sei.

Er schreibt: »Die wahre Gottheit und die wahre Menschheit können nur dann zusammen ausgesagt werden, wenn keiner von beiden etwas abgebrochen wird. Man kann hier von einer komplementären Einheit der beiden Naturen sprechen. Zum Wesen der Komplementarität gehört, daß erst das Zusammen von zwei scheinbar sich widersprechenden mögen das wahre Bild der Wirklichkeit ergibt. Christus ist dann nicht in seiner wahren Bedeutung umschrieben, wenn von ihm nur ausgesagt wird: wahrer Mensch. Er ist aber auch dann nicht in seiner wahren Bedeutung erfaßt, wenn von ihm nur ausgesagt wird: wahrer Gott. Erst im Zusammen der beiden Aussagen wird die Wahrheit Christi sichtbar.«

Ebenso paradox, also unvermischt und ungetrennt, hat man sich das Ineinander von Sichtbarem und Unsichtbarem zu denken (mit einem an der Komplementarität geschulten Denken): zwei unterschiedliche Wirklichkeiten und doch nur eine Gesamtwirklichkeit, beide ganz und gar ohne Bezug (unvermischt) und doch völlig miteinander verwoben (ungetrennt), zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden, so daß man von da her das Geheimnis der zwei Naturen Jesu beschreiben darf: Jesus war im Sichtbaren ganz und gar Mensch, im Unsichtbaren ganz und gar Gott   und doch nur Einer. Dieses unbegreifbare Geheimnis in der Person Jesus von Nazareth spiegelt das geheimnisvolle Ineinander der beiden Wirklichkeiten, von denen die Bibel spricht, treffend wider. Es wurde wohl erstmals Petrus offenbart, als er bekennen durfte (Luk.9,20): »Du bist der Christus Gottes.«

Zwei wichtige Konsequenzen

Aus dem Ineinander von Sichtbarem und Unsichtbarem ergeben sich wichtige Konsequenzen für das Verständnis biblischer Aussagen, von denen ich zwei hervorheben möchte. Zum einen sind für Begriffe und Ereignisse in den verschiedenen Wirklichkeiten verschiedene Ausdrucksweisen notwendig. Im Sichtbaren kommen wir mit der menschlichen Sprache aus. Für das Unsichtbare aber haben wir keine angemessene Ausdrucksweise, weil unsere Sprachen dort nicht angreifen. Auch Jesus, der von dort kam, verwendete Gleichnisse, wenn er vom Unsichtbaren sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn, einem Sauerteig, einem verborgenen Schatz im Acker, einem Kaufmann, der gute Perlen sucht, einem Menschen, der guten Samen säte, u.a. Er gebrauchte Worte des Sichtbaren, um vom Unsichtbaren gleichnishaft reden zu können. Ebenso benutzte er Gleichnisworte, wenn er von sich selbst als dem Sohn Gottes sprach: Ich bin die Tür, der Weg, das lebendige Wasser, das Brot vom Himmel, der gute Hirte u.a.

Man denke auch an ein Erlebnis, das Paulus widerfuhr (2.Kor.12,2ff.): Er sei entrückt worden bis in den dritten Himmel, bis ins Paradies (d.h. ins Unsichtbare) und habe dort unaussprechliche Worte gehört, die ein Mensch nicht sagen darf, d.h. Worte, die auszusprechen einem Menschen nicht zusteht! Das ist es: Wo Gott von den himmlischen Heerscharen angebetet wird, wo Jesus als der Auferstandene und Erhöhte ein unvergängliches Reich empfangen hat, wird eine besondere Sprache gesprochen. Deren Worte sind uns hier nicht erlaubt, weil wir Sünder, wenn auch begnadigte Sünder sind. Erst drüben, wenn wir im Kleid der Gerechtigkeit bei Ihm sind, dürfen wir mit solchen Worten einstimmen in den Lobpreis zur Ehre Gottes. Und weil uns im irdischen Leben die angemessenen Worte für das Unsichtbare abgehen, brauchen wir Ersatz. Deshalb gebraucht Jesus Gleichnisworte, Gleichniserzählungen und Gleichnishandlungen.

Allgemein gilt: Um von der unsichtbaren Wirklichkeit im Sichtbaren in rechter Weise reden zu können, bedarf es der bildhaften Denkform und Sprache. Diese begegnen uns in der Bibel in der wahren und eigentlichen Form. Sobald man aber meint, es gäbe keine andere Wirklichkeit außer der sichtbaren, der Welt des Menschen, wird die bildhafte Rede inhaltslos, werden die großen Taten Gottes zu Fabeln, zu Legenden ohne wirkliche Ereignisse. Beginnt man dann, die Bibel zu »entmythologisieren«, so nimmt man dem Menschen die Möglichkeit, diese seine Welt richtig zu verstehen.

W. Stählin sagt: »Indem die Wissenschaft uns denjenigen Teil der Welt, der der rationa¬len Forschung zugänglich ist, als die ganze Wirklichkeit vortäuscht, betrügt sie uns um die ganze Wahrheit. Und indem der Mythos uns in seinen Bildern die Fülle jener Wirklichkeit vor Augen stellt, in die wir selber verflochten sind, weitet er unseren Blick über die Grenzen der ratio hinaus auf die größere und umfassendere Wirklichkeit«*. Damit weist auch Stählin auf die Gesamtwirklichkeit aus Sichtbarem und Unsichtbarem hin.

Zum anderen hat man zu beachten: Jedes Geschehen ereignet sich in beiden Wirklichkeiten zugleich. Weil beide sich durchdringen, läßt jeder Vorgang zwei Aspekte zu. Im Sichtbaren, wo es Materie, Raum und Zeit gibt, erweist er sich als Ablauf in Raum und Zeit, also als ein Werden, ein Sich entwickeln, als Evolution. Im Unsichtbaren aber, wo es Raum und Zeit unserer Erfahrung nicht gibt, weil dort keine Materie ist, sondern Pneuma, hat derselbe Vorgang einen zeitlosen Charakter, ist ein zeitloses Setzen Gottes, ein Schaffen. Diese doppelte Sicht ist beim Durchdenken biblischer Berichte entscheidend. Es geht stets um einen Ablauf, um ein Werden in Raum und Zeit, und zugleich um ein Gesetztsein, um ein Handeln Gottes, frei von Raum und Zeit. Das gilt besonders für den Schöpfungsbericht, der mit den Worten schließt (1. Mose 2,4a): »Also sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden«, Geworden und geschaffen   beides trifft zu; beides gilt auch für den Menschen. Es geht nicht um ein »entweder   oder«. Ferner gilt es für die Wunderberichte. Sie beschreiben Abläufe im Naturgeschehen, in Raum und Zeit, und sind zugleich Zeichen für ein Handeln Gottes aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare hinein durch sein Wort.

Das Ineinander der beiden Wirklichkeiten bedingt auch, daß jeder Mensch   ob er es weiß und wahrhaben, will oder nicht   zugleich im Sichtbaren und im Unsichtbaren lebt. Ein Glaubender wird aus seiner Glaubenserfahrung etwas davon erahnen. Ebenso jemand, der abergläubischen Vorstellungen anhängt oder magischen Praktiken nachgeht oder gar mit »Geistern« Verbindung aufzunehmen versucht. Auch die wissenschaftlichen Untersuchungen der Parapsychologie stoßen auf Phänomene, die als Auswirkungen des Unsichtbaren ver¬standen werden können.

Wer sich jedoch ganz der ratio verpflichtet fühlt, weiß nur vom Sichtbaren und sieht darin das Ganze der Wirklichkeit. Erst mit dem befreienden Glauben an Jesus, erst mit der Erweckung des »inwendigen Menschen« in uns (Röm. 7,22   Eph. 3,16) wird dem Glaubenden das Wissen um die Geborgenheit geschenkt, die er mitten im Sichtbaren vom Unsichtbaren her empfängt. Er erfährt die Wahrheit der Schriftworte: »Ich gehe oder liege, so bist du um mich . . . Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir» (Psalm 139,3 5). »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen« (Matth. 18,20). »Siehe,. ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende« (Matth. 28,20). »Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht« (Joh.15,5). So lauten Zuspruch und Verheißungen an die Gläubigen. Und es ist immer das uns überall umgebende Unsichtbare, von dem Geborgenheit ausstrahlt und von dem aus Jesus die Zusage erfüllt, daß er als der Unsichtbare um uns und bei uns oder in uns ist und wir in ihm sind.

 

Kapitel 3:  Augen, die sehen  –  Ohren, die hören

Beispiele aus dem Alten Testament

Das unanschauliche, paradoxe, schwer zu fassende Sichdurchdringen von Sichtbarem und Unsichtbarem, als eigentliche Sicht der Bibel von der Wirklichkeit um uns soll noch an einigen markanten Beispielen aus dem Alten und dem Neuen Testament belegt werden.

Ich beginne mit dem Schöpfungsbericht. Im ersten Vers der Bibel am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde   ist mit den »Himmeln« gewiß nicht die Welt Gottes, das Unsichtbare, gemeint. Denn dieses ist nicht geschaffen, sondern ewig (2. Kor. 4,18), wie Gott selbst ewig und nicht geschaffen ist. Der ewige Bestand, der einst dem Sichtbaren, der Welt, zugeschrieben wurde, trifft für das Unsichtbare zu, nicht für die Schöpfung, das Sichtbare. Denn dieses ist zeitlich, d.h. hat Anfang und Ende. Dieser Anfang ist es, auf den der erste Vers hinweist. Mit den »Himmeln« sind wohl die zahllosen Galaxien im Weltall gemeint, deren eine unsere eigene Milchstraße ist. Nur ihre Gestirne sind es, die wir von der Erde aus mit dem bloßen Auge erkennen und als den »gestirnten Himmel über uns« (englisch: sky) ansehen. So darf man die anderen Galaxien ebenfalls als geschaffene »Himmel«, bezeichnen, die nach Jesu Wort (Mark. 13,31) einmal vergehen werden. Selbstverständlich kommt in der Bibel auch das Wort Himmel (englisch: heaven) als Ausdruck für das Unsichtbare vor. Das kann man jeweils dem Zusammenhang entnehmen, z.B. wenn die Bibel vom Himmelreich oder von Himmelfahrt spricht.

Wichtig ist nun, daß wir aus dem biblischen Schöpfungsbericht heraushören: In die schon immer vorhandene Welt Gottes, das Unsichtbare, in dem Gott selbst und alle Wesen des Unsichtbaren zu denken sind, setzt Gott durch sein schöpferisches »Es werde« das Sichtbare hinein, ohne einen Raum dafür auszusparen. Dadurch schafft er das unanschauliche Ineinander von seiner und der Menschen Welt. So kann er verborgen bleiben und doch den Menschen nahe sein (Jes. 57, 15).

Das Unsichtbare ist zweifellos umfassender als das Sichtbare, denn es heißt: »der Himmel und aller Himmel Himmel können dich (Gott) nicht fassen« (1. Kön. 8,27). Man kann sich also dieses in jenes »eingebettet« denken. Aber jeder Versuch, sich das Unanschauliche irgendwie vorzustellen, ist vergeblich. Nur gleichnishaft kann davon gesprochen werden. Das ist im folgenden stets zu beachten.

Zum Schöpfungsbericht gehört auch der Bericht vom Paradies. Durch das Einblasen des Odems Gottes erhielt der Mensch das ihm von Gott zugedachte geistliche Leben, d.h. die ungetrübte Gemeinschaft mit Gott   davon war bereits in der Einleitung die Rede, und in Kapitel 9 komme ich noch einmal darauf zurück   und dadurch geöffnete Augen und Ohren für das Unsichtbare. Er sah Gott, hörte ihn, sprach zu ihm, bekam von ihm den Auftrag, den Garten zu bebauen und zu bewahren, d.h. Mitstreiter Gottes gegen den Bösen zu sein. Er lebte mit seinem Weibe frei auf der Erde und in gleicher Weise frei im Unsichtbaren. Sie hatten Zugang zum Baum des Lebens. An allem ließ Gott sie teilhaben. Auch daß dieses kostbare Geschenk der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott bedroht und von ihnen zu bewahren war, wußten sie. Dennoch versagten sie.

Mit dem Ungehorsam gegen Gottes Gebot ging alles verloren. Die ungetrübte Gemeinschaft, die geöffneten Augen, Ohren und Sinne wurden genommen, der Weg zurück versperrt. So endete ihr geistliches Leben mit dem geistlichen Tod, wie es Gott für das übertreten des Gebots angekündigt hatte. Der Sünde Sold ist Tod (Röm. 6,23).

Von da an erfaßten ihre Augen und Ohren nur das Sichtbare, und seitdem haben alle Menschen nur Erkenntnisfähigkeit für das Sichtbare. Das Unsichtbare, in dem sie jederzeit und überall sind, bleibt ihrem natürlichen Wesen und Wollen verschlossen. Wiederherstellung der guten Gemeinschaft mit Gott ist möglich, jedoch nur durch Buße, nur über Jesus und nur im Glauben, nicht im Schauen (2. Kor. 5,7), aber mit der Verheißung (Off. 2,7): »Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradiese Gottes ist.«

Gott hat auch nicht aufgehört, zu und mit den Menschen zu reden (Hebr.1,1) und uns Weisungen zu geben. Aber nicht jeder hört ihn. Sein Wort ist zugleich nah und fern (5. Mose ¬30,11-14):

»Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, daß du sagen müßtest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, daß wir’s hören und tun? … Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es tust«.

 Damit bringt die Bibel in ihrer bildhaften Sprache nur zum Ausdruck, daß Gottes Welt, das Unsichtbare, uns bis ins Innerste durchdringt.

In 2. Kön. 6,15ff. wird von dem Propheten Elisa berichtet, der mit seinem Diener in der Stadt Dothan eingeschlossen ist. Der Diener bangt um sein Leben, aber Elisa beruhigt ihn mit den Worten: »Fürchte dich nicht, denn derer sind mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind«. Der Diener jedoch sieht nichts und kann seinem Herrn nicht glauben. Da betet Elisa: »Herr, öffne ihm die Augen, daß er sehe!« Und Gott erhört das Gebet. Er öffnet dem Diener die Augen, und »der sah, und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her«. Was war geschehen? Nichts anderes, als daß das Sichtbare für die Augen des Dieners sozusagen durchsichtig, transparent wurde. Er schaut mit »geöffneten Augen« durch das Sichtbare in das Unsichtbare hinein und sieht die himmlischen Heerscharen   vom Licht, das dort herrscht, überstrahlt   als feurige Rosse und Wagen.

In Jes. 6 berichtet der Prophet Jesaja von seiner Berufung. Auch ihm werden geöffnete Augen und eine überwältigende Schau in das Unsichtbare geschenkt. Ähnliches widerfuhr dem Propheten Hesekiel bei seiner Berufung (Hes. 1 und 2). Man spürt es ihren Berichten ab, wie unfaßbar das ist, was sie schauen dürfen, und wie sie nur mit unzureichenden Worten und Bildern das Geschaute beschreiben können.

In Dan 3, l9ff. wird geschildert, wie drei jüdische Männer auf Be¬fehl des Königs Nebukadnezar in einen glühenden Ofen (eine Art Hochofen zum Schmelzen von Eisenerz) geworfen werden, weil sie das goldene Standbild nicht anbeten wollten, das der König hatte errichten lassen. Nebukadnezar überwacht persönlich die Exekution und erschrickt aufs heftigste, als er vier Männer frei und unversehrt im Feuer umhergehen sieht. Und der vierte sah aus »wie ein Sohn der Götter«. Hier hat Gott sogar dem Heiden Nebukadnezar geöffnete Augen für das Unsichtbare geschenkt, so daß er schauen mußte, wie Gott die drei auf ihn vertrauenden Männer aus dem Sichtbaren in das Unsichtbare hineingenommen und ihnen einen Engel zur Seite gegeben hat. Als der König Weisung erteilt, die Männer herauszulassen, hat man nicht einmal Brandgeruch an ihnen wahrgenommen. So vollständig waren sie dem Sichtbaren entnommen!

 

Beispiele aus dem Neuen Testament

In Luk. 2,8ff. wird von der Verkündigung der Geburt Jesu an die Hirten berichtet, die des Nachts ihre Herden hüten. »Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie; und sie fürchteten sich sehr.« Mit seinem hellen Glanz bricht das Unsichtbare in das Sichtbare ein, und des Herrn Engel tritt aus dem Unsichtbaren zu den Hirten. Ihm folgen viele weitere Engel: »Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen.« Hier geschieht es, daß die Hirten mit ihren natürlichen Augen die Engel sehen, die als Boten Gottes aus dem Unsichtbaren zu ihnen in das Sichtbare treten. Ebenso erging es Maria, als der Engel Gabriel zu ihr in ihr Zimmer trat (Luk. 1,28), um ihr die Geburt ihres Sohnes Jesus anzukündigen.

In Luk. 9,28ff. wird die Verklärung Jesu geschildert. Drei seiner Jünger erleben, wie Jesu Gesichtsausdruck, während er betet, sich verändert und seine Kleidung weiß und glänzend wird. Sie sehen, wie zwei Männer, Mose und Elia, in gleicher Weise verklärt erscheinen und mit Jesus reden. Auch hier dringt überirdisches Licht aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare und überstrahlt Jesus. Mose und Elia treten als Boten Gottes aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare, ebenfalls überstrahlt von dem »unerschaffenen Lichte«. Die Begleiter Jesu dürfen das alles schauen! Ganz verwirrt   er wußte nicht, was er redete – schlägt Petrus vor, dazubleiben und Hütten zu errichten. Da aber überschattet sie eine Wolke, aus der Gott, der Vater, zu ihnen redet und sie an den Sohn verweist, und »sie sahen niemand als Jesus allein«. Einen Blick auf die Herrlichkeit des Unsichtbaren durften sie tun, aber sie festzuhalten, war ihnen nicht gewährt.

Manchmal als Parallele dazu verstanden, wird in Joh. 12, 28 ff. von einer Weisung Gottes an Jesus berichtet, sogar vor vielen Zuhörern. Jesus betet: »Vater, verherrliche deinen Namen!« Als die Stimme vom Himmel es zusagt, heißt es: »Da sprach das Volk, das dabei stand und zuhörte: Es donnerte. Die anderen sprachen: Es redete ein Engel mit ihm.« Hier geht es nicht um geöffnete Augen, sondern um geöffnete Ohren, und, was besonders zu beachten ist, um unterschiedlich geöffnete Ohren! Das Volk, das dabei stand, hörte nur ein starkes Geräusch und legte es als Donner aus. Andere, offenbar mit den Jüngern solche, die an Jesus glaubten, hörten so viel, daß sie meinen, ein Engel habe geredet. Jesus allein hat den Vorgang voll wahrgenommen, die Stimme des Vaters und den Inhalt der Botschaft.

Auch der Bericht über die Steinigung des Stephanus (Apg. 7,54 ff.) liefert ein eindrucksvolles Beispiel für das Ineinander der beiden Wirklichkeiten. Im Bezeugen sieht er, vom heiligen Geist erfüllt, »den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen«. Ganz nahe über sich erblickt er Jesus, der sich erhoben hat, um ihm, dem ersten Märtyrer der Christenheit, entgegenzugehen und ihn heimzuholen in das ewige Leben. Geöffnete Augen für das Unsichtbare und Erfüllung der Zusage Jesu (Joh. 17,24): »Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.« Für Stephanus hat sich damit diese Verheißung Jesu erfüllt.

 

Sichtbarmachungen besonderer Art

Geöffnete Augen für das Unsichtbare oder das Heraustreten von Boten Gottes aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare, was mit natürlichen Augen wahrgenommen werden kann, wie bei der Ankündigung der Geburt Jesu an Maria oder vor den Hirten, sind zwei grundverschiedene Gaben Gottes, durch die er Menschen etwas vom Unsichtbaren erfahren läßt. Immer geht es dabei um Wesen des Lichts, die im Unsichtbaren einen völlig andersartigen (pneumatischen, d.h. geistlichen) Leib haben als bei ihrem Erscheinen im Sichtbaren. Von diesem Sichöffnen des Unsichtbaren, wie es sich beim Erscheinen von Engeln oder anderen Boten Gottes ereignet, komme ich jetzt zu dem wichtigsten Geschehen dieser Art, zu den Erscheinungen des Auferstandenen. Seine Andersartigkeit wird besonders deutlich an der Art, wie er nach seiner Auferstehung den Frauen und den Jüngern und später vor Damaskus dem Saulus erschien. Diesem wird Jesus ganz kurz im Glanz seines Herrlichkeitsleibes sichtbar, den er im Unsichtbaren hat: »Und als er (Saulus) nahe an Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel« (Apg. 9,3). Als Paulus einige Jahre später davon berichtet, sagt er: »Es umleuchtete mich plötzlich um den Mittag ein großes Licht vom Himmel« (Apg. 22,6). »Mitten am Tage sah ich auf dem Wege ein Licht vom Himmel, heller als der Sonne Glanz, das mich und die mit mir reisten umleuchtete« (Apg. 26,1 3). Die Folge dieser gewaltigen Lichtfülle war, daß Saulus zu Boden stürzte und blind wurde; erst nach drei Tagen des Gebets wurde er durch Ananias davon geheilt (Apg.9,8 19). Gott schauen durfte er nicht. Wer Gott sieht, muß sterben.

Die Begleiter des Saulus sahen niemand (Apg. 9,7); einige sahen ein Licht, andere hörten eine Stimme, einige fielen nieder, andere standen erstarrt (Apg. 9,7; 22,9; 26,14). So unterschiedlich war die Offenbarung aus dem Unsichtbaren bei diesem Ereignis, ähnlich unterschiedlich wie bei der Offenbarung, die Joh. 12,27ff. geschildert wird. Nur Saulus empfing die Fülle der Offenbarung an Erscheinung, Worten und Berufung. Die Begleiter konnten das Geschehen nur eingeschränkt wahrnehmen.

Den biblischen Berichten ist zu entnehmen, daß Jesus den Frauen und Jüngern in anderer Weise als Auferstandener erschien, nicht mit dem für Menschen unertragbaren Herrlichkeitsleib (mit dem er z.B. als der Unsichtbare gegenwärtig ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind), sondern mit einem Leib aus Fleisch und Bein, d.h. aus Materie. Er weist selbst seine Jünger darauf hin, als sie bei seinem Geschehen aufs heftigste erschrecken und meinen, einen Geist zu sehen (Luk. 24,39): »Fühlet mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe.« Wäre Jesus ihnen in seinem Auferstehungsleib erschienen (dem Herrlichkeitsleib, den Saulus ganz kurz erlebte), so wären sie wie dieser erblindet und zu nichts fähig gewesen   es sei denn, Jesus hätte ihnen jemand senden können wie Ananias, der sie in seinem Auftrag geheilt hätte. Nie hätten sie seine sichtbare Gegenwart ertragen, nie hätte er ihnen die Schriften auslegen können. Darauf aber kam es Jesus an.

Jetzt erst, in den vierzig Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, als er den Jüngern die Schriften öffnete, lernten sie verstehen, was sie früher nicht verstanden hatten. Jetzt erst ging ihnen auf, was es um Jesus von Nazareth und sein Kommen gewesen war, was sein Leiden und sein Sterben am Kreuz bedeuteten. Jetzt erst erhielten sie die eigentliche Zurüstung für ihren Dienst an Menschen und Völkern, zu denen Jesus sie senden wollte. Deshalb war es notwendig, daß er ihnen in einer Weise erschien, daß sie seine Gottheit ertragen und intensiv mit ihm zusammen sein konnten.

Bei solchen Erscheinungen, wie auch bei denen von Engeln oder anderen Boten Gottes an die Menschen, geht es um Sichtbarmachungen im eigentlichen Sinne des Wortes, In 1. Kor.15, 5 8 bezeugt Paulus, daß der Auferstandene von vielen gesehen worden ist. Im griechischen Grundtext steht für »gesehen« das Wort oophthä  , das bedeutet, wörtlich übersetzt: er wurde sichtbar gemacht. Und »sichtbar gemacht« meint »zu Materie geworden«. Der unsichtbare geistliche Leib des Auferstandenen wird in sichtbare und fühlbare Materie, in Fleisch und Bein verwandelt   entsprechend zur Verwandlung der Leiber derer, die bei der Wiederkunft Jesu noch leben und im Nu einen geistlichen, verklärten und unverweslichen Leib »anziehen« werden (1. Kor. 15, 5l 54). So wurde – nun umgekehrter Richtung   Jesu geistlicher Herrlichkeitsleib in einen aus Fleisch und Bein verwandelt. Das geschah bei jedem Erscheinen neu und in anderer Gestalt, wie es in Mark. 16,12 bezeugt wird: »Danach offenbarte er sich unter einer anderen Gestalt zweien von ihnen unterwegs, da sie über Land gingen.« Dies bezieht sich auf die Jünger, die nach Emmaus gingen und dem Auferstandenen begegneten (Luk. 24,15), ohne ihn zu erkennen, und von deren Begegnung abschließend berichtet wird: »Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen« (Luk. 24, 31). Wohin? Zurück in das Unsichtbare, aus dem er zuvor gekommen war. Ebenso zeigt das unterschiedliche Verhalten Jesu gegenüber Maria Magdalena, die ihn nicht anrühren durfte, und gegenüber dem Zweifler Thomas, dem zuliebe er mit den Wundmalen erschien, damit sie betastet werden konnten, und gegenüber den Jüngern am See Tiberias, die nicht zu fragen wagten, wer es sei (obwohl sie es wußten), alles dies zeigt, daß seine Erscheinungsweise als Auferstandener immer wieder anders war. Unser Gott ist ein reicher Gott und unbegreiflich seine Werke. Er hat unzählige Möglichkeiten der Sichtbarmachung (1. Kor. 15,38ff).

 

Himmelfahrt und Wiederkunft

Die Himmelfahrt Jesu ist über viele Jahrhunderte hinweg, in unmittelbarer Anlehnung an das naive Weltbild der frühen Christenheit, als ein Auffahren durch den Weltraum verstanden und geglaubt worden. Mit dem Wegfall des Weltbilds war dieser Glaube für viele Christen nicht mehr vollziehbar. Wie anders aber ist der Vorgang zu verstehen, wenn man bereit ist, die eigentliche Wirklichkeitsschau der Bibel, das Ineinander von Sichtbarem und Unsichtbarem, zugrundezulegen. Dann erkennt man, daß die Himmelfahrt Jesu wie die des Elia biblisch als eine Entrückung in das Unsichtbare verstanden werden darf. Der Unterschied der Entrückung Jesu gegenüber den Entrückungen, von denen die Bibel sonst berichtet   der des Henoch (1. Mos. 5,24), der des Elia (2. Kön. 2,11) und der noch bevorstehenden Entrückung der Brautgemeinde (1. Thess. 4,17)   liegt nur darin, daß Jesus dabei der Handelnde ist. Die anderen Entrückungen geschehen an den Betroffenen ohne deren Zutun, während Jesus seine Entrückung   wie alles auf seinem irdischen Lebens- und Leidensweg   nicht nur erleidet, sondern bestimmend gestaltet. Denn er geht, wie es der Grundtext ausdrückt, in das Unsichtbare hinüber (Apg. 1,11).

Viele Male war Jesus in den Tagen zuvor seinen Jüngern erschienen, aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare kommend und dabei anders als bei seiner Zeugung und Geburt, aber ebenso durch ein Wunder des allmächtigen Gottes   eine Fleischwerdung erfahrend und vollziehend. Im Unsichtbaren geht er als der Unsichtbare in den Raum, in dem die Jünger zusammen sind (das Unsichtbare durchdringt diesen Raum, so daß verschlossene Türen für Jesus kein Hindernis sind, wird unter ihnen plötzlich sichtbar, so daß sie sehr erschrecken, spricht mit ihnen und verschwindet ebenso plötzlich, wieder zurück in das Unsichtbare gehend. Um nun die Jünger wissen zu lassen, daß die Periode solchen Erscheinens abgeschlos¬sen und damit seine Ankündigung aus den Abschiedsreden erfüllt wird (Joh. 16,7), läßt Jesus sie Zeugen seiner Entrückung werden. Von dieser heißt es im griechischen Grundtext: »Dieser Jesus, der von euch aufgenommen ist in den Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen« (Apg. 1,11). Das hier benutzte griechische Wort poreuomai für >gehen< meint ein Gehen zu einem Ziel. Dieses Ziel ist aus der Prophetie des Alten Testaments bekannt. In Dan. 7,13 14 heißt es: »Siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, daß ihm alle Völker dienen sollten … « Hier hat Daniel prophetisch vorausgesehen, was die Wolke den Jüngern verbarg (Apg.1,9): den Weg Jesu im Unsichtbaren zum Thron des Vaters und seine Erhöhung zur Rechten des Vaters.

Wenn Jesus wiederkommen wird zum Gericht, so daß »ihn sehen werden alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben« (Off. 1,7) und »sich beugen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters« (Phil. 2,10 11), dann wird das Sichtbare transparent werden für alle Menschen, aller Augen werden geöffnet werden und werden hineinschauen müssen in das Unsichtbare, und sie werden Jesus sehen in seiner Herrlichkeit und vor ihm niederfallen und ihn bekennen als den einen, der Herr ist über alle und alles. Dann wird das Sichtbare vergehen, und nur das Unsichtbare wird sein   wie es einst war vor Erschaffung der Welt. Und die zu Jesus gehören, werden ihn sehen, wie er wirklich ist, und werden ewig bei ihm sein im Unsichtbaren, das dann nicht mehr unsichtbar, sondern ihre Heimat ist.

Diesen Ausführungen muß als wesentliche Ergänzung der Hinweis angefügt werden, daß bei den als Beispielen gewählten biblischen Berichten jeweils nur der eine Aspekt des Sichdurchdringens von Sichtbarem und Unsichtbarem herausgestellt wurde. Selbstverständlich hat dieser Aspekt gegenüber der inhaltlichen Bedeutung der Berichte völlig zurückzutreten. Er stellt nur den Hintergrund des Geschehens dar. Bei der Auslegung und Verkündigung steht die inhaltliche Bedeutung des Bibeltextes als das Eigentliche im Vordergrund.

 

Kapitel 4: Gliederung des Unsichtbaren

Gottes Sein und Wirklichkeit

Bisher war vom Unsichtbaren nur als Ganzem die Rede, als Gegensatz zum Sichtbaren, und vor allem von der biblischen Schau des Ineinanders, des gegenseitigen Sichdurchdringens beider Wirklichkeiten. Es lag mir daran aufzuzeigen, daß es bei dem Unsichtbaren nicht um eine mythische oder gar mythologische Redeweise geht, sondern um eine entscheidende Realität, von der nur nicht anders als bildhaft (mythisch im Sinne von W. Stählin) gesprochen werden kann. Im Grunde kann nicht ernst genug betont werden, daß das Unsichtbare die wahre, die eigentliche Realität ist, von der das Sichtbare (und damit auch der Mensch ) erst Existenz und Struktur erhalten hat: Durch Glauben erkennen wir, daß die Welten durch Gottes Wort gestaltet sind, damit das Sichtbare nicht aus Wahrnehmbaren hervorgegangen sei« (Hebr. 11 3). Zu beachten aber ist, daß, Gott, der Schöpfer, nicht mit dem Unsichtbaren in eins gesetzt werden darf. Die Bibel unterscheidet sehr genau das Unsichtbare und den Unsichtbaren.
Auch wenn ich gleichbedeutend für das Unsichtbare die Worte unsichtbare Wirklichkeit, Gottes Welt, Gottes Wirklichkeit, benutzt habe, geht es mir mit alledem stets um die (räumlich ausgedehnte) Wirklichkeit, in der Gott lebt, der Ewige und Allmächtige. Die Tatsache” daß das Unsichtbare das Sichtbare überall durchdringt, bezeugt zwar Gottes Allgegenwart, besagt aber nicht, daß Gott und das Unsichtbare übereinstimmen. Und wenn sich das Unsichtbare für Menschen im Sichtbaren öffnet, so erweist sich dabei Gottes Macht und Herrlichkeit in mannigfacher Weise; aber er selbst bleibt ungesehen und unzugänglich. So muß es sein, denn Gott »wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann” (1. Tim. 6,16).
Gottes Sein und Wirken ist im Grunde unvorstellbar und unbegreiflich. Und doch hat er sich Menschen kundgetan, und Menschen, vom heiligen Geist getrieben, haben die großen Taten Gottes verkün¬det. Davon spricht die Bibel, und sie allein ist die Grundlage für ein angemessenes Reden von Gott. Daß dennoch Mißverständnisse entstehen können, liegt an der menschlichen Unzulänglichkeit. Es sei daher einmal hervorgehoben: Wenn ich von Gottes Wirklichkeit spreche, so meine ich damit nicht Gottes Sein und Wirken, sondern nur die Wirklichkeit in der er lebt. Und in allem, was ich ausführe, bemühe ich mich um eine Auslegung biblischer Aussagen, die vor meinem Herrn Jesus Christus bestehen kann. Da ich mich dabei sicher nicht in allem verständlich genug ausdrücke, bitte ich für jedes Mißverständnis um Vergebung.
In diesem Sinne wage ich jetzt, von einer Gliederung des Unsichtbaren zu reden und die wenigen strukturellen Angaben, die die Bibel vom Unsichtbaren macht, zu einer Schau zusammenzufassen. Das kann nur mit großer Behutsamkeit geschehen und nur in groben Umrissen. Und bei der ganzen Darlegung muß beachtet werden, daß die Gliederung nur ein Abbild, ein Modell, darstellt, nicht die Wirklichkeit des Unsichtbaren selbst. Denn dieses ist und bleibt für uns unanschaulich. Die Bibel gibt uns aber Hinweise, die wir aufgreifen dürfen. Doch ist, was ich hier ausführe, meine persönliche Deutung biblischer Aussagen, wie auch die Beispiele im vorangehenden Kapitel grundsätzlich auf eigener Auslegung beruhen,

Himmel und Hölle

In Matthäus 4, 1-11 wird von der Versuchung Jesu berichtet. Der Geist (Gottes) führt ihn in die Wüste, auf daß er vom Teufel versucht würde. Das tut der Versucher mit viel List und Geschick. Doch vor der Hoheit Jesu kann er nicht bestehen und gibt sein Vorhaben auf. Zum Abschluß heißt es: Da verließ ihn der Teufel. Uns siehe, da traten die Engel zu ihm und dienten ihm.
Dieser Bericht zeigt, daß der Teufel wie auch die Engel aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare treten und dorthin zurückgehen. Den Widersacher Gottes und die Boten Gottes birgt das Unsichtbare in gleicher Weise!
Weiter entnehmen wir dem apostolischen Glaubensbekenntnis die Aussagen, Jesus sei »niedergefahren zu Hölle« und »aufgefahren gen Himmel«. Das Bekenntnis unterscheidet also, mit biblischer Begründung, die beiden Bereiche »Himmel« und »Hölle«. Dabei hat man aber zu beachten, daß die Bezeichnung »Hölle« aufgrund einer nicht richtigen Übersetzung im Luthertext der Bibel in das Glaubensbekenntnis hineingekommen ist. Die neue Fassung des Bekenntnisses, die von der römisch katholischen und der evangelischen Kirche gemeinsam erarbeitet und angenommen ist, sagt richtiger: »hinabgestiegen in das Reich des Todes« und »aufgefahren in den Himmel«. Es ist im Hebräischen (Altes Testament) zwischen Scheol (Totenreich) und Gehenna (Hölle), im Griechischen (Neues Testament) zwischen Hades (Totenreich) und Geenna (Hölle) zu unterscheiden. Luther hat im allgemeinen beides mit »Hölle« wiedergegeben. Wie aber die Sprachen zeigen, weiß die Bibel von beiden Bezirken, vom Totenreich und von der Hölle. Beide gehören zum Unsichtbaren, da sie sich der wissenschaftlichen Forschung entziehen.

Um die mit manchem Mißverständnis belasteten Worte Himmel und Hölle zu vermeiden, wähle ich stattdessen die Bezeichnungen »Reich des Lichts« und »Reich der Finsternis«. Dabei verstehe ich »Licht« und »Finsternis« ohne nähere Erklärung im Sinne des Wortes Jesu (Joh. 8,12): »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.« Mit dieser Unterscheidung in »Reich des Lichts« und »Reich der Finsternis« ist eine erste Gliederung des Unsichtbaren gegeben, und man sieht, daß die Beispiele des vorangehenden Kapitels nur von Wechselwirkungen zwischen dem Sichtbaren und dem Reich des Lichts im Unsichtbaren berichteten. Erst im Bericht von der Versuchung Jesu kommen beide Bezirke des Unsichtbaren zur Geltung.

Deutlicher tritt das hervor in der Erzählung Jesu vom reichen Mann und armen Lazarus (Luk. 16,19ff): Die Seele des Armen wurde nach seinem Tod von Engeln in »Abrahams Schoß« (zum Reich des Lichts gehörend) getragen. Der Reiche kam, als er starb, an den Ort der Qual, in das Totenreich (zum Reich der Finsternis gehörend); der Grundtext hat das Wort Hades (Totenreich). Entscheidend ist die große Kluft zwischen beiden Bezirken, über die keiner hinüber kann. Beider Männer Seelen können sich sehen, können empfinden und miteinander reden, aber ein Zueinander ist nicht möglich.

Mit dieser Erzählung, die kein Gleichnis sein soll, sondern Verkündigungs  und Offenbarungscharakter hat, läßt uns Jesus einen Blick in die »andere Welt« tun, d.h. er offenbart uns etwas über ein »Leben nach dem Tod«. Wir erfahren, daß das menschliche Leben mit dem Tode nicht aufhört, sondern in anderer Form und an anderem Ort weitergeht, ferner, daß der andere Ort davon abhängt, ob wir bei Lebzeiten auf »Mose und die Propheten«, für uns Heutige also auf Jesus und sein Wort, gehört haben oder nicht, im Zusammenhang dieses Textes besonders darauf, was er über unser Verhalten zu den Mitmenschen unter der Verantwortung vor Gott sagt (Matth. 25,40 45).

Dreigliederung im Reich des Lichts

Sodann gibt die Bibel für das Reich des Lichts eine weitere Gliederung an. In Hebr. 8,5 heißt es: »Sie, die Priester im Tempel, dienen nur dem Abbild und Schatten des Himmlischen: wie Gottes Stimme zu Mose sprach, als er die Stiftshütte vollenden sollte: Schaue zu, sprach er, daß du machest alles nach dein Bilde, das dir auf dem Berge gezeigt ist«. Als Gott auf dem Berge Horeb mit Mose redete, ihm die Gebote und die Anordnungen für das Volk Israel kundtat, hat er besonders auch geboten, wie die Stiftshütte und die Geräte für den priesterlichen Dienst gestaltet werden sollten (2. Mos. 25,9.40; 26,30; Apg. 7,44). Die Stiftshütte begleitete das Volk auf der Wanderung zum verheißenen Land und diente später als Modell für den Tempel. Diese Weisung Gottes an Mose ein »Abbild des Himmlischen« herzustellen, widerspricht nicht dem Gebot in 2. Mos. 20,4, da dieses Gebot nur dem Menschen verwehrt, sich nach eigenem Entwurf ein Abbild oder Gleichnis des Himmlischen zu machen. Wenn Gott ein Abbild des Himmlischen als Modell vorgibt oder Jesus in Gleichnissen vom Himmelreich spricht, so handelt es sich um offenbarte Wahrheit im Gegensatz zu Spekulationen, die Menschen sich aufgrund eigener Gedanken und Vorstellungen machen.

Aus der Art, wie Mose die Stiftshütte ausführen ließ, kann man mit Behutsamkeit rückschließen auf eine Gliederung im Reich des Lichts. Die Stiftshütte hatte drei Bezirke: den äußeren Vorhof mit dem Brandopferaltar für das Volk, sodann die eigentliche Stiftshütte, die unterteilt war in das Heiligtum, in dem die Priester dienten, und das Allerheiligste mit der Bundeslade, das nur der Hohepriester betreten durfte und zwar nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag (Hebr. 9,2 7). Dementsprechend darf man eine dieser Aufteilung in Vorhof, Heiligtum und Allerheiligstes analoge Gliederung für das Reich des Lichts annehmen. Doch geht es dabei nur um eine Gliederung der Funktion nach, nicht nach Form, Größe, Aussehen usw. Über solche Einzelheiten denke ich nicht nach. Darüber ist uns nichts gesagt, und das liefe dem Gebot in 2.Mose 20,4 zuwider.
Die von der Stiftshütte als Abbild des Himmlischen nahegelegte Gliederung im Reiche des Lichts möchte ich dahin verstehen, daß dem Vorhof das Paradies, auch Abrahams Schoß genannt, entspricht. Dorthin bringen Engel die Seelen derjenigen Sterbenden, die Jesus als die Seinen anerkennt, z.B. die Seele des armen Lazarus (Luk. 16,22) und die Seele des bußfertigen Schächers neben dem Gekreuzigten, dem Jesus verheißt: »Heute wirst du mit mir im Paradies sein« (Luk. 23,4.3). Dem Heiligtum, so meine ich, entspricht das himmlische Jerusalem (Off. 21), dem Allerheiligsten die Stätte des Thrones Gottes, zu der niemand Zugang hat außer Jesus, unserem ewigen Hohenpriester. Dort ist er zur Rechten des Vaters erhöht und dient am Heiligtum, d.h. tritt ständig vor dem Vater für uns ein (Hebr.8,1 2; Röm. 8,34).

Dreigliederung im Reich der Finsternis

Vom Reich der Finsternis wissen wir bereits, daß Hölle und Totenreich dort zu denken sind. Denn die Bibel bestätigt diese Bezirke als Teil des Unsichtbaren, und da Hölle und Totenreich nicht Licht noch Leben sind, können sie nicht zum Reich des Lichts gehören. Dem entspricht es auch, daß Satan als Nachahmer Gottes (so hat Luther ihn genannt) für das Reich der Finsternis, soweit es ihm zugelassen wird, nachmacht, was Gott für das Reich des Lichts als Ordnung festgesetzt hat. Letzten Endes erfüllt er aber damit nur Gottes Willen, wie er in allem Gottes Werkzeug ist. So dürfen wir vermuten, dag das Totenreich als Vorhof und die Hölle als Unheiliges zum Reich der Finsternis gehören und daß auch ein Allerunheiligstes da sein wird, vielleicht der Abgrund (Off. 9,1 2; 20,1 3) oder der feurige Pfuhl (Off. 20,14 15). Darüber wollen wir nicht weiter nachdenken; wir sollen nicht die >Tiefen des Satans< erforschen wollen (Off. 2,24).

Ich erwähne die Gliederung des Reiches der Finsternis nur, um auf den Unterschied von Totenreich und Hölle hinzuweisen. Der reiche Mann (Luk. 16,23) kam ins Totenreich (griechischer Grundtext: hades), das bereits ein Ort der Qual und der Flammen ist (Luk. 16,23 24). Mit diesem reichen Mann werden die Seelen aller der Sterbenden ins Totenreich kommen, die Jesus nicht als die Seinen anerkennt (vgl. Matth. 7,21 23). Es wird auch eintreten, daß Gott die Seele eines Sterbenden bis in die Hölle verstößt. Davon spricht Jesus z. B. in Mark. 9,43 48, ebenso in Luk. 12,5. An diesen Stellen hat der griechische Grundtext das Wort geenna.

Im übrigen dürfen wir Satan nicht die Ehre antun, ihn etwa als Herrn im Reich der Finsternis zu denken. Herr ist allein der Dreieinige Gott. Er ist Herr über alles Sichtbare und Unsichtbare, entsprechend dem Worte Jesu: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden (Matth. 28,18). Satan ist bestenfalls als Verwalter anzusehen und in jedem Fall an Gottes Weisung gebunden (Hiob 1,12; 2,6). Insbesondere kann Satan niemand in die Hölle verstoßen. Dieses Urteil steht allein Jesus zu, dem Gott das Gericht übergeben hat (Joh. 5,22).

Das zeigt auch ein Wort Jesu an seine Freunde: »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts mehr tun können … Fürchtet euch aber vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, zu werfen in die Hölle« (Luk. 12,4 5). Es ist Gott, der die Menschen sterben läßt (Ps. 90,3), und er ist es, der dem Gestorbenen durch Jesus den Platz im Unsichtbaren zuweist (Matth. 25,34.41.46). Und Jesus, dem der Vater alle Gewalt und das Gericht übergeben hat, hat die Schlüsselgewalt auch über das Totenreich (Off. 1,18), den Vorhof zum Reich der Finsternis, und damit zu diesem Reich als Ganzem. Er ist es, »der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf« (Off. 3,7).

Das biblische Oben und Unten

Zur Gliederung des Unsichtbaren gehört auch eine Angabe, wo in dem uns überall umgebenden Unsichtbaren das Licht und wo die Finsternis gedacht werden darf, genauer: wo die »Grenze« zwischen beiden Reichen, die große Kluft liegt, von der Jesus spricht (Luk. 16,26). Ich will auch dazu einige Hinweise der Bibel auslegen, betone aber, daß es nicht um einer Anschaulichkeit willen geschieht (die gar nicht möglich ist), sondern um deutlich zu machen, daß biblische Ausdrucksweisen auch dann als zuverlässig erkannt werden können, wenn man sie nur vordergründig sieht und als naiv oder falsch hinstellt. Was offenbart ist, ist wahr. Daran haben wir uns zu halten. In meiner Sicht, die ich gleich biblisch begründen werde, gehört das Reich der Finsternis zu dem Teil des Unsichtbaren, der die Erdkugel durchdringt, wobei die niedere Schicht der Erdatmosphäre noch dazu gehört. Darüber   von einem beliebigen Punkt der  Erdoberfläche aus gesehen   dürfen wir uns in allen Richtungen das Reich des Lichtes denken, ohne dag wir die Lage der Grenze zwischen beiden Reichen kennzeichnen können. In dieser Sicht bleibt das biblische »oben« und »unten« in neuem Verständnis voll erhalten.

Diese beiden Begriffe haben relativen Charakter, gelten für uns als Bewohner der Erde und lassen sich von der Erde aus leicht definieren. Die Richtung nach unten ist die mit der Erdanziehungskraft gleich laufende Richtung, die nach oben ist die dazu entgegengesetzte Richtung. Diese Definition ist unabhängig von der Drehung der Erde und ihrer Bewegung im Weltall, als Planet im Sonnensystem am Rande der Milchstraße. Überall von der Erde weg ist »oben«, überall in sie hinein ist »unten«. Denkt man sich diese Definition vom Sichtbaren auf das Unsichtbare übertragen, so macht sie keine Aussage mehr für das uns umgebende Weltall, sondern eine mit Begriffen des Sichtbaren gleichnishaft formulierte Aussage für das Unsichtbare, das Weltall und Erde durchdringt. Von da her ergibt sich ein neues Verständnis für manche als naiv geltende Redeweise der Bibel.
Ich gebe dazu einige Beispiele, die zugleich die von mir gegebene Sicht begründen sollen. Da sind zunächst die Bibelstellen, die von Jesu Aufenthalt im Totenreich sprechen. In Matth. 12,39 40 antwortet Jesus auf die Zeichenforderung der Schriftgelehrten und Pharisäer: »Das böse und abtrünnige Geschlecht sucht ein Zeichen; und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn gleichwie Jona drei Tage und drei Nächte in des Fisches Bauch war, so wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.« Damit hat Jesus nicht ein Liegen im Grabe gemeint, denn dort hat er allenfalls zwei Nächte und einen Tag verbracht. Man hat Jesu Angabe auf seinen Aufenthalt im Totenreich zu beziehen. Das besagt auch Eph. 4,9: »Daß er aber aufgefahren ist, was ist das anderes, als daß er auch hinuntergefahren ist in die untersten Örter der Erde.« Ebenso 1.Petr. 3,19-20: »In demselben (Geist) ist er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis, die vorzeiten nicht glaubten, da Gott harrte und Geduld hatte zu den Zeiten Noahs, da man die Arche zurüstete.« Wenn hier vom »Schoß der Erde« und von den »untersten Örtern der Erde« gesprochen wird, so ist dabei nicht an die physische Erdkugel gedacht. Es wird vom Unsichtbaren geredet, vor allem vom Totenreich als Teil des Reiches der Finsternis; ebenso bei dem »Gefängnis«, in dem die Seelen der in der Sintflut Umgekommenen von Jesus aufgesucht werden. Nach dem Tod am Kreuz war Jesus in allen »Schichten« des Totenreichs und hat sich dort als der Herr erwiesen, über den der Tod keine Macht hat (Röm. 6,9; 2. Tim. 1,10).

Daß auch die untere Erdatmosphäre noch zum Reich der Finsternis gehört, ist mehrfach angedeutet. In Dan. 10,13.20 wird von »Engelfürsten« des Perserreichs und Griechenlands berichtet, die dem Engel widerstanden, der Daniel das ihm offenbarte Gesicht deuten sollte. Aber Engelfürsten über Länder der Erde, die Boten Gottes bekämpfen, können nur dem »Fürsten der Welt« unterstehen, den die Bibel auch als einen »Mächtigen, der in der Luft herrscht« (Eph. 2,2), kennzeichnet. Sie sind als gefallene Engel anzusehen, die mit Satan von Gott abgefallen sind. Auch der Sturz Satans auf die Erde (Hes. 28, 16; Luk. 10,18, Off. 12,9) und sein Wandern über die Erde (Hiob 1,7; 2,2) machen deutlich, daß der Luftbereich über der Erde dem Reich der Finsternis zugehört   nicht die physische Luft oder Atmosphäre, sondern der diese durchdringende Teil des Unsichtbaren!

Kapitel 5: Das Aas und die Geier

Die Menschheit im Bann der Finsternis

Wenn es vom biblischen Befund her zutrifft, daß das Unsichtbare das Sichtbare überall durchdringt, und wenn weiter in diesem Ineinander das Reich der Finsternis unsere Erde und ihren Luftraum erfüllt, so bedeutet das nichts anderes, als daß die Menschheit   trotz aller natürlichen und künstlichen Lichtquellen   im Herrschaftsbereich der Finsternismächte lebt. Sie weiß es nur nicht oder will nichts davon wissen. Jesus aber kam als Licht der Welt in unsere Finsternis, um uns davon zu erlösen. Das bezeugen vor allem die Verheißungen auf das Kommen des Erlösers, die uns zur Advents  und Weihnachtszeit in Erinnerung gerufen werden.

Da heißt es: »Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, da scheint es hell« (Jes. 9,1). »Ich, der Herr, habe dich gerufen … und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, daß du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker« (Jes. 42,6 7). »Denn, siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir« (Jes. 60,2).

Was im Alten Testament verheißen ist, wird im Neuen Testament bestätigt bzw. als erfüllt verkündet. »Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen« (Joh. 1,5). »Das aber ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse« (Joh. 3,19). Und Jesus spricht: »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben« (Joh. 8,  12).

Paulus erhält den Auftrag, »aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, um zu empfangen Vergebung der Sünden« (Apg. 26, 18). Er warnt die Gläubigen: »Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel« (Eph. 6,12) . Er bezeugt aber auch den Sieg Jesu und dankt dafür dem Vater, »der uns errettet hat von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes« (Kol. 1,13). Und Johannes bezeugt: »Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt« (1.Joh. 2,8).

Diese Stellen, die keineswegs von geistiger Finsternis reden, d.h. von mangelhaftem Bildungsstand oder fehlender Aufklärung, machen noch einmal deutlich, wie unanschaulich das Ineinander von Sichtbarem und Unsichtbarem ist. Nicht nur, daß sich diese beiden Wirklichkeiten in paradoxer Weise (ungetrennt und unvermischt) durchdringen, auch im Unsichtbaren für sich ist das Übergangsfeld von der Finsternis zum Licht ein merkwürdiges Ineinander. Wer an Jesus glaubt, ist versetzt aus dem Reich der Finsternis in das Reich des Sohnes, ins Licht, wie Kol. 1,13 bezeugt. Er bleibt aber auf der Erde, ist also noch überall von Finsternis umgeben. Er ist wie ein Licht im Dunkeln, wie Jesus als Licht in die Finsternis gekommen ist. Er ist nicht mehr von der Welt, wie Jesus nicht von der Welt war und ist, wird aber in der Welt belassen, sogar in die Welt gesandt (Joh. 17,15  18). Der Glaubende soll das Licht von Gottes Liebe, Frieden und Freude, das er hat und ist, in sich leuchten lassen und wie mit einem Spiegel die Herrlichkeit Gottes im Dunkel der Welt widerspiegeln, auf daß andere davon erreicht werden können.

Und dennoch bleibt es richtig, daß das Licht keine Gemeinschaft mit der Finsternis hat (2. Kor. 6,14). Auf dieser Grundsituation des an Jesus Glaubenden, daß er aus der Macht der Finsternis errettet und zum Licht geworden ist, aber sich von einem Meer von Finsternis umgeben wissen muß, beruhen alle Anfechtungen. Deshalb haben wir zu kämpfen, nicht mit Fleisch und Blut, und zu laufen mit Geduld der uns verordnet ist (Hebr. 12,1), haben aber zugleich aufzusehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr. 12,2). Nicht aus eigener, nur mit seiner Kraft können wir den Kampf bestehen. Deshalb auch hat Jesus die Gemeinde geschaffen, daß wir Gemeinschaft haben mit Brüdern und Schwestern und seelsorgerliche Hilfe finden bei Ältesten, die in seiner Vollmacht stehen.

Das Vordringen der Finsternis

Die Tatsache, daß die Erde im Machtbereich der Finsternis liegt, hat überall auf der Erde zur Folge, daß die Mächte der Finsternis sich vordrängen. Sie wissen, sie haben nur noch wenig Zeit (Off. 12,12). Die Mächte des Lichts halten sich dagegen zurück. Sie können, ja, sie sollen warten, bis Jesus in Macht und Herrlichkeit erscheint und mit dem Hauch seines Mundes umbringt und mit Feuer verzehrt, was an Widersachern aufgestanden ist (2. Thess, 2,8; Off. 19, 2 1 ; 20,9). Diese Aktivität des Feindes und das Sichzurückhalten der Engel hat Jesus bereits im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen vorausgesagt (Matth. 13,30).

Die Lage der Gemeinde Jesu jetzt kann mit Jesu Gefangennahme in Gethsemane verglichen werden. Damals sagte Jesus zu Petrus, der ihn mit seinem Schwert verteidigen wollte: »Meinst du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte alsbald mehr als zwölf Legionen Engel?«   und zu seinen Häschern: »Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis« (Matth. 26,53; Luk. 22,53). In der Endzeit geht es um die Gefangennahme der Gemeinde als Leib Jesu. Denn vom Antichristen wird vorausgesagt: »Ihm ward gegeben, zu streiten wider die Heiligen und sie zu überwinden« (Off. 13,7). Wir sollen uns nicht aus Eigenem wehren, sondern wachen und beten, daß wir in Jesus bleiben, und mit Paulus wünschen, daß Christus hoch gepriesen werde an unserem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod (Phil. 1,20). Ein Zeichen dafür, wie weit die Mächte der Finsternis ihre bedrohlichen Positionen unter der Menschheit bereits bezogen haben, ist die immer mehr um sich greifende, aus der früheren Heimlichkeit herausgetretene Bewegung des aktiven Okkultismus: der zahlenmäßig ungeheuer angewachsenen Menge der Wahrsager und Zauberer, der Astrologen und Spiritisten, auch derer, die sich als Geistheiler, Magier, Hexer und Hexen, ja sogar als Satanspriester bezeichnen und ihre Dienste und Hilfen anbieten. »Die okkulte Explosion ist ausgebrochen«, schrieb vor einigen Jahren ein amerikanisches Magazin. Und vor kurzem hat Dr. Kurt Hutten* in einem erschütternden Bericht einige Tatbestände darüber zusammengestellt, in welchem Ausmaß okkulte Praktiken angeboten und in Anspruch genommen werden und internationale Vereinigungen, Institute, Kongresse sich damit befassen. Er stellt fest: »Wenn die Schätzungen zutreffen, nach denen ein Drittel der Menschheit die Sterne befragt oder ihren Einfluß auf das Menschenschicksal für möglich hält, dann hat die Astrologie mehr Anhänger und Mitläufer als jede Weltreligion und jede politische Ideologie . . . « »Die Anhängerzahl des Spiritismus wird auf über 100 Millionen geschätzt . . . Der Spiritismus hat Schwerpunkte in England, Nordamerika und Brasilien; er hat eine feste Position im öffentlichen Bewußtsein gewonnen, eigene Organisationen und Kirchen ins Leben gerufen, alte Kulte neu belebt und geprägt. Eine demoskopische Erhebung in der Bundesrepublik 1958 ergab, daß mehr als die Hälfte der Befragten bereit war, an die Realität paranormaler Erscheinungen zu glauben, und ferner, daß diese Bereitschaft sich auf höherer Bildungsstufe nicht etwa verringert, sondern im Gegenteil noch verstärkt.« (K.Hutten, Überweltpropheten und Diesseitigkeitsapostel, in: E. Bauer (Hrsg.),Psi und Psyche, Stuttgart 1974).

Hutten untersucht anschließend die Gründe für einen solchen Einbruch des Okkulten in die moderne Welt. Sein Ergebnis ist, daß der passive Okkultismus, das verzweifelte Suchen und vertrauensvolle Annehmen okkulter Hilfen, nur »aus dem lebensgefährlichen Verlust der großen >vertikalen< Hoffnung zu erklären« ist, der Hoffnung auf des guten Gottes Hilfe in einer überschaubaren Welt. »Dieser vertikalen Hoffnung«, so sagt Hutten mit Recht, »wurde die Daseinsberechtigung völlig entzogen. Sie wurde als rückständig, unwissenschaftlich und zudem noch fortschrittsfeindlich verschrien. In allen vergangenen Epochen hatte sie dem unter Bedrängnissen seiner Zeit stöhnenden Menschen geholfen, durch die Verheißungen von Frieden und Geborgenheit in der oberen Welt seine Tage im >irdischen Jammertal< zu ertragen. Nun wurde sie zum Tode verurteilt.« Wer für die menschlichen Probleme heute Antworten sucht, muß sich wieder der Vertikalen zuwenden. »Das geschah denn auch«, fährt Hutten fort, »vorab in der Jugend. . . . Die Sehnsucht nach der >heilen Welt< wandelte sich in die Sehnsucht nach der >anderen Welt<, in deren Herrlichkeit der Zivilisationsmüde durch Bewußtseinserweiterung, Zen, Transzendentale Meditation, den Trip oder mit Hilfe der Ekstase eintauchen kann. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den Okkultbewegungen. Sie können nicht nur ein farbenfrohes Panorama von der >anderen Welt< vorlegen, sondern zeigen auch Wege, um mit den Mächten dieser Welt in Verbindung zu treten und sich von ihnen begleiten zu lassen. Es ist nicht verwunderlich, daß gerade in den Kreisen der frustrierten Jugend okkulte Lehrelemente und Praktiken in sporadischer oder kompakter Form weite Verbreitung gefunden haben.«

Und die Gemeinde Jesu

Als Gemeinde Jesu müssen wir die Tatsachen, wie sie in dem Bericht von K. Hutten aufgezählt werden, nüchtern zur Kenntnis nehmen. Der Okkultismus als eine Bewegung, die Angebot und Nachfrage von Hilfeleistungen aus einer »anderen Welt« regelt, ist zu einer internationalen Großmacht geworden, wie es schon 1962 einer ihrer Vertreter formulierte. Auf der anderen Seite weiß die Gemeinde Jesu, daß dieser Weg zur »Hilfe aus einer anderen Welt« ein Irrweg ist, der als Ersatz für den rechten Weg   weil der Glaube an den lebendigen Gott verloren ging   gesucht und gegangen wird. Während die meisten Menschen, die sich dem Irrweg verschreiben, meinen, auf diesem Weg zu Gott zu finden, weiß die Gemeinde, daß diese »andere Welt« weithin unter der Herrschaft der Finsternis steht. Denn das Sichvordrängen der Mächte, die sich anbieten und Hilfe versprechen, sei es direkt, sei es über Menschen und Organisationen, ist ein charakteristisches Kennzeichen für den, der da »hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat« (Off. 12,12). Um aber im Einzelfall zu erkennen, ob und wie weit wirklich Finsternismächte am Werke sind, bedarf es der Gabe, die Geister zu unterscheiden (1. Kor. 1,10).

Die Gemeinde Jesu darf weiter wissen, daß auch die explosive ok¬kulte Entwicklung am Plan Gottes mit der Menschheit nichts ändern oder gar hindern kann, ja, daß sie im Grunde in diesen Plan einbeschlossen ist (Röm. 11,32). Er hat den Mächten der Finsternis ihre Stunde gegeben, zugleich aber auch »ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lange ein jedes leben sollte« (Dan. 7, 12). Er läßt das Böse, das der Feind gesät hat, ausreifen bis zur Ernte, dem Ende der Welt. Dann wird »des Menschen Sohn seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alle, die Ärgernis geben und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen« (Matth. 13,41).

Was zur Zeit an Schandbarem, Greuelvollem und Gotteslästerlichem auf der Erde vorgeht, fällt unter das Wort Jesu vom endzeitlichen Geschehen: »Wo das Aas ist, da sammeln sich die Geier« (Math. 24,28). Aber er hat auch verheißen: »Wenn diese Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt« (Matth. 24,22).

Als Glieder der Gemeinde Jesu dürfen wir festhalten: So erschreckend auch die weltweite Verbreitung der Finsternis für viele sein mögen   die okkulte Explosion, der sittliche Abstieg, die politischen und wirtschaftlichen Spannungen, der Terrorismus, die Rohstoffvergeudung, die Umweltverschmutzung und manches andere  , die an Jesus Glaubenden und auf ihn Vertrauenden brauchen sich dadurch in kei¬ner Weise beeindrucken zu lassen. Denn das hieße, Satan Ehre zu geben. Wir brauchen keine Angst zu haben vor dem, was kommen mag, weil es sich um besiegte Feinde handelt, um ein letztes Aufbäumen. Das Wort Jesu gilt: » In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (Joh. 16,33). Wir haben »zu wachen und zu beten, dag wir nicht in Anfechtung fallen« (Mark. 14,38), und auch darum zu beten, daß noch viele Menschen gerettet werden und viele Gläubige bewahrt bleiben, ehe Jesus wiederkommt. Im übrigen haben wir zu laufen in dem Kampf, der uns verordnet ist. Der Sieg Jesu steht fest. Satan ist gerichtet, das Urteil ist gefällt und wird als Vernichtung im Feuersee zu der Stunde vollstreckt werden, die der Vater im Himmel dafür bestimmt hat.

Kapitel 6: Vom Wesen des Bösen

Verdunkelung der Sinne

Ich beginne mit einer Gleichnishandlung Jesu: seinem Wandeln auf dem Meer nach der Speisung der Fünftausend. Er treibt seine Jünger an, daß sie allein mit dem Schiff über das Meer fahren. Dann heißt es (Mark. 6,46ff.): »Und da er sie von sich gelassen hatte, ging er hin auf einen Berg, zu beten. Und am Abend war das Schiff mitten auf dem Meer und er allein auf dem Berg. Und er sah, daß sie Not litten beim Rudern, denn der Wind war ihnen entgegen.« Das damalige Geschehen kann man gleichnishaft für die Gemeinde heute verstehen: Jesus entrückt in den Himmel, die Gemeinde am Abend der Geschichte allein auf dem Meer des Geschehens. Man denke etwa an das Lied: »Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit; das Ziel, das ihm die Richtung weist, ist Gottes Ewigkeit.«
Jesus aber betet; er sieht die Not der Seinen, er weiß um die widrigen Winde. So sorgt er auch heute als der Auferstandene allezeit und überall für die Seinen. »Und um die vierte Nachtwache kam er zu ihnen und wandelte auf dem Meer und wollte an ihnen vorübergehen. Und da sie ihn sahen auf dem Meer wandeln, meinten sie, es wäre ein Gespenst, und schrien; denn sie sahen ihn alle und erschraken.«
Am Ende der Zeit wird Jesus über das aufgewühlte Völkermeer (Kriege, Radikalismus, Revolutionen, Terror, Natur  und Wirtschaftskatastrophen) zu uns kommen. Die Gemeinde aber meint, sie sähe ein Gespenst, etwas Furchterregendes, und schreit und erschrickt! »Aber alsbald redete er mit ihnen und sprach zu ihnen: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht   und trat zu ihnen ins Schiff, und der Wind legte sich.«
Als Gemeinde Jesu dürfen und sollen wir das gesamte Zeitgeschehen, auch mit seinen bedrohlichen und okkulten Äußerungen, in seinem aufgewühlten Zustand wie ein Meer ansehen, über das Jesus wandelt. Ihm kann es nichts anhaben, er hat das alles unter seinen Füßen, insbesondere sollen wir über dem, was uns verzagt und hilflos machen will, die klare Aussicht auf das Kommen Jesu nicht verlieren.
Wir brauchen vor den Mächten und Gewalten nicht zu erschrecken. Denn alles das geschieht ja gerade deshalb, weil Jesus wiederkommt. Es ist ein letztes Aufbäumen Satans mit all seinen finsteren Mächten gegen den Herrn, der ihn überwunden hat. Jesus hat bereits seine Jünger darauf hingewiesen und sagt es dadurch auch uns: »Wenn dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, denn eure Erlösung naht« (Luk. 21,28). Darum wollen wir ihn ganz getrost und mit großer Freude erwarten, kein Gespenst in ihm sehen, sondern auf ihn, unseren getreuen Herrn, schauen   auch wenn er den natürlichen Augen noch nicht sichtbar ist   und nicht (wie der sinkende Petrus) auf das sich vordrängende, bedrohliche Meer von Politik, Wirtschaft, Katastrophen und Okkultem.
Es ist doch erstaunlich, daß die Jünger damals, weil sie so sehr mit sich und ihrer Notlage beschäftigt waren, in dem zu ihnen kommenden Herrn nicht ihren Meister erkannten, sondern ein Gespenst zu sehen meinten! So sehr vermag Satan die Sinne zu verdunkeln, auch unsere. Auch wir stehen in Gefahr, vor all dem bedrückenden, finsteren, gottwidrigen Geschehen um uns herum zu vergessen, daß dies genau so im Plan Gottes mit der Menschheit beschlossen liegt, daß es Gottes, nicht Satans Weg ist und wir bei allem, was geschieht, in Gottes Hand sind, aus der uns niemand herausreißen kann (Joh. 10,29).

Satan als Werkzeug Gottes

In diesem Zusammenhang sei auf ein Wort von Martin Luther hingewiesen, der die Feststellung gewagt hat: Gott ist auch im Teufel gegenwärtig. Der Teufel ist allein Gottes Teufel, sein Werkzeug.
Hinweise darauf, daß und wie Satan von Gott als Werkzeug benutzt wird, geben die drei großen Versuchungsberichte der Bibel: der Sündenfall im Paradies nach der Gehorsamsprobe für Adam und Eva, die Freigabe des frommen Hiob zur Versuchung durch Satan und die Versuchung Jesu vor Beginn seines Wirkens. Weitere Beispiele stehen in 1. Kön. 22,20 22 (Gott schickt einen Lügengeist in falsche Propheten, damit sie den König Ahab betören und so seinen Tod herbeiführen) und in 2. Sam. 24,1 zusammen mit 1. Chron. 21,1 (einmal wird Gott, der Herr, das andere Mal Satan als der angegeben, der David zur Volkszählung reizt). Aber auf jeden Fall darf Satan nur so weit tätig werden, wie Gott es will. Satan und seine Helfer, die Gewaltigen und Dämonen, liegen an Ketten, und wenn die Ketten auch lang sein mögen   Gott hat die Ketten in der Hand und bestimmt den Spielraum für die Mächte der Finsternis.

Gutes und Böses von Gott

Aber wenn es auch schwer fallen mag, wir wollen uns dem herausfordernden Worte Luthers stellen, daß Gott auch im Teufel gegenwärtig sei. Das Wesen des Bösen in seiner Auflehnung gegen Gott und in seiner Abhängigkeit von Gott erschließt sich erst, wenn man bereit ist, auf die doppelte Aussage der Bibel zu hören: Gott ist es, der alles tut. Gutes und Böses kommt von ihm. Gott selbst hat es in seiner Offenbarung an Israel so bezeugt. Darauf weisen schon Mose und Josua als Führer des Volkes in ihren Ermahnungen hin, die sie den Israeliten zum Abschied mitgeben.
Es gilt das eine: »Er ist ein Fels. Seine Werke sind vollkommen; denn alles, was er tut, das ist recht. Treu ist Gott und kein Böses an ihm, gerecht und wahrhaftig ist er« (5. Mo 32,4). Es gilt aber auch das andere: »Ich will alles Unglück über sie häufen, ich will alle meine Pfeile auf sie schießen« (5. Mo. 32,23). Ebenso: »Wie nun all das gute Wort gekommen ist, das der Herr, euer Gott, euch verkündigt hat, so wird der Herr auch über euch kommen lassen all das böse Wort, bis er euch vertilgt hat aus diesem guten Lande, das euch der Herr, euer Gott, gegeben hat« (Jes. 23,15). Weiter heißt es: »Ich bin der Herr, der alles schafft« (Jes. 44,24). »Ich bin der Herr und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der Herr, der dies alles tut« (Jes. 45,6 7). »Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn ängstigte ihn« (1. Sam. 16,14). »Wer darf denn sagen, daß solches geschieht ohne des Herrn Befehl und daß nicht Böses und Gutes kommt aus dem Munde des Allerhöchsten?« (Klag. 3,37 38). »Ist etwa ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?« (Amos 3,6). Und als David vor Absalom flieht und Simei ihm flucht (2. Sam. 16,10), sagt David zu seinen Begleitern: »Laßt ihn fluchen; denn der Herr hat ihm geboten: Fluche David! Wer darf dann sagen: Warum tust du das?«
Alle diese Stellen machen deutlich, daß Gott hinter allem, auch hinter dem, was an Bösem geschieht, steht. Was die Bibel uns damit sagen will, ist außerordentlich wichtig: Der Böse ist keine selbständige Macht neben Gott; er kann nur wirken, wann und was ihm Gott gebietet. »Auf daß du wissest, daß der Herr allein Gott ist und sonst keiner« (5. Mo. 4,35). Gott ist es, der alles wirkt, auch wenn er Satan und seine Dämonen als Werkzeuge benutzt. Und wenn sich diese Werkzeuge aufs heftigste gottwidrig gebärden, so liegt das daran, daß sie lebendige Wesen mit einem bösen Eigenwillen sind. Gott aber hat sie an der Kette und bringt durch das Böse hindurch seinen Willen zum Ziel und zur Vollendung.
Zum besseren Verstehen dieser sehr schwierigen Zusammenhänge bedenke man: Als Menschen haben wir keinen Einblick in Gottes Plan, haben nicht das richtige Wissen um Gut und Böse. Dieses Wissen steht allein Gott zu. Durch den Sündenfall ist eine unvollkommene, verfälschte Kenntnis auf uns gekommen. Deshalb bewerten wir nach recht subjektiven Maßstäben und Vorstellungen, was gut sei und was böse sei. Gott aber bleibt bei seinem allein gültigen Maßstab. Das hindert ihn nicht, Menschen gegenüber von unseren Maßstäben auszugehen oder sich darauf zu beziehen. Was in menschlicher Sicht Unglück, Unheil, Böses ist, kann von Gott her gesehen Mittel der Zucht und des Zurechtbringens sein und damit Gutes bewirken. Wo er einen Bann vollstrecken läßt, wie beim Einzug Israels in das verheißene Land, geht es meistens um ein Gerichtshandeln Gottes.
Er allein hat das Recht, ein Urteil zu sprechen und es zu vollziehen oder vollziehen zu lassen. Gut ist allein das, was dem Willen Gottes entspricht. Böse ist allein das, was dem Willen Gottes entgegensteht. Und da seine Gedanken höher sind als unsere Gedanken, ist es unsere Sache einzusehen, daß wir Gottes Handeln selten verstehen. Er übernimmt und trägt die Verantwortung für alles Geschehen, auch für das, was uns als böse erscheint, weil er uns davor bewahren will, Satan als dem Bösen eine selbständige Macht zuzubilligen. In diesem Sinne sind die Bibelstellen zu verstehen, in denen Gott sich alles Böse zuschreibt.

Komplementarität als Verstehenshilfe

Für eine tiefergehende Durchdringung der Schwierigkeit stelle ich zwei Thesen auf, die sich ergänzen, indem sie sich widersprechen. Damit wende ich einen Gedanken von H. H. Schrey an, das Prinzip der Komplementarität für die Erhellung biblischer Zusammenhänge fruchtbar zu machen.
1. Gott wirkt alles in allem. Er allein ist Gott. Er allein ist Herr. Er ist allmächtig. Neben ihm kann keine andere Macht bestehen.
 Folgerung: Gott wirkt auch in Satan.
2. Es ist eine Macht in der Welt wirksam, die sich unentwegt gegen Gott stellt, sich immer stärker entfaltet und Gott entmachten will. Sie gibt sich als nicht überwunden. Diese Macht ist Satan.
Folgerung: Satan wirkt aus sich selbst.
Zur Begründung von These 1 brauche ich nichts weiter anzuführen. Diese Aussagen über Gott sind jedem Bibelgläubigen zur Genüge bekannt. Die Folgerung daraus ist Luthers Aussage von Satan als Gottes Kettenhund.
Zur Begründung von These 2 verweise ich auf Jesus, der Satan den »Fürsten dieser Welt« nennt (Joh. 12,31; 14,30; 16,11), ferner auf Mark. 4,15 (Satan kommt und nimmt das ausgesäte Wort Gottes weg) und auf Eph. 2,2 (der Mächtige, der in der Luft herrscht; der Geist der sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens), Eph. 6,12 (Mächtige und Gewaltige, die Herren der Welt), Of f. 13,7 (Macht, zu streiten wider die Heiligen und sie zu überwinden). Obige Folgerung ergibt sich daraus leicht; sie ist in gewisser Hinsicht auch von Jesus in Joh. 8,44 ausgesprochen.
Daß beide Thesen notwendig sind, um die schwierige Problematik des Bösen gedanklich zu fassen, zeigt folgende Zusatzüberlegung. Ließe man nur These 1 gelten, so würde das bedeuten, daß Gott das Gute und das Böse in sich vereine. Dem widerspricht die Bibel: »Das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen, daß Gott Licht ist und in ihm ist keine Finsternis« (1. Joh. 1,5).
Wenn jedoch allein These 2 gelten sollte, so liefe das darauf hinaus, daß Gott und Satan rivalisierende Mächte seien. Dem widerspricht die Bibel ebenfalls: »Du aber hast es gesehen (was Gott für dich getan hat), auf daß du wissest, daß der Herr allein Gott ist und sonst keiner« (5. Mos. 4,35). »Gott hat die Reiche und die Gewalten ihrer Macht entkleidet und hat sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus« (Kol. 2,15).
Ähnlich wie die beiden hier gegebenen Thesen formuliert auch Karl Heim. Er sagt: »Gott ist auch im Teufel der Wirksame. Gott hat selbst keine diabolischen Züge. Keine der beiden Aussagen darf zugunsten der anderen an Gewicht verlieren. Unser Denken muß an diesem Punkt eine Notlage durchhalten. Wir fühlen die unergründlichen Tiefen Gottes, aber auch die Tiefen Satans.« So wollen auch wir beide Thesen gelten lassen und die Spannung aushalten, die in ihrem Gegeneinander liegt. Damit gestehen wir im Grunde nur ein, daß Gott unbegreiflich ist (Ps. 147,5; Röm. 11,33). Der Gute und der Böse sind unergründliches Geheimnis für uns, vor dem jedes menschliche Denkvermögen versagt. Gott allein ist gut (Mark. I1018). Er ist darüber anzubeten, seinem Willen gebührt Gehorsam. Satan ist der Böse, der Mörder von Anfang, der Vater der Lüge (Joh. 8,44). Ihm ist zu widerstehen (Jak. 4,7), was nur in der Waffenrüstung Gottes (Eph. 6,14 17) möglich ist.

Missionarische Erfahrung als Verstehenshilfe

Die hier gegebene Deutung des Bösen wird auch von W. Freytag in einer treffenden Formulierung bestätigt. Er kennzeichnet das Wesen des Dämonischen u.a. dahin, daß es aus Gottes Kraft gegen Gott lebt. Seine Erfahrungen aus Missionsgebieten sind so interessant und lehrreich, daß ich sie im Auszug hier anfüge. (W. Freytag, Reden und Aufsätze,  München 1961). Er schreibt:
»Was ist das eigentlich, das Dämonische? Es ist seinem Wesen nach eine übermenschliche Gewalt, die im pervertierten Verhältnis zur Gottheit steht. Es ist ein Wille, aber ein böser, zerstörerischer Wille. Es ist, als ob in allen Religionen dieser Wille als ständige Gefahr nicht nur im Hintergrunde steht, sondern auch Wirklichkeit wird. Man kann dieses Dämonische näher charakterisieren mit vier Aussagen:
1. Es gehört zu seinem Wesen, daß es den Menschen mit Beschlag be¬legt. Wir dürfen an den Religionen das nicht übersehen. Nicht nur die auffälligen Erscheinungen, in denen uns das zu Tage tritt, etwa die Erscheinung von Besessenheit, sprechen davon, sondern auch die Religion an sich belegt den Menschen mit Beschlag, ist eine andere Herrschaft über den Menschen als die Christusherrschaft …
2. Das zweite am Dämonischen ist, daß es den Schein des Guten hat und doch festhält am Bösen. Wir haben in allen Religionen Wahrheiten. In den primitiven Religionen ist vor allem ihr Sprichwortgut voll von moralischer Weisheit, von Wissen um das Gute. Und erst recht na¬türlich in den Hochreligionen gibt es eine Fülle von Aussagen über das, was recht ist und was von jedem menschlichen Gewissen und auch christlichen Gewissen bestätigt werden könnte. Aber es ist merkwürdig, daß dieses Gute, um das man weiß, zu nichts anderem benutzt wird, als daß der Mensch sich selbst bestätigt; ja noch mehr, daß er unter dem Wissen um das Gute sein eigenes Nichttun dieses Guten versteckt . . .
Ich glaube, damit ist es deutlich, was ich meine, nämlich daß in den Religionen immer die Gefahr da ist, daß die Menschen ihr Wissen um das Gute benutzen, um die Unordnung im eigenen Herzen zu verschleiern, um sich selbst zu behaupten, damit sie nicht anders zu werden brauchen. Man redet um so lauter vom Guten, je tiefer man im Schlechten gefangen ist.
3. Das dritte Merkmal am Dämonischen ist, daß es göttliche Trium¬phe feiern kann. Es ist wirklich eine Kraft da. Hier kommen wir auf das Faktum der Zauberei und der Magie. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß die Menschen in Europa und Amerika die Zauberei vielfach für Betrug halten, jedenfalls nicht für eine wirkliche Kraft. Nun, selbstverständlich kann bei der Zauberei viel Betrug sein. Aber schon die einfache Tatsache, die viele Pioniermissionare berichten, daß etwa Zauberer äußerten: »Seitdem die Missionare im Lande sind, hat unsere Zauberei keine Kraft mehr«   diese Tatsache ist vielleicht doch mehr als etwas, was man nur psychologisch erklären kann . . .
Jedenfalls eins ist gewiß: daß eine Kraft da ist und eine Kraft wirkt und eine Kraft Triumphe feiert, die man nicht leugnen sollte. Dies ist ja auch die Erklärung dafür, daß in den Erstlingsgemeinden draußen, in denen es moralisch manchmal nicht so ganz in Ordnung ist, die Sünde des Rückfalls in die Zauberei am ernstesten genommen wird; denn die Christenheit der ersten Generation weiß um die wirkliche Kraft des Dämonischen.
4. Was ist das eigentlich für eine Kraft? Gibt es denn eine Kraft, die als solche nicht in der Hand Gottes ist, nicht von ihm kommt? Mir scheint das Wesen des Dämonischen gerade darin zu liegen, daß es aus Gottes Kraft gegen Gott lebt. Das ist der tiefste Wesenszug des Dämonischen. Es lebt aus Gottes Kraft gegen Gott, wirklich aus Gottes Kraft; denn die Erkenntnis des Guten, mit der der Mensch das Böse deckt, kommt ihm von Gott. Und auch die Magie, ist sie nicht im tiefsten Grunde die gottgegebene Möglichkeit und Fähigkeit des Menschen zu gestalten, zu beherrschen, sich untertan zu machen? Beides wird gebraucht, das Wissen um das Gute und diese Fähigkeit, gebraucht gegen Gott. Und das ist ein sehr menschliches Phänomen; denn es ist ja das Wesen der Sünde diese Sünde, die im Gleichnis vom verlorenen Sohn beschrieben wird mit der Tat des Sohnes, der sich das Erbteil vom Vater geben läßt, um es allein, fern vom Vater, zu verprassen.
Es ist dasselbe Phänomen, das wir in der Seelsorge vor uns haben, wenn vor uns einer sitzt, der wohl seine Sünde erkennt und nicht davon lassen kann   etwa ein verheirateter Mann, der bekennt, daß er mit einem Mädchen eine Beziehung hat, und sagt: »Ich kann sie nicht lassen, denn es ist doch wirklich Liebe.« Dieses Nicht lassen können beruht ja darauf, daß hier eine gottgeschenkte Möglichkeit zwischen zwei Menschen in aller Kraft sich auswirkt, und die Sünde darin, daß diese von Gott geschenkte Kraft gegen Gott gelebt wird. Dieser Wesenszug des Dämonischen sieht fast aus wie eine satanische Inkarnation, wie ein Tat geworden-sein des antichristlichen Willens. Hier versteht man das Wort von 1. Joh. 3,8: »Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre.«
Jeder, der bis hier gefolgt ist, wird unwillkürlich den Gedanken gehabt haben, daß alles das, was wir als den dämonischen Hintergrund der Religionen beschrieben haben, ja auch im Christentum vorhanden ist, zumindest als Bedrohung. Oder stimmt das etwa nicht? Gibt es nicht ein christliches Leben, das uns mit Beschlag belegt gegen Gott? Wir wissen das alle, wie es zum Beispiel im liturgischen Leben möglich ist, daß wir den Ritus miterleben und so stark darin stehen, daß er uns niemals ein Anruf von Gott her werden kann. In einem Christentum zum Beispiel, das das Kirchenjahr feiert, haben wir doch immer die Gefahr, daß wir von Station zu Station mitgehen, ohne sie ernst zu nehmen. Es kommt ja wieder Weihnachten, wieder Ostern, wieder Pfingsten. Und wir bewegen uns in einem Kreislauf, der niemals zur Entscheidung führt. Wir sind mit Beschlag belegt gegen Gott. Und gibt es das nicht auch bei uns, daß wir den Schein des Guten tragen, aber festhalten an der Lüge? Daß wir dann am christlichsten reden, wenn wir am wenigsten christlich handeln? Daß wir uns flüchten in das Wort Gottes, nicht um den Heiligen Geist zu empfangen, sondern um uns der Gnade zu vergewissern ohne Buße? Gibt es das nicht auch bei uns, daß wir aus Gottes Kraft gegen Gott leben? Wenn wir etwa denken an das magische Gebet   gibt es nicht ein Gebet, das um Erhörung bittet und tatsächlich auch erhört wird und das doch eigentlich nichts anderes ist als die magische Handlung des Christen, weil es im innersten gar nicht Gott meint, gar nicht sagt: »Dein Wille geschehe«, sondern: mein Wille geschehe? Hier haben wir in dieser ständigen Bedrohung durch das Dämonische wirklich eine Gemeinsamkeit zwischen dem Christentum und den Religionen, und ganz gewiß keine Überlegenheit des Christentums.
Haben wir das gesehen, dann wird aber auch deutlich, was das Christentum nun von den Religionen unterscheidet. Es ist nicht das, was es sieht, sondern das, was es glaubt und verkündigt. Was kann uns retten vor dieser ständigen Gefahr, daß wir uns beschlagnahmen lassen durch unser Christentum gegen Gott? Daß wir den Schein des Guten annehmen und am Bösen festhalten? Daß wir aus Gottes Kraft gegen Gott leben? Nichts anderes als das, was Gott getan hat und was Er tut; oder noch konkreter: kein anderer als Christus selbst. Nur in Ihm ist diese Gefahr überwunden. Nur Er selbst ist unsere Rettung. Wenn wir Ihn meinen, sind wir bewahrt vor der Liturgie, die uns gegen ihn mit Beschlag belegte. Wenn wir Ihn meinen, dann kommt es zur Buße. Wenn wir Ihn meinen und uns an Ihn halten, dann leben wir aus Seiner Kraft ein neues Leben nach seinem Willen.« – Soweit W. Freytag.
Wie das praktisch vollzogen werden kann, bedarf zuweilen einer tiefergehenden Seelsorge. Darauf gehe ich im letzten Kapitel dieses Buches ein.

Kapitel 7: Die Geister im Unsichtbaren

Gott über allem und allen

Wem der Glaube an den lebendigen Gott geschenkt ist, der hält sich an ihn als den verborgenen, unsichtbaren Gott. Er weiß, »wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen« (2. Kor. 5,7). Aber auch der noch nicht an den Gott der Bibel Glaubende sollte sich von den Worten mahnen lassen (Röm. 1,20): »Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen seit der Schöpfung der Welt und wahrgenommen an seinen Werken, so daß sie (die Menschen) keine Entschuldigung haben.« Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen. Sein Wesen   nicht ihn selbst   kann man in Natur und Geschichte an seinem Wirken wahrnehmen. Dieses merkwürdige, zur Entscheidung herausfordernde Verhalten Gottes, sich so zu offenbaren, daß er dennoch der verborgene bleibt, hat B. Pascal in prachtvoll formulierten Sätzen gekennzeichnet. In seinen Pensées schreibt er:
»Weil so viele Menschen sich Gottes Milde unwürdig machen, hat er sie in der Entbehrung eines Gutes belassen wollen, nach dem sie nicht verlangten. Es war also nicht gerecht, in einer Weise zu erscheinen, die mit ihrer unverhüllten Göttlichkeit unbedingt fähig gewesen wäre, alle Menschen zu überzeugen. Es war aber auch nicht gerecht, auf eine so verborgene Weise zu erscheinen, daß er von denen, die ihn aufrichtig suchten, nicht erkannt werden konnte. Da er also unverhüllt denen erscheinen wollte, die ihn von ganzem Herzen suchen, und da er denen verborgen bleiben wollte, die ihn von ganzem Herzen fliehen, setzt er seine Erkennbarkeit in der Weise herab, daß er Zeichen seiner selbst gibt, sichtbar denen, die ihn suchen, aber nicht sichtbar denen, die ihn nicht suchen. Es gibt Licht genug für die, die nichts anderes wollen als sehen, und es gibt Finsternis genug für die anderen, die nicht sehen wollen.«
Diese Sätze geben einen tiefen Einblick in Gottes Wesen: in seine absolute Souveränität, daß er allein entscheidet, wie und wem er sich offenbaren will; in seine unbedingte Anerkennung des menschlichen freien Willens, daß er sich nicht aufdrängt; in seine wahre Gerechtigkeit, daß er sich dem ihn Suchenden zu erkennen gibt, dem ihn Ablehnenden aber nicht.
Mit dem lebendigen Gott sind aber auch unsichtbar, d.h. für natürliche Sinne nicht wahrnehmbar, alle anderen Mächte der unsichtbaren Welt. Alle anderen sind geschaffen, alle anderen sind dem Dreieinigen Gott untergeordnet. Die Bibel spricht das deutlich aus: »Denn in ihm (in Jesus) ist alles erschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Reiche oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen« (Kol. 1,16).

Viele Arten von Geistern

Das Wort »Geister« verwendet die Bibel als Sammelbezeichnung für alle Wesen des Unsichtbaren, ausgenommen den Dreieinigen Gott, dem alle Geister untergeordnet sind. Die zusammenfassende Bezeichnung erstreckt sich von den »abgeschiedenen Seelen« im Totenreich über die »bösen Geister« und die »unsauberen Geister« bis hin zu den Engeln, die als »dienstbare Geister« vorgestellt werden, und zu den hohen Geistern vor Gottes Thron. Nachfolgend einige Belege aus dem Alten und dem Neuen Testament.
»Der Geist des Herrn aber wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn ängstigte ihn« (1. Sam. 16,14.23). »Und der Herr sprach: Wer will Ahab betören, daß er hinaufzieht und vor Ramoth in Gilead fällt? Und einer sagte dies, der andere das. Da trat ein Geist vor und stellte sich vor den Herrn und sprach: ich will ihn betören. Der Herr sprach zu ihm: Womit? Er sprach: Ich will ausgehen und will ein Lügengeist sein im Munde aller seiner Propheten. Er sprach: Du sollst ihn betören und sollst es ausrichten; gehe aus und tue das!« (1. Kön. 22,20 22). »Zu der Zeit, spricht der Herr Zebaoth, will ich die Namen der Götzen ausrotten aus dem Lande, daß man ihrer nicht mehr gedenken soll; dazu will ich auch die Propheten und allen Geist der Unreinheit aus dem Lande treiben« (Sach. 13,2).
»Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Vollmacht über die unsauberen Geister, daß sie sie austrieben und heilten alle Krankheit und alle Gebrechen« (Matth. 10,1). »Dann geht er (ein böser Geist) hin und nimmt zu sich sieben andere Geister, die ärger sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie allda«, (Matth. 12,45). »Und wenn ihn die unsauberen Geister sahen, fielen sie vor ihm nieder, schrien und sprachen: Du bist Gottes Sohn!« (Mark 3,11). »Doch darüber freuet euch nicht, daß euch die Geister untertan sind. Freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind« (Luk. 10,20). Das Austreiben böser oder unsauberer Geister durch die Apostel wird in Apg. 5,16; 8,7; 16,18 und 19,12 13 bezeugt.

Leiblichkeit und Rangordnung

Die Einheitlichkeit in der Bezeichnung »Geister« besagt aber nur, daß sie als Geschöpfe Gottes, von seinem Wort geschaffen, einerlei pneumatische, geistliche Leiblichkeit haben. Diese ist für uns Menschen auf natürliche Weise unvorstellbar und nicht wahrnehmbar. Doch sagt die einheitliche Bezeichnung nicht aus, daß die Geister einander gleichen. Sie unterscheiden sich sehr nach ihrer Wesensart und ihren Aufträgen, ebenso nach ihrer Rangordnung in der Hierarchie der Geister. Eine solche Rangordnung besteht. Die Bibel spricht von Thronen und Herrschaften, von Mächtigen und Gewaltigen, von guten und von bösen Geistern, ferner von Engeln Gottes und von Engeln des Teufels. Jakob schaut im Traum die Himmelsleiter und sieht, »die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder« (l. Mose 28,12). Auf dem Weg zur Versöhnung mit Esau »begegneten ihm die Engel Gottes« (l. Mo. 32,2). Jesus wird im Gericht verkünden: »Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!« (Matth. 25,41). Und vom Streit im Himmel heißt es: »Michael und seine Engel stritten wider den Drachen. Und der Drache stritt und seine Engel und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel« (Off. 12,7). Des Teufels Engel werden im griechischen Grundtext des Neuen Testaments auch als Dämonen bezeichnet, von Luther mit Teufeln (Mehrzahl) übersetzt, ferner der Teufel als Dämonenfürst (Matth. 12, 24 28, Mark. 3,22).
Es ist müßig und bringt nichts, aus den Angaben der Bibel eine Rangordnung der Geister zu konstruieren. Sie sagt darüber zu wenig, also brauchen wir davon nichts. Es genügt zu wissen, daß gute Geister sind   von den hohen Geistern vor Gottes Thron bis zu den Engeln als Boten Gottes   und daß böse Geister sind   von Satan und seinen Gewaltigen bis zu den abgeschiedenen Seelen im Totenreich. Alle diese Geister haben im Unsichtbaren ihr geistliches Sein, für natürliche Augen und Ohren nicht wahrnehmbar   es sei denn, Gott habe Menschen Augen oder Ohren geöffnet oder Geistern erlaubt zu erscheinen (vgl. 1. Kön. 22, 20 22).

Erscheinen von Geistern

Für ein solches Erscheinen von Wesen, die im Unsichtbaren leben, also für ein »Gesehenwerden« oder »Gehörtwerden«, hat das Neue Testament zwei unterschiedliche Worte. Wenn es sich um Jesus oder um Geister aus dem Reich des Lichts handelt, steht im griechischen Grundtext das Wort horao = sehen oder eine davon abgeleitete Form (das Futur opsomai oder der Aorist Passiv oophthän). Die Wendung »er erschien = er wurde gesehen« (griechisch: oophthä) beschreibt ein Sichtbarwerden, verbunden mit einem echten Hervortreten aus dem Unsichtbaren in das Sichtbare, teils mit einem materiellen, teils mit einem verklärten Leib.
Den Geistern aus dem Reich der Finsternis ist diese Art des Erscheinens offensichtlich nicht gestattet. Ihr »Erscheinen« spielt sich anders ab. Es heißt (2. Kor. 11,13 15): »Denn solche falschen Apostel und arglistigen Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es nichts Großes, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit; deren Ende wird sein nach ihren Werken.«
Das griechische Wort, das hier für »sich verstellen« benutzt wird, heißt metaschematizein = »eine andere Gestalt annehmen, sich mit einem andern identifizieren«. Satan und seinen Engeln, den Dämonen, gelingt das Hervortreten aus dem Unsichtbaren, d.h. die volle Sichtbarmachung nicht. In besonderen Fällen können sie Augen und Ohren von Menschen mit ihrer Existenz »beeindrucken« und so mancherlei Gestalten formen, sowie Worte hervorbringen, bleiben aber im Unsichtbaren. Das liegt in dem Wort »sich verstellen«. Um einen Leib von »Fleisch und Bein« zu haben, müssen sie in Menschen fahren. So fahren Lügengeister in falsche Propheten, so fuhr Satan in Judas, zuvor sogar in Petrus. So sind wir, als wir noch in unseren Sünden waren, »gewandelt nach dem Geist, der zu dieser Zeit sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens« (Eph. 2, 2). So wird Satan seinen letzten Angriff gegen Jesus und seine Gemeinde führen, indem er im Antichristen, im Tier und im falschen Propheten wirkt (Off. 13). Entsprechendes gilt für die Botschaften der Finsternismächte. Sie sind Lüge, aber, da sie stets etwas Wahres enthalten, nicht leicht als Lüge zu erkennen. Denn Satan ist der Vater der Lüge und der Mörder von Anfang (Joh. 8, 44). Mit ausgefeilter List führt er den Kampf gegen die Wahrheit, indem er geschickt Wahres einflicht.

Geisterunterscheidung

Auch unabhängig von einem Erscheinen gibt es Einwirkungen der Geister auf Menschen. Solche Einwirkungen können auf Leib, Seele, Geist des Menschen erfolgen und sogar wahrnehmbar und feststellbar sein. So geschehen auch heute Heilungen und andere Wunder, die auf die Macht Jesu zurückgehen, vermittelt von Menschen, denen er Vollmacht gegeben hat und die in seinem Namen nach biblischer Weisung für »Mühselige und Beladene« fürbittend eintreten. Aber es geschehen auch Heilungen und andere Wunder, die satanischen Ur¬sprungs sind, ebenfalls von Menschen vermittelt. Diese jedoch rufen in irgendeiner Form zu Satan, selbst wenn ihr »Heilen« von Kreuzschlagen und Berufung auf die »drei höchsten Namen« begleitet wird. Beiderlei Einwirkungen sind, auch für Glaubende, nicht unmittelbar zu unterscheiden, zumal die meisten Menschen, die sich mit magischen Praktiken abgeben, völlig davon überzeugt sind, daß die ihnen verliehenen Kräfte göttlichen Ursprungs seien.
Jesus warnt uns davor in seinen endzeitlichen Reden. Er sagt: »Mancher falsche Christus und falsche Propheten werden aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, so daß, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführt würden« (Matth. 24,24). Weiter heißt es: »Denn der Frevler wird auftreten in der Macht des Satans mit allerlei lügenhaften Kräften und Zeichen und Wundern und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben zu ihrer Rettung« (2. Thess. 2,9-10).
Um also jetzt in der Endzeit nicht einer Verführung anheimzufallen, ist es für den Glaubenden außerordentlich wichtig, die Geister unterscheiden zu können. Wie jede Gabe von Gott, kann auch die Gabe der Geisterunterscheidung erbeten werden. Gewährt wird sie aber nicht zu eigenem, sondern zum gemeinem Nutzen (1. Kor, 12, 7).Voraussetzung ist weiter die Liebe zur Wahrheit. Das entspricht der Weisung, an unseren Lenden umgürtet zu sein mit Wahrheit (Eph. 6,14), als dem ersten Stück der Waffenrüstung Gottes, die es dem Feind gegenüber anzulegen gilt. Im übrigen haben wir fest in der Nachfolge Jesu zu stehen.
Im Anschluß an seinen Rat, die Geister zu prüfen, ob sie von Gott sind, gibt Johannes den Hinweis: »Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: ein jeglicher Geist, der da bekennt, daß Jesus Christus ist im Fleisch gekommen, der ist von Gott   und ein jeglicher Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott« (1. Joh 4, 2). Das gilt zunächst von Menschen, die von Jesus zu uns reden, und für ihre Lehre oder Predigt. Es gilt aber auch für Geister, die durch Menschen zu uns reden. In beiden Fällen können wir zurückfragen: »Glaubst du, daß Gott der Allmächtige in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist? Bekennst du Jesus als den Sohn Gottes, wie es die Bibel sagt? Bist du ein Geist von oben oder ein Geist von unten?« Wenn aber Geister, die wir nicht sehen oder hören, auf uns, d.h. auf unsere Gedanken, auf unsere Phantasien, einwirken, so können wir uns an eine Faustregel halten: Geister der Finsternis verbreiten Angst, machen uns hochmütig und selbstbewußt, schmeicheln dem natürlichen Menschen in uns, bestärken uns auf eigenen Wegen, verführen gegen Gottes Gebot. Geister des Lichts flößen Ehrfurcht ein, machen uns demütig, wenden sich an den inwendigen, geistlichen Menschen in uns, wirken Sündenerkenntnis und Buße, fordern zum Gehorsam gegen Gottes Gebot auf.

Kapitel 8: Jesu Kampf und Sieg

Jesu Sterben eine Hingabe

Als Glaubende und als Noch nicht Glaubende dürfen wir wissen, daß Jesus durch sein Leiden und Sterben Hölle, Tod und Teufel überwunden hat. Was aber ist damit gemeint und wie ist es geschehen? Vor allem als Glaubende sollten wir davon Genaueres wissen und bezeugen.
In der Formulierung »Hölle, Tod und Teufel« ist »Hölle, wieder als »Totenreich« zu verstehen. In den entsprechenden Bibelstellen (1. Kor. 15, 55; Off. 1, 18–20;) ist stets vom Totenreich (hades) und Tod (thanatos) die Rede, wenn man den griechischen Grundtext heranzieht. Entsprechend ist mit Hebr. 2.14 und Off. 20,2 zu belegen, daß mit »Teufel (diabolos)« Satan gemeint ist. Der Tod ist, wie die Mächte und Gewaltigen der Finsternis, eine personhafte Macht, die Satan untersteht (Off. 20,13; Hebr. 2,14). Jesus hat als Zeichen des Stärkeren die Schlüssel des Todes zum Totenreich (Off. 1, 18) und wird im Gericht die Vernichtung von Tod, Totenreich und Satan im feurigen Pfuhl herbeiführen (Off. 20, 13 14). Damit wird das Urteil vollstreckt, durch das der Fürst dieser Welt auf Golgatha gerichtet ist (Joh. 12, 31; 16, 11); seine Macht wird dann endgültig ausgeschaltet sein.
Jesu Kommen auf die Erde war gewiß ein Kommen zur Erlösung für viele, aber ebenso gewiß ein Kommen zum Gericht, daß er die Werke des Teufels zerstöre und der Fürst dieser Welt gerichtet werde. Damit das erfüllt werde, sollte er sterben. Von da her ist das Wichtigste am Leben Jesu sein Sterben. Sein Leben mit Lehren und Wirken ist für uns unerläßlich, ist im Grunde aber nur das Vorspiel für seine eigentliche Sendung. Erst sein Tod bringt die Erfüllung seines Lebens, in der Ausdrucksweise der Kirchenväter: mors compendium vitae. Dies zeigt zum einen die dreimalige Leidensankündigung (Matth. 16,21; 17,22 23; 20,18 19), zum anderen Jesu bewußte Hingabe an den Tod. Er fordert Judas auf, ihn auszuliefern (Joh. 13,27). Er gibt sich den Häschern ohne Widerstand in die Hände (Joh. 18, 4 8). Er zwingt durch sein Verhalten Pilatus zum Urteilsspruch (Joh. 19,l0ff). So war der Tod nichts Überraschendes für Jesus, sondern von ihm gewollt und herbeigeführt, wie es im Willen des Vaters vorgesehen war.
Jesus hätte als Gottessohn nicht zu sterben brauchen. Wie Henoch oder Elia hätte er ohne Tod von der Erde hinweggenommen werden können. Denn er hatte Gottes Wohlgefallen (Mark. 1,11). Jesus hätte als Menschensohn nicht so zu sterben brauchen, wie es geschah   am Kreuz, d.h. am Fluchholz, aufgehängt zwischen zwei Mördern, preisgegeben der Verachtung und dem Spott der Menschen. Beides aber, sein Tod und ein solcher Tod, war sein Auftrag, und Jesus gehorchte dem Willen des Vaters. Er war gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz (Phil. 2, 8).

Jesu Sterben ein Kampf

Das Wichtigste am Sterben Jesu ist sein Kampf, der Kampf gegen den Widersacher Gottes. Jesus beschreibt ihn zuvor bildhaft mit den Worten: »Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt das Seine in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und teilt den Raub aus« (Luk. 11, 21  22). Satan ist ein starker Gewappneter. Jesus aber ist stärker und hat ihn überwunden: »Er hat die Reiche und die Gewaltigen ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt« (Kol. 2,15). Das ist am Kreuz von Golgatha geschehen. Zuvor aber tobte ein Kampf, in dem Satan aufs heftigste als Versucher auftrat und Jesus von dem Weg des Gehorsams abzubringen versuchte (Luk. 4,13). Doch war von diesem Kampf im Sichtbaren wenig zu spüren. Er spielte sich in erster Linie im Unsichtbaren ab.
Seinen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung in den letzten Lebensstunden Jesu. Da kam es zu dem schweren Gebetskampf in Gethsemane. Hier spürt man den biblischen Berichten ab, wie betrübt und verzagt Jesus gewesen ist (Mark. 14,33 34; Luk. 22,44). Besonders aufschlußreich ist die Aussage des Hebräerbriefs: »Und er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert dem, der ihn konnte von dem Tode aushelfen; und ist auch erhört, darum daß er Gott in Ehren hielt« (Hebr. 5,7). Satan wußte wie Jesus, daß der Weg ans Kreuz im Willen des Vaters lag. Deshalb wollte er diesen Weg verhindern, indem er seinen Helfer, den Tod, nach Gethsemane zu Jesus schickte, daß er ihn dort umbrächte oder ihm zuflüsterte: Bring dich selbst um, dann entgehst du dem schimpflichen Tod einer Hinrichtung! Jesus aber rang mit dem Tode und blieb gehorsam (Luk. 22,44). Daß es ein Ringen voller Angst war mit der Möglichkeit zu unterliegen, ist in dem Wort Agonia des griechischen Textes enthalten, ebenso in dem immer heftiger werdenden Gebet Jesu. Dies hat der Vater erhört; in Gethsemane mußte der Tod weichen (Hebr. 5,7).
Die Jünger, auf deren Mitbeten Jesus gehofft hatte, haben versagt. Trotz mehrfachen Ermahnens Jesu versanken sie immer wieder in Schlaf (Matth. 26, 40 44; Mark. 14, 37 41; Luk. 22, 45  46). Sie waren besten Willens, aber schwach. Satan war ihnen weit überlegen; er sandte ihnen den Schlaf.
Der Kampf gegen die Widersacher erhielt seine Fortsetzung, als Jesus ans Kreuz geschlagen war. Erst die Vorübergehenden, dann die Hohenpriester samt den Schriftgelehrten und den Ältesten, schließlich die mit ihm gekreuzigten Mörder lästerten, verspotteten und schmähten ihn (Luk. 23,35 39). Auch da war der Versucher am Werk, der schon bei der Versuchung in der Wüste darauf aus war, Jesus zu einem Wunder zu veranlassen, das seine Gottessohnschaft beweisen sollte. In allem aber widerstand Jesus schweigend. Schließlich setzte der massive und brutale Angriff Satans mit all seinen Mächtigen und Gewaltigen ein, der sogar den Menschen, die von ferne standen, erkennbar wurde, ohne daß sie es begriffen haben.

Generalangriff der Finsternis

»Es war schon um die sechste Stunde, und es ward eine Finsternis über das ganze Land bis an die neunte Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Matth. 27,45 46; Mark. 15,33 34). Lu¬kas fügt hinzu: »Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei« (Luk. 23,44). Diese Finsternis (zwischen 12 und 15 Uhr heutiger Tageszeit) war nicht, wie man meinen könnte, eine Sonnenfinsternis. Denn zum einen dauert eine solche nicht drei Stunden, zum andern steht der jüdische Kalender dagegen. Denn eine Sonnenfinsternis kann nur bei Neumond eintreten, wenn der Mond zwischen Sonne und Erde steht, also seine uns zugewandte Seite dunkel ist. Jesus wurde kurz vor dem Passahfest, das auf den 14. Nisan fällt. gekreuzigt. Da die Israeliten ihren Kalender nach einem Mondjahr ausrichteten, beginnt jeder Monat mit dem Neumondstag. Ist aber am 1. eines Monats Neumond, so ist am 14. des Monats Vollmond, dann also eine Sonnenfinsternis unmöglich. Deshalb darf man bei der in den Evangelien angegebenen Finsternis an eine Finsternis übernatürlichen Ursprungs denken. Das wird vom griechischen Grundtext her erhärtet, der für »Finsternis« das Wort skotos benutzt, das gleiche, das bei der Gefangennahme Jesu in Gethsemane verwendet wird, wo Jesus sagt: »Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis« (Luk. 22, 53).
So möchte ich annehmen, daß in jenen drei Stunden die Augen der Dabeistehenden für das Unsichtbare geöffnet wurden und sie in das Reich der Finsternis hineinschauten, um Zeugen zu sein, wie sich das gesamte Heer der Finsternismächte auf Jesus stürzte, ihn bedrängte, quälte und versuchte mit allen Mitteln ihrer List, Bosheit und Brutalität   und das an dem durch körperliche und seelische Schmerzen aller Art geschwächten Leib des Gekreuzigten! Hier hat man Leiden und Versuchtwerden in eins zu sehen, wie es der Hebräerbrief aussagt: »Worin er selber gelitten hat und versucht ist, kann er denen helfen, die versucht werden« (Hebr. 2,18). Ferner: »Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde« (Hebr, 4,15). Im allgemeinen denkt man nur an die körperlichen Leiden Jesu am Kreuz, die überaus schwer waren, Aber sie waren nichts gegen die seelische und geistige Tortur, die Satan Jesus durch Menschen, die spottend vorübergingen, und durch seine dämonischen Heerscharen in jenen drei Stunden der Mittagsglut erleiden ließ. Sein ganzes teuflisches Heer hat er gegen Jesus losgelassen, um ihm noch in den letzten Minuten das Nein gegen Gott zu entreißen. Und es ist ihm nicht gelungen! Jesus war und blieb der Stärkere und hat Satan überwunden.

Jesu Sterben ein Sieg

Und dieser Sieg wurde erkämpft, obwohl Jesus ganz von Gott verlassen war. Er betete offenbar den Psalm 22. Dieser beginnt mit den Worten: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Das sollte allen, die die Schriften kannten und kennen, die Augen dafür öffnen, daß mit dem Geschehen am Kreuz wiederum ein Wort der Prophetie erfüllt ist. Warum aber war Jesus von Gott verlassen? Ich meine, die Antwort ist klar: Weil Gott die Sünden der ganzen Menschheit auf Jesus gelegt und ihn, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht hatte (Joh. 1,29; Jes. 53,5.6.11; 2. Kor. 5,21; 1. Petr. 2,24). Deshalb mußte Gott sich von Jesus zurückziehen, denn die Heiligkeit Gottes verträgt keine Gemeinschaft mit der Sünde (2. Kor. 6,14). In den drei Stunden, in denen Jesus dem konzentrierten Angriff Satans ausgesetzt war, war er wirklich nur Mensch. Die göttliche Natur war ihm genommen.
Nun erst konnte Satan an ihn heran und stieg zu mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen. Gott aber ließ das zu! Denn dadurch widerfuhr dem Versucher die Gerechtigkeit, die ihm gebührte: Er wurde von einem Menschen überwunden, einem Menschen nach Gottes Herzen. Weil Satan im Paradies einen Menschen, der von keiner Sünde wußte, zum Ungehorsam gegen Gott verführt hatte, war es die angemessene, ihn tief demütigende Strafe, daß er von einem Menschen ohne Sünde überwunden wurde, So war es Gottes gerechter Wille, und deshalb mußte Jesus so sterben, wie es auf Golgatha geschah. Zugleich wurde so die Macht der Sünde gebrochen.
Das Wichtigste im Kampfe Jesu war sein Sieg. Er hat gegen Satan gesiegt und damit den Fürsten dieser Welt gerichtet. »Es ist vollbracht!« Dieses königliche Wort Jesu zeigt den Sieg an (Joh. 19,30). Was im einzelnen in diesem Kampf geschah, was überhaupt vor sich ging, verschweigen die Evangelien. Sie berichten nur vom Einbruch der Finsternis und vom Sieg Jesu. Erst später, nach der Auferstehung Jesu, als er seinen Jüngern die Schriften auslegte, ging ihnen Näheres auf. So bezeugen erst die Briefe des Neuen Testaments die Bedeutung des Kreuzes. Auch der Hebräerbrief sagt mehr aus, wie bereits angeführt wurde (Hebr. 2,18; 4,15). Von da her dürfen wir wissen, was Jesus für uns gelitten und auf sich genommen hat. Nicht nur unsere Sünden, auch alle unsere Anfechtungen hat er an sein Kreuz hinaufgetragen und für uns gebüßt!
Wenn wir an seinen Tod denken, wie er es sich bei der Einsetzung des Abendmahls gewünscht hat, sollen wir in Dankbarkeit und Anbetung innewerden: Bei den Angriffen der Finsternismächte in Gethsemane und auf Golgatha hat Jesus alle unsere Anfechtungen zutiefst erfahren, durchlitten und überwunden. Dazu gehören alle Begierden, Leidenschaften, Zweifel; alle Selbstsucht, Eitelkeit, Hoffart; alle Schmerzen, Leiden, Ängste; alle Unterdrückung, Zurücksetzung, Verfolgung; alle Verleumdung, Trübsal, Verzweiflung,¬ aller Stolz, Geiz, Neid; aller Haß, Unfrieden, Mord; alle Ungerechtigkeit, Brutalität, Lästerung; alles gegen Gottes Willen Gerichtete. Und jedes hat Jesus so intensiv erfahren und erlitten, daß wir es jahrelang erleiden müßten, um es nachempfinden zu können. Für einen jeden Menschen hat Jesus das auf sich genommen und damit die Welt und den Feind überwunden. Deshalb vermag er in alledem jedem zu helfen, der sich von ihm helfen lassen will. Und wer als Glaubender in Anfechtung gerät, braucht Jesus nur zu bekennen, worum es geht, und ihn um seinen Beistand zu bitten. Jesus kann jedem, der ernsthaft will, die Kraft zur Überwindung der Anfechtung geben. Wer sich danach ausstreckt, wird erfahren, daß es gilt, was die Bibel sagt: »Das Wort vom Kreuz ist eine Gotteskraft uns, die wir selig werden« (1. Kor. 1,18).

Jesu Sterben eine Notwendigkeit

Wir wollen also festhalten: Das Wichtigste am Leben Jesu ist sein Sterben, das Wichtigste an seinem Sterben ist sein Kampf, das Wichtigste an seinem Kampf ist sein Sieg. In diesem Sinne ist Jesu Tod die Erfüllung seines Lebens, die Vollendung des Auftrags, zu dem ihn der Vater gesandt hatte.
Doch auf welchem Hintergrund spielte sich das alles ab? Warum war es notwendig, daß er ein Leben in Niedrigkeit unter Menschen führte und dann sein Leiden, Sterben und Kämpfen auf sich nahm? Ursache ist das menschliche Verlorensein und der göttliche Wille, jeden Menschen daraus zu erretten. Im Garten Eden war es der erste Adam, der durch seinen Ungehorsam, durch sein Nein zu Gott die Trennung des Menschen von Gott herbeiführte. Diese Sonderung zwischen Mensch und Gott ist die Sünde, in der seitdem alle Menschen leben (Röm. 5,12). Dieses Nein des ersten Adam ist von Menschen her nicht aufgebbar. Nur Gott kann es auslöschen. Daher war ein besonderer Weg zu ersinnen und zu bahnen, den Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit in gleicher Weise gutheißen konnten   ein Weg, auf dem die Errettung der Menschen zu verwirklichen war. Diesen Weg ging Jesus, dieser Weg ist Jesus.
Im Garten Gethsemane hat er als der zweite Adam sein ja zu Gott gesprochen, indem er nach dem Willen Gottes den Weg zum Kreuz und ans Kreuz ging und sich sein ja zu Gott auch nicht unter dem mörderischen Ansturm aller Finsternismächte entreißen ließ. Seitdem gilt, daß eines Menschen Ja zum Ja Jesu für ihn das Nein des ersten Adam aufhebt und in die Gemeinschaft zu Gott zurückführt. Einen anderen Weg zur Versöhnung mit Gott gibt es nicht (Röm. 5,18; 1. Joh. 2,2). Nur das Ja zum Ja Jesu in Gethsemane und am Kreuz, durch seinen siegreichen Kampf und Gehorsam bis zum Tode besiegelt, gibt uns die Rechtfertigung, die vor Gott gilt (Röm. 5, 19).

Kapitel 9: Der Mensch und sein Gewissen

Der Mensch vor dem Sündenfall
Als Gott den Menschen schuf, berief er ihn in seine Gemeinschaft und gab ihm sein Personsein. Das geschah, als Gott seinen Odem dem Menschen in die Nase blies (1. Mo. 2,7). An dieser Stelle übersetzt Luther: So ward der Mensch eine lebendige Seele. Hier beinhaltet der Ausdruck »lebendige Seele« weit mehr, als wir heute unter Seele verstehen, vor allem im Bereich der Psychologie. Der Mensch als »Seele«, wie ihn die Bibel versteht, hat Leben aus Gott, ungetrübte Gemeinschaft mit Gott, Zugang zum Unsichtbaren. Alles dies kommt im Bericht vom Paradies konkret zum Ausdruck. Das Personsein ist Kennzeichen der Ebenbildlichkeit. Wie Gott Person ist, so erhält der Mensch als Gabe von Gott den freien Willen und die Fähigkeit zur eigenen Entscheidung; damit wird er Person. Während alles in der Schöpfung einem deutlichen »du mußt« unterworfen ist (die Erde kann nicht anders als um sich selbst und um die Sonne kreisen, die Sonne kann nicht anders als den Prozeß der Kernfusion vollziehen, das Samenkorn kann nicht anders als keimen und Frucht bringen, das Tier kann nicht anders als seinem Instinkt folgen), ist der Mensch als einziges Geschöpf des Sichtbaren auch zu einem »du sollst«, befähigt. Das ist seine Würde, darin liegt aber auch seine große Verantwortung. Wie die Geschichte der Menschen zeigt, ist Gott mit der Erschaffung dieses Wesens ein großes Risiko eingegangen. Aber er, der allmächtige und weise Gott, war und ist imstande, das Risiko zu tragen.
Wir Heutigen, als Menschen nach dem Sündenfall, können uns nicht vorstellen, was es einmal um die »lebendige Seele« war, die aus Gottes schöpferischem Wort und Geist hervorging. Ich will versuchen, vom jetzigen Zustand her zu verdeutlichen, was bei der Schöpfung des Menschen geschah. Dabei gehe ich vom uns geläufigen Menschenbild aus, nach dem der homo sapiens aus Leib, Seele und Geist besteht. Der Leib als äußere Erscheinungsform und Sitz der Organe, der biologischen Vorgänge und der Kraft, die Seele als Ausdruck der Innerlichkeit, als Sitz der Gefühle und des Empfindens, der Geist als Ausdruck der Persönlichkeit, als Sitz des Verstandes und der Intelligenz bilden zusammen eine Dreiheit und eine Ganzheit, die zusammen und jedes für sich wissenschaftlicher Erforschung zugänglich sind und daher dem Sichtbaren angehören. Das Wort »Seele« hat in diesem Zusammenhang eine wesentlich andere, gegenüber der im Schöpfungsbericht und an anderen Stellen der Bibel eingeschränktere Bedeutung.
In einen solchen, nach Leib, Seele und Geist fertigen homo sapiens blies Gott seinen Odem, seinen Geist, und machte ihn dadurch zum »Menschen« im Vollsinn des Wortes, wie ihn die Bibel als »Menschen nach dem Herzen Gottes« versteht. Ich wage daher die Gleichsetzung: Mensch = homo sapiens + pneuma, um damit deutlich zu machen, daß der Streit zwischen Naturwissenschaft und Theologie hier im Grunde nur dadurch bedingt ist, daß beide die Bezeichnung unterschiedlich verwenden. Die Naturwissenschaft spricht von der Entwicklung zum homo sapiens, die Bibel dagegen von der Erschaffung der »lebendigen Seele« des Menschen vor dem Sündenfall, der durch den Geist Gottes daraus hervorging.

Gottes Geist im Menschen

Die Frage ist nun berechtigt, wo im homo sapiens Gott seinen Geist wohnen ließ. Denn weder der Leib noch die Seele noch der Geist des homo sapiens (des natürlichen Menschen) ist fähig, Gottes Geist aufzunehmen. Wir wissen es zum einen aus der eigenen Erfahrung, aus der Zeit des unerlösten Zustandes, schwer es der Geist Gottes hatte, uns unserer Verlorenheit und Erlösungsbedürftigkeit zu überführen. Zum anderen sagt es die Bibel, etwa mit den Worten: »Ich weiß daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes« (Röm. 7, 18).
»Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, denn es muß geistlich verstanden werden» (1. Kor. 2, 14).
Für die Dreiheit »Leib, Seele, Geist« des gefallenen Menschen hat die Bibel die Bezeichnung »Fleisch« oder »natürliches Wesen«. Wenn auch der Mensch nach dem Sündenfall, biblisch gesehen, nicht wieder mit dem homo sapiens identisch wurde, so doch in der Hinsicht, daß in beiden nicht der Geist Gottes wohnt. Sie unterscheiden sich grundsätzlich und wesentlich durch das Gewissen, von dem gleich die Rede sein soll.
Nach meiner Erkenntnis hat Gott bei der Erschaffung des Menschen dem zu Leib, Seele, Geist und natürlichem Leben voll entwickelten Wesen (dem homo sapiens) ein nicht materielles »Organ« als inneres Zentrum gegeben, das zur Aufnahme des Odems, des Geistes Gottes (des pneuma) bestimmt und fähig war. In dieser Gabe, Geist und Empfangsorgan umfassend, sehe ich den eigentlichen Schöpfungsakt, der den Menschen über alle andere Kreatur im Sichtbaren heraushob. »Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt« (Ps. 8,6).
Dieses allein dem Menschen eigene innere, geistliche Zentrum wird in der Bibel auch »Herz« genannt, muß aber von dem natürlichen Herzmuskel in der Brust des Menschen wohl unterschieden werden. Das »Herz« gehört nicht dem Sichtbaren an, sondern dem Unsichtbaren. Mit diesem Organ hatte der Mensch nicht nur Anteil am Unsichtbaren, sondern konnte in dieser Wirklichkeit leben und sie so wahrnehmen, wie es ihm bei der sichtbaren Wirklichkeit stets möglich war und ist. Dieses geistliche »Organ« machte ihn zur »lebendigen Seele«. Es bildete die Ganzheit des Menschen im Unsichtbaren, wie Leib, Seele, Geist seine Ganzheit im Sichtbaren darstellen. Dennoch war der Mensch nur Einer. Auch im ersten Adam waren   vor dem Sündenfall   Sichtbares und Unsichtbares unvermischt und ungetrennt vorhanden, so daß er frei in beiden Wirklichkeiten sein und leben konnte.

Das Gewissen des gefallenen Menschen

Durch seinen Ungehorsam gegenüber Gottes Gebot verlor der Mensch die ihm gewährte ungetrübte Gemeinschaft mit Gott. Wie ihm zuvor angesagt war, war sogar sein Tod die Folge, d.h. der geistliche Tod: Adam wurde »nackt« (das Unsichtbare wurde ihm ge¬nommen) und noch desselben Tages aus dem Paradies vertrieben. Das geistliche Zentrum in ihm erstarb, verhärtete sich bis auf einen geringen Rest. Physisch lebte er noch lange weiter, aber nur im Sichtbaren und mit dem Fluche Gottes auf seinem Arbeitsgebiet, dem Acker. Der Rest, der von dem »Herzen« in ihm blieb, ist das, was wir heute »Gewissen« nennen, ein Wissen um ein ihn verantwortlich machendes Gebot. Nach wie vor sichert dieser Rest das Personhafte des Menschen (den freien Willen) und bildet   wie ehemals das lebendige »Herz«   die Ganzheit des Menschen (in höchst verkümmerter Form) im Unsichtbaren. Erstorben ist die Fähigkeit, das Unsichtbare wahrzunehmen.
Seitdem hat jeder Mensch, als ein durch die natürliche Geburt von Gott gesondertes, ins Sichtbare gekommenes Wesen in seiner Beziehung zu Gott nur diesen Rest eines einst vollkommenen, infolge des Sündenfalls erstorbenen Organs in sich, das Gewissen. Und seitdem ist dieser Rest gekennzeichnet durch sein Gespaltensein. Von der ursprünglichen Vollkommenheit her besitzt das Gewissen noch die absolute Funktion des Urteilens, daß es kategorisch und unwiderruflich feststellt, wann und wie sein Träger sich falsch verhalten hat. Aber die Urteilsbildung erfolgt wegen der Sonderung von Gott nicht mehr in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Es besteht vielmehr eine mehr oder weniger starke Abweichung davon. Denn das Gewissen des gefallenen Menschen hält sich an menschliche Entwürfe von Maßstäben und Normen ethischer Art. Es besitzt also eine nur relative Funktion hinsichtlich des »Gesetzbuches« (den Maßstäben und Normen), nach denen das Urteil ergeht.
Wenn es sich um die Frage handelt, wie zuverlässig das Gewissen eines Menschen arbeite, ob insbesondere seine Entscheidungen als »Stimme Gottes« gewertet werden können, dann hat man diese doppelte Funktion des Gewissen zu unterscheiden, Die urteilende Funktion stellt das Gewissen noch in den Bereich des Absoluten, aber die Norm, nach der es urteilt, gehört dem Sichtbaren an und ist weithin menschlich geprägt, unter Umständen von Finsternismächten verdunkelt.

Herzplantation am gefallenen Menschen

Dennoch ist das Gewissen nach wie vor der Ansatzpunkt im Menschen, an dem der Geist Gottes arbeitet. Gott will uns über Unruhe, Angst, Schulderkenntnis, Buße, Vertrauen und Verheißung durch sein Wort und seinen Geist zu Jesus führe. Er stirbt um uns in mannigfacher Weise: »Gib mir, mein Sohn, dein Herz«, (Spr. 23.26), besonders aber mit der Verheißung: »Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleische wegnehmen und euch ein fleischernes (d.h. lebendiges) Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und danach tun« (Hes. 36,26 27).
Mit dieser Verheißung wird die »Herzplantation« angekündigt, die Gott mit jedem Menschen vorhat. Denn »er will, daß allen Menschen geholfen werde und daß sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen« (1. Tim. 2,4). Durch sein Wort weckt er uns das Gewissen, daß es in seinen menschlichen Normen erschüttert wird. Hören wir auf Gottes leises Rufen, gehen auf sein Mahnen ein und kehren uns vertrauensvoll ihm zu, so schenkt er uns den Glauben und mit diesem den Heiligen Geist, der in das erweckte Gewissen einzuziehen beginnt (Eph. 1,1-3). Es ist jedoch in die freie Entscheidung des Menschen gestellt, ob er, wenn er das Rufen Gottes im Wort der Bibel durch eigenes Lesen oder durch Verkündigung oder auch durch Lebensumstände vernimmt, sich Gott zuwendet. Der allmächtige Gott zwingt keinen Menschen, sich zu bekehren; aber das Recht, jedem das Gewissen zu wecken, läßt er sich nicht nehmen.
Ist das unbegreifliche Wunder geschehen, daß sich der Mensch dem Worte Gottes beugt, Gott anerkennt und ihm sich anvertraut, so kann er an Jesus glauben; er ist wiedergeboren (Joh. 3,6  7), deutlicher gesagt: In ihm ist, vom Worte Gottes gezeugt, aus dem verhärteten Herzen, dem gespaltenen Gewissen, ein neues Wesen geboren, der inwendige Mensch. Dieser ist nun sein geheiltes Gewissen, das für seine Urteilsbildung Gottes Wort als Norm wählt, als Richtschnur für sein Leben. Dieser ist seine Ganzheit im Unsichtbaren und hat Lust am Gesetze Gottes, an seinem Wort und Gebot (Röm. 7,22).
Dieser bittet Gott um Kraft, durch seinen Geist stark zu werden (Eph. 3,16) und zu wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus (Eph. 4,15)! Solange wir auf der Erde sind, dürfen wir in diesem Sinne reifen, aber es kommt nicht wieder zu dem ursprünglichen Zustand des Menschen vor dem Sündenfall. Das erfüllt sich für den Glaubenden erst nach diesem Leben (Off. 2,7). Bis dahin wandeln wir im Glauben, nicht im Schauen.

Psychologie und Glaube

Wer über den inwendigen Menschen zu dem lebendigen Gott gefunden hat, weiß: Wir befinden uns äußerlich in einer Welt (im Sichtbaren), in der alles relativ, begrenzt und vergänglich ist, und rühren in unserem Gewissen an eine völlig anders geartete Welt, an ein Reich des Absoluten, des Ewigen, an das Unsichtbare, in dem Gott ist. Aber   so kann man fragen  , ist diese Erfahrung echt? Ist es wirklich etwas Absolutes, dem sich mein Gewissen öffnet? Oder stoße ich nur auf mein eigenes Unbewußtes?
Hier prallen die Erfahrungsbereiche des Glaubens und der psychologischen Erkenntnis hart aufeinander. Wieder ist rational keine Entscheidung möglich. Der psychologisch Interessierte nimmt Regungen des Unbewußten wahr, die die Glaubensentscheidung und Glaubenserfahrungen begleiten, und sieht darin das Ganze des Glaubens. Der Glaubende aber bekennt: Ja, Gott ist, und im Gewissen, das er mir geweckt hat, treffe ich auf ihn, den Absoluten. Mein Glaube ist nicht von mir gewirkt, sondern ist mir geschenkt, ist unbegreifliche Gabe eines Mächtigen, der mich trotz meiner Zweifel angenommen und liebend überwältigt hat.
Nur so entsteht überhaupt Glaube an den lebendigen Gott und an seinen Sohn Jesus Christus. Von einem solchen Glauben her kann dann auch bezeugt werden: Das Wirken Gottes am gefallenen Menschen zeitigt Spuren im Bewußten, mehr noch im Unbewußten des Menschen, die sich etwa als Unruhe, Angst, Einsamkeit, Ungeborgenheit, Verzagtheit, Schuld, Verzweiflung oder Flucht erweisen, aber ebenso als Ruhe, Geborgenheit, Frieden. Diese Spuren lassen sich psychologisch erkennen, nicht aber ihre Ursache   das Verhält¬nis des Menschen zu Gott. Hier stoßen wir wieder auf die Tatsache der Verlorenheit vor Gott, die natürlich nur im Glauben an ihn, von dem der Mensch durch den Sündenfall getrennt ist, erkannt und anerkannt werden kann. Im übrigen zeigt sich auch hier wieder, daß eine Wissenschaft   wie es die Psychologie ist   nur das Sichtbare erforschen, zum Unsichtbaren aber nicht vordringen kann.
Dies gilt für jede der verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen der Psychologie. Auf eine von ihnen möchte ich etwas näher eingehen, da ihr Schöpfer, C. G. Jung, seine psychologischen Erkenntnisse auch theologisch zu begründen bestrebt ist. Dabei stütze ich mich auf Ausführungen von R. Affemann.
In der Lehre von C. G. Jung ist der »Schatten« als Summe der womöglich versteckten unvorteilhaften Eigenschaften und mangelhaft entwickelten Funktionen der Inbegriff von negativen seelischen Inhalten des Menschen. Sünde aber als gestörtes Verhältnis zwischen Mensch und Gott ist ein Faktum außerhalb des Menschen. Der »Schatten« ist nicht radikal böse. Jung führt ihn auf einen Mangel an Bewußtheit zurück; er müßte sich also durch Bewußtwerdung über winden lassen. Die Bibel dagegen weiß von einem absolut Böse und zeigt, daß man das Böse nicht durch Aufhellung des unbewußten Motivs, durch Steigerung der Bewußtheit überwinden kann. R. Affemann betont:
»Auch wenn der Mensch weiß, daß er sündigt, auch wenn er unter seiner Sünde leidet und von ihr frei werden will, so nützt ihm sein ganzes Wissen nichts, der Gott Ratio kann ihn nicht befreien; all seine Erkenntnis ist ohnmächtig.«
Affemann führt weiter aus: »Wenn nun die Frage aufgeworfen wird, wie dieses unbegreifliche, unvorstellbare Intendieren des Menschen, seine Sünde, zustande kommt, so sagt das biblische Zeugnis, er werde dazu versucht von einer persönlichen Macht des Bösen, dem Teufel. Die Verkündigung vom Teufel ist nun die zweite Linie der biblischen Botschaft vom Bösen. Das Christentum projiziert nicht das ganze Böse entweder in den Menschen oder in Gott, nein, der Mensch sündigt und wird von der bösen Macht dazu versucht. Beide aber sind für ihr Tun verantwortlich … Ebenso wie Gottvater und Jesus Christus in der Bibel keine seelischen Wirklichkeiten sind, ebenso ist der Teufel in ihr keine personifizierende Projektion des Schattens. Gerade für den Psy¬chologen, der es ja sehr drastisch und eindrucksvoll erlebt, wie moderne Menschen, die den Teufel in ihrem Bewußtsein für ein Ammenmärchen halten, sich dann aber von ihm besessen, an ihn versklavt fühlen, ihn in ihren Träumen erleben und in Visionen sehen, sollte die rationalistische Kritik an einer persönlichen Macht des Bösen als überholt gelten in der biblischen Verkündigung führt der Teufel ein vom Menschen unabhängiges Dasein.«
Nach Affemann vollzieht sich die eine Sünde des Menschen vor Gott, von der die Rede war, in vielerlei konkreten Gestalten. Des Näheren urteilt er:
»Diese Gestalten sind inner  bzw. zwischenmenschliche Gegebenheiten. Sie sind für den Psychologen beobachtbar und können von ihm gewandelt werden. Die Ursünde kann sich in unethischen wie in ethischen Formen äußern. Die sündige Verfaßtheit der Menschen kann sich in einem Mord ebenso aktualisieren wie im hochethischen Streben des Menschen, so zu sein wie Gott, so barmherzig, so gerecht, so selbstlos wie er. Die Psychologie vermag die finsteren Gestalten gegen helle einzutauschen, die dem Leben des einzelnen und der Gemeinschaft zuträglicher sind. An der Grundintention kann sie aber nach biblischer Lehre nichts ändern . . .
Ähnlich wie in der Bibel kann auch Jung sagen, daß der Schatten   neben der Unbewußtheit   die Bosheit des menschlichen Herzens als Wurzel habe. Wie diese Bosheit nun konkret aussieht, das kann die christliche Verkündigung von Jung lernen. Es ist zwar richtig, daß die Sünde ein Faktum zwischen Mensch und Gott ist, es ist aber ebenso richtig, daß sie in konkreten seelischen Einstellungen in Erscheinung tritt. Über allem Betonen, daß man in der Sünde an Gott schuldig wird, hat man fast aus dem Auge verloren, wie sich gerade diese Sünde mitten im seelischen Leben und im Leben der Gemeinschaft vollzieht und was sie für sie bedeutet … Die christliche Verkündigung aber ist nicht Belehrung, Übermittlung von Ideen, sondern hat die Aufgabe, die letzte Not des Menschen zu beseitigen, und hat dabei an den Zeichen jener Not anzusetzen. Hier aber ist eine christliche Lehre vom Menschen dem Psychologen Jung dafür, daß er konkret gezeigt hat, wie das Böse in der Seele zutage tritt, welche Zerstörungen und Verwüstungen es anrichtet, zu großem Dank verpflichtet.
Auch von seiner Entdeckung, daß vieles an dem Schatten überhaupt nicht böse, sondern nur unentwickelt und verdrängt ist, kann der christliche Glaube lernen. Er wird dadurch aufgefordert, sich zu überprüfen, was alles an der Schöpfung Gottes er als sündig deklariert hat, wieviel gute Gaben Gottes er dämonisiert hat. Durch diese Selbstprüfung wird er erkennen, daß vieles, was er als böse empfand, nicht böse, sondern gut ist und in die Ganzheit der Schöpfung mit hineingehört. Indem aber etwas als böse Verdrängtes als Schöpfung Gottes angenommen wird, geschieht tatsächlich das, was Jung so oft bemerkt: die Wandlung des Schattens.
Festgehalten werden muß jedoch, daß der ganze Schatten auf diese Weise nicht gewandelt werden kann. Die Sünde, welche weitgehend den Kern des Schattens darstellt, ist dem menschlichen Befreiungswerk ent¬zogen. Diese Spannung zwischen Gut und Böse bleibt. Jung hat schon recht, sie ist lebensfeindlich, unerträglich. Der Mensch, der sich ehrlich als böse erlebt und konsequent gilt sein will, wird durch diesen entsetzlichen Zwiespalt in den Tod getrieben   oder zur Erlösung vom Bösen durch das Opfer Christi.«
Diese instruktive Stellungnahme von R. Affemann ergänze ich durch ein Wort eines anderen christlichen Psychotherapeuten, K. Graf von Dürckheim (K. Graf Dürckheim, Durchbruch zum Wesen, Bern Stuttgart-Wien 1972):
»Das tiefste Wesen des Menschen ist gar nichts anderes als seine Weise der Teilhabe an einem überraumzeitlichen Sein, das durch ihn hindurch offenbar werden will . . . Jeder Versuch, die im Gewissen lebendigen Werte dadurch ihrer Würde berauben zu wollen, daß man ihr Dasein auf psychologische oder soziologische Bedingungen zurückführt, muß auf die Dauer ebenso scheitern wie der komische Versuch, das Wesen der Töne zurückzuführen auf Schwingungsfrequenzen . . . Psychologisch oder soziologisch erklärbar ist immer nur der besondere Inhalt eines erlebten Sollens, nie aber das Unbedingte seiner verpflichtenden Kraft und das innere Leuchten, das eine wesenhafte Werterfahrung besitzt. Uns Menschen ist eingeschrieben ein »ordre du coeur«, eine inbildliche Gestalt, die uns als ein Gefüge von Sollungen zu einem ganz bestimmten Leben und zur Verwirklichung eines ganz bestimmten Inbildes anhält. Sein Verwirklichkeitsanspruch besteht ganz unabhängig davon, ob uns das jeweils bequem ist oder nicht, im Augenblick nützlich erscheint oder nicht.«
Der hier von Graf von Dürckheim als »inbildliche Gestalt« bezeichnete »ordre du coeur« ist, biblisch gesehen, nichts anderes als das auf Gott ausgerichtete »Herz«, der inwendige Mensch. Die Teilhabe an einem überraumzeitlichen Sein ist nichts anderes als die Teilhabe am Unsichtbaren.
Beide Stellungnahmen bestätigen, und zwar aufgrund langjähriger Erfahrungen an psychisch labilen, einer Psychotherapie unterzogenen Menschen, daß einerseits die Sünde und der Böse reale Mächte außerhalb des Menschen sind, andererseits das menschliche Gewis¬sen einer überraumzeitlichen Wirklichkeit angehört. Man kann also nur unter Leugnung von gut gesicherter empirischer Erkenntnis behaupten, dag die bösen oder guten Regungen im Menschen allein vom Menschen her als psychologisch bedingte Vorgänge im Innern oder Projektionen nach Augen verstanden werden müßten. Solche Vorstellungen können, im Sinne von Kapitel 1, vor dem Hintergrund der Realität, nur als naiv bezeichnet werden.
Wer Menschen bei der Verwirklichung ihres eigentlichen Mensch¬seins helfen will, wird mit psychologischen, besonders mit tiefenpsychologischen Methoden einiges erreichen. Wem es dabei aber um mehr geht als um eine »Selbstverwirklichung« des Menschen, d.h. um eine Vertiefung und Verinnerlichung der Persönlichkeit, muß den Menschen unter der Einwirkung aus dem Unsichtbaren sehen und ihm gezielt seelsorgerlich beistehen. Und die Seelsorge muß biblisch fundiert sein. Im Anschluß an Kapitel 5, das den Menschen soweit es um sein Sein im Unsichtbaren geht   im Reich der Finsternis und   sofern er ein an Jesus Glaubender ist   als ein Licht in dieser Finsternis gesehen hat, das sich der Finsternis gegenüber behaupten soll, kann man seine Lage jetzt genauer so kennzeichnen: Es ist der persönliche Gott, der den Menschen als Person, als freies Gegenüber will und zu diesem Ziel über das Gewissen des Menschen gerecht und barmherzig die Entfaltung des inwendigen Menschen anstrebt. Und es ist der Teufel, der diese Entfaltung verhindern will und zu diesem Ziel   über das Denken des Menschen   mit Macht und List am natürlichen Menschen arbeitet. Weil der Mensch, nach Gottes Willen, sich dem Handeln Gottes in Freiheit widersetzen kann, hat der Teufel dadurch eine Chance und nutzt sie mit trefflichen Argumenten. Beiderlei Einwirkungen, die von Gott und die vom Teufel ausgehen, kommen aus dem Unsichtbaren und hinterlassen ihre Spuren in Leib, Seele und Geist des Menschen. Diese Spuren können soziologisch und psychologisch beeinflußt werden. Ihre wissenschaftliche Erhellung ist nützlich und hilfreich.

Kapitel 10: Entstehen von okkulter Belastung

Die Wirkungsweise Satans

Die knappe Formulierung am Schluß des vorangehenden Kapitels, Gott arbeite über das (erweckte) Gewissen am inwendigen Menschen, der Teufel über das Denken am natürlichen Wesen des Menschen, muß recht verstanden werden. Sie beschreibt wohl zutreffend die Kampfsituation, in der der Glaubende steht. Paulus gibt eine gute Kennzeichnung davon (Röm. 7,18 20):
»Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht. Denn das Gute, das ich (der inwendige Mensch) will, das tue ich (der natürliche Mensch) nicht; sondern das Böse, das ich (der inwendige Mensch) nicht will, das tue ich (der natürliche Mensch). Wenn ich aber tue, was ich (der inwendige Mensch) nicht will, so tue nicht ich (der inwendige Mensch) es, sondern die Sünde, die in mir wohnt (d.h. mein der Sünde verhaftetes natürliches Wesen).« Um deutlich zu machen, daß Paulus in diesem Abschnitt von Röm. 7 von den beiden Ich’s spricht, die in dem an Jesus Glaubenden aktiv sind, habe ich das »ich« im Zitat jeweils gekennzeichnet.
Doch man könnte die Frage stellen, ob der Teufel wirklich den Menschen über das Denken beeinflußt. Wenn Jesus sagt (Mark. 7,20 21): »Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein; denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken«, so weist er zwar auf die Gedanken hin, die der Böse lenkt, nennt aber als ihren Ursprung das »Herz«. Hier ist jener »Rest« des ursprünglich lebendigen Herzens, das unerweckte Gewissen, gemeint (Kapitel 9).
Nun wissen wir aber, daß das Gewissen des Menschen in seiner relativen Funktion   der Norm, nach der es urteilt   beeinflußbar ist. Das nutzt der Teufel aus, indem er dem menschlichen Denken hohe oder niedrige ethische Normen eingibt, die den Menschen veranlassen sollen, die Notwendigkeit einer Erlösung nicht einzusehen oder einen Weg der Selbsterlösung zu wählen, auf jeden Fall aber den allein richtigen Weg der Erlösung durch das Opfer Jesu auf Golgatha abzulehnen. Der Teufel will nicht gute Menschenschlecht und böse Menschen noch böser machen, sondern sucht den Menschen einzureden, daß sie ohne Jesus frei und gut werden können.
Das »Herz« des Menschen, ob noch steinern und abweisend gegen Gottes Wort oder schon erweckt und dem Geiste Gottes geöffnet, gehört auf jeden Fall dem Unsichtbaren an. Im ersten Fall steht es noch unter der Herrschaft der Sünde, ist verstockt und unbußfertig (Röm. 2,5; 2. Kor. 3,14 15), arg und ungläubig (Hebr. 3,12), unverständig und verfinstert (Röm. 1,21; Eph. 4,18). In solchem Zustand sucht es sich eine eigene Norm. Im zweiten Fall ist es vom Worte Gottes getroffen (Apg. 2,37), hat seine Umkehr zu Gott hin vollzogen (Apg. 16,14), ist errettet von der Macht der Finsternis (Kol. 1,13; Gal. 4,7), hat Lust zum Worte Gottes (Röm. 7,22) und hat damit die rechte Norm gefunden.
Weil im (verhärteten) Herzen des Menschen unter der Einwirkung des Wortes Gottes die Entscheidung für oder gegen den lebendigen Gott und damit für oder gegen Jesus zu treffen ist, aber diese Entscheidung in den freien Willen des Menschen gestellt wird (vgl. Apg. 2,3 ¬mit Apg, 7,54), kommt Satan mit einleuchtenden, vernunftgemäßen, das natürliche Wesen ansprechenden Argumenten, um dadurch den Willen des Menschen, für diesen unmerklich, so zu lenken, daß die Entscheidung für Jesus verhindert oder wenigstens aufgeschoben wird. Herzenshärtigkeit besteht bei denen, die Jesus ablehnen, wie bei denen, die Jesus nachfolgen. Jesus rügt sie bei den einen (Mark. 10,5) wie bei den anderen (Mark. 16,14). Auch wenn das Wort Gottes aufgenommen ist und ein Mensch sich für Jesus entschieden hat, sucht der Teufel durch Anfechtungen und Umstände aller Art Zweifel an Gottes Wort und Ungewißheit im Glaubensleben zu wecken, um den Menschen vom Weg in der Nachfolge abzubringen (Mark. 4,15 19). Deshalb braucht der Gläubige die Ermahnung (Hebr. 12,1): »Lasset uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasset uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist«.

Der Herrschaftsanspruch Satans

Warum und woher Satan die Macht hat oder sich nehmen darf, Menschen an der Entscheidung für Jesus zu hindern oder eine solche sogar rückgängig zu machen, bleibt Geheimnis (vgl. Kapitel 6), wie auch die Bibel alles Nähere um die Person des Bösen verschweigt, d.h. Gott es dem Menschen nicht offenbart hat. Dieses Geheimnis haben wir in Ehrfurcht zu achten, es ist zweifellos nicht gut für uns, darüber Genaueres zu wissen. Was uns aber die Bibel sagt, haben wir zu bedenken und ernst zu nehmen. Wenn Jesus in den Abschiedsreden an seine Jünger Satan den »Fürsten dieser Welt« nennt, so will er darauf hinweisen, daß Satan in irgendeiner Weise ein Herrschaftsrecht über die Welt und damit auch über die Menschen hat. Der gleiche Sachverhalt liegt Jesu Auftrag an Saulus vor Damaskus zugrunde (Apg. 26,18): Er sendet ihn unter die Heiden, »aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott«.
Und später bekennt Paulus (Kol. 1,13 daß Gott »uns errettet hat von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes«.
Der Glaube an Jesus bewirkt also einen Herrschaftswechsel, der dadurch zustande kommt, daß der Stärkere dem starken Gewappneten in seinen Palast eindringt, ihm den Harnisch nimmt (den Herrschaftsanspruch) und das Seine raubt (Luk. 11,21-22). Dies Wort Jesu umreißt gleichnishaft einen ganz entscheidenden Sachverhalt: Bevor wir zu ihm gehören, so daß er uns als die Seinen kennt (Joh. 10,14), befinden wir uns nicht in einem neutralen Niemandsland, sondern sind Satan untertan, gehören zu dessen »Seinen«, und Jesus muß uns ihm erst entreißen! Verständlich, daß Satan dagegen ankämpft und nicht aufgibt, obgleich er weiß, daß Jesus der Stärkere ist, dem der endgültige Sieg gehört (Matth. 12,20; 1. Kor. 15,55; Off. 19,11). Alles Bedrängende und Bedrohende an Manifestationen des Bösen in der Gegenwart (Kapitel 3), alle Verfolgung und Verführung von Gläubigen ist von da her zu verstehen. Der endzeitliche Kampf Satans um seine Herrschaft richtet sich gegen die Gemeinde, den Leib Jesu, und jeder, der zu Jesus gehört, ist bedroht. »Wer sich läßt dünken, daß er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle« (1. Kor. 10,12).
Immer neu versucht Satan, was Jesus gewonnen hat, ihm mit den Mitteln der List, der Lüge, der Heimtücke und der Gewalt wieder abzujagen. Er gebärdet sich wie einer, der ein verbrieftes Recht auf Beherrschung der Menschen hat. Wie Shylock im Kaufmann von Venedig besteht er skrupellos auf seinem »Schein«. Diese Hartnäckigkeit bedarf im Kampf des Gläubigen gegen Bedrohung durch Satan oder die Mächte der Finsternis unter Umständen einer besonderen Seelsorge.

Die biblische Kennzeichnung Satans

Der biblische »Steckbrief« für Satan umfaßt im wesentlichen sechs charakteristische Züge. Er ist der »Fürst dieser Welt« (Joh. 12,31; 14,30; 16,11). Er ist der »Mörder von Anfang« (1. Mo 3,4.19; Joh. 8,44; 10,10). Er ist der »Vater der Lüge« (2.Chron. 18,21; Joh. 8,44; Apg. 5,3; 2. Kor. 11,14; 2. Thess. 2,9). Er ist ein »fried  und ruheloser Geist« (Jes. 48,22; 57,20 21; Luk. 11,24). Er ist ein »unsauberer Geist« (Matth. 10,1; Mark. 1,26; 3,11; 9,25; Luk. 11,24). Er ist der »Feind und Widersacher Gottes« (Matth. 13,25.39; Mark. 8,33; Luk. 10,19; Apg. 13,10; 1. Petr. 5,8).
Weitere Schriftstellen sind als Nachweise möglich; die angegebenen mögen genügen. Viele der genannten Wesenszüge zeigen sich auch in den Geistern, die zum Heer Satans gehören und in der Bibel böse Geister, Engel Satans oder Dämonen genannt werden (Kapitel 7). Sie unterstehen Satan und handeln auf seine Weisung, O. Michel unterscheidet daher im biblischen Befund zunächst Satanisches und Dämonisches. Er sieht im Wesen des Satanischen vor allem Versuchung, Verführung und Anklage, im Wesen des Dämonischen vor allem Übersteigerung, Mißbrauch und Verfall von Begabungen (hierzu wäre auch Krankheit zu rechnen). Er erkennt aber im endzeitlichen Geschehen eine Steigerung und Maßlosigkeit, die Satanisches und Dämonisches zu einer einzigen Macht zusammenwachsen läßt. Damit verschärft sich die Situation zwischen Gott und Mensch.
Wenn Satan sich im Sichtbaren   in, mit und unter den Menschen   auch als der »Diabolos« , der Durcheinanderwerfer, erweist, im Unsichtbaren ist das Reich der Finsternis eine Herrschaft, ein Haushalt des »Bösen« (Mark. 3,24 27) mit einer inneren Gesetzmäßigkeit und Zielsetzung. Die Bilder der Bibel zeigen eine Ordnung an, die nur durch Einbruch und Gewalt aufgelöst werden kann. Ohne diese innere, uns verborgene, aber sich stets enthüllende Ordnung ist das Geheimnis des Bösen nicht zu verstehen.

Der satanische Einfluß

Die für Satan und die Dämonen charakteristischen Wesenszüge finden sich, vereinzelt oder gehäuft, in mannigfacher Ausprägung auch bei Menschen, die unter satanischem Einfluß stehen. Dieser Einfluß umfaßt ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten. Am stärksten zeigt er sich bei Menschen, die sich aus freier Entscheidung durch Wort und Handlung dem Machtbereich des Bösen unterstellen und verpflichten. Daß es das auch in der Gegenwart und in starkem Maße gibt, ist Tatsache (Kapitel 5). Die Worte und Handlungen, so betont O. Michel, erweisen sich als wirksam: »man tritt unter den Zwang des Satanischen und verliert die von Jesus geschenkte Freiheit. Man trennt sich vom Evangelium und hat einen Abscheu vor allem, was konkret, zeitlich und leiblich mit Gott selbst zusammenhängt. Gleichzeitig bindet man sich an Aussichten und Erwartungen im Bereich des Satanischen selbst. Daß in diesem Bereich Machtwirkungen möglich, ja, selbstverständlich sind, muß ausdrücklich zugestanden werden«. Je nach dem Grad der Hingabe und Verpflichtung kommt es zu einem totalen oder weniger starken Einfluß satanischer Mächte, bewußt oder unbewußt, aber in und bei vollem Bewußtsein.
Eine andere Möglichkeit ist die der Besessenheit, die im allgemeinen ohne Wissen und Willen des Betroffenen besteht. Ein oder mehr böse Geister fahren ein, d.h, nehmen vom Unsichtbaren her Besitz vom Geist des Menschen und beherrschen von dort aus sein Denken, Wollen und Handeln. Zeitweise treten Bewußtseinstrübungen, Trancezustände auf. Es kann dazu kommen, daß der ganze Leib erfaßt und mit großer Kraft ausgestattet wird. Die Besessenheit kann ein Zustand von Dauer, aber auch ein Zustand sich wiederholender Phasen sein. Der Betreffende braucht im alltäglichen Leben nichts Auffallendes an sich zu haben, ist aber im Geheimen an okkulten Praktiken beteiligt und hat Weisungen finsterer Mächte auszuführen. Eine schwächere Form ist die der Umsessenheit, bei der der satanische Einfluß noch ungebrochen, aber bereits in bestimmte Schranken gewiesen ist. Die nächst schwächere Form ist die der okkulten Bindung oder Belastung. Sie kann bei Menschen entstehen, die passiv oder geringfügig aktiv an okkulten Praktiken teilhaben oder teilhatten. Auch Verwünschungen anderer, die ihnen schaden wollen, können dazu beitragen. Schließlich können sie auch auf dem Weg einer geistlichen Vererbung von Vorfahren übertragen werden. Wie sie sich auswirken, wird im folgenden noch näher behandelt.
Schließlich besteht noch die ungeheure Vielzahl von Möglichkeiten auf dem Gebiet der Versuchungen und Anfechtungen. Sie gehen letzten Endes ebenfalls von Satan aus und zielen auf Leib, Seele und Geist des Menschen. Hierauf bin ich in meiner Schrift Anfechtungen und ihre Überwindung, Wuppertal 1976, genauer eingegangen.
So gewaltig sich die Macht Satans in all diesen Möglichkeiten sei¬nes Einflusses erweisen kann, es gilt dennoch: Nichts davon kann be¬stehen, sobald es vor Jesus gebracht wird. Satan ist überwunden. Jesus hat ihn im Kampf am Kreuz besiegt (Kapitel 8). Die Macht des Namens Jesu und die Kraft des Blutes Jesu sind stark genug, um jeden noch so gewaltigen Einflug Satans zu brechen. Davon berichtet nicht nur die Bibel, auch Berichte von den Missionsfeldern geben reiches Material über Befreiungen von Zauberern und Besessenen und Vernichtung von Angriffen des Feindes durch die Kraft Jesu.
Entscheidend wichtig ist noch folgender Hinweis. Die hier geschilderten satanischen Einflußerscheinungen können ununterscheidbar ähnlich bei bestimmten geistigen oder seelischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Psychopathien, Psychosen, Neurosen, Depressionen u.a. auftreten. Das liegt an der List und Heimtücke Satans, der sich verbirgt, um umso ungestörter seine verderblichen Ziele verfolgen zu können. Medizinische oder tiefenpsychologische Kriterien zur Unterscheidung gibt es nicht. Das beruht auf der Tatsache, daß Satan in seinem Wirken wissenschaftlich nicht greifbar ist. Für eine zutreffende Diagnose, ob psychische oder dämonische »Erkrankung« vorliegt, bedarf es geistlicher Vollmacht, insbesondere der Gabe der Geisterunterscheidung (1.Kor. 12, 10). Vor allen Dingen muß dringend davor gewarnt werden, daß ein so oder so Erkrankter sich selbst diagnostiziert. Ist eine Diagnose erforderlich und der Erkrankte im Glauben bereit, sich der Kraft Jesu anzuvertrauen, so ist unbedingt ein gläubiger Arzt oder ein erfahrener Seelsorger in Verbindung mit einem dafür offenen Arzt zu konsultieren.

Mögliche Arten okkulter Belastung

In Anlehnung an die sechs Wesenszüge, die die Bibel Satan und seinen Dämonen zuschreibt, zeigen sich entsprechende Eigenschaften und Zustände bei Menschen, die unter einen besonderen Einfluß Satans geraten sind. Da zunächst alle Menschen seiner Herrschaft unterworfen waren, treten diese Zeichen mehr oder weniger bei jedem auf. Ich beschränke mich hier auf okkult Behaftete, betone jedoch, daß die nachstehende systematische Aufzählung erstens nicht so verstanden werden darf, als ob alle Kennzeichen gesammelt auftreten könnten, und zweitens nicht dazu benutzt werden darf, sich selbst ohne Seelsorger einzustufen. Man hat stets die logisch richtige Richtung zu beachten: Wenn jemand okkult belastet ist, kann die eine oder andere der nachstehend aufgezählten Eigenschaften verstärkt auftreten. Nicht aber umgekehrt, als ob einer, bei dem eins dieser Kennzeichen beobachtet wird, deshalb okkult belastet sei! Gläubige, die noch nicht lange im Glauben stehen oder noch nicht genügend im Glauben gefestigt sind, neigen leicht zu dieser falschen Schlußweise.
Ich ordne nach den oben angegebenen sechs Merkmalen.
1. Herrschsucht, Geltungsstreben, Stolz, Hochmut, Ehrgeiz, Ruhmsucht, Rücksichtslosigkeit, Habenwollen, Nichtloslassen, Ansichreißen, Geiz, Neid, Prunksucht, Genußsucht, Menschenvereh¬rung sind Eigenschaften, die dem »Fürsten dieser Welt« entsprechen.
2. Streitsucht, Jähzorn, Haß, Eigensinn, Unversöhnlichkeit, Lieblosigkeit, Brutalität, Bosheit, Richtgeist, üble Nachrede, Rufmord, Sadismus, Selbstbeschädigung, Neigung zu und Vollzug von Selbstmord, Mordgelüste sind Eigenschaften, die dem »Mörder von Anfang« entsprechen. Hinzuzurechnen sind Erlebnisse mit Todesfolge, die einen »überkommen« können, wie Trunksucht, Drogenabhängigkeit, Unglücksfälle, selbstverschuldete schwere Erkrankungen.
3. Lust oder Zwang zum Lügen, Verheimlichen, Heuchelei, Tücke, Täuschung, List, Ausflüchte, Angeben, Verblendung, Selbstgerechtigkeit, Irreführung, Irrlehre, Irrglauben, Mißtrauen, Verschlossenheit sind Eigenschaften, die dem »Vater der Lüge« entsprechen.
4. Friedlosigkeit, innere und äußere Unruhe, Angst, Sorgengeist, Ungeduld, Kritiksucht, Aufregung, Depressionen, Selbstvorwürfe, Minderwertigkeitsgefühle, falscher Eifer, Kompensationsbestreben sind Eigenschaften, die dem »friedlosen Geist« entsprechen.
5. Unkeuschheit, freie Liebe, Ehebruch, Hurerei, Selbstbefleckung, Entblößungssucht, Selbstbefriedigung, Zuchtlosigkeit, Homosexualität, neue Moral, sexuelle Perversionen, dies alles (aktiv oder passiv geübt oder auch nur in Gedanken damit spielend oder Gefallen daran habend) sind Eigenschaften, die dem »unsauberen Geist« entsprechen.
6. Unlust zu Gottes Wort, Meiden von Gottesdienst, von Bibelstunde, Bibellesen, Abendmahl, Gebet, im Gottesdienst Unkonzentriertheit, Nichtzuhörenkönnen, Kirchenschlaf, Kleinglaube, Zweifel, Mangel an Heilsgewißheit, Selbstbestrafen, Nichtvergebenkönnen, Verstockung, Lästergedanken sind Eigenschaften, die dem »Widersacher Gottes« entsprechen.
Diese Kennzeichen sind zur Genüge bekannt. Sie gehören zum natürlichen Wesen des gefallenen Menschen und können sich in Gedanken, in Worten und in Taten äußern. Die Bibel spricht zusammenfassend von einem »fleischlichen« Wesen, da es im Gegensatz zu dem gottgewollten geistlichen Wesen steht, dem Wesen des »inwendigen« Menschen. Auch Menschen, die schon zum Glauben an Jesus gekommen sind und ein Glaubensleben führen wollen, hängt oft noch viel von diesem fleischlichen Wesen an, wie Eierschalen. Paulus schreibt den Korinthern, denen er eineinhalb Jahre lang die volle Botschaft von der Erlösung durch Jesus verkündigt hatte: »Ich, liebe Brüder, konnte auch mit euch nicht reden als mit geistlichen Menschen, sondern als mit fleischlichen, wie mit jungen Kindern in Christus« (1. Kor. 3,1).

Mögliche Ursachen für okkulte Belastung

Um darüber etwas auszusagen, ob die (vorhin als falsch gekennzeichnete) umgekehrte Schlußweise in Ausnahmefällen zulässig ist, d.h. ob aus dem einen oder anderen verstärkt auftretenden Merkmal der Gruppen 1. bis 6. auf eine besondere satanische Beeinflussung, auf eine okkulte Belastung geschlossen werden kann, bedarf es einer sorgfältigen und behutsamen Anamnese. In dieser wäre zu klären, ob und wie weit der Betroffene oder seine Voreltern (sofern er etwas darüber weiß) Verbindung zu einer der nachstehend genannten vier Quellen haben oder gehabt haben. In diesen Quellen können mögliche Ursachen verborgen liegen.
1. Eine erste Quelle sind die ethisch religiösen Geheimbünde wie Freimaurerlogen, Rosenkreuzorden, auch deren Neubildungen wie AMORC (antiquus mysticus ordo rosae crucis), ferner Logen der Weisheit, Geistige Logen u.ä. Sie arbeiten vorwiegend spiritistisch oder medial. 
2. Eine zweite Quelle sind die atheistischen Weltanschauungen wie Kommunismus, Nationalsozialismus, Maoismus u.a. sowie die damit verbundenen Personenkulte. Sie verbieten und verhindern die Anbetung Jesu und des lebendigen Gottes.
3. Eine dritte Quelle ist die weiße Magie, die viel mit »biblischen« und »christlichen« Vokabeln umgeht und »göttliche« Hilfe oder »göttlichen« Frieden zu vermitteln verheißt. Sie rückt Jesus aus dem Zentrum und stellt zusätzliche Forderungen für die Gewinnung des »Heils«. Hierzu gehören Christliche Wissenschaft, Anthroposophie, Heilungsapostel und ihre (oft organisierten) Anhängerscharen, viele Sekten, manche schwarmgeistige Bewegungen, Einheitsreligionen wie die Bahai Religion oder die Vereinigungskirche, die modernen meditativen Bewegungen asiatischen Einflusses u.a. Vorsicht ist aber auch mitunter geboten im Raum der Kirchen, sobald es nicht mehr allein um Jesus, den Auferstandenen und Gekreuzigten, geht, der allein das Heil gewirkt hat, allein der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, dem allein die Ehre gebührt.
4. Eine vierte Quelle ist die schwarze Magie, die direkt zu den Mächten der Finsternis Verbindung aufnimmt und vermittelt. Zu ihren Praktiken gehören Zauberei, Wahrsagen, Pendeln, Besprechen, Bepusten und andere magische Heilungsbräuche, Tischrücken, Glasrücken, Ouija Brett, Spiritismus, Totenbefragen, mediale Betätigung, Horoskope, Himmelsbriefe, Amulette und andere »Schutz« Mittel, Verwünschen, Verfluchen, schwarze Messen u.a. Hinzu kommen die zahllosen »Riten« des Aberglaubens: Daumendrücken, Bleigießen, Hals  und Beinbruch wünschen, mit »Unberufen« an Holz klopfen, Toi toi toi wünschen, Glücks  und Unglückstage, Glücks  und Unglückszeichen, Maskottchen und vieles andere.
Auch für diese Aufzählung gilt, daß sie nur Möglichkeiten, Beispiele, Hinweise und Warnungen gibt. In einem konkreten Fall müssen sie mit einem erfahrenen Seelsorger offen durchgesprochen und im Gebet vor Jesus gebracht werden, ehe das Bestehen einer okkulten Belastung ausgesagt werden darf.
Es ist gleichgültig, ob man die Teilhabe oder das Mitmachen bei den aufgeführten Gruppen und Praktiken ernst nimmt oder nicht, ob man an eine Wirkung glaubt oder nicht, ob man aktiv oder nur passiv daran beteiligt ist oder war. Es widerspricht alles dem eindeutigen Gebot Gottes, und er warnt uns nur zu unserem Besten. Er will nicht, daß wir in Abhängigkeit von der Macht der Finsternis geraten.

Biblische Warnung

Dieses ganze Kapitel orientiert sich an der biblischen Warnung, die Gott durch Mose dem Volke Israel geben ließ (5. Mos. 18,9 15): »Wenn du in das Land kommst, das dir der Herr, dein Gott, geben wird, so sollst du nicht lernen, die Greuel dieser Völker zu tun, daß nicht jemand unter dir gefunden werde, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen läßt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste oder Zauberei treibt oder Bannungen oder Geisterbeschwörungen oder Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt. Denn wer das tut, der ist dem Herrn ein Greuel, und um solcher Greuel willen vertreibt der Herr, dein Gott, die Völker vor dir. Du aber sollst untadelig sein vor dem Herrn, deinem Gott. Denn diese Völker, deren Land du einnehmen wirst, hören auf Zeichendeuter und Wahrsager; dir aber hat der Herr, dein Gott, so etwas verwehrt. Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen.«
Hier wird dem Volk Israel durch Mose eine Warnung des lebendigen Gottes gegeben. Sie sollen sich nicht auf das Brauchtum der Umwelt einlassen. Diese Umwelt wird Gott dereinst um der gottwidrigen Bräuche willen vernichten. Entsprechend gilt heute den Gläubigen die Warnung als dem neuen Gottesvolk, das Gott aus der Knechtschaft unter die Macht der Finsternis und der Sünde herausgeführt hat. Auch wir sollen uns nicht auf die Bräuche und Gepflogenheiten der Welt um uns einlassen, auch wenn sie sich uns geradezu aufdrängen (vgl. Kapitel 5). Wir sollen uns auch nicht durch geschickte Tarnung mit Kreuzschlagen und Anrufen der »drei höchsten Namen« blenden lassen. Es ist Finsternis, auch wenn sie sich verstellt (2. Kor. 11,13 15), und wir sollen uns dieser Welt nicht gleichstellen. Sie vergeht und wird am Ende der Zeit mitsamt der Finsternis von Gott vernichtet werden (Off. 20,12.14.15). Den durch Mose angekündigten Propheten hat er aus dem Volke Israel erweckt: Jesus Christus. An ihn allein sollen wir uns halten. Ihm allein sollen wir gehorchen. Er allein kann uns jederzeit und überall in jeder Lage die Hilfe geben, die wir brauchen.

Kapitel II: Befreiung von okkulter Belastung

Eine notwendige Ordnung

Ist nach sorgfältiger Prüfung und unter Gebet erkannt, daß jemand unter okkulter Belastung steht   wobei auch hier zu empfehlen ist, daß möglichst zwei Seelsorger sich die Gewißheit haben schenken lassen (Matth. 18,19)   so soll im Namen Jesu eine Absage an den Teufel gebetet werden, die mit einer Hingabe an Jesus verbunden ist. Näheres hierzu folgt.
O. Michel schreibt: »Es gehört zur Vollmacht Jesu, zur Kraft seines Namens, satanische Macht zu brechen. Aber auch dies Brechen hat seine Ordnung: das Geheiligtsein des helfenden Zeugen (Joh. 17,17 19) und die Willigkeit, die Hilfe anzunehmen. Entscheidend sind
a) das Bekenntnis der Schuld,
b) die ausdrückliche Buße und Absage,
c) das Anrufen des Namens Jesu.
Das bloße Sichsträuben bzw. Leidtragen, das gewissensmäßig den satanischen Zerstörungsprozeß begleiten kann, genügt nicht zur Brechung von Gewalt. Wer einen Bund mit dem Satanischen geschlossen hat, muß diesen Bund unter Gegenwart von Zeugen absagen.« Ich führe Näheres hierzu aus meiner Sicht aus.

Die Willigkeit des Belasteten

Der die Hilfe braucht, der Belastete, wird sicher wünschen, daß ihm die Last genommen wird. Entscheidend aber ist, ob er sie sich von Je¬sus nehmen lassen will. Das setzt voraus, daß er an Jesus glaubt oder zumindest bereit ist, sich Jesus für sein weiteres Leben anzuvertrauen. Der Absage, die er zu beten hat, muß eine Hingabe an Jesus folgen, und die Hingabe muß aufrichtigen Sinnes geschehen. Solange das nicht voll gesichert ist, darf das Absagegebet nicht angeboten werden. Der Seelsorger muß dem Belasteten deutlich sagen, daß er keine Hilfe geben kann, daß Hilfe nur von Jesus kommen könne. Um diese darf gebetet werden, jedoch nicht so sehr aus selbstsüchtigen Gründen (um Befreiung zu erfahren), sondern in erster Linie dazu, daß Jesu Name verherrlicht wird.

Ist die Willigkeit, sich von Jesus helfen zu lassen, beim Belasteten nicht vorhanden, so kann die Seelsorge nur mit dem Ziel weitergeführt werden, ihn zum Glauben an Jesus zu führen. Bei der Absage geht es ja auch um Sündenerkenntnis, um echte Reue und Buße, um Bekennen von Schuld. Gegebenenfalls sollte sich für den Belasteten ein Gebetskreis bilden, der (ohne ihn selbst) nur für dieses Nahziel betet. Doch müssen die Glieder des Gebetskreises wissen, daß sie sich damit in einen Kampf mit der Finsternis einlassen. Sie sollen daher, ebenso wie der helfende Seelsorger, geheiligte Gläubige sein.

Hat der Seelsorger den festen Eindruck, daß der Belastete sich von Jesus helfen lassen will, aber, eben aufgrund seiner Belastung, das nicht zum Ausdruck bringen kann oder zu bringen wagt, so besteht die Möglichkeit, als erstes die Hingabe an Jesus mit ihm zu beten und erst danach die Absage an den Teufel. Es kann auch sein, daß der Belastete die Worte des Absage¬- und des Hingabegebetes   die ihm vorzusprechen sind   nur schwer, nur zögernd und mit langen Pausen hervorbringt. Dann darf er auf keinen Fall gedrängt werden. Der Seelsorger und anwesende Zeugen müssen in solcher Lage in der Stille Jesus anrufen, daß er dem Belasteten die Kraft und die Fähigkeit zum Gebet   zur Absage und zur Hingabe   schenke.

Das Geheiligtsein der Helfer

Jesus betet für seine Jünger (Joh. 17,17 19): »Vater, heilige du sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.« Dies zeigt den großen Unterschied zwischen Jesus und uns. Er allein kann sich selbst heiligen und hat es getan. Wir dagegen müssen, und zwar durch ihn, geheiligt werden. Was unsere Heiligkeit ausmacht, ist die Wahrheit, das Wort Gottes, d.h. Jesus selber. So wie Jesus ganz mit dem Vater verbunden war, müssen wir ganz mit Jesus ver¬bunden sein, wenn wir wahrhaft für ihn wirken können wollen.

Wahrheit ist auch der Gürtel, der als erstes mit der Waffenrüstung Gottes (Eph. 6,14) angelegt werden soll. Nur im festen Gegründetsein in Jesus, im Worte Gottes haben wir den Schutz gegen den, der der Vater der Lüge ist. Dieser legt es stets darauf an, Jesus die Ehre zu nehmen. Da er an ihn selbst nicht heran kann (Joh. 14,30), tut er es in der Weise, daß er sich an Jesu Jünger hält und diese stolz, eingebildet und selbstbewußt macht   so, als ob sie das Wunder der Befreiung oder Heilung oder Bekehrung vollbracht hätten oder vollbringen könnten. Damit jedoch verlassen sie den Boden der Wahrheit und verlieren ihre Heiligung. Zum festen Gegründetsein der Jünger Jesu in ihrem Herrn gehört die volle Unterordnung: die volle Hingabe, der volle Gehorsam, die volle Liebe, die alles fahren läßt, auf daß nur er, der Herr, verherrlicht, ihm allein die Ehre gegeben wird.
Alles das sind Voraussetzungen, um im Segen für Jesus wirken zu können. Aber erzwungen werden kann besondere Vollmacht nicht. Sie ist nur Gabe und auch nicht Gabe auf Dauer. Sie kann von Jesus gegeben und auch wieder genommen werden. Im allgemeinen führt er Menschen, denen er Befreiung von okkulter Belastung schenken will, zu seiner Zeit einem bevollmächtigten Seelsorger zu. Dieser sollte selbst von okkulter Belastung losgesprochen sein (Matth. 15,14) und durch Geistesleitung erkennen können, daß alles bereit ist (Joh. 16,13).

Voraussetzungen beim Belasteten

Wie schon eingangs bemerkt, ist Glaube an Jesus als den Erlöser und Herrn erforderlich und die Bereitschaft, von ihm her   nicht von einem Menschen   die Hilfe zur Verherrlichung seines Namens anzunehmen. Der Seelsorger muß sich hierüber unter Gebet die geistliche Gewißheit schenken lassen, unter Umständen nach Rücksprache und Gebet mit einem anderen Seelsorger.
Weitere Voraussetzung beim Belasteten ist die Erkenntnis der okkulten Belastung im eigenen Leben wie bei den Vorfahren. Die Erkenntnis wird selten vollständig sein. Es ist wie bei einer Beichte: nur das, was bekannt ist, ist zu bekennen, das aber wahr und vollständig. Ängstlichem Nachforschen soll der Seelsorger wehren. Aber die Erkenntnis muß mit der Einsicht in die eigene Schuld bzw. Schuldverhaftung verbunden, der aufrichtige Wille zur Buße und Beichte vor Jesus vorhanden sein. Die Absage wird im Einverständnis mit dem Belasteten in Gegenwart von Zeugen gebetet.

Die eigentliche Absage und Hingabe

Ist die Beichte erfolgt und ist sich der Seelsorger nach Zuspruch der Vergebung im Namen Jesu gewiß, daß alles für die Absage bereit ist, wiederum: ist er sich darüber auch mit einem Bruder oder einer Schwester einig geworden (Mark. 6,7), so darf die Absage gebetet werden. Ich empfehle, daß alle Anwesenden dazu niederknien zum Zeichen, daß sie sich gemeinsam vor Jesus beugen. Das Gebet gliedert sich in vier Teile:
a) Vorbereitendes Gebet des Seelsorgers zur Reinigung der Anwesenden durch das Blut Jesu und Bitte um den Schutz seiner Engel zur Bewahrung vor dem Bösen.
b) Beten der Absage und der Hingabe durch den Belasteten, wobei der Seelsorger das Gebet in kleinen Abschnitten vorspricht.
c) Lossprechung des Belasteten im Namen Jesu durch den Seelsorger .
d) Dankgebet des Seelsorgers und (nach Vermögen) auch des ehemals Belasteten und nun Befreiten. Gemeinsames Danklied.
Die Gebete zu a) und d) sind freie Gebete des Seelsorgers. Für b) benutze ich folgende Fassung in drei Zielrichtungen (die Schrägstriche zeigen mögliche Unterteilung beim Vorsprechen an):
Herr Jesus Christus, in deinem Namen sage ich mich los / vom Teufel und all seinen Werken und all seinem Wesen. / Nichts mehr soll mich an ihn oder seine Mächte binden. Herr Jesus Christus, in deinem Namen sage ich mich los / von jedem Einfluß der Macht der Finsternis, / der durch meine Eltern und Voreltern auf mich gekommen ist.
Herr Jesus Christus, in deinem Namen sage ich mich los / von allen Dingen des Aberglaubens, / mit denen ich selbst bewußt oder unbewußt zu tun gehabt, / auf die ich selbst bewußt oder unbewußt mein Vertrauen gesetzt habe.
Hier ist im einzelnen zu nennen, was der Betende getan und worauf er sich eingelassen hat, auch was an ihm als Kind geschehen ist. Im übrigen mag auch dies Gebet der Seelsorger in den angegebenen Linien nach eigener Form gestalten. Es geht nicht um eine magische Formel, sondern um ein Beten in Vollmacht.
Hieran schließt sich das Hingabegebet, das ebenfalls vom Seelsorger vorzusprechen ist:
Ich übergebe mich dir, Herr Jesus, als dein Eigentum / für Zeit und Ewigkeit. / Niemand und nichts anderes soll über mich herrschen, / nur du allein. / Hilf mir bitte, daß ich in deinem Licht wandeln kann. Amen.
Auf Absage und Hingabe erfolgt durch den Seelsorger die Lossprechung im Namen Jesu. Sie gehört dazu wie der Zuspruch der Vergebung zu einer Beichte. Ich benutze für c) folgende Fassung:
Herr Jesus Christus, du hast deinen Jüngern Weisung und Vollmacht gegeben: Was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein; was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein. Auf dieses dein Wort hin löse ich jetzt in deinem Namen diesen Bruder … (diese Schwester … ) von allen Bindungen und Belastungen durch die Macht der Finsternis, in denen er (sie) noch gefangen ist. Ich löse ihn (sie) davon und binde alles, womit er (sie) bisher belastet war, in deinem Namen an dein Kreuz, für Zeit und Ewigkeit. Amen.
Im Anschluß an das dann folgende Dankgebet d), das sich etwa an Jesu Zusage ausrichtet »Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei« sollte gemeinsam ein Dank  oder Loblied gesungen werden, z.B.: Daß Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht, sein wird die ganze Welt, oder: Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude.

Sonderfälle

Jesus ist Herr, und wenn er auch seinen Jüngern Weisung und Vollmacht gegeben hat, daß sie für ihn wirken sollen, so kann er doch jede Ordnung durchbrechen, um uns deutlich zu machen, daß keine Ordnung Routine werden darf, sondern immer wieder neu von ihm her mit Leben gefüllt werden muß. Man denke an Jesu Haltung gegen¬über den Pharisäern hinsichtlich des Sabbatgebots (Mark. 2,27 28):
»Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbat willen. So ist des Menschen Sohn ein Herr auch über den Sabbat.«
In diesem Sinne kann es geschehen   und ist nach meiner Erfahrung auch geschehen  , daß Jesus die Befreiung von okkulter Belastung schon nach der Beichte der belastenden Dinge schenkt oder nach der Beichte aufgrund einer vollmächtigen Fürbitte um Befreiung, ohne daß die Absage und Hingabe nach der hier gegebenen Ordnung gebetet zu werden brauchte.
Ist jemand verwünscht oder verflucht worden, so ist dies sowohl in die Absage wie in die Lossprechung ausdrücklich aufzunehmen. Besteht keine Gewißheit darüber, aber eine Vermutung oder Möglichkeit, so ist es demgemäß zu berücksichtigen, etwa in der Form: »Sollte ich verwünscht worden sein oder ein Zauber oder ein Fluch auf mir liegen, so sage ich mich im Namen Jesu davon los. Die Kraft seines Blutes mache Verwünschung, Fluch, Zauber zunichte.« Entsprechendes ist in der Lossprechung zu beten.
Ist jemand geistig unmündig, sei es als Kind (bis etwa zum Eintritt der Pubertät) oder als Pflegefall (im hohen Alter oder als geistig Behinderter) und es besteht eine okkulte Belastung oder kann als höchstwahrscheinlich angenommen werden, so kann eine stellvertretende Absage und Hingabe erfolgen. In dem Gebet zu b ist jeweils hinter sage ich mich los< einzufügen: >stellvertretend für unter Nennung des Namens. Bei der Hingabe bete man:
Ich übergebe dir, Herr Jesus, mein Kind . . . (meine Mutter. . . , mein Patenkind . . . )  als dein Eigentum für Zeit und Ewigkeit. / Niemand und nichts anderes soll über sie (ihn) herrschen, / nur du allein.
Die stellvertretende Absage und Hingabe können Familienglieder vollziehen, die selbst abgesagt haben und losgesprochen sind und möglichst in auf   oder absteigender Linie mit dem Unmündigen verwandt sind, jedenfalls in sehr naher Beziehung zu ihm stehen.

Eigene Erfahrungen

Ich gebe keine Beispiele aus der Seelsorge, weil das Gebeichtete ein für alle Mal im großen Meer der Liebe Gottes versenkt ist. Ich beschränke mich auf meine Person; es geht mir um das Handeln Jesu. Sehr eindrücklich ist mir seine strikte Beachtung des Geheiligtseins des helfenden Zeugen geblieben. Ich hatte zusammen mit einem Bruder in Christus einem kranken Menschen nach Jak. 5,14 die Hände aufgelegt und um Gesundung gebetet, aber die Erhörung wurde nicht geschenkt. Nach einiger Zeit wurde mir bewußt, daß ich eine unvergebene Schuld mit mir herumtrug. Ich bereinigte sie vor Gott und Menschen, etwa drei Monate nach jenem Heilungsgebet. Am gleichen Tage trat die Gesundung ein, wie ich später erfuhr.

Durch recht demütigende Umstände wurde ich selbst zu einem Absagegebet geführt. Nach dem Tode meines Vaters nahmen meine Frau und ich meine damals 86jährige Mutter zu uns. Die Hauptlast der Pflege lag auf meiner Frau. Aber auch mir oblag manches Schwere, vor allem des Nachts, wo eine motorische Unruhe meine Mutter in der Wohnung umhertrieb und stets zu befürchten war, daß sie fortlief, ohne zu wissen, woher und wohin. Eine Cerebralsklerose hatte ihr das Gedächtnis fast ganz genommen. So saß ich nachts Stunden bei ihr, um sie mit Beten und Singen zu beruhigen. Das zermürbt, wenn es über Monate Nacht für Nacht geschieht und dabei die berufliche Tagesarbeit voll durchgestanden werden muß. Obgleich ich schon lange im Glauben stand und oft zu Diensten für Jesus herangezogen wurde, brachte ich bei dieser nervlichen Belastung nicht die notwendige Geduld und Freundlichkeit auf, um immer liebevoll auf meine Mutter einzugehen. Ich begann zu murren und mit ihr zu hadern! Darüber zutiefst erschrocken und unglücklich schrie ich zu Jesus, immer wieder. Und eines Nachts erhörte er mich spontan: Durch einen Telephonanruf von dritter Seite bahnte er mir den Weg zu dem Seelsorger, den ich in meiner Situation brauchte. Bei ihm habe ich gebeichtet und die Absage und die erneute Hingabe gebetet. Meine okkulten Belastungen (Vater war Freimaurer, ich selbst als Soldat und als Beamter unter Hitler auf diesen vereidigt, als Stu¬dent Teilnehmer bei Tischrücken, Telepathie u.a.) hatten mich nicht gehindert, zum Glauben an Jesus zu kommen und für ihn zu wirken. Aber als es zu einer Zerreißprobe kam, zeigte sich mit Ungeduld, Unfreundlichkeit, Lieblosigkeit, häßlichen Gedanken u.a. das alte natürliche Wesen bei mir. Doch Jesus hat mir nicht nur die Gelegenheit gegeben, das zu erkennen und zu bereuen, sondern auch die Möglichkeit, davon frei zu werden.

Bei dem gleichen Seelsorger hatte ich noch an dem Tage meiner eigenen Absage und Hingabe auch eine stellvertretende Absage und Hingabe für meine (bereits wieder unmündige) Mutter gebetet. Und auch sie wurde frei! Ruhig und ungestört verliefen von da an die Nächte. Sie lebte noch viele Jahre bei uns, bis sie mit 94 Jahren heimgehen konnte. Nur die körperliche Pflege war noch zu leisten. Auch dazu gab Jesus Kraft. Meine Frau und ich danken es ihm, daß er uns durch diesen Dienst viel lernen ließ.

Noch einiges Grundsätzliche

Im Anschluß an die beiden letzten Kapitel könnten einige Fragen auftauchen, auf die ich zum Schluß noch eingehen möchte.

1. Soll man überhaupt davon reden, von okkulter Belastung und Absage? Macht man damit nicht unnötig Angst?

Gewiß kann es Angst bereiten, wovon hier die Rede war. Nicht davon reden, hieße aber, vor einer konkreten Bedrohung den Kopf in den Sand stecken. Jesus sagt uns: »In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (Joh. 16,33). Und meine Ausführungen sollen im Grunde nur dieses Wort Jesu bestätigen, daß alle Ängste, die im Zusammenhang mit okkulten Mächten auftauchen könnten, in ihm bereits zur Ruhe gekommen sind.

2. Muß man unbedingt ein Absagegebet beten, wenn ein Verdacht oder eine Möglichkeit von okkulter Belastung besteht?

Nein, keineswegs! Das Beten von Absage und Hingabe ist kein theologisches »superadditum«, das noch zum Glaubensentscheid für Jesus dazukommen müßte, um das ewige Leben zu erhalten. Der Glaube allein genügt. Das sagt uns die Bibel mehr als einmal: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben« (Joh. 3,36). »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen« (Joh. 5,24). » Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben« (Joh. 6,47). »Denn so du mit deinem Munde bekennst Jesus, daß er der Herr sei, und glaubest in deinem Herzen, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet« (Röm. 10,9). Unter den an Jesus Glaubenden waren und werden stets viele sein, die trotz einer möglichen okkulten Belastung allein durch den Glauben und das Wirken Jesu an ihnen von jeder Belastung frei wurden und werden. Man denke an Jesu Wort (Joh. 15,3): »Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe«.

3. Warum dann überhaupt ein Absagegebet?

Die Antwort gibt das Wort Jesu, das ich der Einleitung zugrunde gelegt habe: »Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen« (Joh. 10,10). Was das bedeuten mag, habe ich dort ausgeführt. Es gibt viele Gläubige, die in ihrem Glaubensleben mit wenigem zufrieden sind, wo sie doch Leben und Freiheit in Fülle durch Jesus haben könnten. Und Jesus wiederum sucht Jünger, die er beauftragen und senden kann. Daran liegt es, daß er immer wieder einzelnen nachgeht, sie die Belastung erkennen läßt und einem bevollmächtigten Seelsorger zuführt.

4. Soll man, wenn man bereits abgesagt hat, später aber neue okkulte Umstände aus dem eigenen Leben erfährt (oder aus dem der Vorfahren), noch einmal eine Absage beten?

Nein, keineswegs! Die erste Absage genügt; sie stellt eine Aufkündigung an den alten Herrn dar, den Fürsten der Welt, die   einmal vollzogen   ein für alle Mal gültig ist und bleibt. In sie ist auch das Neue, das man erst hernach erfahren hat, eingeschlossen. Es hieße, den Teufel zu wichtig nehmen und ihm Ehre geben, wollte man sich ihm erneut zuwenden, wenn auch nur mit einer Absage. Erforderlich ist nur die Beichte   das Bekenntnis der neuen Umstände und der Zuspruch der Vergebung – so wie eine neue dankbare Hingabe an Jesus. Im Gegensatz zur Absage kann die Hingabe an Jesus immer wieder gebetet werden. Wie Braut und Bräutigam sich oft ihrer Zuneigung versichern, so darf jedes Glied der Brautgemeinde immer wieder dem Bräutigam seine Liebe bekennen.

5. Gibt es eine biblische Weisung, eine Schriftstelle für ein Absagegebet?

In expliziter Form nicht, wohl aber der Sache nach. Zunächst ist aus der frühen Christenheit bekannt, daß sie bei Gläubiggewordenen, die aus dem Heidentum zu Jesus fanden, im Zusammenhang mit der (Erwachsenen )Taufe geübt wurde. Ich möchte annehmen, daß diese Übung bis in die erste Generation, d.h. bis zu den Aposteln zurückreicht, wie vielleicht aus dem Vorgang in Ephesus zu entnehmen ist (Apg. 19,18-19). Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde eine Form der stellvertretenden Absage auch bei der Kindertaufe vollzogen, indem der Priester oder Pfarrer den Täufling im Namen Jesu durch die Taufe aus dem Machtbereich der Finsternis herauslöste und in das Reich des Sohnes versetzte. Die evangelische Kirche hat seit dem vergangenen Jahrhundert mehr und mehr von dem ersten Akt (der Herauslösung im Namen Jesu) abgesehen, da Existenz und Wirksamkeit von Teufel und Finsternismächten mehr und mehr bezweifelt und schließlich weithin geleugnet wurden.
Die biblische Grundlage für das Absagegebet scheint mir die (in diesem Zusammenhang geistlich zu deutende) Mahnung zu sein (2. Kor. 6, 14 17): »Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen. Denn was hat die Gerechtigkeit zu schaffen mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie stimmt Christus mit Belial? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? … Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret kein Unreines an, so will ich euch annehmen.«

Das »fremde Joch« ist die Herrschaft, die der Fürst der Welt bei den Menschen ausübt. Der Gläubige soll sich davon trennen, wobei – genau wie das »Joch« – Trennung und Absonderung rein geistlich zu verstehen sind. Der Glaube an Jesus ist bereits geschenkt, aber Bindungen an den alten Herrn noch nicht oder nicht vollständig gelöst. Deshalb werden wir als Gläubige aufgefordert, klare Verhältnisse in unserem geistlichen Stande zu schaffen und die Trennung zu vollziehen. Das geschieht durch die Absage an den alten Herrn und die Hingabe an den neuen Herrn.

Die Hervorhebungen habe ich vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Januar 2009


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Der franzö. Protestantismus (Chambon)

Joseph Chambon

Der französische Protestantismus

–  Sein Weg bis zur Französischen Revolution  –


Kapitel I     Vorgeschichte
Kapitel II    Renaissance und Reformation in Frankreich
Kapitel III   Die Reformation in Frankreich
Kapitel IV   Die Gegenreformation in Frankreich
Kapitel V     Zwischenspiel: Heinrich IV.
Kapitel VI  »Es geht eine dunkle Wolk’ herein« (Richelieu-Mazarin)
Kapitel VII  Das Sterben des französischen Protestantismus (Louis XIV.)
Kapitel VIII Das Auferstehen des französischen Protestantismus

KAPITEL I  DIE VORGESCHICHTE

»In der Geschichte findet eine höchst komplizierte Wechselwirkung dreier Prinzipien statt: des Prinzips der Notwendigkeit, des Prinzips der Freiheit und des wandlungskräftigen Prinzips der Gnade.«
Nikolaus Berdjajew, »Der Sinn der Geschichte«, Kap. III.


Kirchengeschichte ist die Geschichte des Handelns Jesu Christi an Seiner Gemeinde und durch sie an der Welt.
Die erste christliche Kirchengeschichte, die Apostelgeschichte, beginnt mit den Worten von Lukas, mit denen er auf sein früher geschriebenes Evangelium zurückweist:
»Die erste Rede habe ich getan, lieber Theophilus, von allem, das Jesus anfing, beides, zu lehren und zu tun.« Seine zweite Rede oder Schrift, die Apostelgeschichte, berichtet somit von dem, was Jesus fortfuhr, zu lehren und zu tun in Seiner Gemeinde und an der Welt. Seither ist geschriebene Kirchengeschichte nie etwas anderes gewesen als das Wagnis einer Darstellung dessen, was Jesus Christus, der Herr, fortfuhr, zu lehren und zu tun in Gemeinde und Menschheit, und ein bußfertiger Bericht über das, was in Seiner Gemeinde Unterlassung, Ungehorsam und Betrüben des Heiligen Geistes war.

Kirchengeschichte ist daher niemals nur etwa eine erhabenste Abteilung der Kulturgeschichte oder eine besondere Erscheinungsform der Völkergeschichte, trotz aller ihrer Beziehung zur Kultur- und Völkergeschichte. Sie zeigt uns immer ein Volk und ein Land einerseits, und ein darüber schwebendes Phänomen, das sich auf dieses Volk und dieses Land herabläßt und Wohnung nimmt, das wie ein Sankt Elmsfeuer über den Masten eines in der Dunkelheit treibenden sturmgepeitschten Schiffes schwebt und sich niederläßt und alles in ein neues und andersartiges Licht taucht.
So das Evangelium, das zu einem bestimmten Volk in einer bestimmten Zeit kommt: übergeartet, mit Licht aus einer anderen Welt, und letztlich in jeder Zeit, in jedem Volk und jedem Land sich selbst gleich bleibend. Wirklich verstanden wird Kirchengeschichte nur als Geschichte des Heiligen Geistes Jesu Christi, welcher heimsucht, wirkt, sich verkörpert, welcher oftmals betrübt und gehindert wird, welcher souverän kommt und geht.

Volk, Land und Zeitspanne sind für die folgenden kirchengeschichtlichen Betrachtungen bestimmt durch das Thema:
»Der Weg des Protestantismus in Frankreich bis zur Französischen Revolution«.
Die ersten Hauptabschnitte umfassen naturgemäß die Ereignisse der Reformation und Gegenreformation in Frankreich, also etwa die Spanne von König Franz I. bis zum Ende der Regierung Heinrichs IV. 1610, einschließlich der Grundlegung der Reformation durch den Humanisten Lefèbvre d’Etaples, der Reformation als Erweckung zunächst lutherischen, dann calvinistischen Gepräges, der ersten Hoch-Zeit des Martyriums, der Religionskriege und einer vorläufigen Synthese in dem Toleranzedikt von Nantes 1598.

Doch bevor wir in diesen ersten großen Hauptteil der französischen Geschichte des Protestantismus eintreten, haben wir uns in die Erinnerung zurückzurufen, dass wir unwillkürlich und immer wieder versucht sein werden, die Ereignisse dieser Zeit in Frankreich von den Gegebenheiten unseres eigenen Wissens von der Reformation, also von der Reformation in Deutschland her zu interpretieren, von den Gegebenheiten aus, die sich in unserem Gedächtnis und in unserer Auffassung über die Reformation im Lande Luthers zunächst vorfinden.

Dieser unserer Einseitigkeit werden wir uns immer bewußt bleiben müssen, wenn wir versuchen, das Wirken Gottes in einem durchaus anders gearteten Land und Volk in seiner Besonderheit zu verstehen. Wir haben uns daran zu erinnern, dass Luthers Botschaft und Werk universellen Charakter trägt, während der für Frankreich aufzuzeigende Weg des Evangeliums national bestimmt, ja eingeengt ist und dementsprechend eigengesetzlich verläuft. Im Lande Luthers sehen wir Fürsten, die sich für das Evangelium erklären und die mit ihrer Bekehrung ihren Untertanen vorangehen. In Frankreich gewahren wir Einzelne, zumeist Kinder des Volkes, die, zum Heilsglauben gekommen, sauerteigartig ihr Land mit dem Evangelium durchsetzen.

Am auffälligsten ist jedoch der Unterschied in der weltanschaulichen Polarität der beiden Entwicklungen in Deutschland und Frankreich. Luthers Aufgabe ist die Auseinandersetzung mit der ihm gegenüberstehenden katholischen Kirche, Lehre und Praxis. Das gilt auch in einem gewissen Sinne für Erasmus und die Humanisten. Das gilt auch für den Reichstag von Worms, der nur scheinbar das weltliche Kaisertum als Gegenspieler zeigt, während es in Wirklichkeit irgendwie getarnter Vertreter Roms ist.

Die Geschichte des Evangeliums in Frankreich zeigt je länger desto mehr eine andere Spannung auf. Bald gibt das Papsttum nur noch die Begleitmelodie zu einem anderen Gegenfaktor, zur Krone. Bald gibt auch die Macht des gallikanischen Bischofstums nur noch die Begleitmelodie eines anderen Gegenfaktors, nämlich des absoluten Königtums, das sich mit der christlichen Offenbarung auf Tod und Leben auseinander setzt, des absoluten Königtums als Sondererscheinung dessen, was das Johannesevangelium »diese Welt« nennt. Jedoch ist im sechzehnten Jahrhundert der Gegensatz »Katholizismus und Theologie der Sorbonne« einerseits und »Protestantismus« andererseits noch vorherrschend. Später, seit Richelieu, wird der Kampf eine endgültige Auseinandersetzung zwischen der Ideologie des Pariser Hofes und dem Evangelium.

Zugleich wird im Folgenden, gemessen an dem uneinheitlichen Bild des deutschen Protestantismus im sechzehnten Jahrhundert, immer wieder das Charakteristikum des Protestantismus in Frankreich ins Auge fallen, welches uns die Geschichte und die Schicksale des Evangeliums dort so erschütternd instruktiv machen. Es ist das die beinahe furchtbare Folgerichtigkeit, mit der im Laufe der Entwicklung beide Kontrahenten, Gott und Satan, Hand Christi und Hand des unerlösten Menschen, ihre Linien bis zum letzten Punkt ausziehen.

Alexandre Vinet sagte einmal, dass ein absolutes Prinzip nie halb befriedigt und nie halb getötet werden kann, und Kierkegaard bemerkte in der Schrift »Die Krankheit zum Tode« vom Gegenstück des Göttlichen, vom Dämonischen, dass es mit seiner letzten Konsequenz, ja mit jedem Seitenblick steht und fällt.
Diese Gedanken, auf unser Thema bezogen, gelten gleichermaßen für den Anspruch des Evangeliums, wie für den Anspruch des totalitären Papsttums, wie auch für den Anspruch des absoluten Königtums in Frankreich in dem System Mazarins, Bossuets und Ludwig XIV. In den letzten Widerstand, den inneren und dann den äußeren, treibt die Krisis die Protestanten hinein:
in den beiden großen Hauptabschnitten der Reformation und Gegenreformation bis zum letzten Bekenntnis und bis zum letzten äußeren Widerstand; in der unerhörten Auseinandersetzung des siebzehnten Jahrhunderts zwischen Evangelium und vergöttlichtem Königtum zum letzten Leiden und bis zur – menschlich geredet – Vernichtung der protestantischen Kirche. Die katholische Kirche stirbt dabei weithin an ihrer Mesalliance mit der Krone und wird durch die Aufklärung als herrschende Weltanschauung ersetzt. Das Königtum stirbt schließlich an seiner titanischen Überhebung und nicht zuletzt an seinen Siegen über die Hugenotten. Der Protestantismus ersteht, durch die Hand des Herrn berührt, im achtzehnten Jahrhundert von seinem Tod zu neuem Leben.

Diese mit Extremen gesättigte Gesamtgeschichte zeigt kaum Synthesen, wie die schweizerische Geschichte die Gottesstadt Genf oder wie die englische Geschichte den kurzlebigen Gottesstaat Cromwells. Die einzige in Frankreich deutlich werdende geschichtliche Vermählung, das Ineinanderfallen von Katholizismus und Staatsgewalt im siebzehnten Jahrhundert, vollzieht sich auf einer, nämlich der Gegenseite der protestantischen Seite der Parteien, und ist im Grunde zufällig.

Der Grund dieser und anderer Eigentümlichkeiten liegt – abgesehen von den einzelnen Entscheidungen des Geschichtsverlaufs – naturgemäß in den anders gearteten Voraussetzungen des französischen Protestantismus. Es ist daher zunächst allgemein zu fragen: Welches sind die zusammenwirkenden Kräfte, aus denen ein Volksbild und dann ein Kirchenbild entsteht?

Die Komponenten zu diesen Resultanten sind die Rasse in ihrer Besonderheit oder Vermischtheit, weiter das Land, die Landschaft, Boden, Klima und Umwelt, und drittens die »aufsummierte Vergangenheit«, die Geschichte: die Schicksalsverbundenheit der Menschen, die Gemeinsamkeit ihrer Kämpfe und Leiden. Dazu treten – erst dadurch wird überhaupt Volksgeschichte und erst recht Kirchengeschichte richtig und lückenlos gesehen – die Anstöße von außen, die nicht ableitbar sind aus Rasse, Boden und gemeinsamer Geschichte, Anstöße wie Invasionen, fremde Kulturen, allgemeine geistige Zeitströmungen, welche in ein Volkstum hereinbranden. Unter ihnen stehen für die Kirchengeschichte an erster Stelle die Anstöße übernatürlicher Art: die Gewalt Christi, das Wort Gottes und die Wirkung des Heiligen Geistes.

Es wird notwendig sein, besonders zu Punkt eins und zwei, Rasse und Land Frankreich, einiges vorauszuschicken, weil die Einzelgänge und Verlagerungen des ungeheuren göttlich-menschlichen Prozesses, den wir Geschichte des französischen Protestantismus nennen, sonst schwer verständlich bleiben in ihren spezifischen Erscheinungsformen: sei es in ihrer jeweiligen Lokalisierung, sei es im Wandern des Evangeliums durch das Land in der Richtung von Norden nach Süden, sei es auch in der ganz eigenartigen Vielgesichtigkeit der jeweiligen Lebensäußerungen.

Es gibt keine französische Rasse und hat es nie gegeben. Es gibt auch, anthropologisch gesehen, keinen französischen Typus. Ein Vergleichen beliebiger Köpfe aus illustrierten Zeitschriften macht das auch dem Außenstehenden ohne weiteres klar. Die Vorgeschichte des Landes erzählt uns von urzeitlichen behauenen Steinen und zeigt uns im Dordogne-Tal geniale Höhlenzeichnungen unbekannter Völkerschaften, ohne dass Frankreich sich darin von anderen europäischen Ländern wie Spanien oder Deutschland wesentlich unterschiede. Sie spricht von Neolithicum, von Dolmen, Totenkult, von Bronzezeit und Eisenzeit Frankreichs nicht anders als von den gleichzeitigen prähistorischen Kulturen Englands. Die eigentliche Geschichte Frankreichs beginnt mit den Spuren der Ligurer und Iberer, erhält Kunde von den Kolonien der Phönizier und Griechen und weiß ein wenig von der Einwanderung der Kelten oder Gallier, der Bretonen und Basken. Das volle Licht der Geschichte fällt erst auf die Kolonisation des Landes durch Cäsar und den Aufbau der ersten römisch-gallischen Kultur, vornehmlich in der Provence. Sie wird abgelöst durch die germanische Einwanderung der Burgunder, Franken und Westgoten, welche die römisch-gallische Kultur auf mehrere Jahrhunderte auslöscht. Dazwischen hinein kommen Sarazenen und dänische Normannen ins Land. Frankreich ist dementsprechend »ein internationales Gemenge von Völkern und Rassen« (Seignobos)¬: von germanischen Rassen im Norden, die mit Kelten untermischt sind, von überwiegend alpinen Rassen im Zentrum und Südosten und mittelländischen Rassen im Süden.

Gibt es auch keine französische Rasse, so gibt es doch das, was man das französische Genie nennen kann. Ähnlich dem Aufschießen der ägyptischen Kultur zur Zeit des Menes bricht es zu gegebener Zeit, etwa im zwölften Jahrhundert, hervor, beschränkt auf ein enges Gebiet mit frischem nordischen Blut, auf die Isle de France, die Normandie, die Picardie und die Champagne. Es stellt die verschiedensten Typen heraus, den kalten Rationalisten Abälard, den gottinnigen Bernhard von Clairvaux. Aus der Champagne stammt der Vater von Jeanne d’Arc, obwohl sie selbst äußerlich kein germanischer Typus, sondern, vielleicht von ihrer lothringischen Mutter her, schwarzhaarig war. In ihrem Charakter ist sie ebenso begeisterungsfähig als kühl-rational: In prophetischer Hellsicht heischt sie das verborgene Schwert vom Katharinenaltar in Fierbois, in kaltblütiger Sachlichkeit erbittet sie dann für dieses Schwert statt seiner Schmuckscheide aus rotem Sammet ein Futteral »de cuir bien fort«, »aus recht solidem Leder«.

Das génie français schafft die Baukunst, welche von den Italienern mit dem Spottwort »Gotik« belegt wird. Es schafft gotische Städte wie Rouen und überläßt es dem systematischen Geist der Deutschen, die letzten architektonischen Konsequenzen dieser unnennbar herrlichen Bauweise zu ziehen. Es schafft das zusammengeballteste Kulturzentrum der Welt: Paris.

Dieses französische Genie baut sich nach und nach, besonders seit Ludwig XIV., das auf, was französische Mentalität heißt, die nicht vorstellbar ist ohne den Sinn des »juste milieu«, des »sentiment de la nuance« und eine sonderliche Klarheit des Denkens und des Ausdrucks im Stil. Der Picarde Calvin in der Reformationszeit, die Denker Descartes und Pascal stellen sie in verschiedenen Abwandlungen dar. Die ruhelos feilende Arbeit an der Sprache, getan durch die Académie Française – an deren Wiege hugenottischer Geist stand –, ist ihr letzter Ausdruck. Zu dieser Geschichte einer Volkswerdung tritt der christliche, göttliche Koeffizient hinzu. Das erste Licht Christi bricht in den Süden des Landes hinein, die Rhône aufwärts. Die ersten Gemeinden werden dort gegen das vierte Jahrhundert hin von den eingewanderten Hellenisten aufgebaut. Dort hören wir die ältesten Märtyrernamen in Lyon und Vienne. Etwas später bewirkt die Taufe Constantins eine künstliche Christianisierung der Oberschichten weithin im Lande, welche die höheren Stände christlich firnisst. Die einbrechenden Westgoten und Burgunder sind bereits zum arianischen Christentum bekehrt, ehe sie in Frankreich erscheinen. Die Franken sind noch Heiden; die politische Taufe Chlodwigs leitete die langsame Christianisierung seiner Untertanen ein. Langsam durchdringt jetzt, durch die Arbeit der Mönche vorwärts getrieben, der christliche Glaube das Land, doch bleiben bis über die Reformation hinaus die Überreste des alten Heidentums lebendig und wirksam. Die Kreuzzüge durchsetzen das politische Leben mit christlichen Gedanken. Das Wort »Réforme«, das heißt Wiederherstellung verlorener Form (Form gleich Haltung und Seelenhaltung) tritt zuerst bei dem Restaurationswerk des Abts von Cluny auf.

Der Anbruch der Reformation in Frankreich – ich lasse die Bewegungen der Albigenser und Waldenser beiseite – wird äußerlich durch die Ära Franz’ I. gekennzeichnet. Die Regierungszeiten Karls VII., Louis’ XI., Karls VIII., Louis’ XII. liegen in der Vergangenheit begraben mit ihren Strömen von Blut, mit all ihrer Gewalttat und vielen anderen häßlichen Dingen. Mit dem erstgenannten jammervollen Schwächling, mit Karl VII., liegt das Zeitalter der Jeanne d’Arc hinter uns, das uns Deutschen seit Schiller besonders eindrücklich das Schicksal eines Landes vorstellt, welches aus einer Hand in die andere übergeht, das, bald in diesen, bald in jenen Teilen von England beherrscht, vielmehr ein Spielball einzelner Fürsten, denn der Besitz einer Krone ist.

Auch wenn bis zum Regierungsantritt Franz’ I. eine verhältnismäßige Geschlossenheit in der Regierung des Landes erreicht scheint, hat unterdessen die innere Zersetzung zusammen mit dem Verfall der Kirche einen erschreckenden Tiefstand erreicht.

Die sittlichen Zivilzustände, besonders in Paris, zeigen allgemeinen Niedergang. Die Zahl der Prostituierten in der Hauptstadt ist ungeheuer groß. Die bürgerlichen Mütter verkaufen ihre Töchter an reiche kirchliche Würdenträger, um zunächst eine Mitgift für den späteren legalen Gatten herauszuschlagen. Man läßt Wachsbilder durch einen Priester taufen und erdolcht sie dann nach heidnischer Weise, um einer wirklich existierenden, verhassten Person durch magische Fernwirkung einen schrecklichen Tod zu bereiten.
Alle Grenzen zwischen weltlicher Unsitte und kirchlicher Sitte scheinen verwischt zu sein. Die Straßendirnen von Paris tragen gleichsam als Zeichen ihres Gewerbes einen Rosenkranz aus kleinen Korallenperlen und großen Gold- oder Silberperlen auf der Brust. Genauer gesprochen ist von kirchlicher Sittlichkeit oder auch nur moralischen Hemmungen kaum noch die Rede. Bischöfe exkommunizieren einzelne Gemeindeglieder, um, wie man sagt, ihnen sodann die Absolution zu verkaufen. Priester profitieren vom geringsten Fehltritt in ihrem Sprengel, indem sie zunächst ihren Gemeindegliedern eine Wiederholung dieser Handlung ausdrücklich verbieten und sich dann die Aufhebung dieses Sonderverbots nach willkürlichen Tarifen bezahlen lassen. Es wird bitter darüber geklagt, dass in den Gotteshäusern selbst, wie erst recht in den Nonnenklöstern schändliche Unzucht durch Priester und willfährige Frauen getrieben wird, und in der Provinz geht das grässliche Wort um: »Schon der Schatten eines Franziskaner-Klosterkirchturms macht die Frauen der Umgebung schwanger«, – Zustände, die höchstens durch die von Gaberel berichtete sittliche Verrohung der damaligen katholischen Kirche Genfs noch übertroffen wurden.

Der König, der diese politische und moralische Erbschaft antritt, Franz I., ist der Vetter und dann der Schwiegersohn Ludwigs XII., doch ist seine Regierung etwas deutlich anderes als die einfache Fortsetzung einer Dynastie. Der Name Franz’ I. hat sich dem französischen Denken in besonderer Weise unvergeßlich gemacht, nicht eigentlich wegen seines objektiven Wertgehalts, sondern sicher vielmehr, weil Franz französisches Wesen zum ersten Mal repräsentativ darstellte.

Dazu kommt, dass von Franz I. über Heinrich IV. zu Ludwig XIV. eine bemerkenswerte Linie führt. Er ist in einem gewissen Sinne der Begründer des Gedankens von der königlichen Souveränität im höheren Sinne des Wortes, für dessen Weiterentwicklung dann die vermittelnde Haltung Heinrichs IV. ein verzögerndes Moment darstellt und dessen praktische Vollendung in Ludwig XIV. sichtbar wird. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes tragen während der Regierung Franz’ I. königliche Edikte den Schlußvermerk: »Car tel est notre plaisir« als Ausdruck des souveränen Placet von Seiten des Monarchen. Noch ist die Macht der Krone durch das so genannte Pariser Parlament, das heißt durch den obersten Pariser Gerichtshof, praktisch eingeengt. Es wird nicht immer so sein, und der Nachfolger Heinrichs IV., Ludwig XIII., wird hundert Jahre später durch Richelieu über den programmatischen Vollsinn jener Floskel belehrt werden. Als schließlich Ludwig XIV. im Jahre 1685 seinen Namen unter die Aufhebungserklärung des Toleranzedikts von Nantes setzt, seine majestätische und kalte Unterschrift unter die alte Formel: »Car tel est notre plaisir«, wird aus der fürstlichen Prätention eine Weltanschauung geworden sein.

Franz I., unter dessen Augen die erste Sturmflut der religiösen Wiedergeburt über das Land braust, ist ein Schöngeist. Er liebt den Genuß und die Pracht. Er fördert die Wissenschaften und die Künste, er interessiert sich für neue Erfindungen. Er ist zu oberflächlich, um viel zu wissen, er ist zu gescheit, um manches nicht sehr wohl zu verstehen. Die Charakteristik, welche Henri Martin im vierten Band seiner »Histoire de France« von Franz I. gibt, steht in Übereinstimmung mit vielen Einzelzügen und Einzelentscheidungen dieses königlichen Lebens, das die Reformation in Frankreich politisch umrahmte:

»Franz I. teilte mit seiner Schwester, der gütigen und bezaubernden Margarete, den Charme der Persönlichkeit, den Geschmack und den weiten geistigen Horizont. Von seiner Mutter, der gewalttätigen, durchtriebenen und hemmungslosen Louise von Savoyen, die leidenschaftlich und verderbt zugleich ist, in ihren Handlungen selbstsüchtig und unselig bis zu einer blinden Mutterliebe, welche sich mit ihren Lastern vermengt, und die unfähig ist, ihre Laster den Interessen eines vergötterten Sohnes zu opfern – von dieser Mutter hat Franz I. seine tolle Sinnlichkeit, seine völlige Hemmungslosigkeit und völlige Charakterlosigkeit. Hinter seinem so überaus anziehenden Gesicht, unter einem so viel versprechendem Äußeren findet man statt des erwarteten großen Mannes und untadelhaften Helden nichts als eine Seele, die ihren Instinkten, ihrer wandelbaren Leidenschaft und jeder Laune ausgeliefert ist. Franz verdient mehr als die leichtsinnigsten Frauen den Vorwurf, den er ihrem Geschlecht macht: Erst recht bei ihm liegen Feingefühl und Gutherzigkeit auf der Oberfläche. Den Grund bilden eine unersättliche Lüsternheit und ein ungebändigtes Geltungsbedürfnis. Obzwar er ohne System oder Berechnung im Bösen, ohne bewußte Falschheit nach Art seiner Mutter ist, muss dennoch von ihm gesagt werden, dass er jeden, der ihn geliebt hat, täuscht, unterdrückt oder fallen läßt – einen jeden, der seine Zuversicht auf ihn setzt. Selbst die Kunst, der er mehr Zuneigung schenkt als irgendeiner anderen Sache, ist für ihn mehr Angelegenheit der Phantasie und Spielerei als ein Anliegen der Seele, mehr ein Objekt besinnlicher Ästhetik und oberflächlicher Beschäftigung als ein Ideal und ein höchster Wert. Daher wird wahrhaft Großes nicht von ihm geschaffen werden.«

Ist Franz I. auch nicht schöpferisch, so ist er doch erfinderisch. Er erfindet das, was man »La Cour«, den französischen Königshof nennt, der später gegen Ende der Regierung Ludwigs XIV. zur feierlich-leblosen Maskerade entartet. Allein 22 Kardinäle gehören zu dieser Gloriole, darunter Jean von Lothringen, über dessen privates Leben besser geschwiegen wird und der in seiner Person zwölf Erzbistümer und Bistümer vereinigt, die ungeheuerliche »Erscheinung eines wandelnden Konzils in der Person eines einzigen freisinnigen Lebemannes«. An der Spitze dieses Hofes steht die Königin-Mutter, Louise von Savoyen. Sie begünstigt die Ausschweifungen ihres Sohnes, um ihn desto fester in ihrer Hand zu halten. Hinter ihr und ihrem Einfluß müssen die königlichen Gemahlinnen zurücktreten, nämlich die erste Gemahlin Claude, Tochter Ludwigs XII., eine gutherzige Dame, die bald irgendwo verstirbt, und die zweite Gemahlin Franz’ I., Eleonore von Österreich, die Schwester Karls V., – eine lebendige Brücke, wie man sie in der Politik gebraucht, wenn man zu einem gewünschten Ufer gelangen will.

Der glänzende Hofstaat des Königs zieht durch die Provinzen. Wo er geweilt hat, läßt er nichts Gutes zurück. Vom Leibarzt der Königin-Mutter, Agrippa, stammt das bittere Wort: »Wer in der Furcht Gottes leben will, verlasse den Hof!« Die Mehrzahl der königlichen Drohnen, die sich katholisch gebärden, rekrutiert sich im Wesentlichen aus aufgeklärten Skeptikern; doch ist auch ein anderer kleiner, wertvoller Teil erkennbar, der zum Neuen, zur Reform, zum Evangelium hinneigt.

Dem König, seinem Hof und dem zahllosen Gefolge weltlicher Fürsten in geistlichen Ämtern steht das Parlament von Paris gegenüber, der oberste Gerichtshof der Hauptstadt. Noch bedeutet er etwas; sicher bedeutet er viel, wenn nun die Verfolgung der Ketzer anhebt. Aus ihm wird die Sonderkommission gegen die Häresie gebildet und dieser Kommission parallel der päpstliche Ausschuß, der mit ihr im Einklang arbeitet. Die schauerlichen Kerker des Châtelet, der Conciergerie, der Bastille erwarten die Verurteilten, verschlingen die Opfer des Pariser Parlaments.

Neben dem Parlament steht in Paris die weltberühmte Universität mit ihren bereits vier Fakultäten: der theologischen oder der Sorbonne, der kirchenrechtlichen, der medizinischen und der Unterfakultät der Künste. Die Theologen der Sorbonne, in Aristoteles, Anselm, Thomas und Duns Scotus versunken, gehen unbeirrbar von Menschenalter zu Menschenalter denselben geraden Weg bornierter Intoleranz. Die Sorbonne war es, welche Johanna, die Jungfrau von Orléans, verdammte. Sie verdammte Hus, sie verdammte Wiclif. Sie verdammt die Buchdruckerkunst, die neue Wahrheiten verbreitet, sie verbietet das Studium des Hebräischen und Griechischen. Sie ist ausgesprochen ultramontan, päpstlich und gegen die Emanzipationsgelüste der französischen Bischöfe eingestellt. Sie produziert, sie fabriziert kirchliche Würdenträger: ein Papst, 20 Kardinäle, 50 Erzbischöfe und Bischöfe sind aus ihr hervorgegangen. Franz I. wird diesem Institut, das seinem Freisinn im Grunde der Seele zuwider sein muss, einen Dolchstoß versetzen, den es nie wird verwinden können, denn der König ist unter allem Schein der Orthodoxie ein Kind der Renaissance, die Renaissance französisch verstanden und gewendet.

Doch auch der Sorbonne gegenüber schwankt sein Verhalten, durch die Forderungen der Nützlichkeit bestimmt, unstet hin und her. Bald geht er gegen die Sorbonne in Angriffsstellung, um seine neuen Bildungsprogramme zu retten – bald ist er ihr zu Willen, wenn es opportun scheint, die evangelische Bewegung zu ersticken. So zündet er mit der einen Hand Lichter an und löscht wiederum mit der anderen Lichter aus.

KAPITEL II

RENAISSANCE UND REFORMATION IN FRANKREICH

Während in der deutschen Reformation die Renaissance in ihrer humanistischen Umprägung in Erscheinung tritt, bringt der Kulturkreis um Franz I. die Renaissance als solche in engste Beziehung zum religiösen Umbruch.

An der Spitze der Gestalten, die so oder so eine Berührung, eine Beziehung, eine verhältnismäßige Vermählung der italienischen Renaissancegedanken mit dem Evangelium darstellen, steht die edle Schwester des Königs, Margarete von Navarra, zuerst blutjung dem Herzog von Alençon angetraut, dann Gemahlin des Herrschers über Navarra, den kleinen unabhängigen Pyrenäenstaat an der Südwestgrenze des Landes.

Margarete ist mehr als eine schöngeistige Frau und alles andere als ein Blaustrumpf. Sie ist im besten Sinne des Wortes weiblich, doch ist ihre Weiblichkeit verklärt durch edlen Feinsinn und ergänzt durch die schönste Kultur des Geistes. Auch sie hat einen Hofstaat nach ihrem Geschmack um sich: Dichter und Gelehrte, die ihr folgen; vielmehr, denen sie folgt und deren gelehrige Schülerin sie ist. Margarete hat eine tief religiöse, mystisch-fromme Seele. Mit leidenschaftlicher und unmittelbarer Liebe liebt sie ihren Gott. Doch ist sie gleichermaßen ihrem königlichen Bruder und dessen königlicher Würde innerlich verschrieben. Ihr Denken ist gleich einer Ellipse mit zwei Brennpunkten und wird innerlich daran scheitern, dass in ihm Gott einem Menschen nebengeordnet ist. Die Unhaltbarkeit dieser Seelenstellung wird ihrem Bewußtsein durch den Nebel ihrer Mystik verdeckt, der es genügt, sich irgendwelchem Lichte zu öffnen. Die goldene Ringelblume wählt sie sich zum Wappenzeichen, die durch ihr strahlendes Gelb der Sonne so ähnlich ist und sich wendet, wohin das Tagesgestirn geht. Margarete korrespondiert mit allen großen Geistern, auch mit dem strengen Calvin; aber die kristallklare Umrissenheit seines Glaubens liegt ihr nicht, und sie versteht sich kaum mit dem Genfer Reformator.

Dem eben Gesagten entspricht auch der Zwiespalt zwischen ihrem reinen und untadeligen Leben und der Leichtfertigkeit ihrer Feder. Man hat versucht, die lockersten Szenen ihres Heptaméron ihrem Kammerjunker Desperiers zuzuschreiben, aber es ist zu befürchten, dass das ganze Werk von ihrer Hand ist, von der Hand einer Frau, die streng in ihren Sitten, aber schwach in ihren Worten war, immerhin in vorteilhaftem Gegensatz zu zahlreichen Zeitgenossen, die streng in ihren Worten und schwach in ihren Sitten gewesen sind.

In ihrem späteren Leben vertieft sie sich durch die Berührung mit den ersten Vertretern der Reformation, besonders mit Lefèbvre d’Etaples, dem humanistischen Bahnbrecher des Evangeliums in Frankreich, und schreibt den »Spiegel einer sündigen Seele«. Sie findet Worte vom Glauben, die von tiefer Erkenntnis zeugen: »L‘homme est par la foi: fait fils du Créateur, … juste, saint, bienfaiteur, remis en innocence. Par foi j’ai Christ et tout en affluence.« (»Durch den Glauben ist der Mensch Kind des Schöpfers geworden … gerecht, heilig, Gutes tuend, in seiner Unschuld wiederhergestellt. Durch den Glauben habe ich Christus und alles über Ihn hinaus.«)

Diese Einkehr verschärft die Spannung zwischen den Ansprüchen des christlichen Glaubens und der Beschlagnahme ihrer Seele durch ihren königlichen Bruder. Sie mag den ersten nicht dem zweiten, und sie mag den zweiten nicht dem ersten opfern, und schließlich, als Franz I. dem evangelischen Glauben den Krieg erklärt, ist es doch ihr Glaube, der ins Weichen kommt, und ihr Fuß kehrt wieder zum katholischen Kultus zurück. Ein Brief, den sie an Lefèbvre nach Meaux schreibt, gibt uns Zeugnis, dass sie wohl um ihr geistliches Versagen weiß: »… ich kehre zu euch zurück, zu Ihnen, Lefèbvre, und euch Herren allen, euch bittend, durch eure Gebete von der unnennbaren Barmherzigkeit Gottes eine Erweckung der armen Eingeschlummerten zu erlangen, die schwach geworden ist, damit sie aus ihrem lähmenden und tödlichen Schlafe wieder erwache.«

Die zweite Persönlichkeit, deren Kreise den Kreis der Reformation überschneiden, ohne deren Zentrum mit ihr zu teilen, ist der Hofdichter Clément Marot. In Cahors nördlich von Montauban als Sohn eines königlichen Hofjunkers 1495 geboren, tritt er in Paris in die Nachfolge seines Vaters. Südfranzose von Temperament, sprudelnd, witzig, graziös in seinen Formen, wird er bald anerkannter Poet in der Hauptstadt. Er lobt die schönen Frauen, er verschönt die häßlichen Damen des Hofes durch elegante Reime, vor allem preist seine Muse byzantinisch die königliche Majestät. Zeitig wird er für die Reformation gewonnen, die er sonderlich als Aufbegehren, als religiöse Befreiungsbewegung versteht. Erasmus hat ihn stark beeinflußt, doch findet er auch tiefere Töne: Er braucht Vergebung seiner Sünden und sucht sie bei Christus. Im Jahre 1526 wird er in den Kerker des Châtelet geworfen, weil er am Freitag Speck gegessen hatte, entsprechend der katholischen Moral der Zeit, nach welcher Kamele verschluckt, das heißt alle Laster übersehen wurden, während man Mücken seihte und Verstöße gegen die äußerste Peripherie kirchlicher Vorschriften umso grausamer ahndete. Man sagt von Marots uneinheitlichem und unruhigem Leben, dass es sich im Dreieck zwischen Königshof, Gefängnis und Gläubigern bewegt habe. Man würde treffender sagen, dass es, wie später das Leben Jean Jacques Rousseaus, an einem tiefen Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis krankte. Die Ideenwelt Marots ist weithin bekehrt, in seinen Handlungen ist er Epikuräer der Renaissance. Sein Geist geht den schmalen Weg des Glaubens, sein Herz geht den breiten Weg der Welt. So klafft sein Leben jammervoll auseinander, weil die evangelische Wahrheit, die sein sinnliches Gefühlsleben nicht annehmen mag, durch seinen Geist eindringt, – weil die fleischlichen Gedanken, die mit dem Verlangen seines Geistes unvereinbar sind, durch sein Gefühlsleben Eingang finden. So leidet er auch um des Glaubens willen, ohne Märtyrer zu sein. Er wird von den fanatischen Katholiken wegen lutherischer Ketzerei verfolgt, während in der Tiefe seine vitale Einstellung un-evangelisch ist, und dient so als Exempel für den Satz Lansons: »Es gibt Leute, die wegen Meinungen verfolgt werden, welche sie nicht besitzen.« Und wiederum vermögen die Evangelischen ihn nicht in Wahrheit als den Ihrigen anzuerkennen, denn auch ihnen bleibt er verdächtig.

Die erste Verfolgungswelle gegen den der Ketzerei Angeklagten wird im Jahre 1532 entfesselt. Bald flieht er nach Venedig; bei der Durchsuchung seines Hauses findet man unter seinen Büchern Bocaccio, dessen unsauberer Decamerone als Modebuch der Zeit nicht nur ihn, sondern auch die Jugend der Königsschwester Margarete verunreinigt hatte. In Venedig ist er unglücklich. In der Atmosphäre des Hofes war er aufgewachsen, in dem geistvollen und zugleich lebensgierigen Paris war seine Heimat gewesen; ausgewurzelt und fern von der Hauptstadt Frankreichs wird ihm die Sehnsucht nach dem Hof so überstark, dass er sich seine Rückkehr durch eine formelle Abschwörung des Glaubens vor dem fanatischen Kardinal von Tournon erkauft.

Die eigentliche Bedeutung Marots für die Reformation reicht weiter als der Einfluss Margaretes. War die Schwester des Königs Freundin und zeitweise Beschützerin des Evangeliums, so ist Marot, ohne es selbst zu wissen, in einer Beziehung Mitbegründer der protestantischen Kirche Frankreichs geworden, sofern diese in den kommenden Jahrhunderten jederzeit eine singende Kirche war. Er ist es, der nach und nach die Psalmen Davids in singbare Versform bringt. Der Hebraist Vatable liefert ihm zunächst die wissenschaftliche Übersetzung, gibt ihm den Wortsinn der Texte, so dass Marot instand gesetzt ist, das Übertragene in poetische Form zu gießen. Es versteht sich, dass Marot denjenigen Psalmen, die einen König preisen, ja deren Königsgestalt irgend auf Franz I. gedeutet werden kann, sonderliche Gunst am Hof verdankt. Der hier zuerst übersetzte Psalter, den dann Beza weiter bearbeitet und der schnell mit volkstümlichen, männlichen, starken Melodien versehen wird, gibt in kürzester Zeit der protestantischen Kirche Frankreichs ihr Gepräge, als einer Kirche Psalmen singender Bekenner, Psalmen singender Märtyrer, Psalmen singender Gemeinden, Psalmen singender Streiter.

Im Jahre 1542 flieht Marot, betroffen durch ein Edikt Franz’ I., von neuem ins Ausland. Er begibt sich dieses Mal nach Genf zu Calvin, aber er kann sich dort nicht halten, weil man ihm die Nachlässigkeit seines Lebens verargt oder weil er sich in der strengen Luft der Stadt nicht wohl fühlt, und geht weiter nach Turin. Als er 1544 – möglicherweise an Gift – stirbt, steht sein Ruhm als Meister der zeitgenössischen Dichtkunst im Zenit.

Die dritte der Persönlichkeiten, die, selbst noch in der Renaissance und ihrem Bannkreis lebend, an eine Verbindung der neuen reformerischen Ideen mit dem Bestand der katholischen Welt denken, ist Rabelais. Ich möchte ihn nicht gänzlich übergehen, da er im Reformationszeitalter einen Typus darstellt, den die deutsche Mentalität nicht kennt. Er ist der Vorläufer der Familie, die man später mit dem Namen Voltaires kennzeichnet und deren idealistischer Einzelgänger Jean Jacques Rousseau an der vorübergehenden Zersetzung des französischen Protestantismus – ich denke an die Verirrung des jüngeren Rabaut – mitbeteiligt sein wird. Rabelais ist zunächst Franziskanermönch und als solcher mit dem groben Leben und den Zoten seiner Klosterbrüder reichlich vertraut. Dann begibt er sich zu dem freisinnigen Bischof von Maillezais, treibt sich in der Welt herum, studiert ein wenig Jura und wird schließlich Arzt nach den Begriffen der Zeit. Von König Franz wegen seines robusten Witzes geschätzt, von der Sorbonne wegen seines Freisinns verflucht, stirbt er als »Priester« einer kleinen Gemeinde, um die er sich weder als Pfarrer noch als Arzt viel gekümmert hat.

Jacob Burckhardt sagte von Rabelais, er sei »die Renaissance ohne Form und ohne Schönheit«. Seine lebendigen und teilweise obszönen Bücher sind schonungslose Zeitbilder, Querschnitte der Sittlichkeit und der Sitten, Satiren über kirchliche Mißstände. Ein ungeheures Wissen, in welchem die heterogensten Bestandteile, auch die Heilige Schrift und Plato in Bruchstücken, ineinander stehen, trägt dazu bei, ihn zum geschätztesten Schriftsteller der Zeit zu machen. Rabelais hat einen gewissen Sinn für die Wissenschaft als solche. Er ist erster Typus der Freigeisterei, die zum Überkommenen Nein sagt und darin scheinbar mit der Reformation in eins fällt und deren Moral der Absud neu entdeckter Unmittelbarkeit, angeblicher Natürlichkeit ist. Als echter Rationalist teilt er mit dem Rationalismus aller Zeiten den Glauben an die ursprüngliche und wesenhafte Güte der Seele, die durch richtige Belehrung gepflegt wird, eine Theorie, die im merkwürdigsten Gegensatz zu seiner Erkenntnis menschlicher Leidenschaften steht. Er glaubt an das Wissen, er glaubt an die Güte der Welt. Das Übel ist ihm naturwidrig, ein bluthafter Optimismus beherrscht ihn.

Auf das Ganze gesehen vollzieht sich die Entwicklung bei Rabelais in Umkehrung der biblischen Linie, die mit dem Gnadenruf Gottes und dem Gläubigwerden der Seele beginnt, dann aus dem Glauben die christliche Persönlichkeit sprießen läßt und den Menschen als an Gott gebunden zu einem Leben rechter Gewissensfreiheit erhöht. Rabelais beginnt mit der Gewissensfreiheit im Sinne der Emanzipation, zieht aus ihr einen ungeordneten Individualismus und gelangt naturhaft-zentrifugal niemals zu einer auch nur moralischen, geschweige denn geistlichen festen Grundposition.

Alle drei, Margarete von Navarra, Marot und Rabelais sind Neuerer mit unzureichenden Mitteln: Rabelais ein Kritiker des Feindes der Protestanten, der katholischen Kirche, und darum noch kein Freund; Marot ein Wissender um das Evangelium, und darum noch nicht von ihm überwunden; Margarete von Navarra ein christus-gläubiges Herz, das sich zuletzt dennoch einem Menschen unterwirft.  

 

 

KAPITEL III

DIE REFORMATION IN FRANKREICH

»JESUS QUID VOLO NISI UT ARDEAT!«
»Jesus! Was will ich anderes, als dass es brenne!«

(Umschrift des Siegels Farels mit dem Flammenschwert des Wortes Gottes.)

Der Bahnbrecher der Reformation in Frankreich ist ein Gelehrter, Lefèbvre, den der Herr der Kirche vom Humanismus zur Theologie beruft. Es sei zuerst einen Augenblick an das Verhältnis des Humanismus zur italienischen Renaissance erinnert. Die italienische Renaissance als Bewegung richtet die Augen und den Geist des Menschen rückwärts auf die Kulturen Roms und Griechenlands, leitet zur Erforschung ihrer Quellen an und pflegt natürliches und sinnenhaft schönes Menschentum. Die deutsche Erscheinungsform der Renaissance, der deutsche Humanismus, greift gleichermaßen zurück, doch auf den Linien der Sprachforschung und des Studiums der Kirchenväter und folgerichtig bald auf den Urtext der Heiligen Schrift stoßend. So schreibt Reuchlin in Deutschland die erste hebräische Grammatik zur Erforschung des Alten Testaments, so fertigt Erasmus 1516 die erste Ausgabe des griechischen Neuen Testaments an.

Franz I., König von Frankreich, folgt eifrig den Anstößen der Renaissance in diesem besonderen, sozusagen philologischen Sinn, indem er der rückständigen und fanatischen Sorbonne zum Trotz in Paris ein altsprachiges Kollegium gründet, das »Collège royal«, später »Collège de France«, mit dem besonderen Auftrag, das Griechische und Hebräische zu studieren. Der Rektor der Pariser Universität, Beda, erklärt vergeblich, dass das Griechische eine Ketzersprache sei; Gelehrte der Sorbonne warnen vor dem Hebräischen, weil es den Menschen zum Judenchristen mache; doch müssen alle diese zornigen Stimmen vor der Autorität der Krone weichen. Es findet sich, dass fast alle Professoren der neuen humanistischen Hochschule irgendwie reformationsfreundlich eingestellt sind. Die Hörer werden als ein Elite-Auditorium beschrieben; eine glänzende Jugend und führende Persönlichkeiten drängen sich in den Hörsälen des königlichen Instituts.

Einige Jahrzehnte vor dieser Formwerdung des philologischen Humanismus in Paris und dann von ihr gewissermaßen getarnt, ersteht in aller Stille das Werk eines einsamen Gelehrten, der weltlich und dann geistlich forscht, der mühsam vorwärts tastet und sich Schritt für Schritt seinen Weg bahnt. Es ist Jacques Lefèbvre, genannt Lefèbvre d’Etaples, 1455 in der Picardie geboren wie später Calvin. Er ist von geringer Abstammung, ein Jüngling kümmerlichen Aussehens, und vereinigt in seltenem Maße Adel der Seele, Frömmigkeit und wissenschaftliche Begabung. Schon seit 1493 ist er Doktor der Theologie an der Sorbonne. Man rühmt seine Zartheit, seine Güte und die Kindlichkeit seines Charakters. Mit seinen Studenten verkehrt er kameradschaftlich, auch wenn sie weit jünger sind als er, wie Farel, der zuerst sein Schüler ist und später der Reformator Südfrankreichs sein wird.

Lefèbvre ist vor 1512 beschäftigt, eine Geschichte der Heiligen und Märtyrer nach den Namen im Kalender zu entwerfen. Angewidert von dem Wust des Aberglaubens, auf den er stößt, wendet er sich zur Heiligen Schrift. Es ist das die Zeit von Luthers Romreise. Im Kirchengebäude von St. Germain des Prés hat Lefèbvre damals seine Studierstube – die alte Kirche steht heute noch inmitten des modernen Paris als ältestes Denkmal der Reformation –, dort schreibt er seinen Kommentar zu den Briefen des Paulus und gibt ihn Ende 1512 heraus. Er sagt darin vier Jahre vor Luthers schriftstellerischen Arbeiten über die Rechtfertigung: »Solus enim Deus est, qui hanc justitiam per fidem tradit, qui sola gratia justificat ad vitam aeternam.« »Gott allein ist es, der diese Gerechtigkeit durch den Glauben verleiht, der allein aus Gnade rechtfertigt zum ewigen Leben.« Und zwar spricht er, um eine Brücke von der Tradition zur neuen Glaubenserkenntnis zu bauen, von zwei Gerechtigkeiten: Die eine ist die der Werke, die andere ist von Gott: Die erste ist Schatten und Zeichen, die andere ist Licht und Wahrheit. Die Gerechtigkeit der Werke lehrt die Sünde kennen, um dem Tode zu entfliehen. Die andere stammt aus der Gnade, um das Leben zu erwerben. Er sucht eine Versöhnung zwischen Paulus und Jakobus: »Einst gab es zwei Parteien, von denen die eine auf Werke baute, die andere auf den Glauben, ohne nach Werken zu fragen. Jakobus lehnt diese ab, Paulus jene. Und du, wenn du Weisheit besitzt, setze dein Vertrauen nicht auf deinen Glauben, nicht auf deine Werke, sondern auf Gott, und betrachte, um das göttliche Heil zu erlangen, als wesentlich den Glauben des Paulus, und füge zu ihm die Werke nach Jakobus, denn sie sind ja die Zeichen eines lebendigen und fruchtbaren Glaubens.« Und es sei noch ein sehr persönliches Wort aus seiner Vorrede zum Evangeliumkommentar hinzugefügt: »Es tut Not, dass die Könige, dass die Fürsten, dass das ganze Volk, dass alle Nationen nur an Jesus denken und nur nach Ihm sich ausstrecken.«

Im Jahre 1514 hatte Lefèbvre unternommen, Reuchlin zu verteidigen. Seine lateinischen Evangelienkommentare erscheinen 1522 und werden schon 1523 beschlagnahmt. In denselben Jahren übersetzt er die vier Evangelien, dann das ganze Neue Testament, also kurz nach Luther. Die Psalmen überträgt er 1523 und 1525, 1528 weitere Teile des Alten Testaments, 1530 das ganze Buch. Schon geraume Zeit vorher war man ihm gegenüber bedenklich geworden; die Fanatiker des Parlamentsgerichts und der Universität lauern auf ihn und stellen ihm Fallen. Man fragt ihn: »Sind die Werke umsonst?« Er antwortet: »Nein! Wenn ich einen Spiegel in den Glanz der Sonne halte, nimmt er ihr Bildnis auf. Je mehr man ihn poliert und reinigt, desto mehr erstrahlt in ihm und durch ihn das Licht der Sonne. Dagegen, wenn man ihn trübe werden läßt, verliert sich der Glanz des Himmelsgestirns.« Es ist deutlich, dass ausweichende Antworten solcher Art weder seine Gegner beruhigen, noch ihn selbst befriedigen können. So siedelt Lefèbvre mit Gleichgesinnten nach der Bischofsstadt Meaux über, von der besonders zu reden sein wird. Als während des unglücklichen Feldzugs Franz’ I. gegen Karl V. in Italien die katholische Reaktion am Hof überhand nimmt, muss er fliehen, darf aber dann durch Gnadenerlass des aus der Gefangenschaft freigelassenen Königs wieder zurückkehren und wird königlicher Bibliothekar und Prinzenlehrer. Angesichts der überall brennenden Scheiterhaufen flieht er abermals, jetzt nach Nérac in Navarra, wo er 72-jährig verscheidet, in Gewissensnot darüber, dass er nicht habe für das Evangelium leiden und sterben dürfen.

Dieser letzte Missklang, diese innere Not läßt uns irgendein Versagen in der Vergangenheit des so überaus sympathischen Mannes ahnen. Es wird nicht genügen, diesen Defekt etwa in der Tatsache zu suchen, dass er, wie jeder echte Humanist, an die menschliche Willensfreiheit glaubte und ihm infolgedessen die letzten Tiefen der Offenbarung von Sünde und Gnade vielleicht nicht aufgegangen waren. Die Geschichte der Erweckung von Meaux wird zeigen, dass er gelegentlich schwieg, ja nachgab, um sich zu retten, dass er gelegentlich den letzten Schritt nicht wagte, gelegentlich neun Schritte des Glaubens tat, um vor dem letzten Schritt zurückzuzucken – ich denke an das Wort von Alexandre Vinet: »Auf dem Weg zur Wahrheit sind neun Schritte die Hälfte von zehn.« Auch muss ja wohl von allen Humanisten rückblickend gesagt werden, dass ihre Stärke, die Hingabe an den gelehrten Stoff, an die Sprachen und Handschriften der Bibel und die Dokumente der alten Kirche, naturgemäß ihre Schwäche war. Die Begeisterung für die wissenschaftliche Arbeit, der »fanatisme de la matière« bleibt ihnen beherrschendes Moment: Das Studium wird ihnen nicht entscheidend Weg zur Herausstellung der Wahrheit, sondern bleibt überwiegend Freude an der Forschung selbst. Diese aufräumende, aufhellende Arbeit ist notgedrungen einseitig, und es ist diese Einseitigkeit, die die Lebensarbeit der Humanisten unbefriedigend macht. Lefèbvre hat darüber hinaus versucht, den christlichen Glauben wieder auf seine Grundbestandteile zu reduzieren, das heißt positiv zu vereinfachen. Die Not der Zeit, das Elend der katholischen Kirche war ja doch die Vielfältigkeit des Kultus. Es gab so viele Gnadenmittel, so viele Heilige! Es gab so viele Autoritäten in der Kirche! So viele, dass es praktisch keine mehr gab für die suchende Seele. Eines zerstörte das andere, ein Heiliger erschlug den anderen im Wechsel der kirchlichen Mode. Wenige haben so kritisiert wie Erasmus, wenige haben Überzähliges so treu durch das Wesentliche ersetzt wie Lefèbvre, doch es fehlt dem Humanismus dort und hier die absolute Gottbezogenheit eines Luther, die völlige Christusbezogenheit der Wittenberger Lehre.

Damit kommen wir auf die Bedeutung Luthers für den Aufbruch der Reformation in Frankreich. Nach den Abhandlungen des Erasmus dringen Luthers Streitschriften allenthalben im Lande ein; vor allem die »Babylonische Gefangenschaft der Kirche« wird in christlichen Kreisen gierig verschlungen. In direkte Beziehungen zu Frankreich tritt Luther durch den Ablaßstreit mit Tetzel, Eck und Prierias und die Disputation von Leipzig. Luther erklärt sich nämlich bereit, seine Lehre der Sorbonne zu unterbreiten. Kurfürst Friedrich von Sachsen schreibt in der Angelegenheit an die Fakultät zu Paris, deren damaliger Dekan, Beda, von Erasmus den wenig schmeichelhaften Zunamen »truncus«, auf gut Deutsch »der Kaffer«, erhalten hatte. Das Antwort-Gutachten der von der Sorbonne eingesetzten Kommission zieht eine Linie von den alten Ketzern über Waldus, Wiclif und Hus bis zum »Ketzerfürsten« Luther; die »Babylonische Gefangenschaft der Kirche« wird dem Koran verglichen. Interessanterweise bezichtigt man Luther des Individualismus, ein Vorwurf, der dem französischen Protestantismus gegenüber später durch die Jesuiten und auch durch Bossuet wieder aufgenommen wurde. Luther antwortet in der Schrift »De abroganda missa privata« überaus grob: »Wir sind nicht getauft worden auf den Namen der mildtätigen theologischen Fakultät von Sodome in Paris, noch der Gomorra von Löwen, sondern auf den Namen unseres Herrn allein.«

Der erste Märtyrer der französischen Reformation war ein »Luthérien«. Luthers Lied »Eyn newes lyed wyr heben an – die aschen will nicht lassen ab, die steubt in allen landen« machte den Feuertod von Heinrich Voes und Johann Esch, der Augustinermönche von Antwerpen, unvergeßlich, die als Anhänger Luthers am 1. Juli 1523 vor dem Rathaus in Brüssel verbrannt wurden. Brüssel liegt nicht weit von Paris: Kurz darauf hatte auch die Hauptstadt Frankreichs ihren ersten evangelischen Blutzeugen. Wiederum war es ein Augustiner, Jean Vallière aus dem Kloster von Livry; er hatte zuerst in Meaux unter dem Einfluss der Bibelarbeit Lefèbvres gestanden, dann unter dem der Schriften Luthers. Am 8. August wird er auf dem Pariser »Marché des pourceaux« lebendig verbrannt.

Dasselbe Schicksal ereilt den Übersetzer der Erasmus- und Lutherschriften Louis de Berquin, die Perle des Hofes, den Freund des Königs, den gelehrten Edelmann. Er gehört der Gruppe an, die mit Erasmus schriftlich verkehrt. So beginnt er humanistische Abhandlungen, dann auch Reformationsschriften, zu übertragen, parallel mit Lambert, dem Franziskaner von Avignon, der in Basel eine Schriftenzentrale für Luthers Abhandlungen betreibt. Nach der Beschlagnahme der Schriften Luthers in den Pariser Buchhandlungen durch die Sorbonne 1523 schreibt Berquin selbst seinen »Débat de piété et de superstition« und als kritische Schrift: »Le paradis du Pape Jules«. Am 13. Mai wird er verhört, am 26. Juli zum Widerruf aufgefordert, am 1. August in das Verlies der Tour Carrée gebracht. Der König, der sich noch nicht gegen die Reformation gewandt hat, lässt das Parlament durch einen Gardehauptmann einschüchtern und den Gefangenen entführen, dessen Bücher mittlerweile verbrannt werden. Drei Jahre später wird Berquin abermals verhaftet, weil er auswärts, in Cambrai und Amiens, evangelisch gewirkt hat. Unmittelbar darauf verbietet das Parlamentsgericht unter Androhung der schrecklichsten Strafen, die übersetzte Bibel zu lesen oder auch nur zu besitzen, sowie die Lehre Luthers zu verbreiten oder der katholischen Lehre zu widersprechen. Infolge der Rückkehr des Königs abermals freigelassen, sieht sich Berquin 1529 zum letzten Mal vor Gericht. Unvorsichtigerweise legt er Berufung beim König ein, der sich gerade nach ruhelosem Umherschweifen in der Provinz auf Schloss Blois aufhält. Das Parlamentsgericht nutzt die Gunst der Stunde aus und lässt Louis de Berquin am selben Tag verbrennen.

Neben den Schriften Luthers – denn Gottes Wort ist noch stärker als Menschenwort – beginnen unterdessen die übersetzten Evangelien, die übersetzten Bibelteile ihr entscheidendes Werk zu tun und Gottes Feuer im Lande zu entzünden. Die Strahlen ihres ewigen Lichts finden in einer sehr dunklen Zeit ihren Weg in die Herzen hinein, wie das Licht der Sterne am hellsten, am trostreichsten seinen Weg in die Augen der Menschen findet, wenn der Himmel sonderlich finster ist. Will man schon von »interessanten« Zeiten der Kirchengeschichte sprechen, von solchen, die unsere tiefe Aufmerksamkeit verdienen, dann sind es diese: die Zeiten eines stillen, unaufhaltsamen Wirkens des Geistes Gottes durch das Wort, die Zeiten, da Menschen es aufnehmen und Lichtträger werden – und nicht so sehr die Zeiten, die man konventionell die »interessanten« nennt, wie etwa in der Geschichte des französischen Protestantismus die Hugenottenkriege oder die Bartholomäusnacht.

Das vornehmste Beispiel der Evangeliumskristallisation an einem bestimmten Ort, in einem klar umschriebenen Kreis ganz bestimmter Menschen Frankreichs in den ersten Jahrzehnten der Reformation ist die Geschichte der Erweckung, des evangelischen Gemeindeaufbaus und der Bluturteile in Meaux: ein Mikrokosmos im Makrokosmos der französischen Kirchengeschichte.

Weltlich betrachtet ist die erste Person, der traurige Held auf der Bühne dieses Kleintheaters innerhalb des großen Theaters der Reformation, Bischof Briçonnet. Er entstammt einer typischen Familie des katholischen Klerus, er ist ein typischer Reformkatholik mit dem typischen Ende eines Reformkatholiken. Sein Großvater Jean Briçonnet, Generaleinnehmer der königlichen Finanzen, hinterlässt einen Sohn, Guillaume Briçonnet den Älteren, der dank der Stellung seines Vaters zunächst Bischof von St. Malò an der Nordwestküste und zugleich im äußersten Süden von Frankreich Bischof von Nîmes wird. Alexander VI. Borgia, das Scheusal auf dem Papstthron, ernennt ihn zum Kardinal. Dann wird er Erzbischof von Reims, darauf Erzbischof von Narbonne, außerdem Prior der großen Abteien von Grand-Mont, von St. Nicolas d’Angers und von St. Germain des Prés in Paris. Sein Sohn Denys wird Bischof von Toulon, Bischof von Lodève und Bischof von St. Malò. Sein anderer Sohn, Guillaume Briçonnet der Jüngere wird Bischof der Stadt Meaux bei Paris, deren geistliches Oberhaupt hundert Jahre später der Programmatiker des absoluten Königtums sein sollte: der große Prediger Bossuet.

Dieser Briçonnet, Bischof von Meaux, war ein Schüler Lefèbvres gewesen. Er ist »biblien« und Mystiker. Seit 1518 beschäftigt er sich mit den Missständen seiner Diözese. Die meisten so genannten Priester wohnen nicht in ihren Gemeinden; im Hôtel-Dieu von Meaux, einer königlichen Stiftung für Kranke, haben sich die Trinitarier-Mönche eingenistet und verzehren die Einnahmen der Institution. Die entarteten Franziskaner, die sogenannten »Cordeliers« – nicht zu verwechseln mit den auch »Cordeliers« genannten Linksjakobinern der französischen Revolution – beherrschen das Volk und plündern es aus.

Schon seit 1519 gibt es »Luthériens« im Land. Bereits gegen Ende des Jahres 1521 bedeutet das Vertreten lutherischer Ansichten Todesgefahr. Kein Wunder, dass eine Anzahl von Neuerern, in Paris bedroht, ihre Zuflucht bei dem Reformer Briçonnet in Meaux suchen. Lefèbvre selbst bildet dort einen Kreis der biblischen Richtung; unter ihnen befindet sich der junge Farel und Roussel, Hofprediger der fortschrittlichen Schwester des Königs, Margarete. Die Mittel der neuen Gruppe sind Evangeliumsverkündigung und Studium des Wortes Gottes.

Angesichts des Sturms, der, entfacht durch die Klagen der wütenden Mönche, von Paris her droht, zieht Briçonnet 1523 die Predigterlaubnis zurück, die er Farel und dessen Freunden gegeben hatte. Sie unterwerfen sich dem Verbot, mit Ausnahme von Farel, der gleichwohl versucht, an verschiedenen Orten der Diözese zu evangelisieren, und sich dann in die Höhle des Löwen nach Paris begibt, wo er »sich durchschlug, so gut er konnte«. Unterdessen weicht Briçonnet erschreckt noch einen Schritt weiter zurück und beruft eine Synode ein, in der er sich gegen Luther wendet und verbietet, dessen Schriften einzuführen, sie zu kaufen, zu lesen oder zu verbreiten. Am selben Tag, in einem Rundschreiben an seine Priester, schimpft er über die, welche gegen das Fegefeuer, die Heiligen- und die Marienverehrung predigen, und verbietet jede Teilnahme an der »lutherischen Pest«. Damit hat sich Briçonnet als Vertreter der Reform selbst erledigt. Lefèbvre und Roussel schweigen; der erste bringt es über sich, als Generalvikar Briçonnets noch in Meaux zu verbleiben.

Gleichwohl ist für den reformerischen Bischof der letzte Tiefstand noch nicht erreicht. Als 1524 Papst Clemens VII. eine neue Ablassbulle ausgibt, lässt Briçonnet sie an das Portal der Kathedrale und in den wichtigsten Teilen der Stadt anschlagen; doch werden die Plakate in der Stadt an verschiedenen Orten abgerissen, und an den Mauern der Stadt erscheinen Anschläge, welche den Papst als Antichrist bezeichnen. Im Januar 1525 findet man katholische Gebetsformulare im Inneren der Kathedrale durch Messer- und Degenstiche zerfetzt, ein Zeichen der zornigen Gärung, welche durch das Lesen der Evangelien in den Köpfen der besinnlichen Wollkämmer und Walker entstanden war. Einer von ihnen, Jean Leclerc, wird der Mitschuld überführt. Man peitscht ihn öffentlich aus und brandmarkt ihn vor seiner Ausweisung öffentlich mit einem glühenden Eisen auf der Stirn. Seine Mutter wohnt dieser Exekution bei und ruft, als die Haut ihres Sohnes unter der Glut zischt: »Es lebe Jesus und Sein Banner!«

Das nicht viel spätere schreckliche und glorreiche Ende Leclercs, ein Sterben mit dem Bekenntnis zum Erlöser und dem hundertfünfzehnten Psalm auf den Lippen, das der Flüchtige bald darauf in Metz findet, ruft die vom Evangelium Erweckten in Meaux zur Entscheidung auf. Der Erste, der sie mit seinem Leben bekräftigt, ist ein junger Kleriker, Jacques Pouent, welcher Bücher »ensuivant la secte de Luther« übersetzt hat. Briçonnet gibt ihn preis. An den Brandpfahl auf der Place de Grève gebunden, spricht er so gewaltig zum Volk, dass Pierre Cornu von der Sorbonne erklärt: »Es wäre besser, die Kirche hätte es sich eine Million in Golddukaten kosten lassen, um die Rede Pouents an das Volk zu verhindern«. »Der Tod dieses Menschen«, fügt er hinzu, »hat ihm so zahlreiche Nachfolger verschafft, dass man sie niemals wird völlig ausrotten können.«

Ein neuer Versuch Briçonnets, den Terror der parasitischen Franziskaner zu bekämpfen, endet damit, dass er selbst trotz aller Unschuldsbeteuerungen als Angeklagter vor dem Pariser Parlament steht. Es ergehen neue Verhaftungsbefehle der genannten Stelle; eine Anzahl Häretiker aus Meaux wird nach Paris ins Gefängnis gebracht, schlichte Leute aus dem Volk. Dazu wird für einige der Leisetreter und Flaumacher aus den Kreisen Briçonnets der Prozess vorbereitet. Lefèbvre und der königliche Hofprediger Roussel fliehen mit des Bischofs Hilfe nach Straßburg, einige andere entkommen nach Basel. All diese Ereignisse verhindern nicht, dass 1528 in Meaux eine angebliche Papstbulle angeheftet wird, welche mit echt französischem Witz erlaubt, ja einschärft, die Bücher Luthers zu lesen und zu verbreiten. Briçonnet stirbt einige Jahre später als guter Katholik und Privatmann in seinem Schloss von Aimans.

Mittlerweile hat sich in Meaux unter seinem unwürdigen Nachfolger eine kleine Gruppe gebildet, die durchzuhalten entschlossen ist: kleine Leute, aber auch Bürger, Männer und Frauen. Sie stehen in Verbindung mit der blühenden Gemeinde in Straßburg, wo ihre flüchtigen Freunde angesiedelt sind, wo Calvin die französische Gemeinde betreut. Als nun einige der Straßburger wieder in die alte Heimat zurückkehren, bilden sie mit den Zurückgebliebenen in Meaux die erste protestantische Kirche Frankreichs, eine evangelische Kirche nach dem Vorbild der calvinischen Kirche in Straßburg. Zu ihrem Pfarrer wählen sie nach Fasten und Gebet Pierre Leclerc, einen Wollkämmer von lauterem Lebenswandel und »wohl beschlagen in der Heiligen Schrift«. Hier, an dieser Stelle und in diesen Jahren amalgamieren sich zum ersten Mal in Frankreich Luthertum und Calvinismus, die Anstöße Luthers und die gestaltenden Gedanken Calvins auf der gemeinsamen Basis der Heiligen Schrift. Es stimmt immerhin nachdenklich, dass dieses erste Mal wohl eigentlich das letzte Mal war, und die Erwägung, dass Luthers Einfluss als dem französischen Geiste fremd auf die Länge der Zeit ohnehin zurücktreten musste, tröstet auch vom reformierten Standpunkt aus nicht über das Ausfallen jener reichen Befruchtung hinweg.

Der Kreis der Gläubigen mitsamt ihrem neuen Laienpfarrer Leclerc, der sich um das Wort Gottes und das Heilige Abendmahl versammelt, erweist sich als eine wahrhaft erlöste Gemeinde, die, bildlich geredet, ihren archimedischen Punkt außerhalb der Welt gefunden hat. Man versammelt sich im Haus von Etienne Mangin; aus der Stadt und vom Land strömen sie zusammen, bis 300 und 400 Männer und Frauen. Eines Tages – es ist am 8. September 1546 – überrascht die Gendarmerie eine Versammlung von 60 Personen und verhaftet sämtliche Teilnehmer, die keinen Widerstand leisten. Ein junges Mädchen sagt zum Polizeioffizier: »Wenn Sie mich in einem übel beleumdeten Haus gefunden hätten, statt in einer so heiligen und ehrbaren Gesellschaft, hätten Sie mich nicht so hart gefesselt!« Während man die Geknebelten ins Gefängnis schafft, singen auf den Gassen »ceux de la religion«, welche Zeugen des Vorgangs sind, mit lauter Stimme Psalm 79, das Lied von den Feinden Gottes, die in das Heiligtum einbrechen.

Die Anklage lautet auf gemeinsame Abendmahlsfeier und Teilnahme an Bibelverlesungen in der Landessprache durch Leclerc. Allein vierzehn von ihnen werden zum Feuertod verurteilt wegen »Ketzerei, verruchter Gotteslästerung, Konventikelwesen und verbotener Versammlungen, Schisma und fehlbarer Handlungen«. Die zum Tode verurteilten Vierzehn, an ihrer Spitze Leclerc und Mangin, verteilt man zunächst in verschiedene Klöster, wo sie widerrufen sollen, doch ohne jeden Erfolg. Dann schafft man sie wieder nach Meaux zur Hinrichtung. Auf dem Weg am Wald von Livry, im Dorf Couberon läuft ihnen ein Weber nach und ruft ihnen zu: »Brüder, denkt an Den, der im Himmel ist«, worauf die begleitenden Bogenschützen ihn packen und in den Karren der Delinquenten hineinwerfen »pour leur grande consolation« – »was diese gar sehr tröstete«.

Am nächsten Tag, dem 6. Oktober, werden sie dem Henker übergeben. Etienne Mangin schneidet man die Zunge ab, was ihn nicht hindert, laut zu rufen: »Der Name Gottes sei gepriesen!« Dann bindet man die Vierzehn auf dem Marktplatz an vierzehn Pfähle, die im Kreis aufgestellt sind, so dass sie einander in die Augen sehen und einander ermutigen können, Gott mit lauter Stimme lobend bis zum letzten Seufzer, während das Wutgeschrei des aufgehetzten Pöbels sich an den alten Häusern bricht und das »Salve Regina Coeli« der rasenden Priester sich mit dem Prasseln der brennenden Holzstöße tosend vermählt.

Am Tag darauf erscheint Picard, der als eine Säule der Sorbonne geachtet wird, mit einer prunkvollen Prozession auf dem Marktplatz, wo die Scheiterhaufenreste noch schwelen, und hält unter einem Baldachin die abschließende Festpredigt zur Feier des vollzogenen Gerichts; doch klingt eine heimliche Unsicherheit durch seine Worte, als er die nun erstickte Botschaft von der Heilsnotwendigkeit der Gnade durch das schauerliche Wort ersetzt, dass der Glaube an die ewige Verdammnis der lebendig verbrannten Vierzehn Bedingung der Seligkeit sei – ja, dass man auch einem Engel vom Himmel widersprechen müsse, wenn er das Gegenteil sage. Denn »Gott ist nicht Gott, wenn Er jene nicht auf ewig verwirft!«

Dies ist in Kürze die Chronik der ersten evangelischen Gemeinde in Frankreich, zur Ehre Gottes, der solches durch Menschen vermag, uns vorgestellt. Die Asche der vierzehn Scheiterhaufen stäubt über das ganze Land. Die evangelische Kirche von Meaux löst sich auf. Durch die Kunde von ihrem Glaubenszeugnis, durch ihre Flüchtlinge werden hin und her die Samenkörner ausgestreut zu neuem Glauben, so wie einst nach dem Martyrium des Stephanus und der Verfolgung des Saulus von den verfolgten Jüngern zu Jerusalem gesagt wurde: »Die nun zerstreuet waren, gingen umher und predigten das Wort bis nach Phönizien, Zypern und Antiochien«, und wie hundert Jahre später der hugenottische Nachfahre der Zeugen von Meaux, Agrippa d’Aubigné, in seinen »Tragiques« sang:

»Les cendres des brûlés sont précieuses graines
Qui, après les hivers noirs d’orage et de pleurs
Ouvrent, au doux printemps, d’un million de fleurs
Le baume salutaire …«

Auch die Lage der Evangelischen im Lande hatte sich unterdessen verschlimmert. Die bisherige Nachsicht des Königs war leider nicht durch Motive der Gerechtigkeit oder durch Anwandlungen von Frömmigkeit bestimmt gewesen, sondern durch seine Abneigung gegen die ihn abstoßende römische Beschränktheit und durch seine Freude an der wissenschaftlichen Arbeit der fortschrittlichen Humanisten. Andererseits ist für des Königs endgültiges Verhalten entscheidend nur sein Vorteil. Sobald es gelingt, ihn zu überzeugen, dass die Reformation seine Einkünfte verringert, seine Autorität bedroht und ihm persönlich abträglich ist, stellt er sich sofort auf die Seite der Verfolger – eine scheinbare Parallele ist die Intoleranz Elisabeths von England, welche die Presbyterianer unterdrücken ließ, weil sie in der zunehmenden Autorität jener eine Verringerung ihrer königlichen Macht voraussah – und doch, wie tief steht bei alldem der Charakter des französischen Königs unter den politischen Erwägungen der englischen Herrscherin!

Der Umschwung in der Stimmung Franz’ I. vollzieht sich in den Jahren 1533 und 1534. Als in Paris die Predigten des von Meaux her bekannten Beichtvaters von Margarete, Roussel, Aufsehen erregen, wird von dem Dekan der Sorbonne eine auch gegen Margarete von Navarra gerichtete Agitation auf den Kanzeln der Stadt entfesselt. Der Anstoß ist so groß, dass der König zwar Roussel ein Redeverbot auflegt, aber zugleich die klerikalen Aufpeitscher verbannt. Durch diese salomonische Entscheidung erregt Franz I. abermals den Zorn der Fakultät; man sagt, dass einer ihrer alten Theologen nicht sterben konnte, bevor nicht in seinem Krankenzimmer der Ketzer Roussel wenigstens in effigie verbrannt worden war.

Die noch immer im labilen Gleichgewicht befindliche Stimmung des Königs schlägt um infolge der sogenannten Plakat-Affäre. In der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober des Jahres 1534 werden reformerische Plakate angeschlagen, deren Inhalt sich gegen die Korruption der Kirche richtet, aus welcher der König doch selbst so viele Vorteile zieht. Diese Plakate scheinen allgegenwärtig zu sein. Franz findet ein solches Druckblatt sogar in der »Tasse, in der er sein Tuch zu netzen pflegte«. Jetzt wirft er das Steuer herum und gibt den Todesurteilen freien Lauf. Die Hinrichtungen in großem Maßstab heben an: Am 27. November werden bereits sieben Protestanten, unter ihnen der arme Krüppel Milon, »convertis en cendres«. In einer riesigen Prozession des Heiligen Sakraments, an welcher der König teilnimmt, wird gegen die angebliche Verächtlichmachung der Hostie protestiert. Im Januar 1535 wird die erste Frau verbrannt, die Lehrerin der Gemeinde St. Séverin, Marie la Catelle. Sie hatte mit ihren Schülerinnen das Evangelium in der Landessprache gelesen und die Kinder nicht mehr das Ave Maria aufsagen lassen. Auch der Hofarzt Pointet stirbt auf dem Scheiterhaufen, weil er den Mönchen von ihren sittlichen Ausschweifungen gesprochen hatte und von den Schäden des Zölibats.

Im selben Jahr verscheidet der erbittertste Feind der Reformation und unheilvollste Ratgeber des Königs, Erzbischof Duprat, in seinem Prunkbett. Noch bevor er die Augen schließt, beschlagnahmt der König die Schätze, die der gewissenlose Kanzler aufgehäuft hatte: in seinem Schloss von Rambouillet sein Geschirr aus reinem Gold und 800.000 Taler. In seinen übrigen Besitzungen fanden sich, wie man sagte, noch 300.000 Livres, »zu deren Erben der König sich selbst ernannte«. Duprat war 72 Jahre alt geworden; nach einem Wort seiner Zeit »bipedum omnium nequissimus«, das heißt, in verständliches Deutsch übertragen: »der größte Schurke auf Gottes Erdboden«.

In den folgenden Jahren dehnt sich die Ausrottungsaktion von Paris über das Land aus, wo sich, auch als Frucht der Märtyrerzeugnisse, die Evangelischen geradezu vervielfachen. Die Scheiterhaufen rauchen allenthalben gen Himmel, man verbrennt die Bekenner des christlichen Glaubens wie Reisigbündel. Im Einzelfall überschlagen sich die Exekutionen: In Toulouse wird um der römischen Lehre halber der Inquisitor Louis de Rochète mitverbrannt. Die weitaus schrecklichste Erscheinung aus dem letzten Jahrzehnt der Regierung Franz’ I. ist jedoch die Vernichtung der stillen, fleißigen und frommen Waldenser diesseits der Alpen in der Provence. Man hatte beim König den Anschein erweckt, dass sie Aufrührer seien, welche sich der Stadt Marseille bemächtigen wollten, und er bewilligt dem Kardinal von Tournon durchgreifende Massaker, welche die Ausrottung der Bevölkerung von Cabrières und Mérindol östlich der Quelle von Vaucluse zum Ziel haben. Dreißig Dörfer werden in Brand gesteckt. Die Waldenser werden erschossen, niedergestoßen und in ihren Zufluchtsstätten verbrannt. Außer den Tausenden an direkten Todesopfern werden etwa 250 hingerichtet, 600 auf die Galeeren geschickt, Kinder als Sklaven verkauft, viele in Gefängnisse gebracht. Einige Tausend schlagen sich durch die Gebirge nach Genf durch, wo Calvin in letzter Treue eine Hilfsaktion der schweizerischen Kantone für sie einleitet. Es braucht nicht gesagt zu werden, dass der Hauptschuldige an diesem grauenhaften Verbrechen, der Baron d‘Oppède, das Lob des Papstes erntet.

Die Waldenserverfolgungen lenken unsere Aufmerksamkeit auf das südöstliche Frankreich, das später die ganze Verantwortlichkeit für das Schicksal des Evangeliums in Frankreich zu tragen haben wird. Hier, nördlich von der Provence, war im Jahre 1489 der Reformator Farel geboren. Um seinen Typus vergleichend zu verstehen, könnte man zuvor die allgemeine Frage anschneiden, ob Propheten und Reformatoren Exponenten oder Ergänzer ihres Volkscharakters zu sein pflegen, Standardtypen oder Gegentypen. John Knox in Schottland wäre ein Beispiel für das Erstere. Aber die Beobachtung, dass jedes Volk Gegengewichte für seine herrschenden Neigungen anzuerkennen bestrebt ist, legt die Frage nahe, ob dies auch für das Gebiet der Religion und für Frankreich gilt. Die Druiden werden uns vorgestellt als finstere Priester des so beweglichen keltischen Volkes. Calvin, herb und streng und sichtlich ohne den leichten Charme des Franzosen, ist der gallischen Seele eigentlich nur durch das rationale Element verbunden, das in ihm ohne Unterlass auf höchste Klarheit drängt. Sein Gegentyp ist Guillaume Farel. Es würde eine bequeme und schiefe Vereinfachung bedeuten, wenn man ihn etwa als Südfranzosen dem Nordfranzosen Calvin gegenüberstellen wollte. Farel wirkt wie eine Inkarnation des rassereinen Keltentums. Sein Geburtsland ist die Dauphiné, das alte Gebiet der keltischen Allobroger und ihrer Stammesgenossen, die sich hier angesiedelt hatten. Der Kelte – man studiere dazu die Kulturgeschichte von Wales – ist begeisterungsfähig, hitzig, gemütsbewegt, draufgängerisch, heroisch, und eben deshalb ungeordnet und unfähig zu organisieren. So steht der Charakter Farels vor uns: jäh, ein Mann des wilden Ansturms ohne Reflexion auf Gefahr, ein schweifender Feuerbrand. Später in Genf wird er Calvin als Ergänzung und Korrektiv bitter nötig haben, damit geordnet und aufgebaut werde.

Dieser Elias, der nicht schreibt, sondern handelt, erblickt 1489 als Kind eines kleinen Landedelmannes in Gap, der Heimat der keltischen Caturici und Avantici, das Licht der Welt und wächst inmitten von vier Geschwistern auf. Seine Eltern sind fromme Katholiken. »Mein Vater und meine Mutter glaubten alles«, schreibt er von ihnen. Der Knabe ist sehr begabt, phantasievoll, aufrichtig und treu, von unbezähmbarem Mut und einer Kühnheit, die vor keinem Hindernis zurückschreckt. Er ist ein hundertprozentiger Mensch: Der spätere Zusammenstoß mit dem immerdar minderprozentigen Erasmus und mit dessen »Hass gegen jenes absolute Sichersein, das so unzertrennlich zu den Reformatoren gehörte« und gegen alle Zerstörer erwünschter Kompromisse ist eine geschichtliche Groteske. Er hat die Schattenseiten seiner Vorzüge: Seine Gewalttätigkeit kostet ihn später seine Tätigkeit in Montbéliard.

Der junge Guillaume wirft sich zunächst Hals über Kopf in alle katholischen Praktiken hinein. Als Kind von sieben Jahren schon steht er andächtig bei Tallard vor dem wunderbaren Kreuz, das aus dem Kreuz Christi geschnitten ist. Dann begehrt er zu studieren, und der Vater gibt seinem Wunsch nach. So nimmt er vorläufigen Unterricht in der Heimat, bevor er nach Paris geht zur »Mutter aller Wissenschaften, dem wahren Licht der Kirche, das niemals verdunkelt wird; dem klaren und polierten Spiegel des Glaubens, den keine Wolke verdunkelt und keine Berührung verunreinigt«. Um 1509 erreicht er die Hauptstadt, als gerade der Vorgänger Franz’ I., Ludwig XII., die Bischofsversammlung von Tours einberufen hat, um dem Papst Trotz zu bieten. Lefèbvre d‘Etaples lehrt ihn mit ungewöhnlicher Klarheit Philosophie, doch sehr bald werden der Alte und der Junge auch durch freundschaftliche Bande verbunden. Die Gemeinsamkeit eines innigen Glaubens führt sie zusammen; sie schmücken gemeinsam Madonnenbilder, sie beten gemeinsam auf den Feldern zu der Himmelskönigin.

Noch ist Farel Katholik ohne Vorbehalt. Hört er gegen den Papst reden, dann fletscht er die Zähne wie ein reißendes Tier – »Ich glaube an das Kreuz, an die Wallfahrten, an die Heiligenbilder, an die Reliquien. Was der Priester in der Hand hält und in den Schrein setzt, ist mein einziger wahrer Gott, und außer ihm gibt es keinen anderen, weder im Himmel noch auf Erden.« Später sagte er von sich: »Der Satan hatte den Papst und alle Papisterei derartig in mein Herz gepflanzt, dass der Papst selbst nicht so viel Papisterei in sich hatte wie ich«. Je mehr er Gott sucht, desto mehr versinkt er in seine Fehler und in die Abgründe seiner Seele. Er liest das Leben der Heiligen, er studiert die alte Philosophie und versucht, Aristoteles für einen Christen zu halten. Dann liest er die Heilige Schrift und findet dort ganz andere Wahrheiten. Er errötet, wenn er Verse entdeckt, die gegen die katholische Kirche zeugen. Schließlich will er nichts mehr sehen – nur nichts mehr sehen! –; so schließt er die Augen und wirft sich blindlings in die Möncherei der Chartreuse-Brüder. »Ich hatte damals mein Pantheon in meinem Herzen: so viele Fürsprecher, so viele Heilande, so viele Götter, dass ich ein wandelndes Register des Papsttums war.«

Jetzt ist es Lefèbvre, der ihm helfen kann, weil ihm selbst geholfen worden ist. Der Professor liest die Schrift mit geöffneten Augen der Seele und lehrt sie seinen jungen Studenten geistlich verstehen. »Lefèbvre hat mich unterwiesen«, schreibt er, »dass alles aus Gnade kommt und einzig aus der Barmherzigkeit Gottes, ohne dass es irgendjemand verdient hat. Das habe ich geglaubt, sobald es mir nur gesagt wurde.« Bankrott mit sich selbst, mit seinen Vorsätzen und guten Werken, wirft er sich auf die Verheißung der Rechtfertigung aus dem Glauben an Jesus Christus.

Er ahnt zunächst nicht, dass dieses Geschenk der Gnade an seinen erleuchteten inneren Menschen seine katholische Rechtgläubigkeit aus den Angeln gehoben hat. Die Anrufung der Heiligen steht noch immer in seinem Leben mit all ihren reichen, erbaulichen, farbensatten Bildern, und erst die Abwendung Lefèbvres von der katholischen Legende und das treue Wort Michel d’Arandes, des späteren Seelsorgers Margaretes von Navarra, lösen ihn von der sinnenhaften Welt der Vermittler und Nebengötter Roms. Mit ihnen fällt auch schließlich die Autorität des Mittelsmannes auf dem Stuhl des Petrus. »Es war freilich nötig«, schreibt Farel, »dass sie stückweise von meinem Herzen abfiel, denn auf den ersten Stoß hin kam sie noch nicht herunter«. Aber als er Jesus Christus mit der Seele schaut und sagen kann: »Die Stimme Christi, mein Hirte, mein Meister, mein Lehrer spricht mit Macht zu mir«, vermag er »nicht mehr mit dem mörderischen Herzen eines tollwütigen Wolfes, sondern wie ein sanftes Lamm« zum Papst die neue Stellung zu gewinnen und sich Jesus Christus hinzugeben.

Nun studiert er Griechisch und Hebräisch, um die Bibel im Urtext kennen zu lernen. Er wird die Heilige Schrift brauchen, denn noch steckt »eine starke Wurzel der Bezauberung Satans« in seinem Herzen. »Ich konnte«, schreibt er zurückblickend, »mich schlechterdings nicht von der Messe losmachen; ich war noch wie von ihr behext … und am meisten war ich durch die Anbetung des Brotes und des Weines verführt und geblendet.« Immer noch besucht er katholische Gottesdienste, aber inmitten der lateinischen Litaneien und der unruhigen Menge, der »clamores multi, cantiones innumerae«, schreit es in ihm auf: »Du allein, Du bist Gott. Du allein, Du bist weise. Du allein, Du bist gut. Nichts darf hinweggenommen werden von Deinem heiligen Gesetz, nichts darf hinzugetan werden, denn Du bist Herr ganz allein und nach Dir allein verlangt mich und nach Deinem Befehl!« Doch ist es nicht der Schrei der religiösen Seele, der ihn endlich vom Zauber des Hochamts löst, sondern das objektive Wort der Offenbarung in der Bibel in einer »cognoissance générale de la dignité de la parole de Dieu« und die »Überzeugung, dass alles ihr nicht Gemäße völlig verdammenswert« sei.

Von der nun folgenden Tätigkeit Farels in Meaux haben wir gesprochen. Bald muss er nach dem Süden und nach Basel fliehen, bald wird er, und zwar als Laie, zum evangelischen Pfarrer ordiniert werden. Hier bricht ein auffallender Unterschied zwischen dem Luthertum und dem französischen Protestantismus auf. Wir wissen, wie sehr Luthers Tätigkeit bestärkt wurde durch das Bewusstsein, dass er Doktor der Theologie war, und wie lebendig noch heute in der nordischen Ausprägung des Luthertums die Gedanken von der bischöflichen Sukzession sind. Wäre Bischof Briçonnet dem Evangelium treu geblieben und hätte ihn der Feuertod verschont, dann wäre er vielleicht der erste evangelische Kleriker Frankreichs geworden. Mit Briçonnets Abfall reißt diese mögliche organische Linie gleichsam schon nach ihrem ersten Punkt ab, und die großen Zeugen des Evangeliums und die ganz großen christlichen Persönlichkeiten in Frankreich von jetzt ab werden Laien sein. Schon Lefèbvre war philosophischer Humanist gewesen, obzwar er nebenbei die Weihen empfangen hatte. Farel ist Laie. Calvin ist Doktor der Rechte. Beza ist Jurist und Altphilologe. Coligny ist General. Pascal, der evangelische Katholik, ist Mathematiker. Der Schöpfer des freien Predigtamts für die Kirche der Wüste, Claude Brousson, ist Doktor der Rechte und Advokat von Beruf. Der Wiederhersteller der protestantischen Kirche, Antoine Court, ist ein primitiver Autodidakt, Rabaut ist Laienprediger und nur vorübergehend auf dem Seminar in Lausanne. Dementsprechend ist der Charakter des französischen Protestantismus bis 1750 laienhaft geprägt und in diesem Sinne volkstümlich.

Zunächst arbeitet Farel als freier Evangelist, seine Tätigkeit in Meaux unterbrechend, in seinem Heimatort und spricht zu seinen drei Brüdern über das Evangelium – zehn Jahre später sehen wir sie ihr Hab und Gut für den Heiland verlassen. Eine in Gap ausbrechende Erweckung vereinigt die kirchlichen und weltlichen Mächte gegen ihn. Nun schweift er an den Ufern der Durance und Isère predigend umher. Dort gewinnt er auch den Hutten Frankreichs, den Ritter Anémond von Coct, für Jesus Christus. Im Temperament ist Anémond Farels Komparativ, in der Unrast eines ungestümen Lebens fast sein Zerrbild. Liebenswürdig, unternehmungsdurstig, alles wagend verzichtet der Ritter auf sein Familienerbteil zu Gunsten seines Bruders, eilt nach Basel, dann nach Wittenberg und erreicht dort, dass Luther beim Herzog von Savoyen die Versorgung der Dauphiné mit evangelischen Predigern beantragt.

Nach der Katastrophe von Meaux und der Flucht über Paris nach dem Süden, nach einer Zwischentätigkeit in Basel und Straßburg, kehrt Farel, von Oekolampad konsakriert, nach Frankreich zurück, das heißt nach dem Ländchen Montbéliard südlich von Belfort, das 1397 von der Freigrafschaft Burgund an die württembergischen Herzöge gekommen war und dessen Herzog Ulrich dem Evangelium wohlgeneigt ist. Farel ist hier ein General auf Vorposten. Oekolampad, der das unbändige Temperament seines Freundes nur zu gut kennt, ermahnt ihn vorsorglich, doch seinen Löwenmut mit der Sanftheit einer Taube zu vermählen. Vor Farel liegt die Franche Comté, die Bourgogne, zu seiner Linken das Lyonnais, zu seiner Rechten Lothringen. Dass der geistberührte Prediger allenthalben Feuer Gottes entzündet, bezeugt ein grämlicher Brief des Erasmus an den Bischof von Rochester aus jenen Jahren. Unterdessen wächst auch die evangelische Bewegung in Grenoble und besonders in Lyon. Etwa um dieselbe Zeit bildet sich im nahen Basel eine fruchtbare Arbeitsgemeinschaft des Freundeskreises Farel-Anémond; Zwingli, Oekolampad, Myconius stehen ihnen nahe. Täglich finden Gebetsversammlungen für die heilige Sache statt. Schwer sind die Erschütterungen der neuen Gemeinschaft durch die Abendmahlsstreitigkeiten, die sich auch für den Norden Frankreichs als verheerend erweisen. Aufbauend dagegen ist die Gründung einer Bibel- und Traktat-Gesellschaft, die von den wohlhabenden Evangelischen in Lyon finanziert wird. Farel übersetzt die reformatorischen Schriften ins Französische, besonders Luthers Auslegung des Vaterunsers. Anémond liest Korrektur und lässt drucken. Die Maschinen in Basel laufen Tag und Nacht, und Frankreich wird von hier aus mit Bibelteilen und evangelischen Schriften geradezu überflutet.

Leider kommt bald die rastlose Arbeit Farels in Montbéliard zu einem schmerzlichen Ende. Farel, dem ein Melanchthon fehlt, beginnt, die Franziskaner von Besançon, welche zu polemischen Zwecken in die Kirche von Montbéliard herübergekommen waren, zu »entlarven«. Nicht nur der elektrische Strom, sondern auch seelische Spannungen suchen immer den kürzesten Weg und lieben den Kurzschluss. Ins Religiöse übertragen: Allzu nahe liegt dem hitzigen natürlichen Menschen aller Zeiten eine ungeistliche Imitation des Jesus, der den Tempel reinigt. Oekolampad, der das Verhängnis kommen sieht, schreibt an den ungestümen Geißelschwinger seelsorgerliche Worte: »Du bist gesandt, zu segnen und nicht zu fluchen. Die Ärzte amputieren nicht eher, als bis alles andere versagt hat. Sei ein Arzt, sei kein Henker!« Doch das Unheil ist nicht mehr aufzuhalten; irgendein letzter, entscheidender öffentlicher Zusammenstoß scheint Farels Schicksal besiegelt zu haben. Ein leidlich bezeugter Bericht spricht von einem öffentlichen Angriff des ergrimmten Reformators auf die Monstranz, die von einem Priester über Land getragen wird. Eine andere, legendäre Überlieferung, die seit Kirchhofer bestritten wird, hat den Vorteil ungemeiner Lebendigkeit – man möchte sagen, dass sie Farel zu ähnlich ist, um ganz erfunden zu sein: Er begegnet einer Prozession des Heiligen Antonius und stößt mit ihr genau an einer Brücke zusammen. Zwei Priester, die einen Schrein mit dem Heiligenbild tragen, bewegen sich auf ihn zu. Farel ist einen Augenblick unentschieden. Soll er umkehren? Soll er ausweichen? Es wird ihm nicht allzu schwer, aus sich das Gegengift zu der scheinbaren Versuchung der Stunde zu erzeugen. Er packt den Schrein und wirft ihn mitsamt dem wundertätigen Bild in den Fluss. Auf das wütende Geschrei der Prozessionsteilnehmer antwortet Farel mit Donnerstimme: »Ihr armen Götzenanbeter, werdet ihr niemals eurer Abgötterei entsagen?«

Farel muss nun Montbéliard verlassen; seiner eigentlichen Wirksamkeit in Frankreich ist damit ein Ende gesetzt. Nur noch einmal, im Winter 1561-1562, ist er vorübergehend in der alten Heimat Gap tätig. Von seiner weiteren Arbeit in der Schweiz ist hier nicht zu handeln.

»Man ist fruchtbarer Fortsetzer eines Werkes nur unter der Bedingung, dass man den voraufgegangenen Führern unähnlich ist« – dieses paradoxe Wort Vinets charakterisiert den anderen Reformator Frankreichs, der zwanzig Jahre jünger war als Farel und seinen Vorgängern unähnlich und ihnen nicht angepasst werden kann und nicht aus ihnen erklärt werden kann: Johannes Calvin. Luthers überreiche, sturmdurchtoste Seele hat viele Saiten auf ihrem Instrument und kann zwar allein vom Glauben her in ihrem Wesen verstanden, kann aber auch von allerlei natürlichen Gesichtspunkten her mannigfaltig missverstanden werden. Die Freunde des Rassegedankens verstehen ihn als Exponenten des wesenhaften Deutschtums in seiner Eigenschaft als Bibelübersetzer und Neuschöpfer der deutschen Sprache. Der Liberalismus preist ihn als Zerbrecher des scholastischen Dogmas, als Herold einer geistigen Emanzipation. Sozialisten schmähen ihn als Feind der Bauernaufstände, Gegner des Judentums reklamieren ihn als den Ihrigen, und die Allermodernsten nennen den Kämpfer Luther den ersten »Deutschen Christen«.

Calvins Gestalt dagegen ist spröde wie Hartglas oder Stahl, sein Charakter erscheint beinahe übermenschlich homogen. Er kann von niemandem in Anspruch genommen werden, der anders ist als er selbst, und jeder Versuch dazu muss scheitern. Das Wort Schillers im Prolog zum Wallenstein: – »von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte«, gilt wohl von Männern wie Cromwell, den die Torys als ein Könige mordendes Ungeheuer und den die Whigs als einen vulgären und lächerlichen Heuchler beschrieben. Aber das eindeutige Bild Calvins kann nur innerhalb seiner selbsteigenen Art, durch Unterstreichen ihm eigentümlicher markanter Linien vereinseitigt und überspitzt werden, die Schönheiten seines Charakters überbetont, seine Schwächen mit schwarz unterlegt, vermittelnde Eigenschaften wegretuschiert werden. Er bleibt im Grunde immer derselbe, der schlechterdings Respekt einflößt, von der Souveränität Gottes inspiriert, unerbittlich folgerichtig gegen sich und andere bei aller Herzensgüte, die metaphysischen Voraussetzungen seines Denkens in unverbrüchlichem rationalen Denken logisch weiterverfolgend bis zum letzten Ende.

Er ist ein Kämpfer wie keiner, und doch anders als der Heros, als den Carlyle John Knox so wundervoll beschreibt, denn eine naturhafte Scheu und Ängstlichkeit begleitet ihn sein Leben lang und wird nur überwunden durch die noch größere Furcht vor dem Gott, der ihn berufen hat.

Es ist nicht die Aufgabe dieser Kapitel, einen Lebensabriss des Mannes zu schreiben, der sein eigentliches Werk in der Schweiz tat und mit geradezu furchtbarer Wucht das Gepräge seines Geistes dem westlichen Europa und darüber hinaus einem Teil der Vereinigten Staaten von Amerika aufdrückte. Auf Frankreich wirkt er nur mittelbar, durch die Ausstrahlung seines Geistes, durch seine Lehre in der Institutio und im Katechismus, durch Briefe, durch das Vorbild Genfs und durch den von dort nach Frankreich gesandten Predigernachwuchs, aber er wirkt darum nicht schwach, sondern auf andere Weise stark.

Unmittelbar, als Franzose in Frankreich, steht nur der junge Jehan Cauvin vor uns, der Sohn eines Emporkömmlings und bald ein mutterloses Kind. Von dem rechnenden Vater aus einer lukrativen Karriere in die andere geschoben, aus dem Priestergeschäft in die noch einträglichere Juristenlaufbahn, lebt er in einem Milieu, das ihn im Opportunismus zu ertränken droht. Mit zwölf Jahren erhält er als Sohn eines bischöflichen Finanzverwalters bereits eine Kaplanspfründe der Kathedrale von Noyon. Mit 18 Jahren wird ihm eine Kaplanspfründe der Pfarrstelle von Monteville zuteil, ohne dass er jemals irgendwelche kirchlichen Dienste zu tun braucht. Wenn Hippolyte Taines Geschichtsbetrachtung, nach welcher der historische Mensch als Produkt von Erbmasse und Milieu zu erklären ist, richtig wäre, müsste der Charakter Calvins als der eines juristischen Erasmus errechnet werden. Stattdessen zeichnet uns die Überlieferung den jungen wie den alten Calvin als ein sich gleich bleibendes Bild von Selbstlosigkeit, Unbestechlichkeit und Ungebrochenheit des Wesens; in der Zeit seiner größten Macht in Genf erhält er schließlich nach Hungerjahren 3500 Mark Jahresgehalt und findet, dass schon dieser Betrag zu hoch ist.

Etwa in das Jahr 1534 fällt die Bekehrung des stillen Gelehrten, von der er in der berühmten Vorrede seiner französischen Erklärungen zum Psalter sagt: »Obwohl ich hartnäckig dem Aberglauben des Papsttums ergeben war, hat Gott durch eine plötzliche Bekehrung (une conversion subite) mein Herz gebändigt und Sich gefügig gemacht … Nachdem ich also den ersten Geschmack und die erste Kenntnis wahrer Frömmigkeit gewonnen hatte, wurde ich sogleich von einem so großen Verlangen entzündet, alles das auszukosten, dass ich, ohne die anderen Studien völlig aufzugeben, sie immerhin erheblich nachlässiger betrieb. Dazu kam, dass zu meinem großen Erstaunen bereits vor Ablauf eines Jahres alle diejenigen, welche irgendein Verlangen nach reiner Lehre hatten, sich mir anschlossen, um zu lernen.«

Das war in Nérac südlich von der Garonne. Ein Jahr zuvor hatte er noch im Collège Forfet, in der Rue Vallette in Paris gewohnt – wer Paris durchwandert, betrachte sich aufmerksam den alten Treppenturm im Hof, die einzige Erinnerung an den Reformator in der französischen Hauptstadt – und dort seinem Freund Cop, dem jugendlichen Rektor der Universität, seine Amtsrede am Allerheiligentag über Rechtfertigung und Gnade ausgearbeitet. Dann müssen beide fliehen. Nur noch einmal kommt Calvin nach Paris zurück, dann nicht mehr nach Frankreich.

Um Calvins Lehre, die bald das ganze gebildete Frankreich ergreifen sollte, um die Eigenart seiner Gedanken über Aufbau der Gemeinde und Wesen der Kirche, über Heiligung und Dienst Gottes zu verstehen, die dann den hugenottischen Typus formieren, wird es nützlich sein, sich einmal an das Frankreich zu erinnern, das Calvin erlebte, bevor er es verließ.

In moralischer Beziehung vollendet sich die Jugend Calvins in dem Frankreich Franz’ I., in welchem der überkommene sittliche Tiefstand des Volkes und erst recht des Hofes sich mit der sittlichen Unbekümmertheit der Renaissance nur zu innig vermählt. Der höfische Geschichtsschreiber der Zeit, Brantôme, beschreibt den Hof als einen Pfuhl von Schamlosigkeit. Der König selbst stirbt an der Lustseuche, nachdem er seine zweite Gemahlin und die Damen des Hofes damit infiziert hat. Weiter vermischt das Frankreich Calvins die sinnenhaften Gedanken der Renaissance in gefährlicher Weise mit christlichen Ideen, wenn auch nicht in demselben Maße wie in Italien. Es hing damals im Schloss Fontainebleau ein Gemälde, das Calvin vielleicht kannte, ein Bild von Leonardo da Vinci, in dem dieser Zusammenhang geradezu krass deutlich wird: Johannes der Täufer, der in der Form des Verkünders Christi unverkennbar die Züge eines heidnischen Bacchus trägt. Der italienische Meister hatte es um 1510, einige Jahre vor seinem Aufbruch nach Frankreich gemalt, wo er die letzten Jahre seines Lebens als Gast des französischen Königs in dem Schlösschen Cloux bei Amboise verbrachte. Wenn die Renaissance sich dergestalt weithin in den Mantel christlicher Vorstellungen kleidete, löste sie umso sicherer letzte Widerstände christlicher Reserven auf, sie, die ja eben nicht sittliche Wiedergeburt, sondern eine Art weltanschauliche Verfeinerung der Sinnlichkeit bedeutete und so den moralischen Niedergang nicht aufhob, sondern vielmehr unkenntlich und dadurch umso gefährlicher machte.

In diesem Frankreich des sittlichen Verfalls, der nur dünn mit den freudigen Farben des Florentiner Neuheidentums übermalt ist, lebt der junge Calvin. Die Summe der auf ihn einstürmenden hässlichen Einzeleindrücke kann von ihm nicht anders denn als der einheitliche Block einer feindlichen Macht empfunden werden, von der es sich so weit wie möglich zu entfernen gilt. Er muss lernen, nicht nur abzurücken, sondern einen möglichst breiten Rand zwischen sich und dem Abgrund zu lassen: So wird er auch die Kirche Frankreichs lehren. Und wenn später in der von seinem Geist geformten Gemeinde Montauban eine adlige Dame vom Abendmahl ausgeschlossen wurde, weil sie eine künstliche Frisur trug, dann meinte der strenge Kirchenzuchtbeschluss nicht eigentlich den »fil d’archal« in ihren Haaren; er wies darauf hin, dass hier der Rand des Abstands vom weltlichen Leben zu schmal geworden war.

Die Tatsache, dass man die Wahrheit von dem Rückschlag in der Geschichte, von der Pendelausschwingung nach der anderen Seite ein wenig totgehetzt hat, schließt nicht aus, dass man sich ihrer zur rechten Zeit erinnere. Sicherlich ist das in diesem Zusammenhang am Platze, und ich möchte den angeschnittenen Gedanken noch ein wenig weiterführen. Man beanstandet in Calvins Gedanken und Wirken und Anweisungen für das Gemeindeleben den radikalen Ton, sobald es sich um völlige Scheidung von Wesen und Art des katholischen Kultus handelt. Wie war dieser Kultus, den er in der ersten Hälfte seines Lebens geschaut hatte, geartet? Ein unsinniger Pomp in Verbindung mit zahllosen Emblemen und darstellenden Festen schafft im besten Falle einen mystischen Ästhetizismus, welcher sinnenhafte Rührung mit sittlicher Charakterbildung verwechselt. Das Volk bleibt – und ach wie gern! – im Symbol stecken und sieht Gott mit den Augen des Geistes nicht mehr. Die Unterschlagung des zweiten Gebots: »Du sollst dir kein Bildnis, noch irgend ein Gleichnis machen von dem, was im Himmel ist … « rächt sich nach den unerbittlichen Gesetzen der Geisteswelt. Allenthalben werden äußerliche Dinge stellvertretend für unsichtbare Werte gebraucht, z.B. Bilder, Schaustellungen, Prozessionen.

Wenn man einwendet, dass Luther in Deutschland eine ähnlich veräußerlichte Kirche vorgefunden hat, so mag daran erinnert werden, dass vielleicht in Frankreich noch mehr als in Deutschland das grobe Heidentum der Vergangenheit in dem bunten Kleid des Katholizismus einen festen Unterschlupf gefunden hatte. Allein gelassen, verliert es von selbst seinen Reiz für reifere Menschen, so wie der »Feenbaum« bei Domremy, in dessen Zweigen die Jugend des Dorfs Blumenopfer aufzuhängen pflegte, der herangewachsenen Jeanne d’Arc nichts mehr zu sagen hatte. Sobald aber Heidentum durch christlichen Kultus in haltbare Formen gefasst und durch sie verklärt im Volkstum wuchert, gedenkt es gerade so lange zu leben, als die kirchlichen Formen bestehen, die ihm schützende Schneckenschale geworden sind. Wer dafür eine unvergessliche Illustration zu haben wünscht, der lerne zuerst aus einer Religionsgeschichte etwas über die heilige Dreiheit der keltischen Fruchtbarkeitsgöttinnen. Dann reise er in die Provence und durchwandere nördlich von Arles die Gegend der grauenhaften Trümmerstadt Les Baux. Dort findet er die alten Felsen, auf denen nach der Überlieferung die keltischen Priester ihre Opfer schlachteten, dort zeigt man ihm auch ein uraltes Steinrelief mit drei verwaschenen Figuren. Die Anwohner nennen sie in ihrem provenzalischen Dialekt: »Les tré-majé«, die drei Marien. Und endlich, am 24. Mai, fahre er hinunter in das Rhônedelta zum Fischerdorf Les Saintes Maries und sei dort Zeuge der Prozession, die dort seit Urzeiten gefeiert wird zu Ehren der angeblichen »Drei Marien«, der Maria Jakobäa, der Maria Salome und der Maria Magdalena, wie sie jetzt heißen, und zu Ehren ihrer Reliquien, die in einer Hochkapelle über der Apsis der alten Festungskirche verwahrt werden.

Das ist katholische Kirche Frankreichs noch in unseren Tagen. Daran gemessen können wir uns einen schwachen Begriff machen von dem, was der heranwachsende Calvin an verkapptem Heidentum, an verbilderter Dämonie vorfand, wie denn auch im »Gargantua« von Rabelais die Pilger die Pest auf den heiligen Sebastian zurückführen als christliche Neuerscheinungsform alten Dämonenglaubens, oder die Wassersucht auf den heiligen Eutropius. Calvin wusste, was es um die irrtumsträchtige Macht sinnlicher Vorstellungen und äußerer Formen sei. So verwirft er kompromisslos das Symbol und weist den Aufbau der Gemeinde zu streng bildloser Lebensgestaltung und einfachster Gottesverehrung. Wenn die Schwärmer der Reformationszeit die Bilder verwarfen, weil sie nicht klar Wesentliches und Unwesentliches zu unterscheiden vermochten, so lehnt Calvin eine Ästhetik des Gottesdienstes ab, weil er allzu klar sieht, wie stark sinnenhafte Form den Inhalt gestaltet, wie gierig sie ist, ihn zu ersetzen, wie unausrottbar die Neigung der Seele ist, ein gefälliges Äußeres irdischen Ursprungs dem unsichtbaren Glaubensgehalt vorzuziehen.

Die Glaubenslehre Calvins, die Institutio, – zuerst in kleinem, später in größerem Umfang, zuerst in lateinischer, dann in französischer Sprache –, erscheint von 1536 an in den Händen der Gebildeten Frankreichs. In dem Maße, wie die Wirkung der Schriften Luthers als eines nationalen Exponenten der deutschen Reformation abebbt, tritt die klassische Kirchenlehre Calvins an ihre Stelle. Ihr Einfluss wird am eindrücklichsten klargemacht durch die Äußerungen eines seiner Gegner aus jener Zeit (du Plessis)¬: »Die Ketzerei, die in Meaux eingerissen war, war genau gesehen weder die Häresie Luthers, noch die Zwinglis. Sie war ein übles Gemenge des einen und des anderen unter Beifügung von allerhand Gottlosigkeiten, welche die Einzelnen von sich aus dazugaben. Calvin erschien kurze Zeit darauf in Frankreich. Er bot seine Maximen in einer weniger entliehenen Form und in mehr systematischer Gestaltung, als es bisher der Fall gewesen war. Und alle diejenigen, welchen es wenig ausmachte, diese oder jene Sektenlehre anzunehmen, wenn sie nur dadurch von der katholischen Kirche loskamen, auf die sie im Grunde ihres Herzens nichts mehr gaben, – stürzten sich kopfüber in diese neuen Fabeln hinein. Es ist unglaublich, in welchem Maße gerade dieser Ketzer Anhänger warb, und mit welcher Schnelligkeit er es tat. Jetzt war es nicht mehr der rohe Pöbel, wie in der Zeit von Bischof Briçonnet, sondern die großen Herren und die vornehmsten Familien des Königreichs schüttelten um die Wette das Joch der alten Religion ab.«

Doch wir reihen uns jetzt wieder in den äußeren Geschichtsverlauf ein. Heinrich II., zweiter Sohn Franz’ I., gespannt in den dreifachen Einflussrahmen seiner Mätresse Diana von Poitiers, seiner italienischen Gemahlin Katharina von Medici (die erst später hervortreten wird)¬und der ultramontanen lothringischen Guisen, wird im Monat Juli des Jahres 1547 von dem 22-jährigen Erzbischof von Reims gesalbt, der über ihm ausspricht: »Die Nachwelt soll von dir sagen können: Wenn Heinrich II. nicht regiert hätte, wäre die römische Kirche vollends zu Grunde gegangen«. Im Oktober desselben Jahres wird als Schöpfung der neuen Regierung die »Chambre ardente«, die Scheiterhaufenkammer, in Paris konstituiert. Zwei Jahre später hält der König seinen feierlichen Einzug in Paris mit einer Sakramentsprozession, einem Festessen und einer Parade von Galgen und Scheiterhaufen, die zur Erhöhung der Feierlichkeit in den Straßen aufgebaut ist. Unter den Todesopfern befindet sich auch jener evangelische Schneider, der vom Bischof von Macon verhört worden war und welcher der sich dabei wichtig tuenden Diana von Poitiers zornig gesagt hatte: »Es ist genug, Madame, dass Sie Frankreich unsicher gemacht haben! Unterlassen Sie es, Ihr Gift und Ihren Schmutz auch in die heiligen Dinge Jesu Christi zu mischen!« Der König betrachtet mit besonderem Wohlgefallen das qualvolle Sterben dieses Mannes auf dem Scheiterhaufen vom Fenster eines gegenüberliegenden Hauses. Als er gewahr wird, dass der Märtyrer ihn, den König, unverwandt durch die Flammen hindurch fixiert, verlässt er hastig seinen Beobachtungsposten, noch lange, wie man sagt, von dem Erinnerungsbild dieser beiden schrecklichen Augen gepeinigt.

Das Parlamentsgericht in Paris erlässt in den drei ersten Jahren der neuen königlichen Herrschaft 500 Haftbefehle gegen die Protestanten. Menschen aller Stände, jeden Alters, vom Kind bis zum Greis, Frauen jeden Lebensalters, Laien, Mönche, Priester werden lebendigen Leibes in Asche verwandelt. Dieses Verfahren wird während der zwanzig Jahre der Regierung Heinrichs II. fortgesetzt. In diesen Jahrzehnten christlichen Martyriums ist Geschichte im höheren Sinne des Wortes beschlossen, »die Geschichte zwischen Gott und Menschen, die« – um mit Brunner fortzufahren – »in keine Chronologie eingeht, da das wahre Sein überzeitlich ist«. Hier kann »durch eine einfache Funktion unseres Geistes das Allgemeine im Einzelnen gefunden und empfunden werden«.

Von den evangelischen Glaubenszeugen, die mit dem Leben abgeschlossen haben, wird ein merkwürdiger und feierlicher Stil des Sterbens erzeugt. Man hat von den »erhabenen Lebensformen des hugenottischen Menschen« gesprochen. Taine spricht von einer »noblesse intérieure«, Milton beschreibt den Calvinisten als »chevalier«, Viénot als den Sinn seines Lebens den ritterlichen Kampf um die Gewissensfreiheit. An diesen freundlichen Lobsprüchen, die aber alle den Kern der Sache nicht treffen, ist eines richtig, dass im Ringen und Sterben dieser Evangelischen ein eigenes und großes Format sichtbar wird.

Eine junge, schöne und vornehme Witwe, Madame de Graveron, sitzt auf dem Schinderkarren, der durch die Straßen holpert. Vordem hatte sie sich selbst so wenig getraut, dass sie Gott täglich bat, ihr das Leiden der Märtyrer zu ersparen. »Ach«, sagte sie, »ich bin so empfindlich, dass ich kaum einen Strahl Sonne aushalte – wie soll ich die Gewalttätigkeit der Henker und die Hitze der Flammen überstehen?« Jetzt hat sie ihre schwarzen Trauerkleider abgetan und ihre feine Sammethaube und anderen Festschmuck angelegt, um, wie sie sagt, sich ihrem himmlischen Bräutigam würdig zu bereiten, bevor man ihr, die alles freudig an sich geschehen lässt, die Zunge abschneidet, damit sie nicht auch vor dem Volk den Heiland preise, und bevor man ihr die Füße und das Gesicht absengt und sie erdrosselt.

In wundervoller Gestrafftheit und Energie der Gebärde steht der junge Florent Venot vor dem Präsidenten des Parlamentsgerichts, Lizet, der ihn auf vier Monate in den Kerker geworfen hatte, um ihn zu zermürben. Als diese Maßnahme erfolglos ist, hat man den Gefangenen in ein Sonderverlies gebracht, in die so genannte »poche« im Palais. In diesem Loch, in dem man weder sitzen noch liegen konnte, und wo niemand länger als 14 Tage aushielt, ohne irrsinnig zu werden, soll der Widerstand Venots gebrochen werden. Der junge Hugenotte besteht die Probe und sagt Lizet ins Gesicht: »Sie nehmen wohl an, dass Sie durch die Länge der Marter meinen Geist schwächen können. Aber Sie vergeuden nur Ihre Zeit damit! Denn ich hoffe, dass Gott mir die Gnade geben wird, bis zum Ende durchzuhalten und Seinen Heiligen Namen durch meinen Tod zu preisen.«

Die Haltung Venots vor seinem Verscheiden erinnert an das Wort des alten gläubigen Keramikers Palissy, dass bei den Hugenotten »schon die Kinder so erzogen werden, dass es in ihrem jungen Leben keine kindische Geste mehr gibt, sondern eine wahrhaft männliche Festigkeit.« Derselbe Palissy wird später in Paris verhaftet, weil er weder abgeschworen noch das Land verlassen hat. Er wird mit Todesstrafe bedroht und schließlich als Neunzigjähriger in die Bastille eingekerkert. Der damalige König Heinrich III. – es ist im Jahre 1588 – besucht den berühmten Künstler und sagt zu ihm: »Mein Lieber, wenn Sie sich in Sachen der Religion nicht anpassen, muss ich Sie leider in feindlicher Hand lassen!« Der alte Mann antwortet: »Sire, Sie haben nun wiederholt gesagt, dass ich Ihnen Mitleid einflöße. Aber ich habe Mitleid mit Ihnen, denn Sie haben nicht wie ein König gesprochen. Weder Sie, noch die, unter deren Zwang Sie stehen (die Liga)¬, werden etwas über mich vermögen, denn ich verstehe zu sterben.« Wenn die anderweitige Überlieferung von de l’Estoile zutrifft, versucht darauf der Gouverneur der Bastille, Bussy, vergebens, Palissy durch den Anblick eines Scheiterhaufens zu erschrecken, bevor der ungebrochene Greis im Kerker stirbt.

Aber der eigentliche Sterbensstil der französischen Protestanten ist der singende Tod. Die fünf Theologiestudenten von Lyon singen auf ihrem Armesünderkarren Psalm 9: »De tout mon cœur t’exalteray, Seigneur … « Im Jahre 1555 wird bei Nevers ein Tischler Filleul und ein Mann aus Sancerre namens Léveillé verbrannt: Sie singen den 6. Psalm und den Lobgesang des Simeon. Ein Franziskaner Rabec wird in Angers vor der Kirche St. Maurice hingerichtet. Man hat ihm die Zunge verstümmelt, um ihn am Singen zu hindern, und ihn zunächst zur Verlängerung seiner Qual mit Schwefel bestrichen und über dem Feuer in die Höhe gezogen. Dennoch singt er allen verständlich den Psalm: »Les gens entrés sont en ton héritage«, bis er in den Flammen erstickt.

Der Gesang der Zeugen Christi in Rauchschwaden und Feuer geht seinen Weg und dringt bis zum Hof, wo sogar der König die Psalmenmelodien vor sich hin summt. Ihr Klang wandert zum Louvre und über die Seine zur »Schreiberwiese«, zum »Pré aux Clercs«, und berührt die Studenten, die sich drüben belustigen, und die Adligen, die sich im Grünen ergehen. Am 13. Mai 1558 erheben sich dort plötzlich wie Wogen eines flutenden Meeres die Glaubenspsalmen der Protestanten. Hunderte, Tausende heben an zu singen. Der Gesang schwillt tosend an und braust fort von Tag zu Tag. Der König von Navarra, der in Paris zu Besuch ist, stimmt mit ein. Es ist wie eine Explosion. Dreitausend, viertausend Menschen singen über Paris hinweg die Genfer Glaubenslieder, der Raserei des fassungslosen Königs ins Gesicht.

Unterdessen nimmt der evangelische Glaube allenthalben zu und durchdringt das ganze Land. Überall finden private oder geheime Versammlungen statt. Man wechselt die Orte der Zusammenkünfte, um den Nachstellungen zu entgehen. Wenn eine führende Persönlichkeit verhaftet wird, tritt ein Ersatzmann an seine Stelle. Allenthalben bekennt sich der Adel in unbegreiflichem Ausmaß zur Reformation.

Die Ära Heinrichs II. bricht ein Jahr später jäh ab. Das Königshaus erwartet im Jahre 1559 einen Höhepunkt seiner dynastischen Macht und Pracht: Die Prinzessin Elisabeth soll mit Herzog Alba, dem Prokurator des spanischen Königs, vermählt werden, zugleich die Prinzessin Margarete mit dem Herzog von Savoyen. Man berät sich, wie diese Wochen pompös und würdig zu gestalten sind. Einer der Guisen, der Kardinal von Lothringen, sagt dem willensschwachen König, dass die Exekution einiger lutherischer Parlamentsräte dem spanischen Herzog, dem zukünftigen Schwiegersohn, Spaß machen würde. Es verspreche das den spanischen Granden ein Schauspiel zu sein, »welches durch den Tod von mindestens einem halben Dutzend Staatsräten dem Fest eine besondere Weihe verleihe«.

Man beschließt, zu diesem Zweck einen verabredeten Rechtsbruch in Szene zu setzen. Der König wird in eine Sitzung des Parlaments gehen, und die evangelischen Parlamentsräte sollen mit List veranlasst werden, sich selbst bloßzustellen. Der König betritt demgemäß eines Tages den Saal des Augustinerklosters, wo das Parlamentsgericht provisorisch tagt. Der Großsiegelbewahrer Bertrand ersucht heuchlerisch die Versammlung, jetzt einmal in völliger Freiheit der Meinungsäußerung die begonnene Diskussion über religiöse Fragen fortzusetzen. Infolgedessen wagen einige Parlamentsräte völlig offen und gewissensmäßig zu sprechen. Viole empfiehlt ein Konzil zur Reformierung der Kirche. Du Faur spricht von den Schäden des Papsttums. Du Bourg anerkennt Wahrheitselemente in den lutherischen Schriften. Darauf werden sechs von ihnen hinausgeführt und in die Bastille gebracht. Nun folgen die Vermählungsfeierlichkeiten. Am 20. Juni wird Elisabeth dem Spanier angetraut. Am 27. Juni wird zunächst die Verlobung der Prinzessin Margarete mit dem Herzog von Savoyen gefeiert. Dann findet ein dreitägiges Turnier statt; eine Arena wird am Ende der Rue St. Antoine eröffnet, beinahe am Fuß der Bastille, in der sich die betrogenen protestantischen Staatsbeamten befinden. Der vierzigjährige König fordert den Grafen von Montgomery zum Zweikampf heraus, denselben, der soeben zwei der Parlamentsräte in den Kerker geschleppt hatte. Die zersplitterte Lanze des Ritters, die er nicht rasch genug zurückgezogen hat, dringt durch das sich öffnende Visier in das Auge des Königs bis in das Gehirn. Heinrich sinkt zurück, siecht einige Tage dahin, segnet noch die Ehe seiner Schwester Margarete und stirbt.

Sein Tod leitet den Verfall der Valois’ ein, die einst die Jungfrau von Orléans verbrennen ließen, deren Dynastie sich jetzt noch einige Jahrzehnte weiterschleppt und dann schuldbeladen und jammervoll untergeht. Und eben dieses Todesjahr Heinrichs II., 1559, ist das Geburtsjahr der protestantischen Kirche Frankreichs als Kirche, konstituiert durch die Synode von Paris.

Doch ich greife zunächst zurück. Die unaufhaltsam wachsende Bewegung in den Provinzen war von Genf her in jeder Weise gefördert worden. Die Bibelkolporteure, das Schrifttum Calvins in Bibelauslegungen, Predigten und Kampfschriften, sind überall zu finden. Die erweckten Kreise schicken Calvin ihre jungen Männer, die in der Genfer Akademie rastlos für den Opferdienst in Frankreich ausgebildet werden. Der durch ganz Frankreich erwachte geistliche Hunger, das Verlangen der protestantischen Gruppen, ist derart, dass unzählige Prediger umsonst angefordert werden. Seit 1546 – so in Lyon und Paris – beginnen die gläubigen Kreise umrissene Gestalt zu gewinnen. Seit 1555 treten schon Ortskirchen mit fester Verfassung in Erscheinung. Im Jahre 1558 wird die Zahl der Protestanten auf 400.000 geschätzt.

Alles drängt gebieterisch zur festen Formwerdung, zur Geburt der Gesamtkirche auf dem Grund ordnungsgemäß verfasster Einzelkirchen. Calvin beobachtet und berät seit 1554 diese Entwicklung mit letztem Ernst. Sein klarer Geist weiß etwas davon, dass »der Moment der Fixierung bei der Religion wie beim Staatswesen von entscheidender Wichtigkeit« ist, und dass »alles Bestimmte ein Königsrecht hat gegenüber dem Dumpfen, Unsicheren und Anarchischen«. Zum Sammelprinzip muss jetzt das Ordnungsprinzip treten, doch zögert Calvin jahrelang mit der Aufforderung zur Kirchenkonstituierung mit Verwaltung der Sakramente. Sein Zaudern kommt ihm nicht aus Unklarheit über die zu schaffenden Formen des Kultus und über die geistliche Führung des Gemeindelebens, wie das in der Geschichte der puritanischen Pilgerväter so auffällig ist.

Wir denken einen Augenblick hinüber in jene andere Welt: Die Abschiedsworte des Predigers Robinson in Leyden, die Erinnerungen des Gouverneurs Bratford in der neuen Heimat, ja schon der erste »Covenant« der Pilgerväter im alten Heimatstädtchen Scrooby enthalten dieselbe merkwürdige Wartetheologie, das Harren auf kommendes Licht aus der Heiligen Schrift über geistliches Leben und Ordnung der Gemeinde, das ihnen noch werden soll (»to be made known unto them«)¬. Calvin weiß aus der Schrift, was werden soll und wie es werden soll, aber ihm ist bange, ob die Kinder Gottes in Frankreich schon reif sind zur eigentlichen Gemeindebildung. Ordentlich bestellte Pastoren, verlässliche Gemeindekörperschaften fehlen noch fast überall. Fast alles ist im Fluss, und eine völlige Scheidung von allen päpstlichen Befleckungen ist noch nicht sichtbar. So möge man, schreibt er, sich vorläufig nur mit gemeinsamem Gebet und Unterweisung versammeln und den Wandel ständig bessern.

Jedoch macht der Kristallisationsprozess der nächsten Jahre so rasche Fortschritte, dass eine nationale Zusammenkunft zur Erarbeitung einer festen Gesamtlehre und Regel unabweisbar wird. Die Verhältnisse in Paris scheinen abzuraten. Wer sich dort zu geheimen Religionsversammlungen begibt, wird mit dem Tod bestraft, das Haus des Gastgebers dem Erdboden gleichgemacht. Die Gendarmerie arbeitet mit allen erdenklichen Mitteln und Methoden, um der Schuldigen habhaft zu werden, mit Geheimlisten, mit Haussuchungen, mit Provokateuren. Gleichwohl tritt die Synode mit unerhörter Kühnheit und Strenge der Geheimhaltung 1559 in Paris zusammen, »im Schein der Scheiterhaufen«. Der Leiter ist der zweite Pariser Pfarrer de Morel. Erschienen sind Vertreter von 72 Einzelkirchen, Pfarrer und Älteste. Zuerst wird in drei Tagen eine Gemeindeordnung, die »Discipline«, beraten, dann das Glaubensbekenntnis, die »Confession de Foi«, aufgestellt.

Die Synode gibt diese Normen nicht aus im Sinne eines katholischen Konzils, als göttlich autorisiert, sondern als unter der Autorität der Heiligen Schrift stehend – so wie später Cromwell in politischer Verantwortung den katholisierenden Pfarrer von Ely von dem Altar seiner Kirche vertrieb mit den Worten: »Ich bin ein Mann unter Autorität … « So sind die Maßstäbe der Pariser Synode gemeinsame Unterwerfung unter einen Glauben, der sich auf die Schrift bezieht, sei es in Sachen des Dogmas, sei es in Sachen der Zucht und der Form.

Luther sagt am Schluss seiner Gottesdienstordnung von 1526: »Jede Gottesdienstordnung ist so zu gebrauchen, dass, wenn ein Missbrauch daraus wird, man sie flugs abschaffe, denn Ordnung ist ein äußerlich Ding und kann, so gut sie ist, missbraucht werden.« Luther denkt also in Sachen der kirchlichen Ordnung grundsätzlich elastisch. Demgegenüber ist die französische Kirchenordnung in das Zentrum des Glaubens mit hineingenommen und dort dogmatisch fixiert. »Wir glauben, dass die wahre Kirche entsprechend der Ordnung (police), welche unser Herr Jesus Christus eingesetzt hat, geführt werden muss: Nämlich, dass da seien Pastoren, Aufseher und Diakone.« (Christus ist dabei als der Inspirator der Apostelgeschichte und der Briefe mit ihren Gemeindeordnungen vorgestellt.) Dieser Artikel 29 der »Confession de Foi« wird ergänzt durch das Bekenntnis des Artikels 25: »Wir glauben, dass die Ordnung der Kirche, die durch Seine Autorität aufgerichtet ist, sakrosankt und unverletzlich (sacré et inviolable)¬sein muss.« Diese rechte Kirchenordnung muss von der gesamten Gemeinde sogar dann bewahrt und unterhalten werden: »encore que les magistrats et leurs édits y soient contraires« (Artikel 26).

Aus der »gepflanzten Kirche« (Eglise plantée) wird eine »etablierte Kirche« (Eglise dressée)¬durch die Erstwahl eines Pfarrers auf Grund der Gemeindeabstimmung. Das Presbyterium wird sodann durch den gewählten Pfarrer und die Gemeindestimmen zusammengestellt. Es besteht aus den Pfarrern als Hirten und Predigern, den Lehrern (so die »docteurs« in Genf ), den Ältesten, welche die Sitten überwachen, sowie den Diakonen zur Armenpflege (bis 1620 obliegen diesen auch Austeilung des Abendmahls, Taufen und Unterweisung in Einzelfällen). Dieser Gesamtkörper des Presbyteriums ergänzt sich nicht aus der Gemeinde, sondern durch Zuwahl vermittels der Stimmen der Pfarrer und Ältesten.

Aus der Einzelgemeinde, der »paroisse«, baut sich die Kreissynode auf, das »colloque«. Aus den Colloques werden die Provinzialsynoden gebildet, aus ihnen die Nationalsynode als höchste Instanz. Dieser Synodalaufbau erinnert deutlich an die verschiedenen Gerichtsinstanzen der bürgerlichen Rechtsprechung. Dazu kommt, dass der verwaltungsmäßige Aufbau der Kirche immer mehr wider ihren Willen unter die Herrschaft der königlichen Kommissare gerät. Bald muss die Nationalsynode vor ihrer Zusammenberufung vom staatlichen »procureur« genehmigt sein und wird infolgedessen dauernd vertagt. Seit 1623 ist auf Grund einer Verfügung des Königs und des Parlamentsgerichts auch in den Colloques und Synoden ein königlicher Kommissar anwesend.

Als Beispiel dieser Tätigkeit der behördlichen Kontrolleure mögen folgende Einzelheiten aus dem Bezirk Alençon (1637) dienen. »Monsieur de St. Marc … verbietet nicht nur im Namen des Königs allen Briefwechsel mit dem Ausland, sondern auch den schriftlichen Austausch zwischen Provinzialsynoden. Er verbietet, über Maßnahmen der Behörde gegen die Reformierten Klage zu führen oder, sei es schriftlich, sei es in Predigten, Worte wie Folter, Martyrium, Verfolgung der Kirche Gottes sich zu erlauben. … unter Strafe des Gottesdienstverbots in den Kirchen, wo solche Ausdrücke gebraucht werden, oder unter Androhung noch härterer Strafen. … Monsieur de St. Marc verbietet, den Anordnungen der Ortsbehörde Widerstand zu leisten, wie es in Anduze geschehen war, wo der Pastor sich geweigert hatte, einen Mann zum zweiten Mal zu trauen, dessen erste Ehe der Magistrat geschieden hatte. Es ist den Pfarrern untersagt, außerhalb ihrer Gemeinde zu predigen, das heißt in den Filialen, … und Hauskollekten zu machen.«

 Schließlich verbietet Ludwig XIV. auch, Sitzungen der Gemeindekirchenräte ohne Gegenwart des Kommissars zu halten. Das ist das Ende selbstständiger kirchlicher Leitung in geordneter Form.  

KAPITEL IV

DIE GEGENREFORMATION IN FRANKREICH

»Wer Kalvinist sagt, meint eine Religion. Wer Hugenotte sagt, meint ein Temperament. Dem Hugenotten ist es nicht genug, seinen Glauben zu bekennen – er proklamiert ihn. Es ist ihm nicht genug, seinen Glauben zu verteidigen – er zieht des Glaubens Fahne auf. … Er ist konzentriert und doch ungestüm. Er ist bescheiden und fährt doch unausstehlich hoch her. An feinstem Ehrgefühl wird er von keinem übertroffen. Sein Moralkodex ist der eines heroischen Stoikers. Er hat die Rechtschaffenheit des unverdorbenen Menschen und den Stolz des Edelmannes. Er verachtet das Geld und weithin das, was man kaufen kann. Dinge und Menschen beurteilt er nach ihrem inneren Wert. Er kann auch anders sein als ein Heiliger, aber er hat immer etwas von der Aufopferungsbereitschaft der Alkestis und von der Strenge Catos. Die Offenheit seiner Sprache kennt keine Schranken. In Kriegszeiten ist er ein Held in Reih und Glied; der Friede zerrüttet ihn, und lieber will er verwundet oder sterbend sein, als ein Mann ohne Waffen.«

S. Rocheblave, »Agrippa d’Aubigné«, Kap. IV.

Es ist gesagt worden, dass man die Gegenreformation in Frankreich als einen organischen Teil der Gegenreformation in ganz Europa verstehen müsse. Die Grundlage dieser These ist die Annahme, dass, wie in Deutschland so überall, Gegenreformation ein Rückschlag auf die Reformation gewesen sei, der – einmal ganz schematisch ausgedrückt – durch die katholische Kirche und das Papsttum veranlasst war, der politisch durch die katholischen Fürsten ausgeführt wurde und geistlich-moralisch bewerkstelligt wird durch die Selbstreinigung der katholischen Kirche sowie die jesuitische Aktion.

Dieses Schema lässt sich auf Frankreich nicht ohne weiteres übertragen. Gewiss spielt Katholizismus und Papsttum mit herein, aber es ist schon im ersten Kapitel darauf aufmerksam gemacht worden, dass als Gegenpol des französischen Protestantismus sich langsam, aber unaufhaltsam der Machtanspruch des Königtums als entscheidend erweist. Gewiss treten katholische Gewalthaber als Gegenspieler auf, die Guisen, doch nur ein Menschenalter hindurch. Gewiss gibt es in Frankreich eine jesuitische Aktion, doch auch sie scheitert zunächst nach einigen Jahrzehnten. Gewiss sind politische Querverbindungen vorhanden, wie der unheimliche Einfluss Philipps von Spanien; doch auf der anderen Seite verbindet sich oft genug die französische Krone mit den protestantischen Fürsten Deutschlands, während sie die Evangelischen im eigenen Land verfolgt. Aber eines ist über das Gesagte hinaus der französischen Gegenreformation eigentümlich. Sie ist, vom Evangelium her gesehen und paradox ausgedrückt, ein Werk der Evangelischen selbst, Wirklichkeit geworden in dem Augenblick, als der Hugenotte Coligny zum Bürgerkrieg aufrief.

Wir befinden uns im Monat März des Jahres 1560. Der große runde Turm des Schlosses von Amboise ist mit abgehackten Köpfen hingerichteter Menschen geschmückt. Von den Renaissance-Erkern an den Ecken des Baus hängen Leichen an Stricken und Ketten wie Marionetten an den Drähten ihres Theaters, wenn nun die Vorstellung aus ist. Die gesamte schauerliche Dekoration, »zur Unterhaltung der Damen von den Guisen angesetzt«, wird von den erlauchten Persönlichkeiten auf einem Balkon mit Interesse gemustert. Eine verführerisch schöne Gestalt ist unter den Damen, fast noch ein Kind, Maria Stuart, die Gemahlin des knabenhaften Königs Franz II. von Frankreich. Der Aufstand von Amboise, an dem sich auch trotz aller Warnungen Calvins hugenottischer Adel beteiligt hatte, war mit diesem Schauspiel zu seinem Ende gekommen.

Die einjährige Regierung des sechzehnjährigen Franz II. leitet insofern die Gegenreformation äußerlich ein, als er die beiden Onkel seiner Gemahlin, den Herzog Franz von Guise und den Kardinal von Guise zur Leitung des Königreichs beruft. Diese lothringische Familie, die in ihrer ungeheuren Lebenskraft an die Borgias und Medicis in Italien erinnert, entschlussmächtig, konsequent, hemmungslos, ehrgeizig, gewalttätig, heimtückisch und fanatisch ultramontan, nistet sich von jetzt an parasitär in Frankreich ein. Sie zehrt vom Volksvermögen und vom Prestige des Königs. Unter den Guisen wird aus dem Kronschatz von beinahe zwei Millionen Talern, welchen Franz I. hinterlassen hatte, bald eine Regierungsschuld von 47 Millionen Talern, gleichbedeutend mit dem vierfachen Jahreseinkommen des Königtums.

Das Ende der Guisen fällt etwa mit dem Niedergang der Dynastie der Valois’ zusammen. Dem französischen Adel gelten diese Lothringer als ausländische (deutsche) Usurpatoren; dem Protestantismus erscheinen sie als rechtlose Räuber der Königsgewalt.

Am 17. November 1560 stirbt Franz II. einen echt katholischen Tod. Der Kardinal von Guise, der den willfährigen königlichen Jüngling hoffnungslos an einer Ohrenvereiterung hinsiechen sieht, ordnet Prozessionen und Sühnezeremonien an, um vom Himmel die Verlängerung des königlichen Lebens »mindestens bis zur völligen Ausrottung der Ketzer« zu erlangen. Der bigotte König selbst verschreibt sich der Mutter Gottes von Cléry und allen Heiligen. Er begehrt noch zu leben, um sein Land von aller Irrlehre zu reinigen. Er verflucht sich selbst, falls er in Zukunft Frauen, Mütter, Schwestern, Verwandte, Freunde schonen würde, die irgend der Ketzerei verdächtig sind.

Sein Nachfolger ist der zweite Sohn der Königin-Witwe Katharina von Medici, Karl IX., damals zehn Jahre alt und Scheinkönig Frankreichs bis zu seinem Tod im Jahre 1574. In Wirklichkeit herrscht die ränkesüchtige Italienerin in dem unglücklichen Land, dessen Bestimmung es schien, von Ausländern zerfetzt und ausgesogen zu werden, ein Spielball in der Hand der Lothringer Guisen, ein Machtobjekt der Florentinerin, später Annas von Österreich, des Sizilianers Mazarin und endlich des Korsen Bonaparte. Durch perfide Schaukelpolitik, durch Ausnützung aller Konjunkturen, jeweils einen Gegner durch einen anderen unschädlich machend, spielt Katharina von Medici die Guisen und die Bourbonen, das Papsttum, die protestantischen Adelsstände und Spanien gegeneinander aus. Unterdessen ist der evangelische Glaube schon fast Volksreligion in einzelnen Landesteilen geworden als Frucht glorreicher Märtyrerjahrzehnte. Etwa 2.500 protestantische Gemeinden werden gezählt; man spricht sogar von zehn Bischöfen, die ihren katholischen Glauben abgelegt haben. In dem erzkatholischen Paris gehen über 6.000 Personen zum evangelischen Predigtgottesdienst. Fast könnte man sagen, dass der reformierte Glaube Mode zu werden anfängt.

Dieser anscheinend übermächtigen Entwicklung gegenüber bildet sich ein Jahr nach dem Regierungsantritt Karls IX. unter der Führung der Guisenfamilie ein Triumvirat, das zum Ziel hat, den Protestantismus auszurotten. Am Ostermorgen teilen sich in der Kapelle des heiligen Saturnin in Fontainebleau drei Verschworene eine Hostie: der Herzog Franz von Guise, vom Typus der italienischen Condottieri, der alte Marschall von Montmorency, ungebildet, gewalttätig und habgierig, und der Günstling des Hofes, St. André, ein hemmungsloser Soldat, eitel, verschwenderisch und grausam. Ein hagerer Schatten mit den Umrissen Philipps II. von Spanien fällt vom Süden her über die kleine Gruppe.

Zeitlich damit parallel geht der Versuch der Königin-Mutter, die beiden Hauptvertreter des Protestantismus aus der bourbonischen Linie, König Anton von Navarra und seinen Bruder Louis, Fürst von Condé, wirksam zu schwächen. Die beiden dieser Italienerin nahe liegenden Mittel des Kampfes sind das Gift, das den Körper zerstört, und das Gift, das die Seele zersetzt. Die Stärke des schwachen Antoine ist der Charakter seiner wundervollen evangelischen Gemahlin, der unvergesslichen Jeanne d’Albret. Der innere Halt des Fürsten von Condé ist seine edle Gemahlin Eleonore. Hier setzt die Königin-Mutter mit ihrem zweiten Mittel ein. Aus den Reihen ihrer »escadron volant«, einer Bereitschaftsgruppe weiblicher Lockvögel, entsendet sie Mademoiselle de la Béraudière, die »belle Rouet«, die die Ehe Antons von Navarra zerstört. Isabella von Limeuil verführt den Prinzen von Condé, der bald sittlich von Stufe zu Stufe sinkt, während seine Gemahlin dem Tod entgegensiecht. Niemand wird Calvin den Abscheu verdenken, mit welchem er von Genf aus diese infamen Methoden gegenüber evangelischen Fürsten brandmarkte.

Ein zweckloses Religionsgespräch in Poissy und ein Toleranzedikt der Königin von 1562, durch das sie die unerträgliche Spannung im Land zu lösen versucht, ändern nichts an dem fanatischen Ausrottungswillen der katholischen Führer. Hier liegt ein entscheidender Punkt zum Verständnis der Religionskriege und zum menschlichen Verständnis der Politisierung weitester protestantischer Kreise. Dies ist die formell-rechtliche Sachlage: Im Gegensatz zu dem vom König unterzeichneten Toleranzedikt ergreifen die Guisen Maßnahmen zur Vernichtung evangelischer Prediger und ihrer Gemeinden. Ihre Regie ist also ungesetzlich. Die Erhebung der Protestanten wird demgemäß erfolgen auf der Linie: für königliche Edikte gegen eine Illegalität, die in ihren Augen die königliche Autorität unwirksam macht, bekämpft und untergräbt.

Der erste Anlass der acht aufeinander folgenden Religionskriege, die bis in die Zeit Heinrichs III. hineinragen und Frankreich entvölkern und verwüsten, ist das Blutbad von Vassy, das der Herzog von Guise unter der dort versammelten Gemeinde anrichten lässt, sowie im Anschluss daran das Gemetzel unter den Evangelischen in Sens. Die Antwort der Protestanten ist der siegreiche Angriff auf Rouen und Lyon. Sie verlassen damit das christliche Terrain des Sieges. Sie verzichten auf die einzigen christlichen Kampfmittel des Bekenntnisses und der Leidensbereitschaft. Sie steigen herunter zu einem Terrain, auf dem ihre Gegner auf die Dauer sicherer sein werden als sie. Sie nehmen das Schwert, durch das sie umkommen werden.

Wie vollzieht sich diese Umschaltung des französischen Protestantismus auf die Ebene weltlichen Denkens und Handelns? Calvin hatte kurz zuvor, angesichts der Vorbereitungen zur Verschwörung von Amboise, an Admiral Coligny das berühmte Wort geschrieben: »Der erste Tropfen Blut, den unsere Leute vergießen, wird Ströme Bluts hervorrufen, die ganz Europa überschwemmen.« Seit dem Regierungsantritt des Kindes Karl erscheint jedoch die Sachlage grundsätzlich verändert. Der protestantische Adel als Stand scheint berufen, die Verwüstung des Landes und die Vergewaltigung eines unmündigen Königs durch die Standesanmaßungen der Lothringer und ihrer Partei mit entsprechenden, das heißt weltlichen Mitteln zu verhindern. Indem die Protestanten gegen die katholischen Führer das Schwert ziehen, können sie glauben, sich für die Unversehrtheit des Königtums einzusetzen. Die Institutio Calvins enthält in Buch 4, Kapitel 20, Abschnitt 31 über die Abgrenzung individuellen und behördlichen Handelns eine in der Formulierung vorsichtige, aber für eine Glaubenslehre im Inhalt gewagte Ausführung:

» … unseren Händen … ist nichts anderes aufgetragen als zu gehorchen und zu leiden. Dabei spreche ich zunächst von Privatpersonen. Denn, so es in dieser Zeit Magistrate gäbe, zur Verteidigung der Volksinteressen eingesetzt, zur Eindämmung der allzu großen Begehrlichkeit und des Sichgehenlassens der Könige – wie ja möglicherweise heutzutage in jedem Königreich die drei Stände ihre Vertreter haben, wenn sie nun zusammengetreten sind – ich sage: Solchen, die dergestalt standesgemäß verfasst sind, könnte ich nicht so sehr verbieten, sich aufzulehnen und Widerstand zu leisten (s’opposer et résister) gegenüber der Maßlosigkeit oder Grausamkeit gewisser Könige, entsprechend der Pflicht solchen Amtes, als Standesvertreter des Volkes. Also dass, wenn sie Versteckspiel trieben bei dem Anblick der Könige, die hemmungslos das Volk quälen, dann würde ich sagen: Für ein solches Versteckenspielen wären sie wegen Bruchs des Amtseids anzuklagen, durch ihr Verhalten würden sie treulos die Freiheit des Volkes verraten, so sie doch wissen müssen, dass gerade sie die Garanten solcher Freiheit nach dem Willen Gottes sind« (Übertragung der franz. Institution von 1560; in der ersten lat. Ausgabe von 1536 heißt es milde statt »s’opposer et résister« »pro officio intercedere«).

Dementsprechend sind Calvin und Coligny noch loyal und königstreu, aber nicht mehr im Sinne restloser Ergebenheit gegenüber den Entscheidungen des Königtums. Zudem vermag Calvin von Genf aus schon vieles nicht mehr zu hindern. Nicht lange darauf gibt er, vor allem durch Aufbringen von geldlichen Unterstützungen, praktisch seine Zustimmung zur Selbsthilfe der französischen Protestanten.

Ein äußerst lebendiges Gegenstück zu der grundsätzlichen Stellungnahme des Reformators sind die leidenschaftlichen Worte des Haudegens der Religionskriege, Agrippa d’Aubigné. Niemand soll an seiner Königstreue zu zweifeln wagen: »Ich erhebe meine Hand zu Gott, um … zu beteuern, dass ich die Verfassung des Königtums als die ehrenhafteste und ausgezeichnetste von allen erachte«, freilich »wenn es durch Korrektive gestützt wird, die es daran hindern, zur Tyrannei herabzusinken«. Und zurückblickend rechtfertigt er die weltliche Erhebung der Protestanten in seiner Schrift »Die gegenseitigen Pflichten der Könige und der Untertanen« von dem freilich nicht biblischen Standpunkt aus, dass grundsätzliche Preisgabe der öffentlichen Gerechtigkeit grundsätzlich die Freigabe des Bürgerkriegs für die Protestanten bedeute:

»Und ich sage: Der Himmel wird für alle Zeiten Zeuge davon sein, dass – solange man die Protestanten noch halbwegs in Form rechtlicher Prozesse zu Tode brachte, so parteiisch und untragbar diese Rechtsprechung auch sein mochte, solange sie sich noch durch den Thron ihrer Könige und unter ihren eingesetzten Autoritäten und öffentlichen Rechtsformen verurteilt sahen – dass sie dann allewege ihren Hals dem Henker hingehalten haben und ihre Hände ohne Gegenwehr in den Schoß legten. Aber als die Autorität aus ihren Gleisen sprang und die Behörde, der Scheiterhaufen müde, das Schlachtmesser den Händen des Volkes überantwortete und durch Tumulte und große Massaker hindurch das verehrungswürdige Antlitz der Justitia entstellte und in feierlicher Staatsaktion Volksgenossen durch Volksgenossen töten ließ – wer konnte dann den Unglücklichen verwehren, Arm gegen Arm und Stahl gegen Stahl zu erheben und von einer der Gerechtigkeit baren Wut sich anstecken zu lassen mit der Wut der Gerechtigkeit …«

Zu solchen, rein menschlich durchaus bestechenden Erwägungen tritt als besondere Versuchung für die schwer bedrohten Protestanten ihr Erstarken an Zahl, an Konnexionen – und der wachsende Aktionsradius ihrer Bewegung; und auch die für den geistlichen Charakter der evangelischen Kirche verantwortlichen Seelsorger versagen im Bewusstsein ihres öffentlichen Einflusses immer mehr. Schon während der Verfolgungswellen unter Heinrich II. hatten die Pariser Pastoren intolerante Ansichten bekundet. Von milde gesonnenen Parlamentsräten befragt, hatten sie geantwortet, dass die Bibel nichts wider eine Todesstrafe gegen Irrlehrer sage. Es müssten also Sachkundige über die Güte der jeweiligen Lehrer richten; den unterliegenden Teil aber solle man mit Strafe treffen. Calvin klagt in seinen Briefen der darauf folgenden Zeit immer wieder über protestantische Übergriffe; die durch örtliche Übermacht nahe gelegt werden, zahlreiche Besetzungen katholischer Kirchen, ja offenkundige Ungerechtigkeiten. Nicht von ungefähr trägt die erste vierstimmige Ausgabe der Psalmen, herausgekommen bei Jaqui in Genf 1565, als Titelbild einen gewappneten Krieger. Das gereimte Vorwort ist von Beza, demselben Beza, der nun als protestantischer Feldprediger den protestantischen Heeren folgen wird und der der geistige Vater des berühmten Bildes vom hugenottischen Amboss ist, auf dem sich die Hämmer der Gegner verbrauchen:

»Plus à me frapper on s’amuse,
Tant plus de marteaux on y use.«

(Der Amboß spricht:  »Je mehr mich zu schlagen die Lust sich regt,
                                    Je mehr man der Hämmer auf mir zerschlägt!«)

Jedoch vermögen alle Erwägungen über die Stellung Calvins, über die verständliche seelische Verfassung der Protestanten und über die Auswirkungen der katholischen Gewalttaten nichts an der Tatsache zu ändern, dass der geistliche Niedergang der evangelischen Sache in Frankreich, dass die Politisierung des Protestantismus letztlich die Sache eines Mannes und einer Stunde war. Ein Mann ragt über das Geschehen dieser Jahre so gewaltig empor, dass seine protestantischen Mitstreiter, mit ihm verglichen, sich nur wie Statisten ausnehmen. Hier gilt einmal das Wort Carlyles: »Die Weltgeschichte ist im Grunde die Geschichte der großen Männer, die in der Welt gewirkt haben«, wenn damit die Entscheidungen großer Männer gemeint sind, bei denen der Atem der Zeitgenossen gleichsam stillstand in der Erwartung, auf welche Seite sich die Waagschale neigen werde.

Dieser Mann ist Gaspard, Admiral von Coligny, und seine Zustimmung zum Bürgerkrieg in jener dreimal unseligen Nacht im Schloss Châtillon lässt für Geschlechter des Protestantismus den Würfel fallen. Niemals wird diese Entscheidung wieder gutgemacht werden können.

So ist dieser Mann beschaffen: Als er während der Belagerung von St. Quentin durch die Spanier das Besatzungsheer befehligt, werden ihm vom Feind, der bereits sieben Breschen in die Mauer geschossen hat, Pfeile hereingeschleudert mit einem Zettel: »Ergebt euch, sonst springt ihr alle über die Klinge«. Und Coligny lässt die Pfeile zurückschießen mit der neuen Inschrift: »Regem habemus« – »Wir haben einen König«.

Coligny wird um 1559 ein gläubiger evangelischer Christ. Seine Gemahlin ermahnt ihn in seinem Schloss Châtillon, die römische Irrlehre abzutun. Bedächtig erinnert er sie an die Folgen und Leiden des Bekennertums, doch wendet er sich immer mehr dem Evangelium zu und zieht bald die Bewohner des Schlosses mit sich. Kurz darauf nimmt er in dem normannischen Städtchen Vatteville an einem geheimen Predigtgottesdienst teil und bittet, da er sich nicht getraut, am Abendmahl teilzunehmen, den Prediger um eine Sonderbelehrung. Er wird nun völlig überzeugt und geht bald selber zum Tisch des Herrn.

Dieser Mann ist zum Politiker und Militär vorgebildet, gewöhnt zu organisieren, zu streiten und seine Niederlagen in Erfolge zu verwandeln. Er ist klassisch und theologisch geschult, umfassend in geschäftlicher Arbeit, ein Bild fein geschliffener Kraft. In der Öffentlichkeit mit würdevoller Beredsamkeit auftretend, spricht er unter vier Augen langsam und leise und hält nachdenklich mit seinem Zahnstocher Rat. Er ist gewandt, doch in den Grenzen einer völligen Rechtschaffenheit, und niemals hätte man von ihm sagen können, was Kardinal Granvella einmal von dem jungen Oranien schrieb: »Er ist bald Katholik, bald Calvinist, bald Lutheraner, ganz nach Erfordernis der Gelegenheiten und je nach seinen verschiedenen Absichten.«

Den klassischen Bericht über die tragische Wendung im Leben des Admirals gibt Agrippa d’Aubigné in seiner »Histoire universelle«, Band 1, Buch 3 (Text nach Viénot). Vorausgegangen sind die schon erwähnten Blutbäder von Vassy und Sens sowie ein Gewaltstreich des katholischen Triumvirats, das sich der Königin-Mutter und des jugendlichen Königs bemächtigt hat und Paris beherrscht.

»In Chastillon sur Loing waren beim Admiral seine beiden Brüder und andere versammelt, um einen Druck auf ihn auszuüben, dass er satteln ließe. Der alte Heerführer fand den Übergang über diesen Rubikon so gefährlich, dass, nachdem er ihnen zwei Tage lang widersprochen und mit gelehrten und scheinbaren Gründen ihr heftiges Drängen zurückgewiesen und sie durch seine Befürchtungen in Erstaunen gesetzt hatte, ihnen kein Hoffnungsstrahl mehr blieb, ihn umzustimmen. Da geschah das …, was ich selbst von denen gehört habe, die dabei waren.

Dieser hohe Herr – es war zwei Stunden, nachdem er seiner Gemahlin gute Nacht gesagt hatte, – wurde durch ihre schweren Seufzer und ihr heftiges Schluchzen aufgeweckt. Er wandte sich ihr zu, und nach einigen Bemerkungen seinerseits ließ er sie sich folgendermaßen aussprechen:

›Es tut mir so Leid, mein Herr Gemahl, dass ich Ihren Schlaf durch meine Unruhe störe! Aber wenn nun einmal die Glieder Christi so zerrissen sind und wir zu Seinem Leib gehören, wie kann dann ein Teil des Ganzen gefühllos bleiben? Sie, mein Herr Gemahl, haben nicht weniger Gefühl als ich, aber Sie vermögen es besser zu verbergen. Können Sie wirklich Ihrer treuen Gattin verübeln, wenn sie mit mehr Freimut als Ehrerbietung ihre Tränen und ihre Gedanken in Ihr Herz ausschüttet? Wir liegen hier köstlich gebettet, und die Leiber unserer Brüder, Fleisch von unserem Fleisch und Bein von unserem Bein, liegen, die einen in den Kerker geworfen, die anderen tot über die Felder verstreut, zur Beute der Hunde und der Raben. Dieses weiche Bett ist mir ein Grab, weil jene keine Gräber haben; diese Linnen halten mir vor, dass jene keine Grabtücher haben … Ich dachte soeben an die klugen Reden, mit denen Sie Ihren Herren Brüdern den Mund gestopft haben… ich zittere bei dem Gedanken, dass diese Klugheit eine Klugheit der Kinder dieser Welt sein könne und dass so große Weisheit bei Menschen nicht Weisheit bei Gott zu sein braucht, der Ihnen die Gaben eines Heerführers verliehen hat. Können Sie wirklich mit gutem Gewissen den Gebrauch dieser Gaben seinen Kindern vorenthalten? Sie haben mir zugegeben, dass Ihr Gewissen Sie schon manches Mal aufgeweckt hat, und dieses Gewissen ist das Sprachrohr Gottes. Fürchten Sie, dass Gott Sie schuldig werden lasse, wenn Sie dieser Stimme folgen? Tragen Sie den Degen des Edelmanns, um die Bekümmerten zu unterdrücken, oder um sie den Krallen der Tyrannen zu entreißen? … Mein Herr Gemahl, so viel vergossenes Blut der Unseren lastet auf meinem Herzen; all dieses Blut und Ihre Gemahlin schreien gen Himmel zu Gott empor und auf diesem Lager gegen Sie, dass Sie der Mörder derer sein werden, die Sie nicht davor erretten, gemordet zu werden.‹

Der Admiral antwortet: ›Da meine Gründe von heute Abend nichts zuwege gebracht haben … da … so viel Macht auf der Seite der Feinde, eine solche Schwäche auf der unseren Ihnen keinen Einhalt tun können, bitte ich Sie: Legen Sie die Hand auf Ihr Herz, prüfen Sie klar bewusst Ihre Standhaftigkeit, ob sie große Niederlagen ertragen kann, die Beschimpfungen Ihrer Feinde und Ihrer eigenen Anhänger, die Vorwürfe, die gemeinhin die Völker machen, wenn sie die Dinge nach ihren Misserfolgen beurteilen, ob sie die Verräterei Ihrer eigenen Leute ertragen kann, die Flucht, die Verbannung ins Ausland und dort die Schwierigkeiten mit den Engländern, die Händel mit den Deutschen, Ihre Schande, Ihre Blöße, Ihr Hunger, und was noch härter ist, den Hunger Ihrer Kinder. Prüfen Sie sich weiter, ob Sie imstande sind, Ihren Tod durch Henkershand zu erdulden, nachdem Sie gesehen haben, wie man Ihren Gemahl fortschleppte und der Gemeinheit des Pöbels aussetzte und dazu Ihre Kinder ehrlose Knechte Ihrer Feinde wurden, die durch den Krieg groß geworden sind und über Ihrer Hände Arbeit triumphierten. Ich gebe Ihnen drei Wochen Bedenkzeit; und wenn Sie sich mit klarem Bewusstsein gegen diese Möglichkeiten stark gemacht haben, werde ich bereit sein, mit Ihnen und mit unseren Freunden ins Verderben zu gehen.‹

Die Admiralin entgegnete: ›Die drei Wochen sind bereits vorüber! Sie werden niemals durch die Kraft Ihrer Feinde besiegt werden; gebrauchen Sie die Ihrige und häufen Sie nicht die Toten von drei Wochen auf Ihr Haupt. Ich fordere Sie im Namen Gottes auf, uns nicht länger zu enttäuschen, oder ich werde am Jüngsten Tag gegen Sie Zeugnis ablegen!‹

Die Überredungen eines so geliebten Mundes und einer so bewährten Treue wirkten so stark, dass der Admiral satteln ließ, um den Fürsten von Condé und andere große Führer der protestantischen Partei in Meaux aufzusuchen.«

In diesem erschütternden Dokument fällt auf, dass Coligny nicht – nicht mehr – die christlich-entscheidende Frage stellt, ob es erlaubt sei, für das Evangelium das Schwert zu ergreifen, sondern nur noch die Frage nach den Chancen und den Gefahren einer Erhebung. Insofern kann man sagen, dass es sich hier bei dem Christen Coligny nicht um eine echte Krise handelt. Die Worte seiner Gemahlin von dem Leib Christi und ihr Ruf nach schirmender Gerechtigkeit für die Kinder Gottes gehen tiefer, aber sind verwandt mit dem allgemeinen Schrei der Protestanten nach rettender, ausgleichender, vergeltender Gerechtigkeit. Der überall unter den Mächtigen des Landes wachsende Einfluss der Evangelischen sieht zugleich am Horizont die Möglichkeit auftauchen, auf dem Weg weltlichen Eingriffs den Entrechteten wirksamen Schutz zu schaffen, die Bösen zu strafen, ja, durch Vergeltungsmaßnahmen die an den Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte Schuldigen zu belangen.

Bereits im Sommer 1559 schreibt der Pariser Pfarrer de Morel zornerfüllt über den noch immer fortdauernden Terror und Mord: »Zahle doch Gott endlich seinen Feinden den verdienten Lohn!« Wer Psalmen singt, weiß von der Sehnsucht der Unterdrückten, endlich »zu sehen, wie den Gottlosen vergolten wird«, – wer im Namen Gottes zum Schwert greift, fühlt sich nicht mehr gehindert, beim Strafvollzug Gottes werkzeughaft mit Hand anzulegen. Vorübergehend wird der französische Protestantismus in diesen Gedanken sogar durch die Krone ermutigt, als die Königin-Regentin in einem Jahr von besonderer Bedrängtheit durch den gewalttätigen Ehrgeiz der Guisen den evangelischen Gemeinden eine Abkündigung auflegt, die von der »Absicht Volksfremder« spricht, sich des Königs zu bemächtigen, und fragt, wie viel »Fußvolk und Reiter« die Hugenotten zu stellen in der Lage sein würden – eine Aufforderung, die allerdings keine einheitliche Stellungnahme von der anderen Seite zur Folge hat.

Der Übergang aus der geistlichen Periode des französischen Protestantismus in seine politische Periode vollzieht sich naturgemäß teils fließend, teils sprunghaft, unbeschadet des tiefen und entscheidenden Einschnitts, den das Signal Colignys zum Bürgerkrieg darstellt.

Ein deutliches Aufflackern wird bereits kurz nach dem Tod Franz’ II. bemerkbar, als die Hugenotten in der Bretagne ihre Waffen erheben und Coligny sich noch vermittelnd bemüht, in Paris diese lokale Revolte als verhältnismäßig sittlich berechtigt (er wagt zu sagen: »legitim«) hinzustellen.

Nach und nach wird aus den einzelnen Gruppierungen und örtlichen Reaktionen ein System. Die Schwerpunkte verschieben sich: Die Aufgerufenheit zum Reich Gottes verblasst, die Aufgerufenheit zu einer irdischen Partei tritt immer mehr an ihre Stelle. Die Hugenotten erheben Kriegssteuern, ernennen Offiziere, werben Soldaten an, da sie gegenüber dem Kaleidoskop der in Paris wirksamen Kräfte auf eine Rechtsgarantie der Krone nicht mehr zählen.

Der einfache Mann und Soldat des Hugenottentums wendet robust die ihm vertrauten Gedanken der vorprophetischen alttestamentlichen Zeit auf die konkreten Verhältnisse des Heute an und versteht kaum noch die neutestamentlichen Gewissenshemmungen seiner Führer. Fast grotesk ist die Geschichte, die vom Fürsten Condé erzählt wird. Er trifft an einer Kirche einen protestantischen Soldaten, welcher gerade beschäftigt ist, ein steinernes Heiligenbild über dem Portal zu zertrümmern. Condé hält sein Pferd an und macht den Soldaten darauf aufmerksam, dass die Kriegszucht der Armeen Colignys dergleichen Gewalttaten mit dem Tod bestraft. Der Soldat erwidert angesichts der erhobenen Büchse Condés: »Haben Sie gerade noch ein wenig Geduld, bis ich das Götzenbild fertig mache; dann will ich sterben, wenn es Ihnen gefällt!«

Während sich nun in den Jahren 1562-1598 Kampfhandlungen mit Kampfhandlungen, Siege mit Niederlagen ablösen, während erzwungene Toleranzedikte mit provozierenden Terroredikten abwechseln, beginnen in Bälde die verheerenden Folgen des neuen Kurses sichtbar zu werden.

Die Protestanten mit Coligny und dem Prinzen von Condé an der Spitze sind in Nachteil gebracht durch die Kunst der Guisen, aus anderen Staaten Hilfskräfte heranzuziehen: 30.000 Spanier kommen herüber, 6.000 Schweizer sind angeworben, der katholische Rheingraf schickt 20 Fähnlein Landsknechte zur Hilfe. Folgerichtig erliegen die Evangelischen der Versuchung, dementsprechend fremde protestantische Hilfskräfte ins Land zu ziehen. Wie stark diese ausländischen Truppen Einsatz finden, sehen wir bei dem Gefecht von Dreux 1562: Franz von Guise befehligt dort 6.000 Franzosen und 6.000 fremde Soldaten, die Hugenotten haben 5.000 Franzosen und gar 8.000 Ausländer.

Um sich die landfremden Hilfeleistungen zu sichern, muss man fragwürdige Schritte tun. Die Hugenotten wenden sich an die protestantischen Fürsten Deutschlands, die ihnen die gefürchteten und rohen »reîtres« herüberschicken. Sie wenden sich an England um Soldaten und Geld und verpfänden der fremden Krone dafür notgedrungen die landeseigene Hafenstadt Le Havre. Die Folge ist, dass England ohne Rücksicht auf die Klauseln des Vertrags den französischen Hafen als Besitz reklamiert und damit das Odium des Landesverrats auf die Hugenotten bringt.

Aus der Hereinziehung ausländischer Soldateska folgt wiederum ein schnelles Absinken in der Moral der Hugenottenheere, die in der ersten Zeit noch als streng disziplinierte Truppen gefochten hatten: In ihren Lagern durften liederliche Frauenzimmer nicht sein, das Spielen und Fluchen war verboten, das Plündern und alle Gewalttat unter schwere Strafe gestellt. Aber die zügellosen Horden der reîtres und anderer Söldner kommen nur, um besiegte Heere und besetzte Landesteile auszuplündern, und säen Groll und Hass im Volk gegen die gute Sache, deren Abzeichen sie tragen.

Die entfesselten Kriegsleidenschaften in den gemischten Heeren wirken auf die ehemaligen Kerntruppen zurück. Allenthalben brechen tausendfache Gelegenheiten nicht nur zum Schaffen von Gericht und Gerechtigkeit, sondern zum Begleichen alter Privatrechnungen auf. Lange verhaltene Rachegedanken werden übermächtig. Man vergilt mit den neuen Mitteln und mit Zins und Zinseszins denen, die am Tod des gequälten Vaters, am Schicksal der geschändeten Schwester schuldig waren. Einladend tritt die unbeschränkte Möglichkeit dazu vor den jeweils siegreichen Krieger. Dabei schärft ein Messer das andere. Eine hemmungslose Entladung alten Grolls schafft in der Familie des übel Gestraften neue Verbitterung und ruft zu noch schärferen Repressalien auf. Nach Art des Aufschaukelns in der Induktionsphysik wird so immer neue Spannung, gesteigerte Grausamkeit und wildere Kriegswut verursacht.

Ein überaus lehrreicher Brief Calvins, der diese Entwicklung in ihrem Gegenbild auf dem kirchlichen Gebiet schon 1562 sich anbahnen sieht, spricht uns von dem Verhalten Lyoner Pastoren, die im Machtrausch jedes Gleichgewicht verloren haben. (»Aux ministres de Lyon«, 13. Mai 1562.) »Wir wären Verräter an Gott und an euch und an der ganzen Christenheit, wenn wir euch verhehlen wollten, was wir über euer tief bedauerliches Tun denken. Es ziemt sich nicht, dass ein Geistlicher sich zum Söldnerführer oder zum Hauptmann macht; aber es ist noch viel schlimmer, wenn man (geradewegs)¬die Kanzel verlässt, um zu den Waffen zu greifen. Und der Höhepunkt ist, zum Stadtgouverneur zu gehen mit einer Pistole in der Hand und ihn zu bedrohen, indem man sich mit Macht und Gewalt brüstet. Dies sind die Worte, die man uns hinterbracht hat und die wir durch glaubwürdige Zeugen gehört haben: ›Mein Herr, Sie haben das und das zu tun, denn wir haben die Gewalt in unserer Hand‹. Wir sagen rundheraus, dass diese Äußerung uns ein ungeheurer Schrecken gewesen ist: … Wir haben gehört, dass die Beutestücke, die man der Kirche de St. Jean entnommen hatte, für jeden Käufer öffentlich ausgeboten worden sind und dass man sie für 112 Taler losgeschlagen hat; ja man hat den Söldnern versprochen, einem jeden seinen Anteil daran zuzumessen. Wahr ist dabei, dass Monsieur Rufi (einer der Lyoner Pfarrer) aller dieser Dinge namentlich angeklagt worden ist. Aber es scheint uns, dass ihr zum Teil schuldig seid, dass ihr ihn nicht zurechtgewiesen habt, die ihr doch dazu Freiheit und Vollmacht besaßet. Denn, wenn er sich nicht eurem Tadel unterwirft, soll er sehen, wo er eine Sonderkirche baut. Wir können euch diese Dinge nicht gelinde vorhalten, die wir nicht ohne tiefe Scham und Bitternis des Herzens hören können….«

Als Folge aller dieser Ausschreitungen lässt der Verlust der Popularität im guten Sinne des Wortes, des Vertrauens, des sittlichen Rufs der evangelischen Sache nicht lange auf sich warten, und das Absinken des Prestiges wirkt sich auch auf die königliche Familie und die Hauptstadt aus. Der Versuch der Hugenotten, nach dem Vorbild der Guisen den König mit Gewalt in Monceaux zu entführen, reizt ihn und vermehrt sein Mißtrauen. Der Marsch protestantischer Truppen auf Paris nach dem Tod Condés wird von dem Pöbel der Hauptstadt nicht vergessen und in der Bartholomäusnacht liquidiert werden.

So ist der Schaden all dieses Abgleitens unsagbar groß. Wenn vordem der Katholik Raemond angesichts der grauenvollen Exekution des großen und gütigen Hugenotten Anne du Bourg gesagt hatte, die Jugend sei auf dem Heimweg von der Hinrichtung in Tränen ausgebrochen und dieser Anblick habe dem Katholizismus mehr geschadet als hundert protestantische Prediger – so galt dasselbe jetzt umgekehrt und potenziert: Der Mord, begangen an dem brutalen Schloßherrn von Fumel, der auf der Straße einen kalvinistischen Kirchenältesten zu Boden schlug und dafür mit seiner Familie und seinem Schloss die Rache der empörten Protestanten bezahlte, richtet mehr Schaden an, als hundert Predigermönche der evangelischen Sache hätten zufügen können. Beinahe seelsorgerlich faßt der weitherzige Katholik Castellion das Endergebnis in einer Botschaft an die Evangelischen zusammen: »Ihr habt einst geduldig Verfolgung für das Evangelium ertragen. Ihr habt eure Feinde geliebt und Schlechtes mit Gutem erwidert: Woher kommt jetzt eine so große Veränderung in einem jeden unter euch? Ihr tötet und mordet und stellt eure Feinde vor die Spitze eures Degens; zwingen wollt ihr sie sogar, sich bei euren Predigten einzufinden.«

Dies über die innere Bilanz der Religionskriege. Ihre erste äußere Bilanz ist die Bartholomäusnacht. Sie ist nicht, wie es die erbauliche Übereinkunft will, in erster Linie ein klassisches Beispiel für Christenverfolgung oder für evangelisches Martyrium. Die Vorgeschichte der Pariser Bluthochzeit gibt allerdings zu der erwähnten Auffassung einigen Anlass. Bereits 1565 hatte zu Bayonne eine Zusammenkunft der Königin-Mutter mit Herzog Alba als Geschäftsträger Philipps II. von Spanien stattgefunden. Diese Konferenz war durch Papst Pius IV. veranlasst worden. Wie de Thou als zeitgenössischer Chroniker berichtet, verhandelte man dort über die Wege, Frankreich von der ansteckenden Krankheit der Protestanten zu befreien. Es wird das Wort des Herzogs von Alba: »Der Kopf eines Lachses ist mehr wert als die Köpfe von tausend Fröschen« wohl verstanden und als Ziel bezeichnet, Coligny zu töten, die Sizilianische Vesper zum Vorbild zu nehmen und alle Protestanten niederzumetzeln. Es ist der blutjunge Prinz von Navarra, später König Heinrich IV., dem als unbeargwöhnten Knaben dieses Wort Albas zu Ohren kommt und der es für später in seinen Busen verschließt.

Drei Jahre danach verweilt Katharina in Metz und unterhält sich dort mit dem spanischen Gesandten Alava. Dieser wirft der Königin vor, dass das französische Heer gegen die Hugenotten lässig vorgehe. Sie gibt zu verstehen, dass sie selbst nicht über die genügenden Vernichtungsmittel verfüge. Das Werkzeug Philipps antwortet: »Dann muss man nach anderen Mitteln greifen«. Er rät ihr, Coligny und einige andere ermorden zu lassen, und erwähnt, dass man 50.000 Taler für den Kopf des Admirals ausgesetzt habe.

In den Jahren bis kurz vor der Bartholomäusnacht bereitet Papst Pius V. von Rom her die Ausrottung der Ketzer in Frankreich unermüdlich vor. Er ist das Schulbeispiel des christlichen Christenverfolgers und im strengen Sinne des Wortes ein Fanatiker. Ihm gegenüber ist Alexander VI. ein Verbrecher pro domo und in Wahrheit kein Papst; doch steht Pius ihm in der Wahl verwerflicher Mittel nicht grundsätzlich nach, nur dass er sie als Papst gebraucht und sie in seiner Hand Ausdruck echt katholischer Gesinnung sind.

Dieser Dominikaner hatte als Mönch ein frommes, armes, strenges und eifriges Leben geführt. Zur Stellung eines Kardinals erhoben, bleibt er derselbe, der er zuvor war, widmet sich in gleicher Treue seinen Andachtsübungen und dem Kampf gegen alle Feinde der Kirche. Dass er jetzt die Würde eines Papstes bekleidet, ist ihm schier eine Last, die ihm nur Fasten, Gebete und grobe Kleidung erträglich machen. Er ist unerbittlich gegen sich, unerbittlich gegen die Würdenträger der Kirche und unerbittlich gegen die Ketzer in Italien, die er bis etwa 1570 mit Feuer und Schwert ausrotten lässt. Die Marmorbüste Pius’ V. in der Chiesa di Santa Maria Maggiore zeigt uns einen sympathischen liebenswerten Greis mit ernsten und gehaltenen Gesichtszügen: So verehrte ihn das Volk, wenn er mit dem reinen Ausdruck ungeheuchelter Frömmigkeit den Prozessionen voranschritt.

Der katholische Glaube des alten Mannes ist gebieterisch und exklusiv und haßträchtig gegen alle Andersgläubigen. Dem Anführer eines Hilfstrupps für die französischen Katholiken gibt er die Weisung mit, keinen Hugenotten gefangen zu nehmen und jeden, der ihm in die Hände falle, zu töten. Er sendet einem Ungeheuer wie Alba für vollbrachte Bluttaten einen päpstlich geweihten Hut und Degen. Er predigt, wo er kann, die Ausrottung der Ketzer und schreibt – Ranke, der das obige Bild zeichnet, scheint diesen Brief noch nicht gekannt zu haben – im Jahre 1569 an Katharina von Medici: »Wenn Ihre Majestät fortfahren, öffentlich und glühend die Feinde der katholischen Religion zu bekämpfen, bis dass sie alle massakriert sind, soll die königliche Majestät sicher sein, dass die göttliche Hilfe Ihr nicht fehlen wird. Nur durch die völlige Ausrottung (›extermination‹ – das Wort wurde später in der Übersetzung zu ›Verbannung‹ abgemildert) kann der König dem edlen Königreich Frankreich den alten Kultus wiedergeben.« Noch vor seinem Verscheiden gibt Pius der Liga sein letztes Geld zur Vernichtung der Evangelischen und sagt am Rande des Grabes: »Gott wird nötigenfalls aus den Steinen den Mann erwecken, dessen man bedarf«.

Vorerst gehen trotz der Tätigkeit Spaniens und Roms die Dinge in Frankreich einen anderen Weg. Ein Schreckensedikt vonseiten des Königshauses im September 1568, das den evangelischen Gottesdienst unter Todesstrafe verbietet, setzt sich nicht durch. Es bewirkt nur eine neue Erhebung der Protestanten, die jetzt auf Paris marschieren und den Hof wider alle Vorstellungen des Papstes zum Frieden von St. Germain zwingen. Dieses Abkommen garantiert die Freiheit des evangelischen Kultus außerhalb der Stadtgrenzen und überläßt den Hugenotten vier Freistädte, unter ihnen die Hafenfestung La Rochelle an der Westküste und Montauban.

Der Hof wendet sich äußerlich von den unterlegenen Guisen ab und Coligny zu, dessen er nicht nur für seine militärischen Auslandsunternehmungen, sondern auch für die Gewährleistung des inneren Friedens vorübergehend bedarf. Man erzeigt dem Admiral hundert Gunsterweisungen, man schenkt ihm dem Anschein nach unbegrenztes Vertrauen, um sein Vertrauen umso sicherer zu gewinnen. So wird man ihn danach zu Fall bringen, so bringt man ihn binnen kurzem zu Fall durch seine Treuherzigkeit, die eine abgrundtiefe Treulosigkeit auf der anderen Seite nicht verstehen kann noch will und folglich nicht mit ihr rechnet. Schon 1571 war Coligny gewarnt worden. Damals hatte der Herzog von Mont-Pensier ihm abgeraten, schutzlos im königlichen Schloss Blois umherzugehen. Des Admirals Antwort war gewesen: »Ich befinde mich doch im Haus meines Königs!« Darauf hatte der Herzog erwidert: »Wohl, aber in einem Haus, in dem der König nicht immer Herr ist«.

Siegfried fällt nicht durch den Speer Hagen Tronjes, sondern durch das Lindenblatt, das ihm eine Blöße gab: Coligny fällt nicht durch die Macht Katharinas, sondern durch den Mangel an Misstrauen, der aus der Vornehmheit seiner Seele stammt. Wilhelm von Oranien war, sagt man, in seiner Jugend von Karl V. gelehrt worden, »niemals einem Menschen zu glauben«, und immerdar »war es sein Schicksal, Kassandra zu sein«. Dass Coligny mit der Treue und Ehre seines Herrn rechnete, erhebt ihn rein menschlich über den niederländischen Führer, aber das furchtbare Ende seines Lebens zeigt zum ersten Mal in der Geschichte des Reiches Gottes in Frankreich neben dem Irrweg weltlicher Kampfmittel die andere Fehlerquelle auf, das andere Verhängnis der Evangelischen: die unerschütterliche »patience huguenote«, ihr beinahe religiöses Vertrauen in die Lauterkeit des Königs, das zwangsläufig zur schuldhaften Blindheit wird. »Qui mange du Pape, en meurt«, so wusste man vor dem Borgia-Papst zu warnen. »Qui mange du Roi, en meurt« erweist die Bartholomäusnacht an Coligny. Vor der Aufhebung des Edikts von Nantes mißachten die Hugenotten zum zweiten Mal die neue Lehre ihrer Geschichte, und zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts wird sie abermals von dem Cevenolenführer Cavalier vergessen werden, der, wie vor ihm Coligny, zuerst nach dem Schwert griff und dann an der Falschheit des französischen Königtums verdarb.

Der scheinbare Gegenspieler Colignys in den Tagen der Bartholomäusnacht ist der Jüngling Karl IX. Aber hier schon verwirren wir uns in ein Netz widersprechender Meinungen, die uns einzufangen begehren. War Karl IX. der eigentlich wirksame Akteur auf dieser Bühne? War er, wie die einen meinen, eine Ausgeburt aller Verworfenheit und Grausamkeit? Oder ist er nur ein fast entschuldbarer pathologischer Schwächling gewesen und Produkt einer unheilvollen Charaktererziehung, so wie Chateaubriand ihn darstellt: »Dieser König, der aus den Fenstern seines Palastes auf seine hugenottischen Untertanen schoß, dieser katholische Monarch, der seine Mordtaten bedauerte, Blut spie, schluchzte und Ströme von Tränen vergoß, schließlich von allen verlassen und nur noch von seiner Amme, einer Hugenottin, betreut wird; dieser dreiundzwanzigjährige Monarch, überaus begabt, mit seiner großen Vorliebe für Kunst und Literatur, hochherzig in seiner Veranlagung, den nur seine verbrecherische Mutter auf eine abschüssige Bahn brachte, bis er ausartete und seine königliche Macht mißbrauchte – hat er nicht vielmehr Mitleiden verdient?«

Sicher ist, dass dieser Charakter schwer in eine einfache Schablone paßt und sich dem Verfahren widersetzt, entweder als sys-tematisch-harmonisch oder als geisteskrank klassifiziert zu werden. Karl IX. ist von einem achtbaren Erzieher herangebildet, von seiner Mutter in Verstellung geübt, von seinen Freunden zu Ausschweifungen überredet, durch die liebenswürdige Maria Touchet von seiner edlen Gemahlin Elisabeth abgebracht; ein leidenschaftlicher Jäger, grausam bis zum Sadismus, unermüdlich als Waffenschmied, ein Freund der Gelehrten, ein Dichter, Sänger und Komödiant. Vielleicht ist es wahr, dass er Anfang 1572 nach einem gleißenden Empfang der Königin von Navarra im Schloss Blois zu seiner Mutter sagte: »Habe ich meine Rolle gut gespielt? Du wirst sehen, ich fange sie in ihrem Netz!« Vielleicht ist es wahr, dass er den durch ein Attentat verwundeten Admiral Coligny in seinem Pariser Zimmer begrüßte mit dem theatralischen Wort:

»La blessure est pour vous,
  La douleur est pour moi!«

Neben all diesen anekdotischen Einzelzügen bleibt doch der allgemeine Eindruck, dass der dekadente Valois irgendwie ein Reflex, eine Ableitung, ein Zerrbild der Königin-Regentin selber ist und von ihr her gesehen werden muss, wie denn der Schlüssel zur Bartholomäusnacht letztlich in den Händen Katharinas und ihres skrupellosen Machthungers liegt.

Eben noch hatte Karl, den Einmischungen der Spanier abgeneigt, Coligny wieder an den Hof gezogen. Des Admirals weit schauender Plan, das katholische und protestantische Frankreich zu einigen in einem gemeinsamen Unternehmen, das den Spaniern durch einen Krieg in Flandern den Todesstoß gegeben und jene Provinz an Frankreich angeschlossen hätte, gefiel ihm nicht übel. Katharina, die das katholische Spanien nicht aufgeben will und die durch Colignys militärische Autorität ihren Einfluss auf Karl sich verringern sieht, widersetzt sich diesem Projekt und nähert sich dem Gedanken eines Anschlags auf den Admiral. Am Ende bereitet sie dem König eine Tränenszene, die ihn in erwünschter Weise psychologisch umlegt.

Die Schlingen ihres Netzes ziehen sich um Coligny und die Führer des protestantischen Adels zusammen, als nun in Anwesenheit von Tausenden geladener Gäste die jüngste Schwester Karls IX., Margarete, am 18. August 1572 dem jungen König von Navarra in Paris angetraut wird.

Wie weit das Massaker der nun folgenden Bartholomäusnacht im Einzelnen überlegt und vorbereitet war oder wie weit es die Selbstzündung angesammelter ungeheurer Sprengstoffmassen gewesen ist, wird vielleicht nie ausgemacht werden können. Ein dumpfes Grollen unter dem Vulkan, der Tod und Verderben zu speien sich anschickt, ist deutlich hörbar. Die Guisen drängen zu einem Gewaltstreich gegen den politisch-militärischen Protestantismus als einen Feind ihresgleichen, der mit Mitteln ihresgleichen endlich völlig vernichtet werden soll. Auf der anderen Seite ist das Pariser Bürgertum durch eine nicht enden wollende Agitation hetzender Predigermönche derart mit Misstrauen und Hass gegen die Feinde der Hauptstadt gesättigt, dass es beinahe reflexmäßig dem Mordbefehl des Louvre nachkommt.

Vier Tage nach der Hochzeit im Königshaus, am 22. August, wird Coligny, der mit seinem Schwiegersohn Téligny in der Rue Béthisy wohnt und den der König mit allen erdenklichen Ehrenbezeugungen umgibt, auf der Straße von einem gedungenen Edelmann angeschossen. Der König besucht sogleich den verwundeten Admiral, umgibt sein Krankenbett mit den ihm geläufigen Flüchen und mit lästerlichen Beteuerungen seiner Empörung und versichert ihm, er werde an dem Mordgesellen eine so schreckliche Rache nehmen, dass sie niemals aus dem Gedächtnis der Menschen schwinden werde. Zugleich lässt er sich eine Liste aller außerhalb des Louvre einquartierten protestantischen Edelleute geben, um, wie er sagt, sie um so sorgfältiger behüten zu können. In das Schloss zurückgekehrt, findet Karl bei seiner Mutter und dem Prinzen von Anjou den festen Plan vor, Coligny ermorden zu lassen, die gesamten Protestanten in Paris zu töten und selbst die Edelleute, welche im Louvre die königliche Gastfreundschaft genießen, nicht zu verschonen. Er schwankt, wohl auch im Blick auf die gefährlichen Folgen des ungeheuerlichen Treubruchs im Inland und Ausland, bis sein Widerstand zusammenbricht, vielleicht auch in Erinnerung an das genuin spanische Wort, das er selbst, heißt es, einst von Philipp II. heimgebracht hatte und das seinem Zögern die Sehne durchschlägt: »Pietà lor ser crudele, crudeltà lor ser pietoso« – »Mitleid mit ihnen wäre Grausamkeit, Grausamkeit gegen sie ist die einzige Barmherzigkeit«.

Die folgenden Ereignisse sind in klarerem Umriß überliefert. Coligny wird in seinem Schlafzimmer bestialisch ermordet. Er stirbt nach innigem Gebet, in ruhiger Glaubenszuversicht und mit der Würde des großen Edelmannes – vielleicht der größte Charakter, den, menschlich geredet, Frankreich jemals nach dem heiligen Ludwig und dem Hirtenmädchen von Domremy hervorgebracht hat.

Es ist ein deutscher Kammerdiener, Nikolaus Muß, der Coligny bis zuletzt unwandelbar treu zur Seite steht. Es ist ein Deutscher slawischen Blutes mit Namen Dianowitz, »der Böhme«, der den Admiral Frankreichs wie ein Tier absticht und die verstümmelte Leiche dem wartenden Guise zum Fenster hinaus auf die Straße schleudert.

Unterdessen hat das Morden im Louvre begonnen; dort werden die Gäste des Königs teils in den Gemächern niedergemacht, teils in den Schloßhof hinuntergetrieben und dort zwischen den Mauern umgebracht. In der Stadt läutet die Sturmglocke der Kirche St. Germain d’Auxerrois den Massenmord der evangelischen Gäste und protestantischen Bürger ein. Die Blutarbeit wird durch den Magistrat und die Bürgergarden in völligster Ordnung und lückenloser Organisation durchgeführt, ein Umstand, der stark gegen die These eines plötzlichen Mordentschlusses der Verschworenen spricht. In der ersten Nacht sind es etwa zweitausend Menschen, die aus ihren Betten gerissen und erbarmungslos getötet werden. Man wirft ihre Leichen in die Seine und bemerkt witzig dazu, dass man jetzt der Ketzerstadt Rouen flußabwärts einen Zug von ganz besonderen Fischen sende.

Während der folgenden Tage geht das Gemetzel weiter. Der Graf von Coconas rühmt sich einer besonderen Methode: Er sagt etwa dreißig Hugenotten Schonung ihres Lebens zu, falls sie widerriefen. Dann, nach ihrem Widerruf, bringt er einen jeden von ihnen mit kleinen Dolchstichen langsam zu Tode, um ihr Leiden zu verlängern.

Während auf den Straßen wahllos evangelische Frauen, Mütter, Kinder, wehrlose Flüchtlinge abgeschossen werden und mit ihrem Blut die Erde röten, verbreitet sich im Pariser Volk die Kunde, dass im »Cimetière des Innocents« ein Weißdornstrauch, vom Blut der Ketzer befeuchtet, zum zweiten Mal erblüht sei. Eine Prozession des Pöbels zieht zum Friedhof, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen und danach mit umso größerem Eifer das Massaker fortzusetzen. Einer der Ihrigen, der Metzger Pezou, wird vom Helden der Straße zum Helden des Königshofs. Er hat in der ersten Nacht einhundertzwanzig Evangelische geschlachtet. Er rühmt sich dessen vor dem König und macht sich anheischig, in der folgenden Nacht noch einmal dasselbe Werk zu tun. Karl IX. lacht – es ist ein wildes und unruhiges Lachen, ganz anders als das grimmige Lächeln des großen Systematikers der Protestantenverfolgung, des finsteren Philipps II. von Spanien, als er die Kunde von der Bartholomäusnacht erhält.

Neben dem königlichen Gelächter Karls IX. hört man irgendwo im Louvre ein königliches Weinen, gequält und herzbrechend. Elisabeth, die Gemahlin Karls, hat an eben diesem ersten Morgen von dem Beginn des Mordens erfahren. Sie fragt entsetzt: »Mein Gott, weiß mein Gemahl davon?« / »Der König hat es selbst befohlen!« / »Wer hat es ihm geraten? Vergib ihm, o Gott! Ich fürchte, diese Schändung Deines Willens wird ihm nicht vergeben werden!« Sie nimmt ihr Gebetsbuch zur Hand und beginnt unter Tränen, Gott anzuflehen. Später wird die edle Frau, der man auch die einzige Tochter weggenommen hat, – das Kind stirbt früh eines natürlichen oder beschleunigten Todes – wieder in ihre Heimatstadt Wien zurückkehren und im Kleid der franziskanischen Tertiarierinnen Kranke pflegen, damit »Gott ihrem verstorbenen Gemahl Karl IX. die Mordtaten der Bartholomäusnacht vergebe«.

Fast sämtliche Freunde Colignys sind in der ersten Nacht getötet oder werden noch erledigt. Wie der Admiral selbst, waren sie zweimal vor der Katastrophe durch den Vicedominus von Chartres gewarnt und zum Verlassen der Stadt aufgefordert worden. Im Glauben an die königliche Ehre bestehen sie darauf, noch zu bleiben. Keiner von ihnen wird geschont außer de Chartres und Montgommery, denen es zu entfliehen gelingt. Im Louvre bleiben der Schwager des Königs, Heinrich von Navarra, und der ältere Condé am Leben, außerdem der Leibarzt des kränkelnden Karl und die alte hugenottische Amme des Königs. Karl IX. selbst lehnt an einer Fensterbrüstung des Schlosses und schreit: »Bringt sie um, bringt sie alle um!« und schießt mit der Büchse auf flüchtende Gestalten. Dann zieht seine Mutter mit dem Hofstaat hinaus, um die dort mit den Füßen an den Galgen gehängte kopflose Leiche Colignys zu betrachten. Sie hat allen Anlass, diesen zerhackten Kadaver des edelsten Mannes ihrer Zeit, – des Mannes, den ihr Sohn »mein Vater« nannte – auf dem Schindanger nachdenklich anzuschauen, denn der Leichnam ihres eigenen Vaters, des schamlosesten Mediceers Lorenzo von Urbino, ruht daheim ehren- und kunstverklärt in der neuen Sakristei von San Lorenzo, in dem von allen Augen angestaunten wunderherrlichen Grabmal aus der Hand Michelangelos.

Das Haupt des Admirals wird in Verwahrung genommen und durch Sonderboten dem Nachfolger Pius’ V. nach Rom gesandt. Dort läuten die Glocken, und die Kardinäle erfahren durch den Pontifex maximus, dass solche Tat geschah »auf speziellen Befehl des Königs von Frankreich«. Jubelgottesdienste, Feiermessen, Kanonenschüsse, Freudenfeuer, Prunkprozessionen lösen einander ab. Eine Festmedaille wird geschlagen mit dem Bild eines Engels, der ein Kreuz erhebt und mit der anderen Hand Protestanten tötet, mit der Umschrift: »Hugonotorum strages«, »Der Hugenotten Niedermetzelung«. Die Gegenseite der Münze trägt das Bild des Papstes.

Die sorgfältigste Zählung der Pariser Opfer durch Crespin gibt 10.468 Personen an. Dazu kommen in der Provinz, in die nun die Blutbefehle hinausgehen, 30.000 Getötete. In den Niederlanden kostet die Nachricht von dem geglückten Gewaltstreich Katharinas Wilhelm von Oranien die Festung Mons. In Frankreich selbst beginnt bald darauf der siebte Religionskrieg durch die Initiative der schwer getroffenen, aber ihrer Sache unverbrüchlich treuen hugenottischen Stände, Soldaten und Gemeinden. Bald darauf stirbt auch Karl IX. im Alter von vierundzwanzig Jahren, sei es an Blutstürzen, sei es, wie Brantôme angibt, an der Syphilis. Seine alte hugenottische Amme sagt ihm noch die letzten Trostworte. Nach der Überlieferung antwortet er ihr: »Meine Beste – wie viel Blut, wie viel Blut! Man hat mich schlecht beraten! Vergib mir, o Gott, denn ich fühle, ich bin verloren!«

Die Bartholomäusnacht und die ihr folgenden Exekutionen in der Provinz vernichten die evangelische Sache nicht, aber verkrüppeln sie zeitweise äußerlich. Eine Anzahl bisheriger Protestanten wenden sich um ihres Lebens halber dem katholischen Bekenntnis zu, so auch 527 Edelleute im Land. Zugleich setzt eine neue Auswanderungswelle ein, so dass etwa ein halbes Jahr nach der Bartholomäusnacht allein in London vierzig flüchtig gewordene Pfarrer aus der Normandie und Picardie gezählt werden.

Vielleicht die schwerwiegendste Folge der Pariser Bluthochzeit ist die Tatsache, dass den Evangelischen Frankreichs eine Rückbesinnung auf die geistliche Linie des Glaubenskampfs so gut wie unmöglich geworden ist. Schon die vorlaufende Strafaktion gegen die hugenottischen Mitverschwörer von Amboise hatte bei Einzelnen eine sozusagen grundsätzliche Einstellung auf Rache erzeugt. Agrippa d’Aubigné, der protestantische Kämpe mit Schwert und Feder bis in die Zeit Ludwigs XIII. hinein, spricht davon in seinen Erinnerungen. Er konnte nie vergessen, wie ihn, das hellwache, überbegabte Kind – mit sechs Jahren las er bereits lateinische, griechische und hebräische Schrift – sein Vater eines Tages »durch den Jahrmarkt in Amboise führte und angesichts der am Galgen der Stadt noch immer ausgestellten Köpfe seiner alten Freunde vor sieben- oder achttausend Personen ausrief: ›Sie haben Frankreich geköpft, diese Henker!‹« Und dann, als sein Sohn sich überaus wunderte, auf dem Antlitz seines Vaters eine ungewöhnliche Erregung wahrzunehmen, legte dieser ihm die Hand auf das Haupt und sagte: »Mein Kind, es tut nicht Not, dass dein Haupt einst verschont wird, weil das meine verschont wurde. Wenn du dich bei deinem Werk schonst, wird mein Fluch dich treffen« (d’Aubigné, »Vie à ses enfants«). Nach den Schrecken von 1572 treten in genugsam verständlicher Reaktion geradezu Gleichgewichtsbrüche in Erscheinung. Ein maßvoller Vertreter des evangelischen Bekenntnisses in La Rochelle wird von einem der dortigen Pfarrer buchstäblich geohrfeigt. Überreizte Hugenotten rufen die Hilfe der Königin Elisabeth von England an und erklären sie als legitime Königin.

Während nach den das gesamte Volkstum zerreißenden Massenhinrichtungen in der Provinz die Katholiken, über die Lawine des Mordens erschreckt, sich noch in einer Art dumpfer Betäubung befinden, werden die Hugenotten von neuen Führern, mit dem ernsten La Noue an der Spitze, neu zusammengefaßt und verschanzen sich in den ihnen treu gebliebenen festen Städten La Rochelle im äußersten Westen und Montauban, Nîmes, Sommières, Anduze im Süden. Der Schwerpunkt des Protestantismus verlegt sich nach dem unberührteren meridionalen Frankreich, von dem aus auch später der letzte Widerstand in den Cevennen und im Languedoc geleistet werden wird, von dem aus auch zuletzt die Wiedergeburt der evangelischen Kirche ihren Ausgang nimmt.

Eine weitere Folge der Bartholomäusnacht sind die allenthalben einsetzenden grundsätzlichen Angriffe auf die Schrankenlosigkeit der königlichen Vollmachten.

Im Jahre 1535 war Niccolò Machiavellis Abhandlung: »Il principe«, die er dem jüngeren Lorenzo, dem Vater Katharinas von Medici, gewidmet hatte, in Rom im Druck erschienen. Er gedenkt darin Cesare Borgias als eines erfolgreichen Fürsten und proklamiert grundlegend Idee und Methode der skrupellosen Staatsgewalt. Das Büchlein, das von dem Hofstaat der italienischen Königsbraut in Paris eingeführt worden war, hatte zu der sich dort durchsetzenden Praxis ein Stück Theorie und Programmatik geliefert. Zur Zeit der Bartholomäusnacht scheint die Abhandlung Machiavellis am Pariser Hofe bereits eine Art politisches Brevier geworden zu sein.

Jetzt setzt der schriftstellerische Protestantismus in Frankreich Theorie gegen Theorie, Programm gegen Programm. Eine immer höher ansteigende Welle von Flugschriften und Pamphleten anonymer, das heißt hugenottischer Herkunft, tritt in Erscheinung, die dem Prinzip eines unverantwortlichen Königtums den Rechtsboden zu entziehen trachtet. An der Spitze dieser Literatur stehen die Abhandlungen des Juristen Hotman, der, infolge der Massaker von Bourges nach Genf flüchtig geworden, von dort seine Angriffe auf die in Übung kommende französische Staatspraxis schleudert. Hotman versucht zu beweisen, dass sich aus dem freien Wahlrecht der Gallier und Franken das primäre Verfahren bei jeder Königswahl ergeben habe und dass dieses Wahlrecht durch elf Jahrhunderte hindurch über der Krone gestanden sei. Er steigert diese Gedanken zu dem Programm, dass das Nationalkonzil, die Generalversammlung des französischen Volkes, im Grunde allein rechtskräftige Gesetze geben könne und als letzte Instanz der Nation über dem König zu gelten habe. Wie stark sich diese Gedanken im Gegensatz zum katholischen Staatsabsolutismus in den Niederlanden auswirken, ersehen wir aus der Erklärung der dortigen selbstbewussten Stände wider den abgesetzten König von Spanien vom 26. Juli 1581: »Wenn daher der Fürst seine Schuldigkeit nicht tut, wenn er seine Untertanen sogar unterdrückt, ihre alten Freiheiten vernichtet und sie wie Sklaven behandelt, so ist er nicht mehr als Fürst, sondern als Tyrann zu betrachten. Als solchen kann das Land ihn nach Recht und Vernunft absetzen und einen anderen an seiner Stelle erwählen;«  – wir erinnern uns sogleich an den früher erwähnten Schlussabschnitt aus Calvins Institution – und der Calvinist Marnix St. Adelgonde hatte dazugefügt: »Keinem sterblichen Menschen hat Gott die absolute Gewalt verliehen, seinen eigenen Willen gegen alle Gesetze und alle Vernunft durchzusetzen.«

Aber wir kehren nach Frankreich zurück. Als während der Regierung Heinrichs III., des Nachfolgers Karls IX., das Königtum aus politischen Gründen den Protestanten gewogen ist, und erst recht, als nach der Ermordung Heinrichs III. der Bourbone Heinrich IV., das Kind einer protestantischen Familie, den Thron besteigt, setzen die Angriffe auf die Souveränität der Krone von neuem ein, dieses Mal mit katholischen Vorzeichen und von den Jesuiten gegen die unbegrenzte Macht halbherziger Katholiken auf dem Königsthron vorgetragen.

Dieses römische Gegenstück zu Hotmans Theorien über das französische Kronrecht ist von dem Jesuiten Lainez und später von Mariana geschaffen worden. Aus Anlaß des Tridentiner Konzils hatte der Jesuitengeneral Lainez eine Rede gehalten, deren Gedanken auf eine Lockerung der Staatsautorität hinauskamen. Das Volk, so führte er aus, ist der ursprüngliche Träger der Staatsautorität und kürt in freiem Willen den König der Nation. Wenn daher ein Herrscher von der allein selig machenden Kirche abfällt und sein Volk damit der ewigen Verdammnis zuführt, kann er jederzeit vom Volk abgesetzt werden.

Unter Berufung auf diese Gedanken Lainez’ wird schon unter Heinrich III. wegen seiner Annäherung an die Hugenotten um 1585 von den katholischen Kanzeln Frankreichs die Parole einer bewaffneten Empörung ausgegeben. Die Spannung erscheint dann durch das Verhalten des Königs auf die Spitze getrieben. Heinrich III. schließt ein Bündnis mit dem Protestanten Heinrich von Navarra. Jetzt stellen sich die Jesuiten an die Spitze der katholischen Partei und lassen durch einen zu diesem Zweck geschürten Aufstand in großem Maßstab den König aus Paris vertreiben. Der König wird durch den fanatisierten Dominikanermönch Clément ermordet, von dem erzählt wird, dass er zuvor seine Ordensbrüder in unbestimmten Ausdrücken nach der sittlichen Berechtigung einer derartigen Tat gefragt und die Auskunft erhalten habe: »Wenn der Mörder Heinrichs von Valois aus persönlichen Gründen und Rachedurst tötet, ist es eine schwere Sünde. Wenn er aber bei seiner Tat das Wohl des Landes und der Kirche im Auge hat, besteht kein Zweifel, dass er dadurch sein ewiges Seelenheil verdient hat.«

Nach dem Tod Heinrichs III. schreibt der spanische Jesuit Mariana, Erzieher des Sohnes Philipps II. (des zukünftigen Königs Philipps III. von Spanien) ein Traktat »Vom König und vom königlichen Amte«, in welchem die Ideen des Jesuitengenerals Lainez bis zur letzten Konsequenz fortgeführt werden, nämlich: »Wenn anstatt eines rechtschaffenen Fürsten ein Tyrann regiert und seine Macht mißbraucht, ist das Volk berechtigt, sich seiner, wenn nötig auch mit Gewalt, zu entledigen.« Unter diesem Gesichtspunkt wird zugleich das Attentat des Mönches Clément für lobenswert erklärt.

Als Antwort stellen die Pariser Rechtslehrer die Ermordung Heinrichs III. sowie die später folgenden Anschläge auf Heinrich IV. als eigentliches Werk des Jesuitenordens hin. Châtel, der nach dem Leben Heinrichs IV. getrachtet hatte, war zudem Zögling eines Jesuitenseminars gewesen. Die beiden Lehrer Châtels werden gehenkt, und in Paris wird eine Schandsäule gegen den Orden öffentlich aufgerichtet. Das Parlament verfügt die Ausweisung der Patres aus Paris und setzt die Austreibung der Jesuiten aus ganz Frankreich durch. Auf das Ganze gesehen erweist sich das mächtig ansteigende Nationalgefühl des Volkes, das im Königtum seine eigentliche Verkörperung sieht, stärker als alle Versuche von beiden Seiten, die Idee der absoluten Krongewalt zu untergraben. Es ist schließlich das Werk Richelieus, jede weitere Sabotierung der fürstlichen Autorität durch Calvinisten wie durch Jesuiten zu lähmen und zu unterbinden und so dem Absolutismus Ludwigs XIV. den Weg zu ebnen.

Die Betrachtung der direkten und indirekten Folgen der Bartholomäusnacht hat es weiter zu tun mit der höchst wirksamen inneren Veränderung, die sich im Anschluss an die Katastrophen der Religionskriege in der Geistesstruktur des französischen Volkes und in der kulturellen Einstellung des Landes vollzieht.

So unvollkommen jeder Schematismus sein mag, könnte man einmal zur Aufhellung dieser Zusammenhänge die Mentalität des französischen Volkstums darstellen als eine Ellipse mit zwei Brennpunkten, die einander ergänzen und sich im Gleichgewicht halten. Der eine Brennpunkt der Ellipse würde das rationale Denken des Franzosen sein. Der andere Brennpunkt würde heißen: Charme und Leichtlebigkeit bis zur Frivolität. Mit den Religionskriegen und der Bartholomäusnacht beginnt nun ein Prozess, der eine fortschreitende Abdrängung des protestantischen Einflusses vom Volksganzen bedeutet. Anders ausgedrückt: Das Evangelium, das ein halbes Jahrhundert lang ein nachhaltiges Korrektiv für die gesamt-nationale Eigenart und ihre Gefahren gewesen war, wirkt immer weniger als Salz der französischen Erde. Genau in demselben Verhältnis verändert sich die Funktion der beiden Brennpunkte in der Ellipse. Das rationale Denken, von wirklichem Christentum immer schwächer befruchtet, entartet rapide zur Weltanschauung des Rationalismus. Die Frivolität bemächtigt sich der Religion in der Form der Bigotterie.

Wir beginnen mit der ersten Veränderung. Das rationale Denken des Franzosen emanzipiert sich von den metaphysischen Gesichtspunkten und Bindungen des christlichen Glaubens, dessen Vertreter in beiden Parteien der Religionskriege an ihren Idealen jammervollen Verrat üben. Der Typus des religionslosen vernünftigen Lebenskünstlers tritt in Erscheinung.

Schon Rabelais, der aufsässige Geist der Renaissance in Frankreich, war mit den Worten gestorben: »Ich gehe, das große Vielleicht zu suchen, das im Krähennest haust«. Jetzt erhebt sich immer vernehmlicher in deutlichem und gewolltem Abstand von den Scheiterhaufen, Bürgerkriegen, Gräueln und Rechtsbrüchen der Zeit die kühl-verständige Stimme der Essays von Montaigne und verkündet ihre Weisheit dem französischen, ja, dem europäischen Menschen. An die Stelle der geistigen Hingabe des Einzelnen an Kirche und Religion tritt das individualistische Denken des weltklugen Moralphilosophen. Die Sittlichkeit wird von Gott abgespalten. Gott verblaßt, man geht an Ihm vorüber. Die Moral schrumpft zur Nützlichkeitserwägung zusammen – und zu einer Summe von Anleitungen, das Leben vernünftig zu formen.

Diese Linie wird im siebzehnten Jahrhundert von La Rochefoucauld fortgesetzt durch seine kalten Seelenanalysen, welche die Selbstsucht als Beweggrund aller und jeder Gedanken und Handlungen erweisen. Die Pensées von Pascal mit ihrem Versuch, die Selbsterkenntnis und das praktische Handeln wieder am Ewigen zu orientieren und zu erlösen, können die weitere Fortsetzung dieser Linie in der Richtung auf platteste Freigeisterei nicht aufhalten. So folgt im achtzehnten Jahrhundert das zynische Schrifttum Voltaires und die letzte Emanzipation des französischen Geistes vom christlichen Glauben in den Enzyklopädisten.

Die Umformung des anderen Brennpunkts der Ellipse, der französischen Leichtlebigkeit und Frivolität in Bigotterie hat ihr erstes Schulbeispiel an dem Nachfolger Karls IX., an Heinrich III. Schon unter Karl IX. hören wir eine höhnische Bemerkung über einen Ritter, dessen üble Liebesabenteuer zahlenmäßig den gottesdienstlichen Übungen am Hof genau die Waage halten.

Heinrich III. ist es als Erstem vorbehalten, diesen Typus bis zum Zerrbild den Augen seines Volkes vorzustellen. Zuerst Saisonkönig von Polen, tritt er 1573 als Zwanzigjähriger die Regierung an: ein Lebemann und ein Stutzer. Mit herrlichen Kleidern angetan, mit Edelsteinen und Perlen behängt, in weibische Unterwäsche gehüllt, in den Ohren auffällige Ringe tragend, reist er, von einem Schwarm aufgeputzter süßlicher junger Männer umgeben, durch das Land. Er ehelicht Luise von Lothringen, die ein Liebesverhältnis mit Franz von Luxemburg gehabt hatte, und schlägt dem Luxemburger erfolglos vor, sich dafür mit seiner eigenen Mätresse, Fräulein von Châteauneuf, zu vermählen. Einem Ritter, der ihm ein Lyoner Rassehündchen überläßt, gewährt er den großen Hausorden vom Heiligen Geist. Letzter Leichtsinn und Gebärde der Frömmigkeit haben sich bei ihm zu einer neuen Einheit gefunden. Im Gewitter verbirgt er sich zitternd in den Kellern des Louvre, weil ihn Tod und Hölle schrecken. In Avignon sieht man ihn als Glied einer Bußbruderschaft mit den Flagellanten durch die Straßen ziehen, barfüßig, barhäuptig, ein Kreuz in der Hand und das eigene Fleisch geißelnd. Durch das Stöhnen der Büßer hindurch vernimmt man Gelächter und Witzworte. Bevor er den gefährlichen Heinrich von Guise, der als sein Gast im Schloss Blois weilt, heimtückisch ermorden lässt, trägt er seinem Hauskaplan auf, zu Gunsten »eines Unternehmens für das Glück Frankreichs« einen Gottesdienst halten zu lassen.

Von der Wandlung des leichtsinnigen Ludwigs XIV. in den bigotten Ludwig XIV. wird später die Rede sein. Eine letzte Vollendung findet der Typus der frivolen Bigotterie nach ihm in dem Ekel erregenden Bild Ludwigs XV., der sich unschuldige Kinder fangen lässt, mit ihnen Andacht hält und betet, um sie dann zu missbrauchen.  

 

KAPITEL V

ZWISCHENSPIEL: HEINRICH IV.

»Ma fidélité peult dire encore ung mot, Sire: Dieu veult estre escouté quand il parle.«
»In Treue darf ich noch ein Wort hinzufügen, Sire: Wenn Gott spricht, will Er, dass man auf Ihn höre!«
(Philippe du Plessis-Mornay in einem Brief an Heinrich IV. nach dem Attentat von Châtel).


»Le Roi est mort, vive le Roi!« Heinrich III.
, der allerchristlichste König von Frankreich, ist tot; ein katholischer Fanatiker hat ihn ermordet. Die Führer der katholischen Liga, Heinrich von Guise und sein Bruder, der Kardinal, sind tot; ein bigotter König hat sie ermordet. Die intrigante Königin-Mutter liegt in einem vulgären Grab am Schloss Blois begraben – »wie eine tote Ziege geachtet«; sie, die Landesmutter, von der man im Volk sagte, dass die Hunde der Isebel ihr Fleisch nicht anrühren würden. Der letzte Prinz von Valois, Franz, ist tot; das Leiden seines Bruders Karl, die Schwindsucht, hat ihn weggerafft. Margarete, die letzte Prinzessin von Valois, ist, mit der Heiligen Schrift zu reden, lebendig tot; nach kurzer Ehe mit Heinrich von Navarra ist sie zur Dirne von jedermann herabgesunken: »Margot en haut – Margot en bas«, singt von ihr der Pöbel auf der Gasse.

Der neue König, Heinrich IV. von Bourbon, der wunderlicherweise durch das Blut Ludwigs des Heiligen von eisgrauen Zeiten mit dem verrotteten Geschlecht der Valois’ verbunden war und der mehr Franzose ist als sie alle, mit seinem klaren rationalen Kopf und seinem liebenswürdigen frivolen Herzen, tritt in unser Gesichtsfeld. Man könnte seine Regierung in das Kapitel »Gegenreformation« einbeziehen, im Blick auf die erneute Tätigkeit der Jesuiten und das Aufblühen der katholischen Liebestätigkeit. Aber seine Ära ist so deutlich ein Bruch mit den Protestantenverfolgungen der Vergangenheit und zugleich so deutlich ein verzögerndes Moment gegenüber der heraufziehenden letzten Entscheidung zwischen Ideologie des Königtums und Reich Gottes, dass sie besser gesondert betrachtet wird.

Die Mutter Heinrichs, Jeanne d’Albret, lebt als eine der herrlichsten Erscheinungen im Gedächtnis der evangelischen Protestanten Frankreichs.
Während ihr Gemahl König Anton von Navarra sich dem Evangelium rasch öffnet und dann zum Schmerz Calvins sich als unbeständig und untreu erweist, hält seine später gewonnene Gemahlin in unverbrüchlicher Treue und mit unbeugsamem Willen die Fahne des Evangeliums in ihrem kleinen Ländchen hoch, »n’ayant de femme que le sexe, l’âme entière ès choses viriles, l’esprit puissant aux grandes affaires, le cœur invincible ès adversités« – »von einer Frau hatte sie nur das Geschlecht, ihre ganze Seele gehörte Männergeschäften, ihr mächtiger Geist großen Dingen, ihr Herz war unbesiegbar in Widrigkeiten« –, wie d’Aubigné in seiner »Histoire universelle« schreibt. Als die Führer des Protestantismus ihr nahe legen, die Einwilligung zur Vermählung Heinrichs mit Margarete von Valois zu geben, antwortet sie: »Wenn mein Gewissen salviert ist, gibt es keine Bedingung, die ich nicht anzunehmen bereit wäre, bei dem Gedanken, damit dem König zu gefallen und der Königin, und um die Ruhe des Staates zu sichern, für welche ich das Liebste in der Welt opfern würde, ja mein Leben selbst … aber ich würde lieber auf das Lebensniveau des geringsten Fräuleins in Frankreich hinabsteigen, als meine Seele und die Seele meines Sohnes der Zukunft meiner Familie zu opfern.« Endlich erreichen die inständigen Bitten ihrer treuesten Freunde und die Versprechungen des Königs, dass sie ihre Zustimmung zur Hochzeit gibt. Sie begibt sich von ihrem Schloss in Nérac nach dem Schloss Blois, um dort, von den Künsten Katharinas und Karls umgarnt, in Ängste der Seele und Krankheit des Leibes zu fallen und bald darauf, wahrscheinlich infolge von Gift, kurz vor der Vermählung ihres Sohnes, in Paris zu sterben.

Heinrich IV. ist der erste König Frankreichs, von dem jeder Deutsche etwas weiß, wenn es auch nur ein einziges Wort ist: »Paris ist wohl eine Messe wert« Dies ist die fixierte Übereinkunft über das Problem dieses Lebens und seine Lösung durch den Träger dieses Namens. Es lohnt vielleicht, bei dieser Gelegenheit ein Wort über konventionelles Denken zu sagen, das sich immer wieder und wieder einer verständnisvollen Geschichtsdarstellung störend in den Weg stellt. Konventionelle Geschichtsauffassung könnte man mit Friedrich Nietzsche zunächst nennen eine »historische Sammlung der Effekte-an-sich«. Man schaut interessierende Geschichte, wie ein Höhenwanderer über den Talnebeln von den zusammenhängenden Bergketten nur einzelne herausragende Gipfel erspäht und als das Wesen des Gebirges im Gedächtnis behält. Dann werden im popularisierenden Geschichtsunterricht die der objektiven Geschichte entnommenen Höhepunkte vereinfacht, schematisch vergröbert und dem Durchschnittsverstand angepasst. Eine so geartete Geschichtskonvention schafft zwar Annäherungswerte an die vergangene Wirklichkeit, sie bedeutet aber einen Verzicht auf sorgfältig abwägendes Urteil, eine Einbuße an selbstständigem Nachdenken und an feinem Gefühl für die Nuance.  . . .

Dementsprechend hat ein jedes Zeitalter seinen besonderen Schlüssel zum Charakter Heinrichs IV., des Mannes, dem »Paris eine Messe wert war« – des Mannes, der im Sattel des Protestantismus, danach aber auch im Sattel des Katholizismus zu reiten wusste. Das 18. Jahrhundert der Aufklärung preist ihn als Bahnbrecher der Freigeisterei, Voltaire beschreibt ihn in seiner Dichtung »Über den Tod des Dauphin« als den Monarchen, »dem gleichermaßen Rom und Genf im tiefsten Busen Lachen weckt«.   . . .

Die Übereinkunft unserer eigenen Zeit über das Wort Heinrichs IV.: »Paris ist wohl eine Messe wert!« ist der zusammenfassende Gedanke, dass Heinrich, das Haupt der Protestanten, zur Gewinnung der Hauptstadt und Erringung der Macht seinen evangelischen Glauben dem Vorteil opferte – ein klassisches Exempel des kirchlichen Opportunismus, der Typus eines protestantischen Verräters an der einmal erkannten und angeeigneten evangelischen Wahrheit.

Heinrich IV. war alles das und war es nicht. Heinrich von Navarra war nicht wirklich Haupt und noch weniger Exponent des französischen Protestantismus, so gewiss seine Mutter ihres Landes treueste geistliche Mutter gewesen war. Sein Leben wusste nichts von dem Heiligungsgehorsam der Calvinisten. Von seiner Jugend an bis in sein Todesjahr war es eine hässliche Folge sittlicher Hemmungslosigkeiten; nur der schwankenden Haltung der protestantischen Synoden seiner Zeit hatte er es zu danken, dass er nicht ernster in Kirchenzucht genommen und aus den Reihen der Gemeindeglieder gestrichen wurde. Von der Frömmigkeit der Mutter stehen nur einzelne Bruchstücke in seinem inneren Leben ungeordnet herum, die er für schwere Tage gebraucht. Vor der Schlacht hält er Andachten und Gebete und weiß auch hinterher von Danksagung und dem Psalmenlobpreis Gottes, der seine Jugend umklungen hatte. Auch erinnert er sich der einst gelernten Bibelverse, die es gegen die katholische Irrlehre anzuführen gilt. Im Übrigen ist er Hugenotte als Glied der protestantischen Partei. Einst hatte ihn seine Mutter geradezu mit der Kraft eines Mannes auf die protestantische Linie eingestellt, und der Jüngling hatte damals im Béarn seiner Mutter und den versammelten hugenottischen Notabeln geschworen, »bei meiner Seele, Ehre und Leben niemals die Sache des Evangeliums preiszugeben«. Aber schon angesichts der blutenden Leiche Heinrichs III. versprach er, sich wenigstens über den katholischen Glauben instruieren zu lassen. Wiederum beteuerte er vor einer evangelischen Pfarrerversammlung in Saumur: »Wenn man Ihnen sagt, dass ich mich von der wahren Religion abgewendet habe, dann glauben Sie es nicht. Ich werde in ihr sterben!«

Drei Monate später schwört er ab. Was er abschwört und verlässt, ist freilich nicht evangelischer Heilsstand und Heilsglaube, sondern im Grunde die Zugehörigkeit zur protestantischen Partei, deren Glaubenssätze er sich in einigen Punkten zu Eigen gemacht hat. Der katholische Aberglaube ist ihm widerwärtig, als er wider besseres Wissen seine Zustimmung zur katholischen Lehre unterzeichnet. Er opfert mit seiner Unterschrift kein protestantisches Gewissen, das sein Leben von innen heraus bestimmt hätte, denn man kann nicht opfern, was man nicht hat. . . . Er handelt erst recht als ein Politiker, der bewusst auf die Karte der Nützlichkeit setzt, als ein einfallsreicher Schauspieler, der im zweiten Teil des Stücks eine andere Rolle übernimmt und sie noch besser und überzeugender darstellt als seine Rolle im ersten Akt.

Äußerlich betrachtet steht die Abschwörung Heinrichs IV. in Beziehung zu einem Aufstand in der Hauptstadt. Paris ist von Rebellen besetzt, die sogar den Spaniern erlauben, dort eine Garnison zu halten. Philipp II. von Spanien hat nicht wenig Lust, seine Tochter Isabella zur Königin von Frankreich auszurufen. Die noch bestehenden Reste der katholischen Liga spalten sich vor diesem bedenklichen Anspruch des Auslands. Im selben Augenblick teilt Heinrich dem Erzbischof von Bourges mit, dass er katholisch werden wolle, um das Land und die Dynastie zu retten. Das geschieht im Jahre 1594.

Vor dem Frontwechsel Heinrichs steht wie ein treuer Erzengel mit flammendem Schwert sein alter Freund du Plessis-Mornay, neben Agrippa d’Aubigné die schönste und klarste Erscheinung aus der Welt des französischen Protestantismus um diese Jahrhundertwende. Genial begabt, vielsprachig, hatte er Mathematik und Jurisprudenz studiert, ganz Europa bereist, Deutschland gesehen, Venedig besucht und in England festen Fuß gefaßt, wo er dann Gesandter werden sollte. Nach der Pariser Bluthochzeit sträubt er sich, die Waffen gegen den König zu ergreifen. Seinem Freund Heinrich von Navarra sagt er unverhohlen seine Meinung über sein ungezügeltes Leben und »den schlechten Ruf, den diese Dinge Ihnen einbringen«. Die Beanstandung seiner »Abhandlung über die Eucharistie«, in der er Tausende von Kirchenväter-Worten gegen die Transsubstantiation gesammelt hatte, durch den König lehnt er mit dem klassischen Wort ab: »Ich habe meine Dienste jederzeit so geordnet: zuerst Dienst Gottes, dann Dienst meines Königs, dann Dienst an meinen Freunden, und ich kann an dieser Reihenfolge mit gutem Gewissen nichts ändern.«

Als Heinrich im Jahre 1588 zum ersten Mal die Möglichkeit erwägt, zur Sicherung seiner Nachfolge dem Glauben abzuschwören, leistet du Plessis-Mornay schroffen Widerstand und spricht ihm von dem Argwohn, der unter den Protestanten gegen ihn das Haupt erhebt. »Wenn Ihre Majestät nicht diesen Verdacht beheben«, sagt er ihm ins Gesicht, »werden Ihre Majestät überaus erstaunt sein, sich eines Tages allein gelassen zu sehen.«

Bei einem Versuch des Königs, das störrische Paris zu nehmen, hört Heinrich vor seiner Tür Schritte und ruft: »Wer ist da?« Als Mornay eintritt, sagt er ihm brüsk: »Sie sehen die Auflösung im Heer. Wird mich Gott verlassen?« Mornay antwortet als Hugenotte: »Wir wollen, Sire, lieber daran denken, ob wir Ihn nicht ganz und gar verlassen haben, an all das anstößige und ausschweifende Leben, das wir während dieser Belagerung geführt haben.« Worauf der König in sich gekehrt den Psalter zur Hand nimmt, den 91. Psalm liest, gute Vorsätze faßt und zu beten beginnt.

Als der Abfall Heinrichs in greifbare Nähe rückt, kann Mornay nicht glauben, dass dergleichen geschehen könne. Der König sagt ihm noch in einer letzten Auseinandersetzung über seine Entscheidung: »Ich bin genötigt gewesen, mich für meine Untertanen zu opfern, auch um den Reformierten besser Ruhe schaffen zu können.« Mornay antwortet: »Es gäbe bessere Mittel dazu, wenn es Eurer Majestät gefallen hätte, sie zu gebrauchen. Uns wäre es köstlich gewesen, unser Leben für Ihr Heil zu opfern.«

Unterdessen gehen die letzten häßlichen Zänkereien des Königs mit der katholischen Priesterschaft über seine Abschwörung ihren Gang. Heinrich marktet über den Wortlaut seines Widerrufs, er besteht auf Abschwächung oder Streichung des Abschnitts über Anerkennung des Fegefeuers, jedoch unterzeichnet er schließlich auch den Satz: »Ich bekenne, dass es ein Fegefeuer gibt, wo die dortselbst gehaltenen Seelen durch die guten Werke der Gläubigen Linderung finden können.« So erwirbt sich Heinrich IV. aus Gründen der Staatsräson Paris und die Anerkennung der Katholiken Frankreichs.

Gründe der Räson und Mittel der Räson sind der Weg dieses klaren Kopfes zur Erreichung aller seiner Ziele. Er sucht die katholische Kirche zu überwinden und die Dolche der jesuitischen Agenten abzustumpfen, indem er Rom Vorrechte über seine Seele gewährt. Er überwindet seine politischen Feinde, indem er ihnen Vorrechte über das Vermögen des Landes gibt. Statt seine Feinde zu vergewaltigen, besticht er sie in angenehmer Form.

Statt neue Truppen gegen die katholische Liga anzuwerben, gebraucht er klüglich die verfügbaren Summen, um seinen Feinden die Unterwerfung zu erleichtern. Der Gouverneur von Paris, Brissac, wird bewogen, die Tore von Paris zu öffnen, indem ihm Heinrich eine sofortige Zahlung von 200.000 Talern, eine Pension von 20.000 Livres und das Gouvernement zweier Städte garantiert. Der Herzog von Lothringen, Karl von Guise, kann dem Anerbieten von 900.000 Talern nicht widerstehen; der liguistische Generalissimus Charles de Mayenne unterliegt demselben Entgegenkommen des liebenswürdigen Königs. Die neue Methode der rationalen Unterwerfung in ihrer Anwendung auf das ganze Land kosten Heinrich mehr als 30 Millionen Livres an Handgeldern und Entschädigungen, eine Ausgabe, die sich auf die Dauer reichlich verzinst.
Später, nach seinem Übertritt zum Katholizismus, wird der König sich nicht entblöden, schwache protestantische Pfarrer durch reichliche Geldmittel zur Aufgabe ihres evangelischen Glaubens zu veranlassen oder aber sie in den Dienst der königlichen Kirchenspionage zu stellen. Die leidige Tatsache, dass die »infidélité monnayée« auch protestantische Synoden innerlich zu schwächen beginnt, erfüllt den unbeugsamen Agrippa d’Aubigné mit Ekel und Wut: »Musste er nicht« – wie er von sich selbst schreibt – »bei der Synodalversammlung von Thouars von einigen Pastoren der neuen Sorte hören, dass sie die Handlungsweise gewisser untreuer Statthalter mit den Worten guthießen: ›Sie sind weit ausschauend und halten auf gutes Einvernehmen‹«. Der althugenottische Radikalismus d’Aubignés zieht einer weiteren Mitarbeit auf sumpfig gewordenem Gelände den jähen Bruch vor: »Als Antwort auf diese neue Farce trat d’Aubigné (aus der kirchlichen Vertretung) aus der Bemerkung, er wäre mit den öffentlichen Kirchenversammlungen fertig, die zu feilen Dirnen geworden seien.«

Die andauernde ungeheure Spannung im Land, die sich aus den realen Kräften eines verbitterten und im Stich gelassenen Protestantismus ergibt, behebt Heinrich IV. durch vermittelnde Gewährung zahlreicher Teilvorrechte auf dem Kompromisswege eines Toleranzedikts, durch das zugleich die anklagenden Stimmen seines Gewissens beschwichtigt werden sollen. Das geschieht durch das Edikt von Nantes aus dem Jahr 1598. Den nicht enden wollenden Religionskriegen, die dem vergangenen Geschlecht fast eine Million Menschen gekostet hatten, soll jetzt ein Ende gemacht sein, und der Souverän lässt die Urkunde mit dem Siegel aus grünem Wachs versehen, das nur einem unwiderruflichen und ewig gültigen Königsgesetz angeheftet wurde. Alle Unklarheiten sollen beseitigt werden, die Evangelischen sollen eine erträgliche Existenz in Kultus und Kirche erhalten, unbeschadet der wichtigsten Privilegien und des Erstgeburtsrechts der katholischen Kirche.

Grundsätzlich betrachtet, wird durch das Edikt von Nantes zum ersten Mal in der europäischen Geschichte, lange vor den Ideen der Aufklärung, das Prinzip der Toleranz in Sachen der Religion ausgesprochen, obzwar weniger aus humanitären, als vielmehr aus Gründen politischer Nützlichkeit; Länder wie Spanien und Italien haben in ihrer Geschichte dergleichen niemals gesehen. In Deutschland folgt der etwa entsprechende Westfälische Friede erst genau 50 Jahre später.

Das Edikt von Nantes verfügt die Wiederherstellung des katholischen Kultus, wo er durch Übermacht oder Übergriffe der Protestanten aufgehoben war. Den Protestanten gibt es Kultusfreiheit dort, wo der evangelische Gottesdienst 1596/97 bereits ausgeübt wurde, weiter in jedem Kreis an einem bestimmten Ort. Ausgenommen sind Paris und der Hof des Königs, sowie alle bischöflichen und erzbischöflichen Städte. Dort dürfen die Evangelischen nur in einer Entfernung von fünf Meilen von der Stadtgrenze zusammenkommen. Da es sich aber in Paris als unmöglich erweist, die Massen der Gottesdienstbesucher des Sonntags auf fünf Meilen Entfernung hinauszubringen, gestattet Heinrich den Bau der später berühmten Kirche von Charenton, die nur drei Meilen von der Hauptstadt abgelegen ist. Auf die Beschwerden der Katholiken antwortet er als echter Sohn der Gascogne: »Dann muss man eben jetzt von Paris bis Charenton fünf Meilen rechnen!«

Das Edikt verfügt weiter die Ungültigmachung erzwungener Abschwörungen und die Freilassung protestantischer Galeerensträflinge. Die Protestanten erhalten Gleichheit in Rechtsprechung und Ämtern mit den Katholiken; paritätische Parlamente und Gerichtshöfe werden gegründet. Einhundert feste Plätze werden dem protestantischen Adel für die Dauer von acht Jahren gewährt – eine verhältnismäßige Anerkennung des Protestantismus als Macht im Staat, aus der sich bald der erste Gegenschlag des Staates ergibt.

Nach dem Edikt von Nantes, das sich sehr langsam durchsetzt, das von den Parlamentsgerichten in der Provinz nur zögernd anerkannt wird und dessen Durchführung viel zu wünschen übrig lässt, verbleiben den Evangelischen Frankreichs etwa 800 Kirchen und 62 Kreissynoden. Diese günstige Bilanz und der protestantenfreundliche Ton des Edikts verstärken die alten Bedenken der Katholiken gegen Heinrich: Man glaubt nicht recht an die Echtheit seiner Rückkehr zur katholischen Religion; noch zwölf Jahre nach seinem Widerruf findet sich in einem katholischen Formular eine Fürbitte für ihn als verlorenen Sohn der Kirche.

Die Gesamtlage der Evangelischen erscheint nach dem Edikt von Nantes konsolidiert. Das große Zittern, das während der Verfolgungswellen immer wieder durch die Gemeinden ging, ist einem Gefühl der Gesichertheit gewichen. Die Verstörungen der Bürgerkriege werden bald vergessen, und ein ruhiger Weiteraufbau der Kirche kann sich anbahnen. Die Bibel in guten Übersetzungen ist jedermann zugänglich, die Psalmen sind Gemeingut. Zur protestantischen Sittlichkeit kann sich protestantische Sitte gesellen, die das Leben des Einzelnen umfasst, das Familienleben durchwirkt und dem Leben der Gemeinde einen einheitlichen, ruhenden Typus verleiht. Bewegung zeigt sich vornehmlich an der Peripherie des christlichen Glaubens, in gelegentlichen öffentlichen Auseinandersetzungen und Selbstbehauptungskämpfen leichterer Art, die wieder durchwachsen sind mit Interessenfragen des Standes oder des Berufs.

Alles das ist nicht jetzt erst geschaffen, sondern eine Auswirkung vergangener geistlicher Hoch-Zeit. Grundlegend für das neue christliche Leben in der Heiligung und im Gehorsam waren die Erweckungszeiten bis etwa 1562 gewesen. Aus diesem Jahr berichtet uns Nicolas Pithou aus Troyes: »Man gewahrte in der Jugend, die durch die Predigt des Wortes Gottes berührt wurde und die vorher schlimm entartet gewesen war, eine derartige plötzliche und seltsame Veränderung, dass die Katholiken selbst sich vor Verwunderung nicht zu lassen wussten. Denn diese jungen Leute, die bisher ihren Leidenschaften gelebt hatten … und deren Leben in übermäßigem Essen und Trinken und Hazardspielen bestanden hatte … ließen ihr bisheriges Leben hinter sich und verabscheuten es, seit sie Glieder einer (protestantischen)¬ Kirche geworden waren, indem sie sich mit aller Freudigkeit in die kirchliche Zucht einfügten und sich ihr unterwarfen.« Was Gottes Geist in diesen Zeiten durch einen einzigen Prediger vermochte, lesen wir bei Palissy in seinem Bericht über die seelsorgerliche Frucht des Pastors Claude Boissière: »… man hörte kaum noch etwas von Zoten oder Totschlag. Die Zahl der Prozesse wurde immer geringer, denn sobald sich zwei gläubige Männer in Prozessstreitigkeiten befanden, gelang es, Frieden zwischen ihnen zu stiften … Es war den Gastwirten verboten, Spielsäle zu unterhalten oder den Leuten mit eigenem Heim Essen und Trinken zu verabreichen, damit unordentliche Männer wieder in ihre Familien zurückkehrten. In jenen Tagen konnte man am Sonntag das schöne Schauspiel sehen, wie Innungsgenossen in den Wiesen, Wäldern oder sonst wo in der schönen Landschaft lustwandelten, Psalmen, Choräle und geistliche Volkslieder singend, lesend und einander belehrend. Man konnte auch gewahren, wie die Töchter und Jungfrauen in Gruppen in den Gärten und anderswo zusammensaßen und mit Freuden edlen Gesang pflegten.«

Dem geistlichen Frühling der Erweckungszeit ist nun nach den Stürmen der Religionskriege der Sommer des evangelischen Lebens gefolgt. Die, welche einst von den geistesmächtigen Zeugnissen sterbender Märtyrer berührt als Jünglinge und kaum erblühte Jungfrauen auf den Fluren inbrünstig beteten und sangen, sind nun gereifte Männer und Frauen geworden, die den Christenstand ihrer Kinder und Kindeskinder in verantwortlichen Händen tragen sollen. Wir sehen allenthalben im reformierten Ausland, dass der Aufbau der christlichen Familie als Sonderthema des Evangeliums überaus ernst genommen wird, von dem Ehebuch des Deutsch-Schweizers Bullinger 1541 ab; im puritanischen England in Daniel Rogers’ Schrift »Matrimonial Honour«, in Gouges »Domestical Duties« und Griffiths »Bethel or Form for Families« in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. So sind auch die protestantischen Familienhäupter zur Zeit Heinrichs IV. von ihrer Jugend an gewiesen, in der christlichen Ehe die Keimzelle der Gemeinde und in der jungen christlichen Mutter die Trägerin der Sitte zu sehen. Also waren sie von Baduel gelehrt worden: »Die Ehe ist eine besondere Gabe der göttlichen Güte. Unter die Augen der jungen Gattin darf nur kommen, was ehrbar und keusch ist. Sie soll vielmehr tugendhaft als reich sein. Im Übrigen ist Reichtum, wenn er mit Schamhaftigkeit vereint ist, nicht zu verachten, denn Reichtum garantiert die Unabhängigkeit.« (Dieser letztere, mehr kluge als geistliche Gedanke findet sich nicht von ungefähr auch bei Rogers, welcher die Verächter aller Mitgift »arme Grünschnäbel« nennt.)
»Die erwählte Gattin«, fährt Baduel fort, »hat fleißig in der Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten zu sein, ihrem Gatten treu ergeben, in welchem sie zu gleicher Zeit einen ›supérieur‹ und einen ihr gleichen Menschen sehen wird; einfach in ihrer Kleidung, fromm und dem Gebet zugetan. Jeden Tag wird sie mit ihrem Gemahl gemeinsam Gott anrufen.«

Ansätze zu eigentlicher christlicher Erziehungslehre finden sich erst erheblich später, aber dieser einstweilige Mangel an Theorie wird durch die Vorbilder an praktischer Charakterschulung mehr als wettgemacht. Dazu liefert uns die Kindheit Agrippa d’Aubignés eine Miniatüre von besonderer Schönheit und feinem Charme:
Matthieu Béroalde in Paris, ein Präzeptor begabter Knaben aus reformierten Familien der Provinz, muss mit seinen Zöglingen in der Richtung auf Orléans fliehen. Dem kleinen Agrippa d’Aubigné, damals ein Kind von 10 Jahren, kommen beim Abschied von seinen geliebten Büchern die Tränen. Béroalde nimmt ihn bei der Hand und sagt zu ihm: »Mein Freund, fühlst du nicht, was die Stunde bedeutet, in der du in deinem jugendlichen Alter schon etwas für Den verlieren kannst, der dir alles gegeben hat?«

Beim Flecken Courances umzingelt eine Abteilung Reiter die Flüchtlinge und nimmt sie gefangen. Der Knabe Agrippa muss sehen, dass man ihm seinen kleinen Degen fortnimmt, »seinen schönen silberverzierten kleinen Degen«, auf den er so stolz war! Man wirft das Kind in ein Gefängnis. Dann, weil das Gewand aus weißem Satin es als Spross einer vornehmen Familie kennzeichnet, zieht man es wieder heraus, um sich an seinem Entsetzen zu weiden, indem man es mit dem Henker und mit dem Scheiterhaufen bedroht. Der Knabe antwortet ungestüm, »dass es ihm vor der Messe mehr graue als vor dem Feuer«. Der berüchtigte Inquisitor Démocharès verhört ihn unter vier Augen und gerät bei jeder Antwort des Kinds mehr in Zorn. Achon, der Kommandant, lässt nun einige Geiger kommen und fordert den kleinen Verurteilten auf, einen lustigen Volkstanz (une gaillarde) zum Besten zu geben, »was er so allerliebst machte, dass ihn alle bewunderten«. Démocharès, darüber bass erzürnt, lässt sogleich die Knaben ins Verlies zurückbringen. Béroalde rüstet jetzt seine jungen Pflegebefohlenen zum Todesgang. Der Henker ist bereits da: Morgen soll es sein. So sind sie verloren? Nein, sie werden gerettet. Ihr Kerkermeister, ein Edelmann, der vordem Mönch gewesen war und der von Mitleid und Bewunderung bewegt ist, stellt sich ihnen zur Verfügung, um ihnen zu helfen, »weil er das Kind so lieb gewonnen hatte«. Er besticht die Wachabteilung, nimmt den kleinen Jungen an die Hand und verhilft der ganzen Schar zum Entweichen durch Scheunen und über Getreidefelder, bis hin nach Montargis.

Während die Phase des christlichen Glaubens sich dergestalt bei den Protestanten vom Stadium der Erweckung in das Stadium des Aufbaus und Ausbaus verschiebt, steht zur Zeit Heinrichs IV. die katholische Kirche im Stadium einer Neuerweckung. In Rom regieren Päpste von einwandfreiem, ja strengem Lebenswandel. Das sittliche Niveau der ewigen Stadt hebt sich, eine ungeahnte Kirchenzucht wird eingeführt. In Frankreich erleben die Dominikaner, die Franziskaner, die Benediktiner eine Wiedergeburt ihres alten Ernstes und merzen die schädlichsten Bestandteile ihrer Kongregationen aus. Ihnen folgen die weiblichen Orden bis zu einem derartigen Übermaß von Eifer und Kasteiungen, dass von Rom her Einhalt geboten werden muss. Die Ursulinerinnen fügen zu den drei Ordensgelübden Armut, Keuschheit und Gehorsam als viertes die Verpflichtung zum Unterricht junger Mädchen hinzu und widmen sich diesem Werk mit beispiellosem Erfolg. Romillon, ein protestantischer Konvertit, stiftet die »Väter der christlichen Lehre« für den Elementarunterricht der Jugend im katholischen Glauben. Der führende Jesuitenprediger in Paris stellt durch seine Leistungen oratorisch die evangelischen Pastoren des Landes in den Schatten. Vinzenz von Paul gründet den Orden barmherziger Schwestern und die Congregatio missionis, die den kleinen Leuten die katholische Botschaft vom Heil bringt. Diese Neuschöpfungen fallen teilweise bereits in die Regierungszeit Ludwigs XIII. hinein.

So entfalten die früheren protestantischen Glaubensgenossen Heinrichs IV. die Anstöße der Heiligen Schrift und des Geistes Gottes in den ihnen befohlenen Kreisen, so besinnen sich die ernstesten Glieder der katholischen Kirche auf Gottes Ruf zum Dienst der Barmherzigkeit und des Glaubens. Unterdessen hat sich der Lebensstern dessen, der aus der einen Konfession in die andere hinübergewechselt war, Heinrichs IV., immer rascher gesenkt und ist in trübem Dunst und allerlei Schande untergegangen. Um die Wende des Jahrhunderts wird es deutlich, dass der König sich der Gewissensweite der jesuitischen Moral immer mehr nähert und den letzten Rest persönlicher Frömmigkeit durch allgenugsame, billige kirchliche Zeremonien ersetzt. Gleichzeitig damit sinkt das Niveau seines sittlichen Lebens noch weiter abwärts. Während er als halber Knabe in Navarra nur den Bauernmädchen nachgestellt hatte, wird sein Leben jetzt auch in der Öffentlichkeit völlig schamlos. Seine Feinde zählen ihm 56 Mätressen nach; zu seinen Geliebten gehören unter anderen auch die Äbtissin von Montmartre und die Oberin des Klosters von Poissy, die von ihm Kinder zur Welt bringen. Seine vornehmste Mätresse, Gabrielle d’Estrées, steht in ständigem Machtkampf mit seiner zweiten Gemahlin Maria von Medici. Als Gabrielle 1599 nach einer Totgeburt stirbt, wird sie nach einigen Wochen durch die kalt-raffinierte Henriette d’Entragues ersetzt, deren erstes Entgegenkommen der Bestechungen gewohnte König mit 100.000 Talern bezahlt, vielmehr bezahlen muss. Selbst der Papst spricht damals dem jungen Richelieu, der sich vorübergehend in Rom aufhält, sein Bedenken aus, ob ein derartig hemmungsloser Mann ein zuverlässiger Sohn der Kirche genannt werden dürfe. Den letzten Tiefpunkt erreicht der königliche Renegat in einer Ehebruchsaffäre, die ihn in ganz Europa lächerlich und verächtlich macht und seinen letzten Lebensjahren eine besonders hässliche Note gibt. Die von ihm begehrte schöne fünfzehnjährige Tochter des alten Montmorency verheiratet er pro forma an den schiefgewachsenen Prinzen von Condé. Als er jedoch selbst die Hand an die junge Frau legen will, entzieht sich ihm das junge Paar durch Flucht ins Ausland, zunächst nach Flandern, nach Brüssel und dann, um vor Nachstellungen sicherer zu sein, nach Mailand. Der König versucht ohne Erfolg, den alten Vater zu veranlassen, dass er seine Tochter kraft väterlicher Autorität nach Frankreich zurückbeordere. Der alte Edelmann antwortet, es werde dergleichen nur geschehen, wenn das junge Paar geschieden oder wenn seine Tochter sonst frei wäre.

Zeitlich parallel mit der Angelegenheit Montmorency betreibt Heinrich IV. ein politisches Unternehmen allergrößten Formats, das gegen Spanien und gegen das Haus Habsburg gerichtet ist und im Anschluss an den jülisch-clevischen Erbfolgestreit Frankreich mit England, den Niederlanden, Skandinavien, den deutschen Protestanten, den ungarischen Protestanten und den Schweizern zusammenfassen soll. Heinrich ist nun 54 Jahre alt, abgelebt und vorzeitig gealtert. Beängstigungen und Verfolgungsideen treiben ihn um. Vielleicht auch, dass die alte düstere Prophezeiung Agrippa d’Aubignés wie ein schwarzer Vogel Kreise um sein Haupt zieht. Das war vor etwa 15 Jahren gewesen: Der Dolch des Jesuitenschülers Châtel hatte des Königs Kehle verfehlt, aber seine Lippen zerrissen. Und dies war des gewaltigen Agrippa Orakelspruch gewesen in Gegenwart der königlichen Geliebten Gabrielle d’Estrées: »Sire, Sie haben bisher Gott mit den Lippen verleugnet, und Er hat Ihre Lippen getroffen. Wenn Sie Ihn mit dem Herzen verleugnen, wird Er Ihr Herz zu finden wissen.«

Jetzt hört man den schwermütig umhergehenden König sagen, er fühle einen Dolch zwischen seinen Rippen. Merkwürdige Stimmen werden laut; die Astrologen munkeln: »Er wird im Wagen sterben!« Aber Wagen und Karossen und Öffentlichkeit der königlichen Person gehören nun einmal zu einer großen Festlichkeit, wie es die bevorstehende Nachkrönung seiner Gemahlin Maria ist. Der König sagt: »Sonntag wird meine Frau einziehen, Montag wird meine Tochter sich vermählen, Dienstag ist Festmahl, und Mittwoch reiten wir in den Krieg.« In diesen Tagen, am 14. Mai 1610, trifft ihn der Dolchstoß eines überspannten Fanatikers ins Herz, als die Staatskarosse, die in einer engen Straße zwischen anderen Wagen stecken geblieben ist, einen Augenblick anhält. Die Gründe der Tat, soweit sie das Gericht durch das Verhör des Mörders herausfinden kann, werden geheim gehalten oder vertuscht. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass allein zwischen 1590 und 1607 von den Jesuiten zwölf Abhandlungen über erlaubte Gewalttat gegen anstößige Monarchen geschrieben worden waren.
Die Beurteilung des Mannes, den manche als den bedeutendsten französischen König bezeichnen, des Mannes, der durch sein Toleranzedikt die Vernichtung der evangelischen Kirche um 100 Jahre hinausschob, und die Einwertung seiner Regierung schwankt auch in unseren Tagen noch stark. Der Biograf Richelieus, Carl Burckhardt, feiert Heinrich als einen wahrhaft großen Mann und Politiker. Charles Seignobos in seiner grämlichen »Histoire sincère de la Nation Française« beschränkt Heinrichs Verdienste auf die verhältnismäßige Wiederherstellung des königlichen Prestiges, spricht ihm aber jeden Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung seines Volkes durchaus ab. Vermutlich beruht die Wertschätzung dieses Herrschers auf der Erinnerung an die Volkstümlichkeit, die seine umgängliche Persönlichkeit genoss, und auf der unwillkürlichen Vergleichung seiner unbestreitbaren Begabung und Leistung mit der Unfähigkeit seines Vorgängers Heinrich III. und mit der Schwäche seines Sohnes Ludwig XIII.

Der gewaltsame Tod Heinrichs IV. durch Ravaillac erinnert an eine Lücke, die noch ausgefüllt werden muss, bevor wir zum Zeitalter Richelieus übergehen. Wie schon ausgeführt, hatte die erste Periode der jesuitischen Tätigkeit in Frankreich infolge ihrer zersetzenden Staatsrechtslehre kurz nach dem Tod Heinrichs III. mit der Ausweisung der Patres geendet. Die Stimmung in Paris war damals so gereizt, dass Etienne Pasquier von der Sorbonne sich nicht scheute, die Jünger Loyolas mit den Schülern Luthers zu vergleichen. Jetzt, nach der Abschwörung Heinrichs IV., verstehen die Jesuiten sich dem König zu nähern, indem sie durch die Tätigkeit Possevinos und Bellarmins in Rom die Kurie zur Aufhebung der Exkommunikation des Königs bewegen. Im Jahre 1603 ruft sie Heinrich nach Frankreich zurück mit der Verpflichtung zu loyalem Gehorsam und außerdem mit der Sonderverpflichtung, einen verantwortlichen und kontrollierten Ordensbruder gleichsam als Geisel an den Hof zu entsenden. Der weltgewandte Jesuit Cotton, zu diesem Posten ausersehen, wird bald aus dem Objekt der höfischen Kontrolle das Subjekt der klerikalen Machination. Seine Ernennung zum Beichtvater des Königs gibt ihm steigenden Einfluss über diesen – »Le coton lui bouche l’oreille« war der Wortwitz des grimmigen Agrippa d’Aubigné. Mit der Tätigkeit Cottons wird die neue Machtepoche des Ordens in Frankreich eingeleitet. Die Jesuiten helfen, die Scheidung des Königs von Margarete zu Gunsten der neuen erzkatholischen Maria von Medici durchzusetzen. Ihre Macht im Todesjahr Heinrichs zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Königsmörder Ravaillac vor seiner Tat bei dem Jesuitenpater d’Aubigny beichten geht. Erst die eiserne Hand Richelieus, des geschworenen Feindes Spaniens, zwingt die Macht des Jesuitismus äußerlich zu Boden.

Mit der Beschneidung der allgemein-politischen Bedeutung des Jesuitismus unter Ludwig XIII. wird freilich die Wurzel seines inneren Einflusses nicht getroffen. Von Cotton ab sind sämtliche Beichtväter der französischen Könige Jesuiten. Vor allem bleibt von der politischen Zurückdrängung unberührt das jesuitische Prinzip, geistlichen Dingen wirksam durch die ihnen verwandten geistigen Kräfte zu begegnen; es ist dieser Grundsatz zugleich geniale Einfühlung in die französische Wesensart, die Ideen nur preisgibt, wenn sie durch Gründe der Vernunft geschlagen werden. So wird die geistige Formung und Beschlagnahme der vornehmen Jugend in zahlreichen Erziehungsanstalten, so wird die Besetzung der Lehrstühle, die wissenschaftliche Diskussion, die weltliche Forschung, die Überwindung des Ketzers durch einleuchtende Gründe die Hauptwaffe des Jesuitismus im anbrechenden Jahrhundert. 

 

KAPITEL VI

»ES GEHT EINE DUNKLE WOLK’ HEREIN« (RICHELIEU-MAZARIN)

»Ich versprach Eurer Majestät allen Fleiß zu tun und alle Autorität einzusetzen, die mir zu übertragen Ihnen gefiele, um die hugenottische Partei zu zerstören, den Hochmut der Großen zu dämpfen, alle Untertanen zu ihrer Pflicht zurückzuführen …«
Richelieu, »Testament politique«, I/I.

Ludwig XIII., der Vorläufer Ludwigs XIV., – so muss seine Regierungszeit vorwärts blickend verstanden werden – wird im Alter von 9 Jahren König. Die Königin-Mutter Maria v. Medici ist jetzt 36 Jahre alt, eine wankelmütige und zugleich eigensinnige, herrschsüchtig-eitle Frau. Sie übernimmt zunächst selbst die Regentschaft für ihren Sohn, wie einst Katharina von Medici für den unmündigen Karl IX., aber im Gegensatz zu ihr hilflos-unbeständig hin- und hergetrieben. Die Mitarbeit der Großen im Reich erkauft sie nach der Methode ihres verstorbenen Gemahls mit ungeheuren Summen aus dem von Sully mühsam gesammelten Kronschatz; der alte Finanzminister selbst muss bald sein Amt niederlegen. Der königliche Knabe erscheint bei seinem ersten Auftreten vor den Generalständen in wenig günstigem Licht: unvernünftig ernährt, schlecht erzogen, künstlich von allen Einflüssen fern gehalten, die ihn von seiner Mutter unabhängig machen konnten; ein Gefühl der Minderwertigkeit lastet auf ihm, das ihn mürrisch und zur Rachsucht geneigt macht.

Die ersten sieben Jahre der Regentschaft ist die Königin-Mutter in der Hand des italienischen Abenteurers Concini; nach dessen Ermordung wird sie durch den bisherigen Falkonier und Freund ihres Sohnes, Luynes, und dessen Clique gegängelt, bis 1624 Richelieu die Macht an sich reißt, die Leitung des schwachen Königs übernimmt und auch die Königin-Mutter rücksichtslos ausschaltet.

Armand von Richelieu, der bedeutendste Staatsmann, den Frankreich je besaß, stammt aus dem Herzen des calvinistischen Poitou nicht weit von der hugenottischen Seefestung La Rochelle. Dort ist er am 9. September 1585 als Sohn eines katholischen Landedelmannes geboren. Das schwache Kind verspricht nicht viel für das Leben. Richelieu ist bis zu seinem Tod niemals frei von schweren Kopfschmerzen, immer wieder von Fieber geschüttelt und nach Zeiten großer Spannung von nervösen Krisen gepackt, die an Epilepsie erinnern. Zwei seiner Geschwister sind Psychopathen; eins stirbt geisteskrank, das andere leidet zeitweise an religiösen Wahnideen.

Der Knabe Armand erfaßt alle Dinge spielend und fieberhaft schnell; der Jüngling ist während seines römischen Aufenthalts imstande, eine vor mehreren Tagen gehörte Predigt wörtlich aus dem Gedächtnis wiederzugeben. Körperlich unfähig, sich der militärischen Laufbahn zuzuwenden, widmet er sich der Theologie und geht nach Rom, um seine Ernennung zum Bischof von Luçon zu beschleunigen. Dort erregt er durch seine ungewöhnliche Begabung Aufsehen und erlangt vom Papst das Plazet für den erwünschten Posten auf Grund einer, wie seine Gegner sagen, gefälschten Angabe über sein Alter.

Die nun sichtbar werdende Entwicklung Richelieus weist in ihrer Kurve einen merkwürdigen Knick auf: Zunächst bewegt er sich in der Ebene des Schmeichlers und kleinen Höflings, dann erhebt er sich unerwartet zu einem weitblickenden und unerhört starken Staatsmann größten Formats.

Das Charakterbild des jungen Bischofs von Luçon ist schranzenhaft hässlich. Als er kurz vor der Ermordung Heinrichs IV. sich anschickt, an den Hof zu gehen, verfasst er für sich privatim »Instruktionen und Maximen, die ich mir für meine Führung am Hof aufgestellt habe« – Richtlinien, die den Lebensregeln Chesterfields an seinen Sohn peinlich ähnlich sehen:

»Er will dem König die Cour machen, ohne seine Pflichten gegenüber Gott zu verletzen. Er wird sich eine Wohnung suchen, die weder weit vom Hause Gottes, noch weit vom Haus des Königs ist. Einmal am Hof angelangt, wird er mehrfach und so lange dem König begegnen, bis er bemerkt worden ist. Er wird an seiner Tafel teilnehmen und sich so postieren, dass er gesehen wird. Wenn er von Heinrich IV. spricht, wird er sich erinnern, dass die einem König am schönsten klingenden Worte diejenigen sind, welche die Tugenden der Könige erheben. Er wird die großen Herren besuchen, vornehmlich die, welche Kredit und Gunst beim königlichen Herrn besitzen; er nennt sie ›les Dieux‹. Man muss ihnen Opfer bringen, – den gnädigen unter ihnen, damit sie ihm helfen, den schädlichen, damit sie ihm nichts antun.«

Im Interesse seiner Karriere siedelt Richelieu ganz an den Hof über. Der Kapuziner-Provinzial Père Joseph protegiert ihn, die allmächtige Kamarilla der beiden Concini findet an ihm einen ergebenen Diener, die Launen der Königin-Mutter begegnen in ihm einem jederzeit verständnisvollen Hofmann. Was er ihrer Beschränktheit bieten zu können glaubt, ersieht man aus einem Brief an Maria von Medici, in dem er schreibt: »Ich bete zu Gott, dass Er meine Lebenszeit abkürze, um meine Tage denen Eurer Majestät hinzuzufügen und mich mit allen Übeln – außer dem Verlust Eurer Gnade – zu bestrafen, damit mein Leiden sich in Glück für Eure Majestät wandele.«

Auf der Ständeversammlung des Landes redet Richelieu aalglatte Worte und stellt sorgsam die Segel nach dem Wind. Im Jahre 1616 ist er mit 31 Jahren bereits Kriegs- und Außenminister.
In der mit diesem Jahr anbrechenden Ära seiner Macht wird ruhige, kühle Selbstbeherrschung, verhaltene Kraft das Kennzeichen seines Wesens. Überzeugter Katholik, ja ernster Katholik, geht er in den Entscheidungen der großen Politik den Weg der kalten Zweckmäßigkeit, auf lange Sicht vorarbeitend, in großen Zügen denkend und handelnd. Er weiß, dass gegen Intrigen nichts wirksamer ist als Terror, und er handelt danach. Er bedient sich des Prozesswegs, der Geheimverfahren, der Todesstrafe, ohne sich irgendwie um die öffentliche Meinung zu kümmern, einzig geleitet von der Staatsräson, vom Interesse des Königtums nach seiner persönlichen Auffassung. Er unterdrückt die Protestanten, wenn sie die Einheit des Staates gefährden. Er verbündet sich mit ihnen, wenn es ihm für außenpolitische Zwecke richtig scheint. In diesem Sinne ist er niemals in erster Linie katholischer Fanatiker wie sein klerikaler Zeitgenosse, der rastlos aufpeitschende und angreifende Père Joseph, sondern Politiker strengen Stils. Die Freunde, die ihn förderten, werden später von ihm fallen gelassen; er ist stark, rücksichtslos und undankbar genug, auch seine Avantgarde zu vernachlässigen, wenn es dienlich ist. Falls seine Pläne für den Staat es verlangen, wird er sie preisgeben, verbannen oder auch töten.

Die Lage der Protestanten gegenüber Richelieu ist eine völlig andere als die Situation der außerfranzösischen evangelischen Kirchen gegenüber den Machtfaktoren ihrer Länder, aus dem einfachen Grund, weil dort die Fürsten, welche ihre Gegner sind, vielfach untereinander und mit dem Papst Streit haben. Dagegen stellt in Frankreich das durch Richelieu geführte Königtum einen einzigen, homogenen Gegner dar, eine Einheitsfront, ja immer mehr ein einziges Kraftzentrum, das andere nebengeordnete oder auch nur untergeordnete eigengesetzliche Machtgruppen oder Machtzusammenballungen nicht dulden kann. Daher ist der Protestantismus als Stand, wie er in der Überlassung eigener Festungen durch das Edikt von Nantes anerkannt war, für Richelieus Betrachtungsweise nichts als ein Staat im Staate, der vernichtet werden muss.

In der Tat ist die Position der Evangelischen in Frankreich um 1625 mehr die eines Vasallenstaats als die einer kirchlichen Gruppe. Sie haben ihre Kammern in Paris, Castres, Grenoble und Bordeaux. Sie halten regelmäßig Provinzialstände ab und alle drei Jahre eine zusammenfassende Generalversammlung – Einrichtungen, die entfernt an eine politische Konstitution mit repräsentativem demokratischem Charakter erinnern. Im Falle der Gefahr suchen und finden sie Schutz hinter den Mauern ihrer festen Städte und Burgen. Ihre Kraft ruht nicht mehr in erster Linie im Glauben, sondern immer mehr in ihrer Organisation und in der Summe der von ihnen vertretenen diesseitigen Quantitäts- und Qualitätsfaktoren. Die Überzeugung, dass die Sache des Evangeliums und des Protestantismus mit dem Besitz von Festungen und Stützpunkten stehe und falle, wirkt sich in fortschreitender Vernachlässigung der innersten Kraftquellen aus. Der Einsiedlerkrebs, der sich in der sicheren Schneckenschale einnistet, fährt wohl fort, mit seinen Scheren und Freßwerkzeugen zu kämpfen und zu arbeiten, aber eigentlich liegt seine Sicherheit in dem fremden Haus, das er bezogen hat, und er bezahlt seinen halben Parasitismus mit dem Verlust seiner tiefer liegenden Gliedmaßen, die weich und widerstandslos werden und verkümmern. So kämpfen und arbeiten die Protestanten, in ihren Festungen eingewurzelt, an der Front, während gleichzeitig, bei aller verhältnismäßigen Sicherheit gegenüber der Außenwelt, die tiefsten, inneren Organe des Glaubens verkümmern.

Rechtlich-formell betrachtet hatte das Edikt von Nantes mit seinen Schutzbestimmungen einen Zustand geschaffen, in welchem die Hugenotten in Gewissensfreiheit das Dasein einer geachteten Minorität führen konnten. Den seit Beginn der sechziger Jahre eingerissenen politischen Individualismen, der politischen Verwilderung des Protestantismus und den neuen aufsässigen politischen Theorien hatte es keinen wirksamen Riegel vorzuschieben vermocht. Für die Hugenotten gilt das Wort Nietzsches in »Jenseits von Gut und Böse«: »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«. Einzelne Vorkommnisse des kirchlichen Lebens zeugen erschreckend von dem durch die neuerliche äußere Kampfstellung veranlassten Eindringen der Peripherie in den eigentlichen Bereich der Gemeinde. Als die Ermordung des verhassten Abenteurers Concini durch den Bruder des ihn ersetzenden Strebers Luynes im Languedoc, in der Gemeinde Anduze, bekannt wird, beschließt das Presbyterium, am nächsten Tag einen öffentlichen Dankgottesdienst zu veranstalten. Noch bedenklicher ist ein anderes Vorkommnis. Gelegentlich eines Zusammenschlusses der Hugenotten in Südfrankreich zu Zwecken der politischen Opposition werden die Gemeindeglieder aufgefordert, im Namen der neu gegründeten »kirchlichen Union« zu den Waffen zu greifen. Die Synode von Lunel rügt nicht nur diejenigen, welche gegen diese gemeinsame Aktion auftreten, und verpflichtet nicht nur die protestantischen Kommandanten der festen Plätze zum Widerstand, sondern schließt die Ungehorsamen vom Heiligen Abendmahl aus.

So geschieht es, dass in Nîmes, – es ist Weihnachten 1616 – der Prediger Chambrun eine Gruppe von opponierenden Gemeindegliedern mit dem Kriminalrat de Calvières an der Spitze vom Abendmahlstisch wegweist und sich von diesem sagen lassen muss, dass die Entscheidung des Consistoire nichts als ein grober Unfug (abus) sei. Hier wird tragisch deutlich, dass das wundervolle französische Paradoxon: »C’est l‘âme qui enveloppe le corps«, »Es ist die Seele, die den Körper einhüllt«, von der protestantischen Gemeinde folgenschwer vernachlässigt wird, so gewiss auch in diesen Jahrzehnten die 400.000 sittenstrengen, in Gebet und Arbeit beharrenden Hugenotten in ihrem unablässigen Kampf, in ihrer ständigen Leidensbereitschaft uns menschliche Bewunderung abnötigen.

Im Jahre 1621 beginnt die erste Großaktion des unermüdlichen Kapuziner-Provinzials Père Joseph. An einem Kreuzzug gegen die Türken verhindert, predigt er stattdessen den Kreuzzug der Nation gegen das französische Genf, gegen die Seefestung La Rochelle. Zuvor unternimmt er, den Pariser Hof für die Wiedergewinnung des Béarn in der Südwestecke des Landes mobil zu machen. Trotz der königlichen Zusage, die dort bestehenden Rechte zu respektieren, wird das Ländchen mit Truppen besetzt, konfessionell vergewaltigt und die Bevölkerung den Übergriffen der katholischen Truppen ausgeliefert. Es folgt die brutale Besetzung von Saumur, mitsamt der Vertreibung des ehrwürdigen und hochverdienten du Plessis-Mornay von seiner Burg.

Im Süden widersteht Montauban siegreich einer militärischen Unternehmung, obwohl sein erster Pfarrer mit der Pionieraxt in der Hand im Kampf fällt; die Angreifer müssen unrühmlich abziehen. Luynes, der königliche Günstling und Exekutor der neuen katholischen Initiative, sucht zum Ausgleich dieses Misserfolgs in der Belagerung einer anderen, kleinen Hugenottenstadt Ruhmeslorbeeren, geht aber an einer Seuche zu Grunde – auf dem Sarg des verachteten Höflings sieht man seine eigenen Lakaien Karten spielen anstelle betender Priester, die die Totenmesse halten. Im folgenden Jahr, 1622, unternimmt die Regierung die Entwaffnung von Montpellier und fährt in der Abbröckelung der protestantischen Stützpunkte fort.

Immer geschlossener erhebt sich jetzt das streitbare Hugenottenvolk besonders im Südosten und Süden Frankreichs. Dagegen zeigen sich die höheren protestantischen Stände, vor allem des Nordens, kampfmüde und von der nationalen Welle erfasst, bereit, dem Königtum ihre Unterwerfung anzubieten. Die Führung der widerspenstigen Protestanten geht in die Hände der Herzöge von Rohan und Soubise über, unter Beihilfe des alten Sully und des tapferen Herzogs von Bouillon. Die festen Plätze werden wiederum instand gesetzt und vermehrt. Geradezu revolutionäre Unternehmungen werden sichtbar: Es gibt nun wieder hugenottische Heerführer wie zur Zeit der Religionskriege, es gibt ein protestantisches Oberkommando, es gibt beinahe eine eigene Regierung. Man siegt, man wird besiegt, man schließt Verträge, und beide Seiten brechen wiederum die unterzeichneten Verträge. Der Herzog von Rohan sucht seinerseits die Fanatiker der protestantischen Front zu mäßigen und führt einen mühseligen Kampf gegen die streitsüchtigen und politisierten Pfarrer. Er herrscht sie an: »Ihr seid alle Republikaner! Ich wollte lieber einer Versammlung von Wölfen präsidieren als einer Versammlung von Predigern!«

Eine abermalige teilweise Erhebung der Protestanten folgt 1625; sie sind von neuem alarmiert, sowohl durch die politische Wühlarbeit des Père Joseph, als auch durch die Errichtung des königlichen Fort Louis gegenüber der protestantischen Hauptfeste La Rochelle. Im Mai des Jahres gelangt eine hugenottische Denkschrift an den König. Er antwortet mit den Argumenten Richelieus: Solange die Hugenotten in Frankreich ein Staat im Staate sein würden, könne der König in seinem Land nicht Herr sein und auch nach außen hin keine großen Taten vollbringen.

Ludwig XIII. hat insofern recht, als der evangelische Glaube nicht nur Form und Wesen eines weltlichen Standes angenommen hat, sondern geradezu zu einer geschichtlichen Macht geworden ist. Und Friedrich Nietzsche schenkt auch hierzu eine bittere Wahrheit ein: »Die reinsten und wahrhaftigsten Anhänger des Christentums haben seinen weltlichen Erfolg, seine sogenannte ›historische Macht‹ immer eher in Frage gestellt als gefördert … Christlich ausgedrückt: So ist der Teufel der Regent der Welt und der Meister der Erfolge und des Fortschritts; er ist in allen historischen Mächten die eigentliche Macht, und dabei wird es im Wesentlichen bleiben – ob es gleich einer Zeit recht peinlich in den Ohren klingen mag, die an die Vergötterung des Erfolgs und der historischen Macht gewöhnt ist. Sie hat sich nämlich gerade darin geübt, die Dinge neu zu benennen und selbst den Teufel umzutaufen.« (Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Kap. IX.).

Die Entscheidung des nun zwischen Richelieu und dem Protestantismus als politischem Gegenspieler der Krone einsetzenden Endkampfes muss fallen und fällt mit dem Schicksal der Seefestung La Rochelle. Sie liegt nördlich von Bordeaux; die Inseln Rê mit ihrem Fort St. Martin und Oléron sind ihr vorgelagert. La Rochelle ist eine Stadt zum historischen Träumen geschaffen, ähnlich wie die alte Kreuzritterstadt auf der Insel Rhodos: Man muss sich in diesem klassischen Ort mittelalterlicher Kirchengeschichte allein und versonnen umhertreiben, vielmehr sich durch die Erinnerungen an jene große Zeit umhertreiben lassen, an den alten Türmen und Mauerresten vorbei, am Hafen entlang, durch die alten Gassen hindurch, hinüber auch zu den halbverfallenen Kasematten der Insel Rê.

Diese Stadt hanseatischen Gepräges handelt mit England, Schottland, Flandern, Spanien, Portugal, mit den Niederlanden. Sie ist fest und schön gebaut, mit Renaissance-Palästen geschmückt, und über den Portalen ihrer alten Häuser stehen in Stein gehauene Bibelsprüche. Das Rathaus, der Justizpalast, sind der Stolz ihrer trotzig-selbstständigen Bürger. Im Westen sichert sie das Meer. Im Norden, Osten und Süden erstreckten sich damals unpassierbare salzige Sümpfe, die nur durch wenige Zufahrtsstraßen unterbrochen waren. Wie in Genf ist jeder Bürger zugleich Soldat und der Bürgermeister zugleich Militärgouverneur. Soubise, der Bruder Rohans, hat vorübergehend die Inseln Rê und Oléron besetzt, während der Herzog von Rohan im tiefsten Süden Frankreichs das Languedoc durchzieht, um, als Gegengewicht zu den Plänen Richelieus gegen La Rochelle, dort Truppen aufzubringen; er lässt die Heilige Schrift vor sich her tragen und auf öffentlichen Plätzen Gebetsversammlungen halten.

Eine Belagerungsarmee in der für die damalige Zeit ungeheuren Zahl von 30.000 Mann versammelt jetzt Richelieu auf der Landseite von La Rochelle, um dem protestantischen Widerstand das Rückgrat zu brechen. Der Père Joseph, die »graue Eminenz«, begleitet ihn mit einem endlosen Zug von Mönchen. Bald wird auch der König veranlasst, seine Jagdleidenschaft dem großen Unternehmen zu opfern, zum Belagerungsheer zu stoßen und durch seine Gegenwart der Aktion einen besonderen Nachdruck zu verleihen. Es ist kennzeichnend, dass sich in dem Lager vor La Rochelle auch Protestanten befinden, ein Beweis, dass in den hugenottischen Reihen der vaterländische Gedanke bereits den religiösen Gedanken zu überwiegen beginnt oder vielmehr seinerseits die Vermischung mit der Religion ablehnt. Die Politisierung des Glaubens hat sich in dieser Gruppe überschlagen, ist als Nationalismus eigengesetzlich geworden und bekämpft die Grundlage, welche zu retten man sich vordem auf das politische Gebiet begeben hatte.

Die Bedingungen Richelieus sind die Schleifung der neueren äußeren Befestigungswerke, die Anerkennung eines königlichen Intendanten und damit die Aberkennung der Stadtfreiheit, sowie des Rechts auf eigene Kriegsschiffe.

In der Zwischenzeit verhandelt Soubise mit den Engländern, die durch den eitlen und prahlerischen Buckingham den vollen Einsatz ihrer Macht zusagen. Vom Süden her erwartet man Hilfe und Entsatz durch die freien Truppen Rohans, der königliche Gelder zum Unterhalt seiner Soldaten beschlagnahmt hat.

Buckingham selbst als Kommissar Englands trifft mit einer Flotte von einigen hundert Schiffen vor La Rochelle ein. Seine Verhandlungen mit den Bürgern scheitern, da sich die Stadt in alter Königstreue weigert, von der Anerkennung ihres rechtmäßigen Herrschers zu lassen oder sich den Engländern auszuliefern. Gleichwohl schreitet Buckingham zum Angriff gegen die Insel Rê, deren Fort St. Martin durch den königlichen Marschall Toiras besetzt ist und heldenhaft verteidigt wird. Die eigentlichen Feindseligkeiten zwischen La Rochelle und der Belagerungsarmee werden durch eine Zufälligkeit ausgelöst: Die Verteidiger beobachten Befestigungsarbeiten an dem königlichen Gegenfort Louis auf der Landseite und beschießen es mit Artillerie. Etwa in denselben Tagen kommt ein Verteidigungsvertrag mit den Engländern zustande. Daraufhin treibt Richelieu seine Rüstungsvorbereitungen bis zum Letzten vorwärts und setzt alles auf eine Karte. Auch sein Privatvermögen, seine Kostbarkeiten gibt er dafür hin, so dass scherzend gesagt wird, es sei schon gut, dass er nicht mehr als Kardinal amtiere, da er keine Ringe mehr an seiner Hand trage, welche die Gläubigen küssen könnten.

Der Ansturm der Engländer auf das Fort St. Martin mißlingt. Toiras wirft sie von der Insel ins Meer und vernichtet ihre Formationen. Damit ist das Schicksal von La Rochelle fast besiegelt, doch gibt die Stadt sich noch nicht besiegt.

Angesichts der steigenden Not und des Mangels an Lebensmitteln – die Königlichen haben den Hafen durch Sperrdämme und Sperrketten geschlossen und die Nahrungsmittelzufuhr unterbunden –, angesichts der Erkrankungen an Skorbut und der jetzt völligen Isolierung der Festung wird Ende April 1628 der frühere Admiral der städtischen Flotte Jean Guiton zum Gouverneur gewählt: ein stämmiger, untersetzter Seemann mit einem Charakter aus einem einzigen Stück Erz gegossen, sittenrein und gebetseifrig, gütig und hart, furchtlos und erbarmungslos. Er stößt seinen Dolch in die Marmortischplatte des Rathauses, so dass der Stein splittert, und erklärt, dass er mit diesem Messer jeden niederstoßen werde, der ein Wort von Übergabe spreche. Diese Drohung macht er wahr durch eine Unerbittlichkeit im Durchhalten, die ihn geradezu zum Übermenschen des Hugenottentums stempelt. In der nun folgenden Zeit des um sich greifenden Hungertodes zeigt man ihm einen Freund, der aus Entkräftung in den letzten Zügen liegt. Guiton antwortet dem Fragenden: »Wunderst du dich darüber? Mit uns beiden muss es auch noch so weit kommen!« Als der andere einwendet, dass bald alle zugrunde gehen werden, antwortet er kurz: »Wenn nur einer übrig bleibt, um das Tor geschlossen zu halten, so ist das genug!«

Erschreckend deutlich wird an dem Bild dieses Mannes das Verhängnis der politischen Wandlung im französischen Protestantismus. Die geistliche Schönheit und Herrlichkeit der Märtyrerzeiten ist verloren und wird durch die andere Schönheit natürlichen Heldentums ersetzt. Es gilt nicht mehr das alte Wort: »… voire mêmes toutes les gouttes de notre sang annonceront encore les louanges de Dieu après notre mort« – »sogar jeder einzelne unserer Blutstropfen wird noch nach unserem Tod den Lobpreis Gottes verkündigen«. In der Entscheidung von La Rochelle wird verherrlicht – und wird zerbrochen – menschliches Vermögen und menschliche Willenskraft.

Ein neues Unternehmen Buckinghams, der letzte Versuch der englischen Flotte, die Stadt zu entsetzen, misslingt. Das Sterben in ihren Mauern nimmt zu. Zu Hunderten, zu Tausenden verhungern die Einwohner. An einem einzigen Tag, am 18. Oktober, werden 800 Tote gezählt. Man kann aus Schwäche die Leichen nicht mehr zum Friedhof tragen, man schleppt sie an Seilen über das Pflaster, dessen Gras zwischen den Steinen man gierig ausrauft und verschlingt; zuletzt lässt man die Menschen liegen, wo sie hinfallen. Die Wachen auf den Türmen brechen unter dem Gewicht ihrer Rüstungen zusammen; die Patrouillen zwischen den Festungsmauern wanken auf Stöcken umher. Einzelne Frauen – eine schauerliche Parallele zu den letzten Monaten der Wiedertäufer in dem belagerten Münster – machen sich zu den Belagerungstruppen hinaus, um ihre Ehre für ein Stück Brot preiszugeben; der Kardinal bedroht jeden Soldaten, der ihre Notlage missbraucht, mit dem Tod auf dem Rad.

Schließlich beginnt man im Delirium des Hungers die Leichen auszugraben, um sie zu essen. Eine Frau stirbt, nachdem sie versucht hatte, ihren eigenen Arm vom Körper abzukauen. Manche lassen sich auf eigene Kosten eine Grube herrichten, bezahlen die Rechnung, und wenn sie sich dann zum Friedhof hinausgeschleppt haben, um einem toten Freund das letzte Geleit zu geben, bleiben sie nach der Feier still zurück und rollen sich in das eigene bereitstehende Grab.

In all diesen Monaten wird wöchentlich, wenn nicht täglich, für das Wohl des Königs gebetet, der die Stadt dem Hungertod überliefert hat: nicht für den König als Feind, sondern für den König als angestammten Herrscher. Als man von einer Verwundung des Monarchen durch die Folgen eines von der Stadt abgegebenen Kanonenschusses hört, verdoppelt man die Fürbitte für ihn aus treuem Herzen.

Guiton, der während einer Predigt zweimal bewusstlos zusammenbricht, will immer noch im Einvernehmen mit sämtlichen Pfarrern durchhalten. Man geht dazu über, das Leder der Sättel zu kochen und hinunterzuwürgen, aber die Zahl der Verteidiger nimmt so schnell ab, dass jetzt nur noch 150 Soldaten zur Verfügung stehen. Allein in den letzten Wochen sind abermals 2.000 Einwohner verendet. Kurz vor Beginn des November versammelt Guiton die überlebenden Ratsherren zu einer Sitzung, die nur kurz ist wegen der Erschöpfung der Teilnehmer.
Die Übergabe wird beschlossen, bedingungslos wird La Rochelle dem König geöffnet; es ist dasselbe Jahr 1628, in welchem die Festung Stralsund erfolglos von Wallenstein belagert wird. Von 25.000 Einwohnern der Stadt La Rochelle sind noch 5.000 am Leben. Richelieu erwirkt beim König Gnade und macht ihm deutlich, dass er die Herrlichkeit seines Amts durch Güte und Nachsicht gegenüber der schwer geprüften Stadt noch vermehre. Die katholische Armee, schon vorher in beinahe hugenottischer Zucht geschult, zieht in die Festung ein, die Einwohner werden menschlich behandelt und mit Nahrungsmitteln versehen. Doch die Mauern werden geschleift, die Verwaltung der Stadt von der Krone übernommen. Die Kultusfreiheit wird ihr belassen. Jean Guiton wird verbannt, später aber wieder von Richelieu mit einer Kommandantur betraut. Am Allerheiligentag zelebriert der Kardinal, nun wieder als Priester, die erste Messe in der Stadt. Ganz kurz darauf, in den Tagen vom 6. bis 8. November, zerreißt ein ungeheurer Sturm den Sperrdamm vor dem Hafen – hätten die Verteidiger noch 14 Tage auszuhalten vermocht, so wäre die Stadt von den Proviantschiffen Englands neu versorgt worden.

Im Großen und Ganzen zeigt sich Richelieu, wie auch später im Vertrag von Alais, milde und abgewogen, jenseits von Gut und Böse wie immer in seiner Liebe zum Staat. Sein Maßhalten gegenüber den politischen Protestanten ist zugleich ein Ausdruck der Überlegenheit und Kraft im Gegensatz zu der Toleranz des Edikts von Nantes, das aus klugem Kompromiss geboren war, und ist auch nicht vergleichbar dem Leisetreten des Nachfolgers Richelieus, Mazarin, der behutsam auf den unheimlichen englischen Protestantenführer Cromwell und andere auswärtige Faktoren der Politik Rücksicht nimmt.

Nach dem Fall von La Rochelle und nach einem kurzen Feldzug in Italien wendet sich Richelieu gegen den edlen und unermüdlich tätigen Herzog von Rohan. Jacob Burckhardt überschreibt diesen Abschluss und die nächste Zukunft der Protestanten mit dem schönen Wort: »Die Kraft Rohans und seiner Hugenotten wird auch dann noch, wenn sie besiegt sein werden, genauso groß sein, als die Tiefe ihres Glaubens reicht.« Das königliche Heer, von Italien heimkehrend, bricht etwa westlich von Montélimar in das protestantische Hauptgebiet ein und erobert zuerst in hartem Kampf Privas. Die Angriffe geteilter katholischer Heerhaufen auf die einzelnen Städte der Provence vollziehen sich im Gegensatz zu dem disziplinierten Verhalten gegenüber La Rochelle in schauerlichen Szenen. Als der katholische Führer Condé 50 Offiziere der gefangen genommenen Garnison von Gallargues öffentlich aufhängen lässt, erwidert Rohan diese Tat am nächsten Tag mit der öffentlichen Aufknüpfung von 64 katholischen Gefangenen aus der Stadt Monts; weiter greift er in einer Verzweiflungsanwandlung nach dem hochverräterischen Mittel einer – übrigens erfolglosen – Verhandlung mit Spanien. Als auch die Stadt Alais kapituliert, zieht Rohan vor, einen vorteilhaften Generalfrieden mit Richelieu abzuschließen, in welchem der Kardinal die Gültigkeit des Toleranzedikts von Nantes bestätigt, jedoch die Schleifung aller protestantischen Stadtbefestigungen und Burgen fordert und erhält. Mit diesem Frieden von Alais ist der französische Protestantismus als weltliche Partei und als Stand für alle Zeiten vernichtet. Das Edikt von Nantes ist auch jetzt erst wirklich durchgeführt, sofern es den Protestanten feste Plätze nur für eine kurze Übergangszeit zugebilligt hatte.

Gerade im Blick auf den erzwungenen Verlust äußerer Stützen schuldet die evangelische Kirche Frankreichs Richelieu Dank für eine freilich unbeabsichtigte Wohltat: Sie ist vom Irrweg politischer Existenz vertrieben und zurückgeworfen auf ihre Eigenart und Berufung, Gemeinde Jesu Christi zu sein. Doch der Prozess der protestantischen Rückbesinnung auf die geistlichen Wurzeln kirchlicher Kraft wird noch lange währen und nur stufenweise fortschreiten. Es wird durch eine Übergangsperiode des Leidens und unaufhaltsamen äußeren Absterbens gehen mit dem letzten politischen Krampf der Cevennenkriege 1702-1704, bis zur geistlichen Neuschöpfung, nach dem Zerbrechen auch aller menschlichen Stützen, durch die berufene Hand Antoine Courts auf der Basis einer rein biblisch eingestellten Gemeinschaft des Glaubens und des Wortes.

Bevor aber die Protestanten Frankreichs in langer und schmerzensreicher Schule die geistliche Instinktsicherheit wiedergewinnen, erleben sie zunächst in den letzten Jahren Richelieus und dann unter Mazarin, sei es halb unbewusst, sei es mit einem immer deutlicheren Gefühl des Grauens, wie die Ideologie der autokratischen Krone – der Gegenbegriff ist die mystische »Volonté Générale« des Volkes bei Rousseau und Robespierre – alles überwuchert, alles zurückdrängt und erstickt, was ihr zuwider ist. Richelieu steigert bereits die Regierungsgewalt derartig, dass nicht nur den König, sondern auch seinen Ministern vorbehaltloser Gehorsam geleistet werden muss, also auch der Königsgewalt, die durch einen Stellvertreter ausgeführt wird. Unter seinem Nachfolger Mazarin erscheint die Autorität der Krone schon fast abstrahiert als der »Inbegriff einer absoluten Monarchie in unpersönlicher Gestalt« (Seignobos) – gleichsam ein Daimonion, für das der Kron-Inhaber nur Versichtbarung, Aktualisierung, Organ ist.

Die protestantische Kirche bückt sich äußerlich, ja auch in der Umstellung ihres lehrhaften Denkens, unter diese Entfaltung eines grandiosen Systems. Sie gibt dem Gedanken einer persönlichen Verantwortlichkeit des Königs vor dem Volk den Abschied. Sie gibt dem Gedanken einer Vollmacht des Volkes, am Königtum etwas zu ändern oder es zu bessern, den Abschied. Sie nimmt alle gerechten oder ungerechten Verordnungen, Loyalität oder Illoyalität des Königtums als Ausdruck der Schickung Gottes, der zur gegebenen Zeit, welche Seine Weisheit vorherbestimmt, gewisslich Seine Gerichtsrute erheben wird. Aus der einstigen Leidensbereitschaft in Besinnung auf das Kreuz Jesu und das ewige Erbe der Heiligen ist weithin eine apologetische Frage geworden. Der Schlüssel zum Problem des christlichen Martyriums heißt nicht mehr Macht der Sünde, Geist dieser Welt, Antichrist und Satan. Die bange Frage lautet: »Warum lässt Gott alles dieses zu?« Die Antwort lautet: »Für unsere Sünden züchtigt Er uns.« Das Resultat dieser Seelenstellung ist eine neuartige Bereitschaft des Ansichgeschehenlassens, der psychologische Gegenwert gegen das aufgegebene Sichdurchsetzenwollen. Das Wort des Herrn: »Weil ihr nicht von dieser Welt seid, darum hasset euch die Welt!« wird teilweise nicht mehr verstanden. Doch wird es noch verkündigt, gerade von den Predigern, die der Gemeinde ernsteste Worte über ihre Erschlaffung und Verflachung nicht vorenthalten. Von beidem rede der alte Pierre du Moulin zu uns, der 22 Jahre Pfarrer in Paris war und nach einem überaus reichen Leben – er verfasste 75 Bände Predigten und christliche Schriften – 1658 als rüstiger Greis von 90 Jahren starb:

»Wie der sanfte Regen, der das Getreide wachsen lässt, je und je auch Unkraut in Masse hervorbringt, und wie die Sonne im Frühling mitsamt den lieblichen Blumen auch allerhand hässliches Gewürm erzeugt, so hat auch der Friede, der der Kirche nach der Verfolgungszeit wiedergeschenkt wurde, uns mit der Predigt Seines Wortes der Sünden genug gebracht … Da uns nun nichts mehr fehlte, haben wir es an uns selbst fehlen lassen und haben die Zeit unserer Heimsuchung nicht erkannt. Denn wenige haben sich darum gesorgt, die Ruinen des Hauses Gottes wieder aufzubauen, doch hat ein jeder Fleiß getan, sein eigenes Heim zu errichten … Jene freigebige Großherzigkeit, die zu den Zeiten unserer Väter in den Herzen brannte und Stütze und Schmuck der Kirche des Gottes gewesen ist, dessen Kraft bis heute unser Leben erhält, – die nüchtern und rechtschaffen und tapfer war, die den Verlust für Jesus Christus für Schaden erachtete, ebenso verschwenderisch mit ihrem Blut als ängstlich besorgt um die Ehre Gottes, – sie hat eine Nachkommenschaft zurückgelassen, deren Herz zumeist für sinnliche Vergnügungen brennt, die allein tapfer ist, wenn es zu streiten gilt, aber feige und nachgiebig gegenüber der Sünde, voll überheblicher Unwissenheit, bereit, ihre Brüder für eine kleine Geldsumme preiszugeben und für ein Stück Brot Gott den Rücken zu kehren. Der unselige geistige Einfluss (hantise) der Gegner hatte unsere Sitten verdorben, und wir waren von ihnen kaum noch anders als durch die äußere Konfession unterschieden, als ob der Satan zur Nacht die Grenzpfähle ausgerissen hätte, die uns von den anderen trennten, oder als ob wir den Verfolgungen nur entronnen wären, um in den Weg der Sünde einzubiegen. Die Mahnungen der treuen Pfarrer wurden übel aufgenommen, und man hat sich gegen sie empört, wie wenn eine missgestaltete Person den Spiegel zerschlägt, in dem sie ihre Hässlichkeit geschaut hat. Und das Wort Gottes ist nicht mehr mächtig gewesen wie einst, als ob dieses geistliche Schwert seine Schneide verloren hätte oder stumpf geworden wäre an der Härte der Herzen!« (Buch II, Kap. 3, Bezug nehmend auf die Jahrzehnte nach Nantes).

Und dennoch gilt für die Berufenen und die Gemeinde des Herrn: »Die Verfolger können uns aus unserem Heimatland vertreiben, aber sie können uns nicht unser Bürgerrecht im Himmel nehmen. Sie können unsere Kirchen zerstören, aber trotz all ihres Wütens bleiben unsere Herzen Tempel des Heiligen Geistes. Sie können uns unser Geld nehmen, aber sie können uns nicht unseren Reichtum rauben. Sie können uns aller weltlichen Ehren entkleiden, aber nicht der Ehre, Kinder Gottes zu sein. Sie können uns das Leben nehmen, aber nicht das Heil. Und der Scharfrichter, der Sankt Paulo das Haupt abschlug, hat ihm wahrlich damit nicht die ewige Krone genommen. Gott hält den Teufel an der Kette Seiner Vorsehung, und wenn Er will, lässt Er die Kette ein Stücklein locker: Zu Zeiten erlaubt Er diesem Löwen, mit seinen Krallen unsere Kleider zu erreichen, ja manchmal unsere Leiber, aber es ist ihm verboten, unsere Seele zu berühren. So werden unsere Feinde nichts vermögen, es sei denn mit der Zulassung Gottes, der uns liebt: Sie bewegen sich ja nur und atmen nur durch den Beistand unseres himmlischen Vaters. Und wenn sie alles Unheil angerichtet haben, was sie konnten, dann ist Gott mächtig, alles zu unserem Besten zu wenden, und gütig, alles zu unserem Heil wenden zu wollen« (Buch II, Kap. 8).

Gefährlicher als die hart schlagende Faust Richelieus wird den Protestanten nach seinem Tod die linde, diplomatische Hand Mazarins. Man könnte seine Regierungszeit auch die Übergangsperiode zwischen Richelieu und Ludwig XIV. nennen. Aber es ist ratsam, auch diese Jahre von der sie gestaltenden Persönlichkeit aus zu begreifen, nach dem Wort von St. Simon: »Geschichtsschreibung einer bestimmten Epoche muss zum Ziel haben, den Leser mitten unter die handelnden Personen – ›les acteurs‹ – zu versetzen, so dass er weniger eine Geschichte zu vernehmen glaubt, als vielmehr sich selbst eingeweiht fühlt in das, was nun gespielt wird, ja zu einem Zuschauer dessen wird, was man ihm erzählt.«

Im Jahre 1642 schlägt Richelieu, der vor kurzem den jungen Italiener Mazzarini als politischen Beamten seines Stabs nach Paris berufen hat, eine letzte Verschwörung im Land nieder und stirbt. Papst Urban VIII. bemerkt dazu, auf das skrupellose Leben des alten Kardinals zurückschauend: »Wenn es einen Gott gibt, wird er wohl büßen müssen. Wenn es keinen gibt, ist er ein braver Mann.« Im Dezember desselben Jahres beruft Ludwig XIII. kurz vor seinem Tod, in Erinnerung an den letzten Rat Richelieus, Mazarin zu seinem Nachfolger. Der junge Kardinal wird Pate des bisher ungetauften vierjährigen Dauphin, der als nachgeborenes Kind im Sakrament den Namen Louis Dieudonné erhält. Als das Knäblein, der zukünftige Sonnenkönig, nach der Taufe zu seinem kranken Vater Ludwig XIII. zurückkehrt und gefragt wird, welches nun sein Name sei, sagt es ihm das unkindliche Wort: »Ich heiße Ludwig der Vierzehnte!« Für die Dauer seiner Unmündigkeit übernimmt die Königin-Mutter, die habsburgische Anna, frühere Infantin von Spanien, die Regierung. In Wirklichkeit ist ihr Kanzler Mazarin der Regent – ihr Geliebter, vielleicht auch der ihr heimlich angetraute Gatte.

Nach dem Lebenswerk Richelieus ist es Mazarins Restaufgabe, die Selbstständigkeit auch des katholischen Adels zu beseitigen, sowie der Verantwortlichkeit des Königs vor dem Parlamentsgericht ein Ende zu bereiten, um so das Prinzip des Kronabsolutismus abschließend durchzuführen. Es geschieht dies vermittels der Niederringung der Fronde, in einer letzten scharfen Wendung, gewissermaßen im Durchschlagen eines letzten Knotens im Geschichtsfaden, aus dem dann ein glattes, gleichartiges Gewebe gesponnen wird.

Die Hintergründe der Fronde sind Misswirtschaft und Not, die sich mit dem Groll der alten Adelsfamilien gegen den italienischen Eindringling verbinden. Während in Paris herrliche Bauten entstehen, Theater und Oper blühen und das Geld mit vollen Händen ausgegeben wird, lasten die Steuern unbarmherzig auf dem Volk in der Provinz. Der Generaladvokat Talon sagt 1648 in einer Ansprache an die Königin von den Bauern auf dem Land: »Außer ihren Seelen haben sie nichts mehr, und die nur, weil man sie nicht versteigern kann. Um den Luxus von Paris zu ermöglichen, müssen Millionen Unschuldige von Kleie und Haferbrot leben. Gedenken Sie, gnädige Frau, an das allgemeine Elend in der Einsamkeit Ihrer Gebete!« Das arme Volk draußen isst schließlich Baumrinde und noch ekelhaftere Dinge. Tausende sterben jährlich in Schuldgefängnissen. Von der Grundsteuer waren, wie es ironisch heißt, »fast alle diejenigen befreit, die sie zahlen konnten«. Ein Drittel aller Galeerensträflinge büßen Vergehen gegen die Salzsteuer, die »gabelle«.

Eben in dieser Zeit erhebt das Pariser Parlamentsgericht Forderungen betreffend Kontrolle und Sanierung der Staatsfinanzen. Der Hof leistet Widerstand, eine Revolte bricht in den Straßen der Hauptstadt aus. Die Regierung gibt nach, muss aber doch aus der Stadt fliehen, und das Parlament mit der Bürgerschaft organisiert den Widerstand gegen Mazarin »im Namen des Königs«. Er wird durch Parlamentsbeschluss zum Reichsfeind erklärt ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass es eben seiner gewandten Diplomatie und der Kunst seines Gesandten gelungen war, den Westfälischen Frieden zu Gunsten Frankreichs zu wenden.

Daraufhin flieht Mazarin aus Paris nach Deutschland. In Frankreich scheint alles für ihn verloren. Paris hallt wider von den »Mazarinaden«, witzigen und bösartigen Couplets, die seine Ehre herunterreißen und dem Volk in Satire und Spott ein Ventil bilden für alle Beklemmungen der Zeit: »La France est une monarchie absolue, tempérée par des chansons« – »Frankreich ist eine durch Gassenhauer erträglich gemachte absolute Monarchie« –, heißt es jetzt.

Binnen kurzem gelingt es den tausendfachen und von jedem Gewissensbedenken freien Intrigen Mazarins, vom Ausland her die adligen Führer der Fronde miteinander zu entzweien; er bringt es fertig, das Söldnerheer Turennes zu kaufen. Eines Tages geben die in sich gespaltenen Pariser Frondisten nach. Mazarin rächt sich an keinem von ihnen und gewinnt sie alle für sich. Die militärischen Führer des aufsässigen Adels in der Provinz unterwerfen sich ohne Ausnahme. Sie werden ihre Erniedrigung weniger fühlen, wenn sie den neuen Hofstaat des Königs bilden und mithelfen, die absolute Monarchie bis zum letzten Giebelstein zu bauen.

Das Verhältnis Mazarins zu den Protestanten ist ein doppeltes. Einerseits bereitet er als Schrittmacher eines allfordernden Prinzips indirekt für sie eine Leidenszeit von fünfzig Jahren vor. Andererseits erweist er sich direkt den Hugenotten seiner Regierungszeit als nachsichtiger Gebieter. Es verlohnt, zur Erklärung dieses Lobs an die meisterhafte Charakteristik Mazarins zu erinnern, die wir Karl Federns Biografie verdanken:

»Mazarins Milde war nicht Schwäche und war nicht Güte, denn der Mann war weder schwach noch gut. Kein noch so leises Zeichen warmer Menschenliebe erscheint in seinen Taten oder seinen Worten. Seine Seele war karg und kühl. Seine Liebenswürdigkeit, seine verzeihende Sanftmut waren Manier und Mittel. Im Hause und in seiner Familie, gegen alle, die er nicht fürchtete, die von ihm abhingen, war er trocken und rau, als müsste er sich von der Mühe erholen und erleichtern, die die stete Maske ihm schuf. Seine Milde war nicht Christentum, das bei ihm höchst äußerlich war. Vielleicht war seine große Kälte die Ursache seiner Milde. Er tat das Schlimme nur, wenn es nötig war. Er war nicht böse noch blutgierig, so wie er nicht gütig und nicht liebevoll war. Er kannte nur Ärger, nicht Zorn; und sein Strafen, wenn er strafte, war, wie sein Verzeihen, eine von keinem Affekt getrübte Berechnung. Er musste rechnen, weil er ein Landfremder war und weil er wusste, dass man ihm Exekutionen französischer Menschen noch viel weniger verziehen hätte und keine Versöhnung mit dem Volk, das er regieren wollte, übrig geblieben wäre. Der starre Stolz und der rasche Griff zum Schwert lagen nicht in seinem Wesen. Er war ein Intellektueller und ein Rechner, ein Diplomat und ein Geschäftsmann, kein Aristokrat oder Krieger. Und weil alle im Grunde dieser seiner Milde Furcht und Berechnung lasen, fand das heiße, kriegerische Volk sie würdelos und dankte sie ihm nicht. Und alle sahen auch, dass er viel nahm und dass er schwer und wenig gab; dass er Versprechungen nicht hielt, dass man Belohnungen für geleistete Dienste ihm entreißen musste. Man fühlte durch die Ämter und Leistungen, durch die Eleganz des Auftretens, durch die nur beim ersten Mal gewinnende Rede immer die gemeine Seele hindurch.«

In diesem Sinne ist Mazarin milde gegen die Protestanten. Er ist milde, weil er, wie schon erwähnt, auf Cromwell, den mächtigsten Mann des Nordens, Rücksicht nehmen muss und weil er mit dem englischen Lord-Protektor, dem Beschützer der Protestanten Europas, einen Handelsvertrag schließen will. Er ist milde, weil er die Hugenotten im Land braucht. Die hervorragendsten hugenottischen Pfarrer waren loyal, vertrauensvoll und königstreu, ja entschlossene Anhänger des königlichen Absolutismus geworden. Die Machthaber unter dem protestantischen Adel nehmen an der Erhebung der Fronde nicht teil, im Gegenteil verteidigen sie die Stadt Montauban gegen die Frondeure. Damals sagt, wie Ruilhière überliefert, Mazarin über die Protestanten:
»Ich habe mich nicht über die ›kleine Herde‹ zu beklagen. Wenn sie sich auch von Unkraut nährt, läuft sie mir wenigstens nicht davon!« Und in der Erklärung von St. Germain lässt Mazarin den jungen König sagen: »Umso mehr, als unsere Untertanen von der ›religion prétendue réformée‹ uns gewisse Beweise ihrer Zuneigung und Treue gegeben haben, besonders in den jetzigen Umständen, mit denen Wir sehr zufrieden sind, tun Wir kund, dass sie aus diesen Gründen gehalten und gehegt werden sollen im vollen und restlosen Genuss des Gnadenedikts von Nantes.«

Dieser politisch begründeten Langmut der Regierung kommt auf Seiten der Protestanten eine Erweichung ihrer totalen Glaubensansprüche entgegen, eine neue façon de vivre, die man Neuhumanismus nennen könnte. Ein Abgleiten von den strengen, unbeugsamen, herben Linien Calvins wird deutlich. Der typische Vertreter dieser Richtung war schon zur Zeit Richelieus Valentin Conrart gewesen, Kirchenältester des berühmten Temple de Charenton vor Paris, der Begründer und ständige Sekretär der Académie Française. Im Jahre 1626 hatte er einen intellektuellliterarischen Zirkel in seinem Haus gegründet. Bald ersteht aus diesem als oberstes Landesinstitut für die Reinheit und Fortbildung der Sprache und der Literatur die eigentliche Académie unter der Protektion Richelieus. Der Gelehrte, dessen ausdrucksvolle Augen, dessen feine Hand uns noch heute ein Porträt von Le Feure lebendig macht, mag nicht »Hugenotte« sein, sondern nennt sich Protestant. Sein Haus gilt als ein »Seminar rechtschaffener Menschen«, und man nennt ihn wegen seiner humanen Gesinnung gerne »Philandre«. Den schöngeistigen Salon des katholischen Paris, das Hôtel de Rambouillet und Fräulein von Scudérie besucht er ebenso wie den entsprechenden protestantischen Kreis im Haus der Madame des Loges.

Diese Bewegung, welche vom protestantischen zum katholischen Lager Brücken allgemeiner Kultur und geisteswissenschaftlicher Studien schlägt, wird auch in der Provinz wirksam. Segrais schreibt von der Académie de Caen: »Vor der Aufhebung des Edikts von Nantes war es so, dass die Katholiken und die Hugenotten hier in vorzüglichem Einvernehmen lebten, dass sie gemeinsam aßen, tranken, spielten, sich vergnügten und dann in völliger Freiheit auseinander gingen, die einen, um die Messe zu besuchen, die anderen zur protestantischen Predigt, ohne dass einer am anderen den geringsten Anstoß genommen hätte.« Über dieselbe Académie de Caen urteilt Galland: »Vor der Schwelle der Akademie machte jeder Konfessionsunterschied Halt.«

Von Amyraut, dem bekannten Professor der protestantischen Fakultät von Saumur, wird berichtet, dass er beim Bischof von Chartres zu Mittag speiste, mit ihm über die Lehre von der Prädestination disputierte und danach auch die Schroffheit seiner diesbezüglichen Lehre milderte. Eine aufrichtige Philanthropie bildete den gemeinsamen Nenner aller dieser Persönlichkeiten, wie denn der Theologe Amyraut die letzten 10 Jahre seines Lebens sein Einkommen den Armen, und zwar katholischen und evangelischen Armen ohne Unterschied, überwies.

Zuletzt sei noch David Blondel erwähnt, als Protestant der bedeutendste kritische Kirchenhistoriker seiner Zeit. Als man seine besondere Begabung herausfindet, wird er von seinem Pfarramt freigemacht. Blondel ist der Forscher, der die Fälschung der pseudoisidorischen Dekretalen entdeckt; seine unparteiische Gerechtigkeit veranlasst ihn aber auch, festzustellen, dass die Überlieferung von der Päpstin Johanna – bisher ein wirkungsvolles Argument der Protestanten gegen die katholische Kirche – eine Legende ist.

Die Zuneigung Mazarins zu diesem liberalen und umgänglichen Flügel der Evangelischen in Frankreich bemisst sich nach seinen praktischen Bedürfnissen. Als er Amyraut und dessen Freunde nicht mehr gegen die Fronde braucht, verbietet er die evangelische Nationalsynode. Gerade angesichts seiner Allianzen mit protestantischen Mächten des Auslands muss er zu Zeiten umso eifriger auf die Einsprüche des katholischen Klerus im Inland hören.

Während ein freigeistiges Allerwelts-Christentum die hugenottischen Waffen rostig werden lässt, schleift die katholische Kirche ihre Waffen zu. Die einzelnen Antriebe in ihr verbinden sich zu Tatgemeinschaften, die Stimmen des in ihrem Schoß neu erwachenden Lebens klingen zu Chören zusammen. Der Herzog von Vantadour, Freund des königlichen Prinzen Gaston von Orléans, gründet als kirchlichen Geheimbund die »Compagnie du St. Sacrement de l’autel«, deren vornehmste Mitglieder in Paris wohnen und die sich bald allenthalben ausbreitet. Das Ziel der Compagnie ist, alles mögliche Gute zu tun und alles mögliche Übel zu bekämpfen, insbesondere dem sozialen Elend, dem Hunger und der Not der unteren Bevölkerungsschichten entgegenzusteuern. Weiter liegt es dem Geheimbund am Herzen, die Laster zu dämpfen und die Ketzerei, das ist den evangelischen Glauben, zu zerstören.

Eine »Congrégation de la Propagation de la Foi« hatte bereits 1632 der Pater Hyacinthe ins Leben gerufen. Man eröffnet Sammelhäuser zur Bekehrung von Kindern. Ihre Insassen kommen nicht immer freiwillig aus den protestantischen Familien. In diesen Zwangsanstalten werden sie so nachhaltig in den Horizont Roms eingetaucht, dass die evangelischen Eindrücke und Bilder aus dem protestantischen Elternhaus bald in ihnen verblasst sind.

Man entwickelt Methoden der Sabotage, um die evangelischen Schulen der Hugenotten abzubauen und um die Protestanten aus den Zünften herauszudrängen oder in ihren Berufen unmöglich zu machen. Beispielshalber vergisst die »Compagnie du St. Sacrement« von Paris nicht, den Wäscherinnen für die Statuten ihrer Organisation einen Paragraphen aufzulegen, nach welchem protestantische Zunftgenossinnen nicht aufgenommen werden – so dass z.B. die Inhaberin eines Wäscherinnen-Meisterbriefs, die Hugenottin Michelle Regnauld, nicht erreichen kann, dass ihre Firma eingeschrieben wird. Wir haben einen Bericht über die Irrfahrt des Aktenbündels, mit dem die Antragstellerin jeweils in Zeitabständen von drei Monaten bei einem anderen Stadtrat erscheint, welcher seinerseits weislich davon Abstand nimmt, sich mit der Sache zu befassen. Die Antragsreise der Michelle Regnauld durch Paris dauert sieben Jahre; endlich wird sie müde und zieht ihren Antrag zurück. In jeder Stadt befindet sich eine Gruppe von Agenten dieser katholischen Propaganda-Gesellschaften, die rastlos und skrupellos spionieren und anzeigen. Ein ungeheures Netz wird so über ganz Frankreich gespannt, dessen – wie es Allier ausdrückt – »lebendige Maschen von Tag zu Tag enger werden« und dem die einzelne Existenz kaum noch entschlüpfen kann. Es ist die Methode der »étroites limites«, der fortschreitenden Einengung, die Methode, welche umschließt, dann den Atem abdrosselt und erstickt.
Die theologische Begründung aller dieser Maßnahmen gibt später Bossuet mit dem Satz, dass es seit der Eroberung von La Rochelle, das heißt seit dem Ende der politischen Unabhängigkeit der Protestanten, für sie keine »verruchte Freiheit, im Irrtum zu verharren« mehr geben dürfe – eine überaus bittere Quittung auf die Verdammung der Gewissensfreiheit durch Beza.

Im Jahre 1661 stirbt Mazarin. In rastloser Tätigkeit sind seine Kräfte verbraucht, sein letzter Erfolg ist die Vermählung seines jungen königlichen Herrn mit der Infantin von Spanien. Nach dem Tode Cromwells 1658 ist Mazarin durch das neue Bundesverhältnis zu Spanien der mächtigste Mann Europas geworden. Auch der reichste Mann Europas ist er in der Zwischenzeit geworden; in den Jahren seit seiner Rückberufung nach Paris bis zu seinem Todesjahr hat er eine Drittelmilliarde aus dem Land gesogen und an sich gerafft. Er besitzt die 18 größten Diamanten Europas, ungeheure Massen von edelsten Perlen, Gold und Silber, die er in seinem Schloss in Vincennes zwischen Löwen, Tigern und Wölfen als Wachhunden aufgestapelt hat, ganz zu schweigen von Schlössern, Ländereien, Kunstsammlungen, Gemälden und Teppichen.

Bis zum vorletzten Abend seines Lebens lässt er sich die Spieltische ins Zimmer bringen, spielt und wägt die Goldstücke in seiner Hand, um die leichteren einzusetzen und die schwereren zurückzuhalten. Der jüngere Brienne, Sohn des Staatssekretärs Brienne, der sich hinter einem Gobelin versteckt hatte, beobachtete Mazarin, wie er kurz vor seinem Ende auf schlürfenden Pantoffeln, sich mühsam auf Tische und Stühle stützend, weiterschritt und seine Kostbarkeiten betrachtete, und er hörte ihn flüstern: »Das alles muss ich lassen … das alles werde ich nicht mehr sehen!« Bis zuletzt lässt sich Mazarin ankleiden, frisieren und schminken und so weit wie möglich in der Sänfte umhertragen. Als der spanische Gesandte Graf Fuensaldana den angemalten und zurechtgemachten Todkranken durch die Säle tragen sieht, bemerkt er boshaft: »Dieser Herr stellt den abgeschiedenen Kardinal von Mazarin vortrefflich dar.«

Nach der Ordnung des Nachlasses – einen Teil seiner Reichtümer vermacht Mazarin dem König, einen anderen seinen italienischen Verwandten – beordert er den Priester Joly, dass er ihn auf die letzte Stunde vorbereite. Er gesteht ihm, er könne eine eigentliche Reue über seine Sünde nicht empfinden. Dazwischen hinein wird er unruhig, packt ihn an und ruft: »Sprechen Sie mir von Gott, von Gott!« Joly muss ihm den Sinn des Messopfers erläutern, da Mazarin, wie er ihm sagt, die Messe vielleicht nie in der rechten Verfassung gehört habe. Um Mitternacht zwischen dem 8. und 9. März verscheidet der Kardinal, mit dem Namen Jesu auf den Lippen. 

 

KAPITEL VII

DAS STERBEN DES FRANZÖSISCHEN PROTESTANTISMUS

(LOUIS XIV.)

»Ein ungeheuerlicher Parasit, eine nicht vom Menschen selbst stammende und völlig proportionslose Idee lebt in ihm, entwickelt sich und erzeugt in ihm die unheilvollen Antriebe, mit denen sie schwanger geht. Er, der Besessene, sieht nicht voraus, dass er diese Entschließungen fassen würde, er wusste nicht, was sein Dogma eigentlich enthielt, noch welche vergifteten und mörderischen Folgerungen sich aus ihm ergeben werden.«
Hippolyte Taine, »Les Origines de la France contemporaine«. Bd. VII, S. 86.

Unmittelbar nach Mazarins Tod ergreift Ludwig XIV., seiner Vokation bewusst, trotz seiner Jugend schon jetzt formvollendet und sicher, die Regierung, ohne dem verstorbenen Kanzler einen Nachfolger zu bestellen. Mazarin, der der neuen Epoche Ludwigs XIV. die letzten Hemmnisse aus dem Weg geräumt und seinem jungen Souverän ein völlig entmündigtes Frankreich zu Füßen gelegt hat, hatte bereits das absolute Herrscherprinzip auf eine drastische Rechtsformel gebracht: »Wenn der König nicht wollte, dass man Quasten oder Zierknöpfe am Kragen trüge, so dürfte man keine haben: Denn es ist nicht die Verworfenheit einer Sache, die das Verbrechen statuiert, sondern ihre Verbotenheit.« Bossuet, der theologische Erzieher Ludwigs, fügt in seiner »Politique tirée des Saintes Ecritures« hinzu: »Das gesamte Staatswesen ist im König beschlossen. In Ihm ist die Macht, in Ihm ist der Wille des Volkes. Dem Fürsten allein gehört die gesetzliche Befehlsgewalt, Ihm allein das Eingriffsrecht (la force corrective)¬, dem Fürsten allein obliegt die Wohlfahrt (le soin général) des Volkes.

Jede Macht hängt von der Seinen ab, keine Zusammenkunft (assemblée) besteht zu Recht außer durch Seine Autorität.« Nicht von ungefähr entdecken jetzt die juristischen Räte des Hofs im Römischen Recht den Satz:
»Die Entscheidung des Fürsten hat Gesetzeskraft.« Sie folgern daraus, dass der Fürst seinen Willen zum Gesetz erheben kann und dass solches aus der königlichen Vollmacht fließt: Durch eine »ordonnance« kann er den Brauch, kann er das Gewohnheitsrecht ändern. Daher erlässt jetzt der König als solcher gültige Verordnungen und Edikte. Nicht von ungefähr kleidet auch der protestantische Prediger Chamier einen seelsorgerlichen Rat in das Gewand derselben Idee: »Diejenigen, welche die Monarchien regieren, sind in einem Zwischenzustand zwischen Gott und den Menschen und müssen sich oft zum Himmel erheben, um in den Schätzen der Weisheit Gottes die Idee des wahren Guten zu erfassen, und müssen dann wiederum zur Erde zurückkehren, um sie ihren Völkern mitzuteilen.«

Damit ist von einer Verantwortung des Regenten vor den Parlamentsgerichten nicht mehr die Rede. Die Berufung der Generalstände vom Jahre 1614, an deren Versammlung Richelieu als Anfänger in der großen Diplomatie teilgenommen hatte, blieb die letzte auf annähernd zwei Jahrhunderte hinaus. Der Souverän ist jetzt niemandem mehr verantwortlich als Gott, das heißt dem göttlichen Willen, so wie er ihn versteht …

Ein allerletzter Einspruch gegen die Hypostasierung des Königtums erhebt sich noch von Seiten Roms, weil sie unverträglich ist mit der Theorie Gregors VII. von der universellen Herrschaft des Papsttums, der Vollmacht des Papstes über das geistliche und zeitliche Wohl aller Königreiche und Völker; weil sie ferner unvereinbar ist mit der Theorie Bonifaz’ VIII., die in zwei Schwertern die Macht der Welt abbildet: Das weltliche Schwert ist wohl den Königen der Erde anvertraut, aber es steht unter der Hoheit des Nachfolgers Petri. Im Zurückgreifen auf die gallikanischen Traditionen und Ansprüche Frankreichs und im Bewusstsein starker politischer Überlegenheit wird es Ludwig nicht schwer sein, gegenüber den Ansprüchen des Papsttums die alten kirchlichen Ansprüche Frankreichs von neuem zu erheben und feierlich festzustellen, dass das französische Königtum als solches de jure divino, auf Grund göttlichen Rechts, bestehe.

Ein ernsthafter Einspruch von Seiten der protestantischen Kirche Frankreichs wird kaum erhoben. Die wenigsten unter den Reformierten ahnen, was die folgerichtige Auswirkung dieses unersättlichen Prinzips für sie bedeuten wird. Einzelne, wie der bald verbannte Prediger Jurieu, erinnern sich an die warnenden Gedanken Hotmans. Jurieu ist es auch, der, als nun die Saat für die Protestanten reif ist, im Jahr des Ausrottungsedikts von Fontainebleau erschütternde Worte der Gebetsklage findet:

»O Herr, Du bist der Gott der Götter; so nennst Du Dich ja auch in der Heiligen Schrift. Du bist Gott, und also bete ich Dich an und gebe Dir alle Ehre in meinem Herzen, das Dein Tempel ist, und im Weltall, das Dein herrlicher Palast ist. Aber lass mich heute zu Dir nicht als zu Gott, dem einzigen Gott sprechen, sondern als zu meinem König und meinem einzigen König!

Du lässt es zu, dass man einige Menschen Könige nennt, wie Du Selbst sie ja auch ›Götter‹ nennst, obgleich sie an Deiner königlichen Majestät so wenig teilhaben wie an Deiner göttlichen Majestät. Gleichwohl handeln sie, als ob sie mit allen Deinen Rechten bekleidet wären, als ob wir nichts für Dich bedeuteten und als ob Du nichts für uns bedeutetest; als ob wir ihre Geschöpfe und das Werk ihrer Hand wären, unterfangen sie sich, uns zu vernichten; als ob sie uns aus dem Nichts hervorgebracht hätten, wollen sie uns dorthin zurücksenden. Ihre Herrschaft erstreckt sich nicht nur auf Fleisch und Blut, sondern sie wollen über unsere Seelen herrschen, sie wollen König sein über die Herzen und über die Gewissen, und wir vernehmen mit Zittern die schrecklichen Worte: ›Der König befiehlt euch, eure Religion zu verlassen und eine andere anzunehmen‹, von unserem Gott zu lassen und nur seinem Gott zu dienen. Hast Du denn, Herr, aufgehört, unser König zu sein? Hast Du Dir nur noch die Göttlichkeit vorbehalten, und hast Du auf die Königsherrschaft verzichtet? Und verlangst Du von uns die Unterwerfung unter das Joch dieser Menschen, die nicht mehr wie Könige, sondern wie Götter handeln?

Deine göttliche Majestät schaut eine Menge gemeiner Kreaturen, die sich vor menschlichem Staub in den Staub werfen und die einem Sterblichen – ja einem Menschen, der sterben wird, – tausendmal eifriger und inbrünstiger Anbetung zollen als Dir, der Du ebensowohl unser Gott bist wie unser König. Du siehst, o König der Könige, ein Volk von Schmeichlern, das in einem neuen Götzendienst die Namen ›der Große‹, ›der Unbesiegbare‹, ›der Erhabene‹, ›der immer Siegreiche‹, ›der Hochweise‹, ›der Allgerechte‹, ›der Allgütige‹ einem Menschen zuteilt, der sich eines Tages wegen seines Wandels auf Erden vor Deinem gerechten Gerichtshof verantworten muss. O König des Weltalls, wo bleibt Deine Eifersucht? Wo sind die Zeiten geblieben, da Du vor den Augen der Völker die menschlichen Götzen zerbrachst, denen man zugerufen hatte: ›Es ist die Stimme Gottes und nicht eines Menschen!‹ Es jammert mein Herz, welches um Deine Ehre eifert, wenn ich bedenke, dass man von den Lobpreisungen zu Ehren eines Menschen, der doch nur einer Deiner Schatten ist, tausendmal mehr Bände schreiben könnte, als die zu Deiner Ehre geschriebenen Lobpreisungen in der Heiligen Schrift, auch wenn man zu ihr alle die göttlichen Lobgesänge hinzufügte, welche die Seraphim, die Erzengel, die Engel und die Seligen zu Deiner Ehre im Himmel singen.

Ich werde schamrot, wenn ich sehe, dass diejenigen, die sich die Diener Deiner göttlichen Majestät nennen, mit vollen Händen einem König aus Staub und Asche Weihrauch streuen. Ich zittere, wenn ich daran denke, dass auf den Kanzeln, die bestimmt sind, die Menschen zur Buße zu rufen, sie zunichte zu machen und allein Deine Herrlichkeit zu verkündigen – dass man auf diesen Kanzeln immerdar einen Menschen feiert, indem man von seinen Tugenden spricht, vom Glanz seiner Taten, von den Wundern seiner Siege, von der hohen Weisheit seines Wandels und ihn zum Schiedsrichter über das Geschick aller Menschen macht, als den, der Glück und Unglück, Frieden und Krieg, Heil und Unheil der menschlichen Wesen schafft.« (Réflexions sur la cruelle persécution que souffre l‘Eglise réformée de France, 1685.)

Neben den unbegrenzten Ansprüchen der Regierung Ludwigs XIV. an die Seele der Nation und den Gehorsam der Untertanen steht, ihr verbündet, die katholische Kirche. Sie ist ihrerseits in ihrem starken Zentrum, das eine widerstandsfähige Legierung von christlichem Feinmetall und weltlichem Grobmetall darstellt, als Kirche dem Staat untertan; sein wertvollster Vertreter ist Bossuet. Der rechte Flügel der katholischen Kirche, der Neu-Augustinismus der Jansenisten, ist ein edles, feingoldhaltiges Gebilde, welchem feindliche Einflüsse viel Schaden getan haben. Sein Gegenfaktor, der linke, jesuitische Flügel der katholischen Kirche Frankreichs, der immerdar etwas von dem elastischen, diamantharten und spitzen Stahl der spanischen Klingen von Toledo an sich hat, wird nicht ruhen, bis die Segensspuren jener frommen Männer und Frauen aus dem Bewusstsein des Volkes getilgt sind. Er wird nur den Namen des Mannes nicht zerstören können, der einen noch feineren Geist hatte als sie alle, und anders als sie eine völlig lautere Seele, und noch mehr: der den Geist Gottes in sich trug – den gesegneten Namen Blaise Pascals.

Es ist die doppelte Tragik des Protestantismus in den Jahrzehnten vor der Katastrophe von 1685, dass der genialste Christ des damaligen Frankreichs, Pascal, nicht aus seinen Reihen hervorgegangen war und nie in seine Reihen eingetreten ist, und zum anderen, dass er keinen kirchlichen Führer aufzuweisen vermochte, der an Bedeutung dem großen und auch innerlich wertvollen Bossuet gleichgekommen wäre. So scheint es wenigstens menschlichen Gedanken, doch war es Gottes Ratschluss, dass das Werk einer verachteten und immer mehr verachteten reformierten Kirche ein halbes Jahrhundert lang durch schlichte und unbekannte Soldaten Seines Reiches getan werden sollte, welche ihrem Herrn die Treue hielten, litten und starben, und deren verklungenes Glaubenszeugnis die Voraussetzung für den Neuanfang des Protestantismus schuf.

Die katholische Kirche zur Zeit Ludwigs XIV. kann man dahingegen beschreiben als die Kirche der bekannten und der brillanten Namen: Bossuet, Bourdaloue, Fénelon, Fléchier, Massillon. Um ihr gerecht zu werden, soll wenigstens hier ein Bild Bossuets gezeichnet werden, weil er ihr größter Vertreter ist, weil er als solcher ein gefährlicher Feind des Protestantismus wurde und weil die ernste Verkündigung dieses Hofpredigers dazu beiträgt, Ludwig XIV. gerecht zu belasten, entgegen der Sucht mancher Geschichtsschreiber, für jeden Großverbrecher der Weltgeschichte entlastende, aber niemals belastende Momente herauszustellen. Nebenbei bemerkt, kann in die Erwägung der Verantwortlichkeit des Königs teilweise auch Bossuets Nachfolger, Bourdaloue, mit einbezogen werden, sofern Frau von Sévigné offenbar ernsthaft von seiner Wortverkündigung berichtet: »Der Pater Bourdaloue hielt am Notre-Dame-Tag eine Predigt, die jedermann fortriss. Er sprach so mächtig, dass die Höflinge zitterten, und niemals hat ein evangelischer (sic!) Prediger die christlichen Wahrheiten so vernehmlich und großzügig (hautement et généreusement) verkündet. Es handelte sich aber darum, aufzuzeigen, dass jede irdische Macht dem Gesetz Gottes untertan sein muss, nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus … « (Brief an ihre Tochter vom 5. Febr. 1674).

Bossuet ist im Jahre 1627 in Dijon als Kind eines höheren Beamten geboren. Nachdem sein Vater nach Metz als Ratsdekan des dortigen Parlamentsgerichts berufen ist, bleibt sein Sohn, ein frühreifer Knabe mit schwarzen, sanften Augen, in der Obhut seines Bruders daheim zurück und besucht das Collège der dortigen Jesuiten; mit 8 Jahren erhält er als dem geistlichen Stande geweiht die Tonsur. Schon früh fällt sein außerordentliches Gedächtnis auf: Bald weiß er den ganzen Virgil, dann den Homer auswendig. Später entdeckt er die Bibel, die ihm eine persönliche Offenbarung wird und aus der er sich geradezu nährt. Als er dem Vater nach Metz gefolgt ist, wird er im Alter von 13 Jahren zum Kanonikus der Kathedrale von Metz ernannt. Die Fehler anderer Jünglinge seines Alters weist er nicht auf, an ihren leichtsinnigen Unternehmungen nimmt er nicht teil. Frühzeitig beherrscht ihn eine Leidenschaft für alles Wahre, Gute und Schöne. Nach dem Aufenthalt in Metz studiert er Philosophie im alten Collège de Navarre zu Paris und leuchtet dort als Stern und Vorbild. Mit 25 Jahren wird Bossuet Diakonus, dann Archidiakonus, dann Priester in Metz, eifrig predigend und mit allen Kräften die dortigen zahlreichen Protestanten bekämpfend.

Auf dem Höhepunkt seines Wirkens aber finden wir ihn nach dieser zweiten Metzer Zeit in Paris als gefeierten Prediger. Er wirkt in der Hauptstadt etwa bis 1669; die Massivitäten und derb-volks-tümlichen Ausdrücke seiner bisherigen Kanzelsprache fallen hier wie welke Blätter von ihm ab. Zuerst von der Königin-Regentin Anna als klassischer christlicher Redner hoch geschätzt, wird er auch von dem jungen König Ludwig XIV. ausgezeichnet, der seinen Vater ob eines solchen Sohnes beglückwünscht. Von 1670 bis 1679 wird ihm mit einigen anderen die Erziehung und Unterweisung des geistig stumpfen Dauphin, der nie König werden wird, anvertraut. Für den königlichen Zögling schreibt Bossuet eine Reihe von Abhandlungen und Büchern, darunter neben der schon angeführten »Politique des Saintes Ecritures« die »Abhandlung über die Erkenntnis Gottes und seiner selbst«, sowie den »Abriss der Universalgeschichte«.

Nachdem die Erziehung des Kronprinzen beendigt ist, erhält Bossuet das Bistum Meaux, in dem einst Briçonnet, der Reformkatholik mit dem halben Herzen, amtierte und in dem die erste evangelische Gemeinde erstand. Er bleibt auch dort der Vertreter der gesamten katholischen Kirche des Landes: ihr Vater, ihr Orakel und Mund, der anerkannte Prediger in großen Feierstunden, der bei besonderen Festlichkeiten und Trauerfällen immer wieder in Erscheinung tritt. Gelegentlich der Reichsversammlung des französischen Klerus im Jahre 1681 figuriert er als geistliches Haupt der Versammlung. Gegen die Übergriffe des päpstlichen Rom verfasst er die gallikanische Erklärung von 1682, welche proklamiert:

1.     die Unabhängigkeit des französischen Königs in weltlichen Angelegenheiten;
2.     die Unfehlbarkeit der Kirche (nicht des Papstes);
3.     den Primat des Papstes, jedoch neben ihm die Gleichordnung der Bischöfe als seiner Pairs und als direkte Nachfolger der Apostel.

Außerdem setzt er noch 1700, also kurz vor seinem Tod, eine Verdammung der Kasuisten, das heißt der Jesuitenmoral, durch, obwohl er weder Jansenist ist, noch die Kritik des Jesuitismus durch Pascals »Lettres à un Provincial« unterstützt.

Als er einige Jahre später den Pfarrer von Vareddes an sein Sterbebett kommen lässt und dieser seiner Beschämung Ausdruck gibt, einem so begnadigten Mann etwas sagen zu sollen, antwortet er demütig: »Täuschen Sie sich nicht! Gott gibt wohl dem einzelnen Menschen Gaben für die anderen, doch lässt Er ihn selbst oft genug in der Dunkelheit!«

Die Wortverkündigung Bossuets an die Gemeinde trägt weithin evangelische Züge in ihrer tiefen Abhängigkeit von Gott und Gottes Wort. Schon in Metz schließt er die »Predigt vom neunten Sonntag nach Pfingsten« mit den Worten:… »selon que Dieu me l’a inspiré«. In solcher Abhängigkeit von Gottes Geist will er jederzeit der Prediger der Heiligen Schrift sein, die er über alles liebt, in ihr besonders Jesaja, überhaupt die Propheten und die Psalmen. Er predigt im Stil eines Propheten, als ein Jesaja des Neuen Bundes. Er erschreckt die Zuhörer und erzeugt in ihnen Gewissensbisse, um sie zur Einkehr zu bringen. »Alle seine Reden sind Kämpfe auf Tod und Leben«, berichtet Madame de Sévigné.

Die seinen Predigten zu Grunde liegende Glaubensauffassung ist sehr einfach und genuin französisch gedacht. Die Religion schafft Klarheit und Gewissheit. Ohne sie ist alles dunkel, zweifelhaft und anfällig, durch den rechten Glauben wird alles erst »verständlich«, die Welt sowohl wie das menschliche Leben. Auch sein Lieblingsthema, das Glück, behandelt er rational, indem er es beschreibt als die »raison toujours attentive et toujours contente«, »die allezeit achtsame und allezeit genugsame Vernunft«.

Sein Sekretär in Meaux, der Abbé Le Dieu, skizziert einmal die Predigtvorbereitung seines Vorgesetzten. »Eines Tages, es war in der Fastenzeit, als er sich anschickte, in die Kirche St. Saintin zu gehen, um über die Zehn Gebote zu sprechen, sah ich ihn seine Bibel nehmen und barhäuptig und auf den Knien daraus die Kapitel XIX und XX des Exodus lesen, um sich die Blitze und den Donner und den Ton der Posaunen einzuprägen, mitsamt dem rauchenden Berg und all den Schrecken ringsum in Gegenwart der göttlichen Majestät – zuerst selbst erzitternd, um dann in seiner Rede die Herzen zum Erzittern zu bringen und sie schließlich für die Botschaft der Liebe zu öffnen. Dann, nach seiner Predigt, und wie um sich vor dem Beifall zu retten, kehrte er sogleich zu seiner Wohnung zurück und hielt sich dort verborgen, indem er Gott die Ehre gab für alle Gaben und für alle Barmherzigkeit – ohne zu Hause das geringste Wort verlautbaren zu lassen über die vollbrachte Leistung oder über den Erfolg, den er davongetragen hatte.«

Die Dogmatik Bossuets ist nichts als die orthodoxe katholische Glaubenslehre, in einfachen Linien mit dem Prinzip des absoluten Königtums zusammengefasst: »Ein Gott, ein Christus, ein Bischof, ein König«. In seinem Lehrgebäude spricht alles vom »juste milieu« eines französischen Normalkatholiken. »Il voit juste.« Er kennt keine Schwärmerei oder Gedankentollheiten, ja nicht einmal in seiner Ethik Exzesse der Tugend. Bestimmend für ihn ist die »Exaktheit in den Grenzen des Wahren, des Möglichen, des Nützlichen: Er ist gar zu weise, gar zu verständig« (Lanson)¬. Gerade hierin ist er ein Gegenstück zu Pascal, der in seinen »Pensées« sich selbst Einwendungen macht, der diese Einwendungen überwindet auf dem Wege innerer Auseinandersetzungen und innerer Selbstbezwingung. Bossuet scheint sich niemals dergleichen Fragen, nicht einmal die erste Frage nach dem Seligwerden, gestellt zu haben.

Im Schatten der Kirche erzogen, ist er schlicht zu ihrer Ehre und zu ihrer Verteidigung aufgewachsen, ohne sich je von ihr zu entfernen, allewege unerschütterlich und niemals kirchlich aus der Fassung zu bringen. Die bereits zu seiner Zeit einsetzende philologische Literarkritik der Heiligen Schrift, zum Beispiel in Sachen der mosaischen Tradition, gleitet von ihm ab. Wenn textkritische Schwierigkeiten oder Auslegungsprobleme entstehen, schlägt er die Knoten durch, sucht und findet Gewaltlösungen und geht dann den geraden Weg des einfachen Glaubens unbeirrt weiter. Einen Textkritiker der Schrift wie Richard Simon bekämpft er als Gefahr für die Kirche. Alle seine Gewissheit setzt er in den Himmel, aber, und hier liegt der wunde Punkt seines Lebens, er »verdoppelt die Akzente der Kraft und Autorität, sobald seine Füße besonders fest auf der Erde Frankreichs stehen«. Hier öffnet sich ein Abgrund zwischen dem christlichen Glaubenszeugnis der Bekenner, das in Angst und Not und über tiefen Klüften ausgesprochen wird, und der natürlich-fortreißenden Rede des Genius. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass Bossuet in seinen »Oraisons funèbres« und bei anderen sonderlichen Amtshandlungen von der Art der biblischen Wahrheitszeugen sich weit unterschied.

Gegen die Evangelischen hat Bossuet sein langes Leben hindurch einen Krieg geführt, der keinen Waffenstillstand kannte. Er sieht im reformierten Glauben einen zügellosen Subjektivismus, der notwendig und unausweichlich entweder in der Aufklärung oder in der Schwärmerei (illuminisme) enden muss. Der Protestantismus ist ihm »la révolte du sens individuel contre l‘Eglise«. Einmal, es ist in Paris, gerät Bossuet in eine öffentliche Kontroverse mit dem hugenottischen Pfarrer Jean Claude. Er bekennt davon später, dass er bei den vorzüglichen Ausführungen des Protestanten für die Seelen der Zuhörer gezittert habe. Literarisch tritt er in seinem »Abriss der Universalgeschichte«, und zwar in Übereinstimmung mit seiner theologischen Verfechtung des königlichen Absolutismus, ein für die daraus folgende Verpflichtung der Krone, den rechten Glauben gegenüber den Ketzern zu verteidigen. »Wenn der König, euer Herr Vater,« so redet er den Dauphin an, »die Ketzerei mit so zahlreichen Mitteln bekämpft und dies noch mehr tut, als bis anjetzt seine Vorgänger, so geschieht das nicht, weil er für seinen Thron fürchtet. Denn alles ist still zu seinen Füßen, und seine Waffen sind auf der ganzen Erde gefürchtet. Aber er tut es, weil er seine Völker liebt, und weil er, der er sich durch die Hand Gottes zu einer unvergleichlichen Macht im Universum berufen sieht, von seiner Gewalt keinen schöneren Gebrauch machen könnte, als sie in den Dienst der Kirche zu stellen, dass er ihre Wunden heile.«

Als Ludwig XIV. das Gnadenedikt von Nantes aufhebt, teilt Bossuet, noch päpstlicher als der Papst, die Meinung des Mitunterzeichners der neuen Verfügung, Le Tellier, dass die Weisheit und Frömmigkeit dieser königlichen Tat zu preisen sei. Die Ausrottungsparagraphen wendet er ohne irgendeinen Begriff von grundsätzlicher Toleranz gemäßigt an, insbesondere aus der Furcht heraus, durch erzwungene und falsche Bekehrungen die Sakramente entheiligt zu sehen.

Unter dem Eindruck des Gesamtbilds Bossuets als der anerkannten Verkörperung des französischen Katholizismus seiner Zeit wirkt das bald alles andere verdrängende Bild des neu gekrönten, überaus katholischen Allherrschers Ludwig XIV. fremd und anders geartet, fast noch mehr anders geartet in seinen späteren bigotten Jahren als in seiner weltlichen Jugendperiode – wie denn Anderssein überhaupt für Ludwig XIV. kennzeichnend ist.

»Ludwig mag als Inbegriff der Größe Frankreichs erscheinen: Das eigentliche französische Wesen findet in ihm nicht seine Verkörperung« (Seignobos). Er hat nichts von Franz I., den das Volk liebte, weil es in ihm seine Art, seinen Geist und seine Schwächen erkannte. Er hat nichts von dem quicklebendigen, einfallsreichen, witzigen Heinrich IV., seinem Großvater. Er hat nichts vom Geist der französischen Renaissance; um das zu sehen, genügt es, Schloss Chambord mit Ludwigs Schloss in Versailles zu vergleichen. Er ist anders als seine schwache Mutter und anders als sein zerfahrener Vater, wenn nämlich Ludwig XIII. sein Vater war. Und wenn Mazarin sein natürlicher Vater gewesen ist, dann war Ludwig auch anders als der geschmeidige Sizilianer.

Äußerlich ähnlich ist Ludwig der spanischen Lebensart. Als Sohn einer spanischen Habsburgerin und als Gatte einer spanischen Infantin bringt er viel von spanischem Formenwesen nach Frankreich: spanische Glanzentfaltung, höfische Repräsentation und Etikette. Steife Feierlichkeit zieht mit ihm in Paris ein und bahnt den Prozess einer fortschreitenden glänzenden Erstarrung an. Alles ist korrekt und wird immer korrekter. Das spätere Wort Ludwigs XVIII.: »L’exactitude est la politesse des rois« ist vielleicht eine unwillkürliche Erinnerung an den Schlossherrn von Versailles. Der König lebt nicht mehr wie ein ungebundener großer Edelmann, sondern arbeitet als der höchste Beamte Frankreichs, richtiger als der Amtsträger Frankreichs beinahe bürokratisch in ewig festgelegten Geleisen.

Als Bausteine für sein Werk nimmt er die Werte der Gegenwart, wo er sie findet, und braucht sie auf. Er lässt die Talente der Provinz in Erscheinung treten, indem er aus der gehobenen Bourgeoisie den Briefadel schafft, der seinerseits ihn erhebt und ihm dient. Noch mehr aber versteht er die Kräfte und Anstöße der kulturell überreichen letzten Generation »wie in einem Brennglas zu sammeln und sie zusammengefasst zu einer ungeheuren Lichtwirkung zu bringen, in der sie sich teils langsam erschöpfen, teils auch vorzeitig trübe werden und verlöschen«.

Sonderlich die Kunst, die bisher vornehmlich der Religion diente, stellt Ludwig in den Dienst der Staatsherrlichkeit, die in ihm seine Verkörperung hat. In der Architektur verbietet sich ihm der von den Gegebenheiten dieser Erde fortweisende gotische Kirchenbaustil von selbst. Die Baukunst hat die Glorie seiner Herrschaft zu erhöhen und wird in römisch-cäsaristischem Klassizismus und in prunkvollem Barock mit flächenhaften Ornamenten die Wucht, den Glanz und die Flächenhaftigkeit seines Lebens vollendet wiedergeben.

Wenn die Geschichte der bourbonischen Dynastie einmal in einer Kurve gedacht wird, so ist die Ära Ludwigs XIV. als Phase dieser Kurve ihr Höhepunkt, das heißt also der Punkt, von dem ab sie sich, und zwar schon während seines langen Lebens, zu senken beginnt; im Rahmen eines rechtwinkligen Koordinatensystems, dessen Abszisse den Zeitverlauf darstellt und dessen Ordinate den höchsten Punkt der Machtkurve trägt, würde die Abszisse etwa im Jahre 1670 geschnitten werden. Eben darum prangt die Kultur Ludwigs XIV. im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts in allen satten Farben des Spätsommers, und der Duft, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch die zahllosen Säle von Versailles zieht, erinnert je länger je mehr an den würzig-müden Geruch goldbrauner, fermentierender Blätter im Herbst. Auch die hoch begabten Geschlechter des vergangenen Jahrhunderts sind dann abgewelkt, und eine Komparserie von Menschen kleinen Kalibers und unzähliges byzantinisches Geschmeiß treibt im kalten Rampenlicht des Hofs sein Spiel um den alt gewordenen Monarchen.

Für das Verhältnis von Religion und Staat bringt die Zeit und das System Ludwigs XIV. die letzte Entscheidung. Geometrisch gedacht könnte man sich den christlichen Glauben und die königliche Staatsgewalt vorstellen als zwei auf verschiedenen Ebenen liegende Wirklichkeiten. Mit dem Prozess der Verweltlichung der Kirche wird gleichsam das Kraftfeld des Kreuzes so geneigt, dass es schließlich mit dem der Krone annähernd auf die gleiche Ebene zu liegen kommt. Diese ebene Fläche hat die Form einer Ellipse, deren beide Brennpunkte Kreuz und Krone sind, und jetzt beginnt im weiteren Verlauf der kirchlichen Säkularisierung eine unheimliche Macht, die Ellipse so zusammenzupressen, dass sie zu einem Kreis mit einem einzigen Brennpunkt wird. Kreuz und Krone fallen zusammen, entweder so, dass das Kreuz die Krone überdeckt – das ist das Bild der Herrschaft Philipps II. von Spanien – oder so, dass die Krone das Kreuz verschlingt – das ist die Herrschaft Ludwigs XIV.

So wird Ludwig XIV., aktuell auf dem Grund des absoluten Königtums lebend, monomaner Vollstrecker seines Staatsaxioms. So wird Philipp II. von Spanien, auf dem zeitlosen Fundament unveränderlichen Glaubens lebend, folgerichtiger Exekutor des kirchlichen Dogmas. In diesem Sinne schreibt Philipp in Sachen seines scheinbaren Nachgebens gegenüber der niederländischen Regentin nach Rom: »… so könnt Ihr Seiner Heiligkeit versichern, dass ich, ehe ich den geringsten Bruch in der Religion und im Dienst an Gott geschehen lasse, eher alle meine Staaten verlieren will und hundertmal mein Leben, wenn ich es hätte …« In diesem Sinne setzt Rudolf Schneider vor seine Charakterbeschreibung des spanischen Königs das Wort Fichtes vom Regenten: »Auf diese Weise ergreift und durchdringt ihn die Idee ganz, durchaus und ohne Rückhalt, und es bleibt nichts übrig von seiner Person und seinem Lebenslauf, das nicht ihr als ein immer währendes Opfer fortbrenne.«

Ludwig XIV. ist durchaus anders orientiert als Philipp II. Er verliert sich nicht in seinem Amt, sondern spiegelt sich in ihm. Man glaubt an diesen König als an die Inkarnation der gottgesetzten irdischen Zentralautorität – auch die Reformierten glauben so an ihn – weil man sieht, dass er an sich glaubt, besser, dass er unverbrüchlich an die göttliche Würde glaubt, deren Erscheinungsform er ist. Sein natürliches Ich ist eine Verwirklichung seines königlichen Ichs. Dieses Denksystem hat den Vorteil einer unübertrefflichen Geschlossenheit für seinen Träger, der in untrennbarer Personalunion mit seinem Amt steht und der mit dem spanischen Shakespeare, mit Lope de Vega, von sich sagen kann: »Yo me sucedo a mi mismo«, »Ich bin der Fortsetzer meiner selbst.« Die persönlichen Eigentümlichkeiten oder Lebensäußerungen oder Anwandlungen sind dann nur Begleitumstände, den Wellen auf dem grenzenlos tiefen Meer gleich, deren Gekräusel am Ozean nichts verändert. Es verschlägt letztlich nichts, ob der Souverän ein großer Mann ist, gemessen an der schwindelnden Höhe des Postaments, auf den ihn die neue Ideologie gestellt hat.

Der letzte Widerstand, der sich diesem Prinzip in Frankreich entgegenstemmt, ist der Protestantismus mit seinem Zeugnis vom ganzen Anspruch Gottes an die Seele: ein erratischer Block, ein gewaltiger Meteorstein vor dem Endziel der Rennbahn, den man zur Seite wirft oder sprengt – den man zur Seite wirft, oder, wenn das nicht genügt, den man sprengt: Das ist im Bild der Abriss des protestantischen Schicksals in Frankreich innerhalb der Regierung Ludwigs XIV. in seinen beiden Abschnitten der Jahre 1661-1684, und abermals von 1685 bis gegen 1715. Inwieweit Ludwig XIV. sein Vernichtungswerk in klarem Erfassen, in reflektiertem Bewusstsein dieser inneren Spannungen tut, oder inwieweit er in seiner Verfolgung der reformierten Kirche mit der dumpfen Instinktsicherheit eines Besessenen handelt, steht dahin. Für das Letztere sprechen besonders die Auskünfte St. Simons, die auch geeignet sind, das grauenhafte Schuldkonto Ludwigs um ein weniges zu verringern.

Zuvor ist daran zu erinnern, dass ihm als Katholiken von vornherein die Religion sehr vielmehr eine Summe von magischen Handlungen mit religiöser Bedeutung ist, denn eine Lehre und Botschaft. Infolgedessen muss ihm die reformierte Kirche Frankreichs, als aller Zeremonien entbehrend und auf das rechte Evangelium sich berufend, unverständlich, fremdartig, ja verdächtig erscheinen. Über die wahren Qualitäten, Anliegen und Nöte seiner protestantischen Untertanen hält ihn seine Umgebung geflissentlich in Unwissenheit. »Ich möchte wünschen, dass der König einsähe, wie weit er davon entfernt ist, jemals die Wahrheit zu erfahren«, schreibt Frau von Sévigné 1664 an den Marquis von Pomponne. St. Simon, der bedeutendste zeitgenössische Chronist, spricht in scharfen Ausdrücken von der »massivsten Unwissenheit in jeder Beziehung, in der man den König mit Vorbedacht erzogen hatte«.

Er fährt fort: »Die Königin-Mutter, und der König noch viel mehr als sie in der Folge, hatten sich, verführt durch die Jesuiten, durch jene von dem exakten und präzisen Gegenteil der Wahrheit überzeugen lassen, nämlich dass jede andere Richtung als die ihrige wider die königliche Autorität sei und schlechterdings einen Geist der Unabhängigkeit und des republikanischen Denkens habe. Über alle diese Dinge, wie über viele andere, wusste der König nicht mehr als ein Kind, … und war in Sachen seiner Autorität empfindlich bis zur Sinnlosigkeit…. (Später) war der König fromm geworden, und zwar fromm im Sinne einer allerletzten Unwissenheit. Mit der Frömmigkeit verband sich ihm die Politik. Man wollte ihm gefallen, indem man an die Punkte rührte, in denen er am empfindlichsten war, an die Fragen der Frömmigkeit und des Machtanspruchs. Man malte ihm die Hugenotten in den schwärzesten Farben: ein Staatswesen im Staatswesen, zu dieser Zügellosigkeit (der Prätension) emporgestiegen durch Aufruhr, Aufstand, Bürgerkriege, Verbindung mit dem Ausland, offenen Widerstand gegen die Könige seiner Vorgänger, und er selbst (der König) dazu gezwungen, mit ihnen in gütlichem Vertragsverhältnis zu leben«.

Es ist kaum anzunehmen, dass das Bild eines so scharfen Beobachters stark verzeichnet ist. Die Tatsache, dass gelegentlich die Stimmen der reformierten Gemeinden, wie einmal in der Person des Pariser Predigers Jean Claude, bis in die Ohren des Königs drangen, ohne seine vorgefasste Meinung im Geringsten zu erschüttern, bestätigt nur die gezeichnete Linie. Auch das, was Ludwig auf ein treues Schreiben des großen Kurfürsten von Brandenburg mit herzlicher Fürbitte für dessen bedrängte französische Glaubensgenossen antwortet, zeugt von der gleichen Ahnungslosigkeit des Königs über seine Unwissenheit in Sachen der evangelischen Gemeinden und ihres traurigen Geschickes – wenn nicht von einem Gewissen, das schon zu viel von jesuitischen Methoden weiß. So nämlich schreibt Ludwig XIV. am 10. September 1666 an den reformierten Brandenburger: »Es gibt in meinem Königreich keinerlei kleine oder große Angelegenheiten der Art, von welcher hier die Rede ist (nämlich der religiösen Bedrückungen), die mir nicht völlig bekannt wären, ja, die ohne meine Befehle geschähen … Eine meiner vornehmsten Praktiken (applications) ist: gewissenhaft dafür zu sorgen, dass meinen Untertanen von der genannten Religion alles zuteil wird, was ihnen durch die Konzessionen der Könige, meiner Vorgänger, zusteht, sowie auch durch die meinigen kraft meiner Edikte, ohne dass ich eine Zuwiderhandlung gegen diese Erlasse dulde.«

Die um das Jahr 1680 in Erscheinung tretende Bekehrung des Königs zu einem sittlich geordneten Leben steht unverkennbar im innigsten Zusammenhang mit seiner Einwilligung zur Ausmerzung des reformierten Glaubens. Es ist notwendig, zum Verständnis dieses Umschwungs ein wenig zurückzugreifen. Die Jugend Ludwigs, beherrscht von der jünglingshaften und reinen Liebe zu der stolzen Nichte Mazarins, Maria Mancini, erlebt, dass die kalte Hand des allmächtigen Kanzlers die junge Knospe seiner Neigung knickt. Aus politischen Gründen wird Ludwig mit der spanischen Infantin vermählt, die ihm zuerst gefällt, aber deren gleichmütiges Temperament ihn bald langweilt. Neben sie tritt nun eine Reihe von Mätressen und Liebesverhältnissen, unter denen der Doppelehebruch mit Frau von Montespan ihn am schwersten belastet, obgleich sein jesuitischer Beichtvater Père Lachaise nicht wagt, ihn wegen dieser, kirchlich gesprochen, Todsünde von den Sakramenten auszuschließen. In der Mitte der vierziger Jahre seines Lebens nimmt der Einfluss der katholisch-orthodoxen Madame Scarron – diese abtrünnige Tochter aus dem wundervollen hugenottischen Geschlecht der d’Aubigné sollte die Mutter des zweiten großen Hugenottenmordens in Frankreich werden – derartig zu, dass der König den Aufforderungen seines jesuitischen Beichtvaters zur Überprüfung und zur Wiedergutmachung seines Lebens auf anderem Wege ein immer willigeres Ohr schenkt.

Die Bekehrung des Königs und die Bekehrung der Ketzer als Sühne für seinen bisherigen ausschweifenden Wandel in ihrem vorgegebenen Verhältnis von Ursache und Wirkung und in ihrer praktischen Auswirkung erweisen sich für ihn und für sein Land als so schwerwiegend, dass Henri Martin in seiner umfassenden Darstellung der Zeit geradezu schreibt: »Die Bekehrung Ludwigs sollte für Frankreich unheilvoller werden als seine vergangene sittliche Zügellosigkeit (désordres).« Zugleich gibt der Weg der Abtragung der Sündenschuld durch das zusätzliche gute Werk der Protestantenvernichtung dem König den erwünschten moralischen Vorwand zur Ausscheidung des letzten grundsätzlichen Widerstands gegen seinen All-Anspruch; schon Jacob Burckhardt hat darauf aufmerksam gemacht, dass hier religiöser Anlass und politischer Grund zu unterscheiden sind.

Über die Entwicklung, die zur brutalen Auslösung des latenten Konflikts zwischen der Menschenvergötterung von Versailles und der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit führen sollte, berichtet Madame Scarron, die zur Marquise von Maintenon und später zur Gemahlin des Königs erhoben wurde, in einem Brief vom 28. Oktober 1679: »Der König gesteht seine Schwächen. Er erkennt seine Fehler an. Er denkt ernsthaft an die Bekehrung der Häretiker, und in kurzer Zeit wird man im Ernst an diese Sache herangehen können (on y travaillera tout de bon).« Am 24. August 1681 schreibt sie bereits: »Der König beginnt ernstlich an das Heil seiner Seele und an das Heil seiner Untertanen zu denken. Wenn Gott ihn uns erhält, werden wir nur noch eine Religion im Land haben.«

Von den angegebenen Tatbeständen aus gesehen ist das Schicksal der Hugenotten Frankreichs von jetzt ab nichts anderes als ein automatischer Ablauf. Der Generalvertreter der evangelischen Kirchen bei der Regierung war bisher Ruvigny gewesen; 1635 war er zum Landesdeputierten der reformierten Kirchen ernannt worden. Seine Loyalität gegenüber der Regierung, welche ihn sogar gelegentlich mit politischen Aufträgen bei Auslandsprotestanten gebraucht hatte, sowie seine Geschicklichkeit hatten ihm einige bescheidene Erfolge eingebracht. Vom Regierungsantritt Ludwigs im Jahre 1661 an erreicht er nichts mehr, denn jetzt schon beginnt »le grand dessein« – der Plan, die Hugenotten zu vertilgen – sich am Horizont abzuschatten. Bereits zur Zeit Richelieus hatte Codurc, ein protestantischer Renegat, empfohlen, zur Schwächung der Protestanten vorerst ihre Nationalsynoden zu verbieten. Jetzt verschwindet auch jede letzte Rücksichtnahme. Nach der Vermählung des Königs mit der spanischen Infantin beantragt der Bischof von Lavaur formell die Beseitigung der »R.P.R.«, der »Religion Prétendue Réformée«. Als Vorbereitung zur Erreichung dieses Ziels sendet man Kommissare aus, welche der Anwendung des Toleranzedikts von Nantes auf die Protestanten ein neues Verständnis erschließen sollen.

Die evangelische Kirche Frankreichs ist Anfang der sechziger Jahre noch verhältnismäßig fest gefügt in Provinzial- und Kreissynoden und aufgebaut durch gesunde Wortverkündigung, Gemeindezucht, Studium der Heiligen Schrift und Psalmengesang. Dass auch der Geist Gottes noch erweckend, noch belebend wirkt und weht, ergibt sich aus dem in den königlichen Verboten auftretenden Begriff der »Relaps«, das heißt der vom evangelischen Glauben abtrünnig gewordenen Personen, die gleichwohl immer wieder die hugenottischen Gottesdienste aufsuchen, weil Gewissensbisse sie peinigen, die immer wieder in die Gefahren hineinlaufen, denen sie eben durch ihre Abschwörung entronnen sind. Ja, bis in die sechziger Jahre hinein wissen wir aus protestantischen Synodalprotokollen von Katholiken, die allem politischen und wirtschaftlichen Druck zum Trotz in feierlichem Akt vor der Gemeinde ihren Irrtum bekennen und ihren Glauben an den einzigen Erlöser und Versöhner ihrer Seele bezeugen. Ein Aktenstück des Consistoire von Dangeau vom 20. November 1661 beschreibt uns zusammenhängend einen solchen Fall:

»Jehan von Vatetot, Stallmeister, Edelmann aus genanntem Ort, zur Zeit wohnhaft in unserem Sprengel bei Herrn von Margontier, seinem Onkel, hat sich vordem zu verschiedenen Malen dem Consistoire unserer Kirche vorgestellt und Zeugnis abgegeben von der Erkenntnis, die Gott ihm über die Irrtümer der katholischen Kirche geschenkt hat, in der er bisher geistig ernährt und aufgezogen worden ist, und von dem Verlangen, das Gott ihm ins Herz gegeben habe, die Wahrheit Seines heiligen Evangeliums anzunehmen und sich offen und öffentlich zur Reinheit der Religion zu bekennen, wie sie durch die reformierten Kirchen dieses Königreichs bezeugt wird.

Er ist ernsthaft ermahnt worden, die Tragweite einer solchen Entscheidung zu überschlagen und sein Gewissen so reiflich zu prüfen, dass er sich völlig klar wird, durch keinerlei menschliche Erwägung geleitet zu werden, sondern einzig und allein durch heiligen Eifer zur Ehre Gottes und inbrünstige Bekümmertheit um sein Seelenheil; – weiter, dass er beharre bei der schon abgegebenen Erklärung, dass er sich zum Austritt aus der Gemeinschaft mit Rom nur veranlasst fühle durch den inneren Trieb des Heiligen Geistes – (mouvement du Saint Esprit) – und dass, um hinfort der Stimme des großen Hirten und Bischofs unserer Seelen, unseres Herrn Jesu Christi zu folgen, welche Stimme er in Seinem Worte vernommen hat und die er alle Tage in den Kirchen unseres Bekenntnisses erklingen hört, während ihm solche in der römischen Kirche verborgen war und verhüllt durch den Schleier einer fremden Sprache und durch die Anbetung sterblicher Menschen – also hat er öffentlich vor der gesamten Gemeinde Zeugnis abgelegt (protesté), dass er aus freiem Herzen, ohne Zwang und mit Freudigkeit, und wohl wissend um seine Verpflichtungen gegenüber der großen Barmherzigkeit Gottes, der katholischen Kirche entsage, welcher er bisher aus Unwissenheit gefolgt sei; dass er insbesondere absage dem angeblichen Messopfer, der Lehre von der Wandlung, der Anrufung der Heiligen, der Bilderanbetung, dem Glauben an ein angebliches Fegefeuer und ganz allgemein allen Irrtümern und Lehren, die in der römischen Kirche bekannt werden und die im Gegensatz zu Gottes Wort stehen. Er hat versprochen, dass er von ganzem Herzen und ganzem Gemüt bis zum letzten Seufzer anhangen wolle der Reinheit der evangelischen Religion, so wie sie in den reformierten Kirchen dieses Königreichs bekannt wird, und hat also um Aufnahme in die Gemeinde ersucht. Danach ist er (formell) aufgenommen worden durch Monsieur Testard, Pastor dieser unserer Kirche von Dangeau.

Wovon wir dieses Protokoll aufgenommen haben, damit es zu seiner Zeit und an seinem Ort diene und gelte. (Gezeichnet:) Jehan de Vatetot; Testard, (pasteur); Durand, Poirier, Poirier, (anciens).«
Gegen diese reformierten Gemeinden richtet sich das jetzt neu erarbeitete Verfahren der königlichen Kommissare. Es gilt, das Gnadenedikt von Nantes mit dem Schein des Rechts abzubauen, so nämlich, dass es durch perfide Ausführungsbestimmungen gegen diejenigen gewandt wird, zu deren Schutz es verfasst war. Weiter gilt es, mit Geschick Verfügungen des Edikts von Nantes, welche unangreifbare Garantien darstellen, Satz um Satz zu lockern und dann unversehens fallen zu lassen.

Wenn zum Beispiel im Gnadenedikt von Nantes den Protestanten garantiert war, ihre Toten auf den ihnen zugehörigen Friedhöfen bestatten zu dürfen, wird zunächst einmal das Recht der Friedhofsbenutzung nach Möglichkeit angefochten. Sodann werden Einengungsbestimmungen darüber getroffen, wann die Beerdigung stattfinden darf, nämlich nur des Nachts oder vor Sonnenaufgang, sowie über die begrenzte Zahl derer, die dem Sarg folgen dürfen. Schließlich ist aus dem garantierten und somit ordnungsgemäßen kultischen evangelischen Begräbnis die nächtliche, ehrlose Einscharrung eines Paria geworden.

Letzte Reste protestantischer Selbstständigkeit auf dem Land werden bis in das kleinste Dorf hinein auf dem Umweg zerstört, dass man jedweder Zivilgemeinde die politische Selbstverwaltung nimmt, und zwar verleiht eine königliche Verfügung von 1664 den entmündigten Gemeinden zwangsweise katholischen Charakter. Damit ist die katholische Schule die einzige kommunale und nationale Unterrichtsanstalt geworden; anders ausgedrückt: Der Glaube des absoluten Fürsten bestimmt endgültig die geistige und kulturelle Bildung der Jugend. In dem protestantischen Languedoc setzt der Kommissar für die »Prüfung der missbräuchlichen Auslegung des Edikts von Nantes«, wie der heuchlerische Ausdruck heißt, binnen 15 Jahren durch, dass kein Evangelischer mehr ein öffentliches Amt bekleidet. Im Jahre 1679 sind alle Inhaber der so genannten Konsulate Katholiken. Eingegangene katholische Kirchen werden zwangsweise wieder hergerichtet. Die protestantischen Krankenhäuser werden abgebaut, und die hugenottischen Erziehungsanstalten und höheren Lehranstalten werden geschlossen.

Das System der Kinderbekehrung wird immer stärker entwickelt. Ein Kind, das sich überreden lässt, ein Kreuz zu schlagen, oder das mit einem einzigen Satz zugibt, dass die katholische Messe doch schöner sei als der reformierte Kultus, gilt als bekehrt und wird den Eltern genommen. Im Juni 1681 proklamiert der König, dass die protestantischen Kinder sich bereits mit sieben Jahren dem wahren katholischen Glauben zuwenden können. Den Widerstrebenden hilft man durch Drohungen nach. In einem Ort zündet man um ein Kind ein Feuer an, zwischen dessen Flammen es jammervoll schreit: »Mein Gott, hilf mir!« In Loudun ist ein kleines Mädchen von sieben Jahren in die Hände einiger Damen von der »Propagation de la Foi« gefallen, die es drei Tage lang quälen, um seine Zustimmung zum katholischen Glauben zu erlangen. Als alles vergeblich ist, legt man es quer über eiserne Feuerböcke und kündigt ihm an, man werde ein Feuer unter ihm anzünden, wenn es nicht nachgäbe.

Die Zerstörung einer evangelischen Kirche wird ohne weiteres verfügt, sofern an einem in ihr abgehaltenen Gottesdienst auch nur ein einziger Relaps teilgenommen hat. Unterdessen geben die Hugenotten für Kultus und Abendmahlsfeiern geprägte Münzen als Erkennungsmarken aus, die »méreaux«, die nur Gemeindegliedern zur Verfügung stehen. Es ist der Mühe wert, eine solche sinnige Prägung zu beschreiben. Die Vorderseite zeigt im Bild die kleine Herde Christi. Der gute Hirte hält in der rechten Hand einen Speer, mit der linken hebt er sein Horn an den Mund, um seinen Tierlein das Warnungssignal zu geben. Über ihm flattert die Kreuzesfahne. Die Rückseite stellt unter einem Strahlenherzen ein geöffnetes Buch dar, dessen linke Seite den Trostspruch trägt: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde«, und rechts: »St. Luc. ch. 12. vt 32«. In dem Maße, als immer mehr Kirchen geschlossen oder niedergelegt werden, hält man schon seit 1663 gottesdienstliche Zusammenkünfte an wüsten Orten, im »désert« ab.

Unter dem Druck der fortschreitenden Entrechtung beginnen die Hugenotten in Massen auszuwandern; um ihres Glaubens halber finden sie sich bereit, auch das von ihnen über alles geliebte »pays de France« daranzugeben. Im Jahre 1681 lädt sie König Karl II. von England ein und verheißt ihnen zahlreiche Rechte. Sein Nachfolger, Jacob II., bringt es über sich, die für die Vertriebenen in England gesammelte eine Million Franken zurückzuhalten mit der Bemerkung, dass kein Reformierter einen Heller davon sehen werde, der sich nicht zuvor der anglikanischen Kirche angeschlossen habe. Der lutherische König von Dänemark heißt die Flüchtlinge in seinem Land willkommen und sagt ihnen freie Ausübung ihres Bekenntnisses zu. Die Stadt Amsterdam verspricht ihnen Bürgerrechte und lässt tausend Siedlungshäuser für sie bauen. Als Antwort der französischen Krone folgt im Jahre 1682 das erste Emigrationsverbot, weil die Regierung mit Schrecken wahrnimmt, welche Einbuße an bestem Menschenmaterial diese Auswanderungen für das Land bedeuten.

Diese Erkenntnis vermag nicht, sie an der zwangsläufigen Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses zu hindern. Als dogmatischer Unterbau der Gewaltmaßnahmen erscheint in Paris eine theologische Schrift, welche die staatspolitische Anwendung des Gleichniswortes »Nötige sie hereinzukommen!« des Kirchenvaters Augustin in Erinnerung bringt. Für die Exekution des »großen Plans« wird ein neues System der militärischen Erpressung ausgebaut, eine Erfindung Louvois’, die »Conversions par logements«. Anfangs wird es gelegentlich angewandt, wie zur Sühnung eines Streits zwischen den protestantischen und katholischen Zöglingen einer höheren Lehranstalt in Montauban; man lässt 5.000 Mann Soldateska einrücken und bei den Evangelischen Quartier beziehen. Später, im Béarn, gebraucht man es systematisch, um ganze protestantische Landstriche, Städte und Gemeinden zur Massenbekehrung zu bringen. Selbst ehrenwerte Katholiken, wie Bossuet, lassen die entmenschten Horden in ihrem Bezirk wüten. Durch Ausplündern, Misshandeln und Martern werden die Evangelischen dazu gebracht, wenigstens die drei Worte: »Je me réunis«, »Ich schließe mich wieder an«, auszusprechen, die neue Formel der erleichterten Abschwörung.

Die dunkelste Seite dieser so genannten Dragonaden ist nicht die Plünderung und Gewalttat, ja nicht einmal die Folterung, sondern das Hinabquälen der Hugenotten in einen Zustand der Unzurechnungsfähigkeit, in dem sie ihr christliches Gewissen auf immer schwer belasten. Das ist die Methode der »Veilles forcées«, der erzwungenen Schlaflosigkeit. Eine Reihe von Tagen und Nächten werden die Opfer am Einschlafen gehindert. Man zwingt sie, hin- und herzugehen, man schüttelt sie, man schlägt sie mit scharfen Ruten, kitzelt sie oder sticht sie mit Nadeln, vielleicht auch unter gleichzeitiger Entziehung aller Getränke und Speisen. Die Folge ist eine langsam eintretende Unzurechnungsfähigkeit, Betäubung oder Raserei, in der der Delinquent alles Verlangte erklärt oder unterschreibt, ohne recht zu wissen, was er tut. Dann lässt man ihn ausschlafen, und wenn er erwacht, erkennt er sich mit Entsetzen als einen vom Glauben Abgefallenen wieder. So hatte man in Nîmes einem alten Mann namens Lacassagne 50 Soldaten ins Haus gelegt, welche, als die gebräuchlichen Mittel der Brutalität nicht fruchteten, ihn nächtelang am Schlaf hinderten. Dazwischen hinein ließ man ihn gegen eine Bezahlung von 10 Talern je eine Stunde schlummern, um außerdem bares Geld aus ihm herauszupressen. Endlich erklärte er sich zum Nachgeben bereit und wird nun dem katholischen Bischof Séguier vorgeführt, um seinen Widerruf formell zu unterzeichnen. Dieser Oberhirte sagt zu ihm: »Jetzt wirst du Ruhe haben!« Der alte Mann antwortet verzweifelt: »Ruhe erwarte ich nur im Himmel, und Gott gebe, dass meine Tat mir nicht den Himmel auf ewig verschließt.«

So wird Protestant um Protestant, Familie um Familie, Gemeinde um Gemeinde auf mannigfaltige Weise »expediert«, wie es der Statthalter des Languedoc ausdrückt, der die Bekehrung von 240.000 Hugenotten durch den bestialischen St. Ruth in kürzester Zeit erledigen lässt. Schließlich fällt noch die Pariser Kirche von Charenton trotz des moralischen Schutzes, den die ausländischen Gesandtschaften protestantischer Höfe ihr bisher hatten gewähren können, nach einem erschütternden Abschiedsgottesdienst ihres Predigers. Auch der letzte Zeuge evangelischen Glaubenslebens in dem unterworfenen La Rochelle, die protestantische Kirche in dieser alten Hugenottenfestung, wird niedergerissen. Ihre Glocke, die zu Gebet und Gottes Wort gerufen hatte, wird symbolisch ausgepeitscht und in die Erde versenkt. Dann wird sie wieder ausgegraben: Eine katholische Hebamme wird ihr gestellt zur Wiedergeburt, auch eine Amme für das neugeborene Kind, ihm zum Wachstum im neuen Leben zu verhelfen. Diese tolle Farce verdeutlicht aufs Beste, was Rückblick, Gegenwartsgedanke und Ausblick der Aktion gegen die Protestanten war: Die »R.P.R.«, die »angeblich reformierte Religion« ist schuldig gesprochen, der Bestrafung anheim gegeben, ins Grab der Zeiten gesenkt, und der Aufstieg der ihr verfallen gewesenen Volksteile zum Licht des rechten Glaubens steht bevor und wird mit zureichenden Mitteln bewirkt werden.

Eine letzte Bittschrift des Predigers Jean Claude an Ludwig XIV. bleibt unbeantwortet. Er hatte in ihr noch einmal dem König vorgestellt: »Zwei der unverletzlichen Grundsätze der Protestanten sind, Gott zu fürchten und Eure Majestät zu ehren, nicht nur aus Gründen der Furcht, sondern gewissenshalber, wie es das Wort Gottes vorschreibt.« In dem großen Vertrauen »in die königliche Autorität unseres erhabenen Monarchen«, das ihn und viele seiner Brüder im Amt bis zur Zurücknahme des Edikts von Nantes beseelte, fügt er hinzu: »Die Bittsteller sind überzeugt, dass Eure Majestät niemals seine Macht gebrauchen werde, um eigenhändig die Schranken des Rechts zu durchbrechen und die Schranken Ihrer Zusage niederzulegen.«

Unterdessen war Ludwig XIV. mit den notwendigen Vorbereitungen beschäftigt, das »ewige und unwiderrufliche« Edikt seines Großvaters aus der Geschichte seines Volkes zu streichen. In einem Brief des Spätsommers 1685 hatte Frau von Maintenon von ihrer Mitarbeit gesagt: »Ich werde nicht überflüssig sein!« Sie will nicht die Vergewaltigung der Ketzer, aber ihre Bekehrung, und sie macht dem König klar, dass Gottes Wille mit der Stimme seines eigenen Machtanspruchs gleichbedeutend sei und dass den eigenen Gedanken gehorchen in diesem Fall vor Gott verdienstlich genannt werden müsse. Völlig deutlich wird jetzt dem König, dass, wie er an den Pariser Bischof Harlay schreibt: »… Gott zu Seiner Ehre das Werk vollenden wird, das Er Mir inspiriert hat.« Dieses Werk und Ziel wird später, gegen Ende des Jahrhunderts, durch den abtrünnigen Hugenottenpfarrer von Nîmes in seinem »Discours sur l’ancienne discipline« abermals formuliert: »Un Roi, une loi, une foi dans le royaume«.

Über die peinliche Frage, mit welchem Recht ein unwiderrufliches Königsedikt mit dem grünen Siegel, wie das von Nantes, widerrufen werden kann, berät sich der König mit einigen gefälligen Hofjuristen. Er sucht bei ihnen eigentlich nicht Beratung, sondern Billigung, wie ihm denn schon einst in seiner Jugendzeit von Kardinal Mazarin das italienische Wortspiel vom »Niente« – vom »Nichts« – des Nantes-Edikts versuchlich vorgesagt worden war. Ludwig XIV. kann nicht geltend machen und hat 1685 nicht geltend gemacht, wie irrig angegeben wird, dass es keine Evangelischen im Lande mehr gäbe und dass demzufolge jenes Toleranzedikt als gegenstandslos bezeichnet werden könne. Immerhin glaubt er annehmen zu sollen, dass die große Überzahl der Protestanten den rechten Glauben angenommen hat und dass daher jene Gnadenverfügung verhältnismäßig überholt sei. Je unsicherer diese Rechtslage bleibt, umso mehr legt er Wert darauf, dass in der Textausarbeitung der vollständige Widerruf des »immer währenden und unwiderruflichen« Edikts von Nantes wiederum – objektivierte Gewalt ist immer grotesk – als »immer während und unwiderruflich« festgestellt wird. Der sichere Ton in den Ausführungen des neuen Schriftstücks stammt dabei sichtlich aus der Überzeugung, es seien auf Grund völlig abgelagerter, völlig gefestigter Verhältnisse nur noch Reste einer überjährten, ungeordneten Denkweise auszulöschen.

Am 17. Oktober des Jahres 1685 unterschreibt Ludwig den Widerruf des Gnadenedikts von Nantes auf dem zierlichen Barocktisch der Frau von Maintenon in deren Salon zu Fontainebleau. Die geschwungenen, graziösen Bronzeornamente des Möbelstücks umrahmen stilvoll das neue Edikt, welches das führende Land Europas in einen Abgrund von Blut und Tränen versenken wird. Als die makellose Perücke des Königs sich zur Signatur über das Schriftstück beugt, gedenkt vielleicht die anwesende Frau von Maintenon wider Willen des grauenhaften Fluchwortes ihres hugenottischen Großvaters Agrippa d’Aubigné, der einst als Flüchtling von Genf her der französischen Krone zugerufen hatte: »Wir sehen auf den Schultern und auf der Perücke unseres Königs die schändlichen und stinkenden Füße des Antichristen, der mit seiner Tatze die bourbonische Lilie befleckt und das fürstliche Diadem zu seinem Fußschemel macht.«

Das Edikt trägt drei Unterschriften. In der Mitte die Unterschrift des Königs; ganz ähnlich malte schon der Knabe seinen Namen in zeremoniellen und steifen Zügen, doch sind seither die Linien seiner Unterschrift noch hoffärtiger geworden und merkwürdig leer und sprechen von der Geordnetheit, die in seinem Leben das Surrogat fehlender Gerechtigkeit ist.

Einer der beiden jüngeren Colbert vollzieht die Gegenzeichnung mit der unsicheren und hohlen Signatur des Mannes, der seine Gewissensbedenken vom Vorjahr mit Mühe unter die Füße tritt. Auf der rechten Seite fügt der alte Le Tellier seine Unterschrift an in hässlichen, kriechenden Schnörkeln. Er ist schon sehr krank, doch bleibt er sich selber bis zu seinem Ende treu in fanatischer Dienstbereitschaft und in der Unbedenklichkeit, alle Mittel durch den Zweck heiligen zu lassen. Seine Feinde hatte er unbedenklich ruiniert, zum Krieg gegen Holland hatte er getrieben, die burgundischen Stände hatte er betrogen und den großen Colbert verleugnet. Jetzt wird er sterben müssen und alle diese Last vor Gott bringen. Doch noch vor seinem Tod erhebt er die Hand, die das unheilvolle Edikt redigiert hatte, zum Himmel, und sein Mund missbraucht den Lobgesang des Simeon zum Preise seines Gottfürsten.

Eine dritte Gegenzeichnung fehlt unter dem Dekret, aber die Geschichte schreibt sie unsichtbar und doch sichtbar unter den Namen des Königs: den Namen Louvois’, des Sohnes Le Telliers, der wieder und wieder seine Regimenter auf die Evangelischen gehetzt hat, und dessen Ruf mit diesem Edikt steht und fällt, und auch der Schatten des jesuitischen Beichtvaters des Königs, des Père Lachaise, liegt über dem Dokument, denn er gilt irgendwie als Teilhaber an dem »großen Plan«.

Ein anderer Mann steht beiseite, dessen Gestalt wir im Hintergrund der Szene vom 17. Oktober zu sehen erwartet hätten: Papst Innozenz Odescalchi, nicht nur als Gegner des Gallikanismus, sondern in Abneigung gegen eine unwürdige Aktion, die er nicht billigt, da, wie er es ausdrückt: »… sich Christus dieser Methode nicht bedient hat«.

Der Wortlaut des Dokuments verfügt in Artikel I und II die Zerstörung der Gotteshäuser der falschen Religion und die Auflösung aller Art von Versammlungen, samt einem (III) Verbot häuslicher Gottesdienste bei schwersten Strafen. Artikel IV verfügt die Landesverweisung aller Prediger binnen 14 Tagen, mit dem Angebot besonderer Vorteile, wenn sie abschwören wollen (V und VI). Alle evangelischen Schulen werden verboten in Artikel VII; Artikel VIII fügt den Zwang hinzu, alle Kinder in die katholischen Lehranstalten zu schicken. Artikel IX enthält die Einladung früherer Flüchtlinge, die sich bekehren, zur Rückkehr mit bestimmter Frist. Artikel X bringt das strengste Verbot, das Land zu verlassen oder Gut und Geld über die Grenze zu bringen, bei Strafe der Galeeren für die Männer, Verlust der Freiheit und des Eigentums für die Frauen.

Den Schluss bildet in Artikel XI wie ein grausamer Hohn die Zusage, dass der innere Bekenntnisstand der einzelnen Evangelischen bis auf weiteres unangetastet bleiben solle: »Übrigens sollen die Besagten von der so genannten reformierten Religion – bis es Gott gefällt, sie zu erleuchten wie die anderen – in den Städten und Ländern unserer Oberhoheit wohnen können, dort ihr Gewerbe fortsetzen und ihre Güter nutzen, ohne unter dem Vorwand dieser Religion gestört oder gehindert werden zu dürfen, unter der Bedingung, wie gesagt, dass sie keine Ausübung ihres Glaubens treiben, noch sich versammeln unter dem Vorwand von Gebeten oder Gottesdienst der genannten Religion, welcher Art es auch sei, unter oben gesagten Strafen an Leib und Besitztum.«

Zur Erklärung des strengen Verbots von Gebeten am Schluss des Edikts ist noch hinzuzufügen, dass bis gegen 1750 privates Gebet als ein Vergehen gilt. So wird kurz nach 1685 im Languedoc, in der Stadt Beaucaire, der Prediger Rey erhängt, der unter das Verhandlungsprotokoll schreibt: »Rey qui n’a fait que prier Dieu« – »Rey, dessen einzige Schuld ist, zu Gott gebetet zu haben.« Und noch in den Akten des letzten großen Hugenottenkerkers in Aigues Mortes lesen wir etwa ein halbes Jahrhundert später als Vermerk über den Einlieferungsgrund einer Insassin: »Elle a prié Dieu dans sa chambre«, »Sie hat in ihrer Kammer zu Gott gebetet.«

Entsetzlich ist die Bilanz, die St. Simon als Augenzeuge der Auswirkung des Edikts von Fontainebleau vom katholisch-nationalen Standpunkt aus zieht: »Die Aufhebung des Edikts von Nantes, die ohne den geringsten gültigen Anlass geschah und in keiner Weise notwendig war, und die (königlichen) Verfügungen, richtiger gesagt die Ächtungen, die ihr folgten, waren die Früchte dieses schauerlichen Komplotts, das ein Viertel des Königreichs entvölkerte, seinen Handel ruinierte, es allenthalben schwächte, es für so lange Zeit den öffentlichen und unbestrittenen Plünderungen der Dragoner aussetzte – dieses Komplott, das all den Folterungen und Qualen eine rechtliche Grundlage gab, durch die man so viele Unschuldige beider Geschlechter zu Tausenden dem Tod überlieferte –, das eine so volkreiche Nation ruinierte, das unzählige Familien zerriss, Verwandten gegen Verwandte Waffen gab, um ihre Habe an sich zu reißen und sie unterdessen hungers sterben zu lassen – dieses Komplott, das unsere Industrien ins Ausland abwandern ließ und die Blüte und den Überfluss anderer Staaten auf Kosten des unseren verursachte, so dass dort ganz neue Städte entstanden; welches den anderen Völkern das Schauspiel bot eines so herrlichen Menschenmaterials, das verbannt, nackt, flüchtig, schuldlos umherirrend, fern vom eigenen Vaterland eine Zuflucht suchte – dieses Komplott, welches Edelleute, begüterte Greise, Leute, die in vielen Fällen wegen ihrer Frömmigkeit, ihres Wissens, ihrer Tugend hoch geachtet waren, welches wohl situierte Leute, Schwache, Anfällige an die Galeeren schmieden ließ, und solches unter dem unablässigen Druck des (Exekutiv-) Komitees, einzig und allein um der Religion halber – endlich das Komplott, das, um die Greuel voll zu machen, alle Provinzen des Reichs mit Meineiden und Heiligtumsentweihungen erfüllte, so dass die Luft von dem Schmerzgebrüll der unglücklichen Opfer des Irrtums erfüllt war, während andere ihr Gewissen zu Gunsten ihres Besitzes oder ihrer Ruhe darangaben und sich beides durch geheuchelte Abschwörungen erkauften und in endlosem Zug sich in die Kirchen schleppen ließen, um anzubeten, woran sie nicht glaubten, um den göttlichen Leib des Heiligen der Heiligen zu empfangen, während sie doch überzeugt waren, nur Brot zu essen, Brot, das ihnen auch noch widerlich sein musste – alles das war in einem Wort (als Folge der Aufhebung des Edikts von Nantes) die allgemeine Greuelhaftigkeit (abomination), die erzeugt war durch (höfische)¬Schmeichelei und durch Grausamkeit« (Cour de Louis XIV., Kap. 47).

Das Revokations-Edikt von Fontainebleau trifft vor allem den Südosten Frankreichs, nachdem der Norden längst, der Westen in den letzten Jahrzehnten von Protestanten verhältnismäßig befreit ist. Seit dem Beginn der Religionskriege um 1560 ist der nördliche, der germanische und weithin feudale Bestandteil des Protestantismus seiner Selbst-Politisierung fortschreitend erlegen. Seit dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. hat der geografisch-süd-östliche, der romanisch-keltische Teil der Nation im Languedoc, in der Provence das Vorrecht des Streitens, vielmehr des Leidens und des Sterbens überkommen; hier auch wird über die Totenfelder der Gemeinde Gottes der Auferweckungsruf des lebendigen Herrn zuerst erschallen.

Es mögen damals im Ganzen, statistisch ausgedrückt und auf die Jahre 1680 bis 1695 etwa bezogen, 400.000 Menschen bis 700.000 Menschen gewesen sein, die Frankreich fluchtartig verließen und nach der Schweiz, England, Deutschland, Nordamerika auswanderten. Von allen diesen schwankenden Schätzungen gilt, dass in »Frankreich alle Statistiken falsch, aber alle Maße richtig sind«. Nicht gezählt, sondern maßstabhaft eingewertet müssen die Ereignisse dieser Zeit sein und zur ganzen Nation in organische Beziehung gebracht. Wir fügen hinzu: Auch das Einladungsedikt des Großen Kurfürsten von Brandenburg vom 29. Oktober 1685, in dem er die französischen Glaubensgenossen in seinem einfachen und jungfräulichen Land willkommen heißt, ist nicht nur eine Tat politischer Klugheit, durch die er viele oder wenige Menschen gewinnt, sondern eine Tat der Glaubenstreue und der Barmherzigkeit, gemessen an den göttlichen Maßstäben wahrer fürstlicher Verantwortung.

Doch wir gedenken des Loses der Zurückbleibenden. Während ein Teil der Protestanten, begierig, noch irgendeinen Lichtstrahl zu sehen, den jesuitischen Schlusspassus des Edikts betreffend die Existenzberechtigung verborgener Privatreligion als Abschwächungsklausel des Vorhergegangenen betrachten, wird von der katholischen Seite geltend gemacht, dass dieser Nachsatz keineswegs irgendeinen Duldungsanspruch begründe. Obwohl der König seinerseits verfügt, dass jeder bei Protestanten plündernde Soldat erhängt werden sollte, verschärft Louvois kaltblütig seine militärischen Maßnahmen; im November 1685 schreibt er in einem Brief betreffend Anweisungen an die Bekehrungsregimenter: » … man soll die Soldaten erst recht zügellos hausen lassen.«

Schon die ersten Ausführungen zum Revokationsedikt verschärfen die Unbarmherzigkeit seiner Paragraphen: Zu dem Befehl, dass die reformierten Pfarrer Frankreich zu verlassen haben, tritt die Sonderverfügung, dass sie weder ihre Kinder im Alter von über sieben Jahren, noch ihren Besitz mitnehmen dürfen. Der betäubende Schlag der neuen Wendung lässt viele Prediger den Halt verlieren, umso mehr, als sie sich bisher in blindem Vertrauen zur Loyalität des Königs immer wieder in trügerischer Sicherheit gewiegt hatten. Von 600 Geistlichen insgesamt geben 140 ihrem Glauben den Abschied und empfangen dafür vom König eine Pension. In den Laienkreisen der Gemeinde beweisen sich im Durchschnitt die Frauen tapferer als die Männer und werden zur Überwindung ihres Starrsinns in Klöstern interniert. Den Widerstand der Kranken, welche die Absolution durch den römischen Priester verweigern, sucht man durch den Hinweis auf das Gericht zu brechen, das ihres Leichnams wartet: Die Leiche des Renitenten wird, um sie für die Bestrafung zu konservieren, in Salz oder Chemikalien gelegt und dann, nach Abschluss des öffentlichen Prozesses und nach gefälltem Urteil, auf Brettern schimpflich über die Straßen geschleift und auf den Schindanger zu den Resten der Verbrecher und Selbstmörder geworfen.
Zur Ergänzung der äußeren Gewaltmethoden wird als linderes Überredungsmittel das Geld gebraucht. Die Bestechung zu religiösen Zwecken als System ist die Erfindung eines Renegaten, des Sohnes einer prostestantischen Beamtenfamilie, Pellisson, der ursprünglich ein Student der Rechte war und später Schöngeist wurde. Bereits 1670 tritt er zur katholischen Kirche über.

Die letzten 15 Jahre seines Lebens widmet er hauptamtlich, als Generaldirektor der königlichen Bekehrungskasse (Caisse des conversions), dieser Spezialarbeit. Er zahlt nach festen Tarifen, zuerst 6 Livres für die Einzelbekehrung eines Landbewohners, dann 10 bis 30 und allerhöchstens 100 Livres. Angehörige des Bürgerstands erhalten ihrem Lebensniveau entsprechend 1.000, 10.000, 20.000 Livres und mehr je nach dem Fall. Der Adel wird in entsprechender Umrechnung mit Ländereien, Titeln und Graden bei der Armee entschädigt. Für sich selbst vereinnahmt Pellisson während der 15 Jahre seiner hauptamtlichen Tätigkeit 75.000 Livres. Die Einzelhandhabung des Verfahrens liegt in den Händen der örtlichen Bischöfe entsprechend den Instruktionen Pellissons; dazu berichtet der Bischof von Grenoble, dass er mit 2.000 Talern 800 Personen gekauft habe. In Sachen der Gewinnung der Armee wird als vom König gebilligte Taxe angegeben: 3 Pistolen für jeden Kavalleristen und 2 Pistolen für jeden Infanteristen, weiter 4 Pistolen für die Sergeanten und 6 Pistolen für die Quartiermeister. Den zahlreichen fremden Söldnern aus protestantischen Ländern, aus schweizerischen Kantonen oder aus deutschen Staaten werden je zwei Pistolen offeriert, die sie mit Vergnügen unter Leistung jeder gewünschten Unterschrift einstecken, um dann, in ihre Heimat zurückgekehrt, wieder als Protestanten zu leben. Daher liest man bald: »Seine Majestät haben beschlossen, solchen nicht mehr die besagte Gratifikation auszahlen zu lassen.«

Die Erfolge des Systems Pellissons sind, verglichen mit den Erfolgen der Dragonaden, im Durchschnitt nur gering, umso mehr, als das Heer seine zuverlässigsten Soldaten und seinen besten Offiziersnachwuchs an den Protestanten hat, die auch die Exekutionen nur widerwillig ausführen oder sabotieren, wenn sie nicht gar ihren Glaubensgenossen unter der Hand zur Flucht verhelfen.

Anders steht es mit der Strafe der Versklavung, sowohl mit der Deportation nach den Fieber-Kolonien, als besonders mit dem Galeerendienst.

Über die Deportation gibt der früher angeführte Pfarrer Jurieu in seinen Pastoralbriefen den eindrucksvollen Bericht eines Offiziers aus den Cevennen. Dieser trifft im Mittelmeer ein Schiff aus Marseille auf dem Weg nach den Antillen, beladen mit Kindern, jungen Mädchen, Frauen, einigen Männern und Greisen. Von 250 Deportierten sind bereits nach vierzehntägiger verzögerter Schifffahrt 18 Personen verstorben. Auf die erste Frage, um was es sich bei diesem Transport handle, sagen ihm die jungen Mädchen: »Wir sind hier, weil wir das Tier (der Offenbarung Johannes’)¬nicht anbeten wollen, noch die Heiligenbilder verehren. Voilà notre crime – das ist unser ganzes Verbrechen!« Als er erschüttert in das Innere des Schiffs hinabsteigt, gewahrt er 80 Kranke, die dort liegen. Aber statt dass er ihr Tröster werden muss, trösten sie selbst ihn mit Worten des Glaubens und antworten: »Wir legen still den Finger auf unsere Lippen und sagen nur, dass alles von Dem kommt, welcher der König aller Könige ist. Auf Ihn setzen wir unsere Hoffnung.«

Die eigentliche Neuerfindung für die Durchführung des Edikts von 1685 ist jedoch die Galeerenpraxis. Man hatte schon früher im Einzelfall, zwischen 1659 und 1661, Hugenotten zu Rudersklaven gemacht. Jetzt wird diese Strafe in weitem Umfang angewendet. Man verurteilt die Landeskinder zur Galeere, erstens, weil sie einer religiösen Versammlung beigewohnt haben, zweitens, weil sie aus Religionsgründen versucht haben, auszuwandern oder eine solche Flucht über die Grenze begünstigt haben, drittens, weil sie ihre evangelischen Kinder ins Ausland verheiratet haben, viertens, wenn katholische Priester Ketzer milde behandelt oder wenn sie Scheinbekehrte getraut haben. Die Verurteilung zur Galeere wird fast immer auf Lebenszeit ausgesprochen; auf diesen Schiffen findet man Halbwüchsige, reife Männer, alte Leute, sowohl bürgerliche als auch adlige Personen.

Die Verurteilten werden zunächst vor ihrer Einschiffung in einen engen Kerker geworfen, wo sie zusammengepfercht bis zu drei Wochen verbringen. Jedoch genießen sie während dieser Zeit die geistliche Zusprache eines Bekehrungspriesters. Wer abschwört oder auch nur die drei Worte: »Je me réunis« ausspricht, wird sofort freigelassen. Dann werden die zukünftigen Galeerensklaven durch die Landschaften und Städte zum Hafen transportiert. Die anderen, ihre schwach gewordenen Brüder, die »N. C.« (Les Nou-veaux-Convertis)¬, werfen sich bitterlich weinend und reuevoll vor die Füße ihrer treu gebliebenen gefesselten Glaubensgenossen, die sie um ihre Festigkeit beneiden. Es wird nicht lange dauern, bis sie sich selbst zu den Gerichten drängen werden, um ihre Bekehrung zum katholischen Glauben als Scheinhandlung zu brandmarken; für die Galeeren und Kerker werden sie sich bereit machen, damit ihre Untreue gebüßt sei.

Die in Eisen gelegten Sträflinge, Mann neben Mann auf den Ruderbänken zusammengeschmiedet, rudern täglich bis zu 20 Stunden nach dem Takt des Rudermeisters. Als ihre Hauptnahrung wird Brot und in Wasser gekochte Bohnen angegeben. Zur Messe auf dem Schiff sollen sie ihr Haupt entblößen, was sie niemals tun. Dafür erwartet sie, wenn es schlimm kommt, ein riesiger Türke, der sie auf dem Mittelgang entblößt ausspannt und mit dem nassen oder geteerten Schiffstau prügelt. Nachdem sie ihre 50, ja 100 und mehr Schläge erhalten haben, reibt man die zerfetzten Rücken mit Salz und Essig ein, um eine Eiterung zu verhindern.

Die arbeitsunfähigen Personen, die Krüppel und Kranken, müssen gleichwohl auf dem Schiff verbleiben und werden in ein Loch gesperrt, durch das der Unrat der Mannschaft fließt. Das Los der »galériens« im Sturm, bei Schiffbruch und beim Seegefecht während einer wirksamen Kanonade des Feindes bedarf nicht der Ausmalung.
Aus dieser Hölle kann sich der Galeerensklave durch ein einziges Wort des Widerrufs befreien. Um ihm die letzte seelische Widerstandsquelle zu nehmen, werden die »religionnaires« von den Schiffspriestern bis auf das Hemd untersucht und ihrer Bibelteile, Katechismen oder reformierten Schriften beraubt. Trotzdem sind die Abfallsziffern gering. Benoist nennt unter 373 Namen 85 »Bußfertige«, von denen die meisten vielleicht nur die Absicht haben, nach ihrer Freilassung ins Ausland abzuwandern und dort ungehindert evangelisch zu leben. Umgekehrt bringt aber das Vorbild der hugenottischen Sträflinge gelegentlich ein Wunder zuwege, wie das Beispiel des Schiffskaplans Jean Bion zeigt, der, tief bewegt durch die Geduld und Seelengröße der Rudersklaven, sich zum Evangelium bekennt und nun seinerseits als Galeerensträfling die Kette trägt.

Das Geheimnis der – menschlich geredet – unerhörten Festigkeit dieser Männer ist ihr brennender Glaube, die Erstursache ihres Martyriums, aber auch die enge Gemeinschaft, die sie mit ihren Schicksalsgenossen unter dem Kreuz verbindet. Die geringe Beweglichkeit, die man ihnen gewährt, schon um sie am Leben zu erhalten, – sie dürfen für einen Groschen je einmal aus den Ketten heraus, sie dürfen in Hafenstädten etwas herumgehen, man kann ihnen Geld oder Gaben schicken, und sie können Briefe schreiben oder empfangen, soweit das die Schifffahrt zulässt – erleichtert ihre gegenseitigen Beziehungen.

Einige von ihnen, deren Namen wir noch kennen, stellen 1699 eine Art Statut für einen Bund glaubenstreuer Galeerensträflinge zusammen, dessen Wortlaut sie den hilfreichen Kirchen von Genf und den protestantischen Kantonen der Schweiz zukommen lassen. In Artikel I verpflichten sie sich, einander rechte Seelsorger zu sein. Artikel II schließt die Feiglinge aus. Artikel III verbietet, während des Messopfers die Kappe abzunehmen. Artikel IV erklärt, dass jeder, welcher Anstoß gibt, welcher den Sonntag nicht heiligt, in einem Wort: der dem göttlichen Gebot nicht gehorcht, zuerst vermahnt und dann aus dem Kreis des Bundes ausgeschlossen wird. Artikel V verpflichtet, unwissende Brüder im Glauben zu »katechisieren«. Artikel VI schreibt vor, sich der Kranken anzunehmen. Artikel VII empfiehlt, Lebensbeschreibungen der Glaubenszeugen auf den Galeeren zu verfassen. Artikel VIII und folgende ernennen Diakone, welche Hilfeleistungen vermitteln, ernennen ein Kontrollkomitee und Sekretäre, die von irgendeiner Hafenstelle aus mit den Glaubensbrüdern im Ausland in Verbindung stehen und die Briefsachen weiterleiten. Artikel XV behandelt den Fall der Untreue eines Beauftragten, und Artikel XVI gibt Anweisungen für den Fall, dass eine zu starke Verfolgungswelle den Bund zerstört.

Ein besonderes Wort ist noch über den Rückschlag zu sagen, den die Entscheidung Ludwigs für die Waldenser bedeutete. Ein Teil dieser Stillen im Lande lebt, trotz der Massakers in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in der französischen Dauphiné um Briançon und Pignerol. Unter dem Schrecken der Revokation fliehen sie über die Grenze in den Piémont; ihre weitere Geschichte verläuft dann in Oberitalien.

Äußerlich betrachtet, hat Ludwig XIV. auf der ganzen Linie gesiegt. Auch der Papst, der zuerst unwillig gewesen war, lässt etwa ein halbes Jahr nach dem Erlass des Edikts in Rom ein Tedeum singen, schon um den Schein einer dauernden Missbilligung klüglich zu vermeiden. Beim Tod Le Telliers, der das Edikt verfasst hat, preist Bossuet in seiner Grabrede den König: »Unsere Herzen mögen sich ergießen über der Frömmigkeit des großen Ludwig, bis zum Himmel soll unser Beifall steigen und dem neuen Constantin, dem neuen Theodosius, dem neuen Karl dem Großen sagen: ›Du hast den Glauben gestärkt, Du hast die Ketzer ausgerottet, dieses Werk ist würdig Deines Königtums, durch Dich ist der Häresie ein Ende gemacht. Gott allein hat dieses Werk tun können.‹« Der König selbst, berauscht von den zahllosen Glückwünschen und Beifallsbezeugungen, die ihm als Verteidiger des Glaubens aus allen Teilen des Landes zuströmen, drückt die Hoffnung aus, dass sein Enkel, der eben dreijährige so genannte Herzog von Burgund, bei seinem Heranwachsen »nur noch durch die Historie erfahren wird, dass es Reformierte gegeben hat«. Ludwig ahnt nicht, dass derselbe spätere Dauphin, der niemals den Thron besteigt, im Alter von 20 Jahren als erschreckter Zeitgenosse den Verzweiflungstrotz der hugenottischen Cevennenkrieger noch miterleben wird.

Während die Auswandererströme der Evangelischen sich ohne Unterbrechung über die Gebirge, auf Land- und Wasserwegen ins Ausland ergießen, wie das dunkle schwere Blut einer durchschnittenen Pulsader unaufhaltsam aus dem Körper strömt, erstehen die Glaubens- und Willenskräfte der zurückgebliebenen Hugenotten zu neuem Leben. Die falschen Gewänder der unter den Schrecken der Verfolgung angenommenen katholischen Frömmigkeit werden mit Abscheu abgeworfen. Bisher hießen die angeblich Bekehrten »N. C.«, »Nouveaux Convertis«. Jetzt durchschaut sie der enttäuschte Klerus und der König als »M. C.«, als »Mauvais Convertis«, deren zäher Widerstand den Jubel über die Vernichtung der evangelischen Kirche immer stärker beeinträchtigt. Eine Wolke von katholischen Predigermönchen und Propagandapriestern zieht durch Frankreich, unter ihnen Männer wie Fénelon und Fléchier, ohne wirklichen Eindruck zu machen. Vielmehr erscheinen die »Relaps« jetzt in Scharen bei ihren alten Gemeinden, in der »Eglise du désert«, in den Gottesdiensten der Wüste.

Die Antwort der Regierung auf die völlig unerwartete Gegenbewegung sind neue verschärfende Edikte. Ein Zusatzerlass von 1686 verfügt, dass die Kinder von 5-16 Jahren ihren Eltern weggenommen und Katholiken zur Erziehung übergeben werden sollen. Eine zweite Ergänzungsverfügung vom 1. Juli 1686 verhängt über heimlich zurückgekehrte Prediger die Todesstrafe, im Allgemeinen den Galgen, wenn nicht das Rad, da die Zeiten human geworden sind und man Menschen nicht mehr lebendig verbrennt. Wer einen zurückgekehrten Pfarrer aufnimmt, hat Verschickung auf die Galeere zu erwarten. Ferner hat jeder Untertan, der persönlich einen evangelischen Gottesdienst besucht, mit Todesstrafe zu rechnen. Die praktische Bedeutung dieses Edikts wird von den Truppen Louvois’ schnell erfasst: Gottesdienstliche Versammlungen in der öden Steppe oder im Gebirge werden überraschend angegriffen, die Teilnehmer zusammengeschossen, der Rest erhängt oder auf die Galeeren und in die Gefängnisse gebracht.

Ein drittes Dekret vom 12. Oktober 1687 verfügt Todesstrafe für Helfershelfer der Auswanderer. Von jetzt an wird es immer deutlicher, dass das rastlose Weiterdrehen der Verfügungs- und Terrorschraube nachgerade doch versagt. Irgendwie wird deutlich, dass ihre Spitze in der Tiefe auf unsichtbaren Stahl stößt, gegen den sie machtlos ist, weil sie sich an ihm verbiegt; auf die Dauer überdreht sich ihr Gewinde, und am Ende beginnt die Hand der Regierung, die den Schraubenzieher führt, lahm zu werden. Das Volk wird von dem Schauspiel der geschändeten Leichen ehrenhafter Mitbürger angeekelt und beginnt zu murren. Frau von Maintenon schreibt, von den Nachrichten aus der Provinz angewidert, an den Marquis von Valette, dass sie »keine Lust habe, sich vor Gott und vor dem König mit diesen Bekehrungen zu belasten«. Im Ausland wächst das Misstrauen und die Feindschaft gegen das unmenschliche Regime Ludwigs. Wenn der Gedanke Rudolf Kassners in seiner Schrift über den »Ruhm in der Geschichte« richtig ist, dass in der französischen Historie immer Gloire und Raison zusammengehen, wie denn auch Bonaparte auf der französischen »Gloire« das »Empire de la Raison« gründen wollte, dann hat Ludwig XIV., wie es grell offenbar wird, seinen höchsten Ruhm als allmächtiger König und Glaubensbeschützer durch eine nie wieder gutzumachende politische Unvernunft gesucht und auch hier wieder seinen Abstand vom wahren französischen Wesen aufgezeigt. Ludwig merkt es ein Jahr nach dem Edikt von Fontainebleau schon selbst, – in dem Sinne der sehr weltlichen Bemerkung, die später der Polizeiminister Fouché über die Ermordung des Herzogs von Enghien durch Napoleon gemacht haben soll: »Das ist schlimmer als ein Verbrechen, das ist ein Fehler.«

Der König wird unsicher. Schon am 8. Oktober 1686 hatte er einen Befehl ausgegeben, der die größten Härten unterband; die Wachen wurden von den Grenzen zurückgezogen. Die natürliche Folge war ein vermehrtes Hinausströmen der jetzt mit ihrem König gänzlich zerfallenen Protestanten. Dann werden die Wachen wieder aufgestellt und die Strafen verschärft: Sogleich beginnen im Inneren des Landes die verbotenen Gottesdienste in neuer Fülle aufzuleben.

Die Gegenkräfte, die allenthalben aufbrechen, lassen sich in zwei Gruppen teilen: Die eine kann man umschreiben mit den Worten: Eschatologie, Ekstase und Prophetie; die andere ist die ungeordnete Wortverkündigung als Notstandsamt einer ihrer Seelsorger beraubten Kirche.

Den ersten eschatologischen Gedanken finden wir bei Jurieu, der aus der Offenbarung des Johannes das Ende der Verfolgung auf das Jahr 1689 irrig berechnet. Er ist es auch, der uns in seinen Pastoralbriefen jenes merkwürdige Dokument erhalten hat, das im Gegensatz zu den »Stimmen«, die einst zu dem einsamen Hirtenkind Johanna von Domremy kamen, von den himmlischen Stimmen berichtet, die nun ganzen Volksgruppen im alten Navarra und in den Cevennen von der höheren Gotteswirklichkeit der evangelischen Wahrheit Kunde gaben:

»Ich, die Unterzeichnete, U. von Formalaguès, erkläre vor Gott dem Herrn:
Als ich in Orthez im Béarn, meinem Wohnort, war, hörte ich deutlich zu drei verschiedenen Malen im vergangenen Oktober das Folgende: Es war ein Freitag im Monat Oktober, ungefähr 8 oder 9 Uhr abends, und ich befand mich in meinem Zimmer, als einige Nachbarinnen mich eilig hinausriefen, indem sie mir sagten, ich müsse kommen, um die Engel zu hören, welche Psalmen sängen. Ich verließ sogleich das Haus …
Ich fand eine große Anzahl von Menschen, die von allen Seiten zusammenliefen, um die himmlische Harmonie zu vernehmen. Und augenblicklich wurden meine Ohren von einer so herrlichen Melodie getroffen, dass ich niemals etwas Ähnliches gehört habe. Ich konnte sehr wohl die Weise unserer Psalmen unterscheiden, die wundervoll gesungen wurden. Einige Personen sagten mir, sie hätten genau den ersten Vers des Psalms ›Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser‹ vernommen. Es waren andere da, die dasselbe bestätigten und die versicherten, sie hätten den ganzen Psalm singen hören. Was mich angeht, so gestehe ich, dass ich niemals die einzelnen Worte habe genau unterscheiden können. Ich hörte nur eine entzückende Musik, die sich mir als eine große Zahl sehr schön-harmonischer Stimmen vorstellte …

(Nachdem sie an demselben Freitag einige Stunden später und am darauf folgenden Dienstag dieselben Stimmen gehört hatte)… da lief ich in die Wohnung eines katholischen Arztes, der in meinem Haus logierte … damit er dieselbe wunderbare Melodie höre…
Als ich darauf bestand, dass er mir sage, ob er diesen Gesang vernehme, konnte der Mann die Wahrheit nicht mehr abstreiten. ›Es ist wahr‹, sagte er vor allen Leuten, ›ich höre einen schönen Gesang, es scheint mir, dass ich die Stimme von diesem oder jenem vernehme‹, indem er gewisse Personen im Ort aufzählte, die sehr gut sangen. Auf diese Antwort sagte ich ihm: ›Mein Herr, wenn die Menschen schweigen, werden selbst die Steine reden.‹ Aber er, als ob es ihm Leid täte, so viel zugegeben zu haben, begann sich zu beklagen: ›Leider sehe ich, dass das nur ein Betrug des Satans ist … um die Welt im Irrtum zu erhalten und um dieses arme Volk zu hindern, katholisch zu werden!‹ Worauf ich ihn fragte, ob er jemals vom Teufel gehört habe, dass er das Lob Gottes sänge?
Indessen priesen wir Gott über Seiner Gnade, die Er uns zuteil werden ließ, indem Er uns durch diese himmlischen Stimmen an unsere Pflicht mahnte …
Welche Aussagen ich hiermit durch meine Unterschrift bekräftige. Gegeben zu Amsterdam, den 4. September 1686 – U. de Formalaguès.«

Hin und her, besonders im Südosten des Landes, erhebt freie, ja schwärmerische und wilde Prophetie ihren Mund. Das mit furchtbaren Spannungen beladene Unterbewusstsein der gequälten und gehetzten Cevennenbewohner äußert sich in Trancezuständen Einzelner; Weissagungen klingen auf, Bußrufe erschüttern das Volk. In der keltischen Heimat Farels, im jetzigen Département de la Drôme, prophezeit eine junge Hirtin. Im Rhônetal geht die heilige Raserei auf Kinder über. Im Vivarais, nördlich von der Provence, steht der Prophet Astié auf, bis schließlich eine große Schar sich unverwundbar wähnender angeblich Inspirierter niedergemacht wird. Die von der geistigen Epidemie angesteckten Männer und Frauen eifern gegen das »neue Babylon« und die »Baalspriester« und werden als so genannte »Phanatiques« von den Königlichen verfolgt. Ein Massaker der Heiligengeistleute folgt in Serre de la Pale beim Bouchet. Auch der Vater der hehrsten Frauengestalt aus dem kommenden Jahrhundert, Marie Durand, Etienne Durand, wird eingekerkert mit der Anklage, es sei »in seinem Keller öfters Prophetie getrieben worden«.

Aus den Reihen der Inspirierten gehen aber auch Prediger hervor, die teils biblisch im Sinne geistlich bewegter Zeugen, teils zudem in äußerlich geordneter Weise die Reste der Protestanten um sich versammeln.

Der Mann, der diese Verkündigungsweise fruchtbar zu machen sich bemühte, ja welcher der Schöpfer des »extraordinären Predigtamts« wurde, war der Jurist Claude Brousson, gebürtig aus Nîmes, Doktor der Rechte und Advokat. Der Minister Châteauneuf schreibt über ihn an Bégon, den Intendanten von Rochefort, am 16. Juni 1696: » … der genannte Brousson, der ein äußerst gefährlicher Mensch ist, durchzieht die Provinzen des Königreichs, um immer dasselbe zu treiben, ohne dass man weiß, welchen Weg er eingeschlagen hat oder wo er vorbeigekommen ist … Daher Seine Majestät mich beauftragt hat, Ihnen eine Personalbeschreibung zu übersenden, wie ich sie von Bâville erhalten habe, damit man diesen Menschen ausfindig macht, wenn er in Ihrem Gebiet ist oder wenn er dort durchkommt, ihn dann verhaftet und in sicheren Gewahrsam bringt. Er ist von mehr als mittelmäßiger Statur, hat eine hohe Stirn, kastanienbraune Haare, ein ovales Gesicht, kleine Augen, eine große Nase, einen breiten Mund, einen ziemlich stolzen Schritt und hält das Haupt hoch, wenn er geht; er schiebt dabei seinen Körper nach vorn. Er ist 45 Jahre alt, trägt den Hut tief im Gesicht und sieht sehr bescheiden aus. Sein Gesicht ist überaus mager, oft trägt er eine Perücke.«

Brousson ermahnt – er ist zu Beginn seiner evangelistischen Tätigkeit als protestantischer Flüchtling in Lausanne – flüchtig gewordene ordinierte Prediger der reformierten Kirche Frankreichs, in die Heimat zurückzukehren. Eine Anzahl von ihnen folgt seinen Beschwörungen. Sechs von ihnen, welche wagen, sogar im Norden Frankreichs zu arbeiten, werden 1689-1693 in Paris verhaftet und auf der Insel Sainte Marguerite bei Cannes eingekerkert. Fünf von ihnen sterben dort; zwei, nachdem sie in der Einzelhaft irrsinnig geworden waren. Als letzter wird Mathurin nach 24 Jahren Gefangenschaft von Holland her befreit.

Brousson, obwohl selbst kein Pfarrer, zögert nicht, dem Beispiel der zurückgekehrten Seelsorger zu folgen. Er lässt sich nach kirchlichem Notrecht in Holland (oder von dem schwärmerischen Prädikanten Vivent?) ordinieren und bildet selbst Prediger aus, von denen die Mehrzahl der Hinrichtung verfallen. Seine Tätigkeit in Frankreich muss er mehrfach unterbrechen. Einmal flieht er nach der Schweiz, zweimal nach Holland; immer wieder kehrt er nach Frankreich zurück. Er spreche selbst zu uns in einem Brief, den er am 10. Juli 1693 an den Statthalter Lamoignon de Bâville schreibt:

»Gnädiger Herr,
ich habe einen Ihrer Befehle, datiert vom 26. Juni 1693, gelesen, den Sie im Land Languedoc haben anschlagen lassen und in welchem Sie sagen, Sie seien informiert, dass ich fortlaufend einen Geist der Aufsässigkeit unter den Leuten verbreite, und dass ich sie, so viel es mir möglich ist, veranlasse, die Befehle des Königs zu übertreten. Ich verdiente daher als Verstörer der öffentlichen Ruhe bestraft zu werden, und Sie versprechen, die Summe von 5.000 Livres jedem auszuzahlen, der meinen Aufenthalt ihrer Hoheit anzeigt und Ihnen die Möglichkeit gibt, mich verhaften zu lassen. Aber erlauben Sie mir, gnädiger Herr, Ihrer Hoheit zu erklären, und das in tiefer Ehrfurcht, aber in der Notlage einer legitimen Verteidigung, dass ich Sie nicht als meinen Richter anerkennen kann. Sei es, weil – nach der Außerkraftsetzung der Edikte und Befriedungsverträge, die ewig und unwiderruflich waren – wir des Schutzes unserer gesetzlichen Richter entbehren, und nicht als freie Menschen, sondern als Sklaven behandelt werden: so wie man auch über unser Hab und Gut verfügt, über unsere Kinder und über unser Leben, als ob wir nichts anderes als Sklaven wären, wiewohl wir doch nicht Kopfsteuern und andere Steuern zahlen, um derartig behandelt zu werden. Und darum können wir all das Elend, das man uns erleiden lässt, nicht anders ansehen denn als Gewalttat und Unterdrückung. Oder sei es, weil das Unglück, das eine große Zahl unserer Brüder unter Ihrer Intendantur im Poitou, im Vivarais, in den Cevennen, im Nieder- und Hochlanguedoc erlitten hat, – da sie sich im Namen des Herrn Jesus versammelt hatten, um Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten, Seinen heiligen Namen anzurufen und Seine Herrlichkeit durch den Gesang ewigen Lobpreises zu rühmen – weil dieses Unglück der ganzen Welt aufzeigt, dass Sie bis zum Letzten voreingenommen sind gegen ein armes Volk, das niemandem ein Leid tut und das nichts begehrt als die Freiheit, Gott nach Seinen Geboten zu dienen …
Wollte Gott, es hätte dem König gefallen, in etwa die aufrichtigen Ratschläge in Erwägung zu ziehen, die ich mir vor zehn Jahren und länger die Freiheit genommen habe, an den Hof zu senden. Der König befände sich dann nicht in der Lage von heute … Denn nun ist es so weit gekommen, gnädiger Herr, dass Gott den Staat mit schrecklichen Übeln heimsucht, und man müsste schon völlig blind sein, um das nicht zu sehen. Aber alles das ist nichts im Vergleich zu den Folgen, die man logischerweise (raisonnablement) fürchten muss. Der Staat setzt sich noch äußerlich durch, weil er alle seine Kräfte einsetzt; aber indem er sie einsetzt, verbraucht er sie. Das Königreich befindet sich in einem Zustand der Gewaltherrschaft, jedoch sind gewalttätige Dinge nicht von Dauer …
Man kann schlechterdings nicht sagen, gnädiger Herr, dass wir nicht wahre Gläubige seien. Wir dienen nicht den Kreaturen, sondern dem Ewigen, dem lebendigen und wahren Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Wir setzen unser ganzes Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes des Vaters, in die Gnade Jesu Christi Seines Sohnes und in die heilsame Hilfe des Heiligen Geistes. Dieser große Gott ist es, dessen ich ohne Unterlass in heiliger Furcht gedenke, dessen Wort ich allezeit seit meiner Kindheit in meinem Herzen bewege, der mich gewürdigt hat, Anteil zu haben an Seinem großen Licht …
Darum flehe ich Ihre Hoheit an, endlich von der Verfolgung eines unschuldigen und treuen Dieners Gottes abzulassen, der es nicht lassen kann, die Pflichten seines Amts zu erfüllen. Im anderen Fall erkläre ich, dass ich gegen Ihren Haftbefehl vor dem Tribunal Gottes Berufung einlege, der der König der Könige ist, der höchste Richter der Welt. Der Herr, dem ich diene und für den ich so lange schon so viel leide, der mich bis zum heutigen Tag inmitten der Glut dieser schrecklichen Verfolgung bewahrt hat, wird mich auch in der Zukunft nicht verlassen, wenn es Ihm gefällt, und wird Sich zu mir bekennen.« –  Claude Brousson, serviteur de Jésus Christ.

Fünf Jahre nach diesem Schreiben wird Brousson in Oléron verhaftet, nach Montpellier im Languedoc gebracht und dort auf Befehl desselben Statthalters Bâville gerädert und erdrosselt. Dem Volk bleibt seine Hinrichtung unvergesslich, von der uns ein Brief sagt:
»… zwanzig Soldaten begannen ihre Trommeln zu schlagen, bis die Exekution vorüber war. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, mit welcher Festigkeit er zur Hinrichtung ging: Es schien, als begäbe er sich zu einem Festmahl. Seine Augen waren unverwandt zum Himmel gerichtet, so dass er, schien es, keinen Menschen auf dem ganzen Weg sah oder bemerkte. Jedermann brach in Tränen aus, diesen großen Glaubenszeugen vorbeischreiten zu sehen, der mit seinem Blut die Wahrheit zu besiegeln ging, die er gepredigt hatte.«

Broussons Lebenswerk ist ein typisches Beispiel dafür, dass man eine geschichtliche Erscheinung mit einem gleichen Schein von Recht entgegengesetzt deuten kann. Mit gutem Grund könnte man die Tätigkeit Broussons als ein nur retardierendes Moment bezeichnen gegenüber dem unaufhaltsam sich nahenden Sterben des Protestantismus. Mit mindestens demselben Recht kann und soll diesem Blutzeugen dafür gedankt werden, dass er durch sein Werk der Seele seines Volkes in ihren Tiefen die Kontinuität des Glaubens gesichert hat in dunkler Nacht bis zum Licht des neuen Tages.

Angesichts der unerwarteten Zähigkeit der reformierten Bekenner nimmt die taktische Unsicherheit des Königs, der mit Kriegen ohne Ende belastet ist, weiter zu. Seit 1693 stellt die Regierung weitere Verordnungen ein. Der wenig befriedigende Verlauf des pfälzischen Erbfolgekriegs bedrückt Ludwig, obwohl er im Frieden von Ryswyk tückisch durchgesetzt hat, dass den vergewaltigt gewesenen Grenzbezirken die Religionsfreiheit nicht wiedergegeben wird. Ein Jahr später, 1698, kommt eine Erklärung des Königs heraus, in der er in gemäßigten Ausdrücken anordnet, die Ketzer nicht mehr zu zwingen, sondern zu ermahnen (exhorter).

Mittlerweile erheben zwei andere Mächte ihr Haupt, die der König schon jetzt nicht mehr zu bezwingen vermag, die zu beschwören er schon jetzt nicht mehr imstande ist: der Hunger im Land, der Herold und Vorläufer des Wirtschaftsruins, und der Atheismus am Hof.

In dem reichsten und vielleicht fruchtbarsten Land Europas hat Seine Majestät der Hunger seine Residenz aufgeschlagen, nachdem Seine Majestät der König von Frankreich sich sein Residenzschloss in Versailles hat 400 Millionen Mark deutschen Geldes kosten lassen; nachdem (wenn es erlaubt ist, nach der Sonne auch einen ihrer Satelliten zu erwähnen)¬beispielshalber der Herzog von Chevreuse nur in den Enteignungs- und Elendsjahren um das Edikt von Fontainebleau 1683-1688 für seinen privaten Schlossbau in Dampierre die Summe von 267.800 Livres verausgabt hat, wie man den Rechnungen im Schlossarchiv entnehmen kann. Ein Jahr später, 1689, lesen wir, geschrieben von der Hand La Bruyères, eine andere Abrechnung, die Schlussbilanz all jener königlichen und fürstlichen und herzoglichen und gräflichen Unternehmungen und Rechnungen: »Man gewahrt hin und her auf dem Land gewisse unheimliche Lebewesen männlichen und weiblichen Geschlechts, schmutzig, von fahler Hautfarbe, sonnenversengt, in die Erde verkrampft, in der sie herumwühlen und herumgraben, ohne sich irgendwie darin beirren zu lassen. Sie haben so etwas wie eine artikulierte Stimme, und wenn sie sich aufrichten, sieht man ein menschliches Gesicht an ihnen. Und wirklich, es sind Menschen! Nachts verkriechen sie sich in ihre Höhlen, wo sie sich von schwarzem Brot, von Wasser und von Wurzeln ernähren. Sie sind dazu da, damit andere Menschen keine Mühe haben mit Säen, Feldbestellen und Ernten, um davon zu leben. Sie haben daher ein gewisses Anrecht auf das Brot, dessen Getreide sie gesät haben.« Und Taine fügt im ersten Band seiner zeitgenössischen Geschichte Frankreichs hinzu: »Eben dieses Brot bekommen sie nicht während der folgenden 25 Jahre und sterben herdenweise. Ich schätze, dass im Jahre 1715 (dem Todesjahr des Sonnenkönigs)¬etwa ein Drittel der Nation, sechs Millionen, an Elend und Hunger zugrunde gegangen ist.« Arthur Young, ein reisender Engländer, der sich mit einer Bäuerin in der Champagne unterhalten hat, sagt in seinen Erinnerungen: »Auch beim näheren Zusehen hätte man sie auf 60 bis 70 Jahre geschätzt, so gebeugt war ihr Rücken, so verrunzelt war ihr Gesicht und verbraucht durch die Arbeit. Sie sagte mir aber, sie sei 28 Jahre alt. Diese Frau, ihr Mann und ihr Haushalt sind das Durchschnittsbild des damaligen Kleinbauern. Sie besitzen ein Stück Land, eine Kuh und ein armseliges kleines Pferd. Ihre sieben Kinder verbrauchen die gesamte Milch der Kuh. Ihrem Grundherrn müssen sie jährlich 42 Livres Weizen und 3 Hühner abliefern, einem anderen Lehnsherrn 146 Livres Hafer, 1 Huhn und einen Sous (das Letztere offenbar als Symbol der wirtschaftlichen Hörigkeit), wozu noch die gewöhnliche Kopfsteuer – die »taille«, von denen der Adel und die Geistlichkeit befreit sind – und andere Steuern kommen.«

Alle diejenigen, die Steuern wirklich zahlen könnten, wissen sich der Steuern zu entziehen. Alle diejenigen, welche so gut wie nichts haben, werden unbarmherzig von den Staatssteuerpächtern erfasst. Ein Straßenkehrer, ein Lumpensammler muss seine Kopfsteuer entrichten, sobald er nur eine Schlafstelle hat. Sein Vermieter ist für diese Zahlung verantwortlich; wird die Steuer nicht aufgebracht, so legt man dem Schlafstelleninhaber einen Soldaten ins Quartier, der von ihm lebt und ihn entsprechend belästigt. Eine besondere Erscheinung der Zeit sind die massenhaften »collecteurs«, die, zu dieser Arbeit gepresst und aus ihrem Beruf herausgenommen, von Dorf zu Dorf gehen, von Haus zu Haus, um rückständige Abgaben und Steuern einzunehmen. Wehe ihnen, wenn ihr ruheloses Wandern nicht den genügenden Erfolg hat – wehe den anderen, wenn sie nicht zahlen!

Von allen diesen Dingen weiß man in Paris nichts oder will nichts wissen. Draußen, in der Provinz, liegt ein Drittel des Landes brach, weil die großen Grundbesitzer in der Hauptstadt leben, ohne sich um die Bewirtschaftung ihrer Territorien zu bekümmern. Wenn sie einmal durch die Provinz reisen oder ihr Schloss aufsuchen, gehen sie auf die Jagd. Das Wild, das von den Bauern nicht abgeschossen werden darf, verwüstet und verzehrt die Erträge der wenigen Äcker, soweit sie nicht schon vom Heidekraut überwuchert sind. Im Übrigen ist »Provinz« gleichbedeutend mit Verbannung. »Sire«, sagt M. de Vardes zu Ludwig XIV., »wenn man fern von Eurer Majestät weilt, ist man nicht nur unglücklich, sondern man ist lächerlich«. Wie sehr die Landstraßen der Provinz veröden, beschreibt uns eine Schilderung des genannten Engländers Young (Zitate bei Taine), der 1689 zwischen Orléans und Paris auf zehn Meilen keine einzige Schnellpost gesehen hat, auf der Landstraße von Narbonne auf 23 Meilen kein einziges Kabriolett, während die Straße zwischen Paris und Versailles in den beiden Fahrtrichtungen nur aus einer ununterbrochenen Kette von Wagen bestand. Versailles und Paris sind nicht nur Zentrum des Landes, sondern sind Frankreich.

In Versailles zeigt man sich,
drängt man sich, amüsiert man sich, unterhält man sich, ist man im Brennpunkt aller Neuigkeiten, aller Geschäfte, allen Geschehens. In Versailles berührt man sich mit der Elite des Königreichs und allen in Sachen der Eleganz und des Geschmacks tonangebenden Leuten. Versailles, der Hof Ludwigs XIV., zählt damals 70.000 Ansässige und 10.000 vorübergehend Anwesende. Um den eigentlichen Hof des Königs, an dem man alles an Ehre, Geld oder Vorteil erhält, wenn man dem Herrscher nur zu nahen versteht, gruppieren sich die Höfe der Großen: So hat der Herzog von Orléans 274 Hofbeamte, der Graf von Artois deren 239. Der König selbst verfügt, um nur einen kleinen Ausschnitt herauszugreifen, für seine Privatkapelle über 75 Priester, Kleriker und Kirchenbeamte. Für seine Gesundheit stehen 48 Ärzte, Apotheker und Hygieniker bereit. Sein Hausorchester zählt 128 Musiker und Sänger, seine Privatbibliothek wird von 43 Beamten betreut. Geld spielt in Versailles keine Rolle: Als der Graf von Conti an die von ihm begehrte Frau von B. schreibt, unterstreicht er das Anliegen seines Briefs durch die Notiz, dass er als Streusand für dieses Schreiben einen zu diesem Zweck pulverisierten großen Diamanten im Wert von 4.000 Livres verbraucht habe.

Die katholische Kirche gibt dem Ganzen in wohl abgewogener Mischung von glänzenden Zeremonien, tönenden moralischen Ermahnungen und weitgehendem Mittun die gewünschte Weihe und Verheißung des göttlichen Segens. Friedrich Nietzsche, der Fénelon loben wollte, hat in seiner »Morgenröte« den Typus des damaligen katholischen Hofpredigers, ohne es zu wissen, grausam genug gegeißelt: »Fénelon war der vollkommene und bezaubernde Ausdruck der kirchlichen Kultur in allen ihren Kräften: eine goldene Mitte, die man als Historiker geneigt sein könnte, als unmöglich zu beweisen, während sie nur etwas unsäglich Schwieriges und Unwahrscheinliches gewesen ist.«

Die normale Folgeerscheinung dieses Hofkatholizismus und dieser vollendeten Weltlichkeit, gefasst in dezente, geschmackvolle Form, ist die Freigeistigkeit und der Atheismus, der in genauem Verhältnis zur Austreibung hugenottischen Glaubensernstes zunächst in Paris und Versailles die Oberhand bekommt. Im Jahre 1698 schreibt die Pfalzgräfin-Regentin-Mutter über ihre Eindrücke: »Man sieht fast keinen jungen Mann mehr, der nicht Atheist sein will.« Sieben Jahre nach dem Tod Ludwigs XIV. fügt sie hinzu: »Ich glaube nicht, dass es unter den Geistlichen oder Laien in Paris noch 100 Menschen gibt, die die wahre Religion haben oder auch nur an unseren Herrn Jesus Christus glauben. Cela fait frémir – ich zittere, wenn ich daran denke.«

Ludwig XIV. ahnt nichts von dieser Götzendämmerung, welche ein Jahrhundert des Unglaubens einleitet. Von dem Elend des hungernden Volkes weiß er nur so viel oder nur so wenig, als man ihn wissen lässt. Gelegentliche Einblicke in den Jammer der vergewaltigten Gewissen und der zerstörten Familien seiner evangelischen Untertanen stören nur die Harmonie seines Machtbewusstseins und verletzen seinen formvollendeten Ordnungssinn – als es eines Tages einer armen Hugenottenfrau gelingt, zu ihm hindurchzudringen, sich ihm zu Füßen zu werfen und ihn mit Geschrei und Tränen um die Wiedergabe ihrer beiden geraubten Kinder anzuflehen, wirkt die gesamte Szene äußerst peinlich und unästhetisch auf ihn und seine Umgebung.

Der König weiß auch monatelang nichts davon, dass im Süden seines Reichs eine Revolte ausgebrochen ist, ja, freche Zungen würden sagen ein Religionskrieg, entfesselt durch seine eigenen Beamten und durch den Klerus in dem protestantischen Volk seines Reichs, von dem er nicht wissen will, dass es noch da sei. Broglio, der Befehlshaber drunten im Languedoc und Frau von Maintenon haben die leidige Affäre des Cevennenkrieges dem allwissenden und unfehlbaren Monarchen so lange vorenthalten, bis die religiöse Feuersbrunst im Süden sich schlechterdings nicht mehr verschweigen lässt.

Der Cevennenkrieg, »La Guerre des Camisards«, 1702-1704, ist ein Religionskrieg in sehr viel strengerem Sinne des Wortes als die Religionskriege des protestantischen Adels und seiner Gefolgschaft in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in denen Notwehr bedrängter christlicher Gewissen, Standesinteressen und politische Gesichtspunkte undeutlich gemischt waren. Der Camisardenkrieg zeigt die beiden Merkmale des echten Religionskriegs auf: Er wird um einer Glaubensüberzeugung halber geführt, und er wird vom Volk getragen, und von was für einem Volk!

»Dans quel granit, ô mes Cévennes,
Fut taillé ce peuple vainqueur?«

Wie berichtet, war der Predigerführer Brousson im Jahre 1698 durch den Statthalter Bâville hingerichtet worden. Nach ihm wird als Letzter der Reihe der Prädikant Roman, von einer Gemeindeversammlung zurückkehrend, durch einen Elenden namens Arnaud verraten und zur Verurteilung ins Gefängnis gebracht. Eine Gruppe energischer junger Hugenotten befreien ihn durch Gewalt, so dass er fliehen kann; er wirkt später als Waldenser Pfarrer bei Frankfurt am Main. Sein Leben ist teuer erkauft, die Rache des Statthalters ist grauenhaft. Zwölf der Befreier werden lebendig gerädert; einunddreißig kommen an den Galgen, siebzehn ins Gefängnis – die Zahlen schwanken.

Das geschieht im Jahre 1699, eben in dem Jahr, in welchem die Bewegung des Cevennenvolkes zuerst sichtbar wird in der singenden Jugenderweckung von Monteils – wie denn erweckte, einsatzbereite Jugend und der Tag und Nacht das Gebirge durchhallende Psalmengesang der Erhebung dieser Jahre einen unauslöschlichen Stempel aufdrückt.

Jean Cavalier berichtet darüber im ersten Kapitel seiner Memoiren über den Cevennenkrieg:
»… Gegen das Ende des Jahres 1699 erschienen Knaben, etwa 20 an Zahl – der älteste unter ihnen war nicht mehr als 15 oder 16 Jahre alt – vor dem Portal der Kirche von Monteils bei Alais, um dort Psalmen zu singen. Der Ortspriester ließ sie verjagen und begab sich missgestimmt zu ihren Eltern, um diesen klarzumachen, dass er im Wiederholungsfall sich an sie halten werde. Die Väter und Mütter antworteten, sie seien nicht als verantwortlich anzusehen und verboten ihrerseits den Kindern die Wiederholung solches Tuns. Die Angelegenheit hatte im Übrigen keine weiteren Folgen, denn dieser Priester war ein anständiger Mensch, und die Einwohner dieses Dorfes, zur Hälfte katholisch und zur Hälfte protestantisch, lebten im besten Einvernehmen miteinander.

Jedoch ereignete es sich, dass vierzehn Tage später dieselben Jugendlichen sich (abermals) vor der Kirche versammelten und von neuem anhoben, Psalmen zu singen. Als der Priester es vernahm, wurde er derartig gereizt, dass er die Katholiken des Dorfes sich bewaffnen ließ und anordnete, Eltern und Kinder einzusperren, um dadurch diejenigen herauszufinden, welche zu einer so leichtfertigen Handlung geraten hätten. ›Denn‹, sagte er, ›ihre Kinder würden niemals ein so schweres Vergehen begangen haben, wenn man sie nicht dazu aufgehetzt hätte.‹ Und es half den Eltern nichts, dass sie sich entschuldigen wollten und diese Anklage zurückwiesen und den Priester baten, doch wenigstens die Kinder selbst zu befragen.

Schließlich ließ der Priester denn die Kinder kommen und fragte sie, wer sie so unverschämt gemacht habe, ohne Respekt vor ihm Psalmen auf dem Kirchplatz zu singen, und befahl ihnen, die Namen derer zu nennen, die ihnen das beigebracht hätten. Die Kinder antworteten, dass man gar niemand anklagen könnte und dass auch ihre Eltern nicht in ihre Absicht eingeweiht gewesen seien. Sie hätten nur beten wollen und Gottes Ehre preisen, und sie würden das so lange tun, als sie lebten. Diese Antwort erstaunte den Priester und versetzte ihn in einen solchen Zorn, dass er ohne weiteres verschiedene dieser Kinder ins Gefängnis abführen ließ, überzeugt, dass sie alle unter einer Decke steckten. Einigen gelang es zu entwischen: Diese schlossen sich mit anderen Jugendlichen zusammen, gingen in einen Flecken namens Brignon am Gardonfluss, drangen in die Kirche ein und verbrannten dann vor der Kirchtür die Heiligenbilder und Kreuze, die sie gefunden hatten. Von da begaben sie sich in das nächste Dorf Baron, wo sie dasselbe taten, doch nicht, ohne dass einige unter ihnen verhaftet oder getötet wurden, da die Miliz hinter ihnen her war. Der Rest floh in den nächsten Wald und fuhr dort fort, zu beten und Psalmen zu singen …

Dann schloss sich ihnen ein junger Mann mit Namen Daniel an, der etwa 25 Jahre alt war, ein herrlicher Beter und von einem ungemeinen Eifer für Gottes Ehre beseelt. Nun strömten sie von allen Seiten zusammen; die einen aus Neugierde, die anderen, um Zeugen seiner eindringlichen Ermahnungen zu sein. Aber das Erstaunlichste war, dass dieser junge Mensch niemals andere Bücher gelesen hatte als die Heilige Schrift und einige Predigten von Claude Brousson.«

Nach dem späteren sorgfältigen Bericht von Antoine Court, dem geistlichen Nachfolger Cavaliers, in seiner Geschichte der Cevennen-Aufstände stammte dieser unbekannte Daniel, aufgewachsen ohne Geschwister und ohne jede Schulbildung, aus dem Dorf Roux. Er drückte sich so klar aus, er predigte so gewaltig und betete so glühend, dass man sagte, er sei ein Prophet. Court fügt hinzu: »Er sprach so übermächtig, dass seine Zuhörer, erschüttert und in Tränen ausbrechend, aus einem Munde riefen: ›Gnade, o Gott, und vergib uns armen Sündern!‹«

Dieser geistgesalbte Bußprediger und unbekannte Soldat Christi wird binnen kurzem verhaftet und öffentlich erhängt. Der seit dieser Zeit wieder wirksame Geist Gottes beginnt so stark zu wehen, dass, wie Cavalier von diesen Jahren (bis 1702) schreibt, die Gefängnisse und die Galeeren mit Protestanten gefüllt waren, welche nur das eine Verlangen hatten, ihre Schwäche und die Preisgabe ihrer Religion zu sühnen.

Der eigentliche Cevennenaufstand 1702-1704 wird um evangelisches Glaubensleben, um reformiertes Bekenntnis, um Gewissensfreiheit geführt von den Abkommen der alten Albigenser und vielleicht auch cisalpiner Waldenser, denen ihre Familie, ihr Heim, ihre angestammten Besitzungen, ihre Weingärten und Olivenhaine genommen werden sollen. Bauern, Landarbeiter, kleine Handwerker kämpfen mit den primitiven Waffen, die ihnen zur Hand sind, mit Sensen, Hellebarden und alten Feuerbüchsen, bald auch besser bewaffnet, gegen die Schergen, Henker und Exekutoren des Edikts von Fontainebleau, doch nicht gegen den König, wie sie meinen. Noch gegen Ende dieses Kriegs schreibt Cavalier an Montrevel: »Wenn man uns (nur)¬die Freiheit lassen will, Gott in der Reinheit des Evangeliums zu dienen, ist der Krieg sogleich beendet.«

Der äußere Ausbruch der Revolte gleicht der Explosion eines überheizten Kessels. Die »Nouveaux Convertis«, die »Mussbekehrten« leiden bitter unter den Demütigungen der Pariser Dekrete. Den treu gebliebenen Evangelischen wird eröffnet – und man handelt dementsprechend –, dass auf jede christliche Versammlung mit mehr als sechs Teilnehmern ohne weiteres gefeuert werden wird, in praktischer Anwendung der Zusatzverfügung von 1686, nach welcher Teilnahme an evangelischen Gottesdiensten mit dem Tod zu bestrafen ist. Die geistliche Neubelebung des Glaubens hat mittlerweile die innere Widerstandskraft gesteigert. Die Auslösung des Entschlusses zur Kampfhandlung und zum verzweifelten Einsatz aller natürlichen Hilfsmittel erfolgt durch die Katastrophe von Pont de Monvert.

Ein Augenzeuge (camisardische Darstellung)¬beschreibt uns, wie am 23. Juli 1702 eine große Anzahl protestantischer Männer durch einen gewissen Pierre Séguier, zubenannt »Esprit«, einen 50jährigen Wollkämmer, in die Einöde zusammengerufen werden. Esprit hält eine überaus lange Predigt und spricht ihnen dann von den Gefangenen im Keller des Abbé du Chayla, eines Erzpriesters und Missionsinspektors der katholischen Aktion, der gerade als Inquisitor an seinen hugenottischen Opfern eine neue von ihm ersonnene Tortur des Knochenbrechens erprobt. Sechzig Männer melden sich freiwillig zur Befreiungstat, von welcher der in der Versammlung anwesende kaum 20-jährige Cavalier wegen seiner Jugend ausgeschlossen wird.

Die Freischärler ziehen mit dem hallenden Schlachtgesang des 68. Psalms in den Marktflecken ein, mit Pistolen und einigen Flinten bewaffnet, umzingeln das Haus des Ketzermeisters, verlangen die Auslieferung seiner Opfer und versprechen, bei Erfüllung ihrer gerechten Forderung wieder abzurücken. Der römische Priester lässt seine Leute aus dem Haus feuern; zwei Protestanten stürzen tot zur Erde, und einige andere werden verwundet. Die Übrigen, vor Wut völlig außer sich geraten, überwältigen die katholische Wache des Pfarrhauses, brechen die Tür des Kellergefängnisses auf und dringen zu den verstümmelten Glaubensbrüdern hindurch, nehmen sie auf und tragen sie fort. Der Abbé selbst wird durch einen Schuss in den Schenkel verwundet, versucht durch ein Fenster zu entfliehen, wird gepackt und vor seinem Haus verhört und gefragt, warum er alle solche Grausamkeiten an den Evangelischen verübt habe. Er fleht um Gnade und um sein Leben. Man gibt ihm eine Viertelstunde Zeit, um sich im Gebet auf den ewigen Richter vorzubereiten, dann erschießt man ihn und brennt sein Haus nieder. Nach einer anderen, besser beglaubigten Version stirbt er von Stichen zerfetzt auf der Brücke. Cavalier bemerkt dazu in seinen Memoiren, laut Zeugenaussagen seiner Bekannten habe genau ein Jahr und sechs Tage vor dem schrecklichen Ende des Priester-Inquisitors ein junges Mädchen, das auf dessen Anordnung gehenkt wurde, diesem prophetisch gesagt: »Zähle, dass du heute in einem Jahr und sechs Tagen an derselben Stelle sterben wirst, wo du mich ermorden lässt, und eines grausameren Todes, als der ist, den ich sterbe.«

Nach der Befreiung der Gefangenen begibt sich Esprit zu einem Helfershelfer des Abbé du Chayla, lässt ihn ergreifen, erschießen und sein Haus anzünden. Dann, nach der Exekution eines weiteren Priesters, ziehen sie zum Schloss La Devèze und verlangen Waffen. Als man, statt ihnen das Gewünschte zu geben, auf sie schießt, setzen sie das Schloss in Brand. In dem katholischen Gegenbericht Bâvilles ist zudem die Niedermetzelung der Schlossfamilie vermerkt, die unter angeblich lautem Protest der besonnenen protestantischen Umwohner des Herrensitzes erfolgt. Kurz darauf wird Esprit verhaftet, verstümmelt und lebendig verbrannt; die Mittäter kommen an den Galgen. Eine Schreckenswelle der Verfolgung ergießt sich über die Gegend und mobilisiert die verzweifelten Gebirgsbewohner zur bewaffneten Gegenwehr. Die sprichwörtliche hugenottische Geduld hat ihr Ende erreicht.

Der Jüngling, der dem Cevennenkrieg seinen Stempel aufdrückt – derselbe, welchen eben der fanatische Séguier-Esprit von dem Unternehmen gegen den Abbé du Chayla seiner Jugend halber ausschloss – Jean Cavalier, ist ein Bauernkind aus der Gemeinde Ribaute. Er sieht sehr unbedeutend aus, hat »kastanienbraune Haare« und ist seinem Äußeren und seinem Wuchs nach ein großer Knabe. Heimlich von seiner Mutter im evangelischen Glauben unterrichtet, war er unauffällig seinen Weg in der Dorfjugend gegangen, hatte die katholische Schule besucht und sich dem Ortspfarrer als »bon Romain« empfohlen, indem er seinen Katechismus fehlerlos aufsagte. Von der Messe hielt er sich fern, so viel er konnte, und überwand schließlich nur noch mit äußerster Mühe seinen Abscheu gegen den römischen Aberglauben. Nachdem er in verschiedenen Dorfschulen gelernt hatte, was es dort zu lernen gab, bot ihm der Bischof des Bezirks eine Freistelle in einem Jesuitenkollegium an. Der Knabe verbeugt sich höflich, aber entschwindet kurz darauf dem misstrauischen Blick der katholischen Obrigkeit. Eine Weile arbeitet er anderswo bei entfernten katholischen Verwandten, dann geht er über die Grenze und sucht sich in Genf, der Zufluchtsstätte seiner Glaubensbrüder, eine Stelle als Bäckerlehrling. Nur der Geldmangel hindert ihn, bis nach Berlin weiterzuwandern, wo ein Verwandter, der Kavallerieoffizier Jean Cavalier, später in den Kirchenbüchern geführt ist.

In Genf erreicht ihn die Alarmnachricht, dass man sowohl seinen Vater als auch seine Mutter als Geiseln für den der katholischen Kirche verloren gegangenen Sohn fortgeführt hat, und zwar seinen Vater in das Gefängnis der Festungsstadt Carcassonne, seine Mutter in den Kerkerturm von Aigues Mortes im Rhônedelta. Der kaum Zwanzigjährige kehrt sofort zurück, um seine Eltern zu befreien, wenn es möglich wäre. Auf dem Rückweg trifft ihn die zweite Hiobsbotschaft: Seine Eltern haben ihrem Glauben abgeschworen, um die Freiheit wiederzuerlangen, und befinden sich als Abtrünnige wieder zu Hause. Es war also sein Vater zum zweiten Mal vom Evangelium abgefallen, denn er hatte bereits am 25. November 1686 mit den übrigen Einwohnern des Dorfes eine kirchliche und zivile Absage seines Glaubens unterschrieben, nach welcher er sich bereit erklärte: » … alle die, welche ihre (katholischen) Pflichten versäumen würden … als geschworene Feinde der Religion und des Staates zu betrachten.«

Gleichwohl sucht der Jüngling das väterliche Haus auf. Er erreicht es eines Sonntags früh und gewahrt die Eltern, wie sie, das römische Gebetbuch in der Hand, zur Messe aufbrechen. Er spricht mit ihnen, er beschwört sie: (Mémoires sur la Guerre des Cévennes, Kapitel I):
»›Wo sind‹, sagte ich ihnen, ›eure Gelöbnisse, die ihr so oft wiederholt habt in mancher Versammlung, vor Gott und vor den Menschen, lieber zu sterben als zur Messe zu gehen?‹ Dann wandte ich mich meiner Mutter zu und sagte zu ihr: ›Soll ich am Jüngsten Gericht gezwungen sein, gegen dich zu zeugen? Sollte es möglich sein, dass du im Fleisch endest, nachdem du im Geist begonnen hast? Die du mir ein Vorbild im Durchhalten gewesen bist, solltest du einer so unwürdigen Tat fähig sein? Wo sind alle die schönen Worte, die du mir so oft gesagt und wieder gesagt hast: Sei getreu bis an den Tod, so will Ich dir die Krone des Lebens geben!‹ – So sprach ich mit ihnen eine ganze Stunde lang, und sie weinten bitterlich und fassten den Entschluss, eher alles zu leiden, was es Gott gefallen würde, ihnen aufzuerlegen, als zur Messe zu gehen und sich wieder in die Götzendienerei einzutauchen.«

Beide Eltern bleiben ihrer Buße treu und stellen die Echtheit ihres Glaubens unter Beweis. Noch im selben Jahr werden sie als »Relaps« in das Fort von Alais gebracht. Seine Mutter geht im folgenden Jahr beim Heimweg zugrunde. Sein Vater und sein älterer Bruder befinden sich nach einer Briefnotiz des Generals La Lande noch im Mai 1704 im Gefängnis. Unterdessen begibt sich Cavalier, statt nach Genf zurückzugehen, zu seinen Glaubensbrüdern, tritt aber bald, nach Erweis einer ungewöhnlichen Kühnheit und Umsicht von den jungen Männern der Gegend gerufen, an die Spitze der Insurrektion im Nieder-Languedoc. Zur Bedingung macht er die Anerkennung seiner absoluten Führerschaft und obersten Gerichtsbarkeit über Leben und Tod in Sachen der Manneszucht und Mannschaftstreue und antwortet zwei Jahre später dem erstaunten Marschall von Villars, er habe niemals die geringste Schwierigkeit gefunden, eine sofortige Todesstrafe an schuldigen Elementen vollziehen zu lassen. Von jetzt an führt er seine Tausendschaft, zusammengestellt aus allergröbstem Menschenmaterial und einfachsten Kindern des Volkes, ohne jede erlernte Kenntnis der Strategie und Kriegswissenschaft mit der angeborenen Genialität, die später wieder in den jungen Generälen der französischen Revolution in Erscheinung tritt.

Er selbst will allein durch den Heiligen Geist geleitet werden, dessen Weisungen er in unablässigem Gebet sucht, der ihn von gewalttätigen Plünderungen zurückhält und in jeder einzelnen Situation erleuchtet. Die empfangenen, die geahnten Direktiven des Heiligen Geistes übersetzt dann der Jüngling mit der ganzen rationalen Klarheit seiner französischen Mentalität – wer dächte nicht an Jeanne d’Arc? – in die bestmögliche Disposition und in die zweckangepassteste Kampfhandlung, die Raum, Zeit und Materialien gestatten.

Als Führer in den Cevennen kommandiert neben ihm Pierre Laporte mit dem Zunamen Roland, ein früherer Soldat, dann Schweinehändler aus Mas Soubeyran – sein Häuschen ist trefflich erhalten und heute mit einem kleinen Museum verbunden –, umsichtig und zähe, weniger geschmeidig als sein jüngerer Kampfgenosse, aber geradliniger und noch unbeugsamer als er. Der so genannte katholische König des Languedoc, Bâville, beschreibt Roland in einem Brief an den Kriegsminister Chamillart: »Er ist eine Art wildes Tier, aus dem man nur Extravaganzen herausbekommt. Er sagt nämlich, dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen, und dass er die Gabe des Heiligen Geistes habe, der ihn lehre, was er tun müsse. Er ist ein vollkommen brutales Tier und kann nicht logisch denken (il ne raisonne pas)¬.« Der letzte Satz ist eine echt französische Kritik und ein Tadel, den man Cavalier nicht erteilen konnte.

In den beiden folgenden Jahren setzt die königliche Regierung ihre besten Generäle in den Cevennen ein, nach Broglios Niederlagen zuerst Montrevel, endlich den berühmten Marschall Villars, und wirft gegen die armseligen Camisarden, deren Zahl niemals mehr als höchstens 2.500 Mann betrug, im Ganzen 20.000 Mann reguläres Militär, 52 Bataillone Milizen und zahlreiche Freikorps in das Land. Zugleich stützt sie sich weithin auf die katholische Bevölkerung in den Cevennen und südlich des Gebirges, die mit 340.000 Seelen den 340.000 Protestanten der Gegend genau die Waage hält.

Die camisardische Kampfweise selbst schildert uns Cavalier höchst lebendig in seinen Lebenserinnerungen: »In dem Augenblick, da wir gegen den Feind gingen, oder da der Feind seinerseits uns angriff, betete einer unserer Pastoren, an der Spitze der Abteilung stehend, mit uns und ermahnte uns, mutvoll zu kämpfen. Dann stimmten wir einen Psalm an und schwärmten talwärts in das niedere Hügelland unter uns zum Angriff aus – ja, wir sangen so, dass unser Lied, durch die Echostimmen der umliegenden Berge wiederholt und vervielfacht, unsere Feinde glauben machte, wir seien zahlreicher, als wir in Wirklichkeit waren, was sie mit Grauen erfüllte.« Der unbekannte Verfasser der »Histoire des Camisards« erwähnt dazu die Äußerung eines (katholischen) Offiziers, der während des Cevennenkriegs Dienst getan hatte: »Wenn diese Satanskerle anfingen, ihr verdammtes Lied zu singen: ›Que Dieu se montre seulement‹ (Psalm 68)¬, waren wir nicht mehr Herr unserer Leute. Sie flohen, als ob alle Teufel ihnen auf den Hacken säßen.«

Gelegentlich stürmen selbst zwölfjährige Knaben mit. Die Wucht der Angriffe ist so außerordentlich, dass noch im Dezember 1703 sechzig armselige Rekruten Cavaliers, die ohne Waffen sind, zwei Kompanien des Königs nur mit Steinwürfen angreifen und in die Flucht treiben. Nach errungenem Sieg folgt abermals Dankpsalm, Gebet, Ansprache und auch Austeilung des heiligen Abendmahls. Die Zahl der täglichen Gebetsversammlungen ist von zwei aus der Zeit der alten Generation auf drei erhöht. Fluchen, zweideutige Reden und andere Soldatensünden sind streng verpönt.

Die Beteiligung der Jugend gibt dem Cevennenkrieg die charakteristische Note. Man hatte seinerzeit gehofft, durch die Bestimmungen des Revokations-Edikts über Kindererziehung den evangelischen Glauben gleichsam in der Geschlechter-Vertikale auszuhungern, und um 1685 hatte Frau von Maintenon geschrieben: »Wenigstens die Kinder werden Katholiken sein, wenn auch die Väter Scheinbekehrte (hypocrites) sind.« Genau das Umgekehrte ist der Fall. Mehrfach finden sich in den Briefwechseln der königlichen Machthaber in den Jahren 1702 bis 1704, dass die Kinder, wie es heißt, noch »hugenottischer« seien als die Eltern.

Schon 1698 schrieb Fléchier als Bischof von Nîmes: »Die religiöse Unterweisung der hugenottischen Häuser löscht binnen kurzem die Wirkungen des katholischen Schulunterrichts aus, und die Väter und Mütter als natürliche Religionslehrer zerstören am Abend alles, was Schullehrer oder Religionslehrer der römischen Kirche während des Tages in die Kinder gesät haben.« Inmitten der Camisardenkämpfe, im Mai 1703, äußert sich der Brigadeführer Julien dem Kriegsminister gegenüber folgendermaßen schriftlich:
»… Nur ganz nebenbei möchte ich Ihnen etwas bemerken, nämlich: dass alle die Kinder, die zur Zeit der Zwangsbekehrung der Eltern zur katholischen Kirche noch in der Wiege lagen, und nicht anders die, welche damals vier Jahre, fünf, sechs, sieben, acht, zehn und zwölf und fünfzehn Jahre alt waren, zur Stunde noch schlimmer hugenottisch sind als jemals ihre Väter und Mütter. Und ich füge hinzu: Eine große Zahl derer, die jetzt zusammengerottet sind, erinnern sich dabei nicht einmal, je in ihrem Leben einen Pastor gesehen zu haben. Wie in aller Welt ist es möglich, dass sie so hugenottisch geworden sind? Es kommt (aber)¬nur daher, weil ihre Väter und ihre Mütter Fleiß getan haben, sie insgeheim in dieser Gemütsrichtung (sentiments)¬zu erziehen, während äußerlich die meisten von ihnen zur Messe gingen und sich wie echte Katholiken gebärdeten. So hintergehen diese Menschen Gott und die Herren Bischöfe, Priester und andere kirchliche Würdenträger, und Sie dürfen sich darauf verlassen, dass diese Dinge noch Menschenalter dauern werden, es sei denn, dass Gott in Seiner Gnade eingreife und Seiner Majestät dem König die rechten Gedanken eingebe, was er tun muss, um diese Missstände zu verhindern.«

Und die religiöse Glut und geistliche Stoßkraft dieses jungen Geschlechts ist so stark, dass der Kriegsminister Chamillart seinerseits an Bâville schreibt: »Ich glaube nicht, dass Seine Majestät der Meinung sei, man solle diese Aufständischen in die Kolonien deportieren, weil sie ja nur jene Länder mit ihrem Starrsinn infizieren würden.«

Neben den geschilderten Lichtseiten dürfen die Schattenseiten des Camisardenkriegs nicht verschwiegen werden, die sich naturnotwendig aus dem Gebrauch weltlicher Mittel und weltlicher Waffen ergeben. In der französischen Nationalbibliothek befindet sich ein politischer Bilderbogen aus jener Zeit, der stark an die englischen Darstellungen der angeblichen deutschen Greuel in Belgien 1914 erinnert, mit der Überschrift: »Le Fanatisme renouvellé«, aus Einzelbildchen bestehend, welche die Untaten der Hugenotten darstellen und mit Stichworten versehen sind wie: »Brandstiftung«, »Lästerung«, »Grausamkeit«, »Mordtaten«, »Waffengewalt«, »Rebellion«, »Plünderung«.

Auch einmal abgesehen von diesen Verzerrungen des Tatbestands hat naturgemäß im Camisardenkrieg die Methodik des rein weltlichen Kriegs, Gewalt und List, eine wenn auch begrenzte Rolle gespielt. Die List wird hier, wie überall in weltlichen Zusammenhängen, zur Waffe der Schwachen gegen die Stärkeren. Man kleidet sich in die erbeuteten farbigen Uniformen der Königlichen, um den Feind zu täuschen; man geht sogar so weit, irgendwo Scheingottesdienste zu veranstalten, damit man den Feind dorthin ziehe und anderswo freie Hand zur Aktion bekomme. Auch die letzten Verhandlungen Cavaliers mit Villars sind ein Doppelspiel. Während Cavalier verhandelt und sich verpflichtet, hält sich in den Nieder-Cevennen Roland die Hände frei in Erwartung der noch immer erhofften englischen Hilfe, die zeitweise von drüben zugesagt war. »Wer das Schwert der List nimmt, der wird durch das Schwert der List umkommen« – diese Anwendung des Jesuswortes erweist sich sogleich dadurch, dass Cavalier selbst wiederum von Villars überlistet und betrogen wird, ohne die Früchte seiner eigenen List einheimsen zu können.

Gewalttat wird von Cavalier nach Möglichkeit vermieden, obgleich er nach der scheußlichen Ausstellung des Kopfes seines Glaubens- und Waffenbruders Gédéon Laporte auf der Brücke von Anduze Ende Oktober 1702 seine Truppen anweist, im Kampf mit dem Feind keinen Pardon mehr zu geben; zudem wäre es ihm auch unmöglich gewesen, Gefangene unterzubringen oder zu ernähren. Man verbrennt zahlreiche katholische Kirchen, doch nicht in Bilderstürmerei, sondern weil die damalige katholische Dorfkirche zugleich Waffenarsenal und militärischer Stützpunkt war. Es ist auch wahr, dass Cavalier einmal zwei katholische Dörfer vernichten lässt, aber dabei darf nicht vergessen werden, dass auf Befehl des königlichen Oberkommandos 470 – vierhundertsiebzig – Dörfer und Weiler verbrannt worden sind.
Besonders belastet wird Cavalier durch den Gewaltstreich gegen Sauve schon im Dezember 1702. »Ich höre, dass diese Verbrecher mit Trommelwirbel in die Stadt Sauve einmarschiert sind, indem sie behaupteten, eine königliche Abteilung zu sein, die auf meinen Befehl dort Quartier machen wolle. Dann gaben sie sich aber zu erkennen durch ihr übliches Manöver: Sie verbrannten die Kirche und töteten drei Priester, ohne dass auch nur einer der Ansässigen, die alle Zwangsbekehrte sind, sich während dieser Aktion oder nach ihrem Abmarsch geregt hätten, woraus man erkennen kann, dass sie diesem Unternehmen zustimmen.« So schreibt Marschall Broglio an Chamillart den Tag darauf. Leider muss später Antoine Court diesen dreifachen Mord bestätigen; für den gesamten Cevennenkrieg registriert er 19 erschlagene Priester, die allerdings nicht als Geistliche, sondern als Tyrannen des Volkes und Helfershelfer der Strafexekutionen angetastet werden.

Fast immer bleiben diese Gewalttaten, ja gelegentlich schweren Exzesse im Rahmen eines ernstlichen, wenn auch manches Mal verzerrten christlichen Willens und evangelischen Glaubens, wie denn am Ende des Kriegs Marschall Villars an den Marquis von Puysieulx schreibt: »Diese Unglücksmenschen besitzen die natürlichen Vorzüge unserer Nation und haben das durch eine erstaunliche Todesverachtung nur zu sehr bewiesen. Es steht außer jedem Zweifel, dass sie Gottes Lobpreis singend zur Hinrichtung eilten. Und wenn sie im Kampf besiegt waren, – statt dass sie um Pardon baten, was auch nicht einer getan hat, – dankten sie denen, die sie töteten, ohne dass die grausamsten Torturen ihnen jemals das geringste Geheimnis entwinden konnte.«

 Anfang 1704 ist der Camisardenkrieg in mehrfacher Beziehung ein Erschöpfungskrieg geworden. Auf der protestantischen Seite gehen die Materialreserven zu Ende, auf der katholischen Seite lässt die Spannkraft nach; die Peitsche, die Bâville erbarmungslos, sengend und mordend über den Cevennen schwingt, verbraucht sich.

Die Camisarden haben durch mehrere schwere Niederlagen wertvolles Menschenmaterial verloren; die ihnen zur Verfügung stehenden Getreidefelder, Scheunen, Mühlen, Backöfen und Pulvermühlen sind zerstört, und ihre wichtigsten Höhlenvorräte an Lebensmitteln und Munition sind ausgeraubt. Auf der anderen Seite erkennt man je länger desto deutlicher, wie wenig die Methoden der Einschüchterung und der Grausamkeit zum gewünschten Ziel führen. Daher entscheidet sich der 1704 ins Languedoc berufene Feldmarschall Villars zur Zurückstellung der Peitsche und klüglichen Darreichung von Zuckerbrot. Während die Peitsche sich an die Angst gewendet hatte, von der die Camisardenjugend nichts wusste, weil ihre Schläge immer neue Erbitterung und Widerstand schufen, appellierte das Zuckerbrot an die Treuherzigkeit und Vertrauensseligkeit der einfachen Menschen und verfeindete zugleich die Harmloseren unter ihnen mit den Vorsichtigen und Misstrauischen, so dass die bisher geschlossene Reihe auf der anderen Seite sich lockerte. Diesen Weg ging Villars, der vornehme Herr mit der eindrucksvollen Perücke, den hoheitsvollen Augenbrauen, den etwas öligen Augen und den weichen, sanften Wangenpartien um den schönen Mund.

Mildere Saiten werden aufgezogen, die Galgen und Räder in Nîmes werden abgebrochen. Ja, der neue Marschall lässt es geschehen, dass in Calvisson 12.000 Protestanten einen Gottesdienst unter freiem Himmel halten, ohne dass das Militär auf die Feiernden schießt. Villars geht noch weiter. Er macht Cavalier positive Versprechungen versöhnlicher Art: Die Truppen sollen das Volk schonen, die Religionsverfolgungen werden irgendwie beendigt werden, die Galeerensträflinge sollen die Freiheit bekommen. Cavalier lässt sich umgarnen, obgleich er von Ravanel, dem instinktsicheren und jedem Kompromiss abgeneigten Waffengefährten leidenschaftlich gewarnt wird. Im Hintergrund steht vielleicht die Hoffnung auf eine Hilfe beim König, von dem Cavalier, wie er im vierten Abschnitt seiner Memoiren sagt, überzeugt war, »dass er nichts von den großen Leiden wusste, die wir erlitten hatten, noch vielleicht überhaupt etwas von dem Vertrag (mit Villars)«. Am 17. Mai unterschreibt Cavalier das Abkommen mit der königlichen Provinzialregierung. Er wird mit seinen Leuten die Waffen niederlegen, bekommt diese und jene Zusicherung, ohne irgendeiner Verpflichtung abzuschwören. Die nun folgenden Wochen bringen ihm eine Reihe bitterer Demütigungen. Er muss über sich ergehen lassen, vom Bischof als wieder gefundenes Schäflein begrüßt zu werden, das verloren war, obwohl Cavalier auch nicht einen einzigen Schritt zur katholischen Kirche zurückgetan hatte. Er muss sich gefallen lassen, dass Bâville ihm einen Beutel voll Geld für seine zerlumpten Soldaten schenkt, obwohl er weiß, dass kein Goldstück darunter ist, das er mit gutem Gewissen annehmen kann. Er erhält vom Generalkommando die Ernennung zum königlichen Oberst, obwohl er nicht weiß, was er antworten soll, wenn seine alten Freunde ihn nun einen bestochenen Verräter heißen.

Inzwischen wird Villars, der für die Fanatiker der katholischen Partei im Gebrauch einer toleranten Taktik schon viel zu weit gegangen ist, beim König als unzuverlässig verdächtigt und kann nicht umhin, die Pflöcke wieder vorzustecken und auf den alten Kurs umzulenken. Nachdem Cavalier eine Zeit lang umsonst auf die verabredete Freilassung der Gefangenen gewartet hatte, entschließt er sich zu einem letzten verzweifelten Schritt. Er schlägt sich bis nach Paris durch und erreicht eine Audienz beim König, der ihn ermahnt, sich zum katholischen Glauben zu bekehren. Cavalier versucht, ihn über die schrecklichen Geschehnisse der vergangenen Jahre zu unterrichten, und antwortet auf die kaltherzige Frage des Monarchen, ob er abschwören wolle: »Mein Leben ist in der Hand Seiner Majestät, und ich bin bereit, es in seinem Dienst hinzugeben. Aber was meine Religion anbetrifft, so bin ich entschlossen, sie nicht zu wechseln, auch nicht für alle Königreiche der Welt« (Cavalier, Mémoires IV).

Nach dieser ergebnislosen Aussprache macht ihm der Kriegsminister Chamillart in seinem Versailler Kabinett die heftigsten Vorwürfe, so offen zum König gesprochen zu haben, »aber hauptsächlich, weil ich die Ehre verweigert hatte, ein Bekehrter des Königs zu sein. … Ich konnte nicht umhin zu lächeln, als er mir weiter sagte, dass, auch wenn ich nicht alle Lehren der Kirche glauben könnte, ich (wenigstens) den Schein erwecken müsste, wie man tut, wenn man ins Theater geht, ohne viel auf das zu achten, was gespielt wird. ›Wenn Sie in der Messe sind‹, fügte er hinzu, ›können Sie dann meinetwegen zum Teufel beten. Wenn Sie nur der König dort zwei- oder dreimal sieht, ist Ihr Glück gemacht. Dann bekommen Sie eine Pension von 1.500 Livres im Jahr und Ihr Vater dasselbe, und Sie darüber hinaus eine Bestallung als Brigadier in der Armee.‹ Ich antwortete ihm, dass Mose, als er in reiferem Alter war, bei weitem vorzog, mit dem Volk Gottes Unglück zu leiden, als die Freuden des Hofs für kurze Zeit zu kosten. Darauf lachte er und sagte zu mir: ›Wo haben Sie diese Altweibergeschichten her? Glauben Sie, dass Gott den König gesegnet hätte und ihm alles hätte gelingen lassen, wie Er es getan hat, wenn die (katholische)¬Religion des Königs falsch wäre?‹ ›Mit Verlaub, mein Herr‹, sagte ich, ›soviel ich weiß, ist es auch dem Islam und seinen Anhängern gelungen, sich einen großen Teil der Erde zu unterwerfen. Da wir aber die Ratschlüsse Gottes nicht beurteilen können, darf man aus Erfolg und Glück und dergleichen anderen Dingen keinen Beweisgrund ziehen.‹ Das Gespräch wird schließlich durch Chamillart abgebrochen mit den Worten: ›Ich habe es nur gut mit Ihnen gemeint, aber ich sehe, dass Sie ein starrsinniger Hugenotte sind; machen sie also, was Sie wollen‹« (Cavalier, Mémoires, IV ).

Als Cavalier wieder heimkommt, wird er zunächst mit seinen Kerntruppen interniert. Es sind hundert Mann, deren Liste mitsamt ihren genauen Signalements wir noch besitzen. Das Schriftstück ist unterzeichnet »Cavalier«. Ohne sein Wissen werden dann die »schlechtesten und gefährlichsten« Subjekte mit einem Kreuz versehen: vierunddreißig Mann sind so gebrandmarkt unter Hinzufügungen von Stichworten wie: »Fanatiker«, »Prädikant«, »Verbrecher«, »gefährlich«. Der Name von »Antoine Tront, aus La Salle am Gardon, 30 Jahre alt, schwarze frisierte Haare, schön gewachsen« trägt den merkwürdigen Vermerk: »(alter Soldat und hat Geist +)«.

Cavalier beginnt nun doch zu ahnen, auf was und mit wem er sich eingelassen hat. Angeblich sollten er und seine Leute ehrenhafte Kriegsdienste für ihren König auf dem spanischen Kriegsschauplatz tun dürfen, aber zuvor will man sie alle in die Festung Alt-Breisach überführen. Kurz entschlossen entweicht Cavalier über die östliche Grenze. Er bemerkt später schriftlich: »Ich zweifle nicht, dass, wenn ich nach Breisach gegangen wäre, man mich dort eines gewaltsamen Todes hätte sterben lassen; sodann hätte man veröffentlicht, ich sei eines natürlichen Todes gestorben.« So begibt er sich nach Neuchâtel, später nach England, wo er in die Armee eintritt und nach langjährigen Diensten im Rang eines Generalmajors stirbt.

Nicht lange nach Cavaliers Flucht wird der vereinsamte Roland im Hof des Schlosses Castelnau überrascht und erschossen. Ravanel, Bonbonnoux und einige andere ungebeugte Männer ziehen sich in unwegsame Schluchten und Höhlen der nördlichen Cevennen, vielleicht auch des Vivarais, zurück, leben dort wie gehetzte wilde Tiere und werden zehn Jahre später, als Antoine Court auf den Plan tritt, mit der bärbeißig-grimmigen Treue narbenbedeckter alter Krieger daran gehen, lesen und schreiben zu lernen und die alten Psalmen, Bibelverse und Predigtstücke auf ihre sehr massive Weise der auferstehenden Kirche in das Herz zu singen und zu sagen.

Menschlich geredet ist Ende 1704 in dem zertretenen Süden, der noch die letzten lebendigen Gemeinden besessen hatte, alles für das Evangelium verloren. Äußerlich gesehen ist dieses arme Volk – Volk ohne Seelsorger, Volk ohne Einweisung in Gottes Wort, Volk ohne Gottesdienst und Sakrament, Volk ohne Kirche – des Erbes der Reformation verlustig gegangen. Die fratzenhaften Gestalten überspannter, halb geisteskranker Prophetinnen, die noch heimlich etliche Zuhörer finden, bestätigen auf ihre Weise den Untergang des Evangeliums in seiner letzten Zufluchtsstätte des Reiches. Die unbarmherzig durchgeführte Bestimmung, nach welcher die Kinder nichtkatholisch getrauter Paare nur als Bastarde zu rechnen sind und jedes Familienrechts, jedes Erbrechts sowie des staatlichen Rechtsschutzes verlustig gehen, scheint die letzten Ausblicke auf ein Fortbestehen der Gemeinde wenigstens im Rahmen der christlichen Familie mit Schwarz zu verhängen und die letzten Sterne der Hoffnung auszulöschen.

Unterdessen beginnen auch im fernen Versailles Lichter allgemach zu verblassen, Lichter menschlicher Lebensfreude, Lichter gesunden Lebensmutes, und schließlich auch das ganz große Licht mitten inne, das am Ende ein kleines und sehr trübseliges Licht geworden ist, aber dessen Docht noch beim einsamen und elenden Verlöschen sehr majestätisch flackert und sehr feierlich umsinkt.

Einst, in sehr ferner Zeit, hatte die Jungfrau von Orléans in Chinon zum französischen Thronfolger gesagt: »Ihr werdet Statthalter des Himmelskönigs sein, der König über Frankreich ist.« Jene alte politische Heilsidee war in Ludwig XIV. zur Endform gereift und überreif geworden. Das französische Königtum hatte sich von der Lotterwirtschaft eines Heinrich III. zur Präzisionsmaschinerie der Verwaltung, zum Musterbild höfischer Etikette des Versailler Hofs entwickelt. Die Kulturwerte des Landes waren so vollkommen in den heilspolitischen Gesamtrahmen des Königtums einbegriffen worden, dass keine neue Idee mehr aufkommen konnte, die diesem organischen Rahmen nicht angehörte oder nicht von ihm beansprucht wurde oder sich nicht von ihm assimilieren ließ. Alles das gilt als erworbener Besitz der Krone und Frucht der letzten Vergangenheit, auf die der alternde König zurückblickt. Es bewahrheitet sich aber für diese weltlichen Zusammenhänge das weltliche Wort Graf Keyserlings: »Keiner, dessen Zustand Vergangenes ausdrückt, kann Zukunft weisen. Dies vermag nur der, in dem die Zukunft als Wirklichkeit schon lebt.«

In den Jahren, die auf das Vernichtungswerk in den Cevennen folgen, schwindet die mystische Aureole um das Haupt des Königs, man weiß nicht recht, wie und warum. Die spanische Grandezza des Hofs wandelt sich sachte in Schäbigkeit, und das Leben in Versailles, das schon eintönig und langweilig genug war, wird trivial. Die zunehmende Bigotterie in ihrer inneren Unwahrhaftigkeit vermag die seelische Aushöhlung, die Verödung nicht aufzuhalten. Zuerst wird eine Vernachlässigung der Etikette fühlbar, dann reißt eine solche Würdelosigkeit ein, dass man an den Spieltischen des Schlosses ordinäre Kammerfrauen mit dem Adel um Geld pokern sieht.

Der entsetzliche Eiswinter 1708/09 wirft über das zerfrorene Land und seine ruinierten Fluren so tiefe und schwarze Unglücksschatten, dass sie selbst vom Licht der zehntausend Kerzen in den Sälen von Versailles nicht mehr aufgehellt werden können. In diesem Jahr schreibt Frau von Maintenon an die Prinzessin von Ursins über das Leben am Hof: »Die Schauspiele sind aufgehoben, die höheren Lehranstalten sind geschlossen, die Handwerker arbeiten nicht mehr, und die Folge ist ein großer Jammer. Sie wissen ja, wie es mit den großen Staatsgeschäften steht, also dass, kurz gesagt, man hier nichts hört als Klage und nichts sieht als Traurigkeit.«

Immerhin wird die Monotonie des Hoflebens am Schluss des Winters durch ein Zwischenspiel unterbrochen. Die Heringsweiber von Paris marschieren mit bösen Augen und bösen Worten auf Versailles, um dem König die Not des Volkes in die Ohren zu schreien, damit er den Brotpreis heruntersetze und dem schlimmsten Elend entgegensteuere. Sie dringen zwar nicht bis zu Ludwig selbst hindurch, denn sie werden von der Wache zurückgehalten. Aber keine königliche Wache und keine Macht der Welt wird einst ihre Urenkel hindern, am Morgen nach der nächtlichen Flucht des sechzehnten Ludwig nach Varennes die Büsten seines erhabenen Vorfahren an den Straßenecken von Paris zu zerschmettern. Und drei Jahre später werden dieselben Urenkel, von der kalten Hand eines Advokatensohns aus der Provinz beherrscht und geführt, auf der Place de la Victoire mit wüstem Gröhlen das Standbild eben dieses Sonnenkönigs von seinem hohen Postament auf das Pflaster stürzen – dasselbe Standbild, das man ein Jahr nach dem Schreckensedikt von Fontainebleau mit Weihrauch und Kniefällen geweiht hatte und das in goldenen Buchstaben auf seinem Sockel die Inschrift trug: »Viro immortali«, »Dem Unsterblichen«.

Der König, der sonst alles weiß, weiß von diesen Zukunftsbildern nichts. Das Uhrwerk des eintönigen, immer äußerlicheren Zeremoniells und der täglichen Empfänge dreht sich automatisch weiter, jetzt schon wie eine Uhr, deren schleppender Gang nicht mehr aufgezogen zu werden braucht, weil er schon von den geringen Schwankungen der Atmosphäre geschlossener Räume genug Impulse empfängt, um sich weiterzubewegen. Man hat von dem Genf Calvins gesagt: »Eine Welt wie diese bildet sich nur um innere Glut.« Eine Welt wie diese Welt, die Versailles heißt und Frankreich zu sein vorgibt, welche in der allerletzten Konsequenz und in der Unbedingtheit einer zum Riesen-Eiskristall gewordenen Idee steht, umgibt einen Mann, dessen Herz nie ein Vulkan war und dem jetzt lähmende Kälte das Herz umfriert.

Seit kurzem ist die neue steinerne Schlosskapelle mit der vornehmen Flucht heidnischer korinthischer Säulen vollendet, und man sieht den gotterkorenen Herrscher samt seinem Gefolge dorthin zum Hochamt ziehen und mit seinem unbeweglichen, jetzt fast erstarrten Gesicht denselben unveränderlichen Platz auf der Tribüne einnehmen. Er selbst ist als Einziger dem Altar zugewandt. Seine Höflinge sitzen im Kirchenschiff, dem Allerheiligsten den Rücken zukehrend, um nur Den zu betrachten, der im Land Frankreich sich selbst nun auch zum Herrn über Gottes Reich und Gottes Wort machte. Der König, der die Kirchenväter niemals gelesen hat, weiß nicht, dass in alten Zeiten Sankt Augustinus den Satan den Affen Gottes nannte, und es ist für seine Seelenruhe gut so, sonst könnte er erschrockene Betrachtungen darüber anstellen, wie sehr ein Mensch, der zum Affen Gottes wird, dadurch dem bösen Feind gleicht.

Nach dem Hochamt wird Ludwig XIV. mit denselben ebenmäßigen Schritten in die prunkvolle Öde seiner Privatgemächer zurückwandern. Immer größer wird die Einsamkeit sein, die ihn erwartet, denn Glied um Glied reißt jetzt der Tod aus den Reihen seiner Kinder und Kindeskinder, und draußen sind die Provinzen leer geworden von wahrhaft ergebenen, wahrhaft selbstlosen, wahrhaft gottesfürchtigen Dienern des Staates. Die Hiobsbotschaften von nah und fern erträgt der König mit einer Selbstbeherrschung und einer stoischen Gelassenheit, die seine Umgebung, ja, ganz Europa nur als einen Triumph der Form bewundern kann. Wenige wissen von der Wehmut, die in seinem Herzen immer stärker aufklingt, wenige fühlen, wie sehr er innerlich zerrissen und gebeugt ist, wenige vernehmen den Unterton des leisen Wimmerns in seinen kargen, gemessenen Worten; doch haben einige gehört, dass ihm das Wort entfuhr: »… du temps que j’étais roi«, » … damals, als ich König war.« Er sucht um jeden Preis Ruhe für seine Seele und äußert gegenüber etlichen Herren des Parlamentsgerichts: »Ich habe mir meine Ruhe erkaufen müssen« und übergibt ihnen sein Testament mit der Bemerkung, man habe es ihm abgepresst und man habe ihn schreiben lassen, was er nicht wolle und was er nach seiner Meinung niemals tun dürfe. Dieses Testament, ein Jahr vor seinem Tod verfasst, schärft dem kommenden Regentschaftsrat die strikte Befolgung der Schreckensedikte gegen die Protestanten ein.

Im letzten Jahr seines Lebens, 1715, gibt Ludwig, ein 77-jähriger Greis und in die aufstachelnde Jesuitenhand des jüngeren Le Tellier gegeben, am 15. März eine anti-evangelische Sonderorder mit unmenschlichen Verschärfungen heraus. Sie enthält die ausdrückliche Feststellung, dass in seinem Reich kein unbekehrter Protestant mehr leben könne, mehr lebe. In den folgenden Sommermonaten wird der unaufhaltsame finanzielle Ruin des Staates offenbar. Die Felder draußen stehen verödeter als je, Meutereien gehen durch die Massen, und unheimliche Gewitterwolken lasten über der Zukunft der sterbenden Dynastie. Es ist – wenn das geschehen kann – noch stiller um den König geworden, und man hört, wie einzelne Tropfen, die in einem leeren Raum fallen, die traurigen Worte, die der Sterbensmatte an seinen Urenkel richtet, einen schönen Knaben von fünf Jahren – denselben, der später durch ein Leben wüster Sittlichkeitsverbrechen das Maß der Bourbonen voll machen sollte –: »Du wirst bald König eines großen Reiches sein. Vergiss niemals die Verpflichtungen, die du Gott gegenüber hast. Gedenke daran, dass du Ihm alles verdankst, was du bist. Halte Frieden mit deinen Nachbarn; ich habe den Krieg zu sehr geliebt. Sei mir darin unähnlich, und sei mir nicht gleich in den Luxusausgaben, die ich gemacht habe. Lass dir in allen Dingen raten. Schaffe deinen Völkern Erleichterung, sobald du kannst, und hole nach, was ich zu meinem Unglück selbst nicht habe tun können.« Er versammelt seine Minister und Würdenträger und sagt zu ihnen: »Verzeihen Sie mir das schlechte Beispiel, welches ich Ihnen gegeben habe!« Und er fügt hinzu, sich auf das Gebot der vollendeten Selbstbeherrschung besinnend: »Ich fühle, dass ich gerührt werde und dass ich Sie veranlasse, gerührt zu werden, und bitte Sie auch deshalb um Verzeihung.«

In den ersten Stunden des ersten Septembers löscht der König aus, mit Sterbegebeten, dem Ave-Maria und dem Credo auf seinen Lippen, von der Maintenon und seinem Beichtvater, der nichts mehr von ihm zu erwarten hat, in der Todesstunde allein gelassen. Ludwig XIV. wird still beerdigt – inmitten der Stille, die das schreckliche Wort des Abbé von St. Gervais an der Bahre Ludwigs XV. meinte: »Le silence du peuple est la leçon des rois« – »Das Schweigen des Volkes ist seine Botschaft an die Könige«.

Elf Tage vor dem Abschluss dieses langen und unheilsträchtigen Lebens eröffnet Antoine Court, ein unbekannter Jüngling aus den Gebirgen Süd-Frankreichs, in einem Steinbruch des Languedoc die erste Predigersynode der kommenden evangelischen Kirche des Königreichs. Er stammt aus dem zergangenen alten hugenottischen Gottesvolk; das Salz der Erde war aufgelöst gewesen im feindlichen Wasser der Welt: Nun führt Gott durch ihn den Stoß gegen das Gefäß seines Volkstums. An diesem unvergesslichen Tag, am 21. August 1715, formt sich auf den Anruf des neuen Predigers in der Wüste der Kern der neuen Gemeinde Christi. An das Wort Gottes als alleinige Richtschnur soll sie gebunden sein, Schwärmerei und Schwert soll nicht unter ihr gefunden werden, und dem König aller Könige, der ihr bald über das ganze Land hinweg durch Seinen Heiligen Geist ein großes Auferstehen schenkt, wird alle Ehre gehören.

 

 KAPITEL VIII

DAS AUFERSTEHEN DES FRANZÖSISCHEN PROTESTANTISMUS

»Diéu en ligno premièiro.« – »Gott an erster Stelle!«  –  »… Wenden Sie etwa ein: ›Dann riskiere ich etwas!‹? Nun, Sie haben auch sonst immer riskiert, und alle, die unter dem Kreuz leben, wissen von nichts anderem als von Gefahr.«  –  Isabeau Corteiz, Gattin des Cevennenpredigers Pierre Corteiz, in einem Brief vom 10. Juni 1730 an einen hugenottischen Pfarrer.

»Le peuple du Languedoc est affamé« – der große Hunger nach Gottes Wort ist über das Volk des Languedoc gekommen – mit diesem Argument begründet Antoine Court in seinen Lebenserinnerungen sein Fortlaufen von der einsamen Mutter hinaus in alle Gefahren einer heimatlosen Zeugenschaft. Aber wir müssen vorerst einige Jahre zurückgreifen. Irgendwo im Vivarais, dem Bergland westlich von Valence, nördlich der Cevennen, steht im Marktflecken Villeneuve-de Berg eine arme Frau ganz leise auf; die Nacht ist schon hereingebrochen, und es wird kühl. Sie schlägt ein Tuch um die Schultern und verlässt das Haus. Noch leiser klettert ihr kleiner Sohn aus dem Bett und schleicht ihr nach; als sie beim ängstlichen Rückwärtsschauen durch die Dunkelheit hindurch das Kind wahrnimmt, fragt sie erschreckt: »Wohin willst du?« »Ich geh’ mit dir – ich weiß, dass du zum Beten gehst«, sagt der Junge ruhig, und seine Stimme klingt zum ersten Mal nicht mehr kindlich, sondern wie die Stimme eines zielbewussten Mannes. In einem Bauernhof treffen sie Gleichgesinnte, die den Kopf schütteln angesichts des schmächtigen Knaben, der für den langen Weg zu schwach ist und der das gefährliche Geheimnis nicht zu hüten wissen wird. Aber vielleicht erinnert man sich daran, dass Anton in seiner Dorfschule den Zunamen »le fils aîné de Calvin« trägt und wie er verstanden hat, sich mit Nägeln und Zähnen zu wehren, als man ihn in die Messe schleppen wollte. So erklären sich einige kräftige Burschen bereit, das Kind mitzunehmen, indem sie es abwechselnd tragen. Nach kurzem und todernstem Gebet bricht man auf. Irgendwo droben im steinigen Gebirge stoßen sie zu der Versammlung. Man hebt den Knaben über die Felsen hinauf, und er ist Zeuge, wie eine Prophetin, die Witwe Ransel, anstelle der verjagten und hingerichteten Pfarrer die Bibel auslegt. Sie spricht über das Wort des Herrn aus Jesaja: »Was kann ich noch mit meinem Weinberg tun, was ich noch nicht getan hätte? Warum habe ich doch erwartet, dass er gute Weinbeeren trüge, und er trägt nur wilde Beeren?«

Sie ahnt nicht, dass die nachdenklichen Kinderaugen, die mühsam im Dunkel ihre Gestalt zu erfassen suchen, die Verstörung des göttlichen Weinbergs in dieser Nacht schauen wie niemand sonst in der Zusammenkunft der versprengten letzten Hugenotten.

Wiederum einige Jahre später steht Antoine Court, jetzt ein Vierzehnjähriger, bereits als Vorleser der heiligen Zehn Gebote Gottes neben der Prophetin Marthe an der Seite des alten Camisardenführers Abraham Mazel, der aus dem Kerkertum von Aigues Mortes ausgebrochen ist und wieder umherstreift. Man liest aus der Schrift, man singt Psalmen; man betet, man hört Ermahnungen zur Buße und zum heiligen Leben. Mit 17 Jahren schließt sich Court dem heimatlosen Prädikanten Brunel an und verlässt die verwitwete Mutter in dem übermächtigen Gefühl, zur Verantwortung für den verwüsteten Weinberg Gottes berufen zu sein.

Die Weltgeschichte, so auch die Religions- und Kirchengeschichte, zeigt uns Milieus, die ihre großen Männer auslesen, prägen und dann zur Höhe tragen, und wiederum Männer, die das geschichtliche Milieu ihrer Zeit umprägen und ihm ihren Stempel, den Stempel ihres Geistes aufdrücken. Das Letztere gilt von Antoine Court, und es gilt von ihm noch mehr, weil der geistliche Einfluss, die »Ströme des Lebenswassers«, die von ihm ausgingen, noch stärker waren als die Wucht seiner Persönlichkeit. Vom Herrn der Kirche gerufen und ausgerüstet, steht er auf gegen den Tod der Kirche, und gegen ihre Vernichtung trägt er die Verheißung des Herrn: »Siehe, Ich mache alles neu« vor sich her.

Er betet viel, er betet sehr viel um Licht; er denkt nach, er denkt viel und ruhig und nüchtern nach. Drei Mittel zeigen sich ihm, die es zur Erreichung des Ziels zu gebrauchen gilt: eine unverbrüchliche Abhängigkeit von der Heiligen Schrift als erster und maßgebender Norm des Glaubens, die Wiederherstellung der Gemeindezucht und ein »nüchterner Mystizismus« als Weg des Glaubens. Sein »nüchterner Mystizismus« erinnert wiederum an die Jungfrau von Orléans, die, unbeschadet ihrer Entzückungen und Gemeinschaft mit einer anderen Welt, im gegebenen Augenblick – wie man von ihr sagte – mit »circonspection«, mit ruhiger Umsicht handelt. In diesem Sinne sind beide einander verwandt und echte Franzosen, nur dass Court gegenüber der schwärmerischen Verirrung und religiösen Psychose seiner Umwelt und aus seiner Sonderaufgabe heraus das größte Gewicht darauf legt, das unter seinen Händen wachsende echte geistliche Leben zu behüten, zu ordnen und zu klären und die Gemeinde biblisch zu formen.

Die Fragen, die sich dabei seiner sachlichen Überlegung stellen, sind die folgenden. Zum Ersten: Sollen die letzten Evangelischen auswandern, wie ihre Glaubensgenossen in den vergangenen Jahrzehnten? Zum Zweiten: Sollen sie den Weg einer abermaligen Insurrektion gehen? Zum Dritten: Sollen sich die letzten Hugenotten damit bescheiden, weiter zu leiden in der Hoffnung, dass diese stumme Resignation schließlich die Verfolger rühren wird? Die kleine Herde, die geblieben ist, teilt sich ihm in drei Klassen: in die zwangsbekehrten Scheinkatholiken, in die Exaltierten und in die wenigen Träger eines gesunden Glaubenslebens. Während er so die verschiedenen Mittel zum Ziel und die menschlichen Gegebenheiten erwägt und an Gottes Wort orientiert, ergibt sich ihm ein vierfaches Notprogramm. Es gilt, das Volk auf gleichviel welche Weise wieder zusammenzurufen und in christlicher Gemeinschaft über das Evangelium zu belehren. Es gilt, den Fanatismus und die Schwärmerei, die immer wieder wie ein unheimliches Feuer um sich fressen, zu bekämpfen und alle diejenigen zur Gesundung zu führen, die so schwach oder so unglücklich waren, sich von ungeistlicher Flamme versengen zu lassen; daher soll es auch den Frauen nicht mehr gestattet sein zu predigen. Es gilt, die Gemeindeverfassung und kirchliche Ordnung wiederherzustellen. Es gilt, junge Prediger vorzubilden, Pfarrer der Schweiz hereinzurufen und in freundlichen protestantischen Ländern die Mittel für Ausbildung und Unterhalt der Pfarrer zu erbitten.

Mit diesen Gedanken und Fragen in seinem heißen Herzen und mit diesen Plänen in seinem kühlen kritischen Kopf beruft der nunmehr Neunzehnjährige in den Sterbetagen Ludwigs XIV. die letzten heimlichen Prädikanten des Languedoc, an Zahl acht, zu einer nächtlichen Synode zwischen einsame Felsenwände zusammen. Die Geladenen erscheinen bis auf zwei, und von den sechs Erschienenen werden fünf, dem Gelöbnis dieser Nacht treu, am Galgen enden. Außer diesen Sechs sind einige Laien gekommen, zusammen neun Personen. Antoine Court wird zum Leiter und Sekretär gewählt. Der Morgen dämmert gerade. Man sucht auf den Knien des Herrn Angesicht. Antoine Court entwickelt seine Gesichtspunkte, und man stimmt ihm beschlussmäßig zu.

Immer zahlreicher besuchte Synoden folgen in den kommenden Jahren, während die Bewegung sich in rastloser Arbeit des Glaubens und der Wortverkündigung schnell und unwiderstehlich ausbreitet. Die Einzelfrage der geistlichen Versorgung der Gemeinden durch Prediger und Seelsorger ist darum so brennend, weil es ausgebildete und berufene Pfarrer nicht mehr gibt. Diesem Mangel muss abgeholfen werden, und zwar nicht, weil man hochkirchliche Gedanken über Ordination und Sukzession hat, sondern weil man sich unauflöslich mit der alten festen calvinistischen Ordnung der Kirche verbunden weiß. So geschieht es, dass der Mitarbeiter Courts, Corteiz, sich in Zürich ordinieren lässt, dann nach Frankreich zurückkehrt und seinerseits Antoine Court, der sich einer Prüfung durch eine improvisierte Synode feierlich unterzogen hat, durch Auflegen der Heiligen Schrift auf sein Haupt und Verpflichtung auf das Gemeindeamt zum »ministre« der Kirche beruft, der »Eglise sous la Croix«. Diese »Kirche unter dem Kreuz« schafft sich auch in jenen Jahrzehnten ihr sonderliches Zeichen: das Hugenottenkreuz, das alte christliche Ritterkreuz mit dem Pendant der sich niederlassenden Taube, des »Saint Esprit«, oder in seiner anderen tiefsinnigen Form mit dem Pendant der Träne, die aus dem Kreuz quillt.

Die Ausbildung der Diener dieser Kirche, soweit sie noch in Frankreich geschehen kann, vollzieht sich in vier Etappen. Der zugelassene Anwärter des Pfarramts wird zu Beginn als »élève«, als Freistudent einem der umherschweifenden Prediger beigegeben und erlernt von ihm das Notwendigste für die Arbeit. Nachdem er von diesem gleichsam das Zeugnis der Reife erhalten hat, wird er »proposant«, das heißt Anfänger im Gemeindeamt. Er beginnt zu predigen, indem er sich gemeinhin durch Auswendiglernen und Vortragen bedeutender Predigten des 17. Jahrhunderts übt. Ist er in der Wortdarbietung einigermaßen geschult, beruft man ihn zum »prédicant«, der das Evangelium selbstständig verkündigt, der unterrichtet, Seelsorge treibt und organisiert. Die letzte Stufe ist die des ordinierten Pfarrers, der auch die Sakramente verwaltet und dessen Amt ihm als »de jure divino« übertragen gilt, wie wir denn in einem Rechtfertigungsbrief von Antoine Court an die katholische Gegenseite das feierliche Wort lesen: »Je suis consacré.«

Die persönliche Tätigkeit Courts in Frankreich von 1715 bis 1729 ist eine ununterbrochene Folge von unerhörten Anstrengungen, nicht enden wollenden Lebensgefahren und immer wieder einsetzender Krankheit. Als er von schwerem Sumpffieber so weit genesen ist, dass er nur noch jeden zweiten Tag von Fieberanfällen geschüttelt wird, benutzt er jeweils die fieberfreie Zwischenpause, um weiterzuwandern und nächtlich zu predigen. Der furchtbare Druck, der auf ihm und seinen Gemeinden liegt, will nicht weichen. Nach dem Tod des Sonnenkönigs übernimmt zunächst Philippe von Orléans die Regentschaft für den fünfjährigen Thronerben, dann nach Philippes Tod 1723 Louis von Bourbon, ohne dass durch diese Wechsel eine Milderung der Strafanwendungen erfolgt. Im Gegenteil bringt die neue Regentschaft im Jahre 1724 eine Verfügung heraus, die zu den bisherigen Verboten noch eine Verschärfung enthält: Ein jeder Priester kann von sich aus bestimmen, wer als rückfälliger Neukatholik, das heißt, wer als »Relaps« zu betrachten und zu bestrafen ist. Umfassende Bestimmungen weben ein Netz, in dessen katholischen Maschen die hugenottische Jugend in den Schoß der Kirche zurückgefangen werden soll, sorgfältige Vorschriften umgeben die Kranken- und Sterbebetten wie mit einem Stacheldraht, damit die Seele nicht noch in letzter Stunde dem römisch verstandenen Heil entfliehe. Der Abschnitt betreffend den neuen protestantischen Pfarrerstand lautet:

»II. Im Besitz von Informationen, dass in unserem Königreich aufgestanden sind und täglich aufstehen eine Anzahl von Predigern, die sich einzig und allein damit beschäftigen, die Bevölkerung zur Revolte aufzureizen und sie von den Übungen der ›Alten und Königlichen Katholischen Religion‹ abzubringen, verfügen Wir, dass alle Prediger, welche in Zukunft Versammlungen einberufen, in diesen predigen oder irgendwie amtieren, mit dem Tod bestraft werden, entsprechend der Deklaration vom Monat Juli 1686 betreffend Diener der so genannten reformierten Religion, jedoch dass besagte Todesstrafe in Zukunft nicht nur eine Drohung bleiben darf. Wir verbieten allen unseren Untertanen, die genannten ›ministres‹ oder Prädikanten aufzunehmen, ihnen Zuflucht, Hilfe und Beistand zu gewähren und direkt oder indirekt irgendwelche Beziehung mit ihnen zu unterhalten; denen, die davon wissen, schärfen wir ein, sie bei den Ortsbehörden anzuzeigen, – alles das im Fall der Zuwiderhandlung unter Bestrafung bei Männern mit lebenslänglicher Galeere, und bei Frauen mit der Strafe, kahl geschoren und für den Rest ihres Lebens an von uns anzugebenden Orten interniert zu werden, samt Konfiskation der Güter im einen und im anderen Fall.«

Gleichwohl breitet sich die Erweckung mit ungemeiner Schnelligkeit über das Vivarais bis in die Dauphiné aus und springt bald auf ganz entlegene Provinzen, wie den Béarn in der Südwestecke und die Normandie an der Nordküste über. Die Mitarbeiter Courts besteigen einer nach dem anderen die Galgenleiter und sterben in der alten schlichten Weise der französischen Märtyrer des 16. Jahrhunderts, die Augen gen Himmel gerichtet, die alten Psalmen singend und Gott preisend, dass Er sie gewürdigt habe, für das Evangelium auch ihren Leib hinzugeben. Derart wird uns in einem Privatbrief der Tod von Courts Freund Alexandre Roussel beschrieben. Der Bericht vermerkt weiter: »Als die Mutter von Herrn Roussel die Nachricht erhielt, wie man ihren Sohn hingerichtet hatte und auf welche Weise er den Tod erlitten habe, gab sie, weit entfernt, davon niedergedrückt zu sein, ihrer Freude darüber Ausdruck, dass Gott ihm die Gnade habe zuteil werden lassen, über alle seine sichtbaren und unsichtbaren Feinde zu triumphieren. Herr Court besuchte sie, um sie zu trösten, aber sie antwortete ihm mit christlicher Festigkeit: ›Wenn mein Sohn irgendwelche Schwäche gezeigt hätte, würde ich mich niemals darüber trösten können. Aber, da er standhaft gestorben ist, wie muss ich nicht Gott danken, der ihn standhaft gemacht hat!‹«

Im Jahre 1729 ist die Lage für Court innerhalb der französischen Grenze unhaltbar geworden. Die Kopfprämie für seine Ergreifung ist bis auf ein Vermögen, bis auf 10.000 Livres erhöht und die Technik der behördlichen Einkreisungsmanöver gegen ihn derartig vervollkommnet, dass er nach Lausanne entweicht, um überhaupt weiterarbeiten zu können. Dort leitet er 30 Jahre lang das Predigerseminar für die Versorgung der Gemeinden in Frankreich, von dort auch lenkt er durch Abgesandte und Briefe den weiteren Kirchenaufbau in der Heimat. Zugleich widmet er sich mit Sorgfalt der Geschichtsschreibung über die Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte und sammelt wertvollstes historisches Material aus dem Munde sowohl der alten Vorkämpfer als auch der in der Gegenwart schaffenden Mitarbeiter am Reich Gottes.

Der Mantel des Elia fällt jetzt auf Elisa: Nach Courts Flucht wird sein Stellvertreter und sein Nachfolger der Prediger Paul Rabaut. Bevor wir auf die großen Zusammenhänge seines langen Lebens mit dem Fortschritt der Restauration und mit dem weltlichen Zeithintergrund unsere Aufmerksamkeit richten, muss ein Bild aus dem gesamten Zeitrahmen herausgezeichnet werden, das in der Geschichte der hugenottischen Kirche ihresgleichen nicht hat, das Bild der Märtyrergemeinde von Aigues Mortes, mit der Gestalt der Dulderin Marie Durand mitten inne.

In demselben schicksalsschweren Jahr, da Ludwig XIV. einsam starb und da Court die grundlegende Synode der neuen Kirche eröffnete, erblickte Marie Durand als Tochter eines Dorfschreibers bei Privas nördlich der Cevennen das Licht der Welt. Das noch heute erhaltene Haus trägt auf der Stirnseite seines ungeheuren Küchenkamins die 1696 von ihrem Vater in schwerer Zeit eingeritzte Inschrift: »Loué soyt Dieu.« Das Kind wächst mit seinen Geschwistern in das Doppelleben eines zwangs- und scheinbekehrten Volkes hinein. Nach außen hin besucht man die katholische Kirche und übt diesen und jenen katholischen Brauch, daheim liest man in der Stille die Bibel, soweit sie nicht beschlagnahmt ist, singt man die alten Psalmen, nährt man sich vom Katechismus Calvins und vom Glaubensbekenntnis der Kirche, studiert man die Predigten großer Wahrheitszeugen des vergangenen Jahrhunderts.

Im Keller dieses Hauses finden gelegentlich Versammlungen mit Verdacht erregenden prophetischen Verkündigungen statt, und es dauert nicht lange, so wird von der alarmierten Behörde das zweite, der Familie der Frau zugehörige Haus im Dorf dem Erdboden gleichgemacht, weil die Familie Durand an evangelischen Zusammenkünften beteiligt sei. Der damals bereits 19-jährige Bruder Maries, der schon Gottes Wort in der Gemeinde verkündigt, entweicht ins Ausland. Neun Jahre später fliegt das gesamte Hauswesen auf: Der Schwager Maries, Pastor Rouvier, wird nach Marseille gebracht und auf die Galeere geschmiedet. Die junge Frau ihres Predigerbruders Pierre muss mit ihren Kindern in die Schweiz fliehen. Ihr alter Vater wird 80-jährig in die Kasematten der Festung Brescou am Meer geschleppt. Man hatte ihm nahe gelegt, zu seiner eigenen Sicherheit seinen wieder in Frankreich predigenden Sohn zum Verlassen des Landes zu bewegen, man hatte damit zugleich Pierre Durand nahe gelegt, seine Vokation dem Leben des Vaters zu opfern.

Dieses Momentbild hellt uns blitzartig die immer währende Aufgabe, Zwangslage, Pflicht und Vorrecht der Hugenotten auf, je und je verantwortungsvoll Einzelentscheidungen zu treffen, vor die sie gestellt, zu denen sie gerufen werden, – nicht nur einfache Entscheidungen als Antwort auf die Weisung der Schrift: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen«, sondern auch die noch schwereren Entscheidungen nach dem Worte Jesu: »Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn Mich, der ist Mein nicht wert«, und die ganz feinen und subtilen Entscheidungen, in denen der Einzelne und die Gemeinde Gottes vor der Frage steht, ob der Weg der Schlangenklugheit oder der Weg besinnungslosen Glaubens zu wählen ist.

Antoine Court selbst hatte nach dem betäubenden Schlag des neuen Edikts von 1724 auf die Bedenken zahlreicher protestantischer Auslandsfranzosen zu antworten gehabt, die auf die gefährlichen Folgen des kirchlichen Neuaufbaus in Frankreich für alle Beteiligten hinwiesen und aus Gründen der Verantwortlichkeit den Führern der neuen Bewegung die Auswanderung oder das Stillesein im Lande empfahlen. Als Court flehentlich an den bekannten Pastor Saurin schrieb, er möge nach Frankreich zurückkommen oder andere Prediger senden, antwortete Saurin zum zweiten Mal, dass die Rückkehr der Pastoren ihm gefährlich scheine. Auf dieses Ausschlagen wider die geistliche Wahrheit entgegnet der sonst so ruhige Court mit einem wahren Ausbruch der Empörung: »Wie? Die Rückkehr der Pfarrer würde die Verfolgung verdoppeln, und man müsste aus reiner Nächstenliebe dieses Unglück verhüten? Es ist nach diesem neuen und unerhörten System der Nächstenliebe also besser, sich dem Verlust des Himmels auszusetzen, des Heils, der Herrlichkeit, seiner Seele, die Strafen der Verdammten zu leiden, die ewige Qual, das Feuer, das nicht verlöscht, den Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt, … wovon die Schrift spricht, als die persönliche Freiheit zu wahren, die Ruhe, ein wenig Hab und Gut daranzusetzen, einige Monate, einige Tage zu leiden, einige Stunden in einem Gefängnis, auf einer Galeere oder den Tod am Galgen, auf dem Schafott!«

Die beiden Durands, Vater und Sohn, stehen vor einer ähnlichen Entscheidung im engen und straffen Rahmen des Familienlebens. Der Sohn ist angeklagt, als evangelischer Seelsorger »im Vivarais mehr Unheil anzustiften, als Calvin jemals in Frankreich, in England und sonst wo in Sachen der christlichen Eheschließungen angerichtet habe«. Nun bedroht man den alten Vater »mit Gefängnis, wo er bis an das Ende seines Lebens eingeschlossen sein würde«, und man fordert ihn auf, »zu versprechen, dass er sein Möglichstes tun werde, um seinen Sohn zum Verlassen des Königreichs zu bewegen«. Der alte Mann hat einen Moment wohl entschuldbarer Schwäche. Er schreibt an La Devèze, den Militärkommandanten des Bezirks, und versucht sich zu rechtfertigen. Dann teilt er seinem Sohn die Maßnahmen mit, die sie beide bedrohen. Er schließt: »Habe ein einziges Mal Barmherzigkeit mit mir, denke an mein hohes Alter und an all das Herzeleid, das über mich kommt, wie du auch an dich selbst denken sollst.« Die Entscheidung, vor der Pierre Durand steht, ist eine der vielen, der hundert, der tausend Entscheidungen, die dem hugenottischen Gewissen der Zeit gestellt werden. Soll er dem Herrn Christus zuliebe seinen alten Vater hassen, indem er ihn ins Gefängnis bringt? Soll er, abermals mit dem Evangelium zu reden, zu Gott sprechen: »Korban, dir sei gegeben, was ich meinem Vater schuldig wäre?«

Er entschließt sich, seiner Berufung treu zu bleiben und schreibt einen flammenden Brief an La Devèze:

»Mein Herr, Sie sind Kommandant für den König, unseren gemeinsamen Herrn. Als solcher werfen Sie einen Mann ins Gefängnis, nicht weil Sie ihn für verbrecherisch halten, sondern weil er einen Sohn hat, den man als einen Verbrecher ansieht, wenn man nämlich der römischen Kirche glauben will. Nehmen wir einen Augenblick an, ich sei ein Verbrecher, wie Sie glauben – ich werde vielleicht in der Folge Gelegenheit haben, mich zu rechtfertigen und zu wissen zu tun, was ich bin – darf ich Sie dann fragen, ob der König Ihnen befiehlt, einen Vater für angebliche Verbrechen seines Sohnes zu bestrafen? Wie? Einem armen alten Mann wollen Sie Strafen auflegen, ihn im Gefängnis halten, weil er einen Pastor zum Sohn hat, weil er einen Sohn hat, der Christ ist, aber der sich weigert, Dogmen zuzugeben, die er nicht für wahr hält, und den Vater eines Cartouche, eines ausgemachten Verbrechers, lassen Sie unbehelligt! Hat man jemals eine schwärzere Ungerechtigkeit gesehen? Ist es glaublich, dass dergleichen in den Staaten eines Fürsten geschieht, der es für seine größte Ehre erachtet, den erhabenen Titel eines allerchristlichsten Königs zu führen? Ein Ereignis dieser Art wird die Nachwelt in Erstaunen setzen, und, wenn ich nicht mit einem Akt Ihrer Gerechtigkeit rechnete, müsste ich kühnlich sagen, dass solchem Tun vorbehalten ist, die Schande unseres Jahrhunderts zu sein, denn es ist nicht erhört, dass dergleichen unter Christenmenschen geschehen sei …

Wie man mir versichert, glauben Sie, durch Einkerkern meines Vaters mich zum Verlassen des Königreichs zu zwingen. Aber erlauben Sie mir bitte, Ihnen zu sagen, dass dieses kluge Verfahren zwecklos sein wird; und zwar aus zwei Gründen, die ich die Ehre habe, Ihnen mitzuteilen. Dies ist der erste: Die geistliche Würde, mit der ich bekleidet bin, erlaubt mir nicht, die Herde im Stich zu lassen, die der Herr mir anvertraut hat und für deren ewiges Heil ich Rechenschaft ablegen muss. Es ist hier nicht der Ort, Ihnen die Gründe vorzustellen, die mich mit meiner Gemeinde verbinden; genug, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich für einen Verbrecher vor Gott halten müsste, wenn ich, um mein Leben zu erhalten, diejenigen allein ließe, für deren Heilsunterweisung ich ordiniert bin …

Der zweite Grund ist dieser, dass nicht einmal die Klugheit mir dergleichen erlaubt. Wenn ich nämlich die Absicht hätte auszuwandern, würde schon die Tatsache, dass Sie meinen Vater ins Gefängnis haben werfen lassen, mich hindern, diese Absicht auszuführen. Ich denke nämlich so: Man steht mir doch auf jeden Fall nach dem Leben; die Schritte, die man getan hat und die man zur Zeit tut, erlauben mir nicht, daran zu zweifeln. Man stellt dem, der mich anzeigen wird, eine hohe Geldsumme in Aussicht. Da dieses Verfahren nicht zum Ziel führt, schlägt man einen anderen Weg ein: Man wirft meinen Vater ins Gefängnis, und man lässt ein Gerücht verbreiten, dass er niemals herauskäme, es sei denn, dass ich das Königreich verließe. Aber, mein Herr, halten Sie mich für so urteilslos? Muss ich nicht voraussehen, dass, während mein Vater im Gefängnis ist, möglicherweise die Grenzübergänge mit Wachen besetzt sind, die man mit meinem Signalement versehen hat, um mich im Falle der Grenzüberschreitung zu verhaften…

Ich sehe (nämlich) die Rhône in einer Weise besetzt, dass es sehr töricht wäre, wenn ich unternähme, sie zu passieren. Sie können daher nicht erwarten, dass ich mich dieser Gefahr aussetze …

Wenn mein Heiland mich ruft, Sein heiliges Evangelium mit meinem Blut zu besiegeln, dann geschehe Sein Wille, aber ich weiß, dass Er uns die Klugheit der Schlange ebenso anbefiehlt wie die Einfalt der Taube, und dass es nicht nur glorreich ist, für die Wahrheit zu sterben, sondern ebenso schimpflich (honteux)¬, das Opfer eines unverständigen Leichtsinns zu sein.«

Während so der Vater der Familie eine zehnjährige Gefangenschaft antritt, während der Bruder den schmalen Weg der Nachfolge Jesu weitergeht, der immer schmaler werden wird bis an sein baldiges Ende, wagt die jugendliche Schwester Marie mit einem viel älteren Protestanten namens Serre die Ehe einzugehen. Es ist, als ob die Prüfung ihrer Familie auf die Familie des Gatten überspränge: Ihre Schwiegermutter muss in den Kerker von Tournon gehen und wird bald sterben, und Serre selbst teilt für zwanzig Jahre das Schicksal des alten Durand in den Kasematten von Brescou.

Nicht lange darauf glückt es, des Predigerbruders Pierre habhaft zu werden. Er wird in Montpellier öffentlich gehenkt. Die Ereignisse vor seiner Hinrichtung tauchen ihn für ein letztes Mal in dunkelste Tiefen hinein. Der Ortspriester stellt den Verhafteten vor seiner Vernehmung zur Rede und verlangt von ihm eine geldliche Entschädigung in Sachen der ihm, dem Priester, entgangenen Sporteln für Trauungen und Taufen. Pierre Durand schreibt noch einen Abschiedsbrief, in welchem er sich vertrauensvoll auf das Ehrenwort des Kommandanten La Devèze beruft, wonach die Adressaten das Schreiben ohne Gefahr abholen dürfen. Er ahnt nicht, dass La Devèze das Postamt bewachen lässt, in welchem sein Brief für die arglosen Empfänger bereitliegt. Unterdessen harrt Durand in einem finsteren, von Ungeziefern wimmelnden Loch der Zitadelle von Montpellier auf sein Todesurteil. In schweren Gedanken an seine einsame Frau und die Kinder im Ausland, die dort in größter Dürftigkeit leben, bedrängt von einem Bekehrungspriester und von der Dunkelheit geängstigt, erlebt er einen Nervenzusammenbruch und erklärt sich nach einem Weinkrampf vorübergehend bereit, Näheres über die katholische Religion zu hören – nicht anders als Jeanne d’Arc, die, in Rouen durch Verhöre und dogmatische Vorträge erschöpft und durch die Urteilsverlesung erschreckt, ihre himmlischen Stimmen vorübergehend verleugnet.

Im Licht und in der frischen Luft des Gerichtssaals gewinnt Durand sofort seine Fassung wieder und rüstet sich fest und stolz zum letzten Gang. Die Aussagen, die er den Richtern über sich gibt, sind lautere Wahrheit; seine Aussagen über die anderen Glaubensbrüder formt er um, damit ihnen nichts Ähnliches widerfahre. Als man ihm das Todesurteil überbringt, sagen seine Lippen das alte Wort des Vaters, das über den Jahren seiner Jugend gestanden hatte: »Dieu soyt loué!« Die Soldaten, welche durch Trommelwirbel sein letztes Zeugnis übertönen sollen, können nicht verhindern, dass er allen vernehmbar den 23. Psalm und dann noch den Bußpsalm mit lauter Stimme singt, während er zum Galgen schreitet. Nach seinem Tod stellt die Synode die bittere Tatsache fest, dass man ihm seit Jahren sein kümmerliches Gehalt nicht gezahlt hat, und es gelingt kaum, die ausstehenden 2.000 Mark in unserem Geld für seine darbende Familie in der Schweiz unverkürzt zusammenzubringen. Ein ähnlicher Schatten fällt in den folgenden Jahren auf die Nordgemeinden in Vivarais, deren Christenstand seine Stärke in mutigem Bekennen, aber seine Schwäche in Dingen sozialer Hilfeleistung hat, als es nun gilt, die einfachste Notdurft der inzwischen eingekerkerten Marie Durand und ihrer Leidensgenossinnen zu stillen.

»Als wir den Kerkerturm von Aigues Mortes besuchten,
sagten mir jene Damen mit mühsam verhaltenem Schluchzen:
›Dichter, wundern Sie sich nicht, uns so weinen zu sehen:
für uns Hugenotten sind diese armen Frauen Blutzeugen ihres Glaubens‹,
unsere Heiligen Marien – es nòsti sànti Marìo.«  –  Frédéric Mistral, »Moun Espelido«.

Die Stadt Montpellier, in deren Mauern Pierre Durand, der kühne Botschafter Christi aus dem Vivarais, am Galgen hing, liegt nur einen halben Tagesmarsch weit von den Mauern des uralten Turms der Camargue, in denen seine Schwester Marie, die stille Zeugin des Vivarais, ihr Leben verbrachte.

Die Camargue, das ungeheure Rhônedelta, jene kleine Welt am Rande der großen Welt, ist ein Land für sich und scheint wiederum mit der silbernen Wasserscheibe des Vaccarès ein in Sand gerahmtes Kleinbild des Meeres zu sein, in das sie übergeht. Die Flamingos in hauchzartem rosa Gefieder stelzen dort im Rohr, die kleinen wilden weißen Pferde werfen ihre Mähnen zurück, wenn sie über die endlosen feuchten Flächen dahinstieben. Später, gegen den Herbst, stehen zwischen dem Schilf die dichten Mückenschwärme über dem fauligen Morast, und die Wasserlachen verrauchen in der sengenden Sonne, bis der gedörrte Schwemmsand unter ihnen springt und zerreißt. Dann zieht der »Roudeïroù«, der Wild- und Wasserwärter, vom Fieber geschüttelt die grobe Jacke fest um den abgezehrten Körper und sehnt die Stürme des Winters herbei, die die Miasmen vertreiben und seinem kranken Blut Ruhe verschaffen, und vor deren Übergewalt er sich besser zu schützen vermag als vor der Sommerglut. Auch die dunklen Stiere der Camargue – im nächsten Jahr schon werden sie neben der Kirche von Les Saintes Maries oder in der Arena von Arles kämpfen – wissen wohl, wie sie auf ihre Weise dem Orkan und dem peitschenden kalten Regen begegnen werden, wenn er nun vom Norden auf ihre Herde hereinbricht und sie zu blenden und ins Meer zu werfen begehrt. Sie »drehen das Horn zum Wind«, wie man dort provençalisch sagt, und tun Widerstand mit dem Stärksten, das sie haben, mit der breiten Stirn über den funkelnden Augen.

Am westlichen Rand der Camargue steht ein riesiger und klobiger Turm mit Rundverliesen in seinem Inneren, und im Steinwerk seines oberen Kerkers liest man, von unbeholfener Hugenottenhand unorthografisch eingeritzt, ein Wort, das von der trotzigen Haltung der Camargue-Stiere im Sturm genommen zu sein scheint und doch von der geheimnisvollen Kraft einer höheren Welt zeugt: »REGISTER« [so mit G; vielleicht sollte es RECISTER heißen.] – »Tut Widerstand«. Durch die schmalen Mauerschlitze brauste damals wie jetzt im Winter der eisige Mistral und die ungestüme Tramontana und drang der Gestank der Maremmen und die brauenden Sumpfnebel in das Innere des Turms, damals, als jene, »deren die Welt nicht wert war«, auf verfaulenden Strohsäcken dahinsiechend die Macht des christlichen Glaubens erwiesen.

Dieses uralte Bauwerk, das ein Heiligtum und Wallfahrtsort der Hugenotten geworden ist, die »Tour de Constance«, leitet seinen Ursprung von einem Mann her, der, menschlich gesprochen, mit Recht »der Heilige« genannt wurde. Es war Ludwig IX., der diesen Turm baute und der mit seinem Sohn das angeschlossene Rechteck der Mauern und Zinnen um die »Sumpfwasserstadt«, »Aquae mortuae«, »Aigues Mortes« aufführen ließ. Wie eine Vision steht das Gefüge der Befestigungswerke und seiner Ecktürme vor dem Wanderer, wie das Modell einer frühmittelalterlichen Stadt, das man nach einer alten Zeichnung entwarf und geheimnisvoll auf Lebensgröße brachte und dann in diese umrisslose Landschaft mit dem endlosen Himmel darüber hineingestellt hat. Man sagt, dass die Stadt Carcassonne ein Gegenstück zu Aigues Mortes sei – ich selbst habe Carcassonne nicht gesehen –, aber vielleicht reißen nur die Papstburg und die Mauern von Avignon uns Menschen der Gegenwart so stark aus dem Jetzt heraus und stellen uns so unheimlich in jene andere, verschollene Welt hinein, wie das Erlebnis von Aigues Mortes.

Hier war es, hier. In dem Eckturm der Sumpfstadt mit seinem fast unmessbar dicken Quaderbau, inmitten seiner kreisförmigen Ringmauer lebte die seltsame Sträflingsgemeinde, zu der nie ein Mann gehörte und welche nie den Trost des Sakraments genoss, in welche Marie Durand-Serre, aus ihrem Heim gerissen, um Mitte Juli 1730 eintrat, weil sie »die Schwester eines Predigers war«. Achtunddreißig Jahre lang sollte sie die Seelsorgerin und Trösterin dieser armen Bekennerinnen des Evangeliums sein.

In den Jahren vor 1725 hatte man vergebens versucht, das alte Staatsgefängnis als Verlies für hugenottische Männer zu verwenden. Im Jahre 1704 oder 1705 wurde dort Abraham Mazel, der inspirierte Camisardenführer, mit etwa dreißig seiner Glaubensgenossen eingeschlossen. Binnen kurzem empfängt er eine Offenbarung, Gott werde ihn und die anderen aus dem steinernen Grab befreien. Zuerst getraut er sich nicht, den anderen ihm teilweise Unbekannten davon Kenntnis zu geben, aber als die Erleuchtungen sich wiederholen, tut er ihnen sein Geheimnis kund. Es wäre nicht französische Art gewesen, nun auf ein Mirakel Gottes zu warten, wie einst der Wiedertäufer Matthys, der aus dem eingeschlossenen Münster auszubrechen unternahm. Mit sorgfältiger Überlegung arbeitet er einen Plan aus, um das Unmögliche möglich zu machen. Das den Gefangenen zur Bereitung ihrer Speisen erlaubte Feuer, der Besitz eines Messers, einige alte Kanonenkugeln aus einer Ecke des Gefängnisses, ein Verbindungshaken aus der ungeheuren Mauer müssen ihm zu einem kleinen Arsenal von Hilfsmitteln verhelfen, so dass er schließlich trotz der Wachen auf der Zinne und unten im Turm einen mächtigen Quaderstein aushebt, sich mit der Hälfte seiner Freunde an einem künstlich gefertigten Tuchseil herablässt und durch die Sümpfe das Weite sucht. Als psychologisches Kuriosum ist zu notieren, dass während dieses Ausbrechens die noch nicht hinabgestiegenen übrigen 14 Schicksalsgenossen einer derartigen Massenpsychose verfallen, dass sie plötzlich, statt sich zu retten, sinnlos zu schreien beginnen: »Die Gefangenen fliehen!« und durch die Alarmierung der Wachen fast die Rettung der bereits Entwichenen vereiteln.

In Ausführung der königlichen Verordnung von 1724 füllt man dann die Turmgewölbe mit Frauen, die nicht ausbrechen werden und die man als abschreckendes Beispiel für die Bevölkerung darin aufbewahrt, unter ihnen Marie Frizol, die dort 41 Jahre verbringt und erst 1767 als 76-Jährige den Kerker verlässt. Die Frauen werden eingeliefert, gleichviel ob sie jung oder alt sind, ob blind, ob schwanger; mitten darunter befindet sich ein liederliches Frauenzimmer, das zur Strafe für seinen Lebenswandel verhaftet worden ist. Im Jahre 1730 kommt die Prophetin Marie Chambon zu der kleinen Schar, und dann andere evangelische Mädchen und Frauen und wieder andere. In diesen beiden Rundverliesen werden Kinder geboren, hier sterben die Eingelieferten dahin, soweit nicht eine eiserne Gesundheit des Körpers und der Seele über alle Widrigkeit triumphiert. Einzelne wenige werden mürbe und schwören ab, unter ihnen Antoinette Gonin, gerade sie, die frühere ekstatische Prophetin. Hierher wird vom Kerker in Tournon die Schwiegermutter Maries geschafft und von ihr zu Tode gepflegt. Hier lernt sie unter ihren Mitgefangenen die junge Ehefrau Isabeau Menet kennen, die einem Kind das Leben gibt und die dann, des heranwachsenden Knaben beraubt, den Verstand verliert: »Rendue folle à son frère« – »Irrsinnig geworden und ihrem Bruder zurückgegeben«, wie es in den Akten heißt. Für die 33 Insassinnen im Jahre 1744 schreibt Major Combelles am 15. April hinter jeden Namen seiner Liste (mit Ausnahme des Namens der Isabeau Guibal)¬die stereotype Bemerkung: »Sa croyance toujours la même«, »Glaubensstand unverändert«.

Hier versammelt man sich liebevoll um die Strohlager der von Rheumatismus Gelähmten, hier erzählt man sich Legenden von angeblichen Geschehnissen draußen und klammert sich gemeinsam an den kleinsten Hoffnungsstrahl. Hier singt man die Psalmen und hält echte rechte Gottesdienste mit Gottes Wort und Gebet. Hier streitet man sich auch in trüben Stunden und macht sich Vorwürfe, wenn die Frauen aus dem Languedoc Nahrungsmittel und etliche Kleider geschickt bekommen und die armen Weiber aus dem Vivarais gar nie etwas, – darum, weil alle diese so bitter notwendigen Dinge wohl oder übel geteilt werden müssen, was ja dann auch geschieht. Von hier schreibt Marie Durand ihre Briefe an den Nachfolger Courts, den großen Prediger Paul Rabaut, und bezeugt ihre Hoffnung auf das »Höchste Wesen«, das »Être Suprême«. (Noch ist dieser Ausdruck, der sich schon in den Briefen Courts und seiner Freunde findet, nur eine formale Entlehnung aus der Sprache der Zeitphilosophie – zwei Menschenalter später wird er im Mund Robespierres eines der Schlagworte der neuen natürlichen Religion sein.) Von hier schreibt Marie ihre feinen, zarten und liebesstarken Briefe an die einzige Tochter ihres Märtyrerbruders, die indolent und träge am Genfer See ihre Jugendjahre verzettelt, bis sie erwachsen in das alte Heimatland der Familie zurückkehrt und nach einem Besuch im Aigues Mortes bei der unbeugsamen Zeugin des Evangeliums einen vermögenden katholischen Witwer heiratet, durch ihren Übertritt zur römischen Kirche den Namen ihres Vaters besudelnd und durch niedrige Selbstsucht das Herz ihrer mütterlichen Verwandten mit Gram erfüllend.

Im Jahre 1741 – es sei ihm nicht vergessen – tritt Friedrich der Große von Preußen als politischer Bundesgenosse des lasterhaften und unfähigen Ludwig XV. aus der Ferne für die Gefangenen von Aigues Mortes, wenn auch vergeblich, ein. Aber seine Fürsprache ist der Vorbote für die Welle der freigeistigen Humanität und relativisierender Toleranz, die sich zu schämen beginnt in Erinnerung daran, dass in einem Sumpfturm noch immer alte Frauen vegetieren, weil sie nicht ablassen wollen, evangelisch zu bleiben, die fortfahren zu beten, ihre Psalmen zu singen und die sich immer wieder an der lichten Gestalt ihrer geistlichen Mutter Marie Durand und ihrem Glaubenswort aufrichten.

Derweilen ist im Jahre 1754 die blinde Marie Béraud – auch sie ein Beweis der ungeheuerlichen physischen Zähigkeit ihrer Rasse – im Kerker 80 Jahre alt geworden. Von 25 überlebenden Frauen haben elf das sechzigste Jahr überschritten, schließlich sind von den letzten Überlebenden fünf über 75 Jahre alt geworden. Marie Durand hat das sechzigste Jahr noch nicht erreicht, als sie selbst, am 14. April 1768 als eine der Letzten, den Turm verlassen darf. Heimgekehrt, findet sie das väterliche Haus halb verfallen und verbringt gemeinsam mit der gleichfalls entlassenen Marie Goutète den kurzen und dunklen Abend ihres körperlich gebrochenen Lebens in mancher Not, von herzlosen Gläubigern gepeinigt, zu Zeiten durch liebevolle Glaubensfreunde in den Niederlanden unterstützt, von quälender Krankheit heimgesucht und trotz ihrer Bedürftigkeit einen 73-jährigen früheren Galeerensträfling und alten Bekenner des Glaubens, Alexandre Chambon, betreuend, der in das Dorf zurückgekehrt war. Noch ihre letzten Briefe zeugen von derselben Innigkeit, Tiefe und Schönheit einer erlösten Seele, die im Glauben eine Welt – und welch eine Welt! – überwunden hat.

Man könnte rückblickend auf die Frauen von Aigues Mortes und auf Marie Durand hier einen nachdenklichen Kleinaufsatz in den ernsthaften Großaufsatz dieses Buchs über die Geschichte des französischen Protestantismus hineinschreiben mit dem Titel: »Betrachtungen über christliches Heldentum«, wenn nicht richtiger gesagt werden müsste: »Gedanken über sonderliche Krafterweisungen Gottes an Seinen Kindern.«

Dieser kleine Aufsatz würde lauten: Ein Ding ist es, im Krieg gleichsam besinnungslos gegen feindliche Batterien anzustürmen, da es nun einmal zu Zeiten gilt, bis in den Tod zu kämpfen. Ein anderes Ding ist es, unbeweglich Monate und Jahre im Schützengraben, im Trommelfeuer und Nässe und viel Hunger durchzuhalten, weil man nicht anders kann. So ist es ein Ding, in der Entscheidungsstunde sich, wie Pierre Durand tat, auf eine Leiter führen und dann hinabstoßen zu lassen in den Tod eines schweren Augenblicks. Ein anderes Ding ist es, in einem Gefängnis, aus dem es praktisch kein Entrinnen gibt, Jahrzehnte auszuhalten, ohne mutlos zu werden. Aber es ist ein drittes Ding, Jahrzehnte, ja fast ein halbes Jahrhundert, lebendig begraben zu bleiben in Kälte und Krankheit und Not eines Schreckenskerkers und oft genug berührt von den dunklen Schwingen der Verzweiflung und des Wahnsinns, wenn die bloße Erklärung: »Ich werde mich im Sinne des Königs jeder äußeren Ausübung der protestantischen Religion enthalten« genügt, um wieder Licht und Freiheit zu atmen – und wenn diese Worte nicht gesprochen werden. Und die kleine Kirche der »grauen Büßer« in Aigues Mortes erlebte selten genug das festliche Schauspiel, dass eine Protestantin aus dem Kerkertum an der Ecke der Stadtmauer ihren Anschluss an den römischen Glauben öffentlich bekräftigte, weil sie mit ihrer seelischen Widerstandskraft zu Ende war – nicht, weil es mit Gottes Verheißung und Treue zu Ende gewesen wäre.

Prosper Mérimée spricht einmal in seinem Buch über das Zeitalter Karls IX. davon, dass oft genug eine einzige Episode für das Verständnis der Geschichte aufschlussreicher sei als ganze Bände von Material. Wenn er Recht hat, so gilt das von dem Kleinbild in der Tour de Constance. Ihre schrecklichen, feuchten und dunklen Gewölbe sind nun seit langem leer und verlassen. Dem, der in ihren Mauern sinnt und lauscht, wird nur ein einziges Wort hörbar, nicht ein Wort des stumpfen, quietistischen Ansichgeschehenlassens, noch nur ein Wort einer passiven Leidensbereitschaft, sondern ein männliches und aktives und alle göttlichen Verheißungen einbefassendes Wort, das den Geist des französischen Protestantismus so vollkommen wiedergibt, wie Johannes 3,16 den Geist des Evangeliums: das Wort, das in die steinerne Ringschwelle der Verbindungsöffnung zwischen beiden Kerkern linkisch eingeschnitten ist: »Résister!« Und wohlgemerkt: Der tiefste Gegensatz zu dieser hugenottischen Botschaft ist nicht einmal der Gleichgewichtsbruch, das Nichtmehrweiterkönnen und die jähe Kapitulation. Sondern der eigentliche Gegensatz zu diesem Wort ist das, was der Franzose unserer Tage nennt »das System d«: »Il faut se débrouiller«, »Man muss sich durchzuwinden wissen«.

Die jetzt schon lange hereingebrochene Ära Paul Rabauts war durch das Auslandsseminar unterbaut worden, das Antoine Court zur Versorgung seiner französischen Heimat in Lausanne leitete. Es ist eine gar ärmliche Fakultät der Theologie, und wie die greisen Juden, die den neuen Tempel Serubbabels nach der Verbannung sahen, sich traurigen Herzens an die entschwundene Herrlichkeit des Salomonischen Gotteshauses erinnerten, so erinnerten sich alte protestantische Theologen trauernd der zerstörten theologischen Akademien von Montauban und von Saumur. Doch jetzt brauchen die Kirchen Frankreichs vielmehr Männer einer restlosen Hingabe, als Männer tiefer Gelehrsamkeit. Sie müssen beherrscht sein und erfüllt sein vom »Esprit du désert«, vom Geist der Wüste. »Darunter verstehe ich«, schreibt Court, »einen Geist der Abtötung des eigenen Fleisches, der Heiligung, der Klugheit, der Umsicht, des Nachdenkens, großer Weisheit und erst recht des Martyriums, der uns alle Tage uns seIbst zu sterben lehrt, unsere Leidenschaften mit ihren Lüsten zu besiegen und zu überkommen, der uns zurüstet und bereitmacht, mutvoll das Leben unter Martern und am Galgen zu verlieren, wenn die Vorsehung uns dazu ruft.«

Die zukünftigen Prediger werden in einem Saal in Lausanne ordiniert. Man betet mit ihnen, man gibt ihnen den Friedenskuss, sie sagen Lebewohl. Alles das geschieht in größter Heimlichkeit, und man vermeidet ihren Namen in zugängliche Listen einzutragen, schon um des Überwachungsdienstes halber, den der französische König in der Schweiz unterhält, um sich der Prädikanten nach Möglichkeit zu bemächtigen, sobald sie die Grenze überschritten haben.

Die Abreise vollzieht sich in völliger Stille; oft reisen sie ganz allein, manchmal in kleinen Gruppen. Als Reisegeld bekommen sie je nach ihrem Bestimmungsort drei bis fünf Goldstücke. Sie passieren die Grenze unter falschem Namen mit falschen Pässen, als Kaufleute, oder irgendeine andere Person vorstellend.

Die Sendboten des Evangeliums betreten ein Land, in dem die Furcht herrscht. »Die Protestanten« schreibt Antoine Court, »wussten sich nirgendwo sicher; sie fürchteten sich allenthalben gleichermaßen. Sie fürchteten sich in ihren Häusern, auf den Straßen, auf den öffentlichen Plätzen, in den Städten und auf dem Land, in den Ödländern; sie fürchten für ihre Person, sie fürchten für die Person ihrer Freunde; sie fürchten für ihr Hab und Gut, das man ihnen auf mannigfache Weise wegnimmt; sie fürchten die Gegenwart, sie fürchten die Zukunft …« (Aus einer Vorstudie Courts zu seinem »Mémoire historique« von 1744).

Warum die Hugenotten sich fürchteten, und was sie zu fürchten hatten, erhellt aus den zahllosen Gerichtsakten der Zeit in ihrer öden Monotonie. Wir lesen etwa in der Strafliste des Herzogs von Richelieu vom 15. Dezember 1744 betreffend Verfahren gegen evangeliumsfreundliche Scheinkatholiken (Nouveaux Convertis):

»Diözese: Viviers. Name: Claude Ponton. Wohnort: Gluriaz. Bestimmungsgefängnis: Burg Beauregard. Verhaftungsgrund: Hat seine Schwester Katharine mit Gewalt aus dem Kloster St. Joseph in Chalençon entführt, wohin man sie gebracht hatte, damit sie in der katholischen Religion erzogen werde.« »Diözese: Viviers. Name: Claude genannt Roche. Wohnort: Gluriaz. Bestimmungsgefängnis: Burg Beauregard. Verhaftungsgrund: Hat geholfen, dieses oben genannte junge Mädchen zu entführen.«

»Diözese: Alaiz. Name: Jean Fauçon, Seigneur de Lavabre. Wohnort: Alaiz. Bestimmungsgefängnis: Burg Alaiz. Verhaftungsgrund: Ist seit langem wieder abgefallen; nimmt regelmäßig an den Versammlungen teil, wie auch seine Familie. Er hetzt die anderen auf, auch dorthin zu gehen und ermahnt die kranken Neukatholiken, in den Irrlehren ihrer alten Religion zu sterben!«
»Diözese: Alaiz. Name: Louis Deleuze, Seigneur de la Liquière, Rechtsanwalt. Wohnort: Alaiz. Bestimmungsgefängnis: Burg Alaiz. Verhaftungsgrund: Ist ein Doktor der R. P. R. (Religion Prétendue Réformée.) Er geht zu den Versammlungen und hält solche in seinem Haus, wo man die Neukatholiken hat Psalmen singen hören. Man hat ihn an seinem Fenster gesehen, wie er, ein Buch in der Hand, dem Sohn eines Bäckers Psalmen zeigte.«

 »Diözese: Nismes. Name: Le Seigneur Vierne, Seidenhändler. Wohnort: Nismes. Bestimmungsgefängnis: Zitadelle von Montpellier. Verhaftungsgrund: Hat eine Ölmühle vor der Stadt, wo mehrere Versammlungen ausgewählter Leute stattgefunden haben. Es sind Trauungen und Taufen bei ihm vollzogen worden.«

»Diözese: Castres. Name: André Sicard senior, Kaufmann. Wohnort: Castres. Bestimmungsgefängnis: Burg Ferrières. Verhaftungsgrund: Hat als Prädikant fungiert, speziell in der Versammlung vom 23. August 1744.«

»Diözese: Lavaur. Name: Daniel Faulière. Wohnort: Mazamet. Bestimmungsgefängnis: Burg Ferrières. Verhaftungsgrund: Hat Versammlungen einberufen, Katechismus gelehrt, den ›religionnaires‹ die Bücher geliefert und die Fremden (?) nach Genf geführt.«
»Diözese: Alby. Name: Vareilhes senior. Wohnort: Realmont. Bestimmungsgefängnis: Burg Ferrières. Verhaftungsgrund: Hat in den Versammlungen die Kollekte eingesammelt; man versichert, dass er von dem Ertrag dieser Kollekten 10.000 fr. deponiert hat, um damit die Bußgelder zu zahlen, zu welchen man die Distrikte vielleicht verurteilt.«
»Diözese: Alby. Name: Marin. Wohnort: Realmont. Bestimmungsgefängnis: Burg Ferrières. Verhaftungsgrund: Hat an den Versammlungen teilgenommen; wird für einen höchst aufrührerischen Menschen gehalten, der zu jedem Unternehmen fähig ist.« (Archives nationales, Paris, T.T. 325.)

Die Einzelanklage in der obigen Verhaftungsbegründung des Rechtsanwalts Deleuze, dass er nämlich an seinem Fenster, ein offenes Psalmenbuch in der Hand, im Gespräch mit einem Bäckerjungen gesehen worden sei, zeigt am Einzelbeispiel den Grund der hugenottischen Angst auf: Sie leben umringt von Angeberei. Edmond Hugues skizziert im zweiten Band seiner »Histoire de la restauration du Protestantisme en France« diese beklemmende Atmosphäre folgendermaßen:

»Jedes Dorf, jede Stadt hatte ihren Oberspion: den Priester, – und unter dem Priester die Menge derer, die von ihm abhingen. Wurde eine gottesdienstliche Versammlung abgehalten? Alsbald war sie beim Intendanten und beim Minister angezeigt. Wurde in der Wüste ein Paar getraut? Es erfolgte eine Beschwerde des Bischofs und eine Order des Ministers, die Ehegatten ins Gefängnis zu werfen. ›Ich habe‹, schreibt der Bischof von Poitiers, ›Kunde von dem Vollzug zweier heimlicher Eheschließungen‹. Maurepas befiehlt unverzüglich die Ehegatten in das Gefängnis von St. Maixent und die Frauen in das Hospital von Niort einzuschließen, bis dass die einen oder die anderen in den Wahrheiten der (katholischen) Religion sich haben unterweisen lassen und bis dass ihre Eheschließung kirchlich rehabilitiert ist oder aber die eheliche Gemeinschaft aufgegeben ist. Wie viele Trauerspiele, von denen niemand etwas weiß! Eine Familie steht unter Verdacht? Auf einen Befehl des königlichen Hofs nimmt man ihre Kinder und schafft sie zu den Ursulinerinnen, zur ›Christlichen Union‹, in ein beliebiges Kloster.«…

»Was die Prediger angeht, so ist es nicht nötig zu sagen, mit welcher unglaublichen Wut sie angezeigt, verfolgt und gehetzt waren. Die sogenannte ›Jagd‹ war eine Sache der Organisation. ›Unsererseits‹, schrieb der Statthalter des Languedoc, ›tun wir alles, was wir können, um Treibjagd auf sie zu machen. Man hat denen, die ihre Ergreifung vermitteln, Belohnungen versprochen; diese Entschädigungen sind exakt bezahlt worden.‹ Wie viele Spione auf der Lauer! Man wusste nicht, wem man noch vertrauen konnte. Es war ein Verwandter, der Durand verriet. Es war ein Freund, der Roger, Faure und Roland an den Galgen verkaufte. Es war ein Protestant, dessen Namen man niemals erfuhr, der das Versteck des Pastors Claris angab. Jeder Prädikant hatte einen Schweif von Spionen hinter sich, wie ein Wild seine Jäger.« »Ich habe vierzehn Tage auf einer Wiese übernachtet«, schrieb Corteiz, »und ich schreibe Ihnen unter einem Baum.«

Der größte dieser gottseligen »Galgenanwärter« ist Paul Rabaut. Drei Jahre nach dem Tode Ludwigs XIV. als Sohn eines armen Wollkämmers geboren, führt er schon als Jüngling das Leben des heimatlosen Wüstenpredigers. Mit 16 Jahren kommt der »Geist der Wüste« über ihn. Rabaut erwählt (prend) die Wüste, er wird ein »Verbrecher der Wüste« (criminel du désert) und wird Zeuge, wie die Besucher der ständig wachsenden Kirche der Wüste unter neuen Verfolgungswellen auf die Galeeren gebracht werden oder in die Gefängnisse wandern, angeklagt des »Crime d’Assemblées«, des »Verbrechens, evangelische Versammlungen besucht zu haben«.
Nachdem Antoine Court die Charakterqualitäten Rabauts erkannt hat, wird dieser von ihm mit der Erstverantwortlichkeit für das Werk in Frankreich betraut. Offiziell ist er Titularpfarrer von Nîmes, aber sein ganzes Leben ist eine ständige Flucht, ein dauernder Wechsel von Verkleidungen und Anwendung von tausend Kriegslisten, denn er lebt in dauernder Gefahr des Todes und wandert zwischen Fallstricken und wird verfolgt von einer Meute, die ihm unablässig auf den Fersen sitzt.
Dieser Mann wird nie gefangen. Er führt sieben verschiedene Personennamen; wenn er als Mädchen reist, heißt er Jeannette. Seine ungeheure Korrespondenz schreibt er in Geheimsprache: »Starkes Tuch« bedeuten seine zeugnisbereiten jungen Männer, »halbstarkes Tuch« heißen seine gläubigen jungen Mädchen, und mit den »drei Bänden für die Bibliothek von Court« bezeichnet er seine letzten drei überlebenden Kinder, die er in die Obhut des Schweizer Freundes gibt. Er kämpft mit parteiischen Amtsbrüdern und Missverständnissen und Vorwürfen und wünscht manchmal verzweifelt der reformierten Kirche Frankreichs einen Bischof, der mit dem Gezänk unverständiger Synoden aufräumt.
Was sein Verhältnis zur Krone angeht, so bleibt, mit seinem Biografen Camille Rabaud zu reden, »sein Illusionismus unverbesserlich«; er setzt unbeirrt die Linie fort, die im Gegensatz zu dem aufsässigen Geist der Camisarden der alte Corteiz zuerst wieder gezogen hatte, die Linie des blinden Vertrauens zu dem gütigen königlichen Vater in Paris, der nur das Beste auch der Nichtkatholiken will. Auf eine dementsprechende treuherzige Devotionserklärung an die Krone im Jahre 1744 antwortet die vom katholischen Klerus bestürmte königliche Regierung mit der Verfügung einer Verfolgungsaktion, die ihresgleichen sucht: Man zählt von diesem Jahr an 300 Bestrafungen mit Galeere, Schafott oder Auspeitschung, 600 Fälle von Einkerkerung und 800 anderweitige Verurteilungen; die Gesamtverurteilungen zur Galeere in den Jahren 1746-52 belaufen sich auf 1.600.

Trotzdem und vielleicht gerade infolge des neuen Kurses breitet sich unterdessen das Evangelium über ganz Frankreich aus. Antoine Court hatte, kann man fast sagen, im Jahre 1715 mit nichts begonnen. In den Jahren nach seinem Tod ist die Zahl der in Gemeinden Gesammelten auf etwa eine halbe Million gestiegen. Das Glaubensleben erbaut sich im Norden und Westen mehr in kleineren und nach außen wenig sichtbaren Kreisen, im Südosten grundsätzlich in zeugnishaften öffentlichen und großen Gemeindeversammlungen. Dies ist nämlich die Idee, die Rabaut beherrscht, die er nie preisgibt, über die er nie paktiert: seine Überzeugung von der Notwendigkeit der »Assemblées«, der Gemeindeversammlung als gebotene und mit Verheißungen gesegnete Gemeinschaft der Berufenen. Die Zahl der Teilnehmer an diesen Gottesdiensten der Wüste steigt von anfänglich 15 und 20 bis auf 10.000, ja bis auf 30.000 Menschen. Wir verdanken der Pariser Geschichtsgesellschaft des französischen Protestantismus eine besonders sorgfältige Beschreibung, gegeben durch einen deutsch-schweizerischen Pfarrer, der damals das Languedoc bereiste und in eine solche Assemblée eingeführt wurde.

»Es war am Weihnachtstag 1773. Begleitet von einem Kaufmann aus Nîmes begab ich mich aus der Stadt nach dem Ort, wo die Gemeinde sich nach ihrer Gewohnheit versammelt, um ihren Gottesdienst zu feiern. Diese Stätte befindet sich etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Nachdem wir das Stadttor hinter uns gelassen hatten, schlossen wir uns der Menge an, die sich in Massen nach diesem Ort zu drängte. Auf einem steinigen, holperigen, äußerst mühseligen Weg kamen wir in eine verlassene Schlucht. Auf der einen Seite erstreckt sich ein Weinland die Abhänge hinauf, auf der anderen wird der traurige Ort durch einen wilden, steilen, mit drohenden Felsen bedeckten Berg eingerahmt. Auf dieser Seite war eine ungeheure Menge versammelt. Die Menschen waren gegeneinander gedrängt und auf den Bergwänden aufgestaffelt wie auf den Stufen eines Amphitheaters. Es war einem jeden freigestellt, sich aus einem Stein einen Sitz zu machen. Am Fuß des Berges befand sich eine kleine Tribüne oder Kanzel, die man bei jedem neuen Anlass wieder aufbaut und die man abbricht, um sie wieder mitzunehmen, sobald sie ihren Dienst getan hat. Sie ist für den Prediger bestimmt, der sein Wort an die Menge auf den Abhängen des Berges richtet.

Der Raum unmittelbar um die Kanzel heißt das Parkett. Dort hat man einen Halbkreis von Steinen aufgestellt, die den Ältesten oder fremden Gästen als Sitze dienen. Vor die Kanzel stellt man einen Tisch für das Heilige Abendmahl; auf ihn setzt man einen Zinnteller mit geschnittenem Brot und zwei hohe silberne Kelche, das Geschenk einer im Herrn entschlafenen alten Dame. – Die Gesamtzahl des versammelten Volkes belief sich (denn man zählt sie jedes Mal sorgfältig) auf 13.000.

 … Alle diejenigen, die in der Schlucht eintrafen, (die man auch Wüste nennen kann)¬knieten auf dem harten und steinigen Boden nieder, bevor sie sich der Versammlung anschlossen, und beteten. Man stimmte bald den einen Psalm an, bald den anderen. Währenddessen gingen die Ältesten mit einem Säckchen durch die Steinreihen, welche als Bänke dienten, und zogen von einem jeden Besucher drei Sous ein als festen Beitrag für die Armenkasse der Gemeinde. Die einen setzten sich auf die bloße Erde, die höher Gestellten hatten sich Kissen und Fußwärmer mitgebracht, denn es war ein kalter Tag. Außen herum sah man eine große Anzahl Esel und Pferde an die Bäume und Umfriedungen gebunden; auch Sänften waren da, auf denen man die alten Leute trug.

Während des Gesangs trafen auch die drei Pfarrer ein, die die Gemeinde bedienten. Sie waren bürgerlich gekleidet; einer von ihnen legte frei-öffentlich seinen Talar an und bestieg die Kanzel, und die beiden anderen setzten sich unter die Ältesten. Jetzt sprach der Prediger mit gefalteten und gen Himmel erhobenen Händen in Worten der tiefsten Sammlung ein herzliches Gebet; dann verlas er ein liturgisches Gebet, der alten französischen Liturgie entnommen, und hielt auf Grund eines Textes, den er vortrug, eine erhebende Predigt, die sorgfältig vorbereitet war, aber frei dargeboten wurde. Eine besondere Würde verlieh ihm dabei der große runde Hut, den er sich ins Gesicht gezogen hatte, um sich gegen die Sonne zu schützen, die ihn blendete, und die außerordentlich lebendige und freie Ausdrucksweise, die in vollkommenem Einklang mit den Worten und den persönlichsten Gedanken des Redners stand.

Nach der Predigt und einem kurzen Gebet verlas der Pfarrer von der Kanzel die Einsetzungsworte des Gedächtnismahls unseres Herrn. Unterdessen rüstete sich die Gemeinde zur Kommunion. Der Prediger und die beiden anderen Pastoren stellten sich vor den Abendmahlstisch und verlasen eine Ermahnung und ein Gebet. Dann richtete man in einiger Entfernung einen anderen Tisch auf, vor welchen ein Geistlicher und einige Älteste traten, um, wie vor dem ersten Tisch, das Brot und den Wein auszuteilen. Ein jedes Glied der Gemeinde kniete nieder, bevor es sich dem Tisch des Herrn nahte, oder bedeckte sich das Gesicht mit der Hand oder verbeugte sich dann noch, soweit es der Raum gestattete, betete still für sich oder überließ sich ehrfurchtsvollen Gedanken und empfing hierauf die Symbole (der Briefschreiber ist Zürcher Zwinglianer) des Leidens des Herrn.

Trotz der ungeheuren Menschenmenge, trotz des scheinbaren Durcheinanders der Versammlung und der Mannigfaltigkeit der religiösen Betätigung vollzog sich alles in bewundernswerter Ordnung und in auffallender Stille. Eine Reihe nach der anderen tritt hinzu, die Pastoren reichen das Brot dar und begleiten dieses Tun jedes Mal mit einer kurzen Ermahnung oder mit einer Schriftstelle. Die Ältesten teilen den Wein aus, ohne jedoch dabei mechanisch zu verfahren; sie geben den Kelch einfach dem ihnen am nächsten Stehenden, ohne jeden Unterschied. Nach der Kommunion zieht sich ein jeder in eine gewisse Entfernung von der Menge zurück, kniet nieder, dankt Gott und betet Ihn an. Manchmal bildet sich auch eine Gruppe von sechs bis zehn Fräulein oder Frauen oder ebenso vielen Männern. Sie suchen eine einsame Ecke unter einem Baum auf, knien vor dem Herrn nieder, und ein Glied der Gruppe betet halblaut für die anderen, die mit ihm die Herzen zu Gott erheben. Manchmal löst sich auch eine Einzelperson aus der Menge, stellt sich auf einen Vorsprung, stimmt ein Loblied an und reißt die Umstehenden mit sich fort, bis zu dem Augenblick, wo der Gottesdienst durch einen allgemeinen Psalmengesang beendet wird, – worauf die Versammlung auseinander ging.

Dann versperren die Ältesten oder andere Männer von Stand den Ausgang des Tales und bitten um die Schlusskollekte. Alle geben, und wer es nicht tut, macht eine unrühmliche Ausnahme. So zerstreut sich die Gemeinde. Schwache Frauen lassen sich durch ihre Diener tragen oder reiten auf Eseln zurück. Die Kanzel wird sofort abgenommen, man sammelt alle Gefäße und bringt sie in das nächste reformierte Haus. Den ganzen Weg entlang findet man Leute, die erbauliche Bücher verkaufen, Bibeln, Spruchbüchlein, Märtyrererzählungen zur Stärkung des Glaubensmutes. Auch eine gewaltige Menge katholischer Bettler trifft man auf dem Weg, welche wohl verstehen, die Mildtätigkeit der Protestanten auszunützen!«

Vom Jahre 1752 an wird ein Nachlassen der Verfolgungen erkennbar. Der Humanitätsgedanke der Aufklärung bahnt sich immer mehr seinen Weg und wird am Hof die große Mode; Gewalttätigkeit gegen die evangelische Kirche entspricht immer weniger dem Geschmack der Zeit. Vereinzelte Schreckensurteile wie die Räderung des Protestanten Calas, eines angeblichen Kindesmörders, wird von der Öffentlichkeitsgier Voltaires zum moralischen Sensationsfall aufgebauscht. Der bösartige Weise von Ferney schreibt auch ein Traktat über die Toleranz und findet herablassend wohlwollende Worte über die Calvinisten, denen man den Spaß lassen soll, »Psalmen in schlechtem Französisch zu singen«.

Der letzte König vor der Revolution, Ludwig XVI., wohlwollend, sittlich ernst, gutmütig und etwas beschränkt, wird schließlich davon überzeugt, dass Toleranz die eigentliche Meinung seines erlauchten Ahnen gewesen sei. Der Einfluss des aus den protestantischen Vereinigten Staaten und von einem Besuch bei Washington zurückkehrenden La Fayette wirkt in derselben Richtung. Zum zweiten Mal in der Geschichte Frankreichs beugen sich die Perücken der Hofjuristen über ein altes königliches Edikt mit dem grünen Siegel, und die wenig gepflegte Hand des unsicheren Königs weist auf die Worte des Textes, die das böse Edikt von Fontainebleau wie jenes abgetane Edikt von Nantes als »immer während und unwiderruflich« bezeichnen. Es findet sich aber glücklicherweise, dass man einen Bösewicht nicht in offenem Waffengang zu töten braucht – man kann ihn auch in seinem Bett durch sein eigenes Daunenkissen ersticken. Es findet sich nämlich, dass man, ausgehend von dem sanften Schönheitsparagraphen am Schluss des Revokationsedikts – (betreffend theoretisches Recht der Protestanten auf individuelle Privatfrömmigkeit) – den schlimmen Hauptkomplex seiner Ausrottungsparagraphen irgendwie erledigen oder aufrollen kann. In diesem Sinne wird das Toleranzedikt von 1787 verfasst, welches den Nichtkatholiken die staatliche Anerkennung (den »état civil«) ihrer Eheschließungen, ihrer Geburten und ihrer Todesfälle zubilligt und sie dadurch aus Parias zu vollen Bürgern macht.

Beim Ausbruch der Revolution hat der Sohn und Amtsbruder Paul Rabauts, Rabaut-St. Etienne, als Deputierter der Stadt Nîmes Sitz und Stimme in der Constituante. Ungewarnt durch die Erfahrungen der Vergangenheit über die Folgen jeder Vermengung von Religion und Politik, wohl nicht erst seit gestern einer Osmose zwischen christlicher Offenbarung und philosophischem Idealismus verfallen, unbehindert durch wirksame Korrektive einer klaren christlichen Lehre, wirft er sich in die brandende Flut der geistigen Umwälzung und berauscht sich und andere an den neuen Ideen der Freiheit. Wen dieser Sprung eines calvinistischen Predigers über den Abgrund zwischen Kirche des Herrn und Welt der natürlichen Gedanken wundert, erinnere sich daran, dass dieser Abgrund erstmalig in Frankreich durch einen calvinistischen Predigersohn, den sittenstrengen Pierre Bayle mit der Botschaft von den Rechten und Ansprüchen des freien subjektiven Gewissens und seiner Moral grundsätzlich ausgefüllt worden war, und dass eben dieser Pierre Bayle der französischen Aufklärung die Steigbügel gehalten hatte, deren Ross jetzt den apokalyptischen Reiter der Revolution trug. Er erinnere sich daran, dass wiederum ein Kind calvinistischer Heimaterde, der debile Genfer Jean Jacques Rousseau, mit der – theologisch ausgedrückt – schwärmerischen Proklamierung des missverstandenen ersten Glaubensartikels den zweiten und dritten Glaubensartikel, die Reich Gottes und Welt trennen, erfolgreich aus dem restlichen religiösen Denken der Zeit weggewischt hatte, nachdem schon einst durch den antithetischen Rationalismus Bayles alle drei Glaubensartikel dem kritischen Denken seiner Zeit verdächtig gemacht worden waren.

Am 15. März 1790 wird Rabaut-St. Etienne, der Sohn des einst verachteten Wüstenpredigers, zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt. Ein Jahr später erhält jeder französische Bürger die Kultusfreiheit zugebilligt; die Wiedererrichtung der Mutterkirche zu Nîmes 1792 ist ein besonderer Grund zur Freude für die dortige Gemeinde. Wiederum zwei Jahre danach erfasst das zermalmende Räderwerk des neuen Zeitgetriebes die Familie Rabaut.

Robespierre schreibt in Sachen verdächtiger Girondisten an Gara: »Rabaut (St. Etienne), traître comme un protestant et un philosophe qu’il est …«, – »Rabaut, ein Verräter als echter und rechter Protestant und Philosoph… «.
Nicht lange darauf schickt er ihn unter die Guillotine, nachdem die Frau des Geächteten sich ertränkt hat. Der greise Vater selbst, der als Geistlicher gegenüber dem neuen Kultus der Vernunft unbeugsam geblieben ist, wird für Monate eingekerkert und stirbt einige Wochen nach seiner Freilassung im 77. Lebensjahr; entsprechend hugenottischer Sitte wird er im Keller seines Hauses zur sicheren Ruhe bestattet.
Wiederum einige Jahre später verkündet Napoleon Bonaparte die Freiheit des protestantischen Kultus einer Kirche, die, weil sie keine Abgrenzung gegen den neuen Irrtum, das heißt keine eigene Theologie aufgebracht hat, weithin dem Moralismus und der Ideenwelt der neuen Zeit verfallen ist und ein Dritteljahrhundert brauchen wird, bis sie, heimgesucht durch große Wellen einer neuen Erweckung, wieder im Boden biblischen Glaubensstands tiefe Wurzeln schlägt. 


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Urgeschichte d. Menschheit (D.Jaffin)

David Jaffin

DIE URGESCHICHTE DER MENSCHHEIT  – 

UNSERE GESCHICHTE

 

Adam und Eva
Die Erbsünde
Die Sintflut
Die Neue Welt
Gottes Bund mit Noah
Noahs Söhne
Der Turm zu Babel

 

Adam und Eva

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten.? Da  sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
Und das Weib sah, daß vom dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sieh mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten.
1. Mose 3, 1 –  8

Die Urmenschen, Adam und Eva, lebten ohne Not. Sie bekamen vom Herrn alles, was sie benötigten. Nur zwei Grenzen hatte der Herr ihnen gesetzt: Die Grenze des Lebens und die Grenze der Erkenntnis, die sie nicht überschreiten durften. Deshalb das Verbot, von den Bäumen zu essen, denn der Herr ist als unser Schöpfer der Herr des Lebens, und der Herr allein ist die Wahrheit, welche viel höher reicht als unsere Vernunft. Wehe dem Menschen, wehe der Gesellschaft, die versucht, Herr über den Bereich Gottes zu werden, über Leben und über Erkenntnis. Wenn Menschen diese Grenzen nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr akzeptieren, dann werden sie bestraft. Aber in diese Richtung läuft nicht nur dieses Geschehen, sondern die ganze Geschichte der Menschheit und auch jeder von uns.

Satan, der gefallene Engel Gottes, besitzt kosmische Eigenschaften und Fähigkeiten. Damit ist und bleibt er viel zu klug für uns Menschenkinder. Im Paradies verwandelte er sich in eine Schlange. Dadurch wird gezeigt, daß das Böse, der Satan, immer neue Formen annehmen kann.

Sobald er mit einer seiner Darstellungen sein Ziel erreicht hat, nimmt er neue Formen an, verwandelt sich, um uns nochmals zu versuchen. Wir Menschenkinder werden immer wieder hereingelegt, weil wir viel zu träge sind im Geist, weil die Verwandlung Satans uns überrascht. So hat Hitler im Auftrag des Bösen viele verführt, und heute nimmt der Satan ganz andere Formen an. Der Oxford Historiker A. J. P. Taylor sagt, daß wir Menschen immer aus unseren Fehlern lernen, in genau umgekehrte Fehler zu verfallen. So sind die Wege dieses listigen Satans mit uns Menschenkindern, so bleiben seine Wege, uns zu verführen.

Warum sprach Satan zuerst Eva an und nicht Adam? Gott hatte zuerst Adam erschaffen. Zu behaupten, daß er so vorging, weil Adam der Stärkere war, wäre Unsinn, denn Adam erwies sich als absolut schwach, denn ohne Frage tat er genau das, was Eva von ihm forderte. Er ist eher der Schwächere. Warum dann zuerst Eva?

Erstens, weil er direkt auf ihre Schwäche anspielte, nämlich auf die Neugier der Frauen: »Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte.« Aber noch wichtiger ist, daß Eva zum Mittler wurde, Adam zu verführen.

Werden hier nicht solche Frauen wie Delila, Batseba und Isebel vorgedeutet, die Simson, David und Ahab verführten? Wird hier nicht die tiefe Schwäche der Männer den Reizen der Frauen gegenüber gezeigt?
Simson war unendlich stark, aber Delila gegenüber absolut schwach.
David war der gerechte König in Israel, aber Batseba und damit auch ihrem Mann Uria gegenüber erwies er sich als Ehebrecher und Mörder.
Ahab ließ sich von Isebel zu einer Auffassung verführen, die der israelitischen hinsichtlich Besitz und Gerechtigkeit völlig widersprach (siehe Nabots Weinberg).

Dieser Text ist zugleich eine Warnung an Frauen wie an Männer, welche Gefahr das Geschlecht für jeden von uns darstellt, wenn es nicht in der Ordnung und im Sinn des Herrn erlebt wird. Adam ist hier nur allzu bereit, Gottes Befehl, Gottes Ordnung ohne Gegenwehr zu brechen, nur wegen dieser Eva. Eva selbst – wegen ihrer Neugierde, auch wegen ihres Machtstrebens (der extreme Feminismus unserer Zeit?) – läßt sich leicht von Gottes Ordnung wegführen. Hier zeigt sich der Satan, diese alte Schlange, als schrecklich listig und psychologisch eindrucksvoll.

Eine Nebenfrage: Warum sind diese Bäume mitten im Garten? Weil dieser Bereich Gott gehört, und der Herr steht mitten unter uns. So stand der Herr mitten unter dem Volk Israel, in seiner Mitte, auch im Allerheiligsten im Tempel, nach dem Talmud dem Mittelpunkt der Welt.

So ist auch Jesus, Gott selbst, in unserer Mitte. Das bedeutet, daß der Herr, seine Kraft des Lebens, seine Weisheit, die Mitte der Welt, die Mitte der Schöpfung, die Mitte der Erkenntnis ist und bleibt. Deshalb ist und bleibt Jesu Kreuz die Mitte der Schrift und die Mitte der Erkenntnis und das Leben für alle Völker aller Zeiten, denn nur in ihm haben wir auch für die Zukunft wahres Leben. Nur in ihm ist die Weisheit Gottes, welche höher ist als alle menschliche Vernunft.

Aber wie geht die Schlange, der Satan, mit uns schwachen, verführbaren Menschenkindern um?
Zuerst mit Lügen:
»Ihr werdet keineswegs des Todes sterben«  , doch nach dem Sündenfall spricht Gott das Todesurteil, die Todesstrafe gegen Adam und Eva aus. Und » … ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«   diese Aussage ist zugleich richtig und falsch. Falsch ist es, daß wir wie Gott sein werden, denn dem Menschen wird jetzt nicht nur die Erkenntnis verwehrt, sondern auch das Paradies selbst, die Nähe des Herrn. Richtig aber ist, daß wir erkennen werden, was gut und was böse ist. Jedoch nicht dadurch, daß wir gleich wie Gott werden. Durch den Sündenfall werden wir nicht nur erkennen, was böse ist, sondern es auch existenziell bis ins Mark und Bein erleben, denn im Sündenfall sind wir die Beute Satans. Der Herr hat uns wahrhaftig gezeigt, was gut ist (er und seine Schöpfung und seine Ordnung) und was böse ist (Ungehorsam, Abfall von ihm), aber jetzt haben die Menschen am eigenen Leib das Böse erfahren. Natürlich wirkt Satan auch durch die Machtgier der Menschen: » … ihr werdet sein wie Gott«. 

»Wir sind die Herren der Welt!« Dieser Ruf schallt durch die ganze Geschichte der Menschheit vom Babelsturm über die Französische Revolution mit ihrem neuen Kalender des Jahres 1, dem Jahr der Vernunft der Menschheit, bis hin zu den modernen Diktatoren unserer Zeit. Die Selbstverherrlichung des Menschen ist auch heute das propagierte Ziel. Zugleich wirkt Satan auch durch Neugier.
Unser Streben nach der Wahrheit, nach der Wahrheit gegen Gottes Gebot, um das es hier geht, hat uns manche wichtige Errungenschaft gebracht, aber ohne Gott bleiben diese Errungenschaften auch gegen die Menschheit gerichtet. Dadurch haben wir auch die Mittel der absoluten Zerstörung entwickelt. auch die systematische Propaganda und Gehirnwäsche. die Mittel der geistigen Zerstörung. Erkenntnis. Weisheit, Wissenschaft   nur unter der Grenze von Gottes Herrschaft und seiner Ordnung können sie gut für uns sein und bleiben.

»Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter  zusammen und machten sich Schurze«. Was bedeutet dieses Nacktsein? »Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, und nackt werde ich wieder dahinfahren«, sagt uns Hiob. Nacktsein bedeutet entblößt, auch geistig und geistlich entblößt zu sein.
So hat der Satan unseren Schutz, den Herrn, von uns genommen, uns unsere Schuld und Sünde, unser Weggestoßensein von der Wahrheit, vom Leben selbst, vom Herrn, bis ins Körperliche hinein gezeigt. Deswegen spielt das Kleid der Erwählung eine so wichtige Rolle in der Bibel, zuerst ein Kleid vom Tier, dem ersten Opfer, Gottesopfer, damit wir bekleidet werden, über Josefs Kleid bis hin zu Jesu Kleid der Gerechtigkeit am Kreuz, welches unsere Sünde, unsere Entfernung vom Herrn, unser Entblößtsein überdeckt.

»Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl  geworden. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dein Angesicht Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten.«

Der Herr sieht und weiß alles. Er stellt uns in Frage, wenn wir uns von ihm entfernt haben. Er will uns nicht loslassen, denn er will unser Herr sein. So ruft er uns auch heute immer wieder neu zu sich. Er sucht uns an der Stelle, an der wir abgefallen sind, und will uns zu sich zurückrufen, zum Gehorsam, unter den Schutz des wahren Lebens und der wahren Erkenntnis. Denn nun wissen die Menschen, wie es die Deutschen 1945 wußten, daß sie betrogen und verführt wurden. Jetzt will er sie zu sich zurückholen. Adam und Eva versuchten, sich vor dem Herrn zu verstecken.

So verhalten sich auch heute noch viele Menschen, indem sie sagen: »Es gibt keinen Gott« oder: »Wir sind mündig, wir leben unser Leben wie wir wollen.« Sie bemerken dabei nicht, daß der Herr ein gerechter Herr und damit auch der Herr des Gerichts ist, daß der Herr Herr des Lebens ist und daß wir ohne ihn kein wahres und kein zukünftiges Leben haben.

Christus spricht: »Ich bin das Leben.« Der Herr bringt alles ans Licht – deshalb merken Adam und Eva – daß sie nackt und entblößt sind. So werden auch die Gottlosen ans Licht der Wahrheit, ins Gericht gebracht. Der Herr aber gibt uns nicht auf, er sucht uns. Er enthüllt den Satan und damit unsere Irrwege. Er ruft uns zu sich, aber wehe uns, wenn wir seinen Ruf nicht hören. Wenn wir versuchen, uns vor dem allmächtigen Gott zu verstecken. Dann gibt es nur das Gericht. Aber der Herr hat die ganze Zeit nicht aufgehört, uns Adams und Evas zu sich zurückzurufen. Eben das tut er jetzt in Jesus Christus, der unsere Gottesferne, unsere Schuld und damit unser Gericht für uns ans Kreuz getragen hat und der uns zu sich zurückruft: »Wo bist du, Adam?«

»Wo bist du, Adam?«

Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. Da sprach Gott der Herr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß.

Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.

Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.

Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen – verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde, und sollst zu Erde werden.  1. Mose 3, 9  – 19

Diese Frage Gottes an Adam ist eigentlich die Frage jeder Predigt. Es ist die Infragestellung unserer Person. »Wo bist du?« bedeutet letzten Endes »Wie sieht deine geistliche Lage aus?« Wo befindet sich Adam? Er ist vom Herrn entfernt und damit außerhalb des Bereichs des Paradieses, denn das Paradies ist eine Ortsbestimmung und zugleich ein geistlicher Zustand (mit der Austreibung aus dem Paradies hat dann nicht der Herr angefangen, sondern Adam und Eva selbst). Entfernung von Gott bedeutet Sünde. Adams Zustand ist Sünde. Niemand kann sich vor dem Herrn verstecken, so gut er es auch versucht, sich vor seinem Nachbarn und vor sich selbst zu verstecken. Der Herr sieht und weiß alles, und er will es ans Licht bringen, damit wir durch Buße den Weg zu ihm zurückfinden können. Aber wenn wir seinem Wort ausweichen, seinem Ruf zurück zu ihm, wenn wir auf unserem Eigenwillen und unseren eigenen Wegen durch Selbsttäuschung, durch Verstecken unserer Person, unserer eigenen Lage beharren, dann wird der Herr dies alles in seinem Gericht ans Licht bringen, denn dann ist die Gottesentfernung für immer vollendet.

Unser Text fragt jeden von uns: Wie sieht unser jetziger Zustand aus? Haben wir unser Leben mit dem Herrn, vor dem wir uns niemals verstecken können, in Ordnung gebracht? Oder versuchen wir weiterhin, uns selbst mit Ausreden zu täuschen: »Ich bin ein mündiger und freier Mensch und will mein eigenes Leben führen (ohne den Herrn!)«, oder: »Der Herr hat mich so gemacht, wie ich bin, deswegen steht er zu meinen Wegen, wie ich sie gestalte«, oder: »Der Herr ist ein Gott der Liebe, des Trostes, der Barmherzigkeit und nicht des Gerichts.« Alle diese Ausreden enthalten – wie die Rede der Schlange – sehr gefährliche Halb- und Viertelwahrheiten. Die Frage bleibt damit äußerst aktuell: »Wo bist du, Adam?« »Wo bist du, Eva?« – Diese Frage ist jetzt an jeden von uns gerichtet.

» … denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest davon nicht essen?«

Was bedeutet dann dieses Nacktsein? Sicherlich fühlten die Menschen, Adam und Eva, daß sie ohne Kleider waren. Vorher waren sie genauso nackt, aber sie bemerkten es nicht. Das bedeutet –  einfach gesagt – , daß sie entblößt, bloßgestellt waren. Vorher war ihre Nacktheit als Teil des paradiesischen Zustandes natürlich, aber dann schämten sie sich. Darin steht eine doppelte Bedeutung: Ihre natürliche Unschuld war dahin, und weil sie dahin war, waren sich Adam und Eva darüber bewußt. Ihr Entblößtsein hängt auch mit dem letzten Satz unseres Textes zusammen: »Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.« Ihr schuldiges Nacktsein bedeutet zugleich, daß ihr Fleisch nun der Verwesung unterworfen war – die Todesstrafe Gottes, weil Adam und Eva sich vom Leben, vom lebendigen Herrn entfernt hatten. Gottesferne ist nicht nur Sünde, sondern wie hier deutlich ausgedrückt, der Sünde Sold, der Tod.

Hatte dann die Schlange recht, wenn sie sagte: »Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«? Zwar erkannten sie, daß sie nackt und entblößt waren, aber die Schlange hatte gelogen, denn Adam und Eva müssen nun sterben. Sie sind auch nicht wie Gott geworden. Gottes Strafe bedeutet Vergeltung im tiefsten biblischen Sinn des Wortes. Sie aßen vom Baum der Erkenntnis, aber statt Herrscher über das Leben zu werden – wie Gott -, erhielten sie die Todesstrafe. Statt von der Erkenntnis Gottes zu genießen, von seiner Weisheit, erhielten sie die allzu menschliche Erkenntnis ihrer Scham, ihrer verlorenen Unschuld, ihres Nackt- und Entblößtseins vor dem Herrn.

Wehe uns Menschen, wenn wir diese Grenze, welche der Herr dem menschlichen Dasein gesetzt hat, nämlich das Begrenztsein unserer Herrschaft über das Leben, auch weiterhin nicht beachten. Der von Gott befreite, mündige, moderne Mensch ist der wahre Nachfolger von Adam und Eva, und die Todesstrafe liegt weiterhin über ihm; ebenso die Verwirrung des Geistes, der Erkenntnis, indem er dem Herrn nicht gehorcht. Der Weg Satans ist der verführerische Weg des Aufstandes gegen Gott. Dieser Weg, welcher uns zum Herrscher über das Leben und unseren Verstand zum Maßstab aller Dinge macht, führt zum Tod   und ohne Christus zum ewigen Tod unseres schuldigen und gottlosen Geschlechts.

Dann erfolgt dieses allzu bekannte Selbstgerechtigkeitsspiel, in dem ein anderer an unserer Stelle für schuldig erklärt wird. Adam beschuldigte Eva, Eva beschuldigte Satan, den Urheber des Bösen, aber alle zusammen wurden bestraft. Steckt in diesem lächerlichen Spiel, wo wir Herr unseres Lebens sein sollten, aber dann in Not und Schuld unsere Unschuld beteuern (da ja andere verführten) – nicht ein tiefer Widerspruch?

Entweder entscheiden wir uns für uns selbst und müssen dann auch die Strafe dafür verantworten, oder wir machen mit dem Bösen nicht mit und können dann deswegen in diesem Zusammenhang auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ist es aber nicht vielmehr der Weg, unser Weg und der Weg unserer Zeit, zugleich unsere Freiheit, Mündigkeit und eigene Entscheidungskraft in den Mittelpunkt zu stellen, um dann immer am Schluß einen Sündenbock für unsere Verfehlungen zu finden? Wenn wir unsere eigenen Wege prüfen, werden wir sehr schnell feststellen, wieviel vom alten Adam und der alten Eva in jedem von uns steckt.

Dann, mitten in dieser Gerichtsszene, in der die Menschen mit allem Recht von dem Herrn absolut entblößt werden, gibt es die erste und so wichtige Heilsaussage. »Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.« Der Herr läßt uns nicht nur im Gericht, sondern seine Gnade waltet auch hier. Denn aus den Nachkommen Evas (dieser Name bedeutet, die Mutter aller Menschen) wird einer kommen, der Schlange den Kopf zu zertreten. Hier wird nicht gesagt, wer das sein, wann er kommen oder wie er sein Werk vollenden wird. Aber hier ist im Alten Testament die erste Vordeutung auf das Werk Jesu Christi hier auf Erden, sein Kreuzeswerk, durch das er die Schlange, den Satan, besiegt hat.

Aber haben wir diese Gnade verdient? Bestimmt nicht, denn Adam und Eva sind zutiefst schuldig, nicht nur durch das, was sie getan haben, sondern vor allem in ihrem Versuch, diese Tatsache vor Gott zu verheimlichen. Walter Tlach hat sich einmal mit vollern Recht bitter beklagt, daß hier in Deutschland so viele Eltern ihren Kindern die Wahrheit des Dritten Reiches verheimlicht haben. Damit wird keine Buße getan, denn auf diese Weise verstrickt man sich nur noch viel tiefer in die Schuld. Der Herr weiß und sieht alles, und er wird zu seiner Zeit alles ans Licht bringen. Wer lebt und handelt, um seinen Nachbarn und letzten Endes sich selbst zu täuschen, rechnet nicht mit dem lebendigen und gerechten Herrn und lebt damit in tiefer Gottesferne.

Eine unverdiente Gnade! Nach menschlichem Ermessen sind Adam und Eva nur schuldig und sollten keinen Lichtstreifen auf dem zukünftigen Horizont erleben. Manche sagen: Ja, Adam und Eva – aber wir sind anders. Wirklich? Adam und Eva stehen auch sinnbildlich für alle Menschen in Schuld. Wer den Balken aus dem eigenen Auge entfernt, wird schnell entdecken, wieviel von Adam und Eva in jedem von uns steckt. Aber der Herr liebt uns als unser Vater, und er will uns suchen und mich zurückrufen. »Und sie sollen erkennen, daß ich der Herr bin« –  ist eine zentrale und oft wiederholte Aussage im Alten Testament.

Deswegen dieses erste Glied in der Kette seiner messianischen Verheißungen, ohne das Wer, Wann und Wie des messianischen Werkes zu beschreiben. Schritt für Schritt will Gottes Heilsplan immer klarer und deutlicher offenbart.
Er wird aus dem Volk Israel kommen (siehe 1. Mose 12),
aus dem Stamm Juda (siehe 1. Mose 49), wo sogar auch eine Vordeutung auf Palmsonntag und das Kreuz enthalten ist.
Er wird auch aus dem Hause und Geschlechte Davids kommen (siehe 2. Sam 7) und in Bethlehem geboren werden (siehe Micha 5).
Er wird von einer Jungfrau geboren werden (siehe Jes 7),
die Gerechtigkeit Gottes zu uns bringen (siehe Jes 9),
sogar das Tausendjährige Friedensreich errichten (siehe Jes 11).
Jesu Kreuz wird schon im Alten Testament vorgedeutet, sowohl das Werk und seine Bedeutung (siehe Jes 52.53) als auch die volle Tiefe seiner Botschaft (siehe Jes 61).

Damit werden die beiden Wege der Bibel jetzt in 1. Mose 3 sehr deutlich gekennzeichnet: der Weg des Fluchs und der Weg des Segens. Dieses Thema der beiden Wege, entweder zur Verdammnis oder zum ewigen Leben, zieht sich durch die ganze Bibel und erreicht ihr Telos, ihren Gipfel, in Jesu Botschaft und mit den beiden Schächern am Kreuz.

So ruft der lebendige, gerechte und barmherzige Gott Israels, Jesus Christus uns jetzt mit seinem entblößenden Ruf an Adam: »Wo bist du?« und mit seiner rettenden, ersten Botschaft: »Kehret um, tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe!«

Die Erbsünde

Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!

Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, daß er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.  –  1. Mose 3, 20 – 24

Was Eva begangen hat, trifft auf alle Menschen zu. Sie ist nicht nur die erste Frau und Mutter aller Menschen, sondern zugleich auch die Mutter der gefallenen Menschen. Dieses Thema »Erbsünde« kann man auf verschiedene Arten ausdrücken. Auf der einen Seite steht die Problematik von Adam und Eva, daß sie wie Gott sein wollten, daß sie aus Neugierde in diese Situation hineingeschlittert sind und daß das in jedem Menschen steckt. Auf diese Art ist die Problematik von Adam und Eva auch unsere Problematik. Jeder möchte sich als Mittelpunkt sehen. Jeder möchte Macht ausüben, der Mittelpunkt seiner Welt sein und sein eigenes Denken zum Maßstab nehmen. Wir sehen Erbsünde verherrlicht, indem Mitmenschlichkeit oder Menschlichkeit in unserer Zeit zum Schlagwort wird, zum Maßstab aller Dinge.
Denn was ist der Mensch? … alles »Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an«. Die Verherrlichung des Menschseins ist die Verherrlichung der verfallenen, erbsündigen Menschen. Der Mensch, der glaubt, daß er der Maßstab aller Dinge ist, muß dennoch Antwort geben auf Leben, das er nicht schaffen kann, auf die Grundlage des Lebens, die Liebe, die er ebenso weder schaffen noch erklären kann. Er muß dem Leiden und dem Tod einen Sinn geben; doch in jedem dieser Bereiche ist er machtlos. Wenn der Mensch sich zum Maßstab aller Dinge macht und keine Antwort auf diese Fragen hat, ist er machtlos. So ist die heutige Betonung auf »Der Mensch als Maßstab aller Dinge« nichts anderes als eine kollektive Erbsünde. Es ist eine noch tiefere Art, dieses Problem »Erbsünde« auszudrücken.

Biblisch gesehen, ist in Wahrheit jedoch der Herr der Maßstab aller Dinge. So zeigt sich auch beim Schöpfungsbericht, daß der Mensch nicht die Vollendung der Schöpfung ist (sechster Tag). Die Vollendung der Schöpfung ist der siebte Tag, Gottes Ruhe, Gottes Schalom, Gottes Zielsetzung, nicht die Erschaffung des Menschen. Denn wenn die Erschaffung des Menschen die Zielsetzung der ganzen Schöpfung wäre, wenn der Mensch das letzte Wort sprechen würde, dann würde diese Zielsetzung Verlorenheit sein. Aber nicht der Mensch spricht das letzte Wort, sondern Gott.

Dann kommt ein interessantes zweites Thema in unserer Bibelstelle: Gott schlachtete ein Tier (was hier nicht deutlich gesagt wird, aber er gab Röcke aus Fell, also mußte er ein Tier im Paradies geschlachtet haben), um die Menschen zu bekleiden. Das ist ein ungeheuer wichtiges Thema, denn es enthält die ganze Opfervorstellung, die ganze Vorstellung vom Kreuz, die ganze Vorstellung von Gottes Schutz.

Im Paradies wurde zunächst kein Tier geschlachtet. Im Paradies herrschte Frieden unter den Geschöpfen, zwischen Menschen und Tieren und den Tieren untereinander. Da spielten Löwen mit Schafen und Hunde mit Katzen. Es war sicher alles sehr friedlich. Gott aber schlachtete, vollzog das erste Opfer.
Er brach in diesen Frieden ein, weil dieser Friede schon gebrochen worden war. Er wurde durch den Sündenfall, den der Mensch begangen hat, gebrochen. Er selbst hat die Entfernung von Gott geschaffen. Damit ist das Verhältnis in der Schöpfung überhaupt zerstört. Gott brach um der Menschheit willen in diese Schöpfung, in diesen Frieden den er gegeben hat, ein.

Die Menschen nahmen zunächst Feigenblätter, um sich zu schützen. Ich glaube, wenn wir mit Feigenblättern umgehen müßten, würden wir schnell feststellen, daß sie uns nicht so gut schützen können wie ein Fell.

Das Zuendegehen des Friedenszustandes ist aber auch zugleich eine Vordeutung: Gott möchte diese Friedensordnung zwischen Menschen und Tieren unter seiner Herrschaft. Das bedeutet Gottes Tausendjähriges Friedensreich. Wenn wir über das Tausendjährige Friedensreich reden, meinen wir diese Art von Zustand wie es ihn im Paradies gegeben hat; Menschen, gehorsam unter Gott – Tiere, gehorsam unter Menschen, alle in einer harmonischen Einheit ohne Zwietracht, ohne Haß, ohne Töten. Gott aber brach damals diese Ordnung, um die Menschen zu schützen. Er gab Schutz durch diese Tierfelle. Das bedeutet, daß auch, wenn wir von ihm abgefallen sind, er doch nicht von uns abfallen wird. Das ist auch ein wichtiger Gesichtspunkt in bezug auf das Verständnis von Israel. Zu behaupten, daß Gott nicht mehr zu Israel steht (was natürlich gegen das Neue Testament geht, wie Paulus sagt), ist einfach Unsinn. Gott hält zu seinem Bund wie zu seiner Schöpfung, auch wenn wir nicht zu ihm halten. Er versucht bis zum Ende, uns zu schützen, uns die Möglichkeit des Heils anzubieten. Es gibt aber einen Punkt, an dem Gottes Geduld zu Ende ist. Dieser Punkt wurde damit erreicht, was später mit Kain und Abel, mit Lamech dem Massenmörder, und dem Babelsturm kam.

Wir werden diesen Punkt in Gottes Beziehung zu Israel und seiner Strafe und in Beziehung zum Endgericht, bei dem Gottes Geduld mit den Gottlosen einfach am Ende sein wird, sehen. Aber noch ist der Herr für uns da. Er ist mehr für uns da, als wir für uns selbst. Das war schon im Paradies zu spüren: Die Menschen nahmen Feigenblätter, um sich zu schützen, doch er gab Tierfelle, die ein viel besserer Schutz sind. Er steht näher zu uns, als wir zu uns selbst stehen. Einfach gesagt, Gott liebt jeden von uns mehr, als wir uns selbst lieben. Selbstliebe ist selbstzerstörend. Gottes Liebe aber schützt uns, das wird hier sehr deutlich gezeigt. Dieses erste Opfer deutet den Weg über Tieropfer und über Opfer überhaupt (mit Kain und Abel) bis zu den Opfergesetzen im Alten Bund, die zentral für das Verständnis Jesu (wie es im Hebräerbrief gezeigt wird) sind.

Opfer ist der Weg, die Beziehung zu Gott durch Sühne wiederherzustellen. Wenn der Priester im Alten Bund ein Opfer vollzog, legte er seine Hand auf das Tier, um zu zeigen, daß dieses Tier für ihn und für den Opfernden in den Tod geht. Das ist ein Sühneopfer. Gott hat das erste Opfer vollbracht, um uns mit Tierfellen zu schützen. Ein Opfer im Alten Testament ist ein Sühneopfer, durch das Versöhnung geschieht und die Beziehung zum Herrn wiederhergestellt wird.

Die doppelte Zielsetzung des Opfers im Alten Bund ist zum einen die Anerkennung von Gottes Herrschaft über alles, was lebt und sich regt. Dieses Tier geht für mich, den Opfernden, in den Tod. Das bedeutet auch, daß Gott, der Herr, über die ganze Person herrscht wie über diese Tiere, über Leben und Tod. Aber zugleich wird bei dem Opfergang, bei dem Gemeinschaftsopfer ständig betont: Gott gibt uns Gemeinschaft. Das Opfer ist somit die Bejahung der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. Daran ist ersichtlich, daß die Gemeinschaft nicht von den Menschen ausgeht, denn sie haben Gott verneint. Die Gemeinschaft kommt von Gott. Die Gemeinschaft, die wir mit Gott erstreben, ist nicht unser Bestreben, sondern die Annahme dessen, was Gott uns gegeben hat.

Deswegen taufen wir zum Beispiel Kinder, Säuglinge. Denn Jesus nimmt uns an, auch wenn wir, seine Jünger, in die Irre gehen und ihn am Kreuz verlassen – wir sind alle in sein Kreuz getauft. Kein einziger seiner Jünger stand im Glauben zu ihm, als er gekreuzigt wurde. Seine Gemeinschaft geht in der Beziehung zu uns voraus, nicht unser Bestreben, mit ihm Gemeinschaft zu haben. Er handelt zuerst, was schon durch das erste Opfer deutlich wird. In diesem Opfer ist natürlich Jesu Kreuz vorgedeutet. Denn dieses Opfer ist ein Opfer, um Adam und Eva zu schützen, Schutz zu geben gegen die Härte, die auf sie zukommt, gegen Wind und Wetter und alles andere.

Jesus wird dann das endgültige Opfer am Kreuz geben, das erste und das letzte, indem er uns nicht allein gegen die rauhe Welt schützt, sondern indem er uns mit seinem Kleid der Gerechtigkeit umgibt. Das ist hier in diesem Fell vorgedeutet. Es ist sein Kleid der Gerechtigkeit, sein Kreuzesblut, mit dem er uns überdeckt. Es gibt ein berühmtes Lied über das Thema, wie Jesu Blut als unser Kleid der Gerechtigkeit uns gegen Schuld und Sünde bedeckt. Das ist genau das, was hier vorgedeutet wird. Der Mensch ist gefallen, Erbsünde entstand, Sündenfall, aber Jesus überdeckt uns trotz unserer Schuld und Sünde mit seinem Schutz. Was anderes ist Kreuz als Schutz?
Die ausgestreckten Hände segnen und schützen – eigentlich sollte man deswegen den Segen mit ausgestreckten Händen sprechen, wie es auch die Rabbiner tun.

Für uns heute wird das noch viel deutlicher, weil unter dem Kreuz Jesu der Schutz seines Kreuzes gegen Sünde, Teufel und Tod ist. Das wird in dem schützenden Kleid aus diesem Tierfell vorgedeutet. Sein Opfer steht in der Bibel anstelle von allen Tieropfern, so sagt es der Hebräerbrief. Es gibt hier einen ungeheuer vielschichtigen Tiefgang. Das Thema selbst wird bei Kain und Abel weitergeführt, das richtige und das falsche Opfer. Später dann durch die Opferbestimmungen bis zur Vollendung in Jesu Kreuz: Schutz, Segen, Überdecken von dem, was bloßgelegt war.

Adam und Eva waren nackt, das bedeutet »bloßgelegt«. Der Herr hatte ihnen gezeigt, wie es wirklich um sie stand. Doch dann überdeckte der Herr diese Nacktheit.

Dann kommt eine äußerst interessante Aussage: »Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.« Hatte dann die Schlange doch recht. Die Schlange, der Satan, hatte behauptet, daß Adam und Eva, wenn sie Früchte vom Baum der Erkenntnis nähmen, wie Gott sein würden. Beide meinten nicht nur die Erkenntnis über gut und böse, sondern auch die gleiche Macht wie Gott über das Leben zu erlangen. Doch war dem so? Gott sagt hier selbst: » … der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.«

 Die Der Unterschied ist, daß wir von dem Bösen gefangen sind, Gott dagegen ist nur für das Gute.Erkenntnis ist die gleiche. Durch den Sündenfall wissen wir, was gut und böse ist. Aber nur Gott ist gut, und wir sind alle böse, und wir finden von uns aus keinen Weg aus diesem Bösen heraus. Erkenntnis ist nicht die Wahrheit. Viele Menschen, die böse sind, erkennen, daß sie böse sind. Sie sind über das Böse in ihnen verzweifelt, aber das bedeutet nicht, daß sie plötzlich damit anfangen können gut zu sein.

Ein ganz einfaches Beispiel: Meine Schwester, die eine Kettenraucherin war, las, daß das ungesund sei. Was hat sie darauf getan? Sie hat aufgehört zu rauchen. Sie hat einen ungeheuer starken Willen. Aber was passierte? Statt zu rauchen fing sie an zu essen, und sie wurde sehr dick. Auch sie wußte, daß das nicht in Ordnung war, aber das Böse oder Negative steckt eben in uns. In ihrem Fall war es schlecht für die eigene Gesundheit. Später fing sie mit einer anderen Art von Sucht an. Zu wissen, wie sich eine Sachlage tatsächlich verhält, muß nicht unbedingt der Anfang der Besserung sein.

Viele Leute sagen: »Jeder hat seine Schwäche, jeder hat seine Probleme.« Erkenntnis ist aber nicht unbedingt der Weg zur Besserung. Viele Menschen, darunter auch Verbrecher, wissen, daß sie böse sind, Böses getan haben, auch wenn sie versuchen, eine Erklärung dafür zu geben. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie dadurch dann gut werden. Es bedeutet, daß sie wie Gott jetzt wissen, was gut und böse ist; aber mit dem Unterschied, daß wir gleichzeitig im Bösen gefangen sind.

Gott weiß das, weil er über dem ganzen Problem steht, weil nur er gut ist. Wir sind bezüglich der Erkenntnis wie Gott geworden, aber deshalb noch lange nicht im Wesen, denn mit unserem Wesen sind wir von Gott abgefallen, wir sind von Gott entfernt. Im Paradies dagegen konnten die Menschen nahe bei Gott sein. So brachte die Erkenntnis in Wirklichkeit Entfernung von Gott. Warum läßt Gott das zu? Der Mensch wußte, bevor er gefallen war, nicht, was böse ist. Das Gute tun, ohne zu wissen was böse ist, beinhaltet keine reale Entscheidungsfreiheit. Gott läßt uns alle fallen. Er hätte es genauso einrichten können, daß die Menschen nicht von ihm abfielen. Doch Gott hat die Vollmacht, er weiß sehr genau, was vor sich geht. Warum? »Ihr sollt erkennen, daß ich der Herr bin« – das ist seine Zielsetzung, der zentrale Satz im Alten Testament von den Mosebüchern bis zu den Propheten. Denn der Mensch der gefallen ist, der wie Gott die Erkenntnis hat über das, was gut oder böse ist, und sich dann für das Gute entscheidet, ist ein ganz anderer Mensch als der, der nicht weiß, was böse ist. Er lebt nur im Licht, und weiß überhaupt nicht, was Finsternis ist. Deswegen erlaubt Gott Geschichte.

Erbsünde ist Geschichte, aus ihr resultiert der Tod. Der Anfang liegt bei der Schöpfung, das Ende, das Todesurteil kommt mit der Erbsünde. Gott läßt Geschichte zu, dieses Gefallensein, daß wir sterben müssen, denn er möchte, daß wir ihn in der Erkenntnis annehmen, daß wir ihn benötigen.

Es ist etwas ganz anderes, wenn wir im Licht leben würden, dann würde das Licht für uns unbedeutend sein. Wenn jeden Tag nur Licht und Sonne und keine Dunkelheit da wäre, und wenn unser Leben nur Licht und Sonne wäre, würden wir überhaupt nicht wissen, was wir haben, und wir würden auch nicht dafür dankbar sein, es wäre selbstverständlich. Nur wenn Dunkelheit kommt, nur wenn Sünde oder Not kommen, wenn die Mächte der Finsternis auftreten, dann lernen wir das Licht zu schätzen, dann lernen wir, die Klarheit, Wahrheit und Reinheit anzunehmen. Gott weiß das, deswegen sagt Paulus im Neuen Testament, daß wir mehr als die Engel seien.

Das ist einer der tiefsten Gründe, warum wir mehr sind als die Engel. Die Engel, außer Satan und seinen Boten, haben die Erkenntnis des Bösen nicht. Sie leben nur im Licht. Doch wir sind mehr als die Engel, denn wir wissen, weil wir die Erkenntnis Gottes haben, was gut und böse ist. Wenn wir zu Jesus Christus gehören, gehören wir – natürlich nur mit Hilfe seiner Kraft – zum Licht, gerade gegen die Finsternis. Das ist mehr als die, die nur im Licht sind.

Ich habe einmal ein Gedicht über einen Mann geschrieben, der in seinem Zimmer mit künstlicher Beleuchtung sitzt und nicht bemerkt, daß draußen Licht ist. So leben sehr viele Wissenschaftler in ihrem künstlichen Licht, haben sehr viele Lichter, ohne das wahre Licht zu bemerken, das Licht des Lebens, Christus.

Wir bauen unsere eigene Welt. Dieses künstliche Licht ist auch eine Art Dunkelheit gegen das wahre Licht – unsere eigenen Wege, unsere eigenen Lichter. Der Mensch, der gefallen ist, weiß, was Finsternis ist. Wenn er von der Finsternis, vom Bösen, der Schlange, die ihm auf den Fersen ist (wie das so klar in der Bibel steht), getrieben wird, dann kann er entweder als Beute zu Satan getrieben werden, oder er wird zum Licht und zu seinem Heiland hingetrieben. Entweder – oder.

Von uns aus ist keine Hilfe möglich. Gott gibt uns das Gesetz, durch das er deutlich zeigt, was wir tun sollen und was nicht. »Du sollst«   und »du sollst nicht«. Gott zeigt uns durch sein Gesetz, was seine Wege sind und das Gute. Aber waren wir je in der Lage, das Gesetz zu erfüllen, das Gute zu tun? Petrus meinte sogar, als die Frage aufkam, ob die Heiden zuerst beschnitten werden und das Gesetz halten sollten, daß sie als Juden das Gesetz ja selbst nicht halten könnten, wie sollten sie es dann von den Heiden verlangen?

Das Gesetz wird durch die Bergpredigt verdeutlicht. Die Zielsetzung des Gesetzes ist die Reinheit und die Vollkommenheit. »Selig sind, die reines Herzens sind … «, ein reines Wesen haben. Der Ruf in Matthäus 5, 48: »Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.« Dieser eine Satz ist die Bergpredigt, die Erkenntnis zum Guten ist da. Wer kann aber vollkommen sein wie Gott? – keiner. Deswegen sind die Jünger Jesu so sehr erschrocken. Die Erkenntnis des Guten ist da, aber das Vollbringen?

Paulus sagte in Römer 7: »Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.«

Daß wir die gleiche Erkenntnis wie Gott haben, bedeutet nicht, daß wir gleich sind wie Gott. Gott ist gut, aber wir sind die Beute des Bösen in dieser Erkenntnis, im Sündenfall. Deswegen mußte Jesus für uns das Gute vollbringen, auch gegen unsere Auffassung vom Guten. Jeder hat etwas gegen dieses Kreuz. Für die Römer bedeutete es nichts; für die Juden bedeutete es, daß Jesus als Gotteslästerer gekreuzigt wurde; und die Jünger sind darüber erschrocken, daß Jesus als »Verdammter« am Kreuz, am Holze hängt (siehe 5. Mose 21, 23), deshalb gingen sie alle in die Irre. Das bedeutet, daß das absolute Vollbringen des Guten (das Gott von uns haben möchte), nicht ist, was wir tun können, sondern, was er selbst für uns tut. Der wahre Schutz für uns wird von ihm kommen, von seinem Kleid der Gerechtigkeit. Dieses »Kleid Bild« kann man auch bei der Kreuzigung Jesu übernehmen. Vier Heidenknechte (nach Johannes) werfen das Los um sein Kleid. Das bedeutet, daß das Kleid der Gerechtigkeit (bei Josef das Kleid der Erwählung) in alle Himmelsrichtungen zu den Heiden geht. Aber zugleich bleibt es ein Bestandteil der Verheißung an Israel: Jesus von Nazareth, König der Juden. Auch das ist ein Bestandteil vom Kreuz. Aber hier geht es ebenso um das Kleid, um Schutz, um Erwählung, um den Weg zu seinem Reich. So steht es in der Offenbarung: Wir werden weiße Kleider tragen, die durch Jesu Blut reingewaschen sind. Das wird alles durch dieses Kleid, dieses Opfer vorgedeutet.

Die Erkenntnis des Guten und Bösen hilft uns nichts. Es ist wie eine Predigt, die nur entblößt. Jede Predigt muß entblößen, aber nur den Menschen nackt machen, zu zeigen, daß er gefallen ist und es dabei belassen, führt letzten Endes zu nichts.

Es gibt kritische Zeitschriften, die jede Woche alles in den Schmutz ziehen, dieses und jenes kritisieren, aber selbst ebensowenig eine richtige Alternative geben können. Eine Predigt muß immer am Ende sehr deutlich hervorheben: Für die absolute Nacktheit, das Entblößtsein des Menschen durch Gottes Wort ist der Schutz, die Überdeckung und das Kleid Jesu Kreuz. Wenn das in einer Predigt nicht vorkommt, dann ist das keine Predigt. Wenn die Entblößung nicht vorkommt, wäre es auch keine Predigt, denn wozu bräuchten wir ein Kleid der Gerechtigkeit, wenn wir nicht bloßgelegt sind? Wenn man nur Trost und Liebe (im menschlichen Sinn) bietet, dann braucht man kein Kreuz. Wenn der Mensch auf seine Art in Ordnung ist und er nur menschlich leben soll usw., dann braucht nichts überdeckt zu werden, weil nichts entblößt ist. Es geht schließlich um Entblößung und Überdeckung: die Entblößung des sündhaften Menschen und der Schutz, den Gott dem sündhaften Menschen anbietet. Denn nur der Herr kann das tun. Das können wir nicht selbst trotz unserer Erkenntnis.

Eine andere Frage ist, warum Gott den Menschen mit »unsereiner« charakterisiert? Es gibt viele Aussagen im Alten Testament, die auf diese Art und Weise auf etwas hindeuten; noch viel deutlicher wird dies bei den drei Männern, die zu Abraham gehen. Diese drei Männer sind als Engel Gottes betrachtet worden, aber auch als Gott selbst. Es ist sehr schwierig, das zu beurteilen. Es ist sicherlich eine Vordeutung auf die Trinität. Dieses »unsereiner« ist die Mehrzahl, das ist nicht zu bezweifeln. Damit ist dann die Trinität (Vater, Sohn und Heiliger Geist) gemeint, auch wenn es diese nach jüdischem Verständnis so nicht gibt. Doch gleich danach kommt ein sehr interessanter Text, der oft von Humanisten, die Gott ablehnen, gegen diesen verwendet wird: »Nun aber, daß er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!«

Hierauf argumentieren die Humanisten – die Menschen, die an das Menschsein und nicht an Gott glauben – Gott wolle nicht, daß Menschen gleich wie er seien. Gott sei gegen die Menschen, er wolle der Herrscher sein und die Menschheit als seine Untertanen sehen. Deswegen verhütet es Gott, daß Menschen ihm gleich werden. Denn die Menschen haben nun die Erkenntnis, und brauchen nur noch vom Baum des Lebens zu nehmen, um ihm gleich zu sein.

Das scheint sehr interessant zu sein, aber es ist eine absolut verkehrte Auslegung. Gott kann keine Angst haben, wenn wir vom Baum des Lebens nehmen, daß wir ihm gleich werden, denn was ist das Wesen Gottes? Es ist, daß er allmächtig, gerecht und gut ist. Aber in welcher Lage sind Adam und Eva? Sie sind in der Lage des Verfallenseins, des Verlorenseins. Gott hatte die Todesstrafe über den Menschen sowieso schon ausgesprochen: »Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.« Warum tut dann Gott das? Um uns zu schützen. Weil – nehmen wir einmal an, daß das möglich wäre (es ist nicht möglich, denn Gott hat das Todesurteil über uns gesprochen) -, daß Adam und Eva, die Urmenschen vom Baum des Lebens genommen hätten, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis genommen haben. Was würde das bedeuten? Daß wir ewig in der Hölle leben müßten, weil es dann kein Paradies mehr für uns gäbe. Der Mensch ist von Gott entfernt. Das würde also ewige Hölle und ewige Verdammnis bedeuten, aus der wir nicht mehr errettet werden könnten. Wir würden von uns aus ewiges Leben in der verfallenen Natur, weg von Gott, in Gottesfeme haben.

Paradies ist nicht nur ein Ort, sondern auch ein Zustand. Der Zustand des Bei – Gott- Seins. Wenn wir tatsächlich ewiges Leben von uns aus ergreifen könnten –  immer mehr Menschen werden 90 Jahre und älter – , so würde sich dies letzten Endes doch gegen uns richten. Denn uns stünde ein ewiges Leben in der Verfallenheit, in der Hölle bevor. Der verfallene Mensch, der ewig lebt.

In der griechischen Mythologie gab es die alte Sybille. Sie ist eine sehr interessante Gestalt. Die alte Sybille ist eine Frau, die nicht stirbt. Sie lebt in einer Höhle. Sie wird älter und älter, und alle Leute, die sie kannten, sind längst tot. Aber sie lebt und lebt, glauben Sie, daß das ein paradiesischer Zustand ist? Meine Großmutter hat das erlebt, denn sie war 99 Jahre alt, als sie starb. Ich werde niemals vergessen, wie absolut isoliert sie war. Ihr Gehör war nicht mehr gut. Sie meinte immer: »In meiner Zeit haben die Leute lauter gesprochen, jetzt flüstern sie die ganze Zeit nur.« Im Grunde genommen, ist ihre ganze Welt gestorben. Zwar waren ihre Kinder da, aber das war nicht ihre Weit. Die Welt unserer Kinder ist nie unsere Welt. Meine Großmutter lebte und lebte; ihr Mann starb mit 70, so war sie fast 30 Jahre Witwe, bis sie dann starb. Sie lebte in absoluter Isolation, weil sie nicht hören konnte. Das war keine schöne Sache. Langes Leben, ewiges Leben haben als verfallene Menschen (und wir sind alle verfallen) ist keine schöne Sache, sondern eine ganz üble.

So hat einmal ein alter Mann bei einer Beerdigung zu mir gesagt: »Ich bin der Letzte.« Ich fragte: »Was meinen Sie damit?« Er sagte: »Ich bin der Letzte von meiner Klasse hier aus Malmsheim. Alle sind tot. Ich gehe zu den Friedhöfen, ich bin der einzige, der lebt.«

Das ist keine schöne Sache. Langes Leben? Wie viele alte Leute sagen zu mir, wie es mit 70 und dann mit 80 ist. Einer hat mir neulich gesagt: »Mit 82 ging es, aber mit 83 ist es nicht mehr so schön. Ja, wenn man älter ist, fängt man an, das zu merken.«

Ewiges Leben, nicht im Sinne Gottes, sondern im Sinne der Menschen, das ist nicht gut.

Gott trennt nur vom Baum des Lebens, um uns zu schützen. Wir handeln immer wieder gegen uns, indem wir gegen Gott handeln. Doch Gott handelt immer wieder für uns. Das ist der ständige Widerspruch. Man kann das in einem harten Satz zusammenfassen: Wir haben nur einen zentralen Feind, das sind wir selbst. Wir haben nur einen zentralen Freund, das ist Gott. Je mehr wir unter der Hingabe und Liebe Christi handeln, desto besser ist es für uns. Wissen wir, was gut für uns ist? Wissen wir wirklich, was gut für uns ist? Die Menschen würden nach diesem Baum des Lebens greifen. Gott behütet uns davor, denn wir wissen nicht, was gut für uns ist. Das ist eine der Sachen, die im Leben so interessant sind. Wir glauben, immer tun zu müssen, was wir tun. Aber oft führen uns unsere Pläne und das, was wir für so wichtig halten, in die Irre.

Wie viele Leute hatten nach dem Zweiten Weltkrieg als höchstes Ziel den Bau eines eigenen Hauses. Wie viele Ehen sind dadurch kaputtgegangen? Aus solch einem Haus wurde kein Heim, weil der Mann nie Zeit für seine Frau und die Kinder hatte, weil er immer Geld für das Haus und anderes verdienen mußte. Wie viele unserer Pläne gehen letzten Endes gegen uns?

Vor noch nicht allzu langer Zeit sagte mir jemand: »Ich werde meine Wohnung verkaufen, denn ich habe zwei Kinder, aber nur eine Wohnung. Deshalb würde es zu einem Erbstreit kommen. Das würde die Beziehung zwischen meinen Kindern kaputtmachen. Deswegen verkaufe ich diese Wohnung.«

Das war eine kluge Mutter, aber es zeigt auch, wie die menschliche Natur ist. Wissen wir wirklich, was gut für uns ist? Ich glaube es nicht. Ich selbst habe oft auch sehr viel nachgedacht, was gut wäre, aber der Herr hat mir immer wieder andere Wege gezeigt. Man sollte sich einmal darüber Gedanken machen. Es ist eine zentrale Aussage dieses Textes: Wo der Mensch für sich handelt, handelt er gegen sich. Nur wenn der Mensch unter Gottes Herrschaft handelt, unter seiner Liebe, dann handelt er für sich. Gott ist unser bester Freund, aber wir sind unser schlimmster Feind. Das ist der Satan in uns. Wir wollen das Gute vollbringen (siehe Röm 7), aber wir vollbringen ständig das Gegenteil. Seien Sie ehrlich mit sich, und machen Sie sich Gedanken darüber. Ich glaube, daß das eine Grundwahrheit ist. Was die Bibel sagt, ist ungeheuer praktisch und realistisch.

Dieser Schutz gegen ein selbständiges, ewiges Leben, das zur Hölle wird, deutet aber auch vor, was mit uns außerhalb des Paradieses passieren wird. Denn was will der Mensch außerhalb des Paradieses? Er will sein Leben in seinem Sinn in den Griff bekommen. Denken wir nur an all die Ideologien, denen Menschen so viele Jahre nachjagten. Später denken wir anders darüber.

Zu den Reden von Hitler und Göbbels fragen sich viele junge Menschen heute, wie man nur so dumm sein und an so etwas glauben konnte? Aber sie selbst glauben zugleich auch an irgendeinen Götzen, doch sie wissen es nicht. Es sind immer andere Dummheiten, an die jede Generation glaubt. Die nächste Generation wundert sich darüber und sagt: »Wie kann man nur so denken.« So ist die ideologische Verführung. Es ist eine Vordeutung von dem, was der Mensch aus dieser Welt gemacht hat. Was haben wir im Namen des Fortschritts mit unserer Welt getan? Es gab einen berühmten Dichter, William Wordsworth. Er hat ein großes Sonett geschrieben, als in England die industrielle Revolution begann.
Er schrieb vor fast zweihundert Jahren darüber, daß alle Flüsse verschmutzen werden und daß die Umwelt zugrunde ginge. Er war ein gläubiger Mann und sah diese Entwicklung voraus.

Der Mensch will sich selbst zum Maßstab aller Dinge machen und sich aller in seinem Sinn bemächtigen über die Grenze hinweg, die Gott setzt. Aber plötzlich merken wir, daß die Industrialisierung auch ungeheuer negative Seiten hat, nicht nur positive. Wir wissen nicht, wohin unsere Zielsetzung uns führt, wir kennen die Früchte unseres eigenen Tuns nicht. Deshalb sollten wir etwas vorsichtig sein. Wir sollten versuchen, ständig unter Gottes Wort zu stehen und wahre Orientierung zu suchen – nicht Gottes Wort zu hinterfragen, sondern Gottes Wort anzunehmen, das uns Leben, Führung und Zukunft bringt, so daß wir unter seinem Geleit stehen. Dann gehen wir einen viel sichereren Weg, als wenn wir versuchen, unser Leben und unsere Welt selbst zu beherrschen.

Die ganze Geschichte, die Urgeschichte ist der Versuch des Menschen, sich selbst zu Gott zu machen, selbst Macht über seine Umgebung, über seine Welt zu haben, für sich selbst zu handeln. Aber damit handelt der Mensch gegen sich. Das geht so weit, daß der moderne Mensch in mitmenschlicher Armut lebt , er kennt seine Brüder nicht mehr.

Der wahre Baum des Lebens wird in Psalm 1 vorgedeutet. Der erste Psalm handelt vom Baum der Gerechtigkeit, wohl gepflanzt, in der Sonne, im Licht – eine Vordeutung auf Jesu Kreuz. Wir können nicht selbst den Baum des Lebens ergreifen, denn dieser Baum wird für uns gemacht, indem wir Gott ans Kreuz nageln, an lebendiges Holz. Deshalb hat man im Mittelalter das Kreuz ständig als noch lebenden Baum mit Trieben dargestellt. Wir können den Baum des Lebens nicht ergreifen, denn das würde Hölle bedeuten. Der Baum des Lebens kommt zu uns in Form von Christus als der Gekreuzigte. Er bringt damit den Weg zum ewigen Leben. Wer mit Christus gekreuzigt wird, mit dem Baum des Lebens, der wird mit ihm leben, auch ewiglich!

Auch bei Isaak finden wir eine Vordeutung auf Jesu Kreuz. Isaak wird das eigene Holz auf seinen Rücken gelegt, als er zum Opfer geht. Das ist eine Vordeutung auf den kreuztragenden Christus. Aber der Herr nahm das Opfer Abrahams nicht an, sondern zeigte ihm ein Tier, das er anstelle von Isaak opfern sollte.  . . .

Kain

Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.
Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.  –  1. Mose 4, 1 –  8

Hier ist bezeichnend, daß Kain, der böse Kain, zuerst geboren wurde, vor Abel. Warum? Weil Kain von Anfang an ein besonderes Zeichen des Sündenfalls war, des Wegfalls vom Herrn durch seine Eltern. Diese zeichenhafte Bedeutung Kains wird dann später durch sein sogenanntes Kainszeichen vertieft. Hier ist auch ein Grund, warum wir von der Erbsünde reden. Der älteste Sohn ist der besondere Erbe im Alten Testament.

Diese Trennung von Gut und Böse, von Segen und Fluch, ist ein gesamtbiblisches Thema, welches hier eine große Bedeutung bekommt. Abel ist gesegnet, Kain ist verflucht. So geht es durch die ganze Urgeschichte, sogar so, daß nur eine Familie, die Familie Noahs, gesegnet, aber der Rest der Menschheit verflucht wird.

Können wir dann so naiv von guten Menschen, von Mitmenschlichkeit als Maßstab aller Dinge reden? Mit der Erwählung Israels wird das Volk Israel gesegnet, aber die heidnische Welt steht außerhalb dieses Segens – mit Ausnahme von Menschen wie Rahab von Jericho oder die Ägypter, welche mit Israel ausgezogen sind, Menschen, die sich dem Gottesvolk anschließen.
Aber dann trennt Segen und Fluch Gottes Volk selbst. Die Propheten und die wahren Gläubigen sind die Gesegneten, aber das abgefallene Volk, ihre falschen Propheten, Priester und auch Könige werden verflucht. Gottes Segen ist der gekreuzigte Jesus mit seinen segnenden, ausgebreiteten Armen. Wer ihm wirklich gehört, wird unter dem Kreuz gesegnet, aber außerhalb dieses Bereiches waltet, wie Paulus so oft betont, Gottes Zorn. Wir sollten die Verheißung an Abraham nicht vergessen, die immer noch Gültigkeit hat: Abraham (Stellvertreter des Volkes Israel), ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesenet werden alle Geschlechter auf Erden.

Abel, der Gesegnete, ist Hirte. Damit fängt eine lange Liste von erwählten Hirten an, wie zum Beispiel Abraham, Mose, David und die Hirten, die auf den Feldern von Bethlehem zur Zeit der Geburt unseres Herrn ihre Schafe hüteten, die ihm dann begegneten und von ihm verkündigten. Warum die Hirten? Weil die Hirten für die Herde (das Volk) eingesetzt sind.

Durch die ganze Bibel läuft dieses Thema: Hirte und Herde, gute wie schlechte Hirten. Wir werden mit Schafen verglichen, weil ein Schaf sich nicht wehren kann. Wir bleiben damit den Mächten der Sünde, Satan und Tod vollständig ausgeliefert. Jesus Christus, der Herr, ist unser wahrer, endgültiger Hirte.

Opfer – noch ein zentrales biblisches Thema erreicht hier seinen ersten Höhepunkt. Zwar hat der Herr selbst das erste Opfer im Paradies vollzogen, um Adam und Eva besser zu bekleiden, als sie es selbst vermochten. Das bedeutet, daß der Herr besser für uns sorgt als wir für uns selbst. Opfer hat in der Bibel verschiedene Formen und Bedeutungen. Hier handelt es sich um ein Dankopfer von den Früchten der Felder und von der Herde; Dank für etwas, das der Herr Kain und Abel gegeben hat. Opfer hat zwei Grundbedeutungen: Anerkennung von Gottes Herrschaft über alles, was lebt und sich regt und damit auch über uns selbst, und wahrnehmen, annehmen und bejahen der Gemeinschaft mit dem Herrn, welche er uns gegeben hat und immer wieder geben will.

Warum wurde Abels Opfer angenommen und Kains Opfer nicht? Weil Kain nicht von Herzen, mit seinem ganzen Wesen, geopfert hat. Er erkennt den Herrn nicht als seinen Herrscher an und will seine Gemeinschaft nicht annehmen. Das sehen wir auch so deutlich, als er Gottes Warnung, Gottes Angebot ablehnt.
Abel aber opferte von Herzen. Er will den Herrn als Herrscher über alles, was lebt und sich regt anerkennen, vor allem aber auch als seinen persönlichen Herrn. Deshalb bejaht er diese Gemeinschaft mit dem Herrn. Gerade die Betonung von »Fett« verdeutlicht dies. Das Blut gehört dem Herrn, denn das Leben ist im Blut, und das Leben gehört Gott. Der fette, beste Teil gehört dem Herrn, denn das Gute, das Beste kommt von ihm. Später werden zwei Priester, die beiden Söhne Elis, »das fette Teil« für sich nehmen, nicht dem Herrn geben und darum sterben müssen.

Dieses Verhalten bei dem Opfer Kains und Abels verdeutlicht zugleich zwei Glaubenshaltungen unter uns. Die Kains weigern sich, Gottes Herrschaft anzunehmen, vor allem über ihre eigene Person. Der Herrschaftswechsel, was wir Neugeburt nennen, hat bei ihnen nicht stattgefunden. Sie sind selbst Herr ihres Lebens, nicht Christus. Sie sind mündige Bürger, und deswegen werden sie nach eigenem Maßstab entscheiden, was gut und gerecht ist und sich nicht dem Willen des Herrn, ausgedrückt in der Bibel, beugen. Die Kains unter uns können sehr extrem sein, indem sie Gott ganz und gar ablehnen oder als Agnostiker überhaupt nicht nach ihm fragen. Da kann es leicht zu gotteslästerlichen Äußerungen jeder Art kommen, wie in manchen nichtchristlichen Filmen über Jesus. Aber es gibt auch Kains, die nicht so extrem sind. Sie erfüllen ihre »christlichen Pflichten« (wie sie das verstehen) durch Taufe, Konfirmation, christliche Trauung und Beerdigung. Vielleicht gehen sie sogar ab und zu einmal in die Kirche. Aber letztendlich lehnen sie Gottes Herrschaft, Christi Herrschaft über ihre Person ab. Seine Kreuzesgemeinschaft ist nicht wichtig für ihr Leben, sondern was sie denken, was sie tun und wollen. Ihr Gott ist letzten Endes tot, leblos, und damit ist ihre Art von Opfer nur eine Pflicht, nur Form, wie bei Kain, aber ohne tiefen Inhalt.

Manche Menschen behaupten heute, daß der Herr so gütig und gnädig sei, daß wir leben können, wie wir wollen, weil er uns selbstverständlich annehmen werde, weil wir letzten Endes das Gute und Rechte meinen.
Ist das wirklich so? Wollen wir immer das Beste für unseren Nächsten oder sogar für unsere Feinde, wie Jesus dies verlangt? Hat nicht manchmal auch unsere Opferbereitschaft mit egoistischen Zwecken und Zielen zu tun: von anderen gut angesehen werden; selbst ein gutes Gefühl dadurch zu bekommen; auch die innere Einstellung: »Wenn ich anderen helfe, habe auch ich ein Recht auf Hilfe, wenn ich selbst in Not komme.«

Wer ehrlich mit sich selbst ist, wer bereit ist, den Balken aus dem eigenen Auge zu entfernen, der weiß, oder sollte wissen, wie es wirklich um uns steht. Jeder von uns sucht in seiner Art und Weise seinen Teil. Die moderne Psychologie, auch wenn sie keine tiefe Antwort auf dieses Problem bietet, diagnostiziert richtig unsere Selbstsucht und unseren Egoismus.

Der Herr möchte nicht richten. Wie die Bibel an mehreren Stellen bestätigt, möchte er viel lieber gnädig sein. Aber weil er gerecht ist, muß er manchmal ein deutliches Wort sprechen, und nach mehreren Ermahnungen ohne Erfolg kommt es dann zum Gericht. So sehen wir das hier bei Kain. Der Herr sieht in sein Herz. Doch auch wenn Kain ihm gegenüber abtrünnig ist, so will der Herr ihn davor bewahren, einen Brudermord zu begehen. 
Sehen wir hier nicht die enge Beziehung zwischen der später gegebenen ersten und zweiten Tafel Moses? Wenn unsere Beziehung zum Herrn nicht in Ordnung ist, wird und kann unsere Beziehung zum Nächsten auch nicht in Ordnung sein, so sehr wir auch versuchen, diese Tatsachen zu unterdrücken.

Was tut der Herr daraufhin? Er erkennt den Grimm Kains und bringt seine Ursache schnell ans Licht: »Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben.« Kain kann dem Herrn nicht direkt ins Gesicht schauen, weil sein Herz in Aufruhr gegen diesen und gegen Abel ist. Er, Kain, ist nur für Kain da. So lesen wir gerade heute, wie in unserer zum großen Teil gottlosen Gesellschaft nur wenige Menschen bereit sind, ihren Mitmenschen in Not wirklich zu helfen. Wohl sind es viele in der Theorie, aber nicht in der Praxis. »Das ist mir egal« sagen sie, wenn jemand Not leidet, solange sie selbst nicht betroffen sind.

Sehr interessant ist hier auch das Wort, der Begriff »vor der Tür« – »so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen«. Die Tür ist der Weg des Eingangs, und zwar zur ganzen Person, zum Herzen eines Menschen. So spielt die Tür zum Tempel eine wichtige Rolle, denn dort war der Weg zum Eintritt in Gottes Haus, in seine Gegenwart. Jesus Christus bezeichnet sich als »die Tür«, und er meint die Tür zur Wahrheit, zum Leben, die Tür zum Himmelreich. Der Herr ermahnt Kain, daß nicht die Sünde, sondern er über sich, sein Wesen und seine Wege herrschen soll. Der Herr will uns so vor Sünde bewahren. Er spricht ständig durch unser Gewissen zu uns. Er bietet auch Kain Beistand an, ihm zu helfen, auch wenn Kain vorher seine Herrschaft und wahre Gemeinschaft durch ein herzloses Opfer abgelehnt hat.

Aber Kain hört nur die Stimme der Rache gegen seinen jetzt bevorzugten jüngeren Bruder. Er ruft ihn auf das Feld und tötet ihn. Wenn wir nicht auf den Herrn hören, muß das nicht zwangsläufig zum Brudermord führen, aber es führt immer zu eigenen Wegen ohne den Herrn, und diese Wege haben keine wahre Zukunft. Ein großer Kirchenfürst unserer Zeit hat im Sterben gebetet: »Herr, vergib uns Kains (uns Christen), denn wir haben unseren Bruder Abel (Israel) getötet.« Jeder von uns sollte aber aus Kains Versuchung lernen.
Wenn unser Leben mit dem Herrn nicht in Ordnung ist, kann unsere Beziehung zu unseren Mitmenschen im Sinne Gottes, in der Tiefe, nicht in Ordnung sein.

Das Gericht Gottes ist unbestechlich und gerecht.

Deswegen: Hört auf des Herrn Wort, hört auch, wenn er zu euch durch euer Gewissen spricht. Hört auf ihn, indem ihr eure Herzen, euer Wesen für Christus öffnet, daß er euer Herrscher sein und bleiben wird. Dann werdet ihr geschützt und geführt von unserem wahren Hirten auf seinen Wegen bis in sein Reich.

 

»Wo ist dein Bruder Abel?«

Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute von meinem Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. Aber der Herr sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.  –  1. Mose 4, 9 – 16

Diese Fragestellung ist sehr merkwürdig. Hat nicht der Herr nach dem Sündenfall, als Adam und Eva versuchten, sich vor ihm zu verstecken, gefragt: »Wo bist du, Adam?« Damals bedeutete diese Frage: Adam, wie ist deine Lage. Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Dieses Versteckspiel nimmt neue Formen an, als Adam die Schuld Eva zuweisen möchte und Eva diese an die Schlange weitergibt. Das bedeutet, daß sie alle beide nicht bereit sind, ihre wahre Lage zu erkennen. Im Grunde genommen wollen sie sich vor der Wahrheit verstecken, wie auch wir uns öfter vor unseren Nachbarn verstecken wollen, damit sie nicht merken, was wir getan haben, oder noch tiefer, was unsere wahren Motive sind. Dieses Versteckspiel ist aber letzten Endes der Versuch, uns selbst vor der Wahrheit über uns zu verstecken. Haben wir nicht immer »gute Gründe«, uns selbst in Schutz zu nehmen, uns zu vergeben? Deswegen Gottes Frage: »Wo ist dein Bruder Abel?« Das bedeutet wie bei Adam, daß Kam diese Tatsache nicht vor Gott verstecken kann. Aber zugleich soll Kain bewußt werden, was er getan hat. Wie Adam sich vom Herrn entfernte (der zukünftigen ersten Tafel Moses), so verging sich Kain durch seinen Brudermord im mitmenschlichen Bereich (an der zukünftigen zweiten Tafel Moses – »Du sollst nicht töten«). Hier erfolgt eine grundsätzliche Bestandsaufnahme durch die richtenden Augen Gottes. »Was hast du getan, Kain?« Wer sich jetzt nicht durch Gottes richtendes und rettendes Wort schonungslos in Frage stellen läßt, der wird ohne sein rettendes Zeichen, sein Kreuz, ungeschützt ins Gericht kommen. Wir können uns zwar oft vor unseren Nachbarn verstecken und verstellen. Wir können uns auch selbst von unseren Taten und unseren guten Motiven überzeugen, aber der Herr sieht und weiß alles. Er wird es im Gericht ans Licht bringen, wenn wir es nicht jetzt in Demut, Buße und Dankbarkeit für seine Kreuzeskraft der Vergebung vor ihn bringen.

»Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?« Kain lügt Gott direkt an, als ob die Aussage, die Infragestellung des Herrn ihn überhaupt nichts anginge. Er bleibt in seinen Abwegen ganz und gar konsequent, bis hin zur Strafe. Hat er nicht Gottes warnende Stimme mißachtet, bevor er Abel tötete? Dazu ist er auch noch frech in seiner Antwort: »Soll ich meines Bruders Hüter sein?« Was für ihn bedeutet: Nein, das ist nicht mein Auftrag, ich bin für mich selbst da, für mich allein. Ist aber diese Antwort nicht sehr modern? Die Großfamilie wird durch unseren Egoismus zuerst in Frage gestellt, dann die Familie selbst, dann die Ehe.

Unser Egoismus –  ich hin nur für mich da – stellt im Grunde alles in Frage, was uns selbst letzten Endes helfen kann: Menschen, die uns nahestehen und uns lieben, und einen schützenden Gott. Kains so moderne Auffassung ist der Weg zu der selbstmörderischen, selbstzerstörerischen Welle unserer Zeit, zu unserer vereinsamten, egoistischen Welt. Wer im Grunde nur für sich selbst handelt, handelt letzten Endes gegen sich selbst. Absoluter Egoismus bedeutet im Endeffekt Selbstzerstörung. Niemand ist eine Insel, niemand lebt allein. Nur in der Liebe, welche Jesus Christus selbst ist, können wir diesen Grundegoismus, die Erbsünde überwinden. Jesus antwortet im Neuen Testament sehr direkt in Beziehung zu dieser Frage Kains mit dem Beispiel vom barmherzigen Samariter. Jeder in Not ist unser Nächster. Um ihn sollen und müssen wir uns sorgen. Aber unsere Hilfe soll Leib, Geist und Seele umfassen, nicht nur seine äußerliche Not. Besuche im Krankenhaus zum Beispiel sind sehr wichtig, wenn unser Nächster in Not ist, aber mit ihm dann zu beten ist noch wichtiger, denn jeder in Not braucht Gott, seine Zuwendung, seine Nähe.

»Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.« Das Leben gehört Gott, nicht uns. Wenn wir einen anderen töten, richtet sich dieses Verbrechen damit nicht nur an unseren Nächsten und an uns selbst, unser besudeltes Selbst, sondern auch an Gott, den Urheber des Lebens, und später den Urheber des Gesetzes. Kain befindet sich damit in der gleichen Lage wie später solche Glaubenshelden wie David und Saulus/Paulus. Kain aber ist alles andere als ein großer Glaubensheld. David hat Uria, Batsebas Mann, umgebracht und unbewußt sein eigenes Todesurteil ausgesprochen. Saulus/Paulus eiferte gegen die Gemeinde Jesu im Namen des Gottes Israels. Doch dann vor Damaskus wird es ihm offenbart, daß Jesus der wahre Gott Israels ist und daß er am Tod des Stephanus mitbeteiligt war. Alle drei haben den Tod verdient.
Aber alle werden auf ganz unterschiedliche Art und Weise geschützt: Davids Strafe wird auf seinen unehelichen Sohn übertragen und dann weitergeführt durch den Ungehorsam, die Aufstände und das todbringende Tun seiner Söhne. Saulus/Paulus, der viel für den Herrn leiden muß, überlebt jedoch durch ein Wunder seine Steinigung. Er starb dann als Märtyrer des Herrn. Aber Kain hat keine Buße getan wie David, noch wird er ein großer Gottesdiener wie Paulus, und trotzdem schützt der Herr ihn durch dieses Kainszeichen. Kains Bluttat zeigt, wie tief die Menschen durch Erbsünde gefallen sind. Die Sünde von Adam und Eva, Entfernung von Gott, führt zur Entfernung der Menschen untereinander, zum Bruderhaß, zu Kains Mord an seinem Bruder. Jede Gottesferne führt zu einem gestörten Verhältnis zu unseren Mitmenschen, denn Nächstenliebe kommt aus Gottesliebe, und Gott selbst ist die Liebe. Deswegen das kalte und egoistische Klima unserer Zeit, daß Menschen wochenlang tot in ihrer Wohnung liegen können, ohne daß jemand davon weiß. Wer nur für sich selbst da ist, sieht nicht die Not seines Nächsten, sondern nur seine eigene Not.

Warum steht da: »Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde«?

Der Tod spricht auch. Seine Sprache scheint absolut, endgültig zu sein. Wer bei einem Toten gewesen ist, weiß, wie unheimlich das alles ist, denn der Tod strahlt eine Art von Macht, von lebendiger Macht aus. Ohne Christi Kreuzestod ist der Tod letzten Endes allmächtig, denn er gewinnt volle Macht über unsere ganze Person, über unser ganzes Leben. Das Leben ist im Blut, und das Leben gehört Gott. Deswegen schreit dieses Blut zum Himmel.

Aber trotz Kains Tun und trotz seiner frechen Antwort an Gott bleibt der Herr auch ihm nicht nur als Richtender nahe. Kain fleht zum Herrn, wie ungeschützt er ohne Gott sein wird, daß seine Strafe für ihn zu schwer zu tragen sei. Der Herr zeigt sich darauf auch als schützend, als gnädig, ohne Kains Verdienst. Wie der Herr Adam und Eva mit einem Fell bekleidet hat, um sie zu schützen, so schützt er Kain durch dieses Kainszeichen. Wer absolut schutzlos ist, wer absolut in Not steht, auch wegen seiner Schuld, dessen Flehen hört der Herr immer noch. Das darf jeder in Not wissen, auch ein Verbrecher, ein Mörder.

Warum so ein Zeichen? Es gibt in der Bibel mehrere solche Zeichen, wie die Beschneidung, das Kreuz oder wie das Malzeichen des Antichristen. Kains Zeichen bedeutet: Hier sieht man den Brudermörder, der unstet ist auf Erden, dessen Felder nicht genug Ertrag bringen (Vergeltung für sein falsch verstandenes Opfer).

Aber dieses Zeichen bedeutet auch Schutz, Geschütztsein durch den Herrn selbst, den Schöpfergott, der ihn siebenfältig rächen wird, wenn jemand etwas gegen ihn unternimmt.
Hat nicht Jesus Christus in seiner Bergpredigt uns alle als Brudermörder offenbart? Denn wer hat niemals seinen Bruder gehaßt? Wer ihn aber gehaßt hat, der hat ihn im Geist umgebracht. Sind es nicht auch zwei Mörder, welche neben Jesus gekreuzigt wurden, einer zur Rechten und einer zur Linken? Das Blut ihrer Opfer schreit auch zum Himmel wie damals Abels Blut. Aber der eine Mörder lästert Gott, und der andere tut Buße, erkennt die Schuld bei sich selbst, erkennt Jesus als seinen Herrn und den Herrn über das Himmelreich, wohin seine Bluttat schreit. Zu diesem bekennt sich Jesus: »Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.« Kains Lage ist unsere Lage, denn nach der Bergpredigt sind wir alle Brudermörder in Gottes Augen. Das wahre und endgültige Zeichen von Gottes Schutz gegen die Todesstrafe, sein Kreuz, wird uns Kains zugute kommen, wenn wir unseren Wanderweg hier auf Erden unter seinem Kreuz gehen. Wenn nicht, bleiben wir unstet und flüchtig auf Erden ohne tiefen Ertrag im Sinne des Sämanns, in bezug auf Jesus Christus. Unsere endgültige Ortsbestimmung wird dann außerhalb des Paradieses sein. »So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.«

Lamech, Set und Enosch

Und Ada gebar Jabal; von dem sind hergekommen, die in Zelten wohnen und Vieh halten. Und sein Bruder hieß Jubal; von dem sind hergekommen alle Zither- und Flötenspieler. Zilla aber gebar auch, nämlich den Tubal Kain; von dem sind hergekommen alle Erz- und Eisenschmiede. Und die Schwester des Tubal Kain war Naama. Und Lamech sprach zu seinen Frauen: Ada und Zilla, höret meine Rede, ihr Weiber Lamechs, merkt auf, was ich sage: Einen Mann erschlug ich für meine Wunde und einen Jüngling für meine Beule. Kain soll siebenmal gerächt werden, aber Lamech siebenundsiebzigmal. Adam erkannte abermals sein Weib, und sie gebar einen Sohn, den nannte sie Set; denn Gott hat mir, sprach sie, einen andern Sohn gegeben für Abel, den Kain erschlagen hat. Und Set zeugte auch einen Sohn und nannte ihn Enosch. Zu der Zeit ,fing man an, den Namen des Herrn anzurufen’.  –  1. Mose 4, 20 – 26

Wer sind die Eisenschmiede in der Bibel? Wer verlangt, daß Israel keine Eisenwaffen herstellt, weil sie das Monopol behalten wollen? Wer hat dieses Geheimnis? Das sind die Philister. Was bedeutet das Wort »Palästina«?
Land der Philister,
nicht wahr? An welches Volk denken wir, wenn wir an Zeltbewohner denken? An die Araber. Das ist sehr interessant.
Diese beiden Völker stammen von Lamech ab. »Und Ada gebar Jabal; von dem sind hergenommen, die in Zelten wohnen und Vieh halten. Zilla aber gebar auch, nämlich Tubal Kain von dem sind hergekommen alle Erz- und Eisenschmiede.«

Das ist eine Vorvordeutung. Natürlich wird es eine völlige Zerstörung in der Zeit Noahs geben, durch die alle sterben werden. Aber man kann es auch als Vorvordeutung sehen, um die Philister und die Araber anzudeuten. Auch das Problem Isaak und Ismael ist ähnlich gelagert. Es ist das Problem Israels und der arabischen Welt. Die Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob sind die Verheißungen des Segens Gottes, aber für alle Völker, also auch für gläubige Araber.
Die Araber sind ein großes Volk, und Israel muß damit fertigwerden. Was würde mit dem kleinen Volk Israel, dem Wandervolk Gottes passieren, wenn ein palästinensischer Staat, ein Staat aus den Eisenschmieden und den Zeltbewohnem, dort im kernbiblischen Land entstünde? Denn im Kernland ist auch Hebron, die zweitwichtigste Stadt in der Bibel.

»Lamech sagte zu seinen Frauen: Höret meine Rede, ihr Weiber Lamechs, merkt auf, was ich sage: Einen Mann erschlug ich für meine Wunde und einen Jüngling für meine Beule.« Das sagt er zu Frauen, die nicht gewalttätig sind. Das bedeutet: Wir leben von Gewalt, und ich bin als der Rächende da. Hier müssen wir ein gesamtbiblisches Thema ansprechen, und das ist das Thema »Auge für Auge, Zahn um Zahn; Blutrache – Feindesliebe«. Dieses Thema erreicht hier einen ersten Höhepunkt. Die primitivste Art von Gerechtigkeit, die die Welt kennt, ist die Blutrache. Jemand bringt meinen Sohn um, dafür bringe ich seinen Sohn um und vielleicht noch einen zweiten Sohn und eine Tochter, um sofort Rache zu üben. Diese Sache wurde aber im Alten Testament geregelt. Es gab genaue Vorschriften: »Auge für Auge, Zahn um Zahn.« Das Prinzip stand aber nicht jedem frei zur Verfügung, sondern es wurde vorher gerichtlich geregelt, damit es nicht in eine Fehde zwischen den Familien ausartete, die letztendlich alle auslöschen würde, wie es in manchen Teilen der Welt auch heute noch möglich ist.

Vor Jesu Zeit war diese geregelte Vorstellung von Rache aber schon durch eine Art Sühnezahlung abgelöst worden. Das Prinzip »Auge für Auge, Zahn um Zahn« wurde beibehalten, aber für eine bestimmte Art der Vergeltung wurde eine bestimmte Geldsumme gerichtlich festgesetzt. Die Rede Jesu richtete sich gegen die Praxis »Auge für Auge, Zahn um Zahn«. Jesus sagte, wir sollten die andere Wange hinhalten, und wir sollten unsere Feinde lieben. Ich denke, inwiefern wir das einhalten können, ist eine andere Sache, oder können wir ein Rechtssystem auf so einem Prinzip aufbauen? Man kann das nicht. Wenn man ein Rechtssystem auf Feindesliebe aufbaut, kann man das nur so verstehen, daß die Vergeltungstheorie immer noch da ist. Denn jemand, der etwas Böses getan hat, fühlt sich nicht versöhnt, bis er es in irgendeiner Art ausgeglichen hat. Das bedeutet, daß der Vergeltungsgedanke in seinem Bewußtsein weiterlebt, ob das nun gesetzlich geregelt ist oder nicht.

Wer seine Feinde wirklich liebt, der gibt jemandem, der tatsächlich etwas Böses getan hat eine Gelegenheit, zurechtzukommen mit seiner eigenen Schuld. Ihm gleich zu vergeben, ohne bewußt zu machen, daß Schuld da ist, ist sicherlich kein Weg, denn sein Gewissen redet dann immer noch gegen ihn. Wenn ich etwas Böses getan habe, dann bin ich schuldig. Irgendwie muß das vergolten werden. Irgendwo müssen wir das aber in Einklang mit dem bringen, was Jesus von der Feindesliebe sagte. Das bedeutet aber auch, daß wir Menschen, die schuldig sind, die Gelegenheit geben, daß sie ihre Sühne durch Strafe finden. Strafe nicht im Sinne von Rache, sondern Strafe im Sinne von Feindesliebe.

Die einzige Möglichkeit, die wahre Feindesliebe zu zeigen, besteht darin, dem Schuldigen Gelegenheit zu geben, um seines Gewissens willen bestraft zu werden. (Das haben mir Kriminalpsychologen mehrfach bestätigt.) Damit er sozusagen weggehen und sagen kann: »Ich habe für das, was ich getan habe, bezahlt.«

Es gibt heute eine sehr interessante Art, wie Richter in Amerika bei bestimmten Verbrechern vorgehen. Es gab zum Beispiel einen Rassenfanatiker, jemand, der sehr gegen die Farbigen war. Er betrieb alle möglichen Dinge mit dem Ku Klux Klan. Als Strafe mußte er ein Jahr lang in einer schwarzen Kirche arbeiten. Mit der Zeit fing er an, in seinem Feindeshaß zu merken, daß auch die Farbigen keine Feinde, sondern Menschen wie er selbst sind. Das ist eine sehr gute Art der Bestrafung im Sinne der Feindesliebe, so konnte Verständnis für diese Menschen aufgebaut werden.

Doch nun zurück zu unserem Text. Interessant und faszinierend ist daran folgendes: zum einen, daß Lamech so zu seinen Frauen redet. Daß ein Mann seinen Feinden mit dem Tod droht, ist noch verständlich, obwohl er natürlich ein Bösewicht ist. Aber daß er sogar zu Frauen, die Abscheu gegen Gewalt haben, so redet und stolz damit angibt, ist ungewöhnlich. Aber sehen wir, wie diese Rede weitergeht, dann ist sie gesamtbiblisch sehr aufschlußreich: »Kain soll siebenmal gerächt werden, aber Lamech siebenundsiebzigmal.«

Das hat mit der heiligen Zahl sieben zu tun, die die Zahl der Schöpfung ist. Wer hat für Kain gebürgt, daß er siebenmal gerächt würde? Gott in 1. Mose 4, 15. Aber wer bürgt für Lamech? Er selbst. An welche Stelle setzt er sich damit? An Gottes Stelle; doch nicht nur das, er überbietet Gott sogar. Gott würde siebenmal rächen, er aber würde siebenundsiebzigmal rächen, also öfter als Gott. Satan ist der Nachahmer Gottes. Er nimmt die Zahlen der Schöpfungszahl, als ob er der Herr der Schöpfung sei, aber er ist nicht der Herr der Schöpfung. Über welchen Bereich möchte er eigentlich herrschen? Siebenundsiebzigmal soll nicht das Leben gerächt werden, sondern der Tod. Er, der kein Leben geschaffen hat, er, der nicht die Welt, diese Zahl sieben geschaffen hat, sondern der nur zerstören will. Mit meinen Konfirmanden sprach ich über Ersatzglauben, und einer sagte: »Ja, zum Beispiel Satan anbeten.« Die Satansanbetung ist anscheinend unter Jugendlichen bekannt. Aber was ist der Unterschied zwischen der Satansanbetung und der Anbetung Jesu Christi’? Es ist offensichtlich, daß Satan zerstören will, doch Christus möchte das nicht , seine Zielsetzung ist Liebe und Gerechtigkeit, Liebe und Bewahrung. Dieser Lamech redet im Sinne der Schöpfungszahl, stellt sich an Gottes Stelle und spricht nur über Massenzerstörung. Da sehen wir das Satanische; satanisch, weil er sich an Gottes Stelle setzt, aber nur, um zu zerstören und Gott nachzuahmen.

Später nimmt Jesus direkten Bezug auf diesen Text: siebenmal siebzig – erst kommt die sieben, das heißt, Gott schützt (Kain); dann steigert Lamech mit siebenundsiebzigmal, aber Jesus gebietet siebenmal siebzig (= 490 – das ist etwas mehr als sieben oder siebenundsiebzig) zu vergeben.

Jesu Gnade, Jesu Rettungskraft übersteigt die schlimmste verbrecherische und zerstörerische Kraft Satans. Jesus ist nicht da, um zu zerstören, aber er ist sicherlich trotzdem auch ein richtender Gott.

Jesu Antwort auf Blutrache ist sein eigenes Blut am Kreuz, das er anstelle von allem, was mit Haß, Gewalt und Rache zu tun hat, opfert. Er starb als Unschuldiger für uns Schuldige. Jesus könnte sagen: Mein Tod bedeutet die Versöhnung der ganzen Welt, die Antwort auf die Rache und den Haß Lamechs für alle Zeiten. So sehen wir hier, und das ist sehr interessant, gerade in dem Negativen, wie es bei Lamech vorkommt, eine Christusantwort. Je mehr wir uns mit dem Negativen beschäftigen, desto mehr verstehen wir, wie unendlich groß Jesu positive Aussage ist, dessen Blut unendlich große Versöhnungsaussage und  kraft hat, wo Lamech nur Zerstörung anbieten kann. Es ist trotz allem offensichtlich, daß die Lamechs die Welt nicht in der Hand haben, denn sonst würde die Welt schon lange nicht mehr existieren.

Camus schreibt in seinem berühmten Buch »Die Pest«:
»Das Böse wird immer wieder neue Wege finden.« In seinem Roman kommt die Pest in Nordafrika in den vierziger Jahren auf. Niemand weiß, woher sie kommt, aber nachher werden die Historiker es erklären können. Danach sind alle immer sehr schnell mit Erklärungen bei der Hand: »Oh, wir wissen jetzt genau, warum das passiert ist.« Aber das ist alles Unsinn, denn wenn wir es wirklich wissen sollten, dürfte es das neue Böse nicht immer wieder geben.
In einer ganz neuen metaphysischen Art bricht nun das Böse auf, wie zum Beispiel Aids. Plötzlich bricht eine Seuche aus, oder ein Diktator wie Hitler oder Stalin oder der fanatische Islam erheben sich. Wir versuchen, es in den Griff zu bekommen, aber es gelingt uns nicht. Trotzdem gewinnt das Böse nicht. Das Böse, Satan, kann die Welt nicht endgültig unterwerfen, denn das Gute, Gott, ist sein Gegenspieler, der danach trachtet, aus Unordnung Ordnung zu machen und aus Rache Versöhnung und Liebe werden zu lassen. Denn wenn das metaphysische, satanisch Böse permanent vorhanden ist, aber die Welt dennoch nicht davon zerstört wird, so muß dem ein allmächtiger Gott gegenüberstehen. Das wird auch in dieser Anspielung sehr deutlich: Kain, Lamech und Jesus als Antwort, die Überbietung im positiven Sinn von all dem, was diese an Negativem anbieten.

Hier haben wir die erste Möglichkeit des unbegrenzten Bösen. Hitler war nicht neu, Massenmörder hat es immer gegeben, das geht bis in die Urgeschichte von Lamech zurück. Was bedeutet Massenmord? Was ist der Unterschied zu dem Sündenfall oder dem Brudermord?

Hier geschieht eine Steigerung im Vergleich zu Adam und Kain. Massenmörder ist einer, der meint, daß das Leben letzten Endes gering ist. Doch wenn das Leben von anderen gering ist, sollte man konsequenterweise auch einsehen, daß das eigene Leben genauso gering ist. Aber hier vollzieht sich die Verherrlichung der eigenen Person auf Kosten der anderen Menschen. Das ist die entgegengesetzte Aussage zu Christus. Denn Christus benötigt keine Supermenschen, Übermenschen im Sinne Nietzsches (der hier in diesem Sinne ein Vorläufer Hitlers war). Jesus geht zu einfachen Menschen, er solidarisiert sich mit armen und einfachen Menschen, um zu zeigen, daß in seinen Augen jeder Mensch den gleichen Wert oder Nicht-Wert hat: Wert, weil Jesus der Schöpfer und Erlöser ist, Nicht-Wert, indem der Mensch verfallen und verloren in sich selbst ist. Aber die Einstellung, daß mein Leben 77 andere wert ist, ist eine antichristliche Auffassung der Wirklichkeit: Mein Leben ist wichtiger als alle anderen Leben. Doch Jesus antwortet, indem er sein eigenes Leben für alle Menschen opfert.

Hitler, mit Stalin der größte Massenmörder, hat das deutsche Volk ausgenutzt, doch er hatte nur Verachtung für das deutsche Volk. Er hat die Deutschen für dumm erklärt. Er wußte genau, daß er mit diesem Volk machen konnte, was er wollte. Doch am Ende meinte er, daß das Volk nicht gut genug für ihn war. Er mißbrauchte das deutsche Volk für sein Ziel, den Massenmord gegen Gottes erwähltes Volk: eine Selbstverherrlichung sondergleichen. Es bedeutet, sich an Gottes Stelle zu setzen. Seine ganze Sprache ist darauf angelegt: Ein Volk, ein Land, ein Führer. Im 5. Buch Mose, im Deuteronomium, steht dagegen: Ein Gott, ein Volk, ein Land.
Hitler setzte sich an Gottes Stelle. Sein Prinzip war Zerstörung. Er verherrlichte sich, indem er andere zerstörte. Gibt es das Prinzip, das antichristliche Prinzip, aber nicht in jedem von uns? Liegt es nicht in jedem von uns! Wir vergleichen uns mit anderen: »Ich bin klüger, ich bin hübscher, ich habe mehr Humor, ich habe mehr soziales Engagement«. Wir vergleichen uns ständig mit anderen und stellen uns über die anderen, geben uns einen höheren Wert. Das ist das antichristliche Prinzip, die Selbstverherrlichung der eigenen Person auf Kosten des anderen. Christlich denken bedeutet aber genau das Gegenteil: »Herr, ich bin nicht besser, ich bin eher viel schlechter … «

Das sagte einer, der viel klüger war: Paulus: Ich bin noch viel schlechter. Ich muß sagen, daß das mich selbst sehr persönlich angeht, denn ich war sehr arrogant. Als Student hatte ich ziemlich große Verachtung für die meisten meiner Professoren; ich hielt mich für klüger, auf dem Gebiet der Lyrik begabter usw. Aber ich habe gelernt , der Herr hat mich erniedrigt, er hat mich gelehrt, daß wer sich erhöht, erniedrigt werden wird. Das Prinzip der eigenen Erhöhung ist das Prinzip des Antichristen. Was ist die Zielsetzung des Antichristen? Sich selbst zu erhöhen, angebetet zu werden, so daß ein Lamech zu seiner Frau sagen kann: »77 müssen für mich sterben!« Das bedeutet hier unendlich viele. Doch das Grundprinzip des christlichen Glaubens ist: »Herr, ich bin nicht besser, ich bin ein verlorener Mensch. Ich kann mich nicht über andere erheben denn ich bin noch viel niedriger.«

Deswegen ist Maria für Luther die allerhöchste Person; weil sie nichts aus sich selbst gemacht hat , sie wußte, daß sie nur eine einfache Magd, nichts Besonderes war. Das ist christliches Denken. Nicht mich mit anderen zu vergleichen und mich zu überheben macht mich zu etwas Wichtigem, sondern die Erkenntnis: »Herr, ich bin nichts. Alles, was ich habe und bin, kommt von dir.« Es geht weder um Intelligenz noch um Sozialverhalten noch um irgend etwas anderes, jeder hat seinen eigenen, besonderen Bereich. Christliche Antwort ist nicht die Erhöhung, sondern die Erniedrigung.

Jeder ist für Jesus gleich, keiner ist besser, keiner ist schlechter. Sein Angebot gilt für alle Menschen, auch für Araber, auch für die Feinde Israels, wenn sie Jesus annehmen. Es gibt solche, die das tun im wahrsten Sinn und Jesus zugleich auch als König der Juden annehmen. Sein Angebot gilt für alle Völker, auch für seine Feinde   Feindesliebe. Nicht Erhöhung, sondern Erniedrigung ist wichtig. Zur Vollendung gebracht, kommt dieser Gedanke in Jesu Kreuz, denn seine Erhöhung ist zugleich seine Erniedrigung. Bei den antichristlichen Gestalten ist die Abfolge umgekehrt: Sie erhöhen sich selbst, werden dann aber mit Gewalt zugrunde gerichtet, erniedrigt.
»Adam erkannte abermals sein Weib, und sie gebar einen Sohn, den nannte sie Set; denn Gott hat mir, sprach sie, einen andern Sohn gegeben für Abel … « Ja, das Leben geht weiter in der Linie des Segens. Denn dies ist die Linie des Segens, nicht die Linie Kains, welches die Linie der Verfluchung ist. Was wäre, wenn nur die Linie der Verfluchung weitergehen würde! Das zeigt Gottes Gnade hier.

Ich komme oft zu einer Familie, aus der eine ältere Person gestorben ist. Man sagt zu mir: »Ja, es ist gut, daß sie/er noch erlebt hat, daß ein Kind geboren wurde.« Es passiert ständig, daß dort, wo der Tod kommt, fast gleichzeitig auch wieder Leben entsteht, ein Zeichen der Kontinuität (der Herr ist der Herr der Geschichte) und ein Zeichen des Trostes. In unserer Gemeinde starb ein Mädchen mit sechs Jahren. Dieses Mädchen hatte an seinem 6. Geburtstag noch gesagt, daß es in die Kinderkirche gehen wolle, um ihren Geburtstag mit Jesus zu feiern. Eine ungeheure Aussage für eine Sechsjährige; und das aus einer Familie, die nicht besonders christlich ist, zwar nicht gegen den Glauben, aber eben nicht besonders christlich geprägt. Also ging sie zur Kinderkirche. Am nächsten Tag ist sie überfahren worden. Wie kann man diese Eltern trösten? Ich habe es mit Matthäus 9,24 versucht. Darin sagt Jesus zu Jairus: »Das Mädchen ist nicht tot, sondern es schläft.« Der Mutter gab dies Trost. Sie schläft nur in Gottes Augen, und sie wird zu seinem Reich auferweckt. Sie starb jedenfalls im Glauben. Man kann es wohl nicht hundertprozentig beweisen, aber vielleicht würde dieses Mädchen andere Wege gehen, wenn es länger gelebt hätte. Jesus hat es lieb und hat es darum in sein Reich aufgenommen. Das ist mir sehr klar. Doch nicht immer birgt dies einen Trost in sich. Diese Familie dachte, daß sie keine Kinder mehr bekommen könnte. Sie waren glücklich, daß sie e i n Kind hatten  aber jetzt gibt es noch zwei Kinder in dieser Familie. Ich war sehr froh über die Taufe dieser Kinder. Andere traten an ihre Stelle. Gott hat die Not und die Last dieser Familie gesehen.

Aber jetzt zu Genesis 5: Stammbäume haben in der Bibel eine wichtige Funktion. Warum? Gott möchte als der Herr der Kontinuität, als der Herr der Geschichte gezeigt werden. Mir ist das sehr wichtig, weil die Bibel historisch denkt. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen nicht mehr historisch denken. Was zählt, ist das Heute, die Menschen haben keine Geduld mehr. Sie denken nicht an die Vergangenheit, nur jetzt und die Zukunft zählt.

Diese Art von Denken erinnert mich sehr an das Versagen Israels, zum Beispiel bei der Wüstenwanderung. Gott hat ständig Wunder getan, aber die Wunder wurden vergessen, sobald eine neue Not auftauchte. Aber durch die Bibel werden ständig Zeichen der historischen Kontinuität Gottes gegeben. Warum ist das für unseren Glauben wichtig? Weil wir nicht nur in einer Kette von Gläubigen oder in einer Wolke von Zeugen, (wie das im Neuen Testament steht), leben, sondern auch in einer Kette von eigener Glaubenserfahrung in unserem eigenen Leben stehen. Hier geht es um den Stammbaum von Noah, der sich bis zum Stammbaum Jesu durchzieht.

Gott ist ein Gott der Geschichte. Es würde sehr merkwürdig sein, nicht wahr, einen Gott zu haben, der zu uns steht, aber dann in einer Notsituation plötzlich nicht mehr für uns da wäre. Wie unlogisch und ungöttlich wäre so ein Gott. Das ist absolut unmöglich. Der Gott, mit dem wir es zu tun haben, ist der lebendige Gott Israels. Er hat die Welt erschaffen, er ist der Steuermann der Geschichte. Wenn wir ihn in unserem Sinne in einer bestimmten Zeit nicht spüren, ist das kein Beweis, daß er nicht doch da ist. Es ist nur ein Beweis dafür, daß eine Problematik in unser Leben hereinkam, daß er uns auf eine Probe stellt, oder auf etwas Wichtiges vorbereiten will.

Wir selbst wollen immer wieder der Steuermann sein. Das ist ein Grund, warum Sekten in unserer Zeit solch einen Zulauf haben. Sie bieten die besonderen Erfahrungen, die besonderen Wunder, die besonderen Erlebnisse, eben jetzt und hier. Das ist aber eine absolut falsche Aussage über den lebendigen Gott. Sicher ist er jetzt hier, sicher wird er handeln – aber wann und wie er will.

Ein Stammbaum ist eine Art, das auszudrücken, die historische Kontinuität. Diese Kontinuität geht durch ganze Geschlechter und durch unser eigenes Glaubensleben. Damit will Gott uns bestärken, Vertrauen zu haben. Es gibt kaum ein Beispiel in der Bibel (außer natürlich Jesus selbst) von jemandem, der so viel Vertrauen in den Herrn setzte wie Noah. Sein ganzes Leben ist ein Leben aus Vertrauen. Er tut, was lächerlich ist (eine Arche in einem wüstenähnlichen Gebiet zu bauen). Er gehorchte jedoch dem Herrn, denn er wußte, daß der Herr da ist.
Es war oft so, daß Menschen, obwohl sie wichtige Erlebnisse mit dem Herrn hatten, in die letzte Tiefe des Unrechts gegangen sind (wie David, Hiob oder Paulus). Doch danach hielten sie um so beständiger die Treue zu Gott. Das ist ein schlechtes Zeugnis für den durchschnittlichen Menschen, daß man die Erfahrung machen muß, aus dem tiefsten Schlamm gerettet zu werden, um in der letzten Tiefe die Treue zu halten. Leider ist das öfters der Fall. Es müßte aber nicht so sein.

Andererseits gibt es diese Möglichkeit, und das hat auch mit Stammbaum, Kontinuität, mit Kette der Erfahrung zu tun, daß der Mensch, der als Christ erzogen wird und in einer frommen Familie lebt, von Jugend an lernt, von Kindheit an, für Christus zu leben, und dann an irgend einem Tag merkt diese Person, das ist keine Form mehr, sondern das ist Inhalt.
Vielleicht passiert nichts in einem bestimmten Moment, vielleicht ist das eine Sache über Jahre hinweg, wo diese Person immer deutlicher merkt: wenn ich nicht in die Kirche gehe, dann ist irgend etwas nicht da, das mir wichtig ist. Wenn ich nicht in die Bibelstunde gehe, habe ich einen Verlust. Wenn ich nicht zu einer bestimmten Zeit bete, dann fehlt mir etwas. Das ist die andere Art von Kontinuität.
Auch der Stammbaum ist eine der verschiedenen Arten der Bibel, das Historische zu bezeugen. Das ist sehr, sehr wichtig. Wir stehen nicht allein, wir stehen zwischen vielen Gläubigen, wir stehen auch nicht allein in diesem Moment, sondern wir haben eine Erfahrung mit Gott. Viele von uns haben auch einen Stammbaum von Gläubigen, die für uns gebetet und uns so erzogen haben. Das hat alles mit diesem Thema Stammbaum zu tun. Man fragt, warum kommen so viele Stammbäume in der Geschichte der Bibel vor. Um uns die Kontinuität zu zeigen – das ist der Herr, der Herr der Geschichte und der Geschichte mit mir. Er will unser Vertrauen.
Hier in Kapitel 5 wird eine Segenslinie verfolgt. Aus dieser Linie kommen unter anderem folgende Menschen: Henoch, Methusalem (Metuschelach), ein anderer Lamech und dann Noah. Schauen wir diese vier Gestalten genauer an:

Henoch

»Henoch wandelte mit Gott« – nicht hinter Gott, sondern als Gerechter mit Gott. Es gibt nur zwei in der ganzen Bibel, die mit Gott wandeln. Wer sind sie? Henoch und der von ihm abstammende Noah. Diese beiden wandelten mit Gott. Weil er mit Gott wandelte, wurde das Todesurteil nicht über ihn ausgesprochen. Er wandelte mit Gott –  wie soll man das in Einklang mit der Erbsünde bringen? Das ist ein sehr schwieriges Thema. Die Strafe für Erbsünde ist der Tod. Henoch aber wandelte mit Gott und mußte nicht sterben. Ich glaube, man sollte das wie bei Noah verstehen. »Er war gerecht zu seiner Zeit«, steht bei Noah. Er wandelte auch mit Gott. Das bedeutet, daß er nach dem Gerechtigkeitsmaßstab seiner Zeit, soweit es möglich war, gerecht war. Das bedeutet jedoch nicht, daß er vollkommen war. Henoch wurde entrückt. Entrückung bedeutet aber nicht unbedingt, daß Erbsünde nicht vorhanden ist, denn auch wir werden am Ende der Tage entrückt. Diese Zeit ist sehr nahe.

In 1. Thessalonicher 4 steht, daß die Gemeinde Jesu am Ende der Tage leiblich entrückt wird, ohne zu sterben. Wer von uns würde behaupten, daß wir ohne Erbsünde sind? So gilt dieses »Wandeln mit Gott« ebenso wie »Noah war gerecht zu seiner Zeit«, nach dem Maßstab der jeweiligen Zeit. Der Maßstab der Zeit Henochs war: Gehorsam gegenüber Gott. Henoch starb nicht. Er war der erste, der als Zeichen für Gottes Macht über den Tod entrückt wurde. Das bedeutet, daß der Tod nicht stattfinden muß. Wer wurde sonst noch entrückt? Elia. Warum wurde Elia entrückt? Warum gerade Elia? Warum nicht Mose oder irgend jemand anderes? Warum gerade Elia’? Elia stirbt nicht, weil er als Johannes der Täufer auf die Erde wiederkommen wird, um mit Vollmacht zu predigen. Wer war der größte Prophet mit dem Wort Gottes? Das war Elia. Deswegen wurde er entrückt. Das lebendige Wort Gottes in ihm, das keine Grenzen kennt – auch der Tod ist keine Grenze – ist in Christus Fleisch geworden. Warum werden wir entrückt werden? Henoch wurde wegen seiner Gerechtigkeit entrückt, Elia wegen seiner Vollmacht im Wort und seinem zukünftigen Auftrag.

Warum wird dann die Gemeinde entrückt werden? Es ist die Erlösung um Jesu willen. Jesus erlöst uns durch sein Blut, damit haben wir Gerechtigkeit und die Vollmacht von ihm durch seine Gerechtigkeit. Wir werden entrückt, bevor Israel gerettet und bekehrt wird. Wir sind gerecht gemacht durch Christi Blut. Henoch und Noah sind Gerechte; ebenso Elia, weil er mit Vollmacht den Weg des Herrn verkündigte.

Methusalem

Er lebte am längsten. Nach Luther durfte er so lange leben, weil er zum gesegneten Teil gehörte. Segen hat meist mit langem Leben zu tun – die Patriarchen lebten sehr lange, weil man, wie Luther sagte, der Schöpferkraft Gottes nahe war. Manche Leute fragen heute: Warum haben wir nicht die Kräfte der Urgemeinde, ständig Wunder zu tun, Hände aufzulegen? Eine Antwort ist: Die Urgemeinde stand der neuen Schöpfung ganz nah. Deswegen hatten sie Mächte und Kräfte in sich, die wir nicht mehr in dieser Art und Weise kennen. Haben wir Leute unter uns, die wie Methusalem 969 Jahre leben? Bis jetzt nicht. Wer über 90 wird, gilt bei uns als sehr alt. Aber 969! Doch nahe der alten Schöpfung, der Schöpfungskraft, war langes Leben für den Gesegneten möglich. Wir sind der neuen Schöpfung nicht mehr so nah , wir haben alle mögliche Schuld auf uns geladen, vor allem in bezug auf die Zersplitterung in den Gemeinden, die Verflachung des Glaubens in der Kirche, den Haß gegen Israel. Wir haben alle mögliche Schuld, die uns längst von dieser Art, daß man ständig Kranke heilen kann, entfernt hat. Wer das verlangt, versteht nicht die Tiefe unserer Schuld und der Kreuzesnachfolge.
In der gesegneten Linie gibt es auch einen Lamech: Unter den Verfluchten wie unter den Gesegneten? Ich will damit sagen, daß man dadurch auch die Stärke von Gottes Segen sehen kann. In einer Art von Ausgleich gegenüber dem Verfluchten trägt auch in der gesegneten Gemeinde einer diesen Namen (d.h. auch das Wesen). Wie Jesus 70 mal 7 nicht nur als einen Ausgleich, sondern ein Überbieten des Negativen meinte, so ist auch dies eine Art zu sagen, daß es auch für etwas Negatives, etwas Zerstörerisches eine positive Möglichkeit gibt.
Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, sieht man, es müßte nicht so sein, daß ich bin wie ich bin. Ich hätte genausogut ganz andere Wege gehen können. Es gibt Momente in meinem Leben, in denen ganz andere Einflüsse hätten überhand nehmen können. Gott sei Dank, daß ich den christlichen Weg gegangen bin. Aber es mußte nicht unbedingt so sein.

Noah

Lamech mit dem so bedeutungsvollen Namen ist der Vater von Noah. Durch Noah wurde eine ganze Welt gerettet. Nicht nur acht Menschen, sondern eine ganze Welt. So antwortet Gott auf Fluch. Er antwortet mit einer ungeheuer großen, segnenden Kraft. Denn was ist der zentrale Fluch in der Bibel? Ein am Holz Aufgehängter ist verflucht bei Gott –  Jesu eigenes Kreuz. Jesus antwortet auf diesen Fluch, in diesem Fluch, mit der unendlich großen Kraft des Segens. Alles das hängt  zusammen. Aus der Segenslinie kommt Noah, der mit Gott wandelt, der gehorsam ist und durch Gottes Kraft, durch die Kraft des Glaubens eine ganze Weit rettet. Wie wichtig doch eine Person sein kann.

Laßt uns darüber im klaren sein, wie wichtig wir für Gott sind. Eine Person wie Noah, Abraham oder Elia steht oft für so viel. Die Makkabäer, eine kleine Familie ganz auf dem Land. Wer würde denken, daß diese Familie Israel errettet? Oder auch die eine zentrale Person, Jesus natürlich, der zugleich Gott ist. Wie wichtig sind ein paar Leute, die wirklich an Gottes Wort glauben und gehorchen. Sie können Menschen, alle möglichen Menschen retten. Jesus übernimmt dieses Bild sehr deutlich in seinem Sämannsgleichnis. Frucht, die 30, 60, 100fach trägt. So kann errettet werden. Durch Noah ist eine ganze Welt gerettet worden. Nehmen Sie nie Ihren Glauben als unwichtig für die Welt. Er ist nicht nur wichtig für Sie; er kann ungeheuer wichtig für die ganze Welt, unsere Welt, sein.

Das ist auch der Sinn dieser ganzen Linie hier. Die Zielsetzung dieser Linie ist der Gerechte, Noah, der aber nicht entrückt wird, sondern durch den Tod zu einem neuen Leben geht. Er wird später sterben. Gerade dieses Bild ist das Bild in bezug zur Taufe und in bezug zum Kreuz. Wir sind in Jesu Kreuz getauft.

Jesus wurde nicht entrückt, denn Jesus ist in den Tod und durch den Tod gegangen. Welcher Text übernimmt das im Neuen Testament? Das Noah Beispiel als in den Tod und durch den Tod gehen, als Vordeutung für die Taufe? (l. Petr 3,18 22). So ist Noah noch wichtiger als Henoch, wichtiger als ein langes Leben (Methusalem).
Wie viele Leute glauben, daß ein langes Leben ein ungeheuer großes Glück ist. Nun, da sollten Sie hören, was alte Menschen zu mir sagen: »Ach, Herr Pfarrer, meine Kräfte lassen nach. Wie lange muß ich das noch aushalten? Ich möchte nicht mehr zu lange leben.« Einmal hat sogar eine sehr fromme Frau zu mir gesagt: »Beten Sie, daß ich sterbe.« Ich habe ihr geantwortet: Das betet kein Pfarrer, das bete ich auch nicht. Ich bete, daß Sie jeden Tag um Ihr tägliches Brot bitten, und daß Sie selbst zu Gott beten: »Herr, zu deiner Stunde will ich bereit sein zu sterben, aber bis dahin bin ich bereit zu leben.«

Methusalem ist ein Ausdruck (langes Leben) dieser Segenslinie, Henoch (Entrückung) ein anderer, aber der endgültige Ausdruck in dieser ganzen Linie ist Noah. Dieses Bild von Noah ist das Bild, das zu Christus führt. Nicht Henoch, nicht die Entrückung, kein langes Leben, ewig langes Leben, sondern durch den Tod zu neuem und ewigem Leben in dem Herrn.

Doch nun noch zurück zum letzten Satz im 4. Kapitel, der mir sehr zentral scheint: »Zu der Zeit fing man an, den Namen des Herrn anzurufen.« Wir wissen nicht, welcher Name angerufen wurde. Ich weiß nicht, wie dieser Name zu verstehen ist. Name bedeutet Wesen – der Name, das Wesen des Herrn. Hier geht es nicht um die Frage, wie dieser Name angerufen wurde. Das wird nicht gesagt. Warum rufen sie Gott an? Vorher tat Gott alles. Gott redete, Gott fing das Gespräch an. Hier riefen sie Gott an, sie flehten Gott an. Warum? Weil dies die Linie des Segens ist; der Gott des Alten Testaments ist der Herr der Schöpfung, der Geschichte, und der Helfer und Retter.
Sein endgültiger Name, Jesus Christus, ist der Segen selbst, das Angebot des Segens für die ganze Welt, die Zielsetzung der Schöpfung und von Gottes geschichtlichem Weg, dem Heilsweg.

Gottessöhne und Menschentöchter: Die Grenzüberschreitung

Als aber die Menschen sich zu mehren begannen auf Erden und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten. Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertundzwanzig Jahre. Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.  –  1. Mose 6, 1 – 4

Der Satz direkt davor lautet: »Noah war 500 Jahre alt und zeugte Sem, Ham und Japhet.« Das bedeutet, daß unser Text der letzte Text vor der Sintflut ist. Hier wird über Noah auf der Erde mit seinen drei Söhnen, seiner Frau und seinen Schwiegertöchtern berichtet. Dann kommt der Bericht über »Gottessöhne und Menschentöchter«, darauf folgt die Ankündigung der Sintflut. Das bedeutet, daß diese Zeit die Zeit der Geburtswehen einer neuen Welt ist.

Ein Thema, das durch die ganze Bibel läuft, die Geburtswehen einer neuen Welt und Wirklichkeit. Das Heil ist im Kommen, die Menschen sind da, die Gott zum Heil, zu einer neuen Welt führen will, damit sie ihm nach seinem Gericht opfern können. Gleichzeitig ist aber eine Stufe von Erbsünde erreicht, die alles überbietet, was Gott ertragen kann und wird. Deswegen ist das Gericht beschlossene Sache. Eines steht fest: Ein zentrales Thema durch die ganze Bibel ist: Gericht und Errettung. Auf der einen Seite ist das Gericht beschlossen, die Sintflut kommt, aber auf der anderen Seite ist auch Rettung da.

Als ich mit meinen Konfirmanden über das zweite Gebot nach Mose sprach, fragte ich: »Vor welchem Bild von Gott hat man am meisten Angst?« Jeder hatte am meisten Angst vor Gott, dem Richter. Aber wenn Gott nicht der Richter ist, was kann er dann auch nicht sein? Ein Konfirmand meinte darauf: »Er kann dann auch nicht der Retter sein.« Das ist richtig. Wenn Gott nicht der Richter ist, kann er auch nicht der Retter sein. Denn Gott steht in seiner Gerechtigkeit über uns Menschen und unserer Gerechtigkeit. Wenn wir den Richter ablehnen, lehnen wir zugleich den Retter ab, denn beides gehört zu Gottes Gerechtigkeit. Die Waage der Gerechtigkeit, die in Gerichtssälen überall zu sehen ist, geht auf die dritte Vision von Amos zurück, die Waage der Gerechtigkeit. Gott ist der Richter, der aber nicht nur richtet, sondern auch rettet. Von was? Er richtet Sünde, Teufel und Tod, auch in uns. Das bedeutet, daß sein Richteramt auch ein rettendes Amt ist; beide hängen miteinander zusammen.

Auch vor der Wiederkunft Jesu wird es die Geburtsschmerzen, Geburtswehen einer neuen Welt geben. Es wird nicht der Himmel auf Erden sein, daß die Menschen Frieden, mehr Freiheit und Gerechtigkeit bekommen, aber dann wird Jesus als der Vollender kommen.  Der jetzige Friede ist ein Trugfriede, wie der Friede von Cäsar Augustus, Frieden mit dem Schwert und mit falschem Gesetzverständnis wie das römische; es ist ein trügerischer Friede, ein Friede der Unterdrückung, ein Friede, der in einem Land nicht einzieht. Dieses Land heute heißt Israel.
Der römische Frieden ist dort nicht eingekehrt. Geburtsschmerzen kommen nicht, weil man nah zu Gottes Reich gekommen ist wie die liberale Theologie und der Positivismus, sondern weil wir in die letzte Tiefe gestürzt sind. Das sagt dieser Text letzten Endes aus. Ein Paralleltext zum Babelsturm, der vor der Berufung Abrahams kommt. Diese Texte haben beide mit dem gleichen Problem zu tun. Interessant hieran ist, daß der Verfall nicht von unten sondern von oben kommt. Es sind nicht die Menschentöchter, die zuerst die gefallenen Engel gelockt haben, sondern die gefallenen Engel gehen zu den Menschentöchtern. Diese verweigern den Zutritt allerdings auch nicht.

Was wir hier haben, ist eine Fortsetzung unseres Verständnisses von Satan. Diese Göttersöhne, diese Engelsgestalten sind gefallene Engel, denn sie fallen hier auf der Erde in Sünde. Es ist eine Fortsetzung des ersten Falls durch Satan. Er fällt vom Himmel weg, denn er will sich an Gottes Stelle setzen. Das wirkt weiter, indem Satan himmlische, gefallene kosmische Kräfte und Mächte in seinen Bann zieht – dann versucht er Adam und Eva. Adam und Eva fangen nicht an, die suchen nicht nach Satan, sondern Satan sucht sie. Er bringt sie zu Fall. Hier sehen wir einen dritten Schritt in diesem Thema, das ist, daß die gefallenen Engel Frauen auf der Erde suchen und eine Vermischung vollziehen, die gegen Gottes Willen und gegen Gottes Gebot ist. Es ist ein unheimliches Thema, aber leider sehr wahr, daß wir es mit unheimlichen Kräften des Bösen zu tun haben, die eine Macht über uns ausüben.

In bezug auf das zweite Gebot fragte ich meine Konfirmanden weiter, wovor sie mehr Angst hätten: vor einem sichtbaren Satan mit Schwanz, Hörnern und Pferdefuß oder vor nichts, etwas, das man nicht sehen, nicht riechen, nicht spüren kann. Die Reaktion war eindeutig. Das nichts macht uns viel mehr angst. Wenn der Satan mit Hörnern, Schwanz und Pferdefuß käme, so könnten wir ihn überwältigen und töten. Wir hätten ihn im Griff, nicht wahr? Das ist der erste Schritt zur Verharmlosung von Satan, ihn zum Teufel, zum sichtbaren Teufel zu machen. Der nächste Schritt ist dann zu sagen, dies sei ein lächerliches Bild, es gäbe keinen Satan. Doch dann hat er eine ungeheure Macht über uns, wenn wir abstreiten, daß er existiert. Auch die Konfirmanden haben sofort gewußt, daß das, was man nicht sehen, nicht riechen und nicht spüren kann, viel unheimlicher ist.

Es muß äußerst unheimlich für Petrus gewesen sein, als Jesus zu ihm sagte »du Satan«, nachdem Petrus Jesu Leiden verneint hatte. Wir haben es mit einem ungeheuer mächtigen Gegner zu tun, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Dieser Gegner, und das ist das Interessante hier, steckt in uns, kommt zu uns und ist um uns.
Das ist es, was dieser Text deutlich zeigt. Satan ist ein kosmischer Engel. Er hat Macht, die metaphysische Macht des Bösen. Er ist eine Person mit einer unheimlichen Ausstrahlung des Bösen. Seine Zielsetzung ist Vernichtung und Zerstörung. Wohl kommt er mit Mächten und Kräften von oben, aber er findet eine Entsprechung in uns.

Glaubt ihr, daß, als David Batseba baden sieht, Batseba unschuldig ist an diesem Prozeß? Nein, das glaube ich nicht. Sie weiß sicher genau, daß der König da ist und daß sie hübsch ist und daß der König sie sehen wird … sie ist also nicht unschuldig. Glaubt ihr, daß die Menschentöchter hier unschuldig sind? Ich denke nicht, denn sie könnten sich wehren, sie könnten nein sagen. Sie sagen aber nicht nein. Sie lassen sich mit Mächten und Kräften ein, die uns nicht gehören (bestimmt nicht nur im Geschlechtsbereich). Dies ist typisch für das Alte Testament (nicht nur geistlich, sondern auch fleischlich): Leib, Geist und Seele sind eine unzertrennliche Einheit in der Bibel. Da ist auch der Hintergrund, warum ein Jude unrein wird, wenn er Schweinefleisch oder Fleisch von Tieren, das nicht koscher ist, zu sich nimmt. Es ist für ihn unmöglich, nicht weil sein Bauch besudelt sein würde, sondern weil sein Geist und seine Seele besudelt wären. Leib, Geist und Seele – er bekäme keine Bauchschmerzen davon, aber sein ganzes Wesen wäre besudelt. Hier geht es bis ins Fleisch hinein, geschlechtlich bis ins Fleisch hinein, das bedeutet, hier vollzieht sich eine Besudelung des ganzen Wesens. Der Verfall kommt von oben, aber dieser Verfall kommt auch zugleich von unten. Denn was von oben kommt, könnte keine Macht über uns haben, wenn wir nicht einwilligten. Jesus betitelte Petrus mit »Satan« oder auch sein eigenes Volk mit »Kinder des Teufels und nicht Abrahams«. Dies ist genau die gleiche Aussage. Sie bedeutet, daß die Macht Satans in uns selbst ist. Man denke nur an die Zeit von Hitler oder Stalin, und man sieht, was für ungeheure satanische Mächte und Kräfte es gibt! Wer Satan verneint, gibt ihm eine noch viel größere Macht. Wenn wir die Existenz Satans verneinen, erlauben wir ihm einen absoluten Freiraum.

Camus sagt am Anfang von »Die Pest«: Das Böse wird kommen, niemand weiß, wann oder wo, aber es nimmt immer eine andere Form an (die Verwandelbarkeit von Satan ist eine biblische Aussage); und nachher werden die Historiker kommen und klug sagen: Jetzt verstehen wir, warum es so war, und wir können alles erklären. Aber das hilft niemand, denn nächstes Mal wird Satan ganz anders kommen, und wir werden genauso unvorbereitet sein. Das ist die Verwandelbarkeit Satans.

Wie ist es hier in Deutschland? Die Entwicklung geht von extremer Überstrenge bis zum moralischen, ethischen Verfall, genau zum Entgegengesetzten, obwohl man auch bei Hitler in einer gewissen Weise vom moralischen und ethischen Verfall sprechen kann. Ein berühmter Oxford Historiker sagte einmal: »Der Mensch geht immer von einem Übel in das andere Übel.« Diese Feststellung ist richtig, denn das ist satanisch, ist die Verwandelbarkeit Satans.

Was steckt hinter dieser ganzen Sache? Ein Thema, das gesamtbiblisch ist und schon mit der Schöpfung anfängt: Abgrenzung in der Schöpfung zwischen Menschsein und dem, was über dem Menschen ist, was Gott gehört. Eine Bescheidenheit in bezug auf Gott, zu seiner Macht und Kraft, und auch in bezug auf Satan und seiner Macht und Kraft ist nötig. Hier wird für die Menschen eine deutliche Grenze gesetzt. Der Baum des Lebens und der Erkenntnis ist tabu. Das bedeutet, daß das Leben Gott gehört, er gibt das Leben, und er herrscht über Leben und ewiges Leben.

Was ist dann Erkenntnis? Wir besitzen Wahrheit und Leben nicht selbst. Diese Kräfte sind von Gott gegeben und werden auch von ihm genommen. Darunter fallen für mich auch Abtreibung und alle möglichen anderen Themen. Leben und Tod sind Dinge, die ihm gehören und nicht uns. Diese Grenze zum Paradies ist eine deutliche Grenze, die dann in der Grenze zwischen Himmel und Erde übernommen wurde. Sie ist eine Raumgrenze sowie eine Geistgrenze. Denn der Himmel ist da, wo Gott ist. Gott ist eigentlich überall. Aber das, wo Gott und seine Himmelsherrschaft ist, ist unerreichbar für uns. Deswegen stellen wir uns das in einer absolut entfernten Art und Weise vor. Ein sowjetischer Astronaut sagte einmal, wohl sei er im Weltraum gewesen, aber Gott wäre er nicht begegnet. Doch so finden wir den Himmel nicht. Himmel ist, was entfernt ist von uns, was für uns nicht erreichbar ist.

In unserem Text geschieht eine Überschreitung dieser Grenze, aber sie vollzieht sich vom Himmel auf die Erde. Die gefallenen Engel, wie Satan, kommen auf die Erde und besudeln sie. Aber der Mensch nimmt diese Besudelung an. Er hat sie nicht erstrebt, doch nimmt er sie an. Deswegen ist die Grenze überschritten worden.

Wir haben in unserem Haus eine Lithographie von Israels größtem Maler, Mordechai Ardon, der eigentlich vom Chassidismus und der Kabbala beeinflußt ist. Diese Lithographie hat mit der Leiter Jakobs zu tun. Es ist genau das gleiche Thema. Die Engel kommen herunter und gehen wieder hinauf. Das bedeutet, daß sie die Grenze zwischen dem, was himmlisch ist im Raum wie im Geist, und dem, was uns gehört, überwinden. Denn Gott antwortet auf die Besudelung, die von den gefallenen Engeln und Satan durch die Überschreitung dieser Grenze zwischen der Engelwelt, Gottes Welt, und unserer Welt stattfand, indem er selbst, der Allmächtige, der über alle Engel herrscht, zu uns kommt. Zuerst vorgedeutet durch die Engel, dann erfüllt zu Weihnachten, als Jesus Christus hier auf die Erde kam. Gott antwortet auf diese Besudelung, auf dieses Verlorensein, indem er selbst aus dem kosmischen Bereich, aus seinem Herrschaftsort herunterkommt und uns Frieden, Leben und Wahrheit schenkt. Denn Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben selbst und damit eine Antwort auf dieses Problem der zwei Bäume, der Grenze zwischen uns.

Von Memling, einem spätmittelalterlichen Maler gibt es ein Bild, das von der Geburt Jesu handelt. Es sind zwei offene Fenster und zwei Bäume zu sehen. Mir ist sehr klar, was diese zwei Bäume bedeuten: Leben und Erkenntnis. Dieser Bereich ist zu uns gekommen, weil wir nicht in diesen Bereich kommen können, weil die gefallenen Engel aus diesem Bereich zu uns gekommen sind und uns endgültig – so dachten sie – besudelt haben. Das ist es, was hier vorgeht. Die Überschreitung des Bereichs, der den Menschen gehört, durch verfallene Kräfte, die uns überwinden, weil wir selbst verfallen sind. Das ist der letzte Schritt, bevor Gott dann diese Welt vernichtet. Denn mit der Sintflut vernichtete er diese Welt. Helden oder Heiden, wie man es ausdrücken will, werden vernichtet. Hier geschieht eine Besudelung, die im höchsten Grad unerträglich ist, weil die Grenzen jetzt fließend zwischen kosmischer Welt und menschlicher Weit sind. Heute haben wir Esoterik und Okkultismus, die eigentlich genau das gleiche beinhalten. Am Ende der Tage, wenn die Grenze zwischen den Mächten und Bereichen des Kosmos und dem menschlichen Bereich nicht mehr klar gezogen ist.
Doch zurück zu unserem Text: Als Folge der Übertretung wurde das Lebensalter plötzlich auf 120 Jahre begrenzt. Wie lange haben die anderen gelebt? Methusalem fast 1000 Jahre (969 Jahre, niemand sonst hat so lange gelebt), Noah war gerade 500 Jahre alt. Luther sagte, je weiter man von der Schöpfung entfernt sei und damit von der Kraft der Schöpfung, von der Lebenskraft, desto kürzer würde das Leben. Wenn wirkliche Vermengung zwischen den kosmischen und den menschlichen Wesen stattfände, würde logischerweise die Lebenserwartung viel höher sein. Die Engel sind zuerst unsterbliche Wesen. Logischerweise müßten die Menschen dann Tausende von Jahren leben, aber genau das Gegenteil ist passiert.

Auch hier unterliegen Menschen wieder einer Täuschung. Die Frauen in ihrem Kontakt mit diesen himmlischen Wesen glaubten vielleicht, sie bekämen etwas äußerst Besonderes, Helden, oder was man will – aber sie starben nach 120 Jahren. Im Vergleich mit 900 bedeutet es, daß die Lebenserwartung nur noch etwa 15 Prozent der ursprünglichen betrug. Hat nicht Satan genau die gleiche Täuschung vollbracht? Ihr werdet so wie Gott sein. Ihr werdet Macht über die Erkenntnis, über das Leben haben. Aber was bekommen die Menschen? Nicht längeres Leben, die Ewigkeit im Paradies, sondern das Todesurteil.

Es ist eine gewaltige Selbsttäuschung, denn wenn wir uns mit Mächten und Kräften, die uns nicht gehören, vermengen, kann die Auswirkung nur negativ und nie positiv sein. Das fängt mit Satan an, mit seiner Selbsttäuschung. Diese Frauen haben bestimmt gedacht, daß sie einen großen Fang gemacht haben, nicht wahr, sie haben Kontakt mit Engelwesen gehabt. Aber es war der Weg zur Verdorbenheit, der Weg zur Sintflut, der Weg zur Zerstörung. Das zeigt sich zuerst in der eingeschränkten Lebenserwartung, dann in der Sintflut selbst. Die gefallenen Engel kamen vom Himmel, und Gott zerstörte ihre fortgepflanzte Welt vom Himmel aus mit Regen. Gerade im Anschluß an diesen Text kommt die Sintflut. Vom Himmel kommen die gefallenen Engel mit ihrer totalen negativen Auswirkung. Hier auf Erden geschieht einfach eine Überflutung des Bösen, die Vermengung von Dingen, die einander nicht gehören. Das wäre ungefähr auf der gleichen Stufe, wie wenn Menschen Geschlechtsverkehr mit Tieren haben. Sie gehören zwei total verschiedenen Bereichen an.

Wie antwortet Gott auf diese ungeheure Verfehlung? Indem er gerade von dem gleichen Ort, vom Himmel aus, Regen schickt: 40 Tage und Nächte, um alles zu zerstören, was vom Himmel gekommen ist. – Aber später schickt er Engel mit der Leiter zu Jakob, zu dem Verheißungsträger, der Israel heißen wird; zu Weihnachten schickte er dann Jesus Christus. Wenn dieser wiederkommt, wird er sein Tausendjähriges Friedensreich hier auf Erden aufrichten. Die gefallenen Engel haben nicht das letzte Wort, denn Christus herrscht über alle Engelgestalten (das steht übrigens an mehreren Stellen im Neuen Testament).

Interessant ist hier die Rolle der Riesen. Die Juden sind traditionell klein. Ich selbst komme bei diesem Thema in Verlegenheit. Bei einem Vortrag in Hessen über David und Goliat ging ich, um meine Hände zu waschen. Da kam mir ein Riese entgegen (ca. 2,06 m). Ich sagte: »Grüß Gott, Goliat«. Darauf meinte er jedoch, er würde lieber David heißen.

Aber »Riesen« sind auch ein gesamtbiblisches Thema. Was für eine Rolle spielen diese Riesen in der Bibel? Sind sie positiv oder negativ? Als die Israelis zum verheißenen Land kamen, wollten sie es nicht einnehmen, weil sie fürchteten, gegen die Riesen im Land nicht bestehen zu können. Die Enakiter waren echte Riesen, wenn auch für einen Juden fast jeder ein Riese ist. Als ich in die Schule ging, war ich der Kleinste in der Klasse. Doch meine Mutter sagte mir, ein Jude kämpfe nie mit der Faust, sondern nur mit der Feder (deswegen schreibe ich so viele Bücher). Also mußte ich vor den Großen davonlaufen. Ich durfte ja nicht kämpfen (ich bin dann sehr schnell geworden).

Dieses Thema »Riesen« entwickelt sich jedoch weiter. Es gab einen Riesen, mit dem es wirklich um einen entscheidenden Kampf ging. Der Kampf Goliat (2,55 m, und stark wie ein Baum) gegen David (der kleine David, nach dem ich genannt bin). Der Ausgang des Kampfes würde die Herrschaft des einen über das andere Volk festlegen. Später gab es noch einen Kampf zwischen einem gefallenen Engel und einem, der die Wahrheit und das Leben ist, Jesus Christus. Auch da ging es um Herrschaft. Satan ist ein Riese in seiner Ausstrahlung und seiner Wirkung. Er stellt Jesus auf die Zinne des Tempels und sagt: »Diese ganze Welt gehört mir.« (Sie gehörte ihm zu dieser Zeit auch.) Aber Jesus widerstand diesem Riesen, wie David auch gegen Goliat gewonnen hat.

Diese physische Kraft der Helden spielte auch in Israel einmal eine zentrale Rolle: Simson. Doch da wird die Macht im göttlichen Sinne benutzt, bis diese erste Friseuse in der Bibel kam, Delila, die ihm die Haare kurz geschnitten hat. Solange er das Geheimnis seiner Kraft nicht verriet, ging alles gut; doch dann stürzte er.

Auch die Standartenführer Hitlers waren alle sehr groß und stark – anscheinend geborene Helden. Das Thema Heldentum ist auch eine endzeitliche Erscheinung. Es bedeutet äußerliche Macht und Kraft.

Der Bezug dieses Textes auf unsere heutige Zeit ist, daß wir ganz bewußt wissen sollten, uns sind Grenzen gesetzt.
Der Anfang der Weisheit ist Gottesfurcht! Der Anfang der Weisheit ist die Erkenntnis dessen, was wir sind und der Grenzen, die uns gegeben sind. Jedesmal, wenn wir diese Grenze überschreiten, folgt das Gericht. Der englische Dichter Wordsworth (er lebte Ende des 18. Jahrhunderts zu Beginn der Industrialisierung) verfaßte ein Gedicht, in dem er beschreibt, wie das ganze Land durch die Industrialisierung besudelt wird. Niemand hat das damals geglaubt. Aber es ist wahr geworden. Wir sind die Herren der Welt. Wir wollen alles in unsere eigenen Hände nehmen. Die gleiche Problematik sehen wir auch in der Französischen Revolution. Die Menschen glaubten an die menschliche Vernunft. Doch wie endete die Französische Revolution? In einem Blutbad.
Das gleiche geschieht im Kommunismus: Gott ist tot, wir bauen einen Himmel hier auf Erden. Alles wird diesseitig, nicht jenseitig. Aber dieser Himmel auf Erden ist inzwischen absolut bankrott. Das ist ein Thema, das wir ständig vor Augen haben, nicht nur in der allgemeinen Geschichte, sondem auch in der persönlichen. Die Bibel sagt uns ständig, daß, wer sich selbst erhöht, emiedrigt wird. Die Helden, die Großen (hier geht es jetzt nicht um physische Größe, sondern wer sich für etwas Besonderes hält), wer sich über andere erhebt, wird erniedrigt. Aber wer sich vor dem Herrn erniedrigt, der wird erhöht. Dies bedeutet ein Ruf zur Bescheidenheit, zu einer Kenntnis der Grenze zwischen uns und Gott.

Der moderne Mensch sagt: »Ich werde urteilen, ob es Gott gibt.« Aber sollte sein Urteilsvermögen in der Lage sein, zu beurteilen, ob es Gott gibt?
Wenn der Mensch in der Lage wäre, das zu beurteilen, dann müßte er die Welt erschaffen können (wie Gott zu Hiob sagte), er müßte uns von Schuld erlösen, er müßte Liebe schaffen können, er müßte eine Antwort auf den Tod haben.
Wenn die menschliche Vernunft der Maßstab aller Dinge ist, dann sind wir alle hinfällig, denn die menschliche Vernunft gibt keine Antwort auf den Tod.
Ich habe bei einer Beerdigung noch nie erlebt, daß, wenn der Sarg niedergelassen wurde und der Gesang aufhörte, der Sarg dann plötzlich aufging, der Tote heraufkletterte und mir die Hand gab und sagte: »Herr Pfarrer, nicht schlecht die Predigt, nächstes Mal machen Sie es besser!« Nein, so etwas gibt es nicht unter uns. Der Tod hat Allmacht über uns, über unseren Verstand. Wir glauben, daß unser Verstand so klug ist.
Wie hat Claudius das ausgedrückt? »Wir eitlen Menschenkinder … «, ja, wir haben unsere klugen Gedanken.
Aber wohin bringt uns dieser Verstand, wenn wir über Gott urteilen? Wir können kein Leben schaffen, wir können die Grundlage des Lebens nicht schaffen, wir können keine Antwort auf Leiden und auf Tod geben. Wenn der Mensch und der menschliche Verstand der Maßstab aller Dinge ist, dann verherrlichen wir den Tod. Wer an die Vernunft glaubt, an die menschliche Vernunft, der verherrlicht den Tod. Denn der Tod verschlingt die ganze Vernunft und unser ganzes Leben dazu.

Dieser Text ist ein Ruf zur Bescheidenheit, zu einer Kenntnis, wer Gott und wer der Mensch ist. Dieses Problem ist auch sehr deutlich in unserer kirchlichen Entwicklung zu sehen. In der modernen Theologie wird Jesus immer mehr zum Menschen herunterstilisiert, und die Göttlichkeit Jesu wird immer geringer gemacht – gegen uns. Denn Jesu Göttlichkeit rettet uns, nicht seine Menschlichkeit, seine Göttlichkeit, daß er Gott ist, daß er Macht über den Tod hat, daß er uns aus dem Tod erretten kann.

Der am besten besuchte Gottesdienst ist der am Heiligen Abend. Warum? Der süße, liebliche Jesus, der in der Krippe lag, ist verharmlost. Ein verharmloster Gott, über den wir herrschen können (oder zumindest meinen wir das). Natürlich, im Mittelalter, zur Reformationszeit dagegen waren auf Bildern von Jesus als Kind, als Säugling öfters Zeichen seines Kreuzes dabei: Entweder ein Kreuz bei dem Stall oder Jesus, der mit dem Lamm spielt, oder man sieht Blut an einem Teil seines Körpers; fast immer sieht man das Gesicht eines Erwachsenen, manchmal sogar weinende Augen.

Gott ist zu uns gekommen, weil er der Allmächtige ist, und er ist zurück zur Rechten des Vaters gegangen. Er ist der, der zu uns kommt. Aber wenn wir ihn hier auf Erden halten, wie wir ihn haben wollen, den Himmlischen, dann vermengen wir die Grenze zwischen Menschheit und Gottheit, genauso wie die gefallenen Engel, indem sie Kontakt mit Menschentöchtem hatten. Eine Vermengung der Grenze des Menschseins, eine Überschreitung dieser Grenze, indem wir Gott vom Himmel in unserem eigenen Sinn herunterholen. »Wir werden entscheiden, ob er Gott ist. Wir werden entscheiden, ob die Bibel recht hat. Wir richten Gott, nicht Gott richtet uns.«

Auch der Babelsturm, der direkt vor dem Alten Bund, vor der Berufung Abrahams (l. Mose 11; 12) steht, zielt in die gleiche Richtung: der Versuch, in den Himmel zu gelangen, um Gott zu entmächtigen, indem sich der Mensch an Gottes Stelle setzt. Genau wie Adam und Eva.

Alle diese Texte gehen um die Kenntnis der Grenze des Menschseins. Es ist sehr bedeutungsvoll, daß die größten Naturwissenschaftler in unserem Jahrhundert zutiefst demütig, bescheiden und gläubig waren, ob Einstein, Heisenberg oder Planck. Die drei herausragenden Physiker unseres Jahrhunderts waren alle gläubige Menschen, sie waren alle zutiefst demütig. Eines Tages landete eine kleine Fliege auf den Papieren Einsteins. Der zerstreute Einstein sah die Fliege und sagte: »Kleine Fliege, wer hinter dir steckt, der ist soviel größer und soviel tiefer als alle meine Gedanken.« Heisenberg, der große evangelische Christ, der letzte wirklich große deutsche Wissenschaftler von Jahrhundertformat, ließ sich in München zu dem Text »Die Engel werden mich tragen« beerdigen. Die Engel werden mich tragen – eine Bejahung von Gottes Himmel und von den Engeln als Boten Gottes, nicht die gefallenen, sondern die guten Engel. Auch Planck war von gleicher Bescheidenheit geprägt.

Die Erkenntnis, es mit einem Universum, mit einem Geheimnis in der Schöpfung zu tun zu haben, die nur von einer göttlichen Ebene kommen kann, macht demütig. Deshalb sollten wir Christen auch nicht immer über Gottes Himmelreich spekulieren. Das ist gefährlich, denn die Spekulationen sind letzten Endes immer falsch. Warum? Weil wir sündige Menschen sind, Gott aber ist vollkommen und rein. Jeder Gedanke, die ein sündiger Mensch über Dinge hat, die ihm nicht gehören (wie das Himmelreich), besudelt diese Dinge.
Wir können Gottes Himmelreich nicht begreifen;
auch Gott können wir nicht begreifen,
denn Gott ist Gott, aber wir sind nur kleine und sündige Menschen. Jeder Versuch, sein Himmelreich wahrzunehmen, ist eine Besudelung dieses Himmelreiches, ein Herunterziehen dessen, was göttlich, was ohne Sünde ist, auf mein sündiges Niveau.

Dieser Text ruft nach einer Grund-Bescheidenheit. Die Furcht des Herrn ist der Anfang aller Weisheit, daß wir uns auf Gottes Bestimmung, unter Gottes Wege stellen.
So weit ging es in der Urgeschichte: Vom Sündenfall, der Gottesentfernung zum Brudermord (Kain und Abel), über Massenmord (Lamech) bis hin zur endgültigen Überschreitung der Grenzen: die Grenze des Bösen, die himmlischen Kräfte des Bösen, die zu uns kommen, weil wir selbst verfallen sind.

Aber es gibt noch eine andere Grenze. Zum Beispiel die des Spiritismus. Wir dürfen keine Verbindung zu dieser Welt aufnehmen, nicht versuchen, mit den Toten in Kontakt zu kommen. Der Tod ist hier die Grenze, denn Leben und Tod gehören Gott und nicht uns.
Der Gott des Lebens ist zugleich der Gott des Todes.
Jeder Versuch, diese Grenze zu überschreiten, führt zu einer absoluten Besudelung. Diese Grenzüberschreitung wird heute jedoch oft praktiziert. Okkultismus und Spiritismus sind leider im Vormarsch. Aufklärung tut not, aber zugleich ist es gefährlich, zu viel über Okkultismus, über Satan und seine Macht zu sprechen, denn Menschen lassen sich davon auch leicht faszinieren. Wir sind dazu da, Christus und seine Macht sowie seine Liebe und Barmherzigkeit zu verkündigen.

Wir sind schwach; deshalb dürfen wir diese Mächte und Kräfte nicht unterschätzen. Mein Vetter war zugleich ein enger Freund von mir. Er, ein junger Jurist, 29 Jahre alt, glaubte, stark zu sein, und nahm (ohne mein Wissen) zunächst Marihuana, dann LSD. Doch das Rauschgift war stärker. Die durch das LSD verursachten Depressionen führten zu seinem Selbstmord.

Dies sind Machtkämpfe, auf die wir uns nicht einlassen sollten, weil wir sie verlieren werden.
Nur mit unserem Helden, Jesus Christus, der alle Macht hat, können wir stark sein (wenn wir uns unter seine Kraft stellen). Jesus steht über den Himmelskräften, ob gute oder schlechte. Auch heute gibt es noch Engel, denn die »richtigen« Engel sind Gottes Boten. Wir werden sie sehen, wenn wir bis ans Ende ausharren und in sein Himmelreich kommen. »Sichtbar« werden diese Engel in manchen Zeitungsmeldungen: Ein Kind fällt aus dem dritten Stockwerk auf den Asphalt und ist nicht verletzt. Viele Ärzte, die nicht an Gott glauben, geben eine Erklärung, die jedoch nicht haltbar ist: Weil das Kind keine Angst hatte, verletzte es sich bei dem Fall nicht. Ich würde keinem empfehlen, sich aus dem dritten Stockwerk herunterfallen zu lassen in dem Vertrauen darauf, daß ihn ein Engel schon halten wird. Man kann so eine Sache nicht herausfordern.

Die New Age Bewegung verfolgt dieselben Ziele. Der Mensch versucht mit anderen »Welten« Kontakt aufzunehmen. Der sündige, verfallene Mensch versucht, sich einen sünd- und schuldlosen Freiraum zu schaffen.

Aber auch auf Baal, den Götzen der Lust und der Fruchtbarkeit, wird hier im Text Bezug genommen. Er ist ebenso ein Götze unserer Zeit, der Götze des Sex, der Pornographie, des Rauschgifts und Alkohols.

In unserem Text ist Noah die Antwort auf die schlimmen Zustände der damaligen Welt. Es war sicher keine leichte Welt, in der er lebte. Überall »Helden«, Riesen und gefallene Engel. Die endzeitliche Welt weist sicher gewisse Ähnlichkeiten auf. Doch Noahs Antwort ist schlicht und einfach: Er gehorchte dem Herrn. Noah wußte, daß seine damalige Welt nicht mehr zu retten war. So baute er eine Gemeinde, seine Arche – »ein Schiff das sich Gemeinde nennt« – um diese Welt nach Gottes Verheißung zu retten. Er gehorchte Gott. Gott war der Steuermann, er brachte diese Arche durch die ganze Zerstörung zu einer neuen Welt.

Ankündigung der Sintflut

Als aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe. Aber Noah fand Gnade vor dein Herrn.  –  1. Mose 6, 5 – 8

Es gibt folgenden Ausspruch von Julius Cäsar, dem großen Herrscher: Ich kam, sah, siegte! Ähnliches geht auch hier vor: Der Herr kam, sah die Lage und tat dann, was nötig war.

Der Herr sah, was auf Erden vor sich ging. Das Wort »Seher« bezeichnet in der Bibel im Alten Testament einen Propheten, der sieht, wie alles im Geist zu verstehen ist. Aber es gibt jemand, der noch tiefer sieht als die Seher, denn die Bibel sagt in bezug auf Samuel, der ein Seher war: »… der Herr aber sieht das Herz an.«
So haben wir eine dreifache biblische Schau: die natürliche Sicht, die geistliche Sicht der Seher, und die Sicht Gottes.
Nur die Sicht Gottes geht bis in unser Wesen, bis in die letzte Wirklichkeit hinein. Auch Samuel sah zunächst mit menschlichen Augen, als er zu Isai nach Bethlehem geschickt worden war, um einen Sohn Isais als den neuen, den wahren König zu salben. Er sah den ersten an, der stark war, und dachte, daß dieser der Richtige sein müßte. Er hatte mit menschlicher Perspektive gesehen, auch wenn er ein Seher war. Der Herr aber ist unbestechlich, er sieht, wie es wirklich ist.

Dies ist eine sehr wichtige seelsorgerliche Tatsache für uns. Wir können nichts vor dem Herrn verbergen. Viele Leute leben in einer Scheinwelt, sie verdecken vor den Nächsten, wie es wirklich mit ihnen steht. Keiner der Nachbarn soll etwas merken oder sehen. Dadurch, daß sie so bemüht sind, ihre Probleme vor den anderen zu verdecken, kommen sie auch selbst nicht dazu, diese anzugehen und zu bewältigen. Aber wir sollten wissen, daß der Herr alles ans Licht bringen wird. Es spielt nicht die geringste Rolle, was Menschen über uns sagen und denken.

Die Bibel sieht dies aber ganz anders. Es gibt nur eine Sicht der Dinge, die wichtig ist. Das ist nicht die Sicht der Nachbarn, es ist nicht die Sicht der Welt um uns, es ist auch nicht unsere Sicht, denn unsere Sicht ist selbsttäuschend. Es geht nur um den, der wirklich sieht.
Sehen bedeutet hier entblößen, Gott durchschaut, er sieht bis ins Herz, er bleibt nicht beim Äußeren. Das kann allein Gott. Dies steckt hinter diesem »der Herr sah«. . . . Dies können wir nur durch sein Wort: »Als aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden … «

Dies ist eine Bestandsaufnahme. Der Herr betrachtete die Menschheit als Ganzes, nicht nur einzelne, und er merkte, daß die Bosheit auf Erden, die Bosheit der Menschen groß war. Was ist da eigentlich passiert? Ein historischer Prozeß mit historischer Dynamik. Der Beginn mit
Adam und Eva – die Entfernung von Gott in den Bereich der Sünde. Doch diese Entwicklung steigerte sich.
Kain und Abel – Brudermord,
Lamech – Massenmord, ein Übergriff in den mitmenschlichen Bereich.
Die Grenze wird dann in der geschlechtlichen Vereinigung von gefallenen Engeln und Frauen der Erde völlig überschritten. Der Sündenfall zieht sich bis ins Persönliche, bis in den Leib hinein. Leib, Geist und Seele sind eine unzertrennliche Einheit in der Bibel.
Eine Entscheidung hat alles mögliche in Gang gesetzt. So kann es auch uns gehen, und zwar innerhalb sehr kurzer Zeit. Viele Eltern, deren Kinder rauschgift-süchtig wurden, sagen, daß ihre Kinder sich innerhalb kürzester Zeit völlig verändert haben. Alles, was bis dahin sichtbar für die Eltern war (auch Eltern können nicht in die Herzen ihrer Kinder sehen, was oft schwer fällt zu akzeptieren), ist plötzlich ganz anders. Es sind ganz andere Personen geworden. Das Böse, die Zerstörung geschieht so schnell, das ist etwas vom Traurigsten im Leben. Der Aufbau dagegen geht nur sehr langsam und schwer vor sich. Dies läßt sich auf alle Bereiche übertragen. Die Zerstörung von Städten durch Bomben geht sehr schnell; aber der Aufbau, bis wirklich alles wieder funktioniert, dauert Jahre. Auch die Zerstörung von Personen, fleischlich wie geistlich, kann ungeheuer schnell vor sich gehen. Aber der Aufbau dessen, was da zerstört wurde, kann ungeheuer lang und mühselig sein.

»… und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar.« Herz bedeutet in der Bibel unsere Wahrnehmung, unsere Gefühle und Gedanken. Das Dichten und Trachten des Herzens war nur böse.
Warum? Haben wir keine guten Gedanken? Haben wir keine guten Wege? Tun wir nicht auch oft etwas Gutes? Viele Leute meinen, die Verallgemeinerung Gottes sei unfair. Aber Sünde ist nicht nur ein Tun, sondern auch ein Zustand. Der Zustand führt zum Tun. Der Zustand ist Entfernung von Gott. Sein Motto ist: »Was bekomme ich, was habe ich davon?« Darauf ist unsere gesamte Wirtschaft aufgebaut: Du mußt dieses und jenes haben. Sie benutzen die Erbsünde als Methode. So ist es nicht nur in der kapitalistischen Wirtschaft, sondern im Prinzip auch in der sozialistischen Wirtschaft (kollektive Steigerung des Lebensstandards). Des Menschen Ziel ist der Gewinn für sich selbst. Wohl kann er das wunderbar überdecken, indem er immer den Eindruck erweckt, daß er für andere handelt, doch letzten Endes steckt sehr viel Egoismus hinter den guten Werken für andere. Wir ernten von den anderen schließlich Anerkennung für unser Tun. Dies führt so weit, daß wir von uns selbst dann auch ein viel besseres Bild bekommen.

Die Diagnose des Herrn ist sehr hart: »… daß ihre Herzen nur böse waren immerdar«, das heißt von Anfang an. Wann ist der Anfang? Vor dem Anfang (der Schöpfung) war Gott. Gott hat die Zeit angefangen. Doch die menschliche Geschichte beginnt mit dem Sündenfall. Im Paradies gibt es keine Geschichte, denn Geschichte benötigt einen Anfang und ein Ende. Die Tiere, nebenbei, haben keinen geschichtlichen Sinn. In Gottes Himmelreich gibt es demnach keine Geschichte, weil Zeit unbegrenzt zur Verfügung steht.

Erst der Mensch fing Geschichte mit dem Sündenfall an. Danach kommt die Aussage: »… da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden.«
Eine härtere Aussage gibt es nicht. Gott, der uns geschaffen hat, fragt sich, warum er uns nur geschaffen hat! Aber dies ist nicht einmalig. Es ist ein Thema, das durch die ganze Bibel läuft: Gott reut es, daß er Menschen geschaffen hat. Erst vor der Sintflut, dann in Sodom und Gomorra.

Später wird auch Israel mit diesen beiden Städten verglichen. Auch wegen den Bewohnern von Ninive reute Gott die Erschaffung des Menschen wieder. Ninive steht natürlich stellvertretend für eine ganze Zivilisation, für eine ganze Kultur. In Sodom und Gomorra zeigte es sich, daß Menschen, die eigentlich von sich aus anders sind, wie zum Beispiel Lots Frau, trotzdem von der Verdorbenheit angesteckt werden können.
Warum schaut sie zurück? Weil sie an dieser Stadt hängt. Daß Lot entrinnen kann, ist ein Wunder Gottes, denn Lot wählte den Reichtum, oder etwa nicht? Abraham ließ ihm die Wahl, und er wählte den reicheren Ort. Er hing am Reichtum, aber es war ein Wunder Gottes, daß er nicht selbst zurückschaute. Doch Lots Frau war durch ihr Leben in dieser Gesellschaft verdorben. In dieser Gefahr stehen auch wir heute. Wir leben in einer verdorbenen Welt, also können auch wir leicht verdorben werden.

Diese Woche kam ein Mann zu einem Gespräch zu mir. Er fing an von sich zu erzählen: daß er gläubig sei, daß sich aber trotzdem Sünden in sein Leben eingeschlichen hätten – es waren keine gravierenden Sünden – , daß er manchmal ein Bier zuviel trinkt. Aber er meinte selbst, daß er das früher nicht getan hätte und daß irgend etwas nicht in Ordnung sei.

Wie sieht der biblische Weg der Seelsorge für so eine Person aus? Der Mann ist nicht gänzlich verdorben, aber er ist in Not. Ausschließlich über sein Problem zu sprechen, würde ihm letzten Endes nicht weiterhelfen. Über solch ein Gespräch hinaus muß man versuchen, positive Sachverhalte zu finden, den Blick auf Jesus zu richten. Indem wir neu die uns von Christus geschenkten Gaben für ihn einsetzen, kann eine Lösung des eigentlichen Problems entstehen.

Viele Leute denken, daß die Sünde nur bekämpft werden müßte. Dies führt jedoch nur wieder auf einen falschen Weg. Meine Schwester, die keine Christin ist, aber – wie schon erwähnt  einen ungeheuren Willen hat, rauchte ca. 40 Zigaretten am Tag. Dann kämpfte sie dagegen und siegte. Doch heute wiegt sie dafür ziemlich viel. Die schlechte Angewohnheit hat sich also nur aufs Essen verlagert. Dies ist eine typisch menschliche Verhaltensweise. Einen Ausweg finden wir nur in Christus, in seinem Wort, in seiner Gemeinde und damit im praktischen Dienst. Der Weg, Sünde zu bekämpfen, ist, immer mehr unser Leben dem zu übergeben, der über die Sünde herrscht.

»… da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden … «

Das gilt nicht nur der Zivilisation der Heiden und nicht nur den Städten Ninive, Sodom und Gomorra. Sogar seinem eigenen, auserwählten Volk galt der gleiche Sachverhalt. Am Berg Sinai wollte Gott das Volk Israel auslöschen. Er war so zornig über dieses verdorbene Volk, dem er das Gesetz, die Wegweisung zum Leben, zur Wahrheit, seiner Wahrheit, gegeben hatte   und das nichts Besseres wußte, als um eine menschengemachte Weisheit, einen menschengemachten Götzen zu tanzen. Damals sprang ein Mensch in die Bresche, Mose.
»… da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen.« Gott besitzt ein Vaterherz, ein gutes Vaterherz. Doch über unser Herz sagt er, daß »… alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar«. Von seinem Standpunkt, von seiner Wahrnehmung aus ist alles verdorben. Er hat ein großes Herz für uns, für unsere ganze Person, aber unser Herz entspricht nicht seinem Herzen. Wir sind völlig verlorene Kinder. In unserem Herzen pocht ein anderer Rhythmus, ein anderes Wesen als in Gottes Herz. Unsere Sicht ist anders als die seine. Es ist kein Zufall, daß er zuerst über unser Herz (das abtrünnige Herz, das von ihm weggeht), dann über sein Herz spricht. Denn wir sollen zusammengehören, wir und Gott, sein Herz und unser Herz, denn er ist unser Vater, und wir sind seine Kinder, in seinem Bild erschaffen. Wir gehen den Weg des verlorenen Sohnes.

Als Gott die Menschen geschaffen hatte, war das alles sehr gut. Was aus dem Menschen geworden ist, kam aus der Dynamik der Überflutung von Satan, dem gefallenen Engel, der uns mit seiner eigenen Besudelung besudelt, denn er ist von Gott weggefallen und möchte an Gottes Stelle sein. Aber Gott ist souverän, er weiß alles im voraus. Es ist sehr schwierig für einen Menschen, das alles in einen Zusammenhang zu bringen. Gott kennt die ganze Geschichte. Denn er steht nicht in, sondern über der Geschichte. Bevor er die Welt erschaffen hat, war Jesu Kreuz für ihn schon erkennbar. Aber er durchlebt die Geschichte mit uns und leidet mit uns, weil wir ihm so wichtig sind. Jesus ist Gott, und er weiß, wie verloren die Menschen sind.

Aber dies dann am eigenen Leib zu erleben als Mensch, zu sehen, wie sie ihn im Stich lassen, ist eine andere Dimension. Hier ist ein Gott, der über allem steht, alles sieht und wahrnimmt und von vornherein weiß, daß Christi Kreuz notwendig sein wird (so steht es auch im Neuen Testament). Aber gleichzeitig ist er ein Gott, der so um uns ringt und um uns kämpft, der die ganze Zeit für uns da ist und den es sogar reut, uns erschaffen zu haben. Diese Doppeldimension können wir nicht zusammenbringen, weil wir Menschen und nicht Gott sind.
Es ist immer problematisch, wenn wir versuchen, uns in Gottes Lage hineinzuversetzen. Das können wir nicht, denn wir sind Menschen und nicht Gott. Da ist die Grenze dieses Verstehens. Gott weiß alles im voraus. Aber gleichzeitig ringt und kämpft er in jedem Moment um jeden von uns und um die ganze Welt. Als Menschen können wir uns darauf keinen Reim machen. Gott ist nicht nur ein ferner Gott, der den ganzen Heilsplan und seine Geschichte lenkt, sondern zugleich auch ein naher Gott, der absolute Liebe und Hingabe für uns erweist. Sichtbar für uns wird dies in Jesu Kreuz. Der ferne Gott, der Gott mit seiner Heilsschau und Heilswirkung und gleichzeitig der nahe Gott, der ganz für uns da ist und jeden Tag um uns kämpft und ringt.

Wenn Gott nur die Schöpfung selbst gereut hätte, dann hätte er Noah nicht geschickt. Trotz der Reue ist das Evangelium, der Weg zur Zukunft, vorhanden. Gott gibt die Welt trotz allem nicht auf. Gerade der letzte, einfache Satz wiegt doch sehr schwer. »Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn.« Es ist ein einseitiges, kein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Länge des Abschnitts über die Verdorbenheit der Menschen und diesem kurzen Satz über Noah. Trotzdem hat dieser Satz so viel Gewicht. Hier wird durch Noah die Welt errettet. Später kommt durch Christus das Angebot der Rettung für alle. Es reut Gott, daß die Menschen so sind, aber gleichzeitig möchte er diese Menschen retten.

Trotz der Verdorbenheit des Menschen erfolgt die Antwort des Heils. So ist es auch bei Mose. Er hat die Tafeln mit den Geboten zerschmettert, aber er bekommt sie ein zweites Mal. Dies sind nach unserer Sicht Zwiespalte, aber nicht bei Gott. Für ihn gehören Gericht und Gnade zusammen.

»… es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach … «

Das Wesen im Menschenherz bekümmert ihn in seinem Herzen. Es gibt keine Entsprechung zwischen dem Wesen des Menschen und wie Gott selbst ist. Nur als er den Menschen schuf, war dieser sehr gut. Erst sieht Gott hier die Lage, dann spricht er. Wenn Gott spricht, passiert etwas. Gottes Sprechen ist das Zentrum der ganzen Bibel, Gottes Wort. Durch das Wort hat er die Welt erschaffen. Er spricht durch sein Wort, durch Propheten   Gericht und Gnade. Sein Wort ist dann in Jesus Christus Fleisch geworden. Sein Wort ist aber auch Tun. Wenn Gott spricht, dann geschieht etwas. Da sind keine leeren Worte. Gott ist kein Politiker und auch kein Rhetoriker. Er spricht eine deutliche Sprache. Wenn Gott spricht, geschieht etwas. Es gibt keine Stelle in der Bibel, an der Gott spricht und nichts geschieht. Manchmal spricht er über ferne Dinge, die erst später geschehen werden. Nur das Wort kann retten. Das Wort, das uns zugleich auch tötet. Gottes Wort geht in unser Herz hinein, denn es ist nicht irgendein Wort. Es entblößt uns, zeigt uns, wie es wirklich mit uns steht. Aber gleichzeitig überdeckt er uns mit seiner Gnade, mit seinem Kreuzesblut. Dieses Wort ist der Weg der Rettung. Der Weg der Schöpfung ist der Weg des Gerichts. Aber Noah fand Gnade vor Gott. Die Welt wird gerettet werden. So ungeheuer kräftig ist Gottes Wort.

Haben Sie niemals erlebt, daß Gottes Wort Sie so direkt angesprochen hat, daß Sie das Gefühl hatten, ich kann nicht weg davon? Daß man gefesselt ist von Gottes Wort. Ich kam so zum Glauben. Der Pfarrer, der mich dann später getauft hat, predigte häufig so, daß ich dachte, er rede nur zu mir persönlich. Ein Pfarrer muß das Wort predigen, wie es in der Bibel steht. Die Auswirkungen davon haben wir jedoch nicht in der Hand. Wir verfügen nicht über dieses Wort, wir sind nur Menschen. Das Wort aber hat eine Kraft, die Felsen zerschmettern kann, das bedeutet, es kann den Tod überwinden und in Leben verwandeln, weil Christus das Leben ist. Wir leben im Tod, wenn wir ohne Jesus sind. Wir müssen aber selbst von dem Wort getroffen sein, wenn wir andere treffen wollen. Man kann die schönste Predigt ohne Glauben verfassen, aber es wird dadurch kein Glaube erweckt werden. Wenn wir immer nur Predigten über Politik und Menschenwort hörten, würden wir selbst in diesem Prozeß sterben. Auch mir ginge es in dieser Beziehung nicht anders; auch ich würde dürr werden, denn ich benötige Gottes Wort genau wie jeder andere. Ich brauche das Wort, jeder von uns braucht das Wort. Wir müssen getroffen sein, von Gott getroffen sein. Es ist Übermut, zu behaupten, wir könnten ohne Gottes Wort dahinleben, und es ginge alles gut.

»… und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.«

Ein Grund, warum unser Gott kommt, um zu richten, hat mit unserer Einstellung gegenüber den Tieren zu tun. Wir bringen diese Tiere durch unsere Art zu leben um. Die Tiere sind uns gegeben, damit wir sie hüten und über sie herrschen, wie Gott über uns herrscht, mit Gerechtigkeit und Liebe. Unsere Einstellung gegenüber Tieren ist aber absolut verkehrt.

Als ich schon vor Jahren mit meiner Frau in Amerika war, wohnten wir in dem Zimmer, in dem ich als Teenager lebte. Doch irgend etwas war anders, seltsam! Dann wußte ich, was es war die Stille. Kein Vogelgesang, kein Gezwitscher war mehr zu hören. Die Vögel waren nach dem Winter nicht mehr von Florida zurückgekehrt, da sie durch Pestizide verendet waren.

Wenn Tiere sterben, ist der Mensch der nächste. Das ist eine biblische Aussage, ein sehr, sehr wichtiges Thema. Gerade die Liste der Tiere hier ist eine Wiederholung eines anderen Textes. Auch in der Schöpfungsgeschichte werden diese Tiere aufgezählt. Der, der erschuf, ist zugleich auch der Richter. Er hat die Macht, seine Schöpfung auch wieder zu zerstören. Gott zählt alle Tiere auf: von den Nutztieren über die niedrigsten, das Gewürm, bis zu den Vögeln unter dem Himmel. Warum werden die Tiere gerichtet? Auch die Tiere werden nicht nur gerichtet, sondern auch gerettet, genau wie die Menschen. Das bedeutet, daß Menschen und Tiere zueinander gehören. Die Menschen, die gerichtet werden, werden mit all den Tieren gerichtet. Die Menschen, die gerettet werden, werden auch mit Tieren gerettet. Das ist eine unzertrennliche Einheit auf dieser Erde, Menschen und Tiere.

Nach dem Paradies ist Noahs Arche die erste Vordeutung des Tausendjährigen Friedensreiches.
Arche bedeutet Gemeinde in der Bibel, wie auch z.B. das Schiff von Petrus. Die Tiere werden in dieser Gemeinde mit den Menschen im Tausendjährigen Friedensreich leben, wie sie miteinander unter Noahs Herrschaft 40 Tage und Nächte, an denen es ununterbrochen regnete, lebten. (Hier ist es das erste Mal, daß der Zahl 40 eine große Bedeutung zukommt. Sie taucht immer wieder an historisch wichtigen Punkten auf: 40 Jahre durch die Wüste, David, der zentrale König, regierte 40 Jahre, ebenso Salomo; 40 Tage der Versuchung Jesu.)

Eine Welt ohne Tiere ist undenkbar. Eine Welt ohne Tiere ist eine Welt ohne Menschen. Menschen und Tiere gehören zueinander: im Paradies, in Noahs Arche, bis hin zum Tausendjährigen Friedensreich. Im Himmelreich jedoch nicht, Dackelengel zum Beispiel wird es nicht geben. Aber hier auf Erden gehören wir zueinander, die ganze Schöpfung ist eine Einheit. Deswegen weigerte sich Mose auch nach der neunten Plage, das Land mit Frauen, Kindern und allem, aber ohne Tiere zu verlassen, wie es Pharao angeboten hatte. Er sagte nein, weil er die Tiere als Opfertiere, um dem Herrn am dritten Tag zu opfern, benötigte. Hier wurde die Beziehung zu Gott durch das Blut der Tiere hergestellt. Man legte die Hand auf die Tiere – um zu zeigen, daß sie stellvertretend für uns in den Tod gehen. Wer geht in den Tod an Stelle von allen Tieropfem? Jesus!

Hier ist ein direkter Bezug zwischen dem Kreuz und den Tieren. Jesus geht anstelle von allen Tieropfern, und die Tiere gehen stellvertretend für uns in den Tod. Heute sterben Tiere aus, weil wir keine Rücksicht auf sie nehmen. Es ist eine Tatsache, daß wir Tieren Namen geben sollten; – die Betitelung unserer Mitmenschen mit »du Rindvieh, du Schwein, du Kamel, du Dackel« spiegelt jedoch unsere Wertschätzung der Tiere wider. Tiere haben von ihrem Schöpfer einen außerordentlich differenzierten Instinkt bekommen.

Neulich las ich in der Zeitung von einer Katze, die nach acht Jahren wieder nach Hause zurückfand! Tiere und Menschen gehören zueinander. Das ist sehr wichtig. Deshalb sollten auch wir unsere Beziehung zu den Tieren überprüfen, wir sollen sie nicht verachten. Tiere stehen außerhalb von gut und böse   aber sie spiegeln viel von uns wider. Thomas Mann hat in einem sehr lesenswerten Buch gesagt: Die Hunde ahmen ihr Herrchen nach. Oft kaufen Leute Hunde, die ihnen ähnlich sind. Das ist wahr, nicht? Und die Art, wie sie auf der Straße gehen   ich weiß nicht, wen Wastl nachahmt, Andreas oder mich. Hunde besitzen diesen Nachahmungstrieb, ganz besonders in der Art, wie sie gehen. In der Gemeinde eines Kollegen meiner Frau ahmte ein Dackel einmal den Priester und die Ministranten nach. Er schritt genauso würdevoll mit in die Kirche. Erst vorne am Altar wurde der kleine Schauspieler entdeckt und dann natürlich wieder vor die Kirchentür gesetzt.

Aber zurück zum Text: Es sollte uns sehr nachdenklich machen, daß Tiere eine so wichtige Rolle in dieser Geschichte von Noahs Arche spielen. Wo spielen in Jesu Leben Tiere eine so bedeutende Rolle? Nach der Versuchung von Satan ging Jesus zuerst zu den wilden Tieren, nicht zu den Menschen, das ist auch eine Vordeutung auf sein Tausendjähriges Reich.

Bau der Arche

Dies ist die Geschichte von Noahs Geschlecht. Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel zu seinen Zeiten; er wandelte mit Gott. Und er zeugte drei Söhne: Sein, Ham und Jafet. Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voller Frevel. Da sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verderbt; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden. Da sprach Gott zu Noah: Das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen, denn die Erde ist voller Frevel von ihnen; und siehe, ich will sie verderben mit der Erde. Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech innen und außen. Und mache ihn so: Dreihundert Ellen sei die Länge, fünfzig Ellen die Breite und dreißig Ellen die Höhe. Ein Fenster sollst du daran machen obenan, eine Elle groß. Die Tür sollst du mitten in seine Seite setzen. Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben.

Denn siehe, ich will eine Sintflut kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin Odem des Lebens ist, unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen. Aber mit dir will ich meinen Bund aufrichten, und du sollst in die Arche gehen mit deinen Söhnen, mit deiner Frau und mit den Frauen deiner Söhne. Und du sollst in die Arche bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein Paar, Männchen und Weibchen, daß sie leben bleiben mit dir. Von den Vögeln nach ihrer Art, von dein Vieh nach seiner Art und von allem Gewürm auf Erden nach seiner Art: von den allen sollen ein Paar zu dir hineingehen, daß sie leben bleiben. Und du sollst dir von jeder Speise nehmen, die gegessen wird, und sollst sie bei dir sammeln, daß sie dir und ihnen zur Nahrung diene. Und Noah tat alles, was ihm Gott gebot.  –  1. Mose 6, 9 – 22

»Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel zu seinen Zeiten« – das bedeutet nicht völlig ohne Tadel oder Fehler, sondern ohne Tadel (Fehler) zu seiner Zeit, das heißt im Rahmen seiner Zeit. Niemand würde wegen dieses Satzes behaupten, daß Noah ohne Erbsünde war, daß Noah vollkommen war. – Aber in dem Rahmen, in dem er lebte, war er fromm. Wir wollen damit jedoch keinen Relativismus bezeugen und sagen: Ja, die Zeit ist schlecht, deswegen können auch wir ein bißchen schlechter sein, brauchen wir uns nicht so an diese und jene Sache halten. Noah war nach dem, was Gott ihm geboten hatte, ohne Tadel. Oder anders ausgedrückt: Das, was Gott von Noah verlangte, war nicht das gleiche, was Gott von Mose verlangte, und sicherlich nicht das, was Gott von Jesus verlangt hat.

Hier sind auch Stufen der Entwicklung mit der Zeit. Die Juden reden von dem noahitischen Gesetz. Das ist, was sie zum Beispiel zu Jesu Zeit von den Gottesfürchtigen (Heiden, die dem Judentum nahestanden) verlangt haben. Diese sollten die Gebote halten, die jedoch viel geringer als das ganze Gesetz Moses waren. Was von Jesus zu seiner Zeit verlangt wurde, überbietet natürlich alles: Vollkommenheit, ein Leben ohne Haß und Begierde; konsequente Feindesliebe (die Bergpredigt).

»… Er wandelte mit Gott.« Wer wandelte noch mit Gott? Henoch, der Urmensch, der Urgerechte. Das war in der Zeit der Urzeit, nahe bei der lebendigen Kraft des Schöpfergottes, und er wandelte mit diesem Gott selbst. Wir wandeln heute nicht mit Jesus, denn er geht uns auf der Lebensbahn voran, und wir gehen hinter ihm her. Wir kennen die Geschichte von Mose, wie er erlebte, daß Gott an ihm vorbeiging. Hier ist eine sehr starke Aussage über die sehr nahe Verbindung zwischen dem Herrn, dem Schöpfergott und Noah in dieser Urzeit, daß er sogar mit Gott wandelte.

Der Letzte, der das tat, war Noah. »Und er zeugte drei Söhne (und natürlich stammen die Völker dann von diesen drei Söhnen ab): Sein, Ham und Jafet. (Das wird dann ein anderer Stammbaum, zum Teil sehr positiv, zum Teil sehr negativ. Alle Völker stammen von diesen dreien ab.) »Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voller Frevel.«

Hier dieser Gegensatz: Auf der einen Seite der eine Gerechte mit seinen drei Söhnen, der sogar mit Gott wandelte (ohne Tadel zu seinen Zeiten); auf der anderen Seite die Verdorbenheit der Welt. Hier geschieht eine Bestandsaufnahme Gottes. Auch Sodom und Gomorra ist eine Bestandsaufnahme, ebenso der Tanz um das goldene Kalb; noch stärker zu Elias Zeit, als das ganze Volk verdorben war, bis auf hundert Propheten, die versteckt waren.

Auch zu Jesu Zeit geschah eine Bestandsaufnahme: Ein Gerechter   Christus   und zwei Kreuzeszeugen. Sonst nur das totale Versagen der Jünger, Israels, der Heiden (vertreten durch Pontius Pilatus). Stehen wir nicht auch jetzt wieder nahe vor einer neuen Bestandsaufnahme Gottes vor seiner Wiederkunft? Ich glaube schon. Es ist ein Drängen, eine ungeheure Intensität in der Zeit, in der wir heute leben.

Dann schaut Gott. Was Gott sieht, das ist Wahrheit , nicht das, was wir sehen.   »… so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken« (Jes 55,9).

»Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voller Frevel.« Hier geht es um die ganze Erde, nicht nur um die Menschen, sondern um die Erde selbst. Die Verdorbenheit war so groß, daß sie sogar Auswirkungen auf die Erde zeigte. So wird diese Erde selbst durch die Sintflut vernichtet werden. Die negative Auswirkung   wir werden darüber später sprechen in bezug auf die Tiere  , die vom Menschen ausgeht, umfaßt die ganze Schöpfung, denn der Mensch ist das höchste Geschöpf Gottes. Alles was dazu geschaffen ist, soll ihm dienen. Wenn er besudelt ist, so ist alles, womit er zu tun hat, mit hineingenommen in dieses Gericht. Deswegen steht hier »die Erde« sei verdorben.

Neulich sagte mir jemand, nachdem ich positiv über Tiere gesprochen hatte, er kenne auch ganz böse Tiere. Die Leute, die Herr über diese Tiere sind, sind allerdings böse, und dies wirkt sich auf die Tiere aus. Die Auswirkungen, die wir haben, begrenzen sich nicht nur auf unsere Familie, sondern gehen auch auf die Tiere der Familie, manchmal sogar auf ganze Ortschaften über. So ging es mir einmal, als ich in einem Ort einen Vortrag hielt. Der Ort strahlte für mich irgendwie eine negative Atmosphäre aus. Später erfuhr ich, daß Justinus Kerner, der schwäbische Dichter, in diesem Ort eine Frau behandelt hatte, die von bösen Geistern geplagt worden war.

»Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen und voller Frevel. Da sah Gott auf die Erde, und siehe, sie war verderbt; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden.« Schauen wir einmal die Wortwahl an. (Man sollte immer bei der gleichen Bibelübersetzung bleiben.) Das Wort »sehen« kommt hier immer wieder vor   Gott sah auf die Erde, er machte eine Bestandsaufnahme. Und siehe sie war verderbt. Das bedeutet, daß das Sehen die Bestätigung der Wirklichkeit ist. Was Gott sieht, ist Wirklichkeit. Gottes Bestandsaufnahme bedeutet in sich Wahrheit.

Bei uns funktioniert dies jedoch nicht. Wir sehen etwas an, wir sehen ein zweites Mal hin, um es wahrzunehmen. Es dauert lange, bis wir manche Dinge mit unserem Verstand begreifen können. Wenn Gott sieht, erkennt er sofort. Wenn er spricht, wird etwas geschaffen oder bestimmt.

»Da sprach Gott zu Noah: Das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen« (Eine härtere Bestandsaufnahme gibt es nicht), »denn die Erde ist voller Frevel von ihnen, und siehe (nochmals siehe), ich will sie verderben mit der Erde.« Die Menschen sind im Geist verdorben. Was im Geist verdorben ist, wird zum Tod gerufen, denn Sünde führt zum Tod.

Hier ist die Verdorbenheit im doppelten Sinn zu verstehen: Die Menschen sind durch ihre Sünde verdorben, und werden deshalb vom Richter (als Folge der Sünde) ins Verderben geführt. Das erweckt eine sehr zentrale Frage (eine Frage, die mir auch Schwerverbrecher in Freiburg gestellt haben): »Was ist die Sünde gegen den Heiligen Geist?« Wann gibt es keine Umkehr mehr? Wann ist ein Mensch für immer, für ewig gerichtet’? Hier wird deutlich gezeigt, daß es so einen Punkt gibt. Die Antwort ist ganz offensichtlich: Keiner von uns weiß vorher, wann Gott einen Schlußstrich zieht. Unser Auftrag ist, zu retten, was zu retten ist. Jesus hat einem Mörder den Weg in sein Reich versprochen; auch allen möglichen Verdorbenen, Dirnen, Räubern, Zöllnern hat er den Weg gewiesen. Gottes Pläne kennen wir nicht, aber wir sollen nach seinem Willen handeln. Seine Wege und seine Sicht sind Wahrheit, nicht unsere Sicht und Wege. Es gibt die Aussage über Judas Iskariot, daß es für ihn besser gewesen sei, er wäre nie geboren worden. Er ist einer, der nicht zu retten ist. Wir können nicht sagen, wann ein Mensch über diese Grenze geht. Das liegt nicht in unserem Ermessen. Es ist eine richtende Aussage, die nur in Gottes Ermessen steht. Wir müssen handeln, als ob jeder gerettet werden könnte. Doch wenn Mörder, wenn in jeder Art Verdorbene gerettet werden können, dann ist die Grenze sehr weit. Gott möchte lieber Gnade üben als Gericht.
»… denn die Erde ist voller Frevel von ihnen; und siehe … «

(Immer wieder: siehe und sprach.) »Siehe« bedeutet, daß das, was Gott sieht, Wahrheit ist; er nimmt wahr, und spricht dann. Sehen und Sprechen gehören zueinander. Doch beides können wir im eigentlichen Sinn nicht. Wir können nie in ein Menschenherz sehen. Manche wirken oberflächlich, können aber sehr tiefe Empfindungen haben. Andere wirken sehr interessiert und aufmerksam, machen sich aber im Grunde nichts aus dem Wort Gottes. (Dies muß ich auch immer wieder bei meinen Konfirmanden feststellen.) Gott sieht, und er spricht. Es geht um die Frage des Richtens.

Richten bedeutet nicht nur den Vollzug eines Urteils, sondern auch eine endgültige Bestandsaufnahme. Natürlich müssen wir im fleischlichen Sinn hier auf der Erde nach den Gesetzen richten, aber eben nicht endgültig im Sinne Gottes. Das kann kein Mensch.

»Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech innen und außen.« Hier erkenne ich eine Parallele zu Mose. Auch er lag in einem mit Pech verklebten Kästchen. Die Arche ist der große Kasten für die Tiere, Menschen, die die Fortführung der Welt bedeuten. Die ganze Verheißung Gottes ist einem kleinen Kästchen ausgeliefert. Noah war dem großen Regen der Sintflut 40 Tage und Nächte ausgeliefert. Mose war Krokodilen, Flut und Nahrungsmangel ausgeliefert und mußte schnell entdeckt werden. Die ganze Zukunft der Welt lag in diesem kleinen Kasten.

Dieses Bild erfährt dann noch eine Vertiefung mit Jesus, der in einem Stall geboren wurde. Die ganze Welt lag da. Der Retter der Welt, der wahre ecce homo (»siehe ein Mensch«), der Retter, der das erfüllte, was bei Noah und Mose vorgedeutet wurde. Jesus lag in einem Stall wie Mose in seinem kleinen Kästchen oder wie Noah mit allen Tieren in seiner großen Arche.

»Ein Fenster sollst du daran machen obenan, eine Elle groß. Die Türe sollst du mitten in seine Seite setzen. Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben.«

Diese Zahlen haben meines Erachtens eine Bedeutung. Kein anderer als Shakespeare, den ich sehr gerne zitiere, hat dieses Bild »Fenster« wunderbar übernommen. Er hatte so einen intuitiven biblischen Sinn. Er nannte es »the windows of our world«, die Fenster unserer Welt. Warum war ein Fenster in der Arche? Sicher vor allem auch als ein Zeichen. Man sollte sehen, daß hier eine Welt im Sterben lag.

»Das sollst du wahrnehmen, Noah, du und deine Kinder und die Frauen, daß du es mit einem ernstzunehmenden Gott zu tun hast; einem Gott, der dich aus Gnade rettet, aber ein Gott, der auch bereit ist zu richten.« Ich hoffe, daß auch wir so ein Fenster in unserer Sicht des Herrn öffnen, so daß wir endlich anfangen, diesen Herrn ernstzunehmen. Das Fenster deutet die Entfernung zum Herrn an. Wir sollten niemals vergessen, daß das Leben wie der Tod dem Herrn gehören. Wir sollten das Gericht vor Augen haben; wir sollen unseren Tod vor Augen haben. Denn das ist das Gericht über jeden von uns Menschen. Doch Christus will uns in seine Arche, in seine Gemeinde nehmen, und durch diese Stürme, durch diese Zeit bis zur neuen Welt, zum neuen Leben bringen. Das ist sinnbildlich der Weg durch diese Welt, durch das Gericht, die gerichtete Welt zu Gottes Himmelreich. Dieses Fenster steht für die Aussicht und Erkenntnis, daß Gott der Herr ist. Der gerechte, richtende Gott ist aber zugleich der rettende, schützende Herr. Das ist »the window of our world«, die Kenntnis von Gottes Wirklichkeit als Herr des Lebens und der Rettung und Herr der Gerechtigkeit und des Gerichts. Das ist ein Bild, das wir niemals vergessen sollten. Wenn es kein Fenster gibt, dann ist man in seinem Kasten nur unter sich. Hier wird das Gericht wahrgenommen. Das ist ebenso wichtig für uns und unsere Sicht unserer Welt und für unsere Zukunft wie für unseren missionarischen Auftrag.

»Die Türe sollst du mitten in seine Seite setzen.« Warum die Betonung auf Tür? Die Tür schloß Gott vor der Sintflut, denn er ist der Steuermann. Aber die Türe kann nicht nur hineinführen, sondern auch hinausführen. Das bedeutet, daß wir Zukunft haben, weil die neue Welt kommt. So sagten die Propheten in Babel während des Gerichts, Hesekiel und auch die Vision von Jesaja, ein später Teil von Jesaja. Diese Vorschau: Ihr kehrt zurück, Ihr kommt aus diesem Gericht zu neuem Leben. Andererseits habe ich in meinem zweiten Gedichtband ein Gedicht über einen Mann geschrieben, der sich in einem Zimmer mit nur einer Tür befand; er war dem Tod geweiht, denn diese Tür führte nur hinein, nicht mehr heraus.

Auch die Tür ist ein Bild. Es ist eine Tür, die Gott zumacht, weil er der ist, der für das, was da in seiner Gemeinde geschieht, bürgt. Er ist der Steuermann. Aber diese Tür wird später geöffnet, wie das Fenster, das auf das Gericht Ausblick gibt. Aber dann sieht man auf das neue Leben. Diese Tür führt zu einer neuen Welt und einer neuen Wirklichkeit hinaus. Oder es ist die Tür im Tempel, die zu Gottes Haus, zu der Wirklichkeit, der Nähe des Herrn hineinführt. Und es ist auch die Tür, die Jesus nennt; die Tür, die zu seiner Gemeinde (zu den Schafen) führt (auch in der Arche waren Tiere). »Ich bin die Tür«, sagt Jesus. Er selbst ist der Steuermann, der die Tür zumacht. In Gottes Haus führt die Tür zu ihm hinein, wo sein Name, sein Wesen ist, aber Jesus sagt selbst: Ich bin die Tür. Das bedeutet, daß der Eintritt zu dieser Gemeinde, zu dieser Gemeinschaft und zum Himmelreich nur über ihn, über seine Person, über seinen Tod erfolgen kann. Das ist die Tür zum Leben, zum Himmelreich.
»Die Tür sollst du mitten in seine Seite setzen.« Was passierte mit Jesus? Wasser kam aus seiner Seite, als er gestochen wurde, fließendes Wasser, Zeichen der Reinheit.

»Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben.« Wir können diese Stockwerke nur als die drei Stockwerke der Wirklichkeit deuten. Das niedrigste Stockwerk sind wir. Über uns steht der Satan und die Mächte des Bösen, die die ganze Welt verderben. Aber über allem steht Jesus Christus, der Herr.

»Denn siehe … « Wie oft kommt diese Aussage »denn siehe«!? Es bedeutet, daß Gott wahrnimmt. Weswegen sollen auch wir sehen? Gott nimmt wahr, daher sollen wir wahrnehmen, denn er übermittelt uns diese Wahrheit. Wenn wir nicht wahrnehmen, dann sind wir vor der Tür, dann sind wir außerhalb seiner Wirklichkeit, seines Machtbereichs. »Siehe« bedeutet: Mach deine Augen auf für diese Wirklichkeit. Warum hat Jesus so viele Blinde geheilt? Als Zeichenhandlung: Dieses Volk hat Augen und sieht nicht. Sicher hat er tatsächlich Blinde geheilt. Aber es steckt etwas viel Tieferes dahinter. Dieses Volk hat fleischliche Augen, aber sie haben keine geistlichen Augen. Der Seher ist in der Bibel der Prophet, der die Wirklichkeit sieht, weil Gott ihm diese Schau der Wirklichkeit gibt.

»Denn siehe … « bedeutet aber auch die Erkenntnis der Lage. Ihr seid mein Hab und Gut, meine Beute, errettet aus einer untergehenden Welt. Genau das sind auch wir. Wir sind seine Beute, Christi Beute aus einer untergehenden Welt; das ist die Gemeinde Christi. »Denn siehe«   das bedeutet, daß ich gelernt habe, wahrzunehmen. Ich habe hier vor Jahren in der Bibelstunde einen Mann gehabt. Er war blind, seine Frau hat ihn geführt, und er kam über die Felder in den Gottesdienst. Einmal habe ich einen Text über einen Blinden, der geheilt wurde, ausgelegt. Er sagte darauf vor allen Leuten: »Ich war früher sehend, ich konnte fleischlich sehen, aber ich war blind für die Wahrheit, für Christus. Dann habe ich mein Augenlicht verloren, jetzt bin ich sehend geworden.« Er hatte verstanden, um was es geht. Es geht nicht um das fleischliche Sehen, wir sehen mit unseren Augen nicht die Wirklichkeit, es geht um das geistliche Sehen. Dieses Sehen erhalten wir durch die Bibel! Nicht was wir uns ausdenken, was wir intuitiv spüren, sondern dieses Buch öffnet uns die Augen zum wahren Sehen.

»Denn siehe, ich will eine Sintflut kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch … « Denn das ist verdorben, und die Auswirkung der Verdorbenheit ist der Tod, das endgültige Verderben.

»… zu verderben alles Fleisch, darin Odem des Lebens ist, unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.« Mose weigerte sich, nach der neunten Plage ohne die Tiere aus Ägypten auszuziehen. Natürlich brauchte er die Tiere in erster Hinsicht wegen der Opfer, dem Bezug zu Gott, aber er brauchte sie in zweiter Hinsicht auch wegen der Beziehung zu den Tieren selbst. Solange es Leben hier auf Erden gibt, wird es Tiere geben. Im Tausendjährigen Friedensreich genauso. Tiere gehören zu uns. Aber wenn wir nur Verachtung für Tiere übrig haben, dann haben wir letzten Endes Verachtung für den Auftrag, den Gott uns gegeben hat.

»Alles, was auf Erden ist, soll untergehen. Aber mit dir will ich meinen Bund aufrichten … « Ein Bund ist kein demokratischer Kompromiß, weder der Alte noch der Neue noch der Bund mit Noah. Denn Gott bestimmt, und er bürgt dafür. Israel kann an dem Bund versagen, und auch wir können am Neuen Bund versagen, das spielt letzten Endes keine Rolle, denn Gott versagt nicht. Er bürgt. Er hält zu Israel, und er hält zu uns. Das bedeutet, es wird immer Israel, Juden geben, solange die Welt besteht; und es wird auch immer Christen geben, solange die Welt besteht.

»Aber mit dir will ich meinen Bund aufrichten, und du sollst in die Arche gehen … « Du sollst an meinen geschützten Ort gehen. Du bist meine Beute. Warum passiert so viel in einem Boot? Jesus predigte in einem Boot, er stillte den Sturm, er wandelte über das Wasser zu einem Boot. Da ist wieder dieses Sinnbild wie bei Mose das kleine Kästchen, der geschützte Ort im Sturm der Zeit (die Gemeinde). Das Lied »Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt«, ist ungeheuer tiefsinnig.

»… und du sollst in die Arche gehen mit deinen Söhnen, mit deiner Frau und mit den Frauen deiner Söhne.« Das bedeutet mein Bund und die Arche   warum steht dies beieinander? Ich richte einen Bund auf   und du gehst in die Arche. Weil es das Zeichen des Bundes hier ist. Das spätere Zeichen wird nach der Sintflut der Regenbogen sein. Aber hier ist die Arche das Zeichen für die Bürgschaft und den Schutz Gottes. Das Gericht kommt von Gott, aber er schützt auch zugleich. Es ist das Zeichen seines Bundes, daß er Noah und seine Familie erhalten würde. Das Zeichen des Neuen Bundes ist, daß Christus zu uns hält. Wenn wir bis ans Ende beharren   und er gibt uns die Kraft dazu  , werden auch wir neues Land erwerben wie Noah. Gott ist der Steuermann, ob in der Arche oder in der Gemeinde.

»Und du sollst in die Arche bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein Paar, Männchen und Weibchen, daß sie leben bleiben mit dir.« Diese Anweisung wird später noch genauer umfaßt, indem je sieben Paare der reinen und ein Paar der unreinen Tiere bestimmt werden. Die sieben Paare der reinen Tiere erinnern natürlich an die Schöpfung. Die besondere Trennung in rein und unrein hat mit dem Alten Bund, auch mit den Opfergesetzen, zu tun. Nur die reinen Tiere werden geopfert.

»Von den Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allem Gewürm auf Erden nach seiner Art«. Gerade Vögel, Vieh und Gewürm erinnern auch hier wieder an die Schöpfung. Die Schöpfung wird erhalten trotz des Gerichts, des Todes. Es gibt immer wiederkehrende Motive in der Bibel. Auch negative, zum Beispiel als die Israeliten nach Babel geschickt wurden. Dies bedeutete nichts anderes für die Israeliten als die Rückkehr nach Ägypten, in die Gefangenschaft von Ägypten. Als ob man an den Uranfang zurückgegangen ist, als ob die ganze Geschichte zunichte gemacht ist. Israel ist aus dem Land vertrieben, der Tempel ist zerstört. Israel wird wieder in die Knechtschaft geschickt, und es ist noch schlimmer als in Ägypten, denn sie haben versagt, das vom Herrn Gegebene zu erhalten.

Jedes nach seiner Art. Warum noch Vögel und Gewürm? Die Zerstörung wird so groß sein, daß kein Vogel überleben wird, alles, wovon er leben kann, wird untergehen. Gleichzeitig geht die Sintflut so tief, daß auch das Gewürm tief in der Erde sich nicht retten kann. So allumfassend wird dieses Gericht sein.

»Und du sollst dir von jeder Speise nehmen, die gegessen wird, und sollst sie bei dir sammeln, daß sie dir und ihnen zur Nahrung diene.« Ich denke, daß die Versorgung hier vegetarisch gemeint war, für Mensch wie Tiere (wie im Tausendjährigen Friedensreich). Mit »ihnen« sind die Tiere gemeint, das bedeutet, daß die Tiere hier nicht gegessen werden. Es ist nach dem Paradies das erstemal, daß das Tausendjährige Friedensreich in der Bibel vorgedeutet wird. Denn was passiert im Tausendjährigen Friedensreich? Kein Tier wird mehr gegessen werden, es wird keine Schlachtungen mehr geben, es wird keine Feindschaft zwischen Menschen und Tieren geben. Sie werden alle Gemüse usw. essen, und sie werden im Frieden untereinander bleiben. Genau dies passiert hier bei Noah. Hier sind alle Bedingungen des Tausendjährigen Friedensreichs gegeben.

Noah sorgte mit seiner Familie für diese Tiere, keines wurde geschlachtet, jedes lebte in Frieden mit den anderen, die wilden und die zahmen Tiere. Die Nahrung kam nicht mehr von den Tieren. Hier war eine Gemeinschaft, die zusammenhielt.

 

Die Sintflut

Und der Herr sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich gerecht erfunden vor mir zu dieser Zeit. Von allen reinen Tieren nimm zu dir je sieben, das Männchen und sein Weibchen, von den unreinen Tieren aber je ein Paar, das Männchen und sein Weibchen. Desgleichen von den Vögeln unter dem Himmel je sieben, das Männchen und sein Weibchen, um das Leben zu erhalten auf dem ganzen Erdboden. Denn von heute an in sieben Tagen will ich regnen lassen auf Erden vierzig Tage und vierzig Nächte und vertilgen von dem Erdboden alles Lebendige, das ich gemacht habe. Und Noah tat alles, was ihm der Herr gebot. Er war aber sechshundert Jahre alt, als die Sintflut auf Erden kam. Und er ging in die Arche mit seinen Söhnen, seiner Frau und den Frauen seiner Söhne vor den Wassern der Sintflut. Von den reinen Tieren und von den unreinen, von den Vögeln und von allem Gewürm auf Erden gingen sie zu ihm in die Arche paarweise, je ein Männchen und Weibchen, wie ihm Gott geboten hatte.

Und als die sieben Tage vergangen waren, kamen die Wasser der Sintflut auf Erden. In dem sechshundertsten Lebensjahr Noahs am siebzehnten Tag des zweiten Monats, an diesem Tag brachen alle Brunnen der großen Tiefe auf und taten sich die Fenster des Himmels auf und ein Regen kam auf Erden vierzig Tage und vierzig Nächte. An eben diesem Tage ging Noah in die Arche mit Sein, Ham und Jafet, seinen Söhnen, und mit seiner Frau und den drei Frauen seiner Söhne; dazu alles wilde Getier nach seiner Art, alles Vieh nach seiner Art, alles Gewürm, das auf Erden kriecht, nach seiner Art und alle Vögel nach ihrer Art, alles, was fliegen konnte, alles, was Fittiche hatte; das ging alles zu Noah in die Arche paarweise, von allem Fleisch, darin Odem des Lebens war. Und das waren Männchen und Weibchen von allem Fleisch, und sie gingen hinein, wie denn Gott ihm geboten hatte. Und der Herr schloß hinter ihm zu.

Und die Sintflut war vierzig Tage auf Erden, und die Wasser wuchsen und hoben die Arche auf und trugen sie empor über die Erde. Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen sehr auf Erden, und die Arche fuhr auf den Wassern. Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen so sehr auf Erden, daß alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden. Fünfzehn Ellen hoch hingen die Wasser über die Berge, so daß sie ganz bedeckt wurden.

Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte, an Vögeln, an Vieh, an wildem Getier und an allem, was da wimmelte auf Erden, und alle Menschen. Alles, was Odem des Lebens hatte auf dem Trockenen, das starb. So wurde vertilgt alles, was auf dem Erdboden war, vom Menschen an bis hin zum Vieh und zum Gewürm und zu den Vögeln unter dem Himmel; das wurde alles von der Erde vertilgt. Allein Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war. Und die Wasser wuchsen gewaltig auf Erden hundertundfünfzig Tage.  –  1. Mose 7

Wer seine Zweifel an der Sintflut hat, sollte folgendes wissen: In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts waren Archäologen aus Großbritannien in der Gemeinde Ur, der Stadt, aus der Abraham stammt, beschäftigt. Je tiefer man in die Erde gräbt, Schicht um Schicht, desto weiter kommt man zurück in die Zeit der Vergangenheit. So sahen wir zum Beispiel in Athen über eintausend Jahre alte Kirchen, welche mehrere Meter versunken waren, so daß wir Treppen hinuntersteigen mußten, um sie zu besuchen. Dieses englische Archäologen Team entdeckte in Ur zuerst Schicht um Schicht die Reste längst versunkener, verschollener Zivilisationen. Aber dann, plötzlich fanden sie nichts mehr, obwohl sie weitergruben. Denn kein Mensch lebte in Ur zu der Zeit, zu welcher diese Schicht gehörte. Einer der Gruppe war aber bibelfest und bibelgläubig, und eine Vermutung wuchs in ihm. Er sagte: »Wir müssen noch viel tiefer graben.« Dann waren plötzlich nochmals Scherben zu finden. Damit war die Sintflut wissenschaftlich bestätigt, denn die Zeit ohne Scherben, ohne Leben, paßte sehr genau zu der biblischen Zeit der Sintflut. Vorher gab es dort Leben (zu Noahs Zeit) und auch nachher zu Abrahams Zeit wieder, aber dazwischen gab es kein Leben. Dies war die Zeit der Sintflut. Ausgrabungen in der ganzen Gegend bestätigten diese Ergebnisse. So wurde die Sintflut, wie vieles andere, was die Wissenschaftler der Bibel zunächst nicht glaubten, dann wissenschaftlich bestätigt.

Faszinierend an unserem Text sind die Vordeutungen auf das, was in der Zukunft passieren wird, sowohl in der Bedeutung von Zahlen als auch von Bildern. Die Bibel ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Bilderbuch, denn die Sprache der Bibel ist eine Bildersprache. Hat nicht Jesus gesagt: »… selig sind eure Augen, daß sie sehen … « (Bilder), und »Wer Ohren hat, der höre!« (Wort)? Und redet nicht Johannes ständig von Zeichen (Bildern)?

Diese Arche ist nicht nur ein gewöhnliches Schiff, sondern zugleich ein Symbol für die Gemeinde, wie es auch das schon erwähnte Lied zum Ausdruck bringt: »Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt … « War nicht ein zentraler Ort von Jesu Wirken auch ein Schiff, das Schiff von Petrus? Hier sehen wir, wie er zum Volk predigt, wie er den Kleinglauben seiner Jünger ans Licht bringt, wie er zu Wind und Wellen spricht. Dieses Lied sieht die See als Zeichen für die Zeit, und der Sturm, die Stürme, welche die Jünger erleben, als die Nöte ihrer Zeit. Wie bei Noahs Arche ist der Herr selbst der Steuermann. Er allein schließt die Arche. Er allein weiß, was für ein Ziel seine Gemeinde ansteuern soll (sein Reich), und er allein weiß Mittel und Wege dazu. So ging es zu Noahs Zeit wie zu Jesu Zeit.

Dieser Text in der Urgeschichte weist ständig Vordeutungen auf den Alten Bund, den Bund mit dem Volk Israel auf. Denn hier werden reine und unreine Tiere getrennt, wie in den Reinheitsgesetzen des Alten Bundes. Acht Menschen werden in die neue Welt gerettet; Noah, seine Frau, je drei Söhne und Schwiegertöchter. Diese Zahl 8 deutet auf den Tag der Beschneidung im Alten Bund, sie ist sozusagen eine jüdische Vordeutung der christlichen Taufe.

Zahlen spielen in diesem Text, wie in der ganzen Bibel, eine wichtige Rolle. Wir sollten allerdings niemals in bezug auf Zahlen spekulieren. Wir brauchen keinen Computer, um biblische Theologie zu betreiben. Aber andererseits übersieht derjenige viel, der die zentrale Bedeutung der Zahlen in der Bibel nicht sieht. In unserem Text spielen die Zahlen 7 und 40 eine zentrale Rolle. Die 7 Paare von reinen Tieren, die 7 Tage vor der Sintflut sind Anspielungen auf die Schöpfungszahl der Bibel, denn der Herr hat die Schöpfung in diesen seinbestimmenden 7 Tagen vollbracht. Hier wird gezeigt, daß der Herr der Schöpfung auch der Herr des Lebens ist, nicht nur Schöpfer über das Leben, sondern zugleich auch Herr des Gerichtes, des Todes. Was er schuf, kann und wird er manchmal vernichten. Die 7 reinen Paare bedeuten einen Rückblick auf seine Schöpfung und damit auch auf seinen Erhaltungswillen. Laßt uns den richtenden Gott nie verharmlosen.

Es gab nicht nur eine Sintflut, sondern auch ein Sodom und Gomorra. Es gab auch Gericht um Gericht über Gottes eigenes, erstgeliebtes Volk, und Jesus selbst sprach in seinem Weheruf das Gericht über mehrere Städte, auch über das heute vernichtete Kapernaum, weil es seine Botschaft nicht annahm. Hat nicht auch Paulus Verfluchungen ausgesprochen? Laßt uns niemals unseren brennenden, eifernden Gott verniedlichen, oder nach unserem eigenen Wunschbild verharmlosen!

Die Zahl 40 (wie 3, 7, 8, 10, 12, 22) ist eine »stehende«, sich wiederholende Zahl in der Bibel. 40 Tage und Nächte der Sintflut; Israels 40 Jahre dauernde Wüstenwanderung; David und Salomo, zentrale Könige, haben beide 40 Jahre regiert; Jesus wurde 40 Tage und Nächte vom Satan in der Wüste versucht. 40 bedeutet somit einen gesamten historischen Abschnitt.

Unser Text enthält noch eine Anspielung auf die Schöpfung. Nicht nur die 7 reinen Paare und ihre Erhaltung bezeugen hier diesen historischen Rückblick, sondern auch die Nennung der Tierarten. Kommt uns diese merkwürdige Betonung auf Gewürm wie auf Vögel nicht bekannt vor?   Jawohl, aus dem Schöpfungsbericht! Hier wird die allumfassende Auswirkung der Schöpfung von oben (himmelwärts), die Vögel bis zum kriechenden Gewürm gezeigt.

Noch etwas Faszinierendes ist, daß unser Text eine zentrale Vordeutung auf Gottes zukünftiges Tausendjähriges Friedensreich enthält. Auch dieses Thema ist schon in der Urgeschichte vorhanden, wie fast alle zentralen Themen der Bibel. Im Paradies lebten Menschen und Tiere friedlich miteinander. Nach dem Sündenfall opferte Gott das erste Tier als Bekleidung für Adam und Eva, um die Urmenschen zu schützen. Jetzt, hier in der Arche Noah leben wilde Tiere wie Löwen friedlich mit Schafen und anderen Tieren. Auch die Menschen sind in der Arche friedlich beieinander. Wir denken sofort an Jesaja 11 und die Beschreibung des Tausendjährigen Friedensreiches in bezug auf die Tiere untereinander, wie in bezug auf Menschen untereinander und deren Beziehung zu den Tieren.

Aber was ist der Mittelpunkt unseres Textes’? Gericht für die gottlose Welt und zu seiner Zeit Errettung für Noah, den Gerechten, und seine Familie. Biblisch gesehen, Segen für Noahs Familie und Gericht über die gottlose Welt. Mitten durch dieses so allumfassende Gericht geht diese Arche zur neuen Welt, wie Noah seine klaren und gerechten Wege trotz seiner gottlosen Welt im Gehorsam ging.

Dieses Bild von Gericht und Segen erreicht seine Vollendung, seinen Höhepunkt in der Bibel in Jesu klarem Weg im Gehorsam zum Herrn (erste Tafel Mose) und in seiner totalen Hingabe und Nächstenliebe (zweite Tafel Mose) zu uns verlorenen Sündern. Sein Weg endete auf Golgatha, wo endgültiger Segen und endgültiger Fluch gekennzeichnet wurden , nicht nur durch die beiden Schächer und ihr Verhalten Jesu gegenüber, sondern allgemein in bezug auf seine ausgestreckten, segnenden Hände am Kreuz. Nur wer Zuflucht unter seinen erbarmenden Händen sucht, sich erniedrigt unter seinem Herrn und Heiland wie der zweite Schächer, wird errettet werden. Erst nachdem der zweite Schächer seine Schuld erkannte, Buße tat und Jesus als Herrn anerkannte und um Einlaß in sein Reich bat, sagte Jesus zu ihm, wie zu jedem bußetuenden Sünder unter seinem Kreuz, daß er ihn mit ins Paradies nehmen werde; diesem sterbenden Schächer sagt er dies sogar für »heute« zu. Aber wehe uns, wenn wir diese Zuflucht nicht suchen, wenn wir nicht aus seiner Vergebung in Buße, in Erkenntnis unserer eigenen Verlorenheit leben, dann sind wir außerhalb des Heils wie die fünf Jungfrauen, welche eine versperrte Tür zu Gottes Reich vorfanden.

Dies ist eine ernste Sache: Das Gericht über die Welt zur Zeit Noahs wie Gottes richtende Macht überhaupt; und zugleich Jesu totale Hingabe für uns, an unserer Stelle, unser Gericht auf sich zu nehmen, die Verfluchung des für uns unerfüllbaren Gesetzes. Hören wir auf sein Wort, jetzt, wie damals Noah. Folgen wir, wie Jesus es verlangt (»komm und folge mir nach«), und leben wir aus seiner Kreuzeskraft der Vergebung, denn dann (und nur dann) wird es Frieden für uns geben. Jetzt auf Erden und dann vollendet in seinem ewigen Reich, dem endgültigen Ziel seiner Gemeinde, seiner Arche, welche er für uns jetzt durch Wind und Wellen, durch rauhe Zeiten steuert.

 

Die Neue Welt

Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles Vieh, das mit ihm in der Arche war, und ließ Wind auf Erden kommen, und die Wasser fielen. Und die Brunnen der Tiefe wurden verstopft samt den Fenstern des Himmels, und dem Regen vom Himmel wurde gewehrt. Da verliefen sich die Wasser von der Erde und nahmen ab nach hundertundfünfzig Tagen. Am siebzehnten Tag des siebenten Monats ließ sich die Arche nieder auf das Gebirge Ararat. Es nahmen aber die Wasser immer mehr ab bis auf den zehnten Monat. Am ersten Tage des zehnten Monats sahen die Spitzen der Berge hervor.

Nach vierzig Tagen tat Noah an der Arche das Fenster auf, das er gemacht hatte, und ließ einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und her, bis die Wasser vertrockneten auf Erden. Danach ließ er eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden. Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche; denn noch war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die Hand heraus und nahm sie zu sich in die Arche. Da harrte er noch weitere sieben Tage und ließ abermals eine Taube fliegen aus der Arche. Die kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trug’s in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, daß die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden. Aber er harrte noch weitere sieben Tage und ließ eine Taube ausfliegen; die kam nicht wieder zu ihm.

Im sechshundertundersten Lebensjahr Noahs am ersten Tage des ersten Monats waren die Wasser vertrocknet auf  Erden. Da tat Noah das Dach von der Arche und sah, daß der Erdboden trocken war. Und am siebenundzwanzigsten Tage des zweiten Monats war die Erde ganz trocken. Da redete Gott mit Noah und sprach: Geh aus der Arche, du und deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne mit dir. Alles Getier, das bei dir ist, von allem Fleisch, an Vögeln, an Vieh und allem Gewürm, das auf Erden kriecht, das gehe heraus mit dir, daß sie sich regen auf Erden und fruchtbar seien und sich mehren auf Erden. So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen.

Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruh und sprach in .seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen uni der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.  –  1. Mose 8

Es ist sehr interessant an unserem Text, daß Noah dreimal eine Taube aus der Arche fliegen läßt, nachdem vorher ein Rabe ausgeflogen war. Raben sind unreine Vögel, weil sie sich von totem Fleisch ernähren, und der Tod verunreinigt absolut, denn der Tod ist der Sünde Sold. Die Taube dagegen ist ein reiner Vogel; damit werden hier die reinen und unreinen Bestimmungen des Alten Bundes vorgedeutet. Dazu wird dann später berichtet, daß reine Tiere dem Herrn geopfert wurden. Die Taube spielt auch im Neuen Testament eine wichtige Rolle, denn als Jesus getauft wurde, flog eine Taube vom Himmel herab. Hier bei Noah versinnbildlicht die Taube neues Leben, denn sie bringt neues Leben zurück von einer neuen Welt, diesen Ölzweig; und sie ist das erste Geschöpf, welches sich in der neuen Welt ansiedelt.

Die Taube bei der Taufe Jesu steht für den Heiligen Geist. In unserer Zeit hat die Taube besonders das Symbol des Friedens angenommen, denn man hält sie für einen friedfertigen Vogel. Hat aber nicht diese dreifache Bedeutung der Taube eine zentrale Einheit, denn durch den Heiligen Geist gibt es wahres und neues Leben, nämlich in Jesus Christus, der das Leben selbst ist. Christus ist unser Friede, nicht irgendeine menschlich gemachte und menschlich gedachte Bewegung.

Auch der Rabe spielt in der Bibel nochmals eine wichtige Rolle, denn es war ein Rabe, welcher Elia am Morgen und am Abend am Bach Krit zu essen brachte, als es weder Regen noch Tau im Lande gab. Diese unreinen Tiere müssen auch Gottes Heilsplan dienen, denn der Schöpfergott ist Herr über das Unreine wie über das Reine. Jesus zeigte uns, daß wir in unserem Herzen alle unrein sind, aber durch sein Kreuzesblut werden die Gläubigen rein.

Diese Trennung von reinen und unreinen Tieren hat ebenso mit Israels Erwählung zu tun, denn im Alten Bund wird die Welt zwischen dem, was reingehalten wird für Gott, das Volk Israel, und den Heiden getrennt. Diese Trennung in der Schöpfung, weiche erst in Christi Reinheit, in seinem Kreuzesblut wiederhergestellt wird, vollzieht sich im Alten Bund auch durch die ganze Tierwelt   deswegen die reinen und unreinen Tiere.

Was in unserem Text auch sehr betont wird, ist die Errettung der ganzen Welt, Menschen wie Tiere jeder Gattung für diese neue Welt. Die Tiere, welche genannt werden, erinnern sehr an die Schöpfung selbst, denn Vieh und Gewürm werden als das größte Haustier und das niedrigste Tier am Boden, Vögel und Fische für das Leben in der Luft und auch im Wasser genannt.

Acht Menschen sind es, Noah und seine Frau und die drei Söhne mit ihren Frauen, nochmals als Vordeutung des Alten Bundes, denn am achten Tag geschieht die Beschneidung. Gott befahl allem Geschöpf, sich zu mehren. Das war auch sein Befehl über die Schöpfung selbst und gilt in Israel mit Recht als das erste von 613 Geboten und Verboten in der Thora.

Hier vollzieht sich etwas Ähnliches wie die Schöpfung selbst, eine neue Welt. Die Sprache dieses Textes ist auch zum guten Teil die Sprache der Schöpfung. Aber neuer Anfang, neues Leben ist hier nicht nur positiv gemeint. Erstens geschieht es über ein Reinigungsbad, welches die damalige Welt vernichtet hat, und zweitens (hier sehr wichtig) ist die Ursache dieses Gerichtes nicht aus der Welt geschafft. Denn der Herr sprach: »Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.« So ist auch diese neue Welt schon vorbelastet.

Dies wird bald darauf beim Turmbau zu Babel deutlich. Die Notwendigkeit, nochmals einen neuen Anfang zu machen, tritt ein; diesmal durch einen Mann und ein Volk, nämlich durch Abraham und dann das Volk Israel. Wir denken hier daran, wie auch Israel auf seinen Anfang als Volk in Ägypten zurückgeworfen wird, nach seiner so tiefen Schuld gegen seinen Herrn und dessen Propheten. Ich meine in diesem Sinne die Knechtschaft in Babel.

Aber dieser neue Anfang ist nicht nur negativ, sondern auch zutiefst positiv, denn diese neue Welt beginnt mit dem Zeichen des Friedens, des neuen Lebens, des Heiligen Geistes, durch das Herauslassen ihres ersten Geschöpfes, der Taube. Diese Welt, unsere Welt wird damit ihrem Ziel, ihrem Ende im Tausendjährigen Friedensreich entgegengeführt. Dazu ist die erste menschliche Tat so beschrieben: »Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.« Dieser Gedanke ist dann weiter fortgesetzt in der Übergabe der Zehn Gebote auf zwei Tafeln an Mose (diese erste Tafel hat mit unserer Beziehung zu dem Herrn zu tun, aus der unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen gestaltet werden sollen). Im Alten Bund ist das Opfer das Mittel der Versöhnung mit dem Herrn. Jesus vollendete, was hier vorgedeutet wurde, indem er beide Tafeln Moses in der letzten Tiefe für uns erfüllte, indem er seinem Vater gegenüber absolut gehorsam war und seine Nächsten liebte, sogar seine Feinde ganz und gar, und auch, indem sein Opfer anstelle aller Tieropfer uns Gläubige mit dem Vater versöhnt hat. Im Brandopfer erkannte Noah Gott als Herrscher über alles, was lebt und sich regt, an, auch über sich selbst. Diese Tatsache war damals äußerst gegenwärtig durch die Sintflut und zugleich durch die Errettung von Noahs Arche durch ihren Steuermann, den Herrn selbst.

Unser Text endet mit Gottes Bekenntnis zu seiner Schöpfung trotz des Bösen in unserem menschlichen Wesen. Seine Schöpfung bezeugt seine Ordnung, wie später sein Gesetz seine gegebene Ordnung für unser Leben bezeugen wird; dann wird in Jesu Bergpredigt und Kreuz diese Forderung, diese Ordnung im göttlichen Sinne ausgelegt und vollendet. Hier geht es um die Schöpfung, ihre Errettung und ihre Ordnung: »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« Der Herr ist damit Herr der Natur. Er gibt ihr Anfang, Kraft und Ordnung. Ihre Gesetze sind von ihm bestimmt. Was für ein Unsinn ist es dann, von »Mutter Erde« und von der Natur zu reden, als ob sie eigenmächtig sei und ihre Gesetze aus ihr selbst kämen. Diese pseudowissenschaftliche Einstellung ist fast so primitiv, wie Sonne, Mond und Sterne anzubeten, als ob sie selbst Götter seien. Nein, der Herr hat alles angefangen, er hat seine Gesetze, seine Ordnungen gegeben, und er bürgt dafür.

Was bedeutet dann diese so großartige Schau von Gottes Gericht, Gottes Gnade, Gottes Ordnungen für uns Menschen heute, kurz vor der Wiederkunft unseres Herrn? Durch den Gehorsam eines Menschen, Noah, ist der Weg zu einer neuen Welt angebahnt worden trotz des Bösen in unserem Herzen. Durch einen Menschen, Jesus Christus, der unser Gericht für uns am Kreuz trug, ist der Weg zu einer neuen Welt geöffnet, und zwar durch seine absolute Reinheit für uns, auch in uns. Der Weg dazu geht allein über die Wahrheit selbst, Jesus Christus, damit wir wahres Leben und ewiges Leben in ihm haben können. Wer im Gehorsam zu ihm lebt, der allein hat Zukunft.

Was außerhalb dieses Bereichs der Gnade steht   »Aber Noah fand Gnade bei dem Herrn«  bleibt im Gericht, wird gerichtet. So ist es dann endgültig in Beziehung zu Jesu Kreuz. Wer nicht mit dem Kleid der Gerechtigkeit durch sein Kreuzesblut bedeckt ist, bleibt unter Gottes Zorn, reif für das letzte Gericht. Paulus betont diese biblische Grundwahrheit ständig. Wehe uns, wenn wir das verharmlosen! Aber diese Kenntnis des Gerichtes ist zugleich ein Ruf zur Rettung, zum Heil. Wir sind als Christen gar nicht fröhlich über das Gericht, nur in dem Sinne, daß wir Gottes Gerechtigkeit loben und preisen, aber nicht im Sinne, was den nicht bereuenden Sündern passieren wird. Der Herr möchte viel lieber retten als richten. Wir sind als seine Werkzeuge in die Mission gerufen, hier und jetzt. Alle unsere Gaben sollen für dieses Werk eingesetzt werden wie damals bei Noah, denn die Wiederkunft unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus ist nahe.

Der Herr weiß, wie es wirklich mit uns steht: »… denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf«. Er bejaht nicht die Sünde, aber er wendet sich dem Sünder zu. Der einzige Weg für uns, diese Sünde in uns zu bekämpfen, ist, nicht direkt dagegen vorzugehen (denn der Satan ist zu stark für jeden von uns), sondern wie Noah unser Leben immer fester und tiefer auf den Herrn und seine Gnade zu gründen, damit seine Herrschaft über uns immer größer wird; denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!

 

Gottes Bund mit Noah

Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde. Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich es euch alles gegeben. Allein esset das Fleisch nicht mit seinem Blut, in dem sein Leben ist! Auch will ich euer eigen Blut, das ist das Leben eines jeden unter euch, rächen und will es von allen Tieren fordern und will des Menschen Leben fordern von einem jeden Menschen. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht. Seid fruchtbar und mehret euch und reget euch auf Erden, daß euer viel darauf werden.

Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm: Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch, an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren des Feldes bei euch, von allem, was aus der Arche gegangen ist, was für Tiere es sind auf Erden. Und ich richte meinen Bund so mit euch auf, daß hinfort nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll durch die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe.

Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, daß ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allein lebendigen Getier unter allem Fleisch, daß hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, daß ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.  –  1. Mose 9, 1 – 17

Unser Text hat einen sehr direkten Bezug zur Schöpfung. »Seid fruchtbar und mehret euch … « gilt in der Thora als das erste Gebot. Die Erde soll wieder gefüllt werden. Alles ist leer, alles ist dahingerafft, außer dem, was in der Arche war. Die Erde ist wieder für Menschen und Tiere zugänglich. Nun soll sie auch wieder mit Leben erfüllt werden. Wir haben es hier mit einem Gott des Lebens zu tun. Er segnet das Leben, er steht zum Leben. Diese Einstellung erscheint uns in unserer Zeit merkwürdig. Mehren wir uns? Nur sehr gering. Die Bevölkerung nimmt ständig ab. Die Menschen haben kein Interesse, viele Kinder zu haben   mit wenigen Ausnahmen. Das Interesse am Leben als solchem ist nicht mehr vorhanden. Kinder, warum soll man Kinder haben? Die Frau soll ihre Lebenserfüllung haben, der Mann soll seine Lebenserfüllung haben. Dann spricht man davon, daß die Kinder immer früher in den Kindergarten gehen sollen, sogar schon zweijährige Kinder. Das Leben wird jetzt immer auf Kosten derer ausgetragen, die sich nicht wehren können   der Kinder. Kinder werden massenweise abgetrieben. Jeder soll Selbstverwirklichung finden dürfen; den Kindern gestehen wir dieses Recht nicht zu. Das ist von vornherein ein schlechter Anfang. In dem Moment, in dem kein Lebenswille mehr in einem Volk ist, ist dieses Volk gefährdet. Ich finde es ein wunderbares Zeichen, daß in Israel nach der Tötung von fast sechs Millionen Juden die chassidischen Frauen ein Kind nach dem anderen bekommen. In Israel sind die Frauen ständig schwanger, nachdem es lebensgefährlich war, überhaupt ein jüdisches Kind auf die Welt zu bringen. Aber bei uns sehen wir heute eher die Gefahr, daß viele Leute gar nicht mehr heiraten, daß Kinder im Mutterleib getötet werden und daß der Trend zur Großfamilie ausstirbt.

Wir müssen die Erde erhalten   der Herr wird sie natürlich erhalten  , aber wir müssen auch dazu beitragen, denn das Tausendjährige Reich wird auf dieser Erde sein. Es wird ein Gericht geben, wenn Jesus wiederkommt. Aber die Erde wird dies überstehen und die Tiere werden mit überleben. Man geht zurück zum Anfang. Wie oft vollzieht sich das bei uns im Leben, wie oft kommt es in der Bibel vor, daß man zu einem Anfang zurückkehrt? Ich denke nur an diese schreckliche babylonische Knechtschaft. Das hätte für jedes Volk das Ende bedeutet, außer für Gottes Volk. Israel hatte alles verloren; die Männer wurden ins Exil gebracht oder getötet, die Frauen vergewaltigt und umgebracht, die Kinder wurden an die Wand geschmissen, es war fürchterlich.   Und dann hingeschleppt nach Babel.

Darauf sagten manche, daß der babylonische Gott wohl der stärkere Gott sei, denn er hatte gesiegt. Aber schon Jahrzehnte zuvor waren Propheten aufgestanden und hatten vorhergesagt, daß ein Gericht vom Gott Israels über Israel kommen würde. Aber Israel mußte zum Anfang, zu einer ähnlichen Knechtschaft wie in Ägypten zurück   und Israel hat überlebt, weil es Gottes Volk ist. So werden auch wir überleben, weil wir zum Neuen Bund gehören.
Hier in unserem Text ist die Schöpfung wieder an ihrem Ausgangspunkt. Das wird auch durch die Sprache angezeigt: »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.« Die Erde ist leer, und die Erde wartet auf euch, auf die Tiere und alles, was lebt und sich regt.

»Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.« Ich bin kein Kenner der Biologie, aber man sagt wohl, daß Tiere einen gewissen Respekt vor Menschen haben, daß im allgemeinen Tiere Menschen nicht angreifen (nur wenn sie selbst gefährdet sind, wenn sie selbst angegriffen werden). Ist es nicht auch ein endzeitliches Zeichen, daß wir ganze Tiergattungen durch die Industrialisierung unserer Gesellschaft zugrunde gerichtet haben? Der Friede zwischen Mensch und Tier ist von uns gestört worden. Dieser Friede ist in den Geburtswehen, dem Ende der Tage, bevor Jesus wiederkommen wird, den endgültigen Frieden zu bringen zwischen Menschen und Tieren, sehr gefährdet.

Alle Tiere sind in unsere Hände gegeben. Aber wie sollen wir mit ihnen umgehen? Eine Antwort darauf erhalten wir im Schöpfungsbericht. Wir sollen ihnen Namen geben, sie also in ihrem Wesen beherrschen, dies aber in Gerechtigkeit und Liebe. Viele Menschen zeigen jedoch eine gewisse Verachtung für Tiere. Ich habe keine Verachtung für Tiere. Ich sehe eine direkte Beziehung zwischen Tieren und Gottes Schöpferhand. Auch Tiere sind ein Zeichen von Gottes Schöpferhand. Wer Tiere verachtet, verachtet Jetztendlich auch ihren Schöpfer. Das ist ungefähr das gleiche, wer Juden verachtet, verachtet den Judenkönig. Ich bin jemand, der sehr gerne in den Tierpark geht, genauso gern wie ich in eine Kunstgalerie gehe. Ein Tierpark ist für mich Gottes Kunstgalerie. Es sind eben lebhaftere Bilder.

»Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise … « bedeutet also, daß wir alles essen dürfen. Es gibt christliche Sektierer am Ende der Tage, die das jüdische kultische Gesetz halten wollen, indem sie kein Schweinefleisch und keine Blutwurst essen (als ob nicht in jeder Wurst Blut wäre, nur wenn koscher geschlachtet wird, wird zuerst das Blut auslaufen gelassen). Es steht deutlich in Paulus’ Briefen, daß wir alles essen dürfen. So steht es hier auch nach der Sintflut. Aber das ist nicht die Zielsetzung; diese ist das Tausendjährige Friedensreich, in dem wir in Frieden mit den Tieren leben wie in den Zeiten des Paradieses. Das hier ist nur eine vorläufige Entscheidung. Denn Gott hatte gesagt, daß das Dichten und Trachten des Herzens der Menschen von Jugend an böse sei   auch in dieser neuen Welt. Dies zeigt sich sehr schnell an der Sünde von Noahs Kindern. So ist es auch in unserer Zeit. Wir sind verloren in uns selbst (Röm 7), aber gerettet in Christus (Röm 8). Wir ]eben in einer verdorbenen Welt, die nur durch Gottes Segen, durch Christi Blut erhalten wird. Und in dieser Welt sind alle Speisen für uns erlaubt, ohne daß es deshalb Feindschaft zwischen uns und den Tieren gibt. Aber wenn wir anfangen, wahllos Tiere zu jagen, umzubringen und auszurotten, dann ist diese Harmonie zerstört, und das ist gegen Gottes Willen.

»Allein esset das Fleisch nicht mit seinem Blut, in dem sein Leben ist!« Dies ist ein äußerst wichtiges, gesamtbiblisches Thema. Das Leben ist im Blut, und das Leben gehört Gott. Schon hier gibt es also eine Vordeutung des alttestamentlichen kultischen Gesetzes, bei dem jede Schlachtung mit der Durchtrennung der Halsschlagader begann, damit das ganze Blut auslaufen konnte. Jedes Opfer beginnt damit.

Auch im Neuen Testament ist vom Blut die Rede. Bei der Kompromißlösung beim Apostelkonzil meinte Paulus, daß die Heidenchristen das Gesetz und die Beschneidung nicht einzuhalten bräuchten. Die pharisäischen Judenchristen hielten dies aber für unbedingt notwendig. Der sehr fromme Jakobus machte einen Kompromißvorschlag: Keine Unzucht, keine Kaiser  und Götzenanbetung, kein Erwürgen von Tieren und kein Blutgenuß. Zwei dieser Punkte haben wir beibehalten: Keine Unzucht und keine Anbetung von Götzen. (Wenn man allerdings an das unbedingte Vertrauen denkt, welches manche Staatsführer genießen bzw. genossen haben, dann ist man von der Götzenanbetung nicht mehr weit entfernt.)

Eine Gemeinde von lutherischen Christen in New York hat diese Gesetze bezüglich des Blutes wieder eingeführt, weil es im Neuen Testament steht. Biblisch gesehen ist dies jedoch nicht haltbar, denn nach dem Abendmahl sollten diese Gesetze nicht mehr erneut eingeführt werden.

Beim Abendmahl sagte Jesus: Nehmet und trinket, das ist mein Blut des Neuen Bundes. Dieses Blut steht anstelle von allen Tieropfern. Jedesmal wenn wir Abendmahl feiern, nehmen wir also gewissermaßen das Blut eines Menschen zu uns (was ein noch viel größerer Greuel für einen Juden ist, als das Blut von einem Tier). Die Lösung aus der Apostelgeschichte war deshalb nicht falsch, sondern eine Zwischenlösung, die richtige Lösung für diese Zeit, als die Erkenntnis in der letzten Tiefe noch nicht durchgedrungen war. Aber mit der Zeit hörte man auf, dieses Gesetz zu halten. Paulus sagte, wir könnten Vegetarier sein aus Schwachheit, oder das jüdische Gesetz aus Schwachheit halten. Gänzlich falsch wäre es jedoch, diese Gesetze nur aus dem Streben heraus, absolut fromm zu sein, zu befolgen.

Unsere Art, mit der Bibel umzugehen, ist es, die gesamte Bibel zu sehen. Sektiererisches Denken geht immer von einzelnen Versen aus, Verse, die außerhalb des gesamtbiblischen Rahmens stehen. Wer hat uns das gelehrt, daß die ganze Bibel sich selbst auslegt? Luther und Bengel. Das ist es, was auch wir versuchen sollten. Jede der vielen Sekten nimmt nur einen bestimmten Ausschnitt der Bibel. Die richtige Auslegung ist eine gesamtbiblische Auslegung, die in der Tiefe klarmacht, was jeder Spruch bedeutet. Man muß das Ganze sehen. Manchmal haben wir Schwierigkeiten, das Ganze zu sehen. In unserem Text ist das übergreifende Element der Bezug zum Abendmahl und das, was der Hebräerbrief darüber sagt.

»Auch will ich euer eigen Blut, das ist das Leben eines jeden unter euch, rächen und will es von allen Tieren fordern und will des Menschen Leben fordern von einem jeden Menschen. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.« Hier ist noch einmal ein Rückbezug zum Anfang der Welt. Zuerst ein Rückbezug auf die Schöpfung (»Seid fruchtbar und mehret euch«), dann auf den Brudermord von Kain (das Blut schreit zum Himmel). Ein Rückblick nochmals auf die Auswirkung des Sündenfalls.

Es geht hier um die interessante Frage der Gerechtigkeit, der Sühne des Lebens. Blutrache bzw. der Grundsatz »Auge für Auge, Zahn um Zahn« war in der Zeit des Alten Testaments die übliche Strafbemessung. Allerdings wurde die direkte Bestrafung bald durch die Bezahlung eines entsprechenden »Sühnegeldes« abgelöst. Jesus brachte dagegen einen neuen Grundsatz: Wenn dich jemand auf eine Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin. Das hat Jesus getan, aber wir können dies nicht immer aus uns heraus tun. Aber wenn wir die Macht und die Kraft durch Christus bekommen, dann kann es ein großes Zeugnis für Jesus sein. Wir sehen die Beispiele in den Straflagern in Rußland, wenn Christen geschlagen, mißhandelt und gefoltert werden. Trotzdem beten diese für ihre Peiniger und erzählen jenen von der unendlichen Liebe Gottes. Dies kann für den Peiniger einen ersten Schritt zu Gott bedeuten.

Als ich kurze Zeit in Deutschland war, wurde ich auf der Autobahn von einem Polizisten auf die Seite gewunken. Er machte mich darauf aufmerksam, daß meine Lichter nicht in Ordnung seien. Getreu den Ermahnungen meines Vaters, zu einem Polizisten immer freundlich zu sein, bedankte ich mich höflich und war auch gleich bereit, das Bußgeld zu bezahlen. Der Polizist konnte aus meinem Verhalten nicht schlau werden. Wer ist schon zufrieden, wenn er ein Bußgeld bezahlen soll? Entwaffnend meinte er zum Schluß: »Jetzt weiß ich, warum Sie so zufrieden sind. Sie sind Amerikaner, bei einem Deutschen würde das gleiche Vergehen fast das Doppelte kosten!«

Wie ist das, wenn man dem freundlich begegnet, der wirklich gegen uns ist? Manchmal kann es hilfreich sein, manchmal aber auch nicht. Es gibt Menschen, denen ich jahrelang in Liebe zu begegnen versuchte, die ihre Auffassung von mir aber trotzdem nicht geändert haben. Aber es gibt auch immer wieder andere, die ihre negative Einstellung zu uns dann ändern. Tatsache ist, daß wenn ich mit Haß und Ärger reagiere, sich alles verschlimmert. Deswegen zeigte Jesus uns, wie er selbst reagiert. Wenn wir mit Haß reagieren, herrscht Satan über uns. Wenn wir dagegen mit Liebe reagieren, herrscht Jesus über uns. Das sollten wir uns immer wieder bewußt machen. Diejenigen, die mit Haß gegen das Böse kämpfen, sind selbst im Machtbereich des Bösen. Jesus allein hat Macht über das Böse.

»Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.« Er hat sie zu seinem Bilde gemacht, das bedeutet, er hat auch vor, das wiederherzustellen. Aber mit dem Sündenfall ist dieses Bildgleichnis zerstört (aber nicht für ewig zerstört, sondern das ist der Prozeß der Wiederherstellung, die durch Christus vollendet wird).

»Seid fruchtbar und mehret euch und reget euch auf Erden, daß euer viel darauf werden.« Das ist eine Wiederholung (Unterstreichung).

»Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm: Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch …« Ein Bund mit den Tieren, mit meinem Dackel, mit der Kuh?! Ja, Gott macht auch einen Bund mit den Tieren. So ernst nimmt Gott die Tiere, daß er einen Bund mit ihnen macht.

»… mit allem lebendigen Getier bei euch, an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren des Feldes bei euch, von allem, was aus der Arche gegangen ist, was für Tiere es sind auf Erden.« Gott liebt die Tiere, er hat sie geschaffen, und die Tiere leben in Angst (Röm 8), bis Jesus wiederkommt.

»Und ich richte meinen Bund so mit euch auf, daß hinfort nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll durch die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe.« Der Bund geht immer von Gott aus, und er gibt auch ein Zeichen des Bundes. Der Mensch kann den Bund nicht immer halten. Dies bedeutet aber nicht, daß Gott dann treulos wäre. Der Bund ist kein demokratischer Kompromiß. Gott hat nicht zu Mose gesagt: Nimm fünf Gebote, wenn du willst, die anderen behalte ich, und wir schließen einen Kompromiß. Nein: Dies sind die Gebote, nimm alle! Das ist mein Gesetz für euch, das ist meine ewige Ordnung mit euch, das ist meine Gerechtigkeit, die Wegweisung zum Leben und zum ewigen Leben.

Hat Jesus es uns beim Abendmahl freigestellt, es zu feiern oder auch nicht? Nein, er sagte: Nehmet und esset, das ist mein Leib; nehmet und trinket, das ist mein Blut des Neuen Bundes. Gott stiftet den Bund. Und weil Gott den Bund stiftet, sorgt er für den Bund. Jeder Bund ist ewig. Der Bund mit Noah, der Bund mit Israel, der Bund mit uns Christen. Zu behaupten, daß Gott Israel aufgegeben hätte, ist falsch, denn es geht durch das ganze Alte Testament, daß dieser Bund ein ewiger Bund ist. Er ist Gottes Werk, ein Zeichen seiner Treue. Wenn Gott Israel aufgegeben hätte, hätte er auch uns längst aufgegeben. Unsere Sünde an Jesus ist noch tiefer als Israels Sünde, denn Israel hat eine Binde vor den Augen gehabt, wir dagegen nicht.

Aber was für eine Verflachung im Glauben haben wir hier bei uns, was für eine Zersplitterung unter den Glaubensgemeinschaften, was für einen Haß gegen Israel durch zwei Jahrtausende, gegen Gottes erwähltes Volk. Es ist so viel, was wir gegen Christus taten, auch in seinem Namen. Deshalb können wir eigentlich nur dankbar sein, daß Gott Israel nicht aufgegeben hat. Wenn Gott Israel aufgegeben hätte, hätte er uns schon längst aufgeben müssen. Gott stiftete einen Bund und keinen demokratischen Kompromiß. Aber Gott bürgt auch für diesen Bund und erhält diesen Bund ewig.

»… und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe.« Es wird keine Sintflut mehr geben, die die ganze Zivilisation wie damals verderben, ausrotten wird. Wasser als Zeichen des Gerichts kommt später jedoch wieder vor. Wasser hat immer eine dreifache Bedeutung in der Bibel: Leben, Tod und Reinheit. Beim Auszug aus Ägypten (am Schilfmeer) geht das Volk Israel durch das Wasser (d.h. es wird gereinigt, denn am dritten Tag sollte geopfert werden). Die Heiden, die Ägypter werden ins Meer, ins Gericht geworfen. Israel ist zu neuem Leben in dem Herrn gereinigt. Hier bedeutete das Wasser Leben und Reinigung für Noah und seine Arche. Ein so allumfassendes Gericht hat es seither nicht mehr gegeben. Es geschehen immer wieder große Überschwemmungen, aber es ist keine weltumfassende Sache, wie es bei Noah der Fall war.

»Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes … « Warum merken wir nicht, daß das Wort »Zeichen« ständig durch die ganze Bibel geht, zum Beispiel die Zeichenhandlungen der Propheten oder Jesu Zeichenhandlungen? Warum denken wir immer wieder, daß das Wort von dem Bild zu trennen ist? Das ist ein absolut falsches Verständnis reformatorischer Theologie, Wort und Bild zu trennen, denn die Bibel redet durch eine Bildersprache. Bild und Wort sind eine Einheit, und wir sollten lernen, dies zu erkennen. Wer Augen hat zu sehen, der sehe, und wer Ohren hat zu hören, der höre! Und Johannes redet ständig so: Das ist das erste Zeichen, die Hochzeit zu Kana. Und das läuft durch die ganze Bibel. Das bedeutet, was Gott tut, ist auch sichtbar, weil Leib, Geist und Seele eine unzertrennliche Einheit sind. Zeichen sind Symbole des Unsichtbaren wie zum Beispiel das »Zeichen des Bundes«.

Es gibt immer wieder physisch spürbare, erlebbare Zeichen. Beim Abendmahl geht das bis ins Leibliche hinein. Was taten schon die Israeliten, als sie Gott am Sinai begegneten? Der letzte Satz heißt: »Und sie aßen.« Alles wird bis in den Leib hinein verwirklicht. Deshalb besudelt ein Jude, wenn er Schweinefleisch oder unkoscheres Fleisch ißt, nicht nur seinen Leib (das wäre einfach, wenn das nur seinen Leib besudeln würde), sondern auch seinen Geist und seine Seele. Es geschieht eine vollständige, umfassende Besudelung der ganzen Person, denn biblisch gesehen, sind Leib, Geist und Seele eine Einheit.

»Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier (immer wieder auch die Tiere) bei euch auf ewig. Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt … « Warum solch ein Zeichen? Wo kommt der Regenbogen nochmals in der Bibel vor? Bei Jesus Sirach, ein Apokryphenbuch (in der katholischen Bibel, die Hieronymus übersetzt hat, gehört es zum Grundbestand, bei uns ist es ein Buch der Apokryphen), bei Hesekiel (1,28) in bezug auf Gottes Herrlichkeit und Herrschaft, zweimal in der Offenbarung (vor allem in 4,3, wo ein Regenbogen um den Thron steht und daneben sitzen 24 Älteste, je 12 für den Alten und 12 für den Neuen Bund, als Zeichen der Einheit des Bundes). Der Regenbogen ist somit ein Zeichen des Bundes und der Herrlichkeit Gottes.

Warum Regenbogen? Warum gerade so ein Bild? Wir müssen erkennen, was hinter diesem Bild steckt. Wie die segnende Auswirkung der ausgestreckten Hände Jesu symbolisiert auch der Regenbogen einen umfassenden, die Himmel umfassenden, umhüllenden Schutz. Der Bogen als Zeichen des Segens, Zeichen des Bundes und Schutzes umfaßt das Ganze, alles, was da ist. Möglicherweise entspringt der jüdische Brauch, im Tor Recht zu sprechen, aus diesem Symbol. Die Form der Tore entsprachen in etwa der Form des Regenbogens.

Ich sehe aber noch eine andere Thematik in diesem Bild. Jesus sagte uns, daß wir das Licht der Welt sein sollen. Aus uns selbst sind wir wie der Mond   kalt und ohne Leuchtkraft, nur fähig, von außen zugeführtes Licht zu reflektieren. Die Sintflut, der viele Regen ist mit der Dunkelheit vergleichbar, doch dann sendet Gott wieder Licht, farbenprächtige Lichtbrechungen. Gott erhellt die Dunkelheit in uns, wie der Mond mit dem Abglanz des Sonnenlichtes erhellt wird. Gott hält uns, er läßt kein unbändiges, unbegrenztes Übel zu. Warum besteht die Welt immer noch? Wenn so viel Übel in dieser Welt ist, wenn so viele Menschen da sind, die versuchen, maßlos umzubringen, warum besteht dann diese Welt immer noch? Weil sie unter Gottes Schutz ist.

Ein anderes Zeichen seines Schutzes sind die Schafe. Auch ein Bild, das durch die ganze Bibel geht. Schafe können sich kaum wehren, aber sie haben bis heute überlebt. Das ist das Zeichen für seine Gemeinde. Er ist der Hirte, und wir sind seine Schafe. Gott erhält diese Welt, trotz dem bösen Dichten und Trachten des menschlichen Herzens; als Zeichen dafür gab er den Regenbogen und später das Bild der Schafe. Dahinter steckt die Erhaltungskraft des Schöpfers, der auch zu uns steht.

»Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.« Hier geht es noch einen Schritt weiter. Zuerst spricht Gott von Menschen, dann von Menschen und Tieren und jetzt von der ganzen Erde. Die Erde ist ein lebendiger Teil seiner Schöpfung; ein Teil, der erhalten werden soll   bis hin zum kriechenden Gewürm (nicht nur wegen seiner Niedrigkeit). Alles gehört dem Herrn. Es gehört nicht der Naturwissenschaft oder dem Glauben an Naturgesetze – was für eine Ideologie ist das! Die primitiven Menschen glaubten, daß Sonne und Mond Götter wären. Aufgeklärte, sogenannte vernünftige Menschen glauben heute oft, daß Naturgesetze eine Art Gott seien. Woher kommen Naturgesetze? Woher kommt Ordnung? Ordnung kann sich nicht selbst schaffen. Viele der klügsten Naturwissenschaftler waren und sind gläubig.

»Und wenn es kommt, daß ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken.« In der Dunkelheit ist das Licht. »Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.« Aus der Dunkelheit kommt Licht; aus dem Zeichen des Untergangs, den Wolken, dem Regen der Sintflut ist Gottes Antwort das Licht und der Regenbogen.

»Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, daß hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, daß ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist.« Hier ist der klarste Beweis, daß ein Bund kein Kompromiß ist. Könnten Tiere einen Bund mit Gott schließen? Das macht diese Vorstellung eines demokratischen Kompromisses als Bund lächerlich. Gott schuf den Bund. Gott ist der Schöpfer; er ist der Erlöser, er ist der Handelnde. Im 23. Psalm steht zum Beispiel »um deines Namens willen«, nicht um meinetwillen zuerst, sondern um seines Wesens willen führt Gott uns. Denn wer Gott groß macht und sich selbst erniedrigt, der wird groß, aufgehoben von dem Herrn. Das ist das Geheimnis unseres Glaubens. Wer an die Vernunft glaubt, an das Menschsein, das Menschliche in den Mittelpunkt stellt, der Men¬schen groß macht (wie in der Renaissance und Aufklärung), der wird vom Herrn erniedrigt werden.

»Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.« Merkt Ihr, ein Abschnitt endet mit der Wiederholung »Seid fruchtbar und mehret euch und reget euch auf Erden, daß euer viel darauf werden«, eine Wiederholung des Zentralen, die Erde steht für euch bereit. Auch dieser zweite Abschnitt endet mit einer Wiederholung: den abermaligen Verweis auf das Zeichen des Bundes, des Schutzes und der Erhaltung. Deswegen können die Menschen sich wieder vermehren, weil Gott unter ihnen ist, und sie erhält die ganze Erde mit all den Tieren und Menschen, denn er ist der Herr.


Noahs Söhne

Die Söhne Noahs, die aus der Arche gingen, sind diese: Sem, Ham und Jafet. Ham aber ist der Vater Kanaans. Das sind die drei Söhne Noahs; von ihnen kommen her alle Menschen auf Erden. Noah aber, der Ackermann, pflanzte als erster einen Weinberg. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag im Zelt aufgedeckt. Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er’s seinen beiden Brüdern draußen. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider Schultern und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und ihr Angesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen. Als nun Noah erwachte von seinem Rausch und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, sprach er: Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte! Und sprach weiter: Gelobt sei der Herr, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! Gott breite Jafet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems, und Kanaan sei sein Knecht!
Noah aber lebte nach der Sintflut dreihundertundfünfzig Jahre, daß sein ganzes Alter ward neunhundert-undfünfzig Jahre, und starb.  –  1. Mose 9, 18 – 29

Es gibt kein zentrales Geschehen in der Bibel, man kann suchen wie man will, wo nicht Fluch und Segen vorhanden sind. Es gibt niemals nur Fluch, und es gibt niemals nur Segen. Sogar beim Sündenfall, wo alles verflucht zu sein scheint, wird gesagt, daß einer kommen wird, um der Schlange den Kopf zu zertreten. So ist es mit allen zentralen Ereignissen, zum Beispiel das Erlebnis Israels am Schilfmeer: Segen für Israel, Fluch für Ägypten, für die Welt. Was ist dann Jesu Kreuz? Es ist auch Fluch, er trug den Fluch des unerfüllbaren Gesetzes nach der Bergpredigt (und »… ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott«, 5. Mose 21,23), damit wir diesen Segen (wenn wir unter seinen segnenden Händen stehen, unter seinem Kreuz) erhalten. Wenn wir aber nicht unter diesem Segen sind, dann sind wir im Fluch. Das ist eine untrennbare Einheit. Wer nur Segen predigt, kann seine Gemeinde unter den Fluch bringen, weil er Gottes Gerechtigkeit nicht zeigt. Wer nur Fluch predigt, weiß nichts von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Es gibt kein zentrales Ereignis in der Bibel, wo nicht beides vorhanden ist. Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit sind eine untrennbare Einheit, Gottes Zorn und Gottes Gnade, wie Luther uns sagt. Jede Predigt, die eine biblische Predigt ist, muß deshalb beides enthalten. Auch bei der Sintflut war beides enthalten: Segen für Noah und seine Familie, Fluch über die Welt. Es gibt immer nur ein Entweder Oder. Deswegen muß jede Predigt eine deutliche Aussage haben (wie in der Bibel), es gibt nur zwei Wege. Auch Jesus sagte, es gäbe nur den schmalen und den breiten Weg, den Segen und den Fluch. Der Weg des Segens ist immer der schmale Weg. Das ist bei der Sintflut, dem Schilfmeer und bei der Nachfolge Jesu zu erkennen.

Ein weiteres Thema, das hier angesprochen wird, sind Verwandtschaftsbeziehungen (1. Mose 10). Interessant ist hier die ungeheuer deutliche und zentrale Vordeutung des Kampfes zwischen Israel oder Isaak und Ismael in Sem und Ham. Denn wer ist Ham? Ham ist der Vater Kanaans, damit ist Ham der Vertreter der arabischen Welt. Er ist der Vertreter der PLO, der Vertreter ihrer versprochenen Macht. Kusch weist auf die Äthiopier hin. Aber Kusch ist auch eine endzeitliche Erscheinung; die Kuschiten sind laut Hesekiel (38;39) einer der Mitverbündeten des Antichristen. Wiederholt werden Kanaan und die Philister die Hauptfeinde Israels im Alten Testament genannt. Sidon ist der Ort, woher Isebel stammte, das böseste Weibsbild in der Bibel (Luthers Sprache), die diesen endzeitlichen Götzen, Baal, nach Israel brachte. In Sidon war auch das Zentrum der Macht der Palästinenser. Gaza (der Gazastreifen) ist eine der fünf Philisterstädte.

Aber das Zentrum kreist um die Feinde Israels. Kanaan, Philister, Sidon und die Kuschiten, die Mitverbündeten des Antichristen. Was für eine besondere Verheißung haben sie? Stärke. Nimrod, der erste wirklich Starke, Gewaltige. »Der war der erste, der Macht gewann auf Erden.« Was ist die besondere Verheißung an Ismael? Macht und Stärke, aber nicht der Segen Gottes. Heute sehen wir diesen Machtkampf zwischen der großen arabischen (islamischen) Welt und dem kleinen Israel, auf dem Gottes Segen liegt.

Interessant ist natürlich auch die Linie Sems, von dem Abraham abstammt. Jafet bezieht sich zugleich auf die Inseln, von denen Jesaja redete (das ist der berühmte Text für die Missionare, damit das Heil bis zu den Inseln gehen wird). Jafet hat eine doppelte Aussage, denn durch Jafet wird das Heil zu den Inseln, zu den Heiden, gehen. Aber auch der Antichrist kommt aus Jafet, Tubal. Doch: »Von diesen haben sich ausgebreitet die Bewohner der Inseln der Heiden. Das sind die Söhne Jafets nach ihren Ländern, ihren Sprachen, Geschlechtern und Völkern«. Doch die Philister haben keine Zukunft. Es könnte wohl sein (ich weiß nicht, was Gott vorhat), daß sie einen Staat bekommen, aber dieser Staat würde dann im Krieg vernichtet werden. Ich sehe keine Verheißung und keine zentrale Rolle der Philister, der PLO, Kanaan, Ham, in Gottes zukünftigem Heilsplan.

»Die Söhne Noahs, die aus der Arche gingen, sind diese: Sem, Ham und Jafet. Ham aber ist der Vater Kanaans. (Sofort weiß man, mit wem man es zu tun hat.) Das sind die drei Söhne Noahs; von ihnen kommen her alle Menschen auf Erden. Noah aber, der Ackermann… Das hier ist sehr bedeutungsvoll, denn fast alle zentralen, positiven Gestalten in der Bibel sind Hirten, keine Ackermänner. Der erste Ackermann war Kain.

»… pflanzte als erster einen Weinberg.« Der Weinberg ist ein zentrales Bild der ganzen Bibel (z.B. Jes 5: Das Lied über den Weinberg). Der Weinberg bezeichnet das, was Gott gehört, was Gott pflegt. Weinberg bedeutet im Alten Testament Israel, denn Israel ist Gottes Weinberg. Aber es gibt auch diese verhängnisvolle Aussage Jesu, daß im Weinberg nicht genug getan wurde, daß er nicht richtig gepflegt wurde. Deshalb werden sie aus diesem Weinberg vertrieben, andere werden kommen, diesen Weinberg zu übernehmen. Das ist die Vordeutung der Zerstreuung Israels. Der Neue Bund wird dann diesen Weinberg in der Mission bis an der Welt Ende pflegen. Aber (wie es auch in Lk 21 steht) der Heiden Zeit wird zu Ende gehen. Das sehen wir auch deutlich. Israel, der Feigenbaum, fängt immer mehr zu blühen an (im Glaubenssinn zuerst in bezug auf den Gott Israels, nicht direkt zu Jesus). Erst geschieht eine Rückbesinnung auf den Gott Israels, dann wird Jesus kommen, und sie werden ihn annehmen, den sie durchbohrt haben, und werden ihre ganze Geschichte in Jesus Christus sehen, ihre ganze Leidensgeschichte. Der Weinberg ist etwas, das Gott gehört, es ist Land und Volk Israel zugleich.

Hier in unserem Text spielt vor allem der Wein eine Rolle. Er steht in der Bibel zunächst für Freude. Wein erfreut des Menschen Herz. Aber Wein, und wir sehen das hier bei Noah, kann auch sehr leicht mißbraucht werden. Alles, was Freude bringt, kann auch leidbringend sein – eine umkehrende Bedeutung. Diese Art von Umkehrung sehen wir auch in der Zahl 10, denn sie bedeutet die 10 Gerechten, aber auch 10 Ungerechte (z.B. die 10, die das verheißene Land nicht übernehmen wollten) oder die 10 verlorenen Stämme, die abgefallen sind. Die 10 Gebote, die dann zu Stein geworden sind, weil Israel sie nur als Lippenbekenntnis angenommen hat. So kann Wein die Umkehrung von Freude bringen, er kann zu Leiden führen. Wir sehen das hier bei Noah.

Auch im Neuen Testament spielt Wein eine sehr zentrale Rolle. Bei der Hochzeit zu Kana sind 6 leere Krüge (6 Tage der Schöpfung, das Schalom Gottes, der 7. Tag, die Vollendung, Gottes Ruhe und Gottes Am Ziel Sein, Jesus Christus ist vorhanden). Maria kommt und sagt: »Tu etwas.« Aber Jesus sagt: »Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Das bedeutet, daß seine Handlung eine Vordeutung ist, die dann später erfüllt wird. Seine Aufforderung, die Krüge mit Wasser zu füllen, steht für Reinheit. Doch Jesus verwandelte dieses Wasser in Wein (»Nehmet und trinket, das ist mein Blut des Neuen Bundes«). Das ist eine Vordeutung auf die endgültige Hochzeit, die wir als seine Gemeinde (und auch Israel) in seinem Reich feiern werden; dann würdig durch seine Reinheit, welche in seinem Kreuzesblut ist, zeichenhaft durch diesen Wein. Abendmahl steht somit für Reinheit in seinem Reich. Die Hochzeit zu Kana ist nur eine Vordeutung darauf.

Wie der Wein von Freude zu Leid führt, so führt umgekehrt Jesu Kreuzesblut vom Leiden zur Freude.

Aber noch etwas anderes geschieht hier: Die Wiederholung der Erbsünde. Was passiert mit Noah? Noah, der mit Gott als der Gerechte wandelt, wird entblößt. Auch Adam und Eva erkannten, daß sie nackt, entblößt waren. Das bedeutet, die neue Welt, die dieser gerechte Mann gründete, kehrt zurück zur Erbsünde. Das passiert genauso in der neuen Welt der Apostelgeschichte (in der Geldgier von Ananias und Saphira). Steht es doch am Ende der Sintflut, daß das Dichten und Trachten des Menschenherzens immer noch böse ist. Hier wird das sogar durch den gerechten Noah offenbar. Er trinkt zuviel; Trunksucht, nennen wir die Sache beim Namen, er ist betrunken, und er ist nackt. Nackt wie Adam und Eva, das bedeutet, in seiner Schwachheit entblößt. Aber damit zugleich auch hilflos. Wie bei Adam und Eva geht es nicht nur um körperliche Nacktheit, sondern um geistige und seelische Nacktheit. Alles ist nun klar – er, der gerechte Noah, ist ein Sünder, genauso wie Adam und Eva.

So geht es aber noch anderen großen Glaubensmännern. Elia, zum Beispiel, läuft, nachdem er gegen 850 Propheten und Baalspriester gesiegt hat, vor einer Frau weg (wie ein Feigling). Gerade in dem Moment, wo Elias Größe gezeigt wird, wird auch sein absolutes Versagen offenbart. So ging es auch Noah. Er wandelte sogar mit Gott (nur Henoch und er wandelten mit Gott), und gerade nach der Sintflut, seiner großen Zeit des Gehorsams (wie bei Elia), kommt das große Versagen: ein Ausdruck dessen, was Gott theoretisch sagt, daß das Dichten und Trachten des Menschenherzens immer noch böse ist. Das wird hier am Beispiel des besten Menschen jener Zeit vollzogen. Doch durch das Versagen Noahs, durch das Versagen Elias, durch das Versagen der Jünger im Passionsgeschehen, durch alles das wird uns gezeigt, wie notwendig Jesus Christus für uns ist. Wir sind alle Versager, auch der große Noah. Menschen versagen häufig nach ihren größten Siegen.

Noah hatte einen Weinberg, und dieser sollte gepflegt werden. Das ist neues Land, wie dann Israel neues, heiliges Land wird (und dann das neue Israel). Aber aus der Pflege, die Noah tut, verdirbt er sich mit diesem Wein, besudelt er sich und entblößt seine eigene Erbsünde.

»Noah aber, der Ackermann, pflanzte als erster einen Weinberg. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag im Zelt aufgedeckt.« Einfach entblößt, bloßgestellt. Ich denke hier an die Hirten, die dann an der Herde versagt haben (Jer 23, Hes 34, Sach 11). Hier versagt er an seinem eigenen neuen Land, das er pflegt, an seinem Weinberg. Er versagte nicht an der Arche Gottes, an der Gemeinde, aber hier an dem, was er pflegte (wie die Hirten, die die Herde nicht weiden konnten).

»Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er’s … « Die Wiederholung von Kanaan weist schon hier auf die Philister, wie die Einwohner des Landes zur Zeit Josua und die damit verbundene Erbfeindschaft.

»Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er’s seinen beiden Brüdern draußen.« Mit welchem Hintergedanken hat er es wohl gesagt? Er sagte es sicher nicht aus Mitleid (»Schade, daß Vater zu viel getrunken hat«), sondern in einer Art von Gehässigkeit (»Ha, schaut mal unseren Vater an, er kann sich nicht benehmen«). Bedeutet das etwa Gehorsam gegen den Vater (»Ehre Vater und Mutter«)? Wir sind aber nicht dazu da, die Blöße unserer Eltern zu offenbaren, sondern sie zu überdecken. Das tun wir aber nur selten. Öfters wollen wir uns selbst durch die Schwäche unserer Eltern profilieren. Noah war seither immer der Gerechte, der Beispielhafte, der Führende. Aber jetzt sagt Ham: »Ha, schau ihn an, den Frommen, wie er wirklich ist, der Gute!«

Diese Art von Reden kennen wir auch gut: »Ha, schaut sie euch an, die frommen Leute in der Kirche« (wenn wir irgend etwas tun, wenn uns etwas nachgesagt wird): Das ist genau die gleiche Art: »Ha, das ist der fromme Noah, der immer das Richtige getan hat; schaut ihn aber jetzt an, er ist betrunken.« In dieser Art geht sein Sohn mit ihm um. Er möchte sich selbst profilieren, indem er sich über den Vater, dem er immer gehorcht hat, lächerlich macht. Das hat er in entscheidenden Momenten getan, aber jetzt nicht mehr. Jetzt ist er glücklich über die Schwäche des Vaters. Es ist menschliche Sünde, daß wir oft glücklich sind, wenn wir von der Schwäche eines anderen hören und deshalb glauben, daß uns das etwas besser macht.

Ich kann mich erinnern, daß ich als Kind häufig Halsweh bekommen habe. Die erste Frage, die ich dem Arzt immer gestellt habe, war: »Bin ich der einzige Kranke, oder gibt es noch viele andere?« Wenn ich hörte, daß noch viele andere krank waren, war ich glücklich. Aber wenn ich gehört hatte, daß ich der einzige war, dann war ich sehr traurig. Das ist Sünde. Aber das steckt zugleich sehr tief in uns. Wir predigen den sündlosen Jesus Christus und seine Heiligkeit, nicht unsere Sündlosigkeit und unsere besondere Frömmigkeit. Wer ständig nur predigt, was wir als Christen tun sollen, der predigt die Gemeinde in das Pharisäertum hinein. Denn dann kommt alles nur auf meine Werke an, und das ist Werkgerechtigkeit. Wer aber die Heiligkeit Christi predigt, wie klein, sündig und begrenzt wir sind, der predigt den Weg der Heiligung. Denn wer um die Größe und die Heiligkeit Christi und wie klein und gering seine eigene Person ist, weiß, öffnet den Weg der Heiligung, die nicht aus meinen Werken kommt, sondern von Christus. Denn meine Frömmigkeit kommt nicht aus mir, sondern ist Antwort auf das, was Christus für mich tut. Wer bei der Predigt die zweite Tafel Moses in den Mittelpunkt stellt, predigt letzten Endes Pharisäertum. Wir müssen immer von der ersten Tafel ausgehen. Eine biblische Predigt verkündigt die Heiligkeit Christi und geht von dort aus zu der zweiten Tafel, aber nur von dort aus. Das bleibt das Zentrum. Denn Heiligung ist nichts, was ich tun kann, sondern was Christus an mir als armem, schwachem und verlorenem Menschen tut. Meine Frömmigkeit ist eine Antwort auf das, was er für mich tut.

Viele Leute wünschen sich ständig eine praktische Predigt. Sie möchten Ratschläge und Tips, wie sie leben sollen. Das ist Pharisäertum. Wir predigen keine guten Ratschläge, wie der Mensch gut sein soll, sondern wie verloren wir sind und wie in Christus das einzige Heil ist. Er kann an uns als der Heilige wirken und uns durch seine Größe und Liebe näher zu sich bringen, weil wir sonst verloren sind. Die erste Tafel ist die Mitte unseres Glaubens. Daraus resultiert dann die zweite.

Doch weiter. Was jetzt folgt, ist eine orientalische Eigenheit.

»Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er’s seinen beiden Brüdern draußen. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider Schultern und gingen rückwärts hinzu…« (Das klingt fast wie die Ehrfurcht vor einem König.) Sie überdeckten ihn mit einem Kleid. Das ist das Kleid der Gerechtigkeit. Dieses Kleid steht in Beziehung zu den Fellen der Tiere, die Gott für Adam und Eva opferte, um ihre Blöße zu bedecken. Dieses Kleid zur Überdeckung unserer Blöße, unseres Sündenfalls, unseres Verlorenseins kommt immer wieder in der Bibel vor. Nicht durch meine Werke, nicht durch meine Frömmigkeit, nicht durch mein Christsein, sondern durch das, was Jesus für mich getan hat, überdeckt er meine Blöße. Wer tut das hier? Sem, ein Vorfahre Abrahams und damit auch von Jesus Christus. Und Jafet? Jafet steht für die Heiden, an die sich Jesus Christus durch seinen Missionsbefehl hinwendet. Jesus sandte seine Jünger zunächst nicht zu den Heiden, sondern zu den Juden (den verlorenen Schafen des Hauses Israel; Mt 10). Wenn die Heiden jedoch zu ihm kamen, so wies er sie nicht ab (z.B. der Hauptmann von Kapernaum).

Die Hinwendung zu den Heiden geschieht symbolhaft bei der Kreuzigung Jesu. Dort warfen vier Heidenknechte das Los um sein Kleid, das dann in alle vier Himmelsrichtungen zu den Heiden gehen wird, um deren Blöße zu überdecken. Das Kleid der Erwählung ist ein zentrales Motiv der Bibel (Josephs Kleider der Erwählung; das Kleid bzw. der Mantel der Propheten). So sind schon in die Urgeschichte viele Motive der weiteren Heilshandlung Gottes hineingelegt.

»Da nahmen Sein und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider Schultern … «
Dies »beider Schultern« weist auf die beiden Bünde, die gegründet werden: der Bund mit Israel und der mit dem neuen Israel, den Heiden, durch das Kleid der Gerechtigkeit, Jesus Christus. Der König der Juden, um dessen Kleid (Gerechtigkeit) bei seiner Kreuzigung das Los geworfen wurde.
»… und ihr Angesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen.« Ham, der andere Sohn, der den Weg zum Islam bereitet (zu Nimrod, zu Kanaan, zu den Philistern, zu den Palästinensern) geht diesen Weg nicht. Er sieht gerne den Entblößten. Aber diese beiden anderen nicht; sie wollen die Schwachheit des Vaters nicht sehen, weil sie wissen, daß sie selbst auch nicht besser sind. Er bleibt auch in seiner Schwäche ihr Vater, dem sie gehorchen, denn sie wissen, daß sie genauso fallen können. Wenn wir die Sünde und die Schwäche der anderen sehen. sollten wir dadurch auch unsere Sünde und Schwäche erkennen.

»Als nun Noah erwachte von seinem Rausch und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, sprach er: Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte!« Hier schon wird dieser Widerspruch in den Arabern, der PLO, im Islam angedeutet. Auf einer Seite geknechtet, auf der anderen üben sie große Macht aus. Beides steckt drin: Nimrod, der erste große Machtherrscher, die Verheißung an Ismael (eine Machtverheißung): Auf der anderen Seite aber ein Knecht aller Knechte. Wenn man die Geschichte des Islam kennt, sieht man beide Seiten sehr deutlich. Es ist jetzt wieder ein Ruf in der islamischen Welt, Israel zu vernichten.

Der Islam hatte ursprünglich eine ungeheure Zeit der Stärke unter Mohammed und seinen Nachfolgern. In kürzester Zeit hat der Islam gut ein Drittel der Welt erobert: Jerusalem, der ganze Nahe Osten bis tief nach Asien, eine Machtausdehnung in der Weltgeschichte mit dieser Geschwindigkeit und dieser Organisation, die man vielleicht nur mit Rom (aber Rom hat viel länger dafür gebraucht) vergleichen kann. Große Machtentfaltung und schneller Verfall gingen und gehen Hand in Hand. Heute erleben wir wieder eine große Gefahr durch die Macht der fanatischen, islamischen Staaten (Ölwaffe).

Auch der islamische Einfluß auf unsere Kultur ist nicht zu leugnen. Manche Wörter, wie Alkohol oder Aprikosen, kommen aus dem arabischen Wortschatz. Auch ein Einfluß auf die Bildhauerei, auf die Poesie, auf die Medizin und Philosophie ist zu erkennen. Auf der einen Seite steht die große Machtentfaltung, doch dann erfolgt eine ungeheure Schwäche (z.B. der Zerfall des türkischen, des Osmanischen Reiches). Jetzt am Ende der Tage vollzieht sich nochmals eine Machtentfaltung, ob anscheinend oder in Wirklichkeit, das ist die Frage. Ist es eine Scheinmacht, oder ist es eine wirkliche Macht? Ich glaube von der Bibel her, daß es eine wirkliche Macht ist. So erscheint auch hier wieder ein Widerspruch, aber das ist typisch biblisch. Wie zum Beispiel das Wasser (Leben, aber zugleich auch Tod), so steht auch Ham bzw. Kanaan für positive und negative Dinge.

»Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte!« Eine Verfluchung wird hier gesprochen, als die anderen Brüder einen Segen bekommen. Der Islam ist jedoch der am schnellsten wachsende Glaube der Welt (in Frankreich soll der Islam die zweitgrößte Religionsgemeinschaft außer dem Katholizismus sein; in England gibt es mehr Menschen, die in die Moschee gehen als Engländer in die anglikanische Kirche). Das ist sehr bedenklich, denn der Islam ist ein fanatischer Glaube. Und Moslems beten einen Götzen an. Der Gott des Islam und der Gott Israels ist nicht der gleiche. Das ist absolute Irrlehre. Denn wie kann der Gott des Islam und der Gott Israels der gleiche sein? Der Haß auf Israel gehört genauso zum Islam wie der Heilige Krieg zum Beispiel gegen Christen. Der Islam hält Jesus für einen minderwertigen Propheten, einen Vorläufer von Mohammed. Wie kann ein Christ dann behaupten, daß es der gleiche Gott sei? Der gleiche Gott wie der Gott Israels, den Jesus angebetet hat und der Jesus selbst gleich ist?

Die Verfluchung gilt dafür, einen Götzen anzubeten, der auf der einen Seite ungeheure Macht besitzt, aber zugleich immer wieder als Nichts entblößt wird (z.B. durch die Propheten im Alten Testament). So wird auch die Macht des Islam zerstört werden, wenn Jesus Christus wiederkommt und Israel von seinen Feinden errettet ist. Ihre anscheinende Macht wird im Nu verschwinden, denn es ist göttlich gesehen nur eine Seifenblase. Der Islam ist ein Götze und hat letzten Endes keine Macht; er bekam nur eine begrenzte Scheinmacht, eine weltliche Macht, aber keine geistliche Macht, die Bestand hätte.

»Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte! Und sprach weiter: Gelobt sei der Herr, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! « Das bedeutet, daß es niemals passieren kann, daß die PLO oder die arabische Welt Israel am Ende der Tage endgültig zerstören wird. Das letzte Wort spricht nicht der Gott des Islam, sondern der Gott Israels, und das ist Jesus Christus. Er wird das letzte Wort sprechen, indem er mit Vollmacht zum Ölberg kommt. Glaube wird Berge versetzen – der Ölberg wird gespaltet werden (Sach 14). Israel wird getauft werden (»sie werden ihn annehmen, den sie durchbohrt haben«), »der Geist der Gnade und des Gebets wird über ganz Israel ausgegossen werden« (siehe Sach 12, 10), und es wird eine schreckliche Schlacht gegen diesen anscheinend mächtigen Herrscher Magog der Sowjetunion und die Verbündeten von den islamischen Ländern geben (Hes 38 , 39).

 

Der Turm zu Babel

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laßt uns Ziegel streichen und brennen!   und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.  –  1. Mose 11, 1 – 9

Wer die Bibel sehr bewußt liest, mit den sich wiederholenden Bildern, welche auch dieses Wort Gottes im Alten und Neuen Testament zu einer Einheit machen, kann folgendes bemerken: Die Sprache des Turmbaus, die Art von Arbeit und wie sie verrichtet wird, führt in einen ganz anderen Zusammenhang: Zur Arbeit des Volkes Israel in der Sklaverei in Ägypten.

»… laßt uns Ziegel streichen und brennen!   und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel … « Sind nicht die Menschen zu Babel auch in einer Art von Gefangenschaft? Gerade in ihrer Überheblichkeit sind sie in Erbsünde gefangen   »… damit wir uns einen Namen machen …« Wir sind die Herren der Namen, wir wollen so groß und mächtig sein wie Gott, deswegen soll die Spitze dieses Turms bis in den Himmel hinaufreichen. »… dies ist der Anfang ihres Tuns.« Ja, hier erfolgt ein Rückblick auf den Sündenfall und eine Vorausschau auf die Gefangenschaft in Ägypten.

Dann: »So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder … « Dies erinnert an Gottes Drohung Israel gegenüber, falls dieses Volk sich nicht an seine Satzungen und Verheißungen halten würde. Israel wird aus der Einheit in seinem Land zerstreut werden; genauso werden hier die Menschen zu Babel zerstreut, aber dazu wird noch ihre Sprache verwirrt, so daß keine geistige Einheit mehr vorhanden sein kann, um ihr »böses Tun« weiter fortzusetzen.

Dieses Thema, Sprache als Einheit und die Verwirrung der Sprache, ist auch ein wichtiges gesamtbiblisches Thema, denn Sprache bedeutet Schöpfung (durch das Wort); Sprache bedeutet auch der Ruf zur Umkehr durch die Propheten zum wahren Leben im wahren Gott; und Jesus Christus ist das Wort, welches Fleisch geworden ist. Zu Pfingsten, mit der Ausrüstung, der neuen Gemeinde zur Mission, wird diese Sprachverwirrung überwunden, indem die Jünger in allen Sprachen der Anwesenden predigen können. Das bedeutet, daß in Jesus Christus eine neue Einheit aus den zerstreuten Völkern wiederhergestellt wird; die wahre und endgültige Einheit in seinem Namen   nicht in unserem; in seinem Tun (Kreuz und Auferstehung)   und nicht in unsrem Tun.

Aber das Zentrum unseres Textes ist der Turmbau selbst und die Überheblichkeit der Menschen, daß »wir uns selbst einen Namen machen«. Steht es nicht deutlich in unserer Bibel, daß wir Gottes Namen heiligen sollen und nicht unsren?
Vor kurzem las ich in der Zeitung, daß viele Kirchen in Holland nicht mehr als Kirchen benutzt würden und daß ihre Einrichtungen wie Altar, Taufbecken, Kirchenschmuck usw. versteigert würden. Warum? Aus zwei Gründen: Zum einen, weil der Kirchenbesuch so weit zurückgegangen ist, daß es sich nicht mehr lohnt, so viele Kirchen in einer Stadt (in diesem Fall Amsterdam) zu erhalten. Von 65 katholischen Kirchen hoffen die Kirchenverantwortlichen 12 bis ins Jahr 2000 zu erhalten.

Die andere Seite dieses Problems ist der Materialismus. Der Grundstückspreis in der Stadt steigt ständig. So wird dieser Materialismus zugleich zu einem neuen Glauben. Aber derjenige, der diese Versteigerung durchgeführt hat, mahnte, daß es eine Zeit geben wird, in der es die ganze Stadt sehr reuen wird, was jetzt passiert. Hunderte von ehemaligen Mitgliedern dieser Gemeinden sind zu der Versteigerung des Ortes gekommen, wo sie bzw. ihre Vorfahren getauft, konfirmiert, getraut und dann auch beerdigt wurden. Ein neuer Babelsturm ersteht an der Stelle, wo diese Kirchen waren, neue Zeichen des materiellen Fortschritts in einer Stadt, die jetzt von Drogenhändlern und Dirnen überschwemmt wird. Ich denke in diesem Sinne auch an die niedergebrannten jüdischen Synagogen hier oder die, welche jetzt als Scheunen von anderen benutzt werden.

Diese Geschichte vom Turmbau zu Babel ist die Geschichte des modernen Menschen, vor allem während der letzten zwei Jahrhunderte. Vor 200 Jahren, 1789, ereignete sich die Französische Revolution, welche in vieler Hinsicht positiv zu bewerten ist (Menschenrechte). Aber mit dieser Revolution fing die menschliche Vernunft an, offizieller Maßstab aller Dinge zu werden. Man begann in Überheblichkeit einen neuen Kalender, im Namen der menschlichen Vernunft mit dem Jahr 1   anstelle des Kalenders, welcher mit der Geburt Jesu anfing. Dieser neue kollektive Aufstand gegen Gott und seine Ordnungen durch menschliche Vernunft endete in einem Blutbad und einem Regime des Terrors bis hin zur Herrschergestalt Napoleon.

1917 begann der Bau des zweiten großen modernen Babelturms, welcher, wie die Französische Revolution und Napoleon, auch die menschliche Vernunft in den Mittelpunkt stellte und auch nach einer neuen menschlichen Einheit strebte – die Kommunistische Revolution. Gott wurde für tot erklärt, und alle jenseitigen Hoffnungen wurden diesseitig, materiell verstanden. Wir kennen nur allzugut die Auswirkungen dieser Revolution: Archipel Gulag, Massenmord und Terror, Schauprozesse, systematische Unterdrückung der Christenheit – und das alles im Namen der Vernunft. Der Herr aber zerstört jeden Götzen gerade an der Stelle, an der dieser Götze sich in Selbstverherrlichung zum eigenen Gott macht. So bei dem Turmbau zu Babel: statt Einheit, Zerstreuung und auch Verwirrung der Sprache; statt einem Turm bis in den Himmel, eine zerbrochene Hoffnung. Der Glaube an die menschliche Vernunft ab 1789 und ab 1917 führte zur Unvernunft, zu Haß, Krieg und Unterdrückung, war gegen die Menschheit gerichtet, aber angestiftet im Namen der Vernunft und der Menschheit.

1933 kam die dritte große Revolution der modernen Zeit, jetzt im Namen der Einheit eines Herrenvolkes, gegründet auf Blut und Boden, Gewalt, ein Tausendjähriges Reich im Namen von Volk, Vaterland und Führer. Alle diese Begriffe sind üble Nachahmung von wahren biblischen Begriffen wie auserwähltes Volk, verheißenes Land, ein Tausendjähriges Friedensreich unter der Herrschaft Gottes über Volk und Land. Diese Gewaltherrschaft eines Volkes führte zu seiner gewaltigen Zerstörung und der Teilung dieses Volkes wie nach dem Turmbau oder wie in Israel nach Salomos Tod, nachdem er Götzen und Götzenhäuser für seine zahlreichen Frauen nach Israel gebracht hatte.

Was können und sollen wir also heute aus dem Turmbau zu Babel lernen? Wir sollten mit großer Vorsicht jede Art von Materialismus betrachten, welcher materielle Güter, Technologie auf Kosten der wahren Bedürfnisse des Menschen anstrebt. Unsere westliche Gesellschaft ist trotz ihres äußerlichen Reichtums zutiefst arm, arm im Glauben und deswegen auch arm in Beziehung zur zweiten Tafel Moses, im wahren mitmenschlichen Bereich. Unser technologischer Aufschwung, unser Hab und Gut kann nicht die Einsamkeit, die Armut im Geist, im Glauben und im mitmenschlichen Bereich überdecken. Jedes Streben nach Einheit, ob in der Kirche oder in Europa als Ganzes oder wie und wann auch immer, sollte von uns Christen mit kritischem Abstand betrachtet werden, denn wir sehen im Turmbau zu Babel und in der Geschichte, daß solche Einheit auch sehr gefährlich sein kann, vor allem für unsere Seele. (Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?) Auch eine starke, einheitliche Kirche kann zur eigenen Machtentfaltung kommen wie zur Zeit vor der Reformation, und die Bibel warnt uns vor so einer einheitlichen, satanischen Babelskirche am Ende der Tage.

Diese Babelsturm-Gefahren sind nicht nur kollektiv gemeint, sondern auch im persönlichen Bereich. Viele suchen Stärke im Staat, in Ideologien, in materiellem Wohlstand, und sie vergessen, daß der Herr Jesus Christus »in den Schwachen mächtig ist«. Lassen wir uns nicht einschüchtern von Reichtum, den Produkten des Reichtums, von Massenbewegungen und -veranstaltungen. Lassen wir uns aber das einheitliche Wort der Bibel, welches in Jesus Christus Fleisch geworden ist, unsere wahre Stärke, unsere Orientierung sein. Wer auf diesen wahren Fels sein Leben gründet, baut fest für jetzt und auch für die Ewigkeit.

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Weltkommunismus

Kurt E. Koch

Der Weltkommunismus

– Entnommen dem Buch OKKULTES ABC, Seiten 679-689, von Horst Koch, Herborn, 2009 –

In der Hauptsache werden drei Männer für das Aufkommen des Weltkommunismus verantwortlich gemacht: Karl Marx (gestorben in London 1883) – Uljanow Lenin (gestorben 1923 in Gorki bei Moskau) – Josef Stalin (gestorben 1953).

Diese drei Männer haben einen großen Teil der Welt in ein Meer von Blut und Tränen verwandelt. Es sind absichtlich nur die Jahre angegeben, in denen diese drei Größen des Abgrundes vom Schauplatz der Erde abgetreten sind. Der Prophet Jeremia sagt in 17,13: „Der Name der Gottlosen müsse in den Sand geschrieben werden.” Das heißt, der erste Windstoß oder die erste Wasserwoge wischt den Namen aus. Ihr Name und Gedächtnis vergeht.

Leider ist das aber nicht vergangen, was diese drei Männer gesät haben. Ihre Drachensaat ging nicht hundertfältig, sondern tausendfältig auf.

Karl Marx war Sohn eines jüdischen Anwaltes. Seine Lebensgeschichte zeigt die Entfaltung revolutionärer, atheistischer Ideen. Nach seinem Studium war er journalistisch tätig. Wegen seiner radikalen Anschauungen mußte er seine Stellung als Chefredakteur der „Rheinischen Zeitung” aufgeben. Er hat so viel Ärger ausgelöst, daß die preußische Regierung verlangte, daß Marx aus Paris ausgewiesen wurde. Er siedelte dann nach London über, wo er sich einer Satansloge anschloß. Über seine Zugehörigkeit zu den Illuminaten steht in dem betreffenden Kapitel. Ich verweise auf das Buch Wurmbrands „Karl Marx und Satan”.

Die Opposition gegen jede Form einer Religion zeigt sich schon in seiner Frühschrift: „Die Kritik der Religion als Voraussetzung jeder Kritik.” Marx äußert in dieser Schrift einige seiner revolutionären Ideen. Die Kritik an jeder Religion hat damit zu enden, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei. Die Religion sei nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewege, solange er sich nicht um sich selbst drehe. In diesem Zusammenhang steht das geflügelte Wort: „Religion ist das Opium für das Volk.” Der französische Soziologe Raymond Aron, in seiner Jugend selbst Marxist, schloß an diese Aussage von Marx die Erklärung an: „Der Marxismus ist das Opium für die Intellektuellen.”

Vor einigen Jahren suchte ich Material zur Person und Politik von Marx zusammen. Typisch für seine menschenverachtende Ideologie ist sein Bekenntnis: „Meine Aufgabe ist es, die Menschheit in die Hölle zu ziehen. Dort werde ich lachen über sie.” (Zitiert bei Richard Wurmbrand in „War Marx ein Satanist?”)

Eine ähnliche Aussage fand ich in der Broschüre „An ideology for South Africa” von Francis Grim. Darin heißt es auf Seite 10:

„What grater challenge could there be for Christians than todirectly oppose the design of  Karl Marx, the writer of the Communist Manifest and the father of Communism, who said: ,The sole purpose of my life is to destroy God and to dethrone Him forever.” Auf deutsch heißt das: „Was kann es für einen Christen eine größere Herausforderung geben, als der Absicht von Karl Marx direkt zu widerstehen. Er ist Schreiber des ,Kommunistischen Manifestes` und Vater des Kommunismus, der erklärte: ,Der einzige Zweck meines Lebens ist, Gott zu vernichten und ihn für immer zu entthronen.’ “

Lenin war ebenfalls wie Karl Marx Mitglied eines Satansklubs. In dem Buch von L. Trotzki „Der junge Lenin” (Fischer Verlag) heißt es: „Bei Lenin, dem Begründer des modernen Kommunismus, vollzog sich die Aufnahme in eine Satanssekte, indem er auf das Kreuz spie und auf ihm herumtrat.” – Viele Satanskulte praktizieren die gleiche Zeremonie bei dei Aufnahme von Mitgliedern.

Den Lebensweg dieses revolutionären Politikers hier darzustellen, ist nicht Aufgabe dieses Buches. Nur einige kurze Hinweise sollen gebracht werden. Seit 1912 sammelte und vereinigte er als geschickter Organisator russische revolutionäre Gruppen. Seit 1914 hielt er sich in der Schweiz auf und wurde im April 1917 in einem geschlossenen Eisenbahnwagen nach Rußland geschafft, um die russische Kampfkraft zu unterhöhlen. Das war ein verhängnisvoller Schachzug der deutschen Heeresleitung. Der Friede mit Rußland kam zustande, aber kurze Zeit später vollzog sich eine schaurige Revolution. Lenin räumte mit allen Gegnern rücksichtslos auf. 1922 gründete er die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR). Seine politische Einstellung ist eine Weiterentwicklung des Marxismus und zugleich eine Entfaltung einer ungeheuren Machtgier und radikalen skrupellosen Beseitigung der Gegner. Es gibt kein anderes politisches System, das derart brutal die Menschen versklavt.

Wie diese Versklavung der Völker erreicht werden soll, ist in einem Buch Nr. 3926 des Britischen Museums in London aufgezeichnet. Daraus werden einige Leitbilder und Instruktionen zitiert:

1.  Die Jugend durch falsche Grundsätze verderben.
2.  Das Familienleben zerstören.
3.  Die Menschen durch eigene Laster beherrschen.
4.  Die Kunst entweihen und die Literatur beschmutzen.
5.  Die Achtung vor der Religion vernichten.
6.  Priester in Skandalgeschichten verwickeln.
7.  Grenzenlosen Luxus und verrückte Moden einführen.
8.  Mißtrauen zwischen sozialen Schichten säen.
9.  Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverhältnisse vergiften.
10. Das Volk gegen die „Reichen” aufwiegeln.
11. Die Landwirtschaft durch Industrie ruinieren.
12. Löhne ohne Vorteil für die Arbeiter erhöhen.
13. Feindseligkeit zwischen den Völkern hervorrufen.
14. „Ungebildete” regieren lassen. (Freies Wahlrecht).
15. Gestrauchelte Regierungsbeamte erpressen.
16. Vermögenschluckende Monopole schaffen.
17. Durch Wirtschaftskrisen Weltbankrott vorbereiten.
18. Massen auf Volksbelustigungen konzentrieren.
19. Menschen durch Impfgifte gesundheitlich schädigen.
20. Grundbesitze mit Rittern vom „Goldenen Kalb” besetzen.
21. Den Todeskampf der Völker vorbereiten, die Menschen durch Leiden, Angst und Entbehrungen erschöpfen . . . denn . . . Hunger schafft Sklaven.

Die Verwirklichung dieser Prinzipien hat die kommunistischen Länder zu Zuchthäusern verwandelt. Ein Christ aus den sowjetischen Gefängnissen konnte einen Brief nach dem Westen schmuggeln. Er schrieb: „Die Sowjetunion ist für uns ein riesiges Konzentrationslager, innerhalb dessen es noch zusätzliche Kerker und Orte der Bestrafung gibt. Man hat uns verurteilt, weil wir gläubig sind und unsere Kinder im Glauben erziehen . . . Nach der schlechten Behandlung in den Lagern sind wir nicht mehr lebenstüchtige Bewohner dieser Erde, sondern nur noch armselige Kreaturen . . . Brandschwarze Verleumdungen und Lügen wurden erfunden und die Bevölkerung gegen uns aufgehetzt, indem man uns Ritualmorde anlastete. Unsere Frauen schmerzt es, wenn Kinder gezwungen werden, der Ocobryata oder den Pionieren beizutreten (Komm. Jugendorganisationen). Es ist erschreckend, zu welch wahnsinnigen, erpresserischen Mitteln die Lehrer greifen, wenn unsere Kinder sich weigern, die Abzeichen der Gottlosigkeit (Stern und rotes Halstuch) zu tragen . . .”

Durch Mord und Terror ist es Lenin gelungen, seine Pläne zu verwirklichen. Er nahm ein schreckliches Ende. Ich erinnere mich gut an die Zeit, da Lenin starb. Damals war ich noch Schüler. Eines Tages kam unser verehrter Religionslehrer in den Unterricht und erzählte uns von den Ereignissen beim Tode Lenins. Lenin starb in geistiger Umnachtung. Er kroch wie ein Tier auf dem Fußboden umher und bat Tische und Stühle um Vergebung für seine Greueltaten. Dieser Götze von Millionen von irregeführten Menschen wurde also noch vor seinem Tode gestürzt wie der Gotteslästerer Herodes (Apg. 12,23).

Der dritte in dieser schauerlichen Reihe muß genannt werden: Josef Stalin. Was Karl Marx philosophisch und journalistisch gesät und Lenin mit vollendeter Technik organisiert hat, ist bei Stalin zur verbrecherischen Reife gelangt. Ein Zeitgenosse urteilte über ihn: „Er war kein Mensch, sondern ein Teufel.” Sein Vater war ein versoffener Flickschuster, seine Mutter eine gläubige Frau, die aus ihrem Sohn einen Priester machen wollte. In der Tat gelang ihr die Aufnahme ihres Sohnes im Priesterseminar in Tiflis. Nach vierjähriger Seminarzeit wurde er wegen revolutionärer Ideen weggeschickt.

Stalin gewann sich zunächst das Vertrauen der ärmsten Volksschicht, der besitzlosen Landarbeiter, indem er die begüterten Bauern, die Kulaken, enteignete und sie liquidierte. Bis in die Mitte der dreißiger Jahre hatte er sechs Millionen Kulaken umbringen lassen.

Das Militär machte sich Stalin gefügig, indem er die fähigsten Kommandeure verhaften und nach einem Schauprozeß hinrichten ließ.

Auch vor der eigenen Partei machte er nicht halt. In großen Säuberungsaktionen hat er die Partei auf fast die Hälfte dezimiert.

Nobelpreisträger Alexander Sacharow schrieb im Jahr 1968 zu diesen Massakern: „Allein in den Jahren 1936-1939 wurden mehr als 1,2 Millionen Mitglieder der Partei verhaftet. Nur 500.000 kamen mit der Zeit wieder frei. Die anderen wurden bei Verhören zu Tode gefoltert, erschossen oder sind im Arbeitslager umgekommen.

Wie war Stalins Ende, der getreu in den Fußstapfen seines Vorgängers Lenin wandelte? Dem „Arche Blatt” vom Mai 1977 entnehme ich folgendes: „Am 21. Dez. 1952, ein halbes Jahr vor seinem Tode, rief Stalin 12 seiner treuesten Genossen des obersten Sowjets zu sich und verkündigte ihnen sein politisch-ideologisches Testament.” Es können nur einige Einzelheiten gebracht werden, weil dieses letzte Vermächtnis dem Rahmen dieses Kapitels sprengen würde. Es heißt darin:
„Genossen, noch nie in der Geschichte der Menschheit hat eine Heilslehre in so kurzer Zeit sich ein solches Riesenreich erkämpft wie der Kommunismus … Vom großen Ozean bis zur Elbe ist alles in unserer Hand, denn die sogenannten Satellitenstaaten geben wir nicht mehr her. Mehr als 22 Millionen Quadratkilometer mißt die Sowjetunion allein. Dazu kommen die Länder, die durch Hitlers Wahnsinn und die Naivität der Amerikaner uns in den Schoß gefallen sind: Polen, Ostdeutschland, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Estland, Lettland und Litauen nicht einmal gezählt. Dazu kommen die starken kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich und viele unserer Freunde in Asien, Afrika und Südamerika. Genossen, im Kampf um Rußlands Weltherrschaft haben wir eine wunderbar zügige Parole, ganz anders als Hitler, der meinte, nur am deutschen Wesen könne die Welt genesen. Wir Russen reden hintenherum . . . Die Idee des Kommunismus zieht die Armen der ganzen Welt unter ihren Bann. Diesen Armen verkünden wir die frohe Botschaft von der Verteilung der irdischen Güter an alle . . . Die Lehre vom Kommunismus treibt die Schäflein der ganzen Welt in die russische Hürde … Bald werden alle Völker nach Moskau wallfahren. Moskau wird das neue Jerusalem sein . . .

Unser alter Marx hat den Slogan geprägt: Religion ist Opium für das Volk. Er hat damit den Menschen das Gewissen herausgeschnitten. Und ein Mensch ohne Gewissen kennt keine Verantwortung vor einem Gott. Auch ich habe mir von Marx und Lenin das Gewissen herausschneiden lassen. Meine moralische Norm 68heißt jetzt: Gut ist, was uns Russen nützt, was uns zur Weltherrschaft bringt. Schlecht ist, was uns daran hindern will. Offen sage ich euch: Wir stellen die Gewalt und Lüge in unseren Dienst. Ja, ihr müßt alles versprechen und nicht halten … Auf den Köder des Kommunismus beißen die unreifen und unerfahrenen jungen und auch alte Menschen an, sogar viele Intellektuelle …
Der Kommunismus ist für Narren eine süße Droge … Wer muckst, wird in die sibirische Kühltruhe gesteckt. Resümieren wir kurz: Kommunismus ist unser Opium für die Völker. Unsere Außenpolitik heißt List und Intrige, unsere Innenpolitik ruht auf dem Terror! Unser Ziel ist: die Weltherrschaft.” . . .

Die zwölf auserwählten Jünger Stalins klatschten 10 Minuten lang Beifall. In dem Lärm des Klatschens hörte keiner das Gemurmel Chruschtschows: „Aber Liebknecht hat doch schon gesagt: ,Wenn es einen Gott gibt, so sind wir Kommunisten die Geleimten!'” – Nachdem der Beifall verebbt war, hob Stalin nochmals die Faust, und alles war augenblicklich mäuschenstill. „Genossen”, sprach er mit lauter Stimme, „vergeßt eines nicht: Redet immer vom Frieden, bereitet aber immer den Krieg vor! Zu Hause, in Rußland, dürft ihr mit groben Schuhen einhergehen. Im Westen aber schleicht auf leisen Sohlen umher, bis auch der Westen unser ist!”

Stalin müßte heute 20 Jahre nach seinem Tode die Liste der kassierten Länder vervollständigen. Vietnam kam dazu, Kambodscha, Afghanistan, dazu die durch kommunistische Revolutionen von innen her eroberten Länder. Mozambique wäre zu nennen, Angola, Äthiopien, Simbabwe usw. Insgesamt stehen allein auf dem Kontinent Afrika mehr als 20 Länder unter kommunistischem Einfluß. Kein Wunder, daß viele meinen, daß der Antichrist aus dem kommunistischen Weltreich kommt. Ich folge dieser Meinung nicht, sondern meine immer noch, daß dieser Machtmensch der Endzeit sich aus dem wiedererwachten römischen Weltreich erhebt. Ein Streitpunkt ist es aber für mich nicht.

Streiflichter aus dem kommunistischen „Paradies”.

Es liegt so viel entsetzliches Material vor, daß es unmöglich ist, das alles zu berichten. Das gäbe nicht nur viele Bände, sondern eine ganze Bibliothek. Das meiste Material ist dem sehr zu empfehlenden Magazin von Wurmbrand „Stimme der Märtyrer” (Mai 1983) entnommen. Ich besitze auch Originalberichte aus Nordkorea, Kambodscha, Rhodesien (Simbabwe) und anderen kommunistisch regierten Ländern. Dazu einige Berichte.

Der Missionar James Stuart berichtete kürzlich aus Mozambique (Afrika) über die Verhaftung eines Christen mitsamt seiner Frau und seinen vier Kindern. Die Kinder waren aneinandergekettet. Die Kommunisten drückten der Frau eine Axt in die Hand und erklärten ihr: „Wenn du deinem Mann den Kopf abschlägst, lassen wir dich und deine Kinder frei. Wenn du dich weigerst, werden wir es tun und auch den Kindern den Kopf abschlagen.” Der Christ bat seine Frau, sich dem Wunsch der Mörder zu fügen. Zögernd holte sie zum Schlag aus, brachte ihm aber nur eine Verletzung bei, an deren Folgen er später starb. Die Frau wurde wahnsinnig. Was mit den Kindern geschah, ist nicht bekannt.

Den Kommunisten macht es nichts aus, solche Greueltaten zu verüben. Je größer das Übel ist, desto weniger glaubwürdig erscheint es. Jahrelang wollte die Welt nicht glauben, zu welchen Untaten Stalin fähig gewesen war. Präsident Roosevelt hatte ihn den „guten Onkel Joe” genannt. Die Kommunisten verlassen sich auf diesen psychologischen Trick und begehen absichtlich Scheußlichkeiten, die sich andere Menschen kaum vorstellen können. –

Kommunisten und die Kirchen (Juni 1983)

Die Kommunisten töten die Leute nicht nur einzeln, sondern auch in Gruppen. Lenin hat ja gelehrt: „Grundsätzlich haben wir nie auf Gewaltanwendung verzichtet und werden nie darauf verzichten können.”

In Nicaragua drangen uniformierte Kommunisten in eine Kirche ein, vergewaltigten fünf Musawa-Indianerinnen – darunter zwei zwölfjährige Mädchen – und töteten sie anschließend. Als nächste wurden sechs Gottesdienstbesucher, die gegen die Vergewaltigung protestiert hatten, auf der Stelle erschossen. Später mußten unzählige andere ihr Leben lassen. 40 Dörfer der Musawa-Indianer fielen der Zerstörungswut zum Opfer, das Vieh wurde geschlachtet und die Ernte vernichtet. In Tulinbila überführen die Kommunisten 13 Kranke in die katholische Kirche und steckten das Gebäude dann in Brand. Der evangelische Pfarrer Abel Flores und 13 kirchliche Mitarbeiter wurden vor einem Jahr verhaftet. Seither hat man nichts mehr von ihnen gehör. („Deutsche Tagespost”, 18. Dezember 1982.)

Im kommunistischen Mozambique (Afrika) starb der katholische Priester Estevao Mirassi nach drei Jahren Gefangenschaft. Andere sind immer noch eingekerkert. Viele Kirchen wurden geschlossen. Diejenigen Pfarrer, welche die Kommunisten unterstützten, bevor diese an die Macht kamen, werden inzwischen die wahre Natur ihrer neuen Herrscher erkannt haben. Vorher hatten sie sich als Freiheitskämpfer ausgegeben.
In Kambodscha töteten die Kommunisten drei Millionen Unschuldige und trachteten danach, jede Form von Religion auszumerzen. Von den 5000 Christen, die es in diesem Lande vor der Machtübernahme durch die Kommunisten gab, sind heute die meisten nicht mehr am Leben. Bischöfe, Priester, Mönche, Nonnen und evangelische Geistliche wurden umgebracht oder gingen an den Folgen der erlittenen Qualen zugrunde. Zur Zeit lebt im ganzen Lande noch ein einziger protestantischer Pfarrer.
In Vietnam floh jeder der konnte, von Schrecken gepackt, vor den Kommunisten. So kam es, daß eine halbe Million Vietnamesen einschließlich vieler Christen im Meer ertranken oder von Piraten ermordet wurden.
In China verbüßten 100.000 religiöse Führer Freiheitsstrafen. Tausende verloren ihr Leben gewaltsam.

Folter in Kuba (Juli 1983)

In Kuba befindet sich der Christ Valladares nach 22jähriger Gefangenschaft seit einiger Zeit wieder auf freiem Fuß. Der UNO-Kommission für Menschenrechtsfragen schilderte er, wie die herzlosen und so präzisen Kommunisten ihre Gefangenen behandeln: „Fässer mit Exkrementen und Urin wurden über die Gefangenen gegossen. Eloj Menojo wurde derart zusammengeschlagen, daß er sein Gehör und ein Auge verlor. Der sterbende Roberto Chavez hatte Durst und bat um Wasser. Ein Aufseher versprach ihm: ,Ich werde dir etwas zu trinken geben` und urinierte in seinen Mund.
Russische, tschechische, ostdeutsche und kubanische Ärzte machten die Gefangenen absichtlich krank; dann verwendeten sie sie noch als ,Versuchskaninchen`. Der evangelische Prediger Gerardo Gonzales Alvarez wurde erschossen. Seine letzten Worte waren: ,Vater vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.` Enrique Correa versuchte, dem tödlich verwundeten Prediger zu helfen und wurde dabei selbst von neun Kugeln getroffen; aber er überlebte.
Hunderte von Gefangenen vegetieren immer noch in unterirdischen Zellen dahin, wo sie kein Sonnenstrahl erreicht. Ebenfalls erschossen wurden Gonzalez, Reloba und Rodolfo Alonso. Alonso war 21 Jahre alt.”
Christliche Persönlichkeiten aus Westeuropa waren in Kuba auf Besuch, als sich diese Greuel abspielten. Sie kehrten in ihre Länder zurück und teilten mit, in den kubanischen Gefängnissen befänden sich keine Christen. Sie hatten die Schreie der Gefolterten nicht gehört. Als ich diese Tatsachen veröffentlichte, griff mich einer der christlichen Führer an und warf mir vor, ich hätte alles erfunden. Nun bestätigt der christliche Glaubensheld Valladares jedes Wort, das ich gesagt habe. Der Kommunismus ist ein Monstrum, und wer ihn mit milderen Worten beschreibt, täuscht die anderen oder ist selbst getäuscht worden.

Ein idea-Bericht über Afghanistan (1983) von Rudolf Pfisterer

Mehr als drei Jahre nach ihrem Einmarsch in Afghanistan greifen die sowjetischen Besatzungstruppen zu immer grausameren Mitteln, um das Land unter Kontrolle zu halten. Grund: Die Aktivität islamischer Widerstandsgruppen – die Bevölkerung ist zu 99 Prozent moslemisch – ist ungebrochen, und die afghanische Armee wird immer schwächer. Sie hat nach Angaben eines nach Pakistan geflüchteten Generals mehr als 65.000 Soldaten verloren. Viele von ihnen seien zu den Widerstandsgruppen übergelaufen. Zur Zeit stehen in den afghanischen Streitkräften wahrscheinlich nur noch rund 15.000 Mann unter Waffen.

Je mehr das moskauhörige Regime in der Hauptstadt Kabul seine Schwäche offenbart, desto intensiver werden die Terrormaßnahmen der sowjetischen Besatzer. Die Zivilbevölkerung hat darunter zu leiden. Erst kürzlich tauchten überall im Land kleine Sprengsätze auf: bunt bemalt wie Spielzeug, Uhren und Füllhalter. Der amerikanische Schauspieler Kirk Douglas, der ein Flüchtlingslager an der afghanisch-pakistanischen Grenze besuchte, war entsetzt: Kinder, denen die Beine abgerissen worden waren, lernten gerade, auf ihren Stümpfen zu laufen. Ganze Ortschaften wurden von den Sowjets mit Napalm und Phosphor bombardiert, Moscheen und Krankenhäuser nicht verschont. Die Sondergefängnisse, in denen mutmaßliche Sympathisanten gefoltert werden, füllen sich. 5200 Menschen sollen im letzen Jahr in einer Strafanstalt in der Nähe Kabuls gefangengehalten worden sein. Ein Freigekommener faßte seine Eindrücke in einem einzigen Satz zusammen: „Alles ist dort schrecklich.”
Eine Medizinstudentin berichtete von brutalen Verhörmethoden. Nachdem maw in ihrer Wohnung ein Flugblatt des Widerstandes gefunden hatte, wurde sie im Polizeihauptquartier von sechs Beamten einer intensiven „Behandlung” unterzogen: vierzehn Tage und Nächte mußte sie aufrecht stehen, wurde mit Elektroschocks gequält und immer wieder mit Vergewaltigung bedroht. Zur Einschüchterung führte man sie durch Schreckenskammern, wo sie sich menschliche Körperteile – Arme und Finger – ansehen mußte. Man zwang sie, der Entmannung eines Gefangenen beizuwohnen. Der Sterbende flüsterte ihr zu: „Meine Schwester, gestehe niemals, halte dich gut.” In diesem Gefängnis befanden sich noch vierzig weitere Frauen. Eine von ihnen verlor fast den Verstand, weil man sie immer wieder mit dem abgeschnittenen Arm eines Menschen schlug.  –  Kein Wunder, daß der Flüchlingsstrom nach Pakistan nicht abreißt.

Ohne Blutbad keine Revolution

Das ist ein Wort Lenins, das mit einer grauenvollen Statistik untermauert werden soll. Die französische Zeitschrift „Figaro” vom November 1978 brachte einen Bericht über die Blutopfer, mit denen die Kommunisten ihre Weltrevolution bezahlten und immer noch weiterfinanzieren. Was hat der Kommunismus es sich an Menschenleben seit der russischen Revolution 1917 kosten lassen? Die „Figaro-Statistik” sagt folgendes aus:

1. Menschenopfer des Kommunismus in der UdSSR von 1917-1959  66.700.000

2. Menschenopfer in der UdSSR von 1959 bis 1978 (nach Mindestschätzungen) 3.000.000

3. Menschenopfer des Kommunismus in China 63.000.000

4. Das Blutbad von Katyn 10.000

5. Während der Vertreibungen von 1945-1946 getötete deutsche Zivilisten 2.923.700

6. Kambodscha von April 1975-April 1978  2.500.000

7. Unterdrückung in Ost-Berlin, Prag, Budapest, sowie in den Ländern des Baltikums 500.000

8. Kommunistische Angriffe auf Griechenland, die Malaiische Halbinsel, Birma,    Philippinen, Korea, Vietnam, Kuba, Schwarzafrika und Lateinamerika 3.500.000

insgesamt: 142.133.700

Nicht nur, weil sich ungezählte Christen unter diesen Millionen befinden, sondern auch weil der gottlose Kommunismus zur Stunde blutgierig nach neuen Opfern Ausschau hält, ist es unsere Pflicht, unsere Mitmenschen vor dieser Ideologie zu warnen.

Diese Statistik müßte auf neuesten Stand gebracht werden, weil in den letzten fünf Jahren seit dieser Figaro-Veröffentlichung noch einige Millionen Opfer dazu kamen.

Es gibt irregeführte oder schlecht informierte Christen, die eine solche Schreckensbilanz anzweifeln. Dann werden sie aber gebeten, einmal in ihrer Bibel nachzulesen, daß solche Greuel schon einmal gegen Christen verübt worden sind. Am globalen Ausmaß haben aber die kommunistischen Greuel die Opfer der Christenverfolgungen in der alten Kirche übertroffen. Da viele Namenchristen keine Bibel lesen – von den Ungläubigen ganz zu schweigen – soll die markanteste Stelle über die Christenverfolgungen zitiert werden. In Hebräer 11,36-38 heißt es: „Etliche haben Spott und Geißeln erlitten, dazu Bande und Gefängnis. Sie wurden gesteinigt, zerhackt – zerstochen, durchs Schwert getötet. Sie sind umhergegangen in Schafspelzen und Ziegenfellen, mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach. Deren die Welt nicht wert war, und sind im Elend umhergeirrt in den Wüsten, auf den Bergen und in dem Klüften und Löchern der Erde.”

Wir sind im Blick auf all diesen Jammer aufgerufen, für unsere bedrängten Brüder und Schwestern zu beten. Wir im satten Westen haben die Fürbitte aber noch nötiger, damit uns die Augen aufgehen über unser geistliches Elend und den endzeitlichen Charakter der Gegenwart.

> Herr Jesus, komme bald und mache diesem teuflischen Terror und unserer Verstocktheit und Blindheit ein Ende. Ja, komme bald, Herr Jesus. <

Entnommen dem Buch OKKULTES ABC, von 1984. – Wie hat sich dies alles die letzten 25 Jahre bestätigt, und wird es eine ähnliche islamische Verfolgungswelle für die Gemeinde Jesu geben? – Horst Koch, Herborn, 2009.

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Schöpfungsbericht (E.Sauer)

Erich Sauer

DER KÖNIG DER ERDE

Ein Zeugnis vom Adel des Menschen nach Bibel und Naturwissenschaft

–  Auszug  –

 

DIE REIHENFOLGE DER SCHÖPFUNGSWERKE IM EINZELNEN

1. Die Tatsache einer Weltschöpfung an sich.

»Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre.
Ihr Schall pflanzt Seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, Ihn preisen die Meere:
Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!«
(Chr. F. Gellert).

Gott hat Himmel und Erde gemacht (1. Mo. 1, 1; Kol. 1, 16).

»Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort…. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist« (Joh. 1, 1. 3).

Durch diese seine Botschaft von einer alleinigen Weltursache und einer Weltschöpfung aus Nichts durch den ewigen Gott steht der biblische Offenbarungsglaube und in Sonderheit der biblische Schöpfungsbericht unendlich erhaben über allen Weltentstehungslehren der heidnischen Umwelt mit ihren oft mythologischen Ausschmückungen und Überwucherungen.

a. Biblischer Schöpfungsglaube und babylonischer Weltenstehungsmythos.

Der höchststehende heidnische altorientalische »Schöpfungs«(?)mythos ist der babylonische. An jedem Neujahrstage wurde er in Babylon, dieser Zentralstadt der Kultur der alten Welt, in der öffentlichen, offiziellen Festliturgie feierlich zur Verlesung gebracht. Aber wie stellt er den Vorgang des Weltwerdens dar?

Er schildert die Weltenstehung als einen Kampf zwischen Marduk, dem Gott des Lichts, dem Stadtgott von Babel, mit einem finsteren, chaotischen Ungeheuer Tiamat. Er bewegt sich also von vornherein in einem grundsätzlichen Dualismus. Schließlich trägt Marduk den Sieg über Tiamat davon. Das Ungeheuer wird getötet. Seine Leiche wird in Stücke zerlegt, und aus den Stücken dieser Leiche wird die Welt aufgebaut.

So sieht dieser höchste Weltenstehungsmythos, den die alte Kulturwelt hervorgebracht hat, das »Schaffen« eigentlich nur als ein siegendes »Gestalten« an, als ein Niederringen bereits vorhandener, chaotischer Widerstände, nur als ein »Formen« eines schon vorher bestehenden, gegebenen Materials. Zu der Vorstellung einer Weltschöpfung aus Nichts durch einen alleinigen, allmächtigen Gott vermag sich das babylonische Denken nicht emporzuschwingen. Hier kann nur die Offenbarung Gottes selbst das wahre Licht schenken.

»Durch den Glauben erkennen wir, daß Gott die Welt aus Nicht-Erscheinendem (d. h. durch Sein Wort) gemacht hat« (Hebr. 11, 3). Zur Anerkenntnis eines Weltanfangs und einer Weltschöpfung ist Glaube an einen persönlichen, lebendigen, allmächtigen Gott erforderlich.

Auch modernes, rein naturwissenschaftliches Forschen vermag nicht, bis zu diesem ersten und letzten Welturgrund hindurchzugelangen.

Dennoch weiß auch der Glaube die Hinweise der Natur und Naturforschung zu würdigen. Auch wenn die Denkarbeit des menschlichen Geistes und die Zeichensprache der Natur die Wahrheit Gottes nicht zu »beweisen« vermögen, so können sie sie dennoch bezeugen.

Auch naturwissenschaftliches Denken unserer Gegenwart wendet sich gegen die atheistisch materialistische Behauptung einer Anfangslosigkeit und Ewigkeit von Welt und Materie. Wir nennen ein Doppeltes:

b. Urnebel, Masse und Weltanfang.

Bei aller Mannigfaltigkeit im einzelnen gehen doch alle neuzeitlichen Weltentstehungslehren von der Annahme eines viele tausend Grad heißen, glühenden Umebels aus. Dieser habe sich auf irgendeine Weise abgekühlt, zusammengezogen, sei in rotierende Bewegung geraten, und so seien aus dieser Urmasse, durch Schleuderkraft (Zentrifugalkraft) und Zusammenballung, allmählich die Weltkörper entstanden.

Aber gerade hier tauchen bedeutsame chemisch physikalische Probleme auf.

Nach der Dalton’schen Auffassung über die Gase gibt es keine Massenanziehung in ihnen, sondern, irn Gegenteil, nur wechselseitige Abstoßung ihrer Teile. Sie haben kein ursprüngliches Volumen, sondern suchen unaufhörlich, einen größeren Raum einzunehmen. Die ursprüngliche Nebelmasse müßte also gleichmäßig den ganzen Weltraum eingenommen haben.

Dazu kommt Folgendes: Es gibt wegen der extrem hohen Temperaturen überhaupt keine chemischen Verbindungen. Es sind nur noch Atome vorhanden, die sich nicht zu Molekülen verbinden.

Auch die Schwerkraft (Gravitation) konnte unmöglich in Tätigkeit treten, weil ja der flüchtige Stoff in vollkommener Gleichheit im ganzen Weltraum verteilt war.

Ebenso konnte die ursprüngliche Nebelmasse von sich aus gleichsam von »innen« her   nicht zu einer ersten Bewegung gelangen. Denn, nach dem Trägheitsprinzip, bleibt jeder Körper solange in seinem Zustand (Ruhe bzw. Bewegung), bis eine außer ihm liegende Kraft auf ihn einwirkt. Wie aber sollte ein solcher Anstoß von »außen« her erfolgen können, da ja das ganze Weltall von dieser glühenden Nebelmasse erfüllt gewesen war und es folglich überhaupt gar kein »Außen« – wie ebenso auch kein eigentliches »Innen« gegeben hätte?

Eine Änderung dieses Zustandes wäre nur durch Eintreten einer Abkühlung möglich geworden. Aber von dieser hätte auch nicht die Rede sein können, da es ja überhaupt kein kälteres »Außen« gab, in das diese Urnebel Gasmasse ihre Wärme hätte ausstrahlen können, wobei sie sidi dann, durch Verminderung der Temperatur, zusammengezogen hätte! Der Urzustand hätte also ewig bestehen müssen. Man macht sich die Sache also doch wahrlich gar zu leicht, von einer Abkühlung der Urnebelmasse zu reden, ohne nachgewiesen zu haben, wohin diese ausstrahlende Wärme geströmt sein soll!

Wir sehen, ohne die Zuhilfenahme einer höheren Kraft, die etwas anderes ist als die Urnebelmasse selbst, kann die Entstehung der Welt nicht begriffen werden. Richtig sagt darum der Astronom Professor Johannes Riem: »Wir stellen fest, daf3 schon die reine Tatsache der Existenz des heutigen Kosmos ein unzweideutiges Gegenzeugnis gegen den Materialismus und ein unzweideutiges Zeugnis von der Schöpferkraft und Allmacht der höchsten kosmischen Intelligenz ist. Sonst befänden wir uns noch heute inmitten des alten Chaos.«

Wollten wir aber, wie viele es tun, versuchen, die Entstehung des Urnebels, aus dem unser jetziges Sonnensystem hervorgegangen sei, aus dem Zusammensturz zweier früherer Sonnen oder Sonnensysteme zu erklären, so kämen wir auch damit keinen Schritt vorwärts. Denn dann wäre es nunmehr unsere Aufgabe, die Entstehung dieser früheren Sonnen zu erklären. Das ganze Problem wäre also nur rückwärts verschoben, aber in keiner Weise gelöst.

Nein, begreiflich gemacht werden kann das Dasein eines geordneten Kosmos nur durch den Glauben an das Dasein und das schöpferische Wirken einer höheren, kosmischen Macht. Zugleich aber wird dies Ganze zu einem Zeugnis wider die Anfangslosigkeit der Materie und für die Tatsache eines Weltanfangs durch Weltschöpfung.

Wir stehen also vor einer unausweichlichen Wahl: entweder glauben wir an Gott, als den Schöpfer von Himmel und Erde, oder wir müssen auf alle Erklärung und alles Verständnis in diesen entscheidenden Fragen des Weltfundaments von vornherein verzichten.

c. Das Zeugnis der Radioaktivität wider eine Anfangslosigkeit und Ewigkeit von Welt und Materie.

Ein zweites Zeugnis der modernen Naturwissenschaft bezüglich eines Weltanfangs bietet der Zerfall radio aktiver Substanzen. Zugleich ist er ein Zeitmesser zur Altersbestimmung der Erdsdiiehten und der Erde selbst. Professor Karl Heim schreibt:

Wir haben innerhalb unseres Sonnensystems ein ziemlich sicheres Mittel, um das Alter von Weltkörpern festzustellen. Das ist der Radiumzerfall bei radioaktiven Substanzen, dessen Ablaufzeit meßbar ist. Man hat an Gesteinen, die radioaktive Substanzen enthalten, Untersuchungen angestellt über den bereits erfolgten Zerfall. Daraus konnte errechnet werden, vor wie langer Zeit das betreffende Gestein sich gebildet hat. Man spricht von »Gesteinsuhren« in den geologischen Schichten, die gleichförmig durch die Jahrmillionen der Erdgesdüchte ticken und an denen wir späten Wanderer auf dieser Erde sehen und ablesen können, wieviel Uhr es ist. An diesen »Uhren« sehen wir: Unsere Erde ist, nach den ältesten geologischen Schichten, etwa anderthalb Milliarden Jahre alt, wahrscheinlich noch älter, aber jedenfalls nicht mehr als das Dreifache davon.«

Ein Stoff ist radioaktiv, wenn er kleine Atompartikel abstößt, die dann mit sehr großer Geschwindigkeit wegfliegen. Radium und Uranium sind die in der allgemeinen Öffentlichkeit am meisten bekannten Substanzen dieser Art. Durch die Atombombe hat die gesamte Kulturmenschheit der Gegenwart von diesen radioaktiven Erscheinungen Kenntnis bekommen.

Da Uranium solche Atompartikel mit größter Geschwindigkeit abstößt, zerfällt es, bis es schließlich Blei geworden ist. Die Geschwindigkeit dieses Zerfallsprozesses ist bekannt. Sie ist immer die gleiche, welchen Temperaturen und Druckverhältnissen die Materie auch unterworfen sein mag. Man hat in Laboratorien radioaktive Substanzen Temperaturen und Druckverhältnissen ausgesetzt, die höher und größer sind als alle diejenigen, die man auf der Oberfläche unseres Planeten finden kann. Dabei hat sich herausgestellt, daß der Verfallsprozeß weder beschleunigt noch verzögert wurde. So können die Physiker, durch diese »Blei Methode«, an dem Grad des Zerfalls, das heißt, an dem Gehalt von Uranblei im Uranerz, sagen, wie alt ein Stück Uranium ist (So schreibt Dr. A. Neuberg in seinem Buch »Das neue WeltbiId der Physik.” Göttingen 1941, S. 82: “Ein Gramm Uran zerfällt in 80 Millionen Jahren. Wenn sich also in 100 Gramm Uran ein Gramm Uranblei befindet, so wird das Gestein etwa 80 Millionen Jahre alt sein.”   Alle diese Zahlen aber können, trotz sorgfältigster Forschungen, durchaus noch nicht als völlig gesichert angesehen werden. Daher ist, in bezug auf alle Einzelangaben, größte Zurückhaltung erforderlich.)

In seinem Buch »The Christian View of Science and Scripture  sucht Dr. B. Ramm dies durch folgenden Vergleich in volkstümlicher und vereinfachter Form dem Leser nahe zu bringen, dem die Methoden radioaktiver Messungen nicht bekannt sind.

Er weist auf eine Pendeluhr hin. Die Anzahl der Zentimeter, die die Gewichte nach unten gesunken sind, zeigt an, wie lange die Uhr seit ihrem Aufgezogensein schon geht.

Durch Abmessen am Zähler, wieviel Treibstoff noch im Tankbehälter eines Autos ist, der bei der Abfahrt ganz gefüllt worden war, gewinnt man eine Vorstellung, wieviele Kilometer man gefahren ist.

Die Resthöhe am Gewicht der Pendeluhr beziehungsweise der Restbestand des Treibstoffes im Autotank geben also eine entsprechende Möglichkeit, auf den Anfangspunkt der Uhrzeit beziehungsweise die Abfahrt des Autos zurückzuschließen.

In ähnlicher Weise läßt sich durch Feststellung des Atomgewichts und des Verhältnisses des vorhandenen Urans zu den Rückständen (Uranblei bzw. Helium) berechnen, wie lange der Zerfallsprozeß eines Stückes Uranium gedauert hat und wann sein zeitlicher Beginn war. Zugleich ist damit eine Möglichkeit gewonnen, das ungefähre Alter der betreffenden geologischen Schicht zu bestimmen, in der sich das Uranium gefunden hat (vgl. Prof. Dr. A. Titius, Natur und Gott. Göttingen 1931, S. 400).

Durch weitere Messungen, Überlegungen und Berechnungen gelangt man zu der Vorstellung eines Uranfangs aller Existenz, sowohl der irdischen wie auch der kosmischen. Ob dieser grundlegende Anfang zwei oder drei Milliarden Jahre zurückliegen mag, wie viele Physiker glauben, oder ob diese Zahlen wesentlich kleiner oder vielleicht gar noch größer sein mögen, ist in unserem Zusammenhang nicht von wesenhafter Bedeutung. Der Punkt, um den es sich hier handelt, ist die Tatsache, daß auch die moderne Forschung die Vorstellung eines Uranfangs des Universum fordert, sodaß also die Natur nicht ewig, sondern zeitlich ist und darum an einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit ihren Anfang gehabt haben muß.

Zu diesen physikalischen Beobachtungen kommen noch astronomische hinzu. Es ist festgestellt worden, daß die Spiralnebel, aus denen ja das Weltall besteht, mit der Geschwindigkeit des Lichtes, also 300 000 Kilometer in jeder Sekunde, sich immer weiter in die Ferne bewegen, sodaß der Radius des Weltalls mit Lichtgeschwindigkeit zunimmt. Die Spiralnebel mit ihren Millionen von Sonnen vollziehen also eine geradezu unbegreiflich schnelle Fluchtbewegung, sodaß sich das Weltall räumlich immer weiter ausdehnt. Der große englische Astronom Sir James Jeans, einer der größten Gelehrten des 20. Jahrhunderts, hat ein Buch über diese Tatsachen geschrieben unter dem Titel »The Expanding Universe« (deutsch wörtlich »Das sich ausdehnende Universum«).  . . .

»Der kühne Traum der Philosophen, daß die Welt ewig sei, ist heute – schon rein naturwissenschaftlich gesehen – unwahrscheinlich geworden« (Prof. Karl Heim). Zugleich aber ist damit auch die Erwartung eines Weltendes gegeben. Das Weltall ist wie eine aufgezogene Uhr, die immer mehr abläuft und die, wenn sie sich selbst überlassen bliebe, eines Tages stillsteht.

Wir wiederholen: Wir sind weit davon entfernt, mit naturwissenschaftlichen Erwägungen die Aussagen der Bibel »beweisen« zu wollen. Dennoch mag es nützlich sein, eine solche grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den Gedankengängen der modernen Physik und Geologie mit dem Fundamentalsatz der Bibel über einen Welt»anfang« (Joh. 1,1) und eine Weltschöpfung (1. Mose 1) nicht zu übersehen. Mögen auch die Zahlenangaben der Naturwissenschaft noch mancher Bestätigungen oder vielleicht sehr wesentlicher Berichtigungen bedürfen: Die Tatsache selber –  ein Weltanfang an sich wird von beiden Seiten, Bibel und moderner Naturforschung – übereinstimmend bezeugt.

Als nächstfolgende Hauptübereinstimmung zwischen biblischer und naturwissenschaftlicher Weltentstehungslehre gilt den Vertretern der Periodenauffassung:

2. Der zunächst noch ungeformte Urzustand der Materie vor Beginn der weiterführenden, göttlichen Schöpferimpulse.

So sagt auch der biblische Bericht: »Die Erde war wüst und leer« (hebr. tohu wabohu), das heißt, »gestaltlos und gehaltlos«. Diesem entspricht auch das naturwissenschaftliche Denken. Bei aller Verschiedenheit in Einzelfragen ist die Annahme eines ungeformten, »gestaltlosen« Urnebels der gemeinsame Ausgangspunkt aller neuzeitlichen Weltentstehungslehren.

3. Die Erschaffung der Erde, des Lichts und der Pflanzenwelt (am Anfang, am ersten und dritten »Tage«) vor dem Werk des vierten »Tages« (betreffend Sonne, Mond und Sterne).

Über diese Reihenfolge ist nicht selten gespottet worden. Doch völlig zu Unrecht.

Die entscheidende Schlüsselfrage ist, nach der Periodenauffassung, wie das Werk des vierten Tages zu verstehen ist: War es die eigentliche Erschaffung der Gestirne selbst als Himmelskörper im Weltraum oder war es lediglich ihr erstes Hervortreten und Sichtbarwerden als Lichter für die Erde? Bringt also der Schöpfungsbericht, in allgemeinen Umrissen, die Entstehungsgeschichte des gesamten Weltalls oder beschränkt er sich  abgesehen von Vers 1 nur auf die Geschichte der Erde? Ist er kosmologisch oder terrestrisch? Griech. kosmos, Welt; lat. terra, die Erde.

Beide Erklärungen sind von bedeutenden Schriftauslegern vertreten worden. In keinem Fall aber ergibt sich mit Notwendigkeit ein Widerspruch zwischen Bibel und Naturforschung. Spotten können über diese Reihenfolge nur solche, die über diese Fragen nicht ernst und gründlich genug nachgedacht haben.

Denn man kann doch mit Recht fragen: Sind überhaupt die Gestirne nach dem biblischen Bericht erst am vierten Tage geschaffen worden? Hat nicht der Schreiber selbst gleich zu Anfang – bereits in Vers 1, also schon vor der Lichtschöpfung des ersten Tages   gesagt: »Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde«? Und bezeugt nicht das Buch Hiob, daß die himmlischen Sternen- und Engelheere schon vor der Zubereitung der Erde bestanden haben? Haben sie doch diese mit Jubel und Wonne entstehen sehen! »Worauf sind ihre (der Erde) Grundpfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt, während die Morgensterne allesamt laut frohlockten und alle Gottessöhne jauchzten?« (Hiob 38, 4 7). Außerdem gebraucht der biblische Bericht in 1. Mose 1, 16 nicht das hebräische Wort bara, das ein Schaffen aus Nichts bedeutet, sondern das Zeitwort asah, das ein Zurechtbereiten aus schon bestehendem Stoff bezeichnet, – z. B. ein Schiff bauen (machen: 1. Mos. 8, 6), – und spricht er nicht lediglich davon, was diese Gestirne vom vierten Tage an für die Erde sein sollen: eben Lichter zur Beherrschung von Tag und Nacht?

Nach der Erstarrung der Erdoberfläche, also nach Abschluß des »Stern Zeitalters« der Erde, muß unser Erdball in den folgenden geologischen Perioden zunächst mit einer sehr dicken Wasserdampfatmosphäre umgeben gewesen sein. Die Hitze, die vom Erdinneren her zunächst immer wieder in besonderer Weise hervorbrach und die Erdoberfläche damals noch außerordentlich stark erwärmte, ließ viel Wasser auf der Erde verdunsten und »hüllte sie in eine dichte Nebelschicht ein, etwa wie in einer Waschküche« (Prof. Dr. H. Rohrbach). So waren die Gestirne zwar schon vorhanden, aber noch nicht als solche von der Erde aus klar erkennbar.

Dann könnte das Werk des vierten Tages einfach darin bestanden haben, daß die Gestirne durch Dünnerwerden und Aufklärung der Erdatmosphäre als einzelne Lichter am Firmament hervortraten.

Dann wäre von einer Entstehung der Erde vor der Sonne überhaupt nicht mehr die Rede. Auch wäre das Licht des ersten Tages in Wirklichkeit schon das Sonnenlicht gewesen, nur eben durch die dicke Dunst  und Wolkendecke verhüllt. Zugleich würde es auch keinerlei Schwierigkeit bedeuten, daß die Entstehung der Pflanzenwelt schon am dritten Tage, also ebenfalls vor dem Werk des vierten Tages, genannt wird. Denn dann hätten ja die Pflanzen schon damals die für ihren Lebensprozeß notwendigen Lichtstrahlen empfangen, nur eben durch einen Wolkenschleier hindurch, wie dies in gewissem Maße – wenn auch bedeutend weniger – auch heute noch bei stark bedecktem Himmel geschieht.

In diesem Sinne erklärt auch die Stuttgarter Jubiläumsbibel: »Wenn erst am vierten Tage die Erschaffung der Gestirne erzählt wird, so soll damit nicht der zeitliche Hergang der Schöpfung des Alls berichtet werden; sondern die Gestirne bekamen erst jetzt ihre Bedeutung als Lichter für die Erde, während ihre Bedeutung und Stellung im Weltall garnicht erwähnt wird« (zu 1. Mose1, 15).

Nach dem Urteil anderer namhafter Schrifterklärer spricht aber der genaue Wortlaut des Textes von einem Handeln Gottes an den Himmelskörpern selber. Wohl hebt er die Beziehung von Sonne, Mond und Sternen zur Erde besonders hervor. »Gott setzte Lichter an der Ausdehnung des Himmels als Zeichen zur Beherrschung von Zeiten und Tagen und Jahren«, »zur Beherrschung des Tages und zur Beherrschung der Nacht«, »um auf der Erde zu leuchten«. Aber er sagt nicht, daß dies durch irgendein Handeln Gottes an der Erdatmosphäre vollzogen worden sei, sondern vielmehr: »Und Gott machte das große Licht (die Sonne) und das kleine Licht (den Mond) und die Sterne (V. 16). Folglich ist das Werk des vierten Tages nicht erdatmosphärisch, sondern astronomisch und kosmisch zu verstehen.

Der erste Vers des Schöpfungsberichts: »Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde« ist entweder Überschrift des Ganzen oder besagt die Erschaffung der noch ungeformten Materie und Grundstoffe oder, atom physikalisch ausgedrückt, des »Schwingungsfeldes« an sich, aus dem Gott dann, in der Folgezeit der Schöpfungsgesdüchte, Sonne, Mond und Sterne und die Erde, unter Seiner Leitung hervorgehen ließ.

In keinem Fall spricht Vers 1 von einer Entstehung der Himmels¬körper vor der Erde; denn er nennt die Himmel und die Erde gleichzeitig. »Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde«.

Was Hiob 38 betrifft, so ist das Gewicht dieser Stelle durchaus zu würdigen. Andererseits dürfen aus einer dichterischen Stelle nicht zu weitragende kosmologische Schlußfolgerungen gezogen werden. In jedem Fall spricht sie von einem Lobpreis und einer Anbetung des Schöpfers, was aber doch wohl nur von lebendigen, bewußten, geistigen Wesen ausgesagt werden kann. Darum muß mit den »jubelnden und jauchzenden Morgensternen und Gottessöhnen« die Engelwelt gemeint sein, die bei der Grundsteinlegung der Erde den Schöpfer pries. Die Engelwelt aber ist schon vor der Entstehung des materiellen Universums geschaffen worden.

Das Wort »Glanzstern« wird, ebenfalls in poetischer Rede, in Jesaja 14, 12 nicht astronomisch, sondern bildhaft auf ein geistiges, persönliches Wesen angewendet   in diesem Fall auf den König von Babel, wie der Zusammenhang mit Jesaja 13, 1 beweist: »Ausspruch über Babel, welchen Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat.« Am Schluß des Buches der Offenbarung nennt sich der Herr selbst den »glänzenden Morgenstern« (Off. 22, 16). In Hiob 1, 6 und Hiob 2, 1 werden die Engel als »Söhne Gottes« bezeichnet.

Von einer Entstehung der Himmelskörper vor dem Erdball ist also in Hiob 38, 4 7 kaum die Rede.

Aber auch bei dieser Erklärung des vierten Schöpfungstages, als Zubereitung der Himmelskörper im Weltraum selbst, bietet die Reihenfolge der vorangegangenen Schöpfungswerke keine ernsthaften Schwierigkeiten.

a. Die Entstehung des Lichts vor der Zubereitung der Sonne. Nach den Weltentstehungslehren der Naturwissenschaft hat der »Urnebel«, aus dem sich dann später (!) die Sonnen  und Sternsysteme entwickelt haben, die sehr hohe Temperatur von vielen tausend Grad Celsius gehabt. So muß also der ganze Baustoff des Weltalls bereits in seinem Anfangsstadium eine einzige, glühende, leuchtende Masse, ein großes, feuriges »Licht«, gewesen sein. Folglich gab es also »Licht«, auch nach den Lehren der modernsten Astrophysik, schon unübersehbare Zeiträume hindurch vor der eigentlichen Bildung von Sonne, Mond und Sternen.

»Der schlichte Mensch«, schreibt ein Naturwissenschaftler unserer Tage, »sieht in unserer Sonne die Quelle des Lichts, das unsere Erdwelt durchflutet. Von sich aus kann er unmöglich auf den Gedanken kommen, daß das Licht in der Natur nicht unbedingt von der Sonne abhängig sei. Dazu kommt, daß es im Orient keine eigentliche Dämmerung gibt. Vielmehr hebt dort die Tageshelle sofort mit Sonnenaufgang an und hört, ebenso plötzlich, mit Sonnenuntergang auf. Daher kann man sich dort eigentlich kaum eine andere Hauptlichtquelle denken als das unmittelbare Sonnenlicht. Und doch wird im Genesisbericht die Unabhängigkeit des Lichts von der Sonne vorausgesetzt!«

Nicht zu Unrecht fragt darum Dr. Boardman in seinem Buch »Creative Week« (Die Schöpfungswoche): »Inwiefern kann die Akademie der Wissenschaften Mose einen Mann der Unwissenheit nennen, weil er erklärte, das Licht habe schon vor der Sonne bestanden, während man gleichzeitig Laplace einen Wissenschaftler nennt, der doch genau dasselbe behauptet hat?«

Durch diese erstaunliche Übereinstimmung sah sich der französische Physiker Jean Baptiste Biot geradezu zu dem Ausspruch veranlaßt: »Entweder hatte Mose in den Wissenschaften eine ebenso tiefe Unterweisung wie diejenige unseres Jahrhunderts, oder er war inspiriert.«

b. Die Entstehung der Erde vor der Zubereitung der Sonne. Auch nach den astronomisch physikalischen Erklärungen, die das Sonnensystem aus dem Zerfall eines Spiralnebels hervorgehen lassen, ergibt sich die gleiche Reihenfolge. Denn wenn die Planeten aus dem feurigen Urnebel, im Verlauf seiner Umdrehung, herausgesprungen sind, so müssen sie, infolge ihrer verhältnismäßigen Kleinheit, in dem 273 Grad kalten Weltraum viel schneller erkaltet sein und sich viel rascher zusammengezogen und zu eigentlichen »Weltkörpern« geballt haben als die unvergleichlich größere Urmasse. Diese muß also noch lange Zeit hindurch als ein elliptisch geformtes, nebelsternartiges Gebilde bestanden haben, bis man sie recht eigentlich als »Weltkörper« und »Sonne« bezeichnen kann. Auch darf ja sowieso doch erst der nach Abstoßung aller Planeten übrig gebliebene Rest »Sonne« genannt werden.
So hat schon der Tübinger Geologieprofessor F. A. Quenstedt geradezu erklärt: »Wie wahr sagt doch Mose, daß die kleine Erde sich schon lange vor der viel größeren Sonne ballen mußte«

Und was schließlich die Entstehung der Pflanzenwelt vor der Entstehung der Sonne betrifft, so wäre, sowohl vom kosmologischen wie auch vom botanischen Standpunkt aus, zu sagen, daß auch hier keine wirklich ernsthafte Schwierigkeit besteht.

c. Die Erschaffung der Pflanzen (am dritten »Tage«) vor der Zubereitung der Sonne (am vierten »Tage«). Damit ist zugleich zum Ausdruck gebracht, daß das pflanzliche Leben nicht unbedingt gerade vom Sonnenlicht abhängig ist. Auch hierüber hat der Unglaube vielfach gespottet. Die Antwort der Periodenauffassung lautet: Die lebende, mit Blattgrün (Chlorophyll) ausgestattete Substanz der Pflanzen benötigt für den Ernährungsvorgang (die sogenannte »Assimilation«) zwar, außer der Kohlensäure der Luft, den jeweilig erforderlichen Salzen des Erdbodens und dem Wasser, auch das Mitwirken bestimmter Lichtstrahlen. Aber es wäre ein Fehlschluß, zu meinen, daß dies gerade unbedingt die Sonnenstrahlen sein müßten. Vielmehr weiß man heute durch bestimmte Experimente, daß es im Sonnenspektrum zahlreiche Strahlen gibt, die für den pflanzlichen Assimilationsprozeß völlig unwirksam sind. Erforderlich ist für diesen fast nur die Beleuchtung durch die roten, orangeroten und gelben Strahlen. Darum erklärt der Botaniker Professor Dennert: »Es würde für ihn also schon ein Licht genügen, das nur diese Strahlen enthielte. Daraus ergibt sich, daß es töricht und kurzsichtig ist, die Sonne als solche für die Pflanzen für unerläßlich zu halten … Es wäre vielmehr möglich gewesen, daß auch ein allgemeiner, lichtspendender, glühender Weltenstoff die Rolle der Sonne den Pflanzen gegenüber im Anfang übernommen hätte.« Und er fügt hinzu: »Jedenfalls ist es auch hier wiederum im höchsten Grad wunderbar, daß der Berichterstatter nicht den an sich viel naheliegenderen – weil eben volkstümlich verständlichen – Gedanken vertritt, daß erst die Sonne und dann die Pflanzen entstanden seien; sondern er bezeugt vielmehr die umgekehrte Reihenfolge, deren Möglichkeit vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus erst in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts erkannt wurde.«

4. Die Schöpfung der Pflanzen (am dritten »Tage« vor der Tierwelt (am fünften und sechsten »Tage«). Auch hierfür findet die Periodenauffassung volle geologische Bestätigung. Die untersten Gesteinsbildungen weisen allerdings keine fosssilen Pflanzenreste auf. Vielmehr treten letztere schon sofort vermischt mit tierischen Versteinerungen auf. Dadurch könnte im ersten Augenblick der Gedanke an eine gleichzeitige Entstehung auftauchen. Doch genügt eine kurze, ganz einfache Überlegung, um zu erkennen, daß dem nicht so gewesen sein kann, und zwar aus zwei Gründen:

Die Tiere brauchen zum Einatmen Sauerstoff, während sie Kohlenstoff ausatmen. Eine an Kohlenstoff überreiche Atmosphäre würde der Tierwelt keine Lebensmöglichkeit gewähren. Nach den Forschungen der Geologie (Erdgeschichte) muß aber die Luft der Erde anfangs sehr viel Kohlenstoff enthalten haben, war also für die Tierwelt ungeeignet. Die Pflanzen dagegen atmen Kohlenstoff ein und Sauerstoff aus, konnten also sehr wohl vor der Tierwelt da sein, noch ehe die Atmosphäre ihren Überreichtum an Kohlenstoff verloren hatte. So schreibt auch Professor A. Rendle Short: »Sauerstoff, sowohl in der Atmosphäre als auch aufgelöst in Wasser, ist für tierisches Leben erforderlich und wird normalerweise nur von der Tätigkeit des pflanzlichen Blattgrüns (Chlorophylls) abgeleitet.« So ist »Grund dafür vorhanden, zu glauben, daß tierisches Leben nicht möglich war, bevor es eine Pflanzenwelt gab, die die Atmosphäre hinreichend mit Sauerstoff versorgte.«

Der zweite Grund ergibt sich aus der Verdauungstätigkeit der Tiere. Die Pflanzen sind in der Lage, anorganischen Stoff (Mineralien) in sich aufzunehmen und ihn, mittels der Assimilation, in organischen umzuwandeln, zu Kohlehydraten, d. h. Zucker und Stärkemehl. Das Tier aber ist nur imstande, von organischer Nahrung zu leben, d. h. lebender oder solcher, die vorher gelebt hat. Folglich setzen die Tiere die Pflanzenwelt als schon vorher bestehend voraus. Tiere können nicht entstehen und leben, wenn nicht schon vorher Pflanzen da sind. So müssen auch die uralten laurentinischen Schichten, die heute ohne Versteinerungen sind, zu ihrer Zeit eine reine Pflanzenwelt enthalten haben, deren Spuren für uns allerdings verwischt sind und die deshalb nicht »versteinert« werden konnte, weil die einzelnen Pflanzen noch zu klein und zu zart gewesen waren. Auf diese Pflanzenwelt der vor kambrischen Zeit folgt dann zunächst im Kambrium die Zeit der wirbellosen Tiere.

Hierbei nennt der biblische Bericht vom dritten Schöpfungstage nicht so sehr die zarten Uranfänge der Pflanzenwelt, sondern zugleich ihre ersten großen, anschaulichen Formen, das heißt, nicht nur Gras und Kraut, sondern auch »fruchttragende Bäume« (1. Mose 1, 12).

Ein Ähnliches tut er in seiner Schilderung des fünften und sechsten Schöpfungstages, und zwar dort im Hinblick auf die Wassertiere (V. 20: »große Seeungeheuer«), die geflügelten Tiere und die Landtiere. Auch hier gibt er für beide »Tage« eine ausführlichere Aufzählung der Schöpfungswerke erst für die Zeit, in der das Tierreich bereits gewisse höhere, leicht erkennbare Formen erreicht hatte, die dann in grundsätzlicher, voller Ausbildung hervortraten, das heißt, als Knochenfische, Reptilien und Vögel bzw. (am 6. Tage) die Säugetiere. Auch diese Reihenfolge wird, im Sinn der Periodenauffassung, von der Versteinerungskunde voll bestätigt.

Die Pflanzenwelt besteht zeitlich vor der Tierwelt. Dies ist also in doppelter Hinsicht wahr: sowohl was die allerersten Anfänge als auch was die ersten erreichten Höhepunkte im Verlauf des Gesamtwerdegangs betrifft.

Die allerersten Anfänge der Pflanzenwelt bestanden, wie der Ernährungsvorgang bei Pflanze und Tier beweisen, schon vor den allerersten Anfängen der Tierwelt (im Präkambrium bzw. Kambrium). Und was die ersten höheren Vollausgestaltungen betrifft, so gilt die gleiche Reihenfolge.

Bei der Pflanzenwelt waren die ersten Höhepunkte bereits im Devon und Karbon (der Steinkohlenzeit) erreicht, also schon im erdgeschichtlichen »Altertum« (Paläozoikum). Die Tierwelt aber erreichte ihre ersten, höher entwickelten Formen erst im erdgeschichtlichen »Mittelalter« (Mesozoikum), vom Trias bis zum Tertiär.

Daß bei diesem Ganzen die Heilige Schrift nicht eine vollständige Aufzählung aller Einzelheiten gibt, sondern ihren Hauptnachdruck auf die geschichtlichen Höhepunkte, die wichtigsten Etappen und die am deutlichsten hervortretenden Lebeformen legt, ist in ihrem Wesen begründet. Denn die Bibel ist kein Lehrbuch der Geologie und Paläontologie, sondern, in ihrem eigentlichen Anliegen, geistliche Offenbarungsurkunde. Sie beschränkt sich darum in ihren Aussagen über die Natur durchaus auf das Grundsätzliche, Bedeutsamste und Notwendige. Darum nennt auch ihr Schöpfungsbericht die jeweiligen Schöpfungsordnungen in ihrer allgemeinen Reihenfolge erst dann, wenn sie in größeren, anschaulichen Formen vorhanden waren. Alles andere gilt nur als Einleitung und Vorbereitung und ist nicht Gegenstand ausführlicherer biblischer Belehrung. Dies ist das Gebiet und die Aufgabe der Naturwissenschaft. Überhaupt gilt ja auch sonst bei allem Werden des Lebens der Grundsatz: Gott zeigt Seine organischen Schöpfungen immer erst dann, wenn sie ein gewisses Stadium der Entwicklung erreicht haben.

5. Die Schöpfung der Wassertiere (am fünften »Tage«) vor den Landtieren (am sechsten »Tage«). Dies wird für die Periodenauffassung von der Versteinerungskunde ebenfalls bestätigt. In den allerältesten Schichten des geologischen »Altertums« (Paläozoikum)   das heißt, im Kambrium, Silur und Devon   finden sich fast nur Wassertiere. Das Silur bietet höchst wenige, das Devon fast gar keine Reste von Landtieren.

Erst im geologischen »Mittelalter« der Erde (Mesozoikum), nämlich in den obersten Triasformationen, finden sich zahlreiche, ausschließlich das Land bewohnende Tiere. Die eigentlich reiche Hauptentfaltung dieses großen Tierstammes, in Sonderheit der Säugetiere, erfolgt sogar erst noch viel später, im Tertiär. Weil aber nun der Schöpfungsbericht die jeweiligen Schöpfungsordnungen erst dann nennt, wenn sie in größeren, anschaulichen Formen vorhanden waren, muß auch die Schöpfung der Landtiere erst nach der Fisch  und Vogelschöpfung genannt werden. Dies geschieht dann auch tatsächlich in der Schilderung des sechsten, letzten Schöpfungstages, und zwar dort in seinem ersten Hauptabschnitt.

6. Die Schöpfung »geflügelter Tiere« (am fünften »Tage«), vor den Landtieren (am sechsten »Tage«). Die eigentlichen »Vögel« erscheinen in den geologischen Felsenurkunden allerdings ziemlich spät, sogar erst nach den ersten Säugetieren, nämlich in der Kreide  und besonders Tertiärzeit. Dennoch treten schon sehr lange vorher – bereits im uralten Silur   die ersten »geflügelten Tiere« auf. Dies geschieht in der Form großer, fliegender Insekten. Tatsächlich gebraucht der biblische Text hier ein Wort (hebr. oph), dessen Begriffsumfang weit über die Spezialbedeutung »Vögel« hinausgeht. Es ist dasselbe Wort, das in 3. Mose 11, 20 23 und 5. Mose 14, 19 auf Insekten angewandt wird. So gibt auch das Hebräisch Aramäische Wörterbuch von Professor Gesenius Buhl für »oph« in 1. Mose 1, 21 die ganz allgemeine Übersetzung »geflügelte Tiere«. In gleichem Sinne bemerkt Professor Lange in seinem Bibelwerk zu dieser Stelle: »Wir fassen oph als allgemeinere Bezeichnung >Geflügeltes<, was auch von Insekten gilt.«

In der Tat gab es schon im Karbon geflügelte Tiere. Einige von ihnen waren sogar von erstaunlicher Größe, zum Beispiel, das bis zu 50 Zentimeter lange, fliegende Titanophasma Fayoli. Ja, der Steinkohlenwald besaß sogar bereits das größte aller fliegenden Insekten der ganzen Erdgeschichte. Es erreichte eine Flügelspannweite von 70 Zentimetern. So hat also die Schöpfung »geflügelter Tiere«, nach dem gemeinsamen Zeugnis von Genesis und Geologie, tatsächlich schon vor der Erschaffung der Land  und Säugetiere stattgefunden.

7. Der Mensch als Abschluß des Ganzen. Auch nach dem Zeugnis der Erdgeschichte ist der Mensch das allerletzte Glied der Schöpfung. Seit dem Auftreten des Menschen sind wohl viele Arten von Tieren ausgestorben, deren Knochen sich mit Menschengebeinen zusammengefunden haben. Aber noch nie ist eine Art nachgewiesen worden, die sich seit dem Beginn der Entwicklung des Menschengeschlechts neugebildet hätte.

So ist die Erschaffung des Menschen eine Schöpfungstat Gottes auf breitester Grundlage. Die ganze irdische Schöpfung »erscheint als ein architektonischer Aufbau, der in Stufen immer höher emporsteigt. Zuerst kommen die Pflanzen, dann die Wassertiere und geflügelten Tiere, dann die Landtiere, und auf der höchsten Stufe steht der Mensch«. Der Mensch ist somit das letzte und oberste Glied des Ganzen und als solches der Zielpunkt der gesamten irdischen Kreatur.

Die allgemeine materielle, pflanzliche und tierische Schöpfung geht von Anbeginn bis auf Adam. Von Adam beginnt der geistige und geistliche Bau, der zugleich ein Schatten der zukünftigen Dinge ist bis auf Christus, den letzten Adam (1. Kor. 15, 45 50). Zwar wird die Weiterentwicklung durch die Sünde dann bis aufs tiefste erschüttert. Aber in Christus, dem letzten Adam, wird dennoch der ewige Sieg errungen.

So ist die irdische Schöpfung die Vorstufe der geistlichen, und die geistliche Schöpfung ist das Ziel und die Vollendung der irdischen. Der geistliche Bau der Gemeinde und die Neuschöpfung von Himmel und Erde wird den materiellen Bau der ganzen, bisherigen Schöpfung unendlich übertreffen.

 

Zusammenfassung

Hält man dies alles zusammen – und das obige ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem zu Gebote stehenden Riesenmaterial -, so erweist sich auch heute noch, im Licht der allerneuesten Forschung des zwanzigsten Jahrhundert, nach dem Urteil der Periodenauffassung, das Wort des großen französischen Mathematikers, Physikers und Elektrikers Ampère (gest. 1836) als zu Recht bestehend: »Die Reihenfolge, in welcher die organisch gebildeten Wesen auftreten, ist genau die Reihenfolge der Sechstagewerke, wie sie uns die Genesis darstellt.«

Für den Glauben aber ist dies zugleich ein Zeugnis von der göttlichen Inspiration. Die ganze biblische Schöpfungsgeschichte stellt sich ihm dar als ein gottgegebener Bericht über den Ursprung aller Dinge, der dem Menschen – der ja nicht dabei gewesen war – nur durch Offenbarung kundgetan werden konnte und wurde.

In gleicher Weise erklärt Prof. A. Rendle Short: »Diese Erwägungen bringen eine geradezu erstaunlich vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Schöpfungsbericht und den Entdeckungen der modernen Naturwissenschaft ans Licht. Gerade in Anbetracht des wilden Rätselratens über den letzten Urgrund und Ursprung von Erde und Natur, wie es unter den anderen Völkern des Altertums geläufig war, steht die Genauigkeit von 1. Mose 1 in einsamer Großartigkeit da. Die Geologie ist eine junge Wissenschaft. Die Klassifikationen der Erdschichten sind nicht viel älter als einhundert Jahre. Wir können gewiß sein, daß der Verfasser des biblischen Schöpfungsberichts keine seiner Informationen vom Jagen nach Fossilien gewonnen hatte. Weder bloßes Raten noch eigene innere Schau hatten ihn die richtige Reihenfolge in der Anordnung der Schöpfungsereignisse gelehrt. Der Bericht trägt die Merkmale einer göttlichen Inspiration.«

Zugleich ist der Bericht sachlich und kurzgefaßt. In allem wird der Blick auf das Wesenhafte festgehalten, und auch dies wird nur in sehr summarischer Weise genannt. Auf naturwissenschaftliche Vollständigkeit wird nicht Wert gelegt und wäre auch in keiner Weise am Platze gewesen. Ebenso wird keine Aussage gemacht über die Art und Weise und die »Methoden« des göttlichen Schöpferhandelns. Darum berichten uns zwar Genesis und Geologie in großen Umrissen dieselbe Geschichte; aber ihre Wechselbeziehungen sind nur sehr allgemein.

Auch decken sich der zeitliche Rahmen der biblischen und der geologischen Geschichte nicht volltständig. Der geologische Zeitrahmen ist nicht so umfangreich wie der biblische. Denn die geologischen Dokumente des Lebendigen reichen nur zurück bis in das Präkambrium. Das heißt, im Sinn der Periodenauffassung, biblisch ausgedrückt: Die Geologie sieht nicht weiter zurück als bis in den dritten Schöpfungstag. Erst von da an beginnt ihre Zusammenschau und Parallelität mit dem Sechstagewerk. Für die vorangegangenen, allerfrühesten Entwicklungen – d. h. die Entstehung der Fixsternwelt, des Sonnensystems und für das Stern Zeitalter der Erde – lassen sich, naturwissensebaftlich, nur gewisse allgemeine Folgerungen aus physikalischen und astronomischen Beobachtungen ziehen.

Dabei bedient sich der biblische Schöpfungsbericht einer schlichten, allgemeinverständlichen, volkstümlichen Darstellungsweise, eben der allgemeinen Umgangssprache, also gleichsam einer »vor-naturwissenschaftlichen« Ausdrucksform. Modern naturwissenschaftliche Klassifikationen und Terminologien – die noch dazu, im Verlauf der Forschung, ja dauernd im Fluß sind und daher stets neuen Schwankungen unterliegen – durften hier von vornherein nicht in Anwendung gebracht werden. Dies wäre für die Form eines für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmten, noch dazu vor über dreitausend Jahren geschriebenen Berichts das denkbar Ungeeigneteste gewesen und zugleich ein Zeichen großer, pädagogischer Unweisheit. Gott aber ist allweise in all Seinen Methoden und vollkommen in all Seinem Tun.

So ist der ganze Bericht ein Ausdruck göttlicher Weisheit, Größe und Einfachheit. Er ist ein von Gott Selbst gegebener Abriß über den Schöpfungsvorgang, der uns in großen, knappen Grundzügen in Gottes gewaltige Werkstatt hineinschauen läßt. Er ist so kurz gefaßt, daß man ihn mit den Heeresberichten der Kriege verglichen hat, von denen es auch jedermann bekannt ist, daß hinter den wenigen, lapidaren Worten eine Fülle von Vorgängen und Ereignissen steht und von ihnen gemeint ist.

Der katholische Gelehrte Dr. Ludwig Zenitti sagt 1946 in der Zeitschrift »Begegnung« (Zeitschrift für Kultur und Geistesleben): »Der mosaische Bericht gibt also nicht die ganze, bisher erkannte Entwicklungsgeschichte der Erde in allen Einzelheiten wieder. Aber er gibt, in naturwissenschaftlich richtiger, zeitlicher Aufeinanderfolge, jene auffälligsten Abschnitte aus ihr, die als wesentlich erscheinen und für den einfachen Menschen wie auch für den Tiefersehenden immer die wesentlichen bleiben werden.«

Oder wie es Professor Karl Heim ausdrückt: »Für den Bibelleser ist das überraschend, daß der Bauplan der Schöpfung, den uns die paläontologische Forschung zeigt, in allen wesentlichen Grundzügen mit dem übereinstimmt, was im ersten Buch Mose vom dritten, fünften und sechsten Schöpfungstag gesagt ist.«

 

ZWEITER TEIL

VIERUNDZWANZIGSTUNDENTAGE ODER PERIODEN?

Die Frage, ob die »Tage« im biblischen Schöpfungsbericht buchstäbliche Vierundzwanzigstundentage oder Perioden gewesen seien, behandeln wir in zwei Abschnitten.

Zuerst gehen wir von der buchstäblichen Auffassung aus und nennen, bei der Aufzählung ihrer Hauptbegründungen, zugleich gewisse Antworten der Periodenauffassung.

Dann geben wir einige Gesichtspunkte der Periodenauffassung, die deren Vertreter als ihre Hauptbegründungen ansehen.

Auch hier bemühen wir uns einer neutralen Darstellungsweise. Durch Vergleich der beiderseitigen Argumente – deren Gewicht der einzelne verschieden bewerten mag – möge der nachdenkliche Leser zu einer eigenen Urteilsbildung gelangen.

 

I. Die sechs »Tage« als Vierundzwanzigstundentage

Die Vertreter der buchstäblichen Auffassung erklären:

1. Das hebräische Wort jom »Tag« kann wohl zuweilen einen längeren Zeitraum bedeuten (z. B. Jes. 61, 2; Joel 4, 18; Vgl. 2. Kor. 6, 2 u. a.); wenn es aber mit einem Zahlwort verbunden ist, bedeutet es im Alten Testament sonst stets einen Vierundzwanzigstundentag (1. Mose 7, 17  24 u. a.), und gerade mit einem Zahlwort ist es auch hier im Schöpfungsbericht verbunden (»erster«, »zweiter« … Tag).

Die Periodenauffassung erklärt, daß dieser Beweisgrund nicht ausreiche; denn warum sollte nicht auch einmal von »erster, zweiter, dritter … Periode« gesprochen werden können?

2. Die Teilung der Tage in »Abend und Morgen« ist ein Beweis, daß nur Vierundzwanzigstundentage gemeint sein können (vgl. Daniel 8, 14).

Darauf erwidert die Periodenauffassung, daß die im Alten Testament so oft vorkommende Verwendung des Wortes »Tag« im Sinn von »Periode« durchaus auch einen Gebrauch des Wortes »Abend« und »Morgen« in diesem weiteren Sinne zuläßt.

3. Bei einer Deutung von Tag = Periode ist schwer begreiflich, was dann die »Abend«perioden vorstellen sollen.

Darauf erwidert Professor Franz Delitzsch, daß auch bei der Periodenauffassung die Worte »Abend« und »Morgen« einen durchaus einleuchtenden Sinn ergeben: »Mit jedem Anheben göttlichen Schaffens wurde es Morgen; mit jedem Nachlassen göttlichen Schaffens wurde es Abend.« Ähnlich schreibt Professor Lange in seinem Bibelwerk: »Nach Analogie des ersten Tages ist der Abend die Zeit einer besonderen, chaotischen Gärung der Dinge, der Morgen die Zeit der ihr entsprechenden neuen, schönen, festlichen Weltbildung.« So auch Professor A. Rendle Short: »Wahrscheinlich ist der Ausdruck »Morgen und Abend« eine symbolische Aussage, daß es abwechselnd Perioden der Tätigkeit und der Ruhe auf Seiten des Schöpfers gegeben hat.«

Die Restitutionstheorie hat hiergegen eingewandt, diese Auslegung sei unmöglich, da doch im Schöpfungsbericht die Abende den Morgen vorausgingen. Die Antwort lautet: In Wirklichkeit gehen in 1. Mose 1 die Tage den Morgen voraus! Sonst dürfte es nicht heißen: »Und es ward (nicht: »war«!) Abend, und es ward Morgen.« Abend und Morgen können hier also nicht die Anfänge der beiden Tageshälften sein, sondern nur deren Schluß. So schon beim ersten Schöpfungstage. Der Sinn ist: Mit der Schöpfung des Lichts begann der erste Morgen, und dann »wurde« es Abend, und endlich, als es wieder Morgen «geworden« war, war ein Tag voll. Wir haben hier also nicht die gesetzlich priesterliche Rechnung, nach welcher der Tag mit Sonnenuntergang beginnt (vgl. Ps. 55, 18; Neh. 13, 18; 3. Mo. 23, 32; Dan. 8, 14), sondern eine vor  und außergesetzliche von Morgen zu Morgen. So wie der erste »Tag« durch den Schöpfungsbefehl »Es werde Licht!« mit einem Morgen begann, so begann auch jeder folgende Tag mit einem Morgen und währte durch bis zum nächsten Morgen, das heißt, bis eine neue Schöpfungsperiode einsetzte.

4. Die Anordnung des siebenten Tages als des heiligen Tages (Sabbats) würde hinfällig, wenn man die »Tage« nicht als buchstäbliche Tage faßt.

Aber gerade hiergegen betont die Periodenauffassung, daß der siebente »Tag«, der dem Sechstagewerk folgt, als der »Ruhetag« Gottes, fraglos nicht als Vierundzwanzigstundentag, sondern als »Gottestag« verstanden werden müsse. Auch hält Gottes Ruhen von Seinem Schöpfungswerk immer noch an. Seit der Erschaffung des Menschen sind keine neuen Arten von Lebewesen entstanden.

Die Bedeutung des siebenten Tages als des Tages der Ruhe ist »gewiß diese, daß der Mensch Gottes letzte und größte Schöpfung war und daß seitdem keine weitere vollständig neue und verschiedenartige (tierische) Lebeform auf Erden aufgetreten ist« (Prof. A. Rendle Short).

Ferner beweise das Wort des Hebräerbriefes von der »Sabbatruhe« Gottes und der »Sabbatruhe«, die dem Volk Gottes aufbewahrt bleibt, daß mit dieser Sabbatruhe nicht ein Vierundzwanzigstundentag gemeint sein kann (Hebr. 4, 9. 10).

5. In der Gesetzgebung am Sinai wird die israelitische Woche durch den Hinweis auf die Schöpfungswoche begründet. »Sechs Tage sollst du arbeiten … ; aber der siebente Tag ist ein Ruhetag zu Ehren des Herrn. Denn in sechs Tagen hat der Herr den Himmel und die Erde geschaffen; aber am siebenten Tage hat er geruht« (2. Mo. 20, 9 11). Hier beweist die parallele Gegenüberstellung, daß zum mindesten Mose und seine alttestamentlichen Leser, wie bei der israelitischen Woche, so auch bei den Schöpfungstagen nur an Vierundzwanzigstundentage gedacht haben können.

Die Periodenauffassung hält die Erklärung für völlig ausreichend, daß hier einfach zum Ausdruck gebracht werde, die menschliche Woche von sieben Tagen habe ihren Ursprung in der göttlichen Woche von sieben Schöpfungsepochen.

6. Der biblische Berichterstatter sieht eine besondere Verherrlichung Gottes darin, daß Gott für so gewaltige Werke nur je einen buchstäblichen Vierundzwanzigstundentag gebraucht habe. So mühelos schafft der Allmächtige!

Hierzu bemerkt die Periodenauffassung, daß diese Schlußfolgerung wohl im volkstümlichen Denken oft gezogen worden ist, daß es aber in der ganzen Heiligen Schrift selbst keinen einzigen Hinweis darauf gibt, daß gerade in der Schnelligkeit des göttlichen Schöpferhandelns eine besondere Verherrlichung Gottes gelegen habe. Auch Psalm 33, 9 bezeuge nur, daß es Gottes königliches und allmächtiges Wort war, durch das die Welt ins Dasein gerufen wurde. Über die Zeitdauer besagt auch dies Psalmwort nichts.

Zu beachten sei ferner, daß in der Bibel kein einziges Ereignis vom Zeitpunkt der Weltschöpfung selbst ab datiert wird.

In jedem Fall wäre es Torheit, zu sagen, eine Periodenauffassung des Sechstagewerkes streite mit dem Begriff und der Würde eines persönlichen Schöpfergottes. Denn wenn Gott auch mit einem Schlage die Welt in Vollendung hätte schaffen können, so vermindert es doch weder Seine Weisheit noch Seine Macht, wenn Er in Seinem Rate beschlossen hatte, dies nicht zu tun. Vielmehr ist eine von Gott gelenkte, stufenweise Aufwärtsführung des Schöpfungsverlaufs genauso der Herrlichkeit eines allmächtigen Schöpfers würdig wie eine in einem einzigen Augenblick vollendete Tat.

Auch eine Weltschöpfung in sechs buchstäblichen Tagen wäre ja nicht ein sofort fertiges Handeln Gottes gewesen, ohne Benutzung irgendeiner gewissen Zeitdauer, so unvergleichlich kürzer diese auch gewesen wäre. So beweist der Umstand, daß die Schrift von einem Sechstagewerk spricht, zur Genüge, daß Sich Gott bei der Weltbildung tatsächlich der Form voranschreitender Schöpferhandlungen bedient hat. Gerade diese letztere Tatsache veranlaßte den Naturforscher J. Reinke (Professor der Botanik in Kiel) 1908 zu dem Ausspruch, die biblische Schöpfungslehre sei »der wichtigste Fortschritt menschlicher Erkenntnis. Der Atheismus ist ein Rückfall in prämosaische Barbarei.«

Auch hat Gott sowieso ganz offensichtlich den Grundsatz der Entwicklung in die Schöpfung hineingelegt. Man müßte sonst die Entwicklung des Huhns aus dem Ei leugnen! Alle Einzellebewesen entstehen auf dem Wege des Voranschreitens von niederen zu höheren Formen, um zuletzt eine feststehende, höchste Stufe zu erreichen. So kann es auch bei der Gesamtlebewelt und ihren verschiedenen Lebearten, unter göttlicher Führung und durch eine Reihe immer weiterer, neu einsetzender, göttlicher Schöpferhandlungen, ein organisches, zweck  und gesetzmäßiges, zielstrebiges Emporsteigen von niederen Stufen zu höheren gegeben haben. Ferner erklären die Vertreter der buchstäblichen Auffassung:

7. Die Einteilung des Schöpfungswerkes in sechs Tage (Perioden) ist bei der Periodenauffassung schwer erklärbar.

Dieser Einwand ist nicht ohne weiteres zu übersehen. Dennoch nennen wir einen Erklärungsversuch, den Prof. Dr. E. Hoppe in seinem Werk »Glauben und Wissen«, 1923, gibt. Nicht alle Vertreter der Periodenauffassung werden sämtlichen Einzelheiten dieses Erklärungsversuchs zustimmen. Auch wir haben im Hinblick auf gewisse Punkte manche unbeantwortete Fragen. Dennoch ist dieser Erklärungsversuch durchaus beachtenswert. Er fügt sich ein in beide Erklärungsweisen des mosaischen Berichts, sowohl die kosmologische, wie auch die rein terrestrische, d. h. ob das Werk des vierten Schöpfungstages astronomisch oder erd-atmosphärisch aufzufassen ist. Prof. Hoppe schreibt:

»Die erste Periode umfaßt die ganze Entwicklung des Kosmos aus der Materie durch Lichtätherschwingungen.
Die zweite Periode umfaßt die Entwicklung der Erde aus einem Nebelball zu einer festen Erde mit Atmosphärenhülle. Das ist wieder eine naturwissenschaftlich wohl abgegrenzte Periode.

Die dritte Epoche umfaßt dann die ganze vorkambrische, azoische Periode, wie sie geologisch bezeichnet wird, welche mit dem Auftreten des Pflanzenlebens abschließt.

Das vierte Tagewerk umschließt die Zeit, in welcher – wenn wir uns der Nebularhypothese bedienen – die Sonne, nach Absonderung der unteren Planeten, zu einer Kugel von der gegenwärtig vorhandenen Größe zusammengezogen war. Das ist wieder ein naturwissenschaftlich wohlumgrenzter Inhalt.

Endlich teilt der fünfte und sechste Tag die geologischen Formationen von der kambrischen Schicht bis zum Diluvium in zwei Abschnitte, deren Trennung etwa in der mesozoischen Periode mit dem Auftreten der ersten Beuteltiere gegeben wäre.

Natürlich sollen die Perioden nicht von gleicher Dauer sein, sondern es sind nur Zeitabschnitte für bestimmte Inhalte. Faßt man die Sache so auf, so ist dieser Bericht nicht etwa eine naturwissenschaftliche Lehre, aber doch so vernünftig, daß man nicht nur gegenwärtig, sondern für alle Zeiten damit völlig einverstanden sein kann.«

Nicht alle Vertreter der Periodenauffassung werden einer so genauen Einteilung folgen. Sie zeigt aber, daß es auch unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten möglich ist, für die Sechszahl von Schöpfungsperioden und ihre gegenseitige Abgrenzung ernsthaft gewisse Erklärungen zu suchen.

Zum Schluß muß noch bemerkt werden, daß die Erklärung der Schöpfungstage als buchstäblicher Vierundzwanzigstundentage, angesichts der geologischen Forschungen, nur im Zusammenhang mit der Restitutionsauffassung des Schöpfungsberichts aufrecht erhalten werden kann. Denn völlig unmöglich ist die »Sintfluttheorie«, die alle diese neu entdeckten Tatbestände der Erdgeschichte als Folgen der Sintflut darzustellen versucht.

Irgendwann aber müssen diese geologischen Entwicklungen, die nur Torheit und Unkenntnis grundsätzlich zu leugnen imstande sind, stattgefunden haben, wenn also nicht in den sechs Tagen, dann vor den sechs Tagen, in solchem Fall also zwischen 1. Mose 1, Vers 1 und Vers 2. Dann aber kann das Sechstagewerk nur eine »Wiederherstellung« der Erde gewesen sein, und die buchstäbliche Auffassung der Schöpfungstage steht und fällt mit der Anerkennung der Restitutionstheorie.

II. Die Unmöglichkeit der Sintfluttheorie

Völlig unmöglich ist der Versuch, die geologischen Tatbestände als Folgen der Sintflut aufzufassen. Drei Hauptgründe sprechen dagegen:

1. Es ist vom Gesichtspunkt der Erdgeschichte und Versteinerungskunde ganz ausgeschlossen, daß eine einmalige Flut von wenigen Wochen oder Monaten alle diese neuentdeckten Tatbestände bewirkt haben könnte. Das Studium der versteinerten Pflanzen und Tiere sowie die Untersuchung der Gesteinsschichten selbst haben zweifellos erwiesen, daß die Erde viele, unübersehbar lange Entwicklungsperioden durchgemacht haben muß, bis ihr das Wirken der Elemente Wasser, Luft und Feuer die gegenwärtige Gestalt gegeben haben. Nur Unkenntnis und Torheit sind imstande, diese Forschungen grundsätzlich zu verneinen.

Aus der fast zahllosen Reihe von Beweisen nennen wir nur folgendes. In seinem Buch »The Christian View of Science and Scripture« London 1955 (Die Schau des Christen über Wissenschaft und Bibel) schreibt Dr. B. Ramm: »Um 30 cm Kohle zu produzieren braucht es 30 Meter Humusboden … Im Yellowstone Park (U.S.A.) sind 600 Meter Erdschicht freigelegt worden, welche zeigen, daß achtzehn aufeinanderfolgende Wälder durch Lava vernichtet worden sind. Jeder einzelne Wald mußte sich entwickeln und wurde dann erst mit der Lavaschicht bedeckt. Ehe dann ein neuer Wald entstehen konnte, mußte die Lavaschicht verwittern, um den Humusboden zu bilden, in welchem wieder Bäume wachsen konnten. Die Anzahl der Jahre, die alles dies in sich schließt, ist weit größer, als die wenigen tausend Jahre, welche die Flut Geologen angeben könnten.«

2. Die Sintfluttheorie wird ferner auch schon durch die eine Tatsache widerlegt, daß sich noch nie zwischen den versteinerten Pflanzen und Tieren auch versteinerte Menschenreste gefunden haben. Daher muß jene Katastrophe bzw. müssen jene Katastrophen lange vor der Geschichte des Menschengeschlechts stattgefunden haben.

3. Vor allem aber würden, wenn eine einmalige Flut alles aufgewühlt und überschwemmt hätte, die versteinerten Pflanzen  und Tierreste in völligstem, nur vom Schwergewicht bis zu gewissem Grade beeinflußten Durcheinander der Arten und Gattungen daliegen. In Wahrheit aber weisen sie eine stets den jeweilig übereinander liegenden Schichten entsprechende, genau geordnete stufenweise Steigerung ihrer Organisation auf.

In der ältesten Periode des »Altertums« der Erde, im Kambrium, stehen die wirbellosen Tiere im Vordergrund. In der nächsten Periode, dem Silur, erscheinen die Wirbeltiere und zwar in ihren niedrigsten Formen, den ersten Fischen. Dann, im Devon, werden die Fische zahlreicher. In der nun folgenden Steinkohlenzeit (im Karbon) treten die ersten Amphibien auf, im Trias – mit dem das »Mittelalter« der Erde beginnt – erscheinen die noch höher organisierten Reptilien, die mit den Sauriern des Jura eine gewaltige Entwicklung erlangen. Allmählich treten in der Folgezeit – in der »Neuzeit« der Erde, besonders im Tertiär – die beiden höchsten Klassen der Wirbeltiere in den Vordergrund, das heißt, die Säugetiere und Vögel. Schließlich erscheint der Mensch als der Beherrscher der Erde.

Zeigt dies alles nicht ganz offensichtlich eine allmählich ansteigende Vervollkommnung der Organisation innerhalb der aufeinanderfolgenden Erdschichten? Die untersten und ältesten Schichten enthalten einfachere Wesen. Die folgenden und höheren bergen, ansteigend, immer mannigfaltigere und zusammengesetztere Formen. je näher wir also der Gegenwart kommen, desto vollkommener und mannigfaltiger wird die Lebewelt. Zuletzt treten die hoch  und höchstorganisierten Geschöpfe auf, so daß sich diese geradezu als Ziel und Ergebnis der früheren Perioden darstellen. Diese ganze, systematisch aufgebaute Aufwärts Stufenfolge in den geologischen Schichten zu erklären, ist die Sintfluttheorie in keiner Weise in der Lage.

III. Die sechs »Tage« als Perioden
Als Hauptgründe zu Gunsten der Periodenauffassung werden in der Regel die folgenden Gesichtspunkte geltend gemacht:
1. Die umfassendere Bedeutung des Wortes »Tag« an zahlreichen Stellen der Bibel. Man fragt: Haben wir den biblischen Text überhaupt richtig aufgefaßt? Ist es nicht ganz offenbar, daß an vielen Stellen, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, das Wort »Tag« eine Periode bedeutet? So leben wir im Zeitalter der Gemeinde am »Tag des Heils«, der jetzt, seit Christi Kommen, schon fast zweitausend Jahre lang währt (2. Kor. 6, 2)! Vom »Tag des Herrn« reden die Propheten und meinen damit die ganze Endgeschichte, oft ein¬schließlich des Tausendjährigen Reichs (Joel 2, 1. 2; 4, 18; Hes. 13, 5 u.a.) Ja, der zweite Petrusbrief redet sogar vom »Tag der Ewigkeit«.

2. Göttliches Zeitmaß für göttliches Handeln. Man fragt ferner: Sind nicht die sechs Schöpfungstage »Gottestage« gewesen? Müssen sie darum nicht mit göttlichem Längenmaß gemessen werden? Bei Gott gilt eben nicht das rein menschliche Zeitmaß. Bei Ihm »ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag« (2. Petr. 3, 8; Ps. 90, 4).

3. Der Umstand, daß im Schöpfungsbericht von »Tagen« schon v o r der Bereitung der Sonne die Rede ist (erster, zweiter, dritter »Tag«). Manche Vertreter der Periodenauffassung haben geradezu die Frage gestellt: Wie kann man überhaupt dem biblischen Schreiber   schon rein menschlich und logisch, zunächst abgesehen von aller Inspiration   die Gedankenlosigkeit zutrauen, von »Tagen« als buchstäblichen Vierundzwanzigstundentagen zu reden (1 . 3  »Tag«) für die Zeit schon bevor die Sonne (am 4. Tage) zur Beherrschung von Tag und Nacht für die Erde bereitet wurde? Denn erst seit der Erschaffung der Sonne beziehungsweise dem Durchbruch des Sonnenlichts durch die Erdatmosphäre, seitdem diese dünner und entsprechend lichtdurchlässiger geworden war, konnte von rein buchstäblichen Vierundzwanzigstundentagen, das heißt, Sonnentagen geredet werden. So schreibt Professor Dennert: »Es erscheint mir unannehmbar, daß ein so scharfsinniger Kopf, wie es der Berichterstatter der Genesis offenbar war, nicht gemerkt haben sollte, daß er von einem »Tage« in unserem Sinne nicht reden durfte, ehe die Sonne da war, die doch auch nach alter Ansicht den Tag regiert.« Ebenso erklärt H. L. Strack: »Hieraus ergibt sich, daß die Deutung (24stündige) Erdentage nicht nur nicht nötig, sondern sogar unmöglich ist.« In gleichem Sinne nennt Prof. D. Otto Zödder die Fassung der »Tage« in 1. Mos. 1 als Vierundzwanzigstundentage geradezu eine »exegetische Unmöglichkeit«.

Diesem Argument der Periodenauffassung kann aber entgegengehalten werden, daß nach Hiob 38, 4 7 die Sonnen  und Sternenwelt schon vor der Grundlegung der Erde erschaffen war, sodaß das »Licht« des ersten Schöpfungstages bereits das Sonnenlicht gewesen war und daß das Werk des vierten Schöpfungstages nicht in der eigentlichen Erschaffung der Himmelskörper bestanden habe, sondern in ihrer Sichtbarwerdung auf Erden durch Aufhellung und Dünnerwerden der Erdatmosphäre. Dann könnte es Morgen und Abend, Tag und Nacht auch schon in ganz buchstäblichem Sinne vor dem vierten Schöpfungstage gegeben haben. Nur wären dann eben vorher die Himmelskörper selber wegen der Wolkenschicht hier auf Erden nicht klar erkennbar gewesen.
Ein entscheidendes Hauptargument zu ihren Gunsten sieht die Periodenauffassung in der folgenden Tatsache:

4. Die auffallende Übereinstimmung der allgemeinen Reihenfolge der Schöpfungswerke von 1. Mose 1 mit derjenigen in den geologischen Schichten. Die geologischen Felsenurkunden und der biblische Schöpfungsbericht erzählen also einfach dieselbe Geschichte und laufen parallel. Dies findet noch eine weitere Bestätigung darin, daß, nach dem Zeugnis der Geologie, die vorangegangenen Perioden des Tertiär, ohne irgendeinen radikalen Bruch, in den gegenwärtigen Zustand der Erdgeschichte übergehen, das heißt, in Quartär, Diluvium, Eiszeiten, Alluvium und damit schließlich in die Zeit des Menschengeschlechts. Durch dies Ganze aber beweist diese Übereinstimmung in der Reihenfolge der Sechstagewerke mit der Geologie die Richtigkeit der Deutung der »Tage« als Perioden und wird zu einem Zeugnis wider die buchstäbliche Auffassung der Schöpfungstage als Vierundzwanzigstundentage. In gleicher Weise erklärt Professor Rendle Short: »Die erstaunliche Übereinstimmung der naturwissenschaftlichen Reihenfolge mit der biblischen Reihenfolge der Schöpfung scheint anzuzeigen, daß die biblischen »Tage« Perioden geologischer Zeit entsprechen.«

5. Die Neutralität des biblischen Textes in naturwissenschaftlichen Einzelfragen. Aus den Worten des Schöpfungsberichts: »Die Erde lasse Gras … Kraut … hervorsprossen. . . >nach seiner Art< … Gott schuf die Wassertiere . . . >nach ihrer Art< . . ., alles Geflügelte >nach seiner Art< . . ., die Landtiere … >nach ihrer Art<« (V. 11. 21. 25) haben Vertreter der buchstäblichen Auffassung der Tage als Vierundzwanzigstundentage einen Beweis für die »Konstanz« der Arten und einen Gegenbeweis gegen die Periodenauffassung gesehen. Darauf ist erwidert worden: Lassen nicht die Worte »Die Erde lasse hervorgehen« das Wie? dieser Entstehung der Lebewesen durchaus offen? Ist in ihnen nicht vielmehr einzig und allein die Tatsache ausgesprochen, daß alle lebendigen Wesen kraft göttlichen Worts entstanden sind? Läßt es der biblische Bericht dem Naturforscher nicht völlig frei, unter Anerkennung des Schöpfers, dem »Wie?« dieser Entstehung nachzusinnen? Und ist es nicht ebenso vereinbar mit dem biblischen Text, zu sagen, daß Gott in die einzelnen Formen der Lebewelt bei ihrer Erschaffung die Kraft hineingelegt habe, sich immer weiter zu entfalten und durch Umbildung der einfacheren Formen zu immer vollkommeneren emporzusteigen, und zwar »jedes nach seiner Art«? Aus diesem letzten Ausdruck eine naturwissenschaftliche Lehre über eine »Konstanz (Unveränderlichkeit) der Arten« herauszulesen, ist doch gewiß sehr gewagt! Genau derselbe Ausdruck steht im Grundtext in 3. Mose 11, 14 15. 19. 22. 29 und bedeutet dort ganz offensichtlich nichts anderes als »in allen ihren Varietäten«. Die Israeliten sollten unter anderem folgende Tiere nicht essen: den Adler … , den Geier. . ., den Falken »nach ihrer Art«, d. h. in allen ihren Varietäten. Über eine Veränderlichkeit oder Unveränderlichkeit (»Konstanz«) der Arten   etwa der 790 000 heute lebenden und der noch dazuzurechnenden, ungezählten, ausgestorbenen Arten   ist in diesem Ausdruck auch nicht das Allergeringste ausgesprochen, weder in bejahendem noch in verneinendem Sinne. Vielmehr ist der Text völlig neutral und besagt weder das eine noch das andere.

Abzulehnen ist in jedem Fall die Deszendenztheorie in ihrer Form der Theorie Charles Darwins (1809-1882), als ob der ganze Naturverlauf ziellos vom »Zufall« (chance) beherrscht gewesen sei und die einzelnen Lebearten (species) im »Kampf ums Dasein« (struggle for existence) durch »natürliche Auswahl und Zuchtlese« (natural selection) entstanden seien. Das Entscheidende ist der Glaube an eine göttliche Führung in der gesamten Naturgeschichte.

Zwar gibt es in der Natur zweifellos einen »Kampf ums Dasein«, in dem der Schwächere unterliegt und der Stärkere der Sieger ist. Auch gibt es eine Anpassung der Lebearten an ihre jeweilige Lebenssituation. Ebenso scheint es eine gewisse Vererbung neu erworbener Eigenschaften zu geben, sodaß man in gewissem Sinne mit Recht von einer teilweisen Weiterentwicklung und einem Übergehen niederer zu höheren Lebeformen sprechen kann. Völlig unbestreitbar ist auch der durch die Fossilien der jeweilig übereinander liegenden geologischen Felsenurkunden unzweideutig bezeugte Aufstieg des allgemeinen Pflanzen- und Tierlebens zu stets neuen, höheren Ausgestaltungen.

Aber ebenso ist es auch ersichtlich, daß der »Kampf ums Dasein« in dem weiten Ausmaß und der großen Bedeutung, wie Darwin ihn voraussetzt, in der Natur überhaupt nicht existiert. Er ist vornehmlich ein negatives, »ausjätendes« Prinzip, in dem manches, ja vieles, aber nicht alles, Schwächere untergeht, sodaß damit dem Stärkeren der Sieg und freie Bahn verschafft wird. Keineswegs ist er aber der große, positive Faktor in der Natur, der stets neue Formen hervorbringt. Überhaupt herrscht er nicht als das Entscheidende im gesamten Naturleben. Auch sind nicht wenige der schwachen, ja schwächsten Lebeformen von der ältesten, kambrischen Formation nicht ausgerottet worden, sondern leben fast unverändert (!) heute noch. Dahingegen sind hervorragend organisierte, ja starke und riesige Lebeformen, z. B. die Saurier der Jura- und Permzeit, trotz ihrer Überlegenheit und Kraft nicht übrig geblieben, sondern ausgestorben.

Auch ist manches höchst ausgebildete Organ körperlichen Lebens schon in den allerältesten Erdzeitaltern vorhanden gewesen, kann also überhaupt nicht als Ergebnis irgendeiner Art von Vererbung, Weiterentwicklung oder »Evolution« aufgefaßt werden. »Es ist sehr zu beachten, daß schon die ältesten uns bekannten Wirbeltiere wie ebenso die Fische des Silur Augen hatten, die soweit wir von ihren versteinerten Überresten urteilen können, den Augen der jetzt lebenden Fische gleichartig waren und in allem Wesentlichen auch den Augen der Säugetiere. Nichts deutet darauf hin, daß sich diese Augen aus irgend etwas Einfacherem heraus entwickelt hätten. Sie treten vielmehr gleich bei ihrem allerersten Erscheinen in absolut vollendetem Zustand auf den Schauplatz. Einige der ältesten Versteinerungen der Welt, eine Art der Tintenfische aus dem unteren Kambrium, hatte Facettenaugen genau wie unsere heutigen Insekten und unsere heutigen Krebs  und Krustentiere. In einigen versteinerten Triboliten kann man sogar die Facetten zählen« (Prof. Rendle Short).

Außerdem muß festgestellt werden, daß es sich bei den oben genannten Vererbungen, Weiterentwicklungen und Übergängen von niederen in höhere Formen innerhalb der Grenzen der jeweiligen Familien, die Übergänge von niederen zu höheren Formen ermöglichen, nur um Kräfte handelt, die innerhalb ein und derselben Familie, Gattung und Ordnung sich auswirken.

Es besteht ein höchst auffälliges Fehlen an fossilem Beweismaterial zur Erklärung der Hervorbringung neuer Klassen und Ordnungen. Trotz größter Bemühungen und sorgfältigster Untersuchungen seitens darwinistischer Naturforscher ist es einfach bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, die fehlenden »Zwischenglieder« (Darwin: missing links) nachzuweisen.

Vielmehr erscheinen in diesen geologischen Schichten die eigentlichen Hauptarten und Hauptstämme in ihren Grundformen ganz plötzlich, ohne jede erkennbare, direkte, allmähliche, vollständige Überbrückung zu bereits vorher bestehenden Lebeformen, also ohne auch nur den geringsten Hinweis auf ihren Ursprung und ihre Herkunft. Der fossile Tatbestand der Geologie weist also auf eine Anzahl von Neuanfängen hin, nämlich jedesmal dann, wenn eine neue Ordnung oder Familie, die mit neuen Organen ausgestattet ist, plötzlich auftritt.

Zahlreiche Naturforscher suchen dies durch »Mutation« (»Erbsprung«, lat. mutare, verändern) zu erklären, wie diese tatsächlich auch heute noch im Naturleben zu beobachten ist. Zugleich darf aber auch nicht übersehen werden, daß   wenn auch ein solcher »Erbsprung« zu einem Ausgangspunkt für höhere Lebeformen werden kann  , er in den allermeisten Fällen eine Abwärtsentwicklung (Degeneration) bewirkt, während eine Aufwärtsbewegung durch Mutation nur die Ausnahme ist.

Darum ist, nach der Periodenauffassung, für den, der an den lebendigen Gott glaubt, die andere Erklärung zum mindesten ebenbürtig, ja, wohl noch vorzuziehen, daß Gott an solchen Wendepunkten der Naturgeschichte in wiederholtem Maße neue »Starts« vollzogen habe, das heißt, Neuanfänge von noch nicht dagewesenen Lebefor¬men durch spezielle einzelne göttliche Schöpferhandlungen.

Der biblische Schöpfungsbericht selbst gibt über diese Fragen keine näheren Einzelheiten. Sicher ist, daß die Naturforschung nicht von einem absoluten »Beweis« einer lückenlosen Evolution aller Formen aus einer gemeinsamen Urzelle sprechen kann. Dies mag ein naturphilosophischer »Glaube« vieler Naturforscher sein, ist aber kein eindeutig nachgewiesenes, unbezweifelbares naturwissenschaftliches »Ergebnis« und selbst dann stünde es, nach der Ansicht mancher Vertreter der Periodenauffassung, nicht unbedingt in unversöhnlichem Widerspruch zum biblischen Schöpfungsbericht, da dieser über solche Einzelfragen ja überhaupt schweige, sondern nur die Tatsache berichtet, »daß« alles von Gott durch Sein Wort geschaffen worden ist, aber keine Aussage über die Art und Weise mache, »wie« Gott dies getan hat.

In jedem Fall aber offenbart sich die Sinnlosigkeit des Darwinismus in seiner Behauptung, daß alles vom »Zufall« beherrscht gewesen wäre und auch heute noch sei. Als ob je eine Uhr ohne die planende Intelligenz des Uhrmachers, ein Dom durch zielloses Durcheinanderwürfeln von Steinbrocken, eine Symphonie, wie die Neunte Symphonie Beethovens, durch zufälliges Zusammenfallen von Tintenklecksen entstanden sei! Nein:
»Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild’ gestalten.« (Schiller)

Ähnlich fragt Professor Rendle Short: »Ist es glaubhaft, daß ein blinder, nur vom Zufall beherrschter Naturprozeß, wie die >Natürliche Auslese< (Darwin: natural selection) es wäre, einen Geist hätte hervorbringen können wie einen Shakespeare oder einen Edison?«

Sir Arthur Keath, einer der hervorragendsten Anatomen Englands, der überall als Agnostiker angesehen worden ist, das heißt, als einer, der keine feste Ansicht über die weltanschaulichen Hintergründe für möglich hält, hat sogar einmal erklärt: »Ich würde ebenso leicht die Lehre der Dreieinigkeit glauben wie die Behauptung, daß lebendes, sich entwickelndes Protoplasma durch bloße Würfe des Zufalls jemals das menschliche Auge hätte ins Dasein bringen können.«

Zum Schluß sei noch bemerkt, daß Darwin selbst, trotz seiner Theorie   im Gegensatz zu sehr vielen seiner Anhänger   kein absoluter Gottesleugner gewesen ist. Dies beweisen seine Aussprüche: »Selbst zur Zeit meiner größten Schwankungen war ich nie ein Atheist in dem Sinne, daß ich das Dasein eines Gottes geleugnet hätte.« »Die Frage, ob ein Schöpfer der Welt existiert, ist von den größten Geistern, die je gelebt haben, bejaht worden.« »Ich nehme an, daß wahrscheinlich alle organischen Wesen, die jemals auf dieser Erde gelebt haben, von irgendeiner Urform abstammen, welcher das Leben zuerst vom Schöpfer eingehaucht worden ist.« Dabei handelt es sich bei ihm allerdings um einen Gottesbegriff im Sinn des »Deismus« also um einen Schöpfergott, jedoch ohne Eingreifen in die Natur und ohne Offenbarung.

6. Die geologischen Zahlenangaben. Die Jahrmillionen der Geologie muß man allerdings mit großer Zurückhaltung aufnehmen. Von Huene nennt für die noch versteinerungsfreien Urschichten (das »Azoikum«) 1900 Jahrmillionen. In Bezug auf das Gesamtalter des Erdballs schwanken die Zahlen zwischen 3 und 5 Milliarden Jahren.

Die Rechnung wäre gewiß richtig, wenn man nur beweisen könnte, daß das Fortschreiten der Entwicklungen zu allen Zeiten ein gleichmäßiges gewesen wäre. Die Schwierigkeit und Unzulänglichkeit bei all diesen Berechnungen ist aus naheliegenden Gründen aber immer die, daß aus den Beobachtungen einer sehr kurzen Zeit auf sehr lange Zeiträume geschlossen wird. Dies gilt auch bezüglich der Zahlenangaben, die aus dem radioaktiven Zerfall von Uranium in Uranblei errechnet werden, obwohl diese Messungen eine größere Zuverlässigkeit in Anspruch nehmen können als frühere Methoden.

Mit Recht schreibt Professor Rendle Short: »Schätzungen, die von der Dicke von Tropfsteinablagerungen oder Flußsandschichten abgeleitet werden, die oberhalb menschlicher Reste gelagert sind, machen keinen großen Eindruck auf uns. Denn die Schätzungen sind nur auf die Ablagerungsgeschwindigkeit der Gegenwart aufgebaut, während diese Geschwindigkeit in der Vergangenheit wahrscheinlich viel größer war. In der Periode der Eiszeit waren die Flußläufe geradezu enorm, und Sand  und Kiesablagerungen müssen sich hundertmal so schnell aufgehäuft haben wie heutzutage. In einigen, Versteinerungen bildenden Brunnen wachsen die kalkhaltigen Ablagerungen außerordentlich schnell, und dies kann auch in manchen Höhlen der Vergangenheit so gewesen sein.

Dennoch ist, trotz all dieser Einschränkungen, die alte Meinung, die Erde sei ungefähr 6000 Jahre alt, völlig unhaltbar. Allein um eine dünne Schicht von nur zwei (!) Zentimetern Kohle zu liefern, wäre ein heutiger Buchenwald von einhundert Jahren erforderlich! Und wie dick sind die Steinkohlenschichten im Innern der Erde! Nach Prof. Bettex stellenweise über zwölf Meter dick! Und oft liegen verschiedene Steinkohlenflöze übereinander! Und dabei ist die Steinkohlenzeit ja nur eine der zahlreichen, geologischen Perioden. Wie unübersehbar lang müssen doch da die Entwicklungszeiten des Gesamtwerdegangs der Erdoberfläche gewesen sein! Dies ist in jedem Fall richtig, auch wenn wir genauere Zeitberechnungen im einzelnen mit Zuverlässigkeit nicht anstellen können.

7. Geologisches Erdalter und biblische Heilsgeschichte. Schließlich hat man bemerkt: Wie kann es überhaupt so lange Schöpfungsperioden gegeben haben, da doch die Dauer des gegenwärtigen Bestandes nur wenige Jahrtausende umspannt? Dann würde ja die ganze, geoffenbarte Heilsgeschichte der Bibel, die doch den eigentlichen Hauptinhalt der Heiligen Schrift ausmacht, dagegen ganz klein und unverhältnismäßig kurz erscheinen. Im Wesentlichen miteinander übereinstimmend, schätzen unsere heutigen Geologen das Gesamtalter der Erde auf ungefähr nicht unter 2850 Millionen Jahre. Hierin ist das Steinzeitalter der Erde miteingerechnet, das heißt, der Übergang der feuerflüssigen Erdoberfläche in die erste Erstarrungskruste. Nimmt man nun, mit dem Paläontologen Professor von Huene, diese Zeitspanne als die 24 Stunden eines Erdentages, so ergibt sich, wie jeder leicht nachrechnen kann, daß die ganze »lange« Zeit der uns genauer bekannten »Weltgeschichte« (d. h. die Zeit von 400 vor Chr. bis heute) sich zur Gesamtzeit der Erdgeschichte verhielte wie der 13. Teil einer einzigen Sekunde zu einem ganzen 24stündigen Tageslauf. Wir ständen also eine dreizehntel Sekunde Vor 24 Uhr! Allerdings sind die Zahlenangaben der Geologie nur mit größter Zurückhaltung aufzunehmen. Immerhin handelt es sich in jedem Fall um ungeheuer lange Zeiträume, gegen die die uns übersehbare Menschheits  und Heilsgeschichte nur ein ganz winziger Bruchteil ist.

Darauf ist von Seiten der Periodenauffassung ungefähr folgendermaßen geantwortet worden: Allerdings ist die Zeit zwischen Menschenschöpfung und Weltvollendung nur ein kurzer, nur wenige Jahrtausende währender Zeitabschnitt. Aber es steht doch zu erwägen, daß dieser desgleichen nur erst eine Werde  und Anfangszeit ist. Er ist eine Periode, die gewisse, durch die Sünde in die Schöpfung noch dazwischen hineingekommene Hemmungen zu überwinden hat. Er ist also gleichsam ein vollendender Abschluß der Schöpfungszeit! Der eigentliche Dauerzustand aber beginnt erst mit der Neuschöpfung und Verklärung von Himmel und Erde und wird dann allerdings auch die ganze Ewigkeit umspannen. Dieser Ewigkeit gegenüber werden jedoch auch die begrenzten Jahrmillionen der Schöpfungs- und Erlösungszeit geradezu zu einer Kleinigkeit zusammenschrumpfen. Auf diese Ewigkeit aber muß man das Augenmerk richten. Nur so kann man den rechten Maßstab für die Beurteilung dieser Verhältnisse gewinnen.

Dritter Teil

NICHT SCHÖPFUNGSBERICHT, SONDERN »WIEDERHERSTELLUNG« DER ERDE?

I. Das Sechstagewerk als Wiederherstellung der Erde

»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« Durch das Schöpferwort des vollkommenen, lebendigen, all liebenden und allseligen Gottes wurde eine vollkommene Welt voll Leben und Licht, voll Freude und Glückseligkeit ins Dasein gerufen. »Aber es geschah das Unfaßbare. Ein gewaltiger Lichtfürst … verfinsterte sich. Zu Nacht wurde sein Reich und Gebiet, und aus dieser Nacht erscholl das erste Nein, dem Gott des Ja ins Gesicht geschleudert. Wohl blieben unzählige Engel und das große Himmelsheer im unendlichen Meer des göttlichen ja; doch verführte der nunmehr zum großen Drachen gewordene Satan die Legionen von Himmelsgeistern, die ihm untertan waren, und machte die einst liebte Erde zum finstern Chaos, wüst und leer.« So schreibt der bekannte Apologet Professor F. Bettex.

Der in Deutschland weit bekannte Evangelist General von Viebahn (gest. 1916) sagt: »Die Erde war wüst, leer und finster. Dies war die Folge der Empörung Satans. Der erste Schritt Gottes im Kampf wider Satan war: >Es werde Licht!<. . . jedenfalls hat eine große Katastrophe, die zwischen dem ersten und zweiten Vers der Bibel lag, die erste Schöpfung in ein Chaos verwandelt. Die Erde, aus Gottes Hand tadellos hervorgegangen, wurde durch Satans Empörung eine Wüste. … Es bedurfte einer Neuschöpfung, ehe der im Bilde Gottes erschaffene Mensch zum Herrscher auf der Erde eingesetzt wurde. Als sie geschehen war, sah Gott an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.«

Ebenso erklärt Dr. Freiherr von Huene, Professor für Paläontologie an der Universität Tübingen, 1947, »daß, als Gott im Anfang Himmel und Erde schuf, alles ohne Störung in Harmonie und Heiligkeit vor sich ging, und daß Gott dem Satan diese Welt zur Verwaltung übergab. Durch Satans Empörung wurde er, und somit sein ganzes Reich, unter Gottes Urteil gesetzt. Satan wollte sein wie Gott. Neid und Hochmut waren seine Sünden … In die Lücke zwischen 1. Mose 1, Vers 1 und Vers 2 gehört der Fall Satans mit all den Mächten, die zu ihm gehören.«

Dies sind die Grundgedanken der Restitutionsauffassung des Schöpfungsberichts. Ihr hält der katholische Gelehrte Ämilian Schöpfer (päpstlicher Hausprälat, weiland Professor am Collegium Romanum in Rom) entgegen, sie habe »weder im Text des Schöpfungsberichts noch sonst irgendwo in der Offenbarung irgendeinen Stützpunkt«. Lic. theol. Richard Krämer bekämpft sie geradezu als »fromme Spielerei«, als »Chaos von sensationserfüllten Behauptungen«, das schon in den gnostischen und manichäischen Systemen eine Rolle gespielt habe und auch in der Gegenwart besonders in den Kreisen immer wieder auflebe, »in welchen Geheimnistuerei Eindruck macht«. Wie ungerecht eine derartige Verurteilung ist, zeigt schon ein bloßer Hinweis auf die Vertreter dieser Auffassung. Dazu ist das Problem doch zu gewaltig, und die Vertreter dieser Erklärungsweise sind zu bedeutend, als daß man diese ganze Anschauung, selbst wenn man ihr nicht beitritt, einfach mit einem so wegwerfenden Machtspruch abtun könnte. Wenn diese auch in Einzelfragen zum Teil voneinander abweichen, so ist ihr gemeinsames Zeugnis in der Hauptfrage doch von beachtenswertem Gewicht.

Wir nennen in unserer Besprechung zuerst die wesentlichsten Be¬gründungen, die man zu Gunsten dieser Erklärungsweise geltend gemacht hat. Dann lassen wir die hauptsächlichen Einwände folgen, die dagegen erhoben worden sind. Durch sorgfältiges Vergleichen dieser Begründungen und Einwände möge sich der Leser sein eige¬nes Urteil bilden.

1. Weltschöpfung und Naturoffenbarung Gottes. Die Vertreter der Restitutionstheorie fragen: Ist alles freie Schaffen nicht stets ein Offenbaren? Muß darum die Weltschöpfung, ihrem innersten Wesen nach, nicht urspünglich eine Darlegung der Herrlichkeit des Schöpfergottes sein? Ist es nicht geradezu restlos undenkbar, daß je eine finstere, wüste und leere Welt in unmittelbarer Weise aus der Schöpferhand des Gottes des Lichtes, der Ordnung und der Lebensfülle hervorgegangen sein kann? Ein Gott, der nicht chaotisch denkt, schafft doch auch nichts Chaotisches! Darum kann doch ein Chaos, nach gottgegebener Anordnung, nicht vor dem Kosmos bestanden haben.

2. Die sprachliche Wortverbindung tohuwabohu. Die Restitutionstheorie betont: Zusammen kommt diese Wortverbindung nur noch an zwei anderen alttestamentlichen Stellen vor, und zwar beide Male, um damit ein Verderben zu bezeichnen, welches die Folge eines göttlichen Zorngerichts ist. So sagt Jesaja nach einer Beschreibung der schrecklichen Folgen des Falles Idumäas am Tage der Rache: »Und er (Gott) wird darüber ausspannen die Meßsehnur des tohu (= Verödung) und die Setzwaage des bohu (= Verwüstung).« Der Sinn ist: Dieselbe Sorgfalt, die ein Architekt mit Hilfe von Meßschnur und Setzwaage daran wendet, einen Bau zustande zu bringen, wird Gott daran setzen, das Verderben vollständig zu machen (Jes. 34, 11). Die zweite Stelle ist noch entscheidender. Dort beschreibt Jeremia die Verwüstung Judäas und Jerusalems nach ihrem Sturz und vergleicht sie, nach der Erklärung der Restitutionsauffassung, mit der voradamitischen Zerstörung. Er ruft aus: »Ich blicke die Erde an: ach sie ist tohu wa bohu, und zum Himmel empor: sein Licht ist verschwunden. Ich blicke die Berge an: ach, kein Mensch ist da, und alle Vögel des Himmels sind entflohen. Ich blicke umher: ach, das Fruchtgefilde ist zur Wüste geworden, und alle seine Städte sind zerstört nach dem Willen des Herrn infolge der Glut seines Zornes« (Jer. 4, 23. 27). Dies sind die beiden einzigen Stellen in der Heiligen Schrift, in denen – außer 1. Mos. 1, 2   die Wortverbindung tohu wa bohu vorkommt, und an diesen beiden Stellen hat sie den passivischen Sinn »Verwüstung« und »Ausleerung«. Hierin sieht die Restitutionsauffassung einen starken Beweis für die Berechtigung, anzunehmen, daß diese gleiche passivische Bedeutung auch an der dritten   also sonst einzigen   Stelle zum mindesten mitanklingt.

An einer weiteren Stelle spricht Jesaja von der Zerstörung Kanaans wegen der Sünden seiner Bewohner und sagt: »In Trümmern hegt die Stadt des >tohu<« (Jes. 24, 10), ein Ausdruck, der, mit Professor Menge und dem Hebräisch Aramäischen Wörterbuch von Professor Gesenius Buhl, als »die verödete Stadt« zu übersetzen ist.

3. Das Prophetenwort Jesaja 45, 18. Und sagt nicht die Schrift: »Denn so spricht der Herr, der die Himmel geschaffen. . ., der die Erde gebildet und sie gemacht hat. Er hat sie bereitet. Nicht als eine Öde (tohu) hat er sie geschaffen: um bewohnt zu werden, hat er sie gebildet«?!

4. Das Wort »hajetha« im Sinn von »ward, wurde«, statt »war«.

»Die Erde ward (wurde) wüste und leer«. Die Vertreter der Restitutionsauffassung weisen darauf hin, daß das hebräische Wort hajetha die Bedeutung »sie wurde« haben kann (wenn auch nicht muß). So z. B. in Ps. 118, 22: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden (hajetha).«   »Von seiten Jehovas ist dies geschehen (geworden. hajetha)«.

5. Der Gebrauch der Zeitwörter »schaffen« und »machen« in 1.Mose 1. Die Restitutionsauffassung weist darauf hin, daß, abgesehen von Vers 11 das hebräische Wort bara »schaffen« sich nur zweimal im Schöpfungsbericht findet, und zwar bei der »Schaffung« des tierischen (V. 21) und des menschlichen Lebens (V. 26. 27). Sonst gebraucht der Schöpfungsbericht überall das Wort »machen« (asah), das ein »Bilden« und »Formen« aus schon bestehendem Material bedeute. Auch dies sei ein Beweis, daß es sich beim ersten Kapitel der Bibel nicht um die erstmalige Neuschöpfung, sondern die Neubildung der Erde nach ihrer Zerstörung handele.

6. Der Jubel der Engelwelt beim Beginn der Erdschöpfung. Und wie wäre es denkbar, so fragt man, daß bei der Grundlegung der Erdwelt die Himmelsheere jubelten und, voll Anbetung und Bewunderung der Schöpferherrlichkeit Gottes, frohlockten und jauchzten, wenn diese Erdschöpfung zunächt Formlosigkeit und Leere, Wüste und Wirrnis gewesen wäre? Bezeugt doch Gott Selbst solchen Jubelgesang der Engel gleich bei der Grundsteinlegung und Entstehung der irdischen Schöpfung, wenn Er im Buch Hiob die Frage an den Menschen stellt: »Wo warst du, als ich die Erde gründete? … Wer hat ihren Bauplan entworfen? … Wer hat ihren Eckstein gelegt, während die Morgensterne allesamt laut frohlockten und alle Gottessöhne (d. h. Engel) jauchzten?« (Hiob 38, 4 7).

7. Die Nicht-Einbeziehung der »Schöpfung von Himmel und Erde« (Vers 1) unter die Werke der sechs »Tage«. Von hier aus   so erklärt man  , und zwar von hier aus allein, werde es auch verständlich, warum der biblische Bericht, der doch keine Willkür und Zufälligkeit kennt, die Schöpfung von Himmel und Erde, die doch als die Grundlage alles Folgenden, eigentlich zunächst das Wichtigste wäre, nicht zu den Werken der sechs Tage rechnet, sondern sie diesen vorausgehen läßt. Stünde dagegen der zweite Vers »in so engem Zusammenhang mit dem ersten, wie man gewöhnlich annimmt, das heißt, würde er den Zustand beschreiben, in welchem Gott im Anfang die Erde und den Himmel geschaffen hat, so müßte dieses erste Werk notwendig unter den sechs Schöpfungstagen mitzählen. Es kann gar kein stichhaltiger Grund angegeben werden, warum es allein eine Ausnahme bilden soll. Dagegen erklärt sich dies von unserem Standpunkt aus ebenso leicht wie genügend«, sagt Dekan Keerl, einer der Hauptvertreter dieser Restitutionstheorie.

Dies Argument hat aber, nach der Ansicht der Periodenauffassung, kein großes Gewicht. Denn ist nicht der erste Vers »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« einfach lediglich die Überschrift des Ganzen oder nur die Aussage über die Erschaffung der Grundstoffe, wohingegen der biblisdie Bericht der sechs »Tage« darstellen will, was Gott mit der Erde machte oder wie Er den Gesamtkosmos weiter voranführte?

 

II. Einwände und Fragen

1. Der unmittelbare Gesamteindruck des biblischen Berichts. Der Haupteinwand, den man gegen diese Erklärungsweise erhoben hat, ist der, daß von dem Auftreten einer dämonischen Gegenmacht und den damit für die Naturwelt verbundenen Folgen im Schöpfungsbericht selber doch garnichts zu erkennen sei. Vielmehr mache er auf jeden unbefangenen Leser durchaus den Eindruck, daß er ganz einfach den geradlinigen Entwicklungsgang des Schöpfungswerkes und nichts anderes berichten wolle. Daß die von Gott geschaffene Erde wüste und leer »wurde«, sagt er nicht, sondern nur, daß sie, in ihrem Anfangszustand wüste und leer, d. h. formlos und inhaltlos, »war«, als das Sechstagewerk mit der Lichtschöpfung einsetzte.

2. Weiterhin bringt auch schon die Verteilung der Ausführlichkeit beziehungsweise Kürze der Berichterstattung hier nicht wenige Bibelleser ernstlich ins Fragen. Denn ist es nicht höchst unwahrscheinlich, so sagt man, daß eine ursprüngliche Schöpfung, die als Hauptgrundlage aller Kreatur und als eine Welt wunderbarster Schönheit ins Dasein gerufen worden war, nur mit einem einzigen, noch dazu sehr kurzen Satz genannt und dann aus der Berichterstattung entlassen wird (nur Vers 1), wohingegen dann so viele   nämlich 32 – Verse einem Werk gewidmet sein würden, das nur eine Wiederherstellung dieser ursprünglichen Schöpfung, also durchaus nicht die eigentliche Hauptsache gewesen wäre (Kap. 1, 3 bis Kap. 2, 3)?

3. Ein Bedenken entsteht für viele Schriftausleger auch durch das Schweigen der Bibel über eine solche Urkatastrophe und lange Zwischenzeit zwischen Vers 1 und Vers 2 des biblischen Berichts. Zwar hat man sie auf das Gesetz der »prophetischen Perspektive« hingewiesen, demzufolge verschiedentlich in der Weissagung zwei weitauseinanderliegende Ereignisse, wie zwei Gipfel irn Gebirge, zusammengeschaut werden, ohne die lange Zwischenzeit   gleichsam das »Tal« zwischen diesen Bergen   zu erwähnen, z. B. das erste und das zweite Kommen Jesu ohne die lange, nun schon Jahrhunderte währende Zeit der Gemeinde. So seien auch hier die ursprüngliche Erschaffung der Erde und ihre spätere Wiederherstellung zusammengeschaut, ohne Nennung der langen, geologischen Zwischenperiode. Die Frage aber ist, ob man diese beiden Gesichtspunkte in diesem Sinne überhaupt parallelisieren kann. Denn während, nach zahlreichen neutestamentlichen Weissagungen, ein zweites Konunen Jesu eindeutig bezeugt wird, ist eine »Wiederherstellung« der Erde nach ursprünglicher Zerstörung an keiner einzigen Stelle der Heiligen Schrift zweifelsfrei ausgesagt. Ist nicht darum dieser ganze Vergleich durchaus unzureichend begründet? Müßte man nicht aus anderen Schriftworten zuerst überhaupt zuverlässig wissen, ob es einen solchen zweiten »Gipfel« auch hier gibt, bevor man von einer Zwischenperiode reden und das Gesetz der prophetischen Perspektive hier anwenden könne?

4. Die folgende Frage ergibt sich aus der allgemeinen Hauptbedeutung der hebräischen Wörter tohu und bohu. Die Bezweifler der Restitutionsauffassung weisen darauf hin, daß diese Wörter zwar tatsächlich gelegentlich eine passivische Bedeutung im Sinn von »Verwüstung, Ausleerung« haben können, daß ihre eigentliche Hauptbedeutung an den allermeisten Stellen aber einfach »Formlosigkeit«, »Öde« und »Leerheit« ist, z. B. Hiob 26, 7: »Gott spannt den Norden der Erde aus über der Leere (d. h. dem leeren Raum: tohu)«. Jesaja 59, 4: »Man verläßt sich auf Trug und vertraut auf Nichtigkeit (Leerheit: tohu)«. Jesaja 40, 17: »Alle Nationen werden vor ihm (Gott) geachtet wie Nichtigkeit (tohu).«

Ist es aber nicht, so fragt man, gewagt, eine so wichtige Schriftauffassung mit einer ausnahmsweisen, seltenen Anwendung von Wörtern zu begründen, deren regelmäßiger Sprachgebrauch doch ein ganz anderer ist? Ist es darum nicht wohl ratsamer, die Wörter tohu und bohu in ihrem allgemein üblichen Sinne von »Formlosigkeit«, »Leerheit« aufzufassen, d. h. als einfache Schilderung der mit dem Schöpfungsanfang zusammenfallenden Urgestalt der Erde, als Charakterisierung des Nochnichtgeformtseins der zunächst noch »gehaltlosen und gestaltlosen« Masse vor Einsetzung der göttlichen Schöpferimpulse? Wäre es folglich nicht näherliegend, in Vers 1 die Erschaffung der Weltstoffe zu erblicken und in dem Werk der sechs Tage ihre Ausgestaltung, unter Leitung des göttlichen Schöpferwillens, zu einem irdischen Kosmos, in dem dann der Mensch schließlich auftreten und seine Aufgabe erfüllen konnte?

Dr. B. Ramm sagt: »Ein Marmorblock und eine zerschmetterte Statue sind beide formlos. Der erstere ist in einem Zustand, der noch einer Formung harrt, damit aus dieser Formlosigkeit das Bild der Gestalt hervortrete. Als Gott die Erde schuf, machte Er sie wie einen Marmorblock, aus dem Er die schöne Welt entstehen ließ«. Der Anfangszustand war zunächst die (von Ihm geschaffene) unentwickelte materielle Unterlage, die alle Fähigkeiten und Möglichkeiten für Licht und Leben in sich trug. Oder, wie Prof. Lange es ausdrückt»Das erste Wort (tohu) bezeichnet das Fehlen der Form, das zweite Wort (bohu) das Fehlen des Inhalts. Die Erde war zunächst unvollendet in der Ordnung und »leer« an Leben.«

5. Eine gleichartige Frage stellen die Vertreter der Periodenauffassung im Hinblick auf das hebräische Wort »hajetha« in 1. Mos. 1, 2. Es sei zwar richtig, daß dies Wort wohl gelegentlich die Bedeutung »wurde« haben könne, also gleichsam: »Die Erde >wurde< wüste und leer. Dies geschieht aber nur in seltenen Ausnahmefällen. – So z. B. in Ps. 118, 22: “Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Edcstein geworden (hajetha).”   “Von seiten Jehovas ist dies geschehen (geworden, hajetha)”. –

 Seine eigentliche Bedeutung ist jedoch ganz einfach »war«. »Die Erde >war< wüste und leer«. Und es sei wenig überzeugend, wenn ein seltener Sprachgebrauch eines Wortes zur Begründung einer sonst in der Bibel nirgends klar bezeugten Lehre von so weit tragender Bedeutung herangezogen wird, wohingegen dasselbe Wort an Tausenden von Stellen der Heiligen Schrift die andere Bedeutung von einfach »war« hat. Ausnahmen sind eben niemals maßgebend für die Regeln.

6. Der Sprachgebrauch der hebräischen Wörter bara »schaffen« und asah »machen«. Zu der strengen Unterscheidung zwischen »schaffen« und »machen«, wie sie die Restitutionstheorie vollzieht, bemerkt die Periodenauffassung:

Das Wort bara »schaffen« bezieht sich zwar stets auf ein göttliches Handeln; aber dies ist nicht immer ein sofortiges, fertiges Hervorbringen aus Nichts, sondern nicht selten ein gottbewirktes Hervorbringen auf dem Wege eines geschichtlichen Werdegangs. Also sehr ähnlich wie asah »machen«.

So hat Gott das Volk Israel »geschaffen« (Jes. 43, 1. 15), was auf dem Werdegang der Geschichte vollzogen wurde (vor und nach Abraham und den Patriarchen bis zur Gesetzgebung am Sinai). Ebenso ist das Volk der Ammoniter in ihrem Lande »geschaffen« worden (Hes. 21, 35). So hat Gott den Einzelisraeliten »geschaffen«, was ebenfalls nicht eine Sofort Schöpfung aus Nichts war, sondern ein Hervorbringen auf dem Wege der Geschichte (seit Adam über Noah und Abraham bis zur Geburt des betreffenden: Jes. 43,7; Mal. 2, 10), desgleichen den Einzelmenschen allgemein (Jes. 54,16; Pred. 12, 1).

Andererseits kann das Wort »machen« (asah), das eine allgemeinere Bedeutung hat, auch auf die göttliche Weltschöpfungshandlung angewandt werden, also in ähnlichem Sinne wie bara »schaffen«. So hat Gott Himmel und Erde »gemacht« (1. Mo. 2, 2; 2. Mo. 20, 11). So hat Er Sonne und Mond »gemacht« (1. Mo. 1, 16). So hat Er die Tiere »gemacht« (l. Mose 3, 1). So hat Er den Menschen »gemacht« (1. Mo. 1, 26; 6, 6). So hat das von diesem Zeitwort asah abgeleitete Hauptwort oseh geradezu die Bedeutung »Schöpfer« (Hiob 35, 10; 4, 17; Jes. 17, 7; 27, 11).

In ein und demselben Satz 1. Mo. 5, 1 werden beide Wörter »schaffen« und »machen« einfach nebeneinander für die gleiche Handlung der Menschenschöpfung gebraucht: »An dem Tage, da Gott Adam >schuf<, >machte< er ihn im Gleichnis Gottes.« Ebenso in 1. Mo. 1, 26. 27: »Lasset uns Menschen >machen< … Da >schuf< Gott den Menschen.«

Der Sprachgebrauch dieser beiden Zeitwörter ist also   übrigens wie ebenso im Deutschen   nicht so streng geschieden, wie die Restitutionsauffassung voraussetzt. Dies kann jedes hebräische Wörterbuch zeigen, z. B. Prof. Gesenius Buhl, Hebräisch-Aramäisches Wörterbuch. Daher darf dieser Unterschied auch nicht überbetont werden. Die Restitutionsauffassung zieht aber aus einer so schmalen Basis gar zu weitreichende Folgerungen.

Auch passe das Wort »bilden«, »formen« durchaus in die Periodenauffassung hinein. Denn gerade sie spricht, nach der »Erschaffung« der Grundstoffe von Himmel und Erde (Vers 1), von einer »Weitergestaltung« und »Weiterbildung« im Schöpfungswerk.

Das Argument der Restitutionsauffassung aus dem Unterschied dieser beiden Wörter sei also weder eindeutig noch klar und keineswegs ein spezieller Beweis für die Restitutionstheorie.

7. Auch der Hinweis auf das Prophetenwort Jesaja 45, 18 gilt den Vertretern der Periodenauffassung als nicht stichhaltig: »So spricht der Herr, der die Himmel geschaffen hat, . . . der die Erde gebildet hat … Nicht zu einer Öde (tohu) hat er sie geschaffen. Um bewohnt zu werden, hat er sie gebildet.« Denn ganz offensichtlich rede, so betont man, diese Stelle nicht vom Anfangszustand, sondern vom Ziel der Erdschöpfung. Dies beweise der unmittelbare Zusammenhang, nämlich der parallel gegenübergestellte Satz: »Nein, um bewohnt zu werden, hat er sie gebildet.« Dies »um   zu« weise aber auf das Ziel hin. Es dürfe darum nicht übersetzt werden: »Nicht als eine Öde (als ein tohu) hat er sie geschaffen« (vergl. Elb. Bibel), sondern: »Nicht zu einer Einöde (zu einem tohu) hat er sie geschaffen« (vergl. Menge Bibel). Oder, wie Luther richtig übersetzt: »Er hat sie nicht gemacht, daß sie leer soll sein, sondern er hat sie bereitet, daß man darauf wohnen soll.«

Daß dabei das Anfangsstadium eine Formlosigkeit und Gestaltlosigkeit   ein tohu und bohu in aktivem Sinne   gewesen sei, sei damit in keiner Weise verneint, sondern liege im Begriff eines Schöpfungswerdeganges begründet, der vom Geringeren zum Höheren voranschreitet. Das Argument der Restitutionstheorie aus dieser Jesaja Stelle gehe darum an dem eigentlichen Zusammenhang dieses Prophetenwortes vorbei.

8. Ferner hat man hervorgehoben: Selbst wenn die geologischen Schichten zwischen Vers 1 und 2 des mosaischen Berichts eingeschaltet werden könnten   wozu es jedoch keine einzige, weder naturgeschichtliche noch biblische stichhaltige Begründung gäbe  , so sei doch keine einzige Stelle in der ganzen Bibel vorhanden, die eine Verknüpfung des Falles Satans mit diesem vermuteten Zwischenraum zwischen den beiden ersten Versen der Heiligen Schrift vollziehe.

9. Weiterhin ist im Hinblick auf das Werk des vierten »Wiederherstellungs«tages gefragt worden: Sind denn auch die Sonne und der Mond und die Sterne zunächst zerstört worden, sodaß auch sie wieder neu hergestellt werden mußten?

Von besonderem Gewicht sind für die Vertreter der Periodenauffassung ihre folgenden Bedenken der Restitutionstheorie gegenüber.

Nach der Restitutionsauffassung war der Endzustand der Erde nach Ablauf der vorgeschichtlichen geologischen Perioden eine Zerstörung alles pflanzlichen und tierischen Lebens und sein Versinken in ein alles bedeckendes Wassergrab, also ein Tiefpunkt ganz besonderer Art in der Geschichte der Erdnatur. Die geologischen Schichten aber bezeugen genau das Gegenteil, nämlich ein systematisches, geradezu planmäßiges Aufwärtssteigen der Pflanzen  und Tierwelt zu immer höheren Entwicklungsstadien, bis hin zu der Zeit unmittelbar vor dem besonderen Haupt-Höhepunkt der Erdgeschichte, dem Auftreten des Menschen. In den geologischen Schichten finden sich von unten nach oben   also von den ältesten bis zu den neueren Sdüchten ansteigend   zuerst wirbellose Tiere, dann Fische, Amphibien, Reptilien, Wirbeltiere (Säugetiere und Vögel), bis zuletzt der Mensch erscheint als der König der Erde.” Die Restitutionstheorie ist, nach dem Urteil der Periodenauffassung, nicht in der Lage, diese systematisch geordnete Aufwärtsentwiddung in der Stufenfolge der Fossilien und ihren geologisch einwandfrei bewiesenen Zusammenhang mit der jetzigen Lebewelt einleuchtend zu erklären.

10. Nach der Restitutionstheorie   in ihrer Verbindung mit der Deutung der sechs »Tage« als Vierundzwanzigstundentage und der seit dem irischen Erzbischof Ussher herkömmlichen, alttestamentlichen Chronologie   müßte die Gesamterde am Ende der geologischen Perioden, kurz vor Adam und Eva, also um 4300 v. Chr., von Wasser völlig überflutet gewesen sein. Dann sei sie an einem einzigen Vierundzwanzigstundentag, nämlich dem zweiten Tag des »Wiederherstellungs«werkes, in der von da ab grundsätzlich bestehenden Verteilung von Land und Meer, aus dieser Überflutung wieder aufgetaucht.

Eine solche allgemeine Überflutung der Gesamterde, unmittelbar vor Beginn der Geschichte des Menschengeschlechts oder einige Jahrhunderte bzw. einige Jahrtausende vorher hat es aber, nach den geologischen Feststellungen, niemals gegeben. Nach der Geologie ist die Erde um 4300 v. Chr. keineswegs von Wasserfluten ganz zugedeckt gewesen, wie diese Auslegung von 1. Mos. 1, 2b (»Wasser«) es vermutet.

Anstatt also, wie sie glaubt, eine Versöhnung zwischen Geologie und Bibelauslegung zu bewirken – so sagen die Vertreter der Periodenauffassung -, steht die Restitutionstheorie, in dieser ihrer Form, in schärfstem Widerspruch zur Geologie und wird von deren Tatbeständen eindeutig widerlegt.

Dies wird nun in ganz besonderer Weise im Hinblick auf das Folgende betont.

11. Die außerordentliche Gleichheit bzw. Ähnlichkeit vieler jetziger Lebeformen mit den entsprechenden Lebeformen der Tertiär-, ja Kreide- und Jurazeit. Das Vorhandensein vieler unserer gegenwärtigen Pflanzen und Tiere kann zurückverfolgt werden bis in ferne, zum Teil sogar fernste geologische Zeitalter.

So sind sehr viele unserer heutigen Säugetiere, Reptilien und Amphibien in gleichen oder artverbundenen Formen schon unter den Versteinerungen aus der Zeit während bzw. vor der großen Eiszeit nachweisbar. Von den 400 Gattungen Land Säugetieren sind es 60 Prozent. Von den über 40 Gattungen Meeres Säugetieren sind es 75 Prozent. Der Nautilus, eine Art Tintenfisch, ist bereits in den uralten Felsen des Paläozoikums (Erd Altertums) festzustellen.

90 Prozent der Arten von Weichtieren (Mollusken) der späteren Tertiärformationen (z. B. Miozän) leben heute noch. Haie und andere Fische, die unseren gegenwärtigen gleichen, finden sich unter den Versteinerungen schon der Kreide  und Jurazeit. In der noch viel älteren Steinkohlen Zeit (Karbon) gab es Spinnen und Skorpionen, ähnlich wie unsere heutigen. Ja, manche Fischarten und Muscheln (z. B. Lingula, Zungenmuscheln) existieren praktisch unverändert sogar schon vom Kambrium an bis heute, d. h. von den allerältesten Erdschichten an, die Versteinerungen enthalten.

Ähnlich verhält es sich mit der Pflanzenwelt.

Von 147 Pflanzenarten, wie sie sich bereits vor der Eiszeit finden, wachsen ungefähr ioo noch heute in Europa, z. B. Veilchen, Butterblume, Brombeere. Die in den oberen Schichten des Tertiär (Pliozän) gefundenen Pflanzen umfassen mehr als ‘3o Arten von Blütenpflanzen, wie sie noch heutzutage fast alle in England vorkommen. Ebenso gab es gewisse Arten von Pappel, Akazie und Weide, wie sie heute teils in Europa, teils in tropischen Ländern wachsen, schon am Ende der Tertiärzeit. Walnußbaum, Eiche, Platane und Ahorn gehen bis in die Kreidezeit zurück. ja, »am Ende der Kreidezeit hatte die Pflanzenwelt überhaupt schon das allgemeine Aussehen angenommen, das sie noch heutzutage hat« (Dr. Brude). Gewisse Farne, die mit den heutigen gleichartig sind, finden sich sogar unter den Versteinerun¬gen der noch viel älteren Steinkohlenzeit.

Dies alles beweist, daß es keinen so radikalen Bruch zwischen den geologischen Perioden und unserer Gegenwart gegeben hat, wie die Restitutionstheorie ihn voraussetzt, sondern daß die alten, erdgeschichtlichen Zeitabschnitte ohne Unterbrechung mit den neuen verbunden sind. So wird, nach dem Urteil der Periodenauffassung, die Restitutionstheorie durch die geologische Tatsache widerlegt, daß es keinen chaotischen Zustand zwischen der menschlichen Periode und der Tertiärzeit gegeben hat. Vielmehr ist der ganze Verlauf, von Anbeginn an, nur ein einziges, zusammenhängendes, großes System der Natur.

Wenn man dagegen – so betont die Periodenauffassung im Gegensatz zur Restitutionstheorie – die geologischen Perioden in oder vor das Tohuwabohu, d. h. in die Zeit vor dem Sechstagewerk, verlegen würde, so wäre es ja völlig unvermeidlich, den höchst unwahrscheinlichen Schluß zu ziehen, daß die mit den heutigen Arten wesensgleichen (!) Tier  und Pflanzenarten der Tertiärzeit erst vernichtet und dann wieder neu geschaffen worden seien. Oder man müßte meinen, Gott habe, zur Zeit der Menschenschöpfung beim Beginn des Paradieses, durch einen besonderen Wunderakt den Tod erst aus dieser Tierwelt verbannt und die Tiere, z. B. besonders auch die Raubtiere, hinsichtlich ihrer Instinkte, ihrer Ernährungsweise und folglich ihres ganzen Körperbaues anatomisch physiologisch umgewandelt und habe dann diese selben (!) Tierarten wieder in ihren ursprünglichen Tertiär Zustand zurückverwandelt. Dies anzunehmen   sagt die Periodenauffassung im Gegensatz zur Restitutionstheorie   sei jedoch eine viel größere Schwierigkeit als den Zusammenhang des gegenwärtigen Tier  und Pflanzenlebens mit dem versteinerten für das Richtige zu halten. Auch sagt die Bibel davon kein Wort. So sei es offenbar, daß die Restitutionstheorie mehr naturwissenschaftliche Schwierigkeiten schafft, als sie zu lösen versucht.

Für die Periodenauffassung selbst stellt sich die Geschichte der urzeitlichen Erde folglich als ein zusammenhängender Gesamtverlauf dar, in dem jedoch zwei Hauptzustände zu unterscheiden seien:

der ursprüngliche Zustand in den allerersten Urzeiten ohne Störung durch gottwidrige Gewalten, nämlich so, wie sie zunächst aus der Schöpferhand Gottes hervorgegangen war und sich dann weiter entwickeln sollte,

und der spätere Zustand mit Hemmungen und Störungen und göttlichen Gerichten, in den sie durch den Sündenfall von Geistmächten hineingeraten war, die zu ihr in besonderer Beziehung standen.

Das Sechstagewerk gehöre dann als unfaßbar langer Zeitraum, der zu der jetzigen Erdgestalt hinführe, vornehmlich in den zweiten Zustand hinein und decke sich im wesentlichen mit den geologischen Perioden.

Dabei aber scheine es, daß, unter Zulassung Gottes, die chaotisierten Mächte des Argen, durch dämonische Einwirkungen den göttlichen Schöpfungsakten entgegenarbeiteten, und dies könne erklären, warum Bastardbildungen, Schreckenstiere, gegenseitiges Morden, Krankheit und Tod bereits in jener urzeitlichen Lebewelt so verbreitet waren. So schreibt auch der Tübinger Geologieprofessor von Huene 1947: »Es ist etwas Neues dazugekommen, die Finsternis, die Nacht, die an der Zusammensetzung der … folgenden Schöpfungstage einen wesentlichen Anteil hat … Das Reich der Finsternis, des Fürsten dieser Welt, war nun mitbestimmend im Sechstagewerk der Schöpfung, nachdem der Anfang ein ganz anderer gewesen war. Im Sechstagewerk haben Licht und Finsternis ihren Anteil«.

Wie der Schöpfungszustand vor Eintritt des Bösen beschaffen gewesen war, vermag niemand zu sagen. Jedenfalls   so erklärt die Periodenauffassung   fehle hinreichende Begründung in der Schrift, von einer einst schon fertig gewesenen »Lichterde« (F. Bettex), einem ursprünglichen »Lichtreich« (Th. Haarbeck), einer »ersten Urschöpfung« oder »ersten Erde« (Jakob Kroeker) zu reden. Denn was bis dahin erreicht war, sei erst ein Anfangsstadium der Urentwicklung gewesen, und was dieses Anfangsstadium im einzelnen in sich schloß, ist keinem Menschen bekannt.

Sicher ist nur, daß die Urstörung durch den satanischen Sündenfall schon sehr früh im Verlauf dieser einen, großen zusammenhängenden Schöpfungsentwicklung eingetreten ist und zwar schon bevor die Schöpfung so weit gediehen war, organisches Leben zu tragen; denn dieses war ja, wie die Fossillen beweisen, schon in der ältesten Urzeit und von vornherein, dem Vergehen, also dem »Tode«, unterstellt.

Dies würde bedeuten, daß der Sündenfall Satans zwar nicht unbedingt zwischen dem ersten und dem zweiten Vers von 1. Mose 1 stattgefunden habe, so aber doch irgendwann und irgendwie in der Zwischenzeit zwischen dem ersten und dem elften Vers des biblischen Berichts, der ja von der Pflanzenschöpfung spricht. Den genauen Zeitpunkt kann niemand wissen.

Dennoch aber habe Gott, trotz dieser satanischen Querwirkungen und der damit verbundenen notwendigen Gerichte   auf irgend eine Weise, die die Naturwissenschaft erforschen mag   durch allmähliche Steigerung der Lebeformen die Schöpfungsgeschichte in planmäßiger Aufwärtsentwicklung weitergeführt und das Pflanzen  und Tierleben bis zur jetzigen Lebewelt ansteigen lassen. Dies sei geschehen, unter göttlicher Leitung, teils durch Vererbung, Verzweigung und Abstammungszusammenhänge, teils durch wiederholte, neu eingreifende Schöpferakte. Dies letztere sei bewiesen durch die Tatsache, daß, trotz sorgfältigster geologischer Forschungen, keine Bindeglieder zwischen den Hauptarten der Lebewesen festzustellen sind (missing links). Zuletzt ist der Mensch, ohne Abstammungszusammenhang mit der allgemeinen Tierwelt, auf den Plan getreten, um von dem eigens für ihn angelegten Paradiesesgarten aus seine Laufbahn zu beginnen.

Und was die Raubtiere der Tertiärzeit betrifft, so glauben manche Vertreter der Periodenauffassung, daß diese Tierarten auch während der Paradieseszeit auf der außerparadiesischen Erde in ihrem bisherigen, z. T. wilden Zustand verblieben seien. Das Paradies selbst war zwar ein Sonderbezirk und als solcher eine Stätte von Frieden, Lebensfülle, Schönheit und Vollkommenheit. Es unterschied sich aber darin von dem Zustand der sonstigen irdischen Schöpfung. Denn wenn die Gesamterde eine Stätte des Lebens und absoluter Vollkommenheit gewesen wäre, so hätte es keines Paradiesesgartens bedurft. Die Tatsache aber, daß überhaupt ein Paradies geschaffen wurde, beweist, daß die Erde an sich nicht schon ohne weiteres ein geeigneter, voll würdiger Wohnplatz für den Menschen als den von Gott neu eingesetzten König der irdischen Schöpfung war. Damit aber wird schon die reine Tatsache der Pflanzung des Gartens Edens ein Beweis für die Unvollkommenheit der außerparadiesischen Erdwelt.

Und was die allgemeine Pflanzenwelt vor und nach dem menschlichen Sündenfall betrifft, so erklärt zwar der göttliche Fluch, daß der Acker »Dornen und Disteln« tragen solle. Aber mehr besagt er nicht. Weiter zu gehen, ist darum Willkür. Der biblische Text selbst sagt nicht mehr und nicht weniger, als daß in den vom Menschen bebauten Acker die schon sonst auf Erden vorhandenen Dornen und Disteln eindringen und seine Arbeit ungemein erschweren sollen. Professor Karl Heim schreibt: »Das Alte Testament … berichtet wohl von der satanischen Verführung, durch die die ersten Menschen in Sünde fielen, und von ihrer Austreibung aus dem Paradiese. Aber es weiß nichts von einer Verwandlung der ganzen Weltgestalt, die durch den Fall des Menschen herbeigeführt worden wäre.«

Aber heißt es nicht in der Schrift für den Abschluß des sechsten Tages und damit zugleich der Paradieseszeit: »Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut« (1.Mo.1,31)?

Diesen Einwand beantwortet die Periodenauffassung: Auch von der gegenwärtigen Zeit der Erde und ihrem jetzigen Zustand mit zwar sehr viel Schönheit und Lebensfülle in der Natur, aber auch mit so vielen Gewalten des Verderbens – Disharmonie und Zerstörung im pflanzlichen und tierischen Leben, Raubtiere in Luft, Feld und Wald – sagt die Schrift, indem sie von allem, durch die Sünde dazwischen  und hineingekommenen Negativen absieht und den eigentlichen positiven Kern und das ursprüngliche Wesen der Schöpfung in den Mittelpunkt ihrer Schau rückt: »Herr, wie sind Deine Werke so groß und so viel! Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll Deiner Güter!« (Ps.104,24).

»Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündet seiner Hände Werk« (Ps.19,2).

Solche Worte sind Aussagen über die Schöpferherrlichkeit Gottes allgemein und schließen das andere nicht aus. Sonst könnte auch die Heilige Schrift nicht von der Welt heute sagen: »Der Herr hat Wohlgefallen an seinen Werken« (Ps.104,31). Dabei ist sich derselbe (!) Psalmist im gleichen Psalm auch der anderen Seite bewußt: »Die jungen Löwen brüllen nach Raub« (Ps.104,21).

Ja, der 148. Psalm fordert nicht nur den Himmel und die Erde, Sonne, Mond und Sterne, zum Lobpreis Gottes auf, sondern sagt auch: »Lobet den Herrn von der Erde her, ihr Wasserungeheuer (!) und alle Tiefen! . . . Wildes (!) Getier und alles Vieh, kriechende Tiere und geflügeltes Gevögel: Lobet den Herrn!« (V. 1-10). Und Paulus bezeugt von der Offenbarung Gottes in der Natur, bei all ihrer gegenwärtigen, ihm ebenso wie auch uns bekannten Zwiespältigkeit: »Seine (Gottes) ewige Kraft und Göttlichkeit werden von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen« (Röm. 1, 20).

In diesem Rahmen der Natur hatte der Mensch ursprünglich von Gott die Aufgabe erhalten, vom Paradiesesgarten aus seine Herrschaft über die Erde auszudehnen und Paradiesesleben und Paradiesessegen überall hinzutragen und auszubreiten. Bei einer heiligen Durchführung dieses seines Herrscherberufs wäre es schließlich zu einer endgültigen Befreiung und Erlösung der ganzen irdischen Lebewelt gekommen, wie dies ja auch tatsächlich bei der Aufrichtung des sichtbaren Gottesreiches der Endzeit einst eintreten wird (Jes. 11, 6 8; Hos. 2, 20).

Da aber der Mensch gefallen ist, hat er zunächst seine Berufsbestimmung nicht erfüllt. So blieb das Verderben in der Tierwelt um des Menschen willen bestehen. Auch der »Acker«, das heißt, der vom Menschen bearbeitete Kulturboden, verblieb um des Menschen willen unter dem Fluch. Wenn darum die Schöpfung heute noch seufzt, weil sie der Knechtschaft der Nichtigkeit unterworfen ist, so geschieht dies um des Menschen willen. Darum kann die Erlösung der Schöpfung auch erst mit der Vollendung der Erlösungsgeschichte des Menschen eintreten, eben durch die »Teilnahme an der Freiheit, welche die Kinder Gottes im Stande der Verherrlichung besitzen werden« (Röm. 8, 21).

Der Vorteil dieser Gesamtauffassung ist – nach dem Urteil der Vertreter der Periodenauffassung -, daß sie dem Gesamteindruck des biblischen Schöpfungsberichts gerechter wird als die Restitutionstheorie. Auch stimme sie mit allen sprachlichen und exegetischen Texteinzelheiten überein und gehe nirgends über den eigentlichen Wortlaut der Schrift hinaus. Sie habe ferner den Vorteil, daß sie auch vom naturwissenschaftlichen Gesichtspunkt aus einleuchtender ist. Sie sei in Übereinstimmung mit dem Vorhandensein des urzeitlichen Todes in den geologischen Perioden wie auch mit der Tatsache des Zusammenhangs der Lebeformen der Urzeit mit der pflanzlichen und tierischen Lebewelt der Gegenwart, wie dieser durch die Fossilien klar bezeugt wird.

Die Hervorhebungen wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Oktober 2008

info@horst-koch.de
www.horst-koch.de

Weitere Beiträge von Bibellehrer Erich Sauer:

1.  Gott, Menschheit, Ewigkeit
2. Der Triumph des Gekreuzigten
3. Das Morgenrot der Welterlösung
4. Satan – der Widersacher Gottes
5. Das Tausendjährige Reich
6. Israel und die Geschichte der Tempel Gottes
7. In der Kampfbahn des Glaubens
8. Es geht um den ewigen Siegeskranz
9. Das Reich des Antichristen
10. Das babylonische Menschheitsgericht

 




Evangelikaler Mystizismus (McMahon)

Evangelikaler Mystizismus?

 

T.A. McMahon

Zu sehen, was bei denen passiert, die nach eigenen Angaben Evangelikale sind, betrübt mich heutzutage immer mehr. Ich weiß, der Begriff „Evangelikal“ hat sich hinsichtlich seiner Bedeutung und Praxis radikal verändert. Doch wenn ich den Begriff gebrauche, folge ich einer sehr einfachen Definition: Ich beziehe mich auf jene, die den Anspruch stellen, die Bibel alleine als ihre Autorität anzunehmen, wenn es um das Kennen und Annehmen von Gottes Weg der Errettung geht und wie sie ihr Leben in einer Weise leben, wie es Ihm gefällt.

Vor dreißig Jahren waren es junge, erwachsene Evangelikale, die durch den Herrn in wunderbarer Weise gebraucht wurden, meine Augen für die Tatsache zu öffnen, dass ich ewig von Gott getrennt war, und dass das religiöse System, von dem ich abhing, um in den Himmel zu kommen, eine falsche Hoffnung war. Zu der Zeit war das für mich nicht leicht zu akzeptieren. Obgleich sich meine Bindung zur römisch-katholischen Kirche in meinen späten Zwanzigern abgeschwächt hatte, war die Haltung, „Ich bin als Katholik geboren und ich sterbe als Katholik“ in das Gefüge meines Geistes fest verwoben.

Wenn ich an jene Tage zurückdenke, erkenne ich, dass ich ein gebundener junger Mensch war. Gewiß war ich der Sünde verfallen, wie es bei jedem nicht Wiedergeborenen der Fall ist. Aber es gab eine weitere Hörigkeit, die mich ebenso ergriffen hatte: die Hörigkeit der römisch-katholischen Tradition mit ihren Sakramenten, Liturgien, Ritualen und sakramentalen Gegenständen. Nicht nur waren solche Dinge unbiblisch – sie waren Werke des Fleisches und Erfindungen von Dämonen.
In meinem eigenen Leben, wie auch in der ganzen Geschichte der Kirche von Rom, fesselten sie Seelen im Aberglauben, und wurden unter dem Deckmantel der Spiritualität geltend gemacht.

Ich vertraute auf Reliquien von gestorbenen, so genannten Heiligen; Weihwasser; das Kreuzzeichen machen; geweihte Kerzen; Taufe zur Errettung (von Kindern oder anderen); ein „stofflich verwandeltes“ Stück Brot, das angeblich Christus sein soll; Marienerscheinungen; ein Skapular; eine „Wundermedaille; Statuen und Bilder von Jesus, Maria und den Heiligen; endlose Rosenkranzgebete; Novenen, die Stationen des Kreuzes; am Freitag kein Fleisch essen; Enthaltung in der Fastenzeit; die letzte Ölung, um mich ins Fegefeuer zu bringen und Ablässe, um mich daraus herauszuholen; Meßkarten; durch Maria gespendete Gnadengaben; die Beichte, mit Absolution meiner Sünden durch einen Priester; [katholische] Buße und persönliche Leiden, um mich von meiner Sünde zu reinigen; Anbetung eines Stück Brotes bei der Eucharistischen Heiligen Stunde; der Heilige Vater als Stellvertreter Christi auf Erden, usw., usw. Darin liegt eine Hörigkeit, die wenige Evangelikale verstehen können.

Viele tun diese Dinge als nichtwesentlich für den christlichen Glauben oder als geringfügige theologische Abweichungen ab, die allein der Katholizismus hat. Das ist nicht wahr. Sie sind für das von Rom verkündete Evangelium wesentlich – ein Evangelium der verdienstvollen Werke, welches die Bibel (siehe Galater, Römer, Epheser und weitere) als Ablehnung der vollendeten, stellvertretenden Sühnung durch Christus, unseren Retter, verdammt. Die Überlieferung des Katholizismus, die nach dessen Behauptung in ihrer Autorität der Schrift gleichgestellt sein soll, setzt sich aus jenen Dingen zusammen (wie sie oben aufgeführt wurden), die für einen katholischen Zugang in den Himmel notwendig oder hilfreich sein sollen.

Nach dem Wort Gottes ist alles, was zu Christi vollendetem Werk am Kreuz hinzugefügt wird, eine Leugnung des Evangeliums: dass Christus die volle Strafe für die Sünden der Menschheit bezahlte.

Die römisch-katholische Kirche, welche Unfehlbarkeit in ihren Konzilien und theologischen Lehren beansprucht, leugnet klar und nachdrücklich das biblische Evangelium. Das Konzil von Trient erklärt:

6. Sitzung, Grundsatz 9: Wenn jemand sagt, dass der Sünder durch Glauben alleine gerechtfertigt wird, was bedeutet, dass keine andere Mitwirkung benötigt wird, um die Gnade der Rechtfertigung zu erhalten… so sei er verflucht (Anathema).

6. Sitzung, Grundsatz 12: Wenn jemand sagt, dass rechtfertigender Glaube nichts weiter ist als Vertrauen in die göttliche Barmherzigkeit, die Sünden vergibt um Christi willen, oder dass es dieses Vertrauen alleine ist, durch das wir gerechtfertigt sind, so sei er verflucht.

6. Sitzung, Grundsatz 30: Wenn jemand sagt, dass nach Annahme der Gnade der Rechtfertigung die Schuld so vergeben ist und die Schuld der ewigen Bestrafung für jeden bußfertigen Sünder so ausgelöscht ist, dass keine Schuld zeitlicher Bestrafung bleibt, die in dieser Welt oder im Fegefeuer abgetragen werden muss, bevor die Tore des Himmels geöffnet werden können, er sei verflucht.

7. Sitzung, Grundsatz 4: Wenn jemand sagt, dass die Sakramente des Neuen Gesetzes [Grundsätze und Beschlüsse der Kirche] nicht notwendig für die Errettung sind, aber… ohne sie… erhalten Menschen von Gott durch Glauben alleine die Gnade der Rechtfertigung… er sei verflucht.

Anathema – Kirchenbann, in diesen Verordnungen (die noch in Kraft sind), verdammen jeden zur Hölle, der das falsche Evangelium der Werke der römisch-katholischen Kirche ablehnt.

Beginnend mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den Sechzigern, wo nur äußerliche Änderungen durchgeführt wurden (weil unfehlbare Dogmen nicht verändert werden können!), brachte Rom ein ökumenisches Programm auf den Weg, das Protestanten weltweit, und besonders Evangelikale in den Vereinigten Staaten verführen sollte. Das Ziel war und ist, die ganze Christenheit unter die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche mit dem Papst als ihren geistlichen Führer zu bringen. Voraussagbarer Fortschritt konnte unter liberalen Denominationen in Europa und den USA erzielt werden, die schon lange die Schrift preisgegeben haben. Erstaunlich jedoch ist der Erfolg, den das Schema unter amerikanischen Evangelikalen gehabt hatte.

Billy Graham war der erste und angesehenste Evangelikale, der die ökumenischen Bemühungen des Katholizismus unterstützte. Andere folgten, einschließlich Bill Bright, Pat Robertson, J.I. Packer, Timothy George, Robert Schuller, Hank Hanegraaff, Benny Hinn und Jack van Impe.
Die Bewegung Evangelikale und Katholiken Gemeinsam erklärte, unter der Führung von Chuck Colson und dem katholischen Priester Richard John Neuhaus, dass Katholiken und Evangelikale „Brüder und Schwestern in Christus“ seien und ermahnten sie, beim Verbreiten des Evangeliums zusammenzuarbeiten. Offensichtlich und passend wurde jenes Evangelium nie definiert.

Obgleich unter Evangelikalen die Akzeptanz von Dingen aus dem Römisch-Katholischen über die Jahre nach Vatikan II beständig wuchs, nahm sie durch die Popularität des ultrakonservativen katholischen Films von Mel Gibson, Die Passion Christi, exponentiell zu.
Seine Bühnenbearbeitung eines der heiligsten Rituale des Katholizismus, den Stationen des Kreuzes, nahm die Herzen der Evangelikalen so gefangen, dass ihr Eifer, Eintrittskarten in großer Menge zu kaufen, für den großen finanziellen Erfolg des Films verantwortlich war. Nachdem sie das erreicht hatten, machte Inside the Vatican diese einsichtsvolle Beobachtung: „Der Film hat Evangelikalen einen flüchtigen Blick in die katholische Seele, ja sogar die traditionelle katholische Seele, gegeben. Viele Evangelikale sagten beim Nachdenken über das, was sie in dem Film gesehen hatten, sie begännen nun, die ganze katholische Sache zu ‚kapieren’: Fastenzeit, die Asche auf der Stirn… kein Fleisch am Freitag… die traurigen Mysterien… der Stationen des Kreuzes… die Betonung der Eucharistie… die Marienverehrung… das enorme Kruzifix, das über jedem katholischen Altar hängt. Sie mögen nicht notwendigerweise herausstürzen, um Rosenkränze zu kaufen, aber manche der Dinge erscheinen nicht länger so fremd, so andersartig.“ [1]

Was Evangelikale auch „bekamen“, und was ihre Führer enthusiastisch als „biblisch“ genau“ unterstützten, waren zahlreiche Szenen, die auf der Phantasie einer katholischen Mystikerin aus dem achtzehnten Jahrhundert beruhten, die Schilderung von Maria als Miterlöserin bei der Errettung der Menschheit, und ein sehr katholisches Evangelium, das Christus für Sünde sühnen lässt, indem er unter der unerbittlichen physischen Folter der römischen Soldaten leidet. [2]

Die Passion Christi hatte eine phänomenale Wirkung auf evangelikale Jugendliche und Jugendpastoren. Nicht nur erschienen „[katholische] Dinge nicht mehr so fremd, so andersartig“, sondern sie tauchten in den Jugenddiensten von evangelikalen Gemeinden auf. Das Ritual der Stationen des Kreuzes wurde populär, obgleich es von 14 Stationen auf 11 verringert wurde, wobei einige Stationen eliminiert wurden, die der Schrift zu fremd waren (wie zum Beispiel Sankt Veronika, die ein Bild von Christi blutigem Gesicht auf ihrem Schleier festhielt). Gebetsaltäre wurden aufgebaut, auf denen Heiligenbilder ausgestellt waren, beleuchtet mit Kerzen und durch Verbrennen von Weihrauch in Duft eingehüllt, und Gebetslabyrinthe wurden auf große Planen gemalt, die in Kirchenkellern untergebracht waren, oder sie wurden in Rasenflächen vor den Kirchen geschnitten. Für junge Evangelikale, zu oft mit leeren, sich wiederholenden Anbetungsliedern großgezogen, die sich oft nur wenig von säkularer Musik unterschieden, und religiöser Unterweisung, die sich sehr auf Unterhaltung stützte, um ihr Interesse wach zu halten, schienen die katholischen und orthodoxen Liturgien weit spiritueller zu sein.

Das alles wurde zu „spirituellem“ Futter für die Emerging Church Bewegung (ECM), wobei viel davon eine Reaktion auf die Verbraucherorientierten Marketingansätze für das Gemeindewachstum waren, die durch Robert Schuller, Bill Hybels und Rick Warren populär gemacht wurden. Viele ECM Führer, die meisten mit evangelikalen Hintergrund, sahen das katholische Ritual und den Mystizismus als einen notwendigen, spirituellen Bestandteil, der den Evangelikalen bei der Reformation verloren gegangen war. Sola Scriptura war ein Hauptschlagwort der Reformatoren gegen die Mißbräuche, die aus der römisch-katholischen Überlieferung stammten; die Bibel als unsere einzige Autorität beendete den Einfluß der katholischen Mystiker, bekannt als Wüstenväter.

Doch der katholische Mystizismus ist mit Macht zurückgekehrt. Seine okkulten Techniken findet man beinahe überall, von Youth Specialties über Richard Fosters Renovaré Organisation bis zu Rick Warrens Leben mit Vision. „Viele christliche Führer begannen nach einem neuen Ansatz unter dem Banner von ‚spiritueller Formung’ zu suchen. Diese neue Suche hat viele von ihnen zurück zu katholischen, kontemplativen Praktiken und mittelalterlichen, klösterlichen Disziplinen geführt“, schreibt Brian McLaren zustimmend.

Tony Jones, Mitherausgeber von Ein Emergent Manifest der Hoffnung, hat ein Manifest des Mystizismus für Emerging Churches geschrieben mit dem Titel The Sacred Way: Spiritual Practices for Everyday Life – Der heilige Weg: Spirituelle Praktiken für den Alltag. Jones Danksagung an die, die seine Anstrengungen unterstützten, liest sich wie ein Who’s Who der Emergent Führer, nicht zu erwähnen die katholischen Priester, denen er dankt und die alten orthodoxen und katholischen Mystiker, die er zitiert. Was ist denn dieser Mystizismus, dem sie hier Vorschub leisten?

Katholischer Mystizismus ist durch und durch subjektiv und beruht nur auf Erfahrungen. Wie sein Vorfahr, der östliche Mystizismus, behauptet er, man könne Gott durch menschliche Vernunft weder kennen noch verstehen, sondern könne Ihn nur subjektiv durch verschiedene Techniken erfahren. Es ist die Antithese dessen, was die Bibel lehrt: „Kommt doch, wir wollen miteinander rechten! spricht der HERR“ (Jes 1,18); „Der Anfang der Weisheit ist: Erwirb Weisheit, und um allen deinen Erwerb erwirb Verstand“ (Spr 4,7); „Da seine göttliche Kraft uns alles geschenkt hat, was zum Leben und zum [Wandel in] Gottesfurcht dient, durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat“ (2 Petr 1,3).

Überdies ist das Ziel des Mystizismus Vereinigung mit Gott, d.h. das Aufgehen lassen der eigenen Seele in Gott. Das ist eine Unmöglichkeit, die die pantheistischen und panentheistischen [http://de.wikipedia.org/wiki/Panentheismus] Wurzeln des Mystizismus enthüllen, Gott sei alles und in allem. Nein. Gott ist unendlich und transzendent, vollkommen getrennt von Seiner endlichen Schöpfung.

The Sacred Way unterstützt zahlreiche, mystische Techniken, die heute unter Evangelikalen Akzeptanz gewinnen. Sie zu kennen und zu verstehen ist deshalb für die Unterscheidung entscheidend. Zentrierendes Gebet verwendet ein einzelnes Wort (z.B. „Liebe“ oder „Gott“), auf das man sich fokussiert, um den Verstand von allen anderen Gedanken zu reinigen. Man nimmt an, der so genannte Beter werde in der Stille vor Gott direkt von Ihm hören. Tony Campolo erklärt, „in meinem Fall hat sich nach und nach über die Jahre Vertrautheit mit Christus entwickelt, vor allem durch das, was katholische Mystiker ‚zentrierendes Gebet’ nennen. Jeden Morgen, sobald ich aufwache, nehme ich mir Zeit, manchmal sogar eine halbe Stunde – um mich auf Jesus zu zentrieren. Ich wiederhole seinen Namen immer wieder, um die 101 Dinge zurückzudrängen, die meinen Verstand ab dem Moment, wo ich meine Augen aufmache, zu überhäufen beginnen. Jesus ist mein Mantra, wie mancher sagen würde.“ [3]

Das Jesus Gebet lässt den Beter beständig Sätze wiederholen wie zum Beispiel „Herr Jesus, hab Erbarmen mit mir“, ja Hunderte, sogar Tausende Male. Die Wiederholung fixiert angeblich den eigenen Geist auf Jesus. Doch sie weist Sein Gebot, keine leeren Wiederholungen (Plappern) im Gebet zu verwenden wie die Heiden, eklatant zurück (Mt 6,7). Überdies machen die konstanten Wiederholungen das Gebet als eine Form der Kommunikation mit Jesus zu einer unsinnigen Handlung.

Lectio Divina bedeutet „heiliges Lesen“ und ist eine Technik, die weit entfernt von normalem Lesen und Studieren der Bibel ist. Ihre Methodik zielt darauf, hinter die objektive Bedeutung der Worte und der einfachen Belehrung zu dem zu gehen, was das normale Bewußtsein übersteigt. Jones schreibt, „indem du auf jene tieferen Bedeutungen acht gibst, beginne über die Eindrücke und Gemütsbewegungen zu meditieren, die in deinem inneren Selbst heraufbeschworen wurden.“ [4] Er faßt dann diese mystische, kontemplative Technik kurz zusammen: „Wahre Kontemplation bewegt sich jenseits von Worten und Intellekt und in jenen ‚dünnen Raum’, wo Zeit und Ewigkeit sich beinahe berühren. Es ist in Momenten wie diesen, dass einige der größten [katholischen] Heiligen in der Geschichte der [katholischen] Kirche eine ‚mystische Vereinigung’ mit Christus hatten.“ [5] Aus Gottes Wort ist klar dass der Geist, mit dem sie in ihrem kontemplativen, veränderten Bewußtseinszustand eine „mystische Vereinigung“ hatten, nicht Jesus war.

Examen des Ignatius ist eine okkulte Visualisierungstechnik, die von Ignatius Loyola gelehrt wurde, der die Jesuiten im 16. Jahrhundert gründete. Seine Übung lehrt einen, sich in Jesu Gegenwart zu visualisieren und dann mit Ihm bei Ereignissen während Seines Wandels auf Erden in Wechselwirkung zu treten, zum Beispiel „beim Letzten Abendmahl und dem Garten Gethsemane, zu Füßen des Kreuzes, und beim Legen von Jesu Leib ins Grab.“ [6] Das bewirkt, dass man der Schrift Inhalt aus seiner Vorstellung hinzufügt und es öffnet eine Person für dämonische Manipulation (2 Kor 11,4; Gal 1,8).

Gebets Labyrinthe sind konzentrische Wege, geschaffen von der katholischen Kirche im 13. Jahrhundert, um in der eigenen Vorstellung den Via Dolorosa Christi, oder „schmerzensreichen Weg“, als Er Sein Kreuz nach Golgatha trug, zu erfahren. Anstatt sich den Gefahren einer Pilgerreise nach Jerusalem während der Heiligen Woche auszusetzen, konnten römische Katholiken in Europa denselben Ablaß erwerben (um ihre Zeit im Fegefeuer zu verringern), indem sie in bestimmten Kathedralen durch Labyrinthe gingen, wobei sie im Gebet über die Kreuzigung Christi meditierten. Gleichermaßen wurde das Befolgen des „heiligen“ Rituals der Stationen des Kreuzes zu einem Ersatz für eine Pilgerreise ins Heilige Land.

Als ehemaliger Katholik ist es für mich schwer zu ergründen, wie sich die evangelikale Kirche in den religiösen Okkultismus des römischen Katholizismus einkauft. Es macht keinen Sinn. Besucht irgendein Land, wo diese Religion ernst genommen wird. Was offensichtlich wird ist ein Volk, das in Aberglauben gebunden ist. Auf der anderen Seite sollte ich nicht überrascht sein. Der Abfall nimmt schnell zu, die Religion des Antichristen nimmt Form an, und Mystizismus, ob es die katholische Spielart ist, der Sufismus des Islam, Yoga und die Gurus des östlichen Mystizismus, das Schamanentum der Eingeborenenreligionen, oder sonst wie, ist ein üblicher, doch kräftiger Magnet, der alle Religionen zusammenzieht.

Wir müssen Wächter auf der Mauer sein, wenn wir dieses Böse in die Kirche eindringen sehen, und besonders – sollte unser Herr Seine Rückkehr verzögern – unsere nächste Generation von Gläubigen warnen. Sie sind das eindeutige Ziel dieser mystischen Verführung.

Fußnoten

1. Inside the Vatican, March/April 2004
2. Siehe T. A. McMahon, Showtime für die Schafe? (The Berean Call, Mai 2004).
3. Tony Campolo, Letters to a  Young Evangelical (New York, NY: Perseus Books Group, 2006)
4. Tony Jones, The Sacred Way (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2005)
5. Ibid.
6. Ibid., 92

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Europa als kommende Diktatur (L.G.)

Was darf man in Europa noch sagen?

 

Von Dr. Lothar Gassmann

 

Die Vereinigten Staaten von Europa

In absehbarer Zeit wird es nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika geben, sondern auch die Vereinigten Staaten von Europa. Zugleich zeichnet sich in Gestalt der Vereinten Nationen (UNO) bereits eine Weltregierung ab – mit Weltparlament, Weltgerichtshof, Weltbank, Weltarmee und Weltpolizei.

Heutzutage umfasst die Europäische Union bereits 27 Staaten vom Nordmeer bis zum Mittelmeer und vom Atlantik bis zum Bosporus. Nicht in allen Ländern wurde die Bevölkerung gefragt, ob sie der Europäischen Union beitreten will. In mehreren Staaten regte sich starker Widerstand, so etwa in der Schweiz und in Norwegen, die momentan – aufgrund von Volksabstimmungen und gegen den Willen der Regierenden – noch nicht Mitglieder der Europäischen Union sind. Aber auch in mehreren bereits zur EU gehörenden Ländern ist es keineswegs sicher, ob diese nach dem künftigen Willen der Bevölkerungsmehrheit in der EU bleiben werden.

Von den Regierenden und hinter ihnen stehenden Interessengruppen jedoch wird in der überwiegenden Zahl der Staaten der EU-Beitritt propagiert und forciert, so etwa auch in der islamisch dominierten Türkei, deren Beitritt weithin umstritten ist. Der Wille zur Vereinigung ist – zwar gegen den Willen zahlreicher einzelner Bürger, aber gemäß dem Willen der Mächtigen – da und wird sich daher wohl auch vollends durchsetzen.

Dies entspricht auch der biblischen Prophetie, welche die Entstehung eines antichristlichen Einheitsreiches am Ende der Zeiten voraussagt. Die Frage ist nur: Wird dieses Einheitsreich eine regional begrenzte Größe (z.B. Europa) oder ein weltweiter Verband sein? Meine These, die ich in verschiedenen Publikationen (Europa – das wiedererstehende Römische Reich?, 2005; Diktatur Europa?, 2008) ausführlich begründet habe, lautet:

Das wiedererstehende Römische Reich besitzt sein maßgebliches religiöses Zentrum in  Rom. Es umfasst aber am Ende die gesamte Welt und Menschheit, denn die Herrschaft des Antichristen und seines falschen Propheten wird eine weltweite Erscheinung sein.

Es heißt im Wort Gottes:

“Die ganze Erde wunderte sich über das Tier, und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tier Macht gab, und beteten das Tier an … Und ihm wurde Macht gegeben über alle Stämme und Völker und Sprachen und Nationen. Und alle, die auf Erden wohnen, beten es an, deren Namen nicht vom Anfang der Welt an geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes, das geschlachtet ist” (Offb 13, 3 ff.

 

Die weltanschaulichen Grundlagen der Europäischen Union

Im VERTRAG ÜBER EINE VERFASSUNG FÜR EUROPA PRÄAMBEL heißt es:

“Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind und die zentrale Stellung des Menschen und die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte sowie den Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben…  [Sind die Hohen Vertragsparteien nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten wie folgt übereingekommen:]”

In Artikel 2 der EU-Charta werden “Die Werte der Union” beschrieben:

“Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte; diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung auszeichnet.”

Es fällt auf, dass in dieser Präambel sowie in der Beschreibung der Werte und Ziele jeder Bezug auf Gott und die christlichen Wurzeln des Abendlandes fehlt. An der Stelle Gottes wird in der Präambel “die zentrale Stellung des Menschen” betont. Dementsprechend finden sich dann die “Werte” eines atheistischen Humanismus, vor allem der Gedanke des Pluralismus und der Toleranz. Pluralismus und (Sach-)Toleranz schließen aber gerade feste Werte aus, wie sie uns etwa in den Zehn Geboten der Bibel vermittelt werden. Pluralismus und Toleranz – das bedeutet praktisch: Duldung unterschiedlichster Meinungen und Wertvorstellungen, auch wenn sie in Widerspruch zu Gottes Willen und Geboten stehen. Diese gottlose Basis des neuen Europa zeigt sich besonders folgenreich in Artikel 21 der EU-Charta über “Nichtdiskriminierung”, wo es heißt:

“Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.”

Unter “Diskriminierung” wird die Herabsetzung eines Menschen – etwa aus den genannten Gründen – verstanden. Die entscheidende Frage freilich ist: Wann beginnt der “Straftatbestand” Diskriminierung? Bei einer üblen Beschimpfung (die in der Tat abzulehnen und zu ahnden ist) – oder aber bereits bei einer von der Bibel her gebotenen sachlichen Kritik? Darf ein Christ etwa nicht mehr sagen: “Wer einer nichtchristlichen Religion anhängt, kann gemäß Joh. 14,6 nicht zu Gott dem Vater kommen.” Oder: “Wer Homosexualität praktiziert, tut Sünde.”?

Hier tut sich ein Konflikt zwischen dem “Nichtdiskriminierungs-Gesetz” und der ebenfalls (bisher) gesetzlich verankerten Meinungs-, Glaubens- und Religionsfreiheit auf, der den Juristen noch viel zu schaffen machen könnte.

Die Ziele der Homosexuellen-Bewegung

Janet L. Folger hat im Jahr 2005 in den USA ein bemerkenswertes Buch veröffentlicht mit dem Titel: “The Criminalization of Christianity”. “Read this, before it becomes illegal!”, ist der Untertitel. Zu Deutsch: “Die Kriminalisierung des Christentums”. “Lesen Sie dieses Buch, bevor es illegal (ungesetzlich) wird!” Sie schreibt darin: “Das letztendliche Ziel der Homosexuellen-Bewegung ist die Kriminalisierung des Christentums.” Auf Seite 82 und 83 veröffentlicht sie die weltweit propagierte Homosexuellen-Agenda, die bereits am 25. April 1993 bei einem “Gay Pride March” – das heißt zu Deutsch etwa “Schwulen-Stolz-Marsch” –  in Washington D.C. ganz offiziell verabschiedet wurde. Darin heißt es:

“1. Alle Sodomiegesetze sollen aufgehoben und alle Formen von sexueller Ausdrucksweise, einschließlich Pädophilie (Kinderschändung; L.G.), legalisiert werden.”
“2. Die Verteidigungshaushaltsgelder sollen umgewandelt werden, um Aidspatienten medizinische Versorgung zu ermöglichen.” Das mag ja noch akzeptabel sein. Aber dann heißt es auch: “… um
     Geschlechtsumwandlungsoperationen vorzunehmen.” Vor einiger Zeit hat sich z.B. in den USA eine methodistische “Pastorin” umwandeln lassen in einen “Pastor”.
3. Die gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption … soll legalisiert werden.
4. Homosexuelle Erziehungsprogramme sollen auf allen Ebenen der Erziehung, einschließlich Grundschulen, eingeführt oder angeboten werden.
5. Verhütungs- und Abtreibungsdienste sollen verfügbar gemacht werden für alle Personen, unabhängig vom Alter (auch schon für minderjährige Mädchen; L.G.).
6. Steuerzahlermittel sollen eingesetzt werden für künstliche Besamung von Lesben und Bisexuellen.
7. Religiös begründete Äußerungen bezüglich Homosexualität sollen verboten werden.
8. Organisationen wie die Pfadfinder sollen dazu gebracht werden, homosexuelle Gruppenführer zu akzeptieren.”

Wir wollen natürlich dem einzelnen homosexuell empfindenden Menschen seelsorgerlich helfen und beistehen, damit er zur biblischen Orientierung der Heterosexualität findet, die Gott uns schöpfungsgemäß geschenkt hat und wozu Er uns in Seinem Wort anweist. Ich sehe es allerdings als ein Zeichen der endzeitlichen Entwicklung an, dass der “Mensch der Sünde” sich immer mehr auf den Thron Gottes zu setzen versucht (2. Thess. 2), auch in dieser Form. Und dazu gehört nicht nur dieses: Propagierung sexueller und anderer Unmoral, sondern gleichzeitig wird auch gesagt: Man muss die “Fundamentalisten” (dazu werden auch bibeltreue Christen gerechnet) mundtot machen bzw. “zähmen”.

Dieser Begriff (“die Fundamentalisten zähmen”) stammt von Robert Muller, der über 30 Jahre Vizesekretär der Vereinten Nationen gewesen ist. Robert Muller, ein Elsässer, arbeitet seit Langem an dem Projekt einer “Eine-Welt-Regierung” (“One World Government”) und “Eine-Welt-Kirche” (“One World Church”). “Mein Traum”, sagt er, “ist es, eine riesige Allianz zwischen allen Hauptreligionen dieser Welt und den Vereinten Nationen aufzubauen”. Muller ist ein typischer New-Age-Denker. Er arbeitet mit den Theosophen in der Blavatskyschen und Besantschen Tradition zusammen an diesem Ziel. Er sagt weiter: “Aber da ist nur ein kleines Problem: das sind diese verdammten Christen (‚damned Christians’).” Und weiter: “Friede wird nur entstehen durch die ‚Zähmung’ des Fundamentalismus.” Er versteht darunter das Christentum, das an der Heiligen Schrift als wortwörtlich inspiriert (jedenfalls im Urtext) festhält.

Beispiele für eine beginnende Christenverfolgung in Europa

Harry Hammond, ein 67 jähriger Engländer, hielt vor einigen Jahren in einem englischen Park ein Schild hoch, darauf war zu lesen: “Stoppt Unmoral! Stoppt Homosexualität! Stoppt Lesbianismus!” Und was geschah? Homosexuelle sahen das, telefonierten miteinander, und es kam eine ganze Gruppe, die ihn zuerst lächerlich machte und dann tätlich angriff und zu Boden schlug. Dann riefen sie sogar die Polizei selber herbei. Wen nahm die Polizei daraufhin fest? Diesen 67-jährigen älteren Bruder! Diesen klagten sie an und sagten, sein Schild sei ein illegales Zeichen, er habe damit die Leute provoziert, und das dürfe man heute nicht. So sind heute schon die Gesetze umgeändert!

In Schweden wurde im Herbst 2002 mit großer Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, welches unter anderem für kritische Äußerungen über Homosexualität oder Homosexuelle eine Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren vorsieht. Dies soll auch dann gelten, wenn sich derjenige, der sich kritisch zur Homosexualität äußert, auf Bibelstellen beruft, wie z. B. auf Römer 1, 26; 1. Korinther 6, 9 – 11 und andere. Die Bibel soll wohl noch zitiert werden dürfen, aber – und dies ist der springende Punkt – sie soll nicht mehr als auch für unsere Zeit verbindliches Wort und Gebot Gottes ausgelegt und verkündigt werden. Sie soll also zum historischen Archiv herabgesetzt (oder soll man sagen: diskriminiert) werden. Hierin erkennen wir die Absicht des Teufels und des Antichristen, uns weg von Gott und Seinem Wort zu ziehen und die, welche an Gottes Wort festhalten, auszugrenzen und in Verfolgung zu stürzen.

Es gab in Schweden im Hinblick auf das oben erwähnte Gesetz einen Präzedenzfall (Musterfall): Der Pastor einer freikirchlichen Gemeinde namens Ake Green bezeichnete in einer Predigt Homosexualität und andere abnorme Neigungen als Sünde und als “Krebsgeschwulst am Körper unserer Gesellschaft”. Außerdem sagte er, jeder der zu Jesus Christus umkehrt und seine Kraft in Anspruch nimmt, könne davon geheilt werden. Für diese Äußerungen wurde Ake Green angezeigt. Der Rechtsstreit durchlief mehrere Instanzen. Der Pastor hat durch Gottes Gnade vor dem höchsten Gericht Schwedens in letzter Instanz gewonnen. Das Gericht entschied, dass seine Äußerung durch das Recht auf Religions- und Meinungsfreiheit gedeckt ist. Daraufhin wollen nun die liberalen (scheinliberalen) Parteien in Schweden das Antidiskriminierungsgesetz verschärfen. Bisher aber ist die Entscheidung des Gerichtes ein wichtiger Präzedenzfall, auf den wir uns in Europa eventuell berufen können.

Ein Fall aus neuester Zeit: Im Februar 2008 hat das Amtsgericht von Cardiff (Großbritannien) den anglikanischen Bischof von Hereford, Anthony Priddis, zu einer Geldstrafe von 47.345 Pfund (umgerechnet 63.540 Euro) verurteilt. Sein “Vergehen”: Der Bischof hatte einem Homosexuellen die Anstellung als Jugendmitarbeiter verweigert, weil er gemäß der christlichen Sexualmoral handeln wollte, die allein die Ehe von Mann und Frau als Ort geschlechtlicher Gemeinschaft vorsieht. Zusätzlich zu dieser immensen Geldstrafe verurteilte das Gericht den Bischof und seine Mitarbeiter zur Teilnahme an einem “Gleichberechtigungs-Training” mit dem Ziel der Umerziehung!

Ähnliche Fälle nehmen inzwischen weltweit zu (z.B. auch in Südafrika, USA und Kanada; vgl. die Beispiele in meinem Buch “Diktatur Europa”). Besondere Schlagzeilen gab es in Deutschland im Frühjahr 2008 im Blick auf den Jungendkongress Christival. Ein “Homo-Heilungs-Seminar”, das dort ursprünglich angeboten war, wurde aufgrund finanzieller Abhängigkeit von der Bundesregierung und starken öffentlichen Drucks der Grünen und Homosexuellen-Verbände aus dem Programm genommen.

Die Europäische Verfassung und Gesetzgebung

Die deutsche Tageszeitung “Die Welt” veröffentlichte schon mehrfach gemeinsame Artikel des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog zusammen mit Lüder Gerken. Roman Herzog war von 1994 bis 1999 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und vorher, von 1987 bis 1994, Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Er hat sogar bei der EU-Charta mitgewirkt, und zwar als Leiter derjenigen Kommission, die die EU-Charta entworfen hat! Und was sagt er heute? Roman Herzog schreibt in der WELT AM SONNTAG vom 14.1.2007: “Die Europäische Union gefährdet die parlamentarische Demokratie in Deutschland.” Und weiter: “Die Menschen in Deutschland sind weiter, als mancher Politiker meint. Die meisten Menschen stehen der europäischen Integration im Grundsatz positiv gegenüber. Gleichzeitig aber beschleicht sie das immer mächtiger werdende Gefühl, dass da etwas nicht stimmt; dass eine intransparente, komplexe und verflochtene Mammut-Institution entstanden ist, die, losgelöst von Sachproblemen und nationalen Traditionen, immer weitere Regelungsbereiche und Kompetenzen an sich zieht.” Er spricht in seinem Artikel immer wieder von der Zentralisierung aller Kompetenzen. Es wird alles immer mehr in einem Machtzentrum zusammengezogen, wie wir diesen Zentralismus in der Vergangenheit auch schon in verschiedenen Staaten erleben mussten.

Europarat verurteilt biblische Schöpfungslehre

Nun kommt ein weiterer klarer Beweis dafür, dass sich die Europäische Union insgesamt immer mehr in Richtung “Gesinnungsdiktatur” entwickelt. Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat am 4. Oktober 2007 eine Resolution veröffentlicht unter der Überschrift: “Die Gefahren des Kreationismus in der Erziehung.” Kreationismus (von lat. creatio = Erschaffung) ist die biblische Schöpfungslehre – also die Lehre, dass Gott die Welt in 6 Tagen so geschaffen hat, wie es Sein Wort sagt, und am 7. Tag ruhte. Wie wird in dieser Resolution formuliert? Man höre genau hin, wie sich politische Gremien in weltanschauliche, glaubensmäßige Entscheidungen einmischen. Politiker bestimmen über das, was man in dem Zusammenhang auch in Schulen unterrichten darf. Es heißt wörtlich: “Wenn wir nicht aufpassen, könnte der Kreationismus eine Bedrohung für die Menschenrechte werden, die eine zentrale Angelegenheit des Europarates darstellen.” Wir sind also – wie in altrömischer Zeit – Feinde des Menschengeschlechts, wenn wir die Bibel noch ernst nehmen.

Und dann heißt es – jetzt wird es immer gravierender -: “Die Evolutionslehre zu verleugnen, kann ernsthafte Konsequenzen haben für die Entwicklung unserer Gesellschaften … Der Krieg gegen die Evolutionstheorie und ihre Vertreter gründet sich meistens in Formen von religiösem Extremismus, der eng verbunden ist mit extremen rechtsradikalen politischen Bewegungen.” Jetzt sind wir als bibeltreue Christen in der Nazi-Ecke – und das, obwohl z.B. ich selber alles andere als ein Nazi bin. Ich habe z.B. die israelische Nationalhymne für Musikverlage ins Deutsche übersetzt und verschiedenes andere für Israel getan. Aber ich sage das als Beispiel dafür, wie schnell man in diese Ecke gedrängt wird.

Das wiedererstehende Römische Reich und die Römisch-Katholische Kirche

Nicht nur politische Mächte fast jeder Couleur, sondern auch ökumenische Organisationen und die Römisch-Katholische Kirche spielen eine wichtige Rolle bei der Vereinigung Europas und der gesamten Menschheit. Dies hat sich etwa bei den bisher durchgeführten Stuttgarter Europatagen unter großer katholischer und ökumenischer Beteiligung (auch von Charismatikern und Evangelikalen!) gezeigt. Und doch mündet die religiöse Schiene beim Einigungsprozess gemeinsam mit der politische Schiene letztlich in Rom. Auffallenderweise wurde am 29. Oktober 2004 die Verfassung der Europäischen Union von Staats- und Regierungschefs aus 25 Ländern auf dem Kapitol in Rom unterzeichnet. Radio Vatikan kommentierte:

“Den Text der Verfassung, der völlig ohne die Worte ´Gott` oder ´Christentum` auskommt, unterzeichnen alle – Ironie der Geschichte – unter einer großen, historischen Papststatue.”

War dies wirklich nur eine Ironie der Geschichte? Warum hat man denn gerade diesen symbolträchtigen Ort gewählt? Hat der Vatikan vielleicht doch mehr mit der Vereinigung Europas zu tun, als viele denken? Am 30.10.2004 jedenfalls, einen Tag nach der Unterzeichnung, wurde der Papst mit folgenden Worten zitiert:

“Der Heilige Stuhl und ich persönlich haben diesen Erweiterungsprozess unterstützt, damit Europa mit seinen zwei Lungenflügeln atmen kann: dem Geist des Westens und dem Geist des Ostens.”

Immer wieder hat Johannes Paul II. (Karol Wojtyla) seinen Willen zur europäischen und weltweiten Vereinigung unüberhörbar bekundet, so z.B. bei dem interreligiösen Friedensgebetstreffen in Assisi im Oktober 1986 oder bei seiner Ansprache an die südwestdeutschen Bischöfe vom 21.12.1992. Dabei sagte er:

“Ich begrüße Eure Initiative, sich der umfassenden Herausforderung des europäischen Einigungsprozesses, gemeinsam mit den Katholiken in allen Ländern Europas, zu stellen. Dabei bin ich sicher, dass ihr wie bisher die Aufgaben in dem noch umfassenderen Einigungsprozess auf dem Weg zur einen Welt nicht aus den Augen verlieren werdet.”

Ebenso äußerte sich Wojtylas Nachfolger im Papstamt, Benedikt XVI., bereits im Jahre 1995 (noch als Joseph Kardinal Ratzinger):

“Der Gedanke der Nation muss durch den europäischen Gedanken ergänzt und erweitert werden, der wiederum in die weltweite Verantwortung aller Kulturen füreinander in der einen Welt einzufügen ist.”

Nach katholischer Vorstellung ist Maria die Herrin Europas. Hier sei erwähnt, dass Otto von Habsburg, ein überzeugter Katholik, jahrzehntelang sowohl der Paneuropa-Union als auch dem “Orden vom Goldenen Vlies” vorstand, der Maria geweiht ist. Papst Pius XII. hatte bereits am 24.12.1941 den Appell ausgegeben, “ein neues Europa und eine neue Welt aufzubauen”. Immer wieder haben “Marienerscheinungen” – in Wirklichkeit “spiritistische Phantome” (E. M. Slade) – über ihre Medien dazu aufgerufen, Europa und die Welt zu vereinigen und diese “dem Herzen Marias zu weihen”.

Obwohl manche denken, Papst Benedikt XVI. sei “reformatorischer” als seine Vorgänger, darf man sich doch über seine tiefreichende katholische Prägung und unbiblische Marienverehrung keine Illusionen machen. So versprach er z.B. den Teilnehmern des Weltjugendtages in Köln im August 2005 unter bestimmten Voraussetzungen einen Ablass (!) ihrer zeitlichen Sündenstrafen im Fegefeuer. Und so hielt er wenige Tage vor diesem Kölner Großereignis in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo eine Ansprache anlässlich der “Himmelfahrt Marias”, in der er ausführte:

“Wie Christus mit seinem verherrlichten Leib von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, so wurde die ihm voll zugesellte Jungfrau mit ihrer ganzen Person in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen … Ich bitte die in den Himmel aufgenommene Jungfrau Maria um ihren Beistand für die jungen Teilnehmer des Weltjugendtages … In und mit Gott ist sie jedem von uns nahe, kennt unsere Herzen, kann unsere Gebete hören, kann uns mit ihrer mütterlichen Freundlichkeit helfen und ist uns gegeben, wie der Herr sagte, als eine Mutter, zu der wir uns in jedem Augenblick wenden können. Sie hört uns immer zu, ist uns immer nahe und besitzt als Mutter des Sohnes Anteil an der Macht des Sohnes und seiner Gottheit.”

Gott mehr gehorchen als den Menschen

In all diesen Entwicklungen wird der Vers in Apostelgeschichte 5, 29 wichtige Bedeutung erlangen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Zwar wollen wir nach Römer 13 gehorsame und treue Untertanen der Obrigkeit sein, aber die Bibel lehrt uns auch die Grenze dieses Gehorsams.

Wir sollen nicht einfach die Köpfe in den Sand stecken, sondern Widerstand leisten, so lange es noch möglich ist. Und wenn sie uns ins Gefängnis stecken, dann sollen wir auch dazu bereit sein. Janet Folger ruft in ihrem Buch “The Criminalization of Christianity” dazu auf, solange es noch Zeit ist, Einfluss zu nehmen in den Schulen, in Gesetzgebungen, in Massenmedien, den Wissenschaften, auf musikalischem Gebiet, auch zusammenzuarbeiten, so weit es möglich ist, aber nicht um den Preis der Wahrheit. Ich bin nicht für eine große Koalition aller Konfessionen, wie es manche jetzt propagieren, aber für ein Zusammenstehen derer, die wirklich wiedergeboren sind durch den Geist Gottes, auch bei allen Unterschieden, die es in einzelnen Lehrfragen gibt.

Und vor allem: Wir sollten uns abwenden von einer Abwehrhaltung hin zu einer offensiveren Haltung. Janet Folger schreibt: “Immer wieder werden die Begriffe uns übergestülpt. Wir werden als engstirnig hingestellt, als intolerant, als vorgestrig, als gesetzlich, und die anderen präsentieren sich dar als fortschrittlich, als modern, als tolerant, als pluralistisch.” Nein, wir sollen ganz klar sagen, dass wir nur das Beste vertreten, dass wir die beste Botschaft haben für die Menschen, damit sie wirklich heil werden und auch ins Reine kommen mit Gott, und damit auch ihr eigenes Leben wieder eine ganz neue Basis bekommt durch unseren Erlöser und HERRN Jesus Christus. Möge Gott der HERR uns dazu noch Zeit und Gnade schenken. Und möge uns der HERR Jesus Kraft schenken, wenn es einmal wieder auch für uns etwas kosten sollte, Christ zu sein.

Zwei Bücher zur Vertiefung (mit allen Quellenbelegen zu diesem Aufsatz):

Lothar Gassmann, Europa – das wiedererstehende Römische Reich?, 62 Seiten, 4,50 Euro
Lothar Gassmann: Diktatur Europa? Was darf man in Europa noch sagen?, 80 Seiten, 5,80 Euro
Dr. Lothar Gassmann, Am Waldsaum 39, D-75175 Pforzheim,

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Abendland am Scheideweg

Marius Baar

DAS ABENDLAND AM SCHEIDEWEG

– Ismael oder Isaak
– Koran oder Bibel
– Mohammed oder Jesus?


Versuch einer Deutung der endgeschichtlichen Prophetie – 7. Auflage, Mai 1980

– Die Hervorhebungen und leichte Kürzungen wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Februar 2008.
Angaben zum Verfasser siehe letzte Seite.  –  Als aufmerksame Zeitgenossen sollten wir aufschrecken, wenn wir heute weit über 30 Jahre zurückblicken können und dabei die Erfüllung des prophetischen Wortes vor unseren Augen miterleben müssen. In allen Punkten bestätigt sich Gottes Wort. –

Inhalt

Die Welt in der Krise
Isaak und Ismael
Israel und die Araber
Die eschatologische Bedeutung Ismaels und Isaaks
Der Untergang des Abendlandes
Der Siegeszug des Islam 
Ist Allah der Gott der Bibel?
Der Koran
Wer ist Moslem?
Der heilige Krieg hat wieder begonnen
Offensive gegen das Christentum
Das Geheimnis Israel
Die Zeit der Nationen geht zu Ende
Jerusalem als Laststein der Nationen
Tempel Gottes oder Greuel der Verwüstung
Jesus Christus und der Antichrist 

EINFÜHRUNG

Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, erwecken aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern; auf den sollst du hören (5. Mose 18,15).


»Heil dem Propheten!«  Dieser Ruf schallte Ayatollah Khomeini 1979 entgegen, dem es „im Namen Allahs“ gelang, die Macht im Iran an sich zu reißen. Was im Iran geschieht, ist ein Signal für die Welt, und besonders für die Christen. Haben wir seine Bedeutung verstanden?

Der Islam, die totgeglaubte Macht, erlebt seine Auferstehung. Die arabo-islamische Welt schickt sich an, zur reinen Lehre des Propheten Mohammed zurückzukehren. Die Lehre des Koran wird wieder in Kraft gesetzt, denn sie ist die von Allah zuletzt geoffenbarte und für alle Menschen gültige Richtschnur. Unter diesem Banner sollen nach dem Willen Allahs am Ende der Welt alle Menschen vereinigt werden. Die Ereignisse im Iran sind ein Vorspiel dazu.

Einem Mann ist es gelungen unter dem Motto: »Allah akbar« (Allah ist der höchste Gott) den Nahen Osten und die Welt zu erschüttern. So wurde der Triumph des Ayatollah Khomeini nicht nur ein Sieg über die stärkste Militärmacht und Dynastie des Nahen Ostens, sondern der Weckruf für die letzte Weltmacht.

Wie damals Gamal Abd el Nasser West-Europa und der ganzen Welt zeigte, daß die Macht Europas durch den arabischen Nationalismus gebrochen sei, so hat nun der Ayatollah Khomeini Amerika und der Welt demonstriert, daß der Islam über Amerika gesiegt hat. Der Sieg des Ayatollah ist aber nicht nur ein Sieg über den Iran und den Schah, es ist auch ein Sieg über das Abendland.

Innerhalb kurzer Zeit wurde der Schwerpunkt der Weltgeschichte in den Nahen Osten verlegt. Die Prophetie der Bibel wird Gegenwartsgeschichte. Und wir sind Zeugen!
Der Islam beansprucht den oben angeführten Vers aus dem 5. Buch Mose für sich und sieht in Mohammed den von Gott verheißenen Propheten. Wir erleben heute, wie sich die arabisch-islamische Welt unter dieser Prophetie vereinigt, um unterstützt durch die Macht des Öls, die Welt ihrem von Allah bestimmten Ziel zuzuführen.

Er (Allah) ist es, der seinen Gesandten (Mohammed) mit der Religion der Wahrheit entsandt hat, um sie über jede andere Religion siegreich zu erheben, auch wenn es den Götzendienern zuwider ist (Koran 61, 9).

Die islamische Welt glaubt, daß am Ende der Zeit ein Prophet kommen wird, dem die Unterwerfung der Welt gelingen wird. Es kommt nun darauf an, wohin unser Kompaß zeigt, auf Jesus Christus oder auf Mohammed, und aus welcher Perspektive wir die Weltlage beurteilen: von der Bibel oder vom Koran her.

In diesem Buch soll niemand angeklagt werden, weder die Ideologie noch der Islam noch die politischen Führer. Ich stelle nur fest, daß alles nach dem Plan abläuft, der uns in der Bibel gezeigt wird. Ich beanspruche nicht, die einzig richtige prophetische Schau unserer Zeit zu haben. Ich habe aber durch meine jahrelangen Erfahrungen mit dem Islam und dem Evangelium ein intuitives Verständnis für die Entwicklung des aufwachenden Riesen im Nahen Osten und auch für die gegenwärtige allgemeine Entwicklung bekommen. So glaube ich aufgrund meiner Erkenntnis eine Botschaft für unsere Zeit zu haben.

Diesen Ausführungen liegen etwa 25 Jahre Erfahrung mit Moslems zugrunde, von denen ich einige zu meinen Freunden zähle. Nachdem ich den Koran studiert und viel Literatur über den Islam und die Araber gelesen hatte, kam ich immer mehr zu der Überzeugung, daß die Weichen des christlichen Abendlandes falsch gestellt sind.

Wir können heute nur noch zwischen zwei Möglichkeiten wählen: dem Chaos durch eine sich immer mehr von Gott lösende Menschheit und der Ekklesia (Gemeinde Jesu Christi), deren Erlösung (die Wiederkunft Jesu Christi) sich naht (Lukas 21, 28).

Wie nahe das Chaos einerseits und die Erlösung andererseits sind, wollen wir aufgrund des prophetischen Wortes zu erkennen versuchen. Tag oder Stunde weiß niemand; doch bestimmte Zeichen sind uns gegeben.
Marius Baar, im Oktober 1979

 

1. DIE WELT IN DER KRISE


Isaak und Ismael, Israel und die Araber
Der Grundstein zu unserem heutigen Weltproblem wurde vor 4000 Jahren gelegt. Zu dieser Zeit wohnte in Mesopotamien (heute Irak) ein Mann mit Namen Abraham. Er lebte in einer Welt der Vielgötterei. Doch eines Tages offenbarte sich ihm der lebendige, eine Gott, Jahwe. Der befahl ihm, seine Heimat zu verlassen und in ein Land zu ziehen, das ihm gezeigt werden würde. Gleichzeitig wurde dem kinderlosen Abraham eine große Nachkommenschaft verheißen (1. Mose 12, 13).

Das Problem
Doch der Glaube Abrahams wurde hart geprüft. Es schien, als würde Gott sein Versprechen nicht einlösen. Abrahams Frau, Sara, war mittlerweile in einem Alter, in dem eine Schwangerschaft nach menschlichem Ermessen unmöglich ist. So bedrängte sie Abraham, durch ihre ägyptische Magd Hagar für Nachkommen zu sorgen. Abraham ging darauf ein, denn sein Glaube an Gottes Verheißung war noch sehr schwach (l. Mose 16). Hagar brachte einen Sohn zur Welt, den sie Ismael nannte. Dessen Nachkommen sind die Araber.

Vierzehn Jahre später wurde Abraham und Sara der verheißene Sohn geschenkt – Isaak, dessen Nachkommen die Israeliten sind.
Beide Söhne wurden die Stammväter von je 12 Stämmen. Weil Abraham den Unfrieden zwischen den Halbbrüdern kommen sah, bat er Gott vor Isaaks Geburt, Ismael zu segnen. Gott erhörte diese Bitte (1. Mose 17, 18, 21).

Die Feindschaft zwischen den Nachkommen Ismaels und Isaaks brach im Lauf der Geschichte immer wieder auf, und so ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Ismael (Araber) hat es nie verwinden können, daß Isaak (Israel) das von Gott auserwählte Volk und Träger der Gottesverheißungen ist. Von daher werden auch die Aussagen des Koran im Blick auf die besondere Erwählung der Araber verständlicher, ebenso der heutige Streit um das Land Israel. Bis vor einigen Jahren konnten wir, die Nationen, uns noch einigermaßen neutral verhalten. Heute sind wir aber wegen des Öls gezwungen, eine Entscheidung zu treffen: für Ismael und den Koran oder für Israel und die Bibel.

Die eschatologische Bedeutung Ismaels und Isaaks
Beide Linien, sowohl Ismael als auch Isaak, haben eine eschatologische (endgeschichtliche) Bedeutung. Von jeher waren Christen davon überzeugt, daß Israel in der Endzeit eine wichtige Rolle spielen würde. Selten hat man sich dagegen Rechenschaft darüber gegeben, welche Rolle die Linie Ismaels übernehmen wird. Nach Galater 4, 22-30 vertritt Isaak die Linie der Verheißung oder des Geistes, Ismael aber die Linie nach dem Fleisch.

Gott hat das erste Kommen Jesu Christi durch das Volk Israel vorbereitet. Heute bereitet er durch dasselbe Volk, das in sein Land zurückkehrt, das zweite Kommen Jesu Christi vor. Gleichzeitig aber bereitet der Widersacher Gottes das Kommen des Gottlosen vor. Das Tier und der falsche Prophet (Offenbarung 19, 20) treten in Erscheinung, und sie werden offenbar werden in dem »Menschen der Sünde« (2. Thessalonicher 2, 3), wenn Israel in sein Land zurückgekehrt sein wird. Wie Israel, so muß auch das Volk, in dem das Kommen des falschen Propheten vorbereitet wird, seit einer bestimmten Zeit existieren.

Johannes sagte uns vor etwa 1900 Jahren, der Antichrist sei schon in der Welt (l. Johannes 4, 3), folglich existierte die Linie, aus der er kommen sollte, schon zur Zeit des Apostels.
Es ist deshalb wichtig, daß wir die Augen offen halten und sehen, was im Nahen Osten vor sich geht. Dort wird sich der letzte Akt der Menschheitsgeschichte abspielen.


Das Schachbrett
Der Ursprung des Dilemmas, in dem sich die heutige Welt befindet, liegt in dem Ungehorsam Abrahams. Das war vor ungefähr 4000 Jahren. Wir können daraus schließen, daß nichts Zufall ist. Gegenwart und Zukunft sind in der Vergangenheit begründet; alles strebt einem bestimmten Ziel entgegen. Es stellt sich die Frage:
Kann man das Schicksal und die Entwicklung ändern?
Kann man aus dem Verlauf der Geschichte erkennen, wo sie hinsteuert und welche Konsequenzen man zu ziehen hat?

Wenn alles durch das Wechselspiel von Ursache und Wirkung vorprogrammiert ist, kann man daraus schließen, daß die Folgen, denen die Menschen preisgegeben sind, von bestimmten Kräften dirigiert werden. Der gläubige Christ wird deshalb die Aussagen der Bibel ernst nehmen, denn durch sie kann er erkennen, daß zwei Mächte im Spiel sind: Gott und Satan – Gut und Böse – Licht und Finsternis – Wahrheit und Lüge – Leben und Tod.

Daraus muß man schließen: Das heutige Weltproblem ist geistlicher Natur.

Die Geschichte lehrt, daß Völker einen Aufstieg erlebten und sich zu einer hohen Kultur entwickelten, wenn sie einen gemeinsamen Nenner oder ein höheres Ziel hatten. Sobald über ein Volk diesen gemeinsamen Nenner oder das Ziel aus den Augen verlor, war sein Untergang und der seiner Kultur besiegelt.

Deshalb ist es wichtig zu erkennen, ob im Abendland noch ein gemeinsamer Nenner mit einem höheren Ziel vorhanden ist, oder ob ein anderes Volk mit einer anderen Kultur die Weltführung übernehmen wird. Wenn ja, welches Volk, welche Kultur und welche Religion?

Wenn sich Gott und Satan in diesem Schachspiel gegenüberstehen, dann ist es für jeden einzelnen Menschen von höchster Bedeutung, dieses Spiel und seine Regeln zu erkennen und sich zu entscheiden, zu welcher Farbe auf dem Schachbrett er gehören will.

Wer sich nicht für Weiß entscheidet, braucht keine Entscheidung zu treffen, denn er ist automatisch auf der Gegenseite. Neutrale gibt es nicht. Im Augenblick scheint die schwarze Farbe im Vorteil zu sein und die größeren Chancen zu haben, doch der letzte Zug ist noch zu vollziehen. Wer wird der Gewinner sein?

Leben wir wie die Menschen zur Zeit Noahs? Noah wurde durch den Bau der Arche zum Schwarzseher abgestempelt, doch er hat recht behalten. Darum sind auch alle, die an der heutigen Arche, der Ekklesia, arbeiten, Schwarzseher, denn auch sie verkünden das Gericht, das über die Welt kommt.

Zeitenwende

Über Nacht hat sich der Schwerpunkt der Weltgeschichte vom Abendland in den Nahen Osten verlagert.

Die arabisch-islamische Welt übernimmt die Führung. Die Geschichte aber zeigt: Wo Araber hinkamen oder durchzogen, haben sie eine Wüste zurückgelassen. Ich habe das in Afrika selbst beobachten können. Werden nun auch unsere Länder durch den Ölsegen zur Wüste werden?
Ist die Umweltverschmutzung nicht eines unserer Hauptprobleme?
Müssen wir nicht  um vom Öl unabhängiger zu werden – Kernkraftwerke bauen, die unsere Länder aus der Abhängigkeit führen sollen?

Was wird geschehen, wenn der starke Mann des Nahen Ostens den Ölhahn zudreht, weil wir uns nicht seinen Bedingungen beugen? Dann wird das Abendland zugrunde gehen! Wenn die Bibel von der Endzeit redet, dann gebraucht sie oft den Ausdruck: Greuel der Verwüstung.

Doch schlimmer als die sichtbare wird die geistliche Verwüstung sein. Das kommende Weltchaos wird nicht allein durch die Umweltverschmutzung hervorgerufen, sondern noch schneller und noch plötzlicher durch die religiöse Entwicklung, die sich jetzt im Nahen Osten anbahnt. Der Geist des Greuels der Verwüstung geht der Weltzerstörung voraus.

Ich bin mir dessen bewußt, daß meine Ausführungen von vielen abgelehnt werden, denn Weissagung für die Endzeit kann in ihrer Tiefe nur von der Gemeinde Jesu verstanden werden. Wer nicht zu ihr gehört, den werden diese Aussagen wie eine unbekannte Sprache anmuten. Es ist aber mein Wunsch, Gläubigen und Ungläubigen einen Ausblick auf die kommende antichristliche Zeit zu geben.

Denn erst am Ende dieser Zeit wird die Herrlichkeit Jesu Christi offenbar werden.
Erst dann wird durch die Kraft Jesu Christi das Reich Gottes kommen.

Die einzige Grundlage und der einzige Wegweiser durch die Zeit ist und bleibt für uns das vom Geist Gottes geoffenbarte und inspirierte Wort Gottes, die Bibel.

Glaubt nicht jedem Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind. Denn es sind viele falsche Propheten hinausgegangen in die Welt. Jeder Geist der bekennt: Jesus ist der im Fleisch gekommene Christus, der ist von Gott, und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. (1. Johannes 4, 16).

Der Geist, der leugnet, daß Jesus Christus der Mensch gewordene Sohn Gottes ist, ist ein Irrgeist und ein Anti oder Widerchrist.

Der Untergang des Abendlandes

Die Westmächte, die 1945 allmächtig waren, haben unter dem Einfluß der öffentlichen Meinung freiwillig Position um Position und Land um Land preisgegeben, ohne daß ein Kanonenschuß abgefeuert worden wäre. So sind die Siegerstaaten freiwillig zu besiegten Staaten geworden. – (A. Solschenizyn)

Nach dem zweiten Weltkrieg haben die Siegermächte allmählich eine Schlacht nach der anderen verloren: Die Zeit der Entkolonisierung begann. Damit wurden die Siegermächte nicht mehr als Sieger angesehen, sondern als Schwächlinge und besiegte Mächte, die in den Augen der Dritten Welt von Tag zu Tag ohnmächtiger wurden. Der Abstieg des weißen Mannes hatte begonnen; wo wird er enden?
Der Inhalt des Auftrags Jesu war: Seine frohe Botschaft zu verkündigen und nicht Christentum aufzubauen. Das Ziel war Weltevangelisation, und nicht Christianisierung und Imperialismus. Darin versagte das Abendland, und es wird nun eine andere Macht den Auftrag und die Führung der Welt übernehmen.

Entscheidungen
»Sagt der Menschheit, daß nun die Endzeit für das Christentum und der Sieg des Islam nahe ist. Zeigt der Menschheit den Weg zum wahren Islam, gebt dem Christen eine Chance, sich selbst zu erkennen und umzukehren.« – (M.S. Abdullah, JESUS, Leben, Auftrag und Tod, Ahmadiyya, Mission des Islam).

1683 standen die Türken – und damit der Islam – im Süden Europas vor Wien. Europa, das durch die Religionskriege gechwächt war, wäre beinahe unter die Herrschaft des Islam geraten. Dann hätte es kein christliches Abendland mehr gegeben.

»Der christliche Glaube ist zwei Fingerbreit vom Untergang entfernt, wenn ihr die Herren bleibt«, sagte Tekeli zu dem türkischen Wesir, dem es beinahe gelang, 1683 Europa dem Islam zuzuführen. Wien galt damals als das Bollwerk der Christenheit.

Doch das damals durch Religionskriege gespaltene Abendland vereinigte sich, um die Türken aus seinen Ländern zu vertreiben: Von der Zeit der Reformation an rückt Europa in den Mittelpunkt. Von ihm kommen nun die Impulse und die Initiativen für die Weltgeschichte.

Ob es Zufall ist, daß seit der Reformation das Abendland die Führung übernahm, oder ob Gott eine Gnadenzeit schenkte, weil vom Abendland das Wort Gottes mit besonderem Nachdruck gepredigt und verbreitet wurde? Was hätte aus dem Abendland, ja aus der ganzen Welt werden können, wenn dem Wort Gottes nicht von seiten der Politik, und besonders der Religion, ein so gewaltiger Widerstand entgegengebracht worden wäre!

Hatten die Nationen – genau wie auch Israel – nicht begriffen, wozu sie berufen waren?
Ist es nun Zufall, daß nach 400 Jahren, in denen die christlich- humanistische Welt dem Wort Gottes Widerstand leistete, das christliche Abendland im Todeskampf liegt? Vor der endgültigen Zerstreuung wurde Israel vor die Entscheidung gestellt:
Christus oder Barabbas. Am Ende der Zeit der Nationen wird auch die christliche Welt vor die Entscheidung gestellt: Christus oder Mohammed?

Ist die Entscheidung vielleicht schon gefallen? Was durch Gewalt nicht gelang, gelingt durch List. Heute hat Europa auf religiösem Gebiet einen Tiefstand erreicht, und der Islam ist auf dem Vormarsch. Außerdem sind alle Menschen in die Abhängigkeit vom Erdöl geraten.
Ein Leben ohne Öl ist heute in Europa undenkbar. Deshalb benutzt der Islam das Öl als Druckmittel. Europa hat einen großen Fehler begangen, als es im November 1973 die UNO- Erklärung gegen Israel unterschrieb. Die ganze Welt hat sich 1973 mit der Unterschrift vor der UNO in das Lager des Islam begeben. Als nächstes verlangen die Araber den Ausschluß Israels aus der UNO, und die Völker beugen sich.

Doch letztlich geht es nicht um Israel, sondern um Wahrheit und Lüge. Indem wir Israel verwerfen, verwerfen wir seine Geschichte, das heißt, das Fundament, auf dem auch das Neue Testament aufgebaut ist.  . . .
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Vom Kamel in den Jet

Das Arabische Reich war eine Großmacht, als Frankreich noch eine römische Provinz, England unbedeutend und Amerika noch nicht entdeckt war! (König Faisal von Irak, 1919)
Durch die Ereignisse des Jahres 1973 dirigieren die Araber die Welt auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet immer mehr, wobei sie das Erdöl als Waffe einsetzen. Der Nahe Osten ist eine Zusammenballung wirtschaftlicher, militärischer, politischer und religiöser Kräfte, wie sie die Welt noch nie gesehen und erlebt hat.

Der Schwerpunkt der Geschichte wird in den Nahen Osten zurückverlegt, und die ganze Welt wird in diesen Sog hineingezogen. Aus der ganzen Welt versuchen Unternehmen Aufträge aus dem Nahen Osten zu erhalten. Während in Europa und Amerika alles ins Stocken gerät, und das Abendland verzweifelt aus der Krise zu kommen sucht, bricht in den Ländern am Persisch- Arabischen Golf das goldene Zeitalter an. Das Beste und Modernste ist gerade gut genug für diese Länder, die den Sprung aus dem Mittelalter in eine supermoderne Weltmacht vollzogen haben: Vom Kamel in den Jet. Das arabische Wirtschaftswunder hat begonnen.

Das modernste Telefonsystem der Welt wird in den Staaten am Persischen Golf gebaut. Ober Satelliten ist man mit der ganzen Welt verbunden. In Kuwait ist ein Telefon innerhalb von 24 Stunden betriebsfertig zu haben. Telefongebühren sind unbekannt. Das Scheichtum Qatar hat seit 1975 seinen eigenen Erdsatelliten, um seine Verbindungen in aller Welt auszubauen.
Der Bau des modernsten Kommunikationszentrums der Welt in einem Gebiet der Erde, das im Westen vor einigen Jahren kaum zur Kenntnis genommen wurde, verdeutlicht, in welchen Dimensionen die Führer am Persischen Golf planen, welche Erwartungen sie hegen.
Sollte es Zufall sein, das Ismael plötzlich, wie aus dem Nichts und fast gleichzeitig mit Israel, auf der Weltbühne auftritt?

Öl  ein Geschenk Allahs

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. . .  Den Ölsegen, der den Moslems im Nahen Osten zufließt, sehen sie als ein Geschenk Allahs an. Er hat ihnen das Öl gegeben, damit sie den Islam zur Weltmacht erheben. 400 Jahre wartete der Islam auf seine Auferstehung. Und siehe, er lebt!
130 Millionen Araber sehnen sich heute nach dem Wiederaufleben der Einheit und der Größe des Islam von Marokko bis zum Persisch- Arabischen Golf, vom Taurus bis tief in den schwarzen Erdteil. Dem schließen sich in der Welt etwa 600 Millionen Mohammedaner an. Langsam wird dieser Traum Wirklichkeit; die seit 400 Jahren unterdrückten und totgeglaubten Kräfte werden wieder frei. Die Großen dieser Welt haben vor diesem Aufstieg Angst und wundern sich,  »wundern sich hinter dem Tier her« (Offenbarung 13, 3)

Weltwährung . . .

Amerika auf Kurswechsel . . .

. . . Die Saudis haben für fünfundfünfzig Milliarden Dollar Schatzanweisungen in Amerika gekauft. Wenn Saudi- Arabien diese Schatzanweisungen auf einmal losschlagen würde, wären die Vereinigten Staaten bankrott. Die USA haben nicht allein diese Kursänderung vollzogen, auch Kanada hat sich im Juli 1978 dieser Kursänderung angeschlossen. Wo Frankreich steht, konnten wir bei den Ereignissen im Iran erkennen. So gibt ein Land nach dem anderen nach: Alle Könige der Erde prostituieren sich mit Babylon (Offenbarung 18,3).

 

DER SIEGESZUG DES ISLAM

Mohammed

Mohammed, der weder lesen noch schreiben konnte, wurde der alleinige Herausgeber des Koran. Nach eigenen Aussagen erschien ihm ein Engel Gottes, um ihm den Koran zu offenbaren (diktieren).
Mohammed wurde um das Jahr 570 geboren. Sein Vater soll Abd Allah (Diener Allahs) geheißen haben, der zu den Rechtgläubigen gezählt wurde. Seine Mutter hieß Amina, und beide gehörten zu dem Zweig der Haschemiten in der Großfamilie der Koreischiten. Die Eltern Mohammeds waren arm. Die Legende berichtet, daß sie durch Freigebigkeit und Großzügigkeit verarmten.
Der Vater starb noch vor der Geburt Mohammeds. Nach dem Tode der Mutter  Mohammed war sechs Jahre alt  wuchs er zunächst bei dem Großvater auf. Später lebte der Junge bei einem Onkel, der arm war und viele Kinder hatte. Deshalb mußte sich Mohammed schon frühzeitig seinen Lebensunterhalt verdienen. Er zog mit den Karawanen durch Zentralarabien. Dabei bepackte er die Kamele, trieb die Tiere an und war Bursche für die Karawanenführer. Die Reisen führten ihn weit nach Norden, bis nach Syrien. Hier begegnete er den Religionen, die nur einen Gott verehren. Da erwachte in ihm die Sehnsucht, in seiner Heimat ein Heiligtum an der Quelle ZemZem aufzurichten und all die Tempel der Götter, Götzen und Geister abzubrechen, die in der Kaaba verehrt wurden; es waren 365.  So wurde der Islam geboren, der heute und morgen die Welt in Atem halten wird.

Mohammed trägt alle Kennzeichen eines falschen Propheten. Er beansprucht für sich den Titel des letzten Propheten und behauptet, die allerletzte Wahrheit geoffenbart bekommen zu haben. Es ist nicht zu verwundern, daß die Juden ihn schon zu seinen Lebzeiten als einen falschen Propheten betrachteten. Und heute? Wenn wir einige Texte des Neuen Testaments lesen, der letzten von Gott geoffenbarten Wahrheit, können wir die Ansprüche Mohammeds als falsch entlarven, besonders im Blick auf Offenbarung, Inhalt und Ergebnis:

Offenbarung: 
Wir wissen aber, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns einen Sinn gegeben hat, daß wir den Wahrhaftigen erkennen. Und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben (l. Johannes 5, 20).

Inhalt:
 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle gegeben hat (1. Timotheus 2, 56).

Ergebnis: Das ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen (Johannes 17,3).

Aus diesen Texten geht klar hervor, daß niemand Gott erkennen kann, außer durch Jesus Christus, daß nur das Opfer Jesu am Kreuz den Weg zum Vater öffnet und dem Gläubigen Vergebung und Frieden schenkt. Und nicht zuletzt, daß der Mensch das ewige Leben nur in Jesus Christus, dem alleinigen Mittler zwischen Gott und Menschen, finden kann.

Mit seinen Ansprüchen schiebt Mohammed diese Tatsachen als falsch zur Seite und erweist sich dadurch als falscher Prophet.

Es ist auch interessant zu wissen:
Mohammed behauptet, daß die Streitigkeiten zwischen Christen und Juden erst nach seinem Kommen angefangen hätten. Das ist nicht richtig; sie haben sechs Jahrhunderte vorher begonnen, und das um Jesu willen. Für die einen ist er der Messias, nach den Propheten, für die anderen ist er es nicht. Aber an keiner Stelle der Schrift ist die Rede von Mohammed. …

Die Christen jedoch wissen aus der Bibel:
Es ist in keinem anderen das Heil, denn es ist auch kein anderer Vame unter dem Himmel den Menschen gegeben, in welchem wir sollen gerettet werden (als in dem Namen Jesu) – Apostelgeschichte 4,12.

Allah

»Allah« wird von dem hebräischen Wort »Elohim« (l. Mose 1,1) abgeleitet. Elohim ist einer der Namen Gottes in der Bibel.

Allah war (schon vor der Zeit Mohammeds) einer der 365 Götzen der Kaaba, Hauptheiligtum des Islam. Dieser eine Götze hat 364 andere verdrängt, er blieb aber ein Götze, der in der Kaaba verehrt wird. Wer den Stein küßt, dem werden Sünden vergeben, und er kommt vielleicht ins Paradies.

Folgende Bericht mag dies verdeutlichen:
Als im August 570 in einem der Häuser Mekkas Mohammed geboren wurde, war der schwarze Stein, die Kaaba, der religiöse Mittelpunkt Arabiens. In dem großen Hof der Kaaba standen 365 Götterbilder. Man verehrte dort alle Arten von Gottheiten. Aber der wirkliche Gott, der Gott des Steins, übertraf sie alle an Ruhm; er war der Gott der Götter . . .
Mohammed »verjagte« die 365 Götzen. Sein Gott »Allah« war der einzige Gott. Aber er behielt die Kaaba als Heiligtum bei und bestätigte auch, daß der schwarze Stein die Kraft besitze, Sünden in sich aufzunehmen. Mohammed machte jedem Gläubigen eine Pilgerfahrt zu diesem heiligen Stein zur Pflicht.
Im Koran, Sure 22, Vers 2637, wird vorgeschrieben: Mindestens einmal in seinem Leben muß der Moslem nach Mekka wallfahren.

Allah ist also kein Gott, der sich offenbart hat, sondern ein Gott, der von Mohammed zum Gott gemacht wurde. Im Bericht eines Islam-Kenners lesen wir:
Das Nahostproblem ist ein religiöses Problem. Im Nahen Osten liegt die Heimat des Islam. Die Seele der Völker ist von dieser Religion geprägt. Schon vor Mohammed wurde in Mekka in der Kaaba ein heidnischer Dämon verehrt. Bei einem heidnischen Opfertest in Mekka trat Mohammed vor die Menge, zeigte auf die Kaaba und rief: La alla illa allahu! (deutsch: Es ist kein Allah, außer Allah ist Er!) Er war der oberste Dämon, der in der Kaaba verehrt wurde. Dieser Ausspruch Mohammeds wurde, geändert in La illahilla Allah (Es ist kein Gott außer Allah), zum Glaubensbekenntnis des Islam.
Die Kaaba war das erste islamische Heiligtum. Der eigentliche Kern des Islam liegt in dieser Bindung an Allah, den obersten Dämon. Die Menschen, die sich diesem Geist hingeben, werden Gebundene Satans.
Der Islam ist daher eine Religion, die sich immer gegen Jesus Christus, den gekreuzigten, auferstandenen und wiederkommenden Herrn, richten muß. Er ist eine ausgesprochen antichristliche Religion, die Religion der Lüge, eines grenzenlosen Fatalismus und zugleich eines unvorstellbaren Fanatismus. 

Aus all dem geht klar hervor, daß Mohammed keine Offenbarung von Gott hatte, sondern daß er selbst einen der 365 Götzen, die in der Kaaba verehrt wurden, auserwählt hat. (Vergl. Daniel 11,39). Die Wahl fiel auf Allah, den höchsten Geist, der dann die 364 anderen verdrängte und mit ihnen auch den Gott der Juden und der Christen, weil sie sich nicht mit dem Geist der Kaaba identifizieren ließen.

Vor Mohammeds Geburt sprach sein Vater vor der Kaaba die Anrufungsformel Bismillah (Im Namen Allahs), um das von Amina erwartete Kind unter den Schutz Allahs, des höchsten Geistes, zu stellen. So wurde Mohammed schon vor seiner Geburt dem Allah des Islam geweiht, dessen Gründer er wurde.
Die Pilger, die nach Mekka pilgerten, verbeugten sich vor diesem Geist, der die Kaaba schon vor dem Islam bewohnte. Sie sind also nicht Verehrer des Schöpfers, sondern des schwarzen Steines, in dem der Geist wohnt.
Nicht wer eine Begegnung mit Gott hat, kommt ins Paradies, sondern wer eine Begegnung mit dem schwarzen Stein in der Kaaba hat!

Sagt nicht der Gott der Bibel:
Vor mir ist kein Gott gemacht worden und nach mir wird keiner vorhanden sein. Ich, ich bin der Herr, und außer mir ist kein Erretter (Jesaja 43, 10).

Ist Allah der Gott der Bibel?
Wir leben nicht im Irrtum, weil die Wahrheit schwer zu erkennen wäre – oft ist sie sogar zum Greifen nahe – sondern wir leben im Irrtum, weil das für uns bequemer ist – (Alexander Solschenizyn).

Das Abendland macht sich immer mehr mit dem Gedanken vertraut, daß Allah und Jahwe, der sich dem Menschen offenbarende Gott des Alten Testaments, ein und derselbe Gott seien. Diese Überzeugung ist heute schon nicht mehr aus der Gedankenwelt des christlichen Abendlandes wegzudenken.

Um diesen Irrtum aufzudecken, müssen wir uns mit dem Koran beschäftigen. Wir wollen dazu einige Wahrheiten und Lügen, die im Koran enthalten sind, nebeneinanderstellen.

»Die Juden und Christen sagen: Nehmt unseren Glauben an, wenn ihr auf dem Weg des Heils sein wollt. Antwortet ihnen: Wir folgen dem Glauben Abrahams, der den Götzen Weihrauch verweigerte und nur Gott anbetete« (Koran, Sure 2.129).
Und das Credo des Islam lautet:
»Wir glauben an Allah, an das Buch (Koran), das uns gesandt wurde, an das, was uns offenbart wurde von Abraham, Ismael, Isaak, Jakob, und an die zwölf Stämme. Wir glauben an die Lehre Moses, Jesu und der Propheten. Sie sind alle gleich, und wir sind Moslems, Allahs Willen unterworfen« (Sure 2.130).

In dieser Sure liegt die erste und wichtigste Abweichung, und wir sollten uns deshalb mit der Frage beschäftigen: Ist der Gott der Mohammedaner, Allah, der Gott der Bibel?

Das Glaubensbekenntnis der Juden heißt:
»Höre, Israel, der Herr (Jahwe) ist unser Gott (Elohim), der Herr (Jahwe) allein« (5. Mose 6,4).

Diese alttestamentliche, richtige Lehre von der Einheit Gottes hat Mohammed im Islam in falscher, menschlicher Weise zur Irrlehre degradiert. Allah ist für Mohammed ein seelenloser, starrer Gott ohne Erbarmen.
Ein solcher Gott duldet nur sein eigenes Bild. Für ihn ist der Mensch ein rechtloser Sklave ohne Entscheidungsfreiheit. Dieser Gott fordert von aller Kreatur Unterwerfung und Anbetung; er ist die vollendete Selbstsucht, ein grausamer und liebloser Tyrann, der nur fordert. Dieser Gott ist ein Fatum (Schicksal), und die falsche Lehre des Islam führt unweigerlich zur Erstarrung in einem düsteren Fatalismus.

Der menschgewordene Sohn Gottes hat uns die vollkommene Offenbarung über das Wesen Gottes gebracht. Es gibt nur einen wahren, lebendigen Gott, aber dieser Gott vereinigt in seinem einen Wesen drei Personen  die Person des Vaters und die Person des Sohnes und die Person des Heiligen Geistes. Er ist ein dreieiniger Gott. Dieses Geheimnis des Wesens Gottes könnte uns die menschliche Vernunft nie offenbaren. Gott, der Sohn, hat uns aber dieses Geheimnis klar und endgültig geoffenbart. Man kann es nur im Glauben erfassen.

Was die menschliche Vernunft in keiner Weise von sich aus erkennen oder erfassen kann, soll der gläubige Christ durch lebendige Erfahrung, ohne Beweise, von der Dreieinheit des lebendigen Gottes wissen. Er wird, ohne sein natürliches Denkvermögen vergewaltigen zu müssen, geistlich erkennen können, daß der wahre, lebendige Gott dreieinig ist.
Ein erster, wenn auch unvollkommener Hinweis auf diese Dreieinheit (drei in EINS  EINS in drei), ist der Mensch selbst, der nach Gottes Bild geschaffen wurde, bestehend aus Geist, Seele und Leib.
Gott ist Liebe, und der Mensch ist als Abbild von Gott auch zum Leben in der Liebe bestimmt, und dieses Leben des Menschen entfaltet sich in seiner Fülle im Zusammenleben dreier Personen:
Ich  Du  Er. Gott ist Liebe; in ihm ist die Fülle der Liebe von Ewigkeit her. Von diesem Gedanken könnte man auch die Pluralendung des Gottesnamens Eloh  im, der in den ersten Kapiteln der Bibel häufig auftaucht, ableiten und ebenso die Formulierung: Lasset uns Menschen machen (1. Mose 1, 17). So müssen in ihm auch immer diese drei Personen  das UrIch, das UrDu und das UrEr gewesen sein.
Da das Geheimnis der Dreieinheit (Dreieinigkeit, Dreifaltigkeit) auch vielen bewußten Christen Kopfschmerzen bereiten mag, wollen wir versuchen, diesen Begriff umfassender zu erklären.
Richard Müller schreibt in seinem Buch Der du bist im Himmel folgendes darüber:

Es gibt nur drei monotheistische Religionen, also Religionen, die nur einen Gott kennen. Im Judentum, im Christentum und im Islam verehrt man nur einen Gott. All die anderen Religionen wissen von vielen Göttern – mit Ausnahme des Buddhismus, der keinen Gott kennt. Das Judentum ist die erste monotheistische Religion. Gott offenbarte sich Abraham, und dieser wurde der erste Bekenner eines konsequenten Ein-Gott-Glaubens.
Das Christentum ist stark mit der Botschaft des Alten Testaments verbunden, und auch einige grundlegende Gedanken des Islam gehen auf das Alte Testament zurück, in dem sich Gott dem Volk Israel offenbart hat. Der Monotheismus ist heute sicherlich die einzige unserem Denken und Empfinden angemessene Form der Religion. Wir gehen von dem Schöpfer-Gott aus, und den stellen wir uns als einen Gott vor. Der Gedanke an eine Götterfamilie, wie wir ihn in den heidnischen Religionen durchweg finden, hat da keinen Raum.

Sofort stellt sich nun die Frage, warum die überwältigende Mehrheit der Menschen Polytheisten sind. Ich glaube, daß wir das wie folgt erklären können: Alle Religionen mit vielen Göttern, die in Wirklichkeit nur Götzen sind, haben ihren Ursprung nicht in Offenbarungen Gottes, sondern im Einfluß des Teufels. Es gibt kaum etwas, was dem Teufel so verhaßt ist wie die Tatsache, daß nur ein Gott ist, der allmächtig und allwissend ist, als der alleinige Herrscher alle Gewalt hat und ausübt, dem alle Ehre und aller Gehorsam gebührt.

Gegen diese Tatsache hat der Teufel von jeher revoltiert. Wenn es ihm auch nicht gelungen ist, so versucht er mit allen Mitteln, diese Tatsache zu verdunkeln. Er setzt alles daran, um den Glauben Da ist nur ein Gott zu verdrängen. Darum hat er überall die Vorstellung von vielen Göttern hervorgerufen. Nach seinen Ideen darf nicht ein Herrscher die Macht haben, sondern viele teilen sich diese, und möglichst noch auf unterschiedlichen Rangstufen.

Als der Apostel Paulus in Athen  die Griechen verehrten viele Götter  einen Altar mit der Aufschrift dem unbekannten Gott fand, sah er darin sofort eine Anknüpfungsmöglichkeit: Den Gott, den ihr nun, ohne ihn zu kennen, verehrt, den verkündige ich euch (Apostelgeschichte 17,23).
Solange Menschen nur an einen Gott glauben, ist zumindest dieser Grundgedanke richtig, wenn die Vorstellung, die sie von diesem einen Gott haben, auch in vielen Punkten falsch sein mag.

Nun aber spricht das Neue Testament von Gott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist. Es läßt sich nachweisen, daß jedem göttliche Eigenschaften wie Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart und ewige Existenz zugeschrieben werden. Darum machen Juden und Mohammedaner uns Christen den Vorwurf, wir hätten den großen, grundlegenden Gedanken, die einzig richtige Schau Da ist nur ein Gott! verlassen.
Als das erste Gebot von allen hat Jesus Christus selbst genannt: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr; und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Verstande und aus deiner ganzen Kraft (Markus 12,29).
In Jesaja 44,6 lesen wir: Ich bin der Erste und der Letzte, und außer mir ist kein Gott!

Unsere Erklärung, daß auch wir nur einen Gott kennen, der sich uns als Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heilige Geist geoffenbart hat, und wir darum von Dreieinheit sprechen, läßt man nicht gelten. Wir müssen zugeben, daß der Ausdruck Dreieinheit sich nicht in der Bibel findet, wohl aber der Gedanke. Wir kennen einige Bibelworte, in denen die drei Personen der Gottheit nebeneinander genannt werden. In Matthäus 28,19 heißt es: Taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

In Johannes 14,16 lesen wir: Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit. Hier werden in einem Satz Gott der Vater, der Sohn Gottes und der Heilige Geist genannt.
Es ist interessant zu sehen, daß auch im Alten Testament Gott einige Male von sich in der Mehrzahl spricht: Lasset uns Menschen machen (1. Mose 1,26).  Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner (1. Mose 3,22).  Und ich hörte die Stimme des Herrn, welcher sprach.  Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen? (Jesaja 6,8).

Wir finden also auch im Alten Testament neben der starken Betonung, daß da nur ein Gott ist, wenigstens einige Aussagen, die von Gott in der Mehrzahl reden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf Gedanken des amerikanischen Naturwissenschaftlers Dr. Nathan Wood hinweisen. Er sagt dem Inhalt nach etwa folgendes: »Die Welt in der wir leben, ist das Werk Gottes. Da liegt es nahe, daß sein Werk auch etwas von seinem Wesen widerspiegelt. Wenn Gott einer ist und sich uns doch in dreifacher Gestalt offenbart, müssen wir etwas Vergleichbares in seiner Schöpfung finden können, und das läßt sich nachweisen. Fangen wir mit der Zeit an. Es gibt nur eine Zeit. Niemand käme auf den Gedanken, von zwei Zeiten zu sprechen. Aber diese Zeit kennen wir als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Immer, wenn wir an die Zeit denken, wenn wir von ihr sprechen, geschieht es in der oben genannten Dreiteilung.
Zur Zeit gehört der Raum. Da ist nur ein Raum, niemand kann sich einen zweiten daneben vorstellen, und doch beschreiben und berechnen wir diesen Raum mit Hilfe der drei Dimensionen. Wenn man heute auch den Begriff der vierten Raumdimension kennt, so sind wir doch dreidimensionale Wesen und können gar nicht anders, als in drei Dimensionen denken. Keine von den drei Dimensionen ist selbständig, alle drei gehören zum Raum, alle drei müssen sein, damit der Raum ist.
Oder denken wir an den Menschen. Jeder Mensch ist ein in sich geschlossenes, selbständiges Wesen, und doch lehrt uns die Bibel, daß der Mensch Geist, Seele und Leib ist. Der Leib allein ist noch kein Mensch, und der Geist allein erst recht nicht. Sie sind beide erforderlich und die Seele dazu. Sie alle zusammen bilden erst den Menschen.
Als Letztes sei noch die Materie genannt. Wir finden sie in drei Zuständen: Fest, flüssig und gasförmig. Als bestes und bekanntestes Beispiel können wir das Wasser anführen, das als Eis, als Flüssigkeit und als Wasserdampf vorkommt. Nur ein Stoff, aber wir finden ihn in drei, deutlich unterschiedlichen Formen.«
Alle diese Überlegungen können natürlich das Geheimnis der Dreieinheit nicht erklären, aber sie verschaffen uns einen Zugang zu diesem Gedanken.
Sehr aufschlußreich im Blick auf Gott und den Heiligen Geist erscheint mir das Wort aus 1. Korinther 2, 10-11: Der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes. Denn wer von den Menschen weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes.
Gott ist nicht der Gott Abrahams, Ismaels und Jakobs. Hier wird das Kuckucksei ins Nest gelegt, aus dem der Islam herausschlüpft: Isaak wird von den Mohammedanern verworfen, nicht er ist der wahre Sohn, sondern Ismael. Nicht Isaak wurde geopfert, sondern Ismael.
Gott aber sagte zu Isaak: Ich bin der Gott deines Vaters Abraham (l. Mose 26, 24).
Und Gott sagte eindeutig zu Abraham: Meinen Bund aber will ich mit Isaak aufrichten, den dir Sara gebären soll (1. Mose 17, 21).
Gott gibt Ismael um Abrahams willen Verheißungen, aber er geht keinen Bund mit der Linie Ismaels ein.
Allah hat nichts mit dem Gott der Bibel gemein. Er ist eine Karikatur Gottes. Es ist Gotteslästerung, wenn wir Allah und den Gott der Bibel auf die gleiche Stufe stellen.

Der Koran
Ich habe euch nicht geschrieben, als kenntet ihr die Wahrheit nicht, sondern weil ihr sie kennt und weil keine Lüge aus der Wahrheit kommt (l. Johannes 2,21).
Wer die Wahrheit nicht kennt, der kann auch die Lüge nicht erkennen. Wie wichtig ist es deshalb, daß wir uns auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, stellen, und daß wir die Bibel als das inspirierte Wort Gottes, als höchste Autorität anerkennen. Wer das nicht tut, wird in Zukunft nicht als Christ durchhalten können. Die Christenheit des Abendlandes ist schwer ins Schwanken geraten, weil sie diese Autorität verlassen und verachtet hat.
So kann El Gaddafi sagen:
Das Christentum muß mit großen Fragezeichen versehen werden. Es hat überhaupt keine göttliche Botschaft zum Inhalt. Es war immer in der Geschichte Werkzeug des Imperialismus und mit den Ausbeutern des Kapitalismus verbündet. Der Islam ist die einzig gültige, göttliche Konzeption. Er umfaßt alle Religionen. Auch Jesus war Moslem, er hat mehr mit uns als mit dem Christentum zu tun. (G. Konzelmann: Die Reichen im Morgenland, F. A. Herbig, Verlag, MünchenBerlin)
Wenn wir auf die heutige Weltlage sehen, können wir sagen: Paulus hatte einen klaren Blick für das Entstehen und Erwachen der kommenden antichristlichen Macht, als er von der Endzeit redete (2. Thessalonicher 2).
Für den Mohammedaner ist der Koran das Buch, das dem Propheten Mohammed vom Engel Gabriel diktiert wurde.
Rezitiere im Namen deines Herrn… ! Rezitiere! Denn dein Herr ist der Allgütige…. der die Menschen gelehrt hat, was sie nicht wußten (Koran, Sure 96).
Von daher kommt auch der Name des Buches »Koran« auf deutsch: Rezitation oder Vortrag. Das Original des Koran liegt im Himmel, und nach diesem himmlischen Vorbild ist der Koran entstanden; kein Jota ist daran verändert bis zum heutigen Tag. So ist das Wort Allahs der Menschheit für alle Zeiten erhalten geblieben.
Die Moslems sind überzeugt, daß der Koran im Himmel in arabischer Sprache vorhanden ist. Arabisch ist die Sprache Allahs, und darum ist sie die schönste und vollkommenste.
Daher wurde der Koran auch lange Zeit nicht in andere Sprachen übersetzt, damit diese Sprache nicht profaniert würde.
Heute aber wird der Koran übersetzt und verbreitet, um die Lehre Allahs allen Menschen zugänglich zu machen. Ein Gegenbild der Bibel!
Aber wenn auch wir oder ein Engel vom Himmel euch etwas anderes als Evangelium predigen würde, außer dem, was wir euch verkündet haben, der sei verflucht (anathema). (Galater 1,8)
Als meine Familie und ich noch in Afrika lebten, wurden wir frühmorgens oft geweckt, wenn wir auf unseren Feldbetten in der Nähe eines Araberdorfes schliefen. Afrikanische Kinder saßen mit dem Faki (Schriftgelehrter) um ein Holzfeuer und lernten den Koran auswendig.
Es ist der Stolz eines jeden jungen Arabers, Verse aus dem Koran zu lernen und aufzusagen. Es kommt vor, daß sieben- bis achtjährige Jungen den Koran ohne Fehler auswendig aufsagen können. Der Koran ist für diese Kinder das erste Lesebuch, aus dem sie eine ganze Welt mit ihren Regeln und Gesetzen kennenlernen. Der Koran prägt das Leben der Mohammedaner. Jedesmal, wenn ich in das Araberdorf kam, saß der Faki im Schatten eines wilden Mimosenbaumes und las jedem den Koran vor, der sich zu ihm setzte.
Es gibt sehr schöne Koranausgaben mit verzierten Anfangsbuchstaben. Man kann auch Seiten mit der dekorativ verzierten Schrift an den Mauern mancher Hütten finden, oder in den Kabinen von Lastwagen mohammedanischer Fahrer. Die Koranverse werden auch als Amulette um den Hals getragen; sogar von Afrikanern, die noch nicht Mohammedaner sind, jedoch an die Kraft des Heiligen Buches glauben.
So wird das Band um die islamische Welt immer enger gezogen. Immer mehr Menschen, besonders in SchwarzAfrika, werden in den Bann dieser aufstrebenden Weltreligion hineingezogen, unterstützt vom Segen des Öls.

Das auserwählte Volk
Durch die Lehre des Islam wurden die Moslems zum Anti-Volk Gottes:
Ihr Moslems seid das beste der Völker aus den Menschen. Ihr gebietet, was recht ist, und verbietet das Unrecht, und ihr glaubt an Allah. Wenn das Volk des Buches (die Juden) an Mohammed und Allah geglaubt hätte, wäre es besser gewesen für sie. Es sind Gläubige unter ihnen, doch die Mehrzahl von ihnen sind Frevler (Koran 3,106).
Hier beansprucht Mohammed für die Mohammedaner das, was Gott dem Volk Israel verheißen hat (5. Mose 14,2).
Als Mohammed sah, daß sich Juden und Christen nicht zum Islam bekehrten, impfte er den Mohammedanern das Gift des Hasses ein, das jahrhundertelang seine Wirkung nicht verlor. Mohammed verfluchte die Juden im Namen Allahs. (Koran 4,42.55)
Das Feuer der Hölle wartet auf die, die nicht an den Propheten glauben (Koran 4,58, 149150).
Die Liebe Gottes ist dem Mohammedaner unbekannt. Der Koran predigt Haß und Fluch gegen und über alle, besonders Juden und Christen, die sich nicht zum Islam bekennen. Der Mohammedaner soll weder zu Juden noch zu Christen irgendwelche Beziehungen haben.
O ihr Gläubigen, habt keine Verbindung mit den Juden und den Christen, laßt sie sich vereinen unter einander. Wer sie als Freund betrachtet, wird wie sie. Allah ist nicht der Führer der Verirrten (Koran 4.56).

Wer ist Moslem?
El Gaddafi sagte in einer Ansprache in Kairo unter anderem:
»Die Auslegung, die wir vorschlagen werden, mag vielen in unserer Zeit lebenden Moslems fremd erscheinen. Innerhalb der arabischlibyschen Republik, oder, genauer gesagt, innerhalb des Rates des Revolutionskommandos, haben wir eine gewisse Auffassung des Islam erarbeitet und anerkannt.
Das ist die menschliche Auffassung der Religion. Und darum haben wir beschlossen, das göttliche Konzept des Islam, wie es aus dem heiligen Koran herausragt, anzunehmen.
Viele meinen, daß Moslems nur die Anhänger des Propheten Mohammed waren. Nach dem Koran ist diese Ansicht falsch. Der Koran behauptet, daß die Anhänger aller im heiligen Buch des Islam aufgeführten himmlischen monotheistischen Religionen Moslems sind.
Alle Menschen, die an einen einzigen Gott geglaubt haben, waren Moslems, schon vor der Ankunft des Propheten Mohammed. Es ist also offensichtlich, daß alle Monotheisten, also solche, die nur einen einzigen Gott anbeten, Moslems sind und zwar von dem Augenblick an, wo sie sich dem allmächtigen Gott unterworfen haben.
Das ist zweifellos der göttliche Begriff des Islam. Über diesen Punkt steht im Koran geschrieben:
Sagt: Wir glauben an Gott, an die Offenbarung, die uns gegeben wurde, an Abraham, Ismael, Isaak, Jakob und die Stämme, an die Moses und Jesus gegebene Offenbarung und an die, welche allen Propheten von ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied zwischen dem einen oder dem anderen, wir unterwerfen uns Gott im Islam.
Aus diesem Vers geht klar hervor, daß es keinen Unterschied gibt zwischen Jesus, Mose, Mohammed, Abraham, Isaak, Jakob und Ismael, denn sie waren alle Moslems. Alle Moslems sind verpflichtet, an alle im Koran aufgeführten Propheten zu glauben. So gibt es keinen Grund, zwischen Mohammed, Abraham oder Noah und den anderen zu unterscheiden: Das nennt man Monotheismus.
Denn Gott ist nicht allein der Schöpfer der Moslems, der Christen oder der Juden. Er ist der Gott des Universums.
Deshalb empfinden wir es als unsere Pflicht, die Christen und auch die Juden aufzuklären, denn der Vers spricht von Erlösung für alle, die an das glauben, was Mohammed glaubte. Wenn heutzutage ein Christ für die Wahrhaftigkeit dieses Verses eintritt, befindet er sich im Widerspruch zu seinem eigenen Glauben: Seine Anschauung ist falsch, und er muß sie ändern, damit er ein wahrhaftiger Gläubiger wird…

Der Begriff göttlich bedeutet im Islam die Berufung aller Menschen zum Islam. Alle nachfolgenden Propheten haben diesen Ruf seit dem ersten Propheten wiederholt. Der Prophet Mohammed ist der letzte dieser Propheten, und es gibt keinen mehr nach ihm: Er hat die lange Nachkommenschaft der Propheten abgeschlossen.
Die logische Schlußfolgerung daraus ist: Der Islam ersetzt alle Lehren der Apostel. Man muß im Islam also auf jede Unterscheidung zwischen denen, die an den Propheten Mohammed, an Jesus oder an irgendeinen anderen Apostel glauben, verzichten.
Wer sich im Irrtum befindet, muß wieder auf den rechten Weg gebracht werden. Der Koran hat nie verlangt, uns untereinander zu bekämpfen, um festzulegen, wer recht hat, und wer unrecht hat. Solange der Glaube an Gott der Hauptnenner unserer Bemühungen ist, um etwaige Meinungsverschiedenheiten zu lösen, wird es uns immer gelingen, uns zu verstehen.
Wenn ihr dem göttlichen Begriff der Religion zustimmt, wird keiner von uns daran denken, Gewalt anzuwenden, um diese Streitfälle zu lösen, denn der Islam wie die Christenheit verwerfen Gewalttätigkeit.« – (Gaddafi, Messager du Désert, Ed. Stock).
Man muß El Gaddafi Anerkennung aussprechen und ihm dankbar sein, daß er die Dinge klarstellt, damit es kein Mißverständnis gibt.
Der Islam ist so, wie er im Koran gelehrt wird, für den Moslem die einzige und allein richtige Religion. Wenn es eine Annäherung geben soll, kann es nur auf Kosten der Wahrheit geschehen. Denn der Islam in seiner heutigen Stellung hat nicht die Absicht, sich dem Christentum anzunähern. Der Islam ist in einer starken Position. Dem Schwachen bleibt nichts anderes übrig, als sich zu beugen. Das ist ein Gesetz der Natur. Weil der Islam eine Religion des Naturmenschen ist und seines Gottes, erkennt er kein anderes Gesetz an.
Unter dem Tier, das in der Endzeit, insbesondere um Israel herum  Babylonien, Großsyrien  die Herrschaft übernimmt, werden gewaltige Veränderungen vor sich gehen. Wer heute in diesen Ländern ins Geschäft kommen will, muß das zur Kenntnis nehmen.

Änderung der Gesetze
Wir erleben heute, wie ein islamisches Land nach dem anderen seine Gesetze ändert, um sich auf die Scharia (Islamische Gesetze des Koran) umzustellen. Mitte Februar 1979 war es Pakistan; nun folgt der Iran, bald auch die Türkei usw. Alle richten sich nach dem Vorbild des Staates Mohammeds, dessen Vertreter heute SaudiArabien ist. Die Gesetze aus der christlichen Kolonialzeit werden durch die Scharia verdrängt und ersetzt.
Dem Dieb wird die Hand abgehackt oder der Fuß, die Ehe brecherinnen werden gesteinigt, wer Alkohol zu sich nimmt, oder Anstoß zu einem öffentlichen Ärgernis gibt, wird durchgepeitscht. Da der Islam die Weltherrschaft anstrebt, ist er überzeugt, daß diese Gesetze für die ganze Menschheit gültig sind. Sie müssen darum auch gegen die Fremdarbeiter in diesen Ländern angewandt werden.

Glaubensbekenntnisse
Die Mohammedaner als Nachfolger des Propheten haben sich unzählige Völker, Volksgruppen und Rassen unterworfen und zu Verbündeten gemacht: Syrer, Ägypter, Berber, Perser und Nubier. Es ist unmöglich, sie wieder aus 130 Millionen Arabern herauszudestillieren.

Im siebten Jahrhundert verbreitete sich der Islam durch Kriege und durch den Handel über die ganze Küste Nordafrikas. Wer den Islam annahm, stand auf seiten des Siegers und konnte der Zukunft ruhig entgegensehen.
Die Juden ließen sich nicht assimilieren. Die Kraft ihrer Religion widerstand der Macht des Islam. Sie lehnten den Propheten Mohammed von Anfang an ab, weil sie erkannten, daß die Bibel gefälscht hat. Einige Christen konnten sich jedoch im arabischen Raum halten. Einen Überrest davon stellen die Kopten Ägyptens dar.
Gläubig wird der Mohammedaner, wenn er das Glaubensbekenntnis aufsagt:
Allah il Allah Mohammed rasul Allahi. Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet. So wird er in die Reihen des besten Volkes der Erde eingereiht (Koran 3,106).

Der Christ wird gläubig durch das Werk des Heiligen Geistes in seinem Herzen. Durch den Glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes, und dessen Tod am Kreuz von Golgatha, wird er Gottes Kind, und seine Sünden werden ihm vergeben. Das ist die Botschaft des Neuen Testaments (Matthäus 26,28). Daran glaubten die ersten Christen. Viele gingen um dieses Glaubens willen in den Tod. Daran glaubten unsere Väter und glauben alle, die die Bibel ernst nehmen.
Das Glaubensbekenntnis des Schatzkanzlers aus Äthiophien war:
Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist (Apostelgeschichte 8,37).

Das Bekenntnis des Petrus lautete:
Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! (Matthäus 16,16).
Für Paulus, den Heidenapostel, war es klar, daß jeder, der die Botschaft vom gekreuzigten Christus annahm und glaubte, das Siegel des heiligen Geistes bekam und ein Glied am Leib Jesu Christi wurde.
In ihm seid auch ihr, da ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem heiligen Geist der Verheißung, welcher das Pfand unseres Erbes ist bis zur Erlösung des Eigentums… (Epheser 1, 1314).

Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt worden seid auf den Tag der Erlösung (Epheser 4, 30).
(Nach der Lehre des Koran wäre der verheißene Geist »Periklytos«, nämlich Mohammed).
Jesus Christus erwähnt niemals die Linie Ismaels, als hätte sie eine Verheißung, sondern er erwähnt nur die Linie, die schon im Alten Testament festgelegt ist, und er unterstreicht sie in Matthäus 22,32; Markus 12,26 und Lukas 20,37.
Der Samariterin sagt Jesus:
Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden (Johannes 4,22).

Nicht die Nachkommen Ismaels, aus denen Mohammed und der Islam kommen, werden erwähnt, sondern Jesus unterstreicht in obigem Vers das Heil, das er ja selbst ist, welches aus den Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs kommen wird. Aus Israel, und nicht aus Ismael. Auch der erste Märtyrer hat sich in seinem Zeugnis, das ihn das Leben kostete, auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs berufen. Stephanus war bereit, um dieses Gottes willen sein Leben zu lassen. Wie viele im christlichen Abendland wären wohl heute noch bereit, ihr Leben um dieses Gottes willen hinzugeben?

Warum verbeugt sich das Abendland vor der Linie aus Ismael? Doch nur, um überleben zu können, um nicht sterben zu müssen. Der Antichrist und der Zerstörer kommt, um die Menschen zu verführen. Der Antichrist legte schon vor etwa 1300 Jahren das Kuckucksei ins Nest der modernen Theologie, und siehe, das Ei ist ausgebrütet worden, und der Kuckuck wird gefüttert.
Er wirft die richtigen Kinder aus dem Nest, wird von der Stiefmutter ernährt und fängt an, sich selbständig zu machen und auszufliegen.

Wir glauben an Allah und was er zu uns niedersandte, und was er niedersandte zu Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und den Stämmen, und was gegeben war den Propheten von ihrem Herrn, keinen Unterschied machen wir zwischen einem von ihnen; und wahrlich, wir sind Moslems.
Siehe, Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und die Stämme, waren sie Juden oder Nazarener? (Die Nazarener sind die Christen). Sprich: Wisset ihr es besser oder Allah? Und wer ist sündiger, als wer ein Zeugnis verbirgt, das er von Allah hat? Aber Allah ist nicht achtlos eures Tuns.
E. Montet erklärt zu diesem Koranvers: »Mohammed klagt die Juden und Christen an, bewußt die Wahrheit zu verbergen, die sie kennen, daß nämlich das Kommen Mohammeds durch die heiligen Bücher der Juden und Christen verkündigt wurde« (Koran, Sure 2,130 und 134).

Der heilige Krieg hat wieder begonnen
Nur der kann den Mantel des Propheten tragen, der in der Lage ist, überall auf der Welt den Islam durch das Schwert zu verteidigen (Gesetz des Islam).  (A. Zischka, Europas bedrohte Hauptschlagader, Kümmerly + Frey, Bern)
Wahrlich, die wahre Religion vor Allah ist Islam (Koran).
Doch gleichwie damals der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte, so auch jetzt (Galater 4, 29).
Alle, die das Schwert ergreifen, werden durch das Schwert umkommen (Matthäus 26, 52).
Wenn ihr getötet werdet, kommt ihr ins Paradies. Und auch wenn ihr tötet, kommt ihr ins Paradies, das ist die Logik des Islam!  (Ayatollah Khomeini)

Verfolgung und Krieg, Feindschaft und Verfolgung kommen aus der Vergangenheit, aus der Linie Ismaels. Sie spitzen sich am Ende der Zeit weltweit zu, zu einer Feindschaft gegen Gott, seinen Gesalbten und das Volk Israel. Durch die Lehre des Propheten Mohammed wird die Feindschaft aktuell und in konkrete Bahnen geleitet.
Vor 1970 öffnete sich der arabische Nationalismus und Sozialismus der Kultur des Abendlandes und versuchte, sich mit ihr zu identifizieren. Heute ist das vorbei. Die islamische Revolution ist in Bewegung, um von sich aus die Welt zu erobern.
Mit der Re-Islamisierung im Nahen Osten ist eine neue Zeit angebrochen, nicht nur für die Welt, sondern für den Islam selbst. Es ist nicht mehr der unterwürfige, tolerante Islam, von dem wir so viel gehört haben, nein, es ist ein neuer Islam, der die Christen und die Juden als Verfälscher ihrer Offenbarungsschriften betrachtet. Damit sind sie Ketzer und schlimmer als die Heiden.
Der Islam hat allen den Krieg angekündigt, die sich ihm in den Weg stellen. Freidenker, Atheisten, Christen, Juden, nichtislamische Missionare und abgefallene Moslems werden als Fremdkörper betrachtet und entweder ausgestoßen oder vernichtet. Der Islam ist eine totalitäre Religion, die sowohl die religiöse als auch die politische Führung der ganzen Welt beansprucht. Sein Kampf gilt nicht nur Israel als einem Fremdkörper im Dar al Islam  (im Land des Islam), sondern auch dem Christentum und allem, was von ihm im Dar al Islam noch vorhanden ist.
Von dem Segen, den Allah aus der Wüste SaudiArabiens für seine Bewohner fließen läßt, die zu 99 % seine Anhänger sind, soll er auch seinen Teil zurückbekommen. Bis zu 5 % aller Einkommen in diesem Land werden für den heiligen Krieg verwendet. Wenn man sich vorstellt, wie groß der Segen Allahs in diesen Ländern ist, dann kann man sich leicht ausrechnen, wieviel Mittel den Soldaten Allahs zur Verfügung stehen, um den Islam über die Welt zu verbreiten.
Auf der Flagge SaudiArabiens steht das Glaubensbekenntnis des Islam. Darunter das Schwert.
Nach dem Gebot des Islam sollte der Islam durch das Schwert über die Welt verbreitet werden. »Unter diesem Zeichen wirst du siegen!« Diesen Aufruf zum Kampf wollte Kaiser Konstantin (306-337 n. Chr.) vom Himmel gehört haben. Und er zog mit dem Kreuzzeichen auf dem Banner in den (heiligen) Krieg, um dem Christentum zum Sieg zu verhelfen.
Heute rufen die Moslems unter dem Zeichen des Schwerts und der Parole »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!« zu ihren heiligen Kriegen auf.
Heute hat er eine Waffe in der Hand, die ihm erlaubt, den Kampf weltweit und an allen Fronten zu führen: militärisch, ideologisch, wirtschaftlich und revolutionär.
Vor 1300 Jahren eroberte der arabische Heerführer El Okbar ganz Nordafrika für den Islam. Als er zum Atlantik kam, trieb er sein Pferd bis zum Bauch in das Meer, zückte das Schwert und rief: »Bismellahi! (Im Namen Allahs!) Wenn mich das Meer nicht aufhielte, würde ich die Botschaft des Propheten noch weiter nach Westen tragen!«
Nach dem etwa 1000jährigen Schlaf, der beinahe zum Tode geführt hätte, scheint sich der Wunschtraum des El Okbar zu verwirklichen. Die Waffe wird aber nicht nur das Schwert sein, sondern der Geist aus Aladins Wunderlampe, eine Waffe, die die gleiche Kraft besitzt wie die Atombombe.

Vom Berg Morija, wo das Heiligtum steht, auf dem Tempelplatz in Jerusalem  ergeht der Ruf zum Heiligen Krieg gegen das Volk der Verheißung (Israel) und gegen die Untreuen und Gottlosen.
Während der letzten 20 Jahre wurde vom Felsendom aus der Aufruf zum heiligen Krieg verbreitet  zur Vernichtung Israels. In unseren Tagen, nachdem die Israelis die Trennmauer zwischen Alt und Neustadt zerstört und entfernt haben, ergeht immer noch von der gleichen Moschee aus der gleiche Ruf zum heiligen Krieg.
Von dem Platz aus, auf dem das Heiligtum Israels verwüstet wurde, wird zur Endlösung aufgerufen. Ist das nicht der Greuel der Verwüstung, von dem die Propheten und Jesus Christus redeten?

Dort, wo die Wohnung (der Tempel) des Gottes Israels war, sind Verkündiger des falschen Propheten, die zur Vernichtung des Volkes Gottes aufrufen.

Am 2. 6. 1967 rief Ahmed Choukeiri aus dem Felsendom (OmarMoschee) in Jerusalem zum heiligen Krieg auf. Er sagte: Ehre sei Allah, in diesem Augenblick, wo wir uns anschicken, in den heiligen Krieg zu ziehen, um Palästina zu befreien und um das heilige Land von den Untreuen und Gottlosen zu reinigen. (Claude Duvernoy, Le Sionisme de Dieu, Serg)
Welch ein Irrtum! Wenn der Gott des Alten und Neuen Testaments auch der Gott des Koran wäre, dann könnte nicht von heiliger Stätte aus Haß gegen das Volk, aus dem das Heil kommt, und gegen den Samen des Weibes, der das Zeugnis hat und die Gebote Gottes hält, (Offenbarung 12,17)  verkündigt werden.
Obwohl der Islam als tolerant gepriesen wird, besonders den Völkern des »Buches«  Juden und Christen  gegenüber, sind letzlich doch alle Ungläubige (Kafir), weil sie sich nicht dem Islam unterwerfen.
Der Islam erlebt seine Reformation, und der Koran wird auf den Leuchter gestellt. Immer mehr von den etwa 650 Millionen Mohammedanern unterstellen sich dem für den Islam einzig gültigen Gesetz, dem Koran. Er ist das Band, das sie gegen alle Feinde einigt.

Christen in Gefahr
Unter dem Titel »Dunkle Gewitterwolken« heißt es im »Le Levant«:
In mehreren Ländern des Vorderen Orient (Türkei, Ägypten, Irak) sind die Christen in besonderer Bedrängnis, in einigen sind sie nur eine verschwindend kleine Minderheit, in den meisten anderen werden sie nur geduldet.


Syrien
In Syrien ist die politische Lage äußerst ungewiß. Es vergeht keine Woche, ohne daß extremistische Moslems oder Anhänger der irakischen BaathPartei gegen Präsident Assad ein Attentat zu verüben suchen. Wenn man dazu bedenkt, daß zur Zeit mehr als die Hälfte aller amerikanischen und französischen Waffenlieferungen nach dem Vorderen Orient (Iran einbegriffen) gehen, kann man schon das Schlimmste befürchten.

Türkei
Aus der Türkei kommt folgender Bericht: Viele Kurden sind arbeitslos. Durch die libanesischen Wirren wird ihr Christenhaß verstärkt. Sie bilden bewaffnete Banden, rauben das Vieh und zerstören die Obstplantagen christlicher Dörfer, überfallen und ermorden christliche Bauern.
Aus mehreren Dörfern im Osten von Mardin, in denen früher Christen und Moslems friedlich miteinander lebten, beginnen die Christen zu fliehen. So sind beispielsweise aus dem Dorf Azech, in dem noch vor einem Jahrzehnt die Christen die Mehrheit gebildet haben, inzwischen die meisten Christen geflohen. Im Tur Abdin weden die Christen immer stärker von bewaffneten Moslem-Banden zum Verlassen ihrer Häuser gedrängt.
Mit dem Schrei »Die Türkei den Moslems« werden Frauen und Kinder ermordet und Männer entmannt (damit ihre Opfer im Jenseits keine geschlechtlichen Reize mehr haben), bevor man sie tötet.
Nach Aussagen von Präsident Bulent Ecevit handelt es sich um einen regelrechten Massenmord. 


Indonesien
Die Christen (10 % der Bevölkerung) sind trotz ihrer kleinen Zahl ein wichtiger Faktor im Staat. Ihre Schulen, Krankenhäuser und ihre Sozialarbeit stehen allen offen. Dank ihrer guten Ausbildung findet man sie in allen verantwortungsvollen Positionen. Der Islam jedoch ist weit verbreitet. Eine militante Minderheit möchte aus Indonesien einen Moslemstaat machen.

Ägypten
Die Toleranz des Islam in Ägypten: Es ist schmerzhaft festzustellen, daß Ägypten, der mohammedanische Staat, der sich auf dem Vorposten im Kampf um die nationale Emanzipation und die wirtschaftliche Unabhängigkeit befindet, auch der Staat ist, in dem die einheimischen Christengemeinden und der Mission die schwertsen Prüfungen auferlegt werden. Die koptischen Christen, deren Kirche auf die Zeit der Apostel zurückgeht, werden von der Regierung nicht als Ägypter betrachtet… Im Herbst 1948 war die völlige Vernichtung der Christenheit in Ägypten geplant, in Zusammenarbeit mit der Moslem-Bruderschaft; Anlaß war der Palästinenserkrieg… Die ägyptischen gesetze sind Gesetze eines totalitären Regimes, nach denen keine andere Ideologie erlaubt ist als die der Staatsreligion… Das hindert aber die Mohammedaner nicht daran, sich einer unvergleichlichen Toleranz zu rühmen.

Sudan
Im Sudan erleben wir eine Re-Islamisierung, die von Saudi-Arabien und anderen reichen Ölländern systematisch gefördert wird, mit dem Ziel den Islam zur Staatsreligion zu machen …

Marokko
Staatsreligion: Islam. In Safi, einer Stadt am Atlantik, hatte Dr. Campell fünf Jahre lang in einer Klinik gearbeitet und bekam so guten Kontakt mit der Bevölkerung, daß sich einige zum Glauben an Jesus bekannten. Er wurde wegen illegaler Missionsdienste nicht ins Gefängnis geworfen, sondern kurzfristig aus Marokko ausgewiesen. Zurück blieb eine Gruppe getaufter Moslems. Zwar gibt es unter dem Druck der Behörde zur Zeit in Safi keine Versammlungen, aber die Gläubigen kennen sich untereinander, und wir hoffen, daß ihnen unsere Bücher eine Stärkung bedeuten. (Aus: Mission in der Welt des Islam, MaiJuni 1978)
Irak
Im Irak sind seit November 1978 ca. 600 Christen inhaftiert worden, darunter befinden sich auch Ausländer. Nur 4 % der irakischen Bevölkerung zählt sich zur christlichcn Kirche.

Jemen
Anfang 1979 mußten alle Mitglieder der Evangelischen Mission den Jemen verlassen, nachdem sie sich vorher schriftlich verpflichten mußten, nicht mehr von Christus zu sprechen und keine Literatur zu verteilen.
Wäre Christus dem im Koran beschriebenen Jesus ähnlich, dann hätte doch der Islam keinen Grund, den Missionaren zu verbieten, von Jesus zu reden oder christliche Literatur zu verteilen. Es wäre nicht gerechtfertigt, die Missionare auszuweisen; denn in Europa unterliegen die islamischen Missionen weder einer Einschränkung noch einem Aufenthaltsverbot. Es ist auch nicht verboten, islamische Literatur und den Koran zu verbreiten. In SaudiArabien ist es sogar verboten, Bibeln einzuführen.

Afghanistan
Der afghanische Staat zum Beispiel hat aus seinem Territorium schon 1926 die armenischen Christen und Juden verbannt. Dazu hat er die Islamisierung der PamirHindustani durchgeführt, wo er den Namen Kafiristan (Land der Lästerer) in Nourestan (Land des Lichtes) veränderte.
In Afrika sind in den letzten Jahrzehnten, schon vor dem eigentlichen Erwachen des islamischen Blocks, ganze Dörfer und Volksgruppen zum Islam übergetreten. Nachdem heute der arabische Block zur Weltmacht heranwächst und mit einem Knopfdruck die ganze Welt lahmlegen könnte, gleichzeitig aber den armen afrikanischen Staaten Wohlstand und Überleben garantiert, ist die Zahl der Übertritte zum Islam in Afrika sehr stark angestiegen.
Die christliche Welt läßt sich verführen und irreführen, indem sie den Islam mit eigenen Maßstäben mißt. Das ist grundlegend falsch; denn bei dem Fanatismus, wie ihn der Islam kennzeichnet, kann keine gemeinsame Linie gefunden werden.
Der Islam ist totalitär. Er verweigert nicht nur den Nichtmoslems die Religionsfreiheit, sie ist für die Moslems undenkbar. Dem Moslem ist kein Zweifel daran erlaubt, daß der Islam die einzig gültige Religion ist. Ein Gott, eine Religion  von diesem Gedanken ist er nicht abzubringen.

Offensive gegen das Christentum
Es ist heute kein Geheimnis mehr, daß der Islam schon zu einer missionierenden Religion geworden ist. 1974 wurde in Mekka auf der Tagung der »Weltmoslemliga« die Gründung eines »Islamischen Weltmissionswerkes« beschlossen. Auf allen theologischen Fakultäten der islamischen Universitäten sollen Missonare ausgebildet werden, die die systematische Ausbreitung des Islams betreiben.
In Mekka wird ein mächtiger internationaler Sender errichtet, der sich »Die Stimme des Islam« nennt. Er soll die Sendungen der evangelischen Sender, die über Afrika ausgestrahlt werden, stören und übertönen. Etwa 25 Radiogesellschaften der mohammedanischen Welt beteiligen sich an diesem Unternehmen.

Wenn Allah der gleiche Gott ist wie der der Christen, warum dann diese Feindschaft und Bekämpfung?
Irgend etwas muß aus dem Gleichgewicht gekommen sein, sonst könnten unsere christlichen Kirchen das Spiel nicht mitmachen. Es gibt meines Erachtens mehrere Gründe dafür: Das Salz ist dumm geworden, und das Licht wurde unter den Scheffel gestellt. Wir haben nicht Treue gehalten, weder dem inspirierten noch dem menschgewordenen Wort Gottes gegenüber.
Wenn wir sehen, wie weit die Entwicklung fortgeschritten ist und wie das Abendland immer noch nicht gemerkt hat, was die Stunde geschlagen hat, müssen wir uns fragen, ob der Sohn Gottes unsere Zeit meinte, als er sagte:
Und ich gab ihr Zeit, Buße zu tun, und sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei (Offenbarung 2,21).

Dann müssen wir uns auch nicht wundern, daß die Zeit der Nationen zu Ende ist.
Bedenke nun, wovon du abgefallen bist und tue Buße, und tue die ersten Werke. Sonst komme ich über dich und werde deinen Leuchter von seiner Stelle stoßen, wenn du nicht Buße tust (Offenbarung 2,5).
Ist die Zeit der Buße vielleicht schon überschritten? Dann kann nur noch das Gericht kommen.

Die Ungläubigen


Solches habe ich zu euch geredet, damit ihr keinen Anstoß nehmet. Es kommt die Stunde, wo jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott (Elohim) einen Dienst zu erweisen. Und solches werden sie euch tun, weil sie weder den Vater noch mich (den Sohn) kennen (Johannes 16, 13).
Wir dürfen nicht vergessen, daß vom Islam jeder, der nicht Moslem ist, als ungläubig eingestuft wird, sowohl Juden wie auch Christen.
Wahrlich, ungläubig sind, die da sprechen: »Siehe, Allah ist ein dritter von drei.« Aber es gibt keinen Gott denn einen einigen Gott. Und so sie nicht ablassen von ihren Worten, wahrlich, so wird den Ungläubigen unter ihnen schmerzliche Strafe (Koran 5, 7677).
Selbst wenn die Grenzen auch im Koran verwischt sind, und hier die Rede von den Besitzern des Buches ist, seien es Juden oder Christen, so werden sie nicht als vollwertig anerkannt. Denn die Schriften des Alten und des Neuen Testaments werden von den Moslems als gefälscht betrachtet, da sie sich nicht mit dem Koran decken. Für den Moslem ist aber der Koran die höchste und letzte Offenbarung Allahs an die Menschheit, die allein den Menschen zur Wahrheit und zu Allah führt. Wer sich nicht dieser Autorität unterstellt, ist ein Ungläubiger.
Den Ungläubigen aber wird in den islamischen Ländern der Krieg erklärt.
Gegenwärtig dringt der Islam im Fernen Osten und in den weiten Räumen des Südpazifik vor, wo er NeuGuinea erreichte. Zu gleicher Zeit verstärkt er seine Stellung überall da, wo er Herr ist.

Renaissance des Islam
Um die Jahrhundertwende wurden die Moslems des Maghreb, Tripolitaniens und der Cyrenaika von Franzosen und Italienern beherrscht; die Bewohner Ägyptens, des Sudan, Indiens und des heutigen Indonesiens von Engländern und Holländern. Das Osmanische Reich, einst aggressiver Vorkämpfer des Islam, dessen Truppen 1529 und 1683 vor den Toren Wiens standen, lag in der Agonie und galt als kranker Mann am Bosporus…
Das allmähliche Erstarken des Islam in diesem Jahrhundert vollzieht sich nach außen als geographische Ausbreitung, nach innen als Renaissance der Religion und der kulturellen Werte der klassischen islamischen Zivilisation des Mittelalters. Der Islam dringt in Afrika ständig weiter vor. Oberst Gaddafi, ein Motor der arabischen Einigungsbewegung unter dem Zeichen des Islam und eine Integrationsfigur aller Progressiven in der moslemischen Welt, sagte: »Der afrikanische Kontinent muß islamisch werden.« – (Wolfgang Günter Lerch, Frankfurter Allgemeine, 9. September 1978)
Wie der Islam mit den arabischen Nomaden immer mehr nach dem Süden Afrikas vordringt, so dringt er, wenn auch noch unscheinbar und harmlos, mehr und mehr nach Europa vor. In England, Schweden und Frankreich sind die Moslems schon die zweitgrößte Religionsgemeinschaft. Seit dem 2. Weltkrieg entstanden in Jugoslawien 600 neue Moscheen, die teilweise staatlich subventioniert wurden. Die christlichen Kirchen dagegen wurden immer mehr dem Verfall ausgesetzt. Die »Neue Weltschau« schreibt unter dem Titel: Islam auf gigantischem Marsch gegen Westen  letzte Warnung an die Christenheit unter anderem:
Wenn die fünfte Kolonne eines Tages marschiert, sind die nordafrikanischen Gastarbeiter in Frankreich und die Türken in Deutschland, beziehungsweise Mitteleuropa, Einwanderer oder Unterwanderer, ohne es selbst im Augenblick zu wissen. Sind sie das Trojanische Pferd, wenn die erstarkten arabischen Völker ihre Hände nach den europäischen Mittelmeerküsten ausstrecken? Stellen die Einwanderer und Gastarbeiter  vielleicht schon in der kommenden Generation  die fünfte Kolonne dar?

Während in den nordafrikanischen Staaten immer mehr Kirchen in Moscheen umgewandelt werden, entstehen auf dem europäischen Kontinent immer mehr Moscheen. Christliche Kirchen werden dagegen zu Beatschuppen umfunktioniert.

In Belgien ist der Islam bereits als offizielle Religionsgemeinschaft anerkannt. Der belgische Staat übernimmt die Besoldung des Imam (Vorbeter in der Moschee).
Die Provinzverwaltungen werden sich um die Wartung und Pflege der Moscheen kümmern. In Belgien gibt es 20 Moscheen und etwa 100 000 Moslems.
Die arabischen Ölscheichs kaufen in Europa ganze Straßenzüge und gewaltige Areale von Grundstücken. Mit einem riesigen Kapital sind sie bereits in die europäische Großindustrie eingestiegen und haben damit eines Tages das Übergewicht bei der Bestimmung über das Schicksal unserer Industrie und ihrer Produktion.
Kein Mohammedaner, der europäisches, christlich gesegnetes Brot ißt, wird zum christlichen Glauben übertreten. Im Gegenteil, ihren Ghettocharakter geben sie nirgends auf. Immer mehr christliche Frauen werden durch Heirat mit Mohammedanern Moslems, und mit ihnen die von ihnen geborenen Kinder (Neue Weltschau, 12. 12. 1974).
Während immer mehr europäische Mädchen und Frauen Mohammedaner heiraten, ohne sich darüber klar zu sein, in welches Abenteuer sie sich einlassen, vermißt man umgekehrt die Toleranz, wenn mohammedanische Mädchen einen NichtMohammedaner heiraten möchten.
Ein krasses Beispiel zeigt die tragische Geschichte von Dalila Zeghar:
Nachdem sie einen Franzosen geheiratet hatte, wurde sie von ihrem Bruder mit dessen Privatflugzeug aus Kanada entführt. Seither lebt sie in Algerien unter Bewachung. In Algerien ist diese Frau wieder unter dem algerischen Gesetz, das einer Mohammedanerin verbietet, einen Nicht-Mohammedaner zu heiraten. (Nouvel Observateur, 10. 7. 78)

Mohammeds Sprung nach Afrika, Europa und Amerika

Während wir in mohammedanischen Ländern die Missionsarbeit aufgeben mußten und Kirchen in Moscheen verwandelt werden, antwortet der Islam auf den Dialog in seiner Weise. Er baut Moscheen in christlichen Ländern. Nicht einmal der Papst hat mehr die Macht, in Rom den Bau einer Moschee samt islamischer Universität, die hoch auf dem Monte Mario den Petersdom überragen wird, zu verhindern. An den Baukosten beteiligt sich Gaddafi mit 25 Millionen und SaudiArabien mit 50 Millionen DMark. So bereiten die Araber die Ausbreitung des Islam im christlichen Abendland vor.
Die Regierung Afghanistans hat angeordnet, die einzige christliche Kirche im Lande zu zerstören. Sie wurde am 15. Juni 1974 mit einem Bulldozer niedergewalzt. Der amerikanische Pfarrer war drei Monate vorher ausgewiesen worden. Die Erlaubnis zum Bau dieser Kirche war der Gemeinde von Kabul 1959 während einer Reise des Präsidenten Eisenhower gegeben worden. Die Zerstörung dieser Kirche ist umso unverständlicher, als sie gerade in dem Augenblick geschah, wo in Hollywood eine Moschee gebaut wurde.

Orientalischer Zauber

… in Frankreich
Am 17. 9. 1976 wurde in St. Louis die erste Moschee des Elsaß eingeweiht. Um ihre Sympathie und Einigkeit zu bezeugen, waren auch die Behörden vertreten, sogar Mgr. Elchinger aus Straßburg. Eine Sprecherin hob die Bedeutung des 2. Vatikanischen Konzils hervor. Dabei wies sie darauf hin, daß die Kirche mit Achtung auf die Mohammedaner sieht, die an Gott glauben.
Es wird nicht die letzte Moschee sein, die eingeweiht wurde, denn die verantwortliche »Association Musulmane« im Elsaß verlangte anläßlich dieser Veranstaltung Hilfe und Unterstützung, damit man bald auch in Mülhausen eine Moschee bauen könne.
So werden bald in ganz Europa Moscheen gebaut werden, denn durch die Fremdarbeiter ist das Verhältnis in Frankreich heute schon so, daß auf zwei Mohammedaner ein Protestant kommt. 1978 wurde in Bischheim bei Straßburg eine Moschee eingeweiht.

… in Spanien
Die Nachkommen derer, die einst Andalusien in Spanien aufgebaut haben, das fast 800 Jahre mohammedanisch war (bis 1492, das Jahr, in dem Christoph Kolumbus Amerika entdeckte), fühlen sich wieder von diesem Land angezogen. Der Emir von Kuwait hat vor, dort eine arabische Siedlung mit einer Moschee und einer islamischen Universität zu bauen.

… in der Schweiz
In der Rhonestadt entsteht die größte Moschee der Schweiz:
»Das Bauwerk wird zu den Schätzen zeitgenössischer Kunst in der UNOStadt zählen« schrieb die Genfer Zeitung La Suisse zu Beginn des Jahres über die größte Moschee der Schweiz, die im Genfer Stadtteil Petit Saconnex entsteht: Sie wird zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehören wie die Kathedrale Saint Pierre. Ende Mai werden zu der Eröffnung des vom Königreich Saudi Arabien gestifteten Baues prominente Persönlichkeiten aus der Welt des Islam erwartet, König Khaled vielleicht, zumindest aber sein Premierminister. Das Ursprungsland des Islam mit den heiligen Städten Mekka und Medina bringt mit der Moschee von Petit Saconnex einen Abglanz orientalischen Zaubers in die Stadt der Nationen…

Dies alles geschieht, ohne daß die Bevölkerung in der Hochburg des Schweizer Protestantismus auch nur ahnt, was hier gespielt wird. Es scheint, als mache sich niemand Gedanken darüber, was der Bau der Moscheen in der Hochburg des Katholizismus, Rom, oder des Protestantismus, Genf, für die islamische Welt bedeutet. Es ist der Siegeszug des Islam. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, die Welt zu unterwerfen.

… in England
In London entstand die größte Moschee Westeuropas mit islamischer Universität im Regent’s Park.
Auf der Internationalen Islamischen Konferenz in London 1976 hieß es dazu: Wenn wir London für den Islam gewinnen, wird es nicht schwer sein, die ganze westliche Welt zu gewinnen.
Jeder sechste Bewohner der Welt ist heute bereits Mohammedaner. Die Mohammedaner sehen das Christentum als eine sterbende Religion, während der Islam als aufstrebende Weltreligion propagiert wird. London soll als strategisches Zentrum im Westen dienen, um den Islam zu verbreiten.
Jährlich treten etwa 50 Christen in England zum Islam über. Wieviele der Million Mohammedaner im Vereinigten Königreich bekehren sich zu Christus?
1945 gab es in England eine Moschee; 1950 waren es 25; 1960 bereits 80 und 1976 zählte man 200…
Allein in Westeuropa leben heute schon sieben Millionen strenggläubige Mohammedaner. Auf der ganzen Welt gibt es heute etwa 650 Millionen Mohammedaner gegenüber etwa 900 Millionen Christen.

… in Österreich
Nach 296 Jahren wird die siegreiche Schlacht bei Wien zur Niederlage, zur Niederlage des Abendlandes! Im Jahre 1683 wurde in dieser Schlacht der Wesir Cara Mustapha Pascha geschlagen. Dieser Sieg der christlichen Welt vernichtete die Hoffnung des Wesirs: die Islamisierung des Abendlandes.
Aber auch die Christianisierung der Welt war für diese Zeit nicht vorgesehen. Dafür gibt es in den Evangelien keine Hinweise. Die Kirche konnte dieses Ziel, das sie sich aus eigener Initiative gesteckt hatte, nicht erreichen, weil es gar nicht ihre Aufgabe war. Ihr Auftrag ist, das Evangelium zu verkünden und die zu taufen, die ganz bewußt auf der Seite Jesu Christi stehen wollen.
296 Jahre nachdem der Islam bei Wien zu Tode verwundet wurde, erscheint seine Niederlage als Sieg der islamischen Welt. Doch diesmal nicht durch den Krieg. Die erste Moschee Österreichs wird zur Zeit in Wien, im Park an der Donau, errichtet. König Khaled von SaudiArabien stiftete zu diesem Bau acht Millionen D-Mark. Das Programm war also nur aufgeschoben!
So beginnt der Islam seinen Siegeszug über das Abendland und die ganze Welt. Die feindlichen Stellungen werden auf allen Fronten überrannt, die Front ist eingedrückt, keiner weiß mehr, wo der Feind steht.
Welche geistlichen Werte können wir dieser erwachenden Macht, die alle Zeichen der Dämonie mit einem festgelegten Programm trägt, entgegenstellen? Dieses Programm  wir sehen es heute im Libanon, im Iran, in der Türkei, in Afrika und in Israel  schließt Kompromiß, Dialog und Toleranz aus.

… in Deutschland
Am 17. 4. 1979 schrieb Martina Kempff in »Die Welt«:
Über dem Schaukasten mit Szenenbildern aus der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe« war der türkische Halbmond aufgegange: Die rote Flagge mit Mondsichel und Stern flatterte vor dem Frankfurter Theater am Turm. Von der Theaterbühne herab forderten türkische Imame am Ostersonntag die Anerkennung des Islam als offizielle Religion, die Gleichstellung der türkischen mit der christlichen Religion.
Rund 1000 Vertreter von 158 Moslem-Gemeinden in der Bundesrepublik waren dem Aufruf des Islamischen Kulturzentrums in Köln zu dieser ersten islamischen Großveransatltung gefolgt. Streifenwagen der Frankfurter Polizei
Fuhren unablässig vor dem Theater Patrouille, türkische Ordner waren vor dem Eingang postiert. Man wollte gegen mögliche Störversuche anderer türkischer Gruppen gewappnet sein. Denn das Islamische Kulturzentrum versteht sich im Gegensatz zu den linken türkischen Gruppierungen und den rechtsradikalen »Grauen Wölfen« nicht als politische, sondern ausschließlich als religiöse Gemeinschaft, die ihr Leben nach den Buchstaben des Koran ausrichtet.
Doch gerade in diesem Punkt würden den Moslems in der Bundesrepublik Steine in den Weg gelegt, klagte der Vorsitzende des Islamischen Zentrums, Necdet Demirgülle. Er wehrte sich gegen die »Verhetzung der Koranschulen in den Medien« und behauptete: »Die moslemischen Eltern sorgen sich um die religiöse Erziehung ihrer Kinder. Sie befürchten, daß ihre Kinder dem Glauben entfremdet werden können, ihre kulturelle und nationale Identität verlieren. « Islamische Eltern seien aber verpflichtet, ihre Kinder im Glauben zu erziehen. »Und eine bessere Alternative als die Koranschulen kann es so lange nicht geben, als unsere Kinder in deutschen Schulen nicht in ihrer heimatlichen Religion unterwiesen werden.«
Dies könnte sich nur ändern, wenn der Islam als offizielle Religion in der Bundesrepublik anerkannt würde. Ein Antrag hierzu sei bereits beim Kultusministerium NordrheinWestfalens gestellt worden. Der geistliche Leiter des Islamischen Zentrums, Harun Resit Tüyloglu, fragte, weshalb die Bundesrepublik nicht dem Beispiel Belgiens folgen könne, das den Islam inzwischen auch als offizielle Religion anerkannt habe. In der Bundesrepublik lebten immerhin 1,5 Millionen Moslems, darunter 1,2 Millionen Türken. Die Koranschulen würden von mehr als 10 000 sechs bis 15jährigen Türken besucht.
Demirgülle wandte sich gegen die Äußerung von Karl-Heinz Göbel, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung Ausländische Arbeitnehmer im DGB, der kürzlich beklagt hatte, die Koranschulen erzögen zu »reaktionärem Fanatismus und zu Feindlichkeit gegenüber allem Fremden«.
Der Islam, so Demirgülle, hege keinerlei aggressive Absichten gegen andere Gemeinschaften: »In unseren Koranschulen wird den Kindern der Gedanke nahegelegt, daß sie an der Gestaltung dieser Gesellschaft mitwirken und friedlich miteinander leben müssen. Sie sollen nicht vergessen, daß ihre Eltern hierhergekornmen sind, um den Lebensunterhalt zu verdienen und daß die Freundschaft zwischen der Türkei und Deutschland auf einer langen Tradition beruht.«
Die religiöse Unterweisung belaste die Kinder nicht, sondern entspreche »ihrem Alter und Fassungsvermögen«. Genau das hatte Göbel jedoch angezweifelt, als er kritisierte, daß schon Sechsjährige die 114 Suren des Korans (500 Seiten in der deutschen Übersetzung) auswendig lernen müssen.
Daß die kleinen Türken den Sinn der arabisch geschriebenen Suren nicht verstehen, wurde während der Frankfurter Veranstaltung nicht erwähnt.

Das Geheimnis der Bosheit
Es werden falsche Christi und falsche Propheten auftreten und werden große Zeichen und Wunder tun, um wo möglich, auch die Auserwählten zu verführen (Matthäus 24, 24).
EI Gaddafi sagt:
Der Koran ist moderner als die Offenbarung der Christen und der Juden, Mohammed hat mehr vom wahren Sozialismus verstanden als Karl Marx.
Wer in Zukunft nicht fest in der Bibel und im Glauben verwurzelt ist, wird diesem falschen Propheten, der als Engel des Lichts auftreten wird, nicht widerstehen können. Er wird wieder Ordnung in eine gesetzlose Welt bringen; doch wird er Gesetz und Geist ändern.
Dem Dieb wird die Hand abgehackt, Alkohol ist nicht erlaubt, kein Mann darf den Beruf des Damenfriseurs ausüben, da dem Gläubigen die Berührung fremder Frauen untersagt ist; keine Frau soll allein Auto fahren. Der Prophet hat die freie und unbehinderte Bewegung der Frau außerhalb der Mauern des Hauses abgelehnt (G. Konzelmann, Die Araber, F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung MünchenBerlin).
In Libyen, das sich offenbar zum Führer des erwachenden Islam entwickelt, wird der Islam durch die Kulturrevolution zur Ideologie des Staates erhoben. Jede Handlung und Gesinnung der Bürger soll an der Frage geprüft werden: Wäre der Prophet (Mohammed) mit dieser Handlung, mit dieser Tätigkeit, mit dieser Gesinnung einverstanden?
Alles, was aus dem Ausland kommt, Sitten, Gebräuche, Philosophie, Literatur, Kultur und Religion, wird abgelehnt oder vernichtet. Die »Vergiftung der islamischen Denkweise « muß aufhören. Regel und oberstes Gesetz ist der Islam. Der Prophet hat den Arabern und durch sie der Welt Allahs Wort auf der Erde gegeben. Neben oder über dem Propheten Mohammed darf nach Allahs Willen kein anderer stehen.
O ihr, die ihr die Schriften erhieltet (Christen und Juden)! Unser Apostel (Mohammed) ist schon zu euch gekommen, um euch aufzuklären über Irrtümer der Apostel, aus Angst, daß ihr sagt: Es ist weder ein Warner noch ein Verkündiger der frohen Botschaft zu uns gekommen. Aber jetzt ist ein Warner und Verkündiger der frohen Botschaft zu euch gekommen (Mohammed). Allah ist mächtig über alles (Koran 5.22).
Jetzt wartet der Islam auf einen neuen Propheten. Die Zeit und die Bedingungen für sein Kommen waren noch nie so günstig wie heute. Diese Gelegenheit werden die Araber nicht ungenützt vorübergehen lassen.

Die Lüge hat Zukunft
Denn das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist schon an der Arbeit, nur muß der, der jetzt aufhält, erst aus dem Wege geschafft werden: Und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, welchen der Herr Jesu durch die Erscheinung seiner Wiederkunft vernichten wird, ihn, dessen Auftreten nach der Wirkung des Satans erfolgt, unter Entfaltung aller betrügerischen Kräfte, Zeichen und Wunder… Darum sendet ihnen Gott kräftigen Irrtum, daß sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt haben… (2.Thessalonicher 2, 712).
In der Endzeit wird die Lüge geglaubt werden, weil die Liebe zur Wahrheit, das heißt zur Bibel, immer mehr abnimmt. Dem Abendland ist es heute nicht mehr möglich, diesen Schritt rückgängig zu machen, es hat keine Kraft mehr dazu.
Aber der Islam hat eine Lösung:
Würde der Islam voll zur Wirkung kommen, würde sich die ganze Menschheit bekehren, und alle Ideologien wären besiegt (Ayatollah Khomeini).
Diese Worte zeigen das Ziel der Moslems. Sie weichen kaum von denen des Präsidenten Gaddafi ab. Das Programm: Die Unterwerfung der Welt unter den Islam.
Man darf nicht annehmen, daß die Moslems um unser Wohlbefinden besorgt wären. Die fanatischen Moslems im Iran verwerfen jeden Fortschritt. Im Namen des Islam stellen sie die 1300 alten Verordnungen und Gesetze wieder her. Irren wir uns nicht: Der Islam hält seine Anhänger in seiner Lehre gefangen. Diese Macht hat bis heute jeder Infiltration widerstanden, sei sie materieller oder geistiger Art. Auch unsere unsicher gewordene materialistische und geistlose Welt kann den Kurs der islamischen Welt nicht ändern.
Die mohammedanische Welt hat keine Hochachtung vor einem Christentum, das sich seines Glaubens schämt, das sich als lebendig ausgibt und doch tot ist (Offenbarung 3,1).
Dies erinnert mich an ein Erlebnis, das wir mit einem arabischen, mohammedanischen SousPréfet hatten, der einige Jahre in Europa verbracht hatte, um sein Studium zu absolvieren. Er besuchte uns in Afrika und blieb einen Tag bei uns. Vor dem Essen betete ich. Am Abend, als wir bei ihm waren, sagte er zu uns: Heute hörte ich zum ersten Mal einen Weißen beten.
Und doch hatte er vier Jahre in einem christlichen Land gelebt!
Da könnte man auch auf das Christentum anwenden, was der Ayatollah Khomeini im Blick auf den Islam ausrief: »Würde sich das Christentum voll auswirken, würde sich die ganze Menschheit bekehren und alle Ideologien wären besiegt«.
Aber leider erweist sich das Christentum als immer weniger wirksam. Nicht nur das, es wird sogar durch die verleugnet, die sich Christen nennen (2. Timotheus 3,5).
Der höchste Prozentsatz an Gebildeten fand sich zuerst auf dem europäischen Kontinent. Alle, ja alle, hätten die Bibel lesen können. Doch genau wie Israel haben auch die Heiden nicht begriffen, wozu sie berufen und bestimmt waren.
Wie Israel konnten sie eine Wahl zwischen Segen und Fluch treffen (5. Mose 11, 1832). Sie haben den Fluch gewählt. Deshalb werden sie gerichtet werden, ebenso wie Israel gerichtet wurde und noch gerichtet werden wird.

Dialog oder Monolog
Der Stärkere hat in der Geschichte immer dem Schwächeren seinen Willen aufgezwungen. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß das in der Beziehung zwischen Islam und Christentum anders verlaufen würde.
Der Islam geht von der Voraussetzung aus, daß er die höchste und letzte Offenbarung Allahs erhielt und deshalb die Krönung aller Religionen darstellt (Sure 3. 1719). Die Mohammedaner sind das auserwählte Volk (Sure 3.106).
Die einzig mögliche Lösung des Konflikts ist für den Islam: Juden und Christen müssen sich dem Islam unterstellen (Sure 2,129). Der Koran steht dem Dialog ablehnend gegenüber.
O ihr Gläubigen, habt keine Verbindung mit den Juden und den Christen. Laßt sie sich untereinander verbinden. Wer sie sich zum Freund nimmt, wird ihnen gleich werden, und Allah ist nicht der Führer der Perversen (Sure 5.56).
Dialog kann für den Moslem nur das bedeuten, was in Sure 2,129 ausgedrückt wird:
Die Juden und Christen sagen: Nehmt unseren Glauben an, wenn ihr auf dem Weg des Heils sein wollt. Antwortet ihnen: Wir folgen dem Glauben Abrahams, welcher den Götzen Weihrauch verweigerte und nur einen Allah anbetete.
Wir sehen, wie auf höchster Ebene die größten Kunststücke angewandt werden, um alles auf einen Nenner zu bringen. Es muß doch möglich sein, das Reich Gottes irgendwie und irgendwo einzuordnen; menschlich gesehen, könnte es ja sehr schön und gut im Zusammenschluß der Monotheisten liegen. Doch es ist dem christlichen Abendland noch nicht bewußt, daß es sich in einer sorgfältig gestellten Falle verfängt. So, wie sich die heutige Weltlage entwickelt, kann das von den Moslems aufgestellte Endziel nur Allah il Allah und Islam sein. Alles, was diesem Ziel im Weg steht, muß weggeräumt werden. Das geht natürlich nur auf Kosten der Wahrheit.
Darum sendet ihnen Gott kräftigen Irrtum, daß sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen an der Ungerechtigkeit gehabt haben (2. Thessalonicher 2, 1112).

Das Verhalten des Vatikans zum Islam
Es ist eine große Wandlung eingetreten. Ein Dokument des Vatikan gibt Anleitungen zum Dialog zwischen Christen und Moslems. Darin wird den Christen geraten, doch ihre Vorurteile und ihre Stellung zum Islam zu überdenken. Warum bezeichnen sie den Gott des Islam immer noch mit Allah? fragt der Verfasser. Allah ist kein anderer als der Gott des Mose und der Gott und Vater Jesu Christi!

Ein anderes Dokument des II. Vatikanischen Konzils (1962-1965), unter dem Titel Lumen Gentium veröffentlicht, erklärt:
Die Moslems glauben wie Abraham; mit uns beten sie den alleinigen, barmherzigen Gott an, der am jüngsten Tag die Menschen richten wird.
Die Moslems selbst erheben sich gegen die Gewohnheit der Europäer, ihren Gott mit Allah zu bezeichnen, da doch Christen und Moslems denselben Gott anbeten. Um dem Abendland zu beweisen, daß der Vatikan eine Annäherung wünscht, bemüht er sich, Kontakte zwischen der Kirche und dem Islam zu fördern: Der Präsident des vatikanischen Sekretariats für NichtChristen stattete dem König Faisal von SaudiArabien einen Besuch ab; Paul Vl. empfing die großen Ulemas von Arabien im Jahr 1974. Auch Mgr. Elchinger, Bischof von Straßburg, empfing die Ulemas (arabischislamische Gelehrte) im Münster und lud sie ein, vor dem Altar im Chor ihre Gebete zu verrichten. Sie taten das auch, indem sie sich nach Mekka wandten! (Maurice Bucaille, La Bible, le Coran et la Science)
Da nun zwischen den höchsten Vertretern der christlichen und der islamischen Welt ein Dialog entstanden ist, denkt der Verfasser des Berichts, sollte man sich auch über andere Themen unterhalten, und im besonderen über die Authentizität der Texte der Heiligen Schrift.
Damit wird man nun in eine stufenweise Zerstörung der biblischen Wahrheiten hineinkommen. Nachdem man beim Monotheismus angekommen ist, muß man natürlich auch die Authentizität der Bibel infrage stellen. Der Islam stellt sie infrage, unsere moderne Theologie etwa nicht?
Alles ist eingespielt und von dem Gegenspieler Gottes schon lange vorbereitet. So geht die Entwicklung in dieser Richtung immer weiter. Das christliche Abendland beugt sich immer tiefer vor dem Tier.
Hier noch ein Ergebnis des christlichislamischen Kolloquiums in Tripoli 1976:
Der Vatikan hatte eine 14köpfige Delegation geschickt, an ihrer Spitze Kardinal Pignedoli, Präsident des Sekretariats für NichtChristen. Das gemeinsame Kommuniqué bezeichnet beispielsweise den Zionismus als eine Doktrin, die rassistisch, aggresiv undfremd gegenüber Palästina und dem Nahen Osten sei. Der Text verlangt die Räumung aller besetzten Gebiete und die Anerkennung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes, einschließlich der Rückkehr in sein Land.

Im Blick auf Jerusalem proklamiert das Kommuniqué den arabischen Charakter der Stadt, verwirft ihre Internationalisierung und bestreitet den jüdischen Charakter der Stadt.
In ihren Beschuldigungen gegen Israel waren weder die UNO noch die UNESCO noch die Sowjetunion so weit gegangen.
400 Delegierte aus der islamischen und katholischen Welt hatten in Tripoli die Aufgabe, eine bessere Welt für anderthalb Milliarden Christen und Mohammedaner vorzubereiten… Nach fünf Tagen harter Diskussion in einer geladenen Atmosphäre machten die Mohammedaner den christlichen Vertretern bittere Vorwürfe. Aber plötzlich erfaßte Begeisterung die heilige Schar. Es geschah, als sich der Vater LanfryGross  mit grauen Haaren und blauen Augen  erhob, um die Mohammedaner öffentlich um Vergebung zu bitten wegen der Beschuldigungen, die die Christen in der Vergangenheit gegen den Propheten Mohammed gerichtet hätten. Es gab einen riesigen Applaus, Allah Akbar schrie ein Scheich. Ich spürte das Wehen Allahs über der Versammlung, sagte der Vertreter Indiens.
Niemand hätte sich am Anfang des Kolloquiums vorstellen können, daß die Vertreter des Vatikans für die allerextremsten arabischen Thesen stimmen würden.
Ins Gewicht fällt, daß das Kommuniqué von Tripoli unterzeichnet wurde. Dadurch ist für die mohammedanische Welt der offizielle Standpunkt des Vatikans festgelegt.
Der Vatikan hat sich mit den Extremisten unter den Arabern verbündet, die Israel vernichten wollen, mag es noch so viel Leiden, Tränen und Blut kosten (Hebdo, 13. 19. Februar, 1976).
Dieses Kommuniqué wurde nachher von Rom widerrufen, doch für die mohammedanische Welt ist es festgelegt und unterzeichnet.
Wie weit die Verbrüderung zwischen Christen und Mohammedanern schon vorangeschritten ist, zeigt uns auch folgender Bericht unter dem Titel: Freundschaftliche Begegnung mit den Moslems in Damaskus:
Bei seiner einwöchigen Orientreise traf Kardinal König von Wien zu einer freundschaftlichaufgeschlossenen Begegnung mit den Moslems in Damaskus ein. Fünfmal kam er mit dem Großmufti der Republik Syrien, Scheich Keftaro, zusammen. Der Großmufti lud Kardinal König in die Moschee ein. Dort sprach der Scheich vor allen Predigern aus Damaskus und in Anwesenheit des orthodoxen Patriarchen Yacoub über Jesus Christus und Maria im Koran. Kardinal König verwies auf die gemeinsame Aufgabe der an den einen Gott glaubenden Christen und Moslems: Ungläubige für den Glauben zurückzugewinnen. Unter dem großen Beifall der Gläubigen umarmten sich der Scheich und der Kardinal.
Es scheint, als würde die Prophetie im Blick auf Israel von seiten der Kirche völlig ignoriert.
Indem nun die christliche Welt in dieses Karussell einsteigt, hat sie ihren Untergang besiegelt. Eine christliche Kirche, die ihr Fundament, Jesus Christus, verlassen hat, kann keine Botschaft mehr haben. Sie ist auch nicht mehr glaubwürdig und lebensfähig.

3. ISRAELS LEIDENSWEG

Der Tragödie erster Teil
Und Sara sah, daß der Sohn der Hagar, der ägyptischen Magd, den sie Abraham geboren hatte, Mutwillen trieb. Da sprach sie zu Abraham: Treibe diese Magd mit ihrem Sohn Ismael aus, denn der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn Isaak (l. Mose 21,6).
Die Erfüllung der Verheißungen Gottes eigenmächtig zu erzwingen, heißt den zweitbesten Weg wählen, den Weg des Fleisches. Die Folgen eines solchen Weges bemerken wir bei Abraham. Einst werden wir erkennen, wieviel wir versäumt haben, indem wir nicht im Geist gelebt und gehandelt haben.
Im Blick auf Ismael sehen wir die Folgen erst heute in ihrem ganzen Ausmaß über unsere Welt kommen. Gott wird uns nie hindern, Dummheiten und Fehler zu begehen, denn der Mensch wollte von Gott unabhängig sein, aber wir dürfen Gott dann auch nicht für die Folgen verantwortlich machen.
Sara wählte diesen zweitbesten Weg und gab ihre ägyptische Magd dem Abraham, um durch sie den verheißenen Sohn zu erhalten. Eine voreilige Handlung!
So wurde Ismael zum Sohn »aus dem Fleisch«, zum AntiIsaak. Diesen Fehler hat der Lügner von Anfang, der Satan, 2500 Jahre später aufgegriffen und daraus den Islam hervorkommen lassen.
Heute, etwa 3900 Jahre danach, wird dieser Fehler Abrahams zum Weltproblem. Denn heute beansprucht die Linie Ismaels das verheißene Land und den verheißenen Segen.
Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die Welt und auch viele Christen diesen geschichtlichen Vorgang mit Ismael und Isaak (Israel) nicht verstehen. Selbst Abraham konnte die Folgen seiner Bitte nicht ermessen, als er Gott bat:
Ach, daß Ismael vor dir leben sollte (1. Mose 17,18).
Diese Bitte erhörte Gott und siehe, Ismael lebt! Auch die Verheißung durch des Herrn Engel an Hagar hat sich erfüllt.
Siehe ich will deinen Samen also mehren, daß er vor großer Menge unzählbar sein soll (1. Mose 16, 10).
So leben heute im Nahen Osten etwa 130 Millionen Araber, eine große Menge!
In 1. Mose 16 zeigt uns Gott die Charaktereigenschaften Ismaels und seiner Nachkommen, die sich bis auf den heutigen Tag nicht verändert haben und die im Koran und im Islam erst richtig zum Ausdruck gekommen sind:
Er wird ein wilder Mensch sein, seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird gegenüber von allen seinen Brüdern wohnen (1. Mose 16,12).
Zwölf Stämme sollten aus Ismael hervorgehen, ein Abglanz des Segens Israels, ein Antibild (l. Mose 17,20).
Ismael wird sein wie ein Wildesel! Wer die arabischen Nomaden kennt, weiß, was das bedeutet. Es ist ein Volk, das nicht zu zähmen ist. Ismael spottet über Isaak, und dieser Spott führte zur Vertreibung der Sklavin mit ihrem Sohn (l. Mose 21,9).
Heute muß Israel feststellen, daß ihm ein Volk gegenübersteht, das ihm zu mächtig ist. Etwa 2400 Jahre nach der Geburt Ismaels stand der Mann auf, der das Volk der Araber in einem großen Bund zusammenschloß. Er war in ihren Augen der große, von Allah gesandte Prophet. Um unsere heutige gefährliche Weltlage besser verstehen zu können, ist es sehr wichtig, die Lehre Mohammeds genau zu studieren.

Das Geheimnis Israel
Denn ich will nicht, dass euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis unbekannt bleibe (Römer 11,25).
Paulus nennt in seinen Briefen drei Geheimnisse:
Das Geheimnis Israel (Römer 9, 10  11)
Das Geheimnis Christus und seine Gemeinde (Epheser 5, 32 und Kolosser 1, 26)
Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit (2. Thessalonicher 2, 7)
Dem Geheimnis Israel widmet der Heidenapostel drei Kapitel in einem der wichtigsten Briefe des Neuen Testaments.
Paulus hat, wie auch Jesus Christus, nie das Gesetz (die Thora) angegriffen oder gar aufgehoben, wie die Pharisäer behaupteten und glaubten. Paulus war und blieb sein Leben lang ein strenggläubiger Jude.
Ganz klar hebt er hervor, daß die Kindschaft, die Herrlichkeit, die Bündnisse und die Gesetzgebung, der Gottesdienst, die Verheißungen und die Patriarchen Israel gehören (Römer 9,45).
Paulus predigte also weder Haß noch Verfolgung der Juden, sondern erkannte im Gegenteil die besondere Stellung Israels an. Er hat nie die Ekklesia (Gemeinde Christi) an die Stelle Israels gestellt oder umgekehrt; beide haben ihre Zeit und ihre Aufgabe.
Als die Ekklesia ihren Anfang nahm und damit die Zeit der Nationen begann, wurde Israel auf ein totes Gleis gestellt; aber es ist nicht für immer verstoßen (Römer 11, 1). Die Prophetie im Blick auf Israel wurde nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben, und zwar von der Wegnahme des Gesalbten an bis ans Ende; dann wird Israel wieder als Volk vom toten Gleis in die Weltgeschichte zurückgeholt (Daniel 9, 26).
Fast 2000 Jahre hat Israel nun auf dem toten Gleis gestanden. Dies war die Zeit der Nationen und die Zeit der Gemeinde. Wenn nun dieses Abseitsstehen Israels den Heiden zum Segen wurde, wieviel mehr wird ihre Wiederannahme den Heiden zum Segen werden.
Denn so ihre Verwerfung der Welt Versöhnung ist, was wird ihre Annahme anders sein als Leben aus den Toten. Gott wird sie wieder einpfropfen (Römer 11), ob das den Nationen paßt oder nicht. Paulus glaubte an die Auferstehung Israels von den Toten. Sind nicht die Totengebeine, von denen Hesekiel 37 spricht, die erwachen und sich zusammenfinden und den Geist empfangen, eine Anspielung auf die Auferstehung und Wiederherstellung Israels?
Das wird in dem Augenblick geschehen, in dem der letzte Heide in die Ekklesia eingegangen sein wird, aber nicht, wenn alle Heiden zum Christentum bekehrt sind, was sich heute immer mehr als eine Utopie herausstellt. Es geschieht auch nicht, wenn die Nationen meinen, durch den Monotheismus das Reich Gottes aufbauen zu können. Es muß sich erst erfüllen, was Jesaja prophezeite:
Und es wird für Zion ein Erlöser kommen und für die in Jakob, die sich von der Übertretung bekehren, spricht der Herr (Jesaja 59,2 0).
Wir dürfen das sehen, was Jesus Christus und auch die Apostel Petrus, Paulus und Johannes durch den Heiligen Geist vorausgesagt haben und gern erlebt hätten. Sie haben sich auf die Wiederherstellung Israels gefreut (Apostelgeschichte 1,6).

Gott erfüllt seine Verheißung
Hier einige Aussagen von Christen aus der neueren Geschichte, die damit rechneten, daß Gott seine Verheißung an Israel wahrmachen würde. Sie waren überzeugt, daß Gottes Wort wahr ist und in Erfüllung gehen muß.
Diese Wiederherstellung Israels ist für sie das Zeichen dafür, daß wir in eine neue Phase der Weltgeschichte getreten sind, von der Daniel sagt, sie sei die Endphase.

Jung Stilling, 1740  1817
Allenthalben blickte der wahre Christ nach dem großen goldenen Uhrzeiger an des Tempels Zinnen; und wer blöde Augen hatte, der fragte den schärfer Sehenden, wieviel Uhr es sei. Was du mir von den Juden schreibst, ist mir zum Teil bekannt. Die Bekehrung dieses merkwürdigen Volkes und sein Zug ins Vaterland wird vielen die Augen öffnen. Dadurch wird dann die Bibel noch einmal vor aller Augen legitimiert, und wir wissen dann gewiß, woran wir sind.

Emile Guers, 1856:
Israel hat wirklich Anspruch auf unser Interesse, schon wegen seiner Leiden in der Vergangenheit. Dieses Volk steht vor uns mit seinen 18 Jahrhunderten der Schmach und der Leiden. Kaum ist Jesus Christus weggenommen, da erscheint Titus in Judäa als Anführer seiner Rachelegionen mit ihren Adlern, den Wahrzeichen ihrer Kraft und ihrer Geschwindigkeit. Jerusalem, wohin beinahe das gesamte Volk geflüchtet war, wird von den Römern eingenommen. Schwert, Hungersnot und Pest fordern ihre Opfer. Eine Million Juden kommen während der Belagerung der Stadt um.

Die darauffolgenden Jahrhunderte brachten den Kindern Israel nichts als Nöte ohne Zahl. Überall verhöhnt, verworfen, der Verfolgung preisgegeben, überall von allen Menschen in den Bann geschlagen: Dazu wirst du unter diesen Völkern keine Ruhe haben, und keine Rast finden für deine Fußsohlen, denn der Herr wird dir daselbst ein friedloses Herz geben (5. Mose 28,65). Und du wirst wahnsinnig werden von dem, was deine Augen sehen müssen (5. Mose 28,34).
Im Mittelalter vergriffen sich die Kreuzzügler, die sich nach Palästina aufgemacht hatten, an allen Juden, die sie unterwegs trafen: Metzeln wir sie nieder, riefen sie, und der Name Israel werde auf ewig vertilgt! Das Blut der Söhne Abrahams floß in Strömen auf der ganzen Welt. Nur eins sei erwähnt, um das Maß ihrer Leiden zu schildern:
In Mainz wurde der Palast des Erzbischofs Rothardus, wo 700 von ihnen Zuflucht gefunden zu haben glaubten, von den Feinden gestürmt: Männer, Frauen, Kinder wurden mit dem Schwert umgebracht. Daraufhin versteckten sich die Übriggebliebenen dieser Unglücklichen in ihren Häusern. Um dem Schwert der Kreuzzügler zu entkommen, töteten sie sich gegenseitig: Männer und Frauen, Väter und Söhne, Mütter und Töchter, Herren und Diener.
Überall füllten sich die Gefängnisse mit Juden. Diese Elenden wurden verkauft, geplündert, entrechtet. Man bezichtigte sie der Magie, des Opferns von Kindern, der Vergiftung der Brunnen, und verbannte sie deshalb aus den Ländern. Ohne Urteil wurde ihnen die Kehle durchgeschnitten, oder man erhängte sie schändlich zwischen zwei Hunden. Im 14. Jahrhundert brach eine schreckliche Krankheit in Europa aus. Man hieß sie den schwarzen Tod oder die Pest. In kurzer Zeit wurde ein Drittel der Bevölkerung hinweggerafft. Da wurden überall Stimmen laut: Die Juden haben die Brunnen vergiftet. Tötet, tötet die Söhne Israels! Über eine Million von ihnen kam um. Seit achtzehnhundert Jahren hallt die ganze Welt von ihren Klagen wider. Ihre Geschichte ist tränen- und blutgetränkt.
Der furchtbare Fluch des Gerichts folgt ihnen überallhin. Bis zu diesem Tag ist das Blut Jesu Christi über ihnen als ein Fluch. Bitten wir doch Gott, das kostbare Blut Jesu möge bald als Segen über ihnen sein. Sind sie doch die Söhne Abrahams, Brüder Jesu, dem Fleische nach  vergessen wir es nicht. Allerdings sind sie auch die Nachkommen derer, die den Herrn Jesus getötet haben. Ist es aber an uns, das Unrecht zu rächen, das an Jesus Christus verübt wurde?
Laßt uns im Gegenteil den Mund schließen und uns demütigen wegen unserer eigenen Missetaten. Denken wir daran, daß trotz aller Züchtigungen die Juden das Volk Gottes sind und bleiben, geliebt um der Väter willen. Wenn uns ihr Schicksal beunruhigt, wenn wir segnen, wo unsere Vorfahren verflucht haben, wenn wir die aufnehmen, die verstoßen waren, entgehen wir dem Gericht, das über die Verfolger Israels sicher hereinbrechen wird (Zephania 3,19 und Sacharia 1, 1415).

So ging es auch Israel in der Vergangenheit. Sollte uns sein gegenwärtiges Schicksal nicht ebenso rühren? Wenn es auch Israel auf politischem Gebiet heute etwas besser geht, seine Lage auf geistigem und religiösem Gebiet ist doch noch immer die gleiche. Um uns davon zu überzeugen, treten wir in eine Synagoge ein. Was sehen wir da anstatt eines levitischen Kultes? Eine Versammlung von Maklern, die während der öffentlichen Gebete kommen und gehen, spielende Kinder, Leute, deren Haltung Gleichgültigkeit und Verachtung verrät, Rabbiner, die alte Gebetsformeln ohne innere Teilnahme hersagen, Bitten und Lobpreisungen, die ihrem Gewissen und ihrem Herzen fremd bleiben.
Was studieren, was lesen israelische Kinder heute? Die Überlieferungen der Vorfahren, armselige Legenden, eitle Gesetze ihrer TalmudLehrer oder geisttötende Schriften des modernen Unglaubens. Das Wort Gottes  sie besitzen es nicht einmal, höchstens Auszüge daraus gibt man ihnen in die Hand. Materielles Interesse nimmt sie ganz in Anspruch, wie geschrieben steht: »Ihren Rücken beuge allezeit« (Römer 11, 10).

Die beklagenswerteste Unwissenheit herrscht unter ihnen. Die Decke bleibt auf ihrem Gesicht, wenn Mose gelesen wird; davon ist das Taled, die Decke, womit sie sich während der Lesung des Gesetzes das Haupt bedecken, das unbewußte, aber sprechende Zeichen.

Ohne seine heiligen Vorrechte hat Israel alles verloren: Die Königsherrschaft ist den Heiden gegeben (Daniel 2 + 7); das Priestertum, die Prophetie, sogar die Kenntnis der heiligen Schriften, das Zepter der wahren heiligen Schrift ist den Heiden (Gojim) gegeben. Es gibt kaum ein Volk, das so völlig seines Erbes beraubt dasteht.

Das ist der heutige Zustand Israels. Die falsche Weltweisheit verführt die einen, der Aberglaube entwürdigt die anderen, während knechtische Furcht ihrer aller Herzen erfüllt. Immer noch ist der Name der Nachkommen Abrahams LoHammi (nicht mein Volk), Lo Ruhamah (nicht begnadigt).
Ohne Jesus Christus, ohne Gott, ohne Hoffnung ist der Jude nach Jesaja unstet und flüchtig auf Erden.
Einerseits wissen die Juden aus dem Gesetz, daß es zur Sündenvergebung der Opfer bedarf; andererseits sehen sie die völlige Unmöglichkeit, Opfer darzubringen, da das Gesetz außerhalb des Tempels zu Jerusalem keine Opfer erlaubt!
Wir wollen Mitleid haben mit dem armen Volk Israel, das fern vom Erlöser lebt, wollen es in der Fürbitte immer wieder dem Lamm bringen, das hinwegnimmt die Sünden der Welt (Johannes 1,29).

Die Zeit ist noch nicht gekommen, in der das gesamte Israel durch die Predigt des Evangeliums erreicht werden kann. Die Bekehrung der jüdischen Nation ist ein Wunder, das sich Jesus selbst vorbehält. Doch wird mit Gottes Hilfe die Arbeit der Christen dazu beitragen, daß Gott eine Erstlingsfrucht aus diesem Volk erhält.
Noch aus einem anderen Grund verdient Israel unser christliches Interesse: es sind die herrlichen Verheißungen, die Gott gegeben hat, nämlich seine Wiederannahme und der damit verbundene geistliche Einfluß Israels auf die ganze Welt.
Wir können es nicht oft genug wiederholen: Solange Israel in der ganzen Welt zerstreut ist und keine nationale, unabhängige Existenz hat, unterbricht die Prophetie die kontinuierliche Geschichte Jerusalems. Aber sobald diese Nation  heute noch in alle vier Winde zerstreut  in ihr Land zurückgekehrt ist, sobald ihr Jerusalem zurückgegeben ist, wird Israel in der Prophetie der Gegenstand des ausdrücklichen göttlichen Zeugnisses. Die 70. und letzte Jahrwoche, die zurückgestellt worden war, beginnt: die lange Zwischenzeit der Heiden geht zu Ende, und Jerusalem ist befreit.


Als die Zeit erfüllt war
Durch Ereignisse wie z. B. die Affäre Dreyfus – Theodor Herzl – das Dritte Reich – Plan der Endlösung u. a.  wurde die Vorbereitung des Staates Israel möglich. Es liegt im Herzen des vom Tier beanspruchten Gebietes im Nahen Osten und wird dadurch zum Weltproblem und Testfaktor für die ganze Welt.
Vor etwa 2000 Jahren griff Gott heilsgeschichtlich in die Weltgeschichte ein und bereitete in Israel das erste Kommen seines Sohnes Jesus Christus vor.  Das Heil kommt von den Juden (Johannes 4,22).
Durch Israel greift Gott etwa 2000 Jahre nach Christus eschatologisch noch einmal in den Ablauf der Weltgeschichte     ein, um die Wiederkunft seines Sohnes als Messias und Herrscher vorzubereiten.
Seht und staunt!

Die Bäume wachsen  das Angesicht des Landes Israel verändert sich seit Beginn unseres Jahrhunderts, und ganz besonders in der zweiten Hälfte unseres zwanzigsten Jahrhunderts. Wie ist das zu erklären?
Es ist ein Zeichen der bevorstehenden Rückkehr des Messias. Das Volk wird weiterhin herzuströmen. Die Alyah (Rückwanderung) ist nicht beendet:
Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus allen Ländern zusammenbringen und will sie in ihr Land führen und sie weiden auf den Bergen Israels und in den Tälern und an allen Wohnorten des Landes (Hesekiel 34, 13).
Erhebe deine Augen ringsumher und sieh, alle diese werden versammelt kommen zu dir (Jesaja 49,18).
Das Volk wird aus vielen Völkern wieder versammelt worden sein auf die Berge Israels, die beständig verödet waren (Hesekiel 38, 8).
Und es soll geschehen an jenem Tage, daß ich Jerusalem für alle Völker zum Laststein machen werde (Sacharja 12,3).
Die Nationen um Israel und die Großmächte werden unaufhaltsam aufrüsten zum Endkampf.
Es sind nämlich Geister von Dämonen, die Zeichen tun und zu den Königen des ganzen Erdkreises ausziehen, um sie zum Kampf an jenem großen Tage Gottes, des Allmächtigen, zu versammeln (Offenbarung 16,14).
Beachtenswert ist, daß gleich nach dieser Aussage die Wiederkunft des Messias angekündigt wird:
Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig ist, wer wacht (Offenbarung 6, 15).
Wir wollen deshalb genau beobachten, was im Nahen Osten vor sich geht, denn es werden unerwartete Ereignisse eintreten, ganz anderer Art, als wir es uns vielleicht vorstellen.

Israel, der Prüfstein Gottes für die Welt
Wir dürfen eins nicht vergessen: Gott hat Israel nicht erwählt um Israels willen, sondern um seines Namens willen. Es geht also letztlich nicht um Israel, sondern um Gott. Wir dürfen darum Israel als Volk und Land nicht zuviel, aber auch nicht zu wenig Bedeutung beimessen.
Israel ist der Prüfstein Gottes für die Welt. Und wir sehen heute, daß das Examen für die Nationen negativ ausfallen wird. Israel wird nach und nach um des Erdöls willen von den Nationen aufgegeben werden. Aber irren wir uns nicht, denn wenn die Prophezeiungen auf die Wiederbringung Israels in Erfüllung gegangen sind, werden sich auch alle, die den Nationen gegeben werden, erfüllen, und zwar im Zusammenhang mit der Wiederbringung Israels in sein Land.
Aber alle diese Flüche wird der Herr, dein Gott, auf deine Feinde legen und auf die, die dich hassen und verfolgen (5. Mose 30,7).
Denn also spricht der Herr der Heerscharen: Um Ehre zu erlangen, hat er mich gesandt zu den Nationen, die euch geplündert haben; denn wer euch antastet, der tastet seinen Augapfel an (Sacharja 2,12).
Noch einmal: Es geht nicht um Israel, sondern über Israel um Gott. Darum können wir auch begreifen, wie ernst die heutige Weltlage ist. Es ist ein Kampf zwischen Gott und dem Fürsten dieser Welt, der in der Luft herrscht, nämlich nach dem Geist, der zu dieser Zeit sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens (Epheser 2,2).
So werden wir nun durch den Glauben an das inspirierte und menschgewordene Wort ein Werkzeug zur Vollendung der Ekklesia in Herrlichkeit  oder durch Unglauben Wegbereiter für das kommende Chaos.
Die ganze Welt wird in den Konflikt des Nahen Ostens hineingezogen. Dort wird Gott seine Feinde zerschlagen und die GottisttotThese der Philosophie, der Politik und der Theologie aus der Welt schaffen.
Und meinen heiligen Namen will ich hinfort nicht mehr entweihen lassen; sondern die Heiden sollen erfahren, daß ich der Herr (und nicht Allah), der Heilige in Israel bin. Siehe es kommt und wird geschehen, spricht Gott, der Herr! Das ist der Tag, von dem ich geredet habe (Hesekiel 39, 78).
Diese Schlacht, die die Vernichtung Israels zum Ziel hat, wird zur Vernichtung der Nationen führen, die gegen Israel kämpfen.
Was sich heute im Nahen Osten zusammenballt und vorbereitet, ist das letzte Aufraffen des Zerstörers, der kommt, um das Werk Gottes in der Welt zu vernichten, um das AntiReich aufzurichten, das horizontale Reich Gottes, das durch den islamischen Monotheismus im Anzug ist und das einen Allah anbetet, den die Glaubensväter nicht kannten.

Die Aussagen Jesu über die Wiederherstellung Israels

Wenn ihr nun den Greuel der Verwüstung, von dem durch den Propheten Daniel geredet worden ist, stehen sehet an heiliger Stätte, (wer es liest, der merke darauf!) … (Matthäus 24, 15).
Wir können hier feststellen, daß Jesus Christus an die Inspiration der alttestamentlichen Schriften glaubte und diese prophetischen Schriften für ihn nicht tote Geschichtsbücher waren, die nur für ihre Zeit Gültigkeit gehabt hätten.
Jesus sieht, daß die Zeit der Nationen zu Ende geht, wenn Jerusalem wieder dem Volk Israel gehört.
Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis die Zeiten der Heiden abgelaufen sind (Lukas 21, 24).
Zu dieser Zeit wird Jerusalem von einem Heer belagert werden, dessen Ziel die Vernichtung und Verwüstung Jerusalems ist. Wenn wir bedenken, daß dieses Heer schon heute täglich von der AlAqsaMoschee aus (das heißt von der heiligen Stätte), zum Heiligen Krieg gegen Israel aufgerufen wird, dann können wir sicher daraus schließen, daß es sich bei dieser Moschee um den Greuel der Verwüstung handelt.
Wenn ihr aber Jerusalem von Kriegsheeren belagert sehet, alsdann erkennet, daß ihre Verwüstung nahe ist (Lukas 21, 20).
Jerusalem wird zum Stein des Anstoßes für die ganze Welt. Die Nationen werden Israel allein lassen in diesem Konflikt, ja sogar das Heer unterstützen, das die Verwüstung Jerusalems im Sinn hat.
Obwohl Jerusalem in den Händen Israels sein wird, muß sich an heiliger Stätte etwas Besonderes abspielen.
Auf dem Platz in Jerusalem, auf dem der Tempel stand, wird eine antichristliche, deswegen auch antimessianische, antiisraelische, religiöse Macht ihr Wesen treiben. Jesus redet im Blick auf die Zeit nie vom Tempel, sondern vom Greuel der Verwüstung, der an der Stelle stehen wird, wo der Tempel stand. »Wer das liest, der merke darauf… «
Wenn Gott nicht durch die Wiederkunft Jesu Christi eingreifen würde, müßte der Konflikt um Jerusalem, der sich zum Weltbrand ausweitet, zur Weltvernichtung führen. Kein Mensch könnte überleben.
Und dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, und dann werden sich alle Geschlechter der Erde an die Brust schlagen und werden des Menschen Sohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit (Matthäus 24, 30).
Dieses Ereignis wird die Lösung des Nahost und Weltkonfliktes bringen. Dieser Menschensohn wird kein anderer sein als der, von dem die zwei Männer in weißen Kleidern zu den Jüngern gesagt haben:
Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird in der gleichen Weise wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen (Apostelgeschichte 1, 11).
Dann wird nach dem Propheten Sacharja der Herr ausziehen und streiten wider diese Nationen. Und seine Füße werden an jenem Tage auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem gegen Morgen liegt (Sacharja 14, 3 +4).

Die Wahl
Die christliche Kultur ist auf dem Judentum aufgebaut und nicht auf dem Koran und dem Islam. Es gibt kein gemeinsames Geschick zwischen Judentum und Islam.
Warum wollen wir das nicht anerkennen? Wenn wir anerkennen, daß die Bibel wahr und für uns Gottes Wort ist, dann sollten wir Israel den ihm von der Bibel eingeräumten Platz zugestehen. Ist aber der Koran wahr, fällt alles zusammen  Judentum und Christentum. Es geht hier nicht um zwei Religionen, sondern um Wahrheit oder Lüge, um Licht oder Finsternis, Gott oder Satan. Es geht darum: Wer ist der wahre Sohn, und wer ist der wahre Gott?
Wenn wir Israel ablehnen, lehnen wir unsere eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ab. Wir sterben ab, weil wir den Baum, in den wir eingepfropft wurden (Römer 11), verwerfen, und uns auf den faulen Ast stützen, auf die Linie Ismaels, die Araber und ihr Öl.
Ich empfinde immer wieder schmerzlich die Tatsache, daß wir uns in Europa dieser Gefahr nicht bewußt sind, weil wir den Islam, den Koran und die Bibel nicht kennen. Die Menschen des Abendlandes sind weithin zu toten Namenschristen geworden, die keine Richtschnur mehr haben. Deshalb sind sie viele Irrwege gegangen und gehen sie immer noch. Sie streiten, bekriegen, neiden, hassen sich gegenseitig und erkennen den wirklichen Feind nicht.

Der Tragödie letzter Teil
Das Land, das der Schauplatz des kleinen Horns (Daniel 7) am Ende der Zeit sein wird, ist Juda (Judäa). Denn dort ist das Heiligtum, das das Tier entheiligt, nachdem das tägliche Opfer abgetan (70 n. Chr.), der Tempel zerstört und ein Greuel der Verwüstung aufgerichtet wurde (Felsendom und AlAqsa-Moschee wurden im 7. Jahrhundert errichtet). Diese Ereignisse leiten die Zeit der Nationen ein, die unmittelbar nach der Zeit Jesu ihren Anfang nimmt. Ihren Höhepunkt wird sie erreichen, wenn Israel wieder auf die Weltbühne tritt. Dieses kleine Fleckchen Judäa. das in den Augen der Menschen so wenig Bedeutung hat, nennt Gott durch den Propheten Daniel das werte Land. Das ist und bleibt es in Gottes Augen.
Der Engel, der zu Daniel redet, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Zeit, da dies alles geschehen wird. Vergleiche Daniel 12. Daniel wird über Jahrtausende hinweg in die Krise der Endzeit versetzt, und Gott offenbart ihm die großen Ereignisse, die kurz vor der letzten Befreiung Israels und der messianischen Zeit liegen. Israel als Land und Volk muß also wieder vorhanden sein, damit sich die Ereignisse so abspielen können, wie sie vorhergesagt sind.
Der Staat Israel ist nicht ein unglücklicher Unfall oder Zufall, wie es einmal jemand ausdrückte, sondern ein von Gott vorausgesagtes Ereignis, das in dem Augenblick geschah, wo die Zeit dafür reif war. Heute wäre dieser Unfall schon nicht mehr möglich.
Als Christen müssen wir erkennen, daß das Volk Israel der Gegenstand der unvergänglichen Liebe Gottes ist. Bis in das Gericht hinein, das über Israel verhängt wird, nennt Gott es sein »Lieblingskind« (Jeremia 31, 20). Und Paulus bestätigt:
Nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gnadengabe und Berufung sind unwiderruflich (Römer 11, 2829).
Wenn nun Gott dieses Volk liebt, warum sollten wir uns dazu verführen lassen, es zu hassen?
Israel wurden die Wege Gottes offenbart und anvertraut, und Israel hat sie an uns weitergegeben. Aus Israel kamen die Propheten und Apostel, aus ihm kam der Messias, der durch seinen Opfertod am Kreuz von Golgatha zum Heiland der Welt wurde. Zu Israel gehören Paulus, Silas und Petrus und all die mutigen Boten Gottes, die so viele Gefahren, Entbehrungen und Opfer auf sich nahmen, um die Botschaft der Liebe Gottes an unsere Vorfahren weiterzugeben, die in Finsternis, ohne Gott und ohne Hoffnung, in der Welt lebten.
Sie alle waren Söhne Jakobs und die Brüder des armen Juden, dem wir vielleicht begegnen und den wir vielleicht verachten. Wieder einmal kehrt  diesmal die ganze Welt  ihr Angesicht von dem allerverachtetsten und unwertesten Sohn dieses Volkes ab (Jesaja 53). Das Heil kommt aus den Juden.
So wisse, daß nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich (Römer 11, 18).

5. JERUSALEM

Jerusalem, der Zankapfel
Der von Jimmy Carter diktierte Friede zwischen Israel und Ägypten hatte die ablehnende Stellungnahme der arabischislamischen Welt zur Folge. Es wäre absurd zu glauben, die gegenwärtige Ölkrise sei reiner Zufall. Sie wurde nach der arabischislamischen Konferenz eingeleitet, die im Mai 1979 in Marokko stattfand.
Das Hauptthema dieser Konferenz war die Befreiung Jerusalems. Es wurde ein Geheimplan aufgestellt, wonach das Öl als Waffe und Druckmittel zur Befreiung Jerusalems eingesetzt werden soll.
Jerusalem, al Quds (die Heilige), darf nicht länger im Besitz der Ungläubigen bleiben, diese Stadt muß um jeden Preis erobert werden. Kein Opfer ist zu hoch! forderten die Teilnehmer dieser Konferenz in Marokko, und als sie sich verabschiedeten, riefen sie sich zu: Nächstes Jahr in Jerusalem! Um zu zeigen, wie ernst es ihnen war, drohten sie unter anderem damit, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Kanada abzubrechen und Wirtschaftssanktionen zu verhängen, falls die Regierung in Ottawa ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen sollte. Dies würde natürlich für alle Länder gelten, die es wagten, durch solche Maßnahmen Jerusalem als die Hauptstadt Israels anzuerkennen.
Also war der Prophet Sacharja kein Schwarzmaler, als er vor etwa 2500 Jahren voraussagte, Jerusalem würde für alle Völker zum Taumelbecher werden. Die Völker um Jerusalem herum, also die arabische Welt, sind besonders betroffen (Sacharia 12, 2).
Alle Völker werden versuchen, das Problem Jerusalem zu lösen; wer sich aber heranwagt, dem wird es zum eigenen Verderben werden (Sacharia 12, 3). Der Sohn nach dem Fleisch, Ismael, beansprucht also das Land und insbesondere Jerusalem…
Dazu einige Auszüge aus dem Heft »Muslime, unsere Nachbarn«, herausgegeben im Auftrag der Kommission Gemeindedienst für Weltmission und Ökumene des Deutschen Evangelischen Missionsrates.
Diese Zeilen zeigen uns den Anspruch der Mohammedaner auf Jerusalem. Da sie den Islam als die höchste und letzte Offenbarung Allahs ansehen, beanspruchen sie diese Stadt mit geistlicher Autorität.

Die meisten Christen sind überrascht, daß Jerusalem und Palästina den Mohammedanern ähnlich viel wie den Juden bedeutet (vgl. Sure 21, 71 und 17.1). Wenn Mohammedaner während der vorgeschriebenen Gebetszeit viele Male täglich die erste Sure beten, denken sie bewußt oder unbewußt an Jerusalem. Sie wissen zum Beispiel aus dem Koran, daß die Gebetsrichtung ursprünglich nach Jerusalem und nicht nach Mekka wies.

Im Mittelpunkt der ersten Sure steht die Erinnerung an den Tag des Gerichts. Er verbindet sich für manche Mohammedaner mit Jerusalem, denn nach einer alten Überlieferung wird Gott hier sein Endgericht halten. Manche frommen Moslems sehen die Kämpfe in Palästina heute als die Vorbereitung des Weltendes an. Überhaupt hat der PalästinaKonflikt das Interesse aller, vor allem der arabischen Moslems, verstärkt auf Jerusalem gerichtet. Millionen von Arabern singen heute mit der libanesischen Sängerin Fairus ihr Jerusalem-Lied:
Für dich, du Stadt des Gebetes  bete ich.
Für dich, du Glanz der Wohnungen, du Blume der Städte.
O Jerusalem, du Stadt des Gebets…

Im letzten Vers des Liedes kommt dann aber auch die Mahnung an das Ende:
Der glühende Zorn kommt.
Mit schrecklichen Rennrossen kommt er,
und geschlagen wird werden das Antlitz der Gewalt.
Der Tempel gehört uns  Jerusalem gehört uns.
Mit unseren Händen werden wir den Glanz Jerusalems zurückbringen.
Mit unseren Händen nach Jerusalem
Frieden  Frieden …

Was ist der Grund für diese starken Gefühle? Der Tempelplatz, von dem das Jerusalem-Lied spricht, ist der Ort um den Felsen Morija, seit altersher eine Gedenkstätte, die an den Stammvater Abraham erinnert. An dieser Stelle wurde nach der Tradition der Sohn Abrahams vor der Opferung bewahrt. Für Moslems ist die AbrahamGeschichte genauso wichtig wie für Juden; denn sie verstehen sich gleichfalls als Söhne Abrahams. Der Islam knüpft an die alttestamentliche Offenbarung an und sieht sich als Erbe der biblischen Verheißungen.

Diese enge Verbindung zur Bibel und damit zu Jerusalem kommt in einem zentralen Ereignis im Leben des Propheten Mohammed zum Ausdruck, das die Moslems nach Jerusalem verlegen. Sure 17 berichtet von der nächtlichen Entrückung und Himmelfahrt des Propheten. Mohammed wurde von Jerusalem aus entrückt, eben vom Felsen Morija.

Später entstanden an dieser Stelle zwei der ältesten und ehrwürdigsten Bauwerke des Islam: die AlAqsa Moschee und der sogenannte Felsendom. Beide beherrschen bis heute die Silhouette Jerusalems. In allen Jahrhunderten kamen mohammedanische Pilger hierher. Der Tempelplatz ist der drittheiligste Ort des Islam neben Mekka und Medina. Jerusalem heißt auf arabisch »die Heilige«.
Schon früh wurde die Stadt dem »Haus des Islam« einverleibt: 638 besetzte sie der Kalif Omar ohne Blutvergießen oder Zerstörung. Seitdem gehört Jerusalem  mit Ausnahme der Zeit der Kreuzzüge  zur arabischislamischen Welt.

Charakteristisch verschmelzen islamischreligiöse und arabischweltliche Einflüsse: Islamische Mystiker und Theologen haben hier gewirkt: Handel und Wandel in der Altstadt sind bis heute typisch arabisch. Die große Mehrheit der Bewohner des ursprünglichen Jerusalem besteht aus Moslems. So setzen sich arabische Moslems aus nationalen Gründen, aber auch aus religiöser Überzeugung zusammen mit Mohammedanern in der ganzen Welt energisch für die Erhaltung des islamischarabischen Jerusalem ein. Sie bestreiten nicht, daß Christen, vor allem auch arabische Christen, wie Juden eine intensive Beziehung zu dieser einmaligen Stadt besitzen. Die Moslems wehren sich jedoch dagegen, daß Jerusalem heute einseitig unter jüdischer Oberhoheit steht und zielstrebig israelisiert wird. Sie wollen, daß die Mehrheit der mohammedanischen Bewohner politische Selbstbestimmung erhält und Jerusalem für alle Moslems, auch für die, die heute nicht hinreisen können, zu einer offenen Stadt wird. Jerusalem soll zum Ort der Begegnung werden, wo Anhänger der drei Religionen zusammenleben…

Mit Jerusalem verknüpft sich für manche Mohammedaner auch die Erwartung des Weltendes. Nach einer Tradition wird am Weltende der große Irreführer auftreten, dessen Figur an den biblischen Antichristen erinnert. Aber Jesus wird vom Himmel herabkommen, um ihn zu töten. Nach der Eingliederung der Menschen in die mohammedanische Gemeinde erschallen zwei Trompetenstöße: der erste verkündet allen noch lebenden Wesen das Ende, der zweite weckt alle Toten auf. Dann kommt das große Endgericht, in dem Gott selbst jeden Menschen zur Rechenschaft ziehen wird. Alle Worte und Taten werden gewogen. Nur der kann vor Gott bestehen, der das Glaubensbekenntnis des Islam spricht. Die Glaubenden ziehen dann über das Höllenfeuer hinweg in das Paradies. Das Leben dort wird in prachtvollen Bildern geschildert: ein paradiesischer Zustand bis in alle Ewigkeit für die Gerechten, das ewige Höllenfeuer für die Ungerechten.

Es ist interessant, daß diese Broschüre nicht erwähnt, was in der Bibel über Jerusalem und Israel gesagt wird. Israel wurde aus der Geschichte ausgeklammert, sowohl das Volk wie das Land und auch der Segen.
Das christliche Abendland und deren geistliche Führer begehen eine zweifache Sünde:
1. Sie haben das inspirierte Wort der Wahrheit verlassen.
2. Sie haben sich dadurch dem zugewandt, der in seinem eigenen Namen kommt. Darum sendet ihnen Gott kräftigen Irrtum, daß sie der Lüge glauben (2. Thessalonicher 2, 1011).

Jerusalem  Taumelbecher und Laststein der Nationen
Siehe, ich mache Jerusalem zum Taumelbecher für alle Völker ringsum, und auch gegen Juda wird es gehen bei der Belagerung Jerusalems. Und es soll geschehen an jenem Tage, daß ich Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen werde, alle, die ihn heben wollen, werden sich daran wundreiben. Und alle Nationen der Erde werden sich gegen sie versammeln (Sacharia 12, 2.3).

Man darf nie vergessen: Jerusalem wird die letzte Hochburg sein, die dem Satan durch Vermittlung des Antichristen zufallen wird, darum sollten wir auf all das achten, was sich in dieser Stadt, und insbesondere an heiliger Stätte abspielt.
König Faisal fühlte sich bis zu seinem Tode im Jahre 1975 als Verteidiger aller heiligen Stätten der Moslems. Er wies immer wieder darauf hin, daß auch Jerusalem eine heilige Stadt des Islam ist und historisch mindestens so sehr Stadt der Araber wie der Juden sei. Sein Wunsch war, in der AlAqsa Moschee beten zu können, die der Kalif Abdul Melik (685706) erbaute. Dieser schuf auch die Kubbet es Sachra, den Felsendom mit seiner Kuppel von 20 Metern Durchmesser und 30 Meter Höhe auf dem Tempelplatz in Jerusalem. Religionen werden heute leicht unterschätzt. Aber längst sind religiöse Bindungen von sozialen nicht mehr zu trennen, und längst sind auch Religion und Politik unentwirrbar miteinander verstrickt. Die Moslems sind über die ganze Welt verstreut. Bekanntlich ist es mit den Juden genauso.

Auf dem Zionistenkongreß in Karlsbad sagte Nahun Sokolow 1922: Eines Tages werden wir Jerusalem zur Friedenshauptstadt der Welt machen! Und dem Jewisch Chronicle vom 16. Dezember 1949 zufolge, sagte der spätere Premierminister Israels, Ben Gurion: »Jerusalem ist nicht nur die Hauptstadt Israels und damit des WeltJudentums, es wird ein geistliches Zentrum für die ganze Welt werden«. (Anton Zischka, Europas bedrohte Hauptschlagader, Kümmerly + Frey, Bern)

Im Juni 1979 veröffentlichte »Die Welt« einen Artikel unter der Überschrift: »3000 Prinzen träumen vom Einzug in Jerusalem«. Peter M. Ranke, Dschidda, schrieb u. a.:
… Nach dem stürmischen Frühjahr haben sich König Khaled und die Prinzen, einschließlich des Kronprinzen und seiner einflußreichen Brüder, nun in den letzten Wochen auf politische Grundsätze geeinigt, die dem Haus der Sauds und ihrem Reich eine nationale und religiöse Aufgabe zuweisen und als Kitt dem gesamten PrinzenClan neuen Zusammenhalt verleihen sollen: Jerusalem als Schicksalsfrage der Araber. Wir werden keine Anstrengung scheuen, um die heiligen Ansprüche der arabischislamischen Nation auf Jerusalem zu verwirklichen, erklärte Innenminister Prinz Naif in Tunis. Und vor ihm hatten König Khaled und der Kronprinz geschworen: Wenn Jerusalem Märtyrer fordert  wir sind bereit.
Nur islamische Araber sollen über Jerusalem und Palästina herrschen. Nichts anderes heißt es, wenn die Saudis von umfassender und gerechter Friedenslösung einschließlich Jerusalems und der Rechte der Palästinenser sprechen.
Aus den alten ProphetenStädten Mekka und Medina ziehen die Saudis wieder mit dem grünen Banner des Islams gegen Jerusalem  zunächst nur mit Worten. Aber wir sollten verstehen, daß sie es wirklich ernst meinen, dann sagen sie leise lächelnd, so wie zu mir ein Scheich in Dschidda: Wir haben das Öl, ihr dürft bei uns arbeiten.  (SAD)

Morija – Tempelplatz
Und Salomo fing an, das Haus des Herrn zu bauen zu Jerusalem, auf dem Berge Morija, wo er seinem Vater David erschienen war, an dem Orte, welchen David bestimmt hatte (2. Chronika 3, 1).
An dieser Stelle wurden nach dem Gesetz Moses einige Jahrhunderte lang Opfer dargebracht, bis die Zeit erfüllt war und bis der Sohn Gottes sagte:
Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir zubereitet. Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht.
Siehe, ich komme, in der Buchrolle steht von mir geschrieben  daß ich tue, o Gott, deinen Willen (Hebräer 7 0, 57).

Da durch das einmalige Opfer Jesu der Glaubende in alle Ewigkeit geheiligt ist, hat der Tempel mit seinen Opfern seine Daseinsberechtigung verloren.
Und nach den zweiundsechzig Wochen wird der Gesalbte ausgerottet werden, so daß keiner mehr sein wird; die Stadt aber samt dem Heiligtum wird das Volk eines zukünftigen Fürsten verderben, und sie geht unter in der Überschwemmung, und der Krieg, der bestimmt ist zu ihrer Zerstörung, dauert bis ans Ende (Daniel 9, 26).
Doch am Ende der Zeit wird diese Stätte wieder Bedeutung erhalten, denn dort wird die Macht residieren, die in der letzten Jahrwoche herrschen wird (Daniel 8, 9). Der Felsen Morija war Zeuge vieler Opfer, die nach dem Gesetz dargebracht wurden, und die als Vorschatten auf das Kommen des Lammes Gottes, das der Welt Sünde trägt, hindeuteten. Hier erhebt sich jetzt eines der Weltwunder  der Felsendom  bewundert von Christen, (die ihre Schuhe ausziehen, bevor sie eintreten), Moslems und Juden. Auf dem Fries, der von der Kuppel überragt wird, kann man Koranverse in einer sehr schönen arabischen Schrift neben dem Glaubensbekenntnis des Islam lesen:
La illah illa Allah (Es ist kein Gott außer Allah)

Auch folgende Koranverse stehen auf dem Fries:
Gelobt sei Allah, der weder einen Sohn gezeugt, noch einen Gefährten im Regiment hat, noch einen Beschützer aus Schwäche. Rühme seine Größe! O Volk der Schrift, überschreitet nicht euren Glauben und sprechet von Allah nur die Wahrheit. Der Messias Jesus, der Sohn der Maria, ist der Gesandte Allahs, und sein Wort, das er in Maria legte, Geist von ihm. So glaubet an Allah und an seinen Gesandten und sprechet nicht: Drei! Stehet ab davon, gut ist es für euch. Allah ist nur ein einiger Gott; Preis ihm! Er hat keinen Sohn! Sein ist, was in den Himmeln und was auf Erden ist, und Allah genügt als Beschützer… (Koran 4, 169)

Und Friede auf den Tag meiner Geburt und den Tag, da ich sterbe, und den Tag, da ich erweckt werde zum Leben! Dies ist Jesus, der Sohn der Maria  das Wort der Wahrheit, das sie bezweifeln. Nicht steht es Allah an, einen Sohn zu zeugen. Preis Ihm! Wenn er ein Ding beschließt, so spricht er nur zu ihm »Sei!« und es ist. Und siehe, Allah ist mein Herr und euer Herr; so dient ihm; dies ist ein rechter Weg (Koran 19, 34-37).

Sollte uns diese Inschrift nicht zu denken geben? Ist das nicht das greuliche Reden dessen, der sich auflehnt gegen alles, was Gott gehört, und gegen den Gott aller Götter? (Daniel 11, 37 und 2. Thessalonicher 2, 4

Machen diese Verse über dem Felsen Morija nicht Gott zum Lügner? Widersprechen sie nicht seinem inspirierten Wort und auch dem menschgewordenen Wort?
Dieses Gebäude ist eines der wichtigsten der islamischen Welt und ein ausdrückliches Zeugnis gegen die Dreieinheit Gottes.

Tempel Gottes oder Greuel der Verwüstung
Die satanischen Unternehmungen des kleinen Horns (Daniel 8, 9) werden sich in der Endzeit in Juda (Judäa) abspielen, denn dort befindet sich die heilige Stätte. Das Tier wird sie entweihen, nachdem (im Jahre 70 nach Christus) der Opferaltar und das Heiligtum zerstört wurden (Daniel 8, 11). Ein Greuel der Verwüstung wird ihre Stelle einnehmen. So lautete die Prophezeiung Daniels vor nahezu 2500 Jahren, die auch Jesus bestätigte (Matthäus 24, 15; Markus 13, 15).

Als Paulus um das Jahr 50 seinen Brief an die Thessalonicher schrieb, stand der Tempel noch, und Paulus hat gewiß nicht mit seiner Zerstörung gerechnet. Paulus sah prophetisch den Menschen der Sünde im Tempel (2. Thessalonicher 2,4). Der Apostel konnte aber nichts von einer Moschee wissen, da der Islam noch nicht existierte und Felsendom sowie AlAqsa-Moschee erst ca. 600 Jahre nach der Prophezeiung des Paulus gebaut wurden. Paulus hat nur mit anderen Worten gesagt, was Daniel und Jesus Christus schon prophezeit hatten. Wichtig ist sicher nicht der Bau an sich, sondern der Geist, der in dieser Zeit an der heiligen Stätte herrschen wird.

Wir haben also keinen Grund zu der Annahme, daß Paulus anderer Ansicht ist als Daniel und Jesus Christus, die ja im Blick auf die Endzeit nicht vom Tempel, sondern vom Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte reden.
Die Zerstörung des Felsendoms und der AlAqsaMoschee zu erwarten und zu hoffen, der Tempel würde dann aufgebaut werden, ist utopisch. Solange der Islam besteht, werden seine Anhänger den Tempelbau an dem für sie heiligen Platz nicht erlauben. Rechnen wir mit dem Wiederaufbau des Tempels, dann müssen wir mit der Vernichtung der heutigen Weltstruktur, einschließlich des Islam und der Ölmächte, und mit einer neu aufsteigenden Macht rechnen. Das aber würde die Endzeit in eine ziemlich weit entfernte Zukunft rücken.
Solange aber der Islam besteht, und besonders in seiner heutigen Kraft, wird keine Macht der Welt, auch nicht Israel, Ansprüche auf Jerusalem und den Tempelplatz verwirklichen können.

Der Tempel Israels
Der Tempel Israels, Jesus Christus, der in drei Tagen wiederaufgebaut wurde, ist durch ein Gebäude ersetzt, das vom Geist des Antichristen, von einer Macht beherrscht wird, die für eine Zeit die Welt und, wenn möglich, auch die Auserwählten verführt.
Wenn ihr sehen werdet… Wer das liest, der merke darauf! (Matthäus 24, 15)
Sehen wir es? Schon seit 400 Jahren hätte sich das christliche Abendland darauf einstellen können. Wenn es darauf gemerkt hätte, wäre es nicht in die Falle gelaufen.
Fünfmal am Tage erschallt über dem Felsen Morija der Ruf der Muezzin: Allah hu akbar, Allah hu akbar, das heißt: Allah ist der höchste Gott.
Dieser Kampf, der in der Endzeit um Jerusalem, und insbesondere um den Tempelplatz, ausgefochten wird, ist der Kampf gegen den Tempel, der zerstört und in drei Tagen wiederaufgebaut wurde, das heißt gegen den Sohn Gottes (Matthäus 26, 61 und 27, 40; Markus 4, 58 und 15, 29, Johannes 2, 1921). Dieses Gebäude, an das man geschrieben hat, daß Allah der höchste Gott und über alle Götter erhaben ist, steht als Symbol gegen Jesus Christus und die Gemeinde, die sein Leib ist.
Hier liegen tiefe Wahrheiten verborgen, die wir um so besser verstehen werden, je mehr wir am Wort Gottes festhalten. Alles wird sich materiell, geistig und geistlich um den Tempel des Herrn handeln. Das Sichtbare soll uns auf das Geistliche aufmerksam machen.
Er wird sich über alles erheben, was Gott oder Gegenstand der Verehrung heißt, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst als Gott erklärt (2. Thessalonicher 2, 4).
Es ist wichtig, daß wir den Sinn des Ausrufes der Moslems Allah hu akbar genau erkennen; ebenso aber auch den Inhalt des Glaubensbekenntnisses: Allah il Allah Mohammed rasul Allahi (Allah ist Gott und kein anderer, und Mohammed ist sein Gesandter).
Christus, der nach der Schrift der wahre Mittler zwischen Gott und den Menschen geworden ist und durch den wir den freien Zugang zu Gott haben, wird ausgeschaltet, und das an heiliger Stätte durch die Lehre des Koran.
Daniel schreibt über den Führer dieses Systems:
Und der König wird tun, was ihm beliebt, und wird sich erheben wider jeglichen Gott, und er wird gegen den Gott aller Götter unerhörte Worte ausstoßen, und es wird ihm gelingen, bis der Zorn vorüber ist (Daniel 11, 36).
Der messianische Tempel aber wird vom Messias selbst erbaut: Siehe, es ist ein Mann, dessen Name Sproß ist, denn er wird aus seinem Orte hervorsprossen und den Tempel des Herrn bauen. Ja, er wird den Tempel des Herrn bauen und königlichen Schmuck tragen und wird auf seinem Thron sitzen und herrschen (Sacharja 1213).

6. JESUS CHRISTUS UND DER ANTICHRIST

Jesus und Mohammed
Die Welt steht unter der Führung Satans. Ihm ist sie für eine gewisse Zeit übergeben worden.
Der Teufel führte Jesus auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt in einem Augenblick. Und der Teufel sprach zu ihm: Dir will ich alle diese Herrschaft und ihre Herrlichkeit geben; denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn nun du vor mir anbetest, so soll alles dein sein (Lukas 4, 57).
Jesus verzichtete auf dieses verlockende Angebot, denn dadurch hätte er die Ewigkeit mit der Zeit vertauscht. Er wäre ein Gebundener Satans geworden, und die Ekklesia wäre nie geboren worden. Jesus Christus konnte das Angebot ablehnen, weil er vom Vater aus der Herrlichkeit kam und um die Ewigkeit wußte. Mohammed hingegen, der aus der Zeit und in seinem eigenen Namen kam, wußte nichts von der Ewigkeit und nahm darum das verlockende Angebot Satans an, der als Engel des Lichts verkleidet erschien. Seiner Gemeinde wird nun die Macht zufallen; denn Satan hält sein Versprechen.
Aus dieser Wahl wird sich das größte Weltproblem entwickeln, nämlich der Endkampf zwischen Satan und Gott. Es wird der Endkampf sein, in den die ganze Welt hineingezogen wird; denn bei der Versuchung Jesu ging es um das Angebot:  … alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit (Matthäus 4,8).

Der Schlüssel des Geheimnisses
Johannes zitiert als einziger fünfmal den Antichristen, und zwar immer im Zusammenhang mit dem Sohn Gottes:
Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisset alles. Ich habe euch nicht geschrieben, als kenntet ihr die Wahrheit nicht, sondern weil ihr sie kennt, und weil keine Lüge aus der Wahrheit kommt. Wer ist der Lügner, wenn nicht der, welcher leugnet, daß Jesus der Christus sei? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet! Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht,  wer den Sohn bekennt, der hat auch den Vater (1. Johannes 2, 20).
Wer die Gottessohnschaft Jesu Christi leugnet, der ist ein Lügner, und das ist der Antichrist.
Wer nicht die Autorität des Wortes Gottes anerkennt, der weiß nicht, wo die Wahrheit aufhört, und wo die Lüge anfängt. Nur wer Gottes Geist hat (Epheser 1, 13), kann anhand des Wortes Gottes die Geister prüfen. Einen anderen Anhaltspunkt gibt es nicht.

Geliebte, glaubet nicht jedem Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind! Denn es sind viele falsche Propheten hinausgegangen in die Welt.
Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der bekennt: Jesus ist der in das Fleisch gekommene Christus, der ist von Gott; und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists, von welchem ihr gehört habt, daß er kommt; und jetzt schon ist er in der Welt.
Kindlein, ihr seid aus Gott und habt jene überwunden, weil der in euch größer ist als der in der Welt. Sie sind von der Welt; darum reden sie von der Welt, und die Welt hört auf sie. Wir sind aus Gott. Wer Gott kennt, hört auf uns; wer nicht aus Gott ist, der hört nicht auf uns. Daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums (1.Johannes 4, 16).

Wer diese höchste Autorität nicht akzeptiert, der macht Gott zum Lügner und ist offen für jeden Geist des Irrtums.
Wenn wir das Zeugnis der Menschen annehmen, so ist das Zeugnis Gottes größer; denn das ist das Zeugnis Gottes, daß er von seinem Sohne Zeugnis abgelegt hat. Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat das Zeugnis in sich; wer Gott nicht glaubt, hat ihn zum Lügner gemacht, weil er nicht an das Zeugnis geglaubt hat, das Gott von seinem Sohn abgelegt hat. Und darin besteht das Zeugnis, daß uns Gott ewiges Leben gegeben hat; und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht (l. Johannes 5, 912).

Wer dieses Zeugnis ablehnt, der hat auch das Leben nicht, denn nur in Jesus Christus ist das Leben und die Hoffnung der Herrlichkeit.
Und wir haben gesehen und bezeugen, daß der Vater den Sohn gesandt hat als Retter der Welt. Wer nun bekennt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er in Gott (l. Johannes 4, 1415). Wer bekennt, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist, der hat Gott und bleibt in Gott, wer das nicht tut, der hat keinen Gott, sagt Johannes (2. Johannes 911).
Es sind dem Menschen Grenzen gesetzt, die er nicht ungestraft überschreiten kann, auch nicht auf geistlichem Gebiet. Das gilt für alle Völker dieser Welt im allgemeinen und für jeden Menschen persönlich. Wer diese Grenzen überschreitet, der steht unter dem Zorn Gottes (Johannes 3,36).

Das Zeugnis Gottes bei der Taufe Jesu
Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe (Matthäus 3,17).
Das Zeugnis Gottes bei der Verklärung des Sohnes:
Als er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke, und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; auf den sollt ihr hören (Matthäus 17,5).
Das Zeugnis eines Augenzeugen bei der Verklärung des Sohnes:
Denn wir sind nicht klug ersonnenen Fabeln gefolgt, als wir euch die Kraft und Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus kundtaten, sondern wir sind Augenzeugen seiner Herrlichkeit gewesen. Denn er empfing von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit, als eine Stimme von der hocherhabenen Herrlichkeit daherkam, des Inhalts: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und die Stimme hörten wir vom Himmel her kommen, als wir mit Jesus auf dem heiligen Berg waren (2. Petrus 1, 1618).

Wegbereiter: Liberale Theologie
Es ist interessant festzustellen, wie alle Ereignisse nach einem bestimmten Plan ablaufen, Alles scheint synchronisiert zu sein, alles auf einen Höhepunkt hin zu steuern, sei es in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Aufrüstung, oder auch der Theologie. Jedes Gebiet führt in die Abhängigkeit der neuen aufsteigenden Macht.
Gerhard Bergmann schreibt in Alarm um die Bibel: Die eigentliche Ursache für die um sich greifende Fehlentwicklung in Kirche und Theologie besteht in dem gebrochenen Verhältnis zur Heiligen Schrift. Wenn wir auf die Frage nach der Ursache nicht mit einem Satz, sondern mit nur einem einzigen Wort antworten wollen, dann können und müssen wir sagen: Die Ursache für die Fehlentwicklung liegt in der Bibelkritik.
Wir wissen, daß nach der Schrift die Charakteristik des Antichristen die Ablehnung und Verneinung der Gottessohnschaft ist. Durch das Verlassen des biblischen Fundaments wird der Weg des Abendlandes für diese neue Macht, »das Tier« und den »falschen Propheten«, geebnet.
Dr. theol. Heinz Zahrnt schreibt im Allgemeinen Deutschen Sonntagsblatt (1960):
Der Sohn und die Söhne
Die neutestamentlichen Zeugnisse lassen keinen Zweifel darüber, daß Jesus ein wirklicher Mensch war und nicht ein Himmelswesen. Nichts Übergeschichtliches, Übernatürliches oder gar Unnatürliches spielt hier hinein.
Eine solche Lehre führt schnurgerade in die Arme der aufsteigenden politischen, wirtschaftlichen und religiösen Macht, die der Islam darstellt.
Unsere liberalen Theologen haben also nichts Neues erfunden, im Gegenteil, sie haben einen Rückstand von 1350 Jahren aufzuholen und sind auf der gleichen Ebene wie der Koran, der sagt:
Wahrlich, ungläubig sind, die da sprechen: Siehe Allah ist der Messias, der Sohn der Maria. Sprich: Und wer könnte Allah hindern, so er den Messias, den Sohn der Maria, und seine Mutter und wer immer auf der Erde lebt, vernichten wollte? (Koran 5,19).

So war also Mohammed schon ein moderner Theologe, denn auch er hat Christus auf die Stufe einer Kreatur herabgewürdigt.
Nach dem Koran ist Jesus nicht mehr und nicht weniger als ein Gesandter, der nicht Das Wort (Kalimat Allah) ist, sondern der ein Wort von Gott (Kalam min Allah) bringt, wie jeder andere Prophet und Mohammed selbst auch.
Allah ist der eine und allein ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und keiner ist ihm gleich.

Mit diesem Bekenntnis zieht Mohammed eine klare Linie zwischen dem Koran und der Bibel.
Die islamischen Theologen verbinden sich mit den christlichen Theologen, die bei der Zerstörung des inspirierten und menschgewordenen Wortes Gottes schon eine gute Vorarbeit geleistet haben.
Wie ernst diese Abweichungen und Zweifel der Theologie für unsere Zeit sind, wird deutlich, wenn wir folgende Zitate (S. 173-177) aus einer Islam-Broschüre lesen, die von einer Islam-Mission für Europa herausgegeben wird:
Grundlage der christlichen Kirchen sind die Evangelien des Neuen Testaments. Bevor wir uns diesen Büchern zuwenden, möchte ich zwei prominente protestantische Jesusforscher zitieren. Professor Albert Schweitzer hat einmal gesagt: »Die Evangelien des Neuen Testaments, in denen über das Leben Jesu berichtet wird, eignen sich nicht als Material für die historische Forschung. Hinzu kommt noch die Feststellung von Professor Bornkamm, daß die gesamte neutestamentliche Abstammungslehre, bei der sich die Evangelien sowieso untereinander widersprechen, nicht haltbar ist, weil sie zu sehr von Legenden und Gedanken jüdischer und christlicher Messiasdogmatik überwachsen sei.
Aus dem, was wir bereits gesehen haben, scheint sich zu ergeben, daß ein erheblicher Teil des Neuen Testaments aus Schriften besteht, die nicht direkt apostolischen Ursprungs sind.

Ähnlich ist die Meinung der modernen Theologie. Im Jahre 1906 erklärte Albert Schweitzer in seinem Buch Geschichte der Leben-Jesu-Forschung : Der Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat, die Sittlichkeit des Gottesreiches verkündete, das Himmelreich auf Erden gründete und starb, um seinem Werk die Weihe zu geben, hat nie existiert. Es ist eine Gestalt, die vom Rationalismus entworfen, vom Liberalismus belebt und von der modernen Theologie in ein geschichtliches Gewand gekleidet wurde. Im letzten Grunde ist unser Verhältnis zu Jesus mystischer Art.

Dieser Ausspruch des großen Menschenfreundes, Urwaldarztes und Theologen ist eine klare Bankrotterklärung der christlichen Forschung. Schweitzer hat nach jahrelanger intensiver Arbeit erkannt, daß alle aufgewendete Mühe, die Echtheit des Neuen Testaments nachzuweisen, vergeblich war. Gleichwohl glaubt er dennoch, daß der Nazarener gelebt hat und eine in die historische Situation der Juden passende Interimsethik mit Weltuntergangsvoraussagen gepredigt hat.
Damit schließt sich Schweitzer der Meinung des Theologen David Friedrich Strauß an, der bereits 1840 erklärt hatte, daß sich in der Figur, in der Geschichte und in den Symbolen Jesu alte Mythen konzentrieren. Seit 1947 wissen wir überdies, daß auch die kirchlichen Sakramente nicht von Jesus eingesetzt wurden, sondern daß diese bereits 250 Jahre vorher von der Sekte der Essener praktiziert worden sind. Überhaupt ist eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen den Lehren dieser eigentümlichen Sekte und den theologischen Auffassungen der christlichen Konfessionen festzustellen. Allein schon deshalb ist ein Großteil der Jesusforscher zu der resignierenden Ansicht gekommen, Jesus von Nazareth sei niemals auf der Welt gewesen. Wir können uns dem nicht anschließen! Jesus von Nazareth hat gelebt, der Jesus der Bibel aber ist der Abt von Oumran (Kloster der Essener), der sich Lehrer der Rechtschaffenheit nannte…

Jesus von Nazareth war ein Mensch, wenngleich ein edler – ein Prophet. Er selbst bestätigt das bei einem Besuch in seiner Vaterstadt Nazareth, wo er vor allem Volk sagt: Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande.
Der bekannteste Jesusforscher des 20. Jahrhunderts, Professor Ethelbert Stauffer, kommt der Wahrheit um Jesus sehr nahe, wenn er meint, daß es im Sinne historischer Forschung sehr wahrscheinlich sei, daß Jesus als ein gegen die Theokratie der Priester rebellierender Prediger der Menschenliebe existiert hat. In der Tat waren alle Propheten Wanderprediger. Ausgenommen sind nur Mose und der heilige Prophet Mohammed, die als Träger des Gesetzes gesandt wurden. Alle Propheten aber wandten sich gegen das rechthaberische Gebaren der herrschenden Klasse ihrer Zeit, verkündeten den Zorn Gottes und riefen auf zur Einkehr und Reue, zu Demut und Gebet…

Ist es ein Wunder, wenn wir Muslime glauben, daß die Offenbarung des Ouran ein direkter Eingriff Gottes ist? (JESUS-Leben, Auftrag und Tod; von Mohammed S. Abdullah, Journ. J. A. R.; herausgegeben von der Ahmadiyya Mission des Islam).
So wird die Vermenschlichung Jesu vollständig! Jesus selbst hat schon gesagt: »Ich bin im Namen meines Vaters gekommen und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr annehmen.«
Nach all dem Gesagten muß es sich um ein anderes Neues Testament handeln (Galater 1,8). Oder man nimmt aus dem Neuen Testament nur das, was einem paßt, wie wir das im Artikel Periklytos oder Parakletos sehen werden. Eine solche Botschaft ist unglaubwürdig.
Die Moslems werfen uns ständig vor, wir hätten ein gefälschtes Neues Testament, doch wo ist das richtige? Als Antwort hören wir natürlich, daß im Koran die volle Wahrheit stehe, er sei das Licht, das die Menschen aus der Finsternis führt. Ob sich die Christenheit damit abfinden kann?
Weh’ denen, die Finsternis für Licht und Licht für Finsternis erklären! (Jesaja 5,20).

Periklytos oder Parakletos
Nach der Lehre des Islam wird Ahmed oder Mohammed mit dem heiligen Geist in Verbindung gebracht. Jesus sagte:
Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand  Parakletos  geben, daß er bei euch bleibe in Ewigkeit (Johannes 14,16).
Das Wort »Parakletos«, Beistand oder Tröster, wurde nach der Lehre des Islam gefälscht. Nach seiner Lehre heißt es ursprünglich: »Periklytos«, was dem arabischen Namen Ahmed gleichkommt.
Die Aussage würde dann so lauten:
O Kinder Israel! Ich bin der Apostel Allahs (gesandt) zu euch, das Gesetz (die Thorah) bestätigend, das vor mir war, und euch die frohe Botschaft verkündigend, daß ein Apostel nach mir kommt mit dem Namen Ahmed! (Koran 61,6) Ahmed = Periklytos.
Der Geist Gottes wird ausgeschaltet, und Mohammed nimmt seinen Platz ein.
Ob wir hier die Sünde wider den heiligen Geist finden – gegen die Heilige Schrift als inspiriertes Wort Gottes – gegen Jesus als den Logos? Aber noch mehr als das: Er ist der Schöpfer, das Wort, durch das alles gemacht ist, und erst als der menschgewordene Logos ist er der Träger und Erfüller des Evangeliums.
In Büchern, die sich mit der Bibel und dem Koran auseinandersetzen, kann man in Europa heute schon erkennen, wie die Gesinnung der christlichen Welt manipuliert und eingespielt werden soll, um sie in die gewünschte Richtung zu drehen:
Dieser Parakletos (Beistand oder Tröster), von Jesus angekündigt und versprochen, wird ein Führer sein, dem die Menschen folgen sollen, wenn Jesus die sichtbare Welt verlassen hat (Johannes 14, 1516, 26; 15, 26; 16, 1314).
Der Verfasser hebt hervor, daß allein der Evangelist Johannes von dem Parakletos, dem heiligen Geist als dem kommenden Tröster, spricht. Er sucht aber zu beweisen, daß Jesus nicht von einem Geist reden will, denn ein Geist kann weder hören noch sprechen. Weiter sucht er zu beweisen, daß Johannes Jesus falsch verstanden und interpretiert hat. Mit Parakletos oder Tröster konnte Jesus nur ein menschliches Wesen bezeichnen, das Gott nach Jesu Himmelfahrt senden würde. Dieser Mensch, ein Prophet, sollte Gottes Stimme hören und seine Botschaft den Menschen mitteilen! (Maurice Bucaille, La Bible, le Coran et la Science, SeghersVerlag)
Der Autor M. Bucaille geht sogar so weit, daß er behauptet, die Worte Heiliger Geist seien dem JohannesEvangelium später beigefügt worden und wären somit eine Fälschung der Botschaft Jesu Christi.
Es zeugt nicht gerade von klarem, logischen Denken, wenn man einen Teil einer Aussage Jesu als falsch und hinzugefügt bezeichnet, den anderen Teil aber, weil er die eigene Theorie unterstreicht, als wahr und authentisch hinstellt.
Aber worauf könnte sich der Islam im Blick auf die Verheißung Jesu über Mohammed sonst stützen, wenn er diese Verse in dem Evangelium des Johannes nicht hätte? Doch es ist nicht ehrlich, wenn man aus einem Vers eine Wahrheit herausnimmt und den Rest als Lüge abstempelt.

Wer sagt, daß der Geist weder hören noch reden kann, der stellt damit auch Gott in Frage, denn:
Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten (Johannes 4,24).
Wenn Gott weder hören noch reden noch handeln könnte, wären wir wirklich die Frucht des Zufalls und des Schicksals.
Weil die Aussage aus Johannes 4,24 nicht in die Konzeption des Islam hineinpaßt, muß er die Schriften von Paulus, die Apostelgeschichte und alle Abschnitte aus dem Alten Testament, die vom Geist Gottes reden, ausmerzen. Von diesen Abschnitten ist auch in den Schriften des Islam nie die Rede. Diese Stellen decken sich nicht mit der Lehre des Islam und werden deshalb als gefälscht und hinzugefügt betrachtet. Das wurde mir sehr deutlich bei einem Gespräch, das ich bei meinem letzten Aufenthalt in Afrika mit einem Faki, KoranLehrer, hatte, der Paulus als einen Juden bezeichnete, der die Schrift fälschte.
Doch das können wir verstehen, denn für diese Menschen ist und bleibt die Gemeinde, die das Werk des heiligen Geistes in dieser Welt ist, ein Geheimnis und ein Stein des Anstoßes.

Wenn sich nun der Islam das Recht nimmt, den Koran, den er als eine Bestätigung des Alten und Neuen Testaments ansieht und der Mohammed nach der Tradition des Islam vom Engel Gabriel geoffenbart wurde, als echt zu betrachten, wieviel mehr hat dann der Christ das Recht, daran festzuhalten, daß die Bibel ein von Gottes Geist inspiriertes Buch ist.
Hier wird wieder einmal die Gefahr der modernen Theologie offenkundig, die eigentlich nichts anderes als ein Wegbereiter für den Antichristen ist. Sie macht den Weg frei für die Lehre des falschen Propheten.
Der Widersacher arbeitet mit List auf sein Ziel hin, immer radikaler und immer schneller will er alles zerstören, was in seinem System noch an Gott erinnert.

Anti-Sohn
Mohammed ist der Überzeugung, und mit ihm die islamische Welt, daß er der verheißene Periklytos = der Ruhmvolle, Herrliche sei. Er will der Geist der Wahrheit sein, der die Menschheit alles lehrt und sie in alle Wahrheit leitet. Wie sieht nun diese Wahrheit aus?
Für den Moslem ist es ein Greuel, zu bekennen und zu glauben, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist. Ich habe erlebt, daß Moslems auf den Boden spuckten und sagten: Allah vergib mir, daß ich so etwas hörte. Zu sagen, Gott habe einen Sohn, ist für den Moslem eine Lästerung Allahs.
Wahrlich ungläubig sind, die da sprechen: Siehe, Allah, das ist der Messias, der Sohn der Maria. Sprich: Und wer könnte Allah hindern, so er den Messias, den Sohn der Maria, mit seiner Mutter und wer immer auf der Erde ist, vernichten wollte? (Koran 5,19).

Wer nun glaubt, daß Jesus Christus Gott ebenbürtig ist (Johannes 10, 30, 38; 14, 9), der wird als ungläubig angesehen. Jesus ist nach diesem Koranvers nur ein Geschöpf. Da der Moslem Gottes Geist durch Mohammed ersetzt, kann er die Gedanken Gottes nicht verstehen, (l. Korinther 2,14). Für ihn ist alles sinnlich, auch das Paradies und die Ewigkeit. Obwohl der Moslem Allah als den Allmächtigen rühmt, traut er ihm nicht zu, daß er in den Ablauf der Natur eingreifen konnte, um Jesus, den ewig Seienden, in die Zeit zu schicken.
Sie sprechen: Allah hat einen Sohn gezeugt. Preis Ihm! Nein! (Koran 2, 110)
Gelobt sei Allah, der weder einen Sohn gezeugt noch einen Gefährten im Regiment hat noch einen Beschützer aus Schwäche (Koran 17, 111).
Die Bibel sagt, daß Gott im letzten Abschnitt der Heilsgeschichte durch den Sohn geredet hat, den er zum Erben über alles gesetzt hat, durch welchen er auch die Welt gemacht hat (Hebräer 1, 12).
Daß Christus schon war, bevor er Mensch wurde, und bei der Schöpfung mitwirkte (Kolosser 1, 1516), ist für den Islam unannehmbar.
Der Antichrist wird durch Johannes in seinen Briefen entlarvt. Er ist der einzige, der ihn mehrmals zitiert (z. B. 1 . Joh. 4,3; 2. Joh. 8).

Anti-Erlösung
Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde (l. Johannes 1,7).
In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade (Epheser 1, 7).
Seid gewiß, daß euer Vertrauen in das Blut Jesu vergebens ist. Wäre er nicht einmal, sondern eintausendmal gekreuzigt worden, hätte er euch auch nicht retten können. Die Erlösung liegt im Glauben, in der Liebe und in der Gewißheit, und nicht im Blute eines Menschen! (Abdulf Hatif, Leiter der AhmadiyyaMission des Islams in Deutschland).
Um seinen antichristlichen Gedanken zu krönen und um das Fundament der christlichen Verkündigung zu vernichten, geht der Koran noch einen Schritt weiter und sagt:
Sie sagen, wahrlich, wir haben den Messias, Jesus, den Sohn Marias, den Apostel Allahs getötet. Aber sie haben ihn nicht gekreuzigt, es war einer, der ihm ähnlich sah. (Darum verfluchen wir sie). Wahrlich, die, welche so über ihn denken, sind im Zweifel über ihn, sie haben nicht über ihn wahres Wissen, sie folgen einer Fabel (Koran 4, 156).
Hier sehen wir das Gift der Schlange! Der Koran betrachtet die biblische Botschaft von der Erlösung als eine Lüge und Fabel: »Sollte Gott gesagt haben?«
Paulus antwortet:
Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (l. Korinther 1,23).
Aber wenn auch wir oder ein Engel (wie zu Mohammed) vom Himmel euch etwas anderes als Evangelium würde predigen, außer dem, was wir euch verkündigt haben, der sei anathema (verflucht) (Galater 1,8).
Es gibt in der Welt keine antichristliche Macht, die so klar und konsequent die Sohnschaft Christi und seinen Kreuzestod ablehnt und leugnet wie der Islam.
Es gibt auch keine fanatischere Religion als den Islam. Wir im (christlichen) Abendland sind nicht für den vor uns liegenden Kampf gerüstet; wir werden überrannt. Denn der Kampf, der sich heute vor unseren Augen anbahnt, ist kein wirtschaftlicher, sondern ein geistlicher Kampf. Die Christenheit war noch nie so lau und so schwach wie heute, sowohl auf nationalem wie auf religiösem Gebiet und kann darum den Kampf gar nicht aufnehmen.
Ziehet die ganze Waffenrüstung Gottes an, damit ihr den Kunstgriffen des Teufels gegenüber standzuhalten vermöget, denn unser Kampf richtet sich nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Herrschaften, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Regionen (Epheser 6, 1112)

Jesus im Koran
Nachdem Gott vor Zeiten manchmal und auf mancherlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, welchen er zum Erben von allem eingesetzt, durch welchen er auch die Weltzeiten gemacht hat; welcher, da er die Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und der Ausdruck seines Wesens ist und alle Dinge trägt mit dem Wort seiner Kraft, und nachdem er die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst vollbracht, sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat und um so viel mächtiger geworden ist als die Engel, als der Name, den er ererbt hat, ihn vor ihnen auszeichnet.
Denn zu welchem von den Engeln hat er jemals gesagt: >Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt?< Und wiederum: >Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein<? (Hebräer 1, 15).

Wenn wir uns die Frage stellen, ob Allah der Gott der Bibel ist, dann können wir uns auch fragen, was Jesus mit dem Koran gemeinsam hat?
Der Koran stellt auch hier, wie auf anderen Gebieten, eine Mischung von Wahrheit und Lüge dar. Bei dem Gedanken, daß heute etwa 650 Millionen Moslems den Bericht des Koran für Wahrheit und die Aussagen der Bibel für Lügen halten, könnte einem bange werden. Doch das ist noch nicht der Höhepunkt, der in dem antichristlichen Gedanken und der Lehre des Koran liegt.
Über Jesus erzählt der Koran folgendes:
Seine Mutter war die Tochter von Imran (Sure 3.31, 66.12). Der Name der Mutter bleibt hier ungenannt. Imran verwechselt Mohammed gewiß mit dem alttestamentlichen Amran, dem Vater des Mose; denn von Maria berichtet er, sie sei die Schwester Aarons (Sure 19,29), und der ist ja der Bruder des Mose. Das läßt darauf schließen, daß Mohammed Maria mit der alttestamentlichen Mirjam verwechselt.
Der Koran berichtet dann über die Geburt und die Jugend der Maria. Sie wird schon vor der Geburt dem Allah geweiht und wird nicht zu Hause bei den Eltern aufgezogen, sondern im Tempel, wo sie von Allah auf wunderbare Weise ernährt wird. Das läßt vorausahnen, daß Allah mit Jesus große Dinge vorhat (Koran 3.31 ff.).
An einem Ort gen Aufgang, an den sich Maria zurückgezogen hat, verkündet ihr ein Engel (Koran 3.40) die Absicht Allahs, ihr einen reinen Knaben (Koran 19.19) zu schenken. Maria wendet ein, sie sei eine unverheiratete reine Jungfrau, doch kann sie sich dieser festgelegten Sache nicht entziehen (Koran 19.20). So empfängt sie Jesus durch einen göttlichen Schöpfungsakt. Das wird in Sure 3.52 mit der Erschaffung Adams durch das schöpferische Es sei Allahs gleichgestellt. Um sich einem verleumderischen Verdacht zu entziehen, begibt sich Maria an einen fernen Ort (Koran 19,22). Dort gebiert sie am Fuß einer Palme (Koran 19,23) und wird in ihren Wehen durch eine Stimme von unten getröstet: Unter ihr wird ein Bächlein fließen, und die Palmen werden, wenn Maria den Stamm schüttelt, frische Datteln auf sie fallen lassen, um sie zu erquicken (Koran 19,24). Als sie nach Hause kommt, wird sie von ihren Sippengenossen mit Vorwürfen empfangen. Doch sie deutet, ohne sich zu verteidigen, auf das Jesuskind, das plötzlich zu reden anfängt und sich als Sklave und Prophet Allahs zu erkennen gibt (Koran 19,30). So ist dieses Wunder die erste Botschaft an die Menschen und eine Rechtfertigung für seine Mutter.

Über Leben und Wirken Jesu scheint Mohammed keine besonderen Kenntnisse zu haben. Jesus wird als Prophet zu den Juden gesandt, zuerst, um die Thora zu bestätigen (Koran 3.44, 61.5, 5.50) und sie teilweise abzuändern (Speisegesetze 3.43), zum andern, um ihnen das Evangelium zu bringen (Koran 3.43, 57.27, 5.50, 110).
Unter Evangelium versteht Mohammed nicht eine oder alle Schriften des Neuen Testaments oder die Heilsbotschaft, sondern eine göttliche Offenbarung, die Jesus empfangen habe, so wie er selbst den Koran. Wenn auch nichts über den Inhalt des Evangeliums verlautet, so wird unterstellt, daß dieser grundsätzlich mit dem Koran übereinstimmt!
Unser Evangelium ist in den Augen der Moslems ein gefälschtes Dokument. Mohammed wendet sich gegen jeden Versuch, aus Jesus den Sohn Gottes zu machen (Koran 5.116).
Sprich: Er ist der eine Allah, der ewige Allah, er zeugt nicht und wird nicht gezeugt, und keiner ist ihm gleich (Koran 112. 14).

Der Antichrist
Kinder, es ist die letzte Stunde! Und wie ihr gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind nun viele Antichristen geworden; daran erkennen wir, daß es die letzte Stunde ist (1. Johannes 2,18).
Jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists, von welchem ihr gehört habt, daß er kommt, und jetzt schon ist er in der Welt (l. Johannes 4,3).
Um den Antichristen zu erkennen, hat man oft gewaltige Kunststücke versucht; Spekulationen wurden aufgestellt, Voraussagen gemacht, die sich aber alle mit dem wahren Bild des Antichristen nicht deckten. Wir haben vorgeprägte Matrizen, in die wir die Endgeschichte hineinzwängen möchten. Unsere Bemühungen sind vergeblich. Das Bild wird immer undeutlicher und komplizierter und deshalb unverständlich und unglaubwürdig.
Am Ende der Zeit wird der antichristliche Geist in einem politischen und religiösen System Gestalt annehmen, das durch einen Mann regiert wird. Noch nie zuvor waren dafür die Bedingungen, d. h. die Konjunktur der politischen Macht für das Tier und den falschen Propheten so günstig wie heute. Es sind viele Tatsachen, die darauf hinweisen. Die Ereignisse im Nahen Osten und in der Welt können nicht Zufall sein.

Woher kommt der Antichrist?
Der Antichrist wird der Vertreter einer geistlichen Macht sein, die die Welt, besonders die an Israel grenzende Welt, verführen und beherrschen wird. Nach der heutigen Weltlage könnte auch die europäische Gemeinschaft unter die Herrschaft des Antichristen kommen, nicht aber umgekehrt.
Einer beleuchtet uns den Antichristen mit aller Klarheit: Johannes. Er schreibt:
Wer darüber hinausgeht und nicht in der Lehre Christi bleibt, der hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, der hat den Vater und den Sohn (2. Johannes 9).
Also: wer nicht glaubt, daß Christus der Sohn Gottes ist, der hat Gott nicht. Suchen wir nun den Antichristen in Rom, gehen wir fehl, denn Rom und das Papsttum haben nie die Sohnschaft Jesu geleugnet. Dagegen sind wir auf dem rechten Weg, wenn wir aufgrund des Johanneswortes den Antichristen im Islam suchen.
Nur der ist verständig, und nur der erkennt die Zeichen der Zeit, der durch den Glauben an Jesus Christus Gottes Geist empfangen hat (Epheser 1,13).

Das Tier aus dem Abgrund
Das Tier, welches du gesehen hast, war und ist nicht mehr, und es wird aus dem Abgrund heraufkommen und ins Verderben laufen; und die auf Erden wohnen, deren Namen nicht geschrieben sind im Buche des Lebens von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, daß es war und nicht ist und da sein wird (Offenbarung 17,8).
Das antichristliche Zeitalter hat schon begonnen. Es erweist sich, daß es kein christliches Abendland mehr gibt. Die Menschen sind zu Materialisten geworden, die das goldene Kalb anbeten. Sie sind nicht bereit, Opfer auf sich zu nehmen, um auf die Herausforderungen der Weltlage im biblischen Sinn zu reagieren, vielmehr werden sie vor dem falschen Propheten und bald vor dem Tier in die Knie gezwungen.

Das Abendland nimmt Stellung gegen das Volk, aus dem das Heil kommt, und verwirft damit das Fundament, auf dem das christliche Abendland aufgebaut ist, das heißt: 2000 Jahre unserer Geschichte.
So wählen die Menschen, wie Sara und Abraham, den zweitbesten Weg, den Gott nicht anerkennt, den Weg des Fleisches, des menschlichen Wollens. Ihr Denken wurde durch Jahrtausende geformt, aber auch degeneriert. Es wird ihnen schwerfallen, sich von falschem Denken zu befreien.

Um die endgeschichtliche Lage beurteilen zu können, müssen wir uns einen Überblick über die Vergangenheit verschaffen. Dabei ist es entscheidend, die endgeschichtliche Entwicklung nicht vom europäischen Standpunkt aus zu sehen. Wir müssen umdenken lernen: Die Endzeit spielt sich nicht in Europa, sondern im Nahen Osten ab.

Die echten Christen in Europa sind sowieso eine Minorität. Sie werden nicht ins Gewicht fallen, wenn es darum geht, gegen das Aufkommen des falschen Propheten anzukämpfen. Der falsche Prophet wird nicht aus einem europäischen Land, sondern aus dem Orient kommen. Er wird ein Sohn Abrahams sein, ein Semit, denn von dorther haben sich geschichtlich zwei Machtbereiche entwickelt.
Der eine wird durch Satan angeführt und bereitet das Chaos vor. Der andere wird durch den Geist Christi geführt und bereitet die Entrückung der Gemeinde und die Herrlichkeit vor. Sie leitet die Vernichtung des antichristlichen Reiches mit der Bindung des Drachen, dem Tier und falschen Propheten ein, zur Aufrichtung des tausendjährigen Friedensreiches Jesu Christi.

Wie Jesus Christus, so auch der Antichrist   
Wie Jesus Christus zu der von Gott bestimmten Zeit offenbart wird:
Bei der Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus vom Himmel her samt den Engeln seiner Kraft (2. Thessalonicher 1,7), so wird auch der Antichrist seine sichtbare Offenbarung haben in der von Satan erwählten Zeit. Und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, dessen Auftreten nach der Wirkung des Satans erfolgt (2. Thessalonicher 2,9).
Und der Drache (Satan) gab dem Tier seine Kraft und seinen Thron und große Macht (Offenbarung 13,2).

Wie der Vater durch den auferstandenen Sohn alle Herrlichkeit erhielt:
Und alle Zungen sollen bekennen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters (Philipper 2, 11);
Wenn ihm aber alles unterworfen sein wird, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, auf daß Gott sei alles in allen (l. Korinther 15,28); so wird auch der Drache durch das Tier die Ehre der Menschheit erhalten, nachdem es wieder lebendig wurde.
Und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tier die Macht gegeben und beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich, und wer vermag mit ihm zu streiten? (Offenbarung 13,4).

Der antichristliche Friedefürst
Es ist der Wunsch eines jeden Moslems, einmal in seinem Leben in der AlAqsaMoschee zu beten. Sadat ist es gelungen, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Vielleicht war der ganze Aufwand der Friedensverhandlungen und der Reise nach Jerusalem nur der Preis für ein Gelübde. Die ganze Welt sah im Fernsehen den großen Augenblick, als der Friedefürst in Jerusalem einzog. Ein Reporter sagte: Es ist, als käme der Messias. Dann erlebte die ganze Welt mit, wie Sadat, der Friedefürst, sich in der AlAqsaMoschee, die auf dem einstigen jüdischen Tempelplatz steht, vor Allah, dem Gott, der sich über alle anderen erhebt, ausrief: Allah il Allah und Allah hu akbar.

Die Welt war in einem Taumel, Menschen weinten vor Freude vor dem Fernsehschirm. In Jerusalem tanzten Israelis auf den Straßen. Sollte der Augenblick der Versöhnung der zwei Brüder gekommen sein, der Augenblick, auf den die ganze Welt wartet, um wieder von der Nahostkrise zu gesunden?
Doch es scheint, als sei diese Szene nur die Generalprobe für den starken Mann gewesen, den der Nahe Osten erwartet. Wie wird es sein, wenn er einmal in Jerusalem einzieht, um sich am Greuel der Verwüstung niederzulassen! Er will dort seinen Gott, der der höchste Gott ist, und neben dem es keinen anderen Gott gibt, anbeten. Aber dieser Gott ist nicht der Vater unseres Herrn Jesus Christus, denn der starke Mann wird leugnen, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist (l. Johannes 2, 1828).

Im Jahre 70 wurde der Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte aus dem einfachen Grund nicht errichtet, weil der Tempel sofort verbrannt und zerstört wurde. Die geweihten Geräte und Gegenstände und der große goldene Leuchter, Symbol der Gegenwart Gottes, wurden durch die Straßen Roms geschleift. Doch das alles ist nicht zu vergleichen mit der Opferung eines Schweines im Tempel, das Antiochus-Epiphanes (164 v. Chr.) anordnete und damit die Revolte der Makkabäischen Familie hervorrief.

Wovon aber redet Jesus in Matthäus 24, 21? Ohne Zweifel spricht er von dem kurzen Reich, das Paulus das antichristliche nennt. Er beschreibt es im 2. Brief an die Gläubigen zu Thessalonich:
Denn zuerst muß der Abfall kommen und der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens geoffenbart werden, der Widersacher, der sich über alles überhebt, was Gott oder Gegenstand der Verehrung heißt, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst als Gott erklärt. Aber der Herr Jesus wird ihn durch den Geist seines Mundes aufreiben und durch die Erscheinung seiner Wiederkunft vernichten (2. Thessalonicher 21 35 + 8).

Mit anderen Worten: An der Stelle des Tempels und an heiliger Stätte wird eines Tages ein Mann auftreten und sich als Herr über alles ausgeben. Er wird ein Feind all derer sein, die den Namen Gottes tragen.
Es ist eine ungeheuerliche Tatsache, daß von dem Ort, wo die Wohnung des Gottes Israel stand, Prediger des falschen Propheten zur Zerstörung Israels aufrufen. Anti-Christ bedeutet: Anti-Messias, oder auch Anti-Jesus. Wenn dieser Mann der christlichen Welt gegenüber feindlich gesinnt ist, so ist er es auch Israel gegenüber, das ja durch die Gnade Gottes im Zentrum des messianischen Dramas steht. Diese einmalige Stellung Israels ist sicher der Grund für die wiederholten Bedrohungen durch Endlösungen.

Dieses Volk, das die messianische Zeit gebären soll, versucht Satan mit allen Mitteln von der Erde zu vertilgen. Darum hat er alle früheren Reiche gegen Israel aufgehetzt. Alles wurde in Bewegung gesetzt, damit das Volk Israel Jesus nicht hervorbringen könnte. Auch der Befehl des Herodes, die jüdischen Kinder im Bereich von Bethlehem zu ermorden, diente diesem Ziel. Wer Ohren hat zu hören, der höre, wer Augen hat zu sehen, der sehe!

Scheinfriede und Friede
Der Friedensbund, der gemäß der Voraussage des Propheten Daniel angestrebt wird (Daniel 9,27) und mitten in der Jahrwoche gebrochen wird (Daniel 7, 25), kann nur ein Scheinfriede sein (Daniel 8,25). Seine Grundlage ist Kompromiß und Lüge, und er wird mit einer dämonischen Macht unter dem Deckmantel der Berufung auf den Vater Abraham und des Monotheismus geschlossen.
Denn vom Kleinsten bis zum Größten trachten sie alle nach Gewinn, und vom Propheten bis zum Priester gehen sie alle mit Lüge um. Und sie heilen den Schaden der Tochter meines Volkes leichthin, indem sie sprechen: Friede! Friede! wo doch kein Friede ist (Jeremia 6, 13-14).
Sie verführen mein Volk, indem sie sagen: Friede! und ist doch kein Friede. Das Volk baut eine Wand und diese übertünchen sie mit losem Kalk (Hesekiel 13, 10).
Die Friedensverhandlungen der Gegenwart sind nur ein Tünchen mit losem Kalk, der bei der kommenden Trübsal abgewaschen wird. Die Fassade wird zerfallen. Die Anstreicher werden mit ihren Lügen zuschanden und mit ihnen das Volk und alle Völker, die sich verführen ließen. Denn Friede kann nicht auf der Grundlage von Lüge aufgebaut werden.

Dieser heute abgeschlossene Friede kann nur eine Vermählung zwischen der Tochter Israel und einem Bräutigam sein, der sie heiratet, um sie umso besser vernichten zu können.
Ein dauerhafter Friede kann nur auf der Grundlage der Wahrheit (Johannes 14,6) und mit dem Friedefürsten selbst geschlossen werden. Denn:
Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und die Herrschaft kommt auf seine Schultern; und man nennt ihn Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst. Der Mehrung der Herrschaft und des Friedens wird kein Ende sein auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, daß er es gründe und mit Recht und Gerechtigkeit befestige, von nun an bis in Ewigkeit. Der Eifer des Herrn der Heerscharen wird solches tun! (Jesaja 9, 56).

Israel wird nicht zur Ruhe kommen, bis es den Friedefürsten Jesus Christus anerkennt.
Wenn doch auch du, Jerusalem, erkannt hättest an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient! (Lukas 19, 42).
Aber noch immer ist es vor seinen Augen verborgen. Wie lange noch?

Es wird in späteren Zeiten geschehen, daß der Berg des Hauses des Herrn (der messianische Tempel) festgegründet an der Spitze der Berge stehen und über alle Höhen erhaben sein wird, und es werden ihm alle Heiden zuströmen; und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, laßt uns wallen zum Berge des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns belehre über seine Wege und wir wandeln auf seinen Pfaden! Denn von Zion wird die Lehre ausgehen, und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird Schiedsrichter sein zwischen den Nationen und zurechtweisen große Völker, also daß sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern verschmieden werden; kein Volk wird wider das andere ein Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen (Jesaja 2, 24).

Der Traum der Menschheit wird dann in Erfüllung gehen, doch nicht so, wie die Völker und Nationen es sich gedacht haben, ohne den ersten Teil dieser Verse.
Die UNO hat sich den letzten Teil dieses JesajaTextes angeeignet, er steht am Fuß des mächtigen Glaspalastes in New York, dem Sitz der Vereinten Nationen. Ist das nicht eine Herausforderung an den, der Richter und Herr über die Nationen sein wird?

Er, der König aller Könige, wurde aus der Weltgeschichte ausgeklammert. Nur darum haben wir heute das Nahost-Problem.
Und deshalb ist das Endziel der antichristlichen Macht die Vernichtung Israels. Darum wird der Friede, der mit Israel geschlossen wird, nur eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit dauern (Daniel 7, 25).
Die Nationen müssen genauso wie Israel durch die große Trübsal gehen, wie es keine gab, seit die Welt besteht (Matthäus 24, 21), um gedemütigt und dahin geführt zu werden, den Herrn aller Herren anzuerkennen (Matthäus 24, 30).
Dann, wenn die Nacht am dunkelsten ist, wenn die Nationen und Israel sehen, in welch tiefen Abgrund sie der Fürst dieser Welt gestürzt hat, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt, dann greift Jesus Christus selbst ein.
Und dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, und dann werden alle Geschlechter der Erde sich an die Brust schlagen und werden des Menschen Sohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit (Matthäus 24,30).
Dann wird der König aller Könige, der Friedefürst, von Jerusalem aus herrschen und seine Ekklesia mit ihm (Offenbarung 19, 11 und 20,6).
Dieses Friedensreich wird durch die Geburtswehen der großen Trübsal geboren werden.

Ob Israel den Ruf seines Messias bald hören wird?
Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter die Flügel sammelt, aber ihr habt nichtgewollt! Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen werden; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen, bis ihr sprechen werdet: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! (Matthäus 23, 37-39).
In jener Zeit des tausendjährigen Friedensreiches wird die Welt eine Umwälzung erleben. Dann wird auch Ismael zu Jahwe finden, und der Friedensbund der Brüder des Nahen Ostens wird ein Brüderbund erleuchteter Nationen sein. Dann wird die Halbmondsichel über dem Nahen Osten von der Sonne der Gerechtigkeit verdrängt werden. Die ganze Welt wird dann einstimmen in das Lied des Psalmisten:
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobt der Name des Herrn! (Psalm 113, 3).

8. Das Ende

Der Drache lacht
Und der Drache (Satan) gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl (die Erde) und große Macht (Offenbarung 13, 2).
Die schwindelerregende Aufrüstungen der Großmächte Russland und Amerika und der Länder des Nahen Ostens ist allgemein bekannt. Zweifellos werden die Waffen nicht ohne Grund besonders in diesem Erdteil aufgestapelt. Wie leicht kann dieses Pulverfass explodieren, wenn einmal die Lunte angelegt ist. Dann werden wir rasch begreifen, warum die Bibel von einer apokalyptischen Zeit spricht, die der Drache auslösen wird. Die Menschheit bereitet ihre eigene Vernichtung vor – zuerst die geistige, dann die materielle – und ist noch imstande, Gott dafür verantwortlich zu machen.
Johannes spricht in der Offenbarung von einer Stunde (18,10; 16,19). Dreimal unterstreicht er, dass die Herrlichkeit der Stadt Babylon (Irak) in einer Stunde zerstört, und damit der Welthandel ins Stocken geraten wird. Heute kann man sich gut vorstellen, dass so etwas im Bereich des Möglichen liegt. Sowohl Russland als auch Amerika und Europa sind viel zu stark im Nahen Osten engagiert, um nicht in diesen Konflikt hineingezoggen zu werden…
Die vorangegangenen Nahost- und Fernost- Kriege waren nur ein Geplänkel im Vergleich zu der Endschlacht, in der die Supermächte im Nahen Osten zusammenprallen werden.
Hesekiel 38, 15-16: So wirst du kommen aus deinem Ort, aus dem äussersten Norden, du und viele Völker mit dir, deren ein mächtiges Heer ist? Ja, du wirst wider mein Volk Israel heraufziehen, um wie eine Wolke das Land zu bedecken. Solches wird am Ende der Tage geschehen, dass ich dich wider mein Land heraufkommen lasse, damit mich die Heiden erkennen sollen . . .
Die beteiligten Nationen werden erst dann Gott erkennen, wenn sie am Boden liegen.

Der Kampf gegen Gott und seinen Gesalbten
Israel wird nach der Rückkehr in sein Land, wie es die Bibel vor etwa 2500 Jahren vorausgesagt hat, zum Weltproblem Nr. 1, zum Laststein für die ganze Welt.
Wie dieser Streit wider Gott und seinen Gesalbten ausgehen wird, wissen wir auch.
Und es soll geschehen an jenem Tage, daß ich trachten werde, alle Nationen zu vertilgen, die gegen Jerusalem kommen (Sacharja 12,9).
Aber der Herr wird ausziehen und streiten wider jene Nationen, dereinst am Tage seines Kampfes, am Tage der Schlacht (Sacharja 14,3).
Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, um Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferde sitzt, und mit seinem Heer (Offenbarung 19,19).

An der Seite des Tieres, das aus dem Abgrund heraufkam und dessen tödliche Wunde wieder heil wurde, dem der Drache Macht gab, um die Könige der Erde zu verführen und in seinen Bann zu ziehen, stehen die Könige der Erde in Ost und West, um gegen Israel in den Streit zu ziehen. Dabei merken sie nicht, daß sie gegen Gott und gegen seinen Sohn Jesus Christus kämpfen.
Aus allen Fehlern der Vergangenheit hat die Menschheit nichts gelernt. Sie will das Problem Israel und Gott aus der Welt schaffen. Damit dient sie den Absichten des Widersachers, denn er bemüht sich seit Jahrtausenden, das Problem Israel, das ein Hindernis und Fremdkörper in seinem System ist, zu vernichten.
Über dem Friedens und Kriegsapparat der Völker steht das Wort: vergeblich. Das läßt uns ahnen, wie tief die Nationen in diesem Labyrinth festgefahren sind. Die Welt kommt nicht an Gott und seinem Gesalbten vorbei, wie sehr sie sich auch drehen und wenden mag.
Auch hier ist eine Parallele zwischen Israel und den Nationen festzustellen. Beide werden erst dann den erkennen, den sie  beide  durchstochen haben, wenn sie durch das apokalyptische Feuer gegangen sind.

Die Tragödie auf der Weltbühne Jerusalem
Ein großer Tag, ein schrecklicher Tag, ein Tag des Feuers, ein finsterer Tag, das Tohuwabohu wird einbrechen (Joel 2, 12).
Für die Nationen wird dieser Tag die Stunde der Wahrheit sein. Doch aus diesem Chaos, in das die Welt hineingestürzt wird, aus dem Tohuwabohu, wird Gott in einem Augenblick einen herrlichen Tag machen (Sacharja 12,10), und zwar dann, wenn Jesus Christus eingreifen wird, um diese Tage zu verkürzen (Matthäus 24,22). Das wird der Anfang einer neuen Zeit sein, das Friedensreich wird anbrechen.
Jetzt eine menschliche Lösung zu suchen, hieße Gott zum Lügner machen, denn es geht hier um weit mehr als um die Stadt Jerusalem oder den Tempel  oder die Moschee. Es geht um die Ehre Gottes, um Wahrheit oder Lüge, um sein inspiriertes Wort, um Licht oder Finsternis.
Je eifriger die Nationen eine Kompromißlösung suchen, desto tiefer werden sie in dem Sumpf des Chaos versinken, und desto schneller ihre Selbstzerstörung herbeiführen.
Irren wir uns nicht, der Mensch kann die Grenzen und Gesetze Gottes nicht ungestraft überschreiten (Galater 6,7). Selbst wenn Gott es möchte, könnte er die Menschheit nicht vor dem kommenden Chaos bewahren, das würde seine Selbstverneinung bedeuten. Denn er hat ein für allemal dem Menschen die Gelegenheit gegeben, durch das Opfer seines Sohnes am Kreuz dem kommendem Zorn zu entrinnen. Wer dieses Angebot nicht angenommen hat, für den wird es keine Rettung geben, sondern nur ein Warten auf das Gericht (Hebräer 10, 29).
Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch ein Menschenkind, daß ihn etwas gereue. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten? (4. Mose 23, 19).

Gott hat Jerusalem erwählt (Sacharja 1,17; 2,16), doch auch Satan scheint diesen Ort zu beanspruchen (Sacharja 3,2). Nun suchen die Nationen eine Lösung dieses Problems. Ob sie sie finden werden? Ob Carter, Begin, Sadat, und wie sie auch immer heißen mögen, die Lösung hätten finden können?
Solange Jerusalem, mit dem Felsendom und der Al-Aqsa Moschee im Besitz Israels ist, wird die arabischislamische Welt nicht zur Ruhe kommen. Yasser Arafat hat am 9. 11. 78 alle Araber und Moslems zum Heiligen Krieg aufgerufen, um Jerusalem und die Moschee Al-Aqsa zu befreien.

Die arabische Welt, insbesondere Saudi Arabien, das den Vereinigten Staaten sehr wohl die Stirn bieten kann, verweigert dem Abkommen Carter-Begin-Sadat die Zustimmung, weil damit das Problem Jerusalem für die islamische Welt nicht gelöst ist. Erst wenn Jerusalem, vielleicht durch Verhandlungen, wahrscheinlich aber durch militärische Auseinandersetzungen, in den Händen des starken Mannes der Endzeit sein wird, werden die Nationen an der Seite des Tieres und des falschen Propheten aufmarschieren, um das Problem Israel durch die Endlösung aus der Welt zu schaffen.
Die Nationen werden sich auf die Seite des Tieres stellen, um in den Kampf gegen Gott und seinen Gesalbten zu ziehen (1.Thessalonicher; Sacharja 12; Hesekiel 38 + 39, Psalm 2).

Welch ein Zusammenprall!
Aus dieser Endschlacht wird der Friedefürst als Endsieger hervorgehen.
Doch gegenwärtig sind wir noch Zeugen einer Zusammenballung religiöser und militärischer Kräfte, wie die Welt sie noch nie gesehen hat. Darum wird auch der Konflikt der größte Konflikt der Weltgeschichte sein:
Denn alsdann wird eine große Trübsal sein, wie von Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist und auch keine mehr kommen wird. Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Mensch errettet werden (Matthäus 24, 2122).
Die Völker um Israel, und mit ihnen die Könige der Erde von Ost und West, werden zu diesem letzten Kampf um den Berg Morija aufmarschieren. Das Waffenlager um Harmagedon (Hesekiel 38) wird mit den neuesten und modernsten Waffen aus Ost und West beliefert. Wann die Schlacht stattfindet, ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Augen des Tieres sind nach dem Tempelplatz in Jerusalem gerichtet. Solange dieser Platz, und mit ihm Palästina, nicht befreit und nicht im Besitz des Tieres ist, wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben.
Faisal sagte: »Wenn wir die Welt bedrohen, so geschieht das nur, um Jerusalem zu befreien.«
Und Gott spricht: An jenem Tage will ich Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen. Alle die ihn heben wollen, werden sich daran wund reißen, und alle Nationen der Erde werden sich gegen sie versammeln (Sacharja 12, 23).

Zu jener Zeit wird die ganze Welt gegen Jerusalem sein. Die Stadt wird wieder von ihren Feinden eingenommen werden (Sacharja 14, 2). Der Friede kann nur auf der Grundlage und Ordnung hergestellt werden, die Gott gegeben hat. Wenn Israel zu der Erkenntnis gekommen sein wird, von der der Jude Paulus schreibt:
Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus (1. Korinther 3, 11), dann wird für die Welt das langersehnte Friedensreich anbrechen. Jede andere Grundlage des Friedens ist zum Scheitern verurteilt.
Nicht durch Heer und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist! spricht der Herr der Heerscharen (Sacharja 4, 6).

9.  DER AUSWEG

Die neue Gesellschaft
Die neue Gesellschaft, von der so viele Politiker träumen, bleibt utopisch, solange der einzelne Mensch nicht wiedergeboren ist durch den heiligen Geist. Die heutige Gesellschaft kann nicht besser werden, weil sie Jesus Christus ablehnt und sich immer mehr von dem Gott der Bibel entfernt. Das Abendland hat durch das Christentum in der Reformationszeit seinen Höhepunkt erreicht. Erst wenn dem christlichen Abendland alles genommen sein wird, weil es undankbar war und von Gott abgefallen ist, wird es begreifen, welche Kraft ihm geschenkt war. Nun aber ist es untreu geworden, und es ist zu spät, das Zerstörte wieder aufzubauen.
Weil das Abendland des Herrn Wort verworfen hat, hat der Herr es auch verworfen. Bevor ein Volk untergeht, hat es seine Götter getötet.
So steht über dem natürlichen Menschen, der den Geist Gottes ablehnt und sich nicht von ihm leiten, führen und strafen lassen will, das Wort Torheit. Er wird es nicht verstehen, er hat auch nicht die Fähigkeit dazu (1. Korinther 2, 1316).
Viele sollen gesichtet, gereinigt und geläutert werden, und die Gottlosen werden gottlos bleiben und kein Gottloser wird es merken; aber die Verständigen werden es merken (Daniel 12, 10).

Ein geistlicher Kampf
Der Kampf, der im Nahen Osten ausgefochten werden wird, ist geistiger und geistlicher Art. Er spielt sich zwar auch auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet ab. Doch aus keinem dieser Bereiche kann die Lösung kommen. Die Mächte der Finsternis werden durch den Geist Gottes in der Gemeinde Jesu in Schach gehalten. . . .

Der Zweck dieses Buches ist, allen, die Jesus Christus erwarten und seine Erscheinung liebhaben, vor Augen zu halten, wie weit der Zeiger an der Weltenuhr vorgerückt ist. Gleichzeitig dürfen Kinder Gottes aber auch ihre Häupter erheben, weil sie wissen und sehen, daß sich ihre Erlösung naht.

Vielleicht ist manchem beim Lesen bewußt geworden, wie ernst unsere Zeit ist und daß es keine andere Hoffnung gibt als eine klare Hinwendung zu Jesus Christus. Er allein ist unsere Hoffnung. Wer ihn in dieser letzten Zeit nicht in sein Herz und Leben aufgenommen hat, der wird in dieses plötzlich ausbrechende Chaos hineingezogen werden.

Abendland, quo vadis?
Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren;

es streit für uns der rechte Mann, den Gott selbst hat erkoren.

Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ,

der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott;

das Feld muß er behalten.   (Martin Luther)

Wo wird das christliche Abendland heute die Kraft finden, um dem gleichen Feind, der vor 296 Jahren vor den Toren Europas stand, die Stirn zu bieten?

Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren.
Der aber, der für uns streiten könnte, wurde ausgeschaltet. Wir können heute weder von einem christlichen noch von einem vereinigten Europa sprechen. Um Europa zu einigen, sollte man sich auf etwas anderes als auf Handel, Politik und Militär stützen. Die Kraft, die uns hätte einigen und retten können, wurde durch die Weisheit dieser Welt ausgeschaltet.

Das Vakuum, das durch Politik und Religion geschaffen wurde, wird durch einen neuen Geist ausgefüllt. Irren wir uns nicht, schwere Gewitterwolken hängen drohend über uns. Wir können schon den Donner hören, der das Gericht über eine abgefallene Welt ankündigt. Die christlichen Länder werden am schlimmsten betroffen; denn sie sind am meisten von dem Öl abhängig, das aus den Ländern am Persisch-Arabischen Golf kommt.

Serge Tarasenko, Thermonuklearforscher, sagt: Ist die Energie also doch eine Religion? Gewiß!
Christus wurde aus allen Gebieten unseres Lebens verdrängt, aus unseren Familien, in denen wir uns nicht mehr um die Bibel zusammenfinden und in denen wir nicht mehr mit unseren Kindern beten, ebenso wie aus den Regierungen. Wo gibt es noch Politiker, die den Mut hätten, vor ihren Debatten zu beten?
In Saudi-Arabien ist das Gebet heilig, fünfmal am Tag schließen die Geschäfte, und die Politiker unterbrechen ihre Arbeit, um ihre Gebete zu verrichten. Wenn wir dann noch in Betracht ziehen, daß in der liberalen Theologie der biblische Christus ausgeschaltet wurde, müssen wir uns ernstlich fragen: Abendland, quo vadis?
Im 1. Korintherbrief lesen wir:
Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen. Wo ist der Weise dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? (1. Korinther 1, 20).

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Gotteskraft (1. Korinther 1, 18).

Der Ausweg
Die Menschheit sucht einen Weg aus dem von ihr selbst angelegten Labyrinth, in das sie durch eine Gott ist tot  Philosophie hineingeraten ist.
Je mehr sie sucht, sich aus diesem Labyrinth zu befreien, desto mehr verirrt sie sich darin. Der Weg in die Freiheit führt nur über Jesus Christus, den Sohn Gottes, und über Golgatha. Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die Entscheidung, aus dem Labyrinth herauszukommen, kann nicht kollektiv getroffen werden, sondern nur persönlich.
Darum ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur: das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden (2. Korinther 5, 17).
Denn einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus (1. Korinther 3, 11).
Das Angebot Gottes, die Welt aus dem Chaos herauszuführen, wurde von der Welt abgelehnt. Nicht nur Israel, auch die christlichen Heiden lehnen den biblischen Jesus Christus, ihre einzige Rettung, ab.

Die Gemeinde Jesu besteht nur aus Freiwilligen, die sich bewußt unter die Führung Jesu Christi stehen. Es ist jedoch unmöglich, daß die ganze Menschheit, auch die sogenannte christliche, sich diesem Herrn freiwillig unterstellt. Darum ist die Vorstellungvon einem Reich Gottes auf der Erde in dieser Weltzeit, wie es in Kirche und Theologie jahrhundertelang verkündigt worden ist, eine Utopie. Wir müssen erkennen:

Erstens, daß Israel eine endgeschichtliche Aufgabe hat.
Zweitens, daß die Zeit der Nationen ein Ende haben wird.
Drittens, daß die Gemeinde Jesu keine irdische Institution ist. Sie hat keinen politischen Auftrag; denn sie ist aus der Welt herausgerufen.

Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt haßt sie; denn sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin (Johannes 17, 14).

Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihrige lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt heraus erwählt habe, darum haßt euch die Welt (Johannes 15, 19).

Wie Israel offensichtlich ein Fremdkörper in der Welt des Nahen Ostens ist, so ist auch die Gemeinde Jesu auf geistlichem Gebiet ein Fremdkörper.
Wie soll also das Reich Gottes auf Erden gebaut werden, wenn die wahren Bürger dieses Reiches als Fremdkörper ausgestoßen werden? Deshalb bereitet sich der wahre Christ nicht auf ein irdisches, religiöses, politisches oder ideologisches Reich vor, sondern auf ein unsichtbares, himmlisches und unvergängliches (Hebräer 11, 9-16).

Wenn wir Gottes Wort als Wahrheit anerkennen, haben wir die einzig gültige Richtschnur. Eine andere gibt es nicht.
Noch sind wir in der Zeit der Gnade, die Tür in die Gemeinde Jesu ist noch für alle offen: Juden, Heiden und Moslems, für jeden, der an den eingeborenen Sohn Gottes glauben will (Johannes 3,16-19).

Aber diese Zeit der Gnade neigt sich ihrem Ende zu. Gehören wir zu diesem Leib Jesu Christi? Können wir mit dem Apostel Paulus sprechen:
Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet den Glauben bewahrt. Hinfort liegt für mich die die Krone der Gerechtigkeit bereit, welche mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tage zuerkennen wird . . . (2. Timotheus 4, 7-8).
Die Ereignisse in Politik und Wirtschaft zeigen uns, dass dieser Tag nahe vor der Tür steht. Der Kampf wider Gott und Seinen Gesalbten hat begonnen. Der, der es noch aufhält, muss hinweggetan werden: der Leib Christi, (die Ekklesia), und mit ihm der Heilige Geist (2. Thessalonicher 2, 7-12).
Das ist die Hoffnung der Gläubigen. Während die Welt der Zerstörung entgegengeht, darf der Christusgläubige voll Mut und Freude getrost in die Zukunft blicken.
Seid getrost und unverzagt, alle, die ihr des Herrn harrt! (Psalm 31, 25).

Und ich sah Throne, und sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben; und ich sah die Seelen derer, die enthauptet worden waren um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen, und die das Tier nicht angebetet hatten noch sein Bild, und das Malzeichen weder auf ihre Stirn noch auf ihre Hand genommen hatten; und sie lebten und regierten mit Christus tausend Jahre (Offenbarung 20,46).

Dann erst wird für die Menschheit das ersehnte und erwünschte Friedensreich kommen, in welchem Gerechtigkeit herrscht. Aus diesem von allen monotheistischen Religionen begehrten Jerusalem wird die Gerechtigkeit, der Glaube, der Friede und das ewige Wort Gottes hervorgehen.

Der Herr wird Richter sein über die Nationen und alle Völker strafen. Dann wird die Weissagung des Propheten Jesaja, die an dem UNO-Palast in New York steht, in Erfüllung gehen:
Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Rebmessern verschmieden; kein Volk wird wider das andere ein Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen (Jesaja 2, 14).

Jesus Christus ist unser Friede! (Epheser 2, 14; Jesaja 9, 5; Hebräer 7, 2).

Die Hervorhebungen wurden von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im März 2008

Ergänzende Auslegungen zum Prophetischen Wort:
1. Christus und die Welt des Antichristen (Pfr.W.Borowsky)
2. Untergang des Abendlandes? (W. J. Ouweneel)
3. Der Antichrist (René Pache)

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