Deutschland – Ende d. chr. Äons (Rohrmoser)

Günter Rohrmoser

Das Ende des christlichen Geschichtsäons und die Aktualität Luthers

– Kapitel 9 des Buches DER ERNSTFALL, leicht gekürzt von Horst Koch, Herborn, im Jahre 2010 –

In unserem Lande haben Ereignisse stattgefunden, die der Frage nach dem Ende des christlichen Geschichtsäons eine so nicht erwartete Aktualität verliehen haben. Im Kontext der Betrachtung des Abtreibungsproblems haben wir dieses Phänomen bereits angedeutet. Aber der Entchristlichungsprozeß zieht noch viel größere Kreise. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus bedeutet, daß nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus 1945 der zweite große weltgeschichtliche Versuch, den Atheismus mit allen Mitteln eines modernen Staates zu verwirklichen und das Christentum mit seinen Wurzeln auszurotten, gescheitert ist. Was folgt daraus?

Wenn wir heute von den Vorfällen in Rußland und in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sprechen, beschäftigen uns Finanz-, Sozial- und Nationalitätenprobleme sowie die Probleme bestimmter politischer Persönlichkeiten. Der Umbruch von 1989 wird so gedeutet, als habe hier nur ein sozioökonomisches System versagt. Die neue Frage wäre dann, ob man nicht durch einen Transfer von organisatorischen Hilfen und Finanzmitteln ein anders organisiertes Modell an die Stelle des alten setzen kann.

Weshalb entspricht diese Sicht nicht der wirklichen Herausforderung? Weil viel mehr gescheitert ist: Gescheitert ist der Versuch, das Christentum durch eine neue Welt und einen neuen Menschen zu ersetzen. Für dieses quasireligiöse Projekt waren die Machthaber der früheren Sowjetunion bereit, viele Millionen Menschen zu opfern. Die Zahl der Menschenleben, die  abgesehen von den Kriegseinwirkungen für dieses Experiment eines radikal verwirklichten Atheismus geopfert wurden, wird heute auf 40 bis 60 Millionen geschätzt.

Nachdem dieses atheistische Imperium zusammengebrochen ist, wird etwas kaum für möglich Gehaltenes sichtbar, denn es stellt sich heraus, daß die Kräfte der Geschichte, der Nation und der alten christlich-orthodoxen Tradition Rußlands zu machtbestimmenden Faktoren werden. Sie konnten auch durch einen 70-jährigen Terror nicht vernichtet werden, und Rußland besinnt sich heute auf seine historischen und christlichen Quellen zurück.

Nach den Zusammenbrüchen sowohl des nationalsozialistischen als auch des kommunistischen Atheismus stellt sich die Frage, welche Folgen denn unser liberaler Atheismus haben wird. Wo ist die Volkskirche in Deutschland geblieben? Haben wir denn noch das Recht, von einem christlichen Volk, gar von einem christlichen Deutschland und damit von der Volkskirche zu sprechen? Hat nicht diese Rede ebenso ihren Anhalt in der Wirklichkeit verloren wie die Ansprüche des Nationalsozialismus und Kommunismus?

Ich hatte nach 1945 persönlich den Eindruck, daß die Deutschen wie zu keinem anderen Zeitpunkt seit der Reformation im Begriff waren, zu verstehen, wie sehr sie sich von ihrem eigenen christlichen Ursprung getrennt hatten. Der Nationalsozialismus mit seiner terroristischen Vernichtung von Millionen von Menschen war nur als der Endpunkt eines Prozesses der Entchristlichung Deutschlands und des deutschen Volkes zu begreifen. Nie seit der Reformation waren wir so sehr bereit, zu erkennen, daß der Glaube nicht nur den einzelnen in seiner Innerlichkeit betrifft, sondern daß es sich hier um die größte Macht der Geschichte handelt, an der sich das Los der Völker entscheidet. Es ist nicht nur eine Frage nach christlichen Minderheiten, nach den letzten treuen Christen, die noch dem Zeitgeist standhalten. Wenn es nur um den Kampf gegen den Zeitgeist ginge, wäre die Gefahr weniger groß. Es geht aber um das Schicksal, um das Sein oder Nichtsein von Völkern und Kulturen!

Es schien mir 1945, daß ein Bewußtsein von dieser schicksalhaften Bedeutung des Verhältnisses des deutschen Volkes zu seiner christlichen Herkunft erwacht wäre. Erst mit der Währungsreform 1949 trat nach meinem Eindruck ein fast schlagartiges Vergessen, eine nahezu vollständige Ablenkung aller Kräfte durch den wirtschaftlichen Wiederaufbau ein.

Ein zweites wichtiges Zeichen der Zeit fand damals statt. Die Erfahrung des Nationalsozialismus führte zum ersten Mal überhaupt zum Zusammenschluß von Christen aller Konfessionen in einer politischen Partei, der CDU. Der tragende Wille dieser einzigartigen politischen Neuschöpfung war, einen Rückfall in die atheistische Barbarei des Nationalsozialismus zu verhindern. Es sollte dafür gesorgt werden, daß es in Deutschland nie wieder zu einer solchen Vernichtung aller Grundlagen elementarer Sittlichkeit kommen würde.

Wie steht es im Lichte dieses Anfangs heute mit uns? Was ist die Wirklichkeit des christlichen Glaubens in unserer Gegenwart? Wenn ich das öffentliche Leben, die Diskussionen, Talkshows, Darstellungen der öffentlichen Kultur verfolge, habe ich den Eindruck, daß wir im deutschen Volk gegenwärtig einen Grad der Entchristlichung erreicht haben, der möglicherweise über das hinausgeht, was die Nationalsozialisten in zwölf Jahren bewirken konnten. Woran liegt das?

Heute beruft man sich auf den »Zeitgeist«, wenn erklärt werden soll, weshalb der Geist des Liberalismus eine totale Herrschaft über unsere Gesellschaft errungen hat. Immer wieder wird dieser merkwürdige, aufdringliche, anonyme Bursche »Zeitgeist« zitiert. Es wird behauptet, daß der Zeitgeist darüber entscheidet, was Inhalt christlicher Lehre sein darf und was nicht. Ich weiß nicht, was der »Zeitgeist« ist; vielleicht ist er ein Teil der Dämonen und Gewalten, von denen Paulus sagte, daß ihnen der Mensch unterworfen sei, daß diese ihn verfinstern und daran hindern, den klaren Blick für die Wirklichkeit zu behalten.

Was bedeutet aber in Wirklichkeit die unumschränkte Herrschaft des Liberalismus im gesellschaftlichen Leben?
Der durch keine Gegenkraft begrenzte Liberalismus läßt die Frage nach den Prinzipien und nach der Einheit des Lebens nicht mehr zu. Der Liberalismus hat zu einer vollständigen Pluralisierung der Lebensstile, der Glaubensüberzeugungen und selbst der sogenannten »Werte« geführt. Mit der Pluralisierung ergab sich notwendigerweise auch die Individualisierung der menschlichen Lebensformen, was sowohl Egoismus als auch Vereinsamung bedeuten kann. Jede Form von Einheit, geschweige denn von Gemeinschaft über das bloße wirtschaftliche Interesse hinaus, wurde einem Prozeß der konsequenten Auflösung unterworfen. Gerade diejenigen Politiker, die diese radikale Pluralisierung und Individualisierung gefördert haben, stellen heute voller Entsetzen die Frage, woher die schreckliche Entsolidarisierung und der Geist des Egoismus kommen; dies in einer Situation, in der wir, wie noch nie seit 1945, vor Aufgaben stehen, die nur gemeinsam durch die solidarische Kraft der ganzen Nation bewältigt werden können.

Diese Individualisierung und das mit ihr verbundene Freiheitsprinzip sind Ausdruck einer geschichtlichen Entwicklung, die Max Stirner, ein Philosoph des 19. Jahrhunderts, in seinem Buch »Der Einzige und sein Eigentum« charakterisiert hat. Es ist die Tendenz, daß jeder einzelne sich mit seinen Bedürfnissen, seinen Interessen und Ansprüchen selbst zum Absoluten erklärt und jede Beschränkung seines Willens zur Erfüllung der eigenen Ansprüche als eine unerträgliche Einschränkung seiner Freiheit versteht. Nietzsche hat diese Tendenz die »atomistische Revolution« genannt, das heißt die Auflösung aller innerlich zusammenhaltenden, Gemeinschaft schaffenden Kräfte.

Man könnte aufgrund der öffentlichen Selbstdarstellung der Kirchen in Deutschland den Eindruck gewinnen, daß sie zum überwiegenden Teil vor diesem Trend antizipierend kapituliert haben. Nur teilweise reagieren sie noch reflexartig dagegen, häufiger sieht man sie öffentlich zur Verwirklichung dieser Grundbewegung der Geschichte an der Spitze voranschreiten, einer Grundbewegung, welche die tiefsten Denker des 19. Jahrhunderts darauf zurückführten, daß wir nunmehr in ein nachchristliches Zeitalter eingetreten seien.

In der liberalen Bundesrepublik ist der Prozeß der faktischen Ausscheidung des Christentums aus allen entscheidenden kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Bereichen unseres Lebens mittlerweile so weit fortgeschritten, daß vom Ende des Volkskirchentums in unserem Lande gesprochen werden muß.

Die Frage nach dem Ende des christlichen Geschichtsäons bedeutet zwar nicht das Ende der Kirche Jesu Christi  von der wissen wir, daß die Mächte und die Gewalten der Hölle sie nicht überwinden können; über die Zukunft der Kirche Jesu Christi brauchen wir uns in diesem Sinne keine Sorgen zu machen, denn wenn die Menschen abgefallen sind, wird Gott auch aus den Steinen die Zeugen seiner Wahrheit machen, mit der Frage nach dem Ende des christlichen Geschichtsäons ist vielmehr die Frage gemeint, ob der christliche Glaube die Kraft verloren hat, die Geschichte und damit das Schicksal der Menschheit noch mitzugestalten. Es gibt viele Symptome, die dafür sprechen. Es gibt auch immer wieder die Frage nach den Verantwortlichen, die daran schuld sein sollen. Auch Christen haben immer wieder die Neigung, die böse Welt und die böse Gesellschaft anzuklagen. Dieses Klagelied zu wiederholen ist allerdings sinnlos. Man muß sich die Zustände in der Christenheit selbst, ja, sogar die Lehre der Kirchen ansehen. Dazu möchte ich zwei Thesen formulieren:

Was sich nach dem Kriege in Deutschland entwickelt hat, ist eine Gesellschaft, die dabei ist, alles zu revidieren, was als Grundlage für ihren Aufbau von Bedeutung war. Die zunehmend postmodern sich verfassende Gesellschaft ist die Konsequenz eines seit langem andauernden Prozesses der Individualisierung. Das ist das Zeitalter Max Stirners: Jedes Individuum ist im Verhältnis zu sich selbst das Absolute. Wenn dieser Prozeß der Individualisierung und des Hedonismus sich weiter durchsetzt, muß das zwangsläufig zur inneren Auflösung der Gesellschaft führen. Nietzsche sah, daß aus dem Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft, aus der Selbstzersetzung der bürgerlichen Kultur die atomistische Revolution hervorgehen und die Gesellschaft sich in Anarchie auflösen werde. Die Individuen sind nicht mehr bereit, irgendeine durch die Geschichte gewordene Autorität anzuerkennen.

Aber die Frage nach dem möglichen Ende des christlichen Geschichtsäons ist nicht eine Frage, die sich erst unter dem Eindruck der totalitären Experimente des Nationalsozialismus, des Kommunismus und in gewisser Weise auch dieser individualistischhedonistischen Gesellschaft stellt. Die These vom Ende des christlichen Geschichtsäons wurde schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts, zwischen 1840 und 1850, thematisiert. Also zu einem Zeitpunkt, an dem die realgeschichtlichen Auswirkungen der Französischen Revolution auch außerhalb Frankreichs sichtbar wurden. Philosophen aus ganz Europa stellten damals unabhängig voneinander, aber geschichtsphilosophisch fast gleichzeitig  fest, daß das christliche Weltalter in die Vergangenheit zurücksinkt. Sie alle sahen in der Französischen Revolution die entscheidende Zäsur. Das christliche Weltalter ginge mit der Französischen Revolution zu Ende.

Und was tritt an die Stelle des untergehenden christlichen Weltalters? Tocqueville spicht von einem Sieg der Demokratie. Die neue Gefahr, die mit dieser vordringenden Demokratie verbunden ist, liege darin, daß die Freiheit des einzelnen in der Gleichheit der Demokratie verschwinden könnte. Wenn die Freiheit unter den Bedingungen demokratischer Gleichheit ihre Wurzeln nicht im christlichen V erständnis von Freiheit haben werde, das heißt sich nicht auf das christliche Verständnis der Person stützt, dann werde der Sieg der Demokratie das Ende der Freiheit bedeuten.

Dostojewskij prophezeite den Siegeszug des Sozialismus für die Zeit nach dem Untergang des christlichen Weltalters. Was er mit Sozialismus meinte, das war die Herrschaft der Wissenschaft über die Gesellschaft. Die Wissenschaft wird das Interpretationsmonopol übernehmen, das einst das Christentum innehatte. Dostojewskij sah aber auch schon die Selbstzerstörung dieses Sozialismus voraus.
Und für Kierkegaard bedeutete das Ende des Christentums, daß es morgen keine moralische und auch keine politische Autorität mehr geben werde. Wenn es keine Autorität mehr gibt, dann wird sich für diese aus dem Zerfall des Christentums herausbewegende Gesellschaft die Frage stellen, ob sie noch regierbar ist. Die unregierbare Gesellschaft müsse sich dann retten in ihr einziges Prinzip, das noch um der Integration der Gesellschaft willen übrigbleibt, nämlich das Prinzip der Organisation.
Die Organisation wird dann an die Stelle der geschichtlichen Autoritäten treten. Organisation, so Kierkegaard, bedeute zwar numerisch eine Stärkung des Menschen, aber seelisch seine Demoralisierung, möglicherweise seine Vernichtung. Denn in der nach der Zahl sich organisierenden Welt wird der einzelne das absolut Nichtige sein, weil jede Organisation den einzelnen nach dem Prinzip seiner völligen Ersetzbarkeit und Substituierbarkeit wahrnimmt. Kierkegaard hat als erster die tiefe Inhumanität einer Welt erkannt, in der jeder einzelne nichtig, weil ersetzbar ist. Deshalb war er der Meinung, daß er an den einzelnen erinnern sollte. Die einzige Wirklichkeit des Menschen sei der einzelne, alles andere sei eine Abstraktion. Die Kierkegaardsche These war, daß die moderne Welt das Opfer ihrer eigenen Abstraktion sein werde.

Eine weitere These Kierkegaards lautet – und diese These ist bis heute aktuell- , daß die Christenheit bestehe, aber das Christentum verschwunden sei.
Die Form bestehe noch, aber der Geist und die Substanz seien verschwunden. Nietzsche versucht auf diesen Skandal aufmerksam zu machen, daß nämlich das Christentum sich nur noch durch den Schein am Leben hält, den es von sich selbst erzeugt. Wie macht man auf diesen Skandal aufmerksam? Für Kierkegaard ist dieses Übel nicht durch eine Reform zu beheben. Der Mensch müsse begreifen, daß er Mensch und nicht Gott ist.
Dieses ist eine uralte Wahrheit, und es kommt nur darauf an, sie wieder zu erkennen und uns in sie einzuüben. Die Kierkegaardsche Philosophie ist keine Theologie, sondern eine Kunst der Einübung in die Aneignung der Wahrheit, die bekannt ist, aber durch die Subjektivität noch nicht angenommen wurde. Das Problem ist, aus dieser modernen, alles auflösenden, die Fundamente zersetzenden Reflexion wieder zurückzufinden zu einer religiösen Leidenschaft als dem allein Rettenden. Daß etwa das Leben heilig und das ungeborene Leben unantastbar ist, ist keine durch moderne, rationale Reflexion einem Menschen anzudemonstrierende Wahrheit. Aber es ist eine der Wahrheiten, mit der das Christentum, aber auch eine humane Gesellschaft, steht und fällt.

Wenn man unsere Lage theologisch charakterisieren sollte, dann muß man mit dem Kulturtheologen Troeltsch sagen: »Alles wackelt.«
Nach Troeltsch sind wir in eine Phase der Christentumsgeschichte eingetreten, die er das Ende des dogmatischen Zeitalters nennt. Selbst die Kirchen und Theologen geben in Anpassung an den Zeitgeist mehr und mehr die christlichen Dogmen preis. Heute gibt es keine Diskussion mehr über das Christentum, sondern es gibt nur noch Meinungen. Jeder kann sich nach seiner subjektiven Erfahrung aus der Konkursmasse der aufgelösten Dogmatik des Christentums das heraussuchen, was ihm einleuchtet.  . . .

Was 2000 Jahre für die Christen, bei allen konfessionellen Unterschieden, das gemeinsam Verbindliche war und als die Wahrheit angesehen wurde, ist heute nahezu verschwunden. Gott ist nur noch ein Postulat, damit der Mensch mit seiner Angst fertig werden kann. Mit einem solchen Gott, dem keine Wirklichkeit mehr zugesprochen wird, kann keiner leben und noch weniger sterben. Alle christlichen Wahrheiten – Schöpfung, Erlösung, Auferstehung – sind in Frage gestellt.
Die Kraft, aus der Christen einst gelebt haben und gestorben sind, hängt aber an diesem Auferstehungsglauben. Wir meinen heute, die Realität der Auferstehung negieren zu müssen, weil die Naturwissenschaften von keiner Auferstehung berichten können. Noch fataler ist, daß das Christentum sich selbst nicht mehr als eine wirkliche Erlösungsreligion versteht. Wenn aber das Christentum keine Erlösungsreligion mehr ist, dann ist es eine Ideologie.

Das Christentum steht und fällt damit, daß es um die Erlösung geht. Ende des dogmatischen Zeitalters bedeutet, daß das Kernstück des christlichen Glaubens in der theologischen Reflexion, nämlich die sogenannte Lehre von der Rechtfertigung, jede Plausibilität verloren hat. Alle die um diese Lehre herum gebildeten zentralen theologischen Kategorien – Sünde, Gesetz, Erlösung – sind unverständlich geworden. Hinter dem Ende des dogmatischen Zeitalters des Christentums verbirgt sich das Ende einer Gestalt des Christentums, das sich von Paulus und Luther herleitet. Die eindringlichste Manifestation dieses Endes des paulinischen Zeitalters ist, daß aus unserem Christentumsverständnis das Gesetz entfernt ist.
Wir können nicht mehr sagen, was theologisch mit Gesetz gemeint ist. Luther war es, der uns einen Begriff von Evangelium und Gesetz überlieferte. Um Gesetz und Evangelium, ja, um überhaupt den Geist des Christentums verstehen zu können, kommen wir nicht umhin, uns Luther zuzuwenden.
Was würde Luther in dieser Lage tun? Wir können diese Frage nicht beantworten, weil wir Luther selbst nicht fragen können. Wir können uns aber vergegenwärtigen, was die tiefsten Wurzeln für das Wirken dieses Mannes waren und was dem deutschen Volk aus dem Entschluß dieses Mannes zur Tat für ein unendlicher Segen erwachsen ist. Auch in den Deutschen hat sich der Gott der Bibel nicht unbezeugt gelassen, und die Verachtung der deutschen Geschichte, als sei sie von Anfang an vom Geiste Nietzsches bestimmt worden, lästert dieses Wirken Gottes. Größe und Elend der Deutschen hängen nicht in erster Linie mit dem Wirken Luthers selbst zusammen, sondern mit dem, was Deutsche aus seinem Werk gemacht und wie sie es verstanden haben.

Was ist der uns heute angehende Kern dieses Werkes? Es ist die von ihm wiederentdeckte Wahrheit der frohen Botschaft, es ist das Evangelium selbst. Luther wußte, daß die Kirche, die eigene Kirche und Gemeinde, immer die schwerste Form der Anfechtung für den Christen bedeutet. Wir haben diese tiefe Einsicht im allgemeinen vergessen und durch eine modische Friedlichkeit ersetzt. Luther hätte sich über Zustände wie die heutigen gar nicht gewundert, denn er hat vielfältig zum Ausdruck gebracht, daß der Antichrist die Neigung hat, seine Herrschaft gerade in der Mitte der Kirche zu errichten. Wir dürfen nicht vergessen, daß Luther den Kampf gegen die damalige Gestalt der Kirche als den Kampf gegen die Herrschaft des Antichristen in der Kirche geführt hat.

Luther wußte auch, daß die damalige politische und soziale Situation verzweifelt war. In dieser Lage hat er nicht überlegt, welche Kirchenreform vielleicht geeignet sei, er hat keine politischen Programme entworfen oder soziale Hilfswerke organisiert, sondern hat sich dem Wort zugewandt. Er hat wochenlang in einem ihn innerlich zerreißenden Kampf um das Verständnis eines einzigen Bibelwortes gerungen und damit um die Frage der Wahrheit.

Um die Wahrheit muß gekämpft und gerungen werden, und zwar in einem geistigen Kampf, denn die Heilige Schrift bezeugt, daß die Wahrheit allein frei macht.
Die Zukunft in unserer Welt wird jenen Mächten gehören, die von ihrer Wahrheit am überzeugtesten sind. Wenn das Christentum aus dem deutschen Volk weichen sollte, eine öffentlich wirksame, ja, politische Kraft zu sein, wird dieses Vakuum nicht leer bleiben.
Wir werden die liberalen Champagnerarien nicht noch weitere Jahrzehnte singen können, sondern werden Missionsland außereuropäischer Religionen werden, zuletzt wahrscheinlich Jünger Allahs.
Wenn die Kirchenleitungen heute meinen, den Begriff Mission streichen zu müssen,
werden wir von anderen erfolgreich missioniert werden. Wenn wir meinen, unsere Freiheit sei nicht mehr mit der Furcht Gottes zu vereinbaren, werden andere uns wieder zur Gottesfurcht zurückführen. Die Furcht Gottes ist aller Weisheit Anfang. Wenn sie nicht am Anfang steht, werden wir alle kleine Götter. Hitler und Stalin waren solche menschlichen Götter, die sich anmaßten, über Leben und Tod von vielen Millionen Mitmenschen zu entscheiden.
Woher nahmen sie die Gewißheit, dieses Recht zu haben? Es ist das Recht, das übrigbleibt, wenn die Furcht vor dem Herrn stirbt und das Volk gottlos wird. Das ist eine Botschaft, die sich durch die ganze biblische Tradition zieht, und es ist kein Glaube, sondern die harte Realität der Geschichte. Wir haben diese Realität erlebt, aber tun so, als hätten wir sie vergessen.

Was hat Luther in seinem Kampf um die Wahrheit hervorgeholt? Die rettende, befreiende, segensreiche Botschaft, das Evangelium selbst. Nicht das geschriebene Wort der Bibel hat er hervorgeholt, sondern, wie er sagt, die »viva vox«, das lebendige Wort, das »Geschrei des Evangeliums« nennt er es sogar. Es wird, wenn freigesetzt, wie lebensbringendes Wasser auf ein dürstendes Land fallen, wie lebendiges Wasser in den verdorrten Seelen aufgehen, selbst und gerade dann, wenn die Leiber übersättigt sind.

Warum lag Luther an diesem lebendigen Geschrei? Warum dürfen wir keine Fundamentalisten sein, die wie die Moslems die Schriftform verehren? Weil das lebendige, heilende, befreiende Wort Gottes aus der Gabe des Heiligen Geistes fließt. Das lebendige Wort ist nicht mit dem geschriebenen Buchstaben identisch und ist nicht ohne die Gegenwart des Geistes selbst zu haben. Das lebendige Wort ist der Durchbruch des Geistes, und die Christen sollten die Träger der Vollmacht des Geistes sein. Geistesvollmacht ist die einzige Kraft, die eine Zukunft des Christentums für unser Volk verbürgen kann.

Was lag Luther am Evangelium? Er wußte, daß es die Wurzel der Freiheit ist! Es ist die Gabe und Kraft Gottes, die den Menschen befreit, ja, die Freiheit des Menschen selbst erst befreit. Nur das Evangelium kann die natürlichen, intellektuellen, bürgerlichen Freiheiten des Menschen freisetzen und zur wirklichen Freiheit für den Menschen machen. Die ganze moderne Welt steht und fällt damit, ob sie begreift, was Luther mit dieser Freiheit gemeint hat. Er hat nichts anderes gemeint, als daß die lebendige Kraft des Evangeliums die Menschen von Sünde, Tod und Teufel frei macht.

Das ganze Problem besteht darin, daß wir diese Sprache nicht mehr verstehen. Es ist kein Problem der Sache. Die Geistmächtigkeit unserer Theologen müßte sich darin erweisen, daß sie diese Mächte – Sünde, Tod und Teufel – heute als reale und uns versklavende Mächte unter uns aufdeckten. Das Christentum hat sich in der antiken Welt durchgesetzt und deren absterbende Kultur überwunden, weil seine Mitte die Botschaft der Auferstehung war. Auferstehung heißt, daß die Christen von einer Macht herkommen, die den Tod überwunden hat! »Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?« Unter den Christen ist heute dieser Lebensmut erstorben, der damals die niedergehende Kultur erneuerte. Das ganze orthodoxe Christentum ist bis heute, wo es lebendig ist, eine einzige Siegesfeier auf den Ruf »Christ ist erstanden!«. Aus dieser Kraft hat das russische Volk letztlich auch die grauenhaften Jahre des Sozialismus überstanden.

Luther geht noch einen Schritt weiter. Warum ist es denn so wichtig, daß es in dieser Welt Christen gibt?
Weil der Welt das Heil zu ihrer Rettung verkündigt werden muß! Weil die Christen, wie Luther in Übereinstimmung mit Paulus sagt, durch ihre Freiheit an der Kraft Gottes Anteil gewinnen. Sie gewinnen Anteil an der alles tragenden Kraft, die das Sein aus dem Nichts hervorgerufen hat! Diese Kraft wird die Zeugen von Gottes Heilswort auch aus den Steinen erwecken, wenn sie sie nicht lebendig unter uns findet.

Die Kraft des Gebets hängt davon ab, ob wir Gott etwas zutrauen. In den zweitausend Jahren Geschichte des Christentums haben die Menschen einzig deshalb für den Glauben nicht nur gelebt, sondern sind auch für ihn gestorben, weil sie Gott etwas zutrauten. »Gott handelt!« lautet die erste Grundaussage der ganzen biblischen Tradition. Gott ist kein Gähnemaul. Gott ist kein »jenseitiges Gespenst«, wie Hegel in der Einleitung zu seiner Rechtsphilosophie die Sicht der modernen Welt treffend kritisierte. Er ist mit seiner alles umgreifenden und erfüllenden Wirksamkeit da. Christ sein bedeutet, an diesem Gott und seinem Willen zum Heil Anteil zu gewinnen. Luther hatte begriffen, daß an der Kraft des Gebets auch das Heil der Welt hängt, und je weniger Menschen beten, desto mehr hängt das Heil an den wenigen, die beten. Es ist so, wie Reinhold Schneider angesichts des Nationalsozialismus sagte: Nur die Beter könnten es noch wenden.  . . .

Nach Luther ist der »Christenmensch ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan«. Er ist aber auch »ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan«. Das heißt, daß sich diese Freiheit nicht in der Willkür, der Tyrannei und der Gängelung anderer, sondern im Dienst bewährt. Damit hat die Reformation Kräfte der Sittlichkeit entbunden, aus denen alle besseren Zeiten  und alle Kulturleistungen hervorgegangen sind, welche die Deutschen seitdem für die Menschheit hervorgebracht haben. Das 20. Jahrhundert hat uns gelehrt, wie die Deutschen sich durch die Abwendung von dieser Sittlichkeit ihre großen Katastrophen selbst bereitet haben.

Die Frage, die mich heute bewegt, ist, ob wir nicht dabei sind, uns erneut eine Katastrophe zu bereiten. Diesmal wird die real existierende, organisierte Kirche kein Licht in der Nacht und kein Widerstand sein. Das Neue der Situation besteht darin, daß die Erosion der Substanz christlichen Lebens und christlicher Lehre in den Kirchen fast vollständig ist.

Wer heute die Diskussionen über die Geschichte der Kirche und des Christentums hört, könnte den Eindruck gewinnen, daß all diese zweitausend Jahre eine einzige Folge des Verbrechens, der Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen gewesen seien. Vor allem die Frau müsse sich jetzt befreien, müsse in einen neuen Kampf um die Macht eintreten, um sich den gerechten, ihr zweitausend Jahre lang vorenthaltenen Anteil zurückzuerobern.
Jeder Kulturhistoriker weiß dagegen, daß es keine Kultur und keine Kirche gibt, die soviel für die Würde der Frau getan hat wie die christliche. Sicher ist, wie zu allen Zeiten, die Dienstwilligkeit und Bereitschaft von Frauen auch von Christen ausgenutzt worden. Aber welcher Segen hätte aus dem gegenwärtigen geistigen Aufbruch der Frauen hervorgehen können, wenn er sich nicht in die abgestandenen Gewässer überholter Ideologien und vorchristlicher Naturreligiosität hätte abdrängen lassen. Der Feminismus geht heute in seiner verbohrten Feindschaft teilweise so weit, daß er bereit ist, sogar die Stellung der Frau im Islam gegenüber dem Christentum als eine ernstzunehmende Würdigung ihres Geschlechts zu empfinden.  . . .

Zum Glück ist es so, daß die Diskussion über die historische Bedeutung Martin Luthers ja nicht erst seit 1945 in Deutschland geführt wird, sondern, daß die Geschichte der Reformation und ihrer Auswirkungen seit ihren Anfängen, über die Orthodoxie, die Aufklärung, den deutschen Idealismus auch im 19. Jahrhundert, bestimmt gewesen ist durch eine ständige Auseinandersetzung mit Luther. Alle Epochen der deutschen Geschichte haben Entscheidendes über ihr Selbstverständnis ausgesagt in dem Bild, das sie von Luther gehabt, und der Interpretation, die sie ihm gegeben haben.  . . .

Es kann keinen Zweifel geben, daß Luther für die Bewegung des deutschen Idealismus, von Lessing über Fichte bis zu Hegel, der große Begründer der Neuzeit war, der den eigentlichen Durchbruch zur Freiheit geschaffen hat.

In der Tat macht das durch Luther religiös und christlich errungene Verständnis der Freiheit die geistige und ethische Substanz all dessen aus, was mit Recht ein Fortschritt in der Geschichte genannt zu werden verdient. Selbst bei Karl Marx, in seiner berühmten Schrift über die Judenfrage, gibt es noch Elemente der Gemeinsamkeit mit dieser von den großen deutschen Philosophen geteilten Einschätzung Luthers, wenn er sagt, daß mit Luther die Revolution begonnen habe, um deren Vollendung es in der proletarischen Weltrevolution gehe. In der Tat ist auch in dem, was heute als die Verwirklichung der Freiheit in der gesellschaftlichen, sozialen und politischen Revolution weltgeschichtlich auf der Tagesordnung der Geschichte steht, . . . noch ein Funke von dem im Spiel, was Luther mit seinem Freiheitsverständnis geschaffen hat. Im Unterschied zu vielen anderen hat Hegel klar und deutlich die Differenz hervorgehoben, die zwischen dem Freiheits- und Autonomiebegriff der Aufklärung und dem Lutherischen Freiheitsbegriff besteht, der die Gewissensfreiheit an den objektiv verbindlichen Anspruch der Wahrheit des Evangeliums bindet. Hegel hat es sich darum an jedem Gedenktag der Reformation nicht nehmen lassen, persönlich als Rektor der Universität in Berlin ein Referat zu halten über die substantielle Bedeutung Luthers für den großen Durchbruch zu einer sittlichen, in der Gebundenheit des Gewissens der Wahrheit verpflichteten Freiheit.

Dieser eindeutigen, positiven Einschätzung der Bedeutung Luthers im deutschen Idealismus, insbesondere bei Hegel, steht ein tief zwiespältiges bis feindschaftlichesverhältnis zu Luther in allen modernen emanzipatorischen und sozialistischen Theorien gegenüber. Im Gegensatz zu Hegel haben die Vertreter der Aufklärung die Neigung, den Lutherischen Freiheitsbegriff mit dem Autonomiepostulat der Aufklärung gleichzusetzen und zu verwechseln.
Kein Geringerer als Herbert Marcuse, einer der entscheidenden Inauguratoren der Studentenrevolte, hat dem spezifisch deutschen Verständnis der Freiheit eine sehr subtile und differenzierte Untersuchung gewidmet, in der er dieses schizophrene Verhältnis der Deutschen zur Freiheit auf Luther selbst zurückführt. Luther hat zwar für Marcuse den Menschen in seiner subjektiven Innerlichkeit befreit, ihn aber zugleich wiederum verpflichtet, die ganzen autoritären, ihn in der Realität unterdrückenden Herrschaftsstrukturen als gottgewollt zu akzeptieren. Die Schizophrenie besteht somit für Mareuse in der Spaltung der Freiheit in eine auf die Innerlichkeit des Menschen beschränkte Befreiung seines Gewissens und seine äußere Unfreiheit, seine Versklavung im Verhältnis zur politischen, sozialen Realität, die die Deutschen zugleich unfähig zur Revolution gemacht hat, das heißt zur revolutionären Beseitigung aller Verhältnisse, die einer uneingeschränkten Verwirklichung der von Luther für die Innerlichkeit gewonnenen Freiheit noch im Wege stehen.

Diese Deutung des im lutherischen Sinne christlichen Freiheitsverständnisses als eines halbierten, eines auf die bloße innerliche Subjektivität reduzierten, ermöglicht dann Marcuse die Rede vom verhängnisvollen Weg der deutschen Geschichte, die, aufgrund der durch Luther vorbereiteten Mentalitätsstrukturen – Obrigkeitshörigkeit, Staatsbesessenheit, Untertanenseligkeit – , konsequent in Auschwitz kulminieren mußte. Die Reformation sei die Schwindsucht der Freiheit gewesen und Luther deren Totengräber, so lautet das allgemeine Urteil über Luther.

Im Blick auf die zu beantwortende Frage nach der Aktualität Luthers stehen wir vor der Alternative, in Luther entweder den Totengräber der sozialen, politischen und revolutionären Freiheit zu sehen oder den großen Gegenspieler des Freiheitsverständnisses unserer Zeit, das in seinen extremen Konsequenzen auf die Etablierung des Anarchismus hinausläuft. Wenn heute nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Kirchen mit den Fluten einer Emanzipation der Freiheit von der Wahrheit konfrontiert werden, werden sie dieser Flut erliegen, oder sie werden sich auf Luther erneut zurückbesinnen müssen.
Blickt man zurück auf die die gesamte Neuzeit bestimmende Auseinandersetzung mit Luther, insbesondere in der Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts, dann ist es keineswegs ein von allen Theologen einhellig geteiltes Urteil, in Luther den Anfang, den Durchbruch der Neuzeit zu sehen. Ich darf daran erinnern, daß vor bald einer Generation Ernst Troeltsch, der größte theologische Sozialtheoretiker des 20. Jahrhunderts, das Werk Luthers als Restauration des Mittelalters begriffen hat. Für Troeltsch ist Luther ein mittelalterlicher Mensch gewesen, der in seinem Kampf gegen den erasmischen, modernen, humanistischen Freiheitsbegriff die Flut der Moderne noch einmal aufzuhalten versuchte. . . .

Dieser Streit, ob Luther noch Mittelalter oder schon Neuzeit ist, geht meines Erachtens an dem eigentlichen Problem vorbei. Erst wenn Luther in der ganzen Radikalität seines Ringens um die Wahrheit als Ausdruck des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit als ein Mann zwischen den Zeiten verstanden wird, kann der Versuch unternommen werden, nach seiner Aktualität in unserer Zeit zu fragen, deren Signatur ebenso auf einen tiefen epochalen Umbruch, auf eine Zeitenwende verweist. Es ist ja nicht zu übersehen, daß die damalige Zeitenwende im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit viele irritierende Züge mit dem gemeinsam hat, was wir heute als das Ende der Moderne erleben. Wenn man unsere Gegenwart geschichtlich in Beziehung setzen will zu vergleichbaren Epochen der Geschichte, dann ist an den Verfall der antiken Kultur oder an den schon genannten Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit zu erinnern, das heißt an Zeiten, in denen die Fundamente aller Lebensordnungen sich auflösen, ein das sittliche Leben bestimmender Zerfall einsetzt, alles, was gegolten hat, nicht mehr gilt und die Welt ins Fugen und Bodenlose gerät.

Ausdruck dieser Erosion, dieses Verlustes an Boden, der die Lebensordnungen der Menschen trug, war immer schon die Angst, von der die Menschen in einer verfallenden Kultur zunehmend ergriffen und beherrscht wurden. Nur scheinbar sind wir die ersten, die in einem mit der Geschichte nicht vergleichbaren Sinn von der Angst bestimmt werden. Ist nicht schon die deutsche Katastrophe am Ende der Weimarer Republik aus der politischen Ausbeutung der Angst hervorgegangen? Die Ängste, die die Menschen in den angesprochenen Epochenwechseln heimsuchten, bleiben in ihrer Tiefe und Radikalität, in der Fülle ihrer irrationalen Reaktionen, zu der die kollektiv gewordene Angst verführt, nicht hinter dem zurück, was wir heute als die die Gesellschaft bestimmende Angst vor der atomaren Bedrohung erleben.

Luther hat sicher nicht gewußt, daß nach ihm die Neuzeit kommt, er kann von daher auch nicht mit den selbsternannten Propheten unserer Zeit verglichen werden, die die Epoche der Moderne für beendet erklären und eine neue auszurufen beginnen. Vielmehr war das bevorstehende Ende der Welt und der Dinge, das Nahen des Jüngsten Tages in der Apokalypse jenes Luther bestimmende Grund und Daseinsgefühl, das sein Selbstverständnis prägte. Ohne diesen Hintergrund kann die Luther existentiell bestimmende Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? nicht verstanden werden.

Ist aber der Mensch der Gegenwart durch diese Frage Luthers noch erreichbar, wird er von ihr noch betroffen, oder entzieht sie sich völlig seinem Begreifen? Was bleibt von dem Kernstück des ganzen Protestantismus, der Rechtfertigungslehre, wenn diese Frage nicht mehr das sie bewegende Zentrum bildet? Wird nicht die Lehre von der Rechtfertigung ohne diese Frage gegenstands- und sinnlos, und wird nicht dann die evangelische Kirche und auch die protestantische Theologie gezwungen, sich die Fragen, die die Menschen noch erreichen, durch Umfragen, soziale Trends und politische Bewegungen vorgeben zu lassen, weil sie meinen, diese eigentliche Frage als eine historisch erledigte und vergangene erkannt zu haben?

Um der Beantwortung dieser Fragen willen will ich den Versuch unternehmen, deutlich zu machen, was eigentlich hinter dieser lutherischen Frage steht: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Nicht die Reformation der Kirche, auch nicht die Reform des politischen Gemeinwesens der Deutschen, sondern die Lösung dieser existentiell ihn umtreibenden Frage war das Grundanliegen Luthers. Von zwei Voraussetzungen her mußte Luther diese Frage stellen:

Die erste Voraussetzung ist, daß Luther zur Lösung dieser Frage den Weg des Gesetzes gegangen ist. Luther ist zweifellos zunächst ein Mann des Gesetzes gewesen, das heißt, er hat versucht, in der Erfüllung des Gesetzes sich seines Heils zu versichern.

Die zweite Voraussetzung ist die, daß Luther und mit ihm viele seiner Zeitgenossen vom Gedanken Gottes als des Richters, vom Gedanken des bevorstehenden Gerichts umgetrieben wurden. Nicht der physische Tod war das Problem, sondern die Frage: Wie kann ich im zu erwartenden Gericht, in dem das definitive Urteil über Tod oder ewiges Leben fällt, vor Gott bestehen? Die Luther umtreibende Sorge war von daher: Hast du das Gesetz so erfüllt, daß du gewiß sein kannst, so viel zustande gebracht zu haben, daß du bestehen kannst in diesem Gericht, in dem es um ewiges, todloses Leben oder um ewigen Tod und ewige Verdammnis geht.

Luthers Frage nach dem ewigen, den Tod überwindenden Leben darf nicht in dem Sinne mißverstanden werden, in dem die heutige Kirche, getragen von machtvollen Bewegungen, von Leben redet. Physisches Leben, bloßes Überleben war für Luther kein wahres Leben, sondern unter wahrem Leben verstand er Tod überdauerndes oder nach dem Tod neu erwecktes, ewiges Leben. Es war ein Leben in der Freude der Anschauung, der Nähe der Unmittelbarkeit zum Schöpfer, von dem er wußte, daß er der Schöpfer ist, weil er alles Lebendige aus dem Tod hervorrufen kann. Nicht im Rückzug auf eine private Offenbarung, nicht, wie viele unserer katholischen Brüder noch immer wieder voller Klage feststellen, aus seiner Subjektivität heraus ist Luther zu der Antwort gekommen, sondern im Vollzug seines Auftrages als theologischer Lehrer der Kirche, der das Wort auszulegen und es in einem mitunter monatelangen Ringen zu begreifen hatte.

Aus diesem Umgang mit der Schrift, aus dem Kampf um die Erkenntnis des wahren Sinnes und des wahrhaft von der Schrift Gemeinten kam dann die rettende und erlösende Antwort: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben. Das ist der Punkt, an dem die evangelische Christenheit auf den Weg der verantwortlichen Erkenntnis verwiesen wird und es sich nicht gestatten kann, auf unzugängliche Geheimoffenbarungen oder Sondererleuchtungen zu rekurrieren (Bezug nehmen).  . . .

In seiner Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« hat Luther nicht, wie Marcuse falsch interpretiert, den Menschen aufgeteilt in einen äußerlichen und in einen innerlichen Menschen, in einen Menschen als Weltperson und einen Menschen als geistige oder geistliche Person. Er hat nicht den einen Teil des Menschen der Welt, den anderen Gott zugeordnet, vielmehr geht Luther von der »unio personalis« aus, von der Einheit und Ganzheit der menschlichen Person, ihrer Einheit als Leib, Seele und Geist, und sagt von dieser »unio personalis«, daß der Mensch bestimmt sei von einer doppelten Natur.

Wenn Luther von der doppelten Natur des Menschen redet, dann ist unter Natur das konstitutive Bewegungsprinzip zu verstehen, aus dem heraus der Mensch die Totalität und die Ganzheit seiner Person realisiert. Die Alternative lautet dann nicht Leib, Fleisch oder Geist und Seele, sondern, bezogen auf das die Person organisierende Zentrum: aus Gott oder aus sich selbst heraus. Das heißt, wir dürfen diese Rede Luthers von den zwei Naturen der einen christlichen Person nicht verdinglichen, sondern wir müssen sie als Vollzugsweisen, als Aktualisierungsweisen verstehen, die unterschieden werden hinsichtlich des Kriteriums: aus sich selbst oder aus Gott? Wir müssen begreifen, daß Luther, wenn er von der Freiheit redet, von der theologischen Freiheit und nicht von moralischen, politischen oder sozialen Freiheitsformen redet, daß er als christlicher Theologe dem Menschen etwas über sein Verhältnis in und zur Freiheit sagen will, das sich der Mensch selbst nicht zu sagen vermag.

Indem Luther die Freiheit und Unfreiheit des Menschen nicht als eine Oualifikation seines Willens deutet, sondern in dem Selbstwollen des Menschen die selbstgesetzte Schranke der Freiheit sieht, steht er konträr zu dem entscheidend durch Rousseau geprägten neuzeitlichen Freiheitsverständnis, in dessen Zentrum der Mensch als das sich selbst wollende und selbst realisierende Wesen bestimmt wird. Paradox paulinisch formuliert, lautet dann Luthers Einsicht: Die Freiheit bedarf selbst der Befreiung.

Die an die Selbstsetzung des Selbst verlorene Freiheit muß zuallererst aus der Verknechtung durch das Selbst herausgelöst werden, damit wahre Freiheit möglich wird. Das Evangelium ist dann für Luther die Kraft der Befreiung der Freiheit.  . . . Wenn man etwas von der ungeheuren, weltüberwindenden Macht der Reformation verstehen will, dann ist es diese Überzeugung Luthers, daß der Mensch im Glauben Anteil gewinnt an der göttlichen »dynamis«, an der in Christus offenbar gewordenen Macht Gottes. Der Christus Präsens ist für Luther die Gegenwärtigkeit des Anteils an dieser Macht Gottes, von der es heißt, daß sie das Seiende aus dem Nichts gerufen hat.  . . .

Wenn wir uns nüchtern die Frage nach der Wurzel dessen stellen, was uns heute so bedrängt, dann ist es unser fehlendes Vertrauen in das Handeln und die Mächtigkeit dieses Gottes. Im Gegensatz zu Luther trauen wir diesem Gott nichts mehr zu. Für uns hängt vielmehr heute das Schicksal der Menschheit von dem Gebrauch der Freiheit ab, den vielleicht mehr oder weniger zufällig die Politiker von ihr machen. Wir haben schon darauf verwiesen, daß in Luthers Rede von dem zu königlicher und priesterlicher Freiheit befreiten Christen eine der tiefsten Wurzeln der deutschen Freiheitsgeschichte liegt.
Wenn nun aber diese überschwengliche, nur theologisch zu deutende Dimension der Freiheit aus ihrer theologischen Verwurzelung herausgenommen wird und der Mensch diese Freiheit in Anspruch nimmt und ausübt, dann führt das für Luther zu Formen der wahnwitzigen Schwärmerei, der nur die Vernichtung und Zerstörung der Welt folgen kann. Wenn die Christen ihren Auftrag vergessen, wenn sie vergessen, daß sie leidend dieser Welt ausgesetzt sind, und sie sich statt dessen in die Autonomie hineinretten, um in aller Selbstgerechtigkeit sich diese Welt verfügbar zu machen, dann ist für Luther das große Unglück unabwendbar.

Einen weiteren Gedanken Luthers müssen wir in unsere Überlegungen mit aufnehmen. Für den im Glauben befreiten Christen ist das Gesetz nicht abgetan, denn Gott führt für Luther diese Welt nicht in einem Eintakt, sondern in einem Zweitakt. Er geht mit der Welt um im Evangelium, und er geht mit der Welt um im Gesetz. Dieser Entzweiung entgeht der Christ auch als der im Glauben Befreite nicht. Man darf im Blick auf Luthers Kampf um die Befreiung des Evangeliums, den er in aller Härte mit der damaligen römischen Papstkirche geführt hat, nicht vergessen, daß er noch viel radikaler gegen die Schwärmerei gekämpft hat. In diesem Zwei-FrontenKrieg geht es Luther um ein und dasselbe. Der römischen Papstkirche wirft er die Indienstnahme des Gesetzes vor. Das Evangelium hat dann für Luther nur noch eine bloße Vehikelfunktion in der Ermöglichung der Gesetzeserfüllung, und der durch die Gnade in Gang gekommene Christ vollendet durch seine dem Evangelium entsprechenden Werke den Weg ganz.

Durch diese Funktionalisierung des Evangeliums im Gesetz und durch das Gesetz geht aber für Luther das Evangelium verloren, und zwar aus dem einfachen Grund, weil der Mensch, für den also der Heilsgewinn von dem Ausmaß seiner Gesetzeserfüllung abhängt, sich der Wahrheit des Evangeliums nie gewiß und sicher werden wird. Der Mensch wird für Luther nie wissen, ob er, populär gefaßt, das nötige Quantum an Gesetzeserfüllung schon geleistet hat. Er vermag aus dieser ihn existentiell umtreibenden Bekümmerung um sich selbst nie herauszukommen. Erst von hier aus kann LuthersVerständnis von »peccatum« deutlich werden.

»Peccatum« heißt im lutherischen Kontext, daß der Mensch selbst die Freiheit verwirkt hat, die ihm von Gott her zugedacht war. Dann muß für Luther das Evangelium aus der überfremdenden Herrschaft des Gesetzes befreit werden, damit es seine lebenschaffende, seine befreiende Macht zur Geltung zu bringen vermag. In der Anknüpfung an die genuine Gestalt des neutestamentlichen Christentums begreift somit Luther jenen Vorgang, bei dem es darum geht, einen neuen Menschen hervorzubringen. Denn die Frucht des Glaubens ist für Luther, daß der Mensch wieder, daß er neu geboren, daß er in den Ursprungsstand des Paradieses  das heißt, mythologisch gesprochen, in den Zustand vor seinem Anheimfall an die Macht von »peccatum«  wiedereingesetzt wird.
Luther hat aber genauso radikal, ja, vielleicht noch entschiedener gegen die Schwärmerei gekämpft. Im Gegensatz zur römischen Papstkirche, die das Gesetz über das Evangelium stellt, ist für die Schwarmgeister nach Luther durch das Evangelium das Gesetz abgetan und erledigt. In dieser Verkehrung wird das Evangelium für Luther zu einem neuen Gesetz, dem der Liebe Christi, nach dem die Welt erneuert und verwandelt werden soll. Es gibt also nicht nur eine marxistische, sondern auch eine christliche, mehr von Calvin hergeleitete, fundamentale Kritik an Luther, eine Kritik, die uns in der Form der Barthschen dialektischen Theologie heute tiefer bestimmt, als es die meisten wissen. Karl Barth hat Luther den Verrat an dem Gesetz Christi vorgeworfen, weil Luther durch die von ihm zur Aufrechterhaltung der Ordnung vollzogene Umkehr von Evangelium und Gesetz in Gesetz und Evangelium die Christen daran gehindert hätte, die Herrschaft Christi über diese Welt als Christen und Aufrechte verwirklichen zu können.

Luthers Deutung des Zusammenhangs von Evangelium und Gesetz tritt am prägnantesten in seiner Auseinandersetzung mit den Bauern hervor. Luther hat nie an dem Recht der Bauern gezweifelt, und er hat, solange die Bauern nicht mit Terror und Mord versuchten, ihr weltliches Recht durchzusetzen, nicht nur entschieden für das Recht der Bauern gekämpft, sondern er hat mit Mut die deutschen Fürsten herausgefordert, sie angegriffen. Luther hat aber in diesem Punkt eine Wende vollzogen.

Nachdem seine friedlichen Ermahnungen der Bauern, nicht den Weg des gewalttätigen Ausbruchs zu gehen, ungehört blieben, hat er sich von ihnen abgewandt. Was aber war der Grund für diese Trennung? Hier muß man sehen, daß Luther um der Wahrheit willen seine ungeheure Popularität bei den Bauern aufs Spiel gesetzt hat. Für Luther kann und darf das Evangelium nicht zur Legitimation von Terror und Mord an unschuldigen Menschen dienen, und er hat die Folgen des Versuchs der Schwärmer, aus der Unmittelbarkeit des Verhältnisses zu Gott das Gesetz der Liebe an dieser Welt zu vollstrecken, für prinzipiell vergleichbar mit denen der katholischen Position angesehen. In der Subsumtion (Zusammenfassung) des Evangeliums unter das Gesetz verschwindet aber das Evangelium, die frohe Botschaft, die den Menschen vor dem im Terror endenden Zwang befreit, an und durch sich selbst jenes Reich Gottes herzustellen, von dem es heißt, daß es schon bereitet ist.

Ein besonders anschauliches Beispiel zur Exemplifikation des hier bei Luther Gemeinten bietet das Buch von Franz Alt: »Frieden ist möglich«. Wie geht Franz Alt mit der Bergpredigt um? Er nimmt aus dem Ganzen der Bibel einige passende Sätze heraus, in diesem Fall die Anweisungen der Bergpredigt, und interpretiert diese als Zusagen der eschatologischen Nähe Gottes gemeinten indikativischen Sätze um in einen Imperativ: Wir sollen nach den Anweisungen der Bergpredigt nicht nur leben, sondern nach diesen von Alt gedeuteten Maximen auch Politik treiben. Und die politische Folge dieser so realisierten Imperative ist dann für Alt die Herstellung eines universalen Friedens.

Tatsächlich aber gibt es in der ganzen Bibel keine Offenbarung, die wir unmittelbar auf unsere Situation im Jahre 1994 beziehen könnten. Auch die Christen haben nicht mehr als ihre Vernunft zur Verfügung, und in bezug auf diese hat Luther nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Vernunft der Heiden die bessere sei. Luther hat seine Gemeinde angehalten, bei ihnen in die Schule zu gehen und sich durch sie über den rechten Umgang mit der Vernunft belehren zu lassen. Sicher wird der Christ nach Luther aus einer anderen Inspiration heraus mit seiner Vernunft umgehen und, aber ob durch das in einen gesetzlichen Imperativ uminterpretierte Evangelium der Friede sicherer oder nicht sicherer wird, darauf gibt es auch für Luther im Evangelium keine Antwort. Luther hat weder gesagt, wir sollten in der Welt nur nach dem Gesetz ohne das Evangelium, noch sollten wir nur mit dem Evangelium ohne das Gesetz handeln, sondern er hat auf der Gabe und der Fähigkeit des Theologen bestanden, zwischen Evangelium und Gesetz zu unterscheiden und das richtig Geschiedene sinnvoll aufeinander zu beziehen, ohne es miteinander zu vermengen. Die Vermengung von Gesetz und Evangelium, ihr Ineinanderrühren hat Luther als den eigentlich satanischen Einbruch in die Mitte des Evangeliums empfunden, als die Macht des diabolus, der beide durcheinanderrührt, verwechselt und vertauscht.

Was ist aber für Luther die Folge, wenn, wie bei den Schwärmern, aus dem Evangelium ein Gesetz wird? Die Folge ist zunächst die, daß es dann zwei Kategorien von Christen gibt, daß sich der Leib Christi spaltet, wenn ich die Christlichkeit von der Bereitschaft abhängig mache, einer bestimmten Politik zuzustimmen oder sie abzulehnen. Die Spaltung, der ideologische Bürgerkrieg innerhalb der Gemeinde ist dann der zu zahlende Preis, und die Gemeinde wird ihren göttlichen Auftrag nicht mehr erfüllen können, nämlich Zeugnis abzulegen von der friedenstiftenden Wahrheit des Evangeliums.

Was ist Christentum, was ist christlicher Glaube? Eine Sozialreligion, eine Legitimationsformel für terroristische oder reformistische Befreiungsbewegungen? Das Christentum ist entweder eine Erlösungsreligion, oder es ist eine beliebig auslegbare und in Dienst zu nehmende Ideologie. Wenn das Christentum eine Erlösungsreligion ist, dann muß ich sagen, wovon es befreit und erlöst. Mit der Beseitigung des Gesetzes verschwindet aber diese Möglichkeit, denn das Evangelium ist nur im Gegenüber zum Gesetz als die Macht der Befreiung vom Gesetz aussagbar. Wenn es aber selbst in eine Gesetzesforderung verfälscht wird, geht es unter und verschwindet. Das bedeutet für Luther den Verrat der Kirche Jesu Christi an ihrem Herrn, weil sie der Welt todloses Leben, Heil und Rettung, die ihnen anvertraute Gabe der Welt vorenthält und verrät. Man muß heute neu darüber nachdenken, warum der Mensch mit dem Gesetz nicht fertig wird, warum der Mensch nach Luther am Gesetz scheitert. Man muß nachdenken, warum der Wille des natürlichen Menschen ein verknechteter Wille ist, der einer »necessitas« (Luther) unterliegt, die nichts mit einer abstrakt deterministischen Kausalrelation zu tun hat, sondern die Unveränderlichkeit des Willens Gottes und seiner Macht bedeutet, mit dem er an seinem Willen festhält und ihn durchsetzt. Denn gäbe es in diesem Sinne die Unveränderlichkeit, die necessitas göttlichen Willens nicht, müßte auch der christlich Gläubige ständig zweifeln und wäre in eine tiefe Unsicherheit gestürzt über den Ausgang der Dinge dieser Welt.

Luther hat die Quellen und die Ursprünge der Angst tiefer gesehen als wir, aber er hat den Menschen keine Angst gemacht, sondern er hat den Menschen eine die Welt überwindende, unbedingte Gewißheit gegeben, um die Qualen und Heimsuchungen, um die Grausamkeit und Härte dieser Welt bestehen zu können. Aus diesem Mut heraus formulierte Luther das letzte Wort seines Lebens: tamen – dennoch. Von diesem Lebensmut hängt es ab, ob wir mit den Problemen unseres Gemeinwesens fertig werden oder nicht.

Wir können leider nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht behaupten, daß es nach dem Ende des christlichen Geschichtsäons einen neuen Äon mit einer gleichwertigen geistigen Kraft geben wird. Nein, bei der Frage nach der Zukunft des substantiellen Christentums geht es nicht um den Machtanspruch der Kirchen, sondern es geht um die Zukunft der humanen Gesellschaft, das heißt um die Frage, ob unser Volk morgen noch eine Zukunft hat. Luther kann uns an dem Wendepunkt, an dem wir uns befinden, weiterhelfen. Meine Sorge ist die, daß wir am Beginn einer Entwicklung stehen, in der wir eine neue Katastrophe vorbereiten, weil wir nichts aus der vergangenen Geschichte, möglicherweise auch nichts aus dem ungeheueren Geschehen des Zusammenbruchs des Kommunismus lernen. Meine Hoffnung geht dahin, daß sich die christlichen Kräfte in unserem Volke finden und zusammenschließen mögen. Die Wahrheit des Evangeliums kann sich nur im Dienst und in der Einheit der Christen ausdrücken. Wenn das eintritt, wird die christliche Gemeinde wieder sein, was sie für die Welt sein sollte, nämlich eine Stadt auf dem Berge, ein Fels der Zuversicht und ein Leuchtzeichen, an dem die Menschen sich orientieren können, wenn sie im Zweifel sind, was der Mensch überhaupt ist.

Die Christen sollten sich auch nicht durch den Vorwurf des Fundamentalismus entmutigen lassen. Richtig verstanden, gehören nämlich Fundamentalismus und Freiheit zusammen: Die Freiheit bedarf der sie stützenden Fundamente, und umgekehrt ist die »Freiheit eines Christenmenschen« (Luther) auch dem Christentum eigen. Der Christ ist dazu da, die »Zeichen der Zeit« zu erkennen, das Amt der Unterscheidung der Geister zu üben. Die Unterscheidung und die Einheit von Fundamentalismus und Freiheit zu denken ist in der gegenwärtigen Situation eine seiner vornehmlichsten Aufgaben.

Soweit hier Kap. 8 von Teil 3, aus dem Buch DER ERNSTFALL.

Die Hervorhebungen im Text und geringe Kürzungen sind von mir vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im November 2010

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DER ERNSTFALL
Teil 1 Die Lage: Zusammenbruch des Sozialismus – Krise des Liberalismus?
Teil 2 Deutschland am Wendepunkt – Gefährdungen unseres politischen und ökonomischen Systems
Teil 3 Deutschland am Wendepunkt – Kultur und Glaubenskrise
Teil 4 Der Neue Konservativismus und die Gefahr des Faschismus

DER AUTOR: Günter Rohrmoser, Jahrgang 1927, studierte Philosophie, Theologie und Nationalökonomie an den Universitäten Münster und Tübingen. Habilitation 1961 in Köln. Ordinarius für Philosophie in Münster, Honorarprofessur in Köln, seit 1976 Ordinarius an der Universität Hohenheim. Lehrt Politische Philosophie an der Universität Stuttgart.




Die “Hütte” (Berit Kjos)

Berit Kjos

„Die Hütte“ und „Ein Kurs in Wundern“  –  verdrehte  Wahrheiten

Denn das Wort Gottes ist lebendig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist. – Hebräer 4,12

Berit Kjos erteilte freundlicherweise die Genehmigung, diesen Artikel ins Deutsche zu übersetzen. Die Zitate der Bücher Die Hütte (The Shack) und Ein Kurs in Wundern (A Course in Miracles) sind der jeweiligen amerikanischen Ausgabe entnommen und ins Deutsche übersetzt worden.

Helen Schucman (1909-1981), Autorin von Ein Kurs in Wundern, gehörte ursprünglich einer Baptistengemeinde an, wandte sich jedoch in ihrem frühen Erwachsenenalter von Gott ab und wurde zur Atheistin. Erst nachdem sie begann, eine innere Stimme zu hören, wandte sie sich wieder „Gott“ zu. Sie verfiel in eine Art Trance und hörte eine innere Stimme, die ihr über einen Zeitraum von sieben Jahren die drei Bände des Buches Ein Kurs in Wundern übermittelte. In den 1970er Jahren wurde Helen Schucmans dreibändiges Werk zu einer Art „New Age Bibel.“ Die innere Stimme Schucmans beanspruchte für sich, “Jesus” zu sein.

 Der große Wert des Artikels von Berit Kjos liegt darin, dass sie auf die vielen Parallelen beider Bücher aufmerksam macht. Dies ist ein weiterer Hinweis dafür, dass das Buch Die Hütte eher dem New Age Gedankengut als dem biblischen Christentum zuzurechnen ist .

 “Dieses Buch hat das Potential, in unserer Generation das zu werden, was John Bunyans Pilgerreise zu seinen Lebzeiten war.“ Eugene Peterson (Empfehlung auf dem Cover der amerikanischen Ausgabe des Buches „Die Hütte“)

 „Gott, der die Grundlage allen Seins ist, wohnt in allen Dingen und durch alle Dinge, überall…“ [Pantheismus] Die Hütte (S.112)

 „Alle, die mich lieben, kommen aus allen möglichen Glaubensformen. Sie sind Buddhisten oder Mormonen, Baptisten oder Muslime… Es verlangt mich nicht danach, sie zu Christen zu machen, aber ich will sie dabei begleiten, wie sie in Söhne und Töchter von meinem Papa, in meine Brüder und Schwestern verwandelt werden.“ Die Hütte, „Jesus“ (S.182)

 „Die esoterischen, spirituellen Traditionen – seien es nun christliche Mystiker, hebräische Kabbalisten, Zen Buddhisten, islamische Sufis oder hinduistische Yogis – verfügen alle über bestimmte Methoden, um dem Individuum zu der Überwindung dieser großen Illusion der Trennung zu verhelfen sowie zur Erfahrung des Einen Wahren Selbst, das in uns allen ist.“ (S.149) In: Ein Kurs in Wundern; das Buch „empfing“ die Autorin Helen Schucman im Jahre 1977 durch Channeling eines Geistführers, der beanspruchte, „Jesus“ zu sein.

 „Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt Acht, dass euch niemand verführt! Denn viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: Ich bin der Christus! Und sie werden viele verführen.“ Matthäus 24:4-5

Zwei Bücher – eine Botschaft

Zwei Bücher (das eine neueren, das andere älteren Datums) haben plötzlich das Interesse der Öffentlichkeit erweckt und die Herzen vieler Menschen erobert. Das eine Buch ist lang und unterweisend – ein Diktat, gechannelt durch einen Geistführer (Channeling: New Age Ausdruck für Kontaktaufnahme mit jenseitigen Wesen, oft Geistführer genannt). Das andere Buch ist eine erfundene Geschichte mit vielen Dialogen, die den Leser den Tränen nahebringt. Ein Kurs in Wundern ist offenkundig okkulter Natur, während die subtilere Botschaft des Buches Die Hütte von William P. Young breite Akzeptanz in postmodernen Kirchen gefunden hat.

Die beiden Bücher propagieren eine gemeinsame Botschaft. Bereits 1992 begegnete ich der gleichen Botschaft. Als ich in einem Magazin mit Namen Well Being Journal blätterte, stieß ich auf diese „Einsicht“ eines New Agers, die er von seinem „inneren Führer“ empfangen hatte:
„Viele Menschen glauben daran, dass das Böse, die Sünde und finstere Mächte existieren. Es ist deine Berufung, das Gegenteil zu lehren, denn das ist die Wahrheit: es gibt keinen Teufel, keine Hölle, keine Sünde, keine Schuld, außer im kreativen Denken der Menschheit.“

Ähnlich irreführende Vorstellungen hörte ich im Jahre 1997 während der Konferenz State of the World Forum von Gorbatschow. In jener Zeit hielt Marianne Williamson eine programmatische Rede und warb für die Kabbala und nicht für das Buch Ein Kurs in Wundern. Während uns diese New Age „Einsichten“ in beiden Philosophien begegnen, treten sie in dem Buch Ein Kurs in Wundern deutlicher hervor; letzteres Buch wird derzeit durch Williamson mit Hilfe der wöchentlichen Radiosendungen von Oprah Winfrey populär gemacht. 

Die Hütte ist ein ähnlicher Aufruf, die Realität zu leugnen. Indessen erfreuen sich unzählige Pastoren und geistliche Leiter an dem Inhalt dieses Buches. Indem Sünde und Schuld ignoriert (oder neu definiert) werden, entsteht ein inklusivistisches (interreligiöses) Pseudo-Christentum, das die Massen anspricht, aber die Botschaft der Bibel verdreht. Ferner führt die Leugnung Satans dazu, dass Gottes Warnungen über Verführung abgeschwächt werden. Kein Wunder, dass heute die Waffenrüstung Gottes das erste Opfer in diesem geistlichen Kampf um die Wahrheit war.

Roger Oakland, Autor von Faith Undone, wies in seinem Artikel „Meine Teilnahme an der Rethink Conference“ (Veranstalter Robert Schuller) auf diese Transformation hin:
„Nahezu 2000 Jahre haben die meisten bekennenden Christen die Bibel als Grundlage des christlichen Glaubens betrachtet. Die allgemeine Sichtweise der Rethink Conference jedoch ist, dass das Christentum, wie es uns bekannt war, überholt ist und ersetzt werden muss… Die Sprecher betonten, dass das Christentum überdacht (re-think) und neu gestaltet (re-invent) werden muss, wenn der Name Jesu Christi hier auf diesem Planeten Erde überleben soll.“

Kein Raum mehr für den historischen Jesus? Müssen wir Gott neu erfinden, um Ihn für die entstehende universelle Kirche passend zu machen?

Dies ist scheinbar das Ziel des Buches Die Hütte, wenn darin von einer weiblichen „Gottheit“ die Rede ist. Hier spricht sie (die „Göttin“) mit der Hauptperson, Mackenzie (Mack ist die Kurzform):

„Für mich, die ich Dir als Frau begegne und Dir sage, Du sollst mich Papa nennen, bedeutet das einfach, dass ich Bilder miteinander verknüpfe, um Dir zu helfen, nicht mehr so leicht in Deine religiösen Gewohnheiten zurückzufallen.“ (S.93)

„Religiöse Gewohnheiten?“ Sieht William Young biblisches Christentum als religiöse Gewohnheit an?

Sehr schnell wird man von seinen cleveren Argumenten eingenommen. Die Hütte ist ein persönliches Zeugnis, das seine Leser in virtuelle Dialoge mit einem scherzhaften, kulturell relevanten „Gott“ einstimmt. Im Gegensatz zu den trockenen Lektionen des Okkultismus im Buch Ein Kurs in Wundern wird der Leser in Die Hütte mit Erfahrungen in einer Welt von Offenbarungen und Sinneseindrücken konfrontiert, die er nachempfinden kann. Das einzige sündenähnliche Vergehen ist Unabhängigkeit – Ein Kurs in Wundern bezeichnet dies als „Getrenntsein“ -, die Weigerung, eine universelle Einheit mit „Gott“ und der Menschheit zu akzeptieren. Über biblische Grundsätze hinweg negiert das Buch Die Hütte alle Maßstäbe für richtig oder falsch, was zur Folge hat, dass es keine Notwendigkeit zur biblischen Buße mehr gibt. Dies passt sehr gut zu der populären Vision einer unkritischen Einheitskirche.

„Wie also werde ich Teil dieser Kirche?“ fragt Mack.

„Es ist einfach“, antwortet der fiktive „Jesus.“ „Es geht nur um Beziehungen und einfach darum, wie man Leben weitergibt… offen und dienstbar für alle Menschen um uns herum zu sein. In meiner Kirche dreht sich alles um die Menschen, und im Leben geht es immer um Beziehungen.“1 (S.178)

 Hierin ist scheinbar ein Stück Wahrheit enthalten, wie in den meisten geistlichen Lügen! Jesus kritisierte beispielsweise die Pharisäer, welche „die Schriften erforschten“, sich aber weigerten, zu Ihm zu „kommen.“ Die postmodernen Suchenden von heute sind ebenso töricht. Sie ignorieren unbequeme Schriftstellen und wenden sich ihren eigenen Vorstellungen über einen „Jesus“ zu, den man der eigenen Kultur angepasst hat.

 Im Buch Die Hütte begegnet der Leser einem „nachsichtigen“ Gott, der sich ihren menschlichen Vorstellungen „unterwirft.“ Sie schauen hinter den Vorhang von Tod und Leben, erkennen die Freude, die sie erwartet, und sie kommunizieren mit ihren Liebsten – es wird angedeutet, dass „Verstorbene angerufen“ werden, eine Praxis, welche die Bibel untersagt (5.Mose 18:11). Mack „sieht“ die farbenfrohen „Auras“, die ein Hinweis auf die geistliche Reife der Toten sind, die doch am Leben sind. Er praktiziert sogar Astralreisen – Die Hütte nennt es „fliegen“ – eine Bezeichnung, die unter Maharishi Yogi vor langer Zeit populär wurde.

 „So eine machtvolle Fähigkeit ist die Vorstellungskraft!“ sagte der fiktive „Jesus“ in Die Hütte. „Alleine diese Fähigkeit macht Dich uns so ähnlich.“ (S.140)

Die Grenzen der Kirche werden erweitert, damit fast jeder ein Teil von ihr sein kann. Die einzige Ausnahme stellen die „unabhängigen Leute“ dar, die sich weigern, zu diesem universellen Gott“ zu „kommen.“ Das hat nichts mehr mit dem Christentum zu tun – und nur dieser falsche „Jesus“ würde dem zustimmen. Als Mack ihn (Jesus) fragte, was es heißt, „ein Christ zu sein“, antwortete er:

„Wer hat etwas davon gesagt, ein Christ zu sein? Ich bin kein Christ.“ Diese Vorstellung war für Mack seltsam und unerwartet zugleich, und er konnte ein Grinsen nicht zurückhalten. „Nein, ich glaube, Du bist kein Christ.“ (S.182)

Natürlich ist er das nicht! Das Wort „Christ“ bezieht sich auf die Nachfolger Christi – nicht auf Jesus – und Christen standen immer im Widerspruch zum Trend der jeweiligen Kultur. Selbst als man die „Jünger in Antiochien zum ersten Mal Christen nannte“ (Apg.11:26), war dieses Wort eine abwertende Bezeichnung, die von den Feinden der Kirche verwendet wurde. Indes hinderte es die treuen Christen nicht daran, den Namen des Christus und Sein Wort voller Freude zu verkündigen!

Neue Vorstellungen über die Trinität

 Die Hütte beginnt mit einer Tragödie. Vier Jahre sind seit dem brutalen Mord an Missy, Macks geliebte 6-jährige Tochter, vergangen. In tiefer Trauer erhält Mack eine sonderbare Einladung. „Ich habe Dich vermisst“, lautet sie. „Am nächsten Wochenende werde ich in der Hütte sein, wenn Du innere Ruhe suchst, Papa.“ Was könnte das bedeuten?

 Voller Zweifel, aber neugierig auf das Treffen, begibt sich Mack nach Oregon in die Wildnis und findet die verfallene, alte Hütte. „Gott“ verwandelt sie durch ein Wunder in ein gemütliches Häuschen, und Mack begegnet seinem vermeintlichen Schöpfer:

 „… die Tür öffnete sich, und er schaute direkt in das Gesicht einer beleibten, strahlenden afroamerikanischen Frau. Instinktiv wich er vor ihr zurück, aber er war zu langsam. Mit einer Geschwindigkeit, die man ihr aufgrund ihres Körperumfangs nicht zutraute, erreichte sie Mack und schloss ihn in ihre Arme…“ (S.82)

 „Gerade, als sie sich umdrehte… erschien eine kleine, asiatische Frau hinter ihr… Als er ihr nachschaute, bemerkte er, dass eine dritte Person auftauchte… ein Mann. Er schien, aus dem Mittleren Osten zu kommen.“ (S.84)

 „Als sie schließlich aufhörten zu kichern, sagte die beleibte Frau: ‚Okay, wir wissen, wer Du bist, aber vielleicht sollten wir uns Dir vorstellen… Du kannst mich so wie Nan (Macks Frau) nennen: Papa.’

‚Und ich’, unterbrach der Mann, der aussah, als sei er um die dreißig Jahre alt, ‚ich bin Hebräer.’

Mack war plötzlich überrascht von seiner eigenen Erkenntnis. ‚Dann bist Du…’ ‚Jesus? Ja…’

Mack war tief bewegt… Gerade, als er auf die Knie gehen wollte, trat die asiatische Frau näher und zog seine Aufmerksamkeit auf sich. ‚Und ich bin Sarayu, der Heilige Geist, Kreativität’, sagte sie…

Viele Gedanken gingen durch seinen Sinn, als Mack sich überlegte, was er tun sollte… Da es sich um drei Personen handelte, könnte dies vielleicht eine Art Trinität sein… ‚Nun’, rang sich Mack zu der Frage durch, ‚wer von euch ist Gott?’ ‚Ich bin es’, sagten alle drei im Einklang.“ (S.86-87)

 Ihre weiteren Gespräche erhärten diese neue Sichtweise über Gott. Mack wird einer geistlichen Um-Erziehung unterzogen, da jede Aussage seinem früheren Gottesverständnis widerspricht. So kehrte dieser neue „Jesus“ niemals in den Himmel zurück. Gab es eine wirkliche Auferstehung? Nicht, wenn man der Äußerung der weiblichen „Gottheit“ folgt:

 „Obwohl er (Jesus) von Natur aus vollkommen Gott ist, ist er auch vollkommen Mensch und lebt als ein solcher. Während er niemals die ihm eigene Fähigkeit zu fliegen [die er in diesem Buch demonstriert] verliert, entscheidet er sich von einem Augenblick auf den anderen, festen Boden zu behalten. Darum heißt er Immanuel, Gott mit uns.“1 (S.99-100)

 Aber die Bibel lehrt uns, dass Jesus nach seiner Kreuzigung in den Himmel zurückkehrte. Überdies, weder Gott, der Vater, noch Gott, der Heilige Geist, offenbarten sich dem Menschen in einer sichtbaren Weise. „Niemand hat Gott jemals gesehen“, sagte der wahre Jesus (Joh.1:18). Aber hier begegnen uns alle drei Personen in einer menschlichen Form – auf Erden! „Gott“ erklärt:

 „’Von Natur aus kenne ich keine Begrenzungen… Ich lebe in einem Zustand andauernder Zufriedenheit; das ist meine normale Existenz’, sagte sie, ziemlich vergnügt. Das ist einfach nur der Vorteil von mir, ich selbst sein zu können.’

Mack musste lächeln. Diese Dame hatte vollkommene Freude an sich selbst…

‚Wir haben Dich geschaffen, damit Du Anteil daran hast. Aber dann hat Adam sich entschieden, seine eigenen Wege zu gehen, was wir bereits wussten, und alles ging schief. Aber anstatt die ganze Schöpfung zu verwerfen, krempelten wir die Ärmel hoch und begaben uns direkt in das Chaos hinein – das taten wir in Jesus… Als wir drei uns als Sohn Gottes in die menschliche Existenz sprachen, wurden wir ganz Mensch. Wir entschieden uns auch dafür, alle Begrenzungen, die das mit sich brachte, anzunehmen… Fleisch und Blut.“ (S.98-99)

Leugnung von Sünde, Schuld und Gottes Autorität

Im Gegensatz zu dem wahren Gott übt diese falsche Trinität keine Autorität über den Menschen aus. Daran haben die postmodernen Leiter der christlichen Gemeinde Gefallen! Es ist offenkundig, dass sie Worte wie „Souveränität“ und „Autorität“ meiden. Schließlich könnte ein Gott, der Herrscher ist und für alle Zeiten moralische Maßstäbe errichtet, Spaltungen verursachen. Er könnte ihr Hauptziel in Frage stellen: inklusivistische (interreligiöse) Beziehungen und „authentische Gemeinschaft.“

 Kein Wunder, dass Mack verwirrt ist, wenn er fragt: „Warum sollte der Gott des Universums sich mir unterwerfen?“
 „Weil wir wollen, dass Du ein Teil in unserem Beziehungskreis wirst“, antwortet „Jesus.“ (S.145)

 Zusammen erklären die drei Personen der Trinität:
 „Autorität, so wie Du sie Dir normalerweise vorstellst, ist nichts weiter als ein Vorwand, um andere für die eigenen Zwecke gefügig zu machen… Wir gehen mit Respekt auf Deine Entscheidungen ein…“1 (S.123)

 „Bedeutet das, dass ich keinen Regeln mehr folgen muss?“…
„Ja, in Jesus bist Du nicht unter dem Gesetz. Alle Dinge sind erlaubt.“
„Das kannst Du nicht ernst meinen! Du bringst mich ganz durcheinander“, klagte Mack.
„Kind“, unterbrach Papa, „Du hast noch nichts begriffen…“
„… Regeln aufzuzwingen [sagt Sarayu]… ist der vergebliche Versuch, aus Ungewissheit Gewissheit zu machen. Und im Gegensatz zu dem, was Du denken magst, räume ich der Ungewissheit viel Platz ein. Regeln können keinen Frieden bringen; sie haben nur die Macht, anzuklagen.“ (S.203. In dem Buch Ein Kurs in Wundern wird statt des Wortes anklagen das Wort verunglimpfen, herabsetzen [attack] verwendet.)

Sind Gottes Maßstäbe wirklich „der vergebliche Versuch, aus Ungewissheit Gewissheit zu machen?“ Natürlich nicht! Gottes unveränderliche Werte im Denken der Menschen zu verankern, stellen keinen „vergeblichen Versuch“ dar. Für alle, die an eine Wahrheit im Wandel glauben und in den Worten der Schrift variable Bedeutungen sehen, gibt es sehr viele Ungewissheiten. Solche „Ungewissheiten“ können niemals die Grundlage für Frieden oder Gewissheit des Glaubens werden! In Wahrheit ist es so, dass viele „christliche“ Pastoren von heute von nagenden Zweifeln geplagt werden – selbst, was die Frage der Existenz Gottes angeht! Kein Wunder, dass sie ihre Dienste auf dem sandigen Fundament menschengefälliger Wahrheiten bauen, statt auf dem festen Felsengrund von Gottes Wort.

In der Erzählung von Die Hütte ist es nicht länger die Sünde, die ein unheiliges Volk von einem heiligen Gott trennt. Das passt sehr gut in postmoderne Gemeinden, welche über biblische Gebote wie „Seid nicht gleichförmig dieser Welt“ und „Widersteht dem Bösen“ (Röm.12:2,9) hinwegsehen. Indem man die Realität der Sünde, die Schuld und Gottes Gericht nicht in Betracht zieht, geht das wahre Verständnis für die Notwendigkeit der Buße und des Kreuzes verloren. Selbst die wunderbare Gnade Gottes verliert ihre Bedeutung!

Achten Sie darauf, wie der falsche „Gott“ in Die Hütte unseren wahren Gott verspottet, indem er seine Souveränität und seine Gerichte kleinredet:

„Ich bin kein Tyrann, keine selbstsüchtige, fordernde, kleine Gottheit, die auf ihrem eigenen Recht besteht. Ich bin gut, und ich will nur das, was für Dich am besten ist. Das kann man nicht in Schuld oder Verurteilung finden…“ (S.126)

„Du brauchst mich nicht, um deine Liste von Gut und Böse zu erstellen. Aber Du brauchst mich, wenn Du das Verlangen hast, diese ungesunde Lust nach Unabhängigkeit aufzugeben… Mackenzie, das Böse ist ein Wort, um die Abwesenheit des Guten zu beschreiben, so wie wir das Wort Finsternis benutzen, um die Abwesenheit von Licht zu beschreiben… Das Böse und die Finsternis kann man nur verstehen, wenn man weiß, was das Gute und das Licht ist; sie existieren nicht wirklich.“ (S.136)

Das ist eine Lüge! Obgleich die Wunder von Gottes Liebe und seiner Verheißungen für uns unbegreiflich sind, hat er uns dennoch seine Maßstäbe von Gut und Böse mitgeteilt – und Er wird allen vergelten, die Sünde (und folglich die Notwendigkeit des Kreuzes) außer Acht lassen oder seine Wege und Warnungen verwerfen:

„Sie benehmen sich so töricht, weil sie den Weg des Herrn, das Recht ihres Gottes nicht kennen.“ Jeremia 5:4

„Das hast du getan, und ich habe geschwiegen; da meintest du, ich sei gleich wie du. Aber ich will dich zurechtweisen und es dir vor Augen stellen.“ Psalm 50:21

„Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten… Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden.“ Römer 1:18,22

„Höre es Erde, siehe, ich will Unheil über dieses Volk kommen lassen, die Frucht ihrer Gedanken, denn auf meine Worte haben sie nicht geachtet.“ Jeremia 6:19

Ein Kurs in Wundern weist das gleiche Verständnis von Autorität, Sünde und Schuld auf:
„Sünde ist Unsinn… Sünde ist die Ursache aller Illusionen… Es gibt keine Sünde.“4
„… Schuld ist immer völliger Unsinn, sie entbehrt jeder Grundlage…“
„Der Heilige Geist gibt nie Befehle. Jemandem Befehle zu erteilen, setzt eine Ungleichheit voraus, die nicht existiert.“ (S.103)

„… Du hast den Glauben an die Finsternis in Dein Denken übernommen, und jetzt brauchst Du ein neues Licht… Die Stimme des Heiligen Geistes erteilt keine Befehle, denn sie ist des Hochmuts unfähig. Sie befiehlt nicht, weil sie keine Kontrolle ausüben will.“ (S.76)

 „Es gibt keine Schuld in Dir… Deine einzige Berufung ist es, Dich der Leugnung der Schuld in allen ihren Formen mit einer aktiven Bereitschaft hinzugeben… Wir alle haben Anteil an der Erlösung (atonement)… Auf diese Weise werden alle Trennungen der Welt überwunden… Denn Friede ist die Anerkennung der vollkommenen Reinheit, von der niemand ausgeschlossen ist. Alle, die von Gott als Söhne geboren wurden, befinden sich in seinem heiligen Kreis.“((S.282-283)

 Diese absurden Behauptungen erinnern mich an die weisen Worte von Ray Yungen: „Satan versucht nicht nur, die Menschen in dieser Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse auf die finstere Seite zu ziehen. Tatsächlich versucht er, die Kluft zwischen sich und Gott, zwischen Gut und Böse, vollständig zu verwischen.“

 Aber Gott sagt: „Zieht nicht in einem fremden Joch mit Ungläubigen! Denn was haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit miteinander zu schaffen? Und was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis?… Darum geht hinaus von ihnen und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt nichts Unreines an!“ 2.Korinther 6:14-18

 „Das ganze Wort, das ich euch gebiete, das sollt ihr bewahren, um es zu tun; du sollst nichts zu ihm hinzufügen und nichts von ihm wegnehmen.“ 5.Mose 13:1

Vergebung ohne Vorbedingung

 Beide Bücher beinhalten eine verdrehte Form von Vergebung – es ist der Weg der Welt, um Einheit und Heilung ohne das Kreuz herzustellen. Mack lernt nicht nur, allen zu „vergeben,“ die ihn verletzt haben, er vergibt auch „Gott.“ Als ob Gott etwas falsch gemacht hätte!

 Ein Kurs in Wundern folgt dem gleichen Gedankengang, und „Jesus“ bietet seine verdrehte Theologie dazu an:

 „Vergib, und Du wirst dies in einem anderen Lichte sehen… Dies sind Worte, die den Traum der Sünde beenden und die Gedanken von Furcht freimachen. Dies sind die Worte, die aller Welt das Heil bringen.“

 Das Heil für die ganze Welt durch die gegenseitige Vergebung aller Menschen klingt sehr liebevoll. Aber dies ist unbiblisch! Dieser andere „Jesus“ ist vom Wort Gottes – vom lebendigen Wort, das Jesus Christus ist – völlig losgelöst. (siehe Johannes 1:14)

 Unser Gott ist sowohl die Liebe als auch der Richter. Und da er auch heilig und souverän ist, muss er auf die Realität der Sünde reagieren. Sünde kann nicht einfach übergangen oder gerechtfertig werden. Gottes Heil wird alleine auf dem Weg des Kreuzes der Bibel erlangt, auch wenn Ein Kurs in Wundern dies verneint oder Die Hütte irreführende Lehren propagiert. Wir sind Teilhaber an Seiner (Gottes wahrer) Erlösung (nicht an einer New Age Erlösung, atonement – Anspielung auf die Einheit aller Menschen aufgrund ihrer „Göttlichkeit“ in ihnen) durch den biblischen Glauben und nicht durch positive Theorien.

„Wie wir es zuvor gesagt haben, so sage ich auch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas anderes als Evangelium verkündigt als das, welches ihr empfangen habt, der sei verflucht! Rede ich denn jetzt Menschen oder Gott zuliebe? Oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich allerdings den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich nicht ein Knecht des Christus.“ Galater 1:9-10

„Eine neue Welt ist im Begriff zu entstehen…“ schreibt Tamara Hartzell, Autorin des Buches In the Name of Purpose. „Diese neue Welt erhebt sich gegen die Wahrheit, gegen den Herrn Jesus Christus und gegen Gott. Sie entsteht in der Kraft und Autorität und unter der Verführung des Gottes dieser Welt (ein Engel des Lichts), dem es mit Leichtigkeit gelingen wird, die geistig vorbereiteten Massen in die Anbetung von sich selbst und seines Gesandten (Antichrist) zu führen.“

Ihre tiefen Einblicke in ihrem Bericht „The New Age Ark of Oneness“ (Einheit – Die Arche des New Age) vermittelt einen Überblick über diese Verführung:

§ Relativismus ersetzt die Wahrheit.
§ Weltlichkeit ersetzt Gerechtigkeit.
§ Das neue Evangelium des Friedens in der Welt auf der Grundlage einer (interreligiösen) Einheit ersetzt den Frieden mit Gott durch den Herrn Jesus Christus, wie er im Evangelium gelehrt wird.
§ Die neue Spiritualität ersetzt den wahren Glauben, der aus dem Wort Gottes kommt.
§ Die Einheit in Verschiedenheit ersetzt das Heil durch den Herrn Jesus Christus.
§ Der Dialog, der die Einheit zum Ziel hat, und geistliche Erfahrungen ersetzen das Wort Gottes.9

Es ist nicht überraschend, dass so wenige Christen dies bemerken oder sich diesem Prozess widersetzen. Seit John Dewey und Julian Huxley damit begannen, das Erlernen von Fakten durch subjektive Sozialisation zu ersetzen, ist unser Vermögen geschwächt worden, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Wie Donna Garner sagte: „Heute haben wir es mit Leuten zu tun, die seit zwanzig Jahren indoktriniert wurden.“

 Führer außerhalb und innerhalb der Kirche haben gelernt, dass Gruppenerfahrungen in lockerer Atmosphäre neue Eindrücke schaffen, die wiederum entsprechende Gefühle erzeugen und neue Glaubensüberzeugungen begründen. Diese Schritte stellen den Schlüssel für den Wandel dar. Der „Gott“ in Der Hütte stimmt dem zu:

 „Paradigmen (Denkweise) bringen Vorstellungen hervor, und Vorstellungen bringen Emotionen hervor… Darum prüfe Deine Vorstellungen, und prüfen ferner die Wahrheit Deiner Paradigmen – das, was Du glaubst.“1 (S.197)

 „… bei Religion geht es darum, die richtigen Antworten zu haben… [im Gegensatz hierzu] geht es bei mir um den Prozess, der Dich zur lebendigen Antwort führt.“ (S.198)

 „Du kannst mit Deinem geistigen Auge nicht sehen, was Du nicht erfahren kannst.“ (S.201)

 „Es ist unmöglich, nicht zu glauben, was man sieht“, sagt der „Jesus“ von Ein Kurs in Wundern, „aber es ist ebenso unmöglich, etwas zu sehen, woran man nicht glaubt. Vorstellungen entstehen auf der Grundlage von Erfahrungen, und Erfahrungen führen zu Glaubensüberzeugungen. Erst wenn die Glaubensüberzeugungen dauerhaft sind, verfestigen sich auch die Vorstellungen. Folglich, das, was Sie glauben, werden Sie letztlich auch sehen.“ 2 (S.207)

 Wie andere virtuelle Erfahrungen erregt die Lektüre von Die Hütte die Phantasie der Leichtgläubigen. Es werden Vorstellungen erzeugt, die in einem „offenen“ („toleranten“) Denken neue Glaubensüberzeugungen schaffen. Wenige erkennen, dass dieser Prozess ein wenig der Erfahrung Pinocchios gleicht. Der grausame Versucher hatte Pinocchio viel Spaß und gutes Essen auf der „Insel der Vergnügungen“ versprochen. Aber als er dort ankam, wurde er in einen Esel verwandelt und zu einem Sklaven gemacht.

Inmitten der heutigen tödlichen Verführungen spricht der wahre Gott uns Hoffnung zu:
„Wenn ihr in meinem Wort bleibt, dann seid ihr wahrhaft meine Jünger. Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Johannes 8:31-36

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Mann u. Frau in biblischer Sicht (Neuer)

Werner Neuer

MANN UND FRAU IN CHRISTLICHER SICHT

I.    Zur Aktualität des Themas
II.   Die Unterscheidung von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit der
       Geschlechter
III.  Die Wesensverschiedenheit der Geschlechter und die Ganzheit des Menschen
IV.  Die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau
V.   Die biblische Sicht von Mann und Frau
VI.  Die biblische Sicht von Mann und Frau in der Kirchengeschichte
VII. Die bleibende Gültigkeit der biblischen Sicht von Mann und Frau
VIII.Die Dringlichkeit der Verwirklichung der biblischen Sicht von Mann und
        Frau

– Der folgende Text wurde von mir leicht gekürzt. Horst Koch, Herborn, im September 2010 –

Vorwort

Die Frage nach der Stellung von Mann und Frau gehört zu den umstrittensten Themen der Gegenwart. Immer mehr Menschen sind der Auffassung, daß die traditionellen Vorstellungen über die Geschlechter einer vollständigen Revision unterzogen werden müssen. Die jahrtausendelang weithin unangefochtene Überzeugung, daß Mann und Frau sich in ihrer natürlichen Eigenart grundlegend unterscheiden und deshalb verschiedenartige Aufgaben zu erfüllen haben, stößt vielfach auf energischen Widerspruch.

Der Protest gegen die traditionellen Auffassungen über die Geschlechter macht auch vor der Heiligen Schrift nicht halt und hat längst die Christenheit erfaßt. Die biblische Sicht von Mann und Frau gilt vielen als zeitbedingt und veraltet und wird nicht mehr als verbindlicher Maßstab für das Leben der Gläubigen anerkannt. Selbst Christen, welche die Autorität der Bibel ernst nehmen, haben häufig Schwierigkeiten, die biblische Schau der Geschlechter anzunehmen oder auch nur zu verstehen.

Die vorliegende Untersuchung ist keine fachtheologische Studie. Dazu hätte es einer wesentlich gründlicheren Darstellung bedurft. Das Buch will vielmehr eine allgemeinverständliche und doch theologisch fundierte Orientierung für einen größeren Leser­kreis von Christen bieten.

Gomaringen, im Advent 1980,  Werner Neuer

 

I. Zur Aktualität des Themas

1. Die Herausforderung des Feminismus

Die Frage nach Wesen und Aufgabe von Mann und Frau gehört zu den uralten Menschheitsfragen, die immer aktuell sind. Es kann daher nicht verwundern, daß bereits das Neue Testament die Stellung von Mann und Frau mit großer Aufmerksamkeit und bemerkenswerter Grundsätzlichkeit behandelt. Die Frage nach der christlichen Sicht von Mann und Frau ist so alt wie das Christentum. Trotzdem läßt sich sagen, daß sich diese Frage in unserem Jahrhundert in besonderer Weise verschärft hat, da die biblische Verhältnisbestimmung der Geschlechter und mit ihr überhaupt die traditionellen Formen der Zuordnung von Mann und Frau einer radikalen Infragestellung unterzogen werden, wie sie die Geschichte in dieser Weise bisher nicht gekannt hat.

Am deutlichsten wird diese Infragestellung in der Bewegung des Feminismus sichtbar, die sich seit den sechziger Jahren bemüht, sämtliche noch vorhandenen Formen tatsächlicher oder vermeintlicher Unterdrückung der Frau im gesellschaftlichen und privaten Bereich zu beseitigen und dadurch die völlige Emanzipation der Frau zu ermöglichen. Aber auch außerhalb der feministischen Bewegung wurde in den letzten Jahren in zunehmendem Maße Kritik an der traditionellen Stellung der Geschlechter laut. Die heutige Bewegung des Feminismus steht in der langen Tradition neuzeitlicher Frauenbewegungen, die seit dem vorigen Jahrhundert in Europa bestehen und deren Ansätze bis ins 18. Jahrhundert zurückzuverfolgen sind. Trotzdem darf der gegenwärtige Feminismus nicht einfach als heutige Form der zu Beginn unseres Jahrhunderts vorhandenen Frauenbewegungen angesehen werden. Während die Frauenbewegungen vor dem 1. Weltkrieg in erster Linie an der politisch-rechtlichen Gleichstellung der Frau interessiert waren (Frauenwahlrecht, Recht auf Bildung und Berufsausübung u. a.), und dabei vielfach ‑ jedenfalls in Deutschland ‑ verhältnismäßig konservative Vorstellungen über die Eigenart und Aufgabe der Geschlechter hatten, zielt die gegenwärtige feministische Bewegung mehr oder weniger auf die völlige Zerstörung der traditionellen Vorstellung von Mannsein und Frausein.

Wir wollen im folgenden wenigstens kurz auf grundlegende Überzeugungen und Ziele des heutigen Feminismus eingehen, ohne eine genauere Analyse dieser in sich keineswegs einheitlichen Geistesströmung geben zu wollen. Ein solcher Überblick ist für unsere Untersuchung insofern wichtig, als gewisse Grundanschauungen zunehmend Einfluß auf die Gesellschaft gewinnen.

Die wohl wichtigste ideologische Wegbereiterin des heutigen Feminismus ist Simone de Beauvoir, deren Buch “Das andere Geschlecht” grundlegende Bedeutung für die Frauenbewegung erhielt. Simone de Beauvoir, die jahrzehntelang ohne Eheschließung mit dem existentialistischen Philosophen Jean‑Paul Sartre zusammenlebte, bestreitet jede Art von naturgegebenen “Wesensverschiedenheiten” zwischen Mann und Frau. Die bislang in der Geschichte hervorgetretenen Unterschiede der Geschlechter beruhen ihrer Ansicht nach einzig und allein auf gesellschaftlichen Bedingungen, welche die Unterdrückung der Frau durch den Mann ermöglichen. Sie faßt ihre Überzeugung in die prägnante These: “Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.” Die seit Jahrtausenden immer wieder neu gestellte Frage nach dem vorgegebenen Wesen der Geschlechter gilt für sie daher als erledigt. Sie propagiert als Zukunftsideal den Menschen jenseits des Mann- und Frauseins.

Es ist unschwer zu erkennen, daß Simone de Beauvoirs Buch mehr ist als ein Plädoyer für die Beseitigung aller politischen und gesellschaftlichen Benachteiligungen der Frau. Was sie propagiert, ist vielmehr eine Kulturrevolution, wie sie radikaler kaum gedacht werden kann, eine Kulturrevolution, die alles in Frage stellt, was sich in der Geschichte der Menschheit an Überzeugungen, Traditionen und Gewohnheiten im Zusammenleben der Geschlechter herausgebildet hat. Diese über politisch­rechtliche Forderungen hinausgehende kulturrevolutionäre Ausrichtung ihrer Überzeugungen wurde von der neueren feministischen Bewegung aufgenommen und weiterentwickelt.

Eine der radikalsten Veröffentlichungen des Feminismus ist Shulamit Firestones “Frauenbewegung und sexuelle Revolution”. Das Buch propagiert die Vernichtung der “geschlechtsspezifischen Klassengesellschaft”, die vollständige Beseitigung der Geschlechtsunterschiede. Sie verlangt die Auflösung der Familie und die Erziehung der Kinder durch Gruppen statt der Eltern.  . . .

In Deutschland ist Alice Schwarzer mit ihrem Buch “Der kleine Unterschied” und der Gründung der Frauenzeitschrift “Emma” als wohl bislang populärste Vertreterin des deutschen Feminismus hervorgetreten. Auch sie kritisiert nicht nur rechtlich‑politische Formen tatsächlicher oder vermeintlicher Unterdrückung der Frau, sondern sieht bereits in der zur Norm erhobenen sexuellen Vereinigung von Mann und Frau eine Weise der Unterdrückung. Für den Geschlechtsverkehr spricht ihrer Ansicht nach “nichts bei den Frauen, viel bei den Männern”. Sie plädiert statt dessen ‑ wie übrigens viele Vertreterinnen des Feminismus ‑ für homosexuelle Betätigung der Frau. Auch bei Alice Schwarzer ist also der Emanzipationsgedanke verknüpft mit einem Angriff auf naturgegebene Grundlagen des Menschseins.

Es würde zu weit führen, die Entwürfe von Simone de Beauvoir und Shulamit Firestone oder die Überzeugungen von Alice Schwarzer hier einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Auch ein Überblick über die fast nicht mehr überschaubare feministische Literatur ist hier weder möglich noch nötig. Es sollte nur kurz gezeigt werden, mit welcher Radikalität heute alle überkommenen Vorstellungen von Mannsein und Frausein in Frage gestellt werden. …

Diese Auffassung steht freilich in völligem Gegensatz zur bislang in der Menschheitsgeschichte herrschenden Überzeugung, daß die Geschlechter in ihrem Wesen grundverschieden sind. Zwar wurde der Inhalt dieser Verschiedenartigkeit in den verschiedenen Zeiten und Kulturen unterschiedlich aufgefaßt, daß aber eine solche Wesensverschiedenheit besteht, galt als unbestritten. Es lassen sich nämlich weltweit Überzeugungen und Verhaltensmuster feststellen, welche die fundamentale Verschiedenheit der Geschlechter zum Ausdruck bringen und in allen bisher untersuchten Kulturen auftreten. …

Der Feminismus ist ein unübersehbares Zeichen für die weitverbreitete Unsicherheit über Wesen und Auftrag der Geschlechter. Insofern stellt er eine Herausforderung dar, der sich jeder verantwortlich lebende Mensch, gerade auch der Christ, stellen muß.

2. Kirche und Feminismus

Auch innerhalb von Kirche und Theologie hat sich ein “Feminismus” gebildet, der die Emanzipation der Frau als eine Forderung des Evangeliums darstellt. Dieser Forderung sei in Kirche und Theologie nur unzulänglich Raum gegeben worden. Dies habe eine unter der Vorherrschaft von Männern stehende Kirche und eine einseitig an “männlichen” Denkweisen orientierte Theologie zur Folge. Der innerkirchliche Feminismus arbeitet deshalb auf eine möglichst große Einflußnahme der Frauen auf die Leitungspositionen der Kirche hin und auf eine Revision der “männlich” geprägten Theologie. Eine grundlegende Forderung ist dabei die Zulassung der Frau zum gemeindeleitenden Pfarramt bzw. zum Priestertum. Ein Ausschluß der Frau vom Pfarrdienst wird als eine dem Evangelium widersprechende Diskriminierung angesehen. Die feministische Theologie bemüht sich um eine Neuorientierung der Exegese, welche die Aufwertung der Frau in der Bibel stärker herausarbeiten soll und um eine Neuorientierung der Dogmatik, die sogar die Revision des traditionellen Gottesbegriffs mit einschließt: Die überlieferte Vorstellung von Gott als Vater soll ergänzt werden durch die Vorstellung Gottes als Mutter. Die feministische Theologie zielt deshalb auch auf eine feministische Frömmigkeit ab, welche Gott als Vater und Mutter anbetet.

Der theologische Feminismus führt auch zu einer neuen Form der Bibelkritik: Alle biblischen Stellen, die eine Unterordnung der Frau unter den Mann zum Inhalt haben, sind als zeitbedingt zurückzuweisen zugunsten jener Stellen, die eine völlige Gleichstellung der Geschlechter aussprechen. Ziel ist ein sogenannter “nicht‑sexistischer Gebrauch” der Heiligen Schrift, der frei ist von jeder Form der Diskriminierung der Frau.

Dieser kurze Einblick in Eigenart und Zielsetzung der feministischen Theologie mag als Einführung zunächst genügen, da wir im Laufe dieser Untersuchung uns immer wieder mit ihr auseinandersetzen werden. Ähnlich wie der außerkirchliche Feminismus stellt der theologische Feminismus etwas völlig Neues dar. Würde er sich durchsetzen, hätte dies eine Revolutionierung der christlichen Theologie, Kirche und Frömmigkeit zur Folge, die in scharfem Kontrast zur bisherigen Tradition stünde, so uneinheitlich diese im einzelnen auch war.

Entstanden ist die feministische Theologie in den USA, wo sie inzwischen auch eine stattliche Zahl von Veröffentlichungen aufweist. Ihr Einfluß auf die dortige kirchliche Situation ist bereits beträchtlich: Der amerikanische Nationalrat der Kirchen, dem immerhin 32 protestantische und orthodoxe Kirchen angehören, hat ‑ beeinflußt von der feministischen Theologie ‑ den Beschluß gefaßt, in einer revidierten Bibelübersetzung männliche Bezeichnungen und Fürwörter auf ein Mindestmaß zu beschrän­ken, um den angeblichen “Sexismus” in der Bibel auszumerzen. Jesus soll nicht mehr “Sohn Gottes”, sondern “Kind Gottes” genannt und Gott möglichst nicht mehr mit männlichen Pronomen bezeichnet werden. …

Der theologische Feminismus ist eine Herausforderung an Theologie und Kirche, denn er stellt Fragen, die an die Substanz der zweitausendjährigen Überlieferung der Christenheit gehen. Er führt in verschärfter Form die Diskussion weiter, die sich in den evangelischen Kirchen der letzten zwanzig Jahre im Zusammenhang mit der Zulassung der Frau zum Pfarramt ergeben hat. Schon hier stellte sich die Frage, inwieweit die biblische Zuordnung der Geschlechter heute noch für die Christenheit Gültigkeit besitzt. Diese Frage besaß Aktualität, längst bevor es eine feministische Theologie gab, und sie besitzt Aktualität auch für jene Christen, die aus biblischen Gründen die feministische Theologie ablehnen.

3. Die Notwendigkeit einer christlichen Antwort

Die beiden ersten Kapitel haben gezeigt, wie dringend eine christliche Antwort auf die Frage nach Wesen und Aufgabe der Geschlechter ist. . . . Wenn der Wille Gottes im grundlegenden Verhältnis von Mann und Frau unberücksichtigt bleibt, hat dies schwerste Folgen für das Leben und die Praxis des Menschen,«selbst dann, wenn er in anderen Bereichen Gott gehorsam ist. Die christliche Sicht der Geschlechter muß auf dem Willen Gottes für Mann und Frau gegründet sein und darf nicht eigenmächtiger Überlegung entspringen. Dies bedeutet, daß das christliche Bild von Mann und Frau von der Bibel als gültiger Norm christlicher Theologie auszugehen hat. Deshalb steht im Zentrum dieses Buches die Untersuchung dessen, was die Heilige Schrift über die Zuordnung von Mann und Frau sagt (siehe V.). Da die Bibel auch situationsbezogene und zeitbedingte Aussagen enthält, muß darüber hinaus geprüft werden, ob und inwieweit die biblischen Sätze über Mann und Frau noch heute gültige Wahrheit aussprechen (siehe VII.).

Eine christliche Sicht der Geschlechter tut gut daran, nicht nur von den ‑ allerdings ausschlaggebenden ‑ biblischen Texten auszugehen, sondern auch das Erfahrungswissen über Mann und Frau heranzuziehen. Dies ist bei unserem Thema umso notwendiger, weil durch den Feminismus eine über das Körperliche hinausgehende Wesensverschiedenheit der Geschlechter bestritten wird. Wir werden deshalb auch die von wissenschaftlichen Forschungen festgestellte Unterschiedlichkeit von Mann und Frau in unsere Untersuchung miteinbeziehen (siehe IV.).

Die vorliegende Studie spricht eine Vielfalt von Fragen und Gesichtspunkten an. Es soll jedoch ausdrücklich betont werden, daß trotz der Vielzahl der angesprochenen Aspekte das Schwergewicht unserer Untersuchung auf der Frage nach einer theologischen Sicht von Mann und Frau liegt. Die folgenden Ausführungen sind deshalb nicht in erster Linie als Antwort auf die Fragen des Feminismus zu verstehen, sondern als Antwort auf die Frage, was der Wille Gottes für die Geschlechter in der heutigen Situation ist. Die entscheidende Frage ist für den Christen nie, ob er den ideologischen Anfragen seiner Zeit eine befriedigende Antwort erteilen kann, sondern ob er dem Willen Gottes für seine Zeit gehorsam ist. Der Christ ist in jeder Hinsicht befreit vom Diktat des Zeitgeistes und allein gebunden an den Gehorsam gegenüber Gott. Die christliche Sicht von Mann und Frau muß deshalb keineswegs auf alle vom Feminismus aufgeworfenen Fragen eine ausdrückliche Antwort geben. Es genügt vielmehr, wenn sie Gottes Aufgaben für die Geschlechter in verständlicher und gegenwartsnaher Weise deutlich macht. 

II. Die Unterscheidung von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit der Geschlechter

Die Unterscheidung von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit der Geschlechter ist eine Grundvoraussetzung der christlichen Sicht von Mann und Frau, ohne die sie nicht verstanden werden kann. Wir werden bei unserer Untersuchung der biblischen Texte zwar nicht begrifflich, aber sachlich ständig auf diese Unterscheidung stoßen. Aber auch wenn man von den biblischen Texten absieht, muß man um der Sache willen streng zwischen Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit unterscheiden. Das Fehlen einer solchen Unterscheidung hat bei der Diskussion um Wesen und Aufgaben der Geschlechter schon viel Unheil angerichtet und führt zu schwerwiegenden Fehlurteilen.

Die christliche Sicht der Geschlechter geht davon aus, daß Mann und Frau in jeder Hinsicht gleichwertige Geschöpfe Gottes, aber in ihrem Wesen grundlegend verschieden sind und deshalb auch unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen haben. Die wesenhafte Verschiedenheit von Mann und Frau bedeutet, daß die Geschlechter sich nicht nur körperlich unterscheiden, sondern auch geistig‑seelisch. Die Annahme einer Geist, Seele und Leib umfassenden Verschiedenartigkeit der Geschlechter ist zwar unaufgebbarer Bestandteil einer christlichen Sicht von Mann und Frau, aber keineswegs eine spezifisch christliche Überzeugung.

Wir werden in Teil III und IV sehen, daß diese Annahme unabhängig von der Religion oder Weltanschauung des Menschen auf der Erfahrung und wissenschaftlichen Beobachtung der Geschlechter beruht.  . . .

Die Annahme der Gleichwertigkeit von Mann und Frau gilt heute ‑ jedenfalls im christlichen Kulturbereich ‑ als selbstverständlich. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich bis ins 20. Jahrhundert hinein die Überzeugung von der Minderwertigkeit der Frau hartnäckig gehalten hat. Die europäische Geistesgeschichte ist ‑ von den Griechen angefangen bis hin zu Kant, Nietzsche und Schopenhauer ‑ voll von frauenfeindlichen Äußerungen.  . . .

Sicher ist jedenfalls, daß die praktische Geringschätzung der Frau auch heute noch weitverbreitet ist. Es sei nur erinnert an die in vielen Ehen geübte Unterdrückung der Frau durch die despotische Herrschaft des Ehemannes, an die Degradierung der Frau zum Sexualobjekt in vielen Filmen und Illustrierten, in Werbung, Literatur, in den Erzeugnissen der Pornographie und in der erschreckend hohen Zahl von Vergewaltigungen.

Mit der Unterscheidung von Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit der Geschlechter haben wir bereits ein erstes Kriterium erhalten, um Wahrheit und Unwahrheit des Feminismus einschätzen zu können: Der Feminismus neigt dazu, die (tatsächliche) Gleichwertigkeit von Mann und Frau mit ihrer (nicht den Tatsachen entspre­chenden) Gleichartigkeit zu verwechseln. Das Recht der feministischen Bewegung besteht darin, jeder theoretischen und praktischen Abwertung der Frau im privaten, gesellschaftlichen und politischen Bereich entgegenzutreten. Soweit der Feminismus dies wirklich in ethisch vertretbarer Form tut, kann man ihn nur bejahen. Das Unrecht des Feminismus besteht aber darin, daß er eine geschlechtsspezifische Verteilung der Aufgaben von Mann und Frau ablehnt. Dahinter steht eine grundsätzlich falsche Sicht der Geschlechter, die den Feminismus zwangsläufig zu unrealistischen und daher faktisch zerstörerischen Folgerungen führt.

Eine christliche Sicht von Mann und Frau hat die Aufgabe, das Wahrheitsmoment des Feminismus entschlossen zu vertreten und seine unwahren Voraussetzungen zu korrigieren, um auf diese Weise eine echte Befreiung von Mann und Frau zu ihrer gottgewollten geschöpflichen Bestimmung zu ermöglichen.

III. Die Wesensverschiedenheit der Geschlechter und die Ganzheit des Menschen

Während sich die Überzeugung von der Gleichwertigkeit der Geschlechter erfreulicherweise heute weitgehend durchgesetzt hat, wenngleich die Praxis dem leider noch oft genug widerspricht, ist die Auffassung von der Wesensverschiedenheit der Geschlechter gerade in der Gegenwart sehr umstritten. Daß Mann und Frau sich körperlich unterscheiden, ist so offenkundig, daß es keiner weiteren Erörterung bedarf; daß sie sich aber auch geistig‑seelisch grundlegend voneinander unterscheiden, wird heute nicht nur von radikalen Feministinnen, sondern auch von vielen anderen Zeitgenossen in Zweifel gezogen. Man bezweifelt, daß es ein erkennbares “Wesen des Mannes” oder ein “Wesen der Frau” gibt, welches das ganze Leben in charakteristischer Weise bestimmt. Geschlechtlichkeit wird als rein körperliche Eigenart des Menschen verstanden, die in keiner Beziehung zu seinem geistig‑seelischen Leben steht.

Diese Auffassung erweist sich bei näherer Prüfung jedoch als unhaltbar, da sie der Ganzheitlichkeit des Menschen widerspricht. Der Mensch ist eine Ganzheit und Einheit von Leib und Geistseele, was keine Aufspaltung in einen geschlechtlichen Körper und eine geschlechtslose Psyche Zuläßt. Diese untrennbare Einheit von Innerem und Äußerem, von Geistseele und Körper ist eine Tatsache, die der Mensch tagtäglich erfährt, die von der Wissenschaft bestätigt und von der Bibel bezeugt wird.

Leib und Seele stehen in einer ganz engen Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Da Geistseele und Körper eine untrennbare Einheit bilden, ist Mannsein und Frausein etwas, was den ganzen Menschen kennzeichnet und nicht nur seinen Leib. Der Mensch existiert nur als Mann oder Frau. Er kann sein Mannsein oder Frausein nie verleugnen. Der Mensch hat nicht nur einen männlichen oder weiblichen Körper, sondern er ist Mann oder Frau. Die Geschlechtlichkeit ist also nicht nur eine Eigenschaft des Menschen neben anderen Eigenschaften, sondern ein Sein, welches sein gesamtes Verhalten bestimmt. Es ist daher nicht richtig, wenn man das Wesen des Menschen von seiner Geschlechtlichkeit trennt und den Menschen als wesenhaft ungeschlechtliches Vernunftwesen betrachtet, dem das Geschlecht als zwar wichtige, aber nicht zu seinem Wesen gehörige Äußerlichkeit zukommt, welche nur um der Arterhaltung willen notwendig ist.

E. Metzke hat mit Recht darauf verwiesen, daß die gesamte abendländische Philosophie zur Auffassung neigt, daß “Bestimmung und wahres Wesen des Menschen … mit dem Geschlechtsunterschied nichts zu tun … haben.” Diese Auffassung ist auch heute noch von großem Einfluß. Sie hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, daß die Sexualität als etwas Tierisches abgewertet wurde, das der eigentlich geistigen Bestimmung des Menschen hinderlich sei und deshalb entweder bloß als notwendiges Übel hinzunehmen oder aber ganz abzulehnen sei. Leider ist auch die Geschichte der Christenheit nicht frei von derartigen Tendenzen. Es ist gerade für die Stellung zur menschlichen Sexualität entscheidend, daß die Geschlechtlichkeit als wesenhaftes Merkmal des Menschen aufgefaßt wird, das sein ganzes Dasein bestimmt. Denn dann ist es nicht mehr möglich, das Sexualleben als Gegensatz zum angeblich geschlechtslosen geistig‑seelischen Leben aufzufassen und als minderwertig einzustufen.

Wie sehr die Geschlechtlichkeit auch den geistig‑seelischen Bereich des Menschen umfaßt, läßt sich sehr schön an der gegenseitigen Anziehung der Geschlechter veranschaulichen. Bei jeder gesunden Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau beruht das Angezogenwerden vom anderen und das Begehren des anderen nicht nur auf dem Sexualtrieb, sondern auch auf der erotischen Faszination durch das geistig‑seelische Anderssein des Geliebten. Der Liebende begehrt den anderen als ganzen Menschen, er verlangt danach, vollständige Lebensgemeinschaft nicht nur in leiblicher, sondern auch in geistig‑seelischer Hinsicht zu haben.  . . .

Wir können also als Ergebnis festhalten, daß die Geschlechtlichkeit den ganzen Menschen umfaßt und zu seinem Wesen gehört. Der Leib und die Geistseele des Menschen bilden eine Einheit und lassen sich nicht in einen geschlechtlichen Bereich (Körper) und einen ungeschlechtlichen Bereich (Geist) aufteilen. Vielmehr ist der Mensch als Ganzes ein geschlechtliches Wesen.

Das hier skizzierte ganzheitliche Verständnis der menschlichen Geschlechtlichkeit steht im schroffen Gegensatz zum heute weitverbreiteten Rollendenken, das die üblichen geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen als bloße “Rollen” deutet, welche die Gesellschaft dem Mann und der Frau zuteilt.   . . .

Das Rollendenken ist ein einseitig soziologisches Denken, das die Bedeutung der Gesellschaft überschätzt und die Bedeutung der Schöpfungswirklichkeit verkennt. Es ist ein typisches Produkt der Überbetonung der vom Menschen gemachten Geschichte auf Kosten der den Menschen Grenzen setzenden Natur. Dieser Überbetonung der Geschichte ‑ wie sie besonders handgreiflich im Marxismus zutage tritt ‑ liegt eine Überschätzung des vom Menschen Machbaren und eine Unterschätzung der von Gott dem Menschen durch die Natur gesetzten Schranken zugrunde.

 

IV. Die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau

 

Vorbemerkung

Jede Darstellung der Geschlechtsunterschiede birgt die Gefahr in sich, daß die Verschiedenartigkeit der Geschlechter derart in den Vordergrund rückt, daß die Gemeinsamkeiten von Mann und Frau in unzulässiger Weise zurücktreten. Bevor wir uns den Unterschieden zwischen den Geschlechtern zuwenden, muß deshalb betont werden, daß die Gemeinsamkeit von Mann und Frau viel größer ist als ihre Verschiedenartigkeit. Denn beide haben das Menschsein gemeinsam, wenngleich sie es in unterschiedlicher Weise verwirklichen. Mannsein und Frausein sind nur eine je verschiedene Ausformung des beiden gleichermaßen zukommenden menschlichen Wesens. Die folgenden Ausführungen werden gründlich mißverstanden, wenn dies übersehen wird.

 

1. Die leiblichen Unterschiede der Geschlechter

Wir beginnen unsere Darstellung der Verschiedenartigkeit von Mann und Frau ganz bewußt mit einer Schilderung der körperlichen Geschlechtsunterschiede, da an ihnen die Verschiedenartigkeit der Geschlechter besonders zutage tritt. Dabei geht es uns nicht um eine bloße Aufzählung der leiblichen Unterschiede, son­dern um die Frage, inwieweit in der körperlichen Verschiedenheit die seelische Eigenart der Geschlechter bzw. die Verschiedenheit ihrer Aufgaben zum Ausdruck kommt. Zu diesem Vorgehen berechtigt uns die schon gewonnene Erkenntnis, daß der Mensch eine Einheit aus Leib und (Geist‑) Seele ist. Das bedeutet nämlich, daß im Leib die seelische Eigenart des Menschen in irgendeiner Form zeichenhaft in Erscheinung tritt. Mit Recht stellt der Mediziner Josef Rötzer fest: “Wenn man den Menschen als eine Leib‑Seele‑Einheit sieht, so ergibt sich eigentlich zwingend, daß das Psychische sich im Physischen präfiguriert. Wenn Leib und Seele nur zwei Aspekte einer und derselben Wesenheit sind, muß jeder Aspekt für sich Wesentliches über das Ganze aussagen können.”  Die menschliche Leib‑Seele‑Einheit hat zur Folge, daß das geistige Wesen des Menschen in seiner leiblichen Erscheinung zum Ausdruck kommt!  . . .

Ein solches Verständnis des menschlichen Körpers widerspricht freilich der heute weitverbreiteten Sicht, daß der Leib des Menschen nichts weiter als ein hochentwickelter Säugetierleib ist. Eine derartige Betrachtung verkennt die Tatsache, daß die einzigartige Geistnatur des Menschen, die ihn fundamental von der Tierwelt unterscheidet, ihren Ausdruck auch im menschlichen Körper findet, so daß auch der Leib des Menschen ‑ trotz mancher unbestreitbaren Ähnlichkeit sich in charakteristischer Weise von dem aller Säugetiere unterscheidet. Eines der vielen Beispiele, die man hier als Beleg anführen könnte, ist der menschliche Kehlkopf, zu dem es keinerlei Parallele im Tierreich gibt: Nur der menschliche Kehlkopf ist in der Lage, Sprechen zu ermöglichen, und damit dem Geist des Menschen zur Entfaltung und Kommunikation zu verhelfen. Wir sehen also, daß der Körper des Menschen Ausdruck und Werkzeug seiner Geistseele ist und ihr die Möglichkeit verschafft, sich zu betätigen und zu entfalten.   . . .

Wir können zusammenfassend sagen, daß der Körperbau des Mannes geeigneter ist zum Umgestalten der Umwelt, während die körperliche Beschaffenheit der Frau ihre größere Begabung zum Ausgestalten und Pflegen einer geschlossenen Umwelt “der nahen und nächsten Dinge” zum Ausdruck bringt.  . . .

Das sich an die geschlechtliche Begegnung anschließende Geschehen zeigt eine ähnliche Polarität von männlicher Aktivität und weiblicher Passivität: Die männlichen Samenzellen umschwirren mit großer Beweglichkeit das ruhende weibliche Ei, bis eine dieser Zellen in das Ei eindringt und es befruchtet. Vorher lag das Leben, das im weiblichen Schoß durch die Befruchtung erweckt wird, gleichsam im Schlummer; erst durch das Eindringen der männlichen Samenzelle wird es erweckt und zur Entfaltung gebracht. Die Aktivität des Mannes bzw. seiner Samenzelle und das mehr passive Verhalten der Frau bzw. ihrer Eizelle bei der Befruchtung dürfen allerdings nicht verdunkeln, daß beide Geschlechter gleichermaßen zur Gestaltung und erblich bestimmten Eigenart des neu entstandenen Lebens beitragen.

Wenn wir oben der männlichen Aktivität beim Begattungsakt die weibliche Passivität gegenübergestellt haben, so war dies nur eine ungefähre Kennzeichnung dessen, was bei der geschlechtlichen Vereinigung geschieht. Denn das Verhalten des Mannes läßt sich zwar sachgemäß als Aktivität bezeichnen, das Verhalten der Frau aber ist mit dem Begriff Passivität nicht ganz zutreffend beschrieben, denn auch sie ist an der leiblichen Vereinigung nicht als untätiges Gegenüber, sondern als liebender, sich hingebender und somit aktiver Partner beteiligt. Es ist daher begrifflich genauer, das Verhalten der Frau als empfangend (rezeptiv) zu bezeichnen.  . . .

Die genannten physiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern machen zur Genüge deutlich, wie sehr die Geschlechtlichkeit die ganze Leiblichkeit des Menschen in vielfältiger Weise bestimmt. Die Totalität der leiblichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigt zeichenhaft die Totalität ihrer geistig‑see­lischen Verschiedenartigkeit an, der wir uns im nächsten Kapitel widmen wollen.

Unsere Ausführungen über die totale Geschlechtsbestimmtheit des Menschen bedürfen freilich einer wesentlichen Einschränkung: Jeder Mensch besitzt in gewissem Umfang geschlechtsspezifische Merkmale des anderen Geschlechts. Dies gilt in biologischer wie in geistig‑seelischer Hinsicht. Insofern gibt es weder den “totalen Mann” noch die “totale Frau”. Diese Erkenntnis sollte uns davor bewahren, einer wirklichkeitsfernen Vorstellung von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit zu huldigen und die vorhandenen Unterschiede zwischen Mann und Frau als absoluten Gegensatz mißzuverstehen.

 

2. Die geistig‑seelischen Unterschiede der Geschlechter

Das vorangegangene Kapitel über die Leibesunterschiede von Mann und Frau hat bereits eine ganze Reihe von geistig‑seelischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern zur Sprache gebracht. Die Leib‑Seele‑Einheit des Menschen beinhaltet, daß der ganze Mensch von seinem Geschlecht bestimmt ist. In der Tat bestätigen umfangreiche Untersuchungen, daß es bemerkenswerte Unterschiede in der geistigen und psychischen Eigenart der Geschlechter gibt.  . . .

Die mehr schöpferische und die mehr empfangende Eigenart des geistigen Lebens bei Mann und Frau ist von tiefer Bedeutung für die menschliche Kultur. Die Dichterin Gertrud von le Fort sieht gerade in dem Empfangen der geistigen Kulturleistungen die besondere und unersetzliche Aufgabe der Frau. Die Frau ist für sie “Bewahrerin und Pflegerin der geistigen Werte”, während sie im Mann den Schöpfer der Kultur sieht, welcher der Frau als “Empfangende” seines Werkes notwendig bedarf: “Geben ohne Empfangen würde ins Leere fallen! Kultur will nicht nur geschaffen, sie will auch getragen, sie will auch gehegt, sie will auch wie ein Kind geliebt sein.” Die Frau ist in besonderem Maße dazu befähigt, “sich dienend und verstehend dem Vorhandenen zuzu­wenden und Beziehungen zwischen dem Vorgegebenen und den Menschen zu vermitteln ” (Reidick), d. h. die geistigen Werte den Menschen nahezubringen.

Diese Verbindung geistiger Inhalte mit dem konkreten menschlichen Leben verwirklicht die Frau in besonderem Maße als Mutter gegenüber ihrem Kind: “Die Mutter, die dem Kind die ersten Laute der Sprache lehrt . . ., die ihm die ersten Lieder seines Volkes vorsingt, ihm seine Märchen erzählt, sie stellt auch in des Kindes Leben den ersten und weithin entscheidenden Kulturfaktor dar, den frühesten Einfluß seines geistigen Lebens. Er ist von unermeßlicher Bedeutung nicht nur für das Kind, sondern auch für die Kultur” (G. von le Fort). Das geistige Schaffen des Mannes läßt sich als eine geistige “Vaterschaft” in Analogie zu seiner leiblichen Vaterschaft verstehen. Dies wird im deutschen Sprachgebrauch angedeutet, wenn beispielsweise Wernher von Braun als “Vater” der Weltraumfahrt oder Sacharow als “Vater” der russischen Wasserstoffbombe bezeichnet werden. Umgekehrt stellt das empfangende, bewahrende und mit dem Leben verbindende Geistesleben der Frau einen Teil ihrer geistigen Mutterschaft in Entsprechung ihrer biologischen Mutterschaft dar. Vaterschaft und Mutterschaft sind also Wesensmerkmale von Mann und Frau, die nicht nur ihr leibliches, sondern auch ihr geistiges Leben bestimmen.  . . .

Die größere Empfindsamkeit der Frau bewirkt im Umgang mit Personen ein besonderes Maß an Einfühlungsvermögen in deren Eigenart und Bedürfnisse. Die Frau läßt sich daher mit gewissem Recht als “Psychologin von Natur” (Kampmann) bezeichnen. “Sie fühlt und errät, wo der Mann oft noch tastet und irrt” (Croner). Bereits bei jungen Mädchen zeigt sich, daß das “Erleben der fremden Seele . . . viel feiner und ausgeprägter als beim Knaben” ist (Croner).

Das besondere Einfühlungsvermögen der Frau bewährt sich in unübertrefflicher Weise in ihrem Muttersein. Max Scheler weist darauf hin, daß die in der Schwangerschaft entstandene “vitalpsychische Einheit zwischen Mutter und Kind durch die organische Ablösung der Leiber noch nicht ganz zerrissen ist” und die Mutter “so etwas wie ein organisches Zeichensystem für den kindlichen Lebensablauf mit sich” herumträgt, “das sie auf eine tiefere Art und Weise wissen läßt um ihr Kind, als es einem anderen zugänglich ist.” So wie sich der Körper der Frau in staunenswerter Weise an die Bedürfnisse des Säuglings anpaßt, indem er soviel Muttermilch produziert wie das Kind benötigt, so paßt sich auch die Seele der Frau in einzigartiger Weise den Bedürfnissen des Kindes an. Die besondere Einfühlungsgabe der Frau steht also in ganz enger Beziehung zu ihrer mütterlichen Aufgabe, sie ist ein Merkmal ihrer, wesenhaften Mütterlichkeit, die sie auch zu bestätigen und zu entfalten vermag, wenn ihr eigene Kinder versagt bleiben.  . . .

Die besondere Pflegebereitschaft der Frau wird unterstützt durch ihre ‑ ebenfalls schon im Mädchenalter feststellbare ‑ größere Anpassungsfähigkeit. Diese ist im Grunde nichts anderes als eine Folge des besonderen weiblichen Einfühlungsvermögens: Aus der Einfühlung in die Bedürfnisse anderer Menschen entsteht die Fähigkeit, sich ihnen in angemessener Weise anzupassen.  . . .

Unsere Darstellung der geistig‑seelischen Geschlechtsunterschiede hat gezeigt, wie sehr die Geschlechter nicht nur in ihrem leiblichen Dasein, sondern gerade auch in ihrem geistig‑seelischen Leben sich charakteristisch voneinander unterscheiden. Im folgenden Kapitel wollen wir versuchen, das bisher Gesagte in eine zusammenfassende Gesamtschau überzuführen, die das verschiedenartige Weltverhältnis der Geschlechter zum Inhalt hat.

 

3. Der verschiedene Weltbezug der Geschlechter

Mannsein und Frausein ist mehr als nur die Summe von bestimmten geschlechtseigentümlichen Eigenschaften. Wir müssen deshalb versuchen, eine Gesamtschau zu entwickeln, in die sich die einzelnen geschlechtsbedingten Eigenschaften leiblich‑seelischer Art einordnen lassen.

Der von uns gesuchte übergreifende Gesichtspunkt, von dem her die verschiedenen Einzelunterschiede zwischen den Geschlechtern verstanden werden können, liegt in dem verschiedenartigen Weltbezug von Mann und Frau: Der Mann hat ein engeres Verhältnis zur Welt der Sachen (und Sachverhalte), während die Frau eine engere Beziehung zur Welt der Personen besitzt.

Die engere Beziehung des Mannes zur Sachwelt zeigt sich in seiner gesamten leiblich‑seelischen Konstitution, wie wir sie in den beiden vorangegangenen Kapiteln geschildert haben: Der Körper des Mannes ist angelegt auf die praktische Umgestaltung und Veränderung der Umwelt (vgl. unsere Ausführungen über das Skelett und die Muskulatur des Mannes). Seine gegenüber der Frau ausgeprägtere Fähigkeit zum abstrakten und räumlichen Denken zielt auf eine erkennende Durchdringung der Sachwelt, welche die geistige Grundlage für deren praktische Umgestaltung ist.

Während der Körper der Frau in starkem Umfang auf Gebären und Aufzucht der Nachkommenschaft ausgerichtet ist, besteht die leibliche Ausrichtung des Mannes auf Nachkommen nur in der Befähigung zum zwar alles entscheidenden, aber nur kurzen Moment der Zeugung. Der Schwerpunkt des männlichen Daseins liegt offensichtlich nicht auf der personalen Aufgabe der Heranziehung der Nachkommenschaft. Auch das geistige Schöpfertum des Mannes, das sich in besonders auffälliger Weise in den genialen Werken der Geistes‑ und Kunstgeschichte und den Pioniertaten der Wissenschaft äußert, zeigt das im Vergleich zur Frau ausgeprägtere Verhältnis des Mannes zur Welt der Sachen und Sachverhalte.

Die gegenüber dem Mann ausgeprägtere Beziehung der Frau zur Welt der Personen äußert sich in ihrem ganzen leib‑seelischen Dasein: Ihr Körper ist weniger für die Umgestaltung der Umwelt als für die hegende und pflegende Ausgestaltung ihrer Umgebung geeignet, die für das Wohlbefinden und das Geborgenheitsbedürfnis des Menschen von entscheidender Bedeutung ist.  . . .

 

4. Die relative Unabhängigkeit der Geschlechterunterschiede von der Umwelt

Die geistig‑seelischen Geschlechtsunterschiede sind so offenkundig und durch so viele wissenschaftliche Untersuchungen (und nicht zuletzt Alltagserfahrungen) gesichert, daß kein ernstzunehmender Mensch sie bestreiten kann. Es wird allerdings (gerade von feministischer Seite) immer wieder behauptet, daß die feststellbaren Geschlechtsunterschiede im geistig‑seelischen Bereich überwiegend durch die Gesellschaft bedingt sind. Wir wollen deshalb die Frage nach der Bedeutung von Umwelt und Erziehung für die Unterschiede von Mann und Frau untersuchen.

Die ausschließliche Rückführung der seelischen Geschlechtsunterschiede auf die gesellschaftliche Umweltscheitert schon an der Leib‑Seele‑Einheit des Menschen. Denn wenn der Mensch wirklich eine Einheit aus Leib und Seele bildet, ist es unmöglich, dem geschlechtlich bestimmten Körper eine ganz und gar ungeschlechtliche Psyche zuzuordnen. Vielmehr muß schon aufgrund der psychosomatischen Einheit des Menschen eine geschlechtlich bestimmte Geistseele angenommen werden. Da aber die geschlechtliche Eigenart des menschlichen Leibes nicht oder kaum abhängig ist von der Umwelt, darf man auch auf eine Psyche schließen, die wenigstens in bestimmten Grenzen von der Umwelt unabhängig ist. Das Geistes‑ und Seelenleben des Menschen hat allerdings in gewissem Umfang ein Eigenleben gegenüber der praktisch kaum beeinflußbaren Eigenart des Körpers. Die relative Eigenständigkeit der Geistseele beruht auf ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung (Freiheit), zum eigenen Denken, Wollen und Handeln. Diese Möglichkeit der freiheitlichen Selbstbestimmung macht gerade die Besonderheit des Menschen gegenüber der Tierwelt aus.

Die menschliche Freiheit schließt sogar die Möglichkeit ein, daß der Mensch gegen seine Natur zu denken und zu handeln vermag und ein Dualismus von Leib und Seele entsteht. Aber diese Möglichkeit ist begrenzt, da der Mensch an seinen Leib gebunden ist und nur bis zu einem gewissen Grad im Widerspruch zu ihm leben kann. Für die Geschlechtlichkeit des Menschen bedeutet alldies, daß der Mensch die Freiheit besitzt, in gewissen Grenzen gegen seine geschlechtlich bestimmte leib‑seelische Eigenart zu leben und zu handeln. Es gibt also die Möglichkeit, daß etwa ein Mann sich bewußt unmännlich oder eine Frau sich bewußt unweiblich verhält.

Perversionen wie die Homosexualität sind ein trauriger Beweis dafür, wie der Mensch seine Geschlechtlichkeit verleugnen und verfehlen kann. Auf die Kulturen angewendet heißt das, daß Kulturen möglich sind, welche die geschlechtliche Eigenart von Mann und Frau zur Entfaltung bringen, und solche, die sie unterdrücken.  . . .

Dieser Freiheitsspielraum ist allerdings nicht unbegrenzt. Wenn die Geschlechter nämlich ihre anlagebedingte männliche oder weibliche Eigenart verleugnen und unterdrücken, lehnen sie sich gegen ihr Wesen und ihre Bestimmung auf und verfehlen ihre Geschlechtlichkeit. In diesem Fall kann man und muß man von Degeneration sprechen. Es kommt also alles darauf an, daß das Leben des Menschen in Übereinstimmung mit seinen geschlechtsspezifischen Anlagen bleibt, denn nur dann verwaltet er in der rechten Weise die ihm eigene Geschlechtlichkeit und lebt seiner männlichen oder weiblichen Wesensart gemäß.  . . .

Der Amerikaner Steven Goldberg hat in einer gründlichen, nach den Worten der berühmten Anthropologin Margaret Mead “überzeugenden” Untersu­chung nachgewiesen, daß weltweit weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart eine Gesellschaft existiert hat, in der nicht die überwältigende Mehrheit der Schlüsselpositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von Männern besetzt wurde. Mit anderen Worten und entgegen der Überzeugung vieler Feministinnen ist nirgendwo und nirgendwann eine matriarchalische (d. h. von Frauen geleitete) Gesellschaftsordnung nachweisbar. Goldberg weist ferner nach, daß in allen Gesellschaften der Vergangenheit und Gegenwart die allgemeine Überzeugung herrschend war bzw. ist, daß der Mann in Ehe, Familie und Gesellschaft die Führungs‑ und Autoritätsstellung einzunehmen hat.  . . .

Goldbergs Nachweis von universal verbreiteten geschlechtsspezifischen Erwartungen und Verhaltensmustern ist eine völkerkundliche Bestätigung der These, daß nicht die Umwelt, sondern angeborene Anlagen in erster Linie für die im Erscheinungsbild der Geschlechter zutage tretenden Unterschiede verantwortlich sind.

Wir können als Ergebnis dieses Kapitels also feststellen, daß der Vorrang der Anlage vor dem Milieu aufgrund der Leib‑Seele‑Einheit des Menschen, aufgrund der Gehirn‑, Vererbungs- ­und Hormonforschung, aufgrund der Verhaltensforschung und der Ergebnisse der Ethnologie als gesichert angesehen werden muß. Wesentliche Abweichungen vom geschlechtsspezifischen Verhalten der Geschlechter werden hinreichend erklärt durch die Fähigkeit des Menschen, gegen sein Wesen und seine Bestimmung zu leben.

Aus all dem ergibt sich die für die Erziehungspraxis entscheidende Folgerung, daß jede Erziehung, welche die geschlechtsbedingte Eigenart von Mann und Frau außer acht läßt oder zu nivellieren versucht, gegen die menschliche Natur gerichtet ist und sich zwangsläufig für den Menschen zerstörerisch auswirken muß. Es ist unschwer zu erkennen, daß damit die feministische Emanzipationsbewegung in ihrem Lebensnerv getroffen ist, denn sie steht und fällt mit der Überzeugung, daß die Geschlechter sich nicht durch ein den ganzen Menschen bestimmendes Wesen unterscheiden, sondern nur durch gewisse Leibesunterschiede, die keine oder nur geringfügige Auswirkungen auf die Psyche haben.

 

5. Theologische Folgerungen

Wir beschränken uns ganz bewußt auf eine nur kurze theologische Stellungnahme zu den Ergebnissen unserer Analyse der Geschlechtsunterschiede, da der Schwerpunkt unserer Untersuchung auf dem biblischen Befund und seinen Konsequenzen für die Gegenwart liegt. Der letzte Maßstab für die Überzeugung und das Verhalten der Christen können nie wissenschaftliche Forschungen sein, die unter dem Vorbehalt jederzeit möglicher Revision stehen; der letzte Maßstab ist vielmehr die Heilige Schrift, die als Offenbarungsurkunde Gottes tiefere Wahrheiten erschließt, als es jede noch so solide menschliche Wissenschaft vermag. Damit soll keiner Geringschätzung der Wissenschaft das Wort geredet werden, wie sie christlicher Hochmut immer wieder propagiert hat, denn echte Wissenschaft vermag dem Glaubenden zu einer tieferen Erfassung der geoffenbarten göttlichen Wahrheiten zu verhelfen. Wir werden im weiteren Verlauf unserer Untersuchung sehen, wie gut sich die biblische Schau der Geschlechter und die wissenschaftliche Sicht von Mann und Frau ergänzen und gegenseitig bestätigen.

Die erste wesentliche Folgerung des Christen aus der wissenschaftlich festgestellten Verschiedenartigkeit der Geschlechter ist die, daß Gott Mann und Frau verschieden geschaffen hat, weil er eine verschiedene Absicht mit ihnen verfolgt. Denn die Eigenart der Geschlechter ist nicht das zufällige Resultat blinder Evolutionsvorgänge, sondern Ergebnis eines bewußten Schöpfungsaktes Gottes. Alles, was Gott ins Dasein ruft, also auch die Geschlechtlichkeit des Menschen, entspringt einer tiefen Absicht Gottes und dient zu seiner Verherrlichung.  . . .

Der Mensch ist von Gott zu einem schöpfungsgemäßen Leben berufen. Wenn er gegen Gottes Schöpfung aufbegehrt, zerstört er sich selbst. In einer Zeit schlimmster Verirrungen auf dem Gebiet der Geschlechtlichkeit sind Christen beauftragt, vorzuleben, wie Mannsein und Frausein im Sinne Gottes zu einer Quelle tiefsten Glücks werden.

An dem christusgläubigen Mann soll man sehen, daß es eine Freude ist, Mann zu sein, und an den Christinnen soll sichtbar werden, was es heißt, mit Freuden Frau zu sein. Der Heilige Geist will uns dazu verhelfen.  . .

Wir wollen den großen Abschnitt über die Verschiedenartigkeit der Geschlechter nicht beschließen, ohne etwas über die Grenzen unseres Wissens von Mann und Frau zu sagen. So reich und fundiert unsere Erkenntnisse über die Geschlechtsunterschiede auch sein mögen, die christliche Sicht der Geschlechter weiß darum, daß uns eine vollständige rationale Erfassung des Mannseins und Frauseins verwehrt ist: Gottes Weisheit, die in allen seinen Werken aufleuchtet, ist immer größer als das, was wir begrenzte Menschen von ihr zu erfassen vermögen. Auch über Mann und Frau liegt ein tiefes Geheimnis, das uns zur staunenden Anbetung treibt. All unser Wissen über die Geschlechter bleibt notwendig Stückwerk (vgl. 1. Kor 13,9).

 

 

V. Die biblische Sicht von Mann und Frau

 

A. Mann und Frau im Alten Testament

 

1. Mann und Frau in 1. Mose 1 ‑ 3

Vorbemerkung

1. Mose 1‑3 sind die grundlegendsten Kapitel über Mann und Frau im Alten Testament. Sie bilden auch für die neutestamentliche Sicht der Geschlechter eine unerläßliche Voraussetzung, die von der Christusoffenbarung ausdrücklich bestätigt und vertieft wird. Wegen der überragenden Bedeutung der ersten Kapitel der Bibel für das Neue Testament wollen wir unsere Darstellung der alttestamentlichen Sicht von Mann und Frau ganz auf 1. Mo 1‑3 konzentrieren (Kap. 1) und die Aussagen des übrigen Alten Testaments nur kurz skizzieren (Kap. 2). Als Leitfaden für die Untersuchung der biblischen Texte über die Geschlechter dienen uns drei Grundgedanken, nämlich die Bejahung der Geschlechtlichkeit, die Überzeugung von der Gleichwertigkeit der Geschlechter und die Annahme der Verschiedenartigkeit von Mann und Frau.

Bevor wir mit der Untersuchung von 1. Mo 1‑3 beginnen, sind einige Hinweise zum Charakter und zur Auslegung dieser Kapitel unerläßlich.

1. Mo 1 bis 2,4 ist der Bericht von der Erschaffung der Welt, 1. Mo 2 stellt die Erschaffung des Menschen dar und 1. Mo 3 schildert den Sündenfall des Menschen. Alle drei Kapitel sind in poetischer Sprache abgefaßt. Der Versuch mancher Ausleger, zwischen 1. Mo 1 und den beiden folgenden Kapiteln einen wesentlichen theologischen Unterschied oder gar Gegensatz herauszuarbeiten, ist nicht überzeugend. Wir werden bei unserer Untersuchung von 1. Mo 1‑3 feststellen, daß 1. Mo 1 und die beiden folgenden Kapitel in ihrer Sicht von Mann und Frau in wesentli­chen Punkten übereinstimmen und sich in fruchtbarer Weise ergänzen.

Dabei ist von entscheidender Bedeutung, daß wir 1. Mo 1‑3 unter einem doppelten Aspekt sehen: Einerseits berichten die Kapitel von etwas in der Vergangenheit Geschehenem (z. B. Schöpfung und Fall des Menschen), andererseits machen sie Aussagen über unsere Gegenwart (z. B. die Wirklichkeit des Menschen und der Sünde). In dem, was sich im Sündenfall des ersten Menschenpaares ereignete, spiegelt sich auch die Gefährdung und Sünde des heute lebenden Menschen wider. Die Sündenfallgeschichte ist daher sowohl Bericht über ein vergangenes urgeschichtliches Ereignis als auch Illustration und Spiegel der gegenwärtigen menschlichen Sündhaftigkeit. Deshalb werden in 1. Mo 2 nicht nur Aussagen über die Zuordnung von Adam und Eva gemacht, sondern gleichzeitig grundsätzliche Aussagen über Mann und Frau, die beanspruchen, auch für die Gegenwart volle Gültigkeit zu besitzen. Dieses Ineinander von geschichtlichem Tatsachenbericht ‑ der freilich nicht als protokollarisch genauer Geschichtsbericht mißverstanden werden darf ‑ und Wesensaussage über die gegenwärtige Wirklichkeit durchzieht die ganze Erzählung von der Erschaffung des Menschen und dem Sündenfall.

Ein schönes Beispiel ist der Wechsel vom Bericht über Vergangenes zur grundsätzlichen Aussage über den Menschen in 1. Mo 2,23. 1. Mo 2,23 schildert das Erstaunen Adams beim ersten Anblick Evas. 1. Mo 2,24 folgert daraus die heute noch gültige Wahrheit: “Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden ein Fleisch sein.” Unmittelbar anschließend wird der Bericht über Adam und Eva fortgesetzt: “Und sie waren beide nackt . . .” Dieses Beispiel zeigt anschaulich die Verquickung von Vergangenheits- und Gegenwartsaussage.

In unserer Analyse von 1. Mo 1‑3 wollen wir uns bemühen, diesem Ineinander von historischer und bleibend gültiger Wahrheit in den Texten gerecht zu werden. Der Schwerpunkt wird freilich auf der Frage nach den heute noch geltenden grundsätzlichen Aussagen über Mann und Frau liegen.

 

a. Die Bejahung der Geschlechtlichkeit

Der Bericht über die Erschaffung der Welt in 1. Mo 1 findet seinen Höhepunkt in der Erschaffung des Menschen: “Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie als Mann und Frau” (V 27). Dieser Vers bejaht die menschliche Geschlechtlichkeit als von Anfang an gegeben, und zwar als von Gott gewolltes Merkmal des Menschen. Gott schuf den Menschen nicht als ungeschlechtlichen Geist, sondern als Mann und Frau. Die Aussage von Vers 27 erhält durch den Vers 31 noch zusätzlich Gewicht: “Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.” Mannsein und Frausein stehen also unter dem uneingeschränkten Wohlgefallen Gottes, sie sind in Gottes Augen “sehr gut” und müssen deshalb auch vom Menschen als “sehr gut” akzeptiert werden. In Vers 28 wird zudem die leibliche Seite der menschlichen Geschlechtlichkeit unter Gottes besonderen Segen gestellt. ­“Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde . . .” Die Nachkommenschaft als Ziel menschlicher Sexualität ist Frucht göttlichen Segens und Verwirklichung von Gottes Plan.

1. Mo 1 ist frei von allen Formen der Leibfeindlichkeit, die den Körper als das “Tierische” am Menschen geringschätzt oder gar als “Gefängnis” seiner Seele (Platon) verachtet. Die Bejahung der menschlichen Geschlechtlichkeit, Leiblichkeit und Sexualität ist so vorbehaltlos, daß sie nicht mehr übertroffen werden kann. Denn was könnte von den Geschlechtern Größeres gesagt werden, als daß sie die Verwirklichung sehr guter Gedanken Gottes sind? Der Alttestamentler Claus Schedl sagt deshalb völlig zu Recht: “Wenn je ein volles Ja zur geschlechtlichen Wirklichkeit gesprochen wurde, dann im Schöpfungsbericht.” – Leider zeigt die Geschichte der Christenheit zur Genüge, wie wenig selbstverständlich das volle Ja zur Geschlechtlichkeit in 1. Mo 1 unter Christen oft war.  . . .

 

b. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter

Die ersten Kapitel der Heiligen Schrift sind von der Überzeugung getragen, daß die Geschlechter vor Gott gleichwertig sind. Ein besonders eindrückliches Zeugnis für die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ist 1. Mo 1,27: “Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.” Mann und Frau wird hier die Würde zugestanden, Abbild Gottes zu sein. Kein Geschlecht erhält einen Vorzug, der es gegenüber dem anderen wertvoller macht. Mit 1. Mo 1,27 ist die Gleichwertigkeit der Geschlechter betont: beide zusammen erst stellen die Gattung Mensch dar. . . .

1. Mo 1,27 ist das für alle Zeiten gültige biblische Nein zur Abwertung der Frau, in welcher Gestalt diese auch auftreten mag. Die Frau besitzt die volle Würde der Ebenbildlichkeit mit Gott. Man könnte den ersten Teil von Vers 27 auch mit den Worten umschreiben: “Und Gott schuf Mann und Frau zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er sie.”  . . .

Worin besteht nun aber der genaue Inhalt der Gottebenbildlichkeit? Einen wichtigen Hinweis zur Beantwortung dieser Frage gibt uns der Zusammenhang von 1. Mo 1,27: In Vers 28 beauftragt Gott den Menschen mit der Herrschaft über die ganze Schöpfung: “Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel im Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.” Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott und Herrschaft über die Schöpfung stehen also offensichtlich in innerem Zusammenhang: Der Mensch bildet das Herrsein Gottes ab, indem er selber Herr über die Erde ist. Damit ist freilich nicht gesagt, daß die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott identisch ist mit seiner Herrschaft über die Schöpfung, sie ist vielmehr deren Voraussetzung. Weil der Mensch Abbild Gottes ist, ist er dazu befähigt und ermächtigt, über die Erde zu herrschen.  . . .

Wenn die Ebenbildlichkeit mit Gott Voraussetzung des menschlichen Herrschaftsauftrages ist, liegt es nahe, sie auf die menschliche Geistseele zu beziehen, also auf seine Fähigkeit zum bewußten Denken, Wollen und Handeln, welche die notwendige Voraussetzung seiner Herrschaft über die Schöpfung darstellt. Für sie läßt sich auch der einleuchtende Gedanke anführen, daß der Mensch gerade durch seinen Geist, durch sein Personsein Gottes Personalität abbildet und sich von der Tierwelt qualitativ unterscheidet: Gottes Personhaftigkeit, die sich in seinem Denken, Wollen und Handeln äußert, hat ihr Abbild im personenhaften Denken, Wollen und Han­deln des Menschen. Außerdem erscheint der Gedanke als abwegig, daß der Mensch durch seinen materiellen Leib Gottes völlig immaterielles Sein abzubilden vermag.

Trotzdem ist diese Deutung nicht voll befriedigend. Schon A. Dillmann hat in seinem Kommentar darauf hingewiesen, daß man den menschlichen Geist nicht derart von seinem Körper trennen kann, wie es die angeführte Auslegung tut: “Sofern dieses geistige Wesen des Menschen auch seiner äußeren Erscheinung den Adel und die Würde (schöne Gestalt, aufrechte Stellung, gebietende Haltung . . . ) verleiht, welche ihn vor allen irdischen Geschöpfen auszeichnen, ist seine leibliche Gestalt, der Ausdruck und das Werkzeug seines Geistes, von seinem geistigen Wesen nicht zu trennen”. In 1. Mo 1,27 wird eben nicht die menschliche Geistseele, ‑ sondern der Mensch als Bild Gottes bezeichnet ‑ zumal es für den Begriff “Geistseele” im Hebräischen keine genaue Entsprechung gibt (am ehesten entspräche ihm der Begriff leb, Herz). Der Begriff Mensch (adam) aber meint im Hebräischen immer den ganzen Menschen, der als Ganzer Geschöpf Gottes ist und ohne Leiblichkeit gar nicht gedacht werden kann.  . . .

Dies hat Konsequenzen für unsere eingangs gestellte Frage, ob die Gottebenbildlichkeit des Menschen auch auf seine Geschlechtlichkeit bezogen werden darf. Da die Geschlechtlichkeit den ganzen Menschen umfaßt, liegt es nahe, auch sie in seine Ebenbildlichkeit mit Gott einzubeziehen, zumal in 1. Mo 1,27 ausdrücklich von Mannsein und Frausein die Rede ist. Man wird allerdings sehr behutsam vorgehen müssen bei der Beantwortung der Frage, in welcher Weise Mann und Frau Gott abbilden. Denn zum einen sagt unser Text darüber nichts aus, und zum anderen besagt die Tatsache, daß der ganze Mensch Gott abbildet, noch keineswegs, daß der Mensch Gott in allem abbildet. Der Mensch ist ja nicht nur Abbild Gottes, sondern auch Geschöpf Gottes und insofern viel enger mit der Schöpfung verbunden als mit dem Schöpfer. So sehr auch sein Leib zur Gottebenbildlichkeit gehört, indem er menschliches Leben, Denken und Handeln ermöglicht, so wenig ist deshalb die materielle Daseinsform des menschlichen Körpers Abbild Gottes, denn Gottes Dasein ist frei von jeder Gebundenheit an einen materiellen Leib.

Wir müssen deshalb immer fragen, in welcher Hinsicht der Mensch Gott abbildet und in welcher Hinsicht nicht, in welcher Weise die menschliche Geschlechtlichkeit Abbild Gottes ist und in welcher Weise nicht. Mit dieser Fragestellung haben wir freilich längst den Bereich der Exegese unseres Textes verlassen und den Bereich systematisch‑theologischer Durchdringung beschritten.  . . .

Das gleichwertige Gegenüber der Geschlechter wird durch den folgenden Vers noch unterstrichen: “Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch” (V. 24). Das “Ein‑Fleisch‑Werden” drückt die gleichwertige partnerschaftliche Verbundenheit von Mann und Frau aus, ihre personale Gemeinschaft, zu der sowohl die körperliche wie die geistige Gemeinschaft von Mann und Frau, das gegenseitige Helfen bei der Arbeit, das gegenseitige Verstehen, die Freude aneinander, das Ausruhen aneinander gehört. 1. Mo 2,24 ist frei von jeglicher Geringschätzung der Frau. So köstlich ist sie offenbar dem Manne, daß er sein Köstlichstes, seine Sippe, um ihretwillen verläßt. Der Vers 24 kann in seiner Tragweite nur dann hinreichend verstanden werden, wenn man ihn auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Hochschätzung der Eltern und der Familie sieht. Die Frau erhält hier einen höheren Stellenwert als der bei den Israeliten so geachtete Familienverband des Mannes!

Nur zwischen Mann und Frau ist das “Ein-Fleisch‑Werden” als vollkommenste und innigste Form menschlicher Gemeinschaft möglich. Es ist offenkundig, daß 1. Mo 2,24 auf die Einehe zielt: Ausdrücklich ist nur von einem Mann und einer Frau die Rede, die ein Fleisch werden. Auch wenn der Vers nicht direkt von der Ehe als lebenslanger Institution spricht, so steht doch außer Frage, daß sich sein Wortlaut nicht mit der (frauenfeindlichen) Polygamie verträgt, sondern nur auf die Einehe beziehen läßt. – Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, wie sehr auch 1. Mo 2 von jeder Minderbewertung der Frau frei ist.

 

c. Die Verschiedenartigkeit der Geschlechter

1. Mo 1‑3 bezeugt, daß Wesen, Stellung und Aufgabe der Geschlechter sich fundamental unterscheiden. In 1. Mo 1 wird betont, daß Gott den Menschen als Mann und als Frau geschaffen hat (V 27), ohne daß eine nähere Aussage darüber gemacht wird, worin die Verschiedenartigkeit der Geschlechter besteht. Daß aber die Geschlechtlichkeit in dem grundlegenden Vers über die Gottebenbildlichkeit des Menschen besonders erwähnt wird, ist ein Hinweis, daß 1. Mo 1 Mannsein und Frausein nicht als zweitrangig, sondern als wichtiges Merkmal des Menschen ansieht. In 1. Mo 2 und 3 wird dann im einzelnen erläutert, worin die wesenhafte Verschiedenheit der Geschlechter besteht. – Im folgenden wollen wir versuchen herauszuarbeiten, welche Wahrheiten in 1. Mo 2 und 3 über die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau angesprochen sind.

Ein schönes Zeugnis für die Verschiedenartigkeit der Geschlechter ist 1. Mo 2,18: “Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.” Der Vers spricht in markanter Weise die Hilfsbedürftigkeit des Mannes aus, in der er sich ohne das Gegenüber der Frau befindet.  . . .

Mit der Frau ist die “Hilfe” da, die den Mann gerade da ergänzt, wo er die Ergänzung braucht. Es ist eine Verkürzung des Textes, wenn man bei dem Begriff “Hilfe” nur an den Vorgang der Zeugung denkt, bei dem der Mann auf das Empfangen, Austragen und Gebären der Frau angewiesen ist. Dillmann macht mit Recht darauf aufmerksam, daß in Vers 18 von Fortpflanzung überhaupt nicht die Rede ist. So wie in 1. Mo 2,24 das Ein Fleisch‑Werden nicht nur das sexuelle Einswerden, sondern überhaupt die umfassende personale Gemeinschaft zwischen Mann und Frau meint, so bezeichnet der Begriff “Hilfe”, den Luther sachlich zutreffend als “Gehilfin” übersetzt hat, die umfassende Hilfe, die der Mann im leiblichen und im geistig‑seelischen Leben durch die Frau erfährt.  . . .

Die Wesensverschiedenheit von Mann und Frau wird in 1. Mo 2 auch an der verschiedenen Weise der Erschaffung des Menschen durch Gott deutlich: Der Mann wird aus “Erde” gebildet (V 7), die Frau dagegen aus der “Rippe des Mannes” geschaffen (V 21 f.). Die unterschiedliche Art der Erschaffung von Mann und Frau steht in innerem Zusammenhang zu ihren verschiedenartigen Aufgaben, die sie nach 1. Mo 2 und 3 in der Schöpfung haben: Der Mann wird aus “Ackererde” gebildet, deren Bearbeitung und Bebauung ihm von Gott anvertraut ist (l. Mo 2,15; 3,17), die Frau dagegen aus der “Rippe des Mannes” geschaffen, dessen Gehilfin zu sein, die ihr von Gott gesetzte Lebensaufgabe ist (l. Mo 2,18). Aufgabe und Bestimmung der Geschlechter sind in 1. Mo 2 und 3 ebenso grundverschieden wie die Weise ihrer Erschaffung durch Gott, welche in einer inneren Beziehung zu ihrer Lebensaufgabe steht.  . . .

Der Mann besitzt von Gott her die Gabe und Aufgabe, die Welt geistig zu erfassen und praktisch umzugestalten. Das Untertanmachen der Welt, der Schöpfungsauftrag des Menschen nach 1. Mo 1,28, besteht nicht nur in ihrer praktischen Dienstbarmachung für den Menschen, sondern auch in ihrer geistigen “Unterwerfung”. Im Benennen der Tiere verwirklicht Adam also einen Teil des Schöpfungsauftrages, sich die Erde untertan zu machen (l. Mo 1,28). Gott will Adam nicht nur die geistige Erfassung seiner Umwelt ermöglichen, sondern auch zu der Selbsterkenntnis führen, daß er der Frau als Hilfe bedarf. Deshalb schließt der Bericht über die Namengebung der Tiere mit dem Satz: “Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach” (V 20 b). Durch die Erkenntnis der Tierwelt lernt Adam, daß seinem Alleinsein und seiner Hilfsbedürftigkeit nicht durch ein nichtmenschliches Wesen abgeholfen werden kann.

Wie sehr Adam von Gott beauftragt ist, seine Umwelt geistig zu erfassen, zeigt sich aber nicht nur am Auftrag zur Namengebung der Tiere, sondern auch an seiner Reaktion auf die Erschaffung der Frau: Sein staunender Ausruf ist nicht nur eine freudige Gefühlsäußerung, sondern auch eine geistige Erfassung des Wesens von Mann und Frau: “Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, denn vom Mann ist sie genommen” (2,23).

Es ist bemerkenswert, daß auch hier der Mann die neue Situation geistig erfaßt, und nicht etwa Gott selber die Frau dem Mann vorstellt oder die Frau sich selbst dem Mann vorstellen läßt. Es ist auch kein Zufall, daß Gott dem Mann (und nicht der Frau) das Verbot mitteilt, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen (2,16 f.). Wir sehen an all dem, daß Gott den Mann in besonderer Weise mit der Aufgabe betraut, die Welt geistig zu erschließen. Auch 1. Mo 2 und 3 bezeugen also in ihrer Weise den psychologisch feststellbaren größeren Bezug des Mannes zur Welt der Sachen und Sachverhalte.

Der größere Personenbezug der Frau wird auch an der zweiten Aufgabe sichtbar, die in 1. Mo 2 und 3 der Frau neben ihrer Bestimmung, Gehilfin des Mannes zu sein, zugewiesen ist: In 1. Mo 3,16 wird die Mutterschaft als weitere wesentliche Aufgabe der Frau sichtbar. Zwar geht es in diesem Vers um die Verhängung des göttlichen Strafurteils über die Frau aufgrund des Sündenfalls und nicht um die Formulierung von Aufgaben für sie. Der Vers setzt aber ihre mütterliche Aufgabe als selbstverständlich voraus, so wie das Strafwort über den Mann in 1. Mo 3,17 dessen Aufgabe des Nahrungserwerbs voraussetzt. Beide Geschlechter sollen durch das göttliche Strafurteil in ihrer zentralen Lebensaufgabe getroffen werden. Gehilfin des Mannes sein und Muttersein sind also nach 1. Mo 2 und 3 die zentralen Aufgaben der Frau. Beides macht den stärkeren Personenbezug der Frau sichtbar. Dabei ist bemerkenswert, daß als erstrangige Aufgabe der Frau nicht die Mutterschaft genannt wird, sondern das Leben als Gefährtin des Mannes!

Durch 1. Mo 2 und 3 fällt neues Licht auf den in 1. Mo 1,28 formulierten Schöpfungsauftrag an den Menschen, sich fortzupflanzen und die Erde untertan zu machen. Zwar wird dieser Auftrag Mann und Frau gegeben, wie aus dem Wortlaut von 1. Mo 1,28 klar hervorgeht, die Erfüllung dieses Auftrages obliegt den Ge­schlechtern aber in je verschiedener Weise, wie wir in 1. Mo 2 und 3 erfahren: Während die Frau durch ihre Mutterschaft stärker als der Mann mit der Aufgabe der Fortpflanzung und allem, was damit zusammenhängt, betraut ist, ist dem Mann in besonderer Weise das Untertanmachen der Erde anvertraut, wie in 1. Mo 2 an seiner Bebauungsaufgabe und der Namengebung der Tierwelt sichtbar wird.

So erfüllen Mann und Frau gemeinsam den göttlichen Schöpfungsauftrag, aber so, daß jeder in einer seiner geschlechtlichen Eigenart angemessenen Weise zu seiner Erfüllung beiträgt.  . . .

Zum Schluß wollen wir noch die verschiedene Stellung der Geschlechter zueinander aufzeigen, wie sie in 1. Mo 2 und 3 sichtbar wird.  . . .

Die Sündenfallgeschichte ist von bleibender Bedeutung für uns, wenn es darum geht, die besonderen Gefährdungen von Mann und Frau zu erkennen. Sie ist eine unüberhörbare Warnung vor den Gefahren, wenn die Frau die religiöse Führung an sich reißt, die Gott dem Mann aufgetragen hat: Das Unglück Evas beginnt damit, daß sie sich aus der geistlichen Führung ihres Mannes herausbegibt und sich ohne ihn auf ein Zwiegespräch mit der Schlange einläßt (l. Mo 3, 1‑5). Die Sündenfallgeschichte besteht nämlich aus zwei deutlich voneinander geschiedenen Szenen.

In der ersten Szene findet das Gespräch zwischen der Frau und der Schlange statt (l. Mo 3, 1‑5). Vom Mann ist dabei mit keinem Wort die Rede. Seine Abwesenheit ist offensichtlich vorausgesetzt, denn es heißt ausdrücklich: “Die Schlange sprach zur Frau.” Die erste Szene schafft die inneren Vorbedingungen bei der Frau, um im gegebenen Fall Gottes Verbot zu übertreten. Erst in der zweiten Szene, in der von der Schlange nicht mehr die Rede ist, gewinnt Eva direkt Lust, vom Baum der Erkenntnis zu essen: “Und die Frau sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte” (l. Mo 3,6). Im Gespräch mit der Schlange wurde die Saat gelegt für die Übertretung von Gottes Gebot, jetzt geht die Saat auf, und Eva gibt der Verlockung nach: “Und sie nahm von der Frucht und aß“. Vor dem Gespräch mit der Schlange be­stand keinerlei Anreiz, das göttliche Gebot zu mißachten. Jetzt aber, nach dem Gespräch, ist die Lockung da. Der Text setzt die Gegenwart der Schlange nicht mehr voraus, wohl aber (im Gegensatz zur ersten Szene) die Anwesenheit des Mannes: “Und sie gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß.” In beiden Szenen ist Eva diejenige, welche die Initiative ergreift, während Adam den Eindruck eines passiven Statisten erweckt, der sich willig der Führung seiner Frau überläßt: “Sie gab ihrem Mann auch davon, und er aß.” Es ist offenkundig, daß die Frau beim Sündenfall über ihren Mann herrscht und anstatt ihm Gehilfin zu sein, im Sinne Gottes zu leben, ihn zum Bösen verführt. Es ist daher ganz richtig, wenn Edith Stein feststellt, daß die Frau “in der Verführung des Mannes sich über ihn erhob”.

Gerade darin weist Gott nach dem Sündenfall die Frau zurecht, indem er sie ausdrücklich der Herrschaft des Mannes unterstellt: “. . . er aber soll über dich herrschen” (l. Mo 3,16).  . . .

In der Sündenfallgeschichte zeigt sich, daß die Frau sich und den Mann durch ihren Herrschaftsanspruch zutiefst gefährdet. Die Wahrung der gottgewollten Geschlechterordnung, wie sie in 1. Mo 2 zutage tritt, ist für beide Geschlechter ein Schutz vor dem Bösen. Die Umkehrung dieser Ordnung aber bedeutet für beide eine Preisgabe an das Böse und die damit verbundenen zerstörerischen Folgen.

Die Sündenfallgeschichte wirft von daher neues Licht auf die göttliche Zuordnung der Geschlechter: Die gottgewollte Unterordnung der Frau hat nichts zu tun mit einer Unterdrückung der Frau durch den Mann, sondern ist eine wohltätige Lebens‑ und Schutzordnung, die Mann und Frau vor der Zerstörungsmacht des Bösen bewahrt. Die Frau gerät in höchste Gefahr, wenn sie sich aus dieser Schutzordnung herausbegibt. Die Sündenfallgeschichte zeichnet die Frau als ein besonders schutzbedürftiges Wesen, das in besonderer Weise für satanische Verführung offen ist: Es ist nämlich, wie viele Ausleger bemerkt haben, kein Zufall, daß die Schlange sich gerade an die Frau wendet. Gerhard von Rad sieht in der Verführung der Frau durch die Schlange und die aus ihr entstandene Verführung des Mannes durch die Frau angedeutet, daß die Frau “den dunklen Lockungen und Geheimnissen, die unser umschränktes Leben umlagern, unmittelbarer gegenübersteht als der Mann. In der Geschichte des Jahweglaubens haben gerade die Frauen immer wieder einen Hang zu dunklen Afterkulten gezeigt”.

Eine solche Deutung entspringt keineswegs exegetischer Willkür. Es gibt sowohl im Alten Testament (vgl. 2. Mo 22,17; 1. Sam 28,7‑25) als auch aus der Völkerkunde ernstzunehmende Hinweise dafür, daß Frauen eine größere Offenheit für den okkulten Bereich besitzen als Männer. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, daß die Frau im Vergleich zum Mann eine größere Empfänglichkeit (Rezeptivität), d. h. aber auch eine größere Beeinflußbarkeit durch Einflüsse der Umwelt besitzt. Diese wertneutrale Eigenart der Frau, die sich im Bösen wie im Guten zeigt, macht sich “die Schlange” zunutze. Am Anfang der Unheilsgeschichte der Menschheit steht die mißbrauchte Empfänglichkeit der Frau. Auf dem Höhepunkt der Heilsgeschichte wird Gott die Empfänglichkeit der Frau dazu benutzen, die Menschwerdung seines Sohnes zu ermöglichen: Das empfangsbereite “Mir geschehe, wie Du gesagt hast” (Lk 1,38) der Maria bringt der ganzen Menschheit das Heil, so wie die mißbrauchte Empfänglichkeit Evas der ganzen Menschheit Unheil brachte.

Die größere Empfänglichkeit und leichtere Beeinflußbarkeit der Frau, die sich die Schlange zunutze macht, zeigt ihre besondere Schutzbedürftigkeit an, in deren Dienst ihre Unterordnung unter den Mann steht. Die Überordnung des Mannes über die Frau in 1. Mo 2 ist also eine Segensordnung, die dem Wohl der Frau dient. Sie ist eine hilfreiche Lebensordnung für beide Geschlechter. Die Sündenfallgeschichte zeigt, daß ein Umsturz dieser Ordnung für beide Geschlechter in der Katastrophe endet.

 

2. Mann und Frau im übrigen Alten Testament

a. Die Bejahung der Geschlechtlichkeit

Die Bejahung der Geschlechtlichkeit und Leiblichkeit des Menschen findet sich nicht nur in 1. Mo 1‑3, sondern bildet ein charakteristisches Kennzeichen des gesamten Alten Testamentes. Es ist nicht möglich, hier die Vielzahl von Texten aufzuführen, die dies belegen. Wir müssen uns daher auf einige wenige Stellen beschränken. Ein beredtes Zeugnis für das volle Ja zur menschlichen Geschlechtlichkeit und Sexualität ist beispielsweise Sprüche 5,18‑19: “Deine Quelle sei gesegnet! Freue dich der Frau deiner Jugend! Die liebliche Hinde, die anmutige Gemse, ihre Brüste mögen dich allezeit berauschen,‑ in ihrer Liebe sei trunken immerfort.” Diese Stelle zeugt von einer solch freudigen Bejahung der Geschlechtlichkeit, daß mancher Leser vermutlich überrascht sein wird, ein solches Wort überhaupt in der Bibel zu finden. Ein Höhepunkt in der alttestamentlichen Bejahung des Geschlechtlichen ist das Hohe Lied, das in unübertrefflicher Weise die Schönheit und Freude der Liebe zwischen Mann und Frau schildert.  . . .

Selbst im Prediger Salomonis, wo so viel von der Mühseligkeit und Nichtigkeit des menschlichen Daseins gesprochen wird, heißt es: “Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines flüchtigen Lebens, die er dir unter der Sonne gegeben hat” (9,6). Die hier ausgesprochene Bejahung ehelicher Liebe hat sogar Niederschlag in der Gesetzgebung Israels gefunden: Nach 5. Mo 24,5 ist der Ehemann ein Jahr lang gesetzlich befreit vom Kriegsdienst und ähnlichen Diensten, “damit er fröhlich sei mit seiner Frau, die er genommen hat.”  –  Die genannten Stellen mögen genügen, um die das ganze Alte Testament kennzeichnende Bejahung des Geschlechtlichen zu dokumentieren.

 

b. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter

Das Wissen um die Gleichwertigkeit der Geschlechter tritt an vielen Stellen des Alten Testamentes zutage.  . . . Das gleiche gilt für jene Bestimmung, die das Schlagen oder Verfluchen der Mutter genauso mit dem Tode bestraft wie das Schlagen oder Verfluchen des Vaters (2. Mo 21,15‑17. 3. Mo 20,9). Dies ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß das Schlagen oder Verfluchen der Mutter im babylonischen Recht straffrei blieb. Nach alttestamentlichem Denken haben Vater und Mutter das gleicheAnrecht auf Liebe, Ehrfurcht und Gehorsam seitens der Kinder . . . Einen Gradunterschied gibt es hier nicht. Dies wird auch am 5. Gebot des Dekalogs deutlich: “Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird” (2. Mo 20,12; vgl. 5. Mo 5,16).

Die alttestamentliche Hochachtung vor der Frau wird auch an der Tatsache sichtbar, daß von den im Alten Testament berichteten Namengebungen der Kinder 28 durch die Mutter und nur 18 durch den Vater erfolgen. All dies zeigt die hohe Wertschätzung, die der Frau als Mutter entgegengebracht wird. Hinzu kommt die auffallende Hochschätzung der Ehefrau. Der Hymnus auf die tüchtige Frau in Sprüche 31 ist bezeichnend: “Wem eine tüchtige Frau beschert ist, die ist viel edler als die köstlichsten Perlen. Ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen, und Nahrung wird ihm nicht mangeln. . .  Sie tut ihren Mund auf mit Weisheit, und auf ihrer Zunge ist gütige Weisung . . . Ihre Söhne stehen auf und preisen sie, ihr Mann lobt sie . . . eine Frau, die den Herrn fürchtet, soll man loben” (31,10‑12.26.28.30).

Auch in religiöser Hinsicht wird im Alten Testament eine Gleichwertigkeit der Geschlechter deutlich. Nicht nur Männer, sondern auch Frauen erleben persönliche Gotteserfahrungen (vgl. Ri 13,3 ff.; 1. Mo 16,7 ff.; 21,17) und Gebetserhörungen (vgl. 1. Mo 25,21; 1. Sam 1, 18‑20), nehmen an so wichtigen Ereignissen teil wie der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem (2. Sam 6,5.15.19) und dem Gottesdienst des Esra nach der Rückkehr aus dem Exil, beteiligen sich an den Kulthandlungen und religiösen Feierlichkeiten, vor allem an der häuslichen Passahfeier (2. Mo 12,3 ff.), und bei der Darbringung von Opfern (Ri 13,23). Frauen dürfen wie Männer bei Jahwe schwören (vgl. Rt 1, 17) und das Gelübde eines Gottgeweihten (Nasiräer) ablegen (vgl. 4. Mo 6,2). Das Gesetz gilt grundsätzlich für beide Geschlechter (vgl. 5. Mo 29,8 f.).  . . .

Auch die prophetische Berufung ist keineswegs dem Mann vorbehalten: Das Alte Testament berichtet von bedeutenden Prophetinnen wie Mirjam (2. Mo 15,20), Debora (Ri 4,4; 5,7), Hulda (2. Kön 22,14) und Noadja (Neh 6,14). Diese Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, daß die Ebenbürtigkeit der Geschlechter bei den Israeliten im natürlichen wie auch im religiösen Bereich Anerkennung fand. – Allerdings muß an dieser Stelle einschränkend darauf hingewiesen werden, daß es im Alten Testament auch eine Reihe von Stellen gibt, die eine Geringerbewertung und Benachteiligung der Frau zum Ausdruck bringen.

 

e. Die Verschiedenartigkeit der Geschlechter

Das Alte Testament setzt die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau als selbstverständlich voraus. Dies zeigt sich im religiösen wie im natürlichen Bereich. Beispielsweise waren die Frauen im Gegensatz zu den Männern nicht verpflichtet, an den drei großen Festen Israels zum Heiligtum zu wallfahren (vgl. 2. Mo 23,17; 34,23; 5. Mo 16,16 f.). Der bedeutsamste Unterschied zwischen Mann und Frau in religiöser Hinsicht bestand aber darin, daß das Priesteramt, das nicht nur im Opferdienst, sondern auch in der autorisierten Gesetzesauslegung bestand (vgl. 3. Mo 10,11), im Gegensatz zur Praxis der orientalischen Umwelt nur dem Mann vorbehalten war (vgl. 2. Mo 28 f.; 3. Mo 8 f.). Dies entspricht ganz der in 1. Mo 2 und 3 sichtbar werdenden geistlichen Führungsstellung des Mannes, die wir bei unserer Untersuchung feststellen konnten.

Auch im natürlichen Bereich hat man in Israel dem Mann die Führungsaufgabe zugestanden. Der Mann war verpflichtet, für den Schutz des Gemeinwesens einzutreten und für den Lebenserhalt und den Schutz von Frau und Familie zu sorgen (vgl. J es 4, 1). Die Frau dagegen hatte die Leitung des Hauswesens inne. Bei der Kindererziehung, die gemeinsam von Vater und Mutter ausgeübt wurde, waren ihr vornehmlich die Kleinkinder und Töchter anvertraut, während der Mann stärker bei den älteren Kindern und vor allem bei den Söhnen in den Vordergrund trat. Der Mann galt allgemein als Haupt der Familie, als derjenige, der die letzte Entscheidungsgewalt innehatte (vgl. 2. Mo 21,3.22; 5. Mo 24,1‑4). Seine Überordnung über die Frau kam in der Anrede “adon”, d. h. “Herr” (vgl. 1. Mo 18,12; Ri 19,26f.) zum Ausdruck, mit der ihn seine Frau anredete.   . . .

Man wird zusammenfassend sagen können, daß im alttestamentlichen Israel die verschiedenartigen Aufgaben von Mann und Frau, wie sie in 1. Mo 2 und 3 umschrieben werden (der Mann als Führer und Ernährer der Frau, die Frau als Gefährtin des Mannes und als Mutter), als für den religiösen und natürlichen Bereich gültig angesehen wurden. Allerdings entsprach die gesellschaftliche Praxis im alten Israel keineswegs der Zuordnung der Geschlechter von 1. Mo 2. Die dort ausgesprochene Gleichwertigkeit und Ebenbürtigkeit der Frau als Gefährtin des Mannes wurde – obwohl ihr im rechtlichen Bereich Rechnung getragen wurde ‑ durch eine soziale Minderbewertung und Benachteiligung der Frau faktisch teilweise außer Kraft gesetzt.

 

d. Die Unterdrückung der Frau

Die Hochschätzung der Frau im Alten Testament wird beeinträchtigt durch Gesetzesbestimmungen und Traditionen, die auf eine Unterdrückung der Frau hinauslaufen und ihr die Ebenbürtigkeit verweigern. Rechtlich gilt der Mann als “Besitzer” der Frau (vgl. 2. Mo 21,3.22; 5. Mo 24,4) und die Frau als “Besitz” des Mannes (l. Mo 20,3). Der Bräutigam hatte an den Brautvater ein Heiratsgeld zu zahlen (l. Mo 34,12; 1. Sam 18,25), mit dessen Erstattung die “Verlobung” besiegelt wurde und der Rechtsanspruch des Bräutigams in Kraft trat. Das hebräische Wort für “verloben” bedeutet daher eigentlich “rechtlich zu eigen gewinnen.” Die auf die Verlobung folgende “Heirat” war dementsprechend ein Akt des “In‑Besitz-Nehmens” der Frau durch den Mann (vgl. 5. Mo 21,13; 24, 1). Wenngleich all dies nicht überbewertet werden darf, da andere Gesetzesbestimmungen die Würde der Frau als Person festhalten, so liegt es doch auf der Hand, daß eine derartige sachrechtliche Einstufung der Frau im völligen Widerspruch steht zu ihrer Wertschätzung als ebenbürtiger Gefährtin des Mannes in 1. Mo 2. Das gleiche gilt für die in Israel gesetzlich erlaubte Polygamie (vgl. 3. Mo 18,18; 5. Mo 21,15). Sie widerspricht eindeutig 1. Mo 2,24, wo von einem Mann und einer Frau als Partnern in der gottgewollten Geschlechtsgemeinschaft die Rede ist. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß auch im alttestamentlichen Israel die Einehe die normale Form des geschlechtlichen Zusammenlebens war.

Ein weiteres Beispiel für die rechtliche Benachteiligung der Frau sind die Ehescheidungs- ­und Ehebruchbestimmungen: Während dem Mann unter bestimmten Bedingungen die Scheidung zugestanden wird (vgl. 5. Mo 24,1), gab es für die Frau kein Scheidungsrecht. Während beim Mann Ehebruch erst dann vorlag, wenn er mit einer verheirateten oder verlobten Israelitin Geschlechtsverkehr hatte (vgl. 5. Mo 22,22‑29), galt für die Ehefrau jede sexuelle Beziehung außerhalb ihrer Ehe als Ehebruch. Der Mann konnte also die eigene Ehe gar nicht brechen, sondern nur eine fremde. Auch im Erbrecht war die Frau benachteiligt: “Man weiß nichts von einem Erbrecht der Töchter in Israel, falls Söhne da waren” (Hick).

All diese Beispiele zeigen, daß die Minderbewertung und Benachteiligung der Frau im Alten Testament noch nicht vollständig überwunden ist. Trotzdem wird man angesichts der vielen alttesta­mentlichen Zeugnisse für die Hochschätzung der Frau dem Alttestamentler Döller zustimmen müssen, der am Schluß seiner ausführlichen Arbeit über die Stellung der Frau im Alten Testament zu dem Ergebnis kommt: “Ohne Zweifel hat die Frau bei den Israeliten eine Stellung eingenommen, wie bei wenigen anderen Völkern.”

 

 

B. Mann und Frau im Neuen Testament

1. Mann und Frau bei Jesus

a. Die Bejahung der Geschlechtlichkeit

In der Verkündigung Jesu kommt ein vorbehaltloses Ja zur menschlichen Geschlechtlichkeit zum Ausdruck. Wir sehen dies am deutlichsten an Mt 19,3‑9, wo Jesus die in 1. Mo 1 und 2 ausgesprochene Bejahung der Geschlechtlichkeit ausdrücklich aufnimmt. Jesus antwortet dort auf die Frage, ob ein Mann seine Frau aus jedem beliebigen Grund entlassen darf. Er beginnt seine Antwort mit dem Verweis auf 1. Mo 1,27 und 1. Mo 2,24: “Habt ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer sie von Anfang an als Mann und Frau geschaffen und gesagt hat: Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein?” (Mt 19,4).

Die Geschlechtlichkeit ist also ursprünglichste Schöpfungsabsicht Gottes. In Mt 19,5 macht Jesus vollends deutlich, daß er keinen androgynen Urzustand des Menschen kennt: Indem er 1. Mo 2,24, wo die menschliche Zweigeschlechtlichkeit unzwei­deutig ausgesprochen ist, unmittelbar mit 1. Mo 1,27 (Mt 19,4) verknüpft, bringt er zum Ausdruck, daß auch 1. Mo 1,27 von der Polarität der Geschlechter und nicht vom doppelgeschlechtlichen Urmenschen spricht. Jesus unterstreicht also in Mt 19,4 f. mit Nachdruck, daß die menschliche Geschlechtlichkeit einschließlich der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau (V. 5) Gottes gutem Schöpferwillen entspricht. Von daher ist es verständlich, daß Jesu gesamte Verkündigung völlig frei ist von jeder Mißachtung oder Geringschätzung der Geschlechtlichkeit. Dies kannnicht überraschen, denn bereits Jesu Menschwerdung schließt die uneingeschränkte Bejahung der Geschlechtlichkeit ein: Indem Jesus als Mann auf Erden erscheint, ist das Mannsein als gottgewollte Schöpfungswirklichkeit bestätigt, und indem Jesus von einer Frau geboren wird, zeigt sich, daß auch das Frausein Gottes Wohlgefallen hat.

Die Einstellung Jesu zur Geschlechtlichkeit entspricht ganz der alttestamentlichen Bejahung des Geschlechtlichen. Allerdings wiederholt Jesus nicht einfach nur die alttestamentliche Sicht, sondern führt einen neuen Gesichtspunkt ein: Jesus spricht in Mt 19,11 ff. von der Möglichkeit einer Ehelosigkeit um Gottes willen. Eine derartige Möglichkeit ist dem alttestamentlichen Denken fremd. Das Alte Testament setzt es als selbstverständlich voraus, daß die Bejahung des Geschlechtlichen auch die Ausübung der Sexualität in der Ehe mit einschließt. Ehelosigkeit erscheint als schmachvoll (vgl. Jes 4, 1) und schöpfungswidrig (vgl. 1. Mo 1,28)  . . . Beim Propheten Jeremia zeigt sich allerdings auch die Möglichkeit der Ehelosigkeit aufgrund göttlicher Berufung (Jer 16,1 ff.), ohne daß damit die Einschätzung des ehelosen Lebens als schmerzliche Entsagung überwunden ist (vgl. Jer 15,17 f.). Während die Ehelosigkeit Jeremias noch unter dem negativen Vorzeichen der zu erwartenden Leiden des kommenden Gottesgerichts steht (vgl. Jer 16,3 ff.), spricht Jesus von der Ehelosigkeit als positiver Möglichkeit zur Förderung der Herrschaft Gottes. Die von Jesus in Mt 19, 10 ff angesprochene Ehelosigkeit ist “ein freiwilliger Verzicht, der sich wegen Gottes Herrschaft, im Dienst Gottes als notwendig erweist” (Schniewind), ein Verzicht, bei dem Gott zum Wollen auch das Vollbringen schenkt.  . . .

Für Jesu Stellung gegenüber der Geschlechtlichkeit ist noch Mt 22,23‑33 von großer Bedeutung. Jesus geht dort auf die Frage ein, was aus den Geschlechtern in der kommenden Welt Gottes wird. Zum besseren Verständnis zitieren wir den für uns wichtigen Teil im Wortlaut: “An jenem Tag kamen Sadduzäer zu ihm, welche sagen, es gebe keine Auferstehung, und fragten ihn: Meister, Mose hat gesagt: Wenn jemand ohne Kinder stirbt, soll sein Bruder dessen Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen schaffen. Es waren aber bei uns sieben Brüder. Und der erste starb, nachdem er geheiratet hatte; und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder. Ebenso auch der zweite und der dritte bis zum siebenten. Zuletzt aber von allen starb die Frau. Welchem nun von den sieben wird sie in der Auferstehung als Frau angehören? Sie haben sie ja alle gehabt. Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Ihr irrt, indem ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes. Denn in der Auferstehung heiraten sie nicht und werden nicht verheiratet, sondern sie sind wie Engel” (Mt 22,23‑30). Der Schöpfungsauftrag zur Fortpflanzung des Menschen (l. Mo 1,28) gilt also nur für die erste Schöpfung Gottes, nicht für die eschatologische Vollendung der Welt.  . . .

 

b. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter

Jesus hat durch sein Leben und durch seine Verkündigung in eindrucksvoller Weise Zeugnis von der Gleichwertigkeit der Geschlechter abgelegt. Sein Verhalten gegenüber Frauen ist so einzigartig, daß es in schroffem Gegensatz zu der frauenfeindlichen Praxis des zeitgenössischen Judentums steht. Bevor wir auf den Umgang Jesu mit Frauen näher eingehen, wollen wir kurz die Stellung der Frau im Judentum der neutestamentlichen Zeit beleuchten, da erst auf diesem Hintergrund das Außergewöhnliche an der Haltung Jesu klar hervortritt.

Die Stellung der Frau im Judentum zur Zeit Jesu

Die Stellung der Frau im Judentum zur Zeit Jesu ist weit ungünstiger als in alttestamentlicher Zeit. Während das Alte Testament beachtliche Zeugnisse für die Gleichwertigkeit der Geschlechter und die Hochschätzung der Frau enthält, hat sich im spätjüdischen Rabbinat eine offenkundige Minderbewertung der Frau durchgesetzt, die stellenweise geradezu als Frauenverachtung bezeichnet werden muß. So schreibt z. B. der jüdische Schriftsteller Josephus (37‑100 n. Chr.), daß die Frau “in jeder Beziehung geringeren Wertes als der Mann” ist. Einer der Rabbinen prägte den Satz: “Wohl dem…. dessen Kinder männliche, und weh dem, dessen Kinder weibliche sind.” Rabbi Jehuda sagte um 150 n. Chr.: “Drei Lobsprüche muß man an jedem Tag sprechen: Gepriesen sei Jahwe, daß er mich nicht als Heiden erschaffen hat; … gepriesen sei er, daß er mich nicht als Weib erschaffen hat; … gepriesen sei er, daß er mich nicht als Ungebildeten erschaffen hat . . . ” Die Frauen wurden von dem Rabbinen mit den geringschätzig beurteilten Kindern und den Sklaven auf eine Stufe gestellt. Die Minderbewertung der Frau zeigte sich auch in der rabbinischen Deutung der Sündenfallgeschichte: Eva wird als die Hauptschuldige hingestellt, die über die ganze Menschheit Verderben brachte.

Die angeführten Belege, die noch bedeutend vermehrt werden könnten, geben einen Eindruck von der verbreiteten Geringschätzung der Frau im damaligen Judentum. Diese Geringschätzung trat auch im gesellschaftli­chen und religiösen Leben zutage. Rabbi Jose ben Jochanan aus Jerusalem (um 150 v. Chr.) gab die Anweisung: “Sprich nicht viel mit dem Weib. Spätere Spruchweisheit fügte diesem Spruch hinzu: “Gilt dies schon vom eigenen Weib, dann um so mehr vom Weib des Nächsten. Demgemäß sagen die Weisen: Wer mit dem Weib viel redet, fügt sich selber Schaden zu …“ In diesen Warnungen vor dem Gespräch mit der Frau spiegelt sich die Tendenz des Judentums z.Z. Jesu wider, die Frau vom öffentlichen Leben fernzuhalten. Diese Zurückdrängung der Frau aus der Öffentlichkeit ging in Jerusalem so weit, daß die vornehme, gesetzesstrenge Jungfrau “vor ihrer Heirat das Haus möglichst überhaupt nicht zu verlassen” pflegte, “die verheiratete Frau nur mit durch die Haartracht verhülltem Gesicht” (Jeremias). Eine derartige Abgeschlossenheit der Frau findet sich im Alten Testament nicht.

Auch in religiöser Hinsicht wirkte sich diese Tendenz zur Abschirmung der Frau aus. Die Frauen durften den Tempel nur bis zu dem Frauenvorhof betreten, sie durften keine Opfer bringen, sie zählten nicht mit, wenn festgestellt werden sollte, ob die für einen Synagogengottesdienst notwendige Mindestzahl der Teilnehmer anwesend war, sie waren in den Synagogen von den Männern getrennt.  . . .

Trotz der zweifellos vorhandenen Benachteiligung der Frau im Judentum zur Zeit Jesu muß allerdings vor einer Überzeichnung dieser Diskriminierungstendenzen gewarnt werden. In wohltuendem Gegensatz zum römischen und griechischen Heidentum der Zeitenwende gab es bei den Juden keine Ehemüdigkeit. Die Ehe galt als Pflicht, der sich keiner entziehen durfte. So sagte z. B. Rabbi Eliezer ben Hyrkanos: “Jeder, der die Fortpflanzung nicht übt, gleicht einem, der Blut vergießt.” Die Erhaltung der Ehe, die im Judentum ja überwiegend als Einehe bestand, war ein wichtiger Schutz für die Frau. Mit der Wertschätzung der Ehe verband sich zum Teil auch eine ausgesprochene Hochschät­zung der Frau als Gattin und eine allgemein anerkannte Ehrung der Frau als Mutter. Man findet bei den Rabbinen öfters die “Mahnung, daß der Mann seine Frau lieben und ehren soll”, “daß die Frau des Mannes Glück und Leben, sein Reichtum und seine Krone ist” (Strack‑Billerbeck). – Doch die positiven rabbinischen Äußerungen über die Frau beziehen sich alle auf die verheiratete Frau, nicht auf die Frau schlechthin.  . . .

Jesu Verhalten gegenüber Frauen ist frei von der im damaligen Judentum verbreiteten Mißachtung der Frau. Er bricht ganz bewußt mit der jüdischen Sitte, wenn er beispielsweise ein langes Gespräch mit der Samariterin führt (Joh 4). Wie außergewöhnlich sich Jesus hier verhielt, zeigte die Reaktion seiner Jünger: “Seine Jünger . . . verwunderten sich darüber, daß er mit einer Frau redete” (V.37). Am Inhalt des Gesprächs mit der Samariterin wird auch sichtbar, wie ernst Jesus die Frauen nahm: Jesus würdigt diese in sittlichem Verruf stehende Frau, ihr seine Sendung und Messianität zu offenbaren (V. 21‑26). Jesus hat deutlich zu erkennen gegeben, daß die Frau vor Gott den gleichen Wert besitzt wie der Mann. Im Gegensatz zur Praxis der jüdischen Gesetzeslehrer hat er Frauen in seinem Gefolge gehabt, die dadurch an seiner Lehre und Verkündigung ebenso Anteil nehmen konnten wie an seinem außergewöhnlichen Wirken. Jesus hat es begrüßt, wenn Frauen wie seine Jünger an seiner Lehrunterweisung teilnahmen (vgl. Lk 10,38‑42). Seine Verkündigung bevorzugte nicht das eine Geschlecht vor dem anderen, sondern galt allen ohne Vorbehalt: “Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, denn ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernet von mir . . .“ (Mt 11,28). Die Gleichnisreden Jesu enthalten auffallend viele Beispiele aus der Lebenswelt der Frau (vgl. Mt 13,33; 24,41; Lk 15,8‑10; 18,1‑8; Mk 12,41‑44) und unterscheiden sich wohltuend von den rabbinischen Gleichnissen und Wundergeschichten . . ., in denen nur selten von einer Frau die Rede ist, und dann auch noch öfters im üblen Sinn.

Die Verkündigung Jesu ist völlig frei von jeder Form der offenen oder versteckten Mißachtung der Frau, wie sie die rabbinische Überlieferung weithin kennzeichnet. Jesus bricht beispielsweise mit der moralischen Höherbewertung des Mannes im Judentum seiner Zeit: Anstatt die Männer im Sinne der rabbinischen Mahnungen vor der gefährlichen Verführung durch die Frauen zu warnen, warnt er vor der männlichen Neigung zur Verführung der Frauen (Mt 5,27‑30). Damit entzieht er der rabbinischen Tendenz, die Frau als ein ‑ im Vergleich zum Mann ‑ moralisch minderwertiges Wesen darzustellen, jede Grundlage. Statt vor der Gefährlichkeit der Frau zu warnen, betont er die Herzensbosheit des Menschen, die beide Geschlechter gleichermaßen betrifft.

Jesus greift nicht nur die moralische Höherbewertung des Mannes im Judentum seiner Zeit an (Mt 5,27‑30), sondern auch die juristische Höherbewertung des Mannes: In Mk 10,1‑12 verurteilt er jede Form von Ehescheidung trotz der alttestamentlichen Scheidungserlaubnis (vgl. 5. Mo 24,1) und schützt die Frau dadurch vor der willkürlichen Entlassung durch den Mann. Beiden Geschlechtern schärft er die Unauflöslichkeit der Ehe als gültigen Gotteswillen ein. Jesus gibt an dieser Stelle indirekt auch klar zu erkennen, daß sich die Polygamie nicht mit seinem Eheverständnis verträgt, das ganz auf 1. Mo 2,24 basiert, wo von einem Mann und einer Frau die Rede ist.

Mit der Forderung der unauflöslichen Einehe schützt er die Frau vor der Entwürdigung und Entwertung, die mit der jüdischen Scheidungspraxis und juristisch legitimierten Polygamie immer verbunden war. Indem Jesus beide Geschlechter zur lebenslangen Treue ohne Scheidungsmöglichkeit verpflichtete, setzte er sich in Gegensatz zu allen Rechtsordnungen der Antike, die dem Mann hinsichtlich der ehelichen Treue alle eine größere Freiheit zubilligten als der Frau!  . . .

Mit der Forderung von Liebe und Selbstlosigkeitzeigt Jesus den einzigen Weg, der die durch die Sünde entstellte Beziehung der Geschlechter zu heilen vermag. Je­sus hat in beispielhafter Weise vorgelebt, wie sich die von ihm geforderte selbstlose Liebe verwirklicht. Seine barmherzige und heilende Liebe ‑ und nicht etwa eine bloße Theorie über die Gleichwertigkeit der Geschlechter ‑ ist die tiefste Ursache für sein einzigartiges Verhalten Frauen gegenüber. Jesus nahm die Frauen nicht nur grundsätzlich als Menschen ernst, die den gleichen Wert wie die Männer besitzen, sondern wandte sich darüber hinaus in beispielloser Weise den leidenden und sittlich verachteten Frauen zu. Die Frauen dürfen genauso wie die Männer die Heilungsmacht Jesu erfahren (vgl. Mk 1,29‑31; 5,25‑34; Mt 9,18; Lk 8,2; 13,10‑17).  . . .

Jesus scheut sich auch nicht, in seiner Verkündigung auf das geistliche Vorbild von Frauen hinzuweisen: Er rühmt das Gottvertrauen der Witwe, die ihr ganzes Geld in den Gotteskasten des Tempels einlegt (Mk 12,41), er staunt über den Glauben der heidnischen Syrophönizierin (Mt 15,21), er rühmt die Wahrheitssuche der Königin von Saba zur Zeit Salomos (Mt 12,41) und stellt die unermüdlich bittende Witwe den. Jüngern als Vorbild hin (Lk 18,1‑8). Es ist nicht verwunderlich, daß die Frauen auf die Zuwendung Jesu mit großem Vertrauen und Liebe reagieren. Dabei muß Jesus die Frauen immer wieder vor der Verständnislosigkeit der Männer schützen: Er verteidigt bei der Salbung in Bethanien die Frau, die sein Haupt mit kostbarem Öl salbt, gegen die Angriffe seiner Jünger (Mt 26,6). Er stellt sich hinter jene verrufene Frau, die aus dankbarer Liebe seine Füße mit Myrrhenöl salbt, obwohl er damit den Unwillen seines Gastgebers erweckt. Jesus weist seine Jünger zurecht, als sie die Frauen barsch zurück.weisen, die ihre Kinder zu ihm bringen wollen (Mt 19,13). Er läßt es zu, daß von ihm geheilte Frauen sich seinem Gefolge anschließen (Lk 8,1) und nimmt gerne die Gastfreundschaft (Lk 10,38‑42) oder Dienstleistungen von Frauen in Anspruch (Mt 27,55).

Jesu einzigartige Zuwendung zu den Frauen wurde von diesen mit einer Gegenliebe und Treue beantwortet, die für die Jünger beschämend war: Während die Jünger nach Jesu Verhaftung alle flohen (Mt 26,56 par) und bei seiner Kreuzigung nur noch Johannes anwesend war (Joh 19,26), finden sich in den letzten Stunden seines Lebens einige seiner Nachfolgerinnen in seiner Nähe oder wenigstens in Sichtweite (Joh 19,25). Die Treue dieser Frauen überdauerte sogar seinen Tod. Sie brachen am Ostermorgen auf, um Jesu Leichnam zu salben (Mt 28,1), und wurden so die ersten Zeugen der Auferstehung (Mk 16,4‑8), gewürdigt, als erste den Auferstandenen zu sehen (Joh 20,11‑18).

So hat also nicht nur der irdische Jesus, sondern auch der auferstandene Christus in machtvoller Weise demonstriert, daß mit seinem Kommen eine neue Zeit für die Frauen angebrochen ist. In Jesus ist Gottes Wertschätzung der Frau als ebenbürtiger Gefährtin des Mannes in einer Klarheit zutagegetreten, die auch die im Alten Testament sich noch findende Tendenz zur Minderbewertung der Frau endgültig hinter sich läßt.

 

c. Die Verschiedenartigkeit der Geschlechter

So entschlossen Jesus ‑ unbekümmert um die Meinung seiner Zeitgenossen ‑ in Wort und Tat die Gleichwertigkeit und Ebenbürtigkeit der Geschlechter proklamiert hat, so entschieden hat er auch an ihrer Verschiedenartigkeit festgehalten. Die Evangelien lassen keinen Zweifel daran, daß Jesus eine unterschiedliche Stellung und verschiedenartige Aufgabe von Mann und Frau vorausgesetzt hat. Ein anschaulicher Beleg dafür ist seine eigene Wirksamkeit, die eine ganz verschiedene Beauftragung der Geschlechter im Dienst für Gott erkennen läßt. Es ist auffällig, daß Jesus nur Männer in den Kreis der zwölf Apostel berufen hat (Mk 3,13‑19 par). Das gilt auch für die Aussendung der siebzig Jünger (Lk 10, 1‑16). Bei Jesu letztem Mahl vor der Kreuzigung durften nur die Apostel anwesend sein (vgl. Mt 26,17‑20 par), obwohl doch einige Frauen aus dem Gefolge Jesu, darunter seine eigene Mutter, sich in Jerusalem befanden.306

Nimmt man die Tatsache hinzu, daß Jesu letztes Mahl nach dem Zeugnis der Synoptiker ein Passahmahl war (vgl. Mt 26,17‑19 par; Lk 22,15), an dem normalerweise Frauen und Kinder teilnahmen, dann ist die Beschränkung der Teilnehmer auf den Zwölferkreis um so auffallender. Da Jesus bei dieser Gelegenheit die Feier des Abendmahles als ständig zu wiederholende Handlung der Kirche einsetzt (vgl. Lk 22,19; 1. Kor 11,24‑26), liegt die Schlußfolgerung des schwedischen Exegeten B. Gärtner nahe.: “Diese Grenzziehung beim letzten Mahle muß … eine ganz bestimmte Bedeutung gehabt haben, nämlich daß die Apostel das Mysterium handhaben sollen, das ihnen während des Mahles überlassen worden ist.“ Die ausschließliche Berufung von Männern in den Zwölferkreis und Jesu Verhalten beim letzten Mahl mit den Jüngern stehen in einem inneren Zusammenhang: Jesus hat die geistliche Führungsaufgabe in seiner Gemeinde offensichtlich Männern übertragen. Dem entspricht es, wenn er als Auferstandener Männern (nämlich den Jüngern) den Auftrag zur weltweiten Evangelisationspredigt und Lehrunterweisung erteilt (Mt 28,16‑20; Mk 16,14; Joh 20,21 ff.).

Daß Jesus nur Männer in das Apostelamt berufen hat, kann weder als Zufall noch als gedankenlose Anpassung an die einseitig männlich orientierten Vorstellungen seiner Zeit gedeutet werden. Die Jüngerberufung Jesu war vielmehr eine ganz bewußte Handlung. In Mk 3,13 heißt es ausdrücklich: Jesus rief zu sich, “welche er wollte”. In Lk 6,12 wird berichtet, daß dieser Akt der Erwählung die Frucht einer einsamen Gebetsnacht Jesu war. Der Entschluß Jesu, nur Männer in das Apostelamt zu berufen, war also das Resultat einer intensiven geistlichen Prüfung im Gebet.

Der französische Neutestamentler Albert Descamps macht mit Recht geltend, daß Jesus “die notwendige Freiheit besessen” hätte, “um wagen zu können, die Predigt vom Reiche Gottes Frauen anzuvertrauen, wenn er dies gewollt hätte und wenn er der Meinung gewesen wäre, daß dies im Plan Gottes lag.” Offensichtlich ging Jesus davon aus, daß Gott die Leitung und Führung seiner Gemeinde Männern übertragen wollte. Es ist unschwer zu erkennen, daß Jesus hier ganz im Sinne von 1. Mo 2 dachte und handelte, denn auch dort ist dem Mann die geistliche Führungsaufgabe aufgetragen. In der Tat lassen die Evangelien erkennen, daß Jesus 1. Mo 1 und 2 als gültige Offenbarung von Gottes Schöpfungswillen anerkannt und in seiner Verkündigung vorausgesetzt hat: In Mt 19,4 ff. par beruft er sich in der Frage der Ehescheidung gegen die Tora (5. Mo 24, 1) auf 1. Mo 1 und 2 als ursprüngliche Schöpfungsordnung, die es zu verwirklichen gilt, weil mit ihm die Gottesherrschaft angebrochen ist. Jesu Verkündigung zielt also auf die Verwirklichung des ursprünglichen Schöpferwillens, wie er in 1. Mo 1 und 2 ausgesprochen ist. Von diesem Hintergrund her versteht es sich von selbst, daß Jesus keine Frauen in das Apostolat berufen konnte, weil dies im Widerspruch zur göttlichen Schöpfungsordnung gestanden hätte. Jesus wußte, daß Gott die Frau als Gehilfin des Mannes erschaffen hat. Damit ist die Grundlage für die Stellung beider Geschlechter zueinander von selber gegeben. Dem Manne ist die führende Rolle zugedacht, der Frau jene einer Stütze und Hilfe des Mannes. Das brauchte Jesus nicht eigens zu betonen, da die schöpfungsbedingte Unterordnung der Frau den israelitischen Gemeinden hinlänglich bekannt war.

Dies zeigt sich nicht nur an der ausschließlichen Berufung von Männern zum Apostolat, sondern auch am Dienst, den Frauen im Gefolge Jesu ausübten: Lk 8,2 f. erwähnt Frauen, die dem Jüngerkreis Jesu “mit ihrem Vermögen dienten.” Das griechische Wort für “dienen” steht hier im Imperfekt, was auf eine ständige Aufgabe der Frauen hindeutet. Es bezeichnet “die ganz persönlich einem anderen erwiesene Dienstleistung” (Beyer), die sowohl das tägliche Aufwarten bei Tisch als auch allgemein die Sorge für den Unterhalt umfaßt. Die Frauen im Gefolge Jesu sahen ihre Aufgabe darin, im Sinne von 1. Mo 2,18 “Gehilfinnen” Jesu und seiner Jünger zu sein, um so deren geistliche Wirksamkeit zu unterstützen. Es gibt in den Evangelien keine einzige Stelle, die darauf hinweist, daß die Frauen im Gefolge Jesu auch mit Verkündigungsaufgaben betraut waren.

In diesem Zusammenhang fällt auf, daß das betont frauenfreundliche Lukasevangelium das Wort “Jünger” ausdrücklich auf die männlichen Jünger Jesu beschränkt, obwohl der Ruf in die Nachfolge beiden Geschlechtern gilt. Die Frauen im Gefolge Jesu werden also auch begrifflich von dem eigentlichen Jüngerkreis unterschieden. Im Unterschied zu den Jüngern wurden sie offenbar nicht in besonderer Weise berufen. Die Begründung ihres Dienstes liegt vielmehr – nach Lk 8,2 – allein in der erfahrenen Heilung von der Macht der Dämonen und der Krankheit. Wir sehen an all dem, daß Jesus nicht nur die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Wort und Tat zum Ausdruck brachte, sondern auch die Eigenart von Mann und Frau im Sinne von 1. Mo 2 berücksichtigte. Die Frauen im Umkreis Jesu empfanden ihren Ausschluß vom Apostolat und Verkündigungsdienst gewiß nicht als Diskriminierung, da sie dankbar die Gewißheit hatten, vom Erlöser als gleichwertig geachtet zu sein.  . . .

Gleichzeitig wendet Jesus sich gegen jede Entartung der Leitungsaufgabe des Mannes zur männlichen Despotie, indem er das alttestamentlich‑jüdische Recht des Mannes, seine Ehefrau unter Umständen zu entlassen, aufhebt. Die Willkürherrschaft des Mannes über die Frau überwindet Jesus, indem er beide Geschlechter zur bedingungslosen gegenseiten Liebe und zur Lebenshingabe an Gott verpflichtet und die dazu nötige Kraft verheißt. Die Gottesherrschaft ist das Ende aller egoistisch entstellten Herrschaft des Mannes über die Frau. Unter der Herrschaft Gottes gibt es zwar noch ‑ wie man an Jesus sieht ‑ Über‑ und Unterordnung, Führung des Mannes und Geführtwerden der Frau. Aber aus der Willkürherrschaft des Mannes wird eine Regentschaft der Liebe, eine demütige Leitung, die ganz als Dienst verstanden werden muß (vgl. Mk 9,35).

 

 

2. Mann und Frau bei Paulus

Methodische Vorbemerkung

Die folgenden Ausführungen setzen die Echtheit aller dem Apostel Paulus zugeschriebenen Briefe voraus. Zwar wurden in der Forschung teilweise ernstzunehmende Gründe gegen die Echtheit der Pastoralbriefe (l. u. 2. Tim; Tit), des Epheser‑, Kolosser‑ und 2. Thessalonicherbriefes vorgebracht, aber diese Gründe sind keineswegs zwingend. Unsere Kenntnis der Entstehungsweise antiker Briefe (oft starke Beeinflussung des Briefinhalts durch Sekretäre) und historische Erwägungen erlauben es, an der Echtheit aller Paulusbriefe festzuhalten.

 

a. Die Bejahung der Geschlechtlichkeit

Der Apostel Paulus ist wohl der biblische Autor, dem man am häufigsten leibfeindliche und sexualfeindliche Auffassungen zugeschrieben hat. Eine nähere Untersuchung seiner Briefe führt allerdings zu einem anderen Resultat: Es findet sich bei Paulus kein einziges Wort, das den Leib als solchen bzw. die Sexualität verächtlich macht oder als minderwertig einstuft.

Die Stellung des Paulus zu Leiblichkeit und Sexualität muß ganz vom Hintergrund seines Schöpfungsdenkens her verstanden werden. Paulus gibt in seinen Briefen klar zu erkennen, daß er die gesamte Schöpfung Gottes vorbehaltlos bejaht. Am prägnantesten ist seine Haltung in 1. Tim 4,4 a formuliert: “Alles von Gott Geschaffene ist gut.” Dieses grundsätzliche Ja zur Schöpfung bestimmt die Stellungnahme des Apostels zur Frage des Götzenopferfleisches in Röm 14, wo er betont, “daß nichts an und für sich unrein ist” (V. 14), seine Stellungnahme gegen die asketischen Tendenzen in der Gemeinde von Kolossä (Kol 2,16 ff.) und seine Stellung zur Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit des Menschen. Auch das paulinische Verständnis der christlichen Freiheit ist nur verständlich, wenn man es auf dem Hintergrund seiner uneingeschränkten Bejahung der Schöpfung sieht. In 1. Kor 3,22 f. ruft Paulus aus, daß der “Kosmos” (V. 22) den Christen zur Verfügung steht: “Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christi aber ist Gottes.” Der Glaubende besitzt die Freiheit, alles Geschaffene in den Dienst Gottes zu stellen und zu seiner Verherrlichung zu gebrauchen.

Angesichts dieser vorbehaltlosen Bejahung der Schöpfung versteht es sich von selbst, daß Paulus auch den Leib und die Geschlechtlichkeit ohne Einschränkung bejaht. In 1. Kor 6,19 f. bezeichnet er sogar den Leib der Gläubigen als “Tempel” des Heiligen Geistes (V. 19), der zur Verherrlichung Gottes dienen soll (V. 20). Eine größere Wertschätzung kann man dem menschlichen Leib nicht mehr entgegenbringen. Der Körper des Menschen ist hier nicht ‑ wie in manchen anderen Religionen ‑ etwas zu Bekämpfendes und Gottwidriges, sondern dazu bestimmt, Wohnung des lebendigen Gottes zu sein. Wie weit ist diese Hochschätzung des Leibes doch entfernt von der platonischen Auffassung, im Körper nur das “Gefängnis” der Seele zu sehen! Paulus konnte schon deshalb keiner spiritualistischen Leibfeindlichkeit huldigen, weil er darum wußte, daß in Jesus Christus Gott selber in leiblicher Gestalt erschienen ist (vgl. Röm 1,3; 8,3; 9,5; Phil 2,7; Eph 2,14; Kol 1,22; 1. Tim 3,16).

Paulus war freilich von einer Vergottung des Leibes ebensoweit entfernt wie von seiner Verteufelung. Er wußte, daß der Körper aufgrund der menschlichen Sündhaftigkeit zu einer Gefahrenquelle werden kann, ohne daß damit sein Charakter als gute Schöpfung Gottes in Frage gestellt ist. In diesem Sinne sind all jene Stellen zu verstehen, in denen Paulus eine enge Beziehung zwischen Leiblichkeit und Sündersein des Menschen zum Ausdruck bringt (vgl. Röm 6,6; 7,18‑23; Gal 5,24). Paulus weiß, daß nur der dem Gehorsam Gottes unterstellte Leib zur Verherrlichung Gottes dient, da er sonst zum Werkzeug der Sünde wird. Deshalb fordert er dazu auf, die “Leiber als ein lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer” darzubringen (Röm 12, 1). Erst durch Glaube und Gehorsam wird aus dem Leib als Werkzeug der Sünde ein “Tempel” des Heiligen Geistes (l. Kor 6,19). Dies besagt freilich nicht, daß der Leib als solcher sündhaft ist, solange der Mensch nicht an Jesus glaubt. Vielmehr ist der menschliche Körper eine gute Schöpfung Gottes, die aber entweder auf sündhafte oder Gott wohlgefällige Weise eingesetzt wird. Es ist daher ein schwerwiegendes Mißverständnis, wenn aus den Stellen, in denen Paulus den Zusammenhang von Leiblichkeit und Sündhaftigkeit des Menschen schildert, auf eine prinzipielle Leibfeindlichkeit des Apostels geschlossen wird.  . . .

Aus dieser Bejahung des Leibes ergibt sich mit Notwendigkeit die Bejahung von Geschlechtlichkeit und Sexualität. Das eindrucksvollste Zeugnis für das Ja des Paulus zur menschlichen Sexualität findet sich in 1. Kor 7. Dieses Kapitel widerspricht allen Thesen, die dem Apostel eine Verachtung der Sexualität unterschieben. In 1. Kor 7,3‑5 verpflichtet Paulus beide Ehegatten dazu, grundsätzlich jederzeit zur ehelichen Gemeinschaft bereit zu sein. Paulus wendet sich an dieser Stelle bewußt gegen asketische Bestrebungen in Korinth, die offenbar aus einer Geringschätzung der Sexualität kamen. Demgegenüber betont Paulus, daß die sexuelle Gemeinschaft in der Ehe nicht nur eine Möglichkeit ist, die auch beiseitegeschoben werden kann, sondern eine in der Liebe begründete Pflicht.

Sexuelle Enthaltsamkeit in der Ehe ist nach V. 5 nur dann geistlich gerechtfertigt, wenn sie zeitlich begrenzt ist und auf dem Einverständnis beider Partner beruht. Denn für Paulus ist die Sexualität eine Gabe Gottes, die nicht ungestraft verleugnet werden kann. In V. 9 warnt er deshalb ausdrücklich vor einer selbstgewählten Ehelosigkeit, die die eigene Fähigkeit zur Enthaltsamkeit überschätzt. Der lebenslange Verzicht auf Ehe und Sexualität ist für ihn nicht erzwingbar, sondern eine Gnadengabe (V. 7), die dem einen geschenkt wird, dem anderen nicht.

Auch die Ehe ist für ihn eine Gnadengabe (V. 7), nicht etwa ein notwendiges Übel, wie man ihm immer wieder unterstellt hat. Die Wertung der Ehe als Gnadengabe Gottes ist ein Beweis für die paulinische Hochschätzung von Ehe, Geschlechtlichkeit und Sexualität des Menschen.

b. Die Gleichwertigkeit der Geschlechter

Man hat Paulus nicht nur Leibfeindlichkeit, sondern auch immer wieder Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. Durch seine Minderbewertung der Frau sei er ‑ so sagt man ‑ in einen Gegensatz zu Jesus geraten, der jeder Form von Abwertung der Frau in Wort und Tat entgegengetreten ist. Während Jesus mit den patriarchalischen Vorstellungen seiner Zeit gebrochen habe, sei Paulus in das die Frau abwertende jüdische Denken zurückgefallen.

Eine sorgfältige Untersuchung der paulinischen Briefe zeigt jedoch, daß sich diese Sicht nicht halten läßt. Der Apostel gibt mehrfach klar zu erkennen, daß er im Sinne Jesu an der Gleichwertigkeit von Mann und Frau festhält. Paulus hat seine Überzeugung von der Ebenbürtigkeit der Geschlechter in großartiger Weise zum Ausdruck gebracht, wenn er Gal 3,27 f. schreibt: “Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, habt Christus angezogen. Da gibt es nun weder Juden noch Griechen, weder Knecht noch Freien, weder Mann noch Frau. Denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.”

Dieses Wort zeigt, daß in der Gemeinde Jesu keinerlei Wertunterschiede zwischen den Völkern, den verschiedenen Gesellschaftsgruppen und den Geschlechtern bestehen, da “alle eine Einheit in Christus Jesus sind.” Die Minderbewertung der Heiden durch die Juden, der Sklaven durch die Freien und der Frauen durch die Männer ist im Lichte der Christusoffenbarung ohne jede Berechtigung. Paulus sagt damit keineswegs, daß all die genannten Unterschiede in der Gemeinde Jesu einfach ausgelöscht sind oder keinerlei Bedeutung mehr für die Gestaltung des Gemeindelebens besitzen. Denn es ist für Paulus selbstverständlich, daß die Unterschiede in völkischer, gesellschaftlicher und geschlechtlicher Hinsicht auch unter den Christusgläubigen fortbestehen. Paulus hat keiner Nivellierung der natürlichen oder gesellschaftlichen Unterschiede das Wort geredet. Er hat nicht versucht, die Judenchristen von der Beobachtung der Thora abzuhalten oder die Heidenchristen zur Einhaltung des mosaischen Gesetzes aufzufordern; er hat nicht die Aufhebung der Sklaverei unter Christen gefordert (vgl. Philemon), und er hat durchaus die Verschiedenartigkeit der Geschlechter bei der Gestaltung des Gemeindelebens anerkannt (vgl. 1 Kor 11 und 14). Und doch betont er in Gal 3,28 die völlige Gleichheit aller Gläubigen “in Christus”. Wie ist diese scheinbare Diskrepanz zu verstehen, daß Paulus einerseits den angeführten Unterschieden noch eine Bedeutung innerhalb der Gemeinde Jesu zugesteht, und daß er andererseits die Aufhebung dieser Unterschiede “in Christus” feststellt? Einige Ausleger wollten darin einen Widerspruch bei Paulus sehen, der angeblich aus seiner in Gal 3,28 ausgesprochenen Erkenntnis noch nicht alle nötigen Konsequenzen gezogen habe.

Das Verständnis dieser Stelle hängt ganz davon ab, wie die Formel “in Christus” zu verstehen ist. Der Ausdruck “in Christus” findet sich recht häufig in den paulinischen Briefen und bezeichnet das neue Leben, das dem an Jesus Christus Glaubenden geschenkt wird: “Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur” (2. Kor 5,17).

“In Christus” empfängt der Mensch Rettung aus der Verlorenheit (2. Tim 2,10), Vergebung der Sünden (Eph 4,32; Rom 8, 1), freien Zutritt zu Gott (Eph 3,11), Wiedergeburt (l. Kor 4,15; 2. Kor 5,17; Eph 2,10.13), Auferstehung von den Toten (l. Kor 15,22; 1. Thess 4,16) und ewiges Leben (Röm 6,23; 2. Tim 1,1). Der Ausdruck “in Christus” bezeichnet aber nicht nur das neue Sein, das dem einzelnen Christen persönlich zuteil wird, sondern auch das neue Sein der gesamten Gemeinde Jesu: “Wir vielen sind in Christus ein Leib” (Röm 12,5 a).

All das zeigt, daß die Formel “in Christus” den … objektiven Heilsstand der Gemeinde umschreibt. Gal 3,28 meint also, daß in bezug auf das ewige Heil alle Menschen, ob Männer oder Frauen, vor Gott gleich sind und jedem der Zugang zur Gotteskindschaft durch den Glauben an Jesus offensteht (vgl. Gal 3,20). Paulus steht hier in völliger Übereinstimmung mit Jesus, der auch beiden Geschlechtern vorbehaltlos den Anteil an der Gottesherrschaft angeboten hat. Die religiöse Gleichstellung von Mann und Frau, wie sie Jesus und Paulus vertreten haben, läßt keine Höherbewertung des einen Geschlechts vor dem anderen zu. Die Gleichheit von Mann und Frau in bezug auf das Heil bedeutet freilich weder bei Jesus noch bei Paulus, daß die Eigenart der Geschlechter für den Bau des Reiches Gottes bzw. der Gemeinde bedeutungslos ist. Wenn es in Gal 3,28 heißt, daß Juden und Griechen, Männer und Frauen, alle “einer in Christus” sind, dann ist somit die grundlegende “Einheit” angesprochen, die alle Glaubenden umschließt und in der allen gemeinsamen Verbundenheit mit Christus besteht. Es ist aber keine “Einerleiheit” gemeint, bei der die geschöpfliche Verschiedenartigkeit der Menschen einschließlich ihrer Geschlechtlichkeit eingeebnet wird. Paulus hat in 1. Kor 12 mit dem Bild des “Leibes Christi” ein für allemal klargemacht, daß die Gemeinde Jesu als Leib Christi wohl eine Einheit darstellt, daß aber diese Einheit verschiedene Glieder mit verschie­denartigen Aufgaben umfaßt. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn er in Gal 3,28 einerseits die Aufhebung aller geschöpflichen Unterschiede unter den Menschen vor Gott (hinsichtlich des Heils) bezeugt und andererseits die fortbestehende Bedeutung der schöpfungsmäßigen Unterschiede für das Zusammenleben der Menschen in der Gemeinde Jesu betont. Paulus verbindet das Wissen um die völlige Gleichwertigkeit von Mann und Frau (Gal 3,28) ohne Widerspruch mit dem Wissen um die schöpfungsmäßige Verschiedenartigkeit der Geschlechter.

Die in Gal 3,28 ausgesprochene Gleichwertigkeit von Mann und Frau bestimmt das gesamte paulinische Denken. Nirgendwo macht der Apostel einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wenn es um Fragen des Glaubens oder Heils oder der ethischen Maßstäbe geht. Angebot und Anspruch des Evangeliums gelten gleichermaßen für Männer wie für Frauen. Ein schönes Beispiel für die Gleichwertigkeit der Geschlechter bei Paulus ist 1. Kor 7, wo er wie Jesus beiden Geschlechtern die Ehescheidung untersagt (V. 10‑ 13), der Frau in der Ehe das gleiche Recht auf die sexuelle Vereinigung zugesteht wie dem Mann (V. 1‑5) und zu erkennen gibt, daß der ungläubige Ehepartner durch die Frau genauso “geheiligt” ist wie durch den Mann (V. 14). An diesen Ausführungen wird deutlich, wie sehr Paulus in der Frau einen ebenbürtigen Partner sieht, der den gleichen Anspruch auf Liebeszuwendung und Hingabe besitzt wie der Mann.

Die Überzeugung des Paulus von der Gleichwertigkeit der Geschlechter hat auch seinen Umgang mit den Menschen bestimmt. Sein Verhalten ist völlig frei von irgendeiner Minderbewertung oder Geringschätzung der Frau. Ein Zeugnis dafür ist die Grußliste am Schluß des Römerbriefes (Röm 16,3‑15): die erste von 28 Personen, die Paulus grüßen läßt, ist eine Frau (V. 3), nämlich Prisca (auch Priscilla genannt), die zusammen mit ihrem Mann, dem judenchristlichen Zeltmacher Aquila, zu den engsten Freunden des Apostels gehörte. Daß Paulus hier ‑ ähnlich wie der besonders frauenfreundliche Lukas ‑ Prisca noch vor ihrem Ehemann nennt, beweist die besondere Wertschätzung, die er dieser Frau entgegenbrachte. Er rühmt sie und ihren Mann, weil sie ihm unter Einsatz ihres Lebens das Leben gerettet haben. In V. 12 läßt Paulus die “geliebte Persis” grüßen, “die viel gearbeitet hat im Herrn.” Auch diese Stelle zeigt die Hochachtung des Paulus vor Frauen, die ein vorbildliches Christenleben führen. Dabei ist für ihn die gesellschaftliche Stellung der Frauen gleichgültig: Es ist gut möglich, daß es sich bei der “geliebten Persis” um eine Skla­vin gehandelt hat, da “Persis ein typischer Sklavenname” (Michel) ist. Im gleichen Vers rühmt Paulus die Mutter des Rufus, die auch seine Mutter geworden ist, weil sie sich seiner “mit einer wahrhaft mütterlichen Liebe und Fürsorglichkeit angenommen hat” (Haller). In 2. Tim 1,5 verweist Paulus seinen Mitarbeiter Timotheus auf den vorbildlichen Glauben seiner Mutter und Großmutter (vgl. 3,15). Auch in anderen Briefen läßt er Frauen grüßen (Phlm 2) oder hebt sie lobend hervor (Phil 4,2.3; 2. Tim 4,19).

Wie ernst Paulus die Frauen nahm, zeigt auch die Tatsache, daß er sich von einer Frau bewegen ließ, wenigstens zeitweise von seinem geistlichen Grundsatz abzurücken, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen (vgl. 1. Kor 9,1‑18; 1. Thess 2,9; 2. Thess 3,8): Der Pupurhändlerin Lydia gelingt es, den Apostel zur einer Ausnahme zu bewegen (vgl. Apg 16,15; 2. Kor 11,9).

All diese Stellen weisen darauf hin, daß Paulus die Gleichwertigkeit von Mann und Frau, die in seinen Briefen zum Ausdruck kommt, auch in seinem praktischen Verhalten gewahrt hat. Von einer frauenfeindlichen Haltung ist weder in den Briefen noch im Leben des Apostels irgend etwas zu spüren.

 

e. Die Verschiedenartigkeit der Geschlechter

Der Apostel Paulus weiß nicht nur um die Gleichwertigkeit, sondern auch um die verschiedenartige Stellung und Aufgabe der Geschlechter. Grundlegend für seine Zuordnung von Mann und Frau ist 1. Kor 11,3: “Ich lasse euch aber wissen, daß Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt; der Mann aber ist das Haupt der Frau; Gott aber ‑ist Christi Haupt.” Paulus spricht hier von einer vierfachen Stufenordnung: Gott ‑ Christus ‑ Mann ‑ Frau.

Der griechische Begriff kephalä (Haupt) drückt ein Unterordnungsverhältnis aus, er “meint den, der über dem anderen in dem Sinne steht, daß er sein Sein begründet” (Schlier). So wie Christus aus dem Vater ist und ihm untergeordnet für ihn lebt, so lebt die Frau “seinsmäßig, ihrer Natur nach aus dem Mann und um des Mannes willen” (Schlier) als ihm untergeordnete Gefährtin (vgl. 1. Kor 11,8 f.). Die vierfache Stufenordnung von 1. Kor 11,3 findet sich bei Paulus immer wieder: Sowohl von der Unterordnung Jesu unter den Vater (vgl. Phil 2,8; Röm 5,19; 1. Kor 15,26‑28) als auch von der Unterordnung der Frau unter den Mann (Eph 5,22 ff.; Kol 3,18; Tit 2,5) ist mehrfach die Rede. Es ist bemerkenswert, daß Paulus in 1. Kor 11,3 das Unterordnungsverhältnis zwischen Mann und Frau mit dem Unterordnungsverhältnis zwischen Gott‑Vater und Jesus Christus vergleicht.

Dieser Vergleich macht nämlich deutlich, daß die von Paulus gemeinte Unterordnung der Frau unter den Mann nicht im geringsten etwas zu tun hat mit einer Minderbewertung oder Unterdrückung der Frau, er zeigt vielmehr, daß es sich um eine Über- und Unterordnung gleichwertiger Personen handelt! Denn es wäre absurd, aus der Unterordnung Jesu unter den Vater zu folgern, daß Jesus einen geringeren “Wert” besäße als Gott‑Vater, wo er doch nach der Überzeugung des Apostels im uneingeschränkten Sinne Gott ist (vgl. Röm 9,5; 2. Kor 12,8; Phil 2,6 f.; Kol 1, 15 ff .; 2,2 f. 9 f.; Tit 2,13). Insofern widerlegt 1. Kor 11,3 die Behauptung, Paulus habe die in Gal 3,28 ausgedrückte Gleichwertigkeit der Geschlechter durch seine Betonung der Vorordnung des Mannes zurückgenommen. Paulus sah vielmehr am Beispiel der Trinität (Dreieinigkeit), daß Gleichwertigkeit nicht im Gegensatz zu einer Über‑ und Unterordnung stehen muß. Gleichzeitig wird an der Trinität sichtbar, in welcher Weise der Mann seine gottgewollte Überordnung über die Frau zu verwirklichen hat und in welcher Weise nicht: Da seine “Haupt”‑Stellung ihr Vorbild im “Haupt”‑Sein Gott‑Vaters über Jesus Christus hat, ist dem Mann jede Legitimation zur Willkürherrschaft über die Frau genommen. So wie Gottes Herrschaft über den Sohn eine Regentschaft der unbedingten Liebe ist, die das Beste des Sohnes will, so soll auch die Führungsstellung des Mannes eine selbstlose Regentschaft der Liebe sein, die allein auf das Wohl der Frau bedacht ist.

Der Frau ist aber damit nicht nur die empfangende Haltung zugedacht, sich die Führung und Liebe des Mannes gefallen zu lassen, denn am Verhältnis zwischen Jesus und dem Vater wird die Gegenseitigkeit der Liebe und das völlige Einswerden in der Gemeinschaft in einer unvergleichlichen Schönheit sichtbar. So ist auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau nicht nur durch die Über- und Unterordnung bestimmt, sondern auch durch das gegenseitige Lieben und Geliebtwerden, durch das Ein‑Fleisch‑Werden in der völligen Gemeinschaft.

Es liegt auf der Hand, daß die Beziehung zwischen Mann und Frau nur ein sehr schwaches Abbild der trinitarischen Liebe Gottes sein kann. Aber daß die Geschlechter gewürdigt werden, die Herrlichkeit des innergöttlichen Lebens auf Erden abzubilden, ist ein eindrucksvoller Beweis für die einzigartige Größe des Menschen unter den Geschöpfen. 1. Kor 11,3 vertieft unser Wissen um die Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau: Nicht nur der einzelne Mensch ist Abbild des Schöpfers, sondern auch die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ist ein Abbild Gottes, indem beide gemeinsam die trinitarische Liebesgemeinschaft widerspiegeln. All dies läßt erkennen, daß die Unterordnung der Frau unter den Mann nichts zu tun hat mit irgendeiner Form von Entehrung oder Mißachtung der Frau. Werner Meyer schreibt dazu in seinem Korintherbriefkommentar: “. . . in der liebenden Unterordnung der Frau unter den Mann spiegelt sich die innertrinitarische Herrlichkeit des Verhältnisses vom Sohn zum Vater. Könnte Größeres von der Frau gesagt werden?”

Die in 1. Kor 11,3 ausgesprochene Überzeugung vom “Haupt”‑Sein des Mannes bestimmt das Denken des Paulus sowohl hinsichtlich der Stellung und Aufgaben der Geschlechter in der Gemeinde als auch in der Ehe. Wir wollen im folgenden die paulinische Sicht für beide Bereiche nacheinander untersuchen.

 

Mann und Frau in der Gemeinde

Wenn Paulus auf die verschiedene Stellung der Geschlechter in der Gemeinde zu sprechen kommt, verfolgt er immer ein Ziel: Er will, daß die gottgewollte Stellung des Mannes als Haupt der Frau im gesamten Gemeindeleben zum Ausdruck kommt und die Verschiedenartigkeit der Geschlechter nicht nivelliert wird. Von diesem Hintergrund her müssen die vielfach mißverstandenen oder unverstandenen Äußerungen des Paulus zur Stellung der Frau in der Gemeinde verstanden werden.

Einer dieser umstrittenen Texte ist 1. Kor 11,3‑16. Paulus fordert hier die Frauen dazu auf, daß sie beim Beten und prophetischen Reden ein Kopftuch tragen, während die Männer mit unverhülltem Haupt beten sollen. Für den heutigen Leser mag es unverständlich erscheinen, warum Paulus soviel Wert auf eine scheinbar geringfügige Äußerlichkeit legt. Wir wollen einige wichtige Hinweise zum Verständnis geben, ohne auf alle exegetischen Einzelfragen eingehen zu können.

1) Der Schlüssel zu einem tieferen Verständnis dieses Textes liegt im Eingangsvers des Abschnitts: “Ich lasse euch aber wissen, daß Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt; der Mann aber ist das Haupt der Frau; Gott aber ist Christi Haupt” (V. 3). Paulus geht es darum, daß die Stellung des Mannes als Haupt der Frau und der Frau als untergeordneter Gehilfin des Mannes (vgl. V. 9) auch äußerlich in der Gemeinde zum Ausdruck kommt. Die in den christlichen Gemeinden jener Zeit allgemein übliche (vgl. V. 16) Sitte der Kopfbedeckungder Frau diente dazu,die gottgewollte Vorordnung des Mannes zu versinnbildlichen. Paulus ist also gründlich mißverstanden, wenn man ihm unterstellt, es ginge ihm bloß um das kleinliche Festhalten an einer bestehenden Sitte.  Der Apostel kämpft also nicht in erster Linie für eine Sitte, sondern für die Beachtung der göttlichen Zuordnung der Geschlechter.

Die korinthischen Frauen lehnten sich, indem sie das Kopftuch ablegten, gegen ihre gottgewollte Unterordnung auf und proklamierten eine Gleichstellung mit dem Mann, die der Schöpfungsordnung widersprach. Der scheinbar so kleinliche Kampf des Paulus für das Kopftuch der Frau ist also im Grunde ein theologisch höchst gewichtiger Kampf gegen die Verwischung der Unterschiede der Geschlechter und die Auflehnung der Korintherinnen gegen ihre schöpfungsgemäße Stellung als Frau.

2) Es ist deshalb verfehlt, aus dem zeitbedingten Charakter der Sitte des Kopftuchtragens zu folgern, daß der ganze Abschnitt 1. Kor 11, 3‑16 zeitbedingt und damit für uns heute überholt sei. Paulus verteidigt in diesem Text überzeitlich gültige Offenbarungswahrheiten, die nicht nur in 1. Mo 2 sondern auch bei Jesus selber sichtbar werden (vgl. die Unterordnung Jesu unter den Vater in Joh 4,34 u. a. und die von Jesus festgehaltene Vorordnung des Mannes bei der Berufung ausschließlich männlicher Apostel). Ob die von Paulus verteidigte urchristliche Sitte der Kopfbedeckung auch heute noch verbindlich ist, ist eine andere Frage. Sicher ist, daß sich in bezug auf die Sitte des Kopftuchtragens unsere Situation heute grundlegend von der damaligen Situation unterscheidet: Man kann heute nicht mehr sagen, daß das Kopftuch der betenden Frau eine Sitte der “Gemeinden Gottes” (V. 16), also der ganzen Christenheit, ist.

Die korinthischen Frauen dagegen haben eigenmächtig und aus geistlich fragwürdigen Motiven eine allgemein anerkannte Sitte der damaligen Christengemeinden beiseitegeschoben. Paulus ist dem völlig zu Recht entgegengetreten. Da Sitten allerdings dem Wandel der Zeit unterworfen sind und die Sitte des Kopftuchtragens schon in der Alten Kirche nicht mehr allgemein üblich war, hat sich unsere heutige Situation geändert. Wenn heute eine Christin beim öffentlichen Betenkein Kopftuch trägt,so kann daraus (im Gegensatz zur damaligen Zeit)nicht gefolgert werden, daß sie sich gegen die Schöpfungsordnung auflehnt.

3) Wenn man erkannt hat, daß es Paulus in 1. Kor 11 um die Einhaltung der Schöpfungsordnung für Mann und Frau geht, wird auch der schwierige V. 10 verständlich: “Deshalb (weil die Frau um des Mannes willen erschaffen ist) muß die Frau (ein Zeichen der) Vollmacht auf dem Haupt tragen um der Engel willen.” Das griechische Wort exousia meint immer die Macht, die man (aktiv) ausübt, also die “Vollmacht” oder “Ermächtigung”. Der Sinn der Stelle ist also: Wenn die Frau vor anderen Gliedern der Gemeinde betet oder prophetisch redet, dann besitzt sie dazu nur dann die geistliche Vollmacht, wenn sie dies im Gehorsam gegenüber ihrer schöpfungsgemäßen Stellung als Frau tut. Denn sie kann nicht “im Geist” beten, wenn sie sich gegen die vom Geist Gottes geheiligte Schöpfungsordnung auflehnt. Auf diesem Hintergrund ist auch der Zusatz “um der Engel willen” zu verstehen: Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Formulierung ist die Vorstellung, daß die Engel bei der Gebetsversammlung anwesend sind und darüber wachen, daß Gottes Ordnungen gewahrt werden.

4) Der Text zielt nicht auf eine entehrende Unterordnung der Frau unter den Mann, sondern auf ihr ehrenvolles Verhalten beim Gebet und bei der Weissagung. Das griechische Wort doxa heisst “Ehre”: So wie der Mann Gottes “Ebenbild und Ehre” ist, so ist die Frau die “Ehre” des Mannes. Die Frau soll sich dementsprechend ehrenvoll verhalten.

Dies tut sie, indem sie das im Judentum als Ehrenzeichen der Frau angesehene Kopftuch trägt. Auch die Verse 4 (Entehrung des Hauptes) und 15 (“Ehre”) zeigen, daß es im ganzen Abschnitt um die Bewahrung der fraulichen Ehre geht und gerade nicht um eine entwürdigende Sonderanweisung für die Frauen: Die Frau bewahrt ihre Würde und Ehre dadurch, daß sie ihre weibliche Eigenart und ihre schöpfungsgemäße Stellung als Frau behält. Auch Vers 3 bestätigt, daß der Text nichts zu tun hat mit einer Entehrung der Frau.

5) Paulus beruft sich bei der Unterordnung der Frau bezeichnenderweise nicht auf 1. Mo 3 (Sündenfall), sondern auf 1. Mo 2 (V. 9). Damit zeigt er, daß die Überordnung des Mannes nicht erst eine Folge des Sündenfalls ist, sondern eine Schöpfungsordnung (vgl. V. 3). Wenn die Unterordnung der Frau erst als eine Folge der Sünde angesehen würde, wäre das Kopftuch nicht ein Ehrenzeichen der Frau, sondern ein schmachvolles Zeichen ihrer Schuld.

Zusammenfassend läßt sich also aufgrund von 1. Kor 11,3‑16 sagen, daß es für Paulus ein zentrales Anliegen ist, die schöpfungsgemäße Unterordnung der Frau unter den Mann auch im Gemeindeleben der Christen sichtbar werden zu lassen und jede Nivellierung der Geschlechterunterschiede abzuwehren. Dies ist auch der Grund, warum er in 1. Kor 14,33 ff und 1. Tim 2,12 (ganz im Sinne Jesu) Gemeindeleitung und Lehrunterweisung ausschließlich Männern vorbehält. Ähnlich wie 1. Kor 11 stoßen auch diese beiden Stellen auf viel Unverständnis, Mißverständnis und Ablehnung. Zumindest bei 1. Kor 14,33‑38 lag dies nicht nur an dem für moderne Leser anstößigen Inhalt, sondern auch an echten Schwierigkeiten, die der Text für die Auslegung mit sich bringt.

Wir wollen zunächst 1. Kor 14,33ff näher untersuchen: “Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen in den Gemeindeversammlungen schweigen. Denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie aber etwas lernen wollen, sollen sie zu Hause ihre Männer fragen. Denn es ist schimpflich für eine Frau, in der Gemeindeversammlung zu reden. Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen oder allein zu euch gelangt? Wenn aber jemand meint, er sei ein Prophet oder Geistbegabter, so soll er erkennen, daß das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist. Wenn jemand dies aber nicht anerkennt, wird er (vom Herrn) auch nicht anerkannt.“

Das Hauptproblem bei der Auslegung dieses Textes besteht darin, zu klären, in welchem Verhältnis das Schweigegebot in 1. Kor 14,33 ff zu 1. Kor 11,3 ff steht, wo Paulus den Frauen ausdrücklich das Beten und prophetische Reden in den Gemeinden erlaubt. Besteht zwischen diesen beiden Texten ein Widerspruch, oder ist das Redeverbot in 1. Kor 14 nicht so absolut gemeint, wie es klingt?  . . .  Als ernsthafte Lösungsmöglichkeiten kommen eigentlich nur zwei in Betracht:

Die eine löst die scheinbare Spannung zwischen 1. Kor 11 und 14 dadurch auf, daß sie in 1. Kor 14,34 f. kein absolutes Redeverbot sieht, sondern nur ein Verbot des Lehrens bzw. der Beteiligung am Lehrgespräch. Untersagt wäre der Frau also nicht die charismatische Beteiligung am urchristlichen Gottesdienst durch Gebet und Prophetie, sondern nur das lehrhafte Reden. Für diese Deutung kann man geltend machen, daß die Begriffe “lernen” und “fragen” in V. 35 auf ein Lehrgespräch hindeuten, bei dem es um die für die Gemeinde gültige Lehre geht, und daß die Parallelstelle in 1. Tim 2,12 ausdrücklich vom Lehren (didaskein) spricht und nicht vom Reden überhaupt. Doch auch diese Deutung, so einleuchtend sie zunächst erscheinen mag, hält einer näheren Prüfung meiner Ansicht nach nicht stand. Sie scheitert einfach am Wortlaut von V. 34 f.: Der griechische Begriff für “schweigen” (sigao) ist (wie im Deutschen) absolut zu verstehen als Verzicht auf jedwede verbale Äußerung. Die Verse 28 und 30 zeigen ganz klar, daß Paulus auch in 1. Kor 14 schweigen im absoluten Sinne von “nicht reden” versteht. Der griechische Begriff für “reden” (lalein) in V. 34 meint (wie im Deutschen) ganz allgemein reden, sprechen, sagen. Seine Verwendung in 1. Kor 14 zeigt zweifelsfrei, daß Paulus ihn nicht auf das “Lehren” ein­schränkt: Er umfaßt das Sprachengebet (V. 2.9.11.28), die Prophetie (V. 3.6.29), die Lehrunterweisung (V. 6.19), die Erkenntnisrede (V. 6) und die Offenbarungsrede (V. 6). Es ist daher unmöglich, lalein in V. 34 plötzlich auf das Lehren zu beschränken.  . . .

Was bewegt den Apostel zu diesem generellen Schweigegebot für Frauen im Gottesdienst? Der Grund ist derselbe wie in 1. Kor 11,3 ff: Es geht Paulus nach V. 34 darum, daß die gottgewollte Unterordnung der Frau unter den Mann bei der Gestaltung des Gottesdienstes gewahrt bleibt. Für Paulus hat das Schweigegebot nichts zu tun mit einer Entehrung der Frau, es will vielmehr gerade durch diese Anordnung die Ehre und Würde der Frau wahren, indem er sie vor “schimpflichem” Verhalten bewahrt (V. 35).

Charlotte von Kirschbaum, die Mitarbeiterin von Karl Barth, hat das positive Ziel unseres Textes sehr schön herausgearbeitet: Die Frauen sollen durch den Dienstdes Schweigens “bekunden, daß sie sich unterordnen. Dieser Dienst erscheint dem Apostel eminent wichtig zu sein; es handelt sich um einen Dienst, der die Gemeinde erbaut. Man würde irren, wollte man in dieser Forderung eine unfreundliche Geste des Apostels sehen … Die schweigenden Frauen repräsentieren die hörende Kirche, zu der die lehrende immer wieder werden muß. Es ist das Schweigen der Ehrfurcht vor der Gegenwart des Auferstandenen, des Herrn der Gemeinde. Daß gerade die Frauen diesen Dienst tun sollen und tun dürfen, hängt mit der Gleichnishaftigkeit ihrer natürlichen Stellung zusammen.”

Ähnlich wie in 1. Kor 11 handelt es sich für Paulus beim Schweigegebot nicht um eine unwichtige Anordnung, die er in das Belieben der Korinther stellen kann, sondern um eine ganz entscheidende Ordnung, deren Nichtbefolgung Auflehnung gegen Gott selber ist. Dies wird an den schwerwiegenden Gründen deutlich, die er anführt. Er verweist nicht nur auf den Anstand (V. 36) und die Praxis der ganzen damaligen Christenheit (V. 33), sondern auch auf die Thora (l. Mo 3,16), die dahinter stehende Schöpfungsordnung (V. 34) und auf ein Gebot des Herrn (V. 37). Paulus vertritt in 1. Kor 14,33 ff keine besonders enge Gottesdienstordnung, sondern tritt gegen die zur Eigenmächtigkeit neigenden Korinther als Anwalt der gesamten Kirche seiner Zeit auf. Er kämpft wie schon in 1. Kor 11 darum, daß die gottgewollte Zuordnung von Mann und Frau im Gemeindeleben von Korinth anerkannt bleibt. Wer diese Ordnung beiseiteschiebt, verliert nach Paulus die Anerkennung Gottes (V. 38) und damit die Existenzgrundlage der christlichen Gemeinde, so wie nach 1. Kor 11,10 die Frauen ihre Vollmacht zum Beten verlieren, wenn sie Gottes Schöpfungsordnung mißachten.

Das Schweigegebot des Paulus in 1. Kor 14,33 ff berührt sich eng mit dem Lehrverbot der Frauen in 1. Tim 2,12ff: “Eine Frau lerne in der Stille in aller Unterordnung. Ich erlaube aber einer Frau nicht zu lehren, noch über den Mann zu herrschen, sondern daß sie sich in der Stille halte.” Der Grundgedanke ist hier wieder derselbe wie in 1. Kor 11 und 14: Es geht um das Festhalten an Gottes Schöpfungsordnung für Mann und Frau. Im Unterschied zu 1. Kor 14 wird hier allerdings nur ein Verbot des Lehrens ausgesprochen. Paulus schließt die Frauen vom Lehramt aus, weil sie durch das Lehren der versammelten Gemeinde zwangsläufig auch Männern übergeordnet wären. Denn im Unterschied zur situationsbezogenen Prophetie, die nach Paulus dem Urteil der Gemeinde untersteht (l. Kor 14,30), ist die Lehre verbindliche und allgemeingültige Wahrheit, der sich die Gemeinde zu unterwerfen hat (vgl. Röm 6,17; 16,17; 1. Kor 4,17; 15,15 ff; Kol 2,6 f; 2. Thess 2,15). Autorisiertes Lehren gehört für Paulus deshalb zur Führung und Leitung der Gemeinde (vgl. Eph 4,11; 1. Tim 3,2; 2. Tim 2,24; Tit 1,9) und schließt die Gehorsamspflicht der Gemeindeglieder mit ein. Weil der Lehrer die Gemeinde zum Gehorsam aufrufen muß, steht der Frau nach Paulus das Lehramt nicht zu, da sie sonst aus ihrer gottgewollten Unterordnung unter den Mann heraustreten würde: “Die lehrende Frau geböte . . . dem Mann, und dazu gibt Paulus ihr die Erlaubnis nicht, weil sie über den Mann nicht herrschen soll” (Schlatter).

Beansprucht die Frau dennoch ein Lehr‑ und Leitungsamt, dann hat sie sich nach der Überzeugung des Apostels “der Ordnung Gottes entzogen und ist dadurch zur Bezeugung seines Willens ungeschickt” (Schlatter). Tim 2,12 zeigt (ähnlich wie 1. Kor 14,33 ff), daß Paulus ganz im Sinne Jesu die Führungs‑ und Leitungsfunktionen der Gemeinde ausschließlich Männern zuweist.  . . .

Paulus führt hier interessanterweise nicht nur die theologisch ausschlaggebende Schöpfungsordnung (Ersterschaffung und Vorrangstellung des Mannes) als Begründung an (V. 13), sondern auch die in der Sündenfallgeschichte angedeutete “größere Zugänglichkeit der Frau für die Verführung” (Schlatter), die sie für das Lehramt weniger geeignet macht als den Mann. Mit dem Hinweis auf die Schuld Evas beim Sündenfall will Paulus keineswegs Eva die Hauptschuld zuschieben. In Röm 5,12 hebt er vielmehr “ausdrücklich hervor, daß trotz der früheren Sünde Evas das Sündenelend erst durch ihn (den Mann, W. N.) in die Menschheit hereingebracht wurde . . . Und seine Sünde ist erst das große Verhängnis für die Menschheit geworden” (Hick).

Paulus will in 1. Tim 2,14 also nicht Eva die Hauptverantwortung für den Sündenfall anlasten, sondern nur auf ihren Anteil an der Schuld aufmerksam machen, an dem eine besondere Gefährdung der Frau sichtbar wird, die auch nach dem Sündenfall fortbesteht, nämlich ihre leichtere Verführbarkeit. Der Hinweis auf die besondere Verführbarkeit der Frau zeigt, daß der Apostel mit dem Ausschluß der Frauen vom Lehr‑ und Leitungsamt nicht diese benachteiligen, sondern in ihrem Frausein mit seinen besonderen Gaben und Gefährdungen schützen will. Die Zulassung der Frauen zu den Leitungsfunktionen der Gemeinde würde nicht nur gegen Gottes Schöpfungsordnung verstoßen, sondern gleichzeitig die Frauen Gefährdungen aussetzen, denen sie nicht gewachsen sind. Paulus sah an der Sündenfallgeschichte, welche gefährlichen Folgen es nach sich zieht, wenn die Frau ihre gottgewollte Stellung als dem Mann untergeordnete Gehilfin verläßt. Weil der Wille Gottes zur Unterordnung der Frau keine Zwangsordnung zu ihrer Unterdrückung, sondern eine Lebens‑ und Schutzordnung zu ihrem Besten ist, muß es sich rächen, wenn sie gegen diese Ordnung verstößt. Für Paulus stünde ein Leitungsamt der Frau im krassen Gegensatz zu ihrem Wesen als Frau. Deshalb und nicht aus irgendwelchen frauenfeindlichen Motiven kann er ihr in 1. Kor 14 und 1. Tim 2 ein solches Amt nicht zugestehen.

Dies bedeutet allerdings nicht, daß er die Frauen in den Gemeinden zur Untätigkeit verurteilt. Paulus hat vielmehr “volles Verständnis für die Wirksamkeit der christlichen Frau im Dienst der Kirche, sofern sie der Eigenart des weiblichen Wesens und damit der göttlichen Schöpfungsordnung entspricht” (Haller). In Röm 16,1 f. empfiehlt er der Gemeinde zu Rom seine Mitarbeiterin, die Diakonisse Phöbe. Offensichtlich hat es zur Abfassungszeit des Römerbriefes bereits ein Diakonissenamt in den paulinischen Gemeinden gegeben, denn der griechische Begriff diakonos ist eine Amtsbezeichnung. Welche Aufgaben das Diakonissenamt zu dieser Zeit hatte, kann man nur vermuten. Sicher ist, daß es nichts mit öffentlicher Wortverkündigung, Lehre oder Gemeindeleitung zu tun hatte. Vielleicht war es ein Gemeindedienst, der in materiellen Hilfen für Bedürftige (V. 2), in Dienstleistungen an Frauen, Kranken und Fremden bestand. Einen gewissen Anhaltspunkt für die Aufgaben einer Diakonisse finden wir in 1. Tim 5,3‑16, wo Paulus das Diakonat von “beamteten” Witwen behandelt: Diese Witwen hatten offenbar die Aufgabe, den Gemeinden durch besonders intensive Fürbitte (vgl. V. 5) und Hausbesuche (vgl. V. 13) zu dienen. Paulus sieht die besonderen Aufgaben der Frau in der Mutterschaft (l. Tim 2,15), in der Gastfreiheit gegenüber Fremden (l. Tim 5,10) und in Liebesdiensten aller Art (l. Tim 5, 10). Er gesteht den Frauen sogar die Lehrunterweisung zu, sofern sie nicht öffentlich vor der Gemeindeversammlung, sondern in kleinem Kreise von Frauen geschieht (Tit 2,3 f.). Die Unterweisung der Kinder durch ihre Mütter hält Paulus für selbstverständlich (vgl. 2. Tim 3,15; 1,5).

Der Dienst der Frauen in der Gemeinde war für Paulus von großer Wichtigkeit. Seine Briefe beweisen, mit welcher Hochachtung der Apostel dem Einsatz der Frauen für das Evangelium und die Bedürfnisse der Gemeinden begegnete (vgl. Röm 16,1 bis 4.6.12.13.15; Phil 4,2 f; 1. Tim 5,5. 10). Es gibt bei Paulus keine einzige Stelle, wo er den Dienst von Frauen geringschätzig beurteilt. Daß er Männern und Frauen verschiedenartige Aufgaben in­nerhalb der Gemeinde zuordnet, hat seinen Grund nicht in irgendeiner Abwertung der Frau, sondern im Bestreben, die Eigenart der Geschlechter und ihre schöpfungsgemäße Stellung zu wahren. Seine Haltung steht in völliger Übereinstimmung mit der Haltung Jesu, der in Wort und Tat die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau berücksichtigte. Jesus und Paulus gingen davon aus, daß Schöpfung und Erlösung, Natur und Gnade keinen Gegensatz bilden, sondern eine untrennbare Einheit, da beide Gottes Werk sind. Deshalb haben sie die schöpfungsgemäße Zuordnung der Geschlechter für das Reich Gottes bzw. die Gemeinde nicht aufgehoben, sondern ausdrücklich anerkannt.

 

Mann und Frau in der Ehe

Die gottgewollte Beziehung der Geschlechter in der Ehe wird von Paulus ganz kurz in Kol 3,18 und ausführlich in Eph 5,22‑33 dargestellt. Wir wollen uns ganz auf den Text im Epheserbrief konzentrieren, der das Großartigste ist, was das Neue Testament über die Ehe zu sagen weiß:

“Die Frauen seien untertan ihren Männern wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau gleichwie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat. Doch wie die Gemeinde Christus untertan ist, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allen Dingen. Ihr Männer, liebt eure Frauen, gleichwie auch Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie durch das Wasserbad mit dem Wort zu reinigen und zu heiligen, auf daß er sich selbst die Gemeinde in herrlicher Schönheit hinstellte, daß sie ohne Flecken oder Runzeln oder derartiges sei, sondern heilig und makellos. So sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, der liebt sich selbst. Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehaßt; sondern er hegt und pflegt es gleichwie auch Christus die Gemeinde. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Um deswillen wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und werden die beiden ein Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist groß; ich rede aber von Christus und der Gemeinde. Darum auch ihr, ein jeglicher habe lieb seine Frau wie sich selbst; die Frau aber begegne ihrem Mann mit Ehrfurcht.”

Dieser Text widerlegt all jene Ausleger, die dem Paulus (aufgrund von 1.,Kor 7) eine abschätzige Beurteilung der Ehe unterschieben. Was könnte Großartigeres über den Ehestand gesagt werden, als daß er ein Abbild der innigen Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde ist? Gleichzeitig macht der Text die unvertauschbare Verschiedenartigkeit von Mann und Frau deutlich, denn Christus und die Gemeinde sind und bleiben unaufhebbar voneinander unterschieden.

Unser Abschnitt ist durch das Ineinander von Sein und Sollen, von Gabe und Aufgabe gekennzeichnet. Es heißt nicht: “Der Mann sollHaupt der Frau sein”, sondern: “Der Mann ist das Haupt der Frau, gleichwie Jesus das Haupt der Gemeinde ist” (vgl. 1. Kor 11,3). Der Mann ist der Frau also seinsmäßig vorgeordnet,  das “Haupt”‑Sein gegenüber der Frau gehört genauso untrennbar zum Wesen des Mannes wie das “Haupt”‑Sein Christi der Gemeinde gegenüber.” So wenig man Jesus Christus bejahen, aber seine Stellung als Haupt ablehnen kann, so wenig ist es möglich, das Mannsein zu bejahen und das “Haupt”‑Sein des Mannes abzulehnen. Wenn Männer sich weigern, ihre besondere Verantwortung als Haupt der Frau anzunehmen, lehnen sie sich gegen ihre gottgewollte Stellung auf und leben im Widerspruch zu ihrem Wesen als Mann. Gott hat den Mann in ähnlicher Weise der Frau übergeordnet, wie er Christus der Gemeinde übergeordnet hat.

Aus dem Sein des Mannes als Haupt ergibt sich für beide Geschlechter ein ganz verschiedenartiges Sollen, aus dem “Haupt”‑Sein als Gabe entstehen für den Mann ganz bestimmte Aufgaben. Unser Text beginnt mit den Konsequenzen für die Frau: “Die Frauen seien untertan ihren Männern wie dem Herrn … Aber wie nun die Gemeinde Christus untertan ist, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allen Dingen” (V. 22.24). Auch bei der Frage der Konsequenzen, die sich aus der “Haupt”-Stellung des Mannes ergeben, hat Paulus Christus und die Gemeinde als Urbild und Vorbild vor Augen: So wie die Gemeinde Christus in allem untergeordnet ist, so sind auch die Frauen den Männern untergeordnet “in allen Dingen” (V. 24). Wenn der Vergleich mit Christus nicht wäre, könnte diese Überordnung des Mannes “in allen Dingen” als Freibrief für jede Form von männlicher Despotie mißverstanden werden. Der Vergleich mit Christus zeigt aber den Inhalt, die Art und Weise und die Grenze dieses Übergeordnetseins: Das “Haupt”‑Sein Christi ist eine Regentschaft hingebungsvoller Liebe. Deshalb fordert Paulus die Männer auf: “ihr Männer, liebt eure Frauen, gleichwie auch Christus geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie hingegeben, auf daß er sie heiligte … So sollen auch die Männer lieben ihre Frauen wie ihren eigenen Leib” (V. 25-28 ). Mit diesen Versen ist das “Haupt”‑Sein des Mannes so scharf wie nur möglich gegen männlichen Egoismus und jede Unterjochung der Frau abgegrenzt. Angesichts der Selbstaufopferung Jesu bis zum Tode am Kreuz und seines Lebens in vollkommener Liebe, ist dem “Haupt”‑Sein des Mannes ein Maßstab gegeben, wie er höher nicht gesetzt werden kann.

Es muß daher als überaus verhängnisvoll angesehen werden, daß ausgerechnet Eph 5,22 ff immer wieder zur Rechtfertigung “frommer” Selbstherrlichkeit der christlichen Männer herangezogen wurde, indem einseitig die Unterordnung der Frau betont (V. 22‑24), aber die Aufforderung zur opferbereiten Liebe des Mannes (V. 25‑33) übergangen wurde. Dabei liegt der Hauptakzent unseres Textes nicht auf der Unterordnung der Frau, sondern offensichtlich auf der selbstlosen Liebe des Mannes. Da das Liebesgebot an die Männer keinerlei Egoismus mehr zuläßt, gibt es keinen ungeeigneteren Text zur Rechtfertigung männlicher Willkürherrschaft als Eph 5,22 ff!  . . .

Die Forderung an die Frau, sich unterzuordnen, ist für Paulus in der Tatsache begründet, daß nur so die gottgewollte Zuordnung von Mann und Frau verwirklicht werden kann, die dem Wesen beider Geschlechter entspricht und dem Wohl beider dient. Eine Auflehnung gegen die “Haupt”‑Stellung des Mannes zerstört nach Paulus die Grundlagen von Mannsein und Frausein, da das “Haupt”‑Sein untrennbar zu Sein und Wesen des Mannes gehört (vgl. außer 1. Kor 11,3 Eph 5,23). Für Paulus hatte das Wort “Unterordnung” nicht den anstößigen Klang, den es für moderne Leser haben mag. Wie wenig Unterordnung für ihn etwas Entwürdigendes an sich hat, wird an 1. Kor 11,3 sichtbar, wo er die Unterordnung der Frau mit der Unterordnung Jesu unter den Vater vergleicht. Die in Eph 5,22 ff gemeinte Unterordnung der Frau ist eine Unterordnung in Liebe unter die liebevolle Leitung des Mannes, denn “Haupt”‑Sein heißt: in Liebe für jemand Verantwortung übernehmen.  . . .

Paulus wollte in Eph 5,22 ff verdeutlichen, wie sich Nachfolge Jesu in der Ehe verwirklicht. Die Wahrnehmung des “Haupt”‑Seins ist nach Paulus für den christusgläubigen Mann Nachfolge Jesu im striktesten Sinne des Wortes, denn er verwirklicht sein “Haupt”‑Sein dadurch, daß er das Verhalten Jesu Christi gegenüber seiner Gemeinde durch selbstlose Liebe gegenüber seiner Frau abbildet. Die christusgläubige Frau dagegen ist dazu berufen, in besonderer Weise die empfangende, sich unterordnende Haltung der Gemeinde abzubilden. Nach 1. Kor 11,3 bildet sie damit auch das Verhältnis Jesu zum Vater ab. Auch für die Frau sind Nachfolge Jesu und Bejahung der in Eph 5,22 ff gezeigten Ordnung untrennbar verbunden. Eine Frau, die sich gegen das “Haupt”‑Sein des Mannes auflehnt, verleugnet ihr Frausein und rebelliert gegen Christus. In Eph 5 werden keine zeitbedingten, patriarchalischen Vorstellungen in verchristlichter Form weitergegeben, wie moderne Ausleger behaupten, sondern ewige Wahrheiten, welche die Fundamente des Christseins berühren und deren Beseitigung die Grundlagen der Gemeinde Jesu gefährdet.  . . .

Die Bewährung als Haupt in der Ehe ist für Paulus unerläßliche Voraussetzung für jeden Gemeindeleiter: In 1. Tim 3,4 nennt er als Bedingung für das Amt der Gemeindeleitung, daß der Bewerber “seinem eigenen Hause gut vorstehe”. Dieser Maßstab ist einleuchtend. Denn wer nicht in der Lage ist, eine Ehe und Familie zu lei­ten, der wird auch nicht eine Gemeinde im Sinne Gottes leiten können.  . . .

Für Paulus ist eine Auflehnung gegen die von ihm vertretene Zuordnung der Geschlechter gleichbedeutend mit einer Auflehnung gegen Gottes Schöpfung und (indirekt) sogar gegen Gottes trinitarisches Wesen. Zwar zeigt sein Rückgriff auf die Schöpfungsordnung, daß die Überordnung des Mannes über die Frau schöpfungsmäßig bedingt und daher für alle Menschen in und außerhalb der Gemeinde gültig ist; seine Verankerung der Ehe im Verhältnis Christi zur Gemeinde als Urbild (Eph 5,22 ff) macht freilich deutlich, daß nur die Christusgläubigen wirklich in der Lage sind, die Zuordnung der Geschlechter in der gottgewollten Form ‑ wenn auch nur unvollkommen ‑ zu verwirklichen. Zwar vermögen auch nichtchristliche Männer in gewissen Grenzen ihre Aufgaben als “Haupt” positiv wahrzunehmen, man wird aber im Licht von Eph 5 doch sagen müssen, daß der Mann ohne Hingabe an Christus seiner “Haupt”‑Stellung nicht gerecht werden wird: Unterdrückung der Frau oder aber ein völliges Umstoßen der Schöpfungsordnung im Sinne einer Beseitigung oder Umkehrung der Unterordnungsstruktur sind die unvermeidlichen Folgen, wenn Mann und Frau nicht in der Nachfolge Jesu stehen.

 

 

3. Mann und Frau im übrigen Neuen Testament

Die Bejahung der Geschlechtlichkeit ist ein Kennzeichen des ganzen Neuen Testaments. Nirgendwo wird die Geschlechtlichkeit oder Sexualität geringschätzig beurteilt oder die Ehe als notwendiges Übel hingestellt. Das Neue Testament übernimmt die alttestamentliche Bejahung des Geschlechtlichen und ergänzt sie nur durch den einen bei Jesus (Mt 19,14) und Paulus (l. Kor 7; 1. Tim. 5,3‑16) dargelegten Gedanken, daß um Gottes willen sogar der Verzicht auf Sexualität und Ehe eine sinnvolle und erfüllende Lebensmöglichkeit des Menschen sein kann.

Auch die Gleichwertigkeit der Geschlechter wird im Neuen Testament nirgendwo angetastet. Alle neutestamentlichen Schriften gehen davon aus, daß die Frauen “Miterben der Gnade des Lebens” sind (l. Petr 3,7), die den gleichen Zugang zu Gott, zur Erlösung in Jesus Christus und zum Leben unter der Leitung des Geistes haben wie die Männer. Eine Minderbewertung oder Verachtung der Frau sucht man im Neuen Testament vergeblich. Von der moralischen, rechtlichen und religiösen Höherbewertung bzw. Bevorzugung des Mannes im zeitgenössischen Judentum ist nicht nur bei Jesus, sondern auch im übrigen Neuen Testament nichts mehr zu spüren.

Die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau freilich wird im Neuen Testament mit großer Entschlossenheit vorausgesetzt und immer wieder in ihren praktischen Konsequenzen dargelegt. Dabei werden die bei Jesus und Paulus sichtbaren Grundlinien nirgendwo angetastet. Es gehört zu den elementaren neutestamentlichen Überzeugungen, daß der Mann das Haupt der Frau ist. In der apostolischen Zeit wurde diese Überzeugung als gültige Basis des Gemeinde‑ und Ehelebens anerkannt, wenn man auch Tendenzen zur Einebnung der Geschlechterunterschiede offenbar schon damals entgegentreten mußte (vgl. 1. Kor 11,3 ff; 14,33 ff). Immerhin gibt es im Neuen Testament keine einzige Stelle, die erkennen läßt, daß die Frauen Lehrfunktionen oder gemeindeleitende Ämter innehatten! Es wird in diesem Zusammenhang häufig übersehen, daß 1. Kor 14,33 ff nicht eine engherzige Sondermeinung des Paulus, sondern eine in allen Gemeinden gültige Praxis der Urkirche zum Ausdruck bringt. Auch die gerne auf paulinische Enge zurückgeführte Sitte des Kopftuchtragens in 1. Kor 11 war ein Kennzeichen der gesamten damaligen Christenheit (V. 16) Es ist für das Verständnis der beiden angeführten Stellen außerordentlich wichtig, Paulus hier als Anwalt und Repräsentanten der ganzen Urkirche zu sehen.  . . .

Für die neutestamentliche Eheauffassung ist noch 1. Petr. 3,1‑7 von Wichtigkeit. Auch hier wird die “Haupt”‑Stellung des Mannes vorausgesetzt. Neu aber ist, daß die Unterordnung der Frau hier als missionarisches Zeugnis gewürdigt wird: “Dergleichen sollt ihr Frauen euren Männern untertan sein, auf daß auch die, die nicht glauben an das Wort, durch der Frauen Wandel ohne Worte gewonnen werden, wenn sie sehen, wie ihr in Reinheit und Gottesfurcht wandelt” (V. 1 f.). Dieses Wort ist eine ernste Mahnung an jene Christinnen, die meinen, sich einem ungläubigen Mann nicht unterordnen zu müssen. 1. Petr. 3,1 f. gibt zu verstehen, daß die Überordnung des Mannes eine Schöpfungsordnung ist, die auch für nichtchristliche Ehen gilt. Andererseits ist dieses Wort eine große Ermutigung für gläubige Frauen, durch stille und geduldige Unterordnung ihre noch ungläubigen Männer für Christus zu gewinnen. Petrus sieht in dieser Mission “ohne Worte” den besonderen Auftrag für Christinnen in Mischehen. Sein Anliegen besteht darin, daß die Frauen durch die innere Schönheit ihrer Christushingabe ‑ nicht durch übermäßigen äußeren Schmuck (V. 3) ‑ die Aufmerksamkeit auf sich lenken als “verborgene Menschen des Herzens im unvergänglichen Schmuck des sanften und stillen Geistes!” (V. 4). Ein solches Leben der stillen Christusnachfolge ist nach Petrus “köstlich vor Gott” und von “unvergänglichem” Wert (V. 4), es hat eine “sieghafte Kraft” in sich, “die alles überwindet und unzerstörbar bleibt” (Schlatter), die in der Lage ist, selbst gegen Gott rebellierende Männer umzuwandeln.

Das hier von Petrus den Frauen vor Augen gestellte Leben in stiller Sanftmut ist ein Geschenk des Heiligen Geistes: Die Frau “wird sanftmütig und still, weil der Geist sanftmütig und still ist” (Schlatter). Die Frauen sind in besonderer Weise berufen, die Sanftmut Jesu und sein verborgenes Leben in Nazareth darzustellen. Gertrud von le Fort spricht ganz im Sinne unserer Stelle von der Berufung der Frau zum “Apostolat des Schweigens”, d.h. von ihrer Sendung, “das verborgene Christusleben in der Kirche darzustellen.” Ein solches Leben der stillen Sanftmut mag dem lärmenden Emanzipationsgeist unserer Zeit völlig widersprechen, es verleiht der Frau aber eine ungeahnte innere Schönheit und menschenumwandelnde Kraft, weil sie so ihr Frausein im Sinne Gottes verwirklicht und Gottes Wohlgefallen und Segenszuwendung auf ihr ruhen.

1. Petr 3,1‑6 entfaltet das Bild von der göttlichen Bestimmung der Frau, welche im ganzen Neuen Testament bestimmend ist und in vorbildlicher Reinheit in Maria, der Mutter des Herrn, Gestalt wurde. Die Größe Marias liegt in ihrer stillen Bereitschaft, das Wunder der Menschwerdung Jesu an sich geschehen zu lassen (vgl. Luk 1,38) und ganz hinter der Sendung ihres Sohnes und der Apostel zurückzutreten. Nicht durch öffentliches Wirken für Gott, sondern dadurch, daß sie Gottes Wirken im Verborgenen an sich geschehen ließ und das öffentliche Wirken ihres Sohnes durch ihr Muttersein vorbereiten half, wurde sie ihrer göttlichen Berufung gerecht. Ähnliches gilt für die Frauen im Gefolge Jesu: Sie treten nicht an die Öffentlichkeit, sondern wirken dauernd im Hintergrund (vgl. Lk 8,2f.), um so die öffentliche Wirksamkeit Jesu und der Apostel zu ermöglichen.  . . .

Petrus weiß um die Ebenbürtigkeit der Frauen als “Miterben der Gnade des Lebens” (V. 8). Seine Ausführungen zielen auf die Entfaltung der Schönheit und Würde der Frau im Sinne Gottes. Deshalb ermahnt er die Männer in V. 7, daß sie ihren Frauen die ihnen gebührende “Ehre” geben. “Das war ein kräftiger Stoß gegen die im Orient verbreitete Mißachtung der Frau” (Schlatter). Petrus ermahnt die Männer, die geringere Stärke der Frauen in ihrem Verhalten zu berücksichtigen und die eheliche Gemeinschaft nur “mit Vernunft”, d. h. mit Maß und Liebe, anzustreben. Den Maßstab für die rechte Eheführung sieht Petrus darin, daß das Gebetsleben beider nicht beeinträchtigt wird: “Euer gemeinsames Gebet darf nicht gehindert werden” (V. 7). Dieses Wort zeugt von einer tiefen seelsorgerlichen Weisheit: “Die Regel: Führt die Ehe so, daß ihr beten könnt, gibt mit großer Sicherheit an, was in ihr rein und wichtig ist und was gemieden werden muß” (Schlatter). 1. Petr 3,7 weist darauf hin, daß die geistliche Gemeinschaft der Gatten die Mitte jeder christlichen Ehe darstellt. Indem Petrus das gemeinsame Leben der Ehegatten mit Gott zur Basis und zum Maßstab der christlichen Ehe macht, schafft er die optimale Voraussetzung dafür, daß Mann und Frau nach ihrer göttlichen Bestimmung leben und auf diese Weise den uralten Streit zwischen den Geschlechtern in liebevoller gegenseitiger Selbsthingabe überwinden.

Wir stehen am Schluß unserer Untersuchung dessen, was die Heilige Schrift über Mann und Frau zu sagen hat. Bei aller Vielgestaltigkeit der herangezogenen biblischen Texte ergab sich doch ein erstaunlich geschlossenes Gesamtbild, in dem überall die schöpfungsgemäße Zuordnung der Geschlechter von 1. Mo 1‑3 zugrundeliegt, die an einigen Stellen des Neuen Testaments im Licht der Christusoffenbarung neu gedeutet und vertieft wird

 

 

Vl. Die biblische Sicht von Mann und Frau in der Kirchengeschichte

 

Es würde den Rahmen unserer Untersuchung sprengen, wenn wir die Wirkungsgeschichte der biblischen Sicht von Mann und Frau auf Theologie und Praxis der Kirche genau darstellen wollten. Wir müssen uns daher auf einige wenige Andeutungen beschränken.

1. Die biblische Bejahung der Geschlechtlichkeit blieb in der Kirchengeschichte leider nicht unbestritten. Schon in der Alten Kirche machten sich leibfeindliche Tendenzen breit. Seit dem 3. Jahrhundert ist die christliche Sexualethik stark von einer radikalen Abwertung der Geschlechtlichkeit bestimmt, die bei Augustin schließlich zu der Auffassung führte, daß das sexuelle Begehren an sich sündhaft ist.

Papst Gregor I. (um 540‑604) unterschied zwischen dem Geschlechtsverkehr als solchem, der innerhalb der Ehe keine Sünde sei, und der mit ihm notwendig verknüpften Lust, die immer mit Schuld verbunden sei. Diese Ächtung der Lust hat in verhängnisvoller Weise die Geschichte der Christenheit bis weit in die Neuzeit hinein bestimmt. Noch Luther war der Meinung, “daß keine Ehepflicht ohne Sünden geschieht”, daß Gott aber aus Barmherzigkeit diese Sünden nicht anrechne. Zinzendorf sah es als Aufgabe der Ehegatten an, daß der Geschlechtsakt ohne jede Begierde allein zur Ehre Gottes vollzogen wird.

Es würde zu weit führen, hier die lange Liste sexualfeindlicher Äußerungen christlicher Theologen bis in die neueste Zeit wiederzugeben. Es gehört jedenfalls zu den beschämenden Kapiteln der Kirchengeschichte, wie weit sich die Christenheit unter dem Einflußheidnisch‑griechischer Ideen vielfach von der biblischen Bejahung der Geschlechtlichkeit entfernt hat. Allerdings muß vor einer Überzeichnung dieser traurigen Bilanz “christlicher” Sexualfeindlichkeit gewarnt werden, denn es läßt sich an vielen Beispielen belegen, daß das biblische Ja zum Geschlechtlichen nicht ohne Wirkung auf das Christentum geblieben ist: Die christliche Kunst enthält viele Werke, die eine ausgesprochen unverkrampfte Haltung zur menschlichen Leiblichkeit zum Ausdruck bringen. Schon die älteste christliche Kunst (Gemälde der Katakomben, Sarkophagplastiken) scheute sich nicht, den nackten menschli­chen Körper darzustellen. In den ersten Jahrhunderten der Kirche zeigte man sich ganz unbefangen bei der Spendung der Taufe: Täuflinge aller Altersstufen wurden unbekleidet getauft! Es scheint in der Frühzeit der Kirche gelungen zu sein, Unbefangenheit und Schamhaftigkeit miteinander zu verbinden. Auch in späterer Zeit finden wir Anzeichen für ein unbefangenes Verhältnis von Christen zu ihrem Körper. Beispielsweise stillten zu Anfang unseres Jahrhunderts in Italien Mütter in aller Unbefangenheit ihre Kinder sogar in der Kirche. Diese Hinweise, die noch vermehrt werden könnten, mögen genügen, um zu belegen, daß die leibfeindlichen Tendenzen in der Christenheit das biblische Ja zur Geschlechtlichkeit nicht vollständig verdrängen konnten. Es bleibt allerdings traurig genug, daß solche Tendenzen überhaupt soviel Einfluß gewinnen konnten und das Leben vieler Christen unheilvoll bestimmten. Die heute die “christlichen” Völker überschwemmende Sexwelle ist eine Gegenreaktion gegen die pseudochristliche Leibfeindlichkeit, eine Reaktion freilich, die aufgrund ihrer Vergötzung der Lust sich in noch verhängnisvollerer Weise von den Maßstäben der Bibel entfernt hat.

2. Auch die in der Bibel bezeugte Gleichwertigkeit der Geschlechter ist in der Christenheit nicht immer festgehalten worden. Die Kirchengeschichte enthält leider bedenkliche Zeugnisse einer Geringschätzung der Frau. Immer wieder wurde die Frau als dem Mann sittlich unterlegenes Geschlechtswesen hingestellt, als “Einfallstor des Teufels” (Tertullian), vor dem sich der Mann in acht nehmen müsse. Die abscheulichste Form der Frauenfeindlichkeit waren die jahrhundertelangen Hexenverfolgungen, denen möglicherweise über eine Million Frauen zum Opfer fielen.

Allerdings blieb es in der christlichen Theologie ‑ von Ausnahmen abgesehen ‑ unbestritten, daß die Frau gleichwertiges Gegenüber des Mannes ist. Die von Jesus vertretene Hochschätzung der Frau hatte bleibenden Einfluß auf die Geschichte der christlichen Kirche und Theologie. Mit der religiösen Minderbewertung der Frauen war es im Christentum ein für allemal vorbei: Daß die Frauen wie die Männer durch den Glauben Zutritt zum ewigen Heil haben, wurde in der Christenheit nie in Frage gestellt. Denn die Überzeugung von der Gleichwertigkeit der Geschlechter gehört so zum Zentrum des Evangeliums, daß mit der Leugnung die­ser Überzeugung auch die Heilsbotschaft selbst verleugnet wäre. Indem die Kirche an der von Jesus gebotenen unauflöslichen Einehe als einzig legitimer Form für das geschlechtliche Zusammenleben festhielt, trat sie mit Nachdruck für die personale Würde der Frau ein und schützte sie wirksam vor der Bevorzugung des Mannes, die das Eherecht der Antike kennzeichnet. Durch das Liebesgebot Jesu, die Mitte christlicher Ethik, war die Kirche davor geschützt, in der Ehe nur eine rechtliche Institution zum Zweck der Kinderzeugung zu sehen. Sie sah vielmehr in ihr eine Gemeinschaft unbedingter Liebe und Treue, in der Mann und Frau ein Höchstmaß an Glück, Geborgenheit und Erfüllung erfahren können. Auch wenn die christliche Wirklichkeit nicht immer den christlichen Überzeugungen entsprach, hat die Frau in der Christenheit eine ganz bemerkenswerte Achtung und Wertschätzung erfahren. Dies tritt um so klarer zutage, wenn man die Situation der Frau in der Antike, wie sie vor Christus bestand, zum Vergleich heranzieht. Ein Anzeichen für die Wertschätzung der Frauen im Christentum ist die Tatsache, daß in der Alten Kirche spätestens seit dem 2. Jahrhundert sich wesentlich mehr Frauen zum christlichen Glauben bekannten als Männer. Dieser “Frauenüberschuß” führte sogar dazu, daß die frühe Kirche von Gegnern des Christentums verächtlich als “Religion der Armen und Frauen” bezeichnet wurde. Innerhalb der christlichen Gemeinden fanden die Frauen einen Lebensraum, in dem sie als vollwertige Persönlichkeiten, als zur erlösten Gottesfamilie gehörende “Schwestern in Christus” ernstgenommen wurden. Welche Wertschätzung sie bei den Christen erfuhren, zeigt z.B. die Tatsache, daß die weiblichen Märtyrer, die es in großer Zahl gab, von der Kirche genauso in hohen Ehren gehalten wurden wie die männlichen Blutzeugen. Die christlichen Märtyrerakten sind ein eindrucksvolles Zeugnis für die Achtung, die den Frauen in der Christenheit entgegengebracht wurde.

3. Die in der Bibel ausgesprochene Verschiedenartigkeit der Geschlechter und die sich daraus ergebende Verschiedenheit ihrer kirchlichen Aufgaben blieb in der Christenheit bis in das 20. Jahr­hundert ‑ von geringfügigen Ausnahmen abgesehen ‑ unbestritten. Am auffälligsten zeigte sich dies daran, daß im Anschluß an das Neue Testament die Lehr‑ und Leitungsfunktionen der Kirche in der katholischen, orthodoxen und evangelischen Christenheit den Männern vorbehalten waren. Diese Praxis wurde in der Alten Kirche nur von häretischen Bewegungen wie den Montanisten und der Gnosis durchbrochen. Der Ausschluß von Frauen aus dem Verkündigungs‑ und Leitungsamt bedeutete jedoch keinesfalls, daß sie zur Untätigkeit verurteilt waren: Die Alte Kirche schuf im Anschluß an das Neue Testament (vgl. Röm 16,1 f.; 1. Tim 5,3‑16) für unverheiratete Frauen das Diakonissenamt, das eine Vielfalt von Tätigkeiten wie Krankenpflege, diakonische und seelsorgliche Betreuung von Frauen und die Beteiligung an Taufe und Taufunterricht von Frauen umfaßte. Mit dem Amt der Diakonisse erschloß sich für die Christinnen ein Tätigkeitsbereich, der sowohl im Judentum als auch in den anderen Religionen den Frauen verschlossen blieb.   . . .

Wir sehen, daß die Christenheit bei der Verteilung der kirchlichen Ämter auf die Geschlechter weitgehend in den vom Neuen Testament gesteckten Grundlinien verblieben ist. Dies gilt auch für die neutestamentliche Zulassung von Prophetinnen. Sieht man einmal davon ab, daß es seit dem 2. Jahrhundert kaum noch Propheten in der Großkirche gab, hat man in der Kirche immer wieder das prophetische Auftreten von charismatisch begabten Frauen wie Hildegard von Bingen (1098‑1179), oder Katharina von Siena (1347‑1380) zugelassen, ohne ihnen damit eine direkte Beteiligung am Hirtenamt zuzugestehen. Es blieb unserem Jahrhundert vorbehalten, in größerem Umfang mit dieser auf dem Neuen Testament beruhenden fast 2000jährigen Tradition zu brechen, Frauen das Gemeindepfarramt und neuerdings sogar das Bischofsamt zu öffnen und die Verschiedenartigkeit der kirchlichen Ämter für Mann und Frau in Frage zu stellen. Diese Entwicklung hat freilich erst die evangelischen Kirchen erfaßt, während man sich ihr in der katholischen und orthodoxen Kirche bislang entschieden widersetzt hat. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, ob und inwieweit die neutestamentliche Sicht der Geschlechter heute noch theologische Gültigkeit und Verbindlichkeit für die Praxis der Kirche hat.

 

 

 

VII. Die bleibende Gültigkeit der biblischen Sicht von Mann und Frau

 

 

In unserer Zeit häufen sich die Stimmen unter den Theologen (und Nichttheologen), welche die Ansicht vertreten, daß die biblische Sicht von Mann und Frau von den heute überholten Vorstellungen ihrer patriarchalisch geprägten Umwelt bestimmt und daher revisionsbedürftig sei. Vor allem die in der Bibel vertretene Überordnung des Mannes über die Frau und die daraus abgeleitete Beschränkung der kirchlichen Lehr‑ und Leitungsämter auf Männer erfahren Kritik und Ablehnung. Wir wollen im folgenden eingehender begründen, warum die biblische Zuordnung der Geschlechter auch heute noch Gültigkeit besitzt und ihre Preisgabe zentrale Wahrheiten des christlichen Glaubens bedroht.

Angesichts der Leichtfertigkeit, mit denen heute Aussagen der Heiligen Schrift in Frage gestellt werden, ist es nötig darauf hinzuweisen, daß bei der Zurückweisung biblischer Inhalte die Beweislast beim Kritiker und nicht etwa bei demjenigen liegt, der den biblischen Standpunkt festhält. Dies gilt sowohl für die historische wie für die dogmatische Bibelkritik. Die Bibel ist für die Christenheit vorgegebene Autorität in allen Fragen der Lehre und des Lebens.Deshalb bedarf nicht die Bejahung, sondern die Ablehnung biblischer Aussagen der Rechtfertigung. Dies wird heute oft genug übersehen oder nicht genügend berücksichtigt. Trotzdem ist es eine immer wieder neue und notwendige Aufgabe der christlichen Theologie, die bleibende Gültigkeit biblischer Inhalte nicht nur zu behaupten, sondern auch zu begründen und Mißverständnissen zu wehren. In diesem Sinne sind unsere folgenden Ausführungen zu verstehen. Sie wollen eine Orientierungshilfe für all jene sein, die sich um ein vertieftes Verständnis der Heiligen Schrift bemühen.

Für das Festhalten an der biblischen Zuordnung von Mann und Frau sind vier Gründe entscheidend.

 

1. Der Offenbarungsanspruch der biblischen Sicht von Mann und Frau

Die Behauptung, daß die biblische Zuordnung von Mann und Frau, wie sie in 1. Mo 1‑3 entfaltet und im Neuen Testament weitergeführt und vertieft wird, zeitbedingt sei, widerspricht dem Selbstanspruch der biblischen Sicht.

Es ist keine Frage, daß im Alten wie im Neuen Testament ein Text wie 1. Mo 1‑3 als bleibend gültige Offenbarung über Mann und Frau angesehen wird. Die Art und Weise, wie Jesus (Mt 19,4 f) und Paulus (Eph 5,3 1; 1. Tim 2,13 f) auf die ersten drei Kapitel der Heiligen Schrift verweisen zeigt, daß sie in ihnen normative Offenbarungstexte sehen, die gültige Wahrheit über den Menschen und seine Geschlechtlichkeit erschließen. Jesus geht sogar soweit, daß er von 1. Mo 1 und 2 her das im Alten Testament ausdrücklich zugestandene Scheidungsrecht des Mannes (5. Mo 24,1‑4) verwirft, da es Gottes ursprünglichem Schöpferwillen widerspricht (Mt 19,8 f). Diese Stelle zeigt, daß Jesus in 1. Mo 1 und 2 die bleibend gültige Schöpfungsordnung Gottes ausgesprochen sieht, von der her sogar das Alte Testament kritisiert werden darf.

Auch die neutestamentlichen Texte über die Zuordnung von Mann und Frau enthalten den Selbstanspruch, nicht zeitbedingte, revisionsfähige Ansichten, sondern bleibende Offenbarungswahrheiten weiterzugeben. Man sieht dies an den theologischen Begründungen, die gerade paulinische Texte wie 1. Kor 11,3 ff, 14,33 ff oder Eph 5,22 ff vorbringen. Paulus verankert seine Sicht von Mann und Frau im Wesen Gottes (l. Kor 11,3), im Erlösungshandeln Jesu (Eph 5,22 ff) und im Wesen der Geschlechter (l. Kor 11,3 ff; Eph 5,22 ff); er beruft sich auf die göttliche Schöpfungsordnung (l. Kor 11,8‑9; 1. Tim 2,13 f) und auf ein Gebot des Herrn (l. Kor 14,37).

All dies macht deutlich, daß Paulus beansprucht, bleibende Wahrheiten weiterzugeben, deren Zurückweisung Auflehnung gegen Gott bedeutet (vgl. 1. Kor 14,37). Paulus weiß freilich um den Unterschied zwischen den von ihm vertretenen Offenbarungswahrheiten und der aus ihnen entstandenen Sitte (l. Kor 11,16): Die theologische Zuordnung von Mann und Frau und das daraus abgeleitete zeitbedingte Brauchtum der Gemeinde stehen nicht auf der gleichen Ebene. Es ist aber notwendig, daß die Sitte und Ordnung der christlichen Gemeinden der gottgewollten Zuordnung der Geschlechter nicht widersprechen, sondern diese zum Ausdruck bringen. Das ist der Grund, daß Paulus so stark für die Sitte des Kopftuches der Frau kämpft, weil er in deren Beseitigung eine Auflehnung gegen die bleibend gültige Schöpfungsordnung sieht.

Aus all dem ergibt sich die wichtige Folgerung: Wer die biblisch‑neutestamentliche Zuordnung der Geschlechter für zeitbedingt und veränderbar hält, gerät in Widerspruch zu ihrem Selbstanspruch! Die entsprechenden biblischen Texte argumentieren gerade nicht pragmatisch von der damaligen gesellschaftlichen Stellung der Geschlechter her, sondern beanspruchen, verbindliche Offenbarungswahrheiten weiterzugeben. Eine Auslegung, die diesen Anspruch der biblischen Texte nicht ernst nimmt, diskreditiert sich selbst und kann ihrerseits theologisch nicht mehr ernstgenommen werden.

Die Alte Kirche hat den Selbstanspruch der biblischen Zuordnung von Mann und Frau nicht nur in ihrer kirchlichen Praxis (Hirten‑ und Lehramt des Mannes), sondern auch in ihrer Theologie in vorbildlicher Weise ernstgenommen. Man sieht dies beispielsweise daran, daß namhafte Kirchenväter schon in der frühen Zeit die neutestamentlichen Haustafeln als kanonisch, d. h. als verbindliches Wort Gottes anerkannt haben. Die “Haupt”-Stellung des Mannes war nicht nur in der altkirchlichen und mittelalterlichen Theologie unumstritten, sondern wurde auch in der Neuzeit von der überwiegenden Mehrzahl der maßgeblichen Dogmatiker bis etwa zur Mitte unseres Jahrhunderts vertreten. Noch Adolf Schlatter, Karl Barth, Emil Brunner und Dietrich Bonhoeffer ‑ um nur einige bedeutende evangelische Theologen des 20. Jahrhunderts zu nennen ‑ sahen in der biblischen Zuordnung der Geschlechter eine bleibend gültige Wahrheit. Wer die neutestamentliche Zuordnung von Mann und Frau als überholt betrachtet, bricht also an dieser Stelle nicht nur mit dem Neuen Testament, sondern auch mit der darauf aufbauenden fast 2000jährigen Tradition der Kirche.

 

2. Unableitbarkeit der bibl. Sicht von Mann u. Frau aus der zeitgenössischen Umwelt

Die immer wieder vorgebrachte Behauptung, daß die biblische Sicht von Mann und Frau aus den patriarchalischen Auffassungen der damaligen Zeit abzuleiten sei, scheitert an der Tatsache, daß sie sich charakteristisch von den Überzeugungen der biblischen Umwelt unterscheidet. Wir wollen dies an einigen Beispielen näher belegen:

Wenn man beispielsweise 1. Mo 2 mit vergleichbaren Texten der zeitgenössischen Umwelt vergleicht, dann ergibt sich, daß dieses Kapitel in der Hochschätzung der Frau unter den Mythen von der Menschenschöpfung im gesamten Vorderen Orient einzigartig dasteht. 1. Mo 1‑3 bringt die Gleichwertigkeit der Geschlechter derart überzeugend zum Ausdruck, daß selbst das Alte Testament und die Praxis des alttestamentlichen Israel nicht ohne Einschränkung daran festgehalten haben. 1. Mo 1‑3 nimmt also nicht nur eine Sonderstellung im damaligen Vorderen Orient, sondern sogar im Alten Testament ein.  . . .

Ein überzeugendes Beispiel für den patriarchalischen Einfluß der Umwelt auf die biblische Zuordnung von Mann und Frau scheint die alttestamentliche Ausschließung der Frau vom Priestertum zu sein. Aber gerade dieses Beispiel beweist das Gegenteil: Mit der Ablehnung des Frauenpriestertums setzte sich Israel in schroffen Gegensatz zur Praxis seiner orientalischen Umwelt, in der Priesterinnen selbstverständlich waren. Man kann dies nicht damit erklären, daß dadurch die untragbaren Praktiken der zeitgenössischen Tempelprostitution vermieden werden sollten, denn die Praxis der geweihten Prostitution war in der orientalischen Umwelt keineswegs auf die Frauen beschränkt.   . . .

Angesichts des historischen Befundes ist es sachlich nicht gerechtfertigt, die Beschränkung des alttestamentlichen Priestertums bzw. des neutestamentlichen Hirten‑ und Lehramtes auf Männer aus der zeitgenössischen Umwelt abzuleiten. Man könnte allerdings versucht sein, die neutestamentliche Praxis zwar nicht aus der römisch‑griechischen, aber aus der jüdischen Umwelt abzuleiten. Dies scheitert aber daran, daß die neutestamentliche Ablehnung von Frauen in den Leitungsfunktionen auf die Praxis Jesu (Berufung nur männlicher Apostel) zurückgeht, dessen Verhalten frei war von jeder opportunistischen oder pragmatischen Anpassung an das Judentum seiner Zeit. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Ausschluß von Frauen aus dem Hirten‑ und Verkündigungsdienst im Neuen Testament ist nicht abhängig von der Umwelt der frühen Christenheit, sondern eine auf gewichtigen theologischen Gründen basierende Praxis.  . . .

Aus all dem ergibt sich die wichtige Folgerung: Die biblische Sicht von Mann und Frau ist derart eigenständig und verschieden von den Anschauungen der zeitgenössischen Umwelt, daß sie sich nicht aus diesen ableiten läßt, sondern göttliche Offenbarung über Mann und Frau ist.

 

3. Die Verankerung der biblischen Sicht von Mann und Frau im Wesen der Geschlechter

Die biblische Sicht der Geschlechter beruht auf der Einsicht in das Wesen von Mann und Frau. Sie steht daher in voller Übereinstimmung mit unserem Wissen über die Eigenart der Geschlechter, wie es sich aus der menschlichen Erfahrung und wissenschaftlichen Untersuchungen ergibt. Damit soll nicht behauptet werden, daß die biblische Zuordnung der Geschlechter hinreichend aus dem empirischen Wissen über Mann und Frau begründet werden kann, sondern nur dies, daß das Erfahrungswissen über die Geschlechter die biblische Sicht bestätigt und stützt.  . . .

Wenn der Mann in der Bibel als Haupt der Frau angesehen wird, dann entspricht dem ganz sein empirisch feststellbares stärkeres Streben nach Leitung und Führung, sein ausgeprägtes Dominanzverhalten, seine Willensbetontheit und seine größere Aggressivität. Wenn dem Mann in 1. Mo 1‑3 in besonderer Weise das Untertanmachen der Erde, die Erschließung und Gestaltung der Welt aufgetragen ist, dann steht dies in Übereinstimmung mit seinem stärkeren und robusteren Körperbau, mit seinem größeren Abstraktionsvermögen, seiner besonderen Befähigung zu schöpferischen Pionierleistungen in allen Bereichen des geistigen Lebens und mit seinem stärker ausgeprägten Sachweltbezug.

Wenn andererseits die Frau in der Heiligen Schrift als Gehilfin des Mannes gekennzeichnet wird, dann steht dies in Übereinstimmung mit ihrer wissenschaftlich feststellbaren geschlechtlichen Eigenart, denn ihre größere Anpassungsbereitschaft, ihr besseres Einfühlungsvermögen, ihre größere Nachahmungsfähigkeit einschließlich ihrer ausgeprägteren Sprachbegabung und ihr stärkerer Personenbezug prädestinieren sie für die Aufgabe, den Mann als dessen Gefährtin zu ergänzen. Die genannten Eigenschaften verhelfen ihr auch dazu, die ihr von der Bibel (und ihrem Körperbau) zugewiesene Aufgabe der Mutterschaft in umfassender Weise wahrzunehmen.

Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, um die grundlegende Übereinstimmung zwischen den biblischen Zielbestimmungen des Mannseins und Frauseins und der empirisch feststellbaren Eigenart der Geschlechter sichtbar zu machen.

Wie sehr die biblische Zuordnung der Geschlechter dem Wesen von Mann und Frau entspricht, zeigt auch die Erfahrung von Christen, welche die biblische Sicht in Ehe und Familie praktiziert haben. Dazu nur ein Beispiel unter vielen: In einer lutherischen Gemeinde in den USA, die eine tiefgreifende geistliche Erneuerung erfuhr, wurden die biblischen Grundlinien zur Gestaltung des Ehe‑ und Familienlebens neu entdeckt und seitdem mit großen Segenswirkungen praktiziert. Dieses Beispiel steht für viele: Überall da, wo Mann und Frau mit ganzem Ernst bereit waren, ihre Ehe im Sinne des Neuen Testaments zu gestalten, durften sie die beglückende Erfahrung machen, daß die biblische Zuordnung der Geschlechter für beide lebensentfaltend ist.

Die biblische Sicht von Mann und Frau wurde allerdings oft genug dadurch in ein schiefes Licht gerückt, daß sie zur Rechtfertigung des männlichen Egoismus mißbraucht wurde, indem die Männer wohl ihre Überordnung über die Frauen, nicht aber ihre Verpflichtung zu selbstloser Liebe ernstgenommen haben. Dadurch entstanden schlimme Zerrbilder “christlicher” Ehen, die freilich die Fülle positiver Erfahrungen nicht in Frage stellen können.

Die Richtigkeit der biblischen Zuordnung von Mann und Frau wird indirekt durch viele Beobachtungen gestützt, welche die Folgen einer Ablehnung der biblischen Sicht aufzeigen. Psychiatrische Untersuchungen haben beispielsweise ergeben, daß Familien, in denen die Väter ihre Leitungsaufgaben nicht wahrnehmen, sondern an die Mutter abtreten, psychisch und emotional gestört sind, und daß die Söhne in diesen Familien verhaltensgestört bzw. in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind. Außerdem sind die Kinder solcher Familien nur in unzureichendem Maße den verschiedenen Situationen des Lebens gewachsen. Diese Forschungsergebnisse zeigen recht anschaulich, wie zerstörerisch es sich auswirkt, wenn Männer ihre Verantwortung als Haupt der Familiengemeinschaft nicht wahrnehmen. Sie schaden nicht nur ihrer Familie als ganzer, sondern gerade auch ihrer Ehe: Das sich heute immer größerer Beliebtheit erfreuende Modell der “demokratischen” Ehe ohne klar abgegrenzte Kompetenzbereiche der Partner führt nachweislich zu Unzufriedenheit und ist ständig von der Gefahr bedroht, daß die Ehe zu einem Kampfplatz wird, in dem immer wieder neu eine Auseinandersetzung um die Durchsetzung von Entscheidungen stattfindet.  . . .

Die heute in zunehmendem Maße stattfindende Auflehnung von Frauen gegen ihre gottgewollte Aufgabe der Mutterschaft und die gleichzeitig zunehmende Berufstätigkeit von Müttern hat ähnlich zerstörerische Folgen wie die Auflehnung der Männer gegen ihre besondere Verantwortung zur Führung von Ehe und Familie. Es ist aufgrund von umfangreichen statistischen Erhebungen in vielen Ländern gesichert, daß die steigende Berufstätigkeit von Frauen in enger Beziehung zur steigenden Häufigkeit von Morden und Selbstmorden steht – ein Sachverhalt, der nicht verwunderlich ist, da die ungenügende Betreuung von Kindern durch ihre Mütter zwangsläufig deren psychische Entwicklung schädigen muß. Wie ausschlaggebend für das gesamte spätere Leben die intensive Betreuung vor allem von Kleinkindern durch ihre Mütter ist, haben die psychologischen und verhaltensbiologischen Forschungen zur Genüge erwiesen.

Die bekannte Psychagogin Christa Meves schreibt dazu: “Alle Einzelbeobachtungen haben die bittere Wahrheit bestätigt: Die Kinder brauchen den vollen personalen Einsatz ihrer Mütter, wenn nicht schwere geistige und körperliche Beeinträchtigungen riskiert werden wollen. 7,5 mal so häufig als aus irgendeinem anderen Grund wird der Mensch im Jugendalter kriminell, wenn er in den ersten Lebensjahren nicht in der konstanten Nähe einer Mutter gelebt hat“. Die mütterliche Aufgabe ist in den ersten Lebensjahren des Kindes derart beanspruchend, daß eine Berufstätigkeit damit nicht ohne bedenkliche Schädigung des Kindes vereinbart werden kann. Untersuchungen an Heimkindern, die meist von wechselnden Bezugspersonen betreut werden, haben erschreckende Schädigungen erkennen lassen, während beispielsweise ein im Gefängnis geborenes Kind, das dort intensiv von der Mutter betreut werden konnte, auch nach 18 Monaten keine Entwicklungsstörungen zeigte.

Die mütterliche Betreuung im Kleinkindalter kann auch nicht vom Vater übernommen werden: Sowohl aus körperlichen (Stillen) als auch aus psychologischen Gründen (Einfühlungsvermögen, Personenbezug der Frau) ist die Frau für diese Aufgabe unvergleichlich besser gerüstet als der Mann. Der französische Psychiater Muldworf schreibt, daß “die weibliche Gestalt, ihre Psychomotorik, der Ton ihrer Stimme sowie bestimmte psychologische Eigenschaften die Frau eher als den Mann dazu befähigen die mütterliche Funktion den Neugeborenen gegenüber zu erfüllen“. Die moderne Neigung, die gottgewollte Stellung der Geschlechter abzulehnen und geschlechtsspezifische Aufgaben möglichst zu leugnen, scheitert also auch in diesem Fall an der Wirklichkeit.

Es ist für die seelische Entwicklung des Kindes (v. a. für die Identifikation des Heranwachsenden mit dem eigenen Geschlecht) von ausschlaggebender Bedeutung, daß es an den Eltern positive Leitbilder für überzeugend gelebtes Mannsein und Frausein besitzt. Fehlen dem Kind solche Leitbilder, indem die Eltern bewußt oder unbewußt ihre geschlechtliche Eigenart nicht zur Entfaltung gelangen lassen oder gar unterdrücken, ist es der Gefahr ausgesetzt, homosexuell zu werden oder aber als Erwachsener Schwierigkeiten zu haben, eine auf Verantwortung und Treue basierende Partnerbeziehung zum anderen Geschlecht aufzubauen. Die heute herrschende Tendenz, für eine Nivellierung der Geschlechtsunterschiede einzutreten, muß demnach als ernste Gefahr für die heranwachsende Generation angesehen werden, da sie diese in ihrer seelischen Entwicklung und damit in ihren Zukunftschancen erheblich schädigt. Es stimmt in diesem Zusammenhang nachdenklich, daß schon heute 50 % der Schulkinder in der Bundesrepublik Deutschland verhaltensgestört (20 %) oder verhaltensauffällig (30 %) sind. Für diese Entwicklung ist sicherlich die weitverbreitete Vernachlässigung der väterlichen und mütterlichen Aufgaben in hohem Maß verantwortlich zu machen.

Aus all den angeführten Beobachtungen ergibt sich die gewichtige Folgerung: Die bleibende Gültigkeit der biblischen Sicht von Mann und Frau wird positiv dadurch gestützt, daß sie mit dem empirischen Wissen über die Eigenart der Geschlechter übereinstimmt und sich in der christlichen Praxis als lebensentfaltend bewährt,‑ sie wird negativ dadurch gestützt, daß ihre Ablehnung sich in der Praxis mannigfach als zerstörerisch erwiesen hat.

 

4. Die Verankerung der biblischen Sicht von Mann und Frau im Wesen Gottes

 

Der tiefste Grund für die biblische Sicht von Mann und Frau liegt im Wesen Gottes, wie es die biblische Offenbarungsgeschichte sichtbar werden ließ. Diese für viele Leser sicherlich über­raschende Feststellung wollen wir im folgenden genauer erläutern und begründen.

Nach alttestamentlicher Vorstellung sollten die Priester in besonderer Weise Repräsentanten Gottes sein und seine Heiligkeit und Vollkommenheit widerspiegeln: Sowohl ihre äußere Gestalt (vgl. 3. Mo 21, 17‑21) als auch ihr ethisches Verhalten (vgl. 3. Mo 10, 1‑3; 21, 7‑15) sollte Gottes heiliges und vollkommenes Wesen symbolisch darstellen. Es ist auffällig, daß auch im Neuen Testament in bezug auf die Apostel der Gedanke der Repräsentation Gottes bzw. Jesu auftaucht: “Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat” (Mt 10,49; vgl. Lk 10,16; Joh 13,20). So wie Jesus den Vater repräsentiert (vgl. Joh 14,3: “Wer mich sieht, der sieht den Vater”), so repräsentieren die Apostel Jesus: “Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch” (Joh 20,21). Die Repräsentation Jesu durch die Apostel bedeutete einerseits, daß diese die Botschaft Jesu unverkürzt weiterzugeben hatten (vgl. Lk 1, 1‑4), und andererseits, daß auch an ihrem ethischen Verhalten Jesu Vorbild sichtbar werden sollte (vgl. Job 13,18f.). Beim Apostel Paulus ging die Repräsentation so weit, daß er den Korinthern sagen konnte: “Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi!” (l. Kor 11,1; vgl. 1. Kor 4,16; Phil 3,17; 1. Thess 1,6). Im Neuen Testament ist es eine unerläßliche Bedingung für die Gemeindeleiter, daß sie in ihrer Lebenspraxis bewährte Vorbilder der Gemeinde sind (vgl. 1. Tim 3, 1‑7; 1. Petr 5,2 f). All dies zeigt uns: Im Alten wie im Neuen Testament werden die Führer der Gemeinde (die Priester bzw. die Apostel und Gemeindeleiter) als Repräsentanten Gottes (bzw. Jesu) angesehen, welche Gott (bzw. Jesus) durch Leben und Lehre in besonderer Weise darzustellen haben.

Aufgrund des biblischen Gottesbildes ergibt sich daraus die Konsequenz, daß die Führer der Gemeinde Männer sein müssen. Denn da Gott im Alten und Neuen Testament in ausschließlich männlichen Begriffen (wie “Vater”, “Herr”, “König” u. a.) vorgestellt wird, liegt es nahe, daß er von Männern und nicht von Frauen repräsentiert wird. Zwar wird Gott an wenigen Stellen der Bibel mit einer Mutter verglichen (vgl. Jes 66,13; 49,15; Ps 27,10), aber in auffallendem Gegensatz zu vielen Religionen nirgendwo als “Mutter” bezeichnet. Dies kann kein Zufall sein!

Denn während es von vielen Göttern nichtchristlicher Religionen heißt, “sie seien zugleich ’Väter und Mütter’ der Menschheit, ja aller Dinge . . . sagt die Bibel nie, Gott sei unser Vater und unsere Mutter und keiner, der mit der ganzen Flußrichtung ihres Offenbarungswortes vertraut ist, wird behaupten, dies sei ein zufälliges Versäumnis” (Bouyer). Gott als Mutter anzubeten, wäre für die Frommen des Alten und Neuen Testaments völlig unvorstellbar. Dies wäre nicht mehr der Gott Israels und der Vater Jesu Christi! Weil Gott ‑ wie Jesus in seiner Verkündigung geoffenbart hat wesenhaft Vater (und nicht Mutter) ist, mußte Jesus als wesensgleiches Abbild Gottes Sohn (und nicht Tochter) sein. Deshalb konnte Jesus bei seiner Menschwerdung nur Mann werden (und nicht Frau), deshalb mußten die Apostel als Repräsentanten ihres Herrn Männer sein. Wir sehen, wie die Beschränkung des Apostelamtes (bzw. des alttestamentlichen Priesteramtes) auf Männer zutiefst im Wesen Gottes selber verwurzelt ist!

Wenn Gott durch Frauen ebensogut dargestellt werden könnte wie durch Männer, dann könnte man ihn im Gebet auch als “Mutter”, “Schöpferin” oder “Herrin” anreden, dann könnte man Jesus ebensogut als “Tochter” Gottes wie als Gottessohn bezeichnen, dann hätte Jesus genausogut eine Frau wie ein Mann werden können. Wir hätten es allerdings dann nicht mehr mit dem Gott der Bibel zu tun, deren Ausführungen über Gott und Jesus ein Gottesbild wie das eben geschilderte völlig ausschließen.

Der bedeutende anglikanische Schriftsteller und Laientheologe C. S. Lewis stellt mit Recht fest: ” Wenn man einmal mit all dem wirklich Ernst machen würde (Gott als Mutter und Jesus als Tochter zu bezeichnen, W. N.), dann hätten wir uns auf eine andere Religion eingelassen … Das religiöse Leben eines Kindes, das man zu einer Mutter im Himmel beten gelehrt hat, würde sich radikal von dem eines christlichen Kindes unterscheiden.“

Es gehört zu den revolutionärsten Vorgängen der christlichen Theologiegeschichte, daß in unserer Zeit christliche Theologen eine völlige Revision der biblischen Gottesvorstellung im oben umschriebenen Sinn fordern: Es wird behauptet, daß Gott “sowohl männlich als auch weiblich ist“, daß Gott “gleichzeitig Mann und Frau, Vater und Mutter” ist . . .  – Es ist un­schwer zu erkennen, daß solche Vorstellungen nicht nur mit dem biblischen Gottesbild, sondern auch mit der 2000jährigen Tradition der christlichen Gotteslehre brechen. Hier wird das auf Gottes Selbstoffenbarung beruhende Gottesbild der Bibel durch einen aus den geistigen Quellen des Feminismus gespeisten Gottesbegriff ersetzt.  . . .

a) Gott als Vater

Bereits im Allen Testament wird Gott als Vater bezeichnet. Der Begriff ist dort nicht im Sinne einer direkten Vaterschaft durch Zeugung zu verstehen, sondern identisch mit dem Begriff des Schöpfers (vgl. 5. Mo 32,6.18; Jes 43,6 f; 45,9 ff; 64,7; Mal 2, 10). Erst durch Gottes Offenbarung in Jesus wissen wir, daß Gott in seinem Wesen Vater im unmittelbarsten Sinne des Wortes ist, nämlich Vater durch Zeugung seines Sohnes Jesus: Die “neue Offenbarung Christi über Gott” besteht nach dem katholischen Theologen Heinrich David “darin, daß er im eigentlichen Sinne durch Zeugung Vater ist. Gott kann nicht nur bildlich Vater genannt werden, wie im Alten Testament und in der heidnischen Philosophie, sondern er ist Vater im ursprünglichsten Sinne des Wortes, so daß von ihm alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen hat (Eph 3,15). Er ist urbildlich Vater und nicht nur abbildlich so genannt. Denn das ist der Inhalt der neuen Offenbarung Christi über Gott, daß er in Christus einen Sohn hat, daß er von Ewigkeit her einen Sohn zeugt, nicht erschafft.”

Diese Ausführungen Davids zeigen treffend, daß Jesus Gott nicht nur mit einem Vater vergleicht, sondern daß er ihn als Vater bezeichnet, weil er in seinem Wesen Vater ist und deshalb gar nicht anders bezeichnet werden kann. Die Vateranrede Jesu (Abba) ist daher keine beliebige, die auch durch eine andere (z. B. “Schöpfer” oder “Mutter”) ersetzt werden könnte, sondern die für Jesus einzig angemessene Kennzeichnung dessen, was Gott für ihn ist. Warum hätte Jesus Gott nicht auch als “Mutter” anreden können? Diese Frage beantwortet sich von selbst, wenn man das Wesen von Vaterschaft und Mutterschaft bedenkt: Vaterschaft beinhaltet das aktive Zeugen von neuem Leben, während Mutterschaft durch die überwiegend passiven Vorgänge des Empfangens, Austragens und Gebärens von neuem Leben gekennzeichnet ist. Wer den Begriff Mutterschaft auf Gott überträgt, bringt Gott mit Vorgängen in Verbindung, die seinem Wesen völlig fremd sind: Gottes Zeugen bedarf (im Gegensatz zu dem des Mannes) keines (mütterlichen) Empfangens, Austragens und Gebärens, sein Zeugen ist in sich genug. Deshalb wäre die Bezeichnung “Mutter” für Gott absolut unangemessen.

Selbst der menschliche Vaterbegriff ist nur unvollkommen geeignet, Gottes Vatersein zu bezeichnen: Während die menschliche Vaterschaft nur über die Mutterschaft der Frau verwirklicht wird, ist Gottes Vaterschaft völlig unabhängig von der Vermittlung durch irgendein anderes Wesen. Deshalb wird im Neuen Testament Gottes Vaterschaft nicht von der des Mannes abgeleitet, sondern umgekehrt das Vatersein des Mannes von Gottes urbildli­chem und vollkommenem Vatersein: In Eph 3,15 heißt es, daß von Gott “alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen hat.”  . . .

Wenn die feministische Theologie für eine Mutteranrede Gottes plädiert, dann geht sie nicht mehr vom lebendigen Gott aus, sondern von einem eigenmächtig konstruierten menschlichen Gottesbegriff. Eine von feministischen Gottesvorstellungen ausgehende “Theologie” kann daher nicht mehr als christlich ernstgenommen werden.

Mit all dem soll freilich nicht das Wahrheitsmoment des modernen Plädoyers für die Bezeichnung Gottes als Mutter beiseitegeschoben werden: Wenngleich Gott nicht als Mutter bezeichnet werden kann, so läßt sich doch sein Verhalten gegenüber den Menschen mit dem liebevollen Verhalten einer Mutter vergleichen, wie dies die Heilige Schrift manchmal ‑ wenn auch selten ‑ tut (vgl. Jes 66,13: “Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet”). Soweit eine Mutter ihre Kinder mit Hingabe und Liebe erzieht, ist sie ein schönes Abbild von Gottes geduldiger Liebe. Insofern enthält Gottes Wesen Merkmale der geistig‑seelischen Mütterlichkeit. Diese “mütterlichen” Züge in Gott sind aber Bestandteile seiner väterlichen Liebe und können von dieser nicht getrennt werden. Gottes Väterlichkeit umfaßt in vollkommener urbildhafter Form alles, was auf Erden an mütterlicher Zartheit, Geborgenheit und Liebe möglich ist.

 

b) Gott als Bräutigam (Gatte)

Gott wird im Alten Testament häufig als Bräutigam (Jer 2,2) bzw. Gatte des Volkes Israel geschildert (vgl. Jes 54,5 ff; Jer 3,8 f.; 9, 1; Hes 16; Hos 1‑3). Zwar findet sich die direkte Bezeichnung Gottes als “Ehemann” kaum (vgl. Jes 54,5), aber der Sache nach ist die Vorstellung Gottes als Gatte Israels ein ganz wichtiges Merkmal alttestamentlicher Prophetie. Der Bund zwischen Jahwe und seinem Volk wird unmittelbar als Ehebund geschildert (vgl. Jes 54,5 ff; Jer 3,8 u. ö.).

Im Neuen Testament begegnet häufig die Kennzeichnung Jesu als Bräutigam (Mt 9,15f; 25,1‑10; Joh 3,29; Offb 19,7.9; 21,2.9; 22,17) bzw. als Gatte seiner Gemeinde (Eph 5,22ff). Auch hier wird die Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde nicht nur mit einer irdischen Ehe verglichen, sondern als realer Ehebund betrachtet. In Eph 5,22ff wird die Gemeinschaft zwischen Christus und der Gemeinde als Urbild der irdischen Ehe angesehen.

Ähnlich wie beim Vaterbegriff wollen wir auch hier fragen, ob der männliche Begriff  “Gatte” für Gott auch durch den weiblichen Gegenbegriff  “Gattin” ersetzt oder wenigstens ergänzt werden kann. Könnte man ‑ anders gefragt ‑ auch die Gemeinde sachgemäß als Bräutigam und Gott‑Vater bzw. Jesus Christus, der auf Erden als Mann gelebt hat, als Braut bezeichnen? Es ist leicht einzusehen, daß eine solche Vertauschung der Begriffe geradezu absurd wäre. Mit dem Begriff “Gatte” wird Gott als derjenige beschrieben, der die Gemeinde zum geliebten Partner einer unverbrüchlichen Lebensgemeinschaft gemacht hat, während durch den Begriff “Gattin” die Gemeinde als Empfänger und Adressat der göttlichen Liebe und Treue gekennzeichnet ist. Eine Vertauschung der Begriffe würde Gott von der Liebeszuwendung der Gemeinde abhängig machen und die Gemeinde an die Stelle Gottes setzen. Weil der Treuebund zwischen Gott und der Gemeinde allein in Gottes freiem Wollen begründet ist, der die Gemeinde erwählt, erlöst und zum geliebten Gegenüber gemacht hat, ist ausschließlich der männliche Begriff  “Gatte” geeignet, um den erwählenden Gott zu benennen. Auch in diesem Fall scheitert also der Versuch, Gottes Wesen durch einen weiblichen Begriff auszudrücken.

Das männlich geprägte Gottesbild der Heiligen Schrift ist von daher keine Folge patriarchalischen Denkens, sondernErgebnis der Selbstoffenbarung des lebendigen Gottes! Die feministische Theologie stellt demnach den bedenklichen Versuch dar, die göttliche Selbstoffenbarung eigenmächtig im Sinne des Zeitgeistes zu “korrigieren”. Eine solche Theologie tastet die Grundlage des christlichen Glaubens an und hat ihr Daseinsrecht innerhalb der christlichen Kirche verloren.

Aus dem männlich geprägten Gottesbild der Heiligen Schrift ergibt sich die notwendige Konsequenz, daß der Mann durch sein Mannsein in besonderer Weise Abbild und Repräsentant Gottes ist, während die Frau in besonderer Weise die Schöpfung bzw. die erlöste Gemeinde abbildet und repräsentiert.  . . .

Die Frau bildet in besonderer Weise die Schöpfung bzw. die Kirche als Braut Christi ab. So wie die Schöpfung dem Schöpfer zugeordnet ist und auf ihn hin geschaffen wurde (vgl. Kol 1,16), so ist auch die Frau dem Mann zugeordnet und auf ihn hin entworfen.  . . .

All dies zeigt uns, wie sehr die biblische Sicht von Mann und Frau letztlich im Wesen Gottes verankert ist. Wer die biblische Zuordnung der Geschlechter ablehnt, muß sich letztlich auch gegen den in der Heiligen Schrift geoffenbarten Gott auflehnen. Es ist daher nur konsequent, wenn die feministisch orientierte Theologie nicht nur die biblische Zuordnung der Geschlechter bekämpft, sondern auch die biblische Gottesvorstellung.   . . .

Es ist in der christlichen Theologie immer wieder zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die “mütterliche” Seite von Gottes Wesen am Heiligen Geist besonders sichtbar wird: Der Heilige Geist besorgt die Erziehung des Wiedergeborenen, der im Neuen Testament mit einem neugeborenen Kind verglichen wird, das behutsam gepflegt, genährt und erzogen werden muß (vgl. 1 . Kor 3, 1 f.; Eph 4,13; 1. Petr 2,2; Hebr 5,12 f), und tritt als Tröster und Fürsprecher (parákletos) für die schwachen Jünger in notvollen Situationen ein (vgl. Mk 13, 11; Joh 14,16; Röm 8,26). Dies zeigt, daß im Handeln des Geistes Gottes Züge sichtbar werden, die man als “mütterlich” bezeichnen könnte.  . . .

Der Heilige Geist ist aber gleichen Wesens mit dem Vater und dem Sohn, jedoch die Weise seines Wirkens läßt das “mütterliche” Wesen Gottes besonders zum Ausdruck kommen. Das Wesen des Geistes Gottes enthält allerdings nichts, was nicht auch im Wesen des Vaters und des Sohnes enthalten wäre.

Wir haben oben bereits gesehen, daß das “Mütterliche” in Gott zu seiner Väterlichkeit gehört, die viel weiter gedacht werden muß als die Väterlichkeit des Mannes. Das “mütterliche” Wirken des Geistes ist daher die Verwirklichung von Gottes Wesen als liebevollem Vater. All dies zeigt uns, daß man unmöglich eine Wesensverschiedenheit von “männlichem” Gott‑Vater und “weiblichem” Geist Gottes annehmen kann. Keine der drei göttlichen Personen der Dreifaltigkeit läßt sich sachgemäß mit weiblichen Vorstellungen in ihrem Wesen kennzeichnen.

Das Ergebnis unseres Abschnitts können wir in drei Sätzen zusammenfassen:

1. Der in der Heiligen Schrift geoffenbarte, dreieinige Gott wird von den biblischen Zeugen in männlichen Kategorien beschrieben, weil Gottes Wesen anders nicht angemessen dargestellt werden kann.

2. Aus dem biblischen Gottesbild ergibt sich mit innerer Folgerichtigkeit die biblische Vorordnung des Mannes als Haupt der Frau, da der Mann in besonderer Weise Repräsentant des in der Bibel geoffenbarten Gottes ist.

3. Weil die biblische Zuordnung der Geschlechter letztlich im Wesen des lebendigen Gottes gründet, ist der Versuch zum Scheitern verurteilt, diese Zuordnung als zeitbedingte und revisionsbedürftige Sicht zu deuten.

 

 

VIII. Die Dringlichkeit der Verwirklichung der biblischen Sicht von Mann und Frau

 

Es hat wohl noch keine Geschichtsepoche gegeben, in der die Verwirklichung der biblischen Sicht von Mann und Frau so dringlich war wie gerade heute. Denn in der Gegenwart werden die Maßstäbe Gottes im allgemeinen und die göttliche Zuordnung der Geschlechter im besonderen in einem Ausmaß wie nie zuvor in Frage gestellt. Unsere Zeit ist geprägt von dem Versuch, die Geschlechterunterschiede völlig zu nivellieren bzw. auf das unleugbare Mindestmaß körperlicher Unterschiede zu reduzieren. Dieser Versuch hat im Feminismus seinen radikalsten Ausdruck gefunden, bestimmt aber weit darüber hinaus das Bewußtsein vieler Menschen beiderlei Geschlechts. Die Folge dieser Entwicklung ist ein besorgniserregender Schwund an Männlichkeit und Fraulichkeit und eine tiefe Unsicherheit darüber, was die besonderen Aufgaben von Mann und Frau sind. Wer heute noch wagt, Begriffe wie “Männlichkeit” oder “Fraulichkeit” zu verwenden, setzt sich der Gefahr aus, als hoffnungslos rückständig belächelt zu werden. Dies hängt zwar auch mit der Tatsache zusammen, daß solche Begriffe in der Vergangenheit oft reichlich gedankenlos gebraucht oder gar mißbraucht wurden (man denke nur an die Verzerrung des Männlichkeitsideals im 3. Reich). Der Hauptgrund liegt aber sicherlich in der modernen Abwehr eines klar umrissenen Bildes von Mannsein und Frausein.

Aufgrund unserer Analyse konnten wir ein hinreichend genaues Bild der Eigenart von Mann und Frau in biblischer und anthropologischer Sicht gewinnen. Wenn wir unsere Ergebnisse zur Prüfung der Gegenwartssituation heranziehen, ergibt sich ungefähr folgendes Bild:

a) Unsere Zeit leidet an einem tiefgreifenden Verlust an Männ­lichkeit. Bringt man den Begriff “Männlichkeit” im biblischen Sinn auf eine vereinfachte Kurzformel, läßt er sich umschreiben als die Bereitschaft, in verantwortlicher und hingabebereiter Weise die Führung und Leitung in Ehe, Familie und Gesellschaft nach den Maßstäben Gottes wahrzunehmen. Beurteilt man die Gegenwart nach dem so beschriebenen Leitbild eines verantwortlichen Mannseins, ergibt sich ein denkbar düsteres Bild:

Die Flucht vor der Verantwortung und die fehlende Bereitschaft zur hingebungsvollen Liebe gegenüber der Frau, sind überall mit Händen zu greifen. Immer mehr Männer verweigern den Frauen die lebenslange Liebe und Treue in der Ehe und damit den Schutz und die Geborgenheit, deren die Frau dringend bedarf. Dies wird in der rapiden Zunahme der “Ehen auf Zeit” und dem alarmierenden Ansteigen der Scheidungsziffern in der Bundesrepublik von 55.000 1964 auf 108.000 1976 sichtbar. Wenn die Männer kein vorbehaltloses Ja zur Ehe mehr haben, braucht man sich nicht zu wundern, daß auch immer weniger Frauen die Ehe anstreben.

Der Schwund an verantwortungsbereiter Männlichkeit wird auch in der immer mehr um sich greifenden Flucht vor dem Vatersein sichtbar. Diese Flucht vor der väterlichen Verantwortung zeigt sich zum einen in der immer geringeren Bereitschaft, Kindern das Leben zu schenken, zum anderen in der mangelnden väterlichen Liebe und Autorität im Familienleben. Die Flucht vor dem Kind hat in der Bundesrepublik bereits Ausmaße angenommen, die für die Zukunft unseres Volkes höchst bedrohlich sind.  . . .

Gerade in der modernen Industriegesellschaft ist der Mann von der Gefahr bedroht, dem Väterlichen entfremdet zu werden und in der eigenen Familie die Rolle des Außenseiters zu spielen, teils weil er beruflich den größten Teil des Tages außerhalb der Familie verbringen muß, teils weil er sich selbst der Familie entzieht, teils weil seine Gestalt und Autorität durch eine allzu mechanische Deutung und Anwendung des Grundsatzes der Gleichberechtigung verdunkelt wird, als ob es eine Gesellschaft nur aus gleichen Brüdern, ohne Väter, geben könnte. Es sollte uns nachdenklich stimmen, daß die Heilige Schrift das Zuhausesein als ein beim Vater sein bezeichnet.

Es ist empirisch nachgewiesen, daß die Vernachlässigung der väterlichen Führungsaufgabe zerstörerische Folgen für die ganze Familie hat. Die Flucht vieler Männer vor der väterlichen Verantwortung hat dazu geführt, daß die Jugendlichen vielfach ohne orientierungsgebende ethische Leitbilder heranwachsen mußten. Es entstand eine “va­terlose Gesellschaft” (Mitscherlich), die gegen jede Art von Autorität mißtrauisch wurde, weil ihr das Erlebnis liebevoller Autorität durch die Väter fehlte. Dadurch entstand ein geistiges Vakuum, eine Orientierungslosigkeit und Sinnleere, die viele Jugendliche in Resignation, Verzweiflung (Selbstmord) und zerstörerische Ideologien (Marxismus, Jugendsekten) trieb.

Auch die “vaterlose Gesellschaft” konnte freilich das natürliche Bedürfnis nach väterlicher Autorität und Liebe nicht beseitigen. Selbst in politischen Bewegungen, welche die vorhandenen Autoritäten radikal ablehnten, wurden sehr bald neue Vaterbilder wach (Marx, Lenin, Hitler, Mao, Che Guevara u. a.). Es ist von entscheidender Wichtigkeit für das Leben eines Volkes, daß seine Männer verantwortungsbewußte Väter sind, welche die erzieherische Verantwortung nicht einfach an die Frau delegieren. Vaterschaft umfaßt weit mehr als bloß die biologische Zeugung: Vater “im vollen Sinn des Wortes ist ein Mann, der ein Kind nicht nur gezeugt hat, sondern willens ist, es in seine Verantwortung, Obhut, Fürsorge und Erziehung zu nehmen, ihm Ernährer, Schützer, Pfleger und Bildner zu sein” (J. David). Man kann es nur als Tragödie bezeichnen, daß dieses Leitbild weitgehend aus dem Bewußtsein der Menschen verschwunden ist. Ein Volk ohne Väter ist ein Volk ohne Zukunft!

Zum Verlust an verantwortlicher Männlichkeit gehört auch die vermehrte Aggressivität und ‑ daraus entstehend ‑ Kriminalität unter Jugendlichen, die in der Bundesrepublik (und anderen westlichen Ländern) zunehmend Besorgnis erregt. Diese Aggressivität ist eine Form unbeherrschter “Männlichkeit”, die in einem vorschnellen Kapitulieren vor Schwierigkeiten gründet und in eindeutigem Zusammenhang mit der mangelnden Erfahrung elterlicher Geborgenheit steht.  . . .

Der Verlust an Männlichkeit zieht einen Verlust an Fraulichkeit nach sich, die Verantwortungslosigkeit des Mannes verursacht zwangsläufig die Verantwortungslosigkeit der Frau, wo der Mann nicht mehr seine Aufgaben als Mann wahrnimmt, rebelliert auch die Frau gegen ihre Aufgaben. Genau diese Entwicklung können wir heute anschaulich beobachten:

b) Wir haben nicht nur eine “vaterlose Gesellschaft”, sondern in zunehmendem Maße auch eine “mutterlose Gesellschaft”, da immer weniger Frauen bereit sind, ihre Aufgaben als Mutter mit ganzem Einsatz zu erfüllen. Wir haben nicht nur die Auflehnung der Männer gegen die lebenslange eheliche Bindung, sondern auch in steigendem Maß die Abwehr von Frauen, sich für immer an einen Mann zu binden. Wenn die Männer nicht vertrauenswürdig sind, brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn die Frauen ihnen kein Vertrauen mehr schenken.

Der Feminismus ist im Grunde genommen die folgerichtige lieb­lose Antwort auf die Lieblosigkeit der Männer! Die feministische Ideologie, die in geradezu verbissener Einseitigkeit die Interessen der Frau reflektiert, ohne mit gleicher Ernsthaftigkeit die Interessen des Mannes mitzubedenken, ist eine verständliche Reaktion auf die Rücksichtslosigkeit, mit der oft genug Männer ihre Interessen durchsetzen. Die Tragödie des Feminismus besteht freilich darin, daß er genau das Gegenteil dessen propagiert, was im Interesse der Frauen wäre: Statt der Frau zu einer optimalen Entfaltung ihres Frauseins zu verhelfen, neigt er dazu, die Frauen zur Imitation des Mannes zu ermuntern. Die Frau soll im gleichen Umfang wie der Mann am beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen. Die damit verbundene “Vermännlichung” der Frauen wird erkauft durch eine radikale Abwertung ihrer ureigensten mütterlichen Aufgaben. Der Maßstab für die feministischen Forderungen ist also paradoxerweise das, was der Mann tut, und nicht das, was der Eigenart der Frau entspricht.

Der Preis, den die Frauen dafür zahlen müssen, ist der Verlust ihrer Fraulichkeit: “Die Frau wird zu einer Karikatur, einem Pseudowesen” (Berdjajew). Indem der Feminismus faktisch auf eine Zerstörung des Frauseins hinarbeitet, erweist er sich als extrem frauenfeindliche Bewegung! Diese Erkenntnis hat eine ehemalige Feministin zu dem provozierenden Satz verleitet: “Das weltgeschichtliche Unglück der Frau ist die Idee der Emanzipation” (Erler).

Der Fehler liegt freilich nicht im Emanzipationsgedanken als solchem, sondern in einer falsch verstandenen Emanzipation: “Echte Frauenemanzipation dürfte nicht den Versuch machen, die Frau von sich selbst und ihrem Eigentlichen wegzubringen” (Meves). Was heute freilich üblicherweise unter dem Programm “Emanzipation der Frau” gefordert wird, läuft trotz mancher berechtigter Einzelforderungen (z. B. Kampf gegen Pornographie und Vergewaltigung) auf die Demontage des Frauseins hinaus.

Der Prozeß der zunehmenden Vermännlichung der Frau ist längst in vollem Gange. So wie die Männer ihre gottgewollten Aufgaben weithin verleugnen, so lehnen sich auch viele Frauen gegen ihre schöpfungsgemäße Stellung auf, Gehilfin des Mannes und Mutter zu sein. Man sieht dies beispielsweise an der heute weitverbreiteten Abwertung der “Nur‑Hausfrau ” bzw. der nichtberufstätigen Mutter. Bei vielen Frauen ist die Berufstätigkeit allerdings nur eine Flucht, die anzeigt, daß sie noch kein volles Ja zu ihrem Dasein als Frau und Mutter gefunden haben, sondern außerhalb der Familie ihre Erfüllung suchen. Solange man gegen eine Aufgabe innerlich revoltiert, wird einem diese Aufgabe notwendigerweise Last statt Freude bereiten. Das Problem vieler Frauen besteht allerdings darin, daß sie für ihre aufopfernde Tätigkeit als Mutter von ihren Ehemännern nicht die nötige Anerkennung erfahren und ihnen dadurch ein freudiges Ja zu ihrer Mutterschaft und zu ihrem Hausfrauentum unnötig schwergemacht wird.

Hinzu kommt die Tatsache, daß das Muttersein in der öffentlichen Meinung längst nicht die Wertschätzung erfährt, die es verdient.  . . .

Die biblische Sicht von Mann und Frau besitzt gerade heute eine brennende Aktualität. Es ist die Aufgabe der Christenheit, diese biblische Schau der Geschlechter in überzeugender Weise zu verwirklichen und einer ratlosen Welt zeichenhaft vorzuleben, wie Mannsein und Frausein nach Gottes Willen aussehen. Die Gemeinde Jesu ist beauftragt, als “Stadt auf dem Berge” und “Licht der Welt” (Mt 5) deutlich zu machen, daß Gottes Schöpfungsordnung für Mann und Frau dem Leben dient und nicht ungestraft beiseitegeschoben werden kann. Die Kirche Jesu Christi soll Modell sein für ein harmonisches Zusammenleben der Geschlechter, bei dem Mann und Frau ihre Eigenart entfalten und sich in beglückender Weise ergänzen können.

Wenn man die gegenwärtige Lage der Christenheit nüchtern betrachtet, wird man feststellen müssen, daß sich auch unter Christen eine tiefe Unsicherheit über die gottgewollte Bestimmung der Geschlechter breitgemacht hat. Selbst entschiedene Christen, die an der Autorität der Heiligen Schrift für Lehre und Leben grundsätzlich festhalten wollen, neigen teilweise dazu, die bleibende Gültigkeit der biblischen Zuordnung von Mann und Frau in Frage zu stellen. Andererseits gibt es konservative Christen, welche die biblische Sicht einseitig zum Nachteil der Frau auslegen und dabei verkennen, daß die Bibel den Egoismus beider Geschlechter scharf verurteilt und beide Geschlechter gleichermaßen zur Buße ruft.

All dies zeigt, daß die Christenheit dringend einer inneren Er­neuerung bedarf, um der Welt glaubhaft vorleben zu können, wie sich die göttliche Schöpfungsabsicht im Zusammenleben von Mann und Frau verwirklicht. Die Kirche braucht nichts nötiger als eine neue, leidenschaftliche Hinwendung zum Willen Gottes, eine einseitige Hingabe an Gott allein und eine allseitige Absage an den Geist der Welt.

Im folgenden wollen wir wenigstens kurz aufzeigen, welche praktischen Konsequenzen sich aus dieser Erkenntnis ergeben:

1. Das allererste Erfordernis besteht darin, daß die Christen wieder entdecken, welchen Reichtum an Erkenntnis die biblische Schau der Geschlechter umschließt und welcher Segen auf ihrer Verwirklichung ruht. Von besonderer Bedeutung scheint mir dabei die Frage zu sein, wie das Mannsein unter der Herrschaft Jesu aussieht. Diese Frage wurde in der Christenheit weitgehend vernachlässigt. Während es über die christliche Frau eine Fülle guter Literatur gibt, findet man über den christlichen Mann nur wenig.  . . .

Die Vernachlässigung der Frage nach dem Bild des christlichen Mannes hat die Christenheit schwer geschädigt und mit dazu beigetragen, daß viel mehr Männer als Frauen dem Evangelium den Rücken gekehrt haben, weil sie durch die Verkündigung offenbar nicht genügend in ihrem Mannsein angesprochen wurden. Bei vielen Männern besteht das Bewußtsein, daß Frömmigkeit etwas für (alte) Frauen und Kinder sei. Sicherlich hängt diese Haltung auch mit dem überheblichen Stolz vieler Männer zusammen, sich nicht in die völlige Abhängigkeit eines über ihnen stehenden Herrn zu geben. Der Hinweis auf den männlichen Hochmut allein kann aber nicht genügen, um die weithin herrschende “Verweiblichung” der Kirche zu erklären. Es besteht guter Grund zur Annahme, daß die kirchliche Verkündigung durch eine einseitige Betonung der tröstlichen Seite des Evangeliums und die Vernachlässigung der Indienstnahme des Menschen durch Christus für den Bau des Reiches Gottes die zu Taten drängende, umgestaltende Wesensart des Mannes zu wenig angesprochen hat. Man hat oft die passive Seite des Glaubens, den Empfang von Frieden und Geborgenheit durch die Sündenvergebung, auf Kosten der aktiven Seite des Glaubens, die Erneuerung des menschlichen Denkens, Wollens und Handelns durch den Heiligen Geist, überbetont. Bei einer Verkündigung, die dem Tatendrang des Mannes kein Betätigungsfeld bietet, braucht man sich nicht zu wundern, daß sie viele Männer nicht mehr erreicht. Eine auf fromme Innerlichkeit und Beschaulichkeit beschränkte Predigt wird an den meisten Männern vorbeigehen; sie bleibt auch weit unter dem Niveau des Neuen Testaments. Die innere Emigration der Männer aus der Kirche ist eine ernsthafte Frage an den Wirklichkeitscharakter kirchlicher Verkündigung und Theologie: Männer, die sich täglich in der oft harten Arbeitswelt bewähren müssen, werden nicht durch fromme Gedanken oder Gefühle allein, sondern nur durch die Erfahrung der Wirklichkeit Gottes überzeugt.

Die Entfremdung vieler Männer von Evangelium und Kirche ist allerdings nicht nur eine Anfrage an die Prediger der Kirche, sondern gerade auch an die Theologie, denn die Qualität der Theologie bestimmt die Qualität der kirchlichen Verkündigung. Die Wirklichkeitsfremdheit, von der die Theologie des 20. Jahrhunderts teilweise gekennzeichnet ist, trägt zum guten Teil Schuld an der Wirklichkeitsferne kirchlicher Praxis. Nur die entschlossene Rückkehr zum Neuen Testament wird Theologie und Praxis der Kirche wieder jene umgestaltende Schlagkraft geben, welche die Christenheit des 1. Jahrhunderts auszeichnete und die auch Männer anzusprechen vermag.

Die Bibel enthält zu dieser Fragestellung weit mehr Material, als es in diesem Buch ausgebreitet werden konnte. Allein schon die Untersuchung biblischer Männergestalten könnte viel zum Bild des christlichen Mannes beitragen. Das gleiche gilt für die Frauen der Bibel, die zum christlichen Bild der Frau Entscheidendes beitragen können. Beispielsweise könnte eine vergleichende Betrachtung zwischen Abraham, dem “Vater der Gläubigen” (vgl. Gal 3,7), mit Maria, der “Mutter der Gläubigen”, tiefe Einsichten über männliche und weibliche Ausgestaltungen des Glaubens ergeben: Während Abrahams Glaube tathaft‑expansiv geprägt ist (Auswanderung nach Palästina, Opferung des Isaak usw.), besteht der Glaube Marias ganz im empfangenden An‑Sich‑Geschehenlassen dessen, was Gott in ihr bewirkt (vgl. Lk 1,38: “Mir geschehe, wie du gesagt hast”). Für die Frage nach dem Frausein in der Nachfolge Jesu ist Maria sicherlich die wichtigste Frauengestalt der Heiligen Schrift. Es war ein geistlicher Verlust für die evangelische Christenheit, daß Maria kaum als einzigartiges Vorbild der christusgläubigen Frau ‑ und des Glaubens überhaupt ‑ gewürdigt wurde, obwohl Luther in seinem “Magnifikat” die Vorbildlichkeit der Mutter Jesu in feiner Weise dargelegt hat. Wenngleich katholische Autoren oft nicht von einer Überbewertung Marias frei sind, können evangelische Christen hier Wichtiges aus katholischen Darstellungen lernen.

Die heute für die Christenheit notwendige Beschäftigung mit der biblischen Sicht von Mann und Frau könnte dazu verhelfen, zentrale Glaubenswahrheiten neu zu entdecken und zu verstehen. Häufig verbirgt sich hinter der Ablehnung der biblischen Zuordnung der Geschlechter nämlich die Auflehnung gegen zentrale Inhalte des Evangeliums.  . . .

Daß der Gehorsam gegenüber Gott sich vielfach durch den schlichten Gehorsam gegenüber Menschen (Eltern, Vorgesetzte, Staat, Kirche, Seelsorger usw.) verwirklicht, wird oft übersehen. Für das Neue Testament hat der Gehorsamsgedanke nichts Entwürdigendes an sich, wo doch der Sohn Gottes nicht nur dem Vater in allem gehorsam war, sondern auch eine lange Zeit seinen irdischen Eltern (vgl. Lk 2,51). Da in unserer Zeit weithin Autorität und Gehorsam in Frage gestellt werden, fällt es auch vielen Christen schwer zu begreifen, daß “aus dem Grundgedanken des Evangeliums” die “Schätzung des Gehorsams als unserer edelsten Leistung entsteht” (Schlatter). Es wäre gerade angesichts der antiautoritären Ideologien unserer Zeit von großem Gewinn, wenn die Christenheit wieder glaubhaft vorleben würde, wie unverzichtbar ein Gehorsam in Liebe und Freiheit um Gottes Willen für den Menschen ist. Die christlichen Ehen und Familien sind in besonderer Weise dazu geeignet, dies überzeugend zum Ausdruck zu bringen.

2. Die Zuordnung von Mann und Frau wird von der Christenheit nur dann gewahrt, wenn sie auch in der Ordnung des kirchlichen Lebens sichtbare Gestalt annimmt. Dies bedeutet, daß das Hirten‑ und Lehramt nicht Frauen übertragen werden kann, ohne die biblische Sicht der Geschlechter zu verlassen. Das in vielen evangelischen Kirchen inzwischen zugelassene (uneingeschränkte) Frauenpfarramt ist von daher theologisch nicht haltbar. Dies wird bereits aus unserer bisherigen Untersuchung hinreichend deutlich geworden sein. Trotzdem wollen wir in einem Exkurs noch einmal die wesentlichen Gründe gegen das Pfarramt der Frau zusammenfassen:

 

Die theologische Unhaltbarkeit des Frauenpfarramtes

Zunächst zwei Vorbemerkungen:

a) Dieser Exkurs setzt die Teile V. und VI. voraus und baut auf deren Ergebnissen auf. Zum tieferen Verständnis der hier vorgebrachten Gründe muß daher auf die Teile V. und VI. dieses Buches verwiesen werden.

b) Bei den folgenden Ausführungen geht es zunächst nur um die Frage, ob ein gemeindeleitendes Pfarramt theologisch verantwortet werden kann, nicht um die Frage, ob die Frau als Pfarrerin für spezielle Dienste (wie Krankenhausseelsorge oder Gefängnisseelsorge an Frauen) geistlich zu bejahen ist.

Eine gemeindeleitendes Pfarramt der Frau ist aus folgenden Gründen theologisch abzulehnen:

1. Das Neue Testament schließt in 1. Kor. 14,33‑35 und 1. Tim 2,12 ausdrücklich ein Lehr­- und Leitungsamt der Frau in der Gemeinde aus. Beide Stellen begründen dies nicht vordergründig‑pragmatisch, sondern mit gewichtigen und grundsätzlichen theologischen Gründen.

2. Das neutestamentliche Nein zur Gemeindeleitung der Frau wird indirekt dadurch gestützt, daß im Alten Testament nur männliche Priester zugelassen sind und daß im Neuen Testament nur von männlichen Aposteln und Gemeindeleitern die Rede ist. Sowohl die alttestamentliche wie die neutestamentliche Gemeinde hat die geistliche Leitung ausschließlich Männern übertragen.

3. Das neutestamentliche Nein zum Leitungsamt der Frau ergibt sich notwendig aus der biblischen Gesamtschau von Mann und Frau: Da der Mann in der Heiligen Schrift aufgrund der göttlichen Schöpfungsordnung der Frau als Haupt übergeordnet ist, kann die Frau keine Gemeindeleitung ausüben, ohne die Hauptstellung des Mannes zu beseitigen und damit in Gegensatz zu Gottes Schöpfungswillen und ihr geschöpfliches Wesen als Frau zu geraten. Ein Ja zum geistlichen Leitungsamt der Frau wäre nach biblischer Überzeugung ein Nein zu Gottes Schöpfung und daher Auflehnung gegen Gott selbst, denn die Erlösung in Christus setzt die Schöpfungsgegebenheiten nicht außer Kraft. Aus der untrennbaren Verknüpfung zwischen der biblischen Gesamtschau der Geschlechter und der biblischen Ablehnung der Gemeindeleitung durch Frauen ergibt sich die notwendige Folgerung: Wer das Frauenpfarramt bejaht, muß konsequenterweise auch die grundsätzliche biblische Zuordnung von Mann und Frau (d.h. die Hauptstellung des Mannes) preisgeben.

4. Die biblische Ablehnung des Priestertums und der Gemeindeleitung der Frau läßt sich nicht aus der patriarchalisch bestimmten zeitgenössischen Umwelt ableiten, sondern beruht auf Gottes Offenbarung in Israel und in Jesus: Die biblische Praxis steht in auffallendem Gegensatz zur Praxis des Alten Orients bzw. der Antike und erhebt den Anspruch, auf Weisungen Jahwes (3. Mo 21) bzw. dem Vorbild Jesu bei der Berufung nur männlicher Apostel (Mt 10,1‑4 par) zu beruhen.

5. Der tiefste Grund für das biblische Nein zum Frauenpriestertum bzw. zur Gemeindeleitung der Frau liegt im Wesen des lebendigen Gottes.

Die Apostel und Gemeindeleiter des Neuen Testaments hatten ebenso wie die alttestamentlichen Priester die Aufgabe, Repräsentanten Gottes zu sein. Der in der Heiligen Schrift geoffenbarte Gott aber kann in bestimmter Hinsicht (nämlich in seinem Wesen als Vater und Schöpfer) nur durch den Mann repräsentiert werden: Weil Gott Vater ist, ist Jesus als wesensgleiche Zeugung Gottes Sohn, weil Jesus Sohn ist, mußte er bei der Menschwerdung Mann werden, weil Jesus Mann war, konnten ihn nur männliche Apostel und Gemeindeleiter repräsentieren. Da es zum Wesen des kirchlichen Hirtenamts gehört, Christus als Hirten der Gemeinde darzustellen, ist ein gemeindeleitendes Pfarramt der Frau in sich unmöglich.

6. Gegen das Frauenpfarramt spricht nicht nur die biblische Offenbarung einschließlich ihres Gottesbildes, sondern auch die 2000jährige ökumenische Tradition der Christenheit: Protestantismus, Katholizismus und Ostkirchentum haben bis in unser Jahrhundert einheitlich an der Beschränkung des Hirtenamts auf Männer festgehalten. Die im Protestantismus erfolgte Abkehr von dieser Praxis geschah in offenkundigem Gegensatz zu Luther und hat die Spaltung der Christenheit in unverantwortlicher Weise vertieft. Eine kirchliche Neuerung, bei der das Ganze des Leibes Christi und seine gottgewollte Einheit (Joh 17,21; Eph 4,3‑13) nicht berücksichtigt wurden, kann nicht geistlich sein. Die protestantische Abkehr von der bisherigen ökumenischen Praxis ist um so bedenklicher, als die bislang gültige Tradition auf der Heiligen Schrift beruht, während die Zulassung des Hirtenamtes der Frau die Praxis schwärmerischer und häretischer Bewegungen (Montanismus, Gnosis) aufgreift.

7. Gegen das Pfarramt der Frau lassen sich schließlich Gründe anführen, die auf der Einsicht in die Eigenart von Mann und Frau beruhen: Es gibt genug Beobachtungen dafür, daß der Mann normalerweise zur Führung und Leitung geeigneter ist als die Frau. Es muß freilich davor gewarnt werden, psychologische Erkenntnisse und pragmatische Gesichtspunkte (z. B. die Schwierigkeiten, die aus Ehe und Mutter­schaft von Pastorinnen entstehen) überzubewerten, denn die entscheidenden Gründe sind theologischer Natur.

Die genannten Gründe zeigen zur Genüge, daß das Frauenpfarramt theologisch nicht gerechtfertigt werden kann. Man kann daher nur dringend hoffen, daß jene Kirchen, die sich noch nicht zum Hirtenamt der Frau entschließen konnten, an dieser Stelle die Treue zum Herrn der Kirche bewahren und die anderen Kirchen ermahnen, ihre unverantwortliche Entscheidung zurückzunehmen.

Unsere Ausführungen betreffen nicht unmittelbar jene speziellen Aufgaben von Pastorinnen, die nichts mit Gemeindeleitung zu tun haben (z. B. Seelsorgearbeit im Krankenhaus und im Frauengefängnis). Gegen solche Dienste von Frauen ist nichts einzuwenden. Problematisch sind freilich die Begriffe Pastorin ( = Hirtin) bzw. Pfarrerin, denn sie stellen jene Aufgaben auf die gleiche Stufe wie den Dienst der Gemeindeleitung. Besser wäre es, Frauen mit derartigen Aufgaben beispielsweise im Rahmen eines erweiterten Diakonissenamtes oder eines besonderen Vikarinnenamtes zu betrauen.

Zum Schluß sollte noch auf ein weitverbreitetes Mißverständnis eingegangen werden: Es wird immer wieder behauptet, daß der Ausschluß der Frau vom Pfarramt die Frauen diskriminieren würde, da ihnen ein Recht verweigert würde, das dem Mann zustünde. Darauf ist zu sagen, daß das Hirtenamt der Kirche Jesu Christi nicht zu den allgemeinen Rechten des Menschen (auch nicht der Männer!) gehört, sondern eine besondere göttliche Berufung einer Minderheit von Gläubigen darstellt. Weder das Mannsein noch der Glaube an Christus “berechtigen” dazu, ein Hirtenamt der Kirche wahrzunehmen, sondern nur die innere Berufung durch Gott und die äußere Beauftragung durch die Kirche. Wer in der Nichtberufung zum Hirten‑ und Lehramt eine Diskriminierung sieht, verkennt den unverdienten, gnadenhaften Charakter des geistlichen Amtes.

Auch der manchmal vorgebrachte Hinweis, daß der Dienst bestimmter Pfarrerinnen von Gott gesegnet worden sei, ist kein stichhaltiges Argument für das Frauenpfarramt. Denn Gottes Barmherzigkeit ist so groß, daß er den Dienst eines Menschen trotz Ungehorsams oder Irrtums zu segnen vermag. Im übrigen ist es äußerst problematisch, sich auf geistliche Erfahrungen gegen die klaren Aussagen der Heiligen Schrift zu berufen.

Bedeutet die theologische Unhaltbarkeit des Frauenpfarramtes, daß die Frau von jeder Form des Verkündigungsdienstes ausgeschlossen ist? Diese Frage muß entschieden verneint werden. Wenn es in Israel Prophetinnen gab und auch in neutestamentlicher Zeit Prophetinnen in der Gemeinde ‑ wenn auch nicht im öffentlichen Gemeindegottesdienst ‑ wirken durften, dann zeigt dies, daß zumindest die prophetische Verkündigung von Frauen ihre biblische Begründung hat. Auch die Lehrunterweisung von Frauen durch Frauen (vgl. Tit 2,3f.) bzw. von Kindern durch Frauen (vgl. 2. Tim 5; 3,15) wird im Neuen Testament ausdrücklich bejaht. Daraus dürfen wir schließen, daß der Dienst der Katechese und Verkündigung von Frauen in bestimmten Grenzen durchaus geistlich legitim ist. Wo liegen nun diese Grenzen? Das Neue Testament zeigt ganz deutlich zwei unüberschreitbare Grenzen auf:

1. Das Amt der verbindlichen Lehrunterweisung und Gemeindeleitung in den Einzelgemeinden und in der Gesamtkirche ist grundsätzlich Männern vorbehalten.

2. Der Verkündigungsdienst ist nur dort legitim, wo eine Begabung und Beauftragung durch den Heiligen Geist vorliegt. Dieser Gesichtspunkt gilt im Neuen Testament für beide Geschlechter: Alles, was Christen tun, hat “im Herrn” bzw. “im Geist” zu geschehen (vgl. Kol 3,17 u. a.).

Die Kirchengeschichte gibt eine ganze Reihe von Beispielen dafür, daß Frauen das Evangelium verkündigt haben, ohne daß damit das Lehr‑ und Leitungsamt des Mannes in Frage gestellt wurde. Der Verkündigungsdienst einer Hildegard von Bingen oder Katharina von Siena im Mittelalter, einer Dora Rappard oder Schwester Eva von Tiele‑Winckler kann ebensowenig geistlich in Frage gestellt werden wie beispielsweise der reich gesegnete Dienst der holländischen Evangelistin Corrie ten Boom oder die aufopfernde Arbeit vieler Missionarinnen. Derartige Verkündigungsdienste zu verwerfen, hieße den Geist dämpfen. Wegen solcher Dienste allerdings das Hirten‑ und Lehramt des Mannes in Frage zu stellen, hieße die gottgewollte Zuordnung der Geschlechter verkennen.

Die Kirche Jesu Christi muß immer darauf bedacht sein, daß sowohl Gottes Schöpfungsordnung als auch das Wirken des Heiligen Geistes zu ihrem vollen Recht gelangen im Wissen darum, daß es zu einem echten Gegensatz zwischen beiden nicht kommen kann. Wo die Schöpfungsordnung mißachtet wird, verliert jede Berufung auf den Heiligen Geist ihre Berechtigung. Es mag zwar Ausnahmesituationen geben ‑ z.B. in der Mission oder in Kriegszeiten ‑, wo eine Frau zeitweise sogar gemeindeleitende Funktionen übernehmen muß, weil kein Mann zur Verfügung steht. Entscheidend für die geistliche Wahrnehmung eines solchen Dienstes durch eine Frau ist dann aber, daß sie und die Gemeinde sich des provisorischen, stellvertretenden Charakters dieses Dienstes bewußt bleiben und daraus kein bleibendes Hirtenamt entsteht.

Die biblische Zuordnung von Mann und Frau sollte auf allen Ebenen des gemeindlichen Lebens sichtbare Gestalt annehmen. Das bedeutet praktisch, daß in allen gemischten christlichen Gruppen und Kreisen die Hauptstellung des Mannes darin zum Ausdruck kommen soll, daß Männer die Führungs‑ und Leitungsaufgabe übernehmen. Dieser Grundsatz gilt auch für Hauskreise. In Ausnahmefällen kann es allerdings auch hier geistlich legitim sein, daß als Übergangslösung eine Frau die Führung eines Kreises übernimmt, bis Gott einen männlichen Leiter schenkt. Unbedenklich ist das geistliche Leitungsamt einer Frau überall da, wo es um die Leitung von Frauen (z. B. in Frauenkreisen und Schwesternschaften) und Kindern beiderlei Geschlechts (z. B. im Kindergottesdienst und im Religionsunterricht) geht.

3. Von ausschlaggebender Bedeutung für die geistliche Erneue­rung der Kirche ist die geistliche Erneuerung der christlichen Ehen und Familien. Wenn die göttliche Zuordnung von Mann und Frau, wie sie in Eph 5,22ff beschrieben ist, in den Ehen der Christen Gestalt gewinnt, werden auch die christlichen Gemeinden in ungeahnter Weise aufblühen und den Segen Gottes erfahren.  . . .

Bei einer nüchternen Beurteilung der gegenwärtigen Christenheit wird man feststellen müssen, daß in vielen christlichen Ehen und Familien die neutestamentliche Eheordnung nicht mehr ernstgenommen wird. Während die früher häufig zu beobachtende Gefahr, daß christusgläubige Männer ihre autoritäre Herrschaft über Frau und Familie durch ihr “Haupt”‑Sein rechtfertigten, heute mehr und mehr zurücktritt, besteht heute die entgegengesetzte Gefahr, daß christliche Ehemänner nicht mehr bereit sind, ihre “Haupt”‑Stellung wahrzunehmen, sei es aus Bequemlichkeit oder aus falscher Anpassung an den Zeitgeist. Viele christusgläubige Väter verleugnen beispielsweise ihr “Haupt”‑Sein, indem sie die geistliche Erziehung ihrer Kinder ganz ihrer Frau überlassen und sich damit ihrer großen Verantwortung entziehen, die sie als‑geistliches Haupt der Familie haben.

Wenn die christusgläubigen Ehemänner in dieser Weise ihr “Haupt”‑Sein wahrnehmen, verwirklichen sie ihr Mannsein im Sinne Gottes. Verwirklichung des “Haupt”‑Seins, wie es das Neue Testament versteht, bedeutet für den Mann eine Schule der Selbstlosigkeit und Liebe, in der er täglich Gelegenheit haben wird, seinen männlichen Egoismus zu kreuzigen. Umgekehrt haben die christusgläubigen Frauen in der Ehe reichlich Gelegenheit, sich als Gattin und Mutter im Dasein für andere zu üben und alles zu opfern, was sie daran hindert, vorbehaltlos Gefährtin ihres Mannes und Mutter ihrer Kinder zu sein. Man muß an dieser Stelle leider sagen, daß auch viele Christinnen nicht mehr mit allen Konsequenzen bereit sind, ihr Dasein als Gehilfin des Mannes und Mutter im Sinne Gottes zu verwirklichen. Immer mehr Christinnen sind an dieser Stelle vom Zeitgeist beeinflußt und lehnen sich gegen das “Haupt”‑Sein des Mannes und auch gegen die völlige Beanspruchung des Mutterseins auf.

An all dem sehen wir: Die schöpfungswidrige Tendenz zur Einebnung aller Geschlechterunterschiede und zur Auflehnung gegen jede Ordnung (und Unterordnung) hat auch vor der Christenheit nicht haltgemacht und vor allem unter jungen Christen entweder eine Ablehnung der biblischen Zuordnung von Mann und Frau oder aber eine tiefe Unsicherheit über die gottgewollten Aufgaben der Geschlechter hervorgerufen. In dieser Situation sind Männer und Frauen von Gott her zur Buße gerufen, sich wieder neu auf die in der Heiligen Schrift geoffenbarte Zuordnung der Geschlechter zu besinnen und sie mit ganzem Ernst zu verwirklichen.

Dies bedeutet für beide Geschlechter, allen Selbstverwirklichungsversuchen eine klare Absage zu erteilen, welche die gottgewollte Bestimmung von Mann und Frau verleugnen oder gefährden. Anstelle der eigenmächtigen Selbstverwirklichung sind Mann und Frau zu dem hohen Ziel berufen, in der Ehe die opferbereite göttliche Liebe durch gegenseitige Selbsthingabe abzubilden ‑ zum Zeugnis für eine Welt, die es verlernt hat, an Gottes Liebe zu glauben.

 

 

IX. Zusammenfassende Thesen und Schlußfolgerungen

 

1 Die biblische Sicht der Geschlechter läßt sich in drei Punkten zusammenfassen:

a. Die vorbehaltlose Bejahung der Geschlechtlichkeit als guter Schöpfung Gottes innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen.

b. Die völlige Gleichwertigkeit von Mann und Frau aufgrund der beiden Geschlechtern zukommen den Gottebenbildlichkeit und der für beide vollbrachten Erlösung in Christus.

c. Die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau, die daraus entstehenden verschiedenen Aufgaben der Geschlechter und die verschiedene Zuordnung von Mann und Frau.

2. Die biblische Zuordnung der Geschlechter besteht darin, daß der Mann als Haupt der Frau und die Frau als Gehilfin des Mannes angesehen wird (l. Mo 2).

3. Die “Haupt”‑Stellung bedeutet für den Mann:

a. Die Führungs‑ und Leitungsaufgabe in Ehe, Kirche und Gesellschaft.

b. Die Wahrnehmung dieser Leitungsaufgabe in hingabebereiter, selbstloser Liebe nach dem Vorbild Jesu.

4. Die Stellung als Gehilfin bedeutet für die Frau:

a. Die liebevolle Unterordnung unter die Leitung des Mannes.

b. Die Ergänzung des Mannes durch ihre besonderen Gaben als Frau.

5. Die biblische Zuordnung von Mann und Frau (d. h. die Oberordnung des Mannes und die Unterordnung der Frau) ist eine Ordnung der Liebe und wird durch die Liebe geheiligt und begrenzt zugleich:

a. Sie wird durch die Liebe geheiligt, indem sie die ewige, innertrinitarische Liebe Gottes (l. Kor 11,3) bzw. (in der Ehe) den Liebesbund zwischen Christus und der Gemeinde abbildet (Eph 5,22ff).

b. Sie wird durch die Liebe begrenzt, da die Liebe jede willkürliche Herrschaft des Mannes und jede sklavische Unterordnung der Frau unmöglich macht.

6. Als Schöpfungsordnung ist die biblische Zuordnung von Mann und Frau grundsätzlich für alle Menschen gültig, da sie auf der schöpfungsbedingten Wesensart von Mann und Frau beruht.

7. Als Ordnung völliger Liebe setzt sie aber den von Christus erlösten neuen Menschen voraus, der in Christus vom Egoismus zur Selbstlosigkeit befreit ist.

8. Als Ordnung selbstloser Liebe macht sie dem uralten Streit der Geschlechter ein Ende, bringt beide zur gottgewollten Entfaltung ihrer Eigenart und verwirklicht so die Schöpfungsabsicht Gottes mit Mann und Frau.

9. Die biblische Sicht der Geschlechter ist die bleibend gültige Antwort der Christenheit auf die Verkehrung des Mannseins und Frauseins durch den unerlösten Menschen: Sie ist ein Bußruf an beide Geschlechter und verurteilt die Unterdrückung und Minderbewertung der Frau ebenso wie die feministische Rebellion gegen Gottes Schöpfungsordnung.

10. In der Gegenwart ist die biblische Sicht der Geschlechter deshalb von besonderer Aktualität, weil in einem nie dagewesenen Ausmaß die grundlegende Verschiedenartigkeit von Mann und Frau geleugnet und die Einebnung aller (nicht körperlichen) Geschlechtsunterschiede propagiert wird. Hinter dieser Tendenz zur Gleichmacherei, die im Feminismus ihren radikalsten ideologischen Ausdruck findet, steht die Verwechslung von Gleichwertigkeit der Geschlechter mit ihrer Gleichartigkeit. Diese Tendenz ist bibeltheologisch betrachtet letztlich eine antichristliche Auflehnung gegen die gottgewollte Bestimmung von Mann und Frau, die im Zusammenhang mit der endzeitlichen Rebellion des eigenmächtigen Menschen gegen Gottes Ordnungen und Gebote gesehen werden muß.*

11. Die heute gern unternommenen Versuche, die biblische Schau von Mann und Frau als zeitbedingte und revisionsbedürftige Sicht zu relativieren, sind zum Scheitern verurteilt, da die biblische Sicht der Geschlechter sich charakteristisch von den Auffassungen der damaligen Umwelt unterscheidet.

12. Eine genauere Untersuchung der biblischen Sicht der Geschlechter ergibt, daß sie nicht nur auf dem schöpfungsgemäßen Wesen von Mann und Frau, sondern letztlich im Wesen Gottes selber begründet ist, daß also eine Ablehnung dieser Sicht das christliche Gottesbild und damit die Grundlagen christlichen Glaubens und christlicher Theologie antastet.

13. Es bleibt daher eine zentrale Aufgabe der Kirche Jesu Christi, die biblische Sicht von Mann und Frau in möglichst unverkürzter und konsequenter Form zu verwirklichen.

14. Eine unerläßliche Konsequenz der biblischen Zuordnung der Geschlechter ist die Ablehnung des Frauenpfarramtes.

15. Von der Verwirklichung der biblischen Sicht von Mann und Frau ist die geistliche Kraft und Vollmacht der Christenheit (mit) abhängig. Eine geistliche Erneuerung der Kirche Jesu Christi kann nur dann von dauerhafter Wirkung sein, wenn die biblische Sicht der Geschlechter als gültige Norm für die christliche Ehe und Gemeinde anerkannt wird.

Leichte Kürzungen . . .  und die Hervorhebungen im Text wurden von mir vorgenommen. Das 30 Seiten umfassende Literaturverzeichnis mit bes. Anmerkungen habe ich wegen Raumersparnis weggelassen. Der komplette Text kann auch per E-Mail bei mir angefordert werden.

Horst Koch, Herborn, im September 2010

 

info@horst-koch.de

www.horst-koch.de

 

Dr. Werner Neuer, geb. 1951 in Heidelberg. Studium von Geschichte und ev. Theologie in Heidelberg und Tübingen. Doktorarbeit über die Grundlagen christlicher Ethik.

 

Einige Ergänzende Beiträge auf meiner HP bzw in meinem Archiv:

1. Dr. Helge Stadelmann – Die Frau als Pastorin?

2. Dr. Georg Huntemann – Die Zerstörung der Person

3. Dr. Georg Huntemann – Klassenkampf zwischen Mann und Frau

4. Max Weremchuk – Die Rolle der Frau

5. Stefan Gröne – Die Rolle der Frau nach dem Korintherbrief

6. Wayne Grudem – Die Verwirrung der Geschlechter

7. Dr. Slenczka – Weiblichkeit Gottes?

8. Dr. Georg Huntemann – Aufstand der Schamlosen

9. Dr. Alfred Häussler – Kulturkampf durch Homoehe

 

 

 

 




Weichenstellung – Okk. Belastung + seel. Erkrankung

 

Dr. Kurt E. Koch

WEICHENSTELLUNG

Okkulte Belastung und seelische Erkrankung – Ein Beitrag zur Unterscheidung

Inhalt
Der mediale Faktor
Der Glücksbringer
Depressionen
Neurosen
Mentalsuggestion und Verfolgungswahn
Naturgabe und Charisma – oder Medialität
Krankheit oder Belastung
Das Resistenzphänomen
Der Seelsorger für okkult Belastete
Sind unsere Weichen richtig gestellt?

 

Vorwort
Es wird in diesem Buch keine Dämonologie getrie­ben, sondern nur Christologie. Professor Brunner sagte in seinem Buch Die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung: „Die wichtigste Lehre vom Teufel ist die, daß er durch Jesus Christus besiegt wurde.”

Dämonologie auf sich allein gestellt, führt in den Abgrund. Wer nur von Dämonen redet, ist zuletzt selbst von ihnen befallen. Nur von der Basis des Sieges Jesu am Kreuz her kann das Dämonische in der Seelsorge angegangen werden.

Das ist die fundamentale eine Seite. Die andere Aufgabe ist, daß wir keiner Wegerklärung der Dämonen oder deren Verharmlosung zum Opfer fallen. Theologie, Medizin und Psychologie betreiben weit­hin Vernebelung und können daher die Feindmächte nicht erkennen.

Der dritte Kardinalfehler ist, daß die Rationalisten aller Schattierungen die rein biblisch-geistlichen Phä­nomene vereinnahmen wollen. Ein Prozeß der Ein­ebnung findet statt, das heißt, es werden pneumati­sche Ereignisse auf die Ebene des Rationalen herab­gezogen und verflacht.

Dieser dreifachen Fehlentwicklung soll hier entge­gengetreten werden.

Nachschrift zum Vorwort

Das Manuskript dieses Buches befand sich bereits in der Druckerei, als sich durch einen Unfall eine ernste Situation ergab.

Am 29. 9. 86 stürzte ich beim Äpfelpflücken da­durch ab, daß die Leiter unter mir wegrutschte. Bei dem Sturz zog ich mir einen Trümmerbruch des linken Fersenbeines zu. Es folgten Tage der Schmer­zen im Mosbacher Krankenhaus, die so stark wurden, daß ich im Gebet den Herrn fragte, ob er mich nicht in sein Reich abrufen wolle, wozu ich bereit wäre, zumal ich ja meine Lebensarbeit für abgeschlossen halte. Dann wieder befaßte ich mich mit der Frage, ob nicht durch eine Amputation eine Linderung dieser schwe­ren Schmerzen erfolgen könnte. In jedem Fall stellte ich mich jedoch unter Gottes Willen.

Nun trat am 17. 10. 86 der Chefarzt in Gegenwart meiner Frau auf mich zu und erklärte, daß nach seiner Meinung eine Amputation nötig sei. An diesem Tage lautete die Tageslosung: „Es entsinke keinem der Mut” (1. Sam. 17,32). Bis dieses Buch erscheint, liegt natürlich der Ausgang dieses Problems schon längst hinter uns. Ganz gleich, in welcher Weise Gott das Gebet erhört, möchte ich doch all denen danken, die uns mit ihrer Fürbitte umringt haben. Der Name des Herrn sei hochgelobt. Seine Wege sind vollkommen. – Der  Autor

Nachwort von Horst Koch: Leider hat sich mein väterlicher Freund Kurt Koch von diesem Unfall nicht mehr erholt und ist im Januar 1987 im Mosbacher Krankenhaus heimgegangen.

Weichenstellung

Kurz nach dem Krieg hat ein Angestellter der Bundesbahn meines Heimatdorfes auf seinem Stell­werk eine Weiche falsch gestellt. Die Folge war, daß zwei amerikanische Militärzüge zusammenstießen. Es gab sechs Tote und viele Verletzte. Der unauf­merksaure oder nachlässige Weichenwärter kam vor ein amerikanisches Militärgericht und erhielt einige Jahre Gefängnis.

Eine falsche Weichenstellung kann großes Unheil heraufbeschwören. Das gilt auch im Blick auf die Seelsorge.

B 1 (Beispiele) Eine Frau kam zu mir in die Seelsorge. Sie war in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, weil sie sich mit Depressionen, Selbst­mordgedanken und Zwangsvorstellungen abquäl­te, und der Hausarzt sich keinen Rat mehr wußte. Die Behandlung hatte keinen Erfolg. Die beich­tende Frau eröffnete mir, daß sie Spiritismus getrieben hatte. Dem Psychiater hatte sie das auch erzählt. Dieser erklärte aber: „Das hat mit Ihrem Zustand nichts zu tun.” – Was mich an der Diagnose des Psychiaters stört und befremdet, ist die Tatsache, daß dieser Psychiater als gläubiger Christ gilt.

Natürlich können Zwangsneurosen und seelische Belastungen viele Ursachen haben. Wer alles auf diesem Gebiet in den okkulten Bereich schieben will, begeht einen verhängnisvollen und gefährlichen Kurzschluß. Wenn aber eine biblisch ausgerichtete Seelsorge da Befreiung bringt, wo der Psychiater oder Psychotherapeut am Ende ist, so ist damit ein Ausrufezeichen gesetzt. Die Entscheidung des er­wähnten christlichen Psychiaters war eine Fehlent­scheidung. Ich habe ihm das auch geschrieben. Nun soll aber zur Frage der Weichenstellung ein Beispiel gebracht werden, das nach allen Seiten hin hieb- und stichfest ist.

B 2 1953 hat Professor Dr. Bender, der auf dem Gebiet der Parapsychologie eine Weltautorität darstellt, mich eingeladen, in Freiburg einen Vor­trag über das Phänomen der Besessenheit zu hal­ten. Ich dachte, ich würde Studenten als Zuhörer haben und war überrascht, ein erlauchtes Publi­kum anzutreffen.

Anwesend waren: ein Professor der Psychiatrie der Universität Freiburg, Prof. Neuhäusler von der Universität München, zwei katholische Theo­logen, Jesuiten, Fachleute in paranormalen Pro­blemen, einige Psychologen, Prof. Bender und andere Akademiker.

Nach meinem Vortrag informierte uns der Psy­chiater über eine Patientin mit Namen Maria. Es ist nicht der richtige Name. Die Frau ist übrigens jetzt schon gestorben.

Maria war von dem Bischof von Trier mit der Diagnose „Besessenheit” in die Universitätskli­nik überwiesen worden. Der Psychiater war darüber in Harnisch geraten. Er äußerte in un­serer Gegenwart: „Wie kann ein Bischof, der doch ein intelligenter Mensch ist, von Besessen­heit reden?”

Nach diesem Gefühlsausbruch erläuterte er die Symptome der Patientin.

Maria verlor häufig das Bewußtsein. Dann rede­ten Männerstimmen aus ihr, die sich als sieb Teufel vorstellten. Der Professor und die Assistenzärzte ließen sich mit diesen Stimmen in ein° Gespräch ein und fragten nach ihren Namen.” Unter den sieben Namen waren Kain, Nero, Dschingis Khan und andere. Einer der Jesuiten, ein sprachgewandter Mann, redete Maria in ver­schiedenen Fremdsprachen an. Darunter waren außer Französisch und Englisch auch Lateinisch, Griechisch und Hebräisch. Maria hat in der Tran­ce die Fragen richtig verstanden und gab sinnge­mäß Antwort.

Die Kranke wurde oft von unsichtbaren Mäch­ten geschlagen. Es zeigten sich dabei Schlagspu­ren. Einmal nahm eine Schwester sie in den Arm, um sie zu beschützen. Da erhielt die Schwester die Schläge.

Mehrmals schrie Maria auf, sie werde von einer großen Schlange erdrückt. Die Schlange war un­sichtbar. Es zeigten sich aber die Windungen, die Preßstellen um den Oberkörper. Die Assistenz­ärzte nahmen ein Foto davon. Die Geplagte schrie einmal auf: „Eine Katze zerkratzt mir das Ge­sicht.” Es wurden dann Kratzspuren im Gesicht deutlich, die wieder mit der Kamera festgehalten wurden. Gelegentlich kam eine Friseuse in die Abteilung, um den Kranken die Haare zu machen. Beim ersten Besuch erhielt diese Friseuse Schläge aus der Unsichtbarkeit. Die Getroffene schrie auf „Das ist eine Hexe, das ist eine Hexe, die bediene ich nicht.”

Während des Krieges gab Maria manchmal Pro­phezeiungen, die sich erfüllten. So erklärte sie ‘zigmal: „Am kommenden Dienstag wird ein Mann eingeliefert, der folgende Krankheitssymptome hat.” Sie gab dann den Sachverhalt an, der sich erfüllte. Einmal sagte sie: „Die Kirche in Trier wird ausgebombt werden. Das Kruzifix auf dem Altar wird aber stehen bleiben.” Diese Aussage geschah zu einer Zeit, da die alliierten Bombenan­griffe auf Deutschland noch nicht. im Gange wa­ren. Gegen Kriegsende sagte sie eines Tages mit entsetztem Gesicht: „Mein Bruder hat einen Kopfschuß bekommen und ist tot.” Es dauerte Wochen oder Monate, bis diese Nachricht exakt die Wahrheit der Aussage bestätigte.

Ein anderes Kapitel waren die wiederholten Selbstmordversuche. Sie mußte mehrmals daran gehindert werden. Sie brachte sich mit einer Ra­sierklinge 2 cm tiefe Wunden bei, die aber nicht bluteten und in wenigen Stunden wieder zuheilten.

Nach diesem Bericht, der nur teilweise wiederge­geben ist, fragte der Psychiater: „Meine Herren, was sagen Sie dazu?” Die Psychologen und Parapsycho­logen schwiegen. Dann gab er folgende Erklärung ab: „Eine Besessenheit gibt es nicht. Für mich ist das ein Fall von Hysterie, dem ich in dieser Form noch nicht begegnet bin.” Dann wandte sich der Psychia­ter an die Jesuiten: „Was ist Ihre Meinung?” Beide antworteten: „Das ist Besessenheit.” Zuletzt wurde ich gefragt. Bevor ich mein Urteil abgab, wollte ich wissen, ob in der Krankengeschichte von Maria ersichtlich sei, daß sie Spiritismus oder Magie getrie­ben habe. Der Psychiater erwiderte: „Beides hat sie geübt. Aber das hat mit dem Krankheitsbild nichts zu tun.” Ich schloß mich der Meinung der katholi­schen Theologen an und nannte dieses Krankheits­bild ebenfalls Besessenheit. Der Psychiater zeigte wieder eine gewisse Erregung.

Er gab dann einige Erklärungen ab und äußerte: „Die sieben Teufelsstimmen könnten als Verselb­ständigung einzelner Teile des Unbewußten gelten. In der Psychiatrie ist das z. B. durch den Fall Staudemeier bekannt geworden. Die Schlag- und Kratzspuren, ferner die Schlangenwindungen seien psychogen bedingte Dermographismen (seelisch bedingte Hautveränderungen). Die sogenannten Hell­sehphänomene seien der Wahrscheinlichkeit des Kriegsgeschehens nach Zufallstreffer. Das rasche Heilen der tiefen Wunden könne wieder psychogen verursachte Abwehrmechanismen des Körpers dar­stellen. Auf jeden Fall ist es keine Besessenheit.”

Mit diesem Urteil wurde dokumentiert, daß Fach­wissenschaftler zu den hintergründigen Ursachen eines solchen Falles keinen Zugang haben.

Dieser Bericht ist ein Paradebeispiel. Psychiater, Psychologen und Theologen haben teilweise aussa­gekräftige Beispiele, die sie gern ins Feld führen. Glanzbeispiele haben den Vorteil, daß sie gewisse Erlebnisse in scharfen Konturen zeigen. Sie haben aber auch den Nachteil, daß sie weniger erkennbare Vorgänge abschwächen oder verwischen.

Bevor wir an die Ausbeute des gegebenen Berichts gehen, wird kurz der technische Aufbau dieses Bu­ches erläutert. Die Beispiele sind mit B 1, B 2, die herausgearbeiteten Symptome mit S 1, S 2 fortlau­fend bezeichnet.

Von der Weichenstellung wird in diesem ersten Kapitel gesprochen. Um welche Weichen geht es? In 1. Kor. 2,14f. sagt der Apostel Paulus: „Der natürli­che Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes. Der geistliche Mensch beurteilt alles.”

Der psychikos anthropos und der pneumatikos anthropos wird hier vorgestellt. Prof. Rohrbach spricht gern von dem Menschen, der im Sichtbaren hängen bleibt hund dem geistlichen Menschen, der Zugang zum Unsichtbaren hat.

In seinem Buch Mit dem Unsichtbaren leben sagt er auf S. 37: „Alle Menschen haben von Natur aus nur die Erkenntnisfähigkeit für das Sichtbare.” Auf S.94 fügt er hinzu: „Die Psychologie kann als Wissenschaft nur das Sichtbare erforschen, aber nicht zum Unsichtbaren vordringen.”

Prof. Dr. Dieterich, der das hilfreiche Buch Psy­chologie contra Seelsorge? geschrieben hat, ge­braucht eine andere Formulierung. Auf Seite 23 unterscheidet er zwischen der psychologischen Au­ßenschau und der theologischen Innenschau. Er bestätigt den Apostel Paulus, wenn er schreibt (S.25): „Die biblischen Erkenntnisse können empi­risch wissenschaftlich nicht bewiesen werden.”

S 1 Als erstes Symptom halten wir fest. Es gibt ein doppeltes Erkenntnisprinzip: der menschliche Intel­lekt als Ausgangsbasis für jegliche Wissenschaft und das pneuma hagion, der Heilige Geist, der aus der Unsichtbarkeit sich uns mitteilen kann. Wir sind also Wanderer zwischen zwei Welten, wie Walter Flex sagte, zwischen zwei Bereichen, die nicht nebenein­ander oder übereinander zugeordnet sind, sondern ineinander sich durchdringen.

Ich möchte nun die Frage stellen: „Wo gehören wir hin?”

B 3 Vor vielen Jahren hatte ich einmal Besuch von Alt-Landesbischof Prof. Dr. Heidland. Er erzählte mir eine aufschlußreiche Episode. Er hatte einem Psychiater, der ihm als evangelischer Christ bekannt war, mein Buch Seelsorge und Okkultismus gegeben. Nach einiger Zeit fragte er den Psychiater nach der Beurteilung meines Bu­ches. Der Gefragte antwortete: „Koch soll das uns Fachleuten überlassen und sich nicht in unsere Arbeit einmischen.”

Ist ein ungläubiger Psychiater Fachmann für Men­schen, die durch Zaubereisünden in große Not und Bedrängnis geraten sind? Dieser Gesprächspartner des Bischofs war doch aber ein evangelischer Christ. Wissen wir denn nicht, daß Namenchristentum dem Heidentum gleichkommt? Wir kennen doch Offb. 3,1: „Du hast den Namen, daß du lebest und bist tot.”

War etwa der Freiburger Professor für Psychiatrie und überzeugter Katholik der Fachmann für Maria, die vom Teufel übel geplagt worden war?

B 4 Ein anderes Erlebnis auf der gleichen Linie hatte ich im Ausland. Ein evangelischer Pfarrer, der unter Depressionen litt, wurde von seinem Hausarzt an einen Psychiater überwiesen. In ei­nem analytischen Gespräch wollte der Pfarrer dem Psychiater ganz offen seine Sünden bekennen. Da stoppte ihn dieser „Fachmann” und erklärte: „Es gibt keine Sünde. Das ist ein Dressat Ihrer religiö­sen Erziehung.” Dieser Pfarrer war entsetzt und wandte sich dann an mich.

In dem erwähnten Buch von Prof. Dr. Dieterich machte ich eine erstaunliche Entdeckung. Auf Seite 21 schreibt er: „Noch vor wenigen Jahren waren die Verhältnisse klarer. Man sprach von der Wiederge­burt und konnte sich dabei auf die Bibel berufen, die dies in Johannes 3,3 beschrieben hat. Diesen wieder­geborenen Menschen meine ich, wenn in diesem Buch von Christen die Rede ist.”

Wenn die Theologen nicht mehr von Wiederge­burt predigen, dann müssen wir es uns von dem Psychologen Dieterich und dem Mathematiker Rohrbach sagen lassen.

Bei dem Freiburger Bericht taucht eine andere Frage auf, ob wir berechtigt sind, seelsorgerliche Erlebnisse zu veröffentlichen. Manche erklären, das sei Verletzung des Beichtgeheimnisses.

Prof. Rohrbach schreibt in seinem erwähnten Buch Seite 115: „Ich gebe keine Beispiele aus der Seelsorge, weil das Gebeichtete ein für alle Mal im großen Meer der Liebe Gottes versenkt ist.”

Wenn die Verfasser der biblischen Bücher auch so gedacht und gehandelt hätten, wären die Evangelien und die Apostelgeschichte um vieles ärmer. Nehmen wir zwei Beispiele. Aus der Maria Magdalena hat Jesus sieben Teufel ausgetrieben. Bei diesem Beispiel ist der Name genannt und der Ort Magdala, den es heute noch gibt. Ich besuchte diesen Platz am Nord­westufer des Sees Genezareth. Auch das seelsorgerli­che Problem ist nicht verschwiegen. Die gleiche Frau wurde übrigens so von Gott geehrt, daß sie als erste von der Auferstehung Jesu erfuhr.

Ein anderes Beispiel ist die Geschichte von Za­chäus. Lukas, Arzt und Evangelist, schildert in Luk. 19 die Begegnung Jesu mit dem Obersten der Zöll­ner, Zachäus. Auch in diesem Beispiel wird genauso berichtet wie bei Maria Magdalena. Der Name ist genannt, Zachäus. Der Ort Jericho wird erwähnt. Und die Schuld dieses Zöllners wird schonungslos offenbar gemacht. Zachäus trat vor Jesus hin und sagte: Ich war bisher ein Betrüger. Nun aber beginnt ein neues Leben. Ich gebe die Hälfte meiner Güter den Armen, und wo ich betrogen habe, erstatte ich es vierfältig.

Diese Geschichte hat bei Tausenden von Men­schen in fast 2000 Jahren große Auswirkungen her­vorgebracht. Manche haben bei ihrer Bekehrung die Zachäusgeschichte buchstäblich nachgemacht und Gestohlenes vierfach ersetzt. Ich kenne einen Mann, der eine Behörde um DM 60.- geschädigt hat. Nach seiner Buße hat er der Behörde DM 240.- erstattet. Aus den Erweckungsgebieten kenne ich viele Bei­spiele, wie Menschen nach ihrer Umkehr Schadener­satz geleistet haben. Zachäus hat viele Brüder und Schwestern. gefunden. Es wäre schade, wenn dieser Bericht in dem Evangelium fehlen würde.

Den Anklägern, die Seelsorger würden das Beicht­geheimnis verletzen, begegne ich mit dem Hinweis, daß ich die beichtenden Menschen frage, ob ich ohne Nennung des Namens und Ortes ihr Erlebnis veröf­fentlichen darf. Ganz selten wird das abgelehnt. Dann kommt das Beispiel nicht in meine Kartei.

Es gibt noch andere positive Gesichtspunkte. Wie oft schrieb man mir: „In diesem Beispiel habe ich mein eigenes Erleben erkannt. So erging es mir auch.” Der noch wichtigere Punkt ist, даß junge Seelsorger ja aus den Beispielen lernen sollen. Es gibt ja so viele unvernünftige und unerfahrene Seelsorger. Ein Bruder schrieb mir: „Schreiben Sie weiter solche Bücher. Man muß ja nach erfahrenen Seelsorgern wie nach einer Nadel im Heuhaufen suchen.”

In der Zeit, als ich dieses Manuskript nieder­schrieb, erzählte mir ein junger Christ, daß er bei einem Seelsorger seine Sünden beichtete. Der seltsa­me Ratgeber zeigte ihm nicht den Weg zu Jesus, sondern bot ihm ein Glas Wein an.

Bei den Medizinern gibt es die gleichen Probleme. Prof. Viktor v. Weizsäcker, ein Psychiater von Rang, ist mir schon 1934 begegnet. Später hörte ich ihn wieder als junger Pfarrer im Haus der Kirche in Herrenalb. In seinem Buch Studien zur Pathogene­se schreibt er folgendes: „Hier folgen einige Krankengeschichten. Gewisse Bedenken waren ab­zuwägen, ob die persönlichen Teile mancher dieser Krankengeschichten publiziert werden dürfen, und ich gehe darauf näher ein, weil es sich um eine in der Öffentlichkeit nicht offen genug behandelte Frage handelt. Ein Mißbrauch ist bei jeder medizinischen Kasuistik möglich. Aber die Schuld daran würde, wie ich glaube, immer bei dem zu suchen sein, welcher den Mißbrauch treibt, das heißt aber, wel­cher die mitgeteilten Tatsachen zum Schaden anderer Personen benutzt. In diesem Sinne wäre derjenige Leser moralisch und wie ich glaube auch in juristi­schem Sinne zu verurteilen, welcher, nachdem er die hier erwähnte Person identifiziert zu, haben meint, deren Namen nennt und ihrem Träger eventuell damit Schaden zufügt. Sollte aber einem der Kranken selbst dies Buch in die Hände fallen, so läge es an ihm, Stillschweigen zu bewahren. Ich bestreite, daß die Mitteilung psychischer Tat­ bestände indiskreter ist als die der körperlichen, welche die medizinische Literatur nicht scheut. Die psychiatrische Literatur ist übrigens in dieser Hin­sicht, soviel ich weiß, unangefochten.”

B 5 Leider ist auf diesem Gebiet ein Mißbrauch bekannt geworden. Ein Wissenschaftler, in sei­nem Fach eine erste Kapazität, gab in einer Arbeit den Namen eines ehemaligen Patienten bekannt und zugleich die Art seiner Erkrankung. Der Betroffene bekam diesen Bericht in die Hände und erstattete Anzeige. Ein Gericht in Heidelberg hatte sich damit zu befassen. Der Professor mußte zur Verhandlung erscheinen. Es kam ein Vergleich zustande. Der ehemalige Patient erhielt eine Entschädigung, gleichsam ein Schmerzensgeld in Hö­he von DM 4000.-. Schlimmer als die Geldforde­rung war, daß die Tageszeitung darüber berich­tete.

Die charakteristischen Besessenheitsmerkmale im Freiburger Beispiel

Es wird der Versuch unternommen, eine kurze Darstellung zu geben, sonst entsteht bei meinen vielen vorliegenden Beispielen ein Schmöker von tausend Seiten oder mehr.

S 2 Eines der bekanntesten Symptome der Beses­senen ist das Reden mit anderen Stimmen. Wir finden das auch bei dem besessenen Gadarener (Mk. 8; Lk. 8), der auf die Frage Jesu antwortete: „Wir heißen Legion, denn unser sind viele.” Der Hinweis der Psychiater, es handle sich um Dissoziationen des Unbewußten, kann eindeutig entkräftet werden, weil diese Stimmen oft Fremdsprachen benützen, die der Besessene nicht gelernt hat. Im Rituale Ro­manum wird diese Tatsache auch erwähnt.

S 3 Bei Maria trat auch das Phänomen der Hell­sichtigkeit auf. Auf 3000 km Entfernung erlebte sie den Kopfschuß ihres Bruders mit. Manchmal ist diese Fähigkeit den Seelsorgern peinlich, weil die hellsichtigen Besessenen manchmal begangene Sün­den anwesender Personen aufdecken.

S 4 Besessene werden oft aus der Unsichtbarkeit heraus körperlich angegriffen. So war es bei. Maria. Der Psychiater nannte es psychische Ansteckung.

S 5 Gelegentlich kommen Übertragungen vor. Die Pflegeschwester und die Friseuse bekamen Schläge, als sie Maria betreuten. Übertragungen sind auch in der psychiatrischen Wissenschaft be­kannt als induziertes Irresein. Die Charakteristik der okkulten und psychiatrisch bekannten Übertra­gung ist völlig verschieden. Es kann hier nicht alles dargestellt werden, was ich schon in anderen Bü­chern berichtet habe, z. B. im Okkulten ABC, Besessenheit und Okkultismus  und in Heilung und Befreiung.

B 6 In vielen Fällen konnte ich auch das rasche und unblutige Abheilen von selbst beigebrachten Wun­den feststellen, wie es auch bei Maria war. Ich beobachtete und fotografierte in Ostasien solche Vorgänge. Vor meinen Augen stieß sich ein solcher Trancekünstler einen Dolch zwischen Elle und Spei­che durch den Arm. Als er den Dolch herauszog, blutete die Wunde nicht end war in kurzer Zeit geschlossen. es war in diesem Fall keine Massensug­gestion, die es in Ostasien auch gibt. Ich kenne einen weiteren echten Fall, der von einem Professor der Medizin nachgeprüft worden ist. Er nahm einen solchen Messerhelden unter den Röntgenschirm, um zu sehen, ob die Klinge wirklich durch den Körper gegangen war. Er konnte hinterher diesen Sachver­halt bestätigen.

S 7 Die Symptome der Belastung der Maria zei­gen eindeutig, daß die Besessenheit kein medizini­sches, sondern ein biblisches Problem darstellt. Lei­der lassen sich viele Theologen in das Schlepptau der Psychiater nehmen. Dazu ein Beispiel.

B 6 Vor Jahren hatte ich mehrmals Vorträge in der Stadthalle von Straßburg, der „Aubette”. Es waren auch immer Pfarrer anwesend. Einer von ihnen suchte mich hinterher auf und machte mir heftige Vorwürfe, weil ich noch so mittelalterlich eingestellt sei und an Besessenheit glaube. – Ne­benbei gesagt, ich glaube an den Herrn Jesus, meinen Erlöser und Heiland, nicht an die Beses­senheit. – Diese schwerste Belastung aus der bibli­schen Zeit ist heute noch genauso aktuell, wenn auch moderne Theologen und leider auch Ortho­doxe teilweise diesen Sachverhalt ablehnen.

Nach den schweren Angriffen dieses elsässi­schen Pfarrers betete ich lange Zeit für ihn. Zwei Jahre später kam ich erneut in die „Aubette”. Der ehemalige Angreifer kam wieder, aber mit einem völlig anderen Gesichtsausdruck und einer ande­ren Haltung. Er entschuldigte sich für sein rüpel­haftes Benehmen beim ersten Besuch. Ich bat ihn dann um eine Erklärung.

Er berichtete, daß er in seiner Gemeinde zu einer Familie gerufen wurde, wo die Tochter sich toll gebärdete. Dasein Urteil auf Geisteskrankheit lautete, rief er einen Psychiater an. Dieser Arzt ist ein gläubiger Christ, der mich zuvor in einen Ärztekonvent zu Vorträgen eingeladen hatte. Der Psychiater gab dieser Tochter eine Injektion Mor­phium. Sie mußte dabei von den Angehörigen gehalten werden, weil sie nicht mit dem Toben aufhöre. Als die Geplagte in einer halben Stunde nicht zur Ruhe kam, erhielt sie eine zweite Injek­tion. Nach einer Stunde zeigte sich immer noch kein Erfolg. Insgesamt erhielt die Tobende und Schreiende in 2 % Stunden 4 Injektionen. Dann sagte der Psychiater zu dem Pfarrer: „Herr Pfar­rer, das ist keine Geisteskrankheit, sondern eine Besessenheit. Bei diesen starken Injektionen wäre ein Gaul eingegangen.”

Das war eine heilsame Lektion für den Theolo­gen. Ein gläubiger Psychiater mußte diesen Pfar­rer von seiner falschen Theologie überzeugen.

Auf diesem Sektor der Unwirksamkeit von Betäu­bungsmitteln liegen mir viele Berichte aus aller Welt vor. Noch ein kurzes Beispiel dazu.

B 7 In Brasilien kam eine Macumba-Mutter zu mir in die Seelsorge. Sie hatte schon vorher unter furchtbaren Kämpfen Jesus als ihren Herrn ange­nommen. Sie berichtete vieles. Nur ein Punkt sei herausgegriffen. Bei den Macumba-Sitzungen wird hochprozentiger Schnaps in großen Mengen getrunken, ohne daß die Kaltmitglieder davon betrunken werden. Im Süden von Brasilien hörte ich von einer Umbanda-Leiterin den gleichen Sachverhalt. Wenn die Kuhmitglieder in der Halbtrance in eine Tanzraserei geraten und die ganze Nacht ohne Ermüdung tanzen, dann kann ein derartig Besessener 4 Liter Schnaps trinken, ohne betrunken zu werden. Jeder andere Mensch würde einer solchen Alkoholvergiftung erliegen.

S 8 Ein achtes Symptom, das in dem Freiburger Erlebnis in Erscheinung trat, ist die Ausweich-Dia­gnose. Der Professor der Psychiatrie nannte Maria eine Hysterikerin. Den Kern der Belastung hatte er damit nicht erkannt.

Der von der Hysterie Befallene hat eine Neigung zum Theaterspielen. Er spielt gern eine Rolle, und zwar eine solche, die ihn interessant machen soll: Kais, Nero, Napoleon und andere. Der Hysteriker will stets im Mittelpunkt stehen, will beachtet sein, oder will etwas erreichen. Ein kleines Beispiel, das ich in einem christlichen Heim beobachtete.

B 8 In dem Heim wohnte ein unverheirateter junger Arzt. Ein junges Mädchen kreuzte auf, die es auf den Arzt abgesehen hatte. Sie täuschte Ohnmachtsanfälle vor, fiel aber immer so ge­schickt, daß der Arzt die Stürzende auffangen mußte. Prof. Freud würde in einem solchen Fall kausal denken und es als Triebkonflikt und Aus­druck einer unbefriedigten Sexualität ansehen. Prof. Adler würde final denken: was will das Mädchen erreichen?

Die Hysterie ist nicht das einzige Abstellgleis der medizinischen und psychologischen Wissenschaft­ler. Andere Ausweichdiagnosen sind Epilepsie, Psy­chosen aus dem schizophrenen Formenkreis und die Athetose Doute (wurmartige Verkrümmungen und Bewegungen des Körpers). Vergessen wir es nicht. Der menschliche Intellekt kann bis an die Grenze zwischen dem Unsichtbaren und Sichtbaren vorsto­ßen und doch keinen Zugang zum Unsichtbaren finden. Die Tür muß von der anderen Seite aufge­macht werden.

B 9 Zusammenfassend kann nur verkürzt wieder­holt werden, was schon vielfältig ausgeführt worden ist. Die Wissenschaft hat als Erkenntnisprinzip die menschliche Vernunft.

Die Seelsorge an okkult Belasteten hat als Erkenntnisprinżip den Heiligen Geist, über den wir aber nicht verfügen können, um den wir aber bitten dürfen.­

Ein ungläubiger Psychiater oder Namenchrist ist nicht Fachmann für die biblische Seelsorge. Er kann es aber werden, wenn er ein durch den Heiligen Geist wiedergeborener Christ wird.

Diese Abgrenzungen gelten auch für den Theolo­gen. Ein Theologe ohne den Heiligen Geist hat nicht die Ausrüstung für die biblische Seelsorge. Die for­male Ausbildung in der Theologie schließt noch lange nicht die Befähigung für eine so schwere Seel­sorge ein.

Der mediale Faktor

Das Wort medial kommt aus dem lateinischen medius media medium – mittlerer, dazwischenliegend, vermittelnd. Medialität ist die Eigenschaft eines Menschen, der solche vermittelnde Fähigkeiten zwischen Unbekanntem und Bekanntem besitzt. Man kann auch extrem sagen, eine solche Person ist ein Medium zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren. Diese Aussage kann falsche Vorstellun­gen erwecken, darum muß einschränkend ergänzt werden, daß die Medialität völlig ungeeignet ist, zwischen der Welt Gottes und uns Menschen zu vermitteln. Es gibt nur einen Mittler zwischen Gott und uns Menschen, Jesus Christus, der seine Ehre und Stellung niemand anderem abtritt.

Medialität hat den Brandgeruch der Zauberei an sich. Das zeigt sich in der Art der Entstehung:

a. Durch Vererbung von Vorfahren, die Zaube­rei getrieben haben.

b. Durch Übertragung durch einen hochmedia­len okkulten Praktiker.

c. Durch Lesen von okkulten Büchern und okkultes Experimentieren.

Dieser okkulte Brandgeruch zeigt sich vor allem in der Tatsache, daß Medialität in allen Formen des Spiritismus und der Magie beteiligt ist. Zu Tricks und Betrug braucht man natürlich keine mediale Ausrü­stung.

Solche medial unterbauten und bewerkstelligten Formen sind: die Trancefähigkeit, spiritistische Vi­sionen (zu unterscheiden von den psychiatrisch dia­gnostizierten Halluzinationen und Auditionen), das Tischrücken, das Glasrücken, das Trancereden, das automatische Schreiben, die Exkursion der Seele, das Astralwandern, Materialisationen, Transfiguratio­nen, Translokationen, Apporte, Deporte, Levitatio­nen, Telekinese, Teleplasma, spiritistische Angriffs- ­und Abwehrmagie, die Mentalsuggestion, spiritisti­sche Heilungen, spiritistische Operationen und vie­les mehr. Schon dieser unvollständige Katalog zeigt, welcher Satansflut wir heute ausgesetzt sind. Alle diese Formen sind im Okkulten ABC mit Beispielen dargestellt.

Mediale Begabung ist auch zur Pendelreaktion und Rutenfühligkeit erforderlich.

Die vererbte mediale Veranlagung ist häufig unbe­wußt und wird eines Tages entdeckt. In der Seelsorge erfuhr ich von einem Kaufmann, der erst mit 59 Jahren seine medialen Kräfte des Hellsehens und der magischen Heilungskraft entdeckte.

Man hat mich oft gefragt, ob schon der Besitz der ererbten medialen Fähigkeit Sünde ist. Meine Antwort war stets: „Nein, es ist aber eine Belastung, von der man sich im Namen Jesu lossagen soll. Wer aber seine ererbten medialen Fähigkeiten einsetzt und praktiziert, dem wird es zur Schuld.”

Der mediale Faktor zeigt sich häufig in der Verstärkung der charakterlichen und intellektuellen Eigenschaften. Solche Leute haben einen großen Ein­fluß auf ihre Mitmenschen. Sie können überzeugen und andere beherrschen. Ein Beispiel aus dem Leben von Moody.

B 9 Dieser geistesmächtige amerikanische Evan­gelist hatte ursprünglich in seiner Begleitung einen Sänger, der einen großen Einfluß auf die Zuhörer gewann. Es war nicht seine Ausstrahlung als Sän­ger, sondern eine andere Kraft, die dem Sänger allmählich bewußt wurde. Er bat Gott um Befrei­ung dieser ihm unheimlich gewordenen Fähigkeit und wurde bei dieser Bitte erhört.

Auf dem Gebiet der Medialität gibt es eine große Unkenntnis und Verwirrung. Die Probleme können nur kurz angedeutet werden. Ausführlich sind diese Fragen in den schon erwähnten Büchern behandelt:

Seelsorge und Okkultismus
Okkultes ABC
Besessenheit und Exorzismus
Heilung und Befreiung
Christus oder Satan

Manche halten die medialen Kräfte für Gaben des Heiligen Geistes. Ein elsässischer Pfarrer schrieb mir das. Er ist aber ein Mann, der seine Gemeinde mit seinen okkulten Fähigkeiten geistlich ruinierte. Ein Beispiel von ihm.

B 10 Vor den Konfirmationen ließ sich der Pfarrer von jedem Konfirmanden ein Foto geben. Dann pendelte er darüber, welches Mädchen noch unberührt sei und welcher Junge noch nicht in der Onanie steckte. Auf die gleiche Weise stellte er auch die Krankheiten fest.

Andere sehen die medialen Kräfte als Naturga­ben an, für natürliche Auswirkungen des Schöp­fers.

B 11 Vor vielen Jahren war ich teilnehmender Beobachter einer Konferenz von 60 Rutengängern und Pendlern an der Evang. Akademie von Tut­zing. Prof. Bender und ein Theologe waren auch dabei. Ein Pendler aus Bern erklärte dem Publi­kum, er könne von Bern aus auf einer Landkarte von Japan mit Hilfe des Pendels in dem fernöstli­chen Land Bodenschätze suchen. Er könne sich auf die Strahlungen, die von dort ausgehen, ein­schwingen.

Man überlege sich, was das heißt. Die Landkarte ist in der Schweiz gedruckt mit Farben und Drucker­schwärze, die ebenfalls in der Schweiz hergestellt sind. Und diese Karte soll Auskunft geben, wo in Japan Bodenschätze zu finden sind. Natürlich geht es nicht darum, daß diese Informationen der Karte selbst entnommen werden. Es geht hier um einen Vorgang der psychometrischen Hellseherei. Die Karte ist nur die paranormale Kontaktbrücke (temo­in) für die Erkenntnisse dieses Pendlers.

Der theologische Leiter des Seminars erklärte die­sen Vorgang und viele andere als eine natürliche Gabe. Die Pendler gaben ihm frenetischen Beifall.

Die dritte Gruppe, zu der Emil Kremer und viele Evangelisten diesseits und jenseits des Ozeans gehö­ren, sind der Meinung, daß Medialität Randerschei­nungen der Zauberei sind, wie schon gesagt worden ist. Meine Überzeugung, die durch mehr als zwan­zigtausend Beispiele gestützt wird, ist das auch.

Am meisten Ärger gibt es auf dem Gebiet der Rutengängerei. Der Grund dafür ist, daß einige Pfarrer, Missionare, Prediger und Evangelisten auch den Rutenausschlag haben. Mir sind viele solche Brüder bekannt, darf natürlich keinen Namen nen­nen. Ich weiß aber, daß einige Missionsleitungen junge Missionare und Prediger aus dem Arbeitsver­hältnis entließen, weil bekannt wurde, daß sie Ruten­gänger und Pendler waren.

Man kommt häufig mit dem Argument, daß in Dürre- und Wüstengebieten Männer, die mit der Rute Wasser finden, sehr begehrt sind. Mir ist ein Fall aus Sumatra und aus Südwestafrika (Namibia) bekannt. Wasser ist ja in trockenen Gebieten lebens­notwendig.

Weil entschieden gläubige Christen und Verkün­diger des Evangeliums hier unklare und unbiblische Meinungen haben, muß ich hier mit eindeutigen Argumenten einhaken.

B 12 Ein Prediger bekam Besuch von einem Rutengänger, der ihn von seiner Kunst überzeugen wollte. Er suchte Wasser im Garten des Predigers und fand auch welches. Dann gab er dem Prediger die Rute in die Hand und sagte: „Sie können das auch.” Der gläubige Bruder nahm die Rute, die aber nicht ausschlug. Dann stellte sich der Ruten­gänger hinter den Prediger und hielt ihm beide Unterarme.  Dieses Mal schlug die Rute aus. In den folgenden Tagen war der Prediger in seinem Ge­betsleben gehemmt und beim Bibellesen verwirrt. Depressionen stellten sich ein. Er tat dann zusam­men mit seiner Frau Buße und bat den Herrn um Vergebung und um Befreiung von dieser Gabe. Sie wurden erhört. Die Rute schlug nicht mehr aus. Der Frieden im Herzen war zurückgekehrt.

Bei diesem Beispiel wird darauf hingewiesen, daß sich hier um eine übertragene Fähigkeit handelte. Der übertragende Rutengänger darf nur ein praktizierender Okkultist gewesen sein, dann sind die geistlichen Anfechtungen des Predigers verstärkt aufgetreten.

B 13 Nun ein Beispiel eines Freundes, der jetzt 90 Jahre alt ist. Ein elsässischer Arzt, den ich als Christ gut kannte, baute sich ein Wochenendhaus. Als es fertig gestellt war, fehlte nur das Wasser. Eine Wasserleitung gab es in diesem entfernt liegenden Waldstück nicht. Da rief er einen Ru­tengänger, der ihm eine Quelle zeigen sollte. Zur gleichen Stunde fühlte sich mein Berichterstatter innerlich gedrungen, den befreundeten Arzt in seinem Wochenendhaus aufzusuchen. Während der Besucher sich das Häuschen ansah, tauchte der Rutengänger auf, der sofort mit der Rute das Grundstück abschritt und einige Stellen fand, wo die Rute stark nach unten zog. Der gläubige Bruder sah das durchs Fenster. Er kniete sofort nieder und betete, daß Gott diesen Vorgang stop­pen möge. Der Beter hörte plötzlich lautes Flu­chen. Der Rutengänger schimpfte: „Nun habe ich gerade hier Wasser geortet, und nun schlägt die Rute an der gleichen Stelle nicht mehr aus.” Das Gebet war erhört worden.

Dieser Vorfall wurde mir von beiden berichtet, denn ich kenne den treuen Beter seit 36 Jahren und den Arzt seit etwa 25 Jahren. Meine Frage an die gläubigen Brüder, die das Rutengehen verteidigen: „Wenn es sich um eine Gabe des Schöpfergottes handeln würde, läßt sie sich dann durch Gebet stoppen?”

B 14 Eine solche Erfahrung habe ich selbst gemacht. Bei einer Evangelisation in einer süd­deutschen Großstadt erkrankte ich. Ich fragte die Veranstalter nach einem christlichen Arzt, den ich F dann aufsuchte. Als ich im Sprechzimmer ein C Pendel hängen sah, fragte ich den Arzt: „Pendeln Sie?” Er bejahte. Daraufhin erklärte ich: „Für mich kommen Sie dann als Arzt nicht in Frage.” Er war überrascht und fragte: „Warum eigentlich? Das ist ein zusätzliches diagnostisches Hilfsmit­tel.” Ich spürte dem Arzt ab, daß er ein aufrichti­ger Mann war. Ich betete innerlich, was ich sagen sollte und bekam die innere Freiheit, dem Arzt zu sagen: „Gut, Sie dürfen mit mir pendeln.” Meiner Kritiker wegen muß ich hinzufügen, daß es das einzige Mal war, daß ich in meinem Leben eine solche Freiheit hatte. Der Ausgang dieser Begegnung zeigt, dаß ich im Auftrag Gottes gehandelt habe.

Der Arzt pendelte. Das Pendel blieb stehen und rührte sich nicht. Der Arzt schaute mich verwun­dert an und sagte: „Sie stehen hier neben der Soluxlampe. Vielleicht stören die Drahtwindun­gen.” Er bat mich in die Ecke des Sprechzimmers und probiere wieder ohne Erfolg. Er stellte mich unter die Türe. Auch da rührte sich das Pendel nicht.

Dann fragte er: „Was sind Sie für ein Mensch?” Ich erwiderte: „Ich will Ihnen offen bekennen, ich habe um ein Gottesurteil gebetet, damit ihnen die Augen aufgehen.” Einen Moment schwieg der Arzt, dann sagte er: „Wenn das Pendel sich durch Gebet stoppen läßt, dann ist das keine natürliche Gabe. Ich lege von heute an das Pendel weg.” Und er hat das gehalten, wie ich Jahre danach erfuhr.

B 15 Eines meiner beweiskräftigsten Beispiele erlebte ich in den USA. Ein Missionar McElheran lud mich ein, in North Platte Nebraska ein Seminar für Pfarrer zu halten. Bei diesem Dienst gab seine Frau ihr Zeugnis und berichtete folgendes: Sie war mit ihrem Mann in Afrika Missionarin gewesen. Sie war eine fähige Rutengängerin, die auf vielen Missionsstationen erfolgreich Wasser suchte und fand. Darüber wurde sie krank und depressiv.

Natürlich kenne ich das Argument derer, die ein solches Treiben entschuldigen. Sie sagen, diese Frau hat ihr Nervensystem überfordert. Die Mis­sionsleitung nahm dann diese Missionarin vorzei­tig in Heimaturlaub. Dort war sie weiterhin krank. Da brachte ein Freund ihres Mannes dieser Frau mein Buch Between Christ and Satan. Sie las es. Darüber gingen ihr die Augen auf. Sie nahm ihre Rute, ging in den Garten und suchte Wasser. Als die Rute ausschlug, betete sie: „Herr Jesus, wenn diese Gabe nicht von dir ist, dann nimm sie mir weg.” Von diesem Zeitpunkt an stand die Rute. Sie zerbrach sie und war vom Rutengehen befreit. Natürlich bat sie den Herrn um Verge­bung.

Dieses Beispiel ist kurz zusammengefasst, denn ich habe es schon einmal veröffentlicht.

Was sich mit Gebet stoppen läßt, sind widergöttli­che Gaben.

S 10 Die Wissenschaft sieht in den paranormalen Fähigkeiten Aktionen des Unterbewusstseins. Dieser Erklärung folgen viele Theologen mit dem Hinweis auf Gaben des Schöpfers. Beide Auslegungen werden von den ungeistlichen Auswirkungen widerlegt. Wer mediale Kräfte durch Vererbung erhalten hat, muß sich im Namen Jesu lossagen. Wer diese widergöttli­chen Kräfte gar durch okkulte Manipulationen er­worben hat, muß darüber Buße tun und sich von Christus befreien lassen.

Der Glücksbringer

Ein gläubiger Pfarrer, mit dem ich zusammenar­beite, gab mir verschiedene Erlebnisse seiner Gemeindearbeit. Eines davon soll hier wiedergegeben werden. Ich lasse diesen Pfarrer selber erzählen.

B 16 In meiner Vikarszeit kam ein älterer Mann zu mir und lud mich zum Nachmittagskaffee ein. Ich zögerte und deutete vorsichtig an, daß ich nicht zum geselligen Beisammensein in die Ge­meinde gekommen sei. Der Mann lud mich aber so dringend ein, daß ich merkte, daß da etwas ande­res dahintersteckte. Bei Kaffee und Kuchen er­zählte mir dann der Gastgeber, daß er in seinem Betrieb mit einem jungen Kollegen zusammenar­beite, der von Tag zu Tag bedrückter und gries­grämiger würde. Der junge Mann eröffnete ihm dann eines Tages, daß es in seiner Ehe nicht stimme. Der Gastgeber bot sich an zu vermitteln und begab sich am Sonntag zu dieser jungen Familie. Als er dort eintraf, befanden sich beide in einem furchtbaren Streit. Ergebnislos verließ er diese Wohnung.

In seinen eigenen vier Wänden betete er dann inbrünstig für diese beiden Kampfhähne. In der folgenden Nacht wachte er durch ein furchtbares Poltern und Rumoren auf. Er sah feurige Schlan­gen auf sich zukommen. Im Gebet stellte sich der Geplagte sofort unter den Schutz Jesu. Es kam ihm in den Sinn, daß hier okkulte Dinge vorliegen müßten. Er hat danach zwei Stunden gebetet, bis der Spuk aufhörte. Er meinte dann Glockengeläut zu hören, obwohl das um 2 Uhr morgens nicht der Fall war.

Der christliche Bruder versuchte es dann bei einem zweiten Besuch, mit den Leuten zu reden und zu beten. Wieder gab es einen furchtbaren Krach. Nun wurde er ziemlich energisch und erklärte den Streitenden: „Es muß irgend etwas vorliegen, daß ihr euch dauernd so in die Haare kriegt.” Um die lange Geschichte kurz zu machen. Bei der intensiven Nachforschung kam heraus, daß die jungen Leute sich auf dem Jahrmarkt von einem Astrologen einen Glücksbringer gekauft hatten. Den Käufern wurde eingeschärft, sie dürf­ten die Rolle nie öffnen, sonst würde der Glücks­bringer seine Kraft verlieren.

Nachdem das junge Paar dieses Amulett, das übrigens eine Teufelsverschreibung enthielt, er­standen hatte, kam es genau umgekehrt. Obwohl sie sich beide sehr lieb gehabt hatten, zogen nun Streit, Zwietracht und zornige Auseinanderset­zungen ein. Ja, sie waren beide schon beim Schei­dungsanwalt gewesen. Der angebliche Glücks­bringer war ein Unglücksbringer.

Bei dieser Aussprache mit dem Christen waren die beiden bereit, das Amulett zu öffnen und auszuliefern. Darin befand sich eine Teufelsver­schreibung, die sofort verbrannt wurde. Dem jungen Paar fiel es nun wie Schuppen von den Augen. Es gab unter der Leitung des Seelsorgers einen Neuanfang in der Ehe und im Leben. S 11 Teufelsverschreibungen, vor allem Blutsverschreibungen gibt es in großer Zahl. Sie haben stets furchtbare Auswirkungen, auch wenn die Verschrie­benen nichts vom Inhalt eines solchen Glücksbriefes oder Schutzzaubers wissen.

Depressionen

Verschiedene Male hatte ich Vortragstouren in Japan. Einmal war ich Gast der Liebenzeller Mis­sion, von Ernst Vatter eingeladen. Ein andermal wohnte ich bei dem damals bekannten Missionsarzt Dr. Eitel, der mir wertvolle Aufschlüsse über die chinesische Heilkunst gab. Hoch willkommen war mir eine Einladung des japanischen Rundfunkevan­gelisten Akira Hartori. Er organisierte ein Seminar für Pfarrer. Ich wurde aufgefordert, über das Gebiet der Depressionen zu sprechen. Insgesamt stellte ich den Verlauf von 20 Formen der Depressionen dar. Es gibt aber noch mehr. Das Wörterbuch der Psychia­trie und medizinischen Psychologie von Professor Peters zählt 50 Formen auf. Ich bin außerstande, dieses riesengroße Gebiet hier darzustellen, sondern füge nur die hinzu, die in keinem medizinischen Lehrbuch erwähnt sind.

In meiner seelsorgerlichen Arbeit bin ich mit depressiven Kranken heimgesucht. Sie erzählen stets die gleiche Krankengeschichte, schreiben lange Brie­fe und führen schier endlose Telefongespräche. So ruft uns eine Akademikerin aus großer Entfernung seit mehr als einem Jahr dauernd an. Ich hörte, daß sie soviel telefoniert, auch auf Missionsstationen anderer Kontinente, daß sie ihren Mann und sich selbst wirtschaftlich ruiniert hat. Mehrmals bekam ich den Anruf einer depressiven Frau aus Los Ange­les. Sie bot an, mir die Flugkarte zu zahlen, wenn ich kommen würde, um ihr zu helfen. Das gleiche geschah auch aus Kanada. Solchen Aufforderungen komme ich nicht nach. Ich bin kein Hexenmeister wie die philippinischen oder brasilianischen Heiler. Was meine Frau und ich für diese armen Menschen tun, ist unsere intensive Fürbitte. Wir tragen sie vor den Thron dessen, der allein heilen und helfen kann.

Mit welchen Problemen müssen wir uns in der Seelsorge auseinandersetzen? Es soll zuerst ein Bei­spiel gegeben werden.

B 17 Eine gläubige Frau schrieb mich an und trug mir die Geschichte ihrer Freundin vor. Stücke aus dem Brief lauten: „Es geht mir um meine Freundin. Sie leidet seit einem halben Jahr an schweren Depressionen und hat auch Selbstmordgedanken. Ihre Angstzustände und ihre Hoff­nungslosigkeit wollen kein Ende nehmen. Sie erklärt, Gott habe sie verstoßen und strafe sie, weil sie ungehorsam war. Sie besucht regelmäßig die Gottesdienste und ringt im Gebet um den rechten Glauben, den sie aber nicht findet. Wenn sie die Bibel liest, hält sie sich nur an Gerichtsworte und nicht an die Stellen der Liebe und Vergebungsbe­reitschaft Gottes. Unter der Predigt wird sie unru­hig und fährt mit den Armen und Händen nervös umher. Von der Botschaft kann sie nichts aufneh­men. Hinterher geht ihr Klagelied weiter. Gibt es da keine Hilfe? Ihre Großeltern waren Spiritisten. Hat das in diesem Zusammenhang etwas zu be­deuten?”

Es wäre Vermessenheit, aufgrund eines solchen Briefes eine Diagnose stellen zu wollen. Ohne Aus­sprache und ohne längere Beobachtung ist das nicht möglich.

Im Lauf von Jahrzehnten habe ich Hunderte von solchen Briefen gesammelt und in Leitzordnern auf­bewahrt. Die meisten der Schreiben habe ich ver­nichtet, weil das Haus der Papierflut nicht gewach­sen ist.

Die berichteten Beschwerden, die am meisten in den Briefen ersichtlich sind, gehören in die drei Gebiete reaktive Depressionen – endogene Depres­sionen – und involutive Depressionen.

Reaktive Depressionen entstehen gewöhnlich nach schweren seelischen Erlebnissen. Eine Pfarrers­tochter wurde als unverheiratete Frau schwanger. Sie war bedrückt, weil das ihrem Vater in der Gemeinde schwer schadete. Sie suchte nach Abtreibungsmög­lichkeiten, was jedoch nicht gelang, denn damals stand Abtreibung noch unter Strafe. Die Auswirkung dieses Erlebnisses war eine reaktive Depression.

Zur endogenen Depression ein seelsorgerliches Beispiel von mir.

B 18 Eine gläubige Pfarrfrau kam zu mir in die Seelsorge. Sie berichtete, daß sie bei dem Leiter eines christlichen Heimes zur Aussprache gewe­sen war. Dieser Seelsorger nannte ihren Zustand Besessenheit. Die Pfarrfrau war entsetzt und kam dann zu mir, ohne mir zunächst zu verraten, daß sie inzwischen auch bei einem Psychiater gewesen war.

Ich ließ sie ihren Zustand schildern: Versündi­gungsangst, Schuldgefühle, depressive Grund­stimmung, gelegentlich Selbstmordgedanken und dann wieder Angst, sie habe damit die Sünde wider den Heiligen Geist begangen, Mangel an Konzentration, wenn sie die Bibel lese, freudloser Alltag usw.

Zunächst erklärte ich dieser Frau, daß von einer Besessenheit absolut nicht die Rede sein kann. Ich äußerte sogar meinen Unmut über jenen Heimlei­ter. Dann fügte ich hinzu: „Mir sieht Ihre Ge­schichte eher nach einer endogenen Depression aus.” Sie atmete erleichtert auf und gab dann preis, daß sie beim Psychiater gewesen war, der die gleiche Diagnose gestellt hatte.

Die involutive Depression hat eine ähnliche Cha­rakteristik wie die endogene Depression. Bei der erwähnten Akademikerin bin ich der Meinung, daß es diese Form sein könnte. Die Kranken erzählen stets mit weinerlicher Stimme die gleiche Geschichte. Sie sind ruhelos, haben Schlafstörungen, bauschen kleine Verfehlungen riesengroß auf. Gelegentlich entstehen Wahnvorstellungen. So schrieb mir eine Frau, sie hätte ihre Nachbarin zum Tee einladen sollen. Sie hat es nicht getan. Nun meint sie, das könne ihr nicht vergeben werden.

Das Heer der Depressiven und seelisch Kranken aller Art nimmt zu. Darüber werden wir auch im Kapitel über Neurosen hören.

S 12 Ein eindeutiges Symptom ist hier im Blick auf okkulte Praktiken nicht zu nennen. Bei dem Pfarrer­seminar in Japan sagte ich: Unter den 20 dargestellten Formen hat nur eine Form okkulten Charakter. Bei dem Briefwechsel, den ich nun schon ein halbes Jahrhundert habe, ist in der Mehrzahl der Fälle ein Hinweis auf Spiritismus, Magie, Wahrsagerei, Besprechen gegeben. Ich behaupte nicht, daß das die Ursachen sind, aber diese Praktiken sind ein Milieu, eine Atmosphäre, ein Nährboden, auf dem Depres­sionen häufig entstehen. Also keine Kausalität, son­dern nur eine Häufigkeitsbeziehung. Von einer zu­fälligen Koinzidenz kann man hier nicht sprechen.

Neurosen

Der Zweite Weltkrieg hat geistesgeschichtlich und moralisch eine dunkle Ara eingeleitet. Eine extreme Welle folgt der anderen: die Sexwel­le, die Drogenwelle, die okkulte Welle, die sektiere­rische Welle, die spiritistische Welle, die terroristi­sche Welle, die asiatischen Kulte, die Satanskulte, die unlösbaren politischen Konflikte usw. Kriegsangst und Krisenangst umschleichen die Welt.

Die Folgen sind verängstigte Menschen, Entwur­zelung, keine Geborgenheit, Haltlosigkeit, Depres­sionen, Lebensüberdruß, seelische Erkrankungen. Die medizinischen Zeitschriften berichten von einer Zunahme der Selbstmordfälle.

Vor einigen Jahren war in Wien ein Kongreß der Psychiater. Es wurde von einer Neurotisierung der Menschen gesprochen und einige Details genannt. Die Schweizer Psychiater erklärten, daß von den Patienten in den Krankenhäusern 4 % neurotisch seien. Die deutschen Fachleute auf diesem Gebiet sagten: „Bei uns sind es 10 %.” Es darf nicht überse­hen werden, daß es sich nicht um ambulant betreute Patienten handelt, sondern nur um die stationär behandelten.

Alarmierend waren die Aussagen aus der englisch sprechenden Welt. Die angelsächsischen Psychiater erklärten, daß in England ein Drittel der Kranken­hausbetten für Neurotiker reserviert sein müssen. Der Amerikaner fügte hinzu: „Bei uns ist es schon die Hälfte der Spitalinsassen, die nicht organisch, sondern seelisch krank sind.” Der kanadische Psych­iater ging in seiner Statistik auf ein anderes Gebiet über und erklärte: „In Kanada müßten eigentlich 80 % der Schulkinder psychotherapeutisch behan­delt werden.”

Die psychiatrischen Fachleute werden mich nun wegen meiner Meinung auslachen. Nachdem ich seit Jahrzehnten ausgiebig alle Kontinente bereist habe, stellte ich folgendes fest: Wo viel Spiritismus getrie­ben wird, gibt es ein Heer von Neurotikern und viele schwarmgeistige Gruppen. Ich habe Anfang der 50er Jahre mit Dr. Lechler gesprochen, der damals Chef­arzt der Hohe Mark gewesen war. Wir haben auch zusammen das Buch geschrieben Belastung und Befreiung. Er verfasste den psychiatrischen Teil, ich den theologischen. Ich fragte Dr. Lechler, ob es ihm schon aufgefallen sei, daß die meisten Neurotiker aus einem spiritistischen Milieu kommen. Lechler ver­neinte. Ich bat ihn dann, bei seinen Anamnesen (Krankengeschichten) nach der okkulten Vergangen­heit der Patienten zu fragen. Er folgte meinem Rat und schrieb dann nach einigen Jahren: „Sie haben recht. Gut die Hälfte aller Neurotiker kommen aus Familien, in denen spiritistische oder magische Prak­tiken getrieben wurden.”

Natürlich kenne ich den Einwand der Fachleute, die sagen: „Hier ist Ursache und Wirkung verwech­selt.” Das habe ich schon vor Jahrzehnten aus dem Mund von Prof. Viktor v. Weizsäcker und Dr. Bovet gehört. In der Tat stimmt das teilweise, aber die Schar derer, wo es umgekehrt ist, kann nicht über­blickt werden. Mir liegen Tausende von Beispielen vor.

Nun muß aber das Gebiet der Neurosen etwas beleuchtet werden. Ich bilde mir nicht ein, für die fachliche Seite kompetent zu sein. Ich habe nur aus der Seelsorge einige Ergänzungen zu bringen, die von den Fachleuten übersehen und abgelehnt wer­den, es sei denn, es handelt sich um Psychiater, die wiedergeborene Christen sind.

Das Gebiet der Neurosen ist eng verknüpft mit dem Bereich der Depressionen. Das wird z. B. deut­lich an der Gleichschaltung depressive Neurose ist gleich eine neurotische Depression. Wir finden unter den Neurosen ähnliche Symptome wie bei den ver­schiedenen Depressionen.

In der Definition des Begriffes unterscheidet man die von Prof. Freud übliche Bezeichnung als Erkran­kung des Nervensystems. Seit Freud gilt die Auffas­sung, daß die Neurosen psychisch bedingte Störun­gen des seelischen Haushaltes des Menschen dar­stellen.

Über die Flut der Neurosen kann man sich ein Bild machen, wenn man das psychiatrische Wörterbuch von Prof. Dr. Peters einsieht, der 25 verschiedene Formen erwähnt. Wie schon eingeräumt, bin ich nicht zuständig, über die tiefenpsychologischen Sei­ten der Neurosen authentisch zu schreiben. Es gibt aber eindeutige Überschneidungen zu biblischen Fakten, die mich in der Seelsorge nicht nur etwas, sondern viel angehen.

Was mir auf dem Sektor der Neurosen in der Seelsorge am meisten begegnete, sind die Formen des Zwangsdenkens, Zwangshandelns, der Zwangsan­triebe, kurz zusammengefasst als Zwangsneurose. Einige Beispiele, die mich seinerzeit veranlaßten, Dr. Lechler darauf hinzuweisen, seien erwähnt.

B 19 Ein Pfarrer aus Süddeutschland berichtete mir die Geschichte einer Hausgehilfin. Als 17-jähriges Mädchen stellten sich plötzlich Zwangsvorstel­lungen ein. Sie konnte keinen spitzen oder scharfen Gegenstand mehr anfassen, weil sie Angst hatte, sich damit zu verletzen. Bei Tisch konnte sie keine Gabel oder kein Messer anrühren. Sie wurde allmählich für den Dienst im Haus unbrauchbar und wurde heimgeschickt. Der Pfarrer machte einen Besuch bei den Eltern und erfuhr folgendes: Die 17-jährige Tochter hatte als einjähriger Säug­ling Diphtherie. Der Arzt wollte einen Luftröhrenschnitt durchführen, um dem Kind Luft zu verschaffen. Die Eltern baten um einige Stunden Bedenkzeit. Inzwischen verständigten sie einen Besprecher. Als der Arzt wiederkam, war das Befinden des Kindes besser. Der Luftröhrenschnitt unterblieb. Mit 16 Jahren stellten sich dann die erwähnten Zwangsvorstellungen ein.

Ein Psychotherapeut würde vielleicht in diesem Fall von einer Phobie sprechen. Man versteht darunter eine unvernünftige, sich entgegen besserer Ein­sicht aufdrängende Angst vor bestimmten Gegen­ständen oder Situationen. Auch Christen, die ihr Leben Jesus ausgeliefert haben, können in eine Zwangsneurose geraten, wenn sie biblische Warnschilder nicht beachten. Mir ist verhältnismäßig oft gebeichtet worden, daß Chri­sten, die an spiritistischen Sitzungen teilnahmen, sich schwere Schädigungen des Glaubenslebens zugezo­gen haben. Dazu ein Beispiel.

B 20 Eine gläubige Frau erhielt von einer Be­kannten Predigten und lesenswerte Literatur eines spiritualistischen Zirkels. Sie hielt die Schriften für christliche Literatur und las sie regelmäßig. Ohne um die Zusammenhänge zu wissen, erlebte sie in Verbindung mit dieser Lektüre schwere Anfech­tungen und Schwermutsanfälle. Ahnungslos las sie die Schriften immer weiter. Da beobachtete sie eines Nachts einen Mann mit roten Haaren und glühendem Gesicht in ihrem Zimmer. Es stellten sich bei ihr auch Zwangsantriebe ein mit Zerstö­rungswut. Sie verspürte einen inneren Impuls, ihr eigenes Kind zu töten, obwohl sich ihr Bewußt­sein heftig dagegen sträubte. In der Seelsorge riet ich ihr, sofort die spiritistische Literatur zu ver­brennen. Ich zeigte ihr auch, wie man von solchen Zwangsantrieben durch Christus frei wird.

Bei den Neurosen wird auch der Sachverhalt des ersten Gebotes sichtbar: „Der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied derer, die mich hassen.” Viele Neuroti­ker tragen an der Schuld, die Eltern und Großeltern auf sich geladen haben. Deshalb gibt es Menschen, die behaupten: „Gott ist ungerecht, wenn die Nachkommen das büßen sollen, was die Vorfahren getrie­ben haben.” Man soll aber das erste Gebot weiterle­sen: „Und tue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich liebhaben und meine Gebote halten.” Rein mathematisch heißt das: die Gnade und Barmherzig­keit Gottes übertrifft sein Gericht 250mal. Natürlich ist das Gnadenangebot Gottes kein Rechenexempel.

Bei neun Vortragstouren in Brasilien hörte ich spiritistische Beispiele in großer Zahl. Eines davon sei wiedergegeben.

B 21 In der Provinz Santa Catarina kam ein 47-jähriger Mann zur Aussprache. Er litt unter Zwangsantrieben. Oft hörte er den Befehl: ,,Brin­ge deine Frau um, dann nimm dir das Leben!”

Dieser Mann war offen für das Evangelium und wünschte sehnlichst eine Befreiung. Die Vorge­schichte zeigte, daß seine Vorfahren das spiritisti­sche Tischrücken betrieben. Die Kinder des Beichtenden stehen auch bereits in dieser Fluch­linie der Zaubereisünden. Sie sind geistig nicht normal und schwer erziehbar.

S 13 Prof. Dr. Peters definiert die Zwangsantriebe in folgender Weise: „Zwanghaft sich gegen den Willen durchsetzenwollende Handlungsimpulse, z. B. einen nahen Angehörigen zu töten. Der Zwangsantrieb ist mit der Angst verbunden, die Handlung könnte ausgeführt werden, was aber ge­wöhnlich nicht geschieht.”

Nach 15 Vortragstouren in Hamburg zeigte sich mir durch die Seelsorge, daß diese Großstadt mit rund 200 spiritistischen Zirkeln verseucht ist. Das ist keine Schätzung von mir, sondern die Aussage eines Zirkelleiters, der sogar die Kühnheit besaß, mich in einen Zirkel einzuladen. Ich hätte dort die Erlaubnis, über den Spiritismus zu sprechen. Natürlich ließ ich mich in ein solches Unterfangen nicht ein. Ich habe nie in meinem Leben eine Séance besucht. Mir genügt das, was ich in der Seelsorge erfahren habe. Dazu ein Hamburger Beispiel.

B 22 Eine Frau kam in ihrer Not zur Ausspra­che. Ihre leibliche Schwester macht das Zusam­menleben zur Qual. Der Alltag zeigt unsinnige Handlungen der Schwester: Kontrollierzwang, Waschzwang, Zwangsantriebe. Alles gute Zureden der älteren Schwester fruchtet nichts.

Bei der belasteten Schwester zeigen sich auch Symptome, die eine Form der Schizophrenie sein können: Hören von Stimmen in der Form von Rede und Gegenrede. Sie meint, Geister aus dem Jenseits würden sich mit ihr unterhalten. Diese „Geister” geben ihr Befehle, die sie ausführen muß, auch wenn es der größte Unsinn ist.

Ob Zwangsneurose oder Schizophrenie, das mag der Psychiater entscheiden. Mir ging es um die Wurzeln. Und diese waren schnell erfaßt. Als junges Mädchen nahm diese belastete Frau an spiritistischen Sitzungen teil, die von einem äußerst starken Medium geleitet worden waren. Das Medium brauchte den kleinen Tisch nicht zu berühren, sondern sich nur auf ihn zu konzentrie­ren, und schon bewegte er sich.

Auch hier wiederhole ich um der Psychiater willen. Die spiritistischen Sitzungen müssen nicht unbedingt die Ursache der Erkrankung gewesen sein, aber sie sind in Tausenden von Fällen die Atmosphäre, der Nährboden für seelische und geistige Erkrankungen aller Art.

B 23 Zu dem Kapitel Zwangsantriebe erzählte mir ein gläubiger Pfarrer in der Schweiz einen Vorfall in seiner Gemeinde. Ein Mann, der zur evangelischen Gemeinde gehörte, hatte sich als Besprecher und Krankheitsbanner einen Namen gemacht. Aus der ganzen Umgebung kamen die Hilfesuchenden und ließen sich von dem Okkulti­sten mit Erfolg behandeln.

Dieser „fromme Mann”, für den man ihn hielt, nahm ein böses Ende. Es stellte sich ein Verfol­gungswahn ein, unter dessen Zwang er unsinnige Dinge trieb. Im Januar bei 20 Grad Kälte lief er barfuß durchs Dorf, nur mit Hemd und Hose bekleidet. Wenn die Angehörigen ihn einschlos­sen, sprang er aus dem Fenster. Als Ausweg hieb nur die geschlossene Abteilung einer Nervenheil­anstalt übrig.

Nun sollen zehn Formen der Zwangsneurosen aufgezählt werden, die mir in der seelsorgerlichen Arbeit häufig begegnet sind:

1. Die Kleptomanie, ein krankhafter Stehltrieb.
2. Die Pseudomanie, eine pathologische Lügen­sucht.
3. Die Pyromanie, ein triebhaftes Brandstiften.
4. Die Phagomanie, eine triebhafte Freßsucht.
5. Die Phagophobie, das Gegenteil der Phagoma­nie. Schluckangst und die Vorstellung, sich beim normalen Essen zu versündigen.
6. Die Dipsomanie, der notorische Quartalsäufer. Periodisch auftretende Alkoholexzesse.
7. Die Nymphomanie, die Männergeilheit sexuell extrem veranlagter Frauen.
B. Die Logomanie, ein Redezwang, der sich kaum stoppen läßt (Ausdruck der französischen Psy­chologie).
9. Die Blasphemomanie, der Fluch- und Läster­zwang.
10. Die Thanatomanie, Sterbenszwang und Tö­tungszwang.

Zu diesen Neuroseformen kann ich viele Beispiele geben, obwohl es mir nicht um die Beschreibung dieser Zwangsneurosen geht, sondern um die dahin­ter liegenden Ursachen.

Zu 1 Kleptomanie. Griechisch klepto = stehlen, mania = Sucht, Raserei, Wahnsinn.

B 24 Einer meiner Freunde hatte in seinem Heim eine Hausgehilfin, die gläubig war und zum EC (Jugendbund für entschiedenes Christentum) gehörte. Plötzlich wurde in dem christlichen Heim viel gestohlen. Niemand kam auf den Täter. Schließlich wurde die Polizei eingeschaltet. Das Mädchen wurde verhört. In die Enge getrieben, war die Diebin geständig. Als Hintergrund dieser plötzlich aufgetretenen Stehlsucht zeigte sich, daß das Mädchen die Enkelin einer spiritistisch arbei­tenden Großmutter war. Als diese alte Frau starb, legte sie ihrer Enkelin die Hände auf und betete zum Teufel: „Teufel, erhalte mir dieses Kind.” Seit dieser teuflischen Segnung war die Enkelin kleptomanisch. Das änderte sich auch nicht, als sie sich bei einer Evangelisation bekehrte und sich dem EC anschloß.

Das Normale ist das nicht. Regulär ist die Befreiung durch Christus, wenn jemand sich ihm ausliefert.

B 25 Ein anderes Beispiel erlebte ich in Frank­reich. Ich hatte in einer Kirchengemeinde eine Evangelisation. Die Pfarrfrau drängte sich an den Schriftentisch, um an die Kasse heranzukommen. Man warnte mich vor dieser Frau, da vor ihren Fingern nichts sicher sei.

Zu 2 Die Pseudomanie. Griechisch pseudos = Lüge, Täuschung, Betrug. Die pathologische Lügensucht habe ich in Form der Pseudologia phantastica (phantastisches Lü­gen) in verschiedenen Ländern erlebt. Ich habe furchtbare Beispiele dazu in meiner Kartei. Die Eigenart dieser Pseudomanen ist, daß sie selbst an ihre Lügen glauben. Die Charakteristik dieser krankhaften Lügner ist, daß sie sich in ihrem übertriebenen Geltungsbedürfnis phantastische Geschichten ausdenken und dabei von der Realität ihrer Behauptungen überzeugt sind.

Zu 3 Pyromanie. Griechisch pyr = Feuer.

B 26 Einer dpa-Meldung vom Juni 1962 ent­nahm ich folgendes: „Ein 16-jähriger Malerlehrling aus Mardorf bei Neustadt gab fünf Brandstiftun­gen zu, nachdem die Kriminalpolizei ihn festge­nommen und verhört hatte. Ein Schaden von DM 300 000 wurde damit angerichtet. Zwei Scheunen, ein Wohnhaus und zwei Viehställe fielen ihm zum Opfer.

Bei der ersten Vernehmung gab der Jugendliche an, Berichte über den Feuerteufel von Seesen hätten ihn angeregt. Dieser Pyromane, ein 18 jäh­riger Autoschlosserlehrling hatte in der kleinen Stadt Seesen im Kreis Gandersheim am Harz sechs Brände gelegt und damit Millionenwerte zerstört. Am 14. 07. 62 konnte ihn die Polizei verhaften, nachdem er Seesen wochenlang beunruhigt hatte.”

Zur Feuerlust und Feuerhörigkeit habe ich in Ostasien viele Beispiele gesammelt. Bei den An­hängern eines Feuerkultes erhalten die Mitglieder Gewalt über das Feuer, wenn sie sich mit ihrem Blut dem Teufel verschrieben haben.

Bei uns im Westen läßt sich die Freude am Brandschatzen bei Jungen nachweisen, die als Säugling magisch besprochen worden sind.

Zu den aktiven Pyromanen, die wertvolle Ob­jekte in Brand setzen, kommt auch die passive Py­romanie, das heißt: Schutz vor dem Feuer. Ein Bei­spiel ist der Stamm der Bega (sprich: Benga) auf den Fidschi-Inseln, die durch eine Teufelsverschrei­bung Hitze und Feuer von 400 Grad aushalten.

Neuerdings werden auch in der Schweiz solche Experimente durchgeführt, wie mir mitgeteilt worden ist. Hier müssen aber die Teilnehmer beim Feuergang sich nicht dem Teufel verschreiben. Sie sagen, sie könnten durch Meditation es soweit bringen, daß sie eine Hitze von 700 Grad aushal­ten können. Meine Frage ist, wie der Leiter dieser Gruppe zu seinen Fähigkeiten gekommen ist. Mir ist in dieser Hinsicht ein Holländer bekannt, der ein ausgesprochener Okkultist ist.

Zu 4 Die Phagomanie. Griechisch = phagein essen, fressen.

B 27 Zur Phagomanie, einer neurotischen Freß­sucht, liegt mir ein aufschlußreiches Beispiel aus der eigenen Seelsorge vor. Ich habe es schon einmal veröffentlicht.

Im Ausland kam eine 28-jährige Frau zu mir in die Seelsorge. Die Frau eines Predigers begleitete sie. Mir wurde folgendes berichtet. Die Rat­suchende erklärte, daß sie seit acht Jahren, also seit dem 20. Lebensjahr unter einer Zwangsneurose leide. Sie litt an einem Waschzwang, mußte sich häufig die Hände waschen und kam kaum vom Waschbecken los. Ferner plagte sie ein Kontrol­lierzwang. Ging sie ins Bett, mußte sie immer wieder aufstehen und nachsehen, ob das Zimmer abgeschlossen war und kein Mann unter dem Bett liege. Furchtbar war, daß sie von einem schreckli­chen Freßzwang geplagt war. Die Mutter mußte Kühlschrank und Speisekammer verschließen, weil die Tochter alles herausholte und aß. Sie konnte einen halben Eimer voll essen, dann erbre­chen und wieder von vorne anfangen. Eine große Magenerweiterung war die Folge.

Acht Jahre lang suchte die junge Frau Psychiater und Psychotherapeuten auf und verbrauchte ein Drittel des Vermögens.

Bei der Erstellung der Anamnese (Krankenge­schichte) fragte ich nach Krankheiten und Ge­wohnheiten der Vorfahren und der eigenen Fa­milie. Es kam u.a. folgendes zum Vorschein. Die Großmutter war aktive Spiritistin, die ihre Enkelin in die spiritistischen Sitzungen mit­nahm. Hier dürfte die Ursache der Zwangsneu­rose klar ersichtlich sein. Hunderte ähnlicher Beispiele aus meiner Kartei zeigen den gleichen Sachverhalt.

Die Auswirkung der seelsorgerlichen Beratung bestätigte diese Annahme. Die junge Frau war bereit, sich zu Christus führen zu lassen. Ein Gebetskreis wurde für sie gebildet. Das geplagte Menschenkind durfte durch den Herrn Jesus völlig frei werden.

Zu 5 Phagophobie. Griechisch phobos = Furcht. Im medizinischen Wörterbuch von Pschyrembel steht eine gute Definition: „Zwangsangst, an be­stimmte Vorstellungen gebundenes, grundloses Angstgefühl, das oft zu bestimmten Handlungen und Unterlassungen zwingt.” Bei der Phagophobie hat der Neurotiker Angstgefühle oder einen Versündigungswahn, wenn er sich Sattessen will.

B 28 Zur Phagophobie habe ich eigene Bei­spiele, die ich aber nicht berichten will. Ich wei­se aber auf ein fremdes Beispiel hin. Die Studen­tin Anneliese Michel von Klingenberg, über die in christlichen Blättern viel berichtet wurde, hat sich zu Tode gehungert. Sie war weder von ihren Eltern, noch vom Pfarrer, noch von den Ärzten zu bewegen, mehr zu essen. Anneliese hatte die Vorstellung, sich durch das Essen zu versündi­gen. Bei ihrem Tode wog sie noch 27 kg. So schrieben die Blätter. Eine Bekannte aus ihrem Dorf sagte aus, Anneliese sei vor ihrer Geburt oder bei der Geburt von einer Magie praktizie­renden Frau verflucht worden. Die katholischen Priester hielten sie für besessen und mußten sich später vor Gericht verantworten. Ihre Kranken­geschichte liegt mir in Form eines Buches, von einer amerikanischen Psychologin geschrieben, vor.

B 29 Aus Los Angeles nahm ich einen tragischen AP-Bericht auf. Ůberschrieben ist dieser Artikel: „Zwangsvorstellung führte zum Tode.” Er lautet: „Die 20jährige Caren Lynn Crabbe aus Los Angeles ist den Hungertod gestorben, weil sie unter der Zwangsvorstellung litt, daß sie zuviel wiege und daher die Nahrungsaufnahme verweigerte. Der Vater des unglücklichen Mäd­chens, der Schauspieler Buster Crabbe, sagte vor Pressevertretern, Caren habe nichts essen wollen, was nach ihrer Meinung zu einer Gewichtszunah­me führen konnte. Ihre ,Wahnidee’ habe sich zum ersten Male vor etwa einem Jahr gezeigt, als sie, die 1,65 m groß war, 108 Pfund wog. Bei ihrem Tode betrug das Gewicht noch 27 Kilo.­

Zwei Ärzte, darunter ein Psychiater, bemühten sich vergebens, Caren von ihrer Zwangsvorstel­lung zu heilen. Beide rieten nach den Worten Buster Crabbes den Eltern, die Patientin nicht zum Essen zu zwingen und auch nicht über ihre Komplexe mit ihr zu sprechen, da sich sonst ,Komplikationen’ ergeben könnten. Einen Tag vor dem Tode, so betonte Crabbe, habe der Psychiater gesagt, man dürfe nunmehr erstmals Hoffnungen auf eine Besserung hegen. Ein Totenschein wurde für Caren noch nicht ausgestellt. Man will zunächst eine Autopsie vornehmen, um die genaue Todesursache zu bestimmen.”

Zu 6 Die Dipsomanie. Griechisch dipsa = Durst

B 30 Zu dieser Sucht liegt mir ein Erlebnis vor, das tragische Auswirkungen hatte. Ein vermögen­der Geschäftsmann war ein Quartalsäufer, der alle sechs oder acht Wochen Alkohol-Orgien feierte. Dann tat es ihm leid, und er ging zur Beichte. Seine ganze Familie und ein Gebetskreis der christlichen Gemeinschaft betete für ihn, daß er frei werden würde. Solange ich ihn kannte, ist es nicht ge­schehen.

Zu 7 Die Nymphomanie. Griechisch nymphe = Mädchen. Pschyrembel gibt folgende Definition: „Exzessi­ver Sexualtrieb mit aktuellem Befriedigungsdrang bei meist bewußtseinseingeengtem Verhalten.” Dazu ein Beispiel:

B 31 Im Ausland kam eine Frau zu mir in die Seelsorge. Sie gab offen zu, daß sie geschlechtlich ein ungeheures Verlangen habe, das sie nicht bändigen könne. Sie fügte gleich hinzu: „Reden Sie mir aber nicht vom Sublimieren. Ich will nicht sublimieren, sondern ich will einen Mann.” Sie fragte auch rund heraus, ob sie nicht als Ledige sich an Freunde halten dürfe und das mit dem christlichen Glauben vereinbaren könne. Es war also eine nymphoman veranlagte Frau, der ich seelsorgerlich nicht helfen konnte.

Zu 8 Die Logomanie. Griechisch logos = das Wort, Redezwang, ein Ausdruck der französischen Psychologie.

B 32 Bei meiner Vortragstour in Neuseeland sprach ich unter anderem auch an der Palmerston North Universität. Dort traf ich eine Gruppe von Zungenrednern. Sie kannten keinen Deutschen, weder Wilhelm Busch noch Prof. Thielicke noch sonst einen der bekannten Reichgottesarbeiter. Nur nach Pfarrer Bittlinger, einem Exponenten der Pfingstbewegung, fragte man mich sofort.

Aus dieser Gruppe der Zungenredner berichtete man mir ein typisches Beispiel. Ein Pfingstprediger sprach in seiner Gemeinde in Zungen. Er konnte nicht mehr stoppen und mußte sich einen Knebel in den Mund stecken, um den Redefluß zu beenden. – Braucht der Heilige Geist einen Knebel?

B 33 Auf deutschem Boden erlebte ich ein ähnliches Beispiel. In den 70er Jahren lud ich Petrus Oktavianus, den indonesischen Evangeli­sten, zum Dienst nach Stuttgart ein. Weil 3000 Menschen kamen, mußten wir in zwei weitere Säle übertragen. Zu Beginn forderte Oktavianus zum stillen Gebet auf. Mit rund 15 anderen Personen saß ich auf dem Podium. Während des stillen Gebetes fing ein Pfingstler auf dem Podium an, in Zungen zu beten. Ich war gespannt, wie Oktavia­nus reagieren würde. Er betete still, drehte dann den Kopf zu dem Zungenredner und gebot: »Im Namen Jesu gebiete ich dir zu schweigen.” Der Zungenredner stoppte sofort. – Hinterher fragte ich Oktavianus: „Warum hast du geboten?” Er antwortete: „Mir wurde klar, daß das vom Feind war.” Dann kam der Zungenredner auf uns beide zu und entschuldigte sich: „Ich wollte nicht in Zungen beten und stören. Ich wurde aber gezwungen. Eine fremde Macht war über mich gekommen.” – Nun, der Heilige Geist war das nicht.

Mir sind auch andere Beispiele dieser Art von Kalifornien bekannt.

Zu 9 Blasphemomanie. Griechisch blasphemeo = fluchen, lästern, verleumden. Der Läster­zwang kommt in der Seelsorge sehr oft vor. Nicht alle Formen haben okkulte Wurzeln. Einige Hin­weise:

B 34 Eine Frau mit einem sehr empfindsamen Gewissen hat oft Angst, sie könnte sich mit Wor­ten versündigen. Im Beten und Bibellesen ist sie sehr treu und beherzigt das Wort: „Jaget nach der Heiligung” (Hebr.12,14). In ihrer Ängstlichkeit, sich ja nicht zu versündigen, erlebt sie eine Um­kehrung, einen psychologischen Kippvorgang. Es tauchen Lästergedanken bei ihr auf, über die sie todunglücklich ist. Um das Maß voll zu machen, kam sie dann in die Seelsorge und meinte, die Sünde gegen den Heiligen Geist begangen zu haben. – Solche Menschen darf man aus dem Worte Gottes trösten. Es gibt eine grobe Faustregel: Wer in der Tat die Sünde gegen den Heiligen Geist begangen hat, kümmert sich nicht mehr darum.

B 35 Eine Frau im 68. Lebensjahr berichtete folgendes. Soweit sie sich zurückerinnern kann, war sie von Depressionen geplagt. Sie wollte Christus nachfolgen und konnte nicht. Wenn sie im Konfirmandenunterricht mit den übrigen Konfirmanden das Glaubensbekenntnis betete, ent­standen bei ihr im Herzen Lästergedanken. Diese Lästergedanken bestanden bei ihr vom elften Le­bensjahr an bis zur Gegenwart. Oberflächlich beurteilt, hat diese Frau also eine Art Zwangsneu­rose. Die genaue Befragung der Angehörigen er­gab, daß diese Frau als zweijähriges Kind von einer Besprecherin gegen hohes Fieber besprochen worden ist. Die Eltern der Neurotikerin sind gesund.

B 36 Eine Frau, 57 Jahre alt, kam zur Ausspra­che. Sie berichtete, daß sie bei einem Psychothera­peuten zur Behandlung war, der ihr sagte, daß sie eine Zwangsneurose hätte. Da diese Neurose zu­rückgeht bis in die früheste Kindheit, könnte er die Ursache nicht feststellen. Die Zwangsneurose äußert sich bei dieser Frau in der Weise, daß sie nicht in der Lage ist, etwa ein Buch aufzuschlagen. Was sie einmal in der Hand hat, kann sie nicht wegwerfen. Wenn sie ein Streichhölzchen anzün­det, ist sie nicht in der Lage, das abgebrannte Streichholz wegzuwerfen. Sie hat auch den Kontrollierzwang. Sie muß alles endlos nachprüfen. Wenn sie beten oder singen will, verwandeln sich die Worte der Anbetung Gottes in lästerliche Flüche. Wenn sie etwa in einem Liedvers die Worte mitsingt „Wir loben dich und beten dich an”, so sagt sie in Wirklichkeit: „Wir fluchen dir und hassen dich.” Wenn sie mit fremden Men­schen das Schlafzimmer teilt, dann sagen die Fremden, sie würde nachts furchtbar aufschreien. Es wären aber dann Männerstimmen, die aus ihr sprechen würden und nicht etwa die Stimme einer Frau.

S 14 Dieses Beispiel erinnert nicht nur an ein zwangsweises Fluchen und Lästern, sondern auch an eine Besessenheit. Die Psychiater, die alle Phänome­ne immanent erklären müssen, werden auf Dissozia­tionen des Unterbewußtseins hinweisen. Tiefe Män­nerstimmen aus dem Mund einer Frau lassen sich nicht umdeuten. Vollends müssen die Psychiater die Waffen strecken, wenn diese Stimmen eine Fremd­sprache benützen, die von der Patientin nicht gelernt worden ist.

Ein anderes Argument, daß hier nicht unbewußte Inszenierungen des Unterbewußtseins vorliegen, ist die Tatsache, daß das Fluchen und Lästern besesse­ner Menschen sofort aufhört, wenn im Namen Jesu vollmächtig geboten wird.

Zu 10 Die Thanatomanie. Griechisch thanatos = Tod, Mord, Todesart, Todesgefahr, Todesstrafe, Hinrichtung.

Bei dieser Zwangsneurose gibt es eine passive Form und eine aktive Form. Die passive Form ist mir oft auf verschiedenen Missionsfeldern berichtet wor­den. In heidnischen Stämmen kann z. B. der Stammeshäuptling gegen einen Stammesgenossen einen magischen Todesfluch aussprechen und ihm etwa sagen: „In der nächsten Vollmondnacht wirst du sterben.” Der Bedrohte stirbt tatsächlich zu dem angegebenen Zeitpunkt. Hier liegt also die Auswir­kung einer Fremd- und Autosuggestion vor. Ein Papua, der durch die australische Südseemission Christ geworden war, sagte mir auf Ilahita (Neugui­nea), daß solche Verfluchungen bei Christen nicht wirksam werden. Auch hier sehen wir en passant, daß Neurosen in den geistlichen Bereich hinüber­greifen.

Ein weiteres Beispiel von den Philippinen zeigt das noch deutlicher.

B 37 Der Chief (Datu) eines heidnischen Stam­mes hatte die Gewohnheit, bei seinen Todesurtei­len dem Opfer einen langen Röhrenknochen ent­gegenzuhalten und ihm einen Todesfluch entgegen zu schleudern. Der Fluch konnte z. B. lauten: „Bei der nächsten Sonnenwende wirst du bei den Ahnen sein.” Der so Verurteilte starb zur angege­benen Zeit.

Nun kam ein Missionar in dieses Stammesge­biet und hörte von den Gewohnheiten des heidni­schen Häuptlings. Datu haßte den Eindringling, der eine neue Religion bringen wollte und trat dem Missionar mit vielen Kriegern entgegen, um ihn durch einen Todesfluch zu vernichten. Der Gottesmann fürchtete den Heiden nicht. Als Da­tu in Aktion treten wollte, streckt ihm der Mis­sionar die Bibel entgegen und wehrte den Fluch ab: „Im Namen Gottes, dem ich diene, nehme ich dir die Macht.”

Ich habe diesen Bericht schon in einem anderen Buch ausführlicher wiedergegeben. Datu wurde Christ und sagte sich von allen heidnischen Bräu­chen und seiner magischen Kraft los.

In hochzivilisierten Völkern ist die Thanatomanie selten. Gelegentlich tauchen solche Beispiele in der Seelsorge auf.

B 38 Ein Mitarbeiter des CVJM teilte mir folgendes Erlebnis mit. Er war bei der Beerdigung eines Mannes, der auf merkwürdige Weise gestor­ben war. In jungen Jahren hatte ihm eine Zigeune­rin prophezeit, er würde auf den 8. 9. 31 sterben. Der junge Mann glaubte diesem Wahrsagen und stellte sich innerlich darauf ein. Als der Tag heran­kam, ging er wie benommen umher. Er blieb aber an seinem Arbeitsplatz bis zuletzt. Am B. 9. beschäftigte er sich den ganzen Tag mit der Vor­stellung: „Heute passiert etwas.” Er arbeitete bei einem Sägewerk. Noch am Vormittag stieg er in einen Kamin. Er wurde von dem aufsteigenden Rauch betäubt und stürzte ab. Er war so schwer verletzt, daß er am gleichen Tag noch starb. Er hatte von seiner Firma durchaus keinen Auftrag, in dem Kamin etwas nachzusehen. Die Prophezeiung der Zigeunerin hatte sich durch die Mitwir­kung der Autosuggestion erfüllt.

Die Thanatomanie gibt es auch in aktiver Form und hat gewöhnlich furchtbare Auswirkungen. Die Amokläufer und Amokfahrer gehören dazu, die unter einem Tötungszwang stehen und wahllos Menschen umbringen. Am Tag dieser Niederschrift 9.7.86 brachte die Tageszeitung (RNZ) einen derar­tigen Bericht: „Zwei Tote bei Amoklauf. – Ein Frührentner ist gestern in einem Wiener Wohnhaus Amok gelaufen und hat eine Frau getötet und drei weitere Personen verletzt. Der Mann wurde von der Polizei erschossen. Nach Angaben der Poli­zei eröffnete der 43jährige Mann im Treppenhaus seines Wohnhauses ohne ersichtlichen Grund das Feuer auf andere Bewohner. Eine Frau starb an den Schußverletzungen. Ihr Ehemann wurde verletzt. Eine weitere Hausbewohnerin und ein Polizist erlit­ten ebenfalls Schußverletzungen, bevor der Mann von drei Polizisten erschossen wurde. Über das Motiv herrscht Unklarheit.” ap

„Zwei Franzosen liefen Amok: Aus bisher ungeklärten Gründen haben zwei Fran­zosen am Dienstag und Mittwoch völlig durchgedreht und sechs Menschen getötet. Die erste Mordserie fand Dienstagabend in dem kleinen südfranzösischen Dorf Lesperon bei Privas statt. Ein Bauer, der seit längerer Zeit Streit mit Nachbarn hatte, erschien auf deren Bauernhof und schoß auf eine Gruppe, die sich gerade zum Abendessen versammelt hatte. Fünf Personen wurden verletzt. Danach fuhr er in seinem Kleinwa­gen zu dem drei Kilometer entfernten Anwesen der Bürgermeisterin, eröffnete das Feuer und verletzte die Frau schwer. Zwei Urlauberinnen, die sich gerade in der Nähe aufhielten, wurden von den Schüssen getötet. Am Mittwochmorgen feuerte in dem Dorf Chauffort bei Chaumont ein 40jähriger Mann ver­mutlich in einem Anfall von Depressionen mit einem Jagdgewehr auf seine Nachbarn und floh. Dabei wurden ein Ehepaar, das drei Kinder hinterläßt, eine Mutter von sechs Kindern und ein Onkel des Täters getötet.” dpa

Auch in Südafrika bin ich diesem neurotischen Tötungszwang begegnet. Die heidnischen Zulus sa­gen: „Wenn der Geist Shakas über uns kommt, müssen wir töten.” Shaka war der Napoleon der Zulus, der diesem Stamm durch erfolgreiche Kriege zu einer Vormachtstellung verhalf. Auch hier sehen wir wieder die Verbindung: spiritistischer Ahnen­kult und Zwangsneurose.

Das furchtbarste Beispiel einer zwangsneuroti­schen Mordgier stammt von Prof. Dr. Gaupp. Seit 1906 war er Professor für Psychiatrie an der Univer­sität in Tübingen. 1934 und 1935 hörte ich ihn in seiner Vorlesung über seelische Erkrankungen.

Die Geschichte eines Patienten von Prof. Gaupp ging als Musterbeispiel „Paranoia Gaupp” in die psychiatrische Literatur ein. Ein Hauptlehrer, Ernst Wagner, aus einem Dorf bei Ludwigsburg entwickelte einen Verfolgungs­wahn. Seit 1909 hatte dieser wahngeplagte Mann Mordabsichten gegen seine Feinde. 1913 ermordete er seine Frau und vier Kinder. Dann fuhr er nach Mühlhausen, legte dort sechs Brände und ermordete neun Menschen, bis ihn die Polizei dingfest machen konnte. Prof. Gaupp wurde mit einem Gutachten beauftragt. Sein Urteil rettete den vielfachen Mörder vor der Todesstrafe, denn Wagner wurde als nicht zurechnungsfähig eingestuft. Er wurde danach bis an sein Lebensende in der geschlossenen Abteilung einer Nervenheilanstalt untergebracht.
Als ich in Tübingen studierte, lebte dieser wahnge­triebene Massenmörder noch. Nach dem Krieg hat ein anderer Psychiater diesen Fall aufgegriffen, um ihn neu zu bearbeiten. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, daß dieser Mörder in seiner Zwangs­unterbringung ein Buch über Wahnvorstellungen schrieb.

Die okkulte Vorgeschichte dieses Massenmörders ist nicht bekannt. Kein ungläubiger Psychiater nimmt ja die Magie und den Spiritismus als Milieu der Neurosen ernst.

S 15 Okkulte Praktiken sind ein Nährboden für Neurosen. Damit wird nicht gesagt, daß der „Stein der Weisen” gefunden sei. Ich spreche hier wiederum nicht von Kausalität, sondern nur von einem Nähr­boden. Solche Patienten sollten in Zusammenarbeit mit medizinischen Therapeuten und biblisch gegrün­deten Seelsorgern betreut werden. Psychiatrie und Psychologie können technische Behandlungsmetho­den anwenden: Das Kernproblem einer okkulten Belastung können die Mediziner und Psychologen nicht begreifen, weil das über den Rahmen wissen­schaftlicher Arbeit hinausgeht. Der biblische Seel­sorger richtet seinen geistlichen Auftrag aus, solchen heimgesuchten Menschen den Weg zu Jesus und damit den Weg zur Befreiung zu zeigen.

Mentalsuggestion und Verfolgungswahn

Der Begriff Mentalsuggestion setzt sich aus zwei lateinischen Wörtern zusammen, „mens” und „sug­gestio”. Mens heißt Verstand, Denkkraft. Das Ver­bum suggero heißt eingeben, anraten. Natürlich liegen sprachlich noch andere Bedeutungen vor.

Die Definition des Begriffes ist nicht einheitlich. Bonin nennt im Lexikon der Parapsychologie die Mentalsuggestion eine Unterform der Telepathie. Karl G. Rey spricht von telepathisch bewirkten Fernhypnosen (Gotteserlebnisse S.120). In mei­nem Buch Seelsorge  habe ich schon von den beiden Ärzten Janet und Gibert berichtet, denen 1886 Fernhypnosen bis auf 2 km Entfernung gelungen sind.

In Deutschland hat sich der Parapsychologe Prof. Bender mit den mentalsuggestiven Experimenten befaßt. In Rußland hat sich der Leningrader Profes­sor Wassiliew auf diesem Gebiet einen Namen ge­macht. Er brachte es nachweisbar fertig, eine Person bis auf 1700 km Entfernung (Leningrad-Sewastopol) einzuschläfern und wieder aufzuwecken. Insgesamt hat er bei 260 Experimenten nur 6mal einen Mißer­folg beim Einschläfern und 21mal beim Aufwecken gehabt.

Die Russen gaben sich aber nicht nur mit Schlafex­perimenten ab, sondern wollen auch Willensent­scheidungen und Handlungen auf Distanz suggerie­ren. Da die Sowjets von jeher alle Entdeckungen militärisch nutzbar machen wollen, unternehmen sie seit einigen Jahren auch Versuche, die Vorstellungs­welt der westlichen Völker prosowjetisch zu manipulieren. In meinem Taschenbuch Fernwirkungen sind diese Versuche beschrieben.

In der Seelsorge, vor allem bei heidnischen Völ­kern, ist mir die Mentalsuggestion in vielen Formen begegnet. Das wird teilweise an den Beispielen ge­zeigt. Wichtig war mir die Entdeckung, daß die Mentalsuggestion ohne Medialität nicht funktio­niert. In der Parapsychologie wird zwar mit dem Begriff Psi operiert, meint aber damit nach Prof. Rhine einen unterbewußten und unbekannten Fak­tor. Andere Parapsychologen sprechen von einer hypothetischen Psi-Energie, deren Auswirkung, aber nicht deren Ursachen man kennt.

In der Seelsorge ist mir die Mentalsuggestion am häufigsten im Zusammenhang mit Heilungszauber und Verfolgungszauber, ferner in Verbindung mit dem Liebeszauber berichtet worden.

Zu dem letztgenannten Gebiet zwei Beispiele.

B 39 Vor Jahren hatte ich bei Vorträgen in Frankreich eine unangenehme Seelsorge. Nach Beendigung eines Gottesdienstes kam eine etwa 65 jährige Frau zur Aussprache. Sie berichtete, ihr Hausarzt habe sie oft vergewaltigt. Das gleiche würde auch der Ortspfarrer treiben. Auch der Prediger der Freien Gemeinde würde sich oft an ihr vergehen. Bei diesem Bekenntnis wurde es mir unheimlich, weil diese Frau einen verwirrten Ein­druck machte.

Mir war sofort klar, daß hier keine Mentalsug­gestion vorlag, sondern sexuelle Halluzinationen. Es war Prof. Sigmund Freud, der die Theorie aufstellte, daß Libidostauungen, unerfüllte Trieb­wünsche, zu Neurosen führen können, in deren Verlauf sexuelle Halluzinationen auftreten.

Die Behandlung solcher Patienten ist nicht Auf­gabe der Seelsorger, sondern der zuständigen Fachleute.

Anders gelagert ist das nächste Beispiel, für das Veröffentlichungsrecht ohne Nennung des Namens und des Ortes besteht. Es ist ein Beispiel, wie ich es oft ähnlich in der Seelsorge gehört habe. Liebeszau­ber gibt es in der ganzen Welt.

B 40 Eine Frau, 45 Jahre alt, berichtete in der Seelsorge folgendes. Sie gehörte zu einem Chor, der von einem Volksschullehrer geleitet wurde. Weil sie abends in der Dunkelheit einen weiten Weg zu machen hatte, wurde sie von dem Lehrer heim­begleitet. Das geschah mehrmals. Schließlich machte er ihr eine Liebeserklärung und küßte sie, obwohl er verheiratet war. Im Lauf der Zeit ver­langte er auch mehr. Sie willigte nicht ein. Da sagte er: „Ich kann mir holen, was ich will.” Von dieser Zeit an wurde sie nachts belästigt. Er stieg zu ihr ins Bett, obwohl Fenster und Türe geschlossen waren. Ihr war das ein unheimlicher Vorgang, aber sie konnte sich nicht wehren.

Als sie in Urlaub fuhr, sagte sie ihm aus Angst nicht, wo sie hinfuhr. Da erschien er des Nachts dennoch und fragte: „Wo bist du, wo bist du?” Sie sagte es ihm nicht. Sie war in diesem Urlaub in Jugoslawien. Aus dem Urlaub zurückgekehrt, nahm sie an meiner Evangelisation teil. Unter der Wortver­kündigung nahm sie sich vor, alles zu beichten und bei Jesus Schutz zu suchen. Bei diesem Vorsatz hörte sie die Stimme des Lehrers: „Wenn du mich verrätst, mache ich dich kaputt.”

In der Aussprache berichtete sie, daß sie zuerst bei einem Psychiater gewesen war, der ihr prompt einige Schocks verordnete, weil er diese Erlebnisse als Halluzinationen einer Schizophrenie deutete. Natürlich halfen sie nicht. Magische Vorgänge lassen sich nicht medizinisch vertreiben.

Daß es sich nicht um Halluzinationen handelte, geht daraus hervor, daß das Gebet und die Nach­folge Jesu diesem Übelstand abhalfen.

Dieser Lehrer ist Spiritist und beherrscht die Fähigkeit der Exkursion der Seele, wie wir es bei den Rosenkreuzern finden.

Magischer Liebeszauber und sexuelle Halluzi­nationen sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist ein Verbrechen auf okkulter Basis, das andere ist eine Geisteskrankheit. Der Psychiater wegen muß hinzugefügt werden, dаß kein sexueller Ver­folgungswahn mit anschließender Ausgleichsvision vorlag.

Einige Jahre lang habe ich zusammen mit Waldemar Didschun in der Deutschen Zeltmission evan­gelisiert. Zum Thema Liebeszauber gab er mir einen Bericht, der hier in kurzen Worten folgt.

B 41 Ein Mädchen beichtete ihm, daß es nachts von einem Mann um Mitternacht gerufen werde. Wie eine Traumwandlerin folge es bei vermindertem Bewußtsein diesen Rufen, obwohl sie es nicht wolle. Die Beichtende bat den Evan­gelisten ihr zu helfen. Sie vereinbarten folgendes. Der Evangelist soll vor dem Ausgang innerhalb des Hauses warten, bis sie gerufen werde. Kaum hatte die Turmuhr 12 Uhr geschlagen, kam die junge Frau wie in halber Trance oder halber Hypnose aus ihrem Schlafzimmer und murmelte vor sich hin: „Du rufst mich. Ich komme.” Did­schun rief sie beim Namen. Mit einem Ruck kam die Traumwandlerin zur vollen Besinnung. Didschun wies ihr den Weg, wie sie sich in Zukunft verhalten sollte. Die Frau wurde frei, aber der Seelsorger hatte hinterher eine lange Zeit nachts furchtbare Angriffe. Er wurde hart geschlagen.

Es liegen hier gleich zwei Formen der Mental­suggestion vor. Einmal wurde die junge Frau durch befehlende Telepathie gerufen. Zum anderen wurde die Mentalsuggestion zu einer Angriffsmagie benutzt. – Daß bei der Mentalsuggestion keine Krankheit, sondern ein okkulter Vorgang im Spiel ist, zeigt, daß man sich im Gebet dagegen wehren kann. Dazu ein Beispiel aus meiner Arbeit.

B 42 Der Besitzer einer Mühle war Spiritist, der verschiedene okkulte Fähigkeiten besaß, die er praktizierte. Er arbeitete auch mit dem 6./7. Buch Mose, einem Zauberbuch, das auch „Teufelsbi­bel” genannt wird. Er konnte nachts weibliche Personen rufen und sich gefügig machen. Als seine Frau im Krankenhaus lag, rief er nachts telepa­thisch seine Schwägerin, die eine gläubige Christin war. Als sie den mentalen Ruf vernahm: „Komm zu mir”, betete sie und gebot im Namen Jesu. Sie unterlag nicht den okkulten Künsten ihres Schwa­gers, hatte aber in Zukunft seine merkwürdigen Angriffe abzuwehren.

Es folgen nun einige Beispiele, die von den Fach­ärzten meist als Verfolgungswahn diagnostiziert werden.

B 43 Eine intelligente Lehrerin hat sogenannte physikalische Verfolgungsideen. Sie lebt in der Vorstellung, daß ihre Nachbarn unterirdische Gänge unter ihr Haus bohren und sie bestehlen. Sie behauptet, ihr Terrazzoboden sei ursprünglich 40 cm dick gewesen und jetzt nur noch 20 cm. Die Holzleisten am Fußboden seien viel höher gewe­sen. Die Nachbarn würden Maschinen verwen­den, die auf Distanz die Leisten abschleifen könnten.

Die Lehrerin ist Christin, liest die Bibel und kann beten. Trotzdem glaubt sie diesen Unsinn. Es ist eindeutig eine Wahnvorstellung. Der physika­lische Verfolgungswahn hat verschiedene Auswir­kungen. Diese Kranken sagen, sie würden unter Strahlen stehen oder elektrisch geplagt werden. Bei solch einer Aussage ist für den Seelsorger besondere Vorsicht geboten. Menschen mit einem Verfolgungswahn behaupten auch gern, sie wür­den magisch verfolgt werden. Man darf sich da­durch nicht zu falschen Schlùßfolgerungen verlei­ten lassen.

Bei der Lehrerin muß beachtet werden, daß ihr Vater Spiritist war, der das spiritistische Tischrüc­ken praktiziert hat. Es ist schon darauf hingewie­sen worden, daß 50 % aller Neurotiker, die in meiner Seelsorge waren, okkult arbeitende Vorfahren hatten. Wiederum muß ich davor warnen, daß diese Aussage nicht als Ursache und Wirkung ausgelegt werden darf. Es gibt ebenso viele Neu­rotiker, die nichts mit dem Okkultismus zu tun haben.

Man darf auch nicht dem Kurzschluß verfal­len, daß alle Erkrankungen des Menschen bei seiner Hinkehr zur Christus behoben werden. In dem Kapitel über das „Resistenzphänomen” werden weitere Sachverhalte deutlich gemacht werden.

Nun wenden wir uns einigen Missionsfeldern zu, die ich jahrelang bereist habe. In heidnischen Län­dern spielt die Magie und Zauberei eine viel größere Rolle als in Europa. Einige Beispiele:

B 44 In Liberia und in Südafrika bei den Xhosas wurde mir mehrfach von einem Schlangenwahn berichtet. Ich erinnere an den Läuse-, Mäuse- und Spinnenkomplex. Hier geht es um einen ausge­prägten Schlangenkomplex. Ein Fabrikarbeiter kam zum Arzt und erklärte: „Ich bin voll Schlan­gen im Leib, im Ärmel, in der Hose, um den Hals.” Der Arzt lachte und sagte: „Ich sehe aber keine.” Der Unglückliche läßt von seinem Wahn nicht ab und läuft von der Arbeitsstelle weg, weil er die Kollegen als Urheber seiner Schlangenplage verdächtigt.

Was steht hinter dieser Schlangenplage? In den afrikanischen Ländern sind die Arbeitsplätze sehr begehrt. Es gibt folgende Methode, zu einem Arbeitsplatz zu kommen. Schwarze Arbeiter ge­hen zu einem Zauberer, bezahlen ihn gut und verlangen, daß er auf diese okkulte Weise einen Arbeitsplatz freimacht. Für Europäer ist das un­verständlich. Bei mehr als 30 Besuchen der afrika­nischen Länder sind mir viele „unmögliche” Ge­schichten gebeichtet oder erzählt worden. Von Afrika reisen wir ostwärts in den Pazifik.

Rund 20 Inseln des Pazifischen Ozeans durfte ich besuchen. 1964 war ich mit Pfarrer Pagel zusammen auf der Insel Manus, die heute unter der Verwaltung von Papua Neuguinea steht. Eine Geschichte zur Mentalsuggestion ist mir in Erinnerung geblieben. Ein Insulaner lag im Sterben. Er rief telepathisch seinen Sohn herbei, der rechtzeitig zum Tode des Vaters eintraf. Das ist kein Einzelfall. Viele Heiden haben solche medialen Fähigkeiten. Seit die Lieben­zeller Mission auf dieser Insel arbeitet, gingen die medialen Fähigkeiten zurück. Von Manus aus gehen wir südwärts nach Austra­lien. Im Stamm der Wongai fand ich die ausgeprägte­ste Form der Telepathie. Ich habe darüber in meinem Buch Name über alle Namen Jesus berichtet. Der junge Häuptling des Stammes, Puwantjara, wurde mein Freund. Er gab mir tiefe Einblicke in das Stammesleben. Der Stamm hat noch etwa 2000 Glie­der, die in der westaustralischen Wüste als Nomaden leben. Der Häuptling regiert diese Stammesmitglie­der mit Telepathie. Er ruft sie oder gibt telepathisch Befehle. Uber 2000 km hinweg werden die Informa­tionen des Häuptlings telepathisch verstanden. Als Puwantjara Christ wurde, hat er die Fähigkeit verlo­ren, den Stamm telepathisch zu leiten. Innerhalb seiner Familie blieb der telepathische Kontakt erhal­ten. Auch das wirft ein Licht auf die umstrittene Mentalsuggestion. Sie hat eindeutig medialen, ok­kulten Charakter. Nur ein kleiner Rest, vielleicht 1 oder 2 % der Telepathie hat nicht okkulten Charak­ter. Man kann das ausführlich in dem erwähnten Buch nachlesen.

Vom Pazifischen Ozean gehen wir ostwärts nach Südamerika. In allen heidnischen Stämmen wird heute noch Zauberei getrieben. Es gibt Verzauberer und Entzauberer. Mit Magie ge­koppelte Mentalsuggestion wird dazu benutzt, um einem Feind zu schaden oder ihn krank zu machen. Auf dem gleichen Weg kann Hilfe gebracht werden, wenn der Entzauberer größere Macht besitzt. Oft entstehen dabei magische Kämpfe zwischen Rivalen. Das wurde mir auch auf der „Teufelsinsel” Bali von einem einheimischen Pfarrer mitgeteilt.

Untersuchen wir kurz die magischen Bräuche der südamerikanischen Stämme in Peru, wo die Schwei­zer Indianermission arbeitet. Auf ihre Einladung hin hatte ich in ihrer Bibelschule auf km 15 – so heißt die Station – 29 Vorträge. Es war ein großes Erlebnis, junge Indianer aus 12 Stämmen, die sich früher bekriegten, einträchtig beieinander zu sehen. Ich habe mir ihre Namen aufgeschrieben und ihre Stam­mesgeschichten gehört. Folgende Stämme waren vertreten: Aguaruna, Huambisa Shapra, Ticuna, Co­cama, Shipibo, Conibo, Cashibo, Campa, Piro, Machiguenga, Bora.

Einige der Stämme konnte ich besuchen. Missio­nar Zehnder aus der Schweiz brachte mich mit dem Boot zu den Shipibos, denen ich ihr erstes Buch druckte, ein Liederbuch mit Texten, Noten und Bildern aus dem Leben Jesu. Missionar Sachtler flog mit mir in einem Wasserflugzeug zu den Aguarunas. Bilder und Erlebnisse dieses Besuches sind in mei­nem Buch Jesus auf allen Kontinenten veröffent­licht.

Nun zu der Zauberei dieser Stämme an den Quell­flüssen des Amazonas.

Die Shipibos haben drei Gruppen von Heilern: die Zauberer, die mit magisch verstärkter Mentalsugge­stion heilen, die Kräuterdoktoren, die nach Wurzeln und heilkräftigen Pflanzen suchen, und die Chiro­praktiker oder „Knochenrichter”. Manchmal übt ein Mann zwei oder drei Funktionen aus. Wie überall können die Zauberer nicht nur heilen, sondern auch krankmachen.

Bei den Piros gab es eine Art spiritistische Hei­lung. Die Geistheiler rufen abends die Geister, spre­chen mit ihnen rund 10 Stunden von abends 8 Uhr bis morgens 6 Uhr. Dann senden sie diese Geister zu den Kranken, um sie gesund zu machen. Seit die Mission unter diesem Stamm arbeitet, ist diese Form der Heilung verschwunden.

Ihr Unwesen treiben aber immer noch die Kahont­schis. Missionar Hauser berichtete mir von ihnen. Diese Magier können heilen und verfolgen. Mit Hilfe von Tabakrauch sendet der Kahontschi einen Dämon zu einem Feind. Der Verfolgte bekommt dann Fieber und stirbt. Manche Zauberer begnügen sich damit, ihrem Opfer nur Schmerzen zu verursachen. Die Missionare treten diesem Unwesen entgegen, darum erfolgt die unheilvolle Tätigkeit der Zauberer im Hintergrund.

Bei den Aguarunas heißen die Zauberer Brujo. Das ist ein spanisches Wort, das seltsamerweise deut­schen Ursprungs ist. Es gibt in Südamerika rund 2 Millionen Siedler deutscher Abstammung, die das schwäbische Wort „brauchen” mitgebracht haben. Aus „brauchen” wurde brucho. Die Händler auf den Flußläufen brachten dann den Indianern das Wort „Brujo”. Die Indianer haben aber auch ihre eigenen Ausdrücke. Einer davon lautet: Wai Wai.

Die Aguaruna-Zauberer trinken das berauschende Getränk Ayawasca und fallen damit in eine Volltran­ce oder Halbtrance. In diesem Zustand können sie in passiver Mentalsuggestion Krankheiten erkennen und in aktiver Mentalsuggestion Heilungsimpulse aussenden.

Bei der Zauberei gibt es drei herausragende Beob­achtungen:

1. Die Spielregeln der Magie sind stets die glei­chen. Hinter dem, was rational erfaßbar ist, deutet sich eine übersinnliche, außermenschli­che Macht an.
2. Beachtenswert ist die Konstanz der Magie durch die Jahrtausende. Aus der Bibel wissen wir von der ägyptischen und kanaanitischen Zauberei. Die Symptome sind bis heute so geblieben.
3. Es besteht auch eine ethnische oder geographi­sche Konstanz. Auf allen Kontinenten, in allen Ländern gelten die gleichen Methoden der Zau­berei.

S 16 Diese Fakten weisen auf einen Bereich jenseits der Grenzen menschlicher Vernunft hin. Dieser Mentalbereich ist dem wissenschaftlichen Denken und Forschen nicht zugänglich. Dafür braucht man eine andere Ausrüstung: den Heiligen Geist, der in alle Wahrheit leitet.

Heilungs- und Verfolgungsmagie gibt es nicht nur in heidnischen Völkern, sondern auch in der zivili­sierten Welt. Als herausragende Bewegung, die in­tensiv mit Mentalsuggestion arbeitet, sei die „Christ­liche Wissenschaft” genannt. In meinem Buch Ok­kultes ABC steht darüber ein Kapitel mit Beispielen.

Mary B. Eddy meint, daß „mind-healing”, die geistige Konzentration auf einen Kranken, die richti­ge Heilung sei. Die Umkehrung davon – das Krank­machen – dagegen sei die Malpraxis. Sie ist in den Büchern Science and Health und in Vermischte Schriften insgesamt 15mal erwähnt. Mit biblischen Vorgängen, Gebet und Glauben hat die „Christliche Wissen­schaft” nichts zu tun.

Einige Beispiele zur Anwendung der Mentalsug­gestion:

B 45 Eine Arztfrau erzählte mir, daß ihr Schwa­ger, ein evangelischer Pfarrer, ein Okkultist sei. Er macht spiritistische Experimente, betreibt Hyp­nose und mentale Angriffsmagie. Er kann auf Entfernung seinen Gegnern Schmerzen verursa­chen und bei ihnen Ekzeme hervorbringen. Der Pfarrer hat sechs Brüder, die ihm Hausverbot erteilt haben. Dieser religiöse Okkultist ist Freund extremer Pfingstrichtungen. Als er einmal Bran­ham begegnete, sagte ihm dieser: „Sie sehen aus wie der Engel, der mir täglich erscheint.” Bran­ham war ja auch ein praktizierender Spiritist und führte nur aus, was sein Kontrollgeist ihm auftrug.

B 46 Ein anderes Erlebnis stammt aus Kanada, wo ich insgesamt 18mal evangelisierte. Eine Frau beichtete, daß sie aktive Zauberei getrieben habe. Sie war als Mädchen mit einem jungen Mann befreundet, mit dem sie sich eingelassen hatte. Der junge Mann ließ sie im Stich. Sie suchte eine „Hexe” auf und bat um ein Rachemittel. Diese gab ihr einen Spruch aus dem 6./7. Buch Mose, den sie jeden Abend anwandte. Der junge Mann saß an der Kasse eines Kinos. Jeden Abend zur bestimm­ten Zeit bekam er rasende Leibschmerzen, die so stark wurden, daß er sich auf dem Boden wälzte. Man teilte dies dem Mädchen mit, sie solle sich um ihn kümmern, da er vielleicht sterben würde. Als sie ihn sah, erschrak sie. Er hatte eingefallene Wangen, war gelb im Gesicht und erzählte ihr von seinen periodischen Schmerzen. Daraufhin ließ sie von ihm ab. Seine Schmerzen hörten auf. Seit dieser Zeit fand sie aber keinen Frieden und suchte Hilfe bei Christen, fand sie aber nicht. Schließlich kam das Mädchen auch zu mir und beichtete. Sie bekannte, daß sie einen Spruch aus dem 6./7. Buch Mose mit den drei Höchsten Namen benutzt hatte. Es war also eine Mentalsuggestion nach der Regel der sogenannten „weißen Magie”.

B 47 In Österreich erlebte ich das gleiche Bei­spiel, nur umgekehrt. Ein junges Mädchen wurde von einem Mann heftig umworben. Da sie wußte, daß er mit dem 6./7. Buch Mose Experimente anstellte, gab sie seiner Werbung nicht nach. Er drohte ihr dann: „Warte, das mußt du büßen.” In der Nacht darauf wurde sie von unsichtbaren Mächten furchtbar geschlagen. Dieser Vorgang wiederholte sich oft und steigerte sich so, daß sie blutig geschlagen wurde. Sie kam zu mir zur Aussprache. Ich trug diesen Fall Prof. W. von der Universität Graz vor. Er ist Mediziner und zu­gleich Parapsychologe. Er meinte, vielleicht krat­ze sich das Mädchen an einer harten Bettkante den Rücken auf, oder es seien Dermographismen auf­grund eines starken Erregungszustandes. Diese Diagnose stimmte nicht, da sich die blutigen Schlagstellen am ganzen Körper zeigten. Außer­dem konnte das Mädchen nach seelsorgerlicher Beratung im Gebet die nächtlichen Angriffe ab­wehren.

Die Mentalsuggestion, die zur Fernheilung oder zur magischen Verfolgung eingesetzt wird, hat stets Folgen. Dazu habe ich einige tausend Beispiele seit 1930 gesammelt. Ein Beispiel soll das zeigen.

B 48 Ein Mann ging mit einer Lungentuberku­lose in die Behandlung eines Lungenspezialisten. Die Röntgenaufnahme zeigte in der Lunge ein Loch von der Größe eines Hühnereis. Der Patient wurde sofort nach Davos überwiesen. Die Ärzte machten der Frau keine Hoffnung auf Heilung. Daraufhin ging seine Mutter zu dem okkulten Heilpraktiker Grätzer nach Maria Einsiedeln. Ge­gen ein reichliches Honorar nahm Grätzer an dem Lungenkranken eine Fernbehandlung vor. Wider Erwarten der Ärzte und des Patienten selbst führte die Fernbehandlung zu einer vollen Heilung. Von der Zeit der Heilung an veränderte sich der Patient charakterlich und religiös. Er trat aus der Kirche aus und schob alles Göttliche von sich weg. Er stürzte sich in ein lasterhaftes und vergnügungs­süchtiges Leben und ließ seiner sexuellen Trieb­haftigkeit freien Lauf. Gleichzeitig stellten sich auch Selbstmordgedanken ein. Seine seelischen und nervösen Störungen brachten ihn schließlich in die Seelsorge. Jedesmal, wenn man mit ihm beten wollte, war seine Gedächtniskraft und seine Aufnahmefähigkeit weg. Er fiel jedesmal in eine Absence. Die Absencen, die durch Gebet ausge­löst werden, sind übrigens ein Symptom, daß der Betreffende magisch besprochen worden ist. Dieses Beispiel gehört gleichzeitig in das Kapitel der Resistenzphänomene. Es gibt eigentlich bei allen magischen Praktiken Querverbindungen. Dazu gibt es ein Kapitel in meinem Buch Seelsorge und Media­lität, ab Seite 581.

S 17 Zur mentalsuggestiven Heilung eine langjäh­rige Beobachtung. Es finden nur Verlagerungen statt. Die magische Heilung eines organischen Lei­dens wird mit seelischen Störungen bezahlt. Die Störungen treten häufig erst bei einer geistlichen Beeinflussung auf.

Nun folgt ein Beispiel, das ich mit großem Herz­weh wiedergebe. Es handelt sich um eine Seelsorge, die sich über Jahre erstreckte und doch erfolglos blieb. Das macht die Tatsache deutlich, daß der Seelsorger nichts ist, und nur einer helfen kann: Jesus Christus. Er befreit aber nicht jeden Zauberer, für den gebetet wird, wenn der betreffende Magier nicht mit ganzem Ernst von seinen unheimlichen Kräften loskommen will.

B 49 Ein Junge, dessen Eltern und Großeltern ich kannte, wurde drei- oder viermal zu den stärksten Zauberern von Appenzell gebracht. Er nannte mir Namen wie Hermano, Grünefelder, Schneider, Grätzer usw. Diese Männer, die alle mit Mentalsuggestion und Magie arbeiteten, er­kannten die starke mediale Veranlagung des jun­gen Burschen und eröffneten ihm eine erfolgreiche Laufbahn als Naturheiler. Das alles war das Vor­spiel dessen, was nun folgt. Mit 13 Jahren schon entdeckte Erino die Fähigkeit, auf Entfernung Menschen beeinflussen zu können. Er konnte z. B. auf eine Entfernung von 100 km mit Hilfe einer Handschriftprobe die Krankheit einer ihm völlig fremden Person richtig angeben. Stellte er sich in seinen Gedanken auf die kranke Person ein und dachte konzentriert an die Heilung des Kranken, dann trat bei dem Patienten tatsächlich eine Besserung ein. Nach dieser konzentrierten Ge­dankenarbeit wusch er sich immer die Hände, um gleichsam die fernübertragenen Krankheitsstoffe, wie er sich ausdrückte, abzuwaschen. Ein Beispiel sei erwähnt. Im Alter von 16 Jahren erhielt er eine Handschriftprobe. Er schloß halb die Augen und fuhr mit den Fingern die handgeschriebenen Zei­len ab. Die Diagnose lautete: Nierenerkrankung und Ekzem am linken Bein. Die betreffende kran­ke Frau war 120 km vom Wohnort des Jungen entfernt. Die Diagnose des Jungen stimmte mit dem Arztzeugnis überein. Die Frau litt seit 6 Jahren an offenen Ekzemen. Ärztliche Hilfe hatte bisher versagt. Der Junge versuchte eine Fernbe­einflussung. Er dachte mit großer Konzentration an den Satz: „Ich will dir helfen.” Er betete sogar zu Gott, um seine Gedankenkonzentration zu verstärken. Nach zwei Monaten überzogen sich die Ekzeme mit einer dünnen Haut. Was 6 Jahre lang ärztliche Hilfe nicht erreichte, wurde der Patientin durch Fernbehandlung gegeben.

Der Junge fühlte auch bei persönlicher Begeg­nung den Menschen die Krankheiten und den Charakter ab. Er spürte hellfühlend oder instink­tiv bei Christen, ob ihr Glaube echt ist oder nicht. Erino machte bei der Inanspruchnahme seiner fernwirkenden Kräfte selbst die Beobachtung, daß seine Schulleistungen und die übrigen geistigen Fähigkeiten jedesmal absanken, wenn er seine medialen Gaben gebrauchte. Er fragte sich, ob seine Fähigkeiten Naturgaben seien und ob er sie ohne Schaden für seinen inneren Menschen ge­brauchen könne.

Bemerkenswert ist, daß dieser junge Fernheiler auf sexuellem Gebiet keine Anfechtungen hatte und deshalb auch noch nie onanierte. Diese Fest­stellung paßt in den Rahmen der fernwirkenden Kräfte. Alle Fernheiler erklären, daß sie bei geschlechtlicher Enthaltsamkeit größere Fähigkeiten besitzen würden. In religiöser Hinsicht zeigten sich bei einer geistlichen Betreuung des jungen Fernheilers typische Merkmale. Wenn man mit dem jungen Heiler beten wollte und ihn auf Christus hinwies, wurde ihm schwarz vor den Augen. Er war dann im Kopf so verwirrt, daß er nicht einmal ein vorgesprochenes Gebet satzweise nachsagen konnte. Er büßte jegliche Konzentra­tion ein. Hörte man mit dem Gebet und dem Zuspruch des Wortes Gottes auf, dann war er wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Der Junge wollte gern Christus nachfolgen und gab sich alle Mühe. Es gelang ihm aber nicht, an Christus zu glauben und sein Leben ihm zu über­geben.

Die Großeltern und die Mutter kamen in alle meine Vorträge, wenn ich in der Schweiz evangeli­sierte. Mit Erino selbst hatte ich gute Gespräche. Er war offen für das Evangelium, drang aber nicht durch. Nach dem Schulabschluß erlernte er keinen Beruf, sondern fing eine Heilerpraxis an. Er ver­sprach mir zwar, daß er sich in keine dunklen Dinge einlassen wolle. Seine Medialität war aber stärker als sein guter Wille. Ich habe viele Jahre für ihn gebetet und dann die Verbindung mit ihm verloren. Er praktiziert heute im Eldorado der magischen Heiler, im Kanton Appenzell.

Es ist gut, wenn manchmal einem Seelsorger demonstriert wird, daß er ein unnützer Knecht ist (Luk. 17,10). – (Erino ist nicht der richtige Name des Jungen.)

S 18 Ich nehme an, daß es auch ungefährliche Formen der Mentalsuggestion gibt. Ich bekomme jedoch in der Seelsorge eine negative Auslese zu Gesicht. Auf jeden Fall aber ist die Mentalsuggestion in der Kombination mit Magie, Spiritismus und anderen okkulten Praktiken ein unheilvolles Unterfangen.

Naturgabe und Charisma – oder Medialität

Diese drei Gebiete werden oft verwechselt. Sogar aktive Christen halten manchmal ihre Fähigkeit, mit der Wünschelrute zu gehen, für eine schöpfungsbe­dingte Gabe. Vor einigen Jahren kam ein Buch heraus, dessen Titel und Autor ich nicht nennen will, weil der Verfasser einer meiner Freunde war, der inzwischen verstorben ist. Sein Buch wurde wegen zu großer Zugeständnisse gegenüber der Parapsy­chologie teilweise heftig kritisiert. Ich kam mit ihm ins Gespräch darüber. Er bekannte: „Ich kann selbst mit der Rute gehen, praktiziere das aber nicht.” Ich fragte ihn: „Wo hast du das her?” Seine Antwort war:

„Diese Fähigkeit bestand schon bei meinen Vorfah­ren.” Also eine Vererbung, die sich dann in der harmlosen Beurteilung parapsychologischer Phäno­mene niederschlug.

In dem Katalog der medialen Kräfte sind nicht alle Formen genannt worden. Unter dem Gesichtspunkt der Verharmlosung sollen drei weitere Gebiete ge­nannt werden, die zusammengehören. Sinn der ver­schiedenen Beispiele ist der Hinweis oder Wahrheits­beweis, daß die paranormalen Fähigkeiten in diesem Bereich keine Gaben Gottes sind. Es handelt sich um:

I. Rückschau-Erlebnisse, Fähigkeit des zweiten Gesichtes.

II. Zeitgleiche Visionen oder auch Miterlebnisse auf Entfernung. Sie können als Wahrtraum oder als Wachvision erfahren werden.

III. Vorschauerlebnisse – die Nekroskopie. Es handelt sich bei diesen Gruppen nicht um Halluzinationen, also Symptome einer Gei­steskrankheit, sondern um Erlebnisse im medialen Bereich mit wenigen Ausnahmen, die einen anderen Charakter haben können.

IV. Medial sind auch die Pseudocharismata.

I.

B 50 Vor Jahren hatte ich einen Mann in der Seelsorge, der die Fähigkeit des zweiten Gesichtes besaß. Er konnte Verstorbene aus zwei Jahrhun­derten sehen. Aus der Zeit Napoleons erschienen ihm am hellen Tag Soldaten in der damaligen französischen Uniform. Fuhr ein Auto in eine solche Kolonne hinein, geschah gar nichts. Hinter dem Auto waren die Phantome wieder zu sehen.

Das bestätigt zum Beispiel die Annahme, daß das Totenreich gegenwärtig, aber unserer Di­mension enthoben ist. Die nicht materiellen Körper und die lebenden Menschen stören sich gegenseitig nicht. Es ist, wie Prof. Rohrbach sagte, ein Ineinander von Unsichtbarem und Sichtbarem.

Nun ist die Frage, wie wir diese mediale Veranla­gung einzustufen haben. Soll das eine Gabe Gottes sein? Ich fragte diesen Mann nach seiner Familien­vorgeschichte. Das Ergebnis war aufschlußreich. Seine Mutter und Großmutter waren Krankheits­bannerinnen durch magische Kräfte. Ich zeigte die­sem Mann den Weg zu Jesus und wollte wissen, ob er sich dieser Gabe erfreue, oder ob sie ihm lästig sei. Er erklärte, er leide seelisch und nervlich darunter. Dann betete ich mit ihm ein Lossagegebet. Der Herr erhörte überraschend schnell. Dieser Bruder war von diesem Augenblick an frei von seiner medialen Fä­higkeit.

B 51 Bei einer Vortragstour im südlichen Afrika kam eine Pfarrfrau zu mir in die Seelsorge. Sie berichtete, daß sie beim Beten und Bibellesen stets angefochten sei. Sie hatte auch die Fähigkeit des zweiten Gesichtes. Auf meine Fragen nach ihren Vorfahren gab sie zu, daß ihr Großvater magischer Krankheitsbanner und Besprecher gewesen sei. Alle seine Nachkommen, zu denen sie auch ge­hört, hätten die Fähigkeit des zweiten Gesichtes und andere mediale Kräfte.

In meiner Kartei befinden sich unzählige Beispiele des zweiten Gesichtes. Alle stammen aus dem Milieu des magischen Brauchtums. Meistens sind solche angeblichen Naturgaben auch gekoppelt mit einer depressiven Veranlagung und Störungen des christli­chen Glaubenslebens. Noch einige Beispiele dazu.

B 52 Eine Gemeindehelferin kam in die Seelsor­ge und klagte über Depressionen und der Bela­stung durch mediale Erfahrungen. Meine Frage, ob sie besprochen worden sei, bejahte sie. Groß­vater und Vater nahmen magische Hilfe in An­spruch. Ihr Vater hatte als kleiner Junge eine Blutvergiftung, die sich bedrohlich verschlimmer­te. Der behandelnde Arzt wies den Jungen zur Amputation eines Fingers in ein Krankenhaus ein. Der Chirurg besah sich den Schaden und erklärte: „Kommt morgen früh zur Amputation des Fin­gers.” Der Vater kam am nächsten Tag wie be­stellt. Der Chirurg fragte: „Was habt ihr gemacht? Der Finger ist besser. Eine Amputation ist nicht mehr notwendig.” Der Vater erklärte wahrheits­gemäß: „Wir waren bei einem Heilpraktiker, der vermutlich mehr kann als die Ärzte.”

Die Hand des Jungen heilte rasch. Er war aber zeit seines Lebens seelisch bedrückt und belastet. Die Tochter des besprochenen Mannes ist die berichtende Gemeindehelferin, die seit ihrer Ju­gend unter der Fähigkeit des zweiten Gesichtes leidet.

Vor vielen Jahren, als Rhodesien noch für Euro­päer freies Reiseland war, nahm ich die Einladung einer Baptisten-Gemeinde in Salisbury an, um dort Vorträge zu halten. Rhodesien ist das heutige Simbabwe, und Salisbury wurde in Harare umbe­nannt. Nach den Vorträgen hatte ich wie üblich Seelsorge. Ein Beispiel übernahm ich in meine Kartei.

B 53 Ein Professor der medizinischen Fakultät berichtete in der Aussprache, daß er die Fähigkeit des zweiten Gesichtes habe. Diese medialen Bela­stungen seien schon bei seinen Vorfahren bekannt geworden. – Mir zeigte dieses Beispiel, daß auch die hochintellektuellen Kreise medial verseucht sein können. Der Verstand schützt nicht vor mysteriösen Belastungen.

II.

Die Fähigkeit des zweiten Gesichtes erstreckt sich nicht nur auf Nacherlebnisse und Beobachtung von Verstorbenen vergangener Zeiten. Es gibt zahlreiche verbürgte Fälle, daß Menschen in der Sterbestunde eines entfernt wohnenden Verwandten alles miterle­ben. Ein Beispiel dazu.

B 54 Ein okkulter Praktiker schrie eines Nachts auf. Seine Frau weckte ihn und fragte: „Was hast du geträumt?” Der Ehemann antwortete: „Mein Bruder rief mich und schrie: Hilf mir!” Am nächsten Morgen kam ein Telegramm mit der Todesanzeige. Der Traum war in der Sterbe­stunde des Bruders erfolgt.

B 55 Eine Fischersfrau an der Nordseeküste wurde eines Morgens durch starkes Klopfen an der Tür aus dem Schlaf geweckt. Sie sah nach, wer der frühe Besucher wäre. Sie entdeckte niemand an der Tür. Augenblicklich kam ihr der Gedanke, ihrem Mann wäre auf hoher See bei dem Fischzug etwas zugestoßen. Ihre Vermutung bestätigte sich. Der Mann war in dieser Nacht ums Leben gekommen. Das Türklopfen war gleichsam der letzte Gruß des Verunglückten.

Diese gleichzeitigen Miterlebnisse gibt es in gro­ßer Zahl. Meine Kartei weist viele Beispiele dieser Art besonders aus der Kriegszeit aus. In der Beur­teilung ist Vorsicht geboten. Diese gleichzeitigen Visionen vom Sterben oder Tod naher Angehöri­ger können auch mit einem natürlichen telepathi­schen Kontakt erklärt werden. Das Gros derarti­ger Erlebnisse ist medial, also okkult bedingt. Es gibt aber zwischen Menschen, die sich sehr liebha­ben, eine seelische Kontaktbrücke, eine Reson­nanz, ein Mitschwingen des Herzens, wenn dem geliebten Menschen in der Ferne etwas Leidvolles zustößt.

Aufschlußreich sind Erlebnisse von Kindern, die auf dem Weg der Vererbung nicht durch eigene okkulte Betätigung medial geworden sind. Dazu ein Hinweis aus meiner seelsorgerlichen Arbeit.

B 56 Bei Vortragstouren in Südafrika wohnte ich einige Male bei einem Arzt. Er ist Christ, hatte aber doch Gefallen an fernöstlichen Systemen und betrieb z. B. auch Yoga. Er wurde dabei medial, wenn er es nicht schon vorher war. Nachweislich stellte sich erst nach den Yogaübungen die Fähig­keit des zweiten Gesichtes ein. Er sieht seit einigen Jahren eine weiße Katze nur als eine Vision. Danach stirbt immer jemand aus der Verwandt­schaft. Seine kleine Tochter zeigt die gleichen Fähigkei­ten. Bei einer Fahrt zur Schule fuhr die Mutter mit dem großen Wagen hinterher. Das Kind sagte dabei zum Vater: „Wenn Mama jetzt gegen einen Felsen fährt, ist sie tot.” Der Vater verwehrte dem Kind dieses Gespräch und erwiderte: „Wir haben heute Morgen gebetet, daß uns beim Autofahren nichts passiert. Fange nicht mehr davon an.” Die kleine Tochter konnte sich aber nicht beruhigen. – Auf einmal hörten sie hinter sich einen Krach. Die Frau war gegen eine Hauswand gefahren, weil die Bremsen versagt hatten.

Einige Jahre später hörte ich, daß auch der älteste Sohn mediale Fähigkeiten entwickelte. Vermutlich liegt also doch eine vererbte Medialität vor

III.

Im dritten Kapitel geht es um die zeitliche Voraus­schau von Todesfällen. Es geht also nicht um die allgemeine Präkognition, die Erfahrung eines zu­künftigen Sachverhaltes, der nicht logisch erschlos­sen werden kann, sondern um die spezielle Nekro­skopie.

B 57 Das erste Beispiel ist das Erlebnis eines evangelischen Pfarrers. Er ist ein liebenswürdiger Mann, der mir menschlich nahesteht. Meine Mei­nung über seine mediale Befähigung kann ich trotzdem nicht ändern.

Dieser Pfarrer hat die Gabe der Nekroskopie. Mir ist das in der Seelsorge schon vielfältig begeg­net. Ich habe diesen Bruder informiert, daß es nach meiner Erfahrung eine mediale Befähigung darstellt, die aus den Zaubereisünden der Vorfah­ren stammt. Er lehnte das entschieden ab mit dem Hinweis: „Meine Eltern und Großeltern waren fromme Leute.”

Für mich ist ein solcher Hinweis kein Gegenargu­ment. Es gibt Tausende von frommen Menschen, die in Unwissenheit okkulte Praktiken für harmlos hal­ten. In den anderen Fällen von Nekroskopie, die ich in der Seelsorge zu behandeln hatte, lagen okkulte Wurzeln vor. Einen Nachweis kann ich in dieser Geschichte des evangelischen Pfarrers nicht führen. Es geht hier nur um das Problem der groben Verwechslungen und Fehldeutungen. Meine Erfahrung in mehr als einem halben Jahr­hundert zeigt, daß sowohl die Fähigkeit des zweiten Gesichtes als auch der Nekroskopie mediale Bela­stungen darstellen.

Zu der Aussage des Pfarrers: „Ich hatte fromme Vorfahren”, folgender Hinweis.

B 58 Einer meiner Freunde ist Personalchef einer Firma mit 1300 Arbeitern. Nach der Umsiedlung der Deutschrussen aus Sibirien stellte die Firma viele der Umsiedler an. Der Personalchef sagte mir: „Es ist doch seltsam mit diesen Russen. Die Mehrzahl sind gläubige Christen, was wir sonst unter unseren Arbeitern nicht feststellen können. Von drei Russen sind jeweils zwei gläu­big.” – Übrigens ist das meine eigene Erfahrung auch.

Nun kommt aber die Kehrseite. Jemand sagte mir: „80 % der Deutschen aus Sibirien sind besprochen worden und haben depressive Belastungen und ande­re Auswirkungen einer okkulten Belastung.” Das hängt damit zusammen, daß diese Deutschen in Sibirien keine Ärzte hatten und daher mit ihren Erkrankungen zu den magischen Besprechern gingen. Einer von diesen belasteten Deutschrussen in­formierte mich mit folgender Darstellung: „Wir ha­ben in unserer Familie auf den Knien gebetet und Hausandachten gehalten. Wenn aber jemand krank wurde, nahmen wir unsere Zuflucht beim okkulten Heiler.”

Ich habe die Nekroskopie in verschiedenen Formen kennengelernt: als Wahnraum, als Wach­vision und als akustisches Erlebnis. Dazu einige Hinweise:

B 59 Eine Krankenschwester berichtete mir in der Aussprache einen Traum. Sie sah ihre entfernt wohnende Tante im Sarg liegen. Sie wußte nichts von einer Erkrankung dieser Verwandten. Der Blumenschmuck und die roten Lippen der Toten blieben ihr in der Erinnerung haften. Am nächsten Morgen kam ein Telegramm mit der Todesanzeige der Tante. Die Nichte reiste hin. Das Bild der Verstorbenen glich dem Traumbild.

Diese Krankenschwester erzählte mir weitere Erlebnisse auf diesem Gebiet. Ich erklärte ihr dann, daß ihre Fähigkeit des zweiten Gesichtes magische Wurzeln hätte. Die Familienvorge­schichte bestätigte meine Vermutung. Der Groß­vater war magischer Besprecher gewesen. Die Mutter und ihre Schwestern steckten ebenfalls in der Zauberei. Eine Blutsverwandte hatte Selbst­mord verübt. Eine andere Blutsverwandte ist ebenfalls mit dem zweiten Gesicht geplagt.

B 60 Ein Beispiel für eine Wachvision stammt aus einem evangelischen Pfarrhaus. Die 17jährige Hausgehilfin sah in der Vorschau, daß sie einen Säugling und die Mutter pflegte. Nach zwei Mo­naten würde aber die Pfarrfrau sterben. Eine Suggestion liegt nicht vor, denn das Mädchen hatte über die Vision geschwiegen. Die vorausge­schauten Ereignisse trafen alle ein. Über den Charakter der medialen Kräfte herrscht in der Christenheit große Verwirrung, bei den Pseudocharismatikern und bei den „Eisschrankchristen”. Ein Beispiel, das ich bei einer Evangelisation im norddeutschen Raum aufnahm.

B 61 Eine Frau erzählte in der Seelsorge, sie habe die Gabe, Todesfälle in der Verwandtschaft vorauszusehen. In ihren Träumen würde sie auch Gott, Christus und Engel sehen. Die Berichtende meinte, das seien biblische Träume, so wie es die Männer der Bibel erlebt hätten. Ich bestritt die Herkunft ihrer Träume und Visionen und wies darauf hin, daß in Familien mit praktizierenden Okkultisten solche visionären Erlebnisse sehr häufig seien.

Im Verlauf des Gesprächs kam dann der Pferde­fuß zum Vorschein. Bei der Frage nach den Vor­fahren erhielt ich die gleiche Antwort wie von dem evangelischen Pfarrer in B 57. „Meine Vorfahren waren fromme Leute.” Besonders der Urgroßva­ter sei speziell ein gottesfürchtiger Mann gewesen, der vielen Kranken hätte helfen können. Auf die Frage, wie er das gemacht habe, fuhr sie fort: „Der Urgroßvater hat bei Todesfällen vor der Beerdi­gung Nägel übers Kreuz in das leere Grab gewor­fen. Danach hat er drei Vaterunser gebetet und einen Spruch aus einem frommen alten Buch zitiert.”

Dieser Bericht zeigt eindeutig, daß dieser Ur­großvater weiße Magie nach den Regeln des 6./7. Buch Mose getrieben hatte. Das ist die Wurzel der Fähigkeit des zweiten Gesichtes und der Nekro­skopie.

Eine sehr markante Geschichte der Nekroskopie hörte ich in Port Elizabeth/Südafrika. Ich muß aus­drücklich erwähnen, daß ich Veröffentlichungsrecht habe. Die Erlebnisse von Frau Sutten würden ein Buch ausfüllen. Es soll hier nur ein einziges Beispiel folgen.

B 62 Frau Sutten sah lückenlos die Todesfälle in der Verwandtschaft voraus. Sie hörte häufig den sogenannten „Death Knock”, ein Klopfzeichen des Todes, voraus. Dabei wußte sie nicht, wem es jedesmal galt.

Frau Sutten hatte von ihrem Sohn, wohnhaft in East London, die Einladung erhalten, ihre Ferien dort zu verbringen.

In der letzten Urlaubswoche hörte sie nachts nicht den üblichen Death Knock, sondern sah einen Sarg senkrecht stehen. Sie stieß einen Schrei aus. Die Schwiegertochter erwachte und fragte sie: „Was hast du geträumt?” Frau Sutten antwortete: „Da steht ein Sarg.” Die Schwiegertochter erwi­derte: „Ich sehe aber nichts.”

Am Frühstückstisch wurde das nächtliche Er­lebnis besprochen. Der Sohn zwinkerte mit den Augen und meinte: „Die Mutter hat wieder einmal ihre Schrullen.”

Weil Frau Sutten aber ihre Angst nicht los wurde, erklärte der Sohn: „Ich fahre dich einen Tag früher als geplant zurück.” So geschah es. Es war ein Freitag. Daheim angekommen, lief ihr der elfjährige Sohn der dort wohnenden Tochter ent­gegen und hängte sich an ihren Hals. Am Sonntag fuhr die Schwiegertochter mit sechs Enkeln zur Sonntagsschule. Da raste aus einer Seitenstraße ein Mischling quer über die Hauptstraße und rammte das Auto mit den sechs Kindern, daß alle schwer verletzt waren. Der Elfjährige wurde im Kranken­haus operiert. Da auch das Rückenmark verletzt war, kam jede Hilfe zu spät. Er starb noch am gleichen Tag. Nun sprach der Sohn nicht mehr von Schrullen.

Natürlich fragte ich Frau Sutten nach ihren Vorfahren. Auch da kam heraus, daß der Großva­ter Besprecher und Spiritist gewesen war. Ich zeigte dann dieser heimgesuchten Frau den Weg der Befreiung durch Christus.

Bei einem Pfarrkonvent wurde ich gefragt: „Sind Ihre Beispiele nicht zu negativ. Es muß doch auch positive Erlebnisse geben.” Selbstverständlich gibt es Abertausende von biblischen Erlebnissen. Meine Bücher bringen dazu viele Berichte, vor allem aus den Erweckungsgebieten.

Mediale Erlebnisse haben aber einen negativen Charakter. Sie sind ein Katalysator für dunkle para­normale Erfahrungen, die nicht in den psychiatri­schen oder psychologischen Bereich gehören.

Hören wir andeutungsweise einige Erlebnisse mit biblischem Charakter.

B 63 Von Mutter Eva von Tiele Winckler wird berichtet, daß sie einmal eine ganze Woche lang innerlich gedrungen wurde, für ein bestimmtes chinesisches Missionsfeld zu beten. Erst ein halbes Jahr später erfuhr sie, daß diese Missionsstation von Räubern und Kommunisten belagert worden war, aber durch ein göttliches Eingreifen ver­schont blieb. Das war ein Miterleben nicht durch mediale Kontakte, sondern durch den Geist Gottes her­vorgerufen.

B 64 Zu meinen gesegnetsten Begegnungen gehört das Zusammentreffen mit Dr. Edman, dem Präsidenten des Wheaton College, und Dr. Evans, einem Veteran der Waliser Erweckung. Diese beiden Männer verbindet ein großes göttliches Erleben. Dr. Edman war als Missionar in Peru und steckte sich bei einer tödlich verlaufenden Epide­mie an. Er kam als Sterbender nach einem mehrtä­gigen Transport in ein Krankenhaus in Ecuador. Zur gleichen Zeit hatte Dr. Evans eine Bibelfrei­zeit im Osten der USA. An einem Tag fühlte er sich gedrungen, mit einer Gruppe für Dr. Edman zu beten. Die Gebetsgemeinschaft dauerte einige Stunden.

Beide Männer waren rund 6000 km von einan­der entfernt. Telefonische Verbindung gab es nicht. Das war ebenfalls ein „Miterleben”, durch den Heiligen Geist vermittelt. Dr. Edman starb nicht, sondern genas zum Erstaunen der Ärzte.

B 65 Einer meiner Freunde war der Evange­liumssänger Franz Knies. Er hatte eine Mutter, die wie die alte Hanna „Tag und Nacht nicht mehr vom Tempel wich”. Sie war eine Beterin, wie ich sie nur zweimal in meinem Leben antraf : Miss Mears in Kalifornien und Mutter Knies.

Als Franz noch nicht gläubig war, hatte er als Student Selbstmordgedanken. Er schrieb das selbst in seiner Biographie Beruf wurde zur Berufung. In seiner Misere stand er eines Tages auf der Isarbrücke in München und wollte sich ins Wasser stürzen. Seine Mutter sah ihn im Gebet in dieser Situation. Als sie Franz einmal in München besuchte, gingen sie über diese Isarbrücke. Plötzlich bieb die Mutter stehen und sagte: „Hier sah ich dich mit deinen dunklen Gedanken.” Franz war überrascht und meinte, seine Mutter beherrsche das „Spöken­ kieken”.

Hier hat Gott nicht den medialen, sondern den biblischen Kontakt im Gebet hergestellt.

S 19 Aus den gegebenen Beispielen schälen sich einige Symptome heraus. Rückschau und Vorschau sind keine Halluzina­tionen im psychiatrischen Sinn. Unter einer Hallu­zination versteht der Psychiater eine Sinnestäu­schung, bei welcher die Wahrnehmung kein reales Wahrnehmungsprojekt hat. So definiert Prof. Uwe Peters.

Mediale Rückschau- und Vorschau-Erlebnisse ha­ben einen realen Charakter. Es handelt sich um Ereignisse, die in der Vergangenheit geschehen sind oder in Zukunft erfüllt werden.

Mediale Erlebnisse und biblisches Geschehen las­sen sich unterscheiden. Mediale Vorschau hat stets einen negativen Charakter. Es werden Todesfälle, Katastrophen, Feuersbrünste, Überschwemmun­gen, Autounfälle usw. vorausgesehen, die sich nicht verhindern lassen.

Biblische Erlebnisse haben positiven Charakter. Gläubigen Menschen gibt Gott manchmal Warnungen in Träumen oder in Wachvisionen. Diese göttli­chen Warnungen erfüllen das Ziel der Bewahrung vor zukünftigen Gefahren.

Die Frage der Unterscheidung ist ein schweres Problem. Es ist oft nur möglich, wenn der betreffen­de Seelsorger ein wiedergeborener Christ ist. Mit­gliedschaft in einer Kirche oder Freikirche bedeutet noch nicht die Tatsache einer Wiedergeburt. 1. Kor. 2,14: Nur der geistliche Mensch kann unter­scheiden.

IV.

Charakter der pseudocharismatischen Bewegung und der in ihr wirksamen Kräfte

In diesem Kapitel ging es bisher um die fälschliche Zuordnung medialer Gaben zu den Gegebenheiten und Tatsachen des ersten Glaubensartikels. Es sollen Kräfte sein, die der Schöpfer in die Natur hineinge­legt hat, und die wir deshalb in Anspruch nehmen dürfen. . .

Noch schwieriger als die Vermischung mit dem ersten Glaubensartikel ist die Zuordnung der media­len Kräfte zu dem dritten Glaubensartikel. Mediale Außerungen sollen Wirkungen des Heiligen Geistes sein. Damit sind wir bei der charismatischen Bewe­gung, bei der solche katastrophalen Verwechslungen in Massen passieren.

Zur Beweisführung weise ich auf einen Mann hin, der zu dieser Bewegung eine positive Einstellung hat. Es handelt sich um den Psychoanalytiker Karl Guido Rey. Seine beiden Bücher Neuer Mensch auf schwa­chen Füßen. – Erfahrungen eines Psychoanalytikers mit GottGotteserlebnisse im Schnellverfahren. Suggestion als Gefahr und Charisma habe ich mit Gewinn gelesen.

Zunächst sei darauf hingewiesen, daß er für mich aus entgegengesetzter Richtung kommt:
Er ist Katholik, ich evangelischer Theologe. . . 
Beruflich ist Rey ein Psychoanalytiker. Hören wir einmal, was er in dem Vorwort des erstgenannten Buches schreibt.
„Ich hatte bisher zu sehr nur an die Psychologie geglaubt. . .  Ich erkannte jedoch während der letzten Jahre immer deutlicher, welche enge Gren­zen sowohl der Psychologie als auch der von ihr empfohlenen Selbstverwirklichung gesteckt sind. Diese Erkenntnis ließ mich, Grenzen überschrei­tend, immer intensiver nach Gott suchen. Ich durfte ihn finden und erfahren. Ein Wendepunkt, an dem ich mich umorientierte und mich ganz unter das Wort Paulus in Eph. 4,17-24 stellte:
Leget nun von euch ab nach dem vorigen Wan­del den alten Menschen, der durch Lüste im Irrtum sich verderbt. Erneuert euch aber im Geist eures Gemütes und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Ich möchte mit meinem Buch möglichst viele ermutigen, das Abenteuer der Veränderung mit Jesus Christus ebenfalls zu wagen.”

Auf Seite 123 dieses Buches schreibt er: „Dieses Christuserlebnis verändert Christen radikal.” Eine Auswirkung dieser Christuserfahrung ist die Tatsache, daß auch seine Familie diesen Weg fand. Wohltuend in den beiden Büchern von Rey ist, daß nirgends ein Hinweis auf den Marienkult zu finden ist. Der Kern bei Guido Rey ist echt, wenn auch an einigen Stellen die Eierschalen der charisma­tischen Bewegung zu erkennen sind.

Äußerst ergiebig in dem Abwehrkampf gegen unbiblische Erscheinungen bei der pseudocharisma­tischen Bewegung ist das andere Buch von Guido Rey Gotteserlebnisse im Schnellverfahren. Es können nicht alle Sachverhalte des Buches besprochen werden, sondern nur ein einziger Punkt: das Ruhen im Geist. Vor einigen Jahren wurde es aus den USA unter der Bezeichnung „Slain in the Lord” (erschlagen im Geist) importiert. Anfang unseres Jahrhunderts haben uns die USA schon einmal eine gefährliche Im­portware in Gestalt der Zungenbewegung beschert. Man soll mich nicht mißverstehen. Schon oft betonte ich, daß ich alle Gaben akzeptiere, die der Heilige Geist schenkt, mich aber entschieden gegen menschli­che oder gar dämonische Nachahmungen wehre.

Das „Ruhen im Geist” beobachtete ich bei Ka­thryn Kuhlman in Pittsburg (USA). Bei einer Hei­lungsversammlung kippten etwa 60 Leute am Po­dium um, die dadurch den Heiligen Geist empfangen hätten, wie Kuhlman und ihre Anhänger glauben. In der Sakristei hatte ich eine Unterredung mit dieser Frau. Ohne, daß ich darum gebeten hatte, betete sie mit mir unter Handauflegung. Sie hielt die Hände etwa 15 cm über meinen Kopf. Ich betete: „Herr Jesus, wenn diese Frau ihre Kräfte nicht von dir hat, bewahre du mich davor.” Es standen bereits zwei Älteste hinter mir, die mich auffangen sollten. Ich kippte aber nicht, sondern stand wie ein Fels. Ka­thryn Kuhlman war darüber ganz erstaunt und stellte Fragen an mich.

In Hamburg ist Pastor Wolfram Kopfermann der Meinung, es handle sich bei diesem Vorgang um ein biblisches, geistgewirktes Ereignis. Der Holländer Dr. van Dam – den ich übrigens sehr schätze – denkt ebenfalls wie Kopfermann. Es gibt ja treue Kinder Gottes in der charismatischen Bewegung. Es fehlt ihnen aber die Gabe der Geisterunterscheidung.

In der Ewigkeit wird Gott sich nicht nach Organi­sationen und Bewegungen richten, sondern nach dem, ob wir aus dem Heiligen Geist wiedergeboren und Jesus bis zu unserem Tod treu nachgefolgt sind. Wessen Christsein nur aus Kritik an anderen Bewe­gungen besteht, wird einmal zuschanden werden. Genauso geht es dem, der biblische Irrtümer erkannt und dazu geschwiegen hat. Man lese daraufhin die sieben Sendschreiben durch.

Guido Rey lehnt die Behauptung der Charismati­ker ab, es handle sich bei dem Rückwärtskippen um eine Geistestaufe. Da er dieses Gebiet auf fast hun­dert Seiten behandelt, können nur Stichworte wie­dergegeben werden. Hö­ren wir einiges:

S. 54 Wir erneuern die Kirche nicht, wenn wir umfallen. Es wäre schon besser, mit beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit des Alltages die Kernforderungen des Evangeliums zu erfüllen.

S. 59 Eines Sonntagnachmittags rief Kathryn Kuhlman alle Geistlichen aufs Podium. Fast 75 Per­sonen kamen ihrer Aufforderung nach und stellten sich zu ihr aufs Podium. Zweimal streckte sie die Hand aus, einmal rechts und einmal links, und alle diese Männer (75 Geistliche!) fielen zu Boden, über­einandergestapelt wie ein Stoß Holz.

Ein anderes Beispiel, das Guido Rey bringt, will ich selbst erzählen, weil der Bericht Reys zu lange ist. Kathryn Kuhlman war als Rednerin bei einer Konferenz der Geschäftsleute in Miami Beach (USA) eingeladen. Während die Evangelistin bete­te, sank eine große Zahl der Anwesenden zu Bo­den. Als andere Hotelgäste vom Hallenbad durch die großen Glastüren die Zuhörer zu Boden sin­ken sahen, meinten sie, es wäre die Auswirkung eines Hitzekollapses. Sie eilten in ihrem Badedreß herbei, um Erste Hilfe zu leisten. Dabei kamen sie selbst „under power” (unter die Kraftwirkung) und sanken ebenfalls zu Boden. Hier kann man nicht von einer Suggestion sprechen, weil die Herbeieilenden ja nicht wußten, um was es ging. Man kann dabei eher an eine machtvolle Massenhypno­se denken, die ich bei neun Ostasienbesuchen oft berichtet bekam.

Die meisten Rückwärtskipper fanden sich aber nicht bei Kathryn Kuhlman, sondern bei dem europäischen Evangelisten Bonnke, der zuerst in Südafrika wirkte und den „Teufel glattrasieren wollte”, wie er einmal sagte. Jetzt hat er sein Zentrum in Deutsch­land eröffnet. Bei manchen Versammlungen, die er leitete, sind Tausende rückwärtsgefallen.

Auf S.85 nennt Guido Rey das Rückwärtsfallen eine Wachsuggestion und gibt das Beweismaterial an.

Seite 103 schreibt er: „Es ist in unserem Zusammen­hang nicht wichtig, ob es sich beim ,Ruhen im Geist’ um eine oberflächliche oder um eine Tiefenhypnose handelt. Ich nehme aus eigenen Beobachtungen, aus Gesprächen, aus Berichten und aus der Literatur an, daß es sich in den meisten Fällen um einen hypnotischen oder hypnoiden Zustand handelt.”

Über die Auswirkungen des Phänomens „Ruhen im Geist” schreibt Guido Rey eine Reihe Kapitel, von denen nur die Überschriften gebracht werden. Er nennt die Gefahr der Vermassung und fügt chri­stozentrisch hinzu: „Die persönliche Berufung des einzelnen zu Jesus Christus sprengt die Psychologie der Masse.” Weitere Gefahren nennt Rey: „Gefahr der Manipulation, Gefahr der Fixierung, Gefahr der Regression, Gefahr der Egozentrizität, Gefahr der Bindung an Menschen, Gefahr der Selbsttäu­schung.”

Er fügt zu dem letzten Punkt hinzu: „Man glaubt, vom Heiligen Geist umgeworfen zu sein, während man sich massenpsychologischen Mecha­nismen unterzogen hat.”

Dem Buch von Guido Rey ist soviel Platz einge­räumt, weil es auch dem evangelischen Christen große Hilfestellung gibt, das mysteriöse Phänomen „Ruhen im Geist” zu verstehen. Und das alles kommt aus der Feder eines Mannes, der selbst aus den Reihen der »Charismatiker» kommt.

Ich akzeptiere, daß weite Teile dieses Phänomens suggestive Vorgänge sind. Aber alles ist damit nicht gesagt. Die Fakire in Ostasien, die ebenfalls Massen in ihre hypnotische Gewalt bekommen, sind hoch­medial und stecken tief in der Magie und Zauberei. Wir haben damit die gleichen Vorgänge: im Osten die Massenhypnose im Bereich des Buddhismus, Hinduismus und Mohammedanismus, im Westen unter christlicher Flagge.

Viele seelsorgerliche Aussprachen auf allen Konti­nenten zeigen mir die Querverbindungen zum Ok­kultismus. Der mediale Faktor dieses Geschehens fehlt leider in Reys Buch. Nur am Rande taucht er auf.

S 20 Dieses Kapitel wollte zeigen, dаß die Kräfte des zweiten Gesichtes und Nekroskopie, ferner die an­geblichen Charismata weder Naturgaben im Bereich des ersten Glaubensartikels und noch weniger Gei­stesgaben aus dem Sektor des dritten Glaubensarti­kels sind. Es liegen vielmehr Randerscheinungen paranormaler Art aus dem Gebiet des Okkultismus vor.

B 66 Ein massives Seelsorgebeispiel aus Süd­westafrika soll die Ausführungen abrunden. Ein ev. Pfarrer steckte in der pseudocharismatischen Be­wegung und erhielt von mehreren Pfingstpredi­gern eine Handauflegung, nach denen er jedesmal rückwärts gekippt ist. Er hat also mehrere Geistes­taufen erhalten. Zuletzt konnte er das auch. Wenn er mit jemand betete, fiel der Betreffende rück­wärts zu Boden. Dieser Geistliche war aber doch aufrichtig. Er bekannte: „Mein Sündenleben ging genauso weiter wie vorher. Vergebung und Frie­den hatte ich nicht. Schließlich zeigte mir Gott, daß ich auf falschem Kurs stand und der Gaukelei des Teufels zum Opfer gefallen war.” Er beichte­te, bekannte alle seine Sünden und erhielt Verge­bung. Nach dieser Umkehr verlor er seine media­len Kräfte. Der Herr schenkte ihm dann auch einen geistlichen Aufbruch in seiner Gemeinde.

Krankheit oder Belastung

„Nun wissen wir, daß du alle Dinge weißt und bedarfst nicht, daß dich jemand frage, darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist.” Joh. 16,30

Jesus ist in die Welt gekommen, daß er für die Wahrheit zeugen soll (Joh. 18,37).

Mt. 9,4: „Da Jesus ihre Gedanken sah …”

Niemand kann Jesus Christus eine Unwahrheit nachsagen. Damit kommen wir zu der Unterscheidung Krankheit oder dämonische Belastung. Jesus hat sich in seinen Diagnosen nie geirrt. In den Evangelien werden Krankheiten und Belastungen klar ge­trennt. Nennen wir einige Stellen.

Mt. 4,24: „Man brachte alle, die an den verschie­densten Krankheiten litten, mit schmerzhaften Übeln behaftet waren, Besessene, Fallsüchtige und Gelähmte, und er heilte sie alle”.

Mt. 8,16: „Am Abend brachten sie viele Besesse­ne zu ihm; und er trieb die Geister aus mit Worten und machte allerlei Kranke gesund.”

Mt. 10,1: „Jesus rief die Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unsauberen Gei­ster, daß sie die austrieben und heilten allerlei Seuchen und Krankheit.”

Natürlich ist die Bibel kein medizinisches Lehr­buch. Es bleibt aber ein fadenscheiniger Vorwand des Unglaubens, wenn gesagt wird: „Jesus war ein Kind seiner Zeit und vertrat die damaligen An­schauungen. Wir wissen es heute besser.” Und doch bleibt bestehen, daß Jesus exaktere Diagno­sen stellte als alle medizinischen und psychologi­schen Fachleute von heute. Im Problem der Beses­senheit ragt die unsichtbare Welt in unsere sicht­bare Welt herein. Für diesen Vorgang ist keine Wissenschaft zuständig. Das ist in diesem Buch mehrfach geäußert. Das Problem der Besessenheit ist ausführlich in meinem Buch Besessenheit und Exorzismus behandelt.

Wir treten nun in das Gebiet der seelsorgerli­chen Erlebnisse ein. Zuerst kommen solche Bei­spiele daran, die auch psychiatrisch untersucht worden sind.

B 67 Mein Berichterstatter ist ein gläubiger Mann. Ich wohnte anläßlich einiger Vorträge in seinem Haus. Sein Sohn ist Jurist, der in Köln ein katholisches Mädchen kennenlernte, das sehr hübsch war. Er warb intensiv um sie, ob­wohl er gewarnt wurde. Das Mädchen hatte schon in der Verlobungszeit merkwürdige Erre­gungszustände. Bei diesen Zuständen spricht ei­ne fremde Stimme aus ihr. Sie ist dabei charak­terlich völlig verändert. Ist sie vorher liebens­würdig und freundlich, so ist sie bei diesen Zu­ständen sehr häßlich und schreit: „Du Saukerl, du Mistvieh, du kriegst sie nicht. Sie gehört mir.”

Die Stimmen sprechen also in dritter Person, so als ob ein anderes Wesen und zwar ein Mann aus diesem Mädchen sprechen würde.

Der Jurist studierte zwei Jahre diese Stimme. Er kam zu folgendem Schluß: Seine Braut müß­te einen Liebhaber haben, der in Köln wohnt und sehr reich ist. Das Mädchen erklärte aber im Normalzustand, daß es diesen Mann gar nicht kenne.

Der Jurist gab sich alle Mühe, diesem frem­den Liebhaber auf die Spur zu kommen. Es ist ihm nicht gelungen. Das junge Paar hat dann geheiratet. Die merkwürdigen Zustände blieben. Auf Rat eines Pfarrers suchte der Jurist mit seiner Frau einen Psychiater auf. Der Facharzt konnte keine Geistes- oder Gemütskrankheit feststellen. Seltsam war, daß das Testgerät für Enzephalogramme nicht anschlug.

Die Art der Anfälle zeigt, daß keine Schizo­phrenie, sondern eine Besessenheit vorliegt.

In der Psychiatrie werden solche Fälle manch­mal als Dissoziation des Unterbewußtseins mit Verselbständigung der einzelnen Teile erklärt. Bei dieser Diagnose leiben aber noch viele Fra­gen ungeklärt. Sie erreichen auch nicht den wahren Kern der Besessenheit oder okkulten Belastung.

In einem weiteren Beispiel ist eine gläubige Theologin meine Berichterstatterin. Sie suchte für ein Mädchen meinen Rat, nachdem vorher schon zwei Psychiater konsultiert worden waren.

B 68 In einer atheistisch eingestellten Familie wurde die Tochter, eine Abiturientin, gläubig. Von diesem Zeitpunkt an setzten bei dem Mäd­chen Störungen ein. Man erlebt es in der Seelsorge sehr häufig, daß bei Menschen, die eine verborgene okkulte Belastung haben, ihre Medialität offenbar wird, wenn sie ihr Leben Jesus anvertrauen. Das ist das berühmte Resistenzphänomen, das in die­sem Buch in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Um die Zeit der Bekehrung des Mädchens starb der Vater. Einige Wochen nach dessen Tod tauchte der Verstorbene in Visionen auf. Die Tochter sieht ihn und spricht mit ihm. Die Erscheinungen wurden immer häufiger. Schließ­lich forderte der Verstorbene von der Tochter, sie solle sich das Leben nehmen.

Bei diesen Besuchen ist die Tochter wie ge­lähmt. Sie kann nicht beten, kann sich nicht rühren und kann nicht einmal an Jesus denken. Das geplagte Mädchen vertraute sich der Theologin an. Diese brachte die Geplagte zu einem Psychiater, der sehr kritisch ist. Bevor er das Mädchen selbst sprach, erklärte er der Seel­sorgerin: „Das sind Halluzinationen und Wahn­vorstellungen.” Als er dann die vermeintliche Patientin gesprochen hatte, sagte er: „Es liegt nichts Krankhaftes vor. Vielleicht ist es gut, einen Seelsorger einzuschalten.”

Die Seelsorgerin des Mädchens war von der psychiatrischen Untersuchung nicht befriedigt. Sie zog darum einen bekannten Psychiater zu Rate, dem ich früher selber Belastete zuwies.

Auch der zweite Fachmann stellte die gleiche Diagnose wie der erste. Ich habe dann diese Theologin beraten, da ich in einem halben Jahr­hundert viele derartige Erlebnisse hörte und Wegweisung zu geben hatte.

Oft wird gefragt, ob diese Totenerscheinungen wirklich die Verstorbenen sind. Nein! Luther und Spener, dazu viele erfahrene Seelsorger sagen: „Es sind Dämonen, die das Aussehen, das Wissen und die Sprache der Verstorbenen annehmen, um die Lebenden zu verführen.” In dem Buch Seelsorge und Okkultismus sind B 92 bis B 94 Wiedergän­gererlebnisse.

Zusammenhänge zwischen Krankheit und Bela­stung zeigen sich in großer Häufigkeit bei der Heilungsmagie. Dazu einige Beispiele.

B 69 Prediger Seifert hat mich vor vielen Jah­ren zu einer Evangelisation in Lüneburg einge­laden. Ich wohnte in seinem Haus. In der Lü­neburger Heide wurden früher und auch heute noch Kranke magisch besprochen und dadurch geheilt. Ein Mann, der inzwischen gestorben ist, Schäfer Ast, wurde durch seine Besprecherei Millionär. Ich habe bei Evangelisationen viele Bei­spiele von Besprechungsheilungen durch Schäfer Ast erfahren.

Eines Tages kam ein junger Mann, der meine Vorträge gehört hatte, zu Bruder Seifert, beichtete und übergab sein Leben Jesus. Der Mann war einmal wegen Ekzemen bei Schäfer Ast gewesen und war bei ihm geheilt worden. Nach seiner Bekehrung traten dann bei dem Geheilten die alten Symptome wieder auf. Das übliche Resistenzphä­nomen. Nun suchte die Mutter des jungen Mannes Prediger Seifert auf und machte ihm Vorwürfe. Sie erklärte: „Wenn mein Sohn durch den Schäfer geheilt worden ist, dann ist das nichts Böses. Derartige Vorträge gegen das Besprechen schaffen nur Verwirrung und Unheil.”

Bruder Seifert blieb die Antwort nicht schuldig: „Wollen Sie, daß Ihr Sohn seines Seelenheils verlu­stig geht, weil er durch Zauberei geheilt worden ist?” Die Mutter war kaum zu beruhigen. Nun aber fühlte sich Bruder Seifert in seinem Glauben gefordert. Er betete mit dem jungen Mann nach Jakobus 5,14. Der Herr gab Gnade. Die Ekzeme verschwanden.

S 21 In der Frage Krankheit oder Belastung zeigt dieses Beispiel, daß magisch verursachte Heilungen nur Verlagerungen vom Organischen ins Seelische darstellen. Das organische Leiden wird überwunden. Dafür treten seelische Komplikationen auf, die sich aber erst zeigen, wenn der Geheilte den Weg zu Jesus findet.

Viele der okkulten Beispiele haben eine mehrfache Komponente. Zauberei verursacht Belastungen, die aber erst dann manifest (sichtbar) werden, wenn der Belastete zu Jesus kommen will. Dieser Vorgang zeigt gleichzeitig das Resistenzphänomen. Ich gebe noch ein solches Beispiel mit der Geschichte von Mario im südlichen Brasilien.

B 70 Zusammen mit dem brasilianischen Pfarrer Müller hatte ich eine Vortragstour in Porto Aleg­re, Blumenau, Sao Lepoldo, Pelotas und anderen südbrasilianischen Städten. Auf dieser Tour hörte ich die Geschichte von Mario, dem treuen Mitar­beiter einer Bibelgruppe. Dieser Junge war eifrig dabei, seinen Mitmenschen von Jesus zu sagen. So sprach er eines Tages mit seinem Nachbarn, der im Spiritismus steckte. Mario gab ihm mein brasilia­nisches Buch Alfabeto do Diabo, das vor dem Spiritismus und der Magie warnt. Der Nachbar las das Buch gleich zweimal hintereinander und kam dann entsetzt zu Mario: „Das ist ja furchtbar. Ich wußte das nicht.”

Dieser bisherige Spiritist war nun willig, sich das Evangelium sagen zu lassen. Er kaufte eine Bibel und las eifrig darin. Damit begann eine Serie von Angriffen. Er erhielt einen Tritt vor die Brust wie von einem Pferdefuß. Dann hatte er das Gefühl, hochgehoben zu werden. Beten konnte er nicht, er war wie gelähmt. Diese Angriffe waren so stark, daß er das Bibellesen und Beten wieder aufsteckte.

Dann erhielt der Spiritist mit deutscher Ab­stammung einen Einladezettel zu meinen Vorträ­gen. Er sagte Mario: „Ich warte auf diese Abende und gehe dann zu dem deutschen Pfarrer.” Mario erwidere: „Das ist nicht nötig. Du kannst auch zu Pfarrer Müller gehen.” Ich wurde in den Kreis der Seelsorge mit hineingenommen. Der Beichtende erlaubte die Veröffentlichung. Er war schon als Kind gegen eine Krankheit besprochen worden. Zweimal war er bei der Kartenlegerin, dreimal beim Astrologen. Im Lauf der Jahre schuf er sich eine Sammlung von Amuletten und Talismanen. Das schlimmste war eine Verschreibung an den Teufel.

Der bisherige Spiritist war nun auf dem Weg der Befreiung. Da gab es eine Störung. In Vertretung des Ortspfarrers predigte an einem Sonntag ein Theologiestudent. Dieser unreife Student erklär­te: „Alle Heilung ist von Gott, auch die magischen Heilungen des Spiritismus.” In dieser Verunsiche­rung suchte dann der befreite Spiritist nochmals Pfarrer Müller und Mario auf, die dieser irrigen Meinung des Studenten entgegentraten. Jetzt end­lich drang der ehemalige Spiritist ganz durch. Er lieferte rückhaltlos sein Leben Jesus aus und wur­de sehr eifrig, seine ehemaligen Kameraden vor dem Spiritismus zu warnen. Zu den okkulten Vorgängen, deren Auswirkungen am verheerendsten sind, gehören die Blutsverschrei­bungen an den Teufel. Fast alle Satanistengruppen verlangen bei der Aufnahme von neuen Mitgliedern eine Blutsverschreibung an den Teufel. Es gibt auch Gruppen, die auf ein am Boden liegendes Kreuzspucken oder urinieren. Diese schauerlichen Vor­gänge werden von uneingeweihten Theologen ge­leugnet. So hat sich zum Beispiel Pfarrer Haack darüber lustig gemacht und solch teuflischem Trei­ben keine Bedeutung zugemessen. Ich wies darum in einem meiner Bücher auf Jes. 28,15 hin, wo es heißt: „Wir haben mit dem Tod einen Bund und mit der Hölle einen Vertrag gemacht.”

Eine schwer belastete Frau wandte sich in ihrer Not an einen gläubigen Psychiater, mit dem ich befreundet war, Dr. Alfred Lechler. Er wies die Annahme einer Geisteskrankheit zurück und riet zu einer Seelsorge. Hören wir aber zunächst die Ge­schichte dieser Frau.

B 71 Die Frau gehörte einem spiritistischen Zirkel von 15 Mitgliedern an. In den Séancen wurde bewußt der Teufel angerufen. Tatsächlich erschien immer eine scheußliche Gestalt. Dann wurden Orgien gefeiert.

In diesem Zirkel diente die belastete Frau als Medium. Wenn sie von dem Kreis abwesend war, konnte sie von dem Zirkelleiter durch Fernhypno­se, Mentalsuggestion oder Telepathie gerufen werden. Diese drei parapsychologischen Gebiete sind verwandte Bereiche.

Eines Tages kam dieses Medium in einen Evan­gelisationsvortrag. Sie wurde vom Wort Gottes erfaßt und legte eine Generalbeichte ab. Von diesem Zeitpunkt an hatte die Frau ungeheure Anfechtungen. Sie erhielt stets nachts den Auftrag, sich das Leben zu nehmen. Tag und Nacht befand sie sich in schrecklichen Angstzuständen.

Sie sah bei diesen starken Depressionen zuerst noch nicht den Zusammenhang zwischen ihrem früheren Treiben als Spiritistin und ihrem jetzigen Entschluß, Jesus nachzufolgen. In ihrer Not such­te sie drei verschiedene Psychiater auf, die alle den Ruf haben, Christen zu sein. Mir sind alle drei bekannt.

Was äußerst selten vorkommt, trat bei diesen Beratungen ein. Die drei Fachleute erkannten, daß keine Psychose vorliegt, sondern ein seelsorgerli­ches Problem besteht.

Das trieb die geplagte Frau wieder in die Seel­sorge. Bei der Aussprache kam ein neuer Sachver­halt ans Licht. Der Teufel hat ihr, die früher eine Teufelsverschreibung vorgenommen hatte, sein Eigentumsrecht auf die Brust eingeprägt. Es war ein Hufeisen mit einem S in der Mitte. Sie zeigte ihrer Schwester dieses Malzeichen.

Der Prediger suchte nun einige treue Beter, die sich intensiv für die Frau einsetzten und ließ auch die Beichtende ein Lossagegebet sprechen. Solche Beispiele sind natürlich selten. Die Para­psychologen sprechen hier von einem physikalischen Phänomen. Die ungläubigen Psychiater nennen das Malzeichen einen unbewußt psychogen bedingten Dermographismus, zu deutsch eine seelisch verur­sachte Hautschrift. Eine solche Einordnung nennt aber nicht die Ursachen, legt also nicht den Kern bloß.

Wem das Alte Testament ein Märchenbuch ist wie den liberalen oder modernistischen Theologen, der wird sich über das folgende Beispiel ärgern.

Es soll aber zuerst eine biblische Belegstelle ge­nannt werden, 2. Mos. 8,1-3. Es heißt dort:

„Der Herr sprach zu Mose: Sage Aaron: Recke deine Hand aus mit deinem Stabe und lasse Frö­sche über Ägyptenland kommen … Und es ka­men Frösche herauf, daß Ägyptenland bedeckt war. Da taten die Zauberer auch also mit ihrem Beschwören und ließen Frösche über Ägypten­land kommen.”

Ein solches Froschbeispiel hörte ich zum ersten Mal von einer afrikanischen Zauberin, die ich per­sönlich kenne. Sie war ein hochgradig magisches Medium und kam durch ein Wunder Gottes zum Glauben an Jesus. Damit endete ihre Laufbahn als Zauberin. Sie erzählte mir selbst, daß sie Leute mit einer Froschplage heimsuchen konnte. Es waren keine spiritistischen Materialisationen, sondern ein­fach ein Zusammenholen der Frösche aus der ganzen Umgebung.

Diese ehemalige Zauberin ist heute eine aktive Christin, die keine Lügenmärchen erzählt. Von an­deren Zauberern hörte ich ähnliche Vorgänge mit Schlangen.

Nun lassen wir aber die afrikanischen Zauberer und halten Umschau bei uns in Europa. Seit 1949 hielt ich rund 180 bis 200 Vortragswochen in der Schweiz. Auch Appenzeller und Graubündner Ein­satzorte waren dabei. Ich habe ungefähr zehn Bei­spiele, daß Menschen von starken Magiern Läuse angehext wurden.

Ausgekochte Rationalisten, die nur auf einer Ebe­ne denken können, werden nun die Nase rümpfen und mich vielleicht für irrenhausreif erklären wollen. Ich wage trotzdem zwei kurze Beispiele.

B 72 Eine Frau, 46 Jahre alt, berichtete in der Seelsorge folgendes. Ihre Schwägerin besitzt das 6./7. Buch Mose und treibt damit schwarze Ma­gie. Sie ist Spezialistin dafür, ihren Feinden Unge­ziefer anzuhängen. Sie erklärte, sie hätte durch ihre Schwägerin jahrelang entsetzlich mit Läusen zu tun gehabt. Trotz aller medizinischen Behand­lung sei sie der Läuse nicht Herr geworden. Als sie eines Tages ihr Leben Christus auslieferte und sich ganz unter den Schutz Jesu stellte, waren die Läuse schlagartig weg. In der Seelsorge wird einem das im Zusammenhang mit der schwarzen Magie ge­beichtet. Die altägyptische Zauberei existiert also heute noch.

B 73 Das zweite Beispiel kenne ich noch genau­er. Ein Missionar hat sich den Zorn eines Grau­bündner Magiers zugezogen. Zauberei steht ja immer im Gegensatz zum Evangelium. Das habe ich in Herisau in Appenzell erlebt, wo ich bei einer Evangelisation härtesten Widerstand von Seiten der magischen Besprecher erhalten habe.

Der erwähnte Missionar, der von dem Grau­bündner Zauberer verfolgt und geplagt wurde, spürte eines Tages ein Krabbeln auf der Kopfhaut. Er dachte zuerst an ein Insekt und kämmte die Haare sorgfältig durch. Kein Erfolg, das Krabbeln ging weiter. Da hielt er den Kopf unter heißes Wasser und wusch die Haare aus. Kein Resultat!

Dann nahm er ein scharfes, ätzendes Mittel, das auch nicht half. Erst jetzt dämmerte es ihm, daß er vor Jahren von der magisch verursachten Läuse­plage gehört hatte. Er betete und gebot im Namen Jesu, und der Läusespuk war vorüber.

In den folgenden Monaten probierte der Grau­bündner Zauberer noch mehrmals seine Kraft aus. Der Missionar war ja beim ersten Versuch gewarnt worden. Er betete jedesmal und gebot im Namen Jesu der Finsternismacht zu weichen. Dann gab es jedesmal Ruhe.

Vorsichtshalber muß ich der Psychiater wegen hinzufügen, daß mir aus der Seelsorge auch der Läuse-, Mäuse- und Spinnenkomplex von Neuroti­kern bekannt ist. Der Chefarzt von dem argentini­schen Spital Cruz Blanca, Dr. Winther, erzählte von einer Frau, die einen Spinnenkomplex hatte. Sie sah überall Spinnen, wo keine waren. Hier lag nun eine Erkrankung vor, die von Dr. Winther geheilt wurde.

S 22 Man muß also zwischen einem realen magi­schen Geschehen und einem neurotischen Denk­zwang oder Verfolgungswahn unterscheiden. In dem Kapitel Mentalsuggestion oder Verfolgungs­wahn werden solche Beispiele gebracht.

So extreme Beispiele kommen selten vor. Es gibt viele Seelsorger, die nie so etwas in ihren Ausspra­chen gehört haben. Gewöhnlich passieren solche dunklen Geschichten auf den Missionsfeldern, wo das Heidentum noch eine Großmacht darstellt. Ap­penzeller und Graubündner Zauberer sind in ihrer Heftigkeit Ausnahmen.

Das häufigste Syndrom der Zauberei sind Depres­sionen, denen in diesem Buch ein Kapitel gewidmet ist. Manchmal sage ich bei Vorträgen: „Nur etwa 5 % der Depressionen sind Folgen von Zaubereisün­den, 95 % haben andere Ursachen.” Deshalb ist größte Vorsicht vor Kurzschlüssen geboten. Ein Beispiel dazu.

B 74 Eine 36 jährige Frau kam zur Aussprache. Sie berichtete, daß sie schon seit einigen Jahren Christus nachfolge. Trotz Beichte und gläubigem Empfang der Vergebung sei sie aber innerlich nicht zur Ruhe gekommen, sondern sei häufig von Depressionen heimgesucht. Auf Grund des Auf­klärungsvortrages hätte sie nun Wurzeln zu dieser Unruhe entdeckt. Sie hätte früher selbst die Kar­ten gelegt, an spiritistischen Sitzungen teilgenom­men, das Pendeln geübt und sei besprochen wor­den. Trotz ihrer Hinkehr zu Christus seien diese okkulten Dinge in ihrem Leben nie gebeichtet und weggeräumt worden. Sie hätte eine Freundin, die mit ihr die gleichen Dinge getrieben hätte, und die jetzt seit zwei Jahren wie besessen sei. Ihr Geist sei umnachtet. Jedesmal, wenn sie für diese Freundin beten würde, seien die Anfechtungen besonders heftig.

Manchmal gebe ich den Rat, dаß solche Christen, die selbst noch okkult belastet sind, nicht für Belaste­te beten sollen. Bei Besessenheit soll ohnehin ein kleines Team, ein Gebetskreis eingesetzt werden.

B 75 Eine Pflegerin in einer Nervenheilanstalt kam zu mir in die Seelsorge und berichtete folgen­des. Seit Jahren hatte sie Depressionen, Selbst­mordgedanken und eine starke Abwehr gegen alles Göttliche. Anläßlich einer Zeltevangelisation kaufte sie einige meiner Schriften. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Als kleines Kind wurde sie gegen eine Erkrankung magisch besprochen.

Später kamen noch Wahrsagegeschichten dazu. Daß ihre Belastungen auf diesen okkulten Erleb­nissen beruhen, zeigt sich daran, daß sie durch die seelsorgerliche Betreuung von diesen Belastungen frei wurde.

Beim Pflegepersonal von Geisteskranken kommt manchmal ein sogenanntes induziertes Irresein vor. Die Charakteristik von dieser Form induzierter Psychosen und einer sogenannten okkulten Übertra­gung ist völlig verschieden. Der Unterschied ist klargemacht in dem Band Seelsorge und Medialität.

Die Reihe dieser Beispiele Krankheit und Bela­stung kann schier endlos fortgesetzt werden.

S 23 Als Symptom ergibt sich, daß organisch oder psychisch bedingte Geistes- oder Gemütskrankhei­ten schwerer zu behandeln sind als okkulte Belastun­gen. Durch Zaubereisünden verursachte Beschwer­den und Anfechtungen verschwinden in der Regel sofort, wenn eine gründliche Reinigung vor Gott erfolgt und das Leben ganz in den Lichtkreis und Kraftstrom Jesu hineingestellt wird. Bei „halben Bekehrungen” allerdings bleiben die Belastungen bestehen.

Das Resistenzphänomen

Resistere (lateinisch) heißt Widerstand leisten. Es gibt in der Chemie Stoffe, die sich nicht vertragen. Solche Vorgänge gibt es aber nicht nur im Stofflichen sondern auch im Geistigen, dаß Kräfte sich gegenseitig ausschließen. Das bekannte­ste Beispiel ist, daß der Heilige Geist und die spiriti­stischen Geister sich gegenseitig ausschließen. In der Seelsorge mit okkult Belasteten und vor allem mit Besessenen wird das am besten deutlich. Es liegt mir nicht überschaubares unzähliges Material vor. Dazu einige Beispiele.

B 76 Ich bin in meinem Leben mehrmals mit dem Mennoniten-Pastor Dr. Janzen zusammen­ getroffen. Zuerst in Basel, dann in Kitchener und Toronto und zuletzt in der Nähe von Vancouver, wohin er mich zu Vorträgen eingeladen hatte. Er erzählte mir ein aufschlußreiches Erlebnis. Als er noch junger Pastor war und an der kanadischen Ostküste eine Gemeinde sammelte, hatte er noch keine Kirche. Die Gottesdienste waren deshalb in einem gemieteten Saal, der durch eine Schiebe­wand vom Nebenraum getrennt war.

Eines Sonntags kam ein Ältester erregt zu ihm und erklärte: „Bruder Janzen, wir müssen den Saal kündigen. Auf der anderen Seite haben Spiritisten ihre Séancen.” Janzen erwiderte: „Wir wollen verzichten? Die Spiritisten sollen weichen. Unser Herr ist stärker.”

Seit dieser Zeit hat der Gebetskreis von Janzen um den Schutz und die Hilfe Gottes gebetet. Was geschah? Die Spiritisten, die zuerst wöchentlich zusammenkamen, hielten nur noch jede zweite Woche ihre Zirkelsitzungen, dann nur noch alle vier Wochen. Und zuletzt steckten sie es auf. Sie hatten das Feld geräumt.

Hier gilt auch Psalm 118: „Man singt mit Freu­den vom Sieg in den Hütten der Gerechten. Die Rechte des Herrn ist erhöht. Die Rechte des Herrn behält den Sieg.”

In der Zeit, als Bischof Goodwin Hudson und Dr. med. Martin Lloyd Jones noch lebten, erhielt ich verschiedene Einladungen nach England. Dieses Land ist heute ein Eldorado für spiritistische Grup­pen und Kirchen. Ich hatte viele ungewöhnliche Erlebnisse bei meinen Vortragstouren. Es soll eines berichtet werden.

B 77 Einmal hatte ich vor 22 Psychiatern, die von Lloyd Jones zusammengerufen worden wa­ren, meine Thesen zu vertreten. Zwei Psychiater lehnten rundweg das Phänomen der Besessenheit ab und nannten sie eine Erkrankung. Da bekam ich Schützenhilfe von zwei anderen Psychiatern, die gläubig waren. Der eine sagte: „Ich hatte sieben Besessenheitsfälle in meiner Praxis.” Der andere fügte hinzu: „Und ich hatte elf solcher Fälle.”

Von dem zweiten Psychiater wurde ein Beispiel berichtet. Ein junger Mann war zu ihm gekom­men, der seine Belastungen offenbarte. Der Psych­iater forschte bei der Aufstellung der Krankenge­schichte nach okkulten Praktiken und vernahm, daß der Beichtende zu einem spiritistischen Zirkel gehörte, aus dessen Bannkreis er sich nicht lösen konnte. Der Psychiater war ein mutiger Christ. Die Spiritisten versammelten sich gewöhnlich ín einem Waldstück. Der Arzt rief seine Freunde zusammen. Sie begaben sich in die Nähe der Spiritisten und beteten um ein Eingreifen Gottes. Das Treiben der Magier und Spiritisten begann. Da fegte ein solcher Sturm durch den Wald, daß die Dunkelmänner aufhören mußten. Wer allerdings von dem Kampf gegen die dunklen Mächte nichts weiß, wird ein solches Erlebnis für Zufall halten.

B 78 Ein anderes Erlebnis nahm ich anläßlich einer Konferenz ín Swanick auf. Ein junges Ehe­paar berichtete mir von seinen Eltern und Ge­schwistern. Die Familie lebte an einem Ort, wo viel Spiritismus getrieben wurde. Der Vater sah das mit Entsetzen und betete mit seinen Angehöri­gen viel um ein Handeln Gottes. Eines Tages wurde ihm klar, dаß er einzuschreiten habe. Er zog mit seiner ganzen Familie, darunter einige erwachsene Sőhne, in den spiritistischen Zirkel. Der Leiter spürte schließlich den betenden Widerstand und brach die Versammlung ab. Er erklärte: „Es sind Gegenströmungen da. Wir ver­tagen unsere Zusammenkunft auf Donnerstag. Wir laden herzlich dazu ein.”

Dann stand der betendeVater auf, warnte vor wei­terem Besuch und nannte dieses Treiben Machen­schaften der Finsternis. Dann stimmte er ein Lied vom Blut und Sieg Jesu an. Die Spiritisten waren so verstört, daß sie an einen anderen Ort zogen. Das eigene Dorf war auf diese Weise sauber geworden. Ich will an dieser Stelle eine Warnung hinzufügen. Ohne einen Auftrag Gottes darf man so etwas nicht unternehmen. Man kann in guter Absicht einen spiritistischen Zirkel sprengen wollen und kommt dabei „unter die Räder”.

Auch in Deutschland kommen solche Störaktio­nen vor. Vor Jahren hat mir Missionar Franke von der Liebenzeller Mission erzählt, daß er als neun­zehnjähriger junger Christ aus Versehen in Nürn­berg in eine spiritistische Sitzung geraten war. Die Versammlung war mit Bibelsprüchen angekündigt worden, darum dachte Franke, es sei eine christliche Gemeinschaft. Er saß betend in der letzten Reihe. Mehr als 60 Spiritisten waren versammelt. Franke wurde es unheimlich, und er betete intensiv. Da gab es eine Unruhe. Der Leiter erklärte: „Es sind Kräfte gegen uns da. Wir brechen ab.” Franke blieb zurück und fragte den Leiter: „Was ist das für eine Gemein­schaft?” Man sagte ihm: „Wir sind eine spiritualisti­sche Vereinigung.” Es hat sich also um einen religiös verbrämten Spiritismus gehandelt.

Beachten wir, dаß ein Beter diese Gruppe spreng­te. Ein Mann mit Gott ist immer die Mehrheit.

B 79 Ein ähnliches Beispiel erzählte mir Pastor Brauer, der mich zu einer Vortragswoche nach Lübeck eingeladen hatte. Die Spiritisten in Lübeck organisierten im Kolosseum einen Saal mit 500 Sitzplätzen, eine Großveranstaltung. Sie luden die Gesinnungsgenossen von Lübeck, Kiel und Ham­burg ein. Das Kolosseum war voll besetzt.

Ein gläubiger Bruder hatte sich auch eine Ein­trittskarte gelöst. Er saß betend im Raum. Er kämpfte und rang immer heftiger. Die spiritisti­schen Experimente wollten dem Leiter nicht ge­lingen.

Schließlich wurde bekanntgegeben, es sollten alle den Saal räumen. Das Eintrittsgeld würden sie zurückbekommen. Nur der Lübecker Kreis sollte zurück bleiben. Der Beter blieb auch sitzen und betete weiter. Der Kontakt mit der Geisterwelt gelang wieder nicht. Schließlich steckten sie es auf. Schweißgebadet verließ der Beter das Kolosseum. Er würde sich heute nicht mehr in einen solchen Kampf einlassen. Er war damals noch jung und unerfahren.

Ich wiederhole die Warnung: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.” Es war nur die bewahrende Gnade Gottes, die den unerfahrenen Beter beschützte.

Diese herausragenden Beispiele sind selten. Sie zeigen aber, daß der eine vom Kreuz auf Golgatha und Ostermorgen der Sieger ist über das Geschmeiß der spiritistischen Geister. In der Seelsorge geht es aber häufig nicht so dramatisch zu. Hier tauchen andere Probleme auf.

Menschen mit okkulter Belastung oder gar Beses­senheit reagieren auf geistliche Beeinflussung. Das ist in der ganzen Welt so. Das zeigt, daß Satan eine globale Strategie hat. Beginnen wir mit einem Erleb­nis aus einem interessanten Teil unserer Erde, der Beringstraße.

B 80 Auf der St.-Lawrence-Insel, die zwischen Alaska und Ostsibirien liegt, wohnt der Yupik­-Stamm der Eskimos. Der Wycliff-Missionar Da­vid Shinen lud mich zu Vorträgen ein, weil auf der Insel noch die alten Schamanen ihr magisches Unwesen treiben. Shinen hat auch die Evangelien in die Sprache der Yupiks übersetzt. Meine Bibel­mission druckte sie. Diese Bibelteile haben große Bedeutung, weil die Yupiks nicht nur an der Westküste Alaskas, sondern auch an der Ostküste Sibiriens wohnen. Da die Beringstraße 11 Monate zugefroren ist und mit einem Hundeschlitten in zwei Stunden überquert werden kann, setzte ich meine Hoffnung darauf, auf diese Weise Ostsibi­rien mit den Evangelien zu erreichen.

Ich wohnte bei Missionar Shinen. Der Nachbar war ehemals ein Schamane, der sich unter der Verkündigung des Wortes Gottes zu Christus gewandt hat. Mir war es auch vergönnt, in der presbyterianischen Kirche dreimal zu predigen.

Als der Schamane zum Glauben gekommen war, zeigten sich bei seinem elfjährigen Neffen, der im Hause wohnte, merkwürdige Störungen. Der Junge lief manchmal wie ein Tobsüchtiger im Haus herum. Wenn er die Bibel des Onkels er­wischte, versuchte er sie zu zerreißen. Wenn der Onkel still für sich in seinem Herzen betete, schüttelte ihn der Junge und schrie: „Bete nicht zu diesem Jesus.” Als der Missionar mit ihm betete, fiel der Junge in Trance, und es kamen Stimmen wie von Hunden oder das Grunzen von Walrossen aus seinem Mund. Er fluchte auch gegen Bruder Shinen oder lief barfuß in den Schnee hinaus und flüchtete, wenn er den Missio­nar kommen sah.

Das Verhalten des Jungen hat etwas mit der Be­kehrung des Schamanen zu tun. Entweder fand eine Übertragung statt, als der Onkel von seinen Dämo­nen frei wurde. Das ist ein sehr häufiger Vorgang in allen Teilen der Welt. Diese Übertragung habe ich in einigen Büchern beschrieben.

Die zweite Möglichkeit ist das übliche Resistenz­phänomen. Der Junge kann schon vorher durch die im Haus ursprünglich geübte Zauberei besessen ge­wesen sein. Die Besessenheit wurde erst offenbar, als der Geist Jesu Christi in dem Haus einzog. Zu beachten ist, dаß der besessene Neffe das stille Beten des Onkels spürte. Die Resistenz funktionier­te also auch ohne die äußeren Merkmale.

Die Erfahrung, daß belastete Familienangehörige sich extrem benehmen, wenn ein Glied der Familie sich bekehrt, ist sehr häufig.

B 81 Eine Frau bekehrte sich. Am gleichen Tag fing der Sohn zu toben an und konnte weder vom Vater noch vom Arzt noch von der Polizei gebän­digt werden. Die Anfälle setzten am Tag der Bekehrung der Mutter ein. Die Vorfahren dieser Familie sind Pendler gewesen. Die Missionsgebiete liefern das meiste Material. Ich habe allein von Missionsgebieten einige tausend Beispiele.

B 82 Bei einer Vortragstour in Afrika begegnete ich Missionssuperintendent Barram. Er erzählte mir vom Kongogebiet folgendes Erlebnis.

Ein heidnisches Mädchen will einen christlichen Gottesdienst besuchen. Ein Tier erscheint ihr und warnt die Heidin: „Gehe nicht hin, sonst tue ich dir etwas an.” Die Gewarnte läßt sich nicht abhal­ten, weil ihre seelische Not zu groß ist. Sie besucht den Gottesdienst und bekehrt sich. Kurz danach erscheint das Tier wieder und fragt: „Warum warst du dort?” Sie bekommt eine Kieferstarre und kann weder reden noch essen. Die Gläubigen der Missionsstation vereinigen sich zum Gebet für die Neubekehrte. Einige Stunden später weicht die Lähmung, und sie erzählt, was sie erlebt hatte. Es passiert sehr häufig, daß die dunklen Mächte Menschen vom Hören des Wortes Gottes abhalten wollen und manchmal direkt in das Handeln ihrer Opfer eingreifen. Dem Kongobeispiel ähnlich sind zwei Erlebnisse der letzten Jahre. Sie sind in meiner Kartei verankert.

B 83 1984 bereiste ich im Zusammenhang mit meiner Aussätzigenarbeit Nepal. In einem Spital wurde mir die Geschichte eines Aussätzigen be­richtet.

Joram, ein Mann mittleren Alters, kam mit einem fortgeschrittenen Aussatz ins Spital. Spe­ziell ein Auge sah fürchterlich aus. Die Iris hatte sich schlimm verändert. Dieser Patient war ein radikal entschlossener Hindu. Er hatte noch niemals von Jesus gehört. Eines Nachts wurde die Missionarin in den Schlaf­raum gerufen, weil Joram fürchterlich geschrien hatte. Dadurch wurden die andern geweckt, die dann die Nachtschwester informierten. Der noch zitternde Mann erzählte, daß an seinem Fußende zwei weiße Gestalten gestanden hätten, die kochendes Wasser über seine Füße gossen. Den Missionsleuten ist bekannt, daß die Macht der Finsternis mit schweren Angriffen reagiert, wenn ein Mensch, den sie fest in ihrer Gewalt haben, sich von ihnen abwenden will. In der westlichen Welt ist es genauso, nur nicht so sichtbar und offenkundig, wie es bei den Heiden geschieht.

In einer weiteren Nacht hörte Joram eine ener­gische Stimme: „Steh auf! Steh auf! Und verlasse sofort diesen Ort!” Als die herbeigerufene Nacht­schwester erschien, stand Joram schon in der Tür, um das Spital zu verlassen.

Die Schwester versuchte nun, ein seelsorgerli­ches Gespräch mit dem geplagten Mann zu füh­ren. Sie fragte ihn: „Hast du früher schon solche Angriffe erlebt?”

„Nein, ich habe das erst, seit ich hier im Spital bin.” – „Hast du in der Bibel gelesen?” – „Nein, ich kann gar nicht lesen.”

„Ist dir durch einen Kassettenrecorder eine christliche Botschaft vorgespielt worden?” – „Nein, auch das nicht. Mir fällt aber etwas ein. Ramad im nächsten Bett hat laut die Bibel vorgele­sen. Ich habe zwar zugehört, aber nichts verstanden.”

Bei unserem Besuch in diesem Spital erzählte uns die Missionarin, daß das eine häufige Beob­achtung ist, daß der Teufel sofort in Aktion tritt, wenn ein religiös eingestellter Heide sich der christlichen Botschaft öffnen will. So gab der Erzfeind auch bei Joram keine Ruhe. Er griff nun seinen schon kranken Körper noch mehr an. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich zuse­hends. Die Medikamente schlugen nicht an.

Wieder versuchte es die Pflegerin, mit ihm seelsorgerlich zu reden. Sie machte ihm klar, daß die Macht Satans die Menschen zerstört, daß aber Jesus, der Sohn Gottes, freimachen kann. Joram war aber durch die massiven Angriffe Satans so eingeschüchtert, daß er nicht den Mut aufbrachte, sich Jesus anzuvertrauen. Man kann ihm das nicht verdenken. Bisher hatte er einen anderen Glauben praktiziert, den Göttern und Dämonen gedient, und nun sollte er plötzlich einem Gott vertrauen, von dem er sein Leben lang nie gehört hatte.

Um die lange Geschichte kurz zu fassen. Der Hindu floh aus dem Spital. Die Gläubigen beteten noch intensiver für ihn. Und dann geschah das Wunder. Vier Wochen später kam Joram zurück. Er hatte inzwischen in seiner Bergeinsamkeit ohne jede weitere seelsorgerliche Hilfe Jesus angenom­men. Dieses Erlebnis zeigt, dаß Gott uns nicht unbedingt braucht. Bei der Bekehrung der Men­schen geht es bei Gott nicht nach einer Schablone. -. In meinem Buch Himalaja ist die Geschichte Jorams veröffentlicht.

Ein Beispiel aus Australien.

B 85 Ein junger Mann hörte in Riverwood (New South Wales) einen meiner Vorträge. Er kam zur Beichte und lieferte sein Leben Jesus aus. In den kommenden Stunden wurde er von unsichtbaren Mächten niedergeschlagen. – Einen ähnlichen Vorfall hörte ich in der Schweiz. Auch das Beispiel der Maria in Kapitel 1 enthält solche Vorfälle.

B 86 Reaktionen der Finsternis nach der Bekeh­rung eines Menschen sind an der Tagesordnung. – Ein 21jähriges Mädchen berichtete in der Seelsor­ge, dаß sie vor zwei Jahren den Weg zu Christus gefunden hat. Seit ihrer Bekehrung wird sie ge­plagt von Selbstmordgedanken, Depressionen, Lebensunlust. Sie unternahm sogar zweimal einen Selbstmordversuch. Diese seelischen Störungen traten erst nach der Bekehrung ein. Das Gespräch ergab, dаß Mutter und Großmutter aktive Karten­legerinnen sind.

B 87 Ein 54jähriger Pfarrer kam zu einer seelsor­gerlichen Unterredung. Er leidet unter Depressio­nen, aber nur jeweils 14 Tage vor den hohen kirchlichen Festen oder vor Glaubenskonfe­renzen.

Die periodisch wiederkehrenden Depressionen gibt es im medizinischen Bereich, aber auch bei okkulten Belastungen. Die seelischen Verstim­mungszustände im medizinischen Sektor richten sich nicht nach kirchlichen Festen.

Bei dem Pfarrer war es so, daß seine Mutter ihn als Kind bei Erkrankungen besprechen ließ. In der Kriegsgefangenschaft ließ er sich mit einem Wahr­sager ein. Er ist auch medial veranlagt, denn Rute und Pendel schlagen bei ihm aus.

B 88 Eine weitere Art der Restistenz wurde mir oft in der Seelsorge erzählt, daß belastete Men­schen bei geistlicher Beeinflussung erkranken. Wenn bekannt wird, dаß ein Evangelist in der Gemeinde eine Bibelwoche halten will, dann er­kranken okkult Belastete zwei Tage vorher und können an der Veranstaltung nicht teilnehmen.

Bei starker Belastung kann der Anblick einer Bibel oder eines Kruzifixes genügen, daß der Betreffende in Raserei gerät.

Ein fast humorvolles Beispiel erlebte ich in Bern. Eine Frau, die jahrelang das spiritistische Tischrücken geübt hatte, erklärte, es würde ihr immer schlecht werden, wenn sie einem gläubigen Pfarrer begegne. Bei Namenchristen empfindet sie solche Störungen nicht.

Wenn man einen Krankenbesuch macht und ein Angehöriger ist dabei, der okkult belastet ist, dann kann der Belastete Gottes Wort und Gebet nicht ertragen. Er verläßt das Zimmer.

B 89 Ein spezielles Beispiel erzählte mir eine Frau aus ihrer Ehe. Der Ehemann kann keiner­lei geistlichen Einfluß ertragen. Zum Beispiel besuchte sie mit ihm die Matthäuspassion von J. S. Bach. Ihr Mann ertrug die Musik nicht. Er fing an, seine Frau zu beschimpfen: „Du bist ein Scheusal, du bist ein Teufel, du bist besessen.” Wenn es der Frau gelingt, ihren Mann am Karfrei­tag zu einem Gottesdienstbesuch zu bewegen, gibt es ähnliche Reaktionen. Er tobt hinterher. Auch beim Singen christlicher Lieder wird eine solche Resistenz ausgelöst.

Der Mann ließ sich zur Konsultation eines Psychiaters überreden, weil er diesen vom Stu­dium her kannte. Die psychiatrische Betreuung bestand darin, daß der Psychiater den Patienten zum gemeinsamen Alkoholgenuß verleitete. So feierten sie Saufgelage, damit der „christlich ge­plagte” Mann diesen unerträglichen Einfluß besser überstehen könne.

Diese seltsame Therapie veranlaßte die Frau, den Psychiater aufzusuchen. Sie bat den Medizi­ner: „Hören Sie doch mit dem vielen Alkohol auf. Mein Mann kommt hinterher heim, schlägt mich, tobt und versucht, mich zu vergewaltigen.” Der Psychiater gab ihr den Rat: „Hören Sie endlich auf mit dem frommen Kram. Viele sind um ihrer überspannten Religiosität willen geisteskrank ge­worden.”

Der okkult belastete Ehemann hätte einen Seel­sorger mit Erfahrung gebraucht und nicht einen gottlosen Psychiater.

Die meisten okkulten Belastungen mit Resi­stenzerscheinungen fand ich in Familien, in denen die Kranken durch magisches Besprechen geheilt worden sind.

B 90 Eine 30jährige Frau berichtete ihre Fami­liengeschichte. Ihre Großmutter und ihre Mutter haben allerlei okkulte Künste getrieben, in die auch die Kinder und Enkel mit hineingezogen wurden. Den Kindern wurden bei Vollmond die Haare geschnitten, aus dem reifenden Kornfeld wurden in den drei höchsten Namen Ähren aus­gerauft und als Talismane aufbewahrt. Im Haus wurden Glücks- und Brandbriefe aufbewahrt. Die ganze Familie beachtete viele abergläubische Regeln. Als Auswirkung dieses Aberglaubens gibt es in der Familie zwei Selbstmordfälle. Meine Berichterstatterin leidet ebenfalls unter Depres­sionen und Selbstmordgedanken. Wenn sie einen Evangelisationsvortrag oder auch nur einen Got­tesdienst der Kirche am Sonntag besucht, so ist sie bei der Verkündigung sofort benommen. Ein­mal betete ein Seelsorger mit ihr und stellte eine starke dämonische Beeinflussung fest. Der Seel­sorger gebot im Namen Jesu diesen Mächten auszufahren. Meine Berichterstatterin verlor bei diesen Gebeten wieder ihre geistige Konzentra­tion. Dem Seelsorger schlug eine Stimme aus dieser Frau entgegen: „Nein, ich fahre nicht aus!” Die Frau erklärte, sie könne nicht glauben. Wenn sie beten wolle, würden ihr die Worte umge­dreht, so daß sie das Gegenteil sagt von dem, was sie sagen will. Das Benommensein, die Halbtrance und die Voll­trance sind typische Zeichen einer Resistenz. Je nach dem Grad der Belastung rangiert das Benommensein von der leichten Absence bis hin zur vollen Bewußt­losigkeit. Ein Theologiestudent auf den Philippinen, mit dem ich betete, fiel für 19 Stunden in Volltran­ce. Seine Geschichte steht in meinem Buch In der Gefolgschaft Jesu.

B 91 Eine Frau in Zürich fiel bei meinem Gebet in Volltrance. Dabei schrie eine Stimme aus ihr: „Hör auf mit dem verfluchten Beten. Das ist nicht auszuhalten.” Als ich amen sagte, kam sie wieder zu sich und wußte nicht, was mit ihr geschehen war. Ich sagte ihr auf den Kopf zu, daß sie Spiritismus getrieben hätte. Sie verneinte zu­nächst, dann, nach detaillierten Fragen, gab sie zu, daß sie neun Jahre lang jede Nacht ihren verstor­benen Mann gerufen hatte, der erschien und sogar das Eheleben mit ihr weiterführte. (Natürlich war diese Erscheinung nicht der verstorbene Mann, sondern ein Dämon, incubus.)

Das Besprechen liegt wie ein geistliches Leichen­tuch über unseren Tälern, Wäldern und Bauerndör­fern.

B 92 Eine Frau, 52 Jahre alt, kam in die seelsor­gerliche Aussprache. Sie berichtete folgendes. Ihr Bruder war ein extrem veranlagter Mann. Er war auf der einen Seite sehr freundlich, hilfsbereit, zuverlässig und treu in seiner ganzen Arbeit. Auf der anderen Seite konnte er so jähzornig und tobsüchtig werden, daß ihm Schaum vor dem Mund stand. Es wären aber keine epileptischen Anfälle. Bei diesem tobsüchtigen Gebahren be­hielt er stets das Bewußtsein. Wenn irgendwie das Gespräch auf biblische Dinge kam, wurde der Bruder sehr fuchtig und abweisend. Er nannte die Frommen „Rindviecher” und bedachte sie mit den schlimmsten Ausdrücken. In besonderem Maße richtete sich seine Wut auf die gläubige Schwester. Der Bruder war auch in Behandlung eines Psych­iaters, der ihn als Zwangsneurotiker bezeichnete und in eine Anstalt einweisen wollte. Mit 50 Jahren nahm der Bruder 30 Schlaftabletten und starb an dieser Vergiftung. Ich fragte die berichtende Schwester, ob denn nicht in ihrer Familie Zauberei betrieben worden wäre. Zunächst verneinte die Schwester. Als ich verschiedene Detailfragen stell­te, erinnerte sie sich an folgende Eigenart ihrer Mutter. Wenn ein Kind krank war, schickte sie je­weils ein Fläschchen Urin des kranken Kindes und einen Geldbetrag an eine alte Besprecherin, die von den Dorfbewohnern den Namen „Hexe” erhalten hatte. Tatsache war jedenfalls, daß nach dem Absenden des Urins und des Honorars die betref­fenden kranken Kinder rasch gesundeten. Dieser Besprechungsvorgang war auch bei dem neuroti­schen Bruder mehrmals angewandt worden.

Die Resistenz zeigt sich auch in der Abwehr der okkulten Kräfte, mit denen das Besprechen Erfolg haben kann.

B 93 Einer meiner Freunde, ein gläubiger Pfar­rer, ging mit seinem kranken Sohn trotz meiner Warnung zu einem Besprecher. Da der Pfarrer durch meine Ablehnung verunsichert war, verein­barte er mit seinem 15jährigen Sohn: „Wir beten bei der Behandlung.” So geschah es. Der okkulte Heiler sagte ihm dann: „Ihnen kann ich nicht helfen. Sie sind anders geschichtet.”

B 94 Das gleiche erlebten zwei Frauen aus der Schweiz. Die Tochter, die zu meinem Freundes­kreis gehört, ist die Berichterstatterin. Sie hatte ihre schwenkranke Mutter zu einem berühmten Heiler auf den Philippinen gebracht. Ein Züricher Arzt organisierte Gruppenflüge dorthin. Als die beiden Frauen im Sprechzimmer waren, wurde es ihnen unheimlich. Sie beteten. Da wandte sich der Heiler an sie mit der Aufforderung: „Hören Sie auf mit Ihrem Beten. Sie stören unsere Kräfte, mit denen wir arbeiten.” Die beiden Schweizerinnen wußten damit Bescheid. Sie verzichteten auf die Behand­lung und reisten zurück. Die Mutter ist dann zu Hause in Frieden heimgegangen. Die Tochter ist eine treue Jüngerin Jesu, die mit mir noch in Verbindung steht.

Wir sagten am Anfang: Heiliger Geist und spiriti­stische Geister scheiden sich wie Himmel und Hölle. Das Gebet legt die Tätigkeit der Okkultisten lahm. Hier ist aber eine Warnung davor auszusprechen, daß man leichtsinnig denkt: Ich bete, dann kann mir nichts passieren. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn wir gewarnt sind, sollen wir uns nicht in Behandlung okkult arbeitender Heiler begeben. Au­ßerdem nützt das Beten eines Namenchristen nichts. Der Teufel fürchtet nur die treuen Jünger Jesu, nicht die halbherzigen. Daß mein Freund in B 93, der evangelische Pfarrer, den ich gewarnt hatte, sich in das gefährliche Wagnis eingelassen hatte, hängt da­mit zusammen, daß er meinte, es handle sich um einen christlichen Heilpraktiker, weil er eine Bibel und den Neukirchner Abreißkalender in seinem Sprechzimmer hatte. Das Losungsbüchlein, das Ge­sangbuch und ein Christusbild vervollständigen die Tarnung, auf die viele hereinfallen. Zum anderen haben Vater und Sohn um Klarheit gebetet. Gottes Gnade hat sie darum bewahrt.

B 95 Ein Beispiel, das ich in Norddeutschland aufnahm, hat folgenden Hin­tergrund. Ein Diakon berichtete mir von Frau S., die bekannt ist als Spiritistin, Besprecherin und Heilmagnetiseurin. Diese Okkultistin, die be­hauptet, ihre Kräfte von Gott zu haben, legte seiner kranken Frau die Hände auf. In diesem Augenblick betete der Diakon innerlich: „Herr Jesus, wenn diese Kräfte nicht von dir sind, so bewahre meine Frau.” Die Heilerin fragte plötz­lich: „Was machen Sie? Ich bin gehemmt.”

Sie versuchte es ein zweites Mal, die Kranke zu magnetisieren. Der gläubige Christ betete in der gleichen Weise. Dann wurde Frau S. wütend und jagte beide fort. Resistenz gibt es auch in der Umkehrung, daß ein Reichgottesarbeiter gehemmt oder blockiert ist, weil in seiner Umgebung viel Zauberei getrieben wird.

Dazu einige Hinweise.

B 96 Mein Berichterstatter war ein Baptisten­prediger, der in seiner Gemeinde eine Erweckung hatte. Da wurde er krank. Er suchte einen okkul­ten Homöopathen auf. Dieser zapfte Blut ab, das er aber nicht untersuchte, sondern psychome­trisch zur Hellseherei benutzte. Der Pastor war insgesamt viermal bei ihm. In dieser Zeit hörte die Erweckung auf. Er konnte sich das nicht erklären. weil dieser Stopp so schlagartig auftrat. Als er mein Buch Between Christ und Satan gelesen hatte, gingen ihm die Augen auf, und er berichtete darüber im Pfarrkonvent und in meiner Seelsorge.

Ein Mann kann mit seinen Zaubereisünden eine geistliche Bewegung stoppen. Dazu liegen mir viele Beweise vor.

B 97 Ein Pfarrer aus Mitteldeutschland berich­tete, daß er einen Filialort hätte, in dem seine Verkündigung nicht durchschlagen würde. Der Pfarrer stammt aus der Gemeinschaftsbewegung und hat eine Gabe zur erwecklichen Verkündi­gung. Während sich im Hauptort gläubige Kreise bilden, ist im Filialort alles vermauert. Im Lauf seiner Amtszeit stellte er fest, dаß in dem betref­fenden Filialort fast in jedem Haus bei Erkrankun­gen Besprecherhilfe in Anspruch genommen wird. Das Besprecherunwesen blockiert die geistliche Entwicklung einer Gemeinde.

B 98 Vor Jahren erhielt ich eine Einladung in ein Dorf nach Süddeutschland. Im Verlauf der Woche kamen mehr als 60 Menschen zur seelsorgerlichen Aussprache. Fast alle beichteten Heilungen durch einen Besprecher des Dorfes, der 75% der Bau­ernhäuser als Kundschaft hatte. In dem Dorf sah es dementsprechend aus. Viele Selbstmorde, Geisteskrankheiten und seelische Störungen. Vor kurzem schrieb mich der Ortspfarrer an, daß in diesem Dorf auch eine Satanistengruppe existiere, die Unheil anrichte.

B 99 Ein Pfarrer im Elsaß beklagte sich über den trostlosen Zustand seiner Gemeinde. Ich konnte ihn darüber informieren, dаß eine Besprecherin im Nachbardorf aussagte, sie hätte 150 Kunden aus seiner Pfarrei.

B 100 Im Oberbergischen wurde ich bei einer Vortragstour informiert, daß in dem Dorf 90 % aller Einwohner an spiritistischen Zirkeln teil­nehmen würden. Nachprüfen konnte ich das nicht.

B 101 In einem Dorf im Coburger Land sagte mir ein gläubiger Lehrer, daß nachts von Dorfbe­wohnern nach altem germanischem Brauch den heidnischen Göttern Hähne auf einem Opferstein geopfert werden. Dieses Dorf ist für die christliche Botschaft geistlich verriegelt.

B 102 Im Werratal berichtete mir ein gläubiger Pfarrer, daß in diesem Tal eine Hebamme 40 Jahre tätig gewesen sei, die alle neugeborenen Kinder magisch besprach und dem Teufel weihte. Bevor diese Säuglinge getauft waren, hatte schon ein anderer Besitzrecht übernommen. Man versteht dann, daß sich ein Pfarrer in solchen Gemeinden schier totarbeitet und keine Frucht sehen darf. Es gibt Gegenden, Täler, Gebirgsdörfer, in denen die Zauberei sprichwörtlich geworden ist. Dazu gehört zum Beispiel die Lüneburger Heide, Schles­wig-Holstein und andere Gebiete. Wundert man sich dann über den trostlosen geistlichen Zustand dieser Gegenden? Einer meiner Freunde war im Urlaub an der Ostsee. Als am Sonntag die Kirchenglocken läuteten, machte er sich auf den Weg zum Gottes­dienst. Der Pfarrer stand unter der Kirchentür. Mein Freund war der einzige Besucher. So lud ihn der Pfarrer ein: „Kommen Sie rüber ins Pfarrhaus. Wir trinken eine Tasse Kaffee und spielen Schach.” Die­ser einzige Besucher war der Schwiegersohn von Dekan Friedrich Hauss, Pfarrer Adolf Leonhard, der mir dies berichtete. Diese Beispiele von ganzen Gebieten, Tälern und Dörfern können aber von der Einzelseelsorge ablen­ken. Gewöhnlich hat es der Seelsorger in der Abwehr okkulter Belastungen mit einzelnen Ratsuchenden zu tun. Aber auch hier zeigt sich die Resistenz in schwacher und starker Form.

B 103 Der Sohn eines Kirchenpräsidenten in der Schweiz saß vor mir. Er wollte sich zu Christus hinwenden, brachte aber seine Anliegen kaum heraus. Er war wie gelähmt. Der Hintergrund seiner Hemmungen war, daß er als kleiner Junge bei einer Erkrankung von einem Appenzeller ok­kulten Heiler behandelt worden war. Als ich mit ihm nach der Beichte ein Lossagegebet beten wollte, konnte er die Hände nicht falten, obwohl er sich alle Mühe dazu gab. Es war ihm auch unmöglich, den Namen Jesu auszusprechen.

Es ist also nicht immer so, daß Belastete beim Gebet in Halbtrance oder Volltrance fallen. Es gibt viele Abstufungen, die dem erfahrenen Seel­sorger bekannt sind.

S 24 In der Seelsorge zeigen sich viele Formen von okkulten Belastungen. Wollen Belastete die Bibel lesen, flimmern ihnen die Augen, oder sie haben Mühe, sich zum Bibellesen zu zwingen. Wenn sie beten wollen, drängen sich ihnen manchmal Läster­worte gegen Gott und Jesus auf. Unter der Verkün­digung des Wortes Gottes werden sie müde, schläfrig und fangen an zu gähnen, obwohl sie weder Schlaf noch Hunger haben. Zum Singen haben sie keine Lust. Sie müssen sich geradezu einen Ruck geben mitzusingen. Bei geringsten Anlässen können sie im Zorn explodieren oder werden gar tobsüchtig. – Natürlich gibt es solche Entgleisungen auch auf­grund anderer Ursachen, aber die okkulte Belastung läßt sich unterscheiden. Vor allem spielt die Resi­stenz eine Rolle. Die anomalen Zustände lassen sich provozieren. Die epileptischen Anfälle z. B. haben ihre eigene Gesetzmäßigkeit. Sie werden nicht durchs Gebet oder geistliche Beeinflussung ausge­löst. Der okkult Belastete spricht aber sofort auf geistliche Betreuung an. – Es darf der Hinweis nicht unterlassen werden, daß der okkult Belastete nur reagiert, wenn er mit dem Pneuma, dem Heiligen Geist, konfrontiert wird. Auf Namenchristentum, auf Gewohnheitschristentum, auf Traditionschri­stentum, auf frommen Firniß, spricht der Teufel nicht an. Er läßt seinen Opfern die Religiosität, auch die formale Kirchlichkeit. Er wehrt sich aber mit Entschiedenheit, wenn er es mit dem lebendigen Glauben eines wiedergeborenen und geisterfüllten Christen zu tun bekommt.

Vor Jahren habe ich einmal Prof. Dr. Bender, dem weltbekannten Parapsychologen, 100 meiner Bei­spiele zugesandt. Ich schilderte ihm auch die Merk­male der Besessenheit. Er schrieb zurück, daß er nur das Resistenzphänomen akzeptieren könne.

Der Seelsorger für okkult Belastete

Wer ist zur Seelsorge berufen?
L. Thimme antwor­tete auf diese Frage: „Seelsorger sind Menschen, deren eigene Seele versorgt wurde.” Nach Luthers Meinung gibt es das Priestertum aller Gläubigen. Das heißt, jeder Christ sei des anderen Seelsorger und Beichtvater. Das Grundkonzept der Umkehr und Hinkehr zu Christus ist ja sonnenklar.

In 1. Joh. 1,9 heißt es: „So wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.”

Wenn das in einzelnen Etappen gesagt werden soll, so heißt das: Sündenerkenntnis, Sündenbekenntnis, Buße und Beichte, Hingabe an Jesus, Reinigung und treue Nachfolge Jesu. Das darf nicht als Schema oder Schablone verstanden werden, also keine Methode. Gott handelt in freier Souveränität. Er kann in freiem Handeln alle Etappen überspringen und direkt ohne Zwischenstufen einem Menschen begegnen, so daß der Angesprochene sein Eigentum wird: Buße, Beichte und Reinigung folgen aber nach.

Jeder, der eine solche Christusbegegnung erlebt hat, soll und kann dem suchenden Menschen Weg­weiser sein. Eine ausführliche Darstellung findet sich in meinem Buch: Wie findet man Jesus.

Nicht so einfach ist es bei der Seelsorge an okkult Belasteten. Aufgrund unguter Erfahrungen muß so­gar davor gewarnt werden, daß solche, die gerade aus einer okkulten Belastung freigeworden sind, sofort versuchen, andere Belastete in die Seelsorge zu neh­men. Nach Luk. 11,24 kommen die verjagten Geister gern zurück. Hier ist also Vorsicht geboten. Dieser Hinweis erfolgt aber nur aus dem Überblick gefährli­cher Erfahrungen.

Überhaupt ist davor zu warnen, daß nicht jeder sich berufen fühlt, Seelsorge an okkult Belasteten zu treiben. Ich hatte drei negative große Erfahrungen, die mich heute noch mit Schmerz erfüllen.

B 121 Ein gläubiger Arzt, der auch Theologie studiert hatte, las mein Buch Seelsorge und Ok­kultismus. Er meinte nach der Lektüre, er hätte einen Auftrag, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Da er ein christliches Erholungsheim leitete, hatte er viele Möglichkeiten der seelsorgerlichen Bera­tung. Er übte das ein Jahr. Da umnachtete sich sein Geist, er kam in eine Heilanstalt und starb. Ohne das Anlegen der Waffenrüstung von Epheser 6 ist man nicht gewappnet gegen die Angriffe des Erz­feindes.

B 122 Ein deutsch-amerikanischer Evangelist entschloß sich, mich zwei Jahre auf meinen Vor­tragstouren zu begleiten und ebenfalls in Vorträ­gen gegen Zaubereisünden und okkulte Belastun­gen zu predigen. Zwei Jahre ging es gut, dann reiste er zurück in die USA und setzte dort seinen Dienst fort. Als ich ihn in USA aufsuchen wollte, sagte mir seine Frau, er befinde sich in einer Heilanstalt. Als er wieder schreibfähig war, teilte er mir mit, er müsse diese Art Vorträge aufgeben, was durchaus meiner Meinung entsprach.

B 123 Das dritte Beispiel ist mir das schrecklich­ste. Ich reiste etwas mehr als drei Jahre zusammen mit einem australischen Evangelisten. Er hatte eine vollmächtige Verkündigung, unter der sich die Zuhörer bekehrten. Er lernte einiges aus meiner Verkündigung und Seelsorge und fing damit an, sich ähnlich zu betätigen. Es fehlte aber die Korrektur der Erwec­kungsgebiete, wie ich sie erlebte. Er gab die gemeinsame Arbeit mit mir auf, verließ seine Familie und übernahm die Leitung eines Nacht­klubs auf Teneriffa. Heute steckt er wieder in einem furchtbaren Sündenleben.

Ich bete immer noch für ihn und halte Gott vor: „Du hast auch Gnade für die Abtrünnigen.” In Hosea 14,5 heißt es: „Ich will ihr Abtreten wieder heilen.”

Zuletzt muß ich von mir selbst berichten. Ich wäre in meinem Dienst zugrunde gegangen, wenn nicht viele Beter mir den Rücken gestärkt hätten. An dieser Stelle will ich besonders der Pfarrergebetsbruderschaft für alle Fürbitte danken. Zu dieser Gebetshilfe kam dann der Besuch von vielen Erweckungsgebieten, auf denen ich „geistlich volltanken” konnte. Ich habe ja mehr Bücher über die Erweckung und missionari­schen Probleme geschrieben als gegen das Okkulte. Dadurch hat Gott Gnade geschenkt, daß ich mich geistlich wieder fangen und durch Buße einen Neu­anfang machen konnte.

Bevor ich Menschen danke, gilt in erster Linie mein Dank dem großen Hohenpriester, der zur Rechten des Vaters sitzt und für uns eintritt.

Alle diese Erfahrungen zeigen, daß die Seelsorge an okkult Belasteten ein gefährliches Gebiet ist. Ich denke dabei an das Erlebnis der sieben Söhne des Juden Skevas, die eine Austreibung der bösen Geister versuchten und zuschanden wurden (Apg. 19,14). Wer auf diesem Gebiet arbeitet, steht auf der Ab­schußliste Satans. Ich meine darum, daß eine speziel­le Ausrüstung zu einem solchen Dienst gehört. Pau­lus spricht sogar von einer Berufung in Eph. 4,11:

Er hat etliche zu Aposteln gesetzt,
etliche zu Propheten,
etliche zu Evangelisten,
etliche zu Hirten und Lehrern.

Oft bin ich gefragt worden, ob Frauen oder gar junge Mädchen zu einem solchen Dienst berufen sind. Normalerweise nicht. Nun aber sind auf den Missionsfeldern oft keine geeigneten und vollmächti­gen Brüder da. Ich bin überzeugt, daß der Herr auch Missionarinnen dazu ausrüsten kann. Mir ist ein Beispiel aus Neuguinea bekannt, daß eine glaubens­starke Missionarin in den geistlichen Kampf mit einem Oberzauberer hineingestoßen wurde und in der Kraft Jesu gesiegt hat. Gott kann also auch das sogenannte „schwache Geschlecht” ermächtigen, seine Ziele zu verwirklichen. Wir dürfen das freie Handeln Gottes nicht mit unserer Gesetzlichkeit einengen wollen. Die Regel bleibt aber, daß Gott Brüder für einen solch schweren Dienst ausrüstet. Oft ist es sogar Teamwork, das heißt Aufgabe einer Gruppe von zwei oder gar drei gläubigen Seelsor­gern.

Zu den geistlichen Voraussetzungen, die jeden Christen betreffen, kommen bei dem Seelsorger noch einige Dinge dazu. Er muß um die Gabe der Geisterunterscheidung bitten und in ständiger Chri­stuspräsenz leben. Dringend wichtig ist, dаß er Erkrankungen und Belastungen unterscheiden lernt. Dazu will auch dieses Buch etwas mithelfen. Prof. Dr. Otto Michel, mit dem ich seit mehr als 30 Jahren in Verbindung stehe, schrieb zur Befreiung aus okkulter Belastung in seinem Buch Gestaltwandel des Bösen: „Es gehört zur Vollmacht Jesu, zur Kraft seines Namens, satanische Macht zu brechen. Aber auch dieses Brechen hat seine Ordnung, das Geheiligt­sein des helfenden Zeugen (Joh. 17,17-19) und die Willigkeit, die Hilfe anzunehmen. Entscheidend sind: das Bekenntnis der Schuld, die ausdrückliche Buße und Absage, das Anrufen des Namens Je­su … Wer einen Bund mit dem Satanischen ge­schlossen hat, muß diesem Bund unter Gegenwart von Zeugen absagen.”

Zum Geheiligtsein des Seelsorgers schreibt Prof. Dr. Rohrbach (Mit dem Unsichtbaren leben): „Jesus betete für seine Jünger (Joh. 17,17f.): ,Vater heilige du sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit’. Wir müssen durch Jesus geheiligt werden. Zum festen Gegründetsein der Jünger Jesu in ihrem Herrn gehört die volle Unterordnung, die volle Hingabe, der völlige Gehorsam, die volle Liebe, die alles fahren läßt, auf dаß nur er, der Herr, verherrlicht, ihm allein die Ehre gegeben wird … Erzwungen werden kann die besondere Vollmacht nicht. Sie ist nur Gabe und auch nicht Gabe auf Dauer… Sie kann von Jesus gegeben und auch wieder genommen werden.”

Was im einzelnen alles zur Seelsorge an okkult Belasteten gehört, habe ich bereits in mehreren mei­ner Bücher dargestellt:

Heilung und Befreiung,
Besessenheit und Exorzismus,
Seelsorge und Medialität,
Okkultes ABC und
Christus oder Satan.

www.schriftenmission.de

Die schwerste Form der okkulten Belastung ist die Besessenheit.

Als Jesus seine Jünger aussandte, gab er ihnen eine dreifache Vollmacht: Verkündigung, Hei­lung und Austreibung. Diese Vollmacht ist in der Christenheit weithin verlorengegangen. Aus der Vollmacht der Verkündigung wurde gutgeschulte Rhetorik. Aus der Vollmacht der Heilung wurde die medizinische Wissenschaft. Die Vollmacht der Aus­treibung wurde in das psychiatrische Gebiet verla­gert.

Der andere Mißbrauch ist die Praxis extremer Sekten. Beides sind Irrwege: die rationale Umfor­mung der Vollmacht und die emotionale Verzerrung. Dazwischen – darüber – liegt der richtige Gebrauch biblischer Anweisung. Wer Ohren hat zu hören, der höre. Wer ein geöffnetes Herz hat, der verstehe!

Zwei Maßnahmen der seelsorgerlichen Betreuung müssen kurz besprochen werden, weil darüber theo­logische Diskussionen entstanden sind.

Es handelt sich um das Lossagen und das Losspre­chen. Es geht zunächst um die Stelle Mt. 18,15-20.

Dr. Helge Stadelmann schreibt zu dieser Stelle:

„Die immer wieder angeführte Hauptbelegstel­le für die Praxis dieses ,Bindens und Lösens`, Mt. 18,18, bezieht sich nicht auf die Seelsorge an okkult Belasteten, bezeichnet also keine cura spe­cialis (Spezialkur) für okkulte Fälle. Vielmehr geht es hier um das Verhängen des Gemeindebanns über einen Sünder, der angesichts seiner Unbuß­fertigkeit trotz aller Versuche gemeindeinterner Ermahnung schließlich aus der Gemeinde ausge­schlossen (= gebunden) wird. Tut er später Buße, kann er wieder in die Gemeinde aufgenommen (gelöst) werden. Dieser Sprachgebrauch bei Mat­thäus ist ganz in Übereinstimmung mit dem Wort­gebrauch der jüdischen Rabbinen zur Zeit Jesu: ,Binden und Lösen’ hieß hier entweder etwas für erlaubt bzw. verboten erklären oder aber über jemanden den Bann verhängen, d. h. ihn aus der Synagoge ausschließen bzw. ihn wieder in die Synagogengemeinschaft aufnehmen. Eins ist klar: Nicht hier und jetzt werden dämonische Mächte ,gebunden’, sie werden allenfalls durch ein seel­sorgerliches Befehlswort im Namen Jesu fortge­trieben. Gebunden wird der Satan erst, wenn Jesu endzeitliche und endgültige Erdenherrschaft an­bricht (Offb. 20, 2).”

Ohne Zweifel gibt hier Dr. Stadelmann den histo­rischen Sinn und den biblischen Zusammenhang dieser Stelle richtig wieder.

Ich will aber doch zu einer Erweiterung dieser Bibelstelle etwas hinzufügen. Im griechischen Grundtext steht in V. 15 nicht „an dir”, sondern einfach „sündigt ein Bruder”. So übersetzt auch Adolf Schlatter: „Wenn aber dein Bruder sündigt, dann geh, halte es ihm vor zwischen dir und ihm allein …” (A. Schlatter: Das Evangelium nach Matthäus)

In dieser Version des Grundtextes und der Schlat­terübersetzung handelt es sich nicht nur um die Sünde am Bruder, sondern um jede Sünde. Damit sind die okkulten Sünden nicht ausgeschlossen.

Die Lutherübersetzung „an dir” (eis se) schränkt den Sündenbegriff ein. Luther hat das nicht eigen­mächtig getan, sondern folgte einigen Handschrif­ten, die das „eis se” enthalten.

Noch ein anderer Gesichtspunkt muß geltend gemacht werden. Viele Schriftstellen haben einen historischen, prophetischen und geistlich übertrag­baren Sinn. Sonst hätten ja viele Bibelworte keinen Bezugspunkt auf unser Leben.

Es ist also nicht abwegig, wenn Prof. Dr. Rohr­bach in dem erwähnten Buch Seite 113 formuliert:

„Auf Absage und Hingabe erfolgt durch den Seelsorger die Lossprechung im Namen Jesu. Sie gehört dazu wie der Zuspruch der Vergebung zu einer Beichte. Ich benutze folgende Fassung: Herr Jesus Christus, du hast deinen Jüngern Weisung und Vollmacht gegeben: Was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein; was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein. Auf dieses dein Wort hin löse ich jetzt in deinem Namen diesen Bruder .. .(diese Schwester …) von allen Bindungen und Belastungen durch die Macht der Finsternis, in denen er (sie) noch gefangen ist. Ich löse ihn (sie) davon und binde alles, womit er (sie) bisher belastet war, in deinem Namen an dein Kreuz für Zeit und Ewigkeit. Amen.”

Gehen wir aber nochmals zurück auf den griechi­schen Grundtext und untersuchen die Ausdrücke: sich lossagen und lossprechen.

Sich von etwas lossagen heißt im Griechischen apeipein. Wir finden diesen Ausdruck in 2. Kor. 4,2: „apeipametha ta krypta tes aischynes”. Menge über­setzte: „Wir haben uns von aller schändlichen Heim­lichtuerei losgesagt.” Hans Bruns übersetzte: „Wir brauchen keine heimlichen Schliche, deren wir uns schämen müssen.” Das griechische Wort kryptos ist das gleiche wie das lateinische occultus. Der griechi­sche Text läßt einen großen Spielraum zu, z.B. „Wir haben uns von den schandbaren okkulten Dingen losgesagt.” Das ist keine Textvergewaltigung, son­dern liegt im Rahmen der Aussage.

Lossprechen heißt im Griechischen: apolyein – apodikazein – aphienai. In Luk. 13,12 sagt Jesus: „Weib, sei los von deiner Krankheit.” Im griechi­schen Grundtext steht: apolélysai – sei los – sei losgesprochen von deiner Krankheit.

Das Lossagen ist ein Glaubensakt und Weiheakt des Beichtenden. Wenn bei der Beichte etwas bewußt verschwiegen wird, hat das Lossagen keine Bedeu­tung. Manches kann unbewußt bleiben, das entkräf­tet das Lossagen nicht. Wenn es aber später bewußt wird, kann es nochmals in der Seelsorge vorgebracht werden. Das Lossagen ist Absage an die Mächte der Finsternis und Hingabe an Jesus.

Das Lossprechen ist ein helfender Akt des Seelsor­gers. Es gehört mit in die Absolution. Die Absolu­tion kann aufgrund der Verheißungen der Bibel wirksam sein, auch wenn der Seelsorger selber „ein Bube” ist, wie Luther einmal sagte. Das heißt, die Vergebung ist nicht abhängig von der geistlichen Reife des Seelsorgers. Um der Theologen willen muß aber hinzugefügt werden, daß hier kein Vorgang ex opere operato vorliegt.

Das Lossprechen ist von der Situation der Absolu­tion etwas verschieden. Natürlich ist auch hier dieser Vorgang abhängig vom vollbrachten Werk auf Gol­gatha. Wenn der Seelsorger aber selbst in Bindungen okkulter Art steckt, ist sein Lossprechen unwirksam. Voreiliges Lossprechen kann sogar mit Anfechtun­gen verbunden sein. Die sieben Söhne des Skevas wurden verletzt, als sie dem Besessenen helfen woll­ten. Als junger Pfarrer war ich einige Male auch zu voreilig und mußte dann Angriffe erleben. Je älter ich wurde, desto vorsichtiger handelte ich. Vor allem beim Umgang mit Besessenen.

Zum Lossprechen gehört eine gewisse Vollmacht. „Es unterwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein”, Jak. 3,1. Wenn der Seelsorger ohne Vollmacht ist und selbst ein ungereinigtes Leben hat, wirkt das Lossprechen nicht. Jüngerschaft Jesu ist eine verant­wortungsvolle Entscheidung und Haltung. Jesus sagt in Lk. 14,33: „Wer nicht absagt allem, was er hat, kann nicht mein Jünger sein.” Bei Besessenen kommt es häufig vor, daß Dämonen sich über vollmachtslose Seelsorger lustig machen.

Ein offizielles Beispiel ist das Tonband, das der Seelsorger der Anneliese Michel von Klingenberg aufgenommen hat. Die Dämonen sprachen aus dem besessenen Mädchen: „Ha, ha, ha, der Haag meint, uns gibt es nicht.” Auch aus der Apg. 19,15 können wir das entnehmen: „Jesus und Paulus kennen wir, wer aber seid ihr?”Auf keinem Gebiet der Seelsorge rächt sich so intensiv die Vollmachtslosigkeit wie bei der Betreu­ung von okkult Belasteten oder gar Besessenen.

Paulus schreibt in Phil. 3,1: „Daß ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht und macht euch desto gewisser.” Darum soll noch einmal un­mißverständlich wiederholt werden:

S 33 Die medizinischen und psychologischen Wis­senschaften können nur das erforschen, was inner­halb des rationalen Bereiches liegt. Ihr Spielraum ist die Immanenz. Die Tragödie ist, daß die Wissen­schaftler und in deren Schlepptau auch die meisten Theologen sich dauernd Übergriffe leisten und ver­suchen, das Irrationale, das Übersinnliche, das biblisch Jenseitige in den verstandesmäßigen Griff zu bekommen. Das ist zum Scheitern verurteilt, denn der natürliche Mensch begreift nicht die Fakten der Sphäre Gottes und des Heiligen Geistes. Davon gingen wir im ersten Kapitel aus.

Der Zugang kann nur von „der anderen Seite” geöffnet werden. Voraussetzung dafür ist auf der Seite Gottes ein Handeln seiner Gnade und auf der Seite des Menschen eine Wiedergeburt durch den Heiligen Geist (Joh. 3,3) – gratia data – das Stehen in der Christuspräsenz (Hebr. 12,14) und in vielen oder den meisten Fällen die Gabe der Geisterunterscheidung (1. Kor. 12, 10).

Sind unsere Weichen richtig gestellt?

In meiner Schulzeit schwärmte ich für die grie­chische Philosophie der vorchristlichen Zeit. Viele der platonischen Werke las ich im Griechischen. Einer der Schüler Platos war Aristoteles (383-322 v. Chr.), der Gründer der sogenannten peripateti­schen Schule. Der Ausdruck kommt von dem Ver­bum peripateo = herumgehen. Die Philosophen diskutierten ihre Probleme beim Spaziergang oder beim Umhergehen um das Bassin eines Atriums. Aus dem philosophischen Realismus dieses bahn­brechenden Denkers der alten Welt merkte ich mir als Student einige Lebensregeln. So z. B. bedeutet die Tapferkeit die Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit, zwischen Geiz und Verschwen­dungssucht liegt als Mitte die Sparsamkeit. Aristo­teles will also Extreme vermeiden und eine maßvol­le Mitte praktizieren.

Ähnliche Gedanken findet man bei dem römi­schen Dichter Horaz (65-8 v.Chr.). Aus seinem reichen Schaffen (Satiren, Episteln, Epoden) sind seine Oden am wichtigsten. Im Gymnasium quäl­ten wir uns mit seinem schweren Latein herum. Aus diesem Grunde waren sie bei uns Schülern nicht beliebt. Aber eines ist mir haften geblieben. Er könnte beinahe als Vertreter der Aristotelischen Entelechie gelten, wenn er die aures mediocritas, den goldenen Mittelweg, besingt.

Registrieren wir aber genau, daß es sich bei diesen Männern um heidnische Philosophie und Poesie handelt. Die Botschaft der Bibel hat eine Höhenlage.

Vor Jahrzehnten sangen wir im EC ein Lied, dessen Refrain lautete: Heiß oder Kalt, Ja oder Nein, Niemals wollen wir lauwarm sein.

Das ist die Botschaft von Offbg. 3,15: „Ach, daß du kalt oder heiß wärest.” So heißt es im griechischen Grundtext: ophelon psychros es e zestos. Luther hat zestos leider mit warm übersetzt. Das griechische Wort heißt aber siedend, heiß. Hermann Menge und Bruns übersetzen es richtig: Oh, wenn du doch kalt oder heiß wärest.”

Heiß oder kalt

Das ist die Alternative des Neuen Testamentes, ja der ganzen Bibel. Diese Gegensätzlichkeit tritt uns in vielen Bibelstellen entgegen:

Segen oder Fluch

Vor diese Wahl stellte Mose sein Volk (5. M. 11,26): „Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch; den Segen, so ihr gehorchet, den Fluch, so ihr nicht gehorchet den Geboten des Herrn, eures Gottes.”

Maleachi (2,2) wiederholt diesen Vorgang mit anderen Worten. Er sagt: „Wenn ihr mein Gebot nicht zu Herzen nehmt, daß ihr meinem Namen nicht die Ehre gebt, so werde ich den Fluch unter euch schicken und euren Segen verfluchen.”

Jeremia (21,8) hat von Gott einen ähnlichen Auf­trag erhalten: „Sage diesem Volk, so spricht der Herr: Siehe ich lege euch vor den Weg zum Leben und den Weg zum Tode.”

Weg zum Leben oder Weg zum Tode

Der Prophet Daniel, der rund 900 Jahre später als Mose lebte, zeigte seinem Volk das doppelte Ende, die zweifache Möglichkeit. Er sagt (Dan. 12,2): „Viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, etliche zum ewigen Leben, etli­che zu ewiger Schmach und Schande.” Also heißt unsere Zukunft

Ewiges Leben oder ewige Schmach

Das Neue Testament führt die Aussage von der doppelten Möglichkeit weiter. Am Schluß der Bergpredigt (Mt.7,13f.) sagt Jesus: „Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden.” Hier gibt es keinen goldenen Mittelweg wie bei Horaz.

Entweder breiter Weg zur Verdammnis – oder schmaler Weg zum Leben

Die Botschaft aus dem Mund Jesu, die die Aus­schließlichkeit der beiden Lager zeigt, ist das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in Mt. 25. Die gläubigen Ausleger, z. B. Rienecker, sagen, daß alle zehn Jungfrauen auf das Kommen des Bräutigams warteten. Auch die törichten Jungfrauen gehörten zum Reich Gottes. Ich lasse einmal Rienecker, mit dem ich befreundet war, zu Wort kommen. Er schreibt in seiner Auslegung zum Matthäus-Evange­lium folgendes:

„Zum anderen sind die törichten Jungfrauen ihrem Wesen nach weder zu über- noch zu unter­schätzen. Man überschätzt sie, wenn man sie den klugen Jungfrauen gleichstellt. Man unterschätzt sie, wenn man sagt, sie hätten den Geist Christi nicht empfangen; alles bei ihnen wäre nur Form und Schein. Es heißt aber doch V. 1 von den törichten Jungfrauen, daß sie Glieder des König­reiches der Himmel sind. ,Dann wird das König­reich der Himmel zehn Jungfrauen ähnlich sein.` Hier steht nicht: Ähnlich den fünf klugen Jung­frauen, sondern: ähnlich zehn Jungfrauen. Dem­gemäß sind die fünf törichten Jungfrauen auch Glieder des Königreiches der Himmel. Ein Glied dieses Königreiches kann aber nur der sein, wel­cher wirklich Heiligen Geist hat. Folglich haben auch die törichten Jungfrauen den Geist Christi. Sie könnten ja auch unmöglich nach Vers 8 spre­chen: ,Unsere Lampen verlöschen`, d. h., wir haben nur noch ganz wenig Öl, nur noch ein ganz geringes Maß des Geistes Gottes. Durch Untreue haben sie ihn, diesen Geist, immer mehr ver­loren.”

Am Ende dieser tragischen, warnenden Geschich­te steht: Die klugen Jungfrauen waren im Hochzeits­saal, die törichten standen vor verschlossener Türe.

Drinnen? oder draußen?

In dem erwähnten Kommentar Rieneckers zum Matthäus-Evangelium stehen die Sätze, die auch uns gelten: „Alle Gläubigen werden, wenn der Herr kommt, entweder zur Gruppe der törichten oder aber zur Gruppe der klugen Jungfrauen gehören. Hier gilt wiederum das heilige Entweder-Oder der Schrift! Eine Mittelgruppe gibt es nicht.

Der Evangelist Lukas hat uns die Geschichte vom verlorenen Sohn aufbewahrt. Viele Künstler sind durch dieses Gleichnis inspiriert worden. Mir geht es in diesem Zusammenhang nur um die Darstellung der beiden Lebensformen; das alte Leben in der Sünde, das neue Leben in der Buße und Umkehr. In Lukas 15,24 heißt es:

„Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden. Er war verloren und ist gefunden wor­den.” Die beiden entgegengesetzten Lebensformen heißen:

Rettung oder Verderben

Nach Matthäus und Lukas wenden wir uns dem Evangelisten Johannes zu. Sein Evangelium ist grie­chisch am einfachsten geschrieben. Die Griechisch lernen, fangen gewöhnlich mit diesem Evangelium an. Gedanklich ist es aber am tiefsinnigsten. Manche Partien erinnern an philosophisches Denken, ~ eiben aber biblisch genuin. Es wird von einem anderen Gegensatz in Joh. 8,12 berichtet. Jesus sagt dort: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.” Die großen Gegensätze sind hier:

Licht oder Finsternis

Unsere Entscheidung für das Licht oder die Finsternis wird unser ewiges Los bestimmen. Jesus warnt in Joh. 3,19: „Das ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.” In unseren Tagen merken wir mehr als je, daß die Finsternis überhandnimmt. Es wird unter der Person des Antichristen noch schlimmer kommen. Den Apostel Paulus müssen wir noch zu Wort kommen lassen. In seinem Brief an Timotheus (2. Ti. 3,5) schreibt der Apostel: „In den letzten Tagen werden Menschen sein, die da haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie.” Hier heißt der geistliche Kurs:

Schein oder Kraft

Das Kraftproblem spielt bei Paulus eine große Rolle. Er spricht in Eph. 1, 19 von der überschweng­lichen Größe der Kraft Gottes an uns. Es gibt also in der Nachfolge Jesu nicht ein Leben im leeren Schein, sondern in Beweisung des Heiligen Geistes und der Kraft (1. Kor. 2,4).

Neben vielen anderen biblischen Gegensätzlich­keiten ist mir eine Tatsache fast am wichtigsten geworden. Jesus sagt seinen Jüngern (Luk. 10,20):

„Freuet euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind.” Und in der Offbg. 3,5 verheißt der erhöhte Herr: „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens.”

Das ist die letzte große Weichenstellung: Sind wir in der großen Kartei des Himmels erfaßt oder nicht, registriert oder nicht registriert. Sind wir nur Bürger dieser Welt oder auch jener Welt? Wen diese Fragen bewegen, den verweise ich auf mein Buch Wie findet man Jesus?

Einer öffnet die Türe

Hermann Menge übersetzte Mt. 16,26 in folgen­der Weise: „Was könnte ein Mensch als Lösegeld für seine Seele geben?” Dieses Wort Jesu bedeutet, daß wir Menschen keine Chance haben, uns freizukaufen von Schuld und Belastung.

Nur einer kann die verschlossene Türe öffnen: Jesus Christus. Er ist schon im Alten Testament angekündigt in Jes. 61,1: „Der Geist des Herrn ist über mir, darum daß mich der Herr gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, daß ihnen geöffnet werde …”

Das Programm Jesu, sein Auftrag umfaßt:

Den Elenden die frohmachende Botschaft.
Den zerbrochenen Herzen die Heilung.
Den Gefangenen die Freiheit.
Den Gebundenen die Loslösung.
Allen Traurigen wirksamer Trost.

Bei all dem, was in diesem Schlußkapitel berichtet wird, steht nirgends der Seelsorger im Blickpunkt, sondern nur Jesus. „Ich habe vor dir gegeben eine offene Tür.” Das sagte der erhöhte Herr der Gemeinde zu Philadelphia (Offbg. 3,8). Alle Beispiele, die hier folgen, zeigen die Befreiung durch Christus.

B 124 Mein Berichterstatter ist ein evangelischer Bischof, der vor einigen Jahrzehnten mit seinem kranken Sohn zur Betreuung in den Westen reiste. Sein achtjähriger Junge litt an einer Nieren­schrumpfung, die schon von einem Facharzt er­folglos behandelt worden war. Die Eltern brach­ten daher den Sohn in die „Arche” nach Möttlin­gen. Ein Möttlinger Bruder betete mit dem Kran­ken nach Jak. 5,14 unter Handauflegung. Es trat eine Heilung ein, die vom Facharzt bestätigt wurde.

Eines Tages erlebten die Eltern mit dem geheil­ten Jungen eine merkwürdige Reaktion. Sie hatten eine Hausgehilfin, die durch Beschäftigung mit okkulten Dingen stark medial war. Einmal kam die Mutter des Hausmädchens zu Besuch. Die Tochter schimpfte ihre alte Mutter so häßlich aus, daß Frau B. in der ersten Erregung der Hausgehil­fin eine Ohrfeige gab. Der geheilte Junge, der bei diesem Vorgang nicht dabei war, verzog von diesem Zeitpunkt an sein Gesicht, wie es vorher bei der Nierenschrumpfung der Fall war. Das Hausmädchen hatte sich in medialer Weise ge­rächt. Es besteht unter Umständen der Verdacht, . daß auch vorher schon die Nierenschrumpfung des Jungen durch die magischen Praktiken des Mädchens ausgelöst worden war. Die bestürzten Eltern beteten dann mit dem Jungen unter Hand­auflegung. Der Junge wurde von seiner Gesichts­verzerrung abermals geheilt.

Wer sich in den teuflischen Spielregeln der Magie nicht auskennt, wird eine solche Vermutung als unberechtigten Verdacht abweisen. In der Tat sind oft Unschuldige verdächtigt worden. Das wurde auch bei den entsetzlichen Hexenprozessen offen­bar. Es gibt aber Symptome, die Rückschlüsse zulas­sen. Selbst der Bischof sah diese Vorfälle so an, wie er mir selber mitteilte. Ich erinnere nochmals an die Malpraxis, von der M. ~. Eddy in „Science and Health” spricht. In dem Kapitel Mentalsuggestion ist davon die Rede.

Verfolgung durch schwarze Magie ist mir oft in der Beichte berichtet worden. Die ehemaligen Zauberer auf Neuguinea, in Ostasien und bei den schwarzen Stämmen in Afrika, die sich bekehrt haben, bezeu­gen, даß schwarze Magie mit Hilfe des Teufels funktioniert.

Da hier Neuguinea erwähnt ist, bringe ich einen Missionsbericht, der vom Sieg Jesu zeugt. Ich selbst war zweimal auf Neuguinea und habe dort viel Material über die Kulte gesammelt.

B 125 Eine Missionarin arbeitete unter einem magisch verseuchten Stamm auf Neuguinea. Vïele Zauberer beherrschten mit ihrer Teufelskunst den Stamm.

Die christliche Mission machte nur geringe Fortschritte. Die Missionarin spürte oft in ihrem Gebet eine unheimliche Macht auf sich zukom­men. Sie bat alle ihre Missionsfreunde in der Heimat um treue Fürbitte, damit dieser finstere Bann in ihrem Arbeitsgebiet endlich durchbro­chen würde.

Die Schwester empfand nicht nur einen uner­hörten Geisterkampf in ihrem Arbeitsgebiet, son­dern sie erlebte auch merkwürdige Bedrohungen durch wilde Tiere. Jedesmal, wenn sie ein be­stimmtes Dorf besuchen wollte, in dem ein be­kannter Zauberer sein Unwesen trieb, kamen ihr auf dem Weg dorthin Schlangen entgegen, die sie zum Umkehren zwangen. Sie sah diese Tiererleb­nisse als Zufall an, bis sie eines Tages eines Besse­ren belehrt wurde.

Bei einer Missionsreise kam sie auf dem Rück­weg in dieses erwähnte Dorf. Ahnungslos trat sie in eine ihr unbekannte Hütte, um den Bewohnern die Christusbotschaft zu bringen. Während sie mit der Frau sprach, spürte sie eine unheimliche Macht auf sich einstürmen. Sie hatte den Ein­druck, als sollte sie von hintenher umgebracht werden. Sie drehte sich um und beobachtete, daß ein Mann, der in der Ecke der Hütte saß, sie mit starrem Blick ansah. Sie erschrak, fühlte sich wie gebannt von diesem Blick und wußte in diesem Augen ick, daß diese Finsternismacht von die­sem Mann ausging. Sie versuchte innerlich zu beten. Es wollte ihr aber bei dieser Bedrohung nicht recht gelingen.

Schließlich fand sie keinen anderen Ausweg mehr, als einfach im Namen Jesu zu gebieten. Nun geschah etwas außerordentlich Seltsames. Der starre Mann sackte zusammen und lag wimmernd und stöhnend auf dem Boden. Er kroch zu der Missionarin hin. Als sie sich aus der Hütte ent­fernte, kroch er ihr immer noch wimmernd und stöhnend nach. Dieses Erlebnis erinnert an die Geschichte von dem Philistergötzen Dagon (1. Sam. 5,3), der morgens vor der Bundeslade des Herrn lag.

Hinterher erfuhr die Missionarin, daß sie, ohne es zu wissen, in das Haus des Oberzauberers geraten war. Die Eingeborenen wissen auch von der Fähigkeit dieses Mannes, daß er wilde Tiere sich gefügig machen kann.

Verfolgung durch Mentalsuggestion und Magie gibt es nicht nur auf Neuguinea und bei den Schwar­zen. In allen Teilen der Welt wurden mir solche Vorgänge in der Mission berichtet. Auch Europa ist nicht frei davon. Ein Beispiel aus einem Bauerndorf in Norddeutschland.

B 126 Ein Bauer in einem norddeutschen Dorf kam zu einer Aussprache und erlaubte eine Veröf­fentlichung ohne Angabe von Namen und Ort. Er wohnte neben einem Schmied, von dem er die Hypnose erlernte. Solange er sich von dem Nach­barn als Medium gebrauchen ließ, war alles in Ordnung. Als der Bauer sich dann weigerte, wei­tere Hypnose-Experimente mitzumachen, setzte der Schmied seine medialen Kräfte gegen seine bisherige Versuchsperson ein. Der Bauer wurde nachts geplagt.

Schließlich suchte der Bauer in einem Nachbar­dorf eine Frau auf, die in dem Ruf stand, paranor­male Kräfte zu besitzen. Diese Hellseherin erklär­te dem Ratsuchenden: „Sie werden mit schwarzer Magie verfolgt. Ich helfe Ihnen, aber mit weißer Magie.”

Diese magisch arbeitende Hellseherin und Be­sprecherin wies den Mann an, abends zwischen 6 und 7 Uhr (6./7. Buch Mose) in seinem Hof bestimmte Kräuter zu verbrennen. Dabei müsse er drei Vaterunser beten und einen Verwünschungs­spruch sagen, dessen Wortlaut sie ihm beibrachte. Vor dem Zubettgehen solle er außerdem eine gespreizte Schere vor das Bett und ein gewinkeltes Taschenmesser unter das Kopfkissen legen. Das wichtigste sei die Formel aus dem 6./7. Buch Mose.

Der Bauer befolgte diese Anweisungen, spürte dabei aber plötzlich, daß zwei Mächte um ihn herum sich stritten. Die Belästigungen hörten aber auf, ein Zeichen dafür, daß die Ratgeberin medial stärker war als der Schmied.

Magische Hilfen werden immer teuer bezahlt. Gemeint ist nicht die finanzielle Entlohnung, son­dern Störungen aller Art. Die junge hübsche Frau des Bauern, die er sehr liebte, wurde schwer krank. Die Diagnose lautete auf Krebs. Es wurde eine sofortige Operation empfohlen. Der Chirurg öffnete den Magen, der total verkrebst war. Es hatten sich außerdem Metastasen gebildet. Der Bauer erfuhr, daß es für eine Operation zu spät war.

Die Frau wurde wie eine Tote ins Haus zurück­gebracht. Der Bauer ging auf das Feld und warf sich dort nieder. Er grub sein Gesicht in die Erde und schrie zu Gott um seine Frau und um sich selbst. Auch die christliche Gemeinde betete viel für die Todkranke.

Sie wurden erhört. Die Totgesagte genas rasch. Der Arzt konnte sich das nicht erklären. Später kam dann der Bauer zur seelsorgerlichen Ausspra­che und beichtete die Zaubereisünden.

Andere Pastoren und Evangelisten haben mitunter die gleichen Erfahrungen, wie ich sie seit mehr als 50 Jahren in der Seelsorge gehabt habe. Prediger Fritz Taddey holte mich mehrmals zu Vorträgen. Einmal erzählte er mir die Geschichte einer magischen Hilfe, Belastung und Befreiung.

B 127 Ein junges Paar war zu Taddey zur Seelsorge gekommen. Sie sahen nachts um 2 Uhr immer einen dunklen Mann, der sie bedrohte. Der Prediger hatte schon viele Jahre Seelsorge auf okkultem Gebiet gehabt, darum sagte er sofort: „Da ist Zauberei im Spiel.”

Die jungen Leute gaben zu, daß sie bei Erkran­kungen gewöhnlich zu einem magischen Bespre­cher gegangen waren, weil der Hausarzt nicht helfen konnte.

Der Besprecher sagte eines Tages zu dem Paar: „Ich werde alt und gebrechlich. Ihr könnt das Besprechen auch lernen. Ich schreibe euch die Formel aus dem 6./7. Buch Mose auf.” In Zu­kunft probierte der Ehemann die Formel aus, die funktionierte. Die medialen Kräfte des Mannes entwickelten sich. So wurde er schließlich selbst als Besprecher geholt.

Dann kam die Zeit, daß die beiden jungen Menschen sich bei einer Evangelisation bekehr­ten. Von dieser Zeit an tauchte dann nachts die dunkle Gestalt auf, die sie bedrohte und erklärte: „Das lasse ich nicht zu.” Lange Zeit wurden sie in dieser Weise belästigt, bis sie zu Taddey in die Seelsorge gingen. Sie beichteten alles und sagten sich vor dem Seelsorger von diesen dunklen Mächten los. In der “nächsten Nacht erschien der dunkle Mann wieder. Die gläubig Gewordenen riefen ihm zu: „Jesus hat uns freigemacht. Wir folgen dir nicht mehr. Im Namen Jesu verschwin­de.” Seit dieser Zeit hat das Paar Ruhe.

Mir ist es wichtig, daß auch andere Seelsorger solche Erfahrungen haben. Damit weiß ich, daß ich nicht alleinstehe.

Im Bereich der magischen Vorgänge gibt es Reak­tionen, die dem Nur-Rationalisten unverständlich sind oder sogar lächerlich vorkommen. Zunächst das Beispiel eines bekannten Pfarrers, dem ich vor Jahrzehnten begegnet bin.

B 128 Pfarrer I. hatte im Gustav-Adolf-Werk eine leitende Stellung. Er besuchte einmal den Experimentalvortrag eines Inders. Es sollten ma­gische und spiritistische Experimente behandelt werden.

Der Inder eröffnete die Versammlung, konnte aber mit seinen Experimenten nicht beginnen. Er überblickte prüfend die Versammlung und erklär­te: „Es liegt ein Hindernis im Raum.” Er durch­schritt vom Podium die Zuhörermenge und trat schließlich auf Pfarrer I. zu. Er fragte ihn: „Sind Sie ein Christ?” Als der Pfarrer bejahte, händigte der Inder ihm das Eintrittsgeld aus und bat ihn, er möchte den Raum verlassen. Seine Experimente würden ihm sonst nicht gelingen. In meiner Kartei sind viele derartige Beispiele. Ich gebe aber gewöhnlich den dringenden Rat, solche Vorstellungen nicht zu besuchen. Wer leichtsinnig oder gar überheb ich solche Experimente miterleben will, kann dabei Schaden nehmen an seinem Glau­bensleben.

Die Abwehr magischer oder mentalsuggestiver Kräfte ist oft sehr schwer, wie folgendes Erlebnis zeigt.

B 129 Zwei Männer, Vater und Sohn, suchten mich auf und trugen mir die Not ihres Hauses vor. Jede Nacht zwischen 11 und 12 Uhr beobachtet die ganze Familie Spukerscheinungen. Sie werden durch Poltern und harte Schritte geweckt, Mutter und Tochter werden gewürgt. Alle Angehörigen sind von Furcht gelähmt.

Die geplagten Menschen suchten endlich dem Rat eines katholischen Priesters. Er riet ihnen, in den drei höchsten Namen Weihwasser, drei Kreu­ze und drei Kerzen zu benützen. Der Rat wurde befolgt, half aber nicht. Das ist auch kein Wunder. Was dieser Priester geraten hatte, war nur eine religiöse Zeremonie oder gar weiße Magie. Damit läßt sich der Teufel nicht vertreiben.

Der weitere Versuch, Hilfe zu finden, war die Inanspruchnahme eines Schwarzmagiers. Ihnen wurden „geheimnisvolle Riten” angeraten. Sie sollten zuerst einen Spruch aus dem 6./7. Buch Mose aufsagen, der ihnen vom Magier mitgeteilt wurde. Danach sollten sie auf die Fensterbänke jeweils zwei Messer übers Kreuz legen und zuletzt zwei rostige Nägel übers Kreuz in eine Zwiebel stecken und das Ganze unters Bett plazieren. Das Wichtigste an dieser Zeremonie war der Spruch aus der „Teufelsbibel”, der hier natürlich nicht wiedergegeben wird.

Alle Versuche mißlangen. Priester und Schwarzmagier waren dieser Zauberei nicht ge­wachsen. Beide Männer besuchten meine Evange­lisationsvorträge und faßten Vertrauen zu einer Aussprache. Da beide Männer einen völlig norma­len und gesunden Eindruck machten, fragte ich nicht nach psychiatrischen Gesichtspunkten. Ich orientierte mich lediglich nach okkulten Zusam­menhängen. Es gab eine schreckliche Ausbeute. In ihrem Haus befanden sich 15 okkulte Bücher, die sie im Lauf der Jahre gekauft und benutzt hatten. Sie hatten Wahrsager, Spiritisten und Besprecher konsultiert. Kein Wunder, daß in dem Haus ein Höllentanz war.

Nach dieser Beichte zeigte ich den beiden Män­nern den Weg zu Jesus. Sie waren willig zu dieser Entscheidung für Jesus. Da ich abreisen mußte, informierte ich im Einverständnis mit den beiden Männern den ortsansässigen Pfarrer, der ein gläu­biger Mann war. Diese Familie mußte ja weiterbe­treut werden.

Nach einiger Zeit teilte mir der Pfarrer mit, daß die ganze Familie ihr Leben Christus ausgeliefert hatte. Die Spukerscheinungen hatten damit sofort aufgehört. Selbstverständlich wurden die Zauber­bücher und aller okkulte sonstige Kram verbrannt und vernichtet.

Christus hat den Sieg behalten, nachdem die Dämonen jahrelang in dem Haus triumphiert hatten.

Die meisten negativen Auswirkungen zeigen sich bei den magischen Heilungen. Allein auf diesem Sektor habe ich in meiner Kartei einige hundert Beispiele. Dazu einige Hinweise:

B 130 Eine schwerkranke Frau wurde von zwei Fachärzten aufgegeben. Die Angehörigen wurden verständigt, daß die Mutter sterben müßte. Der Mann rief daraufhin den gefährlichen schwarzma­gischen Besprecher Hugentobler von Peterzell an. Sofort nahm die Krankheit eine Wendung. Die Frau wurde wieder gesund. Später unternahm sie dann allerdings drei Selbstmordversuche. Sie kam um dieser Versuche willen zu einem gläubigen Pfarrer in die Seelsorge. Ein Gebetskreis wurde für sie eingesetzt. Durch die Gnade Gottes durfte sie ganz frei werden.

B 131 Ein Mann war durch die multiple Sklero­se gelähmt. Er ließ sich durch einen Besprecher schwarzmagisch behandeln. Die Lähmung ver­schwand. Seit dieser merkwürdigen Heilung tra­ten aber andere Krankheitssymptome auf. Der Hausarzt behandelte ihn auf Schizophrenie. In der Seelsorge zeigt sich oft, daß Heilungen durch die Magie nur Verlagerungen bedeuten. Schließ­lich riet man dem Patienten, sich in die Seelsorge von Dr. Hefti zu begeben, der damals ein be­kannter Gottesmann in der Schweiz war. Der Kranke legte eine Lebensbeichte ab und übergab sein Leben dem Herrn Jesus. Von diesem Zeit­punkt an zeigte sich wieder die magisch verdräng­te multiple Sklerose. Auf das Gebet des Gottes­mannes hin nahm Gott alle krankhaften Störun­gen weg.

Das Besprechen geht häufig durch mehrere Gene­rationen hindurch. Manchmal ist es so, daß ein Besprecher erst sterben kann, wenn er einem Sohn oder einer Tochter seine teuflische Gabe angehängt hat. Manche nehmen sich auch das Leben, wenn die magische Nachfolgerschaft gewährleistet ist. Dazu ein Beispiel.

B 132 Ein junger Mann in Tübingen berichtete mir in der Seelsorge folgendes. Sein Urgroßvater hatte das 6./7. Buch Mose und trieb damit schwarze Magie. Eines Tages erhängte er sich. Sein Großvater übernahm das Buch des Selbst­mörders und trieb damit ebenfalls Magie. Auch er erhängte sich. Und dann übernahm seine Schwe­ster diese furchtbare Tradition. Auch sie erhängte sich. Die Mutter des Berichterstatters, also die Enkelin jenes ersten Zauberers, ist furchtbar gott­los und eine große Spötterin. Mein Berichterstat­ter und ein Cousin haben beide Christus finden dürfen. Damit hörten bei den beiden die verhee­renden Auswirkungen auf. Bei den anderen Nach­kommen sind noch die Folgen der Zauberei zu beobachten.

B 133 Ein magischer Besprecher war ein schrecklicher Geizkragen. Er gönnte seinen Kin­dern nicht das zweite Stück Brot. Die Handwer­ker erhielten nicht ihr Geld. Die Frau war gläubig, durfte aber in seiner Gegenwart kein Tischgebet sprechen. Der Gebetskreis des Dorfes betete jah­relang für die Frau.

Eines Tages sagte der Besprecher seiner Frau: „Rieke, du darfst von jetzt an beten.” Das war die erste Station der Gebetserhörung. Als der Mann eines Tages vom Heuwagen stürzte, sagte er nachts zu seiner Frau: „Ich möchte gern Christus nachfolgen.”

Von diesem Zeitpunkt an entstand im Leben des Mannes ein schwerer Kampf. Jede Nacht stand der Teufel vor ihm und sagte: „Du gehörst mir. Du brauchst keine Anstrengungen zu machen.” Der Mann erklärte: „Und es bleibt dabei, ich folge Christus nach.” Der Teufel erwidere ihm: „Dann mache ich dir alles Vieh kaputt.” Am nächsten Morgen waren alle Kühe, Pferde, Schweine und Hühner verendet. Das war der Abschluß des furchtbaren Kampfes.

Der Mann wurde dem ganzen Dorf zum Segen. Er übernahm die Leitung der Gemeinschaft und hielt selbst die Bibelstunden. Nach seiner Bekeh­rung war er völlig gelöst vom Geiz. Wenn seine Frau oder Kinder von Erbfragen anfangen woll­ten, erklärte er: „Laßt mich in Ruhe damit. Macht, was ihr wollt, ich will mich nicht mehr mit dem Irdischen befassen.” Für einen Menschen, der nur gelten läßt, was in sein Denkschema hineinpaßt, ist das eine unmögliche Geschichte. Es sind aber genug ehrenwerte Zeugen dafür da. Racheakte des Teufels erlebte ich in vielen Ländern. Und dennoch kann er nur soweit gehen, wie Gott es zuläßt. Erinnern wir uns an das erwähnte Wort: Satan ist der Kettenhund Gottes. Die Seelsorge mit okkult Belasteten löst immer wieder schwere Kämpfe aus. Deshalb ist es eine Ermunterung, wenn Gott hin und wieder den Evan­gelisten Frucht sehen läßt. Eine erfreuliche Ge­schichte soll hier wiedergegeben werden.

B 134 Ein Landesvertrauensmann der Pfarrer­gebetsbruderschaft lud mich zu einer Pfarrerkon­ferenz ein. Mein Fachgebiet „Die seelsorgerliche Führung okkult belasteter Menschen” sollte be­sprochen werden. Die Konferenz war sehr gut besucht. Aus allen Teilen dieser ausländischen Provinz waren Pfarrer angereist. Überraschender­weise nahmen auch zwei Herren der Kirchenlei­tung daran teil. Nach der ganztägigen Konferenz unterhielt sich einer der beiden Herren längere Zeit mit mir. Er berichtete folgendes.

„Was ich Ihnen erzähle, liegt schon einige Jahre zurück. Es wird Sie aber dennoch freuen. Vor einigen Jahren hatten Sie am Sitz unserer Kirchen­leitung zwei Vorträge im Festsaal der Stadt. Eine Frau, die vorher jahrelang in Behandlung bei Psychiatern und Psychotherapeuten gewesen war, hatte Sie bei diesen Vorträgen gehört. Sie hatte die Absicht, Sie hinterher seelsorgerlich zu sprechen. Sie kam aber nicht durch, weil Sie von Menschen umringt waren.

Am nächsten Tag erschien sie bei mir und berichtete, sie hätte durch die beiden Vorträge gemerkt, um welche Belastungen es in ihrem Leben ging und warum die Ärzte ihr bisher nicht helfen konnten. Dann gab sie einen Bericht über ihr ganzes Leben. Es war offensichtlich, daß da schwere okkulte Belastungen vorlagen. Sie war in einem Haus aufgewachsen, in dem alle Kinder bei Krankheitsfällen besprochen wurden. Nicht ge­nug damit, die Großmutter selbst war Kartenlege­rin und hatte viele Kundinnen aus Stadt und Land. Die Berichterstatterin selbst hatte von ihrer Groß­mutter das Kartenlegen gelernt und es auch schon ausgeübt. Um das Maß vollzumachen, wurde auch Totenzauber getrieben.

Als Beispiel sei erwähnt: Ein kleines Kind, das ein Muttermal hatte, wurde auf ihren Rat in ein Sterbehaus geführt. Die Hand des Toten wurde über das Muttermal gestrichen und dabei ein magischer Spruch gesagt. Somit hatte die berich­tende Frau nicht nur passive Belastungen durch die Zauberei ihrer Eltern und Vorfahren, sondern auch aktive Belastungen durch die eigene Betäti­gung auf dem Gebiet der Magie. Während des Berichts dieser Frau wurde es mir fast übel. Bei dieser Seelsorge war ich froh, durch Ihr Buch ,Seelsorge und Okkultismus` orientiert zu sein. Ich hätte sonst kaum gewußt, was ich mit dieser Frau hätte tun müssen. Ich wies die Belastete auf Christus hin als den alleinigen Helfer auf dem Gebiet der Zauberei. Die Frau legte eine General­beichte ab. Ich sprach ihr die Vergebung zu und betete nach Anweisung des Buches das Lossage­gebet mit ihr. Außerdem verwies ich sie auch auf die Gnadenmittel der Gemeinde Jesu Christi (Apg. 2,42).

Es war für mich eine große Freude, als nach einigen Tagen die Frau wiederkam und freude­strahlend berichtete, daß sie seit dem seelsorgerli­chen Gespräch von all ihren Depressionen, Selbst­mordgedanken, nervösen Störungen und anderen Belastungen frei war. Ich hatte auch die Möglich­keit, seit Jahren diese Frau im Auge zu behalten. Durch die Gnade Gottes durfte sie bis jetzt frei bleiben.”

Soweit der Bericht dieses Mannes aus der Kir­chenleitung (Konsistorialpräsident B., Straß­burg). Es war mir selbst eine Freude, daß mein Buch und meine Vorträge in diesem Fall Wegwei­serdienst sein durften.

Die drei nächsten Beispiele könnten auch in dem Kapitel „Krankheit oder Belastung” untergebracht werden. Es wurde schon einmal betont, daß die okkulten Beispiele verschiedenartige Symptome auf­weisen.

B 135 Ein nigerianischer Pastor war auf den Tod krank. Eine Röntgenaufnahme zeigte, daß beide Lungenflügel mit Blut gefüllt waren. Die Ärzte rechneten mit einem Tod innerhalb von zwei bis drei Tagen. Sie sagten, er würde ersticken in seinem eigenen Blut. Der Schwerkranke glaubte den Ärzten nicht, sondern ließ einen Missionar kommen, mit dem ich befreundet bin. Wir arbei­teten einige Jahre zusammen.

Der totgesagte Pastor erklärte dem Missionar. „Ich stehe nicht unter dem Eindruck, daß ich sterben muß, sondern daß es sich um einen satani­schen Angriff handelt. Bitte gebiete diesen Mächten.”

Als Berichterstatter muß ich dazwischenschal­ten, daß ich solche Vorgänge auch von den Zaube­rern in Brasilien, Haiti und Ostasien kenne.

Der Missionar zögerte, denn er glaubte den Ärzten und nicht dem einheimischen Bruder. Der Schwerkranke aber drängte ihn. Da ließ sich der Missionar nötigen, und er betete: „Herr Jesus, wenn dieser kranke Bruder recht hat und es nur ein dämonischer Angriff ist, dann befreie ihn davon. Vergib mir, wenn ich töricht bete.” Dann gebot der Missionar unter Zweifeln. Was geschah?

Der Schwerkranke erbrach Unmengen von Blut. Der Arzt meinte, das sei das Ende. Nach diesem schrecklichen Blutbrechen genas der Kran­ke. Zwei Tage später wurde erneut eine Röntgen­aufnahme gemacht. Es war ein Wunder gesche­hen. Die riesigen Kavernen der Lunge waren geschlossen. Der „Todeskandidat” starb nicht, sondern war gesund.

B 136 Eine Missionarin bekam eine religiöse Zwangsneurose. Wenn sie schlafen wollte, bekam sie immer den Befehl: „Stehe auf und bete!” Sie gehorchte, weil sie gläubig war und meinte, es sei die Stimme des Herrn. Kaum hatte sie sich wieder gelegt, da hörte sie: „Stehe auf und lies die Bibel!” Sie tat es. Bei diesen Zwangsaufträgen kam sie keine Nacht zur Ruhe. Jede Nacht erfolgten sol­che Befehle.

Schließlich traten auch Lästergedanken auf. Schreckliche Verwünschungen und die schmut­zigsten Gedanken quälten sie. Die Ärzte sprachen davon, daß die Kranke in eine Heilanstalt eingelie­fert werden müsse.

Als der Missionar mit der Frau sprach, stand er unter dem Eindruck, daß es sich nicht um ein seelisches oder nervliches Leiden handle, sondern finstere Mächte die Hand im Spiel hatten. Doch er war gehemmt, der gequälten Frau das zu sagen. Er betete: „Herr, ich weiß nicht genau, was mit dieser Frau los ist, du aber weißt es. Wenn sie dämonisch geplagt wird, dann befreie sie.” Dann gebot er im Namen Jesu diesen Mächten.

Die geplagte Missionarin geriet in Zuckungen und machte würgende Bewegungen, als ob sie erbrechen müßte. Danach wurde sie ruhig. Sie hatte daraufhin eine wundervolle Nacht und schlief wie ein Baby. Ihr Zustand mit den Zwangs­vorstellungen und Zwangsantrieben war völlig verändert. Sie war und hieb gesund. Das war eine Neuroseheilung in einer einzigen Stunde.

Dieses Erlebnis hätte auch in dem Kapitel „Neurosen” untergebracht werden können.

B 137 Ein weiteres Beispiel aus Nigeria handelt von einem Epileptiker. Um Mißverständisse zu vermeiden, erkläre ich, daß ich selbstverständlich die medizinischen Formen der Epilepsie aner­kenne.

In meinem Buch „Besessenheit und Exorzismus” habe ich auf Seite 109 einige Formen der Epilepsie genannt, die mir teilweise in ihren Symptomen be­kannt sind. Es handelt sich um folgende:

a) Die genuine oder idiopathische Epilepsie, die erblich ist.
b) Die symptomatische Epilepsie, hervorgerufen durch eine erworbene Hirnschädigung.
c) Die Temporallappenepilepsie, verursacht durch eine Krampfentladung in einem Schläfenlappenabschnitt.
d) Die psychogen bedingte Affektepilepsie.
e) Die sehr seltene myoklone Epilepsie. Mir ist ein solcher Fall bekannt. Eine Frau, die mit dieser schwer zu behandelnden Epilepsie in einer Uni­versitätsklinik lag, hat eine Glaubensheilung erlebt. Für den Herrn Jesus gibt es keine schwe­ren und leichten Fälle.

Mit diesen Epilepsieformen sind die Medizi­ner einverstanden. Sie sträuben sich aber, wenn ich noch eine sechste Form nenne: die okkult bedingte Epilepsie, die in schweren Fällen mit einer Besessenheit parallel geschaltet ist. Man hüte sich hier aber vor einer Versteifung der Extreme. Es wäre eine verheerende Diágnose, wenn man etwa die medizinisch bekannten For­men Besessenheit nennen wollte. Auch die ok­kult bedingte Epilepsie braucht mit Besessenheit nichts zu tun zu haben. Nur in der härtesten Form mündet sie gelegentlich in eine Besessen­heit ein.

Wir haben in der Bibel Beispiele einer okkult bedingten Epilepsie mit dem härtesten Grad der Besessenheit. Auch auf den Missionsfeldern ist die okkulte Form der Epilepsie zu finden, wie in dem folgenden Beispiel deutlich wird.

Der erwähnte befreundete Missionar wurde in Nigeria von einem „Epileptiker” um einen Besuch gebeten. Das medizinische Gutachten, gestützt auf eine Enzephalographie, lautete auf Epilepsie. Der Patient selbst glaubte dieser Diagnose aus bestimmten Gründen nicht. Als der Missionar mit dem „Epileptiker” betete, sprachen plötzlich fremde Stimmen aus dem Patienten. Die Stimmen gaben sich als sieben Teufel aus. Dem Missionar war diese Situation vertraut. Er gebot diesen Mächten auszufahren, weil er von einer Besessen­heit überzeugt war. Der angebliche Epileptiker wurde daraufhin frei. Erstaunlicherweise war das nächste Enzephalogramm völlig verändert und entsprach nicht mehr der ersten Aufzeichnung.

Es war also keine medizinische Epilepsie, die ja nicht durch eine Austreibung geheilt werden kann, sondern höchstens durch eine biblische Heilung.

Nur zum Vergleich verweise ich auf ein bereits veröffentlichtes Erlebnis. Ich hatte in Südbrasilien eine Vortragstour. Mein Dolmetscher war ein deutschstämmiger brasilianischer Pfarrer. Bei dem Besuch einer Familie, die ein epileptisches Kind hatte, beugte sich der Pfarrer zu dem Kind und fragte es: „Na, Kleine, wie heißt du?” Die Ant­wort war schockierend: „Wir sind drei.” Gesagt wurde das mit derben Männerstimmen. Die Situa­tion war klar: Hier lag keine Epilepsie vor, son­dern eine Besessenheit. Wie die kindlichen Stimm­bänder zu derben Männerstimmen unfunktioniert werden können, weiß ich nicht. Aber die Beses­senheit selbst ist ja das größere Problem. Ich habe Kenntnis von einigen Kinderbesessenheiten in meiner Arbeit erhalten.

B 138 Eine wundervolle Befreiung wird in dem folgenden Bericht deutlich. Eine Frau im Alter von 54 Jahren erzählte mir, wie sie aus dem Bann des Besprechens freigeworden ist.

Im Alter von 10 Jahren hatte ihre Mutter sie wegen einer Flechte zu einer Besprecherin ge­bracht. Nach der Besprechungsbehandlung war die Flechte sofort verschwunden. Seit dieser magi­schen Beeinflussung konnte das Kind nicht mehr beten. Später im Konfirmandenunterricht bekam sie manchmal beim Aufsagen von Gesangbuchver­sen Hemmungen, so daß sie die Textworte nicht mehr herausbrachte, obwohl sie die Verse gut gelernt hatte. Diese Hemmungen traten besonders bei Gesangbuchversen ein, die Gebetscharakter tragen. Als Beispiel sei genannt: „Nun, was du Herr erduldet, ist alles meine Last, ich hab’ es selbst verschuldet, was du getragen hast.”

Einige Jahre später kam sie als Mädchen anläß­lich einer Evangelisation zum Glauben an Chri­stus. Es fiel ihr ungeheuer schwer, das Heil im Glauben anzunehmen. Nach ihrer Umkehr ging dann ein Höllentanz los, wie man es manchmal bei besprochenen Menschen beobachten kann. Es stellten sich hartnäckige Depressionen ein, die sie vor ihrer Wende nicht hatte. Geruchs- und Ge­schmackshalluzinationen traten auf. Manchmal hatte sie das Gefühl, als ob der Leibhaftige in ihrem Zimmer wäre. Nach diesem Empfinden nahm sie jedesmal einen ekelhaften Schwefelge­ruch wahr. Auch sexuelle Anfechtungen stärkster Art stellten sich ein. Ohne Zweifel hätte ein Psychiater alle diese Symptome für eine beginnen­de Schizophrenie gehalten.

In diesem Zustand ging sie eine Ehe ein, ohne daß die merkwürdigen Symptome nachließen. Einige Jahre nach der Entbindung einer gesunden Tochter bemächtigte sich der jungen Frau eine furchtbare Unruhe. Sie magerte ab und entschloß sich schließlich zu einer gründlichen Untersu­chung durch einen Professor einer Universitätskli­nik. Der Professor zog einen zweiten Kollegen, einen Krebsspezialisten, hinzu und eröffnete der Frau, daß sie Krebs hätte. Der Professor war ein gläubiger Christ und sagte ihr: „Es ist allerhöchste Zeit zur Operation. Sie hat uns Gott hierher geführt, sonst wären Sie verloren gewesen.”

Die Patientin konnte sich nicht sofort zur Ope­ration entschließen. Sie verständigte den Gebets­kreis einer landeskirchlichen Gemeinschaft, dem sie seit ihrer Bekehrung angehörte. Die Schar dieser treuen Beter kam täglich zur Fürbitte zu­sammen.

Nach 14 Tagen stellte sie sich wieder den beiden Professoren vor, die ganz überrascht eine Besse­rung feststellen konnten. Die Operation war über­flüssig geworden. Es darf an dieser Stelle nicht unterlassen werden, darauf hinzuweisen, daß bei starken Besprechungsheilungen, wie sie die Be­richterstatterin als 10jähriges Mädchen erlebt hatte, hinterher oft verschiedene Krankheiten auf­treten.

Die Ärzte diagnostizieren diese Krankheiten als ein organisches Leiden. Solche rasch auftretenden Erkrankungen können aber meistens durch die treue Fürbitte eines Gebetskreises ohne ärztliche Behandlung wieder überwunden werden. Wir ha­ben hier ein Parallelgebiet zu dem psychogen verursachten Leiden, nur mit dem Unterschied, daß diese Erkrankungen die Folge einer okkulten Belastung darstellen und durch geistliche Betreu­ung und Beeinflussung überwunden werden kön­nen. Es ist ein Gebiet, das von der Schulmedizin so gut wie nicht erfaßt ist, weil unsere Psychiatrie den Bereich der medialen Veränderungen noch nicht kennt und nicht anerkennt. Eine Ausnahme bilden gläubige Psychiater, denen in der Seelsorge solche Fälle begegnet sind.

Ein Zugeständnis macht Prof. Dr. Bender mit dem Hinweis auf eine mediumistische Psychose.

In dieser Reihe der Sieges-Offenbarungen Jesu soll nun ein Bericht folgen, den ich mit großer Dankbar­keit wiedergebe. Zuerst will ich aber einiges über den Berichterstatter sagen. Es ist Willi Stegmaier, einer der herausragendsten Pfarrer in Deutschland.

Dieser langjährige Freund war rund 20 Jahre Mis­sionar in China und hat dort viele räuberische Über­fälle miterlebt. Nach seiner Rückkehr vom Missions­feld wurde er Pfarrer in der württembergischen Landeskirche in der Stadt Geislingen/Steige. Als Bezirksjugendpfarrer lud er mich in den 50er Jahren zu einer Vortragswoche ein, da ich damals genau wie er als Jugendpfarrer von Mannheim in einer ähnli­chen Arbeit stand.

Wiederum verbanden uns ähnliche Interessen, als wir ehrenamtliche Mitarbeiter im Missionstrupp „Frohe Botschaft” wurden. Es ist eine Gründung von Wolfgang Heiner, der zur Marburger Mission gehört.

In der christlichen Öffentlichkeit wurde Pfarrer Stegmaier bekannt, als er im Alter von 70 Jahren zum Katastropheneinsatz nach Uganda abreiste. Auch jetzt als 75jähriger ist er immer noch im Einsatz. Nach den Meldungen von kirchlichen Stellen hat Stegmaier 20.000 Kinder vor dem Hungertod be­wahrt. Er wurde von den staatlichen Behörden mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausge­zeichnet.

Jemand nannte Stegmaier „Held von Uganda”. Das hört sich marktschreierisch an. Wer aber sein Buch „Im finsteren Tal” liest, merkt, daß dieser Ausdruck stimmt. Unter Lebensgefahr durch Terro­risten, Wegelagerer, Plünderer, Dieben, auf ver­schlammten Straßen, die den Ausdruck Straße nicht verdienen, durch Hunger, Entbehrung, Wassernot und endlose Autopannen bahnte sich dieser Pionier Jesu Christi einen Weg in die gefährlichsten Gebiete. Ich rate jedem Christen, sich beim Missionstrupp „Frohe Botschaft” Großalmerode dieses Taschen­buch zu bestellen. Seit vielen Jahren hat mich kein Buch so bewegt und erschüttert wie diese Berichte. Gleichzeitig bitte ich um Fürbitte für diesen Bruder, der sich um Jesu willen bis zum letzten Blutstropfen für die leidenden, hungernden, sterbenden Men­schen in Uganda einsetzt.

Warum wird nun hier Pfarrer Stegmaier vorge­stellt? Der Grund ist, daß er in seiner Arbeit als Missionar und Pfarrer in der Heimat auf seelsorgerli­chem Gebiet die gleichen Erfahrungen wie ich selbst machte. Er ist nicht ein Theologe, der am grünen Tisch sitzt und genau weiß, was es zu geben und nicht zu geben hat. Nun lassen wir ihn auf dem Gebiet der Besessenheit zu Wort kommen. Sein Bericht, an dem ich nicht einen Buchstaben verän­derte, hat die Überschrift: Zeitweilig besessen

Gibt es das, daß ein Mensch zu gewissen Zeiten von einer fremden Macht besessen ist, während er sonst einen völlig normalen Eindruck macht? Ein Erlebnisbericht bestätigt diese Tatsache.

In einer größeren Stadt fand eine Evangelisation statt. Ein treuer Beterkreis hatte diese innerlich und organisatorisch gut vorbereitet. Von Anfang an war der Saal gefüllt mit aufmerksamen Zuhö­rern. Obwohl ein lebendiger Kreis von Gläubigen hinter der Verkündigung stand, hatte ich vom ersten Abend an den Eindruck, als ob ich gegen eine Wand sprechen würde. Ich spürte einen starken inneren Widerstand, den ich mir nicht erklären konnte. Dabei war mir aufgefallen, daß eine jüngere Frau in den vorderen Reihen saß, die während der ganzen Ansprache mit fest geschlos­senen Augen dasaß, während sie beim Singen wieder die Augen öffnete. Zuerst hatte ich das einer gewissen Müdigkeit zugeschrieben. Als sich dieser Vorgang aber jeden Abend wiederholte, kamen mir doch ernste Bedenken.

Ich hatte zu seelsorgerlichen Gesprächen einge­laden. Eines Tages sagte eine Diakonisse, daß die betreffende Frau um ein seelsorgerliches Gespräch gebeten hätte. Auch sie hatte den Eindruck, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.

Wir haben einen Termin vereinbart, und ich hatte einige Geschwister gebeten, während dieser Zeit in einem anderen Raum für uns zu beten. Die junge Frau saß mir gegenüber. Ein Tisch war zwischen uns. Sie machte einen ganz normalen Eindruck. Ich bat sie, ihr Herz zu erleichtern, zumal sie ja aus diesem Grund gekommen war. Ganz offen konnte sie zuerst sprechen. Vor allem machte es ihr zu schaffen, daß zu gewissen Zeiten und in unregelmäßigen Abständen eine fremde Macht über sie kam, die ihr Leben veränderte. Sie konnte nicht mehr beten, mußte dagegen fluchen und toben. Stimmen sprachen aus ihr heraus und forderten sie zum Selbstmord auf. Wenn sie auf den Speicher ging, schrie es aus ihr heraus: „Spring aus dem Fenster!” Ging sie über eine Brücke, kam die Aufforderung: „Stürz dich hinab!”

Die Familie, bei der sie in Stellung war, wußte, daß während einer solchen Zeit nichts von ihr zu erwarten war, und sagte: „Sie spinnt mal wieder. In einigen Tagen wird sie schon wieder ver­nünftig.”

Im Verlaufe des Gesprächs stellte es sich heraus, nachdem ich danach gefragt hatte, daß die Familie okkult belastet war. Sie selbst war in der Kindheit durch ein Familienmitglied besprochen worden. Bis hierher konnten wir uns ganz normal unter­halten. Als sie eine gründliche Beichte abgelegt und, soweit bewußt, ihr Leben geordnet hatte, sagte ich, daß es mit der Bitte um Vergebung der Schuld nicht getan ist, sondern daß sie ganz persönlich ein Lossagegebet aussprechen und sich an Jesus Chri­stus mit der Bitte um Befreiung von den dunklen Mächten wenden müsse. Dieses Gebet wollte ich ihr satzweise vorsprechen, und sie sollte dann im Glauben die Worte wiederholen. Das Gebet hat etwa so begonnen: „Ich danke dir, Herr Jesus Christus, daß du uns erlöst hast von Sünde und Schuld und uns befreit hast von allen finsteren Mächten …”

Sie sprach die ersten Worte nach: „Ich danke dir, Herr …” und stockte dann. Ich sprach das Gebet ein zweites Mal vor und bat sie, die Worte zu wiederholen. Wieder kam sie nur bis zu den Worten: „Ich danke dir, Herr …” Mit großem Ernst sagte ich ihr daraufhin, daß ihr nicht wahr­haft geholfen werden könne, wenn sie den Namen Jesus Christus nicht ausspreche und sich im Glau­ben an ihn als Heiland und Erretter wende.

Da ging mit einemmal eine Veränderung mit ihr vor. Ihr Gesicht nahm einen fratzenhaften Aus­druck an. Mit wirrem Blick starrte sie mich an, als wollte sie mich hypnotisieren. Das war doch nicht mehr dieselbe Frau, mit der ich gesprochen hatte! . Langsam, ganz langsam erhob sie sich und beugte sich über den Tisch hinweg in meine Richtung. Die Hände waren verkrampft, als wollte sie mir die Augen auskratzen.

Ich war ebenfalls aufgestanden, konnte mich aber nicht vom Fleck rühren. Ich stand wie ange­wurzelt, konnte kein Wort mehr sprechen und hatte das Gefühl, mich in einem unheimlichen Zirkel zu befinden. Dabei spürte ich eine ~ eierne Lähmung vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Das Schlimmste war, daß ich auch nicht mehr denken konnte, sondern hilflos zusehen mußte, wie diese Fratze immer näher kam.

Daß wir in solchen Lagen trotzdem nie alleinge­lassen sind, durfte ich spüren, und die Gebete der Geschwister hatten sicher ganz wesentlich gehol­fen. Ganz plötzlich bekam ich für Augendicke einen klaren Kopf und konnte wieder denken. Mit festem Blick sah ich die Frau an und sagte: „Im Namen Jesu Christi, des Sohnes Gottes, befehle ich dieser fremden Macht auszufahren und nie wieder von ihr Besitz zu ergreifen.”

Da geschah das Wunder: Der Bann war ge­brochen. Erschöpft, aber mit friedlichem Ge­sichtsausdruck setzte sie sich nieder. Auch von mir war der Druck und die Beklemmung gewi­chen. Sie sagte dann: „Können Sie jetzt verste­hen, was Besessenheit ist und was ich durchge­macht habe?” Nun war der Weg frei zu Lob, Dank und Anbetung für die Befreiung durch das Blut Jesu Christi.

Auch in der Evangelisation gab es einen Durch­bruch, und viele kamen zum Glauben. Jetzt brauchte sie auch nicht mehr mit zugekniffenen Augen in den Versammlungen zu sitzen, und das Wort konnte mit Freude und Vollmacht verkün­digt werden.

Mehrere Jahre später trafen wir uns wieder. Auf meine Frage, wie es ihr gehe, sagte sie mit strahlen­dem Gesicht: „Dem Herrn sei Dank, ich bin immer noch frei, und es hat keinen Rückfall gegeben.” Der Sieg Jesu war endgültig und völlig.
Pfarrer W. Stegmaier

Ein ähnlich gelagertes Beispiel hat mir einmal vor Jahrzehnten Dekan Hauss erzählt. Er spürte eine unheimliche finstere Macht auf sich zukom­men. Er lag wie starr in seinem Bett, konnte sich nicht rühren und nicht einmal den Mund zum Ge­bet öffnen. Als dieses finstere, dämonische Wesen nur noch eine Handbreit von seinem Kopf ent­fernt war, löste sich sein Krampf, und er konnte ausrufen: Jesus ist Sieger! Da wich die finstere Macht.

Ich habe noch mehr solche Beispiele von Men­schen, die ich gut kenne. Ich scheue mich aber, sie auszubreiten.

Den Abschluß dieses Kapitels bilden zwei Briefe, die von positiven Ereignissen berichten. Da es sich um gesegnete Auswirkungen meiner Seelsorge han­delt, muß ich eine biblische Sicherung einbauen, sonst könnte das alles als Eigenlob aufgefaßt werden. Paulus schreibt in Gal. 6,3:

„So sich jemand läßt dünken, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.”

„So er doch nichts ist”, das sitzt tief in meinem Herzen und Bewußtsein.

B 139 Der Brief aus der Schweiz ist zum Ab­drucken zu lang, deshalb erzähle ich den Vorfall selbst und schildere nur das Erlebnis, das die Briefschreiberin erwähnt.

Ich hatte in einer Schweizer Großstadt eine Evangelisation. Eine gläubige Frau bat ihren Mann, sie in die Vorträge zu begleiten. Erließ sich überreden und kam bis vor den Eingang. Da bekam er Erstickungsanfälle und betrat deshalb nicht den Saal, sondern wartete außerhalb auf seine Frau. Die gläubige Frau informierte mich am Schluß, daß ihr Mann unter einer okkulten Bela­stung leide und deshalb auf geistliche Dinge mit Blockierungen reagiere.

Da der Ehemann in der Nähe des Ausgangs wartete, ging ich hinaus und sprach ihn an. Es kam zu einer Unterredung mit einer Beichte. Dann betete ich mit ihm. Nun lasse ich die Briefschrei­berin zu Wort kommen. In dem Brief heißt es: „Eines Abends hatte mein Mann Erstickungsan­fälle, aber nachdem Sie mit ihm gebetet hatten, wurde er von seinen okkulten Belastungen frei. Seither – es sind nun 16 Jahre – geht er mit mir den schmalen Weg, den Weg mit Jesus. Dem Herrn sei Lob und Dank. Ich habe fast alle Ihre Bücher gelesen und empfange auch Ihren Rundbrief …”

B 141 Ein evangelischer Pfarrer hatte ein chronisches Leiden. Jahrelang war er ohne Erfolg in ärztlicher Behandlung. Eines Tages bat er nun einen Professor der Medizin, den er zu Rate zog, er möchte ihm doch die volle Wahrheit sagen. Der Professor gab ihm zur Antwort: „Sie sind ja evangelischer Pfarrer und Seelsorger, darum wer­den Sie die Wahrheit wohl ertragen können. In Ihrem Fall ist unsere ärztliche Kunst am Ende. Nach menschlichem Ermessen sind Sie unheilbar krank.”

Der Patient war nun über diese Auskunft kei­neswegs erschüttert. Er ging getrost nach Hause. Unterwegs sagte er in Gedanken: „Wenn die ärztliche Kunst am Ende ist, dann kannst du, Herr, mir immer noch helfen, wenn es dein Wille ist.” Es reifte in ihm ein Entschluß. Er las, wie er es schon oft getan hatte, noch einmal die Stellen über die Glaubensheilungen durch. Lange verweilte er an den Versen Jak. 5,14-16. Dann bat er zwei Kirchenälteste zu sich, zu denen er Vertrauen hatte. Es waren Männer, die gleichzeitig einer kirchlichen Gemeinschaft angehörten. Auf seinen Wunsch beteten diese beiden Männer mit ihm unter Handauflegung. Der Glaube dieser drei Männer wurde nicht enttäuscht. Von dem Zeit­punkt des gemeinsamen Gebetes an spürte der Pfarrer eine wesentliche Besserung seines Befin­dens. Er wurde vollständig gesund, und er blieb es auch. Ungehindert kann er nun seit Jahren seinen Dienst versehen. Er durfte die Herrlichkeit Gottes bei seiner Heilung erleben.

B 142 Eine 56jährige Frau berichtete in der seelsorgerlichen Aussprache folgendes. Ihr Junge war schwer krank, er hatte eine Lungenentzün­dung. Der Zustand verschlimmerte sich durch das Auftreten einer zweiten Erkrankung, die der Arzt als Krupp diagnostizierte. Als dritte Komplika­tion kam noch eine Gehirnhautentzündung dazu. Es wurde noch ein Spezialist hinzugezogen. Beide Ärzte erklärten, der Fall wäre hoffnungslos. Der Junge fing an zu röcheln, bekam Atemnot und verdrehte die Augen. Die Ärzte rechneten mit seinem schnellen Ende.
Die Mutter gab aber die Hoffnung noch nicht auf. In ihrer Not und Verzweiflung rief sie Gott an und hielt ihm alle Verheißungen der Heiligen Schrift vor. Vor allem betete sie immer wieder den Psalm 91: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: meine Zuver­sicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.”
Mit großer Gewalt drang dieses Wort in ihr Herz: „Mein Gott, auf den ich hoffe.” Der Tag ging zu Ende. Der vom Arzt erwartete Tod trat nicht ein. Am nächsten Tag zeigte sich eine Besse­rung des Befindens. Die Mutter rief den Arzt noch einmal telefonisch herbei. Dieser glaubte, es wür­de ihm der Tod des Jungen mitgeteilt und war völlig überrascht, daß eine Besserung eingetreten war. Er suchte den kleinen Patienten noch einmal auf und bestätigte voller Freude: „Hier ist ein Wunder geschehen.”

Lassen wir uns aber in unserem Glaubensleben nicht auf ein Nebengleis schieben. Glaubens- und Gebetsheilungen sind nicht die Hauptsache im Le­ben eines Christen. Man kann auch unter Leiden und Schmerzen Jünger Jesu sein. Problem Nr. 1 ist unsere Bekehrung und Wiedergeburt, die Übergabe unseres Lebens an Jesus, die treue Nachfolge, bis er uns abruft in die Ewigkeit.
Die Hauptsache ist, dass unser Name im Lebensbuch Gottes steht. Das Wort aus Lukas 10, 20 sei wiederholt:
Darin freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Das Buch WEICHENSTELLUNG ist erhältlich unter:

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info@horst-koch.de

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Katholizismus

Pfr. Dr. Kurt E. Koch

 

Katholizismus

Eine theologische Behandlung dieses schwierigen Themas ist hier nicht geplant. Ausgangspunkt ist die biblische Orientierung, die Seelsorge und die persönliche Lebenserfahrung. Ein Konfessio­nalismus ist nicht die Basis für die Diskussion, obwohl ich von der Evangelischen Kirche und Theologie herkomme.

 

Positive Erfahrungen mit Katholiken

Meine großväterliche Linie auf Vaters Seite waren Katholiken. Diese Linie hat sogar einen bekannten Theologen in ihrer Reihe.

Mein erster Beichtvater war der katholische Schuldirektor, weil ich zu den evangelischen Pfarrern meiner Umgebung kein Vertrau­en hatte. Diesem gottesfürchtigen Mann habe ich alle meine Sünden bekannt, die mir vom Wort Gottes und vom Heiligen Geist aufgedeckt worden waren (1930). Manchmal habe ich auch die Maian­dachten der katholischen Kirche in Ettlingen besucht, weil dort eine ansprechende Verkündigung geboten wurde.

Während des Krieges freundete ich mich mit dem katholischen Priester Dr. Ubbelohde an. Wir kamen täglich zusammen, lasen das Neue Testament nach dem griechischen Grundtext und hatten dann kniend Gebetsgemeinschaft. Er war mir ein Bruder in Christo. Die durch eine Bekehrung und Wiedergeburt entstandene Zugehörigkeit zu Jesus Christus überspringt die konfessionellen Zäune.

Bei meinen Evangelisationen in der Nachkriegszeit hatte ich es oft mit gläubigen Katholiken zu tun. Zu meinen Vorträgen in der Heilandskirche in Graz kamen viele Katholiken. Eine Begegnung ist mir in lebendiger Erinnerung. Eine ältere Katholikin kam nach dem Vortrag mit mir ins Gespräch. Sie berichtete: „Jahrelang hatte ich viel Ärger mit einer aufsässigen Mieterin. Alle Hausgenossen litten unter ihrem frechen Mundwerk. Nach dem Mieterschutzge­setz konnte ich ihr nicht kündigen. So machte ich ein Gebetsanlie­gen daraus und lernte eine gute Lektion. Ich sagte dem Herrn Jesus: Es muß alles erst an dir vorbei, bevor es mich trifft. Dann ist dem Angriff schon die Härte abgenommen." Diese Katholikin gab mit diesem Bekenntnis auch mir eine Lektion, der ich oft weltweite Angriffe, vor allem von boshaften Psychopathen und Querulanten zu ertragen habe.

Während der Niederschrift dieses Buches erlebte ich abermals eine gläubige Katholikin. Am Sonntag, dem 9. Oktober 1983, gestaltete Inge Brück einen Konzertabend in der Marienkirche in Neckarelz. Diese Veranstaltung in der überfüllten Kirche brachte großen Erfolg. Die Künstlerin gewann im Fluge die Herzen der großen Zuhörerschaft. Zum Thema „Leben helfen" sagte Inge Brück: „Wir können erst anderen helfen, wenn wir uns selbst von Gott haben helfen lassen." Zwischen den einzelnen Chansons machte sie treffsichere Bemerkungen, z. B.: „Die Umweltver­schmutzung ist nur ein Ausdruck von dem, was in uns selbst vorgegangen ist." Am meisten imponierte mir ihr Zeugnis, daß sie mit 36 Jahren erst den Weg zu Gott gefunden hat und nun seit zehn Jahren auf diesem Weg geht. Ihre gesamte Arbeit, das Showbusi­ness, hat dadurch eine grundlegende Wandlung erfahren. Als Bestätigung sang sie uns als ihr persönliches Bekenntnis: „Sage es Jesus, sage es ihm!" Mein Freund Friedrich Hänssler hat dieses Lied auf einer Schallplatte herausgebracht.

Eine positive Erfahrung mit einem gottesfürchtigen Katholiken ist der folgende Artikel eines Mannes, der um des Glaubens willen Front macht gegen tausendfachen Kindermord durch gesetzlich erlaubte Abtreibung. Er hat folgenden Wortlaut:

Nachdem sich die CDU-Führung vor und nach der Wahl geweigert hat, den Massenmord an Ungeborenen zu beenden, treten nun verstärkt glaubenstreue Katholiken aus Gewissensgrün­den aus der CDU aus. Einer von ihnen, Hans-Jürgen Abeler aus Trittau, der seit Jahren leidenschaftlich gegen die Abtreibung kämpft, begründete Bundeskanzler Kohl öffentlich seinen Austritt.

Das Schreiben von Abeler an Helmut Kohl hat folgenden Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Kohl! Als aufrichtiger Katholik, Vater von 8 Kindern, seit über 20 Jahren aktives Mitglied der CDU, erkläre ich hiermit öffentlich meinen Austritt aus der CDU. Sicher interessie­ren Sie die Gründe. Ich nannte sie Ihnen früher bereits. Ich kann es mit meinem Gewissen vor Gott nicht weiter verantworten, in und für eine Partei tätig zu sein, die es geschehen läßt, daß Arbeitgeber, Arbeitnehmer und jetzt auch Rentner gezwungen werden, durch den § 200 f RVO den Massenmord am ungeborenen Kinde im Mutterleib, täglich 500 Kinder, durch ihre Pflichtbeiträge zu finanzieren.

Ich kann es als aktiver Katholik mit meinem Gewissen vor Gott, dem alleinigen Herrn über Leben und Tod, der geboten hat ,Du sollst nicht töten`, nicht verantworten, in einer Partei zu sein, die sich christlich nennt und diesen Massenmord am ungeborenen Kind legal nennt und nichts dagegen unternimmt.

Ich kann mit meinem Gewissen vor Gott nicht weiter in einer Partei sein, die vor der Wahl die Familie entdeckt, und die nach der Wahl alles tut, die Familien, ja das Wesentliche einer Familie, das Kind, zu zerstören. Eine Partei, die einen Familienminister hat, der gegen das Leben auftritt und somit gegen die Familie ist. Hiermit trete ich aus der CDU aus und hoffe, daß alle ehrlichen Christen, besonders die Katholiken, sich von einer Partei trennen, die sich zum Fang von Wählerstimmen christlich nennt, es aber zu verant­worten hat, daß täglich 500 Kinder im eigenen Vaterland ermordet werden, und der Familienminister weigert sich, etwas zu ändern.

Möge Gott unserem christlichen Vaterland barmherzig sein."

Alle diese erwähnten kleinen und großen Erlebnisse zeigen, daß gläubig gewordene Katholiken und gläubige Evangelische den Weg zueinander finden, ohne daß konfessionelle Schranken dabei sicht­bar werden.

Viele Menschen haben über das „Gläubigwerden" unklare Vor­stellungen. Mitgliedschaft einer Kirche heißt noch lange nicht, daß der Betreffende ein gläubiger Christ ist. Selbst treuer Kirchenbe­such – so empfehlenswert er ist – ist kein Ersatz für das Ereignis, das im Neuen Testament (Joh. 3,3) Wiedergeburt genannt wird. Aktiver, sozialer Einsatz und bürgerliche Ehrbarkeit sind ebenfalls kein Ersatz für die Wiedergeburt. Justitia civilis ist die Rechtschaf­fenheit vor Menschen, Justitia coram deo ist das Gerechtwerden vor Gott, das nur durch das gnädige Eingreifen Gottes geschenkt wird.

Nehmen wir nochmals das Erleben von Inge Brück. Vor ihrem 36. Lebensjahr war sie auch Katholikin, aber keine Christin. Nach ihrer Umkehr blieb sie Katholikin, war aber nunmehr eine Chri­stin. Es ist äußerst schwer, einem kirchentreuen Katholiken eine solch grundlegende Wandlung klarzumachen.

 

B (Beispiel) 1 Es soll dieser Vorgang an einem ganz neuen Beispiel angedeutet werden. Eine Nonne schrieb einen Brief und suchte geistlichen Rat. Sie berichtete, daß sie keinen inneren Frieden habe. Nach der Regel ihres Ordens beichtet sie jeden Monat und kommuniziert. Das „absolvote in nomine patris et filii eius" gebe ihr keine Gewißheit der Vergebung. Sie suche daher einen gläubi­gen evangelischen Seelsorger, dem sie sich anvertrauen könne. Sie sei auch innerlich so geführt worden, daß sie nicht mehr zu Maria, der Mutter Gottes, bete, sondern nur zu Jesus und seinem Vater. Sie habe starkes Verlangen, an einem Ort zu sein, wo biblisches Christentum praktiziert werde. Sie fühle sich an ihr Ordensgelüb­de gebunden und warte nun darauf, daß der Herr selbst ihre Sache in seine Hände nehme.

Wir stehen hier vor der Tatsache, daß der Heilige Geist eine katholische Nonne geistlich aufgeweckt und suchend gemacht hat. Um das Problem des Austritts aus der katholischen Kirche und des Eintritts in die evangelische Kirche geht es hier wahrhaf­tig nicht. In 54 Jahren meiner seelsorgerlichen Arbeit habe ich noch keinem Menschen geraten, in unsere Kirche einzutreten, ich gebe aber jedem Ratsuchenden den Hinweis auf die Auslieferung des Lebens an Jesus. Wer sich Jesus als seinem Führer anvertraut, wird von ihm den rechten Weg geführt werden, was er zu tun und zu lassen hat.

 

Negative Erfahrungen mit Katholiken

Ungute Erfahrungen mit Katholiken liegen in meiner Kartei in großer Zahl vor. Der Titel dieses Buches heißt Okkultes ABC. Ich traf in katholischen Kreisen viele an, die Zauberei treiben. Ich erinnere an das Buch von Dr. theol. Dr. phil. Rudolph, der das Buch schrieb Die geheimnisvollen Ärzte. Darin berichtet er, daß er 300 magische Besprecher interviewt hat. Die Mehrzahl waren Katholiken. Ich selbst kann solche Beispiele in großer Zahl liefern.

B 2 Viermal weilte ich auf der Insel Sizilien und hörte von Priestern, die Schwarze und Weiße Magie trieben. Das gleiche erlebte ich in der Schweiz. Eine Frau hatte von einem Kapuziner ein Amulett erhalten. In der Seelsorge öffnete sie es. Darin befand sich ein Zettel mit der Verschreibung ihrer Seele an den Teufel. Auch von Mönchen des Kantons Solothurn hörte ich Ähnliches.

Um das Gleichgewicht herzustellen, sei erwähnt, daß ich auch protestantische Pfarrer durch die Seelsorge entdeckte, die Zauberei trieben.

Ein anderes Gebiet religiösen Unfugs ist der Versuch der Abwerbung. Dazu gibt es auf den Missionsfeldern bitterböse Beispiele.

B 3 Bei einer Evangelisation in Ijui (Brasilien) hatte ich in einer großen Halle zu sprechen. An jedem Abend, wenn ich um 8 Uhr zu sprechen begann, setzte ein überdimensionaler Lautsprecher ein, der über das ganze Städtchen hinwegdröhnte. In unserer Halle konnten die Hörer mich fast nicht verstehen. Ich bat öffentlich, daß Angestellte der Stadtverwaltung sich dieser Sache annehmen sollten. Was kam heraus? Dieser Lautsprecher war katholischer­seits installiert worden, um unsere Evangelisation zu stören.

Im gleichen Land kam ein Missionar zu mir und berichtete. In der Nähe der evangelischen Missionsstation zog ein neuer katholi­scher Missionar auf. Ihn störte die evangelische Nachbarschaft. So ließ er in der Nähe der evangelischen Mission einen Lautsprecher aufstellen, der Tag und Nacht plärrte und tobte. Der evangelische Missionar bat den katholischen Kollegen, doch diesen Unfug einzustellen. Es war alles umsonst. Von den Behörden bekam er keine Hilfe, weil es sich hier um katholisch eingestellte Beamte handelte.

Auch auf einem anderen Sektor habe ich Beispiele, die nicht in Details ausgebreitet werden können.

B 4 Eine ehemalige Nonne kam zu mir zur Aussprache. Es war nicht in Deutschland, und es war kein Beichtgespräch. Sie berichtete, daß sie als reines, unberührtes Mädchen in ein Kloster eingetreten war. In diesem „frommen Haus" ging es sehr unheilig zu. Die Schwestern trieben unsaubere Dinge mit den Arbeitern, die die Klostergüter bewirtschafteten. Die Oberin machte keine Aus­nahme. Sie hatte ihren speziellen Freund. Die junge Novizin wurde in dieses Treiben mit hineingezogen. Es wurde ihr zuviel, und sie trat aus dem Kloster aus. Sie hat alles noch deutlicher berichtet, was hier nicht wiedergegeben wird.

B 5 Einen Skandal ersten Ranges löste ein Buch von Prof. R. Bäumer im Jahr 1981 aus. Diese Schmähschrift gegen den evangeli­schen Glauben trägt den Titel Kleine deutsche Kirchengeschich­te  und stellt ein gehässiges Pamphlet gegen Martin Luther dar, und das exakt im Vorstadium des Papstbesuches in Deutschland. In dieser, aus dem Ungeist der Gegenreformation geborenen Veröf­fentlichung heißt es z. B., daß Luthers Heirat mit Katharina von Bora durch Unzucht und Gelübdebruch und durch das Blut so viel tausend Ermordeter besudelt worden sei.

Wir fragen nun ganz vorsichtig, auf wessen Konto die vielen tausend ermordeter Blutzeugen zu buchen sind.

Ich sehe es weiter als Schande für die katholischen Bischöfe Deutschlands an, daß sie 40.000 Exemplare dieser Schmähschrift vor dem Papstbesuch in Deutschland verteilen ließen, statt diese Unwahrheit und Verunglimpfung zu stoppen.

Der Maßstab

Böse oder gute Erfahrungen sind noch kein Hinweis auf den Unwert oder Wert einer Glaubensrichtung. Man kann auch nicht z. B. die Slums von London, New York oder Kalkutta verallgemei­nern und damit der ganzen Stadt den Stempel aufdrücken. Der Maßstab für die Beurteilung einer Konfession ist allein die Heilige Schrift. Zu diesem Gesichtspunkt ein Beispiel.

B 6 Ich kenne einen aufrichtig suchenden katholischen Prie­ster. Er prüfte die katholische Glaubenslehre und danach die protestantische Dogmatik.

Er tat ein übriges und besuchte ein evangelisch-theologisches Seminar, um durch den Vergleich die letzte Wahrheit zu finden. Danach lebte er noch eine Zeitlang in einer bewußt evangelischen Familie. Er wurde enttäuscht und ging zurück in das katholische Pfarramt. Ich schrieb ihm, er dürfe nicht Menschen zum Maßstab nehmen, sondern nur die Heilige Schrift. Jesus sagt (Joh. 5,39): „Suchet in der Schrift … sie ist es, die von mir zeuget." Natürlich wird uns bei der Enttäuschung des Wahrheitssuchers deutlich, was Paulus in 2. Kor. 3,3 schreibt: „Ihr seid ein Brief Christi." Wenn wir Christen nicht ein Brief Christi sind, enttäuschen wir unsere Mitmenschen. Das ist unsere Schuld. Die Schuld des Wahrheitssu­chenden ist aber, daß er Menschen – dazu gehört auch die priesterliche Hierarchie und die Tradition – und nicht die Heilige Schrift allein als Maßstab nimmt.

Biblisches in der katholischen Kirche

Wenn wir nach der biblischen Substanz in der katholischen Dogmatik fragen, können wir den Reformator Luther zitieren. Wenn er von den positiven Werten der von ihm angegriffenen „gegnerischen" Kirche spricht, ist er bestimmt ein zuverlässiger Zeuge. Luther schrieb in den von ihm 1537 verfaßten Schmalkaldi­schen Artikeln folgendes:

Das erste Theil ist von den hohen Artikeln der göttlichen Majestät, als:

1. Daß Vater, Sohn und Heiliger Geist, in einem göttlichen Wesen und Natur, drei unterschiedliche Personen, ein einiger Gott ist, der Himmel und Erden geschaffen hat.

2. Daß der Vater von niemand, der Sohn vom Vater geboren, der Heilige Geist vom Vater und Sohn ausgehend;

3. Daß nicht der Vater noch Heiliger Geist, sondern der Sohn sei Mensch worden;

4. Daß der Sohn sei also Mensch worden, daß er vom Heiligen Geist ohn männlich Zuthun empfangen, und von der reinen, heiligen Jungfrauen Maria geboren sei. Danach gelitten, gestor­ben, begraben, zur Hölle gefahren, auferstanden von den Todten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, künftig zu richten die Lebendigen und die Todten. Wie der Aposteln, item S. Athanasii Symbolum und der gemeine Kin­derkatechismus lehret. – Diese Artikel sind in keinem Zank noch Streit, weil wir zu beiden Theilen dieselbigen bekennen. Darum nicht vonnöthen jetzt davon weiter zu handeln.

Luther hat also die gemeinsame Basis des katholischen und evangelischen Glaubens anerkannt. Im 20. Jahrhundert müßte das noch differenzierter gesagt werden, da inzwischen katholische und protestantische Modernisten viele Positionen des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses aufgegeben haben, vor allem die Jungfrau­engeburt der Maria. Selbst Emil Brunner, den man nicht als Modernisten bezeichnen kann, hat sich von diesem Glaubenssatz distanziert. Die offizielle kirchliche Linie ist es aber noch nicht.

In meiner Studentenzeit entdeckte ich selbst viel Gemeinsames in den beiden Schwesterkirchen. Ein Semester lang hörte ich scholastische Theologie und wurde vor allem von der Gnadenlehre beeindruckt. Die gratia praeveniens und die gratia gratis data – die zuvorkommende Gnade und die geschenkweise Gnade – sind doch auch Positionen in Luthers Theologie.

 

Unbiblisches in der katholischen Kirche

Wer sich intensiv mit der katholischen Lehre befaßt, entdeckt schwerwiegende Irrtümer. Man lese dazu das Buch von Otto Markmann Irrtümer der katholischen Kirche. Bei der Lektüre dieses Buches packt einen das Entsetzen: Spiritisten als Heilige erklärt, magische Erlebnisse als Wirkungen des Heiligen Geistes deklariert, echte Christen um ihres Glaubens willen gefoltert und umgebracht. Mit meinem Freund Dr. Helmut Pfandl zusammen stand ich im April 1983 in Schärding, gegenüber der Inn-Insel Gries, vor der Gedenktafel von Leonhard Kaiser, der auf dieser Insel um seines evangelischen Glaubens willen auf dem Scheiter­haufen sein Leben beendete. Als das Feuer entfacht worden war, rief er dem zuschauenden Volk zu, sie sollen das Lied singen Komm, heiliger Geist. Als die Flammen ihn einhüllten, hörte man ihn mit fast erstickter Stimme singen: Jesus, ich bin dein, mach mich selig. Das Blut der wirklichen Heiligen schreit zum Himmel. Hat die katholische Kirche eigentlich nie Buße getan für die Folterungen und Morde in der Zeit der Gegenreformation und Inquisition?

Bei einem Besuch und Dienst in der kleinen evangelischen Kirche in Madrid suchte ich unter anderem das Denkmal auf, das Zeugnis von der letzten Ketzerverbrennung im Jahr 1869 gibt.

Es soll und darf kein Haß gepredigt werden. Das düstere Kapitel katholischer Irrtümer muß aber wenigstens angedeutet werden. Es werden dabei nur einige Hauptpunkte genannt.

 

Die Mariologie

Dieser Abschnitt ist keine Abwertung der Maria. Gott hat sich die beste, reinste Mutter für seinen Sohn ausgesucht. Dieser Frau gehört unsere Hochachtung. Ihre Gestalt und Bedeutung darf aber nicht zu einem Götzendienst ausgeweitet werden, wie es in der katholischen Kirche geschehen ist. Wer einem Geschöpf vertraut statt dem Schöpfer, ist ein Götzendiener. Mir liegt durch meine vielen Missionsreisen schier unermeßliches Material vor, das gar nicht in seinem Umfang dargestellt werden kann. Es würde den Rahmen dieses Buches überschreiten.

Wer viele Missionsfelder besucht, dem fällt zuerst auf, daß es Marienstatuen mit allen Hautfarben gibt. Dem schwarzen Afrika­ner erscheint sie mit schwarzer Haut. Dem Indianer in Südamerika offenbar sie sich in seiner Hautfarbe, etwa als Maria Guadalupe. Das nächste, was dem Beobachter sich zeigt, ist die Tatsache, daß Maria neben anderen heidnischen einheimischen Gottheiten steht. Die Indios in Kolumbien oder Peru feiern ihre alten angestammten Götzenfeste weiter und fügen nur ein neues Marienfest hinzu. Das entspricht der katholischen Assimilation, ein Angleichsverfahren an das Heidentum, um das Volk zu gewinnen.

Diese Angleichung an das Heidentum kennzeichnet auch die katholische Kirche auf den Philippinen. 1565 kam der erste katholi­sche Missionar unter dem Schutz der spanischen Soldaten auf die Philippinen. Die Missionierung machte große Fortschritte, weil die Patres den Animismus und Ahnenkult der Heiden duldeten. Neben den Marienfesten existieren die alten heidnischen Kulte. Der Erfolg war, daß 80 % des Volkes für den katholischen Glauben gewonnen wurde. Bis heute existiert aber noch die alte heidnische Zauberei, wie vor allem an der obskuren Praxis der spiritistischen Heiler erkannt werden kann. Sie treiben Zauberei, haben aber Marienbilder oder sogar einen kleinen Marienaltar in ihrem Be­handlungsraum.

Religionsgeschichtlich bedeutet der Marienkult das Eindringen orientalischer Vorstellungen einer Muttergottheit. Das Ave Maria im Rosenkranzgebet ist eine Übernahme der Gebetsperlen, die bei allen Mönchen ostasiatischer Religionen seit Jahrtausenden üblich waren.

Dem psychisch-emotionalen Hang eines andächtigen Frommen kommt die Legendenbildung und das entstehende mythische Ran­kenwerk entgegen. So wird von Maria behauptet, sie sei von Geburt an ohne Erbsünde gewesen (immaculata conceptio). Es wurde ihr auch lebenslange Jungfrauschaft angedichtet, um ihren Nimbus zu erhöhen, obwohl in Matthäus 13,55 von den leiblichen Geschwistern Jesu gesprochen wird. Die katholischen Christen sollen die Bibel nur mit den authentischen Erklärungen der Kirche lesen und verstehen. An dieser Stelle liegt eine Fälschung der katholischen Kirche vor.

Der gleiche Vorgang einer Umdeutung des biblischen Textes liegt bei der Erklärung von 1. Mose 3,15. Es heißt dort ,,… dersel­be wird dir den Kopf zertreten." Daraus machte die katholische Kirche ,,… dieselbe wird dir den Kopf zertreten" und bezieht das auf Maria. Daher wird Maria auch „Schlangenzertreterin" genannt und als Gegenspielerin Satans angesehen. Ein katholischer Priester, der das Manuskript las, machte mich darauf aufmerksam, daß nur in der alten Vulgata der Ausdruck „dieselbe" steht. In der neuen Vulgata heißt es „derselbe". Das wird dankbar zur Kenntnis genommen.

Unter meiner katholischen Literatur befindet sich das Buch von Pater Bonifatius Günther mit dem Titel Maria, die Gegenspielerin Satans. In diesem Buch stehen merkwürdige Dinge.

Auf Seite 9 heißt es: „Die Schlangenzertreterin ist stärker als Satan und die ganze Hölle. Wo sie auftritt, muß er weichen … Nur ihren Kindern kann er nachstellen. Aber auch nur da, soweit sie es zuläßt."

Hier werden also Maria Kräfte und eine Machtfülle angedichtet, die nur Gott und Christus haben.

Auch die Vorstellung, daß Maria Miterlöserin (corredemptrix) ist, findet sich in diesem Buch auf Seite 449, und auf S. 454 erhält Maria das Ehrenprädikat, sie sei „Pforte des Himmels". Das Buch endet auf Seite 456 mit dem Hinweis: „Maria und die Hingabe an ihr unbeflecktes Herz ist der einfachste, schnellste und sicherste Weg zu Gott."

Was hier Pater Bonifatius aussagte, steht in noch schärferer Form in dem Buch Die Jesuiten von H. Boehmer-Romundt. Darin heißt es auf Seite 136: „Die Jesuiten priesen Maria als die Adoptivtochter Gottes. Sie lehrten, daß es schwer sei, durch Christus, leicht aber durch Maria die Seligkeit zu erlangen."

Das bedeutet, daß Christus in seiner einzigartigen Bedeutung entthront, Maria aber an seiner Stelle inthronisiert wird. Das ist Lästerung und Götzendienst.

Es bleibt, was Jesus sagt: „Ich bin der Weg" Joh. 14,6). Es hat in alle Ewigkeit Gültigkeit, was Paulus bezeugt: „Es ist ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus" (1. Tim. 2,5).

Im Marienkult nehmen die unbiblischen Greuel kein Ende. Vor Jahrzehnten stand ich in Venedig vor einem gewaltigen Altarge­mälde von Tizian, das die assumptio Mariae (Himmelfahrt Marias) darstellt. Was dieses Bild aussagt, wurde am 1. Nov. 1950 von Papst Pius XII. feierlich ex cathedra als Glaubenssatz verkündigt, daß Maria eine leibliche Himmelfahrt zu Gott erlebt habe.

Ein weiteres höchst bedenkliches Zeichen der übersteigerten Marienverehrung sind die Marienvisionen und Marienerscheinun­gen. Wir können nur die beiden wichtigsten kurz skizzieren.

 

Die Erscheinungen der Maria

In der Gegenwart sind es zwei Wallfahrtsorte, die am meisten fromme Katholiken anziehen, Lourdes und Fatima.

Lourdes hat bis jetzt 18 Erscheinungen der Maria aufzuweisen. Begonnen hat diese Serie im Februar 1858. Empfängerin oder Seherin war ein 14jähriges Mädchen mit dem Namen Bernadette. Diese „himmlische" Erscheinung betonte den fleißigen Gebrauch des Rosenkranzes und forderte Prozessionen und den Bau einer Kapelle zu ihren Ehren.

Seither strömen die Wallfahrer nach Lourdes und erwarten dort Heilung und Hilfe für ihre Nöte. In der Tat kommen Heilungen vor. Die katholische Kirche ist vorsichtig. Eine Ärztekommission ist eingesetzt, die Heilungen zu überprüfen haben. Ich las einen Artikel, wonach unter 2000 Pilgern im Schnitt drei Heilungen geschenkt werden. Wenn diese wenigen Heilungen biblisch echt waren, könnte man tatsächlich von Wundern reden.

Manche Heilungen lassen sich als Placebo-Wirkungen oder Suggestivwunder erklären. Die vielen Krücken, die ausgestellt sind, haben eine suggestive Wirkung. Zum anderen gibt es auch dämonische Wunder, wie ich sie oft in meinen Büchern dargestellt habe. Trotz höchster Bedenken halte ich es auch für möglich, daß echtes Geschehen passiert. Ich will einen Fall konstruieren. Eine gottesfürchtige Katholikin mit einem gläubigen Herzen, aber bescheidenen Geistes kommt nach Lourdes. Sie betet auf dem Weg: „Du Gott und barmherziger Vater, wenn es dein Wille ist, lasse mich in Lourdes gesund werden." Gott, der nicht so engstir­nig ist wie die meisten Kritiker, sieht das Gebet und den Glauben der Frau an und erhört ihr Gebet. Damit ist die Heilung nicht wegen Lourdes, sondern trotz Lourdes erfolgt.

Solche positiven Beispiele können sich ereignen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß diese Marienerscheinungen in Lourdes spiritistischen Charakter haben. Gott kann aber auch in einer solchen Situation Menschen retten.

Zu dem Wallfahrtsort Fatima wird ein Bericht von Otto Mark­mann wiedergegeben, dessen Buch ich schon empfohlen habe. Auf Seite 54 heißt es:

„Von weltweiter Bedeutung sind auch die sechs Erscheinungen in Fatima/Portugal des Jahres 1917. Hier sprach ’Maria’ zur Welt. Drei Kindern des portugiesischen Dorfes erschien sie: in einem weißen Nebel schwebend, einen wundervollen Wohlgeruch ver­breitend, als ,Rosenkranz-Königin`; himmlischer Lichtschnee (der auch fotografiert wurde) rieselte vom blauen Himmel herab. In der Hand hielt sie einen Rosenkranz. Bei der sechsten Erscheinung folgte das Sonnenwunder, das von mehr als 70.000 Menschen gesehen wurde. Etwa 10 Minuten lang vollführte die Sonne einen Regenbogen-Rundtanz am Himmel. Die Kinder hatten nicht nur Marienerscheinungen, sondern auch Engelserscheinungen und ei­ne Höllenvision mit Teufeln. Als 1921 unweit der Kapelle der Erscheinung aus dem felsigen Boden eine Quelle entsprang, wurde das als wunderbarer Erweis der Güte Marias gedeutet, und unzäh­lige Pilger strömen nun jährlich nach Fatima. In diesem Jahr waren es rund 700.000 irregeleitete Menschen."

Vor einigen Jahren sprach ich mit dem inzwischen verstorbenen Professor Gebhardt Frei vom Missionsseminar Beckenried über Lourdes und Fatima. Frei war ein exzellenter Kenner der parapsy­chologischen Phänomene und hatte bei vielen Problemen die gleiche Meinung wie ich. Als ich aber diese beiden Wallfahrtsorte erwähnte, wehrte er sofort ab und sagte: „Das hat mit Spiritismus nichts zu tun. Das sind wirklich himmlische Erscheinungen der Gottesmutter."

In dem erwähnten Buch von Pater Bonifatius Maria, die Gegenspielerin Satans steht auf Seite 179, daß Lourdes und Fatima von der Kirche anerkannte Erscheinungsorte sind.

Ein Mitarbeiter der Evangelischen Kirche, Hans Schröder aus Essen, schrieb mir zu diesem Thema beachtenswerte Feststellun­gen. Ich gebe sie verkürzt wieder:

„Was mir zur Zeit große Sorge bereitet, ist die Tatsache, daß sich die radikale protestantische Bibelkritik auch in der katholischen Kirche voll durchgesetzt hat. Der Verlag Katholisches Bibelwerk in Stuttgart veröffentlicht jetzt eine Anzahl bibelkritischer Werke von katholischen Theologen, die sich in nichts von protestanti­schen Bibelkritikern unterscheiden. So z. B. leugnet Prof. Erich Zenger in seinem Buch Der Gott der Bibel die Gesetzgebung Gottes am Sinai und andere Lehren. Prof. Gerhard Lobfink behauptet in seinem Werk Jetzt verstehe ich die Bibel, daß viele Aussagen im Neuen Testament unhistorisch sind. Er meint auch, daß die Geschichte von Mariae Verkündigung in Lukas 1 so nicht geschehen ist. Prof. Alfons Weiser erklärt in Was die Bibel Wunder nennt, daß die Auferweckung des Lazarus durch Jesus wohl nicht geschehen sei. Es habe überhaupt nie Totenerweckun­gen gegeben. Alle diese bibelkritischen Bücher sind mit katholischer Druckerlaubnis veröffentlicht worden.

Dadurch ergibt sich folgende widersinnige und paradoxe Lage in der katholischen Kirche: Die erwähnten biblischen Tatsachen und viele Wunder Jesu sind unhistorisch und nie geschehen, aber es muß von den Katholiken geglaubt werden, daß Maria in Lourdes der Bernadette und in Fatima den Hirtenkindern erschienen ist. Ich habe noch keinen katholischen Theologen gehört oder gelesen, der heute an den Erscheinungen der Maria in Lourdes und in Fatima zweifelt. Auch Papst Johannes Paul II. wallfahrtete ja nach Lour­des und Fatima, während er die Bibelkritik in der katholischen Kirche sich ausbreiten läßt. Die Bibel wird also von vielen katholi­schen Theologen kritisch zersetzt, aber ganz neue Privatoffenba­rungen der Maria in Lourdes und Fatima sollen von Katholiken geglaubt werden. Es ist paradox, das Wort Gottes in der Bibel zu entkräften, während unbiblische Offenbarungen verbindlich sind."

Zum Thema Marienverehrung und Marienkult hat Johannes H. Rott­mann aus Niedernhausen bei Wiesbaden ein gutdokumentiertes Flugblatt heraus­gegeben. Darin werden aufschlußreiche Zusammenhänge aufge­deckt. Das Stichwort lautet: Maria und Europa.

„… Lassen Sie sich überraschen! Am 12. September 1958 wurde auf dem norditalienischen Berge Seranissima von dem Mailänder Erzbischof Montini, dem verstor­benen Papst Paul VI, eine 20 m hohe Europa-Madonna einge­weiht, die den Namen trägt: ,Unsere Liebe Frau und Herrin Europas`. Die katholische Kirche sieht in Maria die biblische Gestalt des ’Sonnenweibes’ (Offb. 12,1: Es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen), das einen Kranz von 12 Sternen auf dem Kopfe trägt. Papst Johannes Paul II. sagte: ’Wenden wir daher von neuem unseren Blick der Mutter des Erlösers der Welt zu, der Frau der Geheimen Offenbarung des Johannes, der Frau, mit der Sonne bekleidet`.

Für Marienverehrer ist Blau die Farbe Mariens. Die Europa-Flagge bringt zum Ausdruck: Maria ist die Herrin Europas.

Die Symbolik dieser Flagge richtet sich gegen die Herrschaft Jesu Christi und Gottes und ist deshalb antichristlich.

Katholische Zielvorstellungen

Papst Pius XII. forderte am 24. 12. 1941 dazu auf, ’ein neues Europa und eine neue Welt aufzubauen’. Eine angebliche Marien­erscheinung, die sich ’Frau aller Völker’ nannte, forderte am 20.3. 1953: ’Völker Europas, schließt euch zusammen.’ Am 25. 3. 1957 wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet. Bi­schof Dr. Graber sagte am 16. 9. 1978:

’Ich habe eine marianische europäische Internationale gefor­dert … Wir beten und bitten in der Stille, daß das Abendland wieder zu dem werde, was es einstmals war, ein IMPERIUM MARIANUM.`" – Soweit Johannes Rottmann.

Damit schließen wir den Abschnitt Mariologie ab, obwohl viele Probleme nicht erörtert werden konnten. Zum Beispiel ist die gefährliche Unterwanderung der katholischen Kirche durch die Mystik mit ihren ekstatischen, visionären, medialen und okkulten Elementen in diesem Kapitel nicht behandelt. Ähnliche Probleme klingen beim Joga und der Transzendentalen Meditation an und können dort nachgelesen werden.

Da diese Darstellung der Mariologie manche Leser auf verkehrte Vorstellungen leiten könnte, muß ich zur Klärung zusammen­fassen:

Ich sage radikal nein zu dem Götzendienst, der mit Maria getrieben wird.

Ich sage ein volles Ja zur Maria, die von Gott so hoch geehrt wurde und die zu den Jüngerinnen Jesu gehör hat. Sie lebt nun in der Herrlichkeit, die Gott den Seinen bereitet hat. Ihr Friede ist unangefochten, denn Gott informiert sie nicht über den lästerli­chen Kult, der mit ihr auf Erden getrieben wird. Das nehme ich an, sonst wäre ihre Seligkeit furchtbar gestört.

Während der Niederschrift dieses Kapitels brachte der Postbote eine Flugschrift, von P. Benno Mikocki verfaßt, die mit kirchlicher Druckerlaubnis vom 27. 6. 1983 in 130.000 Exemplaren veröffent­licht worden ist. Diese Broschüre hat den Titel  TOTUS TUUS Maria = Ganz dein, o Maria

In dem Weihegebet auf der ersten Seite steht: „Lassen wir uns doch von Maria führen, damit wir durch sie Jesus ähnlicher werden. Das ist der sicherste und vollkommenste Weg."

Der Weg des Gläubigen geht direkt zu Jesus und nicht über Maria.

Am Schluß dieser Broschüre steht ein Weihegebet, das Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1982 in Fatima an die Gottesmutter gerichtet hat. Es kann nicht das vier Seiten lange Gebet abgedruckt werden. Wichtig ist darin, daß der Papst die ganze Menschheit der Maria weiht. Diese Stelle lautet:

„Darum, o Mutter der Menschen und Völker … umfange mit deiner mütterlichen und dienenden Liebe diese unsere Welt, die wir dir anvertrauen und weihen, erfüllt von Sorge um das irdische und ewige Heil der Menschen und Völker …" (Seite 28).

Jesus sagt (Mt. 28,18): „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Nicht Maria ist die Beauftragte Gottes.

Paulus bezeugt (Phil. 2,9): „Darum hat Gott ihn (Jesus) erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist."

Die Gewichtsverlagerung auf Maria, die von der katholischen Kirche vollzogen worden ist, bedeutet Götzendienst und Abirrung vom Schöpfer zum Geschöpf.

 

Entnommen dem Buch: Kurt E. Koch OKKULTES ABC.

Horst Koch, Herborn, im März 2006

 

Ergänzungen zum Thema Katholizismus finden sich in folgen­den Beiträgen:

  1. Dr. Lothar Gassman Vatikan und die Neue Weltordnung
  2. Ernst Volk Abendmahl oder Messopfer
  3. Kurt Koch Purgatorium
  4. Dave Hunt Rom, Nazis und Juden
  5. Dave Hunt Das Messopfer
  6. Dave Hunt  Maria und die Neue Weltordnung
  7. Dave Hunt  Inquisition
  8. Norbert Homuth  Das Papsttum
  9. Werner Bartl   Inquisition in Österreich
  10. Maria Elvira Slade  Marienkult
  11. Pfr. Karl Dinges  Die Reformation in Österreich

 

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Hure Babylon – Offb.17 (Pache)

 René Pache

DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI

Auszug:  Kapitel 6:  Die große Babylon

 

A. Was bedeutet »Babylon« in der biblischen Sprache?

I. Der Turm von Babel
In 1. Mose 11 kommt der Name Babel (oder Babylon) zum ersten Mal in der Schrift vor. Nach der Sintflut hatte Gott die Menschen aufs neue gesegnet und ihnen zweimal den Befehl gegeben: »Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde!« 1. Mose 9,1.7. Aber als die Menschen zahlreich geworden waren, beschlossen sie, sich Gottes Befehl zu widersetzen. Sie sprachen: »Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.« Da fuhr Gott hernieder, verwirrte ihre Sprache und zerstreute sie fern in alle Länder, und sie mußten vom Bau ablassen. Daher heißt ihr Name »Babel« (von einem Wort das »verwirren« bedeutet) 1. Mose 11,4‑9. Das Gericht über den Turmbau zu Babel trug schwere Folgen: es bekundet den Willen Gottes, die Einheit der Rasse, die sich dem Dienst des Bösen ergeben hatte, zu brechen. Seitdem trennen Sprache, Vorurteile und Entfernung die Völker. Dadurch verhindert der Herr das verfrühte Auftreten des Antichristen. Sobald Er in der Endzeit die Einigung der Welt zuläßt, tritt der erwartete große Übermensch auf den Plan.

So ist es nicht erstaunlich, daß nach dem Gericht von 1. Mose 11 die ganze Bibel hindurch dem Namen Babel die Idee von einer großen Zusammenballung der Welt zur hochmütigen Auflehnung gegen Gott anhaftet.

II. Die große Babylon der Offenbarung
Unter der Führung des Antichristen werden sich die Menschen ein letztes Mal, dem Himmel zum Trotz, an einen Turmbau von Babel machen. In dem Augenblick, da Gott Sich rüstet, sie endgültig durch Seine Gerichte zu zerstreuen, vereinigen sie sich und organisieren den Widerstand gegen Ihn. Unter dem Druck des Antichristen tun sie das auf allen Gebieten:

a) In der Politik errichten sie ein absolutes Weltreich;

b) In der Religion verwirklichen sie endlich die Einheit der Menschen in dem allerschlimmsten, offenkundig gegen Gott gerichteten Götzendienst;

c) Auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet richten sie ein totalitäres Regime auf, welches das Einzel‑ wie das Gesamtleben beherrscht.

Diese ungeheure Organisation der menschlichen Sünde will der Herr nun brechen und vernichten. Im bilderreichen Stil der Offenbarung versinnbildlicht Johannes das Handeln der Menschen auf den genannten Gebieten wie folgt:

a) Das Tier und sein Reich stellen die politische Welt der Endzeit dar, Offb. 13,16.10;

b) Die Hure Babylon stellt die ungläubige, religiöse Welt dar, 17,15;

c) Die große Stadt Babylon stellt die wirtschaftliche und soziale Welt, so wie Gott sie sieht, dar; 18,10.18‑19.

Das sind, kurz gesagt, drei Bilder von ein und demselben Turm von Babel, den die Zivilisation ohne Gott baut. Wir wollen nun sehen, was uns Johannes über die Hure Babylon lehrt.

B. Die Hure Babylon

I. Wieso stellt die Hure die abgefallene, religiöse Welt dar

»Und einer der sieben Engel … redete mit mir und sprach. Komm, ich will dir zeigen das Urteil der großen Hure, die an vielen Wassern sitzt… Sie hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll Greuel und Unsauberkeit ihrer Hurerei, und an ihrer Stirne geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden. Offb. 17,1.4‑5.

1. Der Ausdruck »Hure« wird im geistlichen Sinne gebraucht.

Der allegorische Stil der Offenbarung gebraucht den Ausdruck, wie er vielfach in der Sprache der alten Propheten vorkommt, z. B.: »Hast du gesehen, was Israel, die Abtrünnige, tat? Sie ging auf alle hohen Berge und unter alle grünen Bäume und trieb daselbst Hurerei… Wie Ich der abtrünnigen Israel Ehebruch gestraft und sie verlassen und ihr einen Scheidebrief gegeben habe; dennoch fürchtet sich ihre Schwester, die verstockte Juda, nicht, sondern geht hin und treibt auch Hurerei. Und von dem Geschrei ihrer Hurerei ist das Land verunreinigt; denn sie treibt Ehebruch mit Stein und Holz.« Jer. 3,6.8‑9. »Wie geht das zu, daß die fromme Stadt (Jerusalem) zur Hure geworden ist?« Jes. 1,21. Und im NT schreibt Jakobus: »Ihr Ehebrecherinnen, wisset ihr nicht, daß der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist?« 4,4‑5.

Nur eine Ehefrau kann zur Ehebrecherin werden. Im geistlichen Sinn lassen sich diese Ausdrücke auf solche anwenden, die sich Gott einmal geweiht hatten. Die »große Hure« ist die abgefallene Kirche, die Jesu Christi Eigentum zu sein gelobte und nun mit der Welt Ehebruch treibt. So ist die Hure das Sinnbild der verweltlichten Religion; sie verkörpert die ganze Untreue, Heuchelei, Götzendienerei und Verfolgungssucht der religiösen Welt seit ihrem Bestehen, besonders aber, wie sie sich in der Endzeit gibt. Die große Babylon ist das weltliche System geistlicher Verwirrung, heuchlerischer Wollust und kirchlicher Korruption in ihrer ganzen Scheußlichkeit.

2. Die Hure stellt tatsächlich etwas anderes als die politische Macht der Endzeit dar.

Manche Ausleger (besonders katholische) wollten in Offb. 17 und 18 nur das Gericht über das heidnische Rom eines Nero sehen, das aus Klugheit »Babylon« genannt und als Sinnbild für jede politische Macht genommen wird, welche die Kirche unterdrückt. So sagt z. B. Kardinal Bellarmin: »Rom wird in der Offenbarung Babylon genannt.« Kardinal Baronius gibt zu, daß »nach Auffassung aller Rom in der Offenbarung des Johannes Babylon genannt wird«. Bossuet stellt fest, daß »die Züge so deutlich sind, daß man in dem Bild von Babylon mit Leichtigkeit Rom erkennen kann«.

Aber das so gesehene Rom kann nicht das Rom der früheren heidnischen Kaiser sein. Die Prophezeiung spricht von der Endzeit, und wir haben gesehen, daß dann alle politische Macht der Erde in den Händen des Antichristen und seiner Verbündeten liegen wird. Offb. 13,7; 17,12‑13. Nun sind es aber gerade diese, die schließlich die Hure verfolgen und mit Feuer verbrennen. 17,16. Die politische Macht wird die falsche Religion verfolgen, nachdem sie diese eine Zeitlang unterstützt und sich ihrer bedient hat. Später wird die politische Macht ihrerseits durch das Kommen Jesu in Herrlichkeit vernichtet werden.

Gehen wir nun zu Beweisgründen über, die uns in dem angegebenen Sinn noch auffälliger erscheinen!

II. Inwiefern ist die Hure ein satanisches Gegenbild zu der Braut des Lammes?

Wir haben schon darauf hingewiesen, wie sehr Satan Gott nachäfft:

Er stellt Christus ‑ den Antichristen,
dem Heiligen Geist ‑ den falschen Propheten,
der Gemeinde ‑ die Hure gegenüber.

Sehen wir jetzt, was die beiden letzteren Figuren unterscheidet:

1. Die Gemeinde wird die Braut, das Weib des Lammes genannt. Offb. 21,9. – Die Hure ist in ihrer Untreue das Weib des Tieres geworden. Offb. 17,3. Die Verbindung des falschen Christentums mit dem Antichristentum.

2. Die Gemeinde ist Christus untertan, wie ein Weib ihrem Mann. 1. Kor. 11,3; Eph. 5,23‑24. – Die Hure »sitzt« auf dem Tier, sie vermag es eine Zeitlang zu beherrschen. Offb. 17,3.

3. Die Gemeinde wird das neue Jerusalem, die heilige Stadt, genannt; so nimmt sie ihren Namen von der irdischen Stadt, wo Gottes Gegenwart gewohnt hatte. Offb. 21,9‑10. – Die Hure wird die große BabyIon genannt, eine Erinnerung an die hochmütige, gottfeindliche Stadt, deren König das Bild Satans selbst ist. Offb. 17,5; Jes. 14,4. 12‑14.

4. Die Gemeinde ist himmlischen Ursprungs: sie fährt von Gott hernieder, mit Seiner Herrlichkeit gekrönt. Offb. 21,2. Wie Christus ist sie nicht von dieser Welt. Job. 17,16. – Die Hure ist ganz von dieser Welt. Johannes sieht sie in der Wüste; sie hat sündhafte Beziehungen zu den Großen dieser Erde und begehrt alle weltlichen Freuden, nämlich Ehre, Genuß, Berauschung, Reichtum und Macht. Offb. 17,3.2.4.15.

5. Die Gemeinde ist arm, besitzt weder Silber noch Gold, auch sind nicht viele Mächtige oder Vornehme in ihr. Ap. 3,6; 1. Kor. 1,26. – Die Hure schmückt sich mit kostbaren Gewändern, mit Gold, Edelsteinen und Perlen. Offb. 17,4.

6. Die Gemeinde wird den Namen Gottes an ihren Stirner tragen. Offb. 22,4. – An der Stirn der Hure steht ,die große Hure, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden« geschrieben. Offb. 17,5. (In Rom trugen die Buhlerinnen an der Stirn ihren Namen auf goldenem Band.)

7. Die Gemeinde ist ein Geheimnis, zuvor verborgen in Gott, dann durch Christus den Aposteln geoffenbart; das Geheimnis der Gemeinde ist auch das Geheimnis Christi, so eng ist ihre Verbindung. Eph. 3,4‑10; 5,31‑32. – Auch im Hurenweib und im Tier liegt ein Geheimnis. Offb. 17,5.7 (darauf kommen wir später zurück).

8. Die Braut des Lammes enthält sich jeder Gewalttat; schlägt man sie auf die rechte Wange, so bietet sie die linke dar; sie ist wie ein Schaf mitten unter den Wölfen. Matt. 5,39; 10,16. – Die Hure ist trunken vom Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu. 17,6. Die falsche Religion ist in der Tat stets eine Verfolgerin gewesen (S. z. B. Matt. 23,33‑35). Kain, der eben Gott geopfert hat, tötet seinen Bruder. Die falschen Propheten töten die wahren. Die Pharisäer und der Hohepriester töten Jesum.

9. Die Gemeinde ist ein Organismus, geschaffen und lebendig gemacht durch den Geist Gottes, der die Gläubigen aus allen Rassen und Völkern sammelt. 1. Kor. 12,13.27; Offb. 5,9. – Die große Babylon ist eine Weltorganisation, allen mit Gewalt aufgezwungen und getrieben vom Geiste Satans. Offb. 13,4.15; 17,15.

10. Das Merkmal der Gemeinde ist die Anbetung des Lammes. Offb. 5,12‑14. – Das Merkmal der Hure BabyIon ist die Anbetung des Tieres. 13,8.

11. Die Gemeinde wird durch Jesus Christus in einem Augen­blick erlöst und in den Himmel gehoben. 1. Kor. 15,51‑52; 1. Thess. 4,16‑17. – Babylon wird in einer Stunde gerichtet und vernichtet. Offb. 18,10; sie wird durch den Antichristen getötet und verbrannt. 17,16.

12. Die wahre Kirche kann erst nach der Ausrottung der Abgefallenen als solche vor den Augen aller erkannt werden. Nach der Vernichtung der großen Hure findet im Himmel die Hochzeit des Lammes statt. Die Braut des Lammes schmückt sich mit ihren Festgewändern und setzt sich mit Ihm auf den Thron. Offb. 19,1‑2.7‑8; 3,21.

Diese vielen Vergleichspunkte scheinen uns klar zu beweisen, daß die Hure die falsche Kirche auf Erden darstellt.

 

III. Das Geheimnis des Weibes und des Tieres.

»Und hatte an ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: Die große Babylon… Und ich verwunderte mich sehr, da ich sie sah. Und der Engel sprach zu mir: Warum verwunderst du dich? Ich will dir zeigen das Geheimnis von dem Weibe und von dem Tier, das sie trägt.« Offb. 17,5‑7.

In der Endzeit muß alles auf die letzte Entscheidung hinreifen. Am Ende aber wird die wahre Gemeinde, das Salz der Erde, nicht mehr da sein, um der völligen Zersetzung zu wehren. Dann wird sich die Sünde zynisch am hellen Tage ausbreiten und das Geheimnis des Weibes und des Tieres« ans Licht kommen. Der Antichrist wird den ganzen Egoismus und Zwang, die jeder irdischen Herrschaft zugrunde liegen, unverhüllt zeigen. Nach der Entlarvung der Hure wird die Welt bestürzt alle Verbrechen, allen Betrug, alle Heuchelei, die hinter der falschen Religion steckten, erkennen. Wie gemein ist doch dieses Geheimnis des Weibes und des Tieres!

IV. Die Hure ist das Meisterwerk Satans.

Wir haben gesehen, wie unwiderstehbar und gefährlich der Antichrist ist. Aber zu der Zeit, die wir nun untersuchen, geht er in seiner Lästerung und Verfolgung offen vor. Die Hure dagegen ist viel falscher. Hinter einer gewissen frommen Fassade, mit Prunk und imponierendem Zeremoniell, verlockt und verführt sie die Seelen auf dem ganzen Erdkreis. Offb. 17,2; 18,23b. Sie zieht die Menschen von Christus ab und zur Weltlichkeit, Unmoral und Götzendienerei hin. Dieses gigantische System geistlicher Prostitution ist das Gemeinste, das je unter der Sonne gesehen wurde. Satan hätte nichts Verruchteres, nichts Gefährlicheres erzeugen können.

V. Die große Babylon ist die Mutter aller Hurerei und aller Greuel auf Erden.

Offb. 17,5. Die Hure stellt nicht eine einzelne untreue Kirche dar. Sie ist die Zusammenfassung ‑ oder die Quelle (die »Mutter«, sagt Johannes) ‑ aller falschen religiösen Systeme, aller kirchlichen Gewaltherrschaft, aller finsteren Ketzerei, aller häßlichen Sekten, alles erniedrigenden Heidentums, aller Heuchelei und aller Götzendienerei. Wohlverstanden, die falschen Christen sind vor Gott viel verwerflicher und viel schuldiger als die Fetischisten und Moslems; denn ihre Erkenntnis und ihre Untreue sind viel größer. Darum gehören sie als erste zu Babylon.

VI. Besteht eine Beziehung zwischen der Hure und Rom?

Zu allen Zeiten haben Ausleger in Offb. 17 einen Hinweis auf die Kirche gesehen, deren Mittelpunkt Rom ist. Zu diesen gehören nicht nur protestantische, sondern auch katholische Verfasser vor und nach der Reformation (z. B., um nur einen zu nennen, der Jesuit Lacunza, Ben-Ezra genannt). Diese Meinung ist so weit verbreitet, daß wir sie näher untersuchen und sehen müssen, worauf sie beruht.

1. Die »Hure ist die große Stadt, die das Reich hat über die Könige auf Erden«. Vs. 18.

Welche konnte zur Zeit, da Johannes schrieb, diese große Hauptstadt anders sein als Rom? Wenn er ihr den mystischen Namen Babylon gab, so geschah das erstens in Erinnerung an den Kampf, in dem im AT Babylon und Jerusalem miteinander lagen, und zweitens aus Klugheit, da es verwegen gewesen wäre, derlei Dinge offen über die mächtige Hauptstadt, den Stolz der Römer, zu sagen.

2. Das Weib sitzt auf sieben Hügeln.

Die auf sieben Hügeln erbaute Welthauptstadt ist unbestreitbar Rom. Merkwürdigerweise hat man kaiserliche Medaillen aus jener Zeit gefunden, die Rom ausgerechnet als ein Weib abbilden, das auf sieben Hügeln sitzt. Jahrhundertelang haben die römischen Dichter um die Wette Rom die »Stadt auf den sieben Hügeln« genannt. Und wer die Geschichte des Papsttums kennt, weiß, daß es ohne seinen Sitz in Rom undenkbar wäre, den es seit etwa 1500 Jahren innehat.

3. Das Weib wird vom römischen Reich getragen, das hier im Tier abgebildet ist.

Im Kapitel über den Antichristen sahen wir, daß das Tier mit den sieben Köpfen und zehn Hörnern (wie das vierte Tier von Daniel) das wiederhergestellte römische Reich vorstellt. Tatsächlich wurde nach der Bekehrung Konstantins die sog. Römische Kirche Jahrhunderte hindurch vom römischen Staat getragen und gleichsam ihm ganz nachgeformt:
1) sie trägt sogar den Namen Roms;
2) wenn der Sitz der Kirche nach Rom statt nach Jerusalem oder Antiochien verlegt wurde, so geschah es, weil jene Stadt die Hauptstadt des Reiches war.
3) Es ist bekannt, daß der Sitz der Bistümer und Erzbistümer nach der Bedeutung der Städte zur Römerzeit bestimmt wurde: so ist z. B. heute noch der Erzbischof von Lyon, nicht der von Paris, der Primas von Gallien.
4) Unveränderlich bleibt in Wort, und sogar in Schrift, Latein die Sprache der Römischen Kirche.

4. Das Weib sitzt auf Völkern, Scharen, Nationen ,und Sprachen. Vs. 15.

Das heißt, daß sein Einfluß allumfassend ist. Und gerade das bedeutet das Wort »katholisch«.

5. Das Weib ist mit Scharlach und Purpur bekleidet.

Die Gewänder der höchsten Würdenträger der Kirche sind genau von dieser Farbe.

6. Das Weib ist mit Gold, Edelsteinen und Perlen geschmückt und hat einen goldenen Becher in der Hand. Vs. 4.

Der Papst trägt nicht eine, sondern drei aufeinandergesetzte Kronen (die päpstliche Tiara), die mit einer Überfülle von Edelsteinen und Perlen besetzt sind. Nichts gleicht dem Reichtum und Luxus der Paläste (der Vatikan enthält 11000 Säle und Zimmer), der Kirchen, der Priestergewänder, der Schätze gewisser Hochaltäre für den römischen Kult.

7. Das Weib ist trunken vom Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu. Vs. 6.

Niemand hat so wie die Römische Kirche die Gläubigen verfolgt. 1179 beschloß das Papsttum beim dritten Laterankonzil, die Ketzer auszurotten. Darum bot es vom XIII.‑XV. Jahrhundert alle Kräfte auf, sie restlos zu vertilgen.

Die Albigenser, die Waldenser, die Hussiten wurden im Namen Jesu gefoltert und verbrannt. Zur Zeit des von Innozenz III. gegen die Albigenser erklärten heiligen Kriegs wurden z. B. in Béziers in einer Kirche, wohin das Volk geflüchtet war, 7000 Leichen gezählt. So konnte sich Rom zu Beginn des XVI. Jahrhunderts rühmen, allen Widerstand in der Christenheit gebrochen zu haben, – da brach die Reformation aus!

Dann floß das Blut von neuem: In Spanien (wo die Inquisition 600 Jahre wütete), in Italien, Frankreich, den Niederlanden, usw. Die Bibel war verboten; wer eine im Hause hatte, kam auf die Galeeren oder zeitlebens in den Kerker. Die angewandten Foltern zeugten von einem raffinierten Sadismus. Das päpstliche Rom jener Epoche hat das heidnische Rom an Grausamkeit weit übertroffen, aber auch an Verantwortung, da es weit mehr Erkenntnis hatte und Anspruch auf Christlichkeit machte. ‑ Zugegeben, diese Dinge gehören der Vergangenheit an! Aber die Römische Kirche hat nie offiziell ihr Bedauern oder ihre Reue darüber kundgetan. Im Gegenteil, anläßlich des Blutbades in der Bartholomäusnacht ließ sie eine Medaille mit dem Bild eines Engels vom Himmel prägen, wie er dieses unerhörte Werk vollführt. An dem Tag sagte der Papst in einer Kirche öffentlich Gott Dank für diesen wunderbaren Sieg über die Feinde Christi. Ein Papst, Pius V., wurde heiliggesprochen, den das Brevier als einen unnachsichtigen Inquisitor rühmt. Im selben Brevier steht eine Lektion für den 30. Mai, in welcher der heilige Ferdinand (Ferdinand III., König von Kastilien und Leon) für den Eifer gelobt wird, womit er die Ketzer verfolgte, indem er mit den eigenen Händen Holz zum Scheiterhaufen trug, um die Verurteilten zu verbrennen.

Unleugbar liegt all dem die eine Tatsache zugrunde, daß Verfolgungen nicht nur zur vergangenen Geschichte der Römischen Kirche, sondern auch zu ihrem Dogma gehören. Das Töten der Ketzer ist in die unfehlbaren, unwiderruflichen Dekrete ihrer Generalkonzilien als Pflicht eingetragen (des 3. und 4. vom Lateran). Bellarmin, einer der meistgehörten Kirchenlehrer, weist auf die Notwendigkeit der Verbrennung der Ketzer hin‑. »Die Erfahrung lehrt, daß es keinen anderen Ausweg gibt. Denn die Kirche ist langsam vorgegangen und hat alle Mittel versucht. Zuerst hat sie nur in den Bann getan. Dann legte sie auch eine Geldbuße auf und danach die Verbannung. Zuletzt sah sie sich zur Todesstrafe gezwungen. Denn die Ketzer machen sich nichts aus dem Bann. Droht man ihnen mit einer Geldbuße, so fürchten sie weder Gott noch Menschen. Wirft man sie ins Gefängnis oder schickt man sie ins Exil, so verderben sie die Nebenmenschen mit ihren Worten und ihren Büchern. Darum bleibt nur ein Ausweg: sie zeitig dahin zu befördern, wohin sie gehören.« (S. Guinness, S. 36‑37)

Derselbe Verfasser sagt noch dazu: »Alle Anordnungen Roms gegen die Ketzerei, alle seine Verfolgungsdekrete, bleiben unverändert in seinem Karton: nichts ist aufgehoben worden.« Rom hat Millionen von Heiligen gemartert. Seine Verfolgungsedikte gehen über die ganze Zeit seines Bestehens. Kardinal Lépicier, Professor der heiligen Theologie an der Propagandaschule in Rom, schrieb 1908: Wer sich öffentlich zur Ketzerei bekennt kann nicht nur in den Bann getan, sondern auch mit Recht getötet werden, damit sein ansteckendes Beispiel nicht den Anlaß zum Verderben vieler anderer gebe. Wahrlich, »ein böser Mensch«, sagt Aristoteles, »ist schlimmer und schädlicher als ein Tier«: Wenn es also nicht schlecht ist, ein Waldtier, besonders ein schädliches, zu töten, so kann es auch ein gutes Werk sein, einen Ketzer, der die göttliche Wahrheit lästert und ein Feind des Seelenheils anderer ist, seines schädlichen Lebens zu berauben. . . Wenn dieses Mittel (der Kirchenbann) erfolglos ist, übergibt die Kirche den Ketzer dem weltlichen ‑ geistlichen ‑ Gericht, damit ihn der Tod vom Erdboden vertilge… Ja, noch mehr, man kann es nicht leugnen, daß die Kirche, in absolutem Sinn, das Recht hat, die Ketzer mit dem Tode zu bestrafen, selbst wenn sie Buße tun.« (De stabilitate et progressu dogmatis. Dieses Buch hat 1910 bei Papst Pius X. lebhaften Beifall gefunden.) Der Syllabus (röm.kath. Handbuch), den Pius IX. 1864 herausgab, enthält eine Liste von 80 Irrtümern, die der Papst feierlich verdammt. Im Artikel 15 heißt es: »Verflucht sei, wer sagt: Jeder Mensch hat das Recht, die Religion zu wählen und zu bekennen, die er für die wahre hält« (also offizielles Verurteilen der Gewissensfreiheit). Artikel 24: »Verflucht sei, wer sagt: Die Kirche hat nicht das Recht, Gewalt anzuwenden.«
Professor Wilfred Monod, der diese Stellen zitiert, sagt dazu: »Die Kirche stellt nichts in Abrede, sie wartet nur auf eine günstige Gelegenheit, diese Thesen des Syllabus anzuwenden.« (Du Protestantisme, S. 171‑173.)

Als Johannes das Weib sah, trunken vom Blut der Heiligen und der Zeugen Jesu, »da verwunderte er sich sehr«. Offb. 17,6. Bei den Greueln des Antichristen war er nicht erstaunt gewesen. 13,7.15. Sie waren genau das, was man von einem solchen Satansgenossen erwarten konnte. Aber daß es mit einer sog. christlichen Kirche so weit kommen konnte, mußte Johannes wohl erschüttern.

8. Das Weib begehrt die Unterstützung und den Verkehr der Könige.

Es wird vom Tier getragen, welches das Römische Reich darstellt, und sitzt auf seinen sieben Köpfen, »welche sind sieben Könige«. 17,3.9‑10. In der Tat erhob das Papsttum lange den Anspruch auf die Oberhoheit über die weltliche Macht. Jahrhundertelang hat es Könige und Kaiser ein‑ und abgesetzt, und jedermann weiß, welche Behandlung Heinrich IV., dem Kaiser des »Heiligen Römischen Reichs«, in Canossa zuteil wurde. Die Römische Kirche hat stets die Verbindung von Thron und Altar angestrebt (um die Politik zu beeinflussen). Als sie es selbst nicht mehr wagte oder vermochte, gegen ihre Opfer zu wüten, hat sie es verstanden, den »weltlichen Arm«, d. h. die Macht des Staats, in Bewegung zu setzen, um jene zu foltern oder zu verbannen. Man braucht nur der Rolle zu gedenken, welche Könige wie Ludwig XIV. von Frankreich oder Philipp II. von Spanien auf ihr Geheiß spielten.

Angesichts all dieser erstaunlichen Andeutungen sind wir sicher, daß die Römische Kirche ‑ jedenfalls die des Mittelalters und der Inquisition ‑ einen breiten Raum im Babylon der Offenbarung einnimmt (abgesehen ‑ wir betonen es nochmals ‑ von den vielen wahrhaft Gläubigen, die in ihrem Schoße sind). Soll das heißen, daß der Seher nur diese Kirche hier im Auge hat? Wir haben dies bereits verneint und werden nun sehen, weshalb.

VII. Welchen Raum nehmen die andern abgefallenen Konfessionen in der großen Babylon ein?

Die Hure stellt nicht lediglich eine bestimmte Gruppe von Abgefallenen dar, sondern alle falsche Religion auf Erden. Es hat viele falsche Christen bei den Katholiken gegeben, aber ebenso bei den Protestanten, den Orthodoxen, und anderswo. Geistlichen Ehebruch begehen alle, die ihr Herz zwischen Gott und der Welt teilen, Jak. 4,4; die bei einem strengen Dogma die Bekehrung ablehnen; die vom Glauben an die Bibel abweichen, indem sie die Gottheit Jesu Christi und die Sühnekraft Seines Bluts leugnen; alle, welche Andersgläubige verfolgen (wie es die Griechisch‑Orthodoxen und leider auch manche Protestanten getan haben); diese alle gehören unleugbar zur Babylon.

Wir wollen nun nicht andere richten und den einen oder anderen Vers der Offenbarung auf sie anwenden. Wir wollen uns ernstlich fragen, ob unsere eigene Gemeinde treu und nicht weltlich und schläfrig geworden ist, und ob wir selbst lebendige Glieder am Leibe Christi sind! Ist dem nicht so, so könnte das Gericht Babylons über uns kommen.

VIII. Welches wird das letzte Stadium der Hure Babylon sein?

Das gibt eine Ära des Totalitarismus und des Kollektivismus auf der ganzen Linie. Die ganze Menschheit wird sich wie e i n Mann unter das politische und wirtschaftliche Joch des Antichristen beugen. Das religiöse Gebiet wird von derselben Zentralisierung betroffen. Weiter oben fanden wir, daß die politische Einheit der Menschen beim Turm zu Babel an Gottes Gericht zerbrach. Der Herr verwirrte die Sprache der Menschen und zerstreute sie über die ganze Erde; dieser Zustand wird bis zu dem Tage dauern, da Er dem Antichristen auf kurze Zeit erlaubt, eine Weltherrschaft aufzurichten. Die religiöse Welt nimmt eine ähnliche Entwicklung. Anfänglich war die Christenheit geeint, aber sie verfiel rasch und nutzte gerade ihre Einheit dazu, das römische Babylon des Mittelalters zu bauen, das in Hochmut und Feindschaft gegen die Bibel die Gläubigen verfolgte. Im 16. Jahrhundert hat Gott die Kirche gerichtet, indem Er ihre übertünchte Fassade einstürzen ließ und »die Sprache der Christen verwirrte«. Seitdem gibt es keine sichtbare Einheit mehr, im Gegenteil, die Kirchen, Sekten und allerlei Bewegungen nehmen ständig zu. Trotzdem sind und bleiben die wahren Christen auf einer geistlichen Ebene geeint. »Seid fleißig, zu halten die Einheit im Geist!« Eph. 4,3. Gleichwohl wird die religiöse Welt, so wir die Weissagungen recht verstehen, zur selben Zeit wie die politische zu einer sichtbaren Zwangseinheit gelangen: dies geschieht im zwiefachen BabyIon der Endzeit, unter der Ägide des falschen Propheten und des Antichristen.

Seit einigen Jahren ist eine deutliche Neigung festzustellen, alle kleineren Kirchen zu immer größeren kirchlichen Einheiten zu verschmelzen. Gott will immer mehr die geistliche Einheit aller Glieder am Leibe Christi offenbaren, gegen die wir alle schwer gesündigt haben.
Aber Satan bereitet auch die unechte Einheit der abgefallenen Kirche vor.
Die ganze religiöse Welt ist in Bewegung. Man spürt, daß tiefgreifende Umwälzungen innerhalb der Christenheit, des Judentums, des Islam, des Buddhismus, des Brahmanismus usw. im Gange sind.
W. Mauro schrieb in seinem Buch »Der Höhepunkt der Zivilisation« (vor 1914 herausgekommen): »Auf allen Seiten sehen wir einen Traum aufsteigen, wohl aus den zahllosen Unternehmungen des Jahrhunderts entstanden: den eines Großbundes der Kirchen, dessen Prinzipien so weit gefaßt sind, daß alle Erdbewohner den ihnen zusagenden Platz darin finden.« (S. 29.) Ferner weist er auf den schon damals bestehenden Internationalrat der
Unitarier (Protestanten, welche die Gottheit Christi und die Trinität leugnen) und anderer »Freidenker« hin.
Zu einer Tagung dieses Rates in Boston fanden sich Vertreter aus dem Judentum, dem Islam und dem Brahmanismus zusammen (S. 53). Seitdem sind noch mehr Versuche in dieser Richtung unternommen worden. Zuletzt zitiert Mauro die Meinung Dr. Brodas, eines amerikanischen liberalen Theologen: »Die neuen religiösen Bewegungen werden dazu kommen, sich in immer größeren Verbänden zu vereinen, bis zu dem unvermeidlichen Augenblick, da aus den Trümmern der alten Glaubensformen, wenn die großen religiösen Weltkrisen zu Ende sind, ein einziger
Weltbund der Religion zu einer grandiosen Endsymphonie aufsteigen wird:

 »Die Kirche des Menschen.«

Als Johannes in Offb. 17 die abgefallene Kirche erschaut, unter­streicht er zweierlei:

1. Das Weib übt seinen Einfluß auf die ganze Welt aus: »Die Erdbewohner sind trunken vom Wein ihrer Hurerei, und sie sitzt auf den Völkern, Scharen, Nationen und Sprachen.« V. 2. 15. Das Weib scheint also der kirchliche Weltbund geworden zu sein, von dem wir eben sprachen.

2. Der Mittelpunkt dieses großen Endbundes wird Rom sein, die Weltstadt mit den sieben Hügeln. Man darf sich daher wohl fragen, ob er nicht unter der Ägide der Römischen Kirche entstehen wird. Diese scheint in der Tat allein die religiöse Weltorganisation zu besitzen, die das Gerüst für den Bund aller Religionen abgeben könnte. Vor 50 Jahren gab W. Scott folgende Meinung ab:
»Daß die aufgeklärten Völker des modernen Europa am Ende wieder unter die Herrschaft des Weibes (des Papsttums) kommen, das ist die offenbare Tatsache, die aus diesem Kapitel (Offb. 17) hervorgeht, so bedrückend und traurig diese Wahrheit auch sein mag.«
Gehen die Katholiken in den protestantischen Ländern deshalb so aggressiv vor, weil sie dies ahnen?
Vorbereitet wurde ihnen der Boden durch den Liberalismus und die Kritik, die den Glauben an die Bibel, das alleinige Bollwerk evangelischen Glaubens, untergraben haben. Rom zielt offen auf die »Bekehrung« Englands hin, zum mindesten zunächst bei der anglikanischen Hochkirche. Sein Traum ist auch die Katholisierung der Vereinigten Staaten. Andererseits spricht man viel von einer nötigen Blockbildung gegen die Antireligion, und zwar aus der gemeinsamen Front aller Kirchen und der gegenseitigen Annäherung aller Konfessionen. Kommt eine solche Annäherung wirklich zustande, so wird nicht Rom die Zugeständnisse machen.

Hier ist z. B. ein Auszug aus einer von Pater C. Boyer am 22. März 1947 an der Universität Rom über das Problem der Einigung der Kirchen gehaltenen Rede:
Er sprach als offizieller Vertreter der Gesellschaft »Unitas«, deren Präsident er ist.
»Die christliche Weit teilt sich in zwei fast gleiche Teile: auf der einen Seite in den römisch‑katholischen Block, auf der anderen in dreihundert verschiedene Denominationen! Die wahre Einigung fordert die Einheit der Lehre, des Glaubens, des Oberhauptes, des Kultes; diese Einheit kommt nur durch Anerkennung der Autorität der katholischen Kirche zustande.
Sie ist die »große Mutter«, bereit, alle noch verirrten Schafe in die gemeinsame Hürde aufzunehmen. Was die »Dissidenten« des Ostens (die griechisch ‑orthodoxe Kirche) betrifft, so scheinen die Unterschiede nicht unüberbrückbar. Die Schwierigkeiten beginnen bei den »Protestanten«, die viel schwerer zu bearbeiten sind. Aber es regt sich auf dieser Seite … Die Haupt­sache ist, daß die Einigungsbestrebungen im Lager der »getrennten Brüder« nicht letzten Endes zu einer antirömischen Blockbildung führen. Denn diese dürfen zwangsläufig nur bei Rom enden.« (Le Cri d’alarme ‑1. 2. 48.)

Denken wir noch an das über den falschen Propheten Gesagte, der das letzte große religiöse Haupt sein wird; es wäre nach all dem nicht erstaunlich, wenn er seinen Sitz in Rom hätte.

Wenn die Organisation der »Kirche des Menschen« auf Erden gelungen ist, wird sie ganz dem unreinen Weib der Offenbarung gleichen. Am Zeitenende wird die Hure alles, was Johannes über sie verkündigt, in unerhörter Weise zur Vollendung bringen: die gemeine Verbindung mit der bestehenden politischen Macht, den maßlosen Luxus, den scheußlichsten Götzendienst, die zügelloseste Unsittlichkeit, die furchtbarsten Verfolgungen. In dem Augenblick wird ihr Ende nahe sein.

IX. Welches Gericht wird die Hure treffen?

Gott hat die Entschleierung des Geheimnisses der Babylon zugelassen, um ihre Strafe zu beschleunigen. Man wird immer durch seine Sünde selbst bestraft. Die Hure hat sich in gemeinster Weise dem Antichristen zu seinen Zwecken ausgeliefert. Sie bediente sich seiner Macht, um ihre eigene Rachsucht zu befriedigen, während sie große Hilfsgelder bezog, um ihren Luxus und ihr sündhaftes Leben zu finanzieren. Der Schein‑Haushalt (des Antichristen) mit der Hure kann nicht von Bestand sein, und das Verbrechen folgt auf die Wollust.

Der Übermensch bedarf der Hilfe der falschen Kirche nicht mehr, hat er sich doch zu Gott gemacht, so daß er nach seiner Art sagen könnte: Die Religion bin ich! Darum kann er keinen Einfluß irgend einer geistlichen Macht mehr neben sich dulden. Vielleicht auch, daß er in seinem Kampf gegen Gott merkt, wie sich die Dinge allmählich gegen ihn wenden, und daß er in seiner List nach verantwortlichen Opfern sucht (die Zerstörungswut, die alle großen Schuldigen kurz vor ihrem Sturz überfällt!). So lassen der Antichrist und seine Alliierten es die Hure gewaltsam entgelten: »Und die zehn, Hörner, die du gesehen hast, und das Tier, die werden die Hure hassen und werden sie wüst machen und bloß und werden ihr Fleisch essen und werden sie mit Feuer verbrennen. Denn Gott hat’s ihnen gegeben in ihr Herz, zu tun Seine Meinung und zu tun einerlei Meinung und zu geben ihr Reich dem Tier, bis daß vollendet werden die Worte Gottes.« Offb. 17,16‑17.

Wir haben schon Vorläufer dieses Gerichts erlebt. Während der Französischen Revolution mußte die Kirche, die durch Jahrhunderte die Zivilregierung zur Verfolgung aufgehetzt hatte, unsagbare Schrecken selbst durchmachen. In Spanien, wo Inquisition und Götzendienst so viele Verheerungen angerichtet haben, fing man plötzlich vor einigen Jahren an, Kirchen zu verbrennen, Klöster und Gräber zu schänden, Priester zu mißhandeln und zu töten. In Rußland hatte auch die orthodoxe Kirche die Mißbräuche der Zarenherrschaft gefördert, dem Volk die Bibel aus der Hand genommen und die evangelischen Gläubigen furchtbar verfolgt; und nun weiß jedermann, wie sie viele Jahre im Ofen der Trübsal verzehrt wurde. Es steht geschrieben, daß »das Gericht am Hause Gottes anfange«. 1. Petr. 4,17. Jetzt kommen solche Gerichte Gottes aus Barmherzigkeit, da es in allen diesen Kirchen noch fromme Seelen gibt, die gewillt sind, sich zu demütigen und aufzuwachen. Aber wenn der Antichrist die Hure zermalmt, gibt es kein Abwenden der Verdammnis mehr. Auf die abgefallene Kirche, das falsche Haus Gottes, werden als erste die Schläge des Endgerichts fallen.

Bevor wir dieses Kapitel des Entsetzens verlassen, wollen wir uns wieder ernstlich fragen: Ist meine Kirche lebendig oder tot, geheiligt oder verweltlicht, eifrig auf das Heil der Seelen bedacht oder in Luxus und Wohlleben eingeschlafen? Ist sie Jerusalem oder Babel?

Bin ich selbst ein Christ der Tat oder nur dem Namen nach? Bin ich wirklich wiedergeboren oder nur in ein kirchliches Register eingetragen? Habe ich teil am Leibe Christi, bin ich ein Glied Seiner Brautgemeinde, oder bin ich in meiner Heuchelei ein Glied … der Hure?

BABYLON, DIE WELTSTADT.

Das große Babylon, sagten wir, ist die ganze Zivilisation ohne Gott. Da am Ende alles gleichgeschaltet sein wird, ist es nicht erstaunlich, daß Babylon das Symbol erstens der abgefallenen religiösen, und zweitens der wirtschaftlichen und sozialen Welt sein kann, und zwar zu der Zeit, wo beide daran sind, unter das Strafgericht Gottes zu fallen. In der Tat ist in Offb. 17 und 18, wo der Name Babylon öfter vorkommt, dieser merkwürdige Unterschied zu finden.

a) Im 17. Kapitel ist Babylon die Hure, das unreine Weib: die beiden Ausdrücke kehren im ganzen neunmal wieder (V. 1. 3. 4. 6. 7. 9. 15.

b) Im 18. Kapitel wird Babylon nicht mehr die Hure, sondern die große Stadt genannt. Dieser Ausdruck wird sechsmal angewandt (V. 10 a und b. 16. 18. 19. 3 1. Dazu Offb. 16, 19 a und b; 17, 18, also neunmal im ganzen.).

Jede dieser so auseinandergehaltenen Benennungen hat sicher ihre eigene Bedeutung. Über Babylon, die Hure, haben wir gesprochen. Nun wollen wir sehen, was uns Johannes über Babylon, die große Stadt, sagt.

I. Die Groß‑Stadt stellt unsere ganze sozial‑wirtschaftliche Welt dar, die sich besonders auf die Städte konzentriert.

Wir sagten oben, daß Offb. 18 voller Ausdrücke wie »das große Babylon«, »die mächtige Stadt«, »die große Stadt« ist. Die alten Propheten gebrauchten den Namen der Hauptstadt Babylon, um das ganze erschreckliche Reich der Chaldäer zu bezeichnen. Denn diese stolze Stadt umschloß die Macht, die Herrlichkeit, den Reichtum und die Wissenschaft Babyloniens. Auch heute und mit noch mehr Recht können wir sagen, daß sich unsere ganze Zivilisation auf die Städte konzentriert, die immer mehr alles in sich aufsaugen. Stellt für uns nicht New York mit seinen elf Millionen Einwohnern das amerikanische Leben dar? Und London mit seinen sieben Millionen Einwohnern England und sein Weltreich? Und Paris Frankreich? Es handelt sich übrigens nicht nur um die großen Hauptstädte. Überhaupt entwickeln sich Industrie und Kunst in den Städten; da kann man genießen, Geld verdienen, zur Geltung kommen, leichter etwas lernen (so meint man wenigstens). Seit dem Anbruch der Mechanisierung der Zivilisation erleben wir immer mehr eine allgemeine Landflucht in die Städte.

Gott aber hatte das nicht gewollt: Er hatte Mann und Weib mitten in die Natur gestellt, in einen Garten, da Schönheit, Weite, Luft, Sonne, Blumen und Früchte einen herrlichen Rahmen bildeten. Es war Kain, der nach seinem Mord die erste Stadt baute, um hinter starken Mauern seine Schande und seine Angst zu verbergen. 1. Mose 4,17. Nach ihm hatten die sündigen Menschen immerzu die tolle Sucht, sich in unaufhörlich wachsenden Städten zusammenzufinden. So bauten sie aus Trotz gegen Gott die Stadt und den Turm von Babel (Babylon). 1. Mose 11,4‑8.

Seitdem hat sich diese Bewegung immer weiter entwickelt. Wo wird sie enden? Genau das will uns der Apostel Johannes sagen. Beachten wir noch, daß die »große Stadt« von Offb. 18 nicht das Symbol für eine einzige Stadt ist (nur Rom z. B.), sondern für alle Städte der Erde und ihre Zivilisation. Wiederholt wird der absolut weltweite Einfluß dieses Babylon erwähnt. »Denn von dem Wein des Zorns ihrer Hurerei haben alle Heiden getrunken.« Offb. 18,3.19. Keine der früheren oder heutigen Städte könnte den Anspruch auf eine solch beherrschende Rolle erheben. Die Gesamtheit der städtischen Zentren hingegen nimmt wohl diesen Platz in der Welt ein.

II. Der ganze Welthandel geht durch diese Groß‑Stadt.

1. In ihr befinden sich alle Kaufleute der Erde.

»Die Kaufleute sind reich geworden von ihrer großen Wollust … die Kaufleute der Erde weinen über sie … Die Händler solcher Ware, die von ihr sind reich geworden, werden von ferne stehen … denn deine Kaufleute waren Fürsten auf Erden …« 18, 3. 11. 15. 23.

2. Und aller Seehandel richtet sich auf »die große Stadt« hin.

»Und alle Schiffsherren und der Haufe derer, die auf den Schiffen hantieren, und Schiffsleute, die auf dem Meere hantieren … sprachen: die große Stadt, in welcher reich geworden sind alle, die da Schiffe im Meer hatten.« V. 17. 19.

3. Alle unter dem Himmel nur bekannten Lebensmittel werden in der großen Stadt verkauft und gekauft.

Die Händler zählen alle Waren auf, die sie in Babylon absetzen konnten, V. 12,13.16. Es sind (nach dem Urtext) vor allem Luxuswaren, Zeichen einer maßlosen Überzivilisation. Wahrlich, man verkauft alles in der großen Stadt!

Diese lange Liste gibt ein erstaunliches Bild vom Welthandel. Er vertreibt Waren aus alter Welt Enden und entwickelt immer raffiniertere Bedürfnisse, um immer neue Märkte zu schaffen. Der Name der Ware tut es nicht, wenn sie nur Käufer findet und etwas einbringt. V. 12. 13.

Als erstes bietet und sucht man Gold!

Als letztes verkauft man, was den geringsten Wert hat: Menschenseelen!

Beim Schluß dieses Inventars angekommen, fahren wir beim Lesen der letzten Waren zusammen: Leiber und Seelen der Menschen! In der großen Metropole, wo das Herz dieses gewaltigen Organismus schlägt, handelt man nicht nur mit Dingen, mit Metallen, Parfüms, Lebensmitteln; man kauft und verkauft nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern man verschachert auch Leiber und Seelen der Menschen: man kauft Sklaven, bezahlt Zuhälter und Dirnen; man betäubt die Gewissen, um geringes Geld verkauft man die Seelen. Während Gott die Menschen um den unermeßlichen Preis Seines geliebten Sohns erkauft hat, feilscht Rom um Menschenleben und kauft sie mit Rabatt. Hier bricht das große Verbrechen auf; hier sind, alle Jahrhunderte hindurch, dreißig Silberlinge der Preis für das Blut des Menschen. Und darum wird dieser ganze Riesenapparat, den Menschengeist geschaffen, zu einem höllischen Mechanismus, der sich nicht begnügt, mit toten Dingen zu jonglieren, sondern Menschenleben verachtet und Seelen verstümmelt.

III. In der großen Stadt berühren sich die Gegensätze: Reichtum und Luxus neben dem äußersten Elend.

Der Handel trägt ein, das Geld häuft sich und will ausgegeben sein. Wir haben gehört, welchen Raum der Überfluß im Handel der Hauptstadt einnimmt. Johannes betont zudem den schamlosen Luxus, der sich dort breit macht: »Die Kaufleute sind reich geworden von ihrer großen Wollust … die große Stadt, die bekleidet war mit köstlicher Leinwand und Purpur und Scharlach und übergoldet war mit Gold und Edelgestein und Perlen.« V. 3. 16. Diesem aufreizenden Luxus gegenüber stehen die oben erwähnten Elenden: als Ware für einen schändlichen Handel nennen sie weder Leib noch Seele ihr eigen, V. 13. ‑ Auch das charakterisiert unsere großen Massenanhäufungen. Die schreienden Gegensätze sind viel größer als auf dem Lande: auf der einen Seite Reichtum, Paläste, Schmuck, Schauspiele, tolle Verschwendung; auf der anderen Wohnlöcher, Lumpen, Hunger, Kälte, Schande, unnennbares Elend. Solche Zustände schreien zum Himmel.

IV. Die große Stadt ist das Zentrum entsetzlicher Verworfenheit.

»Sie ist eine Behausung der Teufel geworden und ein Behältnis aller unreinen Geister und ein Behältnis aller unreinen und verhaßten Vögel. Denn von dem Wein des Zorns ihrer Hurerei haben alle Heiden getrunken, und die Könige auf Erden haben mit ihr Hurerei getrieben … denn ihre Sünden reichen bis in den Himmel, und Gott denkt an ihren Frevel.« V. 2‑3. 5. Einst wollte die gottlose Menschheit zu Babel einen Ziegelturm bis an den Himmel errichten; nun erklärt Gott, daß der »Turm ihrer Sünden« bis an Seine Wohnung reiche!

Johannes fährt fort: »Und es werden sie beweinen und beklagen die Könige auf Erden, die mit ihr gehurt und Mutwillen getrieben haben … Durch deine Zauberei sind verführt worden alle Heiden; und das Blut der Propheten und der Heiligen ist in ihr gefunden worden, und aller derer, die auf Erden erwürgt sind.« V. 9.23‑24. »Babylon, die große Stadt, hat mit dem Wein ihrer Hurerei getränkt alle Heiden, … die große Hure, welche die Erde mit ihrer Hurerei verderbte.« Offb. 14,8; 19,2.

Sehen wir uns einige der Sünden der großen Stadt an:

1. Eine furchtbare Unsittlichkeit. 18,3.
2. Spiritismus und Geheimwissenschaften. 18,2.23.
3. Blutvergießen V.24
4. Hochmut V. 7; Jes. 47,7‑9.

Das Bild, das uns Johannes entwirft, ist ganz wahrheitsgetreu. Zu allen Zeiten waren die Städte ‑ oft unter glänzender Fassade ‑ Herde der Zersetzung. Man hat gesagt, daß sich wohl die Fehler, aber nicht die guten Eigenschaften summieren, wenn die Menschen zur Masse vereint sind. Durch die Bibel hindurch sehen wir, wie Gottes Zorn immer wieder den Städten, dem Stolz ihrer Völker, drohte: dem schon erwähnten Babylon, Ninive, Sodom, Gomorra, Rom, Korinth, usw. Lebten die heiligen Schreiber der Bibel heute unter uns, so würden sie in denselben Worten von allen unseren Großstädten reden.

Aber wir dürfen uns nicht einbilden, daß die Sünde nur in der Stadt zu Hause ist. Man braucht nur das Leben auf dem Lande und in der Provinz zu kennen, um sich klar zu sein, daß alle, »die auf Erden wohnen«, verseucht sind und gerne dem Beispiel der Hauptstädte folgen. Wenn das Gericht zuerst die Städte treffen wird, so kommt doch auch der übrige Teil des Landes an die Reihe.

V. Das Gericht über die große Stadt.

Als Zentrum der Zivilisation und der Sünde der Welt sind die Städte auch die Stellen, die am verwundbarsten sind. Wenn Gott die Erde straft, werden die Städte zu allererst zu leiden haben. Welche Strafgerichte werden sie treffen?

1. Die Arbeitslosigkeit. Offb. 18,9‑11.

2. Die völlige Vernichtung

a) Fünf Plagen werden sie vernichten. Es trifft sie Hungersnot (Einschränkungen), Feuer (Bomben, Flammenwerfer oder jede andere schreckliche Feuersbrunst), Leid (Verlust der Angehörigen), Tod (die eigene Vernichtung), Erdbeben der schlimmsten Art. V. 8. 18.  –  Und gerade diese Plagen haben unsere modernen Städte schon heimgesucht.

b) Ihr Untergang wird ebenso plötzlich wie vollständig sein. »Darum werden ihre Plagen auf einen Tag kommen.« V. 8.

Es ist furchtbar, daran zu denken, wie europäische Städte gerade auf diese Weise zerstört wurden. Der letzte Krieg wütete in allen städtischen Zentren von Bedeutung (in Deutschland sollen alle Städte mit über 20 000 Einwohnern verwüstet sein). Hier hat man auch am meisten unter der Hungersnot gelitten. Besonders auf die Städte wurden Millionen und aber Millionen Tonnen von Bomben abgeworfen; die Brandbomben haben furchtbare Verheerungen angerichtet; man warf riesige Mengen von Phosphor ab, um das zu verbrennen, was die Explosionen noch übrigließen. In einer Stadt wie Hamburg gab es mehrere hunderttausend Tote im Lauf einer einzigen Reihe von Angriffswellen. In wenigen Stunden wurde oft in prächtigen Städten, wie London, Berlin, Köln, Dresden, Stalingrad, Warschau, Mailand, Turin, ‑ um nur einige zu nennen ‑ nie wieder gutzumachender Schaden angerichtet.

Das ganze Industriegebiet wurde in einen Trümmerhaufen verwandelt. Die Flammen‑ und Rauchsäulen stiegen bis zu 6000 m Höhe und mehr, und nach manchen Luftangriffen noch tagelang. Millionen von Menschen haben so den Tod gefunden. Nur weit draußen auf dem Lande, in den abgelegensten Dörfchen, fühlte man sich etwas sicherer (wenn überhaupt). Seit der unheimlichen Entdeckung der Atombombe kündigt man noch viel Schlimmeres an. Eine Sonderkommission des amerikanischen Senats sprach kürzlich mit Gelehrten, die an der Her­stellung der neuen Waffe gearbeitet hatten. Diese Gelehrten haben bestätigt, daß ihre Wirkung furchtbar ist. Sie sagten, zehn Bomben von der Art, wie sie auf Japan abgeworfen wurden, genügten, um die Stadt New York völlig auszuradieren und jedes Lebewesen in dieser Stadt und in einem Umkreis von zehn Meilen auszutilgen.« (G. Rigassi, Gazette de Lausanne, 10. 11. 1945.) Was könnte man da erst sagen von der riesigen Wirkung der H‑Bombe? Einstein hat sogar von der möglichen Vernichtung der ganzen Menschheit gesprochen.

3. Dieses Strafgericht vollzieht sich nach Gottes Willen.

Die Greuel der heutigen Zerstörungen lassen manche Menschen fragen: »Warum erlaubt Gott so etwas?« Die Bibel antwortet: weil Gott heilig ist und nicht länger den Sieg des Bösen dulden kann. Seine Geduld ist zu Ende, und da die Menschen Sein Heil ablehnen, schickt Er selbst diese Strafgerichte auf die Erde. Dazu braucht Er den Menschen nur gewähren zu lassen, daß er erntet, was er gesät hat, und sich mit den eigenen Händen vernichtet. Darum lesen wir auch: »Und Babylon, der großen, ward gedacht vor Gott, ihr zu geben den Kelch des Weins von Seinem grimmigen Zorn … Und Gott denkt an ihren Frevel … Gott … hat die große Hure gerichtet, welche die Erde mit ihrer Hurerei verderbte, und hat das Blut Seiner Knechte von ihrer Hand gefordert.« Offb. 16,19; 18,5; 19,2. Heute mögen die Völker denken, sie seien das Opfer der Bosheit ihrer Feinde. In Wirklichkeit sind sie das Opfer ihrer eigenen Sünde, und Gott selbst ist es, der sie richtet.

VI. Gehet aus von Babylon!

»Und ich hörte eine andre Stimme vom Himmel, die sprach: Gehet aus von ihr, Mein Volk, daß ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr nicht empfanget etwas von ihren Plagen!« 18, 4.

Gott schlägt nie, wie gesagt, ohne daß Er den Menschen Zeit gegeben hat, Buße zu tun und sich in Sicherheit zu bringen. Vor der Sintflut ließ Er die Arche bauen, um alle Glaubenden zu retten. Vor der Zerstörung Sodoms zogen die Engel Lot und die Seinen aus der Stadt. Als Gott Ninive richten wollte, sandte Er zuvor durch Jona einen dringenden Warnruf an alle Einwohner. So ermahnt der Herr auch hier Sein Volk, eilends aus Babylon zu fliehen. Daraus kann man zweierlei Schlüsse ziehen:

1. Fliehet die Großstadt, die zerstört werden soll

Da Gottes Zorn besonders die Städte bedroht, so verlaßt sie und fliehet aufs Land. »Wenn ihr aber sehen werdet Jerusalem belagert mit einem Heer, so merket, daß herbeigekommen ist ihre Verwüstung. Alsdann, wer in Juda ist, der fliehe auf das Gebirge, und wer drinnen ist, der weiche heraus, und wer auf dem Lande ist, der komme nicht hinein. Denn das sind die Tage der Rache, daß erfüllt werde alles, was geschrieben ist.« Luk. 21,20‑22. Hatten wir das nicht auch tun müssen? Wir begannen mit der Evakuierung der Kinder, der Alten und der Kranken aus den bedrohten Städten, dann derer, die dort nicht unbedingt nötig waren. Und zuletzt war es der jammervolle Auszug eines ganzen Volkes von Flüchtlingen auf Straßen, die mit Maschinengewehrsalven bestrichen wurden. Wenn sich die Drohungen Gottes und der Atomwissenschaft erfüllen, wird man noch viel mehr die Städte, die Verkehrsknotenpunkte, die Industriegebiete fliehen, aber ohne daß irgendwo absolute Sicherheit zu finden wäre.


2. Fliehet vor allem die Verderbnis von Babylon!

»Geht aus von ihr, Mein Volk, daß ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr nicht empfanget etwas von ihren Plagen!« Offb. 18,4.
Es ist nicht allen Einwohnern möglich, die Städte zu verlassen und der großen drohenden Gefahr zu entgehen. Aber Gott fordert von allen Seinen Kindern, wo sie auch in dieser sündigen Welt sein mögen, die furchtbare Verderbnis der Gesellschaft zu fliehen, deren Symbol Babylon ist. Man könnte dazu das Wort Christi anführen: »Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Übel.« Joh. 17,15.

Nur wer sich von den Sünden Babylons rein hält, wird ihrem Endgericht entgehen. Die einen werden, wie Henoch vor der Sint­flut, mit der Gemeinde entrückt werden, die anderen, wie Noah inmitten der Sintflut, wunderbar durch die große Trübsal hindurchgerettet.

Haben wir die Warnung des Herrn ernst genommen, und sind wir schon aus Babylon herausgegangen? Warten wir nicht damit, bis das Feuer vom Himmel gefallen ist, wie einst auf Sodom!

 Entnommen dem Buch DIE WIEDERKUNFT JESU CHRISTI, von Dr. René Pache. – Horst Koch, Herborn, im Jahre 2009 –

 

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Verborgene Kraft der Seele (W.Nee)

Watchman Nee

Die verborgene Kraft der Seele

1. Die verborgene Kraft der Seele
2. Der Christ und die seelische Kraft
3. Geistliche Kraft gegen Seelenkraft

Vorwort

Als ich im Jahre 1924 erstmals die Aufmerksamkeit der Kinder Gottes darauf richtete, Geist und Seele zu unterscheiden, hielten dies viele freundlich gesinnte Brüder für einen Wortstreit, der keine große Bedeutung hätte. Was sie nicht erkannten, war, daß unser Konflikt sich nicht um Worte dreht, sondern darum, was sich dahinter verbirgt.
Der Geist und die Seele sind zwei total verschiedene Organe, das eine gehört zu Gott, während das andere zum Menschen gehört. Wie man sie auch bezeichnen mag, sie sind völlig verschieden in ihrer Substanz. Für den Gläubigen besteht die Gefahr, Geist mit Seele und Seele mit Geist zu verwechseln, so daß er auf die Fälschung der bösen Geister hereinfällt und somit in Gottes Werk Verwirrung gestiftet wird. Es war die Absicht, diese Reihe von Artikeln sofort nach der Beendigung des Buches Der geistliche Christ im Jahre 1928 zu schreiben, aber wegen körperlicher Schwäche war es mir erst möglich, sie in den letztjährigen Ausgaben des Revival Magazines zu veröffentlichen. Als Antwort auf Fragen von den Lesern bringe ich nun dieses Büchlein heraus.

Der größte Vorteil in der Erkenntnis des Unterschiedes zwischen Geist und Seele liegt darin, daß man die verborgenen Kräfte der Seele erkennt und ihre Fälschungen des Heiligen Geistes versteht. Solches Wissen ist nicht theoretisch, sondern praktisch und hilft, in Gottes Wegen zu wandeln. Eben letzte Nacht las ich, was F. B. Meyer einmal in einer Zusammenkunft sagte, bevor er verschied. Hier ist ein Abschnitt davon: “Es ist eine verwunderliche Tatsache, daß noch nie soviel Spiritualismus außerhalb der Gemeinde Christi gefunden wurde wie heutzutage. Ist es nicht Tatsache, daß im niedrigeren Teil unserer menschlichen Natur die Stimulation der Seele deutlich überwiegt? Heutzutage ist die Atmosphäre so geladen von allerart Fälschungen, daß es scheint, der Herr berufe seine Gemeinde in eine höhere Ebene.” Die aktuelle Situation ist gefährlich, “mögen wir alles prüfen, das Gute aber behalten”, wie es in 1. Thessalonicher 5, 21 heißt. Amen.

8. März 1933  –  Watchman Nee

 

Kapitel 1  Die verborgene Kraft der Seele

„Und die Kaufleute der Erde weinen und trauern über sie, weil niemand mehr ihre Ware kauft: Ware von Gold und Silber, Edelsteine und Perlen … und Vieh und Schafe und von Pferden und von Wagen und von Leibeigenen und Menschenseelen” (Offb. 18, 11‑13).
Bitte beachte in diesem Abschnitt die Liste der Handelsware, die man tauschen kann; sogar Sklaven kann man tauschen oder handeln. Das ist ein Handel mit menschlichen Leibern, hier ist es jedoch ein Austausch von Seelen von Menschen als Handelsware. “So steht auch geschrieben: Der erste Mensch, Adam, war eine lebendige Seele; der letzte Adam ein lebendig machender Geist. Aber das Geistige war nicht zuerst, sondern das Natürliche, danach das Geistige” (1. Kor. 15, 45. 46).

„Und der Herr bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele” (l. Mose 2, 7).

In den letzten zwei Jahren habe ich sehr stark die Not empfunden, diese Botschaft zu geben. Es ist eine Botschaft, die sowohl verwickelt als auch tief ist. Es wird nicht einfach sein für den Redner zu reden, noch für die Hörer zu verstehen. Aus diesem Grunde habe ich diese Botschaft nicht in den Teil 3 des Buches Der geistliche Christ eingefügt. . . .

Was ich in dieser Botschaft erwähnen möchte, bezieht sich auf geistliche Kampfführung und ihr Verhältnis zum Ende dieses Zeitalters. Um deretwillen, die das Buch Der geistliche Christ nicht gelesen haben, will ich kurz die Trilogie von Geist, Seele und Leib berühren.

Die Trilogie von Geist, Seele und Leib

„Und der Herr bildete den Menschen, Staub vom Erdboden” (1. Mose 2, 7). Dies bezieht sich auf den menschlichen Leib. “Und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens.” Dies beschreibt, wie Gott dem Menschen den Geist gab, es war Adams Geist. So wurde der Leib des Menschen aus Staub des Erdbodens geformt, und der Geist wurde ihm von Gott gegeben. “Und der Mensch wurde eine leben­dige Seele.” Nachdem der Odem des Lebens zur Nase des Menschen eingegangen war, wurde dieser zur lebendigen Seele. Der Geist, die Seele und der Leib sind drei verschiedene Dinge. “Und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde tadellos bewahrt” (1. Thess. 5, 23). Der Geist ist Gott-gegeben; die Seele ist eine lebendige Seele; der Leib ist Gott‑geformt.

Gemäß allgemeiner Auffassung ist die Seele unsere Persönlichkeit. Als Geist und Leib vereint wurden, wurde der Mensch zur lebendigen Seele. Die Eigenart der Engel ist Geist; das der Tiere ist das Fleisch. Wir Menschen haben sowohl Geist als auch Leib; aber unsere Eigenart ist weder Geist noch Leib, sondern Seele. Wir haben eine lebendige Seele. Daher nennt die Bibel den Menschen ,Seele’. Zum Beispiel sagt uns die Schrift, daß, als Jakob mit seiner Familie nach Ägypten herunterzog: “Aller Seelen des Hauses Jakob, die nach Ägypten kamen, waren siebzig” (l. Mose 46, 27).

Und wiederum jene, die das Wort von Petrus an Pfingsten empfangen hatten und getauft wurden, von denen heißt es in Apostelgeschichte 2, 41: “Und es wurden an jenem Tage hinzugetan bei 3000 Seelen.” Daher steht Seele für unsere Persönlichkeit, für das, was uns als den Menschen ausmacht.

Welches sind die verschiedenen Funktionen von Geist, Seele und Leib? Diese wurden schon im 1. Teil des Buches “Der geistliche Christ” erklärt. Aber ich war sehr glücklich, eines Tages auf dem Büchergestell eine Ausgabe von Andrew Murrays Schriften zu finden, in welchen eine Erklärung stand über Geist, Seele und Leib, welche unserer Interpretation sehr ähnlich ist. Im folgenden ist ein Zitat aus diesen Bemerkungen wiedergegeben:

“In der Schöpfungsgeschichte des Menschen lesen wir: Der Herr bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden“ ‑ so wurde sein Leib gemacht ‑ und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens’ ‑ so kam also sein Geist von Gott; und der Mensch wurde eine lebendige Seele’. Der Geist, der den Leib belebte, machte den Menschen zur lebendigen Seele, zu einer lebendigen Person mit Selbstbewußtsein. Die Seele war der Treffpunkt, der Punkt der Vereinigung von Leib und Geist. Durch den Leib konnte der Mensch, die lebendige Seele, in Verbindung stehen mit der äußerlichen Welt der Sinne; er konnte sie beeinflussen oder durch dieselbe beeinflußt werden. Durch den Geist stand er in Verbindung zur geistlichen Welt und zum Geist Gottes, von wo er seinen Ursprung hatte; er konnte der Empfänger und der Darreicher von dessen Kraft sein. Indem er so mitten zwischen zwei Welten stand und zu beiden gehörte, hatte sie, die lebendige Seele, Kraft, selber zu entscheiden, die Gegenstände, von welchen sie umgeben war und zu welchen sie in Beziehung stand, entweder zu wählen oder abzulehnen.

In der Zusammensetzung dieser drei Teile des Menschen stand der Geist, der ihn mit dem Göttlichen verband, an erster Stelle; der Leib, der ihn mit dem Tierischen und Sinnlichen verband, der untergeordnete; da­zwischen stand die Seele, Teilhaber beider andern Naturen, das Band, das sie vereinigte und durch welches diese zwei aufeinander einwirken konnten. Ihre Aufgabe als die zentrale Kraft war, diese zwei in ihrem rechten Verhältnis zueinander zu bewahren; den Körper dem Geist zu unterwerfen; die Seele selbst sollte durch den Geist vom göttlichen Geist das empfangen, was ihm zur Vollendung gereichte: und so das an den Leib weiterreichen, was diesen an der Perfektion des Geistes teilhaben läßt, damit dadurch ein geistlicher Leib werden konnte.”

Was ist der Geist? Das, was uns Gottesbewußtsein gibt und uns mit Gott verbindet. Was ist die Seele? Das, was uns mit uns selbst verbindet und uns Selbstbewußtsein gibt. Was ist der Leib? Der Leib stellt unsere Verbindung zur Welt her. C. I. Scofield erklärt in seinen Anmerkungen zur Bibel, daß der Geist Gottesbewußtsein gibt, die Seele Selbstbewußtsein, der Leib Weltbewußtsein. Pferd und Ochs haben kein Gottesbewußtsein, weil sie keinen Geist haben. Sie sind sich nur ihres eigenen Wesens bewußt. Der Leib verursacht es, daß wir die Welt spüren – z.B. sehen wir die Dinge der Welt, oder wir fühlen heiß und kalt.

Was oben erwähnt wurde, bezieht sich auf Funktionen von Leib, Seele und Geist. Ich werde jetzt zum wichtigsten Problem kommen. Viele sehen diese Angelegenheit von Geist, Seele und Leib so an, als ob sie nur auf das geistliche Leben beziehe; aber wir müssen hier erkennen, daß sie auch für den geistlichen Dienst und Kampf wichtig ist. Wir neigen dazu, uns Adam beinahe gleichzustellen vor dem Sündenfall. Wir nehmen an, da wir ja so wie Adam auch Menschen sind, daß kein allzu großer Unterschied zwischen uns ist. Wir denken, daß, was wir nicht tun können, konnte Adam auch nicht. Aber wir erkennen nicht, daß hier zwei Dinge vorliegen:

a) einerseits ist es wahr, daß wir das nicht tun können, was Adam nicht tun konnte; doch

b) wir können das nicht tun, was Adam tun konnte. Ich befürchte, daß wir nicht erkennen, wie fähig Adam war. Wenn wir die Bibel studieren, erkennen wir, was für eine Art Mensch Adam vor seinem Fall wirklich war.

Adams Autorität und Tüchtigkeit

“Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde; im Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Weib schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan; herrschet über die Fische des Meeres und über die Gevögel des Himmels und über alles Getier, das sich auf der Erde regt!” (1. Mose 1, 27. 28). “Machet euch die Erde untertan”, sagte Gott.

Freunde, habt ihr euch schon vorgestellt, wie riesig die Erde ist? Angenommen, ein Meister würde von seinem Diener verlangen, zwei Häuser zu verwalten. Er trifft seine Vereinbarungen aufgrund der Fähigkeiten des letzteren, diese zu besorgen. Kein Diener könnte alle Häuser, die an einer Gasse gelegen sind, verwalten, denn er kann nicht tun, was seine Fähigkeiten übersteigt. Würde denn Gott von Adam etwas verlangen, wozu er nicht in der Lage wäre? Wir können daher daraus schließen,. daß, wenn Adam fähig war, die Erde zu beherrschen, dann muß seine körperliche Tüchtigkeit der unsrigen heute überlegen gewesen sein. Er hatte Kraft, Fähigkeit und Geschick. Er empfing alle diese Fähigkeiten frisch vom Schöpfer.

Adams Kraft mußte die unsrige bei weitem übersteigen. Sonst wäre er nicht in der Lage gewesen, die Pflicht zu erfüllen, die ihm von Gott aufgegeben war. Aber wir heute, wir könnten unseren Rücken abends nicht mehr strecken, wenn wir nur eine Gasse im Tag dreimal fegen müßten. Wie könnten wir uns dann überhaupt die ganze Erde untertan machen? Aber Adam machte sich nicht nur die Erde untertan, er herrschte auch über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über jedes lebendige Tier auf der Erde. Und herrschen heißt nicht einfach dasitzen und nichts tun. Es verlangt Verwaltung und Arbeit. Wenn wir das sehen, sollten wir die überlegene Kraft erkennen, die Adam tatsächlich besaß. In Wirklichkeit übersteigt sie bei weitem unseren heutigen Zustand. Meinst du, diese Erkenntnis sei etwas Neues? Tatsächlich ist es die Lehre der Bibel. Vor seinem Fall hatte Adam solche Stärke, daß er sich nach der Arbeit nicht müde fühlte. Erst nach dem Sündenfall sagte ihm Gott: “Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.”

 

Adams geistige Kraft und Gedächtnis
“Und der Herr bildete aus dem Erdboden alles Getier des Feldes und alles Gevögel des Himmels, und er brachte sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde, so sollte es heißen” fl. Mose 2, 19). Meine Freunde, ist das nicht wunderbar? Angenommen, du würdest ein Wörterbuch nehmen und alle Namen der Tiere herunterlesen; müßtest du nicht zugeben, daß du die Namen weder erkennen noch dich daran erinnern würdest? Doch Adam gab allen Tieren und Vögeln die Namen. Wie intelligent muß er gewesen sein! Die weniger intelligenten unter uns würden bald ein Zoologiestudium aufgeben, sobald wir unsere Unfähigkeit, all die Details auswendig zu lernen, erkannt hätten. Aber Adam hat diese zoologischen Namen nicht nur auswendig gelernt; er war der Namengeber, denn er gab ihnen allen den Namen. Hieran können wir erkennen, wie reich und vollkommen die Denkkraft oder rationale Kraft Adams war.

Adams Fähigkeit zu verwalten
“Und der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bebauen und ihn zu bewahren” (l. Mose 2, 15). Wenn wir sehen, wie Adam die Erde ver­waltete, sollten wir ein bißchen darüber nachdenken, was Gott ihm aufgab zu tun. Gott hatte ihm befohlen, den Garten zu bebauen. Das mußte systematisch getan werden. Wie groß war der Garten? Im 1. Buch Mose, 2, 10‑14 werden vier Flüsse genannt; mit den Namen Pison, Gihon, Hiddekel und Euphrat. Sie alle flossen aus dem Garten Eden und teilten ihn in vier Flußgebiete ein. Kannst du dir nun vorstellen, wie groß der Garten war? Wie stark muß Adam gewesen sein, daß er beauftragt werden konnte, das Land zu pflegen, welches von vier Flüssen umgeben war! Und er mußte das Land nicht nur pflegen, sondern auch bewahren; er sollte das Land davor bewahren, daß der Feind eindringen konnte. Daher muß die Kraft, die Adam in jenen Tagen hatte, riesig gewesen sein. Er muß ein Mann mit erstaunlicher Fähigkeit gewesen sein. Alle seine Kräfte wohnten in seiner lebendigen Seele. Wir mögen Adams Kraft als übernatürlich und wunderbar ansehen, aber soweit es Adam betrifft, waren diese Fähigkeiten nicht wunderbar, sondern menschlich, nicht übernatürlich, sondern natürlich.

Verbrauchte Adam alle seine Kräfte an jedem Tage? Wie wir aus unsern Studien des 1. Buches Mose erkennen, hatte er seine Kraft nicht verbraucht. Nachdem er von Gott neu geschaffen wurde, doch bevor er alle seine Fähigkeiten ausdrücken konnte, fiel er.

Welches war der Köder, den der Feind benutzte, als er Eva bezauberte? Was versprach ihr der Feind? Es war folgendes: “Gott weiß, daß welchen Tages ihr davon esset, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses” (1. Mose 3, 5). “Wie Gott sein” war das Versprechen des Feindes. Er erzählte Eva, daß trotz der Kraft, die sie schon besaß, immer noch eine große Kluft zwischen Gott und ihr war, aber daß, wenn sie diese Frucht essen würde, sie dann Gottes Autorität, Weisheit und Kraft besitzen würde. Und an jenem Tag wurde Eva verführt; sie fiel.

 

Die Kraft, die Gott Adam gab
Wenn wir auf diese Art forschen, sind wir nicht ungebührlich neugierig; wir wünschen nur zu erkennen, was Gott Adam tatsächlich gegeben hatte. “Und Gott sprach, lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis” (1. Mose 1, 26). Die Wörter “Bild” und “Gleichnis” mögen uns in der Bedeutung gleich und daher als Wiederholungen erscheinen. Aber im Hebräischen deutet das Wort “Bild ‑ nicht auf körperliche Gleichheit hin, eher noch bezeichnet es moralische oder geistliche Ähnlichkeit. jemand hat das folgendermaßen ausgedrückt: “Verändern in das Gleichnis”; das bedeutet “einem Bild angleichen”. Die Absicht Gottes, als er den Menschen schuf, war, daß er nach seinem Bild umgeformt werden sollte; Gott wollte, daß Adam ihm ähnlich werden sollte. Der Teufel sagte: “Du wirst sein wie Gott.” Aber Gottes ursprüngliche Absicht war, daß Adam ihm ähnlich werden sollte. Daraus schließen wir, daß Adam vor dem Sündenfall die Kraft hatte, diese Ähnlichkeit zu erlangen. Er besaß eine verborgene Fähigkeit, auch moralisch Gott ähnlich zu werden. (Ich gebrauche das Wort “moralisch”, um das zu bezeichnen, was über dem Materiellen steht, nicht einfach das, was auf das gute Verhalten des Menschen hinweist.) So wird uns gezeigt, wieviel der Mensch durch den Sündenfall verlor. Die Größe des Schadens übersteigt wahrscheinlich unsere Vorstellungen.

Der Sündenfall
Adam ist eine Seele. Sein Geist und Leib sind durch die Seele verbunden. Die erstaunliche Kraft, die wir soeben erwähnt haben, ist in Adams Seele vorhanden. Mit anderen Worten: die lebendige Seele, welche das Resultat aus dem Zusammentreffen von Geist und Leib ist, besitzt unvorstellbare Kraft. Diese Kraft ging beim Sündenfall verloren. Das bedeutet nicht, daß solche Kraft nicht mehr vorhanden ist. Es heißt nur, daß sie, wohl im Menschen vorhanden, jedoch “eingefroren” oder stillgelegt ist. Gemäß 1. Mose 6 wird der Mensch nach dem Sündenfall Fleisch. Das Fleisch umschließt das ganze Wesen und unterwirft es. Der Mensch war ursprünglich eine lebendige Seele. jetzt, nachdem er gefallen ist, wird er zu Fleisch. Seine Seele hätte der Kontrolle des Fleisches unterworfen sein sollen; jetzt ist sie der Herrschaft des Fleisches untergeben. Daher sagt der Herr: “Mein Geist wird nicht ewiglich mit dem Menschen rechten, da er ja Fleisch ist” (l. Mose 6, 3). Wenn Gott hier den Menschen erwähnt, nennt er ihn Fleisch, was er jetzt in seinen Augen geworden ist. Dem entsprechend heißt es in der Bibel, daß “alles Fleisch seinen Weg auf Erden verdorben hat” (1. Mose 6, 12).

Wiederum “auf keines Menschen Fleisch soll man es (das heißt das heilige Salböl, welches ein Typus des Heiligen Geistes ist) gießen” (2. Mose 30, 32). Weiter: “durch Gesetzeswerke wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden” (Röm. 3, 20).

Warum erwähne ich das so ausführlich? In Offenbarung 18 werden Dinge erwähnt, die in den letzten Tagen geschehen werden. Ich habe ganz am Anfang gezeigt, wie die menschliche Seele eine Handelsware in BabyIon werden wird, die man verkaufen und kaufen kann. Aber warum wird die Menschenseele als Ware behandelt? Weil Satan und seine Marionette, der Antichrist, die menschliche Seele als Werkzeug für ihre Aktivitäten am Ende dieses Zeitalters benützen. Als Adam im Garten Eden fiel, wurde seine Kraft stillgelegt. Er hatte seine Kraft nicht gänzlich verloren, sie wurde jetzt nur in ihm begraben. Er war Fleisch geworden, und dieses umschloß jetzt fest die wundersame Kraft, welche in ihm war. Generation auf Generation mit dem Ergebnis, daß Adams ursprüngliche Kraft in seinen Nachkommen zu einer verborgenen Kraft geworden ist. Sie ging dem Menschen nicht verloren, sondern ist einfach vom Fleisch eingeschlossen.

Heute liegt diese adamitische Kraft in jeder Person, die auf der Erde lebt, obwohl sie in ihm eingeschlossen ist und sich nicht frei ausdrücken kann. Aber solche Kraft ist in jeder Menschenseele, genauso wie sie am Anfang in Adams Seele war. Das Werk des Teufels richtet sich darauf, die menschliche Seele zu erregen und die verborgene Kraft als eine Täuschung für geistliche Kraft freizulegen. Ich erwähne diese Dinge uns zur Warnung in bezug auf das besondere Verhältnis zwischen der Seele des Menschen und Satan in den letzten Tagen.

Wir haben gesehen, daß Adam besondere Kraft und Fähigkeit besaß, obwohl sie in Wirklichkeit gar nicht besonders oder übernatürlich war, wie sehr es uns heute auch so erscheinen mag. Vor seinem Fall konnte Adam seine Fähigkeiten mit Leichtigkeit ausüben, da sie in seine Seele eingelegt waren. Aber nach seinem Fall wurde seine Kraft vom Körper eingeschlossen. Vorher war der Körper Adams kraftvoller Seele eine Hilfe gewesen; jetzt war die Seele gefallen, und die Kraft wurde von der Schale des Fleisches umgeben. Satan versucht jedoch, diese Schale des Fleisches aufzubrechen, die Kraft, die in der Seele des Menschen schlummert, freizu­legen, um so die Kontrolle über den Menschen zu gewinnen. Viele verstehen diese Strategie nicht und werden dahin getäuscht, daß sie annehmen, es sei alles von Gott.

 

Religiös gesehen
Dies alles geschieht jedoch nicht nur in der Christenheit. Die Babylonier, die Araber, die Buddhisten, die Taoisten und die Hindus versuchen alle in ihrer eigenen Art, die Kraft, die Adam unserer Seele gelassen hat, freizulegen. In irgendeiner Religion, was für Mittel auch zur Instruktion benutzt werden, ein gemeinsames Prinzip steht hinter all den äußerlichen Unterschieden. Es zielt darauf hin, das Fleisch zu überwinden, um die seelische Kraft von aller Art Bindungen loszulösen, damit diese freier ausgedrückt werden kann. Einige Lektionen dieser Religionen gehen dahin, das Hindernis des Leibes zu zerstören; einige, den Leib und die Seele zu vereinigen; während andere die Seele durch Training zu stärken und sie so zu befähigen versuchen, daß sie den Leib überwinden könne. Was auch immer die Mittel sein mögen, das Prinzip dahinter ist dasselbe. Es ist wichtig, das zu wissen, sonst werden wir getäuscht.

Ich weiß nicht, wie die Leute von dieser wunderbaren Energie informiert werden, die in der menschlichen Seele schlummert, jetzt vom Fleisch umschlossen ist und deren Freilegung zu einer Darstellung wunderbarer Kraft führt, sogar bis zum Erreichen des Status eines ” Zauberers ” oder ” Buddha “. Wahrscheinlich werden sie alle vom Teufel, dem bösen Geist, informiert. Ihre Erklärungen mögen unterschiedlich sein, jedoch das ihm zugrunde liegende Prinzip ist immer dasselbe, nämlich der Gebrauch von besonderen Mitteln, um die Kraft der Seele freizulegen. Sie mögen nicht wie wir die Terminologie von Seele und Kraft verwenden; die Tatsache jedoch ist nicht zu übersehen. Zum Beispiel im Buddhismus, Taoismus und sogar in einigen Sekten des Christentums ist spezielle, übernatürliche Kraft für alle erhältlich, um Wunder zu tun wie Krankenheilung und Voraussagen der Zukunft.

Nimm zum Beispiel die asketischen Praktiken und Atemübungen des Taoismus oder sogar die einfachste Form der abstrakten Meditation: diese alle tun es gemäß dem einen Prinzip, den Leib der Seele zu unterwerfen, mit dem Zweck, die Kraft der letzteren freizulegen. Kein Wunder, daß viele wunder­same Dinge geschehen, die man nicht einfach als Aberglauben abtun kann. Buddhismus war ursprünglich atheistisch. Gautama Siddhartha war ein Atheist. Viele Gelehrte und Fachkundige verstehen die Lehre des Buddhismus so. Er glaubte an die Seelenwanderung, sowohl als auch an das Nirwana*. Nun, ich habe nicht die Absicht, Unterricht über den Buddhismus zu erteilen; ich möchte nur erklären, wie und warum viele Wunder durch diese Religion vollbracht worden sind.

Im Buddhismus haben wir die Lehre des Entfliehens von der Welt. Wer das buddhistische Gelübde ablegt, muß sich des Fleisches und der Ehe enthalten. Er darf nichts Lebendiges töten. Durch asketische Praktiken können sie sogar eine Stufe erlangen, wo sie keine Speise mehr benötigen. Einige Mönche von hoher Stufe können sogar die unbekannte Vergangenheit durchdringen und die Zukunft voraussagen. Durch buddhistische Magie vollbringen sie viele Wunder. Wenn, wie sie es nennen, ihr “Herz‑Blut” in Wallung gerät, sind sie fähig, Geschehnisse vorauszusagen. All die verschiedenen durchgeführten Arten von Enthaltungen und asketischen Praktiken entstammen aus einem einzigen, ihnen übergeordneten Prinzip: der Buddhist ist bestrebt, alle physikalischen und materiellen Schranken zu durchbrechen, um so seine Seelenkraft freigelegt zu bekommen.

Ich kenne einige Leute, die älter sind als ich, die dem Unity Club beigetreten sind. Sie und die andern Club‑Mitglieder praktizieren u.a. abstrakte Meditation. Sie sagen mir, daß jede Stufe, in die sie eintreten, ihre eigene Intensität des Lichts hat. Das Licht, das sie wahrnehmen, folgt der Wahrheit, in die sie eintreten. Ich glaube ihnen, denn sie sind in der Lage, von der Bedrückung des Körpers loszuwerden und so die Kraft freizulegen, die Adam vor seinem Fall besaß. Eigentlich liegt gar nichts Außergewöhnliches darin. Die moderne Sekte der Christlichen Wissenschaft wurde von Frau Mary Baker‑Eddy gegründet. Sie verleugnete die Existenz von Krankheit, Schmerz, Sünde und Tod (obwohl Frau Eddy gestorben war). Da es gemäß ihrer Lehre nichts gibt wie Krankheit, muß jemand, wenn immer er krank wird, nur seine Gedanken gegen eine Anerkennung der Krankheit richten und wird so geheilt. Das bedeutet, daß, wenn jemand an keine Krankheit glaubt, er nicht krank sein wird. So auch, wenn jemand nicht an Sünde glaubt, meinen sie, nicht zu sündigen. Indem der Mensch seinen Wil­len, seine Gedanken und seine Emotionen so trainiert, bis er völlig die Existenz dieser Dinge verneint ‑ indem er sie als falsch und trügerisch ansieht ‑, wird er sie tatsächlich als nichtexistent vorfinden.

Als diese Lehre erstmals verbreitet wurde, wurde sie von vielen Menschen abgelehnt. Besonders Ärzte haben ihr widerstrebt, denn wenn es wahr wäre, würde man keine Ärzte mehr brauchen. Doch nachdem sie Leute untersucht hatten, die von der Christlichen Wissenschaft geheilt worden waren, konnten die Ärzte die Lehre nicht als falsch abweisen. Konsequenterweise glauben mehr und mehr Leute daran; sogar berühmte Wissenschaftler und Ärzte haben diese Lehre angenommen. Es ist gar nicht verwunderlich, da in der Seele des Menschen ein Reservoir von riesiger Kraft vorliegt und nur darauf wartet, von der Gefangenschaft des Fleisches freigelegt zu werden.

Wissenschaftlich gesehen

Jetzt wollen wir diese Angelegenheit wissenschaftlich ansehen. Die Psychologie hat in moderner Zeit noch nie dagewesene Erfor­schungen betrieben. Was ist Psychologie? Das Wort selbst ist eine Kombination von zwei griechischen Wörtern: “psyche”, was Seele bedeutet, und “logia”, was u. a. Abhandlung Wissen bedeutet. Daher ist Psychologie die “Wissenschaft der Seele”. Die Erforschung moderner Wissenschaftler ist die des seelischen Teils unseres Lebens. Sie ist auf diesen Teil beschränkt; der Geist wird nicht berührt.

Moderne Parapsychologie begann mit Franz Anton Mesmer. Seine erste Entdeckung im Jahre 1778 ist jetzt bekannt als Mesmerismus (Hypnose, wie sie von Mesmer selbst praktiziert wurde). Seine Anhänger übertrafen ihn jedoch durch ihre eigenen Entdeckungen, genauso wie das Grüne, das vom Blau abgeleitet wird, das Blaue überstrahlt. Einige ihrer Experimente sind fast unglaublich in ihrem Resultat. Ihre Methode ist ‑ nicht unerwarteterweise ‑ das Entladen der Kraft, die in der Menschenseele liegt. Zum Beispiel beim Hellsehen (Dinge wahrnehmen, die außerhalb des Bereichs der menschlichen Sinne liegen) oder Telepathie (Kommunikation durch wissenschaftlich unbekannte oder unerklärbare Mittel wie durch Betätigung mystischer Kräfte), sind Menschen in der Lage, Dinge zu sehen, zu hören oder zu riechen, die tausende von Meilen entfernt sind.

Es wurde gesagt, daß Mesmerismus „der Fels ist, aus dem alle mentalen Wissenschaften gehauen wurden”.(Penn-Lewis). Vor Mesmers Zeit war die psychische Forschung nicht ein unabhängiger Zweig der Wissenschaft; sie nahm einen unbedeutenden Platz innerhalb Naturwissenschaft ein. Aber wegen dieser erstaunlichen Entdeckung ist sie zu einem eigenen System geworden.

 Ich möchte die Aufmerksamkeit nicht auf das Studium der Psychologie wenden, aber auf die Tatsache, daß alle diese wundersamen Phänomene durch das Freilegen der verborgenen Kraft der menschlichen Seele eintreten. Warum wird diese Kraft “verborgen” genannt? Weil Gott bei Adams Fall ihm diese übernatürliche” Kraft nicht entzog, sondern seine Kraft fiel mit ihm und wurde in seinem Körper eingeschlossen. Die Kraft war da, nur konnte sie nicht zum Ausdruck kommen. Daher die Bezeichnung “verborgene Kraft”.

Die Erscheinungen unseres menschlichen Le­bens, so wie Sprechen und Denken, sind Fähigkeiten, die bemerkenswert sind. Aber die verborgene Kraft, die im Menschen versteckt liegt, ist auch verblüffend. Könnte diese Kraft aktiviert werden, würden viel mehr außerordentliche Dinge in unserem Leben zum Ausdruck kommen. Die vielen wundersamen Geschehnisse, die die modernen Parapsychologen entdecken, bezeugen in keiner Art ihren übernatürlichen Charakter. Sie beweisen nur, daß die verborgene Kraft der Seele durch die passenden Mittel freigelegt werden kann.

Eine Liste der Entdeckungen, welche folgten, nachdem Mesmer das grundlegende Wissen der mystischen Kräfte, die in der menschlichen Schale verborgen liegen, entdeckt hatte, zeigt, wie verblüffend diese Bewegung voranging, als der Mensch einmal den Schlüssel erhalten hatte. Im Jahre 1784 entdeckte ein Schüler Mesmers das Hellsehen als ein Resultat des Mesmerischen Schlafs, und zufälligerweise stolperte er über das Gedankenlesen.

Telepathie ‑ welches die Kommunikation zwischen zwei Intelligenzen ist, auf andere Art als durch die bekannten Kanäle der Sinne ‑ befähigt eine Person, seine eigene psychische Kraft zu betätigen, um die Gedanken eines andern zu erkennen, ohne daß sie ihm gesagt wurden. “Hypnose, Neurologie und Psychometrie … und zahllose andere Entdeckungen folgten mit den Jahren. Hypnose ist ein künstlich herbeigeführter, schlafähnlicher Zustand, in welchem ein Individuum extrem empfänglich ist für Eingebungen, die der Hypnotiseur tut. Nicht nur der Mensch, sondern auch Tiere können hypnotisiert werden.

Psychometrie ist die Entdeckung, daß der Geist außerhalb des menschlichen Körpers betätigt werden kann und daß der “psychometrisch Empfindliche” die Vergangenheit wie ein offenes Buch lesen kann. Dann kam die Entdeckung, die Statuvolismus genannt wird. Bei diesem kann der Geist sich selbst vom Bewußtsein des Schmerzes entziehen und Krankheiten kurieren. Am Anfang gingen die Wissenschaftler diesen Entdeckungen nach als Zweige der Naturwissenschaf­ten … “

Aber wegen der Vielfalt dieser wundersamen Phänomene wurde die Parapsychologie bald eine Wissenschaft für sich selbst. Für die Praktizierenden dieser Wissenschaft sind all diese außerordentlichen Phänome­ne ganz natürlich. Und für uns Gläubige sind sie noch natürlicher. Denn wir wissen, daß sie nur die Konsequenz der Freilegung der verborgenen Kraft der Seele sind. Psychologen erklären, daß innerhalb des Menschen eine riesige Anlage von Kräften ist: die Kraft der Selbstkontrolle, die Kraft zu schöpfen, die Kraft wiederherzustellen, die Kraft zu glauben, die Kraft zu beleben, die Kraft wiederzubeleben. Diese alle können vom Menschen freigelegt werden. Ein Psychologiebuch geht sogar so weit und erklärt, daß alle Menschen Götter seien, nur daß der Gott in uns eingeschlossen sei. Indem man den Gott in uns freilege, werden wir alle zu Göttern. Wie ähnlich sind diese Worte jenen Satans!

 

Die allgemeine Regel
Sei es in China oder in westlichen Nationen, alle diese Praktiken der Atemübung, der asketischen Übung, der Hypnose, der Voraussagungen, der Sympathien und Kommunikationen sind nichts anderes als das Freilegen der Kraft, die in uns ist. Ich nehme an, wir haben alle irgend etwas von der Hypnose gehört. In China gibt es Wahrsager, deren Kunststücke der Vorhersagung bekannt sind. jeden Tag nehmen sie nur wenige Kunden in die Aussprache. Sie haben viel Zeit und Energie dazu verwendet, ihre Kunst zu vervollkommnen. Und ihre Voraussagungen sind verblüffend genau. Die Buddhisten und Taoisten haben auch ihre Wundertaten. Obwohl Beweise für Betrug nicht fehlen, können übernatürliche Manifestationen offensichtlich nicht geleugnet werden.

Die Erklärung all dieser Phänomene ist einfach: entweder durch Zufall oder durch Einführung des bösen Geistes entdeckten sie eine Art oder Arten asketischer Praktiken, die sie befähigen, außerordentliche Kunststücke zu vollbringen. Allgemein weiß man nicht, daß sie diese Kraft in sich selbst besitzen. Andere, die ein wenig wissenschaftlich gebildet sind, wissen, daß diese Kraft in ihnen selbst verborgen liegt, obwohl sie nicht erklären können, woher sie kommt. Wir, die wir von Gott belehrt sind, wissen, daß sich diese Fähigkeiten und verborgene Kraft in der menschlichen Seele befindet und jetzt durch den Fall Adams vom Fleisch eingeschlossen ist. Diese Kraft war mit dem Menschen gefallen, so daß sie nicht mehr gebraucht werden sollte. Aber Satans Absicht ist es, diese verborgene Kraft des Menschen zu entwickeln, so daß er sich so reich wie Gott fühlt, gemäß dem Versprechen, das Satan ihm gegeben hatte. So wird der Mensch sich selbst anbeten, obwohl es indirekt Satans‑Anbetung ist. Daher steht Satan hinter all diesen parapsychologischen Forschungen. Er versucht, das äußerste dieser verborgenen Kraft der Seele zu verwenden, um sein Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund können alle, die ihre Seelenkraft entwickeln, es nicht vermeiden, mit Satan in Berührung zu kommen oder von ihm gebraucht zu werden.

G. H. Pember sieht in seinem Buch Earth’s Earliest Ages die Angelegenheit noch von einem anderen Gesichtspunkt:

Es scheint, daß es zwei Methoden gibt, durch welche Menschen ungebührliche Kraft und Wissen erlangen können und wie sie Zutritt bekommen zu verbotenen Praktiken. Wer die erste Methode befolgen will . . ., muß seinen Körper so unter Kontrolle seiner Seele bringen, daß er seine eigene Seele projizieren kann … Das Entwickeln dieser Methode ist zweifelsohne möglich, jedoch nur wenigen und auch in ihrem Fall kann das nur durch einen langen und harten Trainingskurs erreicht werden, dessen Ziel es ist, den Kör­per zu brechen und völlig zu unterwerfen, um eine vollkommene Gefühllosigkeit herzustellen in bezug auf alle Vergnügen, Schmerzen und Emotionen dieses Lebens, so daß kein störendes Element den Aspiranten mehr ablenken kann, um seinen Fortschritt aufzuhalten . . . Die zweite Methode ist passive Unterwerfung an die Kontrolle fremder Intelligenzen . . .

Worauf wir hier im besonderen die Aufmerksamkeit lenken wollen, ist die erste Methode, das heißt, die verborgene Kraft der ei‑enen Seele zu aktivieren. Seine Auffassung fällt völlig mit der unsrigen zusammen. Die asketischen Praktiken der Buddhisten oder die Atemübungen und die abstrakte Meditation der Taoisten, die Meditation und Gedankenkonzentration der Hypnotiseure, das stille Sitzen jener im Unity Club und all die Variationen der Meditation, Betrachtung, des konzentrierten Denkens bis zum Ausschalten allen Denkens und Hunderte anderer Betätigungen, die Menschen praktizieren, folgen der selben Regel ‑ wie unterschiedlich auch ihr Wissen und ihr Glaube sein mag. Was alle diese tun, ist nichts anderes als den äußerlichen, verwirrten Gedanken des Menschen, seine bewegten Emotionen, seinen schwachen Willen an einen Ort der Ruhe zu bringen, wobei sein Fleisch völlig unterworfen ist, was ermöglicht, die verborgene Kraft der Seele freizulegen. Der Grund, warum das nicht in jeder Person manifestiert wird, ist, weil nicht alle die Schranken des Fleisches durchbrechen und all die psychischen Ausdrücke in Ruhe bringen können.

 

Einige Tatsachen

Vor mehreren Jahren machte ich Bekanntschaft mit einem Inder. Er erzählte mir von einem Freund im Hinduismus, der Geheimnisse von Menschen sehr genau bloßlegen konnte. Einmal wollte er die Fähigkeit seines Hindu‑Freundes prüfen. Er lud ihn in sein Heim ein. Der Hindu war tatsächlich in der Lage, alles zu sagen, was in jeder Schublade seines Heimes versorgt war. Später bat mein indischer Bekannter seinen Freund hinauszugehen und zu warten, während er einen sehr wertvollen Gegenstand in ein Tuch und in Papier einwickelte, bevor er ihn in eine Kiste und dann in ein abgeschlossenes Schubfach legte. Sein Hindu‑Freund kam wieder herein und offenbarte, welcher Gegenstand eingepackt war. Das war gewiß nur möglich durch das Durchbrechen aller physikalischer Schranken. Frau Jessie Penn‑Lewis, die wir schon vorher zitiert haben, schrieb folgendes:

Ich traf einmal einen Mann in Nord‑Indien, der Zutritt hatte zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft in Simla, dem Sommersitz der Regierung Indiens. Er erzählte mir eines Abends von seiner Verbindung mit den Mahatmas in Indien und anderen Ländern Asiens. Er sagte, daß er große politische Geschehnisse schon Wochen und Monate vor ihrem Eintreffen wußte. “Ich bin nicht abhängig von Nachrichten und Telegrammen und Zeitungen. Diese können nur vergangene Geschehnisse aufzeichnen; wir wissen um Geschehnisse, bevor sie stattgefunden haben”, sagte er. Wie kann ein Mensch in London Dinge wissen, die in Indien geschehen und umgekehrt? Es wurde mir durch vor Menschen projizierte Seelenkraft erklärt welche das Geheimnis der Mahatmas kennen.*

Pember zitiert Wilds “Spiritual Dynamics” und schreibt, daß ein Meister bewußt die Gedanken anderer sehen kann. Er kann durch (Overcomer Magazine for 1921‑23) seine Seelenkraft auf außenstehende Geister einwirken. Er kann das Wachstum von Pflanzen beschleunigen, Feuer löschen und wie Daniel wilde Tiere bezwingen. Er kann seine Seele auf eine Entfernung wegsenden und dort nicht nur die Gedanken anderer lesen, sondern auch zu jenen entfernten Gegenständen sprechen, sie berühren und nicht nur das, er kann seinen entfernten Freunden seinen geistlichen Körper darstellen in der völligen Gleichheit seines fleischlichen Körpers. Dazu … kann auch der Meister … aus der ihm umgebenden multiplexen Atmosphäre das Gleichnis irgendeines physikalischen Gegenstandes herstellen, oder er kann physikalische Gegenstände in seine Gegenwart befehlen.

 

Die Haltung des Christen

Die wundersamen Phänomene in der Religion und in der Wissenschaft sind nichts als eine Manifestation der verborgenen Kraft der Seele des Menschen, welche vom bösen Geist gebraucht wird. Sie alle befolgen eine gemeine Regel: die Schranken des Fleisches zu durchbrechen und die Kraft der Seele freizulegen. Der Unterschied zwischen uns (den Christen) und ihnen liegt in der Tatsache, daß alle unsere Wunder durch Gott vollbracht werden, durch den Heiligen Geist. Satan braucht die Seelenkraft des Menschen, um seine Stärke zu manifestieren. Die Seelenkraft des Menschen ist das Werkzeug Satans, durch welches er auf sein böses Ziel hinarbeitet.

Gott jedoch wirkt nie mit der Seelenkraft des Menschen, denn sie ist für ihn unbrauchbar. Wenn wir wiedergeboren werden, sind wir durch den Heiligen Geist wiedergeboren. Gott wirkt durch den Heiligen Geist und unseren erneuerten Geist. Er wünscht nicht, die Seelenkraft zu gebrauchen. Seit dem Sündenfall hat Gott verboten, diese ursprüngliche Kraft der Seele anzuwenden. Aus diesem Grund erklärt der Herr Jesus oft, daß wir das Seelenleben verlieren müssen, d. h. unsere Seelenkraft. Gott will heute, daß wir diese Seelenkraft überhaupt nicht gebrauchen.

Wir können nicht sagen, daß alle Wunder, die in der Welt vollbracht werden, unecht sind. Wir müssen zugeben, daß viele von ihnen echt sind. Aber all diese Phänomene wer­den durch die verborgene Kraft der Seele nach dem Fall Adams vollbracht. Als Christen müssen wir sehr vorsichtig sein in diesen letzten Zeiten, nicht die verborgene Kraft der Seele zu erregen, sei es wissentlich oder unwissentlich.

Laßt uns zurückkehren zu jenem Schriftabschnitt, den wir anfangs lasen. Wir bemerken, daß es am Ende des Zeitalters das spezielle Werk Satans und der bösen Geister unter ihm ist, mit der seelischen Kraft des Menschen Handel zu treiben. Das Ziel ist einfach, diese Welt mit der verborgenen Kraft der Seele zu füllen. jemand schrieb an die Zeitschrift “Overcomer” und machte folgenden Vergleich: “Die Kräfte der Psyche (Seele) in Kraftordnung aufgestellt gegen die Kräfte des Pneuma (Geist).”Alle, die geistliche Erkenntnis und Feinfühligkeit haben, wissen um die Realität dieser Aussage. Seelenkraft stürzt auf uns wie ein reißender Fluß. Indem Satan Wissenschaft (Psychologie und Parapsychologie), Religion und sogar die unwissende Gemeinde gebraucht (indem diese übermäßige, übernatürliche Manifestationen sucht, indem sie die übernatürlichen Gaben nicht gemäß den Leitsätzen der Schrift unter Kontrolle hält, verursacht er, daß diese Welt mit den Kräften der Finsternis angefüllt wird. Doch dies ist nur Satans letzte und abschließende Vorbereitung für das Auftreten des Antichristen. jene, die wirklich geistlich sind (d. h. jene, die die Seelenkraft verwerfen), spüren überall um sich herum das Anwachsen des Widerstandes von bösen Geistern. Die ganze Atmosphäre ist so verfinstert, daß sie es schwierig finden, voranzukommen. Nichtsdestoweniger, dies ist auch Gottes Vorbereitung für die Entrückung der Überwinder.

Wir müssen verstehen, was Seelenkraft ist, und was diese Kraft der Seele tun kann. Laßt es euch gesagt sein, daß ähnliche Dinge wie diese vor der Wiederkunft des Herrn stark zunehmen werden, vielleicht sogar mehr als hundertfältig. Satan wird viele verblüffende Tricks vorführen, indem er diese Seelenkraft gebraucht, um so die Auserwählten Gottes zu verführen. Wir nähern uns jetzt der Zeit des großen Abfalls. “Das Moment nimmt schnell zu”, beobachtet Frau Penn‑Lewis. “Die Hand des Erzfeindes Gottes und des Menschen ist am Steuer, die Welt stürzt in eine finstere Stunde, in der Satan für eine kurze Zeit “der Gott dieser Welt” sein und durch einen Supermenschen herrschen wird, dessen Parousia (Erscheinung) nicht lange aufgehalten werden kann.” Was ist Seelenkraft? Indem wir uns von der Schrift her informieren und durch den Heiligen Geist erleuchten lassen, sollten Gläubige realisieren, daß diese Kraft so höllisch ist, indem sie sich über alle Völker der Erde verbreitet und so die Welt in ein Chaos verwandeln wird.

Satan gebraucht jetzt diese Seelenkraft als Ersatz für Gottes Evangelium und dessen Kraft. Er versucht die Herzen der Menschen durch die Wunder der Seelenkraft zu blenden, indem sie eine blutlose Religion annehmen. Er gebraucht auch die Entdeckungen der psychischen Wissenschaft, um Zweifel an den übernatürlichen Erscheinungen im Christentum zu verursachen, und will, daß die Leute das Letztere ebenso für nichts anderes als die verborgene Kraft der Seele betrachten. Sein Ziel ist es, das Heil Christi durch psychische Kraft zu ersetzen. Der moderne Versuch, böse Gewohnheiten und schlechtes Temperament durch Hypnose zu verändern, ist nichts anderes als ein Vorläufer zu diesem Ziel.

Die Gotteskinder können nur dadurch geschützt werden, indem sie den Unterschied zwischen Geist und Seele kennen. Wenn nicht das tiefere Werk des Kreuzes auf unserem Leben aus Adam vollzogen wurde, und wenn nicht durch den Heiligen Geist eine echte Lebensgemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn bewirkt wird, können wir unwissentlich solche Seelenkraft entwickeln.

Es mag eine Hilfe sein, wieder Frau J. Penn-Lewis zu zitieren: “Seelenkraft” gegen “Geisteskraft” ist das Kampffeld heute. Der Leib Christi, durch den Heiligen Geist in ihm, geht voran himmelwärts. Die Atmosphäre der Welt wird immer dicker von psychischen Störungen, hinter welchen geballt die Feinde der Luft stehen. Die einzige Sicherung für die Kinder Gottes ist ein erfahrungsgemäßes Erkennen der Vereinigung des Lebens in Christus, in welchem er lebt mit Christus in Gott, über der vergifteten Luft, in welcher der Fürst der Gewalt der Luft sein Werk vorantreibt. Das Blut Christi für Reinigung ‑ das Kreuz Christi für Einssein im Tod ‑ durch den Heiligen Geist die Kraft des auferstandenen, aufgefahrenen Herrn, beständig ausgesprochen, beansprucht und gehandhabt, dies allein wird die Glieder des Leibes im Sieg hindurchtragen, um mit dem erhöhten Haupt vereint zu werden.

Meine Hoffnung ist, daß Du die Quelle und die Betätigung der verborgenen Kraft der Seele erkennen kannst. Möge Gott uns die Tatsache tief einprägen, daß, wo Seelenkraft ist, der böse Geist ist. Wir dürfen die Kraft, die von uns kommt, nicht gebrauchen, sondern wir müssen die Kraft gebrauchen, die vom Heiligen Geist ausgeht. Mögen wir im besonderen die verborgene Kraft der Seele verleugnen, auf daß wir nicht in Satans Hand fallen. Denn, durch Adams Fall, ist die Seelenkraft schon unter die Herrschaft Satans gefallen und ist zu dessen Werkzeug geworden. Daher müssen wir große Vorsicht gegen die Verführung Satans üben.

Kapitel 2  Der Christ und die seelische Kraft

Wir haben gesehen, wie Adam mit außergewöhnlichen und verblüffenden Fähigkeiten ausgerüstet war, als er von Gott geschaffen wurde. Diese scheinbar wunderbaren Kräfte fielen mit Adam. Menschen, die unwissend sind, denken, daß beim Fall Adam alle seine wunderbaren Kräfte verlor. Aber die Beweise, die die moderne Parapsychologie erbracht hat, zeigen, daß Adam seine ursprüngliche Kraft nicht verlor, sondern daß sie nur in seiner Seele verborgen ist. Während den letzten fünf‑ oder sechstausend Jahren gab es schon etliche Ungläubige, die in der Lage waren, die Seelenkraft zu demonstrieren. Innerhalb der letzten hundert Jahre sind mehr und mehr Menschen fähig, die verborgene Kraft der Seele zu manifestieren. Adams ursprüngliche Fähigkeit war nicht verloren, sie ist nur durch das Fleisch verborgen. In diesem Abschnitt der Botschaft will ich vom Verhältnis des Christen zur verborgenen seelischen Kraft sprechen. Wenn wir deren Gefahr nicht erkennen, werden wir nicht wissen, wie wir uns gegen sie schützen können. Ich bitte, im besonderen die folgenden vier Tatsachen zu beachten:

 

Vier Tatsachen

1. In Adam steckt eine beinahe unbeschränkte Kraft, eine nahezu wundersame Fähigkeit. Wir nennen dies die Seelenkraft. Moderne psychische Forscher haben ihr Vorhandensein im Menschen bewiesen. Seit der Entdeckung Mesmers im Jahre 1778 sind viele Arten von verborgener Kraft bloßgelegt worden ‑ sei es jetzt, daß sie psychisch oder religiös ausgedrückt wurden. Dies ist nichts als das Freilegen der Seelenkraft des Menschen. Wir sollten nicht vergessen, daß diese Kräfte der Seele im Menschen waren vor seinem Fall, aber nachher in ihm verborgen wurden.

2. Satan will die verborgene Kraft der Seele des Menschen unter seine Kontrolle bringen. Er weiß genau, daß solche Kraft in der Menschenseele ist, fähig, viele Dinge zu tun. Daher versucht er sie unter seine Kontrolle zu bringen, anstatt daß sie unter Gottes Kontrolle bleibt. Satan will sie für seine eigenen Zwecke benutzen. Er versuchte Adam und Eva im Garten Eden deshalb, weil er die Kontrolle über ihre Seelenkraft gewinnen wollte.

Ich habe oft über die Bedeutung des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen und des Baumes des Lebens gesprochen. Die Bedeutung des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen ist Unabhängigkeit, das unabhängige Handeln. Der Baum des Lebens jedoch bedeutet Anhängigkeit oder das Auf‑Gott‑geworfen-Sein. Die Bedeutung dieses Baumes uns weiter, daß Adams ursprüngliches Leben nur Menschenleben war und daß er daher von Gott abhängig sein und Gottes Leben empfangen muß, um zu leben. Aber Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zeigt, daß der Mensch nicht von Gott abhängen muß, sondern daß er arbeiten und lebend Frucht bringen kann, alles von sich aus. Warum erzähle ich dies alles? Einfach um den Grund von Adams und Evas Fall zu zeigen. Wenn wir Adams verborgene Kraft freilegen, können wir viele Wunder vollbringen. Aber haben wir die Erlaubnis dazu?

Satan wußte, daß solche wunderwirkende Stärke im Menschen war; daher versuchte er, dem Menschen seine Unabhängigkeit von Gott zu erklären. Der Fall im Garten Eden war nichts anderes als das Schreiten zur unabhängigen Tat durch den Menschen, der sich so von Gott trennte. Indem wir die Geschichte des Sündenfalls erfahren, können wir erkennen, was die Absicht Satans war. Sein Ziel war es, die Seele des Menschen zu gewinnen. Als der Mensch fiel, fiel auch seine ursprüngliche Fähigkeit und wundersame Stärke alle in Satans Hand.

3. Heute will Satan die verborgene Kraft der Seele freilegen und zum Ausdruck bringen. Sobald der Mensch fiel, schloß Gott seine psychischen Kräfte im Fleisch ein. Seine vielen Kräfte wurden eingeschlossen und durch das Fleisch verborgen ‑ vorhanden, aber nicht wirksam. Nach dem Sündenfall kommt alles, was zur Seele gehört, unter die Kontrolle und Gefangenschaft dessen, was zum Fleisch gehört. Alle psychologischen Kräfte sind daher durch physiologische Kräfte gelenkt. Satans Ziel ist es, die menschliche Seelenkraft zu befreien durch das Niederbrechen der äußeren Schale des Fleisches, um so seine Seele von den Bindungen des Fleisches zu befreien, um so ihre verborgene Kraft zu manifestieren. Das meint Offenbarung 18, 13 mit Handel von Menschenseelen. Tatsächlich, die Seele des Menschen ist nur eine der vielen verkäuflichen Waren des Feindes geworden. Der Feind wünscht sich besonders die psychologischen Fähigkeiten des Menschen als seine Handelsware.

Am Ende des Zeitalters ‑ ich denke an heute ‑ ist es Satans Absicht, das zu vollführen, was schon im Garten Eden sein Ziel war. Obwohl er seine Arbeit angefangen hatte, die menschliche Seele unter seine Kontrolle zu bringen, war es ihm nicht völlig gelungen. Denn, nach dem Fall, kam das ganze Wesen des Menschen, seine Seelenkraft eingeschlossen, unter das Fleisch. In andern Worten, die psychologischen Kräfte des Menschen kamen unter die Herrschaft seiner physiologischen Kräfte. Es gelang dem Feind nicht, die Seelenkraft des Menschen zu gebrauchen; demzufolge war sein Plan also gescheitert. Durch die Jahrtausende hat Satan sich bemüht, den Menschen so zu beeinflussen, daß dieser seine verborgene Kraft zum Ausdruck‑, bringt. Er hat von Zeit zu Zeit, da und dort, Menschen gefunden, aus denen es ihm gelang, ihre Seelenkraft herauszuziehen. Diese sind die wunderwirkenden religiösen Führer der Zeitalter geworden. Aber in den letzten hundert Jahren, ja seit der Entdeckung Mesmers in der Parapsychologie, sind viele neue Entdeckungen der psychischen Phänomene gefolgt. Alle diese haben nur eine Ursache: der Feind versucht, sein zuvor mißlungenes Werk zu vollenden. Er beabsichtigt, alle verborgenen Kräfte der Menschen freizulegen. Das ist das einzige Ziel, an dem er seit Tausenden von Jahren gearbeitet hat. Daher handelt er mit Seelen der Menschen neben solchen Waren wie Gold, Silber, Edelsteinen, Perlen, Vieh und Pferden. Tatsächlich, er hat seine äußersten Anstrengungen unternommen, um diese besondere Handelsware zu erhalten.

4. Wie zieht Satan Nutzen aus diesen verborgenen Kräften? Was sind die verschiedenen Vorteile für ihn?

a) Er wird in der Lage sein, das ursprüngliche Versprechen, welches er den Menschen gab, zu erfüllen: “ihr werdet sein wie Gott”. In ihrer Fähigkeit Wunder zu wirken, werden die Menschen sich selbst als Götter ansehen. Sie werden sich selbst und nicht Gott anbeten.

b) Er will Verwirrung stiften in bezug auf die Wunder Gottes. Er will, daß die Menschen glauben, daß alle Wunder der Bibel in ihrem Ursprung nur psychologisch sind, um so ihren Wert herabzusetzen. Er wünscht, daß die Menschen denken, sie seien fähig alles zu tun, was der Herr Jesus tat.

c) Er will Verwirrung stiften in bezug auf das Wirken des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wirkt im Menschen durch den menschlichen Geist, aber der Teufel täuscht in der Menschenseele viele Phänomene vor, die dem Wirken des Heiligen Geistes ähnlich sind, und verursacht unechte Buße, unechtes Heil, unechte Wiedergeburt, unechte Erweckung, unechte Freude u. a. beim Menschen.

d) Er wird den Menschen als sein Werkzeug für den letzten Widerstand gegen Gottes Plan in diesem letzten Zeitalter gebrauchen. Der Heilige Geist ist Gottes wunderwirkende Kraft. Die letzten dreieinhalb Jahre (während der großen Trübsal) werden eine Zeit von großen Wundern sein, die durch die menschliche Seele unter der Führung Satans vollzogen werden.

Zusammenfassend sehen wir also, daß
1. alle diese wunderbaren Kräfte schon in Adam waren,
2. es Satans Ziel ist, diese Kräfte unter seine Kontrolle zu bringen,
3. in der Endzeit Satan besonders damit beschäftigt ist und es bleiben wird, diese Kräfte zu manifestieren und
4. dies sein Versuch ist, sein früher mißlungenes Unterfangen zu vollenden.

 

Der Unterschied im Wirken Gottes und Satans

Wie können wir uns gegen Verführungen schützen? Wir müssen unterscheiden, welches das Wirken Gottes und welches das Wirken des Feindes ist; welches Werk durch den Heiligen Geist und welches durch den bösen Geist getan wird. Alle Werke des Heiligen Geistes werden durch den Geist des Menschen getan, aber die Werke des Feindes werden durch die Seele des Menschen getan. Der Heilige Geist bewegt den menschlichen Geist, während der Geist des Feindes die menschliche Seele bewegt. Das ist der grund­legende Unterschied zwischen dem Wirken Gottes und dem des Feindes. Gottes Werk wird durch den Heiligen Geist eingeleitet, aber das Werk des Feindes beginnt in der Seele des Menschen. Wegen des Sündenfalls ist unser Geist tot und kann sich mit Gott nicht verständigen. Wenn wir an den Herrn Jesus glauben, werden wir wiedergeboren. Was bedeutet gerettet sein oder wiedergeboren werden? Das ist nicht nur eine Angelegenheit der Namengebung; ein wirklicher, organischer Wechsel hat sich in uns vollzogen. Wenn wir dem Herrn Jesus vertrauen, legt Gott sein Leben in unsern Geist und belebt ihn. Genauso wie des Menschen Geist wesenhaft ist, so ist auch dieser neue Geist, den Gott in uns legt, wesenhaft.

Johannes 3, 6 sagt uns, was die neue Geburt ist: “Das, was aus dem Geist geboren ist, ist Geist.” Auch Ezechiel teilt uns mit: “Einen neuen Geist will ich (Gott) in euch legen” (36, 26). Bei der Wiedergeburt erhalten wir also einen neuen Geist. Der Herr Jesus sagt: “Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben” (Joh. 6, 63). Unser Leben und Werk muß sich daher völlig innerhalb des Wirkungskreises des Geistes abspielen. Wenn Gott uns braucht, wirkt er üb­licherweise in und durch unsern Geist. “Seid erfüllt mit dem Geist” (Eph. 5, 18), sagt, daß dieser, unser neuer Geist mit dem Heiligen Geist gefüllt werden soll. Mit anderen Worten, Gott füllt unsern Geist mit seinem Heiligen Geist.

Der Heilige Geist wirkt in unserem Geist; aber der böse Geist wirkt in unserer Seele. Satan kann nur in unserer Seele und durch die Kraft unserer Seele wirken. Er hat keine Möglichkeit, sein Werk im Geist des Menschen zu beginnen; sein Wirken ist auf die Seele beschränkt. Was er in den letzten fünf-oder sechstausend Jahren getan hat und jetzt tut, das wird er auch in Zukunft tun. Warum scheint es, daß der Teufel so allmächtig, allgegenwärtig und allwissend sei wie Gott? Aus keinem andern Grund als dem, daß er alles mit der menschlichen Seelenkraft tun kann. Wir können sagen, daß während der Heilige Geist die Kraft Gottes ist, so die Seele Satans Kraft ist.

Leider wissen viele Menschen nicht, daß asketische Praktiken, die Atemübungen, die abstrakte Meditation des Buddhismus und Taoismus, die Hypnose in Westeuropa und die zahlreichen Wunder, die wir in den psychischen Erforschungen sehen, nichts ande­res als die Manifestationen der verborgenen Kraft der ‘menschlichen Seele sind. Sie erkennen nicht, wie mächtig die Kraft der Seele ist.

Brüder und Schwestern, sehen wir dies doch nicht als ein kleines Problem an und tun wir es nicht als Wissenschaft für Gelehrte ab. Tatsächlich hat es tiefe Wirkung auf uns.

 

Die zwei Seiten der Seelenkraft

Gemäß der Bibel scheint es, daß die verbor­gene Kraft der Seele zwei Typen einschließt. Dies ist parallel der Einteilung, die wir vom psychologischen Gesichtspunkt her sehen. Wir geben zu, daß wir nicht in der Lage sind, diese zwei Typen klar zu trennen; alles, was wir sagen können, ist, daß es scheinbar zwei verschiedene Typen der Kraft der Seele gibt: ein Typ scheint mehr die gewöhnliche Art, der andere Typ mehr die wundersame Art zu sein. Ein Typus scheint natürlich, der andere übernatürlich; der eine scheint menschlich verständlich, der andere scheint den Menschenverstand zu übersteigen.

 

Der Ausdruck “Geist” ist in der Psychologie in seiner Bedeutung breiter als in der Bibel.

Was die Psychologen unter “Geist” oder “Herz” verstehen, schließt zwei Teile ein: Bewußtsein und Unterbewußtsein. Das Unterbewußtsein ist das, was wir den wundersamen Teil der Seele nennen. Obwohl die Psychologen den Unterschied zwischen Bewußtsein und Unterbewußtsein treffen, können sie sie kaum unterscheiden. Sie können nur die mehr allgemeinen psychischen Manifestationen als zur ersten Gruppe gehörend klassifizieren ‑der des Bewußtseins ‑, währenddem sie die außergewöhnlichen oder wundersamen Manifestationen unter die zweite Gruppe stellen ‑ die des Unterbewußtseins. Gewöhnlicherweise schließen wir diese allgemeinen Manifestationen in den Wirkungsbereich der Seele ein, nicht wissend, daß die seltsamen und wundersamen Manifestationen auch von der Seele sind, obwohl diese mehr im Bereich des Unterbewußtseins sind. Weil die verborgene Kraft in den individuellen Seelen verschiedene Grade hat, zeigen einige Menschen Phänomene mehr innerhalb des ersten Typus; andere mehr innerhalb des zweiten Typus.

Alle, die dem Herrn dienen wollen, sollten diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit schenken, sonst werden sie von wundersa­men Kräften weggetragen werden, während sie versuchen, andern Leuten zu helfen. Laßt mich den Unterschied zwischen Seele und Geist wiederholen: Die gefallene Seele Adams gehört zur alten Schöpfung, aber der wiederbelebte Geist ist die neue Schöpfung. Gott wirkt mit dem Geist des Menschen, denn das ist sein wiedergeschaffenes Leben, seine Neuschöpfung. Satan, auf der andern Seite, wirkt mit der Seele des Menschen ‑ mit der gefallenen Seele in Adam. Er kann nur die alte Schöpfung gebrauchen, weil das wiedergeschaffene Leben in der Neuschöpfung nicht sündigt.

 

Was Satan heute in der Gemeinde tut

Wie arbeitet Satan mit der Seele des Menschen, und wie wirkt er durch seine verborgene psychische Kraft? Wir haben schon viele Beispiele gegeben im Buddhismus, Taoismus, Christentum, Parapsychologie usw. Wir wollen noch mit einigen Beispielen illustrieren, wie Satan die menschliche Seele in geistlichen Angelegenheiten braucht. Das wird den Christen zu unterscheiden helfen, was von Gott und was vom Feind ist, und auch zu erkennen, wie Gott den Geist des Menschen gebraucht, während der Teufel die Seele des Menschen gebraucht.

 

Gebet

Die Gebete in der Bibel sind intelligent und nicht blöd. Wenn der Herr Jesus uns das Beten lehrt, sind seine ersten Worte: “Unser Vater, der du bist im Himmel.” Er lehrt uns zu unserem Vater im Himmel zu beten, aber wir Christen beten oft zum Gott in unserem Zimmer. Unser Gebet sollte zum himmlischen Vater gesandt werden, damit er hört. Gott will, daß wir im Glauben unsere Gebete zum Himmel hochsteigen lassen, ungeachtet, ob unsere Gefühle gut oder schlecht sind, oder ob sogar kein Gefühl da ist. Wenn du zum Gott in deinem Zimmer betest und von ihm erwartest erhört zu werden, dann fürchte ich, daß du von deinem Gott in deinem Zimmer viele seltsame Gefühle und wundersame Erlebnisse und Visionen erhalten wirst. Diese werden dir von Satan gegeben. Was du auch immer von Satan empfängst, gehört entweder zum Bewußtsein oder zum Unterbewußtsein.

Jemand betet vielleicht nicht zum Gott in seinem Zimmer. Er sendet seine Gebete gegen die Person, für die er betet. Das ist äußerst gefährlich. Angenommen, du hast einen Freund, der mehr als dreitausend Kilometer von dir entfernt ist. Du betest für ihn und bittest Gott gesetztenfalls, daß er entweder im Wort neu belebt werde oder daß Gott ihn retten möge. Und anstatt deine Gebete gegen Gott zu senden, konzentrierst du deine Gedanken, deine Erwartungen und dein Wünschen auf deinen Freund und sendest diese als eine Kraft gegen ihn. Dein Gebet ist wie ein Bogen, der deine Gedanken, dein Empfinden und dein Wünschen wie einen Pfeil auf deinen Freund schießt. Er wird bald so bedrückt sein durch diese Kraft, daß ei das tun wird, worum du gebittet hast. Du magst denken, dein Gebet sei erhört. Aber laß es dir gesagt sein, es ist nicht Gott, der dein Gebet erhört hat, denn du hast nicht zu ihm gebetet. Es ist nur die Gebetserhörung, eines Gebetes, das du auf deinen Freund gerichtet hast.

Jemand mag behaupten, sein Gebet sei er. hört, weil “ich meine Gebete auf meiner Freund aufgehäuft habe”, sagt er. Tatsächlich, denn du hast gegen ihn gebetet und nicht zu Gott. Dein Gebet ist erhört, aber nicht vor Gott. Auch wenn du Hypnose nicht kennst, das was du im Geheimen getan hast, hat das Gesetz der Hypnose erfüllt. Du hast deine psychische Kraft freigelassen, um diese Tat zu vollziehen.

Warum ist das so? Weil wir nicht zu Gott im Himmel gebetet haben. Anstatt dessen wurden deine Gebete gegen die Person, für die du gebetet hast, projiziert, auf ihn gelegt und um ihn gelagert. Du scheinst zu beten, aber in der Tat hast du diese Person mit deiner psychischen Kraft bedrückt. Wenn du deine Seelenkraft brauchst, um für jemand Bestimmten zu beten ‑angenommen du betest, er möge gerügt, wenn nicht gestraft werden ‑, das Gebet deiner Seelenkraf t wird auf ihn losschießen, und er wird folglich krank werden. Das ist ein feststehendes Prinzip der Seele. Diese Tatsache steht so fest wie die, daß jemand seine Hände verbrennen wird, wenn er sie ins Feuer hält.

Aus diesem Grund sollen wir kein Gebet sprechen, daß jemand bestraft werde, wenn er nicht tut, was von ihm erwartet wird. Denn ein solches Gebet wird zur Ursache haben, daß jener leidet; damit veranlaßt der Beter Leid. Wenn wir beten, sollten wir zu Gott beten und nicht gegen Menschen. Ich persönlich habe die bösartigen Auswirkun­gen solchen Gebets erfahren. Vor mehreren Jahren war ich über ein Jahr lang krank. Die Ursache davon waren die Gebete von fünf oder sechs Personen, die auf mich aufgestockt wurden. je mehr sie beteten, desto schwächer wurde ich. Schlußendlich entdeckte ich dann die Ursache. Ich begann, solchen Gebeten zu widerstehen und bat Gott, mich von dem, was sie beteten, zu befreien. So wurde ich wieder gesund. Laßt mich in diesem Zusammenhang einen Brief zitieren, den ein Gläubiger schrieb: »Ich bin gerade einem schrecklichen Angriff des Feindes entkommen. Hämorrhoiden, Herzschwäche, Keuchen und Erschöpfung. Mein ganzer Körper ist in einem Zustand des Zusammenbruchs. Im Gebet kam es mir plötzlich in den Sinn, gegen all diese psychische Kraft zu beten, die an mir betätigt wurde durch (psychisches) ,Gebet’. Im Glauben an die Macht des Blutes Christi, schnitt ich mich selbst von dieser Kraft ab, und das Resultat war bemerkenswert. Sofort wurde meine Atmung normal, die Hämorrhoiden hörten auf, die Erschöpfung verschwand, aller Schmerz floh, und Leben kam zurück in meinen Körper. Seither bin ich erfrischt und neu gestärkt worden. Gott ließ mich als Bestätigung nach dieser Befreiung wissen, daß mein Zustand das Resultat einer Gruppe verführter Seelen war, die mir widersteht und die wegen mir beteten! Gott hatte mich gebraucht, um zwei von ihnen zu befreien, aber der Rest ist noch in einem schrecklichen Loch … «

 

Kraft für den Dienst

jemand, der im Herrn erfahren ist und an einer erwecklichen Versammlung dabei ist, kann sofort sagen, ob der Redner geistliche oder seelische Kraft gebraucht. Einmal sagte mir ein Freund, wie kraftvoll ein bestimmter Prediger war. Ich hatte nie zuvor diesen Prediger getroffen, daher wagte ich kein Urteil. Aber ich schrieb auf einen Notizblock ein paar Wörter und gab sie meinem Freund. Ich schrieb: “Voll von Kraft, aber welcher Kraft?” Dieser Freund war im Herrn noch nicht so weit voran wie seine Frau. Er verstand nicht, was ich geschrieben hatte. Er wandte sich also an seine Frau, um sie zu fragen. Nachdem sie die Notiz gelesen hatte, gab sie lachend zu: “Das ist tatsächlich ein echtes Problem. Mit welcher Kraft ist der Prediger erfüllt?” Einmal bemerkte ein Bru­der unter uns, daß man nicht daran, wie stark einer auf den Pult klopft, ermessen könne, ob jemand mit Kraft erfüllt sei oder nicht. Wir müssen in einer Versammlung unterscheiden können, ob die Kraft einer Person psychisch oder geistlich ist.

Wir können diese Kraft von zwei Richtungen beurteilen: vom Prediger selbst und vom Publikum. Wenn ein Prediger sich auf vergangene Erfahrung verläßt ‑ bei der Leute durch seine Botschaft Buße taten ‑ und darauf gestützt entscheidet, ob er die Botschaft ein zweites Mal halten solle und die gleichen Resultate erwartet, dann arbeitet er zweifelsohne mit psychischer Kraft. Oder wenn er versucht, die Leute zu erregen, indem er viele Geschichten von Buße erzählt, ist er wiederum mit der psychischen Kraft am Werk. Auf der andern Seite, wenn die Haltung des Predigers gleich ist wie die von Evan Robers, Gottes Gefäß an der Erweckung in Wales im Jahre 1904/5, dann wird seine Seelenkraft verleugnet werden. Denn dieser Diener Gottes bat den Herrn, ihn zu beugen, seine Seelenkraft zu binden, sein Ich zu zügeln und alles zu blockieren, was aus ihm herauskam. Wer dient, sollte den Unterschied zwischen diesen zwei Kräften kennen. Er sollte fähig sein zu unterscheiden, was durch seine Seelenkraft und was durch Gottes Kraft gewirkt wird.

Das Werk des Heiligen Geistes ist dreifach: 1. uns zu regenerieren, 2. in uns zu wohnen, auf daß wir die Frucht des Geistes hervorbringen, und 3. auf uns zu kommen, damit wir die Kraft zum Zeugen haben.

Wenn immer die Bibel von der Kraft des Heiligen Geistes spricht, deutet sie ohne Unterschied auf Arbeit oder auf Zeugen hin. Das bezieht sich auf den Heiligen Geist, wie er auf uns kommt nicht auf sein Wirken in uns. Es ist klar, daß die Kraft des Heiligen Geistes für Arbeit ist; das Innewohnen für Frucht. Die Kraft des Heiligen Geistes wird im Originaltext immer mit “herabkommen” oder “auf jemand kommen” umschrieben. Der fruchttragende Aspekt des Heiligen Geistes jedoch wird als “innewohnend” bezeichnet.

Warum heißt es von der befähigenden Kraft des Heiligen Geistes, sie sei auf uns? Weil das Befähigen, das der Heilige Geist uns gibt, außerhalb von uns ist. Wir können dessen nicht sicher sein. Wenn dich darum bei einem Treffen Leute fragen, ob du zuversichtlich in bezug auf diese Versammlung seiest ‑ die Zuversicht, daß Leute gerettet werden ‑, dann wirst du zugeben müssen, daß du überhaupt keine Zusicherung hast. Denn diese Kraft ist außerhalb von dir. Die Kraft des Heiligen Geistes ist außerhalb unserer Kontrolle. Aber wenn es Seelenkraft ist, kannst du ihrer sicher sein. Du weißt, daß deine Botschaft im Publikum Tränen der Buße wirkt. Was dynamische Kraft genannt wird, ist nur Kraft der Seele. Einmal fühlte ich mich kraftlos. Obwohl andere Leute mir sagten, ich sei zufriedenstellend, fühlte ich mich eher schwach. Ich ging also zu einer älteren, erfahrenen Schwester, Margaret E. Barber. Ich sagte ihr‑ “Deine Kraft ist groß, warum habe ich keine Kraft?” Wir kannten einander gut, und sie hatte mir oft in geistlichen Angelegenheiten weitergeholfen. Sie sah mich ernst an und fragte: “Welche Kraft willst du ‑ die du fühlen kannst oder die du nicht fühlen kannst?” Sobald ich gehört hatte, verstand ich. Daher antwortete ich: “Ich will, was ich mit fühlen kann.” Da antwortete sie: “Du mußt daran denken, daß Leute die Kraft nicht zu fühlen brauchen, die vom Heiligen Geist kommt. Die Pflicht des Menschen ist es, Gott zu gehorchen. Denn die Kraft des Heiligen Geistes ist dem Menschen nicht gegeben, um zu fühlen.” (“Spüren im Geist” ist eine andere Sache.) Meine Pflicht ist, Gott zu bitten, meine Seelenkraft, d. h. meine eigene Kraft, zu binden. Ich muß Gott bedingungslos gehorchen, den Rest überlasse ich ihm.

Wenn wir mit Seelenkraft arbeiten, können wir sie genauso fühlen, wie die Hypnotiseure, die genau wissen, was für Resultate sie erreichen werden. Sie wissen alles vom ersten bis zum letzten Schritt. Die Gefahr des Rednerpults liegt darin, daß viele Prediger nicht wissen, daß sie ihre eigene seelische Kraft brauchen. Sie meinen Kraft zu haben; aber sie wenden nur ihre psychologische Kraft an, um Menschen zu gewinnen.

Jemand sagte, daß Prediger Experten geworden sind in der Anwendung von Psychologie, um Leute zu manipulieren. Ich weise solche Manipulation energisch zurück. Obwohl wir wissen, wie wir Menschen mit psychischen Mitteln anziehen können, sollten wir es bewußt ablehnen, irgendwelche psychischen Kräfte zu gebrauchen. Ich arbeitete einmal in Shantung. Professor A. dort sagte zu seinem Kollegen B.: “Diese Prediger arbeiten mit Emotionen.” An jenem Nachmittag, als ich zu den Gläubigen sprach, sagte ich ihnen, wie unverläßlich und nutzlos Emotionen seien. Der Professor B. war auch dabei. Nachdem er mich gehört hatte, sagte er, es sei schade, daß Professor A. abwesend sei.

Erinnern wir uns doch daran, daß alle Werke, die durch Emotionen getan werden, fraglich und flüchtig sind. In der Arbeit, die durch die Kraft des Heiligen Geistes getan wird, braucht der Mensch seine eigene Kraft nicht aufzuwenden, noch braucht er etwas aus sich selbst zu tun. Wenn eine Arbeit mit seelischen Mitteln getan wird, muß man viel Energie und zahlreiche Methoden anwenden, z. B. weinen, brüllen, springen, unablässiges Singen von Chorussen, Erzählen von mehreren rührenden Geschichten (ich sage nicht, daß Lieder und Geschichten nicht gebraucht werden sollten; nur muß alles innerhalb des gebührlichen Rahmens geschehen). Denn solche Methoden dienen keinem anderen Zweck als dem, das Publikum zu erregen.

Wir alle wissen, daß gewisse Individuen magnetische Anziehungskraft haben. Obwohl sie nicht schöner oder redegewandter als andere sind, ziehen sie trotzdem Leute an sich. Oft haben Freunde zu mir gesagt: “Du hast großen Einfluß auf Soundso, warum ziehst du ihn nicht zu uns in die Versammlung?” Dem antworte ich: “Das ist nutzlos.” Denn das ist nur natürlich; es ist ganz und gar nicht geistlich. Viele halten das Christentum fälschlicherweise für eine Art psychisches Phänomen, als ob es zum Gebiet der Psychologie gehörte. Wir können sie wirklich nicht beschuldigen, denn wir Gläubigen machen oft den entsprechenden Fehler. Wenn nicht die Kraft Gottes deine Eltern oder deine Kinder zieht, dann wird deine natürliche Anziehungskraft ‑ wie groß sie auch sei ‑ nutzlos sein. Auch wenn du jemand mit deiner dynamischen Kraft anziehen könntest, was ‑ wenn überhaupt etwas ‑ wäre gewonnen?

 

Friede und Freude

Welches ist das höchste erreichbare Ziel im Christentum? Das der totalen Vereinigung mit Gott und des totalen Verlustes des Ichs. In der modernen Psychologie gibt es auch eine sogenannte Vereinigung des Menschen mit dem unsichtbaren “Geist” oder “Sinn”, welche einen Verlust der Identität verursacht. Das scheint dem Christentum verwandt zu sein, obwohl diese zwei Wirklichkeiten weit voneinander entfernt sind. Der populäre Dr. Frank Buchman (Oxford Gruppenbewegung) hat diese Art der Psychologie vertreten. Eine seiner Lehren bezieht sich auf Meditation. Er sagte, Meditation wäre alles, das für den Austausch zwischen Mensch und Gott nötig sei. Er lehrte nicht, daß die Leute früh am Morgen die Bibel lesen, sondern daß sie nur meditieren und dann beten sollen. Der erste Gedanke, der nach dem Gebet komme, sagte er, ist der Gedanke, der dir von Gott gegeben wurde. Und dann mußt du den Tag hindurch diesen Gedanken gemäß leben. Das ist nur eine andere Art des stillen Sitzens oder der abstrakten Meditation. Was ist die Auswirkung solcher Meditation? Es wird dir gesagt, daß es dich äußerst friedlich und freudig stimmt. Wenn du deine Gedanken auf irgend etwas für vielleicht eine Stunde richtest, dann wirst auch du das erhalten, was Friede und Freude genannt wird. Auch wenn du eine Stunde mit gar keinem Gedanken abstrakt meditierst, wird es trotzdem nicht fehlschlagen, und du wirst diesen sogenannten Frieden und die Freude bekommen.

Die Meditation vieler Leute ist nichts anderes als eine Art psychischer Betätigung. Nicht so der Christenglaube. Wir müssen nicht über Gott meditieren, denn wir haben schon Gottes Leben. Wir können ihn in unserer Schöpfung erkennen, ungeachtet unserer Ge­fühle. Wir haben in uns eine intuitive Führung zur Erkenntnis Gottes. Dazu haben wir das Wort Gottes. Was immer sein Wort sagt, glauben wir. Wenn wir Glauben haben, können wir das Gefühl mißachten. Hierin liegen die Unterschiede zwischen christlichem Glauben und Psychologie.

 

Wunder

Laßt uns die Wunder ansehen. Ich persönlich bin nicht gegen diese eingestellt. Ich habe mit meinen Augen Fälle sofortiger göttlicher Heilung gesehen. Einige Leute bekennen, sie können Krankheiten heilen. Wir sind nicht gegen Heilung, aber wir richten uns gegen falsche Arten der Heilung. Einige fragen mich, ob ich gegen das Zungenreden sei. Sicher nicht, obwohl ich Zungen in Frage stelle, die durch falsche Mittel erhalten wurden. Was Visionen und Träume anbelangt, ich habe auch großes Licht gesehen. Wir geben zu, daß in der Bibel solche Dinge sind. Aber ich stelle mich gegen Visionen und Träume, die durch unbotmäßige Mittel erlangt werden. Die Bibel spricht von Hände auflegen und salben mit Öl. Einige jedoch, indem sie die Hände auf jemandes Haupt legen, reiben stark das Hinterteil des Gehirns der betreff enden Person oder ihren Nacken und fragen beständig, wie sie sich fühlt. Natürlich, wenn man massiert wird, spürt man Wärme. Das ist ein so niedriger Trick, daß sogar Hypnotiseure sich weigern, ihn anzuwenden. Wir wissen, daß am hintern Teil des Gehirns ein Nerv liegt, der sich bis zur Wirbelsäule ausdehnt. Der “Masseur” weiß vielleicht nicht. daß das eine Art Hypnose ist. Und jener, der massiert wird, fühlt vielleicht einen warmen Strom durch seine Wirbelsäule fließen und mag sogar geheilt werden. Das ist jedoch nichts anderes als die Manifestation der verborgenen, seelischen Kraft des Menschen. Obwohl er gesund wird, kann ich das nicht als göttliche Heilung anerkennen.

 

Geistestaufe

Kommen wir noch auf die Taufe im Heiligen Geist zu sprechen. Ich bin nicht einverstanden, wenn man viele Leute für mehrere Tage in ein kleines Zimmer einschließt, um zu f asten, zu beten und Chorusse zu singen. Wenn man so etwas tut, wird es nicht lange dauern bis ihre Gehirne betäubt sind, ihr Wille passiv ist und ihre Lippen seltsame und unzusammenhängende Laute oder Zungen her­vorbringen. Auf diese Art wird ihre verborgene Kraft freigelegt werden.
In einer Versammlung, in welcher man die Geistestaufe sucht, werden die Leute beständig, tausendmal Halleluja brüllen. In Wirklichkeit wird ihr Gehirn stumpf, ihr Geist gelähmt, und sie sehen Visionen. Wie kannst du dies als Geistestaufe ansehen? Es ist nichts als eine Seelentaufe. Was sie empfangen, ist nicht die Kraft des Heiligen Geistes, sondern Seelenkraft, die Manifestation der verborgenen Kraft der Seele. Sie kommt durch menschliche Übung, nicht als Gabe von Gott. Es gibt immer noch Leute, die andere auf diese Art belehren. Sie lehren nicht Gottes Anweisungen, sondern geben ihre eigenen Erfahrungen weiter.

Nun mögen einige fragen: “So gibt es also keine echten Wunder?” Natürlich gibt es solche. Wir danken Gott für all die Wunder, die von ihm kommen. Nichtsdestotrotz müssen wir wissen, daß ein Wunder, das nicht von Gott kommt, durch die psychische Kraft des Menschen vollbracht wurde. Als ich in Shantung war, hörte ich von einer seit mehreren Jahren gelähmten Frau, daß sie völlig geheilt wurde. Wenn diese Heilung wirklich von Gott wäre, würde ich ihm dafür danken.

 

Das Erkennen der psychischen Kraft

Mrs. Mary Baker‑Eddy, die Gründerin der Sekte der Christlichen Wissenschaft, leugnete, daß es Tod, Krankheit und Schmerz gibt. Trotzdem starb sie. Aber die Sekte der Christlichen Wissenschaft überlebte sie und geht noch voran. Sie sind immer noch der Auffassung, daß eine kranke Person, die nicht an ihre Krankheit glaubt, keinen Schmerz spüren wird; und wenn ein Sterbender nicht an seinen Tod glaubt, er nicht sterben wird. Als Konsequenz werden viele Leute geheilt. Ihre Befürworter versuchen nur, die seelische Kraft des Menschen zu stärken, um physische Schäden zu lindern. Durch das Freilegen der verborgenen Kraft des Menschen, werden körperliche Schwachheiten überwunden.

Wegen der Entwicklung der verborgenen Kraft der Seele nehmen Wunder heutzutage zu. Von diesen Wundern sind viele äußerst übernatürlich und wundersam. jedoch alle diese sind nur die Manifestation der verborgenen Kraft der Seele. Obwohl ich kein Prophet bin, habe ich viele Bücher über Prophetie gelesen. Daraus lerne ich, daß die verborgene Kraft der Seele größere Manifesta­tionen haben wird. Denn in den letzten Tagen wird der Feind die seelische Kraft des Menschen ergreifen, um sein Werk zu erfüllen. Wenn es ihm gelingt, diese Kraft zu beschlagnahmen, wird er in der Lage sein, große Wunder zu tun.

Es gibt zwei Gruppen von Menschen, die extreme Stellungen einnehmen. Eine Gruppe besteht darauf, daß es keine Wunder gibt. Wenn sie von Wundern hören, so wie göttliche Heilung, weigern sie sich, hinzuhören. Eine andere Gruppe betont diese Wunder so sehr, daß es ihnen gleich ist, aus welcher Quelle diese Wunder kommen ‑ von Gott oder vom Feind. Heute sollten wir vorsichtig sein, zu keinem der beiden Extreme zu neigen. jedesmal, wenn wir ein Wunder sehen oder von einem solchen hören, müssen wir uns fragen, ob es das Handeln Gottes oder des Feindes ist. Ist es durch den Heiligen Geist Gottes bewirkt oder durch das Gesetz menschlicher Psychologie? Heute müssen wir unsere Fähigkeiten ‑ solche wie die des Verstandes, des Willens und des Gefühls ‑ gebrauchen, um Dinge zu tun; wir sollten aber nicht die verborgene Kraft, die in uns ist, zum Ausdruck bringen. Der Verstand, das Gefühl und der Wille sind die seelischen Organe des Menschen, um die er nicht herumkommt, sie zu gebrauchen. Und wenn der Mensch sie nicht gebraucht, wird der böse Geist ihren Gebrauch übernehmen. Aber wenn der Mensch es wünscht, seine verborgene Kraft, die hinter diesen Fähigkeiten steckt, zu gebrauchen, wird der böse Geist versuchen, ihm alle Arten von Lügenwundern zu geben. Alle Werke, die durch die Seele und dessen psychisches Gesetz getan werden, sind Fälschungen. Nur was durch die Kraft des Heiligen Geistes geschieht, ist echt. Der Heilige Geist hat sein eigenes Gesetz des Wirkens. Denn es heißt in Römer 8, 2: “Das Gesetz des Geistes ist Leben.” Dank sei Gott, der Heilige Geist ist echt, und das Gesetz des Heiligen Geistes ist tatsächlich. Wunder, die gemäß dem Gesetz des Heiligen Geistes getan werden, kommen von Gott.

Es ist sehr schwierig für einen Moslem an Jesus Christus zu glauben. Daher gibt es verhältnismäßig wenige, die Christen werden. Nun, wie beten die Moslems? Fünfmal am Tag tun sie das in der Moschee. Sie sagen, wenn etwas geschehen muß, braucht es die Gebete von Zehntausenden von Menschen gleichzeitig. “Betrachte nur die große Menge der Mohammedaner in der Lumna Moschee in Delhi beim Gebet”, schreibt Mrs. Penn‑Lewis, “wobei viele Tausende der Nachfolger Mohammeds innerhalb der Moschee im Gebet versammelt sind, und eine noch größere Menge draußen.” Wofür beten sie? Einstimmig schrieen sie, daß sie die Türkei wiederbelebt und von der weißen Rasse befreit wünschten. Ihre seelische Kraft errang den Sieg. “Es genügt”, fährt Mrs. Penn‑Lewis fort, “auf die Revision des Abkommens von Sevres hinzuweisen, unter welcher vieles, was der Türkei verlorengegangen war, zurückgegeben werden mußte. Einen größeren Triumph einer östlichen Nation über alle westlichen Nationen zusammen kann man sich nicht vorstellen. Die Erklärung, die gegeben und von Millionen von Indern geglaubt wird, ist im Wort Seelenkraft ausgedrückt.”

Leider werden die Gebete vieler Christen nicht von Gott beantwortet, sondern erreichen ihr Ziel durch Projektion der verborgenen Kraft der Seele. Sie arbeiten in ganz ähnlicher Art wie Moslems.

Laßt uns die Kräfte ansehen, die im Hinduismus zum Ausdruck kommen. Einige Hindus können über Feuer gehen, ohne verbrannt zu werden. Und das ist kein Betrug. Sie marschieren auf Feuer, und nicht nur einige Schritte, sondern entlang eines langen Laufs, indem sie mit ihren Füßen auf rotglühende Eisen treten; und doch verletzen sie sich nicht. Einige können auf Beton liegen mit Nägeln, deren Spitzen aufwärts zeigen. Natürliche Menschen, die von ihnen als Anfänger angesehen werden, können solche Dinge nicht ertragen, spüren Schmerzen und verletzen sich. Auch das ist eine Angelegenheit der Entwicklung psychischer Kraft. Wie katastrophal ist es doch für Gläubige, daß sie Wunder mit derselben Kraft wie die Hindus vollbringen!

In Versammlungen spüren Christen sehr oft eine Art Kraft, die sie drückt, oder manchmal beim Gebet oder Bibellesen fühlen sie sich bedrückt ohne Ursache. All das kommt von Satan, der seelische Kräfte benützt, um uns niederzuschlagen oder anzufallen. Erfahrene Christen in der ganzen Welt sind sich der schweren Angriffe des Feindes am Ende dieses Zeitalters bewußt. Da die ganze Atmosphäre der Welt mit seelischer Kraft sehr geladen zu sein scheint, müssen wir uns unter das kostbare Blut des Herrn verbergen und dadurch gedeckt werden.

Wenn wir eine Predigt in einer großen Kathedrale hören, können wir fast sofort spüren, ob Seelenkraft am Wirken ist ‑ ob irgend etwas da ist, das dich anzustacheln scheint. Obwohl der Prediger ankündigen mag, daß einige Leute Buße getan haben und gerettet worden sind, mußt du bedenken, was die Konsequenz für jene Geretteten sein wird. Denn hier ist eine Mischung von ungebührlicher Kraft mit in der Arbeit gewesen. Wenn die Kraft von Gott gekommen ist welche immer aus Gottes Geist ist ‑, hättest du dich leicht und klar gefühlt. Aber psychische Kraft, wie sie vom Feind gebraucht wird, wird immer durch große Menge aufgebracht. Mögen wir fähig sein, den Unterschied zu erkennen, damit nicht auch wir verführt werden!

Die Zeit ist jetzt gekommen. Satan peitscht alle seine Energien auf und gebraucht alle Mittel, um die verborgene Kraft der Seele in religiösen Mentalwissenschaftlern und sogar in Christen zu erregen. Das ist die heutige Situation. Wir sollten den Herrn bitten, uns Licht zur Unterscheidung zu geben.

Kapitel 3  Geistliche Kraft gegen Seelenkraft

Wir werden mit diesem wichtigen Thema der verborgenen Kraft der Seele weiterfahren. Wir haben gesehen, was psychische Kraft tun kann, und wir haben gehört, wie wir zwischen den Dingen Gottes und den Dingen, die nicht von Gott sind, unterscheiden können. Am Ende dieses Zeitalters werden viele Wunder, Zeichen und übernatürliche Tricks auftreten. Werden diese alle von Gott vollbracht oder durch die Wirksamkeit einer anderen Kraft? Wir müssen wissen, wie man das Geistliche vom Seelischen unterscheidet. Wir werden jetzt noch weiter ausführen, wie die Seelenkraft wirkt; d. h. welches ihre Wirkungsmethoden sind. Solches Wissen wird uns noch weiterhelfen, zu erkennen, was von Gott und was nicht von Gott ist.

 

Prophezeiungen in der Bibel

Zuerst laßt uns in der Schrift sehen, welches die Zeichen des Endes dieses Zeitalters sind u n d vor der nahen Wiederkunft des Herrn.

“Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und werden große Zeichen und Wunder tun, um so, wenn möglich, auch die Auserwählten zu verführen” (Matth. 24, 24).

“Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Parder und seine Füße wie die eines Bären und sein Maul wie eines Löwen Maul. Und der Drache gab ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt. Und ich sah einen seiner Köpfe, wie zum Tode geschlachtet, und seine Todeswunde wurde geheilt. Und die ganze Erde verwunderte sich über das Tier, und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tiere die Gewalt gab … und es wurde ihm Gewalt gegeben, 42 Monate zu wirken … und die ganze Gewalt des ersten Tieres übte es vor ihm aus. Und es macht, daß die Erde und die auf ihr wohnen, das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt wurde. Und es tut große Zeichen, daß es selbst Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen läßt, vor den Menschen” (Offb. 13, 2‑5, 12‑13).

“Und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Ankunft; ihn, dessen Ankunft nach der Wirksamkeit des Satans ist in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit, denen die verlorengehen; daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, daß sie errettet würden” (2. Thess. 2, 8‑10).

Bevor wir diese Abschnitte erklären, beachten Sie bitte, daß in 2. Thessalonicher 2, 9 steht­ “Wunder der Lüge” ‑ Wunder werden tatsächlich vollbracht, aber mit dem Ziel, Menschen zu verführen. Diese Phänomene sind nicht Einbildungen sondern Tatsachen. Nur, ihr Motiv ist, zu betrügen.

Alle drei Abschnitte, die wir soeben gelesen haben, weisen auf eine Sache hin: Dies sind Dinge, die sich während der großen Trüb­sal ereignen werden. Und doch scheinen zweifelsohne schon vor der Zeit der großen Trübsal einige dieser Ereignisse zu geschehen. Das ist in Übereinstimmung mit einer ziemlich offensichtlichen Regel in der Bibel ‑ daß vor der Erfüllung einer Prophezeiung möglicherweise schon etwas Ähnliches geschieht, als ein Vorzeichen seiner endgültigen Erfüllung. Aus diesem Grund stimmen alle Experten der Prophetie darin überein, Dinge, die während der großen Trübsal geschehen werden, jetzt schon vorkommen, eines nach dem andern, nur nicht so intensiv, wie es in den kommenden Tagen sein wird.

Die Bibelstellen, die wir oben zitiert haben, zeigen uns schon die Hauptmerkmale der großen Trübsalszeit. Während jener Zeit werden große Zeichen und Wunder geschehen. Vor dem Kommen des Herrn wird der Antichrist an etwas ganz besonders interessiert sein: am Vollbringen von Zeichen und Wundern. Es ist allgemein bekannt, daß bevor eine Person ankommt, zuerst sein Schatten gesehen und seine Stimme gehört wird. Genauso wird vor der Ankunft der großen Trübsal der Schatten und die Stimme der Zeichen und Wunder der Trübsal schon da sein. Da Zeichen und Wunder äußerst üblich sein werden in der großen Trübsal, müssen diese in unseren Tagen zunehmen.

Eine persönliche Bemerkung

Bevor wir weiterfahren, möchte ich eine Bemerkung anbringen. Persönlich bin ich nicht gegen Wunder. Viele sind in der Bibel auf gezeichnet und sind sehr wertvoll und wichtig. Ich habe bereits betont, daß ein Gläubiger auf vielen Gebieten wachsen muß. Laßt mich dies wiederholen. Erstens, nachdem jemand gerettet wurde, sollte er die rechte Erkenntnis der Bibel erforschen. Zweitens, er sollte den Wunsch haben, Fortschritte im geistlidien Leben zu machen, so wie Sieg, Heiligkeit, vollkommene Liebe usw. Das ist sehr wichtig. Drittens, er sollte brennend sein im Seelengewinnen. Viertens, er sollte Gott mit solcher Einfältigkeit des Glaubens vertrauen, daß er von Gott gewirkte Wunder sehen k‑ ann.

Die Gemeinde heute hat viele Fehler. Manche Gläubige interessieren sich für nichts anderes als für Schriftauslegung. Ihr Wissen ist hervorragend, aber sie sind nicht um das Wachstum in ihrem geistlichen Leben besorgt. Einige gehen vielleicht einen Schritt ~veiter und suchen das höhere Leben und die tieferen Dinge Gottes, veritachlässigen dabei jedoch die andern drei Aspekte. Andere wiederum haben Eifer, aber kein Wissen. jedes einseitige Bestreben ist ungesund. Ist es nicht verwunderlich, daß es in der Gemeinde heute nicht an solchen mangelt, die entweder wörtliche oder geistliche Schriftauslegung suchen oder die nach tieferem und reiferem Leben streben oder brennend Seelen gewinnen, aber daß es so wenige gibt, die Gott mit einem lebendigen Glauben wirklich vertrauen, etwas von ihm zu erhalten?

Jeder Gläubige sollte nach einem gleichmäßigen Wachstum dieser vier Aspekte streben, so daß es keine unausgewogene Situation gibt. Wunder lehne ich daher nicht ab. Im Gegenteil, ich werte sie sehr hoch. Trotzdem oder gerade deshalb rufe ich zur Unterscheidung auf, denn so viele falsche Wunder und Lügenzeichen geschehen. Wenn ich von diesen Fälschungen sprach, leugne ich nicht im geringsten die echten Wunder.

Wir haben zu beachten, daß die Werke Gottes mit dem Heiligen Geist in Zusammenarbeit mit unserem Geist getan werden. Sie werden nie durch die Menschenseele ausgeführt. Es ist nur Satan, der die Kraft der menschlichen Seele braucht ‑ diese psychische Kraft, die jetzt wegen dem Fall durch das Fleisch des Menschen verborgen liegt. Daher wird Satan in den letzten Tagen unvermeidlich einen Antichristen auf die Füße stellen, dem er alle seine eigene Kraft und Autorität geben wird, denn er wird sich auf die verborgene Kraft der menschlichen Seele verlassen müssen.

Ich werde jetzt einige Beispiele anführen, die uns helfen sollen zu verstehen, wie gewisse Phänomene nicht geistlicher Kraft, sondern nur Manifestationen verborgener Seelenkraft sind. Da wir schon den wunderwirkenden Teil der Seelenkraft behandelt haben, werden wir uns jetzt auf den nicht‑wunderwirkenden Teil konzentrieren.

 

Beispiel 1 ‑ Persönliche Evangelisation

Genauso wie unsere persönlichen psychologischen Zustände von Person zu Person verschieden sind, so sind auch die Seelenkräfte verschieden. Einige Leute haben eine stärkere Psyche; manchmal können sie die Geianken anderer lesen. Einer mag denken, iaß um die treffenderen Worte für jemanden zu finden, er zuerst die Gedanken des Betreffenden kennen muß. Das ist die natürliche Art zu erkennen, und diese sollte abgewiesen werden. Verzeiht mir, wenn ich diesen Punkt mit einer persönlichen Erfahrung illustriere. In meinem Kontakt mit den Menschen kann ich leicht die Gedanken des anderen nach einem nur kurzen Austausch von Worten erkennen. Ich weiß sie einfach, ohne besonderen Grund. Als ich anfing, dem Herrn zu dienen, dachte ich, daß solche natürliche Wahrnehmung der Gedanken des andern sehr hilfreich für die Arbeit sei. Aber als ich es besser verstand, wagte ich nicht mehr, meine natürliche Fähigkeit zu gebrauchen. jedesmal, wenn jetzt eine solche Situation entsteht, widerstehe ich ihr sogleich im Gebet. Wenn man mit Menschen spricht, ist es nicht wichtig zu wissen, was sie denken. Zudem ist es auch nichtig; was immer durch die Seele und deren Kraft geschieht, wird in der Niedrigkeit enden. Wenn ein Werk aus psychischer Kraft getan wird, wird es das Leben eines andern nicht erbauen ‑ wenn er auch bekennen mag, daß ihm geholfen wurde, denn keine wahre Hilfe wurde in die Tiefe seines Seins gelegt. Wenn eine Person zu uns kommt, müssen wir Gott bitten, er möge uns den richtigen Weg zur Hilfe zeigen, da wir nicht wissen, was der Mensch denkt und in welchem seelischen und geistlichen Zustand er steht. Wir sind äußerst abhängig von Gott und legen uns selbst ihm hin, um von ihm die rechte Hilfe zu empfangen.

 

Beispiel 2 ‑ Erweckungsversammlung

Ich bin erstaunt, wie viele Prediger mir folgendes Problem schildern: Wenn sie in einen Versammlungsraum gehen und sehen, daß de Lichter trüb sind, nur wenige Zuhörer da­ sitzen und viele Stühle leer bleiben, sie dann ihre Kraft verlieren, wenn sie zum Predigen aufstehen. Aber wenn die Lichter hell bren­nen, wenn der Raum voll und die Zuhörer begeistert sind, dann nimmt ihre Kraft zu. – Welche Art Kraft ist das?

Darf ich sagen, daß das nichts anderes ist als die Kraft ihrer eigenen Seele. Die Kraft, die vom Heiligen Geist kommt, läßt sich nicht durch äußerliche Umstände beeinflussen. Wenn jemand wissen möchte, was predigen in Seelenkraft bedeutet, muß er nur in eine große überfüllte Versammlung gehen, die der besten technischen Ausrüstung versehen ist. Dann höre er, wie die Leute singen, und beobachte, wie das Publikum mitgeht. Sie werden in der Lage sein zu spüren, daß eine besondere Kraft in diesem von Menschen vollgedrängten Saal wirkt. Was für eine Kraft ist es? Bedrückend? Es kann nicht die Kraft des Heiligen Geistes sein, sondern nur die der Seele. Warum? Beobachten wir die Leute: Wenn sie singen, singen sie einstimmig in eine Richtung mit der Wirkung, daß alle Seelenkräfte der ganzen Menge konzentriert werden. Wie groß ist diese Kraft! Man mag mit dem Gedanken hingehen, ihnen zu helfen, aber statt dessen wird man von ihnen beeinflußt. Welche Gefahr da droht! Eine große Anzahl der Diener des Herrn erzählen dieselbe Geschichte: wie die Anzahl der Besucher oder die Atmosphäre usw. ihrer Arbeit entweder aufhilft oder sie hindert. Ich antworte immer, daß sie von ihrem Umstand beeinflußt werden, weil sie in ihrer eigenen Kraft predigen.

 

Beispiel 3 ‑ Gesang

Oft ist Gesang eine große Hilfe im Werk des Herrn. Manchmal jedoch kann es einfach nichts anderes als seelische Aktivität sein. Eine große Anzahl Leute genießen den Besuch kirchlicher Gruppen, weil die Musik dort hervorragend ist. Einige Gruppen geben eine sehr große Summe aus, nur um eine Orgel zu erwerben. Es gibt Leute, die sich beim Klang der Orgel und des Gesangs in die Gegenwart Gottes gerückt meinen. Aber werden die Geister der Leute durch solche Attraktion frei und näher zu Gott gezogen? Ist das Gottes Weg?

Ich befürchte, daß viele dieser Einrichtungen in den Kirchen fleischlich sind. Sie versuchen die Emotionen des Menschen und seinen religiösen Instinkt zu erregen, sei es durch den Klang einer Orgel oder Gesang. Solche Kraft ist nicht von Gott, sondern von den Liedern und der Musik. Auch wir singen Lieder, aber wir setzen unser Vertrauen nicht darauf . Nur was durch den Heiligen Geist gewirkt wurde, ist nützlich. Nichts anderes kann unsere Geister erreichen.

Einmal war ich in einem Dorf an der See. Die Einwohner waren alle Fischer. Es gab da zerstreut Gläubige. In den Versammlungen waren da manchmal zwanzig, dreißig, fünfzig oder zu sechzig Personen. Welch unregelmäßiger Gesang drang da einem in die Ohren. Einige sangen schnell, andere langsam. Die ersteren mußten am Ende der letzten Linie mehrere Sekunden warten bis die langsameren sie aufgeholt hatten. Ein Bruder sagte mir, daß, nachdem er ihren Gesang gehört hatte, er nicht mehr predigen konnte. Ich antwortete ihm, daß dafür wohl ein Grund vorlag, Kam seine Kraft von ihm oder von Gott?

Gewöhnlich schaut man auf die Umstände und wird davon beeinflußt. Aber wenn es vom Heiligen Geist ist, werden wir die Um­stände beherrschen. Dies ist ein tiefes Prin­zip, an welches wir uns halten sollten. Gebrauchen wir doch nicht unsere eigene psychische Kraft, damit wir nicht von unserer Umgebung beherrscht werden.

Manchmal, wenn die Atmosphäre bedrückend ist, kann Gott Gesang gebrauchen, um Menschen wieder frei zu machen. Manchmal mag auch Gebet helfen. Aber wenn wir Singen oder Beten zum Zentrum machen, stehen wir vor der Gefahr, Seelenkraft freizulegen. Viele Leute leben während sechs Tagen gleichgültig und gehen am Sonntag zu einer Versammlung. Sie hören das Singen vieler Lieder und fühlen sich daher warm und voller Freude, Aber fragen wir uns, woher kommt diese Wärme und Freude? Ich kann bezeugen, daß da etwas nicht stimmt. Wenn jemand sechs Tage oberflächlich lebt und dann an einem Tag vor Gott tritt, sollte er sich schuldig fühlen und nicht freudig. Wie kommt es dann, daß das Singen ihm warme und freudige Gefühle gibt? Das kann nicht geistliche Kraft sein. Ich wünsche nicht, ein engstirniger Kritiker zu sein, aber es muß darauf hingewiesen werden, daß zuviel Gesang seelische Kraft anregt.

 

Beispiel 4 ‑ Schriftauslegung

Sogar beim Studium der Bibel besteht die Gefahr, daß verborgene Kraft der Seele zum Ausdruck kommt. Zum Beispiel ist jemand verwirrt über einen bestimmten Abschnitt der Schrift. Er versteht ihn nicht. Also denkt er dauernd darüber nach, sei es beim Spazieren, vor dem Einschlafen, im Studierzimmer oder im Zug. Plötzlich scheint er in der Lage zu sein, den Abschnitt selbst logisch auszulegen. Wenn er ein gutes Gedächtnis hat, wird er es behalten; wenn sein Gedächtnis nicht so scharf ist, wird er es in ein Notizbuch schreiben. Ist nicht eine solche Interpretation wunderbar? Doch die Frage muß gestellt werden, ist sie verläßlich? Denn manchmal kann sie von der Seelenkraft kommen. Wenn wir ihre Resultate ansehen, dann kann ihre Interpretation gut beurteilt werden. Denn eine solche neue, spezielle, scheinbar tiefe Darlegung bringt vielleicht keine geistliche Frucht. Nicht nur ist er selbst nicht in der Lage, Leben daraus zu entnehmen, er mag auch keineswegs in der Lage sein, anderen Leben weiterzugeben, indem er diese Interpretation weitergibt. Das einzige, was er tun kann, ist, dem Verstand der Leute ein bißchen zu helfen.

 

Beispiel 5 ‑ Freude

Viele Leute möchten freudige Gefühle haben. Das sogenannte “heilige Lachen” ist ein Extrem‑Fall davon. Es wird gelehrt, daß, wenn ein Mensch mit dem Heiligen Geist erfüllt ist, er unweigerlich dieses heilige Lachen haben wird. jener, der behauptet, diese Art Lachen zu haben, kann sich selbst nicht beherrschen. Ohne irgendeinen Grund wird er lachen und lachen, als ob er von einer Krankheit befallen wäre, und er scheint teilweise verrückt.

In einem bestimmten Treffen, nachdem die Predigt beendigt war, wurde gesagt, daß jedermann dieses heilige Lachen suchen sollte. Alle begannen auf die Tische und Stühle zu schlagen oder herumzurennen und springen, bis nicht lange danach dieses heilige Lachen kam. Die Leute brauchten sich nur gegenseitig anzuschauen, und sie brachen in Gelächter aus. je mehr sie sich ansahen, desto lustiger wurde es. Was ist das? Kann das denn überhaupt die Erfüllung mit dem Heiligen Geist sein? Kann das sein Werk sein? Nein, das ist klar ein Werk der Seele. Ich erwähne diesen außerordentlichen Fall, um durch ein Extrem zu veranschaulichen, wie wir durch eine Unkorrektheit von nur zwei oder drei Graden völlig abweichen können. Als Mr. Barlow (ein beliebter Mitchrist) bei uns war, war seine Bemerkung für mich eine große Hilfe: “Um zu sehen, ob etwas richtig oder falsch ist, muß man es nur auf hundert Grad vergrößern, d. h. was immer es auch sein mag, es ins Extrem zu ziehen.” Das leitende Prinzip ist, daß, wenn etwas im hundertsten Grad falsch ist, es auch beim ersten oder zweiten Grad falsch ist. Es ist sehr schwierig, schon beim ersten oder zweiten Grad zu beurteilen, ob ein Irrtum vorliegt. Wenn man ihn aber vergrößert, wird alles klar erkenntlich sein.

Ein chinesisches Sprichwort lautet wie folgt: ” Durch Verfehlen um einen Hundertstel oder Tausendstel Zentimeter wird man mit einer Distanz von 1000 km enden. Du kannst mit einem Fehler von nur einem Hundertstel oder Tausendstel beginnen, später findest du dich mit einer Diskrepanz von 1000 km. Oder umgekehrt gesagt, indem du die Diskrepanz von 1000 km ansiehst, kannst du den Fehler schon bei einem Hundertstel oder Tausendstel Zentimeter erkennen. Angenommen, wir hätten zwei Linien, die nicht genau parallel laufen, sondern in einem ge­ringen Winkel von nur einem oder zwei Grad zueinander stehen, kaum bemerkbar für das bloße Auge. Wenn du die beiden Linien um einige Zentimeter verlängerst, wird die Distanz zwischen den beiden Linien ersichtlich größer. Wer weiß, wie viele Hunderte von Meilen diese Linien voneinander entfernt wären, wenn man sie bis zu den Enden der Erde verlängern würde? Die Distanz bei Zehntausenden von Kilometern weg vom Ursprung beweist das Vorhandensein eines Fehlers, der beim Start passierte.

Nun wenden wir diese Regel für das sogenannte heilige Lachen an. Wie erhalten die Leute dieses Lachen? Was für einen Vorgang befolgen sie, oder welche Bedingungen müssen sie erfüllen? Es ist nichts anderes als einfach um das Lachen zu bitten. Nur ein Gedanke ist da, nämlich zu lachen. Suchen sie wirklich die Erfüllung des Heiligen Geistes? Ihre Lippen mögen tatsächlich Worte äußern wie “o Gott, fülle mich mit deinem Geist”. Das Ziel ihres Bittens jedoch ist nicht die Erfüllung mit dem Heiligen Geist; ihr Herz wünscht etwas anderes. Was ist ihr Ziel? Sie wollen lachen, sie wollen freudig sein. Sie beten nicht: “Gott, ich bitte dich, fülle mich mit deinem Geist. Es kommt mir nicht auf äußerliche Gefühle an. Wenn du mich mit deinem Geist füllst, bin ich zufrieden, mit oder ohne Gefühl.” Wer auch immer mit Gottes Geist gefüllt werden will, sollte eine solche Haltung einnehmen. Laßt mich eine wahre Geschichte erzählen: Ein Student hatte neulich Buße getan und den Herrn angenommen. Er hatte einen Kommilitonen, der vorgab, mit diesem heiligen Gelächter gefüllt zu sein und schien maßlos freudenvoll. Dieser Kommilitone drängte ihn, auch die Erfüllung mit dem Heiligen Geist zu suchen, und erzählte ihm, wie freudig er von der Morgenröte bis zur Dämmerung sei, ohne irgendwelche Traurigkeit. Diese Erfahrung sei hilfreich für das geistliche Wachstum. Da unser Student den Kommilitonen für einen Gläubigen und Fortgeschrittenen hielt, dachte der Neubekehrte, daß er diese Erfahrung auch haben sollte. Demzufolge begann er ernsthaft zu Gott zu beten und bat, Gott möge ihm diese Erfahrung geben. Er betete in solchem Ausmaß, daß er den Appetit verlor und sein Studium vernachlässigte. Später ging er zu seinem Lehrer und bat ihn, auch für ihn zu beten. Der Student selbst flehte inbrünstig vor Gott und gelobte, daß er an diesem Abend nicht mit Beten aufhören wolle, bis er diese Erfahrung erhalte. Als er so betete, sprang er plötzlich auf und brüllte, wie freudig er sei. Er lachte und lachte. je mehr er lachte, desto lustiger fühlte er sich. Er lachte und tanzte und brüllte. Sein Lehrer dachte, er müsse von Sinnen sein. Indem er wie ein Arzt auftrat, hielt ihn der Lehrer fest und sagte: “Bruder, sei ruhig, führe dich nicht ungebührlich auf.” Aber je mehr er ermahnt wurde, desto wilder reagierte er. Der Lehrer wagte nichts mehr zu sagen, da er sich f fürchtete, den Heiligen Geist zu beleidigen, falls dies wirklich von Gott wäre. Schließlich ging der Student nach Hause. Am folgenden Tag ging es ihm besser. Nun, dies war nichts anderes als eine große Seelenkraft, die frei wurde, denn er hatte die Bedingungen für dessen Freilegung erfüllt.

 

Beispiel 6 ‑ Visionen und Träume

Heutzutage gibt es in den Gemeinden viele Leute, die Visionen und Träume suchen. Wenn jemand mich fragt, ob ich daran glaube, würde ich antworten, daß ich nicht gegen Visionen und Träume bin; ich habe selbst einige Erfahrung darin. Manchmal können sie hilfreich sein. Doch ich möchte ihre Aufmerksamkeit auf die Quelle lenken. Woher kommen sie ‑ sind sie von Gott oder nicht von Gott?

Wie oft kommt es in einer Versammlung vor, daß jemand erzählt, er hätte eine Vision gehabt. Das löst dann eine Lawine von Visionen aus, bis beinahe jedermann bezeugt, er hätte eine Vision gehabt und Träume geträumt. Wenn wir von Visionen hören, beginnen die Leute zu beten und bitten Gott, ihnen dieselbe Erfahrung zu schenken. Sie fasten und beten mehrere Nächte, wenn sie keine Vision erhalten. Allmählich werden ihre Körper geschwächt, ihr Verstand dumpf, und sie verlieren ihre Willenskraft. Sie empfangen dann, was Visionen und Träume genannt wird.
Zweifelsohne empfangen sie etwas; aber wie erhalten sie diese Visionen und Träume? Sind sie von Gott?
Solches Sichgehen‑Lassen, daß die Sinne dumpf werden und der Wille passiv, ist klar gegen die Lehre der Bibel. Sie hypnotisieren einfach sich selbst. Einige Leute neigen zu träumen, und sie scheinen in der Lage, ihre Träume auszulegen, wenn auch oft in einer lächerlichen Art.
Ich kannte einen Arzt, der leicht träumte. jedesmal, wenn ich ihn traf, erzählte er mir von neuen Träumen und ihren Auslegungen. Er träumte beinahe jede Nacht und oftmals drei oder vier Träume. Warum war das so? Weil Gott so sehr wünschte, ihm Träume zu geben? Ich weiß warum.
Er war gewöhnlicherweise ein Tagträumer, daher träumte er auch nachts. Es war ganz erstaunlich, einen so klugen Arzt mit so verwirrten Gedanken zu finden … Seine Sinne zeichneten beständig Bilder, von morgens bis abends. Er konnte seine Gedanken nicht beherrschen. Was er nachts träumte, war das, was er tagsüber gedacht hatte. Deshalb ermahnte ich ihn in aller Offenheit, diesen Träumen zu widerstehen, sonst würde er schließlich verführt werden, und sein geistliches Leben könne nicht wachsen. Gott sei Dank, er besserte sich später. Daher erkennen wir, daß viele Träume nicht von Gott sind, sondern nur Auswüchse eines zerstreuten Geistes.

 

Prüfe die Quelle

Einige suchen Visionen und bezeugen, Licht und Flammen gesehen zu haben. Andere erzählen ihre Träume. Die Zuhörer werden angesteckt, und viele behaupten, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. Ich widerstrebe diesen Dingen nicht, aber ich forsche nach ihrem Ursprung.
Kommen sie aus der Seele oder vom Geist? Erinnern wir uns daran, daß, was immer im Geist getan wird, das kann die Seele nachahmen. Aber was von der Seele nachgeahmt wird, dient keinem andern Zweck als der Fälschung des Geistes.
Wenn wir nicht die Quelle dieser Phänomene prüfen, können wir leicht verführt werden. Der wichtigste Punkt hierin ist nicht, diese Dinge zu leugnen, sondern zu prüfen, ob sie aus der Seele oder vom Geist kommen.

 

Der Unterschied in den Auswirkungen

Welches ist der Unterschied in den Auswirkungen der Tätigkeiten des Geistes und jener der Seele? Die Antwort wird ein Hauptschlüssel sein zu unterscheiden, was vom Geist und was von der Seele stammt. “Der erste Mensch, Adam, ward eine lebendige Seele. Der letzte Adam ein lebendigmachender Geist” (1. Kor. 14, 15). Hier sagt Paulus, daß der erste Adam eine lebendige Seele wurde. Die Seele ist lebendig. Sie hat ihr Leben und befähigt daher den Menschen, alle Art Dinge zu tun. Das bezieht sich auf die Stellung Adams. Dann fährt der Apostel fort:
“Der letzte Adam wurde ein lebendig machender Geist.” Dieses Wort ist es wert, ge­nauer beachtet zu werden; es ist äußerst kostbar und bedeutend. Der Unterschied in den Auswirkungen zwischen den Wirksamkeiten des Geistes und jenen der Seele ist gerade hier klar gegeben. Die Seele selbst ist lebendig und hat in sich selbst Leben. Der Geist jedoch ist fähig, andern Leben zu geben.
Die Seele selbst lebt, aber sie kann nicht verursachen, daß andere leben. Doch der Geist lebt nicht nur in sich selbst, er kann auch machen, daß andere leben. Nur der Geist ist fähig, Menschen zum Leben zu erwecken. Die Seele, wie stark sie auch sein mag, kann nicht andern Leben weitergeben. “Der Geist”, sagt der Herr, “macht lebendig; das Fleisch nützt nichts” (Joh. 6, 63).

Wir müssen diese zwei Wirksamkeiten klar unterscheiden, denn es ist von äußerster Wichtigkeit. Niemand kann zufriedenstellend arbeiten, wenn er in diesem Punkt irrt. Laßt mich wiederholen: die Seele selbst ist wahrlich lebendig, aber sie kann nicht machen, daß andere leben. Der Geist andererseits ist nicht nur selbst lebendig, sondern kann zudem andern Leben geben. Daher betone ich mit solchem Nachdruck, daß wir unsere Seelenkraft niederlegen müssen. Alles was von der Seele ist, ist nichts nütze. Wir streiten uns hier nicht um Wörter, sondern es ist ein wichtiges Prinzip. Obwohl die Seele lebendig ist, hat sie keine Möglichkeit, andern Leben zu geben. Folglich sollten wir, wenn wir den Menschen helfen wollen, auf die Tiefe ihres Wesens abzielen, anstatt nur ihren Sinnen zu helfen. Wir müssen nicht gemäß psychischer Kraft arbeiten, da diese weder retten noch jemandem Nutzen bringen kann. Wie sehr müssen wir doch vorsichtig sein. Wir müssen alles verleugnen, was von der Seele kommt. Denn nicht nur vermag es den Leuten nicht zu helfen, sondern hindert auch noch Gottes Werk. Es beleidigt Gott und beraubt ihn seiner Ehre.

 

Die Gefahr der Werke aus Seelenkraft

Laßt mich einige gewöhnliche Illustrationen anwenden, um den Unterschied zwischen dem Wirken im Geist und dem Wirken aus Seelenkraft aufzuzeigen. Wiederum will ich nicht jene wunderwirkenden Fälle erwähnen, denn das habe ich schon berührt. Wir können sagen, daß es heute üblich ist, in der Gemeinde mit psychischen Mitteln zu arbeiten. Wie oft werden in Mitarbeiter‑Versammlungen psychologische Methoden verwen­det, um Menschen anzuziehen! Und wie werden doch psychische Methoden angewandt in Versammlungen der Gläubigen, um die Zuhörer zu stimulieren. Indem man die Methoden beobachtet, kann man beurteilen, welche Art Werk betrieben wird. Laßt mich offen sagen, daß viele Botschaften nur der Seele des Menschen helfen können, aber nicht dem Geist. Solche Botschaften sind nur aus der Seele gesprochen, daher können sie nur die Seele des Menschen erreichen, und versorgen den Menschen kaum mit etwas mehr als bloßem geistigem Wissen. Wir sollten nicht auf diese Art arbeiten, denn solche Arbeit dringt nie in den Geist des Menschen ein. Wie werden viele Erweckungsversammlungen durchgeführt? (Ich bin nicht dagegen, daß Gläubige erweckt werden; das will ich klarstellen. Ich frage nur, ob die Art der Versammlungen, so wie sie heute abgehalten werden, vom Geist ist.) Ist es nicht so, daß in vielen Erweckungsversammlungen zuerst eine Atmosphäre geschaffen wird, die die Leute erwärmt und erregt? Ein Chorus wird immer wieder gesungen, um die Zuhörer aufzuheizen. Einige erregende Geschichten werden erzählt, um das Ablegen von Zeugnissen einzuleiten. Das sind Methoden und Taktiken, aber nicht die Kraft des Heiligen Geistes. Wenn die At­mosphäre dann beinahe erhitzt ist, wird der Prediger aufstehen und predigen. Während er spricht, ist er sich schon des Resultats an diesem Tag bewußt, das er erreichen wird. Er hat verschiedene Strategien bereit. Durch geschicktes Handhaben kann er die Leute zum Erzittern bringen, andere werden weinen, Bekenntnisse werden abgelegt und Entscheidungen werden getroffen.

Solche Art von Erweckungen muß jedes oder jedes zweite Jahr wiederholt werden, weil die Auswirkung der Medizin, die man zuvor gegeben hat, nachläßt und der alte Zustand wieder einkehrt. Manchmal wird die Auswirkung einer vorher geschehenen Erweckung schon nach zwei oder drei Wochen oder nach einigen Monaten erbleichen. Großer Eifer und Tatkraft wurden tatsächlich am Anfang der Erweckung gezeigt, aber nach einer Weile ist alles vorbei und abgeschlossen. Darin ist keine andere Ursache zu finden als der Mangel an Leben.

Wenn man die Geschichten von vielen Leuten aufzeichnen würde, enthielten sie eine Reihe von Erweckungen: Erweckung nach einem Fall und Fallen nach einer erneuten Erweckung. Das Aufputschmittel, das man bei der ersten Erweckung gebraucht hatte, muß in der Dosis erhöht werden für die zweite Erweckung. Um wirksam zu sein, muß die Methode, die das zweite Mal gebraucht wird, noch emotionaler und noch rührender sein. Ich schlage deshalb vor, daß diese Art Methode als Injektion von “geistlichem Morphium” bezeichnet wird. Es muß immer und immer wieder eingespritzt werden. Es ist offensichtlich, daß die Seele nur für sich selbst leben kann, sie hat nicht die Kraft, andern Leben zu geben. Durch Seelenkraft zu arbeiten ‑ auch wenn Leute weinen, Entschlüsse fassen und eifrig werden ‑ ist, praktisch gesprochen, wertlos.

 

Der Geist gibt Leben

Was ist Wiedergeburt? Es ist das Empfangen des Auferstehungslebens des Herrn. Warum sagt die Bibel, daß wir durch die Auferstehung des Herrn wiedergeboren sind, und nicht durch die Geburt des Herrn? Weil das neue Leben mehr ist als das neue Leben von Bethlehem. Das Leben, das in Bethlehem geboren wurde, mußte noch sterben, aber das Auferstehungsleben stirbt nie. “Ich bin … der Lebendige; ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit” (Offb.

Das Auferstehungsleben stirbt nie, sondern lebt ewig. Das Leben, das geboren wird, ist im Fleisch, daher kann es sterben. Was wir bei der Wiedergeburt empfangen ist Leben, das ewig lebt und nie stirbt.

Was ist Auferstehung? Angenommen hier liegt ein Leichnam. Es ist völlig unmöglich, den Leichnam mit menschlichen Mitteln zu erwecken. Wieviel Energie und Hitze wir auch aufwenden mögen, der Tote wird nicht wieder lebendig. Die einzige Art, ihn zu beleben, ist Gottes Leben in ihn zu legen. Das Leben, das die Toten belebt, ist Auferstehungsleben. Und das ist Auferstehung.

Welche Umgebung ist schlimmer als der Tod?

Was ist kälter als der Tod? Ein Leichnam wird verwesen und verfallen. Aber wenn Auferstehungsleben eingeflößt wird, wird der Tod vom Leben verschlungen. Demgemäß ist eine wiedergeborene Person fähig, allem zu widerstehen, was zum Tod gehört, und ist fähig, alle toten Dinge abzuwerfen.

Die folgende Illustration wurde manchmal gebraucht, um Auferstehung zu erklären: Einmal war ein Mann, der nicht an die Auferstehung glaubte. Er war eine sehr wichtige Person in einem Kreis von Atheisten. Nach seinem Tod stand auf seinem Grabstein geschrieben: “Grab, das nicht aufgebrochen werden kann.” Das Grab war aus Marmor gebaut worden. Sehr überraschend wurde dieser große Marmorsarkophag eines Tages aufgebrochen. Eine Eichel war in den Riß der Steine gefallen während dem Bau. Allmählich wuchs sie heran zu einer großen Eiche und brach das Grab auf. Ein Baum hat Leben, daher kann er einen Platz des Todes aufbrechen. Leben allein kann Tod bezwingen. Das ist Wiedergeburt, das ist Auferstehung.

Der Geist macht lebendig; er allein kann Leben eingeben. Das müssen wir uns merken. jedoch gibt es heute leider zuviel Ersatz für den Geist.

 

An der Seele muß gearbeitet werden

Gott wirkt nur mit seiner eigenen Stärke. Demgemäß müssen wir ihn bitten, unser Seelenleben zu binden. jedesmal, wenn wir für Gott arbeiten, müssen wir zuerst an uns selbst wirken, wir müssen uns auf die Seite stellen. Wir sollten unsere Talente und unsere starken Seiten niederlegen und Gott bitten, diese Dinge zu binden: “0 Gott, ich will, daß du wirkst, ich will mich nicht auf mein Talent und auf meine Kraft verlassen. Ich bitte dich, daß du selber wirkst, denn aus mir kann ich nichts tun.

Heute betrachten viele Mitarbeiter die Kraft “,on Gott als ungenügend und fügen daher ihre eigene Kraft hinzu. Arbeit, die auf dieser Grundlage getan wird, ist nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich. Erinnert euch daran, daß das Wirken des Heiligen Geistes nicht duldet, daß die Menschenhand sich einmischt. Ich sage oft, daß in Gottes Arbeit der Mensch wie eine Papierfigur sein sollte, die ohne Leben und unfähig ist, irgend etwas zu tun. Er braucht das Einfließen des Lebens, das ihm die Fähigkeit gibt zu arbeiten. Verleugnen wir uns doch selbst, daß wir wie Papierfiguren werden, die in sich selbst keine Kraft haben. Alle Kraft muß von oben kommen; alle Methoden, die angewandt werden, müssen von oben kommen. Wir wissen, daß der Geist allein lebendig macht. Gott wirkt durch den Geist. Wenn wir wünschen, daß Gott wirkt, müssen wir ihn bitten, unser Seelenleben zu binden; sonst wird er nicht freie Hand haben zu wirken.

“Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn ein Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben liebt, wird es verlieren; wer sein Leben haßt in dieser Welt, wird es zum ewigen Leben bewahren” (Joh. 12, 24. 25). Das Wort “Leben” im Griechischen weist hier auf “Seele” hin. Es bedeutet, daß, wer auch immer sein Seelenleben zu bewahren sucht, der wird es verlieren. Aber wer sein Seelenleben verliert, wird es zum Ewigen bewahren. Das ist ein einzigartiger Befehl des Herrn. Er spricht in solchen Worten, um die Bedeutung der vorangegangenen Worte zu erklären. “Wenn ein Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.” Zuerst sterben, dann geschieht etwas. Wenn ein Gläubiger sein eigenes Seelenleben zur Seite setzt, wird der Geist durch ihn wirken können, um andern Menschen zu dienen. Wenn wir ein tieferes Werk für den Herrn tun wollen, müssen wir praktisch an unserer Seele arbeiten. Das Seelenleben muß verloren werden. Ein Weizenkorn ist gut, und seine goldene Farbe sieht hübsch aus. Aber wenn es auf einen Tisch gelegt wird, bleibt es ein Korn, sogar noch hundert Jahre später. Es wird nie auch nur ein Korn hinzufügen. Alle unsere Seelenkräfte sind wie jenes Weizenkorn, das nicht in die Erde gefallen ist. Es kann nie Frucht hervorbrin­gen.

Mögen wir dieses Problem mit aller Ernsthaftigkeit ansehen. Bringt das Auferstehungsleben, das heilig, ohne Flecken und jetzt in deinem Besitz ist, viel Frucht? Einige Menschen fragen, warum sie unfähig sind, anderen Menschen zur Errettung zu verhelfen? Einige fragen, warum sie Mangel an Kraft zur Arbeit haben. Viele geben zu, daß sie keine Kraft haben. Aber ich gebe zur Antwort, daß sie keine Kraft zum Dienst haben, weil ihre eigene Kraft zu groß ist. Da sie schon in sich selbst zuviel Kraft besitzen, wo bleibt für Gott die Möglichkeit zu wirken? Indem sie ihre eigene Weisheit, ihre eigene Methode, Stärke, oder natürlichen Fähigkeiten gebrauchen, blockieren die Gläubigen die Manifestation der Kraft Gottes.

Viele wundersame Phänomene werden durch Seelenkraft vollbracht, anstatt durch Gott. Wie können sie gute, bleibende Resultate erwarten, wenn sie die Kraft Gottes mit ihrer eigenen, natürlichen Fähigkeit ersetzen? Viele Erweckungsversammlungen mögen im Moment sehr erfolgreich scheinen, aber das Resultat fällt nachher auf Null. Zweifelsohne finden Menschen in einigen Erweckungsver­sammlungen Hilfe. Aber worauf ich mich hier beziehe sind jene Werke, die durch menschliche Methoden getan werden. Darf ich in aller Ernsthaftigkeit erklären, daß, wer auch immer die Absicht hat, ein besseres und tieferes Werk zu tun, sollte nicht von Kraft sprechen. Unsere Pflicht ist es, in die Erde zu fallen und zu sterben. Wenn wir sterben, ist es nur natürlich, daß wir Frucht tragen.

Was sagt der Herr von dem, der sein Leben verliert, d. h. der sein Leben in dieser Welt haßt? Er wird es zum ewigen Leben bewahren. Es ist so, als ob ich Redegewandtheit hätte, doch ich bin nicht willig, sie zu gebrauchen. Mein Herz ist nicht auf Redegewandtheit gerichtet ‑ ich will sie nicht als mein Werkzeug gebrauchen ‑ ich verliere meine Redegewandtheit und weigere mich, mich auf sie zu verlassen. Was ist das Resultat? Ich gewinne Leben; d. h. ich bin fähig, andern im Leben zu helfen. Dasselbe gilt für die Fähigkeit zu verwalten oder für irgendeine andere Fähigkeit, deren Gebrauch ich verleugne. Ich harre statt dessen auf Gott. So werde ich den Menschen wirklich nützen. Wollen wir daher lernen, unsere eigene Kraft nicht zu gebrauchen, auf daß wir viel Frucht bringen.

Kraft sollte auf dem Boden der Auferstehung erhalten werden. Auferstehung ist Leben jenseits des Todes. Was wir brauchen ist nicht größere Kraft, sondern tieferen Tod. Wir müssen allen natürlichen Kräften widerstehen. Wer sein Seelenleben nicht verloren hat, weiß nichts von Kraft. Aber wer durch den Tod gegangen ist, besitzt wahrhaftig Leben. Wer immer sein eigenes Seelenleben verliert, genau wie ein Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, wird im Leben Gottes wachsen und viel Frucht bringen.

Ich glaube, daß viele Leute so reich und stark sind, daß sie Gott keinen Raum zu wirken lassen. Oft wiederhole ich die Wörter “hilflos” und “hoffnungslos”. Ich muß sagen: “Alles, was ich habe, ist dein, ich selbst habe nichts. Außer dir bin ich wahrlich hilflos und hoffnungslos.” Wir müssen Gott gegenüber eine völlig abhängige Haltung haben, so daß wir meinen nicht ein‑ noch ausatmen zu können ohne Gott. Auf diese Art werden wir sehen, daß unsere Kraft wie auch unsere Heiligkeit, ja alles von ihm kommt. Was wir auch haben, es ist alles von ihm. Wie sehr freut sich Gott zu sehen, wenn wir hoffnungslos und hilflos zu ihm kommen.

Einmal fragte mich ein Bruder: “Welches ist die Bedingung für das Wirken des Heiligen Geistes?” Worauf ich antwortete, daß der Heilige Geist nie die Hilfe der Seelenkraft beansprucht. Der Heilige Geist muß uns zuerst an den Ort bringen, wo wir von uns aus nichts tun können. Laßt uns lernen, alles zu verleugnen, was von unserem natürlichen Selbst kommt. Wundersam oder gewöhnlich, was es auch sei, wir müssen alles verleugnen, was von unserem natürlichen Selbst kommt. Dann wird Gott seine Kraft ausspielen, um das zu vollführen, was er zu tun beabsichtigt.

 

Das Beispiel des Herrn

“Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den Vater tun sieht. Was irgend er tut, das tut auch in gleicher Weise der Sohn” (Joh. 5, 19). Der Sohn kann nichts von sich selbst tun. Mit andern Worten, von all den Dingen, die der Herr getan hat, hat er nicht ein einziges von sich selbst getan. Das ist die beständige Haltung unseres Herrn. Er tut nichts aus seiner eigenen Kraft oder gemäß seiner eigenen Idee. Was immer von ihm kommt, das verleugnet er. Und doch, ist irgend etwas Falsches an seiner Seele? Ist nicht seine ganze Seele ganz gut zu gebrauchen? Da er nicht die geringste Spur von Sünde hat, wäre es nicht sündig für ihn, seine Seelenkraft zu gebrauchen. Doch bezeugt er, daß der Sohn nichts von sich selbst tun kann. Wenn ein solch heiliger und vollkommener Herr sich weigert, seine Kraft zu gebrauchen, was dann mit uns?

Der Herr ist so vollkommen, und doch ist sein ganzes Leben völlig hoffnungslos und hilflos von Gott abhängig. Er kommt in die Welt, um den Willen des Vaters in allen Dingen zu tun. Wir, die wir nur ein Stäubchen sind, sind wirklich nichts. Wir müssen unsere Seelenkraft ablegen und alles verleugnen, was von der Seele kommt, bevor wir mit geistlicher Kraft wirken und viel Frucht bringen können. Möge Gott uns segnen.

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TAG X – Die Wiederkunft Jesu (K.E.Koch)

Kurt E. Koch

TAG  X – Die Weltlage im Blick auf die Wiederkunft Jesu –

 

I. Die Entmachtung der weißen Rasse
1. Die Entkolonialisierung
2. Die Entmissionierung
3. Der Rassenhass

II. Der Vormarsch der Nichtweißen
1. Die vitale Überrundung
2. Die missionarische Überrundung
3. Die okkulte Überflutung

III. Die Weltgefahren
1. Die schnelle Veränderung der politischen Lage
2. Die Hungerkatastrophe der Endzeit
3. Die Radioaktivität und Atomangst
4. Die Neurotisierung der weißen Rasse
5. Die Naturkatastrophen

IV. Die Auflösung der Ordnungen
1. Die Auflösung der Familie
2. Die Sexwelle
3. Die Suchtwelle
4. Zerbruch der biblischen Normen und der kirchlichen Ordnungen

V. Die Uniformierung des Denkens und Handelns
1. Die Knebelung des Unbewußten durch die Massenmedien
2. Die politische Vereinheitlichung
3. Das religiöse Einheitsdenken

Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.
1
. Thessalonicher 5, 2

 

Charakteristische Zeichen der Gegenwart

Wenn wir von den in unserer Gegenwart sichtbaren Symptomen Rückschlüsse auf den hintergründigen Charakter unserer Zeit ziehen, dann versuchen wir damit, das wahre Wesen der gegenwärtigen Weltlage zu erfassen.

Dieses Unterfangen hat als Ziel, die Grundlinien der heutigen Geschichte aufzuzeigen. Es geht uns dabei nicht um eine oberflächliche und einseitige Schwarz‑Weiß‑Malerei, noch um eine augenblicksbedingte Schau der Tagesereignisse. Profane Zeitanalysen überlassen wir gern den Psychologen, den Tagesphilosophen und den Journalisten. Diese Beobachter allen Geschehens verfügen manchmal über eine erstaunliche Treffsicherheit. Ihre Analysen haben jedoch eine Grenze und damit einen entscheidenden und schwerwiegenden Mangel: Sie können nur rationale Maßstäbe anlegen. Ohne die Erleuchtung durch den Heiligen Geist und ohne die biblische Gabe der Erkenntnis und der Geisterunterscheidung wird jede Zeitbeurteilung unzutreffend und schief. Der Apostel Paulus zeigt in 1. Korinther 2, 14 diese Grenze unmißverständlich klar: Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes.

Wer den Charakter unserer Zeit erkennen will, muß als unabdingbare Voraussetzung die Heilige Schrift kennen, und zwar ohne zersetzende Bibelkritik. Wer hinter dem vordergründigen Geschehen unserer Tage die unheimlichen Entwicklungen im Hintergrund durchschauen will, muß zuvor als geistlich zerbrochener Mensch von der Hand Gottes berührt worden sein, sonst kommt er über eine bloße äußerliche Beurteilung nicht hinaus. Nur der Heilige Geist führt in alle Wahrheit, nicht aber der scharfgeschliffene Verstand eines unbekehrten Analytikers und Philosophen.

In den folgenden Kapiteln wird der Versuch unternommen, ohne Verstiegenheiten das Gepräge unserer Zeit zu erkennen. Das maßgebende, wenn auch nicht immer erwähnte Leitbild, ist die Heilige Schrift mit ihrer Prophetie. Wer die Bibel nicht als absolut gültigen Maßstab seines Glaubens anerkennt, verfällt hoffnungslosen Fehldeutungen der Gegenwart. Nur die Heilige Schrift gibt klare Marschanweisungen.

Solche entscheidenden Wegweisungen sind z. B. zwei Jesusworte. Jesus hat in Matthäus 16, 3 die Pharisäer ausgeschimpft: »Ihr Heuchler! Über des Himmels Gestalt könnt ihr urteilen. Warum urteilt ihr nicht über die Zeichen dieser Zeit?« Und zu seinen Jüngern sagte der Herr in Matthäus 24. 36: »Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, sondern allein mein Vater.«

Mit diesen beiden Bibelworten sind die Grenzpfähle der Wiederkunftserwartung gesteckt. – Wer Tag und Stunde der Enderwartung errechnen will, gerät in Schwärmerei und Spekulation.-  Zu den Schlafenden und Blinden gehört, wer die Zeichen der Zeit nicht beachten und beurteilen kann.  –  Das vorliegende Buch will bewußt beide Gefahren vermeiden. Es wird nicht gerechnet. Das Anschauungsmaterial entstammt aus Beobachtungen auf meinen vielen Reisen sowie aus dem gegenwärtigen Zeitgeschehen.

Das erste entscheidende Symptom der Gegenwart ist:

I. DIE ENTMACHTUNG DER WEISSEN RASSE
Das Völkermeer ist inzwischen zu einem brodelnden Hexenkessel geworden. In Hongkong z. B., das 1997 seinen Kolonialstatus verliert, werden von rotchinesischer Seite schon Vorbereitungen getroffen, durch Zweckpropaganda die Massen gegen die westliche Welt aufzuwiegeln. Hier heißt es: »Tommy, go home!« Nicht nur das Kolonialreich Englands geht zu Ende, sondern auch die Tage des Commonwealth scheinen gezählt zu sein. In Afrika sowie im Nahen Osten herrschen Unruhe, die einmal den Zweck hat, den Einfluß der weißen Rasse zu brechen, zum anderen, den Islam zur Weltreligion zu machen. Drei Begleitsymptome dieser Entwicklung sollen im folgenden aufgezeigt werden.

1. Die Entkolonialisierung
Die jahrhundertealte Kolonialisierungsarbeit der Weißen ist zu Ende gegangen. Die unterentwickelten Völker sind noch beim weißen Mann in die Schule gegangen. Von seinen Kenntnissen, seiner Wissenschaft und Technik wie auch Zivilisation haben sie vieles gelernt. Nun sind sie mündig geworden und verlangen ihre Selbständigkeit.

Die Schüler wachsen ihrem Lehrer über den Kopf. Der weiße Mann verliert den Boden und wird in seine Schranken gewiesen. Dies hat sich teilweise in schroffen Formen und überstürzten Entscheidungen ausgewirkt. Ein Beispiel möge das illustrieren.

Bei einer Reise durch Afrika hörte ich von einem Kraftwerk, das von Weißen gebaut worden war und von weißen Ingenieuren bedient wurde. Im Zuge der Parole: Afrika den Afrikanern, wurden die europäischen Ingenieure heimgeschickt. Eines Tages wurde eine Reparatur notwendig. Die Afrikaner konnten den Defekt nicht beheben. Das Werk wurde stillgelegt, und die Stromversorgung des gesamten Distriktes fiel aus. So war man gezwungen, die alten Ingenieure fernmündlich um Rückkehr zu bitten.

In Zentralafrika hörte ich von einem ähnlichen Ereignis. Die weißen Ärzte eines Hospitals wurden heimgeschickt. Die bisherigen afrikanischen Pfleger, die im besten Fall Wundverbände anlegen und Massagen durchführen konnten, sahen ihre Chance gekommen. Sie ließen sich nach Abzug der Weißen stolz »Doktor« nennen. Der erste Patient mit einer Blinddarmentzündung löste dann eine Katastrophe aus. Diese angeblichen »Doktoren« waren natürlich unfähig, eine Blinddarmoperation durchzuführen. ‑ Damit soll nicht gesagt werden, es gäbe keine ausgebildeten und befähigten afrikanischen Ärzte. Manche von ihnen sind sogar außerordentlich tüchtig.

Auch wenn die Nichtweißen durch eine überstürzte Entmachtung der Weißen oft in eine Sackgasse geraten, sehen wir doch, wie sie die weiße Vorherrschaft satt haben. Sie schütteln diese Bevormundung ab. Teilweise erntet der weiße Mann, was er gesät hat. Gewiß hat der Farbige vom Weißen manches profitiert. Aber leider wurden die Nichtweißen auch oft von den Weißen ausgebeutet. Unterwegs habe ich erschreckende Beispiele von der Ländergier und Habsucht weißer Kaufleute gehört.

Glücklicherweise gibt es auch andere Beispiele. In Zentralaustralien wurden große Gold‑ und Kupfervorkommen entdeckt. Außerdem wurden ergiebige Edelsteinfelder gefunden. Um die einheimische Bevölkerung vor dem Gold‑ und Edelsteinrausch weißer Ausbeuter zu schützen, hat die australische Regierung diese Gebiete zu Reservaten der Urstämme erklärt. Kein Weißer darf ohne die Erlaubnis der Regierung die Sperrgebiete betreten. Damit ist den Urstämmen eine Nutznießung an den Bodenschätzen ihres Landes gewährleistet. Eine weise Maßnahme der australischen Regierung!

Aber wir müssen uns nun fragen, was diese zunehmende Entmachtung der Weißen im Weltgeschehen bedeutet, genauer, ist sie als Symptom eines hintergründigen Geschehens zu werten?

Geht es bei dieser Entwicklung nur darum, daß Kultur und Herrschaft der Weißen ihren Höhepunkt überschritten haben und nun einen Niedergang erleben? Es gibt Völkerkundler, die so denken. Oder hat Gott der Vormachtstellung der Weißen ein Ende gesetzt, weil unsere Sünden zum Himmel schreien? Das müßte ernsthaft erwogen werden.

Jedenfalls sehen wir hinter diesem Prozeß der Entmachtung einen anderen Vorgang:

Symptom 1 Die weiße Rasse ist seit fast 2000 Jahren vorwiegend die Trägerin des Christentums. Die Entmachtung des Weißen zielt letzten Endes auch auf die Entmachtung des Christentums hin. ‑ Und Gott läßt es zu.

2. Die Entmissionierung
Die christliche Mission ist von der Entmachtung der Weißen mitbetroffen. Die farbigen Völker erklären: »Das Christentum ist die Religion der Weißen, also weg mit diesem Glauben! Wir haben unsere eigenen Religionen.« Manchmal hörte ich es noch schärfer: »Was sind das für Missionsboten, die die Greuel der Eroberer und Ausbeuter sanktionieren? Sollen wir den Gott der Weißen annehmen, der zugelassen hat. daß man uns das Land und seine Bodenschätze wegnahm? Was ist das für ein Gott, dessen Bekenner un ~wie Sklaven hielten?« Der Hinweis, daß die Missionare die Untaten der Eroberer nicht billigten, findet be den Farbigen kein Gehör.

Die christliche Missionsarbeit unserer Tage ist vor einem beginnenden Schrumpfungsprozeß gezeichnet. Große Gebiete, die einmal von den Missionaren betreut wurden, gehen verloren und kommen unter anderen Einfluß. Dieser Prozeß ist an vielen Einzelvorgängen zu erkennen. Dazu einige Beispiele.

In Südafrika hat sich eine lutherische Gemeinde aufgelöst. Ihre Kirche ist heute ein Warenhaus. Die Glocke hängt noch als trauriges Erinnerungsstück im Turm. Der gleiche Vorgang wiederholte sich auf einem anderen Missionsgebiet. Die Gemeinde verlief sich. Die Kirche wurde verkauft. Solche Beispiele finden sich in großer Zahl. Zweimal stand ich vor ehemaligen Evangeliumshallen. Nun werden sie zweckentfremdet benutzt. Es ist keine Gemeinde mehr da. Und das war ursprünglich Erweckungsgebiet! Manche Kirchen sind tatsächlich zu Grabsteinen ehemaliger Gemeinden geworden, auch wenn man sie mit großem Kostenaufwand noch instandhält. Könnten die Steine dieser Mauern schreien, würden sie uns ihr Leid klagen: Hier hörten wir einmal die Danklieder und die Gebete der Heiligen; nun herrscht Friedhofsruhe.

Wer diese Beispiele nicht für beweiskräftig halten kann, der erinnere sich doch wenigstens folgender Vorgänge der jüngsten Vergangenheit.

In Rotchina ist es nach wie vor sehr schwer, christlich zu leben oder gar Mission zu betreiben. Oder denken wir an die Entwicklung in manchen afrikanischen Ländern, wo viele weiße Missionare ihr Leben lassen mußten. Und wer kennt nicht die vielen Schwierigkeiten, die den christlichen Missionaren in moslemischen Ländern gemacht werden, wohingegen es bei uns ganz anders ist. Man denke an die jüngste Einweihung einer Moschee in Pforzheim, wo auch der evangelische Dekan ein Grußwort beisteuerte. Als weiteres Beispiel seien die immer noch andauernden Zustände im Sudan genannt. Im Süden des Landes befinden sich Bergdörfer mit einer vorwiegend christlichen Bevölkerung. Diese fleißigen Menschen mit ihrer vorbildlichen Haltung sind den moslemischen Arabern ein Dorn im Auge. Bis heute nimmt man diesen Leuten die Hütten weg, ihr Eigentum, ihre Felder. Sie werden gejagt, gehetzt, getötet ‑ und keine der Weltmächte rührt sich, diesen armen, verfolgten Menschen zu helfen. Ein Christ ist im Sudan weitgehend ehrlos, rechtlos, schutzlos. Zu einem winzigen Bruchteil habe ich das selbst erlebt. Bei der Einreise in Khartum füllte ich den Fragebogen aus. Kurz danach wurde ich festgesetzt. Ich fragte verdutzt nach dem Grund. Man antwortete mir: »Pfarrer, Missionare und Israelis sind bei uns unerwünscht.« Noch nicht einmal bei Brot und Wasser wurde ich festgehalten und dann in die nächste Maschine verfrachtet und abgeschoben.

Von der Heiligen Schrift her fragen wir: Steht nicht auch der Prozeß der Entmissionierung in einem tieferen, untergründigen Zusammenhang? – Wir antworten:

Symptom 2 Das Wirkungsfeld der christlichen Mission soll eingeschränkt werden. Es gibt Bewegungen, Systeme, Völker, ja übersinnliche Mächte, denen das Christentum ein Ärgernis darstellt.

3. Der Rassenhaß
Seit einigen Jahrzehnten ist die weiße Rasse von einem Meer der Ablehnung umgeben. Die Nichtweißen sind sich trotz aller Verschiedenheit darin einig, daß sie im Ernstfall gegen die Weißen zusammenstehen.

Der Rassenhaß geht so weit, daß selbst ein militärisches Bündnis ihn nicht beilegen kann. Als Beispiel sei die Ermordung von deutschen Missionaren auf Manus (Südsee) genannt. Als die Japaner während des Zweiten Weltkrieges auf dieser Insel landeten und die Missionare verhafteten, erklärten die Bedrohten: »Wir sind doch Deutsche. Ihr seid unsere Verbündeten.« Die Japaner erwiderten: »Ihr seid zunächst einmal Weiße. « Und trotz des Bündnisses mußten die Missionare ihr Leben lassen.

Der Rassenhaß treibt in der Gegenwart giftige Blüten. In den Südstaaten der USA sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung Schwarze. Mit ihrer Vitalität gleichen sie jedoch diese Minderheit aus. Sie nennen sich selbst die »schwarze Macht« und verlangen eine »schwarze Gesetzgebung«, ein »schwarzes Recht«. Sie fordern ihren Anteil an den öffentlichen Ämtern. Gewiß geht es bei diesen Auseinandersetzungen auch um ein den Schwarzen zustehendes Recht. Aber ist die Atmosphäre nicht weithin vom Rassenhaß vergiftet?

Noch schlimmer steht es in Südafrika. Die neue Regierung Südafrikas gibt sich zwar große Mühe, die dauernden Rassenkämpfe zu überwinden. Sie kam aber bis jetzt nicht ans Ziel, denn allen Bemühungen stehen Gesetze und nicht zuletzt die Schuld der Weißen im Wege. Einige Beispiele sollen die gespannte Lage deutlich machen.

Eine weiße Missionarin hatte in der Nähe einer Lokation (Wohngebiet der Schwarzen) eine Autopanne. Nicht weit entfernt befand sich die Hütte einer christlichen schwarzen Familie. Die Missionarin hatte aber vom Landesgesetz her nicht das Recht, die Gastfreundschaft dieser schwarzen Christen in Anspruch zu nehmen. Sie mußte deshalb im Auto übernachten. Hätte sie in der Hütte der Schwarzen auch nur einen Tag gewohnt, wäre sie des Landes verwiesen worden.

Ein Weißer verunglückte mit seinem Wagen. Er wurde schwer verletzt. Zufällig kam ein schwarzer Arzt mit seinem Fahrzeug denselben Weg. Er wies sich als Arzt aus und bot seine Hilfe an. Die umherstehenden Weißen hinderten ihn daran. Es ist für einen Weißen unter seiner Würde, sich von einem schwarzen Arzt behandeln zu lassen. Der Verunglückte verblutete. Lieber läßt man einen Menschen sterben, als die Hilfe eines schwarzen Arztes anzunehmen.

Wo führt dieser Rassendünkel hin? Den Weißen wird einmal eine böse Rechnung präsentiert werden. Dieser Hochmut droht zu einem vulkanischen Ausbruch des Hasses zu führen. Werden nicht all die niedergehaltenen und in ihrem Ehrgefühl verletzten Menschen eine entsetzliche Rache üben? Müssen dann nicht Millionen Weiße ihr Leben lassen?

Wie die Stimmung bei den Nichtweißen ist, bezeugt schon die Aussage, die der chinesische Ministerpräsident Tschou‑En-Lai vor vielen Jahren machte und die auch heute noch gilt. Er erklärte damals: »Die weiße Bevölkerung macht etwa ein Zehntel der Weltbevölkerung aus. Laßt uns doch die Weißen ausrotten, dann sind wir sie ein für alle Mal los!« Wer die Entwicklung in Rotchina ein wenig mitverfolgt, weiß, daß die Chinesen das wahrmachen werden, wenn sie dazu in der Lage sind.

Führende Männer meinen, der letzte Krieg dieser Erde werde ein Rassenkrieg sein. Farbig gegen Weiß.

In diesem Zusammenhang sei auf eine hochinteressante politische Entwicklung in den letzten Jahren hingewiesen. Rotchina ist aus drei Gründen der natürliche Feind Sowjetrußlands geworden.

Zunächst sind es bevölkerungspolitische Ursachen. China ist volksmäßig am überquellen. Das angrenzende sibirische Gebiet ist volksarm. Es wäre der natürliche und günstige Ausweichraum Rotchinas. Die Sowjetunion weiß das und versucht daher, seine an China angrenzenden Gebiete durch den Bau von Fabriken und Dörfern entlang der Grenze zu sichern. Selbst die im letzten Weltkrieg an der Wolga zurückgebliebenen Deutschen wurden in die Mongolei umgesiedelt.

Der zweite Grund des sich verschärfenden Gegensatzes ist der kleine Farbunterschied zwischen Gelb und Weiß. Die Rotchinesen sagen es unverblümt. »Die Russen sind auch Weiße. «

Der dritte Grund ist ebenfalls rassisch bedingt. Der Asiate ist in seiner Haltung radikaler und entschlossener. Der Chinese nennt den russischen Kommunisten einen Leisetreter und kompromißbereiten Profitsucher. Das gilt um so mehr angesichts der Ereignisse im gesamten Ostblock, wo der soziale Marxismus abgewirtschaftet hat, weil die Menschen den Realismus dem ideologischen Überbau vorziehen. Die Sowjetunion ist daher gezwungen, sich mit dem Westen zu einigen. Der demokratische Umbruch ist im Gange.

Was keiner erwartet hatte, trat im November 1989 ein: die Berliner Mauer fiel. Der Weg zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war geöffnet worden. Seit dem 1. Juli 1990 ist ein weiterer großer Schritt getan worden durch die Währungs‑ und Sozialunion und durch die Öffnung der Grenzen. Der Marxismus hat in 40 Jahren Herrschaft in der DDR abgewirtschaftet. Was In Ungarn begann, hat sich auf alle Ostblockländer ausgedehnt. Das einzige Land, das sich noch gegen diesen Umbruch wehrt, ist Albanien. Aber wie lange noch? Worin liegen die Ursachen dieses Umbruchs? Einmal im falschen Menschenbild des Marxismus, das auf dem Gutsein des Menschen aufbaut. Der Mensch ist gut, nur die Menschheit kann schlecht sein und den Menschen anstecken. Deshalb muß jedem Menschen ermöglicht werden, sein Gutsein auszuleben. Wenn aber die Voraussetzung falsch ist, kann das Ergebnis nicht richtig sein.

Zum anderen geht in unserer »New Age« Zeit das allgemeine Bestreben auf Welteinheit hin. Ziele sind eine Welteinheitskirche und ein Welteinheitsstaat, der nach den Gesetzen der Marktwirtschaft funktioniert, wobei es um Angebot und Nachfrage geht. Die Nachfrage wird dabei mit werbepsychologischen Mitteln hochgespielt.

Die Bibel dagegen vermittelt ein ganz anderes, realistisches Menschenbild. Der Mensch ist vor dem allmächtigen Gott ein Sünder, der Erlösung bedarf. Diese wird nur durch Jesus Christus angeboten. Nimmt der Mensch dieses Angebot nicht an, geht er verloren.

In der Bibel sind diese Frontstellungen nur vordergründig. Wer eschatologisch zu sehen vermag, der weiß, daß der Rassenkrieg nicht die letzte Auseinandersetzung sein wird. Dahinter steht der Feind Gottes, der gefährliche Drahtzieher, der etwas ganz anderes im Auge hat.

Symptom 3 Das Rassenproblem ist nur ein Vorwand. Dem Erzfeind Gottes geht es nicht um die Hautfarbe, sondern um die Gemeinde Jesu, die vorwiegend in der weißen Rasse verbreitet ist. Der Fürst der Finsternis will die Gemeinde des wiederkommenden Herrn isolieren und vernichten. 

II. DER VORMARSCH DER NICHTWEISSEN

Dem Rückzug der weißen Rasse entspricht eine Gebietsausweitung, eine Bodengewinnung der Nichtweißen. So ist es ein geheimes Ziel Rotchinas, Rußland bis an den Ural zurückzudrängen. Die Schwarzen Afrikas sprechen offen davon, daß die Weißen in ihre europäischen Ursprungsländer zurückkehren sollen. Die Araber reden von der Ausrottung der Israelis. Diese geplante und angestrebte Zurückdrängung soll in drei Punkten gezeigt werden.

1. Die vitale Überrundung

Die Bevölkerungsexpansion wird immer mehr zu einer Bevölkerungsexplosion. So drücken sich die Fachleute aus. Schlicht und einfach gesagt heißt es: Die rasche Vermehrung der Menschen führt zu einer Überbevölkerung der Erde.

Dieses Problem wird noch einmal beim Thema »Welternährungslage« angeschnitten werden ‑hier soll nur ein spezieller Gesichtspunkt behandelt werden.

Während des Weltkongresses für Evangelisation in Berlin war in der Halle eine große Uhr mit einer Weltkarte aufgestellt. Auf dem riesigen Zifferblatt leuchtete jede Sekunde ein Kinderkopf auf. Das bedeutete, daß in jeder Sekunde ein Mensch geboren wird.

Für den Christen liegt das Problem auf einer anderen Ebene. ‑ Wir können es zunächst vom konfessionellen Standpunkt aus betrachten. In den USA haben die protestantischen Ehen durchschnittlich zwei Kinder, die katholischen vier. Daher sind die Vereinigten Staaten in wenigen Jahrzehnten vermutlich ein vorwiegend katholisches Land.

Viel wichtiger aber als der konfessionelle ist der rassische und damit der religionsvergleichende Gesichtspunkt.

Wie steht es mit den nichtweißen Völkern?

Es gibt Stämme, die kinderarm sind. Die Aborigines in Australien haben durchschnittlich nur zwei Kinder. Da sie aber sehr gesund sind, bleibt der Stamm erhalten.

Die Bewohner der Fidschiinseln haben durchschnittlich drei Kinder. Auch dort reicht die Zahl der Kinder für den Fortbestand der Insulaner aus.

Ein völlig anderes Bild ergibt sich bei den Völkern, die das Gros der Menschheit ausmachen: Schon heute sind die Hälfte der Menschen Chinesen und Inder. Chinesen wohnen nicht nur in Rotchina, sondern in ganz Ostasien verteilt. Die chinesischen und indischen Frauen sind sehr fruchtbar. Die Familien haben durchweg sechs bis acht Kinder.

Bei den afrikanischen Stämmen hat der Kinderreichtum solche Ausmaße angenommen, daß Missionsärztinnen den Frauen den Gebrauch von Verhütungsmitteln empfehlen mußten. Diese Frauen sind nach der Geburt von zwölf oder vierzehn Kindern einfach abgewirtschaftet.

Welche Auswirkungen hat diese außergewöhnlich starke Bevölkerungszunahme auf das Verhältnis der Farbigen zu den Weißen?

Greifen wir aus den afrikanischen Völkern ein Beispiel heraus. In Südafrika leben ca. 27 Millionen Menschen, davon sind ca. 4,5 Millionen Weiße, der Rest Schwarze, Inder und Mischlinge. Das Geburten­verhältnis ist eins zu fünfzig. Die kleine Schicht der europäischen Rasse wird in diesem Land durch den gewaltigen Geburtenüberschuß der Nichtweißen biologisch mehr und mehr überrundet und eingeengt.

Damit sind wir bei einem weiteren Symptom, das auf dem Weltkongreß in Berlin damals auf einer »Geburtenuhr« dargestellt wurde. Die Weltbevölkerung wächst acht‑ bis zehnmal schneller als die Christenheit. Die nichtchristlichen Völker gewinnen das biologische Rennen. Die überquellende Fruchtbarkeit der nichtweißen Frauen und damit auch nichtchristlichen Frauen engt den Lebensraum der Christen immer mehr zu einem Ghetto ein.

Symptom 4 Die vitale Überrundung der Christen durch die Nichtchristen bedeutet eine zunehmende Einkesselung, Was steht dahinter? Nicht etwa nur die Tatsache, daß die hochzivilisierten Westvölker den Willen zum Kind verloren haben nein, der Unheimliche, der im Hintergrund am Schalthebel sitzt, will die Gemeinde Jesu in ein Ghetto treiben, um sie besser in den Griff zu bekommen.

2. Die missionarische Überrundung

Von Mission reden nicht nur die Christen, sondern auch die Nichtchristen. Wir leben in einer Zeit, wo der christliche Missionswille stark nachläßt. Ganze Missionsfelder sind von der Müdigkeit der alten Missionsgesellschaften gezeichnet. Es werden sogar Stimmen laut, die da sagen, die Zeit der Äußeren Mission sei vorbei.

In dieser Phase der Ermüdung fällt es um so mehr ins Gewicht, daß die nichtchristlichen Religionen mit neuer Aktivität werben und vorstoßen. Diese Neubesinnung und Neubelebung ist oft von einem Haß gegen die Christen begleitet. Das ist in den ostasiatischen Religionen ein völlig neuer Zug, weil der Buddhismus, der Hinduismus und teilweise auch der Schintoismus bisher tolerant waren. Diese Zeit der Duldsamkeit geht anscheinend zu Ende.

In Japan trat nach dem Zweiten Weltkrieg eine Sekte auf, die sich als Reformbewegung des Nichiren-Buddhismus versteht. Sie nennt sich Soka‑Gakkai. Gründer war Tsunesaburo Makiguchi (1871‑1944). Um 1950 gab es einige zehntausend Anhänger, heute sind es einige Millionen. Diese Sekte versucht, ihre Führer in die Staatsstellen zu bringen, um Einfluß auf die Politik zu gewinnen. Ein wesentliches Merkmal der Soka‑Gakkai ist ihre christentumsfeindliche Haltung. Zu ihren Zielen zählt die Ausweisung aller christlichen Missionare aus Japan. Japan den Japanern! Weg mit der Bevormundung durch die Weißen!

Eine andere Sekte Ostasiens sind die Amadiya-Moslems. Als ihr Führer Amad 1908 starb, hatte er eine halbe Million Anhänger. Heute sind es gegen zweihundert Millionen. Diese Sekte bildet Missionare aus, die in alle Welt hinausziehen. Sie wollen die an das Christentum verlorenen Gebiete wiedergewinnen. Interessant ist, daß sie in ihrer Polemik gegen das Christentum die Waffen benutzen, die modernistische Theologie geschmiedet hat. Sie sagen: »Das beste Argument, das die Christen bisher gegen uns hatten, die Gottessohnschaft des Jesus von Nazareth, hat sich als Irrtum herausgestellt, die Christen haben uns nichts mehr voraus, ihr Jesus ist auch nur ein Religionsstifter wie unser Mohammed.« Der Eifer dieser Amadiya‑Moslems ist für uns Christen beschämend.

Sie bauen in der westlichen Welt ihre Moscheen, die zu Missionszentren werden.

Neben diesen beiden ausgeprägten Sekten Ostasiens ist aber auch ein allgemeines Neuerwachen des Buddhismus zu beobachten. Ein erstaunlicher Missionswille bemächtigte sich dieser bisher trägen, konservativen Gläubigen. In Rangun in Birma und in Colombo auf Sri Lanka wurden buddhistische Missionszentren geschaffen, die ihre Seminaristen als Boten in alle Welt senden sollen. Es geht ein Siegeswille durch die buddhistischen Reihen. Einer ihrer bekanntesten Führer ‑ Unu mit Namen ‑ sagte: »Der letzte Krieg dieser Erde wird ein Religionskrieg sein. Und es ist keine Frage, wer ihn gewinnen wird. Das wird uns vorbehalten bleiben.«

Es ist Tragik und Schuld zugleich, daß das Christentum einen abgewirtschafteten Eindruck macht, während die nichtchristlichen Weltreligionen Welteroberungspläne entfalten und verfolgen.

Symptom 5 Die neue Aktivität der nichtchristlichen Weltreligionen bedeutet nicht nur eine neue Aggressivität gegen das Christentum. Nein, es geht um mehr. Die Fronten gegen die Gemeinde Jesu verstärken sind. Eine »Wachablösung« der Christen durch die Nichtchristen wird mit allen Mitteln angestrebt.

3. Die okkulte Überflutung

Auf religiösem und okkulten Gebiet wird die Verwirrung von Jahr zu Jahr größer. Christen, die ein gesundes, biblisches Glaubensleben führen, werden immer seltener. Wie in einer feucht‑warmen Waldatmosphäre Pilze innerhalb kurzer Zeit aus dem Bo­den schießen, so wuchern heute Irrlehren und irrgeistige Strömungen in der zwielichtigen Atmosphäre unserer Tage. Aus der Vielfalt der Erscheinungen können nur einzelne Erscheinungen herausgeschält werden.

Der Weltspiritismus sei zuerst erwähnt.

Eine Milliarde Menschen in Ostasien leben im Ahnenkult. Diese Ahnenverehrung ist nicht nur ein Zeichen der Pietät, sondern bedeutet in der Praxis des Alltags Verkehr mit den Toten. Den Ahnen werden Opfer gebracht. Ihnen wird Anbetung gezollt. Sie werden in allen Entscheidungen gefragt. Wie schon gesagt, die Verbundenheit mit den Toten ist nicht nur Ausdruck der Verehrung, sondern hat religiöse Bedeutung. Sie ist eine Form des Spiritismus.

Dreihundert Millionen Afrikaner stecken im Animismus (Vorstellung von der Allbeseeltheit der Natur), der viele religiöse Gesichter hat. Wir finden verschiedene Auffassungen der Allbeseeltheit der Natur, die von einer Art Pantheismus (= Gott geht in der Natur auf, die Natur ist Gott) bis hin zur Alldämonisierung aller geistigen und praktischen Lebensgebiete reichen. Im Grunde genommen haben wir es auch beim Animismus mit einem spiritistischen Phänomen zu tun.

Wer Schulbeispiele für den klassischen und kultischen Spiritismus finden will, der studiere die religiöse Entwicklung Brasiliens. Hier können alle Formen des Spiritismus beobachtet werden. Es gibt noch Ritualopfer des verbrecherischen Macumba‑Spiritismus. Wir finden aber auch den mehr vergeistigten Umbanda‑Spiritismus, der zu einem religiösen Kult geworden ist. Am eindrucksvollsten ist der Kardecsche Spiritismus, der eine ausgedehnte Sozialarbeit betreibt. Seine Anhänger bringen große Opfer an Geld, Zeit und Kraft. Seine Anhänger bauen Schulen, Krankenhäuser, Herbergen, Tagungszentren. Arme, Kranke, Arbeitslose und Obdachlose werden von ihnen betreut. Jesus achten sie als großes Vorbild, aber nicht als Sohn Gottes und Erlöser der Menschheit. Sie üben die von der modernistischen Theologie gepriesene Mitmenschlichkeit.

Wir sehen, daß man gar kein Christ sein muß, um Mitmenschlichkeit zu üben. Damit wird offenbar, daß die modernistische Theologie zu einer »profanen Religion« unter anderen, ebenbürtigen Religionen geworden ist. Bibel, christlicher Glaube und Nachfolge Jesu haben bei der modernistischen Theologie ihre Einzigartigkeit eingebüßt. Das wird beim Kardecschen Spiritismus augenfällig demonstriert.

Das ganze öffentliche Leben Brasiliens ist von der geistigen und kultischen Strömung des Spiritismus beherrscht. Die Radiosender haben spiritistische Programme. Die Zeitungen und Zeitschriften sind spiritistisch redigiert. Die Staatsstellen und städtischen Verwaltungsstellen sind mit Spiritisten besetzt. Beim Militär und bei der Polizei werden vielfach nur Spiritisten befördert. Es sollen sogar 95 Prozent der Ärzte einem spiritistischen Berufsverband angehören. In einer Stadt wurde von den katholischen und evangelischen Pfarrern angegeben, daß 90 Prozent der Bevölkerung Spiritisten seien. Beide Konfessionen stehen hier in einer gemeinsamen Abwehrfront gegen den Spiritismus und richten doch kaum etwas aus.

Neben diesen offenkundig okkulten und dämonischen Bewegungen gibt es heutzutage auch Strömungen religiösen Charakters, die wie psychische Epidemien Länder befallen. Menschen werden von diesen geistigen Seuchen befallen und schwelgen einige Monate oder einige Jahre in dem Neuen, das diese Bewegungen bringen und anbieten, bis sie schließlich alles verlieren, was sie zuvor an inneren, geistlichen Werten hatten. Nach dem Erlöschen des seelischen Erlebens gleichen sie ausgebrannten Kratern.

Ein bezeichnendes Beispiel für viele: Ich kenne im Ausland eine Medizinstudentin. Ihr Vater ist Prediger. Das Mädchen erlebte mit sechzehn Jahren eine klare Bekehrung. Drei Jahre folgte sie ihrem Herrn Jesus Christus treu nach. Dann geriet sie durch die Einladung einer Freundin in einen extremen religiösen Kreis. Sie wurde von diesem Schwarmgeist erfaßt. Die Wogen des Gefühls gingen hoch. Ein halbes Jahr lang fand sie dort Befriedigung. Dann ebbten die Gefühle ab. Sie verlor die ekstatischen Erlebnisse, hatte aber inzwischen auch den Frieden mit Gott und die Gewißheit der Vergebung, die sie zuvor besaß, eingebüßt. Nicht nur ernüchtert, sondern auch geistlich völlig entleert und ausgepumpt, blieb sie zurück. Ober den ekstatischen Erlebnissen hatte sie ihre Gotteskindschaft verloren. Sie stürzte sich in das Vergnügungsleben.

Symptom 6 Okkulte oder schwarmgeistige Strömungen bieten den Menschen Ersatz für die Nachfolge Jesu. Zugleich sind sie Vernebelung und Ablenkungsmanöver des Feindes Gottes. In jedem Fall ist dieser der Gewinner, der zu allen Zeiten im Trüben fischt und Menschen in seinen Bann schlägt.

 III. DIE WELTGEFAHREN

Unser Globus ist klein geworden. Die Zeitgenossen treten sich politisch, wirtschaftlich und geistig auf die Zehen. Die Menschheit gleicht einem überfüllten Flüchtlingslager. Jeder drückt den anderen. Kampf um den Raum, Kampf ums Licht, Kampf ums Wasser, Kampf um die Lebensmittelration, Kampf um die Genußmittel, Kampf um ein bißchen Liebe und Zerstreuung! Zu diesen Gefahren von innen kommen die Gefahren von außen. Nennen wir die wichtigsten.

1. Die schnelle Veränderung der politischen Lage

Die kommunistische Ideologie ist zusammengebrochen. Was in Ungarn begann, wurde am 9. November 1989 durch den Fall der Berliner Mauer fortgesetzt. Der gesamte Ostblock, außer China, wendet sich kapitalistischen Marktprinzipien zu.

Die Menschen dort wollen nun mit großer Schnelligkeit nachholen, was ihnen seit dem Zweiten Weltkrieg vorenthalten wurde. Sie wollen den gleichen Lebensstandard wie die Leute im Westen und können nicht begreifen, daß auch die westliche Welt Zeit gebraucht hat, um ihre heutigen Errungenschaften aufzubauen.

Einige Beispiele mögen belegen, warum die kommunistische Weltanschauung hoffnungslos verloren hat. Durch die Massenmedien unserer Zeit gibt es kaum einen Winkel in unserer Welt, wo nicht Berichte gehört oder gesehen werden können.

Kurz vor der Vereinigung Deutschlands steht die Wirtschaft der ehemaligen DDR vor dem Zusammenbruch. Warum eigentlich? Weil die Planwirtschaft an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen vorbeiproduziert hat. Den Betrieben wurde von obenher vorgegeben, was sie wann zu produzieren hatten. Es konnte also vorkommen, daß Reißzwecken in Mengen gekauft werden konnten. Es gab dann aber keine Nägel. Baustellen wurden z. B. so schlecht mit Mate­rial versorgt, daß die Handwerker zwar zur Arbeit kamen, aber nichts zu tun hatten. Die Reihe dieser Beispiele ließe sich ins Unendliche fortsetzen.

Ein anderes klassisches Beispiel erzählte ein Schweizer Missionar. Er arbeitet seit Jahren in den Hochanden unter den Indianern Südamerikas. Er ist Fachmann für Volkswirtschaft und Bodenkultur, ein sehr fähiger Mann. Die arme Bevölkerung lehrte er, den Boden besser auszunützen und zu bewirtschaften. Er legte ein Bewässerungssystem an, führte Kunstdünger ein und erreichte damit, daß der Bodenertrag sich vervierfachte. Danach baute der Missionar eine Viehzucht auf. Er führte friesische Rinder und Schweizer Alpenvieh ein. Jede Familie erhielt eine Kuh. Er zeigte den Indianern die Butter‑ und Käsezubereitung und hob damit innerhalb weniger Jahre den Lebensstandard der einheimischen Familien. Die Kindersterblichkeit ging zurück. Die ehemals zerlumpten Gestalten fingen an, sich ordentlich zu kleiden.

Soweit wäre alles gutgegangen. Nur einer Gruppe paßte es nicht ins Konzept: den Kommunisten. Sie suchten eines Tages den Missionar auf und stellten ihm ein Ultimatum: »Verlassen Sie in kürzester Zeit unser Land. Leute Ihrer Gattung brauchen wir hier nicht. « Der Missionar fragte erstaunt: »Warum denn? Ich habe eurem Volk nur Gutes getan. Die Leute können sich jetzt besser ernähren, Hunger und Elend haben aufgehört. Ich habe Vieh eingeführt und kultiviere euer Land. « »Das ist es ja gerade«, antworteten die Kommunisten, »wenn sich bei diesen Bergbewohnern der Wohlstand ausbreitet, sind sie für unsere Doktrinen nicht mehr offen. Wir brauchen den Hunger und das Elend, sonst kann sich unsere Partei nicht halten.« Da lag also der Hase im Pfeffer.

Der Missionar wurde dann massiv bedroht, überlebte aber mit Gottes Hilfe alle Anschläge.

Noch ein Beispiel. In der ehemaligen DDR wurden schon Vorbereitungen getroffen, mißliebige Leute, wie auch Christen, in Internierungslagern verschwinden zu lassen, um sie mundtot zu machen. Ein engmaschiges Netz von Spitzeln überzog das Land.

Die marxistische Ideologie hat deswegen ausgespielt, weil sie ihre menschenverachtenden Auffassungen zu lange unbarmherzig durchgesetzt hat. Andererseits sind diese Vorgänge im Ostblock auch ein Zeichen dafür, daß Gott noch im Regiment sitzt, auch wenn die Menschen diese Chancen wieder mißbrauchen im Blick auf einen Welteinheitskapitalismus, eine Welteinheitsreligion und anderes.

Symptom 7 Hinter diesem Zeitgeschehen steht ein anderer Sachverhalt. Die christliche Botschaft soll abgeschwächt und die christliche Hoffnung verwässert werden.

2. Die Hungerkatastrophe der Endzeit

Im Sommer 1966 waren etwa 2000 Ernährungswissenschaftler in Hamburg versammelt, um über die stets dringlicher werdenden Ernährungsprobleme der Menschheit zu beraten.

Man rechnet heute etwa alle 40 Jahre mit einer Verdoppelung der Menschheit. Daher wird man um das Jahr 2000 etwa sieben Milliarden Menschen ernähren müssen, im Jahr 2040 etwa 14 Milliarden.

Diese rasche Zunahme der Weltbevölkerung stellt die Ernährungswissenschaftler vor schier unlösbare Probleme. Hunderte von Möglichkeiten der Abhilfe werden erwogen. Ein Franzose meinte, die Sahara habe in 70 Meter Tiefe reichlich Wasser. Man solle ein mit Atomkraft betriebenes Pumpwerk bauen, das diese Wassermassen hochfördert, die dann die Wüste bewässern könnten. Ein Australier wies auf Pflanzenarten hin, die sehr anspruchslos und doch zugleich so widerstandsfähig sind, daß sie für eine Bepflanzung der Wüsten in Frage kämen. Vor allem die Gattung der Chenepodae, die mit wenig Wasser auskommen, dazu das Wasser lange speichern können und überdies noch einen großen Nahrungswert haben. Wieder andere sprachen davon, daß man über die Wüste einen »Schaumgummiteppich« aus Samen und Nährstoffen legen könnte. Die konzentrierten Nährstoffe ermöglichten das Wachstum der Pflanzen, die ihrerseits wieder als Wasserspeicher und Humusbilder dienen könnten. Auch die Gewinnung von Süßwasser aus Salzwasser wurde erörtert.

Man wies ferner auf die großen Urwaldgebiete der Erde hin, die für die Ernährung der Menschheit urbar gemacht werden könnten.

Nicht zuletzt stehen uns in der Zukunft Atomkräfte für die Urbarmachung der Erde zur Verfügung. Leider aber wird das Theorie bleiben, denn die Atomkraftgegner formieren sich, so daß es zu einer vernünftigen Nutzung wohl nicht kommen wird. Bis jetzt war es so, daß 98 Prozent der nuklearen Energie für militärische Projekte genutzt oder bereitgestellt wurden. Wer sollte auch diesen plötzlichen Gesinnungswandel der Menschen hervorbringen. die Urkräfte der Schöpfung nicht mehr zur Vernichtung, sondern als Lebensspender zu verwenden! Ist das nicht ein Wunschtraum? Wird sich diese Erwartung nicht erst nach der Wiederkunft Jesu, also im Tausendjährigen Reich Christi auf Erden erfüllen? So schaut es der Prophet Jesaja (Kap. 2, 1‑5): »Er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.«

Trotz aller Pläne und dem Optimismus konnten die Ernährungsfachleute das Hungergespenst, das am Horizont der Zukunft auftaucht, nicht bannen. Schon heute können sich eine Milliarde und mehr Menschen täglich nicht mehr sattessen. Und dies bei einer Weltbevölkerung von über vier Milliarden Menschen. Wie soll das erst um die Jahrtausendwende und später werden, wenn die doppelte Zahl von Menschen satt werden will?

Wie wenig man dem Optimismus der Ernährungswissenschaftler zustimmen kann, zeigen einige alarmierende Ereignisse.

Nach den H‑Bomben‑Versuchen der USA im Pazifik waren riesige Fischvorräte des Meeres radioaktiv verseucht. Die im pazifischen Raum operierenden Fischfangflotten verschiedener Länder fingen jahrelang radioaktive Thunfische.

Nach den H‑Bomben‑Versuchen der Russen in Sibirien trieben Westwinde radioaktive Wolken nach Alaska. Die Niederschläge verseuchten Moose und Flechten der nördlichen Tundra und damit auch die Karibus, wilde Rentiere, die sich von diesen Pflanzen ernähren. Die Amerikaner testeten das Fleisch und stellten bestürzt fest, daß die Radioaktivität den kritischen Punkt überschritten hat.

Noch immer finden Nuklearbombenversuche der USA und Frankreichs im Pazifik statt. Riesige Fischvorräte werden dadurch radioaktiv verseucht.

Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahre 1986 trieben radioaktive Wolken in den Westen, von den geschädigten Menschen dort einmal abgesehen. Diese Radioaktivität verseuchte darüber hinaus auch Tiere und Pflanzen in verschiedenen Ländern.

Diese Berichte zeigen, was Radioaktivität auch bedeuten kann. Das ganze Ausmaß der Gefährdungen wird der Öffentlichkeit verschwiegen, um keine Panik hervorzurufen.

Gehen wir nicht mit Riesenschritten der Zeit entgegen, die in Offenbarung 6, 5‑6 beschrieben wird? »Und ich sah, und siehe ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand. Und ich hörte eine Stimme unter den vier Gestalten sagen: Ein Pfund Weizen um ein Silberstück und drei Pfund Gerste um ein Silberstück; aber Öl und Wein taste nicht an!« Am Horizont zeichnet sich eine Hungerkatastrophe ab. Vermutlich werden die nichtweißen Völker davon zuerst betroffen, der Westen mit seinem Reichtum und hohen Lebensstandard zuletzt. Darum wird sich der Neid und die Erbitterung gegen die Weißen wenden. Man wird ihnen Misswirtschaft wie auch Ausbeutung und Gefährdung der übrigen Völker vorwerfen.

Symptom 8 Die Parole dieser Hungerkatastrophe wird lauten: Die Weißen haben versagt, die Christen sind schuld. Sie sind für den Hunger der Völker verantwortlich. Und wer steht hinter dieser Hungerfassade? Nicht die ungerechte Verteilung der Güter ‑ nein; der Unheimliche au ~dem Reich der Finsternis will in der Christen den Mann aus Nazareth treffen.

3. Die Radioaktivität und Atomangst

Ein italienischer Politiker ließ durch einen Psychotherapeuten seine Lebensbeichte anonym in Buchform herausgeben. Das Buch, das zu einem literarischen Erfolg wurde, trägt den bezeichnenden Titel »Ich habe Angst«. ‑ Einige Jahre vor seinem Tod sagte Winston Churchill: »Den Großmächten sind die Zügel der Weltregierung aus der Hand geglitten. Sie werden mit den auf sie einstürzenden Problemen nicht mehr fertig.« Diese Angst kennzeichnet nicht nur den politischen Sektor, sondern greift auf alle anderen Gebiete über.

Beleuchten wir kurz die ausgeprägteste Form der Angst, die mit der steigenden Radioaktivität verbundene Atomangst. Bernhard Philberth berichtet in seinem vielbeachteten Buch »Christliche Prophetie und Nuklearenergie« von den sogenannten »heißen Körnchen«. Worum handelt es sich? Radioaktive Atomkerne werden bei den H‑Bomben‑Experimenten zu winzigen Körnchen In Größenordnungen 10‑12 verdichtet. Diese Schwebeteilchen werden beim Atmen aufgenommen und gewöhnlich auch wieder ausgestoßen. Jedoch bleibt im Durchschnitt einmal im Jahr ein heißes Körnchen in der Lunge hängen und nistet sich im Gewebe ein. Diese heißen Körnchen sind Krebserreger. Philberth schreibt dazu, daß im schlimmsten Fall die ganze Menschheit daran sterben könnte. An diese Möglichkeit brauchen wir nicht zu denken, denn das Buch der Offenbarung in der Heiligen Schrift kennt dieses Ende der Menschheit nicht. Nach Philberths Meinung können aber im günstigsten Fall Hunderttausende von Menschen Krebsgeschwüre bekommen. Darin wird er recht behalten. In Offenbarung 16, 2 heißt es: »Es ward ein böses und arges Geschwür an den Menschen.«

Philberth ist Kernphysiker. Es ist darum von Bedeutung, daß seine Vermutungen heute von den Krebsforschern anerkannt werden. Diese erklären sogar, daß heute schon fünf Prozent der Menschheit krebsverseucht sind.

Ein anderes Problem in Zusammenhang mit der Anwendung der nuklearen Energie kann nur angedeutet werden. Die USA machten in den letzten Jahren Versuche mit der Kobaltbombe. Die Ergebnisse waren so erschreckend, daß die USA vorerst von diesen Versuchen Abstand nahmen.

Die Insel im Pazifik, auf der die Meßgeräte für dieses Kobaltexperiment postiert worden waren, war nach der Explosion total verschwunden. Die dem Explosionsherd zunächst liegenden drei Schiffe wurden ebenfalls von der entwickelten Hitze zerstört. Die Eisenteile schmorten. Der Versuch konnte daher zum großen Teil nicht ausgewertet werden, da die auf große Entfernung eingerichteten Meßapparaturen zum größten Teil durch die Hitze vernichtet waren. Bei diesem Experiment wurde nach grober Schätzung eine Hitze von mehr als 60 Millionen Grad Celsius erzielt. Der Sonnenkern hat eine Hitze von 12‑15 Millionen Grad Celsius. Damit wäre rund der fünffache Betrag bei diesem Kobaltexperlment erreicht worden. Wir Laien fragen daher ganz naiv: »Wo will das hin?« Wir sind doch damit in das Vorfeld von 2. Petrus 3, 10 gerückt, wo es heißt: »Die Himmel werden zergehen mit großem Krachen. Die Elemente werden vor Hitze schmelzen. Die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen.«

Dieses Kobaltexperiment hat im Blick auf diese biblischen Aussagen prophetischen Charakter, endzeitliches Gepräge. Wir leben in der Zeit der Erfüllung.

In diesem Zusammenhang mag wohl bedacht werden, was der große Forscher Einstein vor seinem Tode andeutete. Er sagte seinen Freunden, daß er Vorgängen auf die Spur gekommen sei, die noch viel gewaltigere Energien frei werden ließen als die Kernzertrümmerung und die Kernverschmelzung. Er wolle aber diese Entdeckung mit ins Grab nehmen. Die Verantwortung sei ihm zu groß. Mit diesen knappen Andeutungen ist nur ein Angstproblem erwähnt, das nachdenkliche Menschen beschäftigt.

Die Angst aber hat ein vielfältiges Gesicht. Es gibt eine Lebensangst, Platzangst, Examensangst, Kriegsangst, Todesangst; Angst vor Menschen, Angst vor bestimmten Aufgaben, Angst vor der eigenen Schwäche, Angst vor einem übermächtigen Schicksal, Angst vor der dunklen Zukunft und so fort.

Die Zeit, die in Lukas 21, 26 beschrieben wird, beginnt sich zu erfüllen: »Die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde.«

Symptom 9 Der Einsichtige spürt, daß gewaltige Dinge in der Luft liegen. Die ungeheuren wissenschaftlichen Entdeckungen auf dem Gebiet der Kernphysik schaffen den Raum, in dem übermächtige Verhängnisse nach unserer Seele greifen. Angst ist die »Grundbefindlichkeit« des Seins geworden. Der Mensch beherrscht die Lage nicht mehr, die er selbst geschaffen hat. Ein anderer versucht, das steuerlos gewordene Schiff der Menschheit in seine Hand zu bekommen.

4. Die Neurotisierung der weißen Rasse

Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch den Ruf nach dem Psychiater. Einige Jahre vor seinem Tod hat der bekannte Professor Viktor von Weizsäcker erklärt: »Westdeutschland hat 4000 Psychiater zu wenig.« Heute ist dieser Mangel um ein Vielfaches größer.

Erfolgreiche Psychiater sind oftmals auf Monate hinaus belegt. Als ich einmal einen Bekannten an den gläubigen Psychiater Dr. Alfons Mäder in Zürich schicken wollte, antwortete dieser befähigte Arzt, daß er ein ganzes Jahr voraus den Terminkalender besetzt habe.

Erschreckende Aufschlüsse auf dem Gebiet der Gemüts‑ und Geisteskrankheiten geben die in Abständen abgehaltenen Kongresse für Psychiater und Psychotherapeuten. Ein europäischer Psychiater erklärte einmal, daß über 15 Prozent aller Krankenhauspatienten nicht organisch, sondern seelisch krank seien. Zu beachten ist, daß es sich hier nicht um ambulante Patienten handelt, sondern nur um die stationär behandelten Kranken. Ein Psychiater aus England sagte sogar, daß 35 Prozent der Betten in den Krankenhäusern für Neurotiker reserviert bleiben müßten. England hat in Europa den höchsten Prozentsatz der Depressiven und Neurotiker. Noch schlimmer sieht es in den USA aus. Ein amerikanischer Psychiater berichtete, daß in den Vereinigten Staaten die Hälfte aller Hospitalinsassen neurotisch seien. Unter den Studierenden wären mindestens 30 Prozent einem Psychiater zur Beratung und Behandlung zuzuweisen. Zuletzt noch die Aussage eines kanadischen Professors, der lächelnd konstatierte: »Jeder achtzigste Kanadier hat einen seelischen Knacks.«

Die Ergebnisse dieser Kongresse lassen sich zusammenfassen in der Feststellung, daß die weiße Rasse einer zunehmenden Neurotisierung unterliegt. Der Verschleiß der Nervenkraft, die zahllosen seelischen Belastungen, die »depressive Welle« der westlichen Welt kündigen den Konkurs der seelischen Widerstandskraft des weißen Mannes an. Kein Wunder, daß auf dem Gebiet der Seelenheilkunde entscheidende Maßnahmen erforderlich sind. Man versucht in allen Ländern des Westens eine umfassende Psychohygiene (Schutz der seelischen Gesundheit) zu entwickeln. Ferner müssen mehr Medizinstudenten für das Gebiet der Psychiatrie interessiert werden. Die Zahl der Fachärzte für Nerven und Gemütskranke ist, wie schon erwähnt, der Sturmflut der Neurosen nicht gewachsen.

Auch Evangelisten und Seelsorger werden bei Diensten in den Städten zunehmend von seelisch Kranken in Anspruch genommen. Welche Rückschlüsse läßt eine solche Entwicklung zu?

Symptom 10 Die Entnervung des modernen Menschen und der Verschleiß seiner seelischen Kräfte sind ein Anzeichen für den Niedergang der westlichen Welt. Seelische Schutzdämme brechen. Die alltäglichen Ereignisse übersteigen die Fassungskraft des Menschen. Sie bedrohen, zermürben und zerstören seine seelische Widerstandskraft. Ohne diese ist der Mensch leicht eine Beute der widergöttlichen Kräfte, die zu einer umfassenden Rebellion gegen Gott angetreten sind. Der Satan hat mobil gemacht.

5. Die Naturkatastrophen

Zur Silhouette der Endzeit gehören nach Matthäus 24 und Lukas 21 die Naturkatastrophen: Sonne und Mond verlieren ihren Schein; die Kräfte des Himmels bewegen sich; Seuchen, Hunger und Erdbeben erschüttern Erde und Menschheit. Denn in der Gesamtplanung des unheimlichen, widergöttlichen Rebellen ist kein Gebiet ausgeklammert. Alles, was aus Gottes Hand hervorgegangen ist, Mensch und Natur, soll getroffen werden. Das Endchaos ist das letzte Ziel der satanischen Endstrategie.

Bei welcher Etappe dieser Naturrebellion sind wir in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts angekommen? Man könnte über dieses Thema ein ganzes Buch schreiben. Hier bringe ich nun einige Gedanken und ein paar Beobachtungen.

In Puerto Mont stand ich vor der evangelischen Kirche, die schon zum dritten Mal aufgebaut worden ist. Chile wurde schon oft von furchtbaren Erdbeben heimgesucht, die auch dieses Gotteshaus nicht verschonten. Der Turm der letzten Kirche schwankte beim Beben wie ein Rohr im Wind, stürzte auf das Kirchenschiff und zertrümmerte die Stätte der Anbetung und Verkündigung.

In Anchorage in Alaska beeindruckten mich die Spuren des letzten großen Erdbebens vom Karfreitag 1964. Dieses Beben hatte den Stärkegrad neun, war also stärker als das bekannte Beben von San Francisco. Die Hochhäuser des Stadtkerns stürzten ein. Ganze Straßen wurden seitlich verschoben. Eine nachrollende Flutwelle setzte große Flächen unter Wasser.

Die Seismologen (Erdbebenforscher) erklären, daß seit 400 Jahren die Zahl der großen Erdbeben ständig zunimmt. Man vermutet sogar, daß der Erdmantel sich um den Erdkern verschoben habe. Mit dieser Annahme könnten die vielen Erdbeben erklärt werden.

Ein weiteres Kapitel der Erdbewegungen sind die Bergrutsche. Denken wir da in neuester Zeit nur an die Verschiebung der Brücke über das Inntal und andere Ereignisse in der ganzen Welt. Immer wieder hören und lesen wir von Überschwemmungen, Lawinenkatastrophen und ähnlichen Dingen.

Ein besonders tragisches Kapitel sind die »gefährlichen Mädchen« im pazifischen Raum und über den USA. Diese Taifune, denen man merkwürdigerweise Mädchennamen gab, toben auch über den Philippinen, Taiwan, Hongkong und Südlapan. Sie rasen manchmal mit einer Geschwindigkeit bis zu 400 Stundenkilometern über weite Gebiete. Von den verheerenden Auswirkungen können wir uns kaum eine Vorstellung machen.

In Hongkong sah ich die Wracks von Fischerbooten, die ein Taifun einige hundert Meter landeinwärts getragen hatte. ‑ Nahe einer Südseeinsel sah ich ein großes Schiff, das der Wirbelsturm auf ein Riff geworfen hatte. ‑ Die Japaner kommen oft kaum dazu, die Zerstörungen ihrer Häfen auszubessern, ehe der nächste Taifun neues Unheil bringt.

Zwar forscht man eifrig nach den Ursachen der Taifune, doch ist deren Entstehung und zunehmende Häufigkeit ungeklärt. Die Bibel weiß allerdings eine Antwort, die tiefere Zusammenhänge aufzeigt als jede naturwissenschaftliche Erklärung.

Symptom 11 Die zunehmenden Naturkatastrophen gehören zur Szenerie des Erzfeindes Gottes, der im Endkampf alle geeigneten Mittel für sein Zerstörungswerk braucht.

 

IV. DIE AUFLÖSUNG DER ORDNUNGEN

Der Apostel Paulus sagt in 1. Korinther 14, 33: »Unser Gott ist nicht ein Gott der Unordnung.« Als das Volk Israel aus Ägypten ausgezogen war, erhielt es von Gott am Sinai seine erste große Ordnung. Ordnungen sind Grundvoraussetzungen für ein Zusammenleben von Menschen und Völkern, Ordnungen sind Schutzdämme. Der Gegenspieler dieser Ordnungen ist der Diabolos ‑ der Durcheinanderbringer. Er treibt sein Geschäft mit der Unordnung. Er kann nur im Chaos gewinnen. Darum richtet sich sein Augenmerk vor allem in der Endzeit darauf, alle Ordnungen zu zerschlagen. In der Gegenwart gelingt ihm dieses dunkle Werk mehr denn je in der Menschheitsgeschichte. Wir haben damit einen Gradmesser, wie nahe das Ende aller Dinge gekommen ist.

1. Die Auflösung der Familie

In Nordamerika klagten mir oft die Eltern, daß die Zeit jeglicher Autorität in ihrem Lande zu Ende gehe. Es habe sich seit Jahren ein neues Erziehungsideal herausgebildet, das sich »selfrealisation« (Selbstverwirklichung) des Menschen nennt. Dieses Ideal formt die Kinder­und Jugenderziehung. Der heranwachsende Jugendliche soll nicht dauernd bevormundet werden, sondern das Recht haben, sich selber frei zu entfalten. Die Auswirkung dieser Vorstellungen zeitigt im Elternhaus und in der Schule böse Früchte. Vielen Erziehungsberechtigten ist die Lenkung und Formung der Kinder aus der Hand geglitten. Jugendrichter mit ihren allzu milden Urteilen begünstigen diese Auflösung jeder Zucht. Kinder terrorisieren Eltern, Lehrer, Pfarrer und Lehrherren. Sie randalieren, belästigen die Nachbarn und ärgern die Polizei.

Sie setzen sich über Recht und Ordnung einfach hinweg. Viele sehen daher in der »selfrealisation« nur die Entwicklung der Bestie im Menschen.

England, das schon oft seine Impulse aus den Vereinigten Staaten empfing, folgt auch hier dem großen Schrittmacher. Die Briten nennen ihr Erziehungsideal »selfexpression«. Der Mensch soll die äußere Form seines Lebens finden, die seinem inneren Wesen entspricht.

Und die Folgen?

Die englischen Lehrer, vor allem die der älteren Generation, klagen, daß sie keine Zuchtmittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung haben. Nicht die Lehrer, sondern die Schüler bestimmen. Das gleiche Bild sehen wir im Zusammenleben der Familie. Die Familie gilt nur als »fillingstation« und »parking ground«, Tankstelle und Parkplatz. Familienväter haben nicht mehr die Macht, der vierzehnjährigen Tochter zu verbieten, mit ihrem Freund auswärts zu schlafen. Sie dürfen dann nur für das Baby der fünfzehnjährigen aufkommen, weil der sechzehnjährige Vater seinen Sprößling nicht ernähren kann. Ein Jugendanwalt erzählte mir, daß er häufig für die Kinder der Vierzehn‑ bis Sechzehnj ährigen die Unterhaltsprozesse führen muß. Im günstigsten Fall sind beide großelterlichen Familien der Neugeborenen bereit, dafür aufzukommen. Dieser günstige Fall tritt jedoch selten ein.

Wer aber meint, er könne die Schuld dieser Entwicklung allein der Jugend zuschieben, der begeht einen verhängnisvollen Kurzschluß. Den heranwachsenden Kindern fehlt oft die Geborgenheit der Familie, die Atmosphäre der Liebe. Es fehlt die vielgerühmte Nestwärme. Die Jugendlichen sind ohne große Vorbilder. Wo die Kinder versagen, haben manch­mal zuerst die Eltern versagt. Diese Auflösung der Familien ist daher ein Schuldkomplex, der Eltern und Kinder umschließt.

Wie haben wir diese Zustände zu deuten? Antwort gibt Paulus in 2. Timotheus 3: »In den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen. Denn es werden Menschen sein, die viel von sich halten, geizig, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, unclankbar, ungeistlich.« Der Apostel nennt hier Merkmale der Endzeit. Wir leben unter diesen Zeichen.

Symptom 12 Geht die Familie aus den Fugen, dann folgt der Staat und die ganze Welt bald nach. Und im Hintergrund steht der unheimliche Nutznießer ‑ aber die Menschen erkennen ihn nicht und leugnen seine Existenz.

2. Die Sexwelle

Wir leben in einer sexgeschwängerten Zeit. Die Psychologen drücken sich vornehmer aus und sagen: »Unser Jahrhundert ist geschlechtsfreudig.«

Es geht nun nicht darum, dem Leser fürchterliche Geschichten zu präsentieren und seine Phantasie damit zu reizen. Es kann sich nur um vorsichtige Andeutungen handeln, die als Symptom unserer Zeit genommen werden können.

In 1. Mose 19 werden die speziellen Sünden Sodoms berichtet. Paulus wiederholt den Bericht dieser sodomitischen Sünden in Römer 1, 27. Und wie urteilt man heute über diese Unzuchtsünden? Ein Schweizer Eheberater vertritt die Berechtigung der Homosexualität. Als zwei Schweizer Pfarrer gegen ihn Stellung bezogen, wurde dieser Eheberater von der Kirche gedeckt und geschützt. In 1. Mose 19 und in Römer 1 waren diese Sünden die Vorboten des Untergangs, sollte es heute anders sein? Hat eine Kirchenleitung das Recht, die biblischen Aussagen zu entkräften?

Die Entartung der heutigen Menschheit ist beängstigend vorangeschritten. Ein gläubiger Australier, der zu meinem Freundeskreis gehört, besuchte Kairo. Vor den Augen der Schaulustigen wurden die Sünden getrieben, die in 2. Mose 22, 18 mit der Todesstrafe belegt sind. Der Australier sprang entsetzt auf und rannte voll Abscheu hinaus,

Nun mag jemand sagen: »Das sind ja Moslems, die eine andere Moral als die Christen haben.« Gibt es in den christlichen Ländern nicht auch himmelschreiende Dinge?

Ich evangelisierte in einer europäischen Hafenstadt. Der Pfarrer, in dessen Kirche die Vorträge stattfanden, erzählte mir folgendes: »In einer Volksschule des übelsten Quartiers der Stadt sind beinahe ein Drittel der Schülerinnen schwanger oder Mütter, bis sie schulentlassen werden.«

Noch ein letztes Beispiel aus England. Mein Gewährsmann ist ein gläubiger Akademiker in Manchester. Ich wohnte anläßlich meiner Vorträge an der Universität in seinem Haus. Abends fuhr er mich mit seinem Wagen zu dem sogenannten Heaven‑HellClub. Wir durften dort nicht halten, sonst wäre uns der Wagen demoliert worden. Wir konnten nur einige Male um das Quadrat fahren. Dabei erzählte er mir, daß hier jede Nacht Jugendliche vom zwölften Lebensjahr an zusammen schlafen. Mitunter sind es dreihundert Pärchen. Auf meine erstaunte Frage: »Gibt es in England kein Jugendschutzgesetz?« antwortete er: »Doch, aber es wird zu lau gehandhabt.

Wer etwas dagegen sagt, wird wegen seiner >kontinentalen< Anschauungen als rückständig bezeichnet. Unter den Augen der Bobbies (Polizisten) treiben sich noch halbe Kinder nachts herum und genießen das Nachtleben. Die Jugendlichen richten sich in verlassenen Häusern Liebesnester ein und treffen sich da mit ihren Freunden und Freundinnen.«

Wir fragen uns wiederum: Sind nicht die Tage Sodoms oder des untergehenden Roms wiedergekommen? Die Katastrophe wird nicht lange auf sich warten lassen.

Symptom 13 Diese Auflösung des Schamgefühls, die sich noch durch weitere Beispiele belegen ließe, hat uns von jeher in der Weltgeschichte einen Untergang angekündigt. Sollte es heute anders sein?

3. Die Suchtwelle

»Gefühl auf Rezept«, das ist ein neues Schlagwort unserer Zeit. Die medizinische Wissenschaft entwikkelte Psychodrogen, die über den Umweg des Gehirnstoffwechsels das Gefühl beeinflussen.

Neu ist diese Wissenschaft allerdings nicht, denn die Urstämme der Erde kennen seit Jahrtausenden Pflanzen, die das Bewußtsein und das Unbewußte des Menschen verändern. In Mexiko stieß ich auf Indianer, die aus Giftpilzen eine Substanz gewinnen, dic einen Rauschzustand herbeiführt. In diese Reihe gehört auch die Kaktee Peyotl. Aus ihr wird ein Trunl bereitet, der den Menschen herrliche Halluzinationer verschafft. Im Amazonasgebiet zeigte mir Missionai Zehnder den Teestrauch, dessen Blätter die Indianei kauen, um dadurch in einen traumlosen Schlafzustand zu fallen. Die Wongai in Australien, mit denen ich in Berührung kam, stellen ebenfalls aus einer Pflanze einen Saft her, der den Menschen willenlos macht. Der mit diesem Pflanzenextrakt behandelte Mensch ist keines eigenen Gedankens mehr fähig. Er denkt nur, was der andere ihm einredet. Auf diese Weise betreiben die Wongai seit Jahrhunderten eine Gehirnwäsche, lange bevor der Russe und der Chinese auf diese Form der Versklavung gekommen sind.

Neu an dieser Rauschgift‑Wissenschaft ist nur die Tatsache, daß die Psychiatrie darin große Möglichkeiten sieht, Geisteskranke günstig zu beeinflussen. Ein amerikanischer Arzt, Dr. lioffer, rief Stürme von Entrüstung und Zustimmung hervor, als er eines Tages erklärte, daß eine Dosis von täglich 6 mal 50 Milligramm Niacin die Heilung einer Schizophrenie einleiten könne. Wenn auch diese Angaben noch nachzuprüfen sind, so hat doch auch die europäische Medizin verschiedene Gruppen von Drogen entwikkelt, die das seelische und geistige Empfinden entweder erregen oder dämpfen. Dazu gehören vor allem die Phenothiacine, die Gruppe der Neuroleptika und die Gruppe der Ataraktika oder Tranquilizer. In der Hand des Arztes sind diese sogenannten »Seelenschmerzmittel« eine große Hilfe für die Kranken.

Der Kontrolle der Ärzte entzogen, sind sie allerdings eine Gefahr. Und von dieser Gefahr soll kurz die Rede sein. Dreimal bereiste ich Mexiko und wurde dort mit den Volkssitten und Unsitten bekannt. Ein Missionar vermittelte mir den Besuch in einem Gefängnis für Rauschgiftsüchtige und Rauschgiftverbrecher. Bei dem Rundgang sah ich immer wieder Gefangene am Boden liegen oder in einer Ecke kauern. Sie machten einen völlig apathischen Eindruck. »Was ist mit denen los?« fragte ich den Begleiter. »Sie sind im Rauschzustand«, war die Antwort. »Wie ist das möglich?«, wollte ich wissen. »Das ist kein Problem. Die Aufseher handeln mit Heroin«, lautete die Erklärung. Wir haben damit folgenden Tatbestand. Die Gefangenen sind aufgrund ihrer Rauschgiftsucht und ihres Rauschgifthandels ins Gefängnis gekommen, aber die Organe des Strafvollzuges handeln mit Rauschgift. Sie gehören also auch hinter Schloß und Riegel. Wer soll aber dann wen bewachen?

Diese Beobachtung zeigt ein Problem: Der mexikanische Staat wird mit dem Rauschgifthandel nicht fertig.

In den USA ist es nicht anders. Seit einigen Jahren fegt eine Suchtwelle über das Land. Bei meinen vielen USA‑Besuchen sagte man mir, über 30 Prozent der Studenten und der älteren Schüler seien davon erfaßt.

Diese Suchtwelle hat inzwischen England und auch Deutschland erreicht. Am 12. September 1990 wurde in Hamburg der 85. Drogentote in diesem Jahr gemeldet. In anderen Orten liegen die Zahlen in ähnlicher Größenordnung. Tausende von Jugendlichen stecken in dieser Welle. Sie fliehen aus dem Alltag in den süßen Rausch und vergessen für einige Stunden die Misere, die sie umgibt. Es ist die Eigenart dieser Epidemien, daß sie globalen Charakter haben. Die Jugend der ganzen Welt wird damit überrollt. Diese Sucht ist die Flucht ins Unbewußte. Abschalten! Für einen halben Tag den Jammer los sein! Ist das aber eine Lösung der unbewältigten Alltagsprobleme? Nein, sondern nur ein »Abmelden« vor Aufgaben, die man nicht zu bewältigen glaubt.

Symptom 14 Diese neue Suchtwelle, die heute die Menschheit überrollt, ist eine Art che­mischer Versklavung. Und wer ist der Sklavenhalter?

4. Der Durchbruch ins Zügellose

Starke Sturmfluten überfluten oder brechen die Dämme. Diese Schutzdämme sind in der Gegenwart am Bersten. Zweimal führte mich meine Missionstour nach Seattle in Nordamer’ ka. Vor Jahren hatten die Beatles in der größten Halle der Stadt einen Musikund Tanzabend. 14 000 Menschen waren zusammen. Nach zwei Stunden heißer Musik fingen plötzlich viele junge Frauen und Mädchen an, sich auszuziehen. Ein Aufgebot von 150 Polizeibeamten versuchte, die striptease‑wütigen Evas herauszuholen und in einen Nebenraum zu bringen. Dort mußten sie bis zu ihrer Abkühlung bleiben. Nur wer ganz angezogen war, durfte wieder heraus. Solche Szenen kann man heutzutage auch in unserem Land bei entsprechenden Anlässen beobachten.

Im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten ‑ und nicht nur dort ‑ gibt es noch andere Sensationen. Wir sind ja auf dem Weg zu einem Welteinheitsstaat, der vom Kapitalismus regiert wird. Der sittliche und kulturelle Zerfall wird, durch die Massenmedien begünstigt, in der ganzen Welt seine Früchte zeigen. In den USA fing es an, daß barbusige Mädchen sich an den Stränden zeigten, um dann etwas später so auch als Serviererinnen zu arbeiten. Heute geht es noch weiter. Man badet ganz ohne, Männer wie Frauen und propagiert, das sei natürlich. Die Schranken fallen überall. Pornographische Literatur wird in Massen hergestellt und auch gekauft. Eine auf diesem Gebiet bekannte Firma hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Grenze zur DDR gefallen war, Wagenladungen von

Prospekten in die dortigen großen Städte zu fahren, um sie dort an Passanten zu verteilen.  –  Jeder Kommentar erübrigt sich. Nur die stärksten Reize kommen heute noch an.

Symptom 15 Der Organisator der endzeitlichen Wirren zielt auf den Menschen. Der Sex soll den Leib zerstören, die Sucht die Seele. Die Vernichtung des Schamgefühls soll den Geist vergiften.

5. Die Auflösung des Rechtsempfindens

Ich bin kein Jurist, darum kann ich die anliegenden Probleme nicht fachgerecht, sondern nur mit meinem Laienverstand behandeln.

Bei meiner Evangelisationstour in Brasilien suchte mich ein Fabrikant auf. Sein Vater war von Deutschland nach Brasilien ausgewandert. Durch seinen Fleiß und sein Können baute er große Fabriken auf und wurde dadurch ein vermögender Mann. Sein Sohn setzte die Arbeit fort und erweiterte das Unternehmen seines Vaters ganz erheblich.

Der Sohn ist inzwischen ein Mann Mitte der Fünfziger. Seine beiden Söhne, also die Enkel des Gründers, bedrängen ihn sehr, ihnen das Vermögen jetzt schon zu übergeben. Der Vater kann sich jedoch dazu nicht entschließen, da die Söhne sich bisher nicht als Unternehmer einen Namen gemacht haben, sondern als Playboys.

Es setzten gehässige Auseinandersetzungen ein, in deren Verlauf die beiden Tunichtgute den Vater schwer verprügelten. Um dem laufenden Unfrieden ein Ende zu bereiten, trat der Fabrikant die Hälfte seiner Güter den beiden Söhnen ab, Sie waren damit nicht zufrieden. Eines Abends wurde der Vater von den beiden Rowdies überfallen und mit einer Eisenstange so geschlagen, daß er wie tot liegen blieb. Passanten, die den Schwerverletzten fanden, ließen ihn in ein Krankenhaus bringen. Die Ärzte, nicht der Mißhandelte, erstatteten Anzeige. Die Missetäter erhielten eine Gefängnisstrafe von einem Jahr.

Wer nun aber meint, diese Playboys und Verbrecher hätten die Strafe absitzen müssen, der kennt den brasilianischen Strafvollzug nicht. Die Verurteilten legten dem Gefängnisdirektor ein Bündel Banknoten auf den Tisch. Damit waren sie freigekauft. Sie wurden lediglich in den Akten des Gefängnisses als Gefangene geführt. In Wirklichkeit befanden sie sich auf freiem Fuß.

Solche Dinge sind kein Einzelfall. Nein, das gehört ganz allgemein zur südamerikanischen Gerichtsbarkeit.

Nach meiner Rückkehr aus Brasilien erzählte ich derartige Beispiele einem hochgestellten deutschen Juristen. Er meinte, daß wir in kurzer Zeit auch in Deutschland ein Rechtschaos haben würden. Die Rechtsprechung entwickle sich zur Unrechtsprechung.

Auf einem speziellen Gebiet herrscht unter der Bevölkerung stets große Empörung. Die Sittlichkeitsverbrecher, die Kinder bestialisch umbringen, werden oft zu gering bestraft und zu schnell wieder auf freien Fuß gesetzt. So erhielt jener Metzgerbursche, der sieben Kinder zu Tode gequält hatte, nur zehn Jahre Freiheitsentzug. Ein Sittlichkeitsverbrecher, der im Kreis Braunschweig in Sicherungsverwahrung gewesen war, wurde aufgrund von Wohlverhalten freigelassen. Er kam in das niedersächsische Gebiet und verübte dort wieder das gleiche Verbrechen, um dessentwillen er eingesperrt gewesen war.

Der Deutsche Kinderschutzbund ist der Ansicht, daß der Paragraph 112 des Strafgesetzbuches geändert werden müsse, denn ein Sittlichkeitsverbrecher kann nur dann in längerer Haft gehalten werden, wenn begründete Umstände darauf hinweisen, daß er wieder rückfällig wird. Ein solcher Beweis ist kaum zu führen. Erst mit einem neuen Verbrechen liefert der Verbrecher selbst den Beweis. Die Rückfallquote bei derartigen Verbrechern ist aber wesentlich höher als bei anderen Kriminellen.

Symptom 16 Die Unterminierung des Rechtes mündet in die Gesetzlosigkeit der Endzeit ein. Jesus sagt in Matthäus 24, 12: »Die Gesetzlosigkeit wird überhandnehmen.«

6. Zerbruch der biblischen Normen und der kirchlichen Ordnungen

Wir leben in einer Zeit, in der alle Autoritäten abserviert werden. Wir sind eine Menschheit ohne Ehrfurcht geworden: keine Ehrfurcht vor dem Glauben der Väter, keine Ehrfurcht vor der Bibel. Der bekannte Schweizer Pfarrer Walter Lüthi sagte einmal in der Christuskirche in Mannheim: »Wenn man aus dem Strickzeug einer Frau die Nadeln herauszieht, entsteht ein >Wirrlete<, ein unentwirrbarer Knäuel von Fäden.« Die Stricknadel im geistlichen Leben ‑so möchte ich das Bild aufnehmen, ist der Glaube an Jesus Christus oder auch die Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift. Wenn diese Position fällt, dann entsteht ein Chaos. Es gibt also nicht nur ein Rechtschaos, sondern auch ein Glaubenschaos.

Dieser Zustand ist mit der sogenannten modernen Theologie erreicht. Ein Marburger Theologe und Soziologe erklärte auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing: »Das sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen, ist eine menschliche Interpretation des Wortes Gottes in der damaligen Epoche. Heute kann dieses Gebot geradezu eine Gefahr für die Liebe sein!« Mit anderen Worten: die Zehn Gebote sind für die damalige Zeit gegeben, daher sind sie heute überholt.

Wer diese Konsequenz anzweifeln möchte, dem sei der Bericht eines Pfarrkonventes gegeben. In der Diskussion ging es um die Gültigkeit der Zehn Gebote. Ein neurationalistischer Pfarrer äußerte sich dabei zum sechsten Gebot. Er meinte, die Bibel sei der Ausdruck dafür, daß jede Epoche der Menschheit den Anruf Gottes anders empfunden hätte. In einer Zeit, als die heidnische Umwelt Israels in der Polygamie gelebt hat, hätte der Ruf zur Monogamie seine Bedeutung gehabt. Heute seien die Fronten vielschichtig. Wir könnten heute einen Ehebruch nicht höher werten, als wenn ein kleines Kind das Höschen naß mache. ‑ Hier erübrigt sich jeder Kommentar.

Was der Bibel gilt, muß sich auch die Kirche gefallen lassen. Wenn die Bibel nicht mehr zeitgemäß ist, dann wird auch die Kirchlichkeit sinnlos.

Die Praxis bestätigt das. Ich evangelisierte in Lincoln in England. Die Stadt besitzt vier protestantische Kirchen. Um die Jahrhundertwende waren die Kirchen voll besetzt. Die Stadt hat heute die doppelte Bevölkerungszahl wie um 1900. Heute aber reicht eine Kirche aus, um die Gottesdienstbesucher der ganzen Stadt zu fassen. Der Kirchenbesuch ist also heute nur noch ein Achtel des Kirchenbesuches von 1900.

Im Jahr 1967 befand ich mich in Island. Da stand in Reykjavik gerade der Bau einer lutherischen Kirche hinter dem Denkmal von Leif Eriksen vor der Vollendung. (Leif Eriksen war ein großer Missionar Islands.) Ich kam mit einem Lutheraner des Landes ins Gespräch und fragte nach dem Kirchenbesuch. Ich erhielt zur Antwort: »Der Bau dieser neuen Kirche wäre nicht nötig gewesen. Die anderen Kirchen sind ja Sonntags nicht voll, sondern schlecht besetzt.« Durch langes Befragen erhielt ich den Bescheid, daß Island nicht mehr als zwei bis drei Prozent Kirchenbesuch hat. Wozu denn eine so große neue Kirche? Wir brauchen doch keine Denkmäler einer großen Vergangenheit! Die prunkvollen Steinpaläste haben ohne lebendige Gemeinde keinen Wert.

Wer aber meint, solche drastischen Beispiele nur im Ausland zu finden, der soll einmal in unserem eigenen Volk Umschau halten. Der Kirchenbesuch in Schleswig‑Holstein liegt manchmal unter einem Prozent. Es kommt auch vor, daß der Pastor beim Läuten der Glocken am Sonntag in seine Kirche geht und nur den Organisten und den Kirchendiener vorfindet. Die Konfirmationen finden größtenteils noch statt, weil man als gesellschaftliches Ereignis nicht auf sie verzichten will. Sie gehört noch zu den Eckdaten des gesellschaftlichen Lebens, wo die Kirche für den feierlichen Akzent zu sorgen hat. Fragt man die Konfirmanden nach dem Grund für ihre Konfirmation, bekommt man nüchtern zur Antwort: »Ich will die Geldgeschenke noch mitnehmen. « Dabei ist dann ein Betrag von über 1000 DM keine Seltenheit. Die »Volkskirche« ist weithin ohne Gemeinde und besteht nur noch aus verkrusteten Strukturen ohne geistliche Bedeutung. Dabei erscheint es wie ein Wunder Gottes, daß sich innerhalb dieser Strukturen noch Gemeinde sammelt. Das Ende der Volkskirche wird mit den endzeitlichen Kämpfen einmal kommen.

Symptom 17 Der am Schalthebel des endzeitlichen Kesseltreibens sitzt, hat nach den Fundamenten des Christseins gegriffen. Die Bibel ist nicht mehr wie unseren reformatorischen Vätern alleinige Richtschnur. Dem Gläubigen soll der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Wanken aber die biblischen Grundlagen, dann wackelt auch das Gerüst der Kirche.

 

V. DIE UNIFORMIERUNG DES DENKENS UND HANDELNS

Das Verkehrswesen und die Nachrichtenübermittlung nehmen in der Gegenwart »globalen« Charakter an. Wer an einem eisigen Wintertag in Frankfurt an Bord einer schnellen Maschine geht, der landet 21 Stunden später an einem heißen Sommertag in Sydney. Kontinente und Jahreszeiten wurden damit an einem einzigen Tag überbrückt. Auch dem Datum kann man ein Schnippchen schlagen. So flog ich selbst einmal in Tokio los und kam datumsmäßig einen Tag früher auf Hawaii an.

Auch auf anderen Gebieten überstürzen sich solche Entwicklungen. Der Neuseeländer kann aufgrund der Zwischenschaltung eines Fernsehsatelliten einem Fußballspiel in New York oder London zusehen. Funktechnisch ist damit ein Problem gelöst, das unsere Philosophen in anderer Weise interessiert: die Gleichzeitigkeit. Synchronizität nannte es Professor Jung. Diese Schnelligkeit des »Miterlebens« wird ein Machtmittel in der Hand des Antichristen abgeben. Es zeichnen sich heute schon markante Merkmale dieser Entwicklung ab.

1. Die Knebelung des Unbewußten durch die Massen­medien

Die Massenmedien unserer Tage sind im wesentlichen Fernsehen, Film, Illustrierte und Zeitung. Viele Zeitgenossen decken damit restlos ihren geistigen Bedarf. Daß sie damit in einen Sog des »Massendenkens« geraten, wird ihnen kaum bewußt.

Viel schlimmer als die unbewußte Uniformierung, die mit diesen einheitlichen Nachrichtenmitteln erreicht wird, sind die Wirkungen der »Bildkräfte« auf das Unbewußte. In der Psychologie wurde in den letzten 70 Jahren die Bedeutung des Unbewußten entdeckt. Vor allem die Namen Freud, Adler, Jung sind mit dieser Wissenschaft verbunden. Heute sind diese Namen in den Hintergrund getreten, aber ihre Nachfolger fußen immer noch auf den Einsichten ihrer geistigen Väter. Kurz gesagt hielt Freud den Sexualtrieb für den wichtigsten, Adler den Machttrieb und Jung das von den Ahnen Ererbte. Auf diesen Basen haben sich unzählige Schulen und Lehrmeinungen entwickelt. Gleich aber ist ihnen allen die Erkenntnis, daß unser Handeln in sehr großem Maße vom Unterbewußtsein gesteuert wird. Einer unserer heutigen Tiefenpsychologen sagte einmal: »Wir leben nicht. Wir werden gelebt. Wir treffen keine Entscheidungen, wir werden von Impulsen des Unbewußten getrieben.«

Die Amerikaner, die sehr praktisch veranlagt sind, sehen in diesen Zusammenhängen große Chancen für die Werbung. Sie streuten in einen Film, der mit 24 Bildern in der Sekunde abläuft, Werbeslogans ein. Die Verteilung war 23 zu 1. Der Kinobesucher nahm mit seinem Bewußtsein das eingestreute Bild nicht wahr. Unser Auge kann ein Geschehen nicht mehr erfassen, das mit einer Geschwindigkeit von 1/24 Sekunde abläuft. Seltsamerweise wurde dieser Werbeslogan aber vom Unbewußten erfaßt. Damit war einerseits die Behauptung der Tiefenpsychologen von der Übermächtigkeit des Unbewußten erwiesen, andererseits kamen die gerissenen Geschäftsleute auf ihre Kosten. Die Kinobesucher kauften am nächsten Tag den angepriesenen Artikel, ohne zu wissen, warum sie ihn kauften. Diese Werbemethode nahm solche Formen an, daß die USA ein Gesetz dagegen herausbrachten. Das Geschäft mit dem Unbewußten hatte sich zu einer heimtückischen Versklavung entwickelt.

Was nun in den USA als gefährliches Experiment durchexerziert worden ist, das wiederholt sich in Europa täglich vor dem Bildschirm. Viele Menschen werden durch das Fernsehprogramm zu Handlungen und Verhaltensweisen angestiftet, die sie ohne die »Bildkräfte« des Schirms nicht getan hätten. Denn wir wissen es nunmehr, daß unser Unterbewußtsein mehr von dem dargebotenen Programm beeinflußt wird als unser Bewußtsein. So hat ein alter Rentner, der noch nie in seinem Leben straffällig geworden ist, nach einer Krimisendung plötzlich einen Hammer ergriffen und seine Frau erschlagen. Er gab beim Verhör an, bei der Krimisendung sei es über ihn gekommen.

Als in New York die Sendungen »Das rote Halstuch« erschienen, schwoll in der Weltstadt nach Aussage der Kriminalisten die Flut der Verbrechen an. Wieviele halbwüchsige Jungen ahmten Szenen aus Gewaltfilmen nach, wobei hin und wieder ein Kamerad ums Leben kam.

Es steht nahezu unübersehbares Beweismaterial dieser Art zur Verfügung. Natürlich werden das die Nutznießer der Programme nie zugeben. Kein Mensch ist einsichtig, wenn es ihm an den Geldbeutel geht.

Unter die Rubrik »Uniformität des Denkens und Handelns« fallen auch gewisse Forschungen im Bereich der Biologie. Vor einiger Zeit erregte es großes Aufsehen, als es einem italienischen Biologen gelang, ein weibliches Ei künstlich zu befruchten und außerhalb des mütterlichen Körpers reifen zu lassen.

Dieser Embryo blieb wochenlang in einer Nährflüssigkeit lebendig. Abgesehen vom wissenschaftlichen Interesse an diesem Versuch meldeten viele Christen ihre Bedenken an, ob ein solcher Versuch biblisch zu vertreten sei. Wahrscheinlich hatte dieser Wissenschaftler eine Unterredung mit dem Papst, denn der Versuch wurde plötzlich abgebrochen. Immerhin zeigt dieses Experiment, das auch die Russen schon unternommen haben, daß den Biologen der Traum vorschwebt, den Menschen aus der Retorte zu schaffen. Als Christen sehen wir solchen Versuchen mit dem größten Widerwillen entgegen.

Von nicht geringerer Bedeutung sind die Experimente eines Biologen der Freiburger Universität. Es ist ihm gelungen, einem speziellen Geheimnis der Vererbung der menschlichen Eigenschaften auf die Spur zu kommen. Die Erbträger, die Gene, lassen sich beeinflussen. Diese Beeinflußbarkeit geht so weit, daß man gewisse Charaktereigenschaften des werdenden Embryos hervorheben und betonen kann. Diese Experimente gehören durchaus nicht in das Reich der Phantasie, sondern berechtigen zu großen »Hoffnungen«.

Ob wir als Christen dem Schöpfer so ins Handwerk pfuschen dürfen, ist eine andere Frage. Mir sind Kinder nach der Planung Gottes lieber als nach der Planung des Biologen.

Immerhin erschließen diese Forschungen für die Zukunft große Möglichkeiten. Der Mensch kann nach dem Willen eines Diktators vorgeplant werden. Es gibt dann Menschentypen, die man sich nach einem Katalog heraussucht, den künstlerischen Menschen, den Tatmenschen, das Arbeitstier, den politischen Menschen, den Forschertyp usw.

Symptom 18 Dem kommenden Antichristen werden immer mehr Chancen zugespielt. Mit den Massenmedien erreicht er die Tiefenbezirke der menschlichen Seele und bekommt damit den ganzen Menschen in seine Gewalt. Mit der Beeinflußbarkeit der Erbträger erhält der kommende Rebell gegen Gott sogar die Möglichkeit, eine Menschheit zu schaffen, die auf seine widergöttlichen Ziele zugeschnitten wird. Die Frage aber bleibt, ob sich Gott das gefallen läßt.

2. Die politische Vereinheitlichung

Diktatoren haben die Eigenart, daß sie das ganze Volk, das sie beherrschen, prägen wollen. Das gehört mit zum Charakter der Endzeit, daß nur der existieren kann, der das »Zeichen des Tieres« an sich trägt. Das Jahr 1989 und besonders der 9. November zeigen ganz deutlich, wohin die Menschheit treibt. Der praktische Sozialismus in den Ostblockländern ist zusammengebrochen. China und Kuba sind fast die einzigen Länder, die noch den alten Kurs steuern. In die Gruppe der politischen Vereinheitlichung gehört auch die weltwirtschaftliche Einheitsplanung. Das beste Beispiel dafür ist Deutschland, das sich am 3. Oktober 1990 wiedervereinigt hat. Das Zahlungsmittel der Bundesrepublik, die Deutsche Mark, wurde bereits zum 1. Juli 1990 gültiges Zahlungsmittel in der »Noch«‑DDR. Auch dort wie in den anderen Ostblockländern wird die »Marktwirtschaft« ihren Einzug halten. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wird den Markt bestimmen. Die Menschen dort sind das sozialistische Gerede satt, sie wollen sich ihren Wünschen entsprechend einrichten können und das kaufen, was die anderen auch kaufen können. Der »dialektische Materialismus« eines Karl Marx mußte scheitern, weil sein Menschenbild falsch war. Der Mensch ist, wie ihn die Bibel beschreibt, ein Sünder vor Gott und nicht gut, wie Marx ihn sah.

Wenn der »gute« Mensch sich nicht entsprechend seinem »Gutsein« verhält, dann ist immer die Umgebung schuld, die das, aus welchen Gründen auch immer, nicht zulassen will. Aus diesem einfachen Grund muß die Gesellschaft geändert werden, notfalls mit Gewalt, damit das Paradies auf Erden entstehen kann. Daß dies ein verhängnisvoller Irrtum war, hat sich nun unter zahllosen Opfern an Menschenleben herausgestellt.

Symptom 19 Die politische und wirtschaftliche Vereinheitlichung mit all ihren satanischen Raffinessen ist die Vorhofarbeit des antichristlichen Endreiches. Es kristallisieren sich heute schon die Praktiken heraus, mit denen der kommende Antichrist die Menschheit knebeln wird.

3. Das religiöse Einheitsdenken

Es ist nicht von ungefähr, daß nicht nur das politische und das wirtschaftliche Einheitsdenken auf Weltbeherrschung abzielt, sondern auch das religiöse Denken. Es gibt augenblicklich zwei religiöse Richtungen, die auf diesen Spuren laufen. Die eine ist die sogenannte »New‑Age«‑Bewegung. (Der Name kommt daher, daß man in astrologischen Kreisen einen Übergang vom Fischezeitalter, das ca. 2000 Jahre gedauert hat, sieht.) In dieser »New‑Age«‑Bewegung will man eine universale Menschheitskultur hervorbringen, eine einheitliche Weltregierung, eine einheitliche Weltpolitik, eine einheitliche Weltwirtschaft, eine einzige Sprache, eine einheitliche Währung. Das Endziel wird ein einheitlicher Glaube, eine einheitliche Gottesverehrung sein, die alle Religionen umschließt.

Die zweite religiöse Richtung, die immer mehr zum Tragen kommt, ist der Islam, der sich mit unheimlicher Schnelligkeit ausbreitet. Im September 1990 wurde bekannt, daß 24 afrikanische Staaten den christlichen Glauben beseitigen wollen, um den Islam als Einheitsreligion überall einzuführen. Auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wohnen inzwischen drei Millionen Moslems, die ihre Moscheen errichten dürfen, was andererseits den Christen in moslemischen Ländern nicht gestattet wird.

Was nun an diesen Grundsätzen aufhorchen läßt, ist der Wille, die ganze Menschheit politisch, geistig, sprachlich, religiös unter einen Hut zu bringen. Will das der kommende Antichrist nicht auch?

Auch im christlichen Raum gibt es solche Bestrebungen zur Vereinheitlichung. Damit ist die Ökumene gemeint. Die ökumenische Bewegung ist in ihrer rund 80 jährigen Geschichte gekennzeichnet durch die Weltmissionskonferenzen in Edinburgh (1910), Jerusalem (1928), Tambaram, Madras (1938), Whitby, Kanada (1947). Die Konstitution des ökumenischen Rates erfolgte 1948 in Amsterdam. Weitere Vollversammlungen folgten 1954 in Evanston bei Chicago, in Neu Delhi 1961 und in Montreal 1963. In verschiedenen darauffolgenden Jahren gab es weitere Konferenzen.

Unter der Ökumene wird eine Einigungsbewegung der Kirchen verstanden. Den angeschlossenen Mitgliedkirchen wird die Freiheit der eigenen Meinungsbildung gelassen. Es wird aber ernsthaft darüber beraten, welches Maß an Einheit zwischen den Kirchen erreicht werden kann. Bis jetzt gehören über 200 Kirchen dem ökumenischen Rat an.

Wer ausführlichere Kenntnisse erlangen möchte, der sei auf Literatur hingewiesen, die man überall, besonders aber in christlichen Buchhandlungen, erhalten kann.

Es kann sich hier nur um Randbemerkungen handeln, die allerdings als Hintergrund viele Einzelbeobachtungen haben. Zunächst einmal stelle ich fest, daß ich mit jedem Jünger Jesu, der zu einer ökumenischen Mitgliedkirche gehört, Gebetsgemeinschaft haben kann. Vor Jahren hatte ich auch mit einem gläubigen katholischen Priester täglich Gebetsgemeinschaft. Zu begrüßen ist es auch, daß die einzelnen christlichen Kirchen aufeinander zukommen, um eine menschliche Verständigung zu suchen.

In der Praxis aber hat die Ökumene ein anderes Gesicht. Davon könnte ich einiges berichten, was ich auf meinen Reisen durch 400 Missionsstationen auf allen Kontinenten erlebt habe. Das gäbe ein schauerliches Buch religiöser Verirrungen, wenn ich die Beschwerden evangelischer Missionare berichten würde über die Gegenaktionen der römisch‑katholischen Missionare. Ein Beispiel aus Yap im pazifischen Raum möchte ich nennen. Hier arbeiten seit Jahren evangelische Missionare. Plötzlich tauchte ein katholischer Missionar auf, der seine evangelischen Kollegen bei den Insulanern verdächtigte. Der Katholik ließ bei den Einwohnern alle heidnischen Sitten und Gebräuche zu und sagte auch noch: »Wenn ihr den evangelischen Missionaren gehorcht, dann werdet ihr von Seuchen heimgesucht und müßt sterben.«

In Südamerika klagte mir ein Missionar, daß sein katholischer Kollege in der Nähe der evangelischen Missionsstation einen riesigen Lautsprecher aufgestellt hätte, der von morgens bis spät in die Nacht den Umwohnern mit seinem Gebrüll die Nerven marterte. Der evangelische Missionar bat immer wieder um die Einstellung dieser Belästigung. Umsonst! Es blieb ihm schließlich keine andere Wahl als umzusiedeln. Das Ziel des »Lautsprechers« war erreicht. So kann Ökumene in der Praxis auch aussehen. Viel wichtiger aber als alle Beispiele unökumenischen Verhaltens ist die drohende Entwicklung zur Welteinheitskirche und damit zur Weltmachtkirche. Man muß alle kleinen Mosaiksteinchen zusammentragen, um ein Gesamtbild zu erhalten. Sind das nicht Zeichen der Zeit, wenn sich nach jahrhundertelanger Trennung auf einmal die Oberhäupter der römisch‑ und griechisch-katholischen Kirche treffen? Ist es nicht ein Zeichen, wenn die Altkatholiken in den Niederlanden mit Rom über eine etwaige Wiedervereinigung sprechen? Hat das nichts zu sagen, wenn die Kontakte zwischen der Anglikanischen Kirche und Rom immer enger werden? Auch in Deutschland sind schon Vorschläge gemacht worden, den Evangelischen Kirchentag und den Katholikentag zusammenzulegen. Diese Tenden­zen sollten jedem eigentlich zu denken geben. Dazu noch folgendes: Moslems, Hindus und Buddhisten sowie Vertreter verschiedener christlicher Konfessionen nahmen an einem Festgottesdienst in der Kirche St. Martin‑in‑the‑Fields in London teil. Diese Veranstaltung ist im Fernsehen übertragen worden. Der Gottesdienst wurde mit dem Gesang der britischen Nationalhymne eingeleitet. Anschließend sprach der anglikanische Bischof von Kensington ein Glaubensbekenntnis. Danach lasen ein Inder aus dem Hindu Gita, ein moslemischer Scheich aus dem Koran und ein orthodoxer Archimandrit aus der Bibel.

Diese und ähnliche Ereignisse zeigen schlagartig, daß wir uns auf dem Weg zur letzten Welteinheitskirche befinden. Ferner wird deutlich, daß dieser Synkretismus (Religionsvermischung) sich immer mehr ausbreitet und dahin strebt, mit Politik und Wirtschaft eine weltweite Einheit zu bilden.

Symptom 20 Wir ahnen, was diese Entwicklung zur Welteinheitskirche uns bringen wird. Die Gemeinde Jesu wird wieder in die Katakomben gejagt werden, da sie diesen Abfall nicht mitmachen kann. Der kommende Antichrist wird sich zuerst dieser Welteinheitskirche bedienen, um auch die religiös interessierten Massen zu ködern. Ist seine Macht befestigt, dann wird er dieses Instrument der Weltkirche zerschlagen. Wir erleben dann die Erfüllung von Offenbarung 17.

 

Vl. DER PROZESS DER RADIKALISIERUNG GEISTIGER STRÖMUNGEN

Unsere Zeit hat auf allen Gebieten das Gefälle »durchzudrehen«. Nur noch Superlative, nur noch Exzesse, nur noch Orgien, nur noch Ekstasen sind gefragt. Wer dieses Rennen und Jagen, diese Gier und diesen Sinnestaumel nicht mitmacht, gilt als konservativ, als rückständig, als Hinterwäldler, als unterbelichtet.

Auf geistigem Gebiet entstand der gleiche Sog. Tagesphilosophien und Tagestheologien treiben auf die Spitze. Jeder ist bestrebt, durch kühne Neuentdeckungen dem anderen den Rang ablaufen zu können. Wer am meisten spinnt, wer am meisten lügt, der hat Oberwasser. Warum soll es nicht so radikal und unmißverständlich gesagt werden? Ist es etwa keine unüberbietbare Lüge zu sagen: Gott ist tot? In dem Augenblick, in dem diese »Weltweisen« das aussprechen, leben sie von der Geduld und Barmherzigkeit des Einen, den sie totsagen.

Aus der Vielfalt der geistigen Strömungen der Gegenwart sollen nur drei herausgegriffen werden.

1. Der Humanismus

Der Begriff Humanismus kommt aus dem Lateinischen: humanitas, humanus (Menschlichkeit, menschlich). Der Humanismus ist ein Kind der Renaissance. In Anlehnung an die griechische Klassik wurde ein neues Leitbild der Lebensgestaltung herausgestellt. Was die Griechen unter kalogagathia (das Schöne und Gute) verstanden, nannten die Humanisten »edles Menschentum«. Mit Hilfe der höheren Bildung sollte dieses Ziel erreicht werden. Der Huma­nismus entstand als Gelehrtenbewegung und blieb es durch die Zeiten hindurch.

Erasmus von Rotterdam war einer der bekanntesten Vertreter. Ein besonderes Kennzeichen des Humanismus war seine Toleranz. Er erstrebte ein leidenschaftsfreies, edles Leben auf der höheren Ebene des Wissens und der Bildung. Nur einmal hat der Humanismus im Zusammenhang mit den 1515 und 1517 erschienenen epistulae obscurorum virorum (Dunkelmännerbriefe) eine aggressive Seite gezeigt. Sonst aber waren die Vertreter des Humanismus durchaus tolerant und zur Koexistenz mit dem Christentum bereit. Sie meinten sogar, die abgeklärte, höhere Form des Christseins entdeckt zu haben.

Um so erstaunlicher ist es, daß in unseren Tagen diese Toleranz des Humanismus gegenüber dem Christentum schwindet. Wiederum soll die Entwicklung an Einzelbeispielen verdeutlicht werden.

An der Universität Oxford besteht eine humanistische Gruppe, die zahlenmäßig sehr stark ist. Als John Stott, der Kaplan der englischen Königin, in Oxford eine Evangelisation für Studenten durchführte, wurden die Humanisten der Universität äußerst aktiv, allerdings nur im negativen Sinn. Sie klebten überall Plakate an mit dem Hinweis: Nur geistig Minderbemittelte besuchen die Vorträge von John Stott. Dazu organisierten sie Störtrupps für die Versammlungen und griffen auch während der Diskussion in häßlicher Weise den Redner an.

Das ist auf europäischem Boden ein ähnlicher Vorgang, wie wir ihn in der buddhistischen Welt des Ostens beobachten. Es ist überraschend, wie sich auf allen Gebieten und Fronten Angriffskeile gegen das Christentum heranschieben. Sehen die Jünger Jesu nicht, was das bedeutet?

Auch auf deutschem Boden ist das Anwachsen einer neuen humanistischen Bewegung unter den Studenten und Gebildeten bedeutsam. Es entstehen in verschiedenen Bereichen humanistische Bewegungen. In der modernen Psychoszene wird das Gutsein des Menschen propagiert, das es zu entwickeln gilt. Die New‑Age‑Welle des neuen Wassermann‑Zeitalters überhöht das humanistische Denken auf religiöse Weise. Kern‑ und Angelpunkt ist dabei aber immer der Mensch.

Zugleich wird die Verwandtschaft mit der modernistischen Theologie offenkundig. Beiden Bewegungen geht es um die echte Menschlichkeit. Gott ist letztlich nur der mythologische Ausdruck für die Summe der guten Eigenschaften des Menschen. Die Gottesvorstellung ist nicht mehr theozentrisch, sondern anthropozentrisch, das heißt, nicht mehr von Gottes Offenbarung, sondern vom menschlichen Denken her bestimmt.

Symptom 21 Zur Entwicklung des antichristlichen Endreiches gehört, daß kein Gebiet ausgeklammert bleiben darf. Dazu hat jedes Lager, ob politischer, wissenschaftlicher oder ethischer Färbung, in die Generallinie einzuschwenken: Ablehnung des Jesus von Nazareth als Sohn Gottes. Ehrenprädikate läßt man ihm gern. Nur die Hauptsache, die Göttlichkeit, muß fallen.

2. Die neurationalistische Theologie

Kämpfe um die biblische Lehre wurden von jeher ausgetragen, seit es eine Bibel und vor allem ein Neues Testament gibt. Es ist mit ein Zeichen der Echtheit des Wortes Gottes, daß es alle Angriffe der Theologen bisher überstanden hat. Ein Hamburger Professor sagte dazu: »Kein anderes Buch der Weltliteratur hätte diese Roßkuren der Kritik ausgehalten und überdauert.« Hören wir einmal, wie Irrlehrer in der Urgemeinde ihr Zerstörungswerk trieben.

»Sie sagen, sie seien Apostel, und sind’s nicht. Du hast sie als Lügner erfunden« (Offb. 2, 2) »Du hast solche, die an der Lehre Bileams halten« (Offb. 2, 14).

»Ich habe wider dich, daß du lässest das Weib Isebel lehren, die da spricht, sie sei eine Prophetin« (Offb. 2, 20).

»Sie sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern sie lügen« (Offb. 3, 9).

Die allgemeine Tendenz in den Sendschreiben ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine »christliche Toleranz«. Diese »humane Duldsamkeit« der ersten Christen wurde vom erhöhten Herrn getadelt: »Ich habe wider dich!«

Die biblische Haltung läßt sich auf folgende Formel bringen: den Irrlehrer lieben, die Irrlehre hassen. Für den Irrlehrer können wir beten, daß er errettet werde. Die Häresien, die Ketzereien aber mit aller Klarheit und Schärfe abwehren! Echte Christen errichten also keine Scheiterhaufen für Ketzerverbrennungen, das war von jeher nur die Sache dämonisierter Fanatiker. »Die Waffen unserer Ritterschaft sind geistlich und nicht fleischlich«, sagte der Apostel.

Damit sind die Weichen gestellt, um den Neurationalismus unter die Lupe zu nehmen.

a) Es geht uns hier nicht um eine ausführliche Darstellung und Auseinandersetzung. Das würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Doch seien einige Grundlinien aufgezeigt. Gehen wir von einem der Grundsätze des Rationalismus aus: ratio hominis mensura omnium rerum est (= die menschliche Vernunft ist das Maß aller Dinge). Das reformatorische Prinzip der Väter: sola scriptura (die Heilige Schrift allein ist Prüfstein und Maßstab unseres Glaubens und Lebens) ist damit in die menschliche Vernunft verlegt. Nicht der Mensch muß sich der Heiligen Schrift beugen, sondern die Heilige Schrift hat sich der menschlichen Vernunft zu unterstellen. Diese Umkehrung der reformatorischen Botschaft zeitigt verheerende Folgen, deren Ausmaße hier nur angedeutet werden können. In der Heiligen Schrift wird alles Supranaturalistische und Transzendente gestrichen, das heißt alle Offenbarung und alles, was über den Rahmen der sinnlich wahrnehmbaren und von unserer Vernunft erforschbaren Wirklichkeit hinausgeht.

Was rational nicht zu begreifen ist, verliert für den modernen Menschen seine Verbindlichkeit und wird als mythologisch abgelehnt. So können nach Meinung der modernistischen Theologie folgende Aussagen unseres Glaubensbekenntnisses nicht mehr gehalten werden: Gottessohnschaft Jesu, Jungfrauengeburt, Sühneleiden Jesu, Niederfahrt ins Totenreich, Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft, Ausgießung des Heiligen Geistes, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches bzw. des Leibes. Man sagt, diese Aussagen seien zu entmythologisieren und existential zu interpretieren. In Wirklichkeit wird alles gestrichen.

Wie radikal und wie lästerlich solche Streichungen vollzogen werden, wird an einem Gespräch zwischen Heinrich Kemner und einem Modernisten deutlich: Der Theologe sagte zu Kemner: »Der Heilige Geist ist für das Volk. Für uns gilt allein das kritische, vernünftige Denken.«

Wir haben damit ein erstes Ergebnis bei der Beurteilung der modernistischen Theologie. Die Aussagen der Heiligen Schrift werden auf ihre »Vernünftigkeit« hin untersucht. Luther schalt diese Vernunft eine Hure. Der Mensch wurde zum Maßstab all dessen, was zu gelten hat und was nicht. Der Offenbarungscharakter der Bibel fällt. Es wird alles auf den Menschen zugeschnitten. Wir haben damit statt einer Theologie eine Anthropologie. Gott hat sich dem denkenden Menschen zu beugen.

b) Der zweite, geradezu raffinierte Prozeß der »existentialen Interpretation« der Heiligen Schrift ist die Verneblung der biblischen Aussagen. Es wird vielfach das gleiche Vokabular benutzt wie bei der konservativen Theologie, ja sogar die pietistische Ausdrucksweise übernommen. Diese Verschleierung hat ihre Folgen. Oberflächliche Hörer oder Leser merken den Pferdefuß nicht, weil sie vertraute Klänge zu hören meinen.

Ein klassisches Beispiel für diesen Vorgang der Akzentverschiebung ist ein Referat von Professor Käsemann. Da wurde von der Revolution des Kreuzes gesprochen. Mit klingenden Worten wurde von der Vergegenwärtigung des Kreuzes geredet und dabei sogar Luther in Anspruch genommen. Was ist nach Käsemann, und das gilt bis heute, der Sinn des Kreuzes? »Am Kreuze Jesu wird das erste Gebot aufgerichtet und erfüllt. Sonst geschieht dort nichts. Mehr aber kann nicht geschehen.« Wir fragen: Das soll alles sein? Käsemann weiß nur vom Gesetz und nichts vom Evangelium. Das Kreuz ist mehr als nur die Erfüllung des ersten Gebotes. Luther wußte mehr davon. »Der mich verlorenen und verdammten Men­schen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen und teuren Blut, seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf daß ich sein eigen sei.«

Unsere modernen Theologen entfalten nur eine Kreuzessymbolik, aber keine Kreuzestheologie. Sie heben Gottes Tat am Kreuz auf ‑ und stehen damit noch in ihrer Schuld. Sie haben sich für die Vergebung ihrer Schuld selbst den Ast abgesägt, auf dem sie sitzen könnten.

Stellen wir einmal die biblische und die moderne Theologie in einigen Punkten für das Verständnis des einfachen Christen gegenüber.

 

Biblisches Verständnis   –  Modernistische Umdeutung

1. – KREUZ

 – Jesus starb als Sohn Gottes stellvertretend für uns. ER trug unsere Schuld (Jes. 53).

 – Jesus von Nazareth war nur Mensch, nicht der Sohn Gottes. Keiner kann in unsere Schuld einsteigen. Sein Tod ist Symbol der äußersten Konsequenz, Zeichen der Linientreue. Hier ging ein ethischer Radikalist kompromißlos seinen Weg bis zum Ende und ist damit unser großes Vorbild.

2. – VERGEBUNG

 – An Jesum haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade (Eph. 1, 7).

 – »Vergebung heißt, daß wir uns annehmen in unserem So‑Sein«. Wir sprechen uns also nach Meinung der Modernisten selber Vergebung zu, indem wir uns in unserer charakterlichen Eigenart akzeptieren.

3. – AUFERSTEHUNG

 – Wir glauben an die leibliche Auferstehung Jesu Christi. Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube vergeblich (l. Kor. 15, 17).

 – Jesus von Nazareth ist nicht leiblich auferstanden. Christus wird lebendig im Kerygma, im Verkündigungsgeschehen der Kirche. Er erlebt also die gleiche Verlebendigung, die Goethe erfährt, wenn ein Studienrat über ihn vor seinen Gymnasiasten spricht. Der Auferstehungsbericht des Neuen Testamentes habe nur Symbolwert.

3. – HIMMELFAHRT

 – Wir glauben mit den Vä­tern an die Himmelfahrt Jesu.

 – Die Himmelfahrt Jesu ist nach Meinung der Modernisten eine Legende. Einer von ihnen sagte: »Jesus kann nicht in den Himmel aufgefahren sein. Er hätte ja in den 2000 Jahren nicht einmal den nächsten Fixstern erreicht.«

4. – WIEDERKUNFT

 – Wir glauben an die leibliche Wiederkunft unseres Herrn. »Dieser Jesus wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren« (Apg. 1, 11).

 – Jesus kommt nicht persönlich wieder. Er kommt nur wieder in unserem Leben, wenn wir uns zu einer Mitmenschlichkeit durchringen, wie er sie geübt hat.

Es wären noch viele Gegenüberstellungen erforderlich, um die modernistische Irrlehre klar zu umreißen. Wer sich weiter informieren will, dem sei die einschlägige Literatur zu empfehlen, z. B. Maier, »Das Ende der historisch‑kritischen Methode« u. a. Maier ist der Rektor des pietistischen Bengelhauses in Tübingen, wo junge Theologen studienbegleitend ausgebildet werden.

c) »An den Früchten sollt ihr sie erkennen«, sagte der Herr Jesus in seiner Bergpredigt. Wir bekommen die Auswüchse der modernen Theologie in der Praxis der Kirche und der Mission vorgeführt.

Auch in der Nachwuchsfrage zeigt sich der Einfluß des Modernismus. Das läßt sich ganz einfach beweisen. Unsere Gemeinden werden biblisch ausgehungert. Die Verkündigung ist substanzlos geworden, Fragen wir doch einmal die Studenten an unseren kirchlichen und auch freikirchlichen Ausbildungsstätten, wo und wann sie den Impuls zum Einstieg in die Reichgottesarbeit bekommen haben. Es ist ein offenes Geheimnis: Modernisten haben keine geistliche Stoßkraft, sondern höchstens Aktivität und Organisationstalent. Das ist auch kein Wunder, da ihnen die geistliche Existenz abgeht. Wer die Existenz des Heiligen Geistes leugnet und nur den Menschengeist anerkennt, der kann logischerweise nicht vom Heiligen Geist erfüllt sein.

Noch akuter ist das Problem auf den Missionsfeldern. Die Missionsgebiete haben keinen Bedarf an Boten der Mitmenschlichkeit, aber einen großen Bedarf an Boten Jesu. Ein hochgestellter Inder sagte einmal: »Was wollt ihr Christen eigentlich? Nur um Krankenhäuser und Schulen zu bauen, braucht ihr nicht nach Indien zu kommen. Das können die Hindus auch.«

Eine modernistische Missionsausbildung, bei der die Begriffe Himmel und Hölle, Teufel und Dämonen, Bekehrung und Erfüllung mit dem Heiligen Geist zu fallen haben, läuft sich auf den Missionsfeldern schon in wenigen Monaten tot.

Da ich viele Missionsfelder bereist habe, konnte ich umfangreiches Material sammeln. Ein junger Mann war mit seinem Kinderglauben auf ein Missionsseminar gekommen. Dort wurde er modernistisch verdreht und in dieser Verfassung ausgesandt. Nach kurzer Zeit schickten ihn die alten Missionare zurück mit einem Bericht an die Heimatleitung, sie könnten diesen Modernisten nicht brauchen.

Ein anderes Beispiel erlebte ich in Nigeria. Ich begegnete einem Missionar, der mit der modernen Ausrüstung aufs Missionsfeld gekommen war. Es gab für ihn keinen Teufel, keine Dämonen, keine Beses­senheit, sondern nur Geisteskrankheiten. Er arbeitete in einem Gebiet, in dem es viele Besessene gab. Der ungerüstete Missionar verfiel selbst diesen Mächten und hatte diese Arbeit aufzugeben. 18 Monate zeigte er die gleichen Besessenheitserscheinungen wie die Eingeborenen. Es wurden Gebetskreise für ihn eingesetzt. Nach anderthalb Jahren wurde er frei. Er ist heute von seiner modernen Theologie kuriert. Vor allen Dingen hat er den Herrn und Heiland Jesus Christus gefunden. Heute ist er ein geistlich bevollmächtigter Bote seines Herrn auf dem Missionsfeld.

Die moderne Theologie leistet Totengräberdienste an der Gemeinde Jesu und an der praktischen Arbeit für das Reich Gottes. Soziale Arbeit, caritativer Einsatz der Mitmenschlichkeit sind nicht das gleiche wie die Tat am Bruder aus Dankbarkeit Jesus gegenüber. Hier sind die Wurzeln und die Motive total verschieden. Mitmenschlichkeit üben auch die Kardecschen Spiritisten in Brasilien. Sie bauen Jugendherbergen, Übernachtungsheime, Hospitäler, Schulen, Altersheime und nennen Jesus ihr großes Vorbild ‑ aber nicht ihren Erlöser. Es gibt noch viele andere Bewegungen, die Jesus von Nazareth rühmliche Ehrenprädikate verleihen und ihn damit als Sohn Gottes höflich abservieren. Jesus braucht und will unsere Orden nicht, er will uns selbst haben.

Die moderne Theologie ist antichristliche Bodenbereitung. Das ist keine gehässige Verteufelung und nicht Ausdruck eines widerlichen Theologengezänkes, sondern biblische Ausrichtung. Johannes sagt: »Wer nicht bekennt, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists« (l. Joh. 4, 3).

Symptom 22 Es ist keine blinde Unduldsamkeit zu sagen, daß die moderne Theologie eine Schrittmacherin des antichristlichen Endreiches darstellt. Die Zeiten sind so chaotisch und so todernst, daß wir es uns nicht leisten können, verschleiert zu reden. Es trete ab von jeder neurationalistischen Blutvergiftung, wer den Heiland der Welt liebhat. Wir schulden diese Offenheit dem Sohn Gottes, den unsere Errettung das Leben gekostet hat. Und wir schulden diese radikalen Aussagen der Gemeinde des Herrn, die durch die Aussagen dieser Theologie gefährdet und teilweise schon dem Verführungsgeist erlegen ist.

3. Die neue »Kunst«

Nach einem Konzert schrieb ein Musikkritiker eine niederschmetternde Beurteilung des Abends. Der Dirigent nahm diese Kritik nicht schweigend hin, sondern wehrte sich mit dem Hinweis, der Musikkritiker sei eine musikalische Niete, er spiele nicht ein einziges Instrument, auch habe er nicht den Beweis erbracht, daß er musikalisches Gefühl habe. Der so abgefertigte Kritiker gab zurück: »Ich kann zwar keine Eier legen, weiß aber beim Frühstück doch, ob das Ei gut ist oder nicht.« Diese »Eiprobe« sei auch mir zugestanden, wenn ich einige Randbemerkungen zur Kunst mache.

a) Wenden wir uns zunächst der Musik zu.

Ich weiß, daß jede Epoche ihre eigene musikalische Ausdrucksform hat. Vermutlich würde Johann Seba­stian Bach heute anders komponieren als zu seiner Zeit und dennoch wie ehedem das Heil Gottes in Jesus Christus bezeugen.

Damit sind wir beim Thema: »Was Christum treibet«, wie es Luther einmal als Maßstab für unser Denken und Leben aufstellte. Die Musik von heute hat das entgegengesetzte Zeichen: was den modernen Menschen treibet.

Mit dem Wunsch nach Stille und Besinnung besuchte ich eine mir seit vielen Jahren bekannte ehrwürdige alte Kirche in einer Universitätsstadt. Es war zu einem musikalischen Abend mit moderner Kirchenmusik eingeladen worden. Betend saß ich auf der Bank. Der Pfarrer verlas zu Beginn den Adventspsalm 24. Dann setzte ein Orgelkünstler mit einem modernen Satz ein. Ich staunte über die meisterhafte Beherrschung des königlichen Instrumentes. Er entlockte mit geschickter Registrierung der Orgel Kombinationen, die ich nie in dieser Kirche gehört hatte.

Die technische Seite des Spiels war einfach großartig. Und die Komposition selbst? Lauter Dissonanzen! Ein Seelenmartyrium! Eine unerträgliche Belastung für den inneren Menschen! Keine Hinführung zu Gott, sondern ein Hineingestoßenwerden in die Verzweiflung, in die Zerrissenheit, in die innere Leere. Keine Antwort auf das Suchen und Fragen des Menschen von heute, sondern nur die Wiedergabe der ungelösten Konflikte in der seelischen Schichtung des Gegenwartsmenschen! Und dafür hatte ich den Abend geopfert! Unter dem Eindruck dieser Musik entstand die Konzeption zu diesem Abschnitt.

In der Musik herrschen alle zentrifugalen Kräfte vor. Bachs Musik ist zentripetal, das heißt, sie sucht und findet das Zentrum, den lebendigen Gott. Die Tonkarikaturen der Gegenwart fliehen das Zentrum, sie lösen auf, sie zerstören, sie nehmen die Harmonie, statt sie zu geben. Ja, manche gegenwärtige Kompositionen widerspiegeln den ganzen Irrsinn unserer heillosen Zeit. Eins der schauerlichsten Beispiele ‑ vom norddeutschen Rundfunk übertragen ‑ ist die Vertonung des Hohen Liedes von einem zeitgenössischen Komponisten. Bei dem Geplärre, dem Fauchen und Zischen, dem Stöhnen und Gelächter fühlte ich mich als Hörer dieser Sendung in die geschlossene Abteilung eines Irrenhauses versetzt.

b) Die gleichen auflösenden Tendenzen und disharmonischen Grundlinien, wie wir sie im akustischen Bereich vorfinden, zeigen sich auch auf dem Gebiet der Bildhauerei, der Malerei und teilweise bei der Architektur. Es geht mir hier auch nicht um Fachmännisches, sondern nur um die oben erwähnte »Eiprobe«. Wie bei der Musik ist zwar nicht alles, doch sehr vieles deplaciert.

Im Stadtzentrum Rotterdams steht eine moderne Plastik, die den Beschauer fesselt: ein Mensch, der in seiner Angst vor den fallenden Bomben verzweifelt die Arme gen Himmel hält. In diesem Fall ist die Disharmonie und Zerrissenheit des Kunstwerkes berechtigt und verständlich. Man kann dieses Erinnerungsmal, das nach der Zerstörung des Stadtkerns errichtet wurde, nicht ohne innere Bewegung betrachten.

In dem Augenblick aber, da die Bildhauerei in die Disharmonie und Verwirrung der Formen hineingerät ‑ und ist es nicht weltweit geschehen? ‑, verliert diese Kunstrichtung die geheime, gottbezogene Mitte und ist nur nach dem Menschen ausgerichtet. Sie weist auf die Auflösung des Menschenbildes hin, statt auf den, der allein dem modernen Menschen helfen kann. Ich stand einmal vor einem Machwerk, bei dem ich mich ernstlich fragte: ist das nun ein verbeultes Fahrrad oder ein engumschlungenes Liebespaar? Es war eine Bronzeplastik in Brasilia, der brasilianischen Hauptstadt.

Besonders aufreizend ist die neue Kunst, wenn sich ihre gräßliche Darstellungsweise zusätzlich mit »pornographischen« Tendenzen paart. Beispiele für diese Entartungen finden sich in der ganzen Welt. Sie scheinen immer mehr zuzunehmen.

Bei der Bundesgartenschau in Karlsruhe wurden sieben Machwerke gezeigt. Eines dieser »Kunstwerke« ist die Nachbildung der weiblichen Scham. Die Gartenschaubesucher nannten dieses Produkt »Weiblicher Unterteil mit Wasserspülung«. Alle Proteste und Zuschriften schufen keine Abhilfe. Die verantwortlichen Herren vom Badischen Kunstverein denken wohl, den Besuchern fehle das rechte Kunstverständnis. Ich empfinde diese sieben »Schöpfungen« als Kulturschande und als eine Belästigung der damaligen Gartenschaubesucher.

Die Reihe dieser Beispiele ließe sich fortsetzen. Sie werden durch das Fernsehen bis in alle Wohnzimmer getragen. Das Niveau der Fernsehsendungen sinkt immer mehr.

Wie weit die christlichen Kirchen gegen diese Geschmacklosigkeiten protestiert haben, ist nicht bekannt.

c) Und die Malerei?

Ein reicher Mäzen leistete sich bei einer Ausstellung moderner Kunst einen bösen, aber treffenden Scherz. Er drückte einem Schimpansen einen Pinsel voll Farbe in die Hand. Nachdem er dem Affen einige Mal die »Pinseltechnik« vorgemacht hatte, ahmte das Tier es nach. Der Schimpanse warf den Pinsel mehrmals gegen die Leinwand. Es entstand ein expressio­nistisches Werk mit »ungewöhnlicher« Aussagekraft. So urteilte die Jury und gab dem Werk den ersten Preis. Ob diese Erzählung der Wahrheit entspricht, weiß ich nicht. Sei sie nun erfunden oder nicht, sie ist typisch. Auch die Malerei ist von einer Auflösung gezeichnet, wie sie der Schöpfung Gottes nicht mehr entspricht.

Auf meinen Reisen sah ich ein modernes Bild, das von einer Jury ausgezeichnet worden war. Der Name des Künstlers war geheimgehalten worden. Nach der Prämierung stellte sich heraus, daß ein dreijähriges Kind dieses Bild gemalt hatte. Wahrscheinlich haben die Männer des Preiskollegiums »den Künstler der Zukunft« damit entdeckt, wenn der schon als Dreijähriger solch ein Werk von überdurchschnittlichem Wert geschaffen hat.

Irgendwo sah ich auch Zeichnungen und Malereien von Geisteskranken. Wer die modernen Kunstwerke mit den Erzeugnissen dieser Geisteskranken vergleicht, der kommt in Verlegenheit, weil er nicht weiß, wem er den Preis zuerkennen soll.

Es gibt aber keine Regel ohne Ausnahme. Es wurde mir auch moderne Malerei präsentiert, die nicht mit dem Prädikat »infantile oder senile Regression« bezeichnet werden darf, sondern durchaus noch als Kunst anzusprechen ist.

d) Noch ein Blick auf die Architektur. Es sei hier nur ein spezielles Gebiet, der Kirchenbau, herausgegriffen. Öfter hört man nach der Einweihung einer neuen Kirche das Urteil: der Architekt hat kein Gemeindegefühl. Was ist damit gemeint? Nur wenige Architekten sind gläubige Christen. Ist ein Architekt kein Glied der Gemeinde Jesu, lebt er nicht im Worte Gottes, wie soll er dann eine Kirche bauen können, die dem Wesen der Gemeinde Jesu entspricht? So entstehen dann »Gemeindezentren«, die ohne »Zentrum« sind. Das Volk reagiert gewöhnlich mit treffenden Bemerkungen auf die modernen Kirchen. Einen Neubau in Berlin nennen die Berliner bis heute »Puderdose und Lippenstift«. Eine Kirche in Essen heißt »Seelensilo«. Die Kirche in Bad Dürrheim wurde nach ihrer Fertigstellung von den Einheimischen »Seelenbackofen« genannt. Eine Kirche in der Schweiz gilt als »Seelensprungschanze«.

Was sagt uns die Entwicklung in den einzelnen Kunstbereichen? Ein englischer Professor für Architektur prägte den Satz: »Wir haben heute eine Schizophrenie der Kunst.« Deutlicher kann es nicht gesagt werden. Eines der Hauptsymptome aus dem schizophrenen Formenkreis ist die innere Aufspaltung der Persönlichkeit, Verlust der tragenden Mitte, Einbuße der Harmonie. Dies ist das Symptom der modernen Kunst und zugleich ein Spiegelbild unserer Zeit.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei erwähnt, daß die echte Kunst von den hier gemachten Ausführungen nicht betroffen wird. Ich habe Achtung vor jedem Künstler von »Gottes Gnaden«.

Symptom 23 In vielen Kunstrichtungen der Gegenwart sind die zentrifugalen Kräfte größer als die zentripetalen. Die Auflösung jeder Harmonie zeigt, daß die Kunst und mit ihr die Menschheit sich vom Schöpfer wegbewegen. Und wer hat in diesem stets größer werdenden Chaos zu gewinnen? Nur der, dessen oberster Programmpunkt die Auflösung der Einheit zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf ist.

 

VII. ISRAEL

Man erzählt, daß Friedrich der Große in seinem Kabinett seine Minister und Generäle fragte: »Gibt es einen handfesten Gottesbeweis?« Da antwortete einer aus seiner Umgebung: »Majestät, die Juden!«

Israel ist das auffälligste Zeichen der Endzeit. Alte Weissagungen beginnen sich zu erfüllen. Was Jeremia prophezeite (31, 10): »Der Israel zerstreute, der wird es wieder sammeln«, bekommt in der Gegenwart wieder große Aktualität. Israel ist ein Wunder vor unseren Augen, und zwar ein vielfältiges Wunder.

Das Wunder seiner Erhaltung

Von Abraham bis zur Gegenwart, insgesamt etwa 4000 Jahre, währt Gottes Geschichte mit diesem Volk. Professor Karl Heim in Tübingen pflegte zu sagen: »Dies Volk ist von Gott für eine große Zukunft aufbehalten. « Viele Völker der Menschheitsgeschichte sind aufgeblüht und mit ihren Kulturen wieder vergangen. Israel aber blieb.

Das Wunder seiner Sammlung

Was weissagten die Propheten? Jesaja 43, 5: »Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln.« Jesaja 56, 8: »Gott der Herr, der die Versprengten Israels sammelt … « Jeremia 23, 3: »Ich will die Übriggebliebenen meiner Herde sammeln aus allen Ländern, wohin ich sie verstoßen habe und will sie wiederbringen zu ihren Weideplätzen.«

Diese Prophetien erfüllen sich in unseren Tagen.

Zwar sind erst ca. vier Millionen Juden heimgekehrt, und es leben noch einige Millionen unter anderen Völkern. Doch hat die Sammlung begonnen.

Das Wunder der Staatsgründung

Seit den Makkabäerkämpfen im zweiten vorchristlichen Jahrhundert hatte Israel kein eigenes Staatswesen mehr. Seine zweitausendjährige Hoffnung ging im Mai 1948 mit der Neugründung des Staates Israel in Erfüllung.

Das geologische Wunder

Kanaan war vor viertausend Jahren ein Land, darin »Milch und Honig« floß. Diese sprichwörtliche Fruchtbarkeit ging verloren. Seit der Kreuzigung Jesu hörten Früh‑ und Spätregen auf. Das Land versandete. Dieser Fluch beginnt sich zu lösen. In den Jahren 1901 und 1902 setzten Früh‑ und Spätregen wieder ein. Der Grundwasserspiegel stieg stellenweise über zehn Meter. Der Boden kann wieder urbar gemacht werden. Getreide wird angebaut. Citrusplantagen entstehen. Gebiete in der Wüste können aufgeforstet werden. Durch die Anpflanzungen werden Klima und Niederschlagsmengen günstig beeinflußt. Geologen sprechen von einem geologischen Wunder. Das Land bereitet sich vor, eine größere Volksmenge aufzunehmen und zu ernähren.

Das wirtschaftliche Wunder

Ein junger Staat braucht ein wirtschaftliches Fundament. Auf israelischem Gebiet werden Rohstoffquellen erschlossen, insbesondere die Mineralien des Toten Meeres. Xiel Federmann entdeckte 1953 Erdölquellen südlich des Toten Meeres, und Professor Glueck etwas später die Kupferminen König Salomos. Große Wasserversorgungsanlagen sind geplant und gebaut worden, zum Beispiel die gewaltige Rohrleitung vom See Genezareth zur Negevwüste.

Das Wunder der Sprache

Wo in der Welt gibt es das Phänomen, daß eine tote Sprache wieder zum Leben erwacht und zur Nationalsprache eines Staates wird? Das gibt es nur in Israel, denn die biblische Sprache des Alten Testamentes ist die Grundlage des neuen »Ivrit«, das alle jüngeren Einwanderer in den sogenannten Ulpans (Sprachschulen) lernen müssen.

In Israel werden gegenwärtig über 100 Nationalsprachen gesprochen. Ohne das einigende Band einer gemeinsamen Sprache ist es schwer, eine nationale Identität zu erlangen. Dank der Arbeit von Elieser Ben Jehuda, wie er sich nannte, wäre dieses monumentale Werk einer gemeinsamen Umgangssprache nicht zustande gekommen. Gott hat diesen Mann dazu benutzt, trotz aller Widerstände durchzuhalten und die Heilige Sprache zu einer flexiblen, modernen Gebrauchssprache zu machen.

Das Wunder der Bewahrung

Wer kann es fassen, daß dieser kleine Staat seit seiner Entstehung sich mehrfach gegen eine vielfache Übermacht hat behaupten können und im Golfkrieg des Jahres 1991 mit einer solchen vernünftigen Gelassenheit auf die Raketenangriffe des Irak reagierte? Kriege sind ein Zeichen der gefallenen Welt und bringen unendliches Leid über die davon betroffenen Menschen. Und doch, wenn wir die kriegerischen Ereignisse der heutigen Zeit mit denen vergleichen, die Israel in seiner langen Geschichte schon erlebt hat, können wir erkennen, daß Gott auch heute zu seinem Volk stehen wird. Es wird auch die Zeit kommen, wo Israel die eroberten Gebiete, Ostjerusalem, das West­jordanland usw. wird behalten können, weil es im Alten Testament verheißen ist.

Aufgrund der biblischen Verheißung muß aber auch gesagt werden, daß Israel seinen größten Kampf noch vor sich hat, aber auch da wird die Hand des Herrn eingreifen.

Sind diese Wunder in der jüngsten Geschichte Israels nicht ein beredtes Zeichen unserer Tage? Wer Ohren hat zu hören, der höre! Wer Augen hat zu sehen, der sehe! Israel ist der stärkste Hinweis auf den endgeschichtlichen Charakter unserer Zeit. Unser Herr selbst sagt: »Wenn der Zweig des Feigenbaums jetzt treibt und die Blätter kommen, so wißt ihr, daß der Sommer nahe ist« (Matth. 21, 32). Der Feigenbaum Israel hat begonnen, sich in dem von Gott ihm verheißenen und zugeteilten Land einzuwurzeln. Das Bäumlein wächst, seine Zweige gewinnen Saft, und die Blätter kommen. Es ist eine verhängnisvolle Blindheit, die Hand Gottes und sein Handeln in der gegenwärtigen Geschichte Israels nicht zu erkennen und damit ein entscheidendes Zeichen der Zeit zu übersehen.

Zwei große Wunder, genauer gesagt, die beiden größten Wunder in der Geschichte Israels stehen noch aus.

Das Wunder der Bekehrung Israels

Israel ist noch mit Blindheit geschlagen. Aber Gott wird seinem Volk eines Tages die Augen öffnen, daß es seinen Messias, unseren Herrn Jesus Christus, erkennt. Jesus sagte dieses Ereignis voraus (Matth. 23, 37‑39): »Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst die, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt. Siehe, euer Haus soll euch wüste gelassen werden. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: >Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!<« Der Apostel Paulus beschäftigt sich ausführlich mit der Zukunft Israels, mit seiner Verwerfung und Bekehrung, in den drei Kapiteln Römer 9‑11.

»Ich will euch, liebe Brüder, nicht verhehlen dieses Geheimnis, auf daß ihr euch nicht auf eigene Klugheit verlaßt: Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren so lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen ist, und alsdann wird das ganze Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: >Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der da abwende das gottlose Wesen von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden werde wegnehmen<« (Röm. 11, 25‑27).

Das Wunder der Sendung Israels

Dies wird das letzte große Wunder in der Geschichte des Volkes sein. Israel wird noch einmal allen Völkern zum Segen werden. Wir dürfen damit rechnen, daß Israel im Tausendjährigen Reich von Gott den Auftrag zur Völkermission erhält. Paulus deutet dies in Römer 1, 15 an, wenn er schreibt: »Wenn Israels Verwerfung der Welt Versöhnung ist, was wird seine Annahme anders sein als Leben aus den Toten!« Überhaupt scheint das ganze 11. Kapitel des Römerbriefes darauf hinzuweisen, daß Israel noch einmal eine große Aufgabe in der Reichgottesarbeit auf Erden zu übernehmen hat. Gott führt seine Pläne durch. Seine Verheißungen, die er den Erzvätern gegeben hat, sind nicht zurückgenommen. Gottes Zusagen stehen fester als die Berge der Erde.

Wer über Gottes Handeln mit Israel nachdenkt, steht staunend vor der Treue und Barmherzigkeit des Herrn, die auch durch die Untreue seines Volkes nicht aufgehoben werden. Wohl brachen entsetzliche Gerichte über dieses Volk herein. Mit seinem Ungehorsam und Abfall lud es den Fluch auf sich. Aber alle Scheußlichkeiten der Weltgeschichte, die dieses Volk durchleiden mußte, dienen letztlich nur dazu, es seinem von ihm einst verstoßenen Messias zuzuführen. Durch Gericht und Gnade kommt Gott zu seinem Ziel.

O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! (Röm. 11, 33)

Symptom 24 Die Vollendung der Wege Gottes mit Israel hat begonnen. Die Zeit der Gerichte über diesem Volk neigt sich dem Ende zu, auch wenn es durch letzte schwere Krisen gehen mag. Damit hat aber die letzte Epoche der Menschheitsgeschichte vor der Wiederkunft Jesu Christi begonnen. Der Kommende steht vor der Tür.

 

B. Zusammenfassende Gesamtschau

Die prophetischen Kapitel und Hinweise der Bibel geben uns kein lückenloses Bild der Endgeschichte Sie stellen keine geistliche und eschatologische Landkarte dar, auf der wir uns rasch orientieren können Es wird dem Menschen auch kein Fahrplan mit allen erforderlichen Auskünften in die Hand gegeben. Paulus, der gewiß einen ungewöhnlichen Durchblick besaß, sagte im 1. Korintherbrief (13, 12): »Wir sehen durch einen Spiegel in einem dunklen Wort.« Weil manche Bibelworte, vor allem das letzte Buch der Bibel, so voller Geheimnisse sind, darum müssen wir uns größter Zurückhaltung befleißigen. Es sind ja schon so viele offensichtliche Fehldeutungen unter den Gläubigen verbreitet worden, daß man sich bei jedem erscheinenden endgeschichtlichen Buch fragte: »Leistet sich der Autor keine Trugschlüsse?« Wer über Endgeschichte redet, sollte sich einige Richtlinien vor Augen halten:

1. Es gibt keine echten geistlichen Erkenntnisse extra muros. Was soll das heißen? Nur durch die Gnade Gottes wiedergeborene Menschen entwickeln ein Gefühl für geistliche Zusammenhänge.

2. Nur der Heilige Geist ‑ nicht der menschliche Geist ‑ führt in alle Wahrheit der Heiligen Schrift.

3. Und selbst gläubige Menschen müssen demütig genug sein, daß sie nicht ihre eigenen Kombinationen für das Wirken des Heiligen Geistes halten. Nur den Demütigen, den Zerbrochenen, den Elenden gibt Gott Gnade.

Wenn also eine Gesamtschau der Zeitereignisse gewagt wird, so können wir nur zitternd, betend, fragend nach den Fußspuren Gottes in Geschichte und Gegenwart forschen.

 

1. WARNUNG VOR KURZSCHLÜSSEN

Wir haben in einigen Abschnitten das Terrain der Gegenwart sondiert. Details aber dürfen nie zu einseitigen Schlußfolgerungen aufgebauscht werden. Wir müssen uns vor Fehldeutungen bewahren lassen. Hören wir daher zunächst auf einen Einwand.

In den letzten Jahren sind viele Bücher erschienen, die sich mit dem Ende des zweiten Jahrtausends befassen. Ihre Ausführungen sind beachtenswert. Aber es fehlt nicht an Kritikern, die einwenden: »Bei jeder Jahrhundertwende wird der Mensch besinnlich und fragt, was komme; noch weitaus mehr beschwört eine Jahrtausendwende Untergangsstimmung herauf.« Solche Kritik enthält ein Wahrheitsmoment. Wer die Geschichte kennt, weiß, daß Kriegszeiten, Katastrophen, Hungersnöte, Seuchen, politische Wirren die Menschen beunruhigen und die Zeitereignisse in einem apokalyptischen Licht aufleuchten lassen. Diese allgemeine Beobachtung wird nicht bestritten. Es wird auch ferner nicht in Abrede gestellt, daß es in der Geschichte schon ähnliche Symptome gab. Tatsächlich finden sich interessante geschichtliche Wiederholungen.

So kann man darauf hinweisen, daß rund alle 800 Jahre Völkerscharen aus dem Osten den Westen bedrohen. 490 v. Chr. kamen die Perser bis nach Griechenland. 451 n. Chr. drangen die Hunnen nach dem Westen vor.

Um 1200 erkämpfte sich der Mongolenfürst Dschingis‑Khan ein großes Reich. Niemand konnte seinen wilden Reiterscharen Widerstand leisten. Danach wäre zu erwarten, daß im 20./21. Jahrhundert die gelben Scharen (Rotchina) den Westen bedrohen. Oswald Spengler sprach schon vor 40 Jahren von der »gelben Gefahr«.

Und doch müssen wir eine solche Geschichtsbetrachtung abweisen. Leiten wir aus solchen Zufällen der Geschichte eine Gesetzmäßigkeit ab, dann verfallen wir einem historischen Aberglauben. Dafür ein Beispiel: 1914 war in der Schweiz eine Landesausstellung. Danach brach der Erste Weltkrieg aus. 1939 fand wieder in der Schweiz eine Landesausstellung statt. Kurz darauf brach der Zweite Weltkrieg aus. Als für 1964 abermals in der Schweiz eine Landesausstellung vorbereitet wurde, verbreiteten Wahrsagerkreise die Prophezeiung, 1964 bräche der Dritte Weltkrieg aus. Als Beweis führte man die Zeitspanne von je 25 Jahren und die drei Landesausstellungen in der Schweiz an. Nach solchen simplen Regeln verläuft aber die Weltgeschichte nicht. Wenn die Chinesen im 20./21. Jahrhundert den Westen bedrohen, so liegt das nicht an den dreimal 800 Jahren, sondern hat andere Ursachen, wie schon am Anfang des Buches angedeutet.

Handelt es sich bei den oben aufgezeigten 24 Symptomen nur um Wiederholungen historischer Ereignisse? Nicht ein einziges dieser Merkmale kann in dieser scharfen Ausprägung um die letzte Jahrhundertwende festgestellt werden. Besonders für die Gründung des Staates Israel findet sich in den beiden vergangenen Jahrtausenden keine Parallele.

Wir leben in einer einmaligen Zeit, die keine Parallelen in der vorangegangenen Menschheitsgeschichte hat. Der Kernphysiker Bernhard Philberth formuliert es in seinem Buch so: »Eine Zeit wie noch nie!«

Noch deutlicher als Philberth sagt es die Heilige Schrift. Römer 13, 12 charakterisiert unsere Epoche mit dem Satz: »Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.« Der Zeitpunkt des Sonnenaufgangs der Wiederkunft Jesu Christi rückt näher. Vor dem Morgengrauen aber liegt die dunkelste und kälteste Stunde der Nacht. Bricht diese Stunde nicht an? Der Gang der täglichen Ereignisse ist unserem Einfluß noch mehr entzogen denn früher. Wir bestimmen nicht mehr. Wir sitzen in einem Schiff, dessen Ruder zerbrochen und das den Sturmgewalten ausgeliefert ist. Was aber steht hinter diesem Geschehen, in das die ganze Welt hineingezogen ist?

 

II. DIE GENERALMOBILMACHUNG DES FEINDES

Winston Churchill galt als einer der fähigsten Politiker der Nachkriegszeit. Als er noch im Amt war, sagte er auf einer Außenministerkonferenz: »Die Probleme der Weltpolitik sind uns über den Kopf gewachsen. Wir werden nicht mehr mit ihnen fertig. « Ein anderes Mal umriß er die heutige Situation mit den Worten: »Man hat heute das Gefühl, daß nicht nur die ganze Menschheit, sondern auch die gesamte Geisterwelt im Aufruhr begriffen ist.« Er sagte also nicht Geisteswelt, sondern Geisterwelt. Churchill galt nicht gerade als ein Christ, aber diese Aussage hat biblischen oder endgeschichtlichen Charakter.

Paulus schrieb in Epheser 6, 12: »Wir haben nicht zu kämpfen mit Fleisch und Blut, sondern mit den bösen Geistern unter dem Himmel.« Es ist für uns eine vordringliche Aufgabe, dieses Potentialgefälle unserer Tage aufzuhellen.

Wir haben die Generallinie der 24 Symptome noch einmal herauszustellen, um das Gebot der Stunde zu erkennen.

In dem Panoptikum der Endzeit zeichnen sich klare Konturen ab.

1. Die Erde selbst, aus der Schöpferhand Gottes hervorgegangen, ist Angriffsziel. Der unheimliche Rebell der Finsternis weiß, daß einmal eine neue Erde geschaffen wird. Er läßt seinen Zorn an der alten Erde aus, in deren Besitz er sich bisher glaubte. Die zunehmenden Naturkatastrophen (Symptom 11) sollen den Höllentanz gegen Gottes Schöpfung einleiten. In der nuklearen Energie (Symptom 9) sind die Machtmittel da, um der alten Erde vollends den Todesstoß zu versetzen. Hier gewinnen Worte unserer Kernphysiker besondere Bedeutung. Oppenheimer erklärte: »Wir haben die Geschäfte des Teufels betrieben.« Und Professor Hahn sagte: »Die heute vorrätigen H-Bomben würden genügen, um aus unserer Erde einen erstarrten Planeten werden zu lassen.«

2. Unter allen Völkern steht die weiße Rasse am meisten im Interessenbereich Satans. Die Japhetiten sind die Träger der christlichen Missionsarbeit geworden. Der Westen gilt nun einmal als Sitz des Christentums. Die Vernichtung der weißen Rasse (Symptome 1‑7) ist darum ein Hauptanliegen des Fürsten der Finsternis. Die Entwicklung Rasse ohne Raum, Volk ohne Nachwuchs, abstrakte Geistigkeit ohne Stoßkraft, Überrundung auf allen Gebieten sind der Ausdruck dafür, daß Satan entscheidend an Boden gewinnt.

3. Schutzdämme haben zu fallen, wenn der Diabolos, der Durcheinanderwerfer, zum Ziel kommen soll. Darum müssen die Fundamente der Heiligen Schrift zerschlagen werden (Symptome 13, 17), die Traditionen der Kirche sollen zerbrechen (Symptom 17), die Ordnung der Familie und des Staates sollen sich auflösen (Symptome 12, 16).

4. Nicht zuletzt steht der Mensch, das Geschöpf aus Gottes Hand, auf der Abschußliste des Teufels. Um des Menschen willen kam der Sohn Gottes auf die Erde. Satan haßt den Nazarener und sein Rettungswerk. »Mir gehören die Reiche der Welt, mich beten die Erdgebundenen an. « So will Luzifer triumphieren und muß doch seine Macht an den Sohn Gottes abtreten. Darum richtet sich sein Zorn gegen alle, denen das Kreuz auf Golgatha als Zeichen des Heils aufgerichtet ist. Er spielt seine Trümpfe aus. Mit seinen Planungen will er Geist, Seele und Leib treffen und zerstören (Symptome 13‑15).

5. Seinem Machtrausch frönt der Erzfeind, indem er einen Allfrontenkrieg entfesselt. Alles spannt er in seine Ziele ein (Symptome 20‑23). Geistige, politische, religiöse Stoßkelle werden vorgetrieben. Er wähnt sich in unseren Tagen nahe am Ziel.

6. Am stärksten offenbart sich zur Zeit der Vernichtungswille des Feindes gegen Israel. Die Araber sprechen es offen aus, daß ihr Endziel die Auslöschung Israels sei. Mit dieser Planung betreiben sie offenkundig das Werk Satans, dem die Berufung Israels seit Jahrlausenden ein Ärgernis ist.

Alle diese Entwicklungen und Entfaltung satanischer Machtpositionen lassen sich auf einen Nenner bringen:

Die Generalmobilmachung Satans

Die Macht der Finsternis ist zum Endkampf angetreten. Das höllische Heer, die dämonische Welt rüsten sich zum Endspurt. Alle Lebensgebiete des Menschen sind einbezogen. Unablässig liegen wir unter seinem Beschuß. Das große Ziel dieses Endkampfes heißt:

Krieg dem Nazarener! Krieg den Heiligen!

Luzifer sieht unseren Planeten als sein Eigentum an. Nach seinem Abfall von Gott riß er die Erde und die Menschen mit in seinen Sturz hinein. Seit das Kreuz auf dieser Erde aufgerichtet ist, weiß er, daß ein anderer, der Sohn Gottes, die Herrschaft übernommen hat. Nun fordert er den Nazarener zum Entscheidungskampf heraus. Die Erde wird das gewaltigste Operationsgebiet dieses letzten Kampfes sein. Wir stehen jetzt schon in den vorbereitenden Angriffen. Der Aufmarsch der antichristlichen Gewalten beginnt in unseren Tagen.

 

III. WIE REAGIERT DIE WELT AUF DAS ENDZEITLICHE GESCHEHEN?

Als nach der Auferstehung die Frauen vom leeren Grab in die Stadt Jerusalem zurückgekehrt waren, berichteten sie den Jüngern von der Engelerscheinung und dem leeren Grab. Die Jünger konnten diesen Bericht zunächst nicht fassen. Es heißt in Lukas 24, 11: »Es deuchten sie ihre Worte, als wären sie Märchen.« Das ist die Stimmung heute wieder: Märchen, nichts als Märchen!

Verfolgen wir einmal diese Linie des Unglaubens.

1. Zuerst ein Wort über die Zeitgenossen Noahs. Die Menschen der Zeit Noahs hatten brennendere Probleme, als auf die Fabeln alter Männer zu hören. »Bei dem rieselt doch der Kalk«, spotteten die einen. »Das sind doch Altershalluzinationen eines Senilen«, witzelten die anderen. Inzwischen ging man zur Tagesordnung über. Der Evangelist Matthäus berichtet dazu (24, 38): »Gleichwie sie waren in den Tagen vor der Sintflut, sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien. Und sie achteten es nicht, bis die Flut kam und nahm sie alle dahin. Also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.«

Sie achteten es nicht!

Die Menschheit von heute ist noch genauso wenig zu erschüttern wie dazumal. Dazu als Beispiel.

Denken wir an die verschiedenen Sturmfluten an der Nordsee in den Jahren 1962 bis 1990, die die Menschen auch nicht so ernst genommen haben, wie sie nachher waren. Die Menschen sind so katastrophengewöhnt, wenn sie sich woanders abspielen, daß sie nur schwer zu erschüttern sind. Auch die Choleraepidemie in Peru 1990/91 ist so weit weg, als daß sie uns berühren k‑~innte.

Sollte es bei der Wiederkunft Jesu anders sein?

2. Gehen wir in die Zeit Lots. Als die Engel Gottes Lot über dis bevorstehende Gericht an der Stadt Sodom unterrichteten, informierte Lot seine Schwiegersöhne. Er sagte ihnen: »Macht euch auf und geht aus diesem Ort, denn der Herr wird diese Stadt verderben« (l. Mose 19, 14).

»Aber es war ihnen lächerlich.«

So schüttelten einst die Männer Sodoms alle Warnungen ab. Ihr Spott besiegelte ihr Schicksal.

Wir leben wieder in einer solchen Zeit. Bei einem Gespräch zwischen Professor Rohrbach und einem Vertreter der neurationalistischen Theologie fragte der Theologe den Naturwissenschaftler: »Herr Professor. Sie sind Mathematiker. Wenn Jesus damals tatsächlich gen Himmel gefahren ist, welchen Fixstern hat er dann bis heute erreicht?« Sowohl der Gefragte als auch die Zuhörer empfanden diese Frage als Lästerung: »Es ist ihnen lächerlich.«

3. Auch der Prophet Jesaja hat uns eine besondere Botschaft zu sagen. Er hat dem selbstsicheren Volk seiner Zeit zugerufen (32, 10): «Es ist um Jahr und Tage zu tun, da werdet ihr Sicheren zittern.« Ist die Selbstsicherheit heute etwas geringer geworden?

Ein kleines Großstadterlebnis soll die Situation illustrieren. Es wurde damals zum Tagesgespräch. Ein Betrunkener hatte sich vor dem Hauptbahnhof einen Großmüllcontainer als Schlafplatz ausgesucht. Am nächsten Morgen kam ein Speziallastwagen und holte den Container ab. Der Betrunkene erwachte nicht. Er überstand auch das Auskippen in den riesigen Müllsilo des Heizwerkes im Norden Frankfurts. Von da ging es auf ein Fließband, das den Müll direkt in den Heizofen befördert. Der Betrunkene schlief immer noch, obwohl er sich nur noch wenige Meter vor dem Heizofen befand. Da entdeckte ihn ein Arbeiter, der nicht brennbare Gegenstände vom Fließband abzuräumen hatte. Kurz vor dem gräßlichen Feuertod wurde dadurch der unentwegte Schläfer gerettet. Der Bursche bekam nach seinem Erwachen doch einen gelinden Schock, als er erkannte, in welcher Lebensgefahr er geschwebt hatte.

Ihr Sicheren werdet zittern!

4. Eine weitere Situation auf dieser Linie finden wir in Lukas 19, 42. Jesus steht vor den Toren der Stadt Jerusalem und klagt: »O, wenn du doch erkennen würdest, was zu deinem Frieden dient. Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.«

Jahrtausende haben das Kommen des Messias vor­ausgesagt. Der große Augenblick ist gekommen. Die Zeit ist erfüllt. Die alten Prophetien treffen sich im Schnittpunkt. Nicht nur das Volk in der Stadt ist blind, sondern auch die Priester am Tempel, die Kenner der Heiligen Schrift, die Hüter der heiligen Traditionen. Und doch –

es ist ihren Augen verborgen.

Haben sich die Zeiten geändert? Nein, die Tragödie wiederholt sich! Die Prophetien des Neuen Testamentes nähern sich wieder ihrem Schnittpunkt. Die Zeichen der Zeit sprechen eine unheimlich scharfe Sprache. Und die es angehen sollte, bagatellisieren die Ereignisse.

Ein Theologe, der oft Israel bereist hat und die Verhältnisse dort gut kennt, erklärte: »Was in Israel geschieht, hat nur politischen Charakter und absolut keine Beziehung zur Endgeschichte.« Ich staune über diese Kurzsichtigkeit.

Wie Kurt Koch schon vor einiger Zeit berichtete, daß ein Theologieprofessor anläßlich eines Israelreferates auf dem Thomashof in Baden sagte. das sei Schwarzweißmalerei, so geht es einem auch heute noch, wenn man Israel als heilsgeschichtliches Zeichen Gottes ansieht.

Darf nicht in gewisser Abwandlung hier das Wort Bezzels zitiert werden: »Die Welt wird in dem Maße dämonisiert, als sie dem theologischen Intellekt als entdämonisiert erscheint.« Bezzel, der schon 1917 starb, sah wie ein Prophet Gottes die theologische Verfinsterung unseres Jahrhunderts voraus.

Jesus hat den Theologen seiner Zeit bescheinigt, daß sie blinde Blindenleiter sind, Was hätte er heute zu sagen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, muß gesagt werden, daß es auch heute noch einzelne Theologen gibt, die zur Gemeinde Jesu gehören. Sie sind aber rar geworden.

Zur Zeit Jesu waren es nicht die Theologen und Priester am Tempel, die den Sohn Gottes erkannt haben, sondern die Stillen im Lande. Ob es heute anders ist?

5. Der Apostel Paulus muß hier auch noch zu Wort kommen. Im ersten Thessalonicherbrief 5, 3 schreibt er: »Wenn sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen.« Katastrophen wirken sich gewöhnlich so furchtbar aus, weil die Menschen völlig ahnungslos und sorglos sind. Als die Babylonier Jerusalem bedrängten, verkündigten die falschen Propheten Friede ‑ und der Untergang stand bevor.

Erleben wir heute nicht das gleiche? Einer unserer modernen Schriftgelehrten erklärte: »Die Umwelt Jesu, seine Jünger und die Urgemeinde in Jerusalem lebten in der Naherwartung des wiederkommenden Herrn. Sie haben sich alle getäuscht. Und heute täuschen sie sich wieder, die so stark nach der Parusie (Wiederkunft des Herrn) ausschauen.« Wir hören es also wieder:

Es ist Friede, es hat keine Gefahr!

Die Antwort wird nicht ausbleiben. »Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten« (Gal. 6, 7).

6. Nicht nur die Welt, die gottlose und die »religiöse« Welt, wird vom Kommen des Herrn überrascht werden. Auch die trägen und lauen Christen werden überrumpelt. Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Matth. 25, 5) heißt es: »Da nun der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. »Warten macht müde. Müdigkeit vermindert die Be­reitschaft. Vergebliches Ausschauhalten macht kritisch und fragend.

Leben wir nicht wieder in dieser Zeit? Die Wiederkunft Jesu wird von vielen wegtheologisiert. »Der Spiegel« sprach in einer seiner Ausgaben vom orthodoxen Mystizismus derer, die noch mit der Wiederkunft Jesu rechnen. Die neurationalistischen Theologen machen aus der Wiederkunft Jesu ein immanentes Ereignis. Sie sagen, es gäbe kein persönliches Wiederkommen Jesu. Wessen Mitmenschlichkeit an dem Vorbild Jesu entzündet wird, für den kommt Jesus wieder in seiner hilfreichen Tat. Damit wird die heilsgeschichtliche Tatsache der Wiederkunft in unsere Aktion verlegt. Unser Durchbruch zu einer sozialen Gesinnung, zu einem caritativen Einsatz, bedeutet Wiederkunft Jesu in unserer Zeit, in unserem Leben. Sind das nicht kümmerliche Umdeutungen des Unglaubens?

Es sind unheilvolle Linien , die hier aus der Heiligen Schrift in unser Zeitgeschehen hineinragen.

Märchen, nichts als Märchen!
Sie achteten es nicht!
Es war ihnen lächerlich!
Ihr Sicheren werdet zittern!
Es ist ihren Augen verborgen!
Es ist Friede, es hat keine Gefahr!
Sie schliefen alle ein!

Diese Melodie endet ganz modern, hochmodern, nämlich in einer schrecklichen Dissonanz. In Offenbarung 6, 15 wird uns die Kehrseite dieser Blindheit und Selbstsicherheit gezeigt: »Die Könige, die Großen und Reichen, die Hauptleute und die Gewaltigen, alle Knechte und Freien verbargen sich in den Klüften und Felsen an den Bergen und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallet über uns und verbergt uns vor dem Angesicht des, der auf dem Stuhl sitzt und vor dem Zorn des Lammes.

Gott hat einen Mann bestimmt.
Er hat einen Tag gesetzt,
an dem er richten will den Erdboden mit Gerechtigkeit (Apg. 17, 31).

 

IV. WIE DURCHSTEHT DIE GEMEINDE JESU DIE WIRREN DER ENDZEIT?

Angesichts der Weitlage fragen wir uns besorgt: »Ist die Gemeinde für diese Wirren der Endzeit gerüstet? Wie übersteht sie das, was auf sie zukommt

Diese Frage eröffnet drei Perspektiven.

1. In Lukas 21, 36 gibt der Herr Jesus angesichts der Generalmobilmachung der ­Finsternis folgende Parole aus: »Wenn dies anfängt zu geschehen, so erhebet eure Häupter, darum, daß sich eure Erlösung naht.« Wenn von dem unheimlichen Widersacher der Gemeinde Jesu alle Auswege verbaut sind, dann bleibt ein Ausweg offen: der nach oben. »Erhebet eure Häupter!« sagt der Herr.

Die übersinnliche Dimension wird von den Schriftverdrehern heute geleugnet. Ja, es gibt sogar Neurationalisten, die erklären: »Aus dem Wortschatz der Kirche müssen die Begriffe Himmel und Hölle gestrichen werden.«

Diese obere Welt, deren Existenz bestritten wird, ist der Zufluchtsort der Gemeinde Jesu. In all den chaotischen Entwicklungen und Leiden der Endzeit hat die Gemeinde Jesu die große Ausrichtung: den Blick auf den kommenden Herrn.

Wir haben also keinen Grund zu einer pessimistischen Untergangsstimmung. Wir sind nicht ausgerichtet auf einen kommenden Atomkrieg, wir sind nicht festgelegt auf die Rassenangst und sonstige globale Ängste. Wir heften unseren Blick nicht auf die Hungersnöte und Umweltzerstörung unserer Zeit mit steigender Radioaktivität ‑ unser Ausblick erhebt sich auf eine andere Ebene: ER kommt!

Wir warten dein, o Gottes Sohn,
und lieben dein Erscheinen.
Wir wissen dich auf deinem Thron
und nennen uns die Deinen.
Wer an dich glaubt, erhebt sein Haupt
und siehet dir entgegen; du kommst uns ja zum Segen.

2. Wir sind aber auch als Christen Menschen dieser Welt. Ich würde es beinahe als Unrecht gegenüber »unseren Brüdern außerhalb« empfinden, wenn sie alles Leid dieser Erde zu durchkosten hätten, während wir «auf den seligen Gefilden« unseres Glaubens wandeln. Vergessen wir nicht, daß alle Menschen zunächst einmal in der Solidarität der Sünde stehen. Bevor wir diese Sünde an anderen suchen, haben wir sie zunächst an uns zu sehen. Der fundamentale Unterschied ist nur, daß die einen ihre Sünde nicht sehen und darin beharren, während die Jünger Jesu um ihre Schuld wissen, aber auch zugleich von der Vergebung durch die Gnade Gottes.

Diese Solidarität der Menschheitssünde schließt auch die Solidarität des Leides und des Todes mit ein. Auch der Christ steht im Angefochtensein, in der Krankheit und im leiblichen Todesgeschehen. Der Unterschied ist wiederum nur der, daß wir um die Überwindung des Weltleides durch Jesus wissen, während auf der anderen Seite im besten Falle eine heroische Haltung angenommen werden kann, »Man muß sich eben in das Unvermeidliche schicken.« Das war stoisches Prinzip und auch nihilistischer Leitsatz unseres Jahrhunderts. Der Christ hat aber andere Antworten und Lösungen.

Sinn dieses kurzen Hinweise ist es, daß es für uns kein billiges Halleluja‑Christentum gibt. Und keine sentimentale Parole ist fragwürdiger als das Lied: »Immer fröhlich, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein.« Der Christ wandelt nicht nur auf sonnigen Pfaden seiner ewigen Heimat zu. Wer das bezweifelt, denke z. B. nur an die Ankündigung von 24 afrikanischen Staaten, die nur noch den Islam als (Staats‑) Religion zulassen wollen und damit den christlichen Glauben beseitigen wollen.

Haben wir vergessen, was der Herr sagte (Matth. 24, 22): »Alsdann wird eine große Trübsal sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bisher, und wie auch nicht werden wird. Und wo diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig. Aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt.« Diese Stelle spricht unmißverständlich von Leiden der Endzeit. Natürlich tauchen hier die Fragen der Gläubigen auf: »Müssen wir alle diese furchtbaren Leiden der Endzeit durchstehen?« Ich verweise hierbei auf meine Broschüre »Unser Leben nach dem ‑Tode«, wo diese Frage bereits behandelt wurde. Es gibt im Zusammenhang mit dieser Frage drei Meinun­gen. Die einen sagen, die Entrückung (l. Thess. 4, 15 f.) geschehe vor der großen Trübsal. Die anderen verlegen die Entrückung an das Ende. Ein großer Teil von gläubigen Schriftforschern sagt: »Die Entrückung ist in der Mitte der letzten Weltjahrwoche. Erst wenn die Gläubigen und damit ihre Gebetsmacht weg ist, dann hat der Fürst dieser Welt vollends freie Hand.«

Eines steht fest: Wir erleben den Anfang der endzeitlichen Verfolgungen. Das sichtbarste Beispiel ist die Ausdehnung des Islam. Die Angst wird uns nicht erspart. Das sagt auch der Herr (Joh. 16, 33): »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.«

3. Damit sind wir bei der dritten Perspektive. Als Kinder dieser Welt bleiben wir auch nach außen hin Kinder der Angst. Zugleich aber wissen wir um die Überwindung der Angstfrage: Jesus, der gesagt hat: »Niemand wird sie aus meiner Hand reißen« (Joh. 10, 28).

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine Plastik die Gemüter bewegt. Es handelt sich um die Madonna von Stalingrad. Die Mutter Maria will sich selbst vor den sie umgebenden Schrecken schützen. Auf ihrem Schoß, von ihren Armen umgeben, sitzt das Kind. Der Künstler hatte diese Plastik in der »Hölle von Stalingrad« geschaffen, also in einer Zeit höchster Bedrohung.

Etwa zur gleichen Zeit machte ein französischer Künstler von sich reden, Auch er schuf eine Plastik zum Thema Angst. Er modellierte einen menschlichen Unterarm mit einer nach oben geöffneten Hand. In der Hand eine Lehmkugel, auf der Erdkugel zwei kleine Menschen. Darunter schrieb der Künstler: La main de Dieu ‑ die Hand Gottes.

Hier äußerten sich also zwei Künstler und echte Christen zur Frage der menschlichen Bedrohungen. In Stalingrad, im Osten, die völlig aussichtslose Lage Tausender von verzweifelten Soldaten. In Paris, im Westen, die niedergehenden Bomben. Diese beiden Männer wurden nicht aus der Sphäre der Angst herausgeholt. Nein, ihr Glaube hatte die Angstprobe zu bestehen. Aber in diesen notvollen Tagen und Wochen wurde ihnen die große Gewißheit geschenkt: Unser Leben ist in seiner Hand.

Was der Jünger Jesu den anderen voraus hat, ist die Geborgenheit in aller Todesbedrohung, die Zuflucht bei ihm, der bleibende Schutz, die Gewißheit:

Er bringt uns durch!

Welchen Schutz, welch Glaubensgut haben wir in unseren alten Kirchenliedern mit dieser fröhlichen Gewißheit! Wir stehen nicht auf einem verlorenen Posten! In allen Wirren der Zeit ruht das Auge des Vaters auf uns.

Wer nur den lieben Gott läßt walten und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

Der Weg der Gemeinde Jesu wird nicht im Dunkeln enden. Die Kehrseite aller Ängste ist das Licht und die Freude in der Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus. Hierher gehört auch das Wort des Apostels Paulus in 2. Korinther 6, 9: »Als die Sterbenden, und siehe, wir leben.«

 

V. DER ENDSIEG IST DES HERRN

1. Schon zweimal war ich in Rio de Janeiro und bewunderte jedesmal die landschaftliche Schönheit dieser Stadt. Das Leben und Treiben der Menschen in diesem Gebiet steht aber in schroffem Gegensatz zu dem vom Schöpfer so reich ausgestatteten landschaftlichen Bild. Wenn wir nur einmal in der Zeit des Karnevals hier verweilen, dann schwindet jede Vergleichsmöglichkeit mit dem Karnevalstreiben der übrigen Welt. Auf dem Höhepunkt der verrückten Zeit wird drei Tage und Nächte ununterbrochen gefeiert. Die Menschen stecken in einer Tanzwut oder Tanzek­stase, daß man sich nur fragt, wie ein Tanzender 72 Stunden Dauertanz körperlich durchsteht. Es ist ein geradezu dämonisches Geheimnis dieser Menschen, daß sie wie Tollwütige diese Tanzbesessenheit physisch aushalten.

Und das alles spielt sich unter den Augen der dreißig Meter hohen Christusfigur auf dem Corcovado ab. Die Stadt ist von einem 700 Meter hohen Berg überragt, dessen Spitze von einer Kolossalstatue gekrönt ist. Diese Christusfigur zog mich in ihren Bann. Ich erlebte sie nicht nur im Sonnenschein, sondern auch in der Regenzeit. Schwere Wolken verhüllten den Christus. Ich wartete mit der Kamera auf den Augenblick, wo sich die Wolken etwas lichteten.

Dieser Christus über der Weltstadt hat eine symbolische Bedeutung. Unten das tanzwütige Volk ‑ oben der Christus. Unten die täglichen Verbrechen ‑ oben der Eine, unter dessen Augen sich alles abspielt. Unten Chaos, Wirbel, Hetzen, Rennen ‑ oben der Ruhige. Unten die täglich wechselnden Situationen oben der ewig Unveränderliche.

So steht Christus über der ganzen Welt. Unten der Schauplatz der Kriege und Revolutionen, unten Liebe und Leid, unten der Hunger und das Sattsein ‑ oben der, in dessen Blickfeld sich alles ereignet.

Er ist da, auch wenn Wolken ihn verhüllen, Er ist da, auch wenn Menschen seine Existenz leugnen. Er ist da, auch wenn man seine Gegenwart unbequem findet. Er hat alles in Händen, auch wenn er schweigt. Er bezeugte es: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden!«

Christus ist der Bevollmächtigte Gottes. In ihm greift Gottes Hand nach uns. In seinen Händen liegt die Endvollendung der Wege Gottes mit der Menschheit.

2. Dieser Sieg Jesu wirkt sich bereits im Leben seiner Jünger aus. Vor Jahren hielt ich in Frankreich eine internationale Jugendfreizeit. Die Geschichte von Aignes Mortes hinterließ in meiner Seele einen unvergeßlichen Eindruck. In der Zeit der Hugenottenkämpfe wurde ein 15 jähriges Mädchen in den Turm gesperrt. Sie wäre sofort freigelassen worden, wenn sie sich wieder zur katholischen Kirche bekannt hätte. Sie hielt ihrem Herrn Jesus die Treue und blieb standhaft. 38 Jahre schmachtete sie in dem Kerker. Mit 53 Jahren wurde sie freigelassen. Welche Siegesmacht steckt in dem Namen Jesu, daß ein schwaches Mädchen sich dafür 38 Jahre einkerkern läßt! Es gibt Märtyrer als Sieger bis in unsere heutige Zeit, deren Parole mit dem Luthervers gekennzeichnet ist:

Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, laß fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn, das Reich muß uns doch bleiben.

Seit das Kreuz von Golgatha als Mahnmal des Sieges auf dieser Erde aufgerichtet ist, gibt es Menschen, die auf Gedeih und Verderb bei diesem Kreuz aushalten.

Das Beispiel, das mich in den letzten Jahren am meisten erschüttert und gestärkt hat, ist die Geschichte von Jim Roger. Er arbeitete im Kongo zu einer Zeit, als die Aufständischen die belgischen und die amerikanischen Missionare umbrachten. Jim war Schotte und stand daher nicht auf der Schwarzen Liste. Sein kranker Freund und Bruder Bill war dagegen ein Amerikaner und sollte als Geisel getötet werden. Jim hielt seinem kranken Bruder die Treue und ging mit ihm in den Tod.

Hier leuchtet der Sieg Jesu auf. Und wenn wir Sterblichen die Siegesfanfaren der himmlischen Welt hören könnten, dann würde deren Schall die ganze Welt erfüllen. Wem der Heilige Geist die Ohren geöffnet hat, der hört den Siegesjubel derer, die das Kreuz Jesu lieben und auf den Herrn warten.

3. Dieser Sieg wird einmal von allen erkennbar sein. Jetzt ist seine Macht und Gewalt noch den Blicken der Welt verhüllt. Diese Zeit der Verhüllung geht zu Ende, wenn hier auf Erden die antichristlichen Machtzusammenballungen ihren Höhepunkt erreicht haben.

Mir wurde einmal ein historisches Ereignis zu einem Symbol für den Endsieg des Herrn Jesus. Als Ferdinand Cortez, der spanische Eroberer, mit den Azteken kämpfte, wurden seine Truppen nahezu aufgerieben. Die Azteken kämpften mit einer echten indianischen Tapferkeit. Zuletzt hatte Cortez nur noch eine Handvoll seiner Getreuen, während auf der Gegenseite die gewaltige Übermacht von 22 000 Aztekenkriegern stand. Verloren und aussichtslos schien die Sache der Spanier. Da setzte Cortez alles auf eine Karte. Er sah den Aztekenführer in der Nähe seiner Standarte. Cortez nahm seine Tapfersten. Sie ritten im Galopp direkt auf den Aztekenhäuptling zu. Sie töteten ihn, rissen die Standarte an sich und schwenkten sie vor den Augen der erschrockenen Azteken. Das war der Wendepunkt zum Sieg.

Jedes Gleichnis hinkt und trifft nicht den biblischen Sachverhalt. Vor allem darf dieses historische Ereignis nicht gepreßt werden. Das tertium comparationis, also der Vergleichspunkt, liegt in folgendem Geschehen: Die schon den Sieg in Händen glaubten, wurden jäh ernüchtert. Wessen Sache verloren schien, er­kämpfte mitten im Lager der Feinde einen totalen Sieg.

So scheint die Sache Jesu in der Welt verloren zu sein. Es ist in dieser chaotischen Welt kaum etwas von seiner Herrschermacht zu sehen. Die antichristlichen Bewegungen treiben immer vorwärts. Es wird dunkel auf dieser Erde, immer dunkler. Dem kommenden Antichristen scheint alles zu gelingen. Und mitten in diese gewaltige Übermacht stößt der wiederkommende Herr hinein und entreißt dem Siegestrunkenen den Sieg.

4. Die Gemeinde Jesu hat keinen Grund zur Furcht, denn die Zukunft gehört dem gekreuzigten, niedergefahrenen, auferstandenen, aufgefahrenen und wiederkommenden Herrn.

Jesaja jubelt in prophetischer Schau: »Die Herrschaft ist auf seiner Schulter.« Paulus triumphiert: »Gott hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.«
»Alle Feinde zum Schemel seiner Füße!«

Das ist der große Endsieg des Kommenden. Nachdem sich die Erde in tausend Wehen krümmt und die Menschheit aus Millionen Wunden blutet, wird dem Einen das Kommando übergeben, den die Menschheit auf Golgatha ausgestoßen hat.

Wir warten auf den angekündigten Tag X. Er wird nicht inszeniert durch die auf Erden sich überschlagenden Ereignisse. Er wird auch nicht herbeigeführt durch die Sehnsucht und Hoffnung der Gläubigen. Der Tag X ist allein eine Setzung, eine Tat Gottes. Er bestimmt ihn.

Der Tag X ist der Tag der Rettung der Gemeinde.

Der Tag X ist ein Tag des Gerichtes über die Welt.

Das ist keine Schadenfreude der Jünger Jesu, sondern die Ordnung, die der Schöpfer und Lenker dieser Welt aufgestellt hat. Dieser Tag X bleibt nicht aus. Er kommt auf uns zu. Wer ein geistliches Fingerspitzengefühl hat, merkt, daß die himmlischen Heerscharen sich bereits rüsten für den großen Tag. Wohl uns des starken Herren, der da kommt und allem Jammer ein Ende bereitet!

 Vl. WER HAT DARAN TEIL?

Bei einer Missionsreise in Afrika bewegte mich ein kleines, aber vielsagendes Erlebnis. Von Johannesburg kommend, hatte ich eine Zwischenlandung in Nairobi. Da die nächste Maschine nach Aden erst am nächsten Morgen flog, mußte ich in einem Hotel in Nairobi übernachten. Für die eine Übernachtung nahm ich nicht mein ganzes Gepäck mit, sondern ließ es am Flugplatz. Bei der afrikanischen Hitze schleppte ich mich ohnehin nicht gern mit dem Koffer ab. Im Hotel war ich Gast der Fluggesellschaft, bei der ich gebucht hatte. Als es abends zum Dinner gongte, erlebte ich eine böse Überraschung. Ich wurde mit meinem Reiseanzug nicht in den Speisesaal eingelassen. Man wies mich an, im dunklen Anzug zu erscheinen. Ich erklärte, daß ich den dunklen Anzug im Reisegepäck am Flugplatz hatte. Es half nichts, man ließ mich nicht ein. Ich verlangte den Direktor des Hotels zu sprechen. Er war nicht erreichbar. Dann bat ich: »Servieren Sie mir doch das Dinner in einem Nebenraum, wenn hier eine so strenge Etikette herrscht!« Auch das wurde abgelehnt. Es war eine ärgerliche Geschichte, über die ich mich lange nicht beruhigen konnte.

Und doch bin ich froh über dieses Erlebnis. Ich hatte einen ausgezeichneten Anschauungsunterricht bekommen über einen bestimmten Vorgang des Neuen Testamentes. In Matthäus 22 wird von der königlichen Hochzeit berichtet. Die Verse 11 und 12 lauten: »Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber verstummte.«

Wir haben damit eine Antwort auf die Frage, die oben über dem Kapitel steht: »Wer hat teil am Siege Jesu?« Nur der nimmt teil an der Herrlichkeit des Reiches Gottes, der mit einem »hochzeitlichen Gewand« erscheint. Wir müssen diesen Ausdruck erläutern. Die Geschichte vom verlorenen Sohn in Lukas 15 gibt uns Auskunft, was unter diesem »hochzeitlichen Gewand« zu verstehen ist. Als der verlumpte, verdreckte Sohn heimgekehrt war, sagte der Vater zu seinen Knechten (15, 22): »Bringet das beste Kleid hervor, und tut es ihm an!« Wann erfolgte diese Anweisung? Erst, nachdem der Sohn bekannt hatte, »Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße.« Nach der Erkenntnis und dem Bekenntnis seiner Schuld wurde der »Heimkehrer« mit dem Festkleid bekleidet.

Dieses Gleichnis zeigt uns, daß unsere unvergebene Sünde den Eingang in die Herrlichkeit Gottes verwehrt. Die vergebene Schuld aber öffnet das Tor zum Vaterhaus Gottes.

Das Neue Testament unterstreicht diese Aussage in vielfältiger Weise. In Offenbarung 7, 14 sagt der erhöhte Herr: »Diese sind’s, die gekommen sind aus großer Trübsal, und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blute des Lammes«.

Das Blut Jesu ist das Zeichen, daß Gott auf Golgatha die Sünde der Welt und unsere Sünde gerichtet hat. Das Blut Jesu ist das Zeichen, daß Gott auf Golgatha unsere Sünden vergeben hat. Das Blut ist das Zeichen, daß Gott uns mit dem Opfer Jesu geheiligt hat (Hebr. 10, 14). Das Blut Jesu ist das Losungswort, daß wir Eingang finden in das Reich des Vaters.

Nur wer durch das Blut Jesu gereinigt ist, wird die Gemeinschaft mit dem erhöhten, wiederkommenden Herrn erleben. Das sagt der Herr in Offenbarung 3, 4: »Sie haben ihre Kleider nicht besudelt. Sie werden mit mir wandeln in weißen Kleidern; denn sie sind es wert.« »Weiße Kleider«, das »hochzeitliche Kleid« gibt es nur unter dem Kreuz. Da heute in den Kreisen der Irrlehrer eine andere Kreuzesbotschaft auftaucht, muß wiederholt werden, was wir unter dem Kreuz verstehen. Das Kreuz ist für uns die Realität des Sterbens Jesu, der als der Sohn Gottes für unsere Schuld starb und sie dadurch sühnte.

Bei der Wiederkunft Jesu und der Aufrichtung seines Reiches haben nur die wenigen teil, die es mit ihm gewagt hatten. Es ist nur eine kleine Schar, aber ihr gehört das Erbe. »Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.« Diese Zusage steht fester als Himmel und Erde. Und wir stehen mit ihr.

Nur die bluterkaufte Gemeinde des Herrn ererbt das Reich.

Ein kleines Erlebnis soll dieses Kapitel beschließen. Es war für mich ein großes Vorrecht, als ich vor Jahren auf Einladung von Wilhelm Busch in Essen evangelisieren durfte. Dieser Meister unter den Evangelisten war mir in vielen Dingen ein Vorbild. Die achttägige Zusammenarbeit mit ihm war mir ein großer Gewinn. Bei dem täglichen Zusammensein erfuhr ich manches aus seinem Leben und seiner Arbeit. Er erzählte unter anderem einen Traum, den ich nie vergessen habe. Ich liebe sonst keine Träume, das Wort Gottes ist mir lieber. Und doch gibt es auch gottgegebene Träume. Wilhelm Busch sah sich im Traum in einen großen Himmelssaal versetzt. Ein Engel erklärte ihm: »Hier ist die Kartei mit den Namen derer, die errettet sind. Wilhelm Busch bekam die Erlaubnis, darin zu blättern. Natürlich suchte er unter B. Bei diesem Suchen machte er drei Entdeckungen. Busch berichtete: »Zunächst wunderte ich mich, hier Namen zu finden, von denen ich nie erwartet hätte, daß sie errettet sind. Dann staunte ich, weil ich hier Namen vermißte, die ich erwartet hätte. Und drittens staunte ich, daß ich meinen Namen unter den Erretteten fand.«

Ist unser Name unter den Erretteten? Stehen wir in der Kartei Gottes? Ja, kann man das denn wissen? Ja! Johannes schreibt (l. Joh. 5, 12 f.): »Wer den Sohn Gottes hat, der hat das ewige Leben. Solches habe ich euch geschrieben, daß ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes, auf daß ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt.«

Ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt! Wissen und Haben, nicht durch unser Verdienst und Würdigkeit, sondern allein durch seine Gnade. Nicht wir sind es, sondern ER ‑ ER allein! Ihm sei Anbetung in alle Ewigkeit!

 

info@horst-koch.de

 

 

 

 

 

 

 

 




Bibel in gerechter Sprache? (R.Slenczka)

Die Anbetung der Weiblichkeit Gottes und das Bilderverbot

Dogmatische Beurteilung der „Bibel in gerechter Sprache“

von Reinhard Slenczka

„Das göttliche Wort verbietet von vornherein, Gott mit dem gleichzusetzen, was Menschen in ihrer Erfahrung erkennen. Jeder Versuch der Vernunft, das Wesen Gottes mit dem natürlichen Vorstellungsvermögen zu erfassen, macht aus Gott einen Götzen, jedoch verkündigt ihn nicht“ Gregor von Nyssa (335-394).

1 – Das gegenwärtig wirkende und ewig bleibende Wort Gottes

Es ist das Wunder der Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments, die ursprünglich nur in einzelnen Rollen oder Blättern aufbewahrt und im Gottesdienst verwendet wurden, dass sie in einer wechselvollen Geschichte erhalten, gesammelt, in viele Sprachen übersetzt und verbreitet worden sind bis auf den heutigen Tag. Das ist die sichtbare Erfüllung der Verheißung: „Denn ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt. Denn »alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit«. Das ist aber das Wort, welches unter euch verkündigt ist. (1 Petr 1, 23-25; Jes 40, 6).
Davon lebt die Gemeinde Jesu Christi bis auf den Tag der Wiederkunft ihres Herrn in seiner sichtbaren göttlichen Herrlichkeit. Deshalb sind die in der Bibel gesammelten Schriften keineswegs nur Texte der Antike, sondern sie haben ihren Ort und Gebrauch im Gottesdienst. Durch sie spricht Gott zu uns, und wir sprechen zu Gott – auch heute.

Die Texte der Bibel wurden ursprünglich sorgfältig mit der Hand abgeschrieben, oft auf hingebungsvoll kolorierten Blättern, bis sie zum erstenmal um 1455 von Johannes Gutenberg in Mainz gedruckt wurden. Bibeln wurden verbrannt, ihr Besitz und ihre Lektüre wurden verboten, in Zeiten der Verfolgung wurden sie geschmuggelt, als kostbarer Besitz aufbewahrt und heimlich weitergegeben, weil der Glaube darauf angewiesen ist und davon lebt. Aber in Zeiten des Mangels konnte das Bibeldünndruckpapier auch zum Drehen von Zigaretten verwendet werden. Rechter Gebrauch und Missbrauch des Wortes Gottes sind immer beieinander, wobei die erste Frage ist, ob wir sie selbst auch regelmäßig lesen, uns nachdenkend aneignen oder nur über Verstehensprobleme diskutieren.

Die Übersetzung der Heiligen Schriften ist immer von neuem eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe. Es gibt nicht nur eine Vielfalt von Sprachen, sondern auch deren Wandelbarkeit. Wohl in allen Kirchen findet sich eine große Zurückhaltung gegenüber einer Anpassung an die Umgangssprache. In den meisten griechischen und slawischen orthodoxen Kirchen gibt es bis heute eine eigene Kirchensprache in Bibeln und in der Liturgie, ebenso wie in der Westkirche die lateinische Kirchensprache bis zum Vaticanum II. (1962-1965). Das ist keineswegs nur ein starrer Konservativismus, sondern man wehrt sich aus guten Gründen, die Texte für die Begegnung mit der Heiligkeit Gottes in die ordinäre Alltagssprache zu übertragen. Man weiß, dass eine Veränderung der biblischen Texte auch eine Veränderung der liturgischen Sprache, aber auch der Sprache und Vorstellungen für die persönliche Frömmigkeit nach sich ziehen muss. Wer diese Sachverhalte kennt, wird leicht verstehen, dass es beim Verständnis der biblischen und liturgischen Texte nicht nur um hermeneutische Probleme, sondern um pneumatische Phänomene geht.

Auffallend ist auch in der deutschen Kirchensprache, dass viele Wörter wie Amen, Halleluja, Zebaoth, Kyrie eleison, abba, dazu auch christologische Titel und Prädikationen wie Christus, Messias, vielleicht auch Pantokrator, keiner Übersetzung bedürfen. Daran ist mindestens in Resten noch zu erkennen, wie das Wort Gottes auch sprachfähig macht, indem es Sprache bildet und bereichert. Am leichtesten aber wird übersehen und unterschätzt, wie die biblischen Texte mit ihren Begriffen und Bildern wie z. B. Herz, Gewissen, Seele, Sünde, Himmel und Hölle, Teufel und Engel seit Jahrhunderten unsere Vorstellungswelt prägen und bereichern. Selbst so genannte Atheisten sind mit ihrer Negation darauf fixiert. Denn das gilt für alles, was wir von Gott wissen und reden, und das kommt gerade nicht aus unserer Erfahrung, sondern aus Gottes Offenbarung.

So zeigt sich auch, wie keineswegs nur die Bibeltexte in die Umgangssprache übertragen werden, indem wir „dem Volk aufs Maul sehen, wie sie reden “ (M. Luther), sondern indem auch die Alltagssprache durch Wörter, Vorstellungen und Redensarten aus der Bibel bereichert und vertieft wird. Bildende Kunst und Literatur sind voll von solchen Bereicherungen. Dazu gehört auch die allgemeine Ethik sowie Rechtsbegründung und Recht. Je weniger jedoch die biblischen Schriften bekannt sind, desto mehr bleibt vieles davon unverständlich. Die Wirkung der Bibel ist also keineswegs nur auf die Kirche beschränkt; sie ist ein Element unserer Kultur, auch wenn manche Theologen immer nur an den Verstehensproblemen hängen bleiben, die sie meist selbst erfinden und dabei völlig den Blick für die Wirkung, den Reichtum, die Schönheit und vor allem die Heiligkeit der Heiligen Schriften verlieren.

In der „Bibel in gerechter Sprache“ werden nun durchgehend die Gottesbezeichnungen durch weibliche Ausdrücke verändert oder ersetzt. Dies berührt jedoch nicht nur die Übersetzung von Texten, sondern tiefgreifend auch den Vollzug der Begegnung mit Gott im Gottesdienst, im Bekenntnis und Zeugnis sowie im Gebetsleben von Christen. Es geht um die Offenbarung und Anbetung des wahren Gottes. Dies ist das sehr ernst zu nehmende Problem bei dieser Bibelausgabe, die man nicht als Übersetzung, sondern als ideologische Textveränderung bezeichnen muss.

2 – Die Konkurrenz von Gottesbildern bei Übersetzung und Bewertung biblischer Schriften

Es gibt immer wieder Bibelausgaben und Übersetzungen, die dem Volk nach dem Mund reden, um vermeintliche Verstehenshindernisse zu jeweils herrschenden Meinungen und Vorstellungen zu überwinden. In der Mitte des 2. Jahrhunderts haben wir das Beispiel des aus Kleinasien stammenden und vermutlich der Gnosis nahestehenden reichen Reeders Marcion, der die alttestamentlichen und eine Reihe neutestamentlicher Schriften aus dem kirchlichen Gebrauch ausschließen wollte, weil sie nach seiner Meinung nicht mit der Gottesvorstellung Jesu Christi vereinbar seien. Die Abneigung gegen einen zornigen und strafenden Gott mit seinem unbedingt geltenden Gesetz wiederholt sich immer wieder bis zu der Forderung, das Alte Testament aus dem kirchlichen Gebrauch zu entfernen. Was bei Marcion der „fremde Gott“ ist, das ist bei Schleiermacher „der andere Geist“, und Hegel trieb dies in seiner Jugendschrift „Der Geist des Christentums und sein Schicksal“ mit der Konfrontation von Humanitätsreligion der Griechen und dem „Dämon des Hasses“ im AT auf die Spitze: „Der unendliche Geist hat nicht Raum im Kerker einer Judenseele“. Mit seiner Autorität als Wissenschaftler erneuerte Adolf von Harnack die Thesen Marcions und forderte die völlige Abschaffung des Alten Testaments. Kein Wunder, dass sich sogleich die frühen Nationalsozialisten wie Artur Dinter auf solche Ergebnisse „wissenschaftlicher Forschung“ berufen konnten.

Allerdings wäre es falsch, in diesen Beispielen, die man heute empört als Antijudaismus ablehnen wird, lediglich die Verirrung einzelner zu sehen. Es geht vielmehr um die Grundsatzfrage, ob die Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments als Wort ein und desselben Dreieinigen Gottes erkannt werden oder als Hervorbringungen menschlicher Geistes- und Religionsgeschichte. Gott ist dann nicht das Subjekt, das sich in seinem Wort offenbart und auf diese Weise angeredet und verkündigt werden kann, sondern die Gottesbezeichnungen werden aus menschlichen Erfahrungen, Bedürfnissen und Ideologien, die wandelbar und durch die jeweilige Situation bedingt sind, auf Gott übertragen.

Die Forderung der Deutschen Christen auf der Sportpalastkundgebung des Gaues Großberlin vom 13. November 1933, in der es hieß: „Wir erwarten, dass unsere Landeskirche als eine deutsche Volkskirche sich frei macht von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral“ öffnete damals vielen die Augen für das, was aus der Begeisterung für eine politische Bewegung in das Verständnis der Heiligen Schrift als Fundament von Theologie und Kirche und damit in den Gottesdienst der Gemeinde eingedrungen war. Am 4. Januar 1934 folgte die „Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse“ (1. Barmer Erklärung), in der es heißt: „Die Kirche hört das ein für allemal gesprochene Wort Gottes durch die freie Gnade des heiligen Geistes in dem doppelten, aber einheitlichen und in seinen beiden Bestandteilen sich gegenseitig bedingenden Zeugnis des Alten und des Neuen Testamentes, das heißt in dem Zeugnis des Mose und der Propheten von dem kommenden und in dem Zeugnis der Evangelisten und Apostel von dem gekommenen Jesus Christus.“

Wilhelm Vischer hat in seinem weithin vergessenen oder auch verdrängten Werk „Das Christuszeugnis des Alten Testaments“ die theologische Einsicht, um die es hier und im weiteren gehen muss, gleich im ersten Satz des Buches präzis formuliert: „Die Bibel bezeugt vollgültig, unter der Beglaubigung durch den heiligen Geist, dass Jesus von Nazareth der Christus ist. Darum ist sie die heilige Schrift der christlichen Kirche. Denn die christliche Kirche ist die Gemeinde aller Menschen, die auf Grund des biblischen Zeugnisses erkennen und glauben, dass Jesus der Christus ist, d.h. der Messias Israels, der Sohn des lebendigen Gottes, der Heiland der Welt“ .

3 – Eine neue, jedoch alte programmatische Ideologie

Ob darüber in Theologie und Kirche heute noch ein Konsens besteht, ist eine sehr ernste Frage, die durch die „Bibel in gerechter Sprache“ aufgeworfen wird. Unter drei Themenkreisen werden durch diese Übersetzung Wortlaut und Inhalt der Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments tiefgreifend und ausgehend von aktuellen gesellschaftspolitischen Forderungen und Ideologien verändert:

Beseitigt werden soll 1. eine vermeinte patriarchalische Gesellschaftsordnung der Heiligen Schrift (10), in der die Frauen unterdrückt und benachteiligt werden. Dazu wird durchgehend die sog. „inklusive Sprache“ eingeführt. Es ist nun die Rede von Jüngern und Jüngerinnen, von Sklavinnen und Sklaven, Herrinnen und Herren, von Jüdinnen und Juden, von Griechinnen und Griechen, von Freundinnen und Freunden, Priesterinnen und Priestern, Prophetinnen und Propheten, Lehrerinnen und Lehrer, Christinnen und Christen etc., auch wenn das im Originaltext überhaupt nicht steht. Diese „political correctness“ nach amerikanischem Vorbild wird zwar inzwischen geflissentlich in Politik und Kirche befolgt, doch sie bleibt eine Verhunzung der Sprache und ist selbst für Verfechter dieser Ideologie schwerlich lesbar. Grammatisch wird dabei einfach Genus und Sexus verwechselt. Bisweilen artet das in Peinlichkeit aus, wenn z. B. mit Hebr 13, 1 die „Geschwisterliebe“ gefordert wird.

Allerdings findet sich im Unterschied zu vielen anderen deutschen Bibelübersetzungen und sogar einigen Kommentaren in Gen 1, 27 endlich einmal die genaue Wiedergabe des hebräischen Wortlauts, wo es nicht „Mann und Weib“ heißt, sondern adjektivisch: „männlich und weiblichhat Gott sie geschaffen“ (ebenso richtig Gal 3, 28). Das dazu gehörende Objekt ist „Adam“ d. h. Mensch im Singular, und dies bedeutet, dass Mensch als Gattung, als Bild und Gleichnis Gottes, männlich und weiblich von Gott geschaffen ist. Auch wenn „der Mensch“ nach dem grammatischen Genus Maskulinum ist, wird es niemand einfallen, Frauen nicht auch als Mensch zu bezeichnen. Leider wird diese von Gott geschaffene Zusammengehörigkeit und gleiche Würde den Text verändernd dadurch aufgehoben, dass die Gattungsbezeichnung „Mensch“ mit dem individualisierenden Plural „Menschen“ eindeutig falsch übersetzt wird. Nach der richtigen Übersetzung des hebräischen Urtextes haben wir hier im wahren Sinne eine „inklusive“ Sprache, die von der in der Schöpfung begründeten Zusammengehörigkeit von Mann und Frau und ihrer gleichen Würde ausgeht. Was hingegen heute als „inklusive“ Sprache bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit gerade „exklusiv“, indem Mann und Frau voneinander unterschieden und gegeneinander aufgebracht werden. Die daraus erwachsende tiefe Störung im Verhältnis von Mann und Frau ist heute unübersehbar, wenn Frauen sich gezwungen fühlen, unter Verachtung ihrer weiblichen Gaben und Aufgaben sich nach der Männlichkeit zu definieren, selbst wenn dies, wie viele andere Gesellschaftslügen, emsig verdrängt wird.

Beseitigt werden soll 2., um den jüdisch-christlichen Dialog zu fördern (10), was man in den doch überwiegend jüdischen Texten für antijudaistisch ansieht. Hierzu mag die Bemerkung von Martin Buber genügen, dass der Philosemitismus dieselben Wurzeln wie der Antisemitismus hat, und zwar deshalb, weil die Gegensätzlichkeit von Völkern und Rassen gerade auch dadurch hervorgehoben wird, dass man sie auf die eine oder andere Weise zu beseitigen versucht. Die in Gen 1, 26 f begründete Einheit aller Menschen nach Adam wird hier übergangen und aufgehoben. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die feministischen Eingriffe in die unveränderliche Heiligkeit des Gottesnamen von rechten Juden als antijudaistisch und als tiefe Verletzung ihrer Frömmigkeit empfunden werden müssen. Dabei ist es schon unglaublich, wie die in jüdischen Bibelübersetzungen begegnende Gottesanrede „der Ewige“ flugs verweiblicht wird: „Neben der maskulinen Form ist gleichbedeutend die grammatisch weibliche Form möglich: ‚Die Ewige’ (20). Jeder Jude kann das mit seinem religiösen Empfinden und seinen Hebräischkenntnissen nur als Gotteslästerung abweisen. Dass sich kein Jude bereit gefunden hat, an diesem Projekt mitzuarbeiten, wird zwar von den Herausgebern als Defizit bezeichnet, dürfte jedoch nach Lage der Dinge durchaus verständlich sein. Im Gegensatz zu dem Bemühen, „von christlicher Seite den Antijudaismus auch in der Übersetzung zu überwinden“ (26) ist dieser Text mit seinen ideologischen Entstellungen ein absolutes Hindernis für ein Gespräch mit den anderen monotheistischen Religionen wie mit Juden und auch mit Moslems. Der alte Vorwurf des Polytheismus bei den Christen findet damit neue Nahrung.

Beseitigt werden sollen 3. Zustände sozialer Ungerechtigkeit (11), und zwar eigenartiger Weise nicht nur bei den Frauen und Sklaven, sondern auch bei der Diskriminierung von „Gottlosen“, „als ginge es (bei dieser Übersetzung des hebräischen Wortes ‚rascha’) um Atheismus oder Unglauben“ (11). Mit diesem Hinweis in der Einführung ist bereits angedeutet, was von vielen Textstellen in der Übersetzung bestätigt wird: Was der Mensch als Sünder ist, wird offenbar durchgehend lediglich moralisierend als Tat und Verhalten aufgefasst, nicht jedoch als Macht und Zustand in dem Bund zwischen Gott und Menschen. Gerechte sind demnach solche, „die Gutes“ tun, Sünder hingegen solche, „die Unrecht tun“ oder „versagen“ (z. B. Röm 6, Mt 9, 10. 13; Lk 5, 8 u. ö.).

Als ein Hinweis für die durchgehende Moralisierung der Sünde mag die verblasene Übersetzung von Röm 6, 23 dienen: „Denn der Sold, den die Sündenmacht zahlt, ist der Tod. Die Zuwendung, die Gott schenkt, ist ewig lebendiges Leben im Messias Jesus, dem wir gehören.“ Wo jedoch von Sünde und Gnade nicht mehr klar geredet werden kann, verkommt das Evangelium. Die Zusammenfassung der Verkündigung Jesu Mark 1, 15 lautet dann: „Der Augenblick ist gekommen, die Zeit ist erfüllt. Die Gottesherrschaft ist nahe gekommen! Kehrt zum Leben um und vertraut dem Evangelium.“ Der Ruf zur Buße angesichts des kommenden Gerichts wird verwässert zu einer „wellness“-Theologie, wie sie leider von manchen Kanzeln tönt. In dieser Hinsicht folgt die Übersetzung eben auch den Wünschen und Forderungen der Zeit.

4 – Gottes Selbstoffenbarung oder menschliche Gottesbilder?

Die Verehrung weiblicher Gottheiten ist in der multikulturellen Umwelt des Alten wie des Neuen Testaments etwas völlig Normales, daher erwächst daraus auch immer wieder eine Versuchung für das Volk Gottes des alten wie des neuen Bundes. Der Prophet Jeremia wendet sich gegen die Anbetung der Himmelskönigin, die vor allem von den Frauen verehrt wird (Jer 7, 17-19; 44, 15-27). Der Prophet Ezechiel wendet sich gegen die falschen Propheten und Prophetinnen, deren Verkündigung und liturgische Gestaltung ihrem eigenen Geist, nicht aber dem Wort Gottes folgen (Ez 13) Dass ausgerechnet in diesem Text „Gott der Herr“ mit „die Ewige“ wiedergegeben wird, kann man nur als Verblendung, durch die der Textinhalt nicht mehr wahrgenommen wird, bezeichnen .

Was die feministische Ideologie heute als etwas scheinbar Neues verbreitet, ist im Grunde eine ständig wiederkehrende Erscheinung in der Geschichte der Religionen. Im Umkreis des Christentums ist dabei vor allem auf die alte und neue Gnosis zu verweisen, die durchgehend männliche und weibliche Wesen in ihren Hypostasen, Äonen und Emanationen als Offenbarung des Göttlichen beschreibt bis hin zur Lehre von den Archetypen, den „seelendramatischen Vorgängen“, von Carl Gustav Jung (1875-1961) mit seiner Ergänzung der Trinität zu einer Quaternität durch Maria als weibliches Element.

Damit kommen wir zu dem entscheidenden Eingriff in den Textbestand der biblischen Schriften, dass durchgehend die biblischen Gottesbezeichnungen durch weibliche Bezeichnungen ergänzt oder ersetzt werden. Das geschieht unter der Voraussetzung, dass Gott nicht das Subjekt in seinem Wort ist, sondern Objekt und Produkt menschlicher Vorstellungen, Bedürfnisse und Erfahrungen. Allerdings muss gleich darauf hingewiesen werden, dass diese Erscheinung keineswegs auf dieses Projekt beschränkt ist, sondern, ob man das will oder nicht, in der protestantischen Theologie sehr weit bis zur unreflektierten Selbstverständlichkeit verbreitet ist.

Wir gehen nun aus von einigen Kerntexten, die zu den Grundlagen christlichen Lebens gehören, um zu zeigen, was hier geschieht:

1. Das Vaterunser:
„So also betet: Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel…“ (Mt 6, 9). Gott wird nicht als Vater angeredet, sondern offenbar darüber aufgeklärt, dass er uns Vater und Mutter ist. Im Paralleltext ist zu lesen „Du Gott…“ statt „Vater“ (Lk 11. 2). Manchen Gemeinden und Schulklassen wird diese Wiedergabe des Vaterunsers seit Jahren aufgezwungen; nicht wenige Gemeindeglieder werden aber damit auch gezwungen, solche Gottesdienste nicht mehr zu besuchen. Welche Folgen diese neue Bibelübersetzung für die Gemeinde und ihren Gottesdienst nach den Vorstellungen ihrer Verfechter haben soll, dürfte sich auch in der zum Reformationsfest 2006 in Frankfurt/M. arrangierten Veranstaltung gezeigt haben, die schlechterdings nicht als Gottesdienst bezeichnet werden darf, wenn die Schriftlesungen und liturgischen Texte nach dieser Übersetzungen verwendet werden sollten. Mit Sicherheit hätten ihn sämtliche Reformatoren unter Protest verlassen, und besonnene Christen, wenn sie wissen, was ihnen bevorsteht, werden überhaupt nicht erst hingehen. Juden und Moslems, die man ja gerne bei solchen Veranstaltungen dabei hätte, werden sich bei alttestamentlichen Lesungen mit Entsetzen die Ohren zuhalten und weglaufen.

2. Die Taufe:
Ebenso wird das Problem, das hier auf die Gemeinde zukommt, bei dem Tauf- und Missionsbefehl von Mt 28, 17-20 deutlich, wo es nun heißt: „Die elf Jünger wanderten nach Galiläa auf den Berg, auf den Jesus sie hingewiesen hatte. Und als sie ihn sahen, huldigten sie ihm, einige aber zweifelten. Jesus trat heran und sprach zu ihnen: ‚Gott hat mir alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen. Taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle, des Sohnes und der heiligen Geistkraft. Und lehrt sie, alles, was ich euch aufgetragen habe, zu tun. Und seht: Ich bin alle Tage bei euch, bis Zeit und Welt vollendet sind’.“

Auch dies ist ein Text, der nicht nur jedem Christen im Ohr, ja im Herzen liegt, der aber durch die Taufe eine konstitutive Bedeutung und Wirkung für das Entstehen und Bestehen der christlichen Gemeinde für alle Zeiten hat. Wird eine Taufe mit diesen Einsetzungsworten gespendet, dann ist sie unwirksam und ungültig.

Dass der Paralleltext Mk 16, 9-20 als sekundäre Einfügung in Petit wiedergegeben wird, entspricht der in Agenden und Taufhandlungen seit einiger Zeit verbreiteten Praxis, den deutlichen Hinweis darauf, dass allein die Taufe aus dem Gericht rettet, zu verdrängen oder völlig zu streichen: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Auch bei dem Text Mt 28, 20 entsteht der Eindruck, dass nicht mit dem Ende der Welt durch ein Endgericht gerechnet wird, wie das durchgehend vom Wort Gottes bezeugt wird, sondern mit einer fortschreitenden Vollendung der Welt in ihrer Geschichte.

In der Erläuterung zu „taufen“ wird dazu glatt behauptet, „dass ohne Taufe kein Heil bei Gott zu finden sei, ist ein Gedanke, der dem NT fremd ist, aber in einigen Handschriften später eingetragen wurde“ (2335). Man fasst sich bei solcher Unkenntnis unwillkürlich an den Kopf und fragt sich, welchen Unfug solche Theologen, denen einfachste Grundkenntnisse fehlen, in einer Gemeinde anstellen.

An solchen Kernstellen wie Vaterunser und Taufe zeigt sich nun, wie es durch die schon philologisch an keiner Stelle zu rechtfertigende Eintragung weiblicher Elmente in die Gottesbezeichnung zu einer tiefgreifenden Veränderung, ja sogar Aufhebung des gesamten in der Selbstoffenbarung des Dreieinigen Gottes begründeten christlichen Glaubens kommt. Dass darauf schon seit längerem von Theologen aus dem englischen Sprachbereich hingewiesen und davor gewarnt wird, ist den Nachahmern der amerikanischen feministischen Theologie in ihrer ideologischen Verblendung offenbar niemals zu Gesicht gekommen.

3. Ergänzungen und Ersetzungen bei den Gottesbezeichnungen:
Bei der Bearbeitung der Texte kam es darauf an, weibliche Formen einzufügen und männliche, vor allem „Vater“ und „Herr“ zu vermeiden. Für die alttestamentlichen Texte wird das Tetragramm „jhvh
“ durchgehend mit der vokalisierten Form „adonaj“ wiedergegeben, was wörtlich „Herr“ heißt. Das hebräische Wort verdeckt also nur die deutsche Bedeutung. Jhvh elohim wird mit „adonaj, also Gott“ wiedergegeben. Ferner werden sowohl männliche „er“ wie auch weibliche „sie“ Personalpronomina damit verbunden, z. B. Gen 1, 27: „…männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen“. Oder man liest „dieEwige“, auch „die Heilige“, „die Gottheit“. Es werden hebräische Bezeichnungen, die nicht aus dem Bibeltext kommen, eingetragen wie „ha makom“ – „der Ort“ oder auch „Schechina“, abgeleitet von „schachan“ – „wohnen“, z. B. der Tempel als der Ort, wo Gott seinen Namen wohnen lässt (z.B. 1 Kö 8, 13; 26, 8 „der du thronst über den Lobgesängen Israels“ Ps 22, 4 u. a. m.). Statt „Vater“ heißt es dann „Ursprung“ (Joh 8, 18f; 1 Kor 1, 3; Eph 6, 23); statt „Herr“ steht dann „die Lebendige“ (durchgehend in Lk) oder auch „der Befreier“, statt vom „Sohn“ wird meistens vom „Kind“ geredet, statt Geist liest man „die Geistkraft“. Dies aber zeigt, wie die Namen der drei Personen der göttlichen Dreieinigkeit, Vater, Sohn und Geist, durchweg durch weibliche Ergänzungen oder Ersetzungen verändert werden. Dass pi,stij – Glaube mehrfach als „Zuneigung“ wiedergegeben wird, z. B. Hebr 13, 9, zeigt, dass man überhaupt kein Verständnis für den Glauben und Gehorsam in der Bundestreue Gottes hat (Röm 3, 1 ff).

Zu diesem durchgehenden Befund mit der Verweiblichung von Gottesbezeichnungen ist zu sagen, dass keine davon philologisch zu belegen ist Das aber bedeutet, es handelt sich nicht um eine Übersetzung des Urtextes, sondern um eine Textveränderung. Der entsprechende Teil der Einleitung (16-21) lässt erkennen, wie man sich windet, um diese einschneidenden Eingriffe in den Text zu begründen. In der Kopfzeile jeder linken Seite sowie auf dem Seitenrand wird daher auch meistens der Begriff aus dem Urtext angegeben und es werden Auswahlmöglichkeiten für die Gottesbezeichnung notiert. Die weiblichen Elemente werden also dem Text und damit auch den Lesern förmlich aufgezwungen. Diese Texte zu lesen oder gar vorzulesen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, was wohl auch von den Urhebern gesehen wird, wenn sie raten: „Wegen der Anpassung der grammatischen Bezüge empfiehlt sich bei öffentlichem Vorlesen eine Probelesung“ (17). Zu deutsch: der Text ist weder lesbar noch vorlesbar; er dient lediglich als Demonstration für eine bestimmte Ideologie.

Dieser Vorgang greift aber noch tiefer nicht nur in den Text, sondern in den ganzen christlichen Glauben ein. Protestantische Theologen müssen sich von Juden an die Heiligkeit des Gottesnamens erinnern lassen und vor allem daran, dass diese Namen nicht von Menschen erfunden und auf Gott übertragen werden, sondern dass Gott selbst seinen Namen offenbart (Ex 3, 14 etc.), dass daraufhin sein Namen verkündigt und Gott von uns so erkannt und angerufen werden kann. „Nomen Dei est Deus ipse“ – „Der Name Gottes ist Gott selbst“ – so lehrten die alten und alle rechtgläubigen Dogmatiker.

Gerade wo die Eliminierung von antijudaistischen Anklängen eines der drei Hauptanliegen dieses Textes ist, muss man mit Entsetzen feststellen, dass dieses ganze Unternehmen gerade in seinem Kern tiefgreifend antijudaistisch ist. Nicht nur orthodoxe Juden werden mit Abscheu auf das reagieren, was sie hier in ihren Heiligen Schriften vorgesetzt bekommen. In gleicher Weise ist es auch antichristlich.

4 – Die Auflösung der Dreieinigkeit Gottes

Wenn evangelische Christen nicht in gleicher Weise wie Juden und Moslems darauf reagieren, dann wird das wohl daran liegen, dass jedes Gefühl für die Heiligkeit des Namens Gottes und für seine Offenbarung in seinem Wort verloren gegangen ist, weil man die Heiligen Schriften lediglich als geschichtsbedingte Formulierung von Theologien ansieht, und dazu rechnen auch die Gottesnamen. Gerade deshalb muss man sich klar machen, dass auf diese Weise die Selbstoffenbarung des Dreieinigen Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist, wie sich oben bereits bei der Taufformel zeigte, bis in die Wurzeln zerstört worden ist. Dies soll im Folgenden an den Aussagen über die drei Personen der göttlichen Trinität gezeigt werden:

1. Gott, der Vater:
Durchgehend wird die Bezeichnung „Vater“
vermieden und entweder durch „Ursprung“ ersetzt oder durch „Mutter“ ergänzt. So heißt es im Gebet Jesu im Garten Gethsemane Mt 26, 39: „Mein Gott, Vater und Mutter, wenn es möglich ist…“ Diese Entstellung der Gebetsanrede Jesu findet sich immer wieder (Joh 8, 18 f u. a. m.). Konsequent wäre zu fragen, ob Jesus hier Gott als seine Eltern anredet, und damit stellt sich schon die Frage nach der Herkunft Jesu.

Die Wiedergabe von Mt 11, 25-30 zeigt in gleicher Weise, wie nicht nur das Verhältnis Vater-Sohn, sondern zugleich die Unterscheidung des Sohnes Gottes von denen, die durch ihn die Kindschaft empfangen, aufgehoben wird: „Es war zu dieser Zeit, dass Jesus Gott antwortete und bekannte: ‚Ich singe dir Loblieder, Gott Vater und Mutter für mich und mächtig im Himmel und auf der Erde…Du hast mir alles mitgeteilt. Niemand kennt mich als dein Kind so wie du, väterlich und mütterlich. Niemand kennt dich so väterlich und mütterlich, wie ich als dein Kind, und wie alle Geschwister, die ich darüber aufkläre…“ In gnostischen Texten findet man solche Vorstellungen; christlich sind sie auf keinen Fall.

Von einer geradezu erschütternden Gefühllosigkeit ist die Banalisierung des Klagegebets Jes 63, 15 ff: „Blicke vom Himmel und sieh aus deiner heiligen und prächtigen Wohnung! Wo ist dein Eifer, dein Heldenmut? Deine innersten Gefühle und deine Mutterliebe bleiben mir vorenthalten. Du bist ja unser Vater, unsere Mutter. Abraham kennt uns nicht, Israel nimmt uns nicht wahr. Du bist Gott, unser Vater, unsere Mutter. Unsere Befreiung seit jeher’, das ist dein Name.“

Eph 3, 15 wird der nicht ganz leicht zu übersetzende Text, in dem alles, was genealogisch mit Vaterschaft (patria,) bezeichnet wird, von Gott, dem Vater, herkommt, philologisch eindeutig falsch so verdreht: „Deshalb beuge ich meine Knie vor der schöpferischen Kraft (pater), die jedes Volk im Himmel und auf Erden benannt hat…“ In diesem Fall wie auch bei der Ersetzung von „Vater“ durch „Ursprung“ (1, Kor 1, 3; Eph 6, 23) wird eine personale Bezeichnung durch eine neutrale anonyme Bezeichnung im Sinne einer abstrakten Kausalität ersetzt. Außerdem zeigt sich hier, wie die Vorstellung von einer menschlichen Übertragung von Gottesvorstellungen, –bildern und –begriffen offenbar ein religiöser Pluralismus verborgen ist, nach dem die Gottesbezeichnungen der verschiedenen Religionen einen gemeinsamen Inhalt und Bezugspunkt haben.

Auch die personale Bezeichnung „pantokrator“, „Allmächtiger“, wird neutralisiert: „Ich bin das Alpha und das O, sagt Gott, die Macht, die ist und die war und die kommt, die alles beherrscht“ (Apk 1, 8). Vermutlich weil nun doch Apk 22, 19 im Blick ist, heißt es dort jedoch: „Ich bin das Alpha und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Apk 22, 13).

Diese und viele weitere Eingriffe haben, wie leicht einzusehen ist, erhebliche Konsequenzen für das gesamte christliche Glaubensbekenntnis, angefangen beim ersten Artikel.

2. Der Sohn Gottes:
Neben dem bereits angeführten Tauf- und Missionsbefehl ist die Taufe Jesu durch Johannes ein Grundtext für die Offenbarung der Dreieinigkeit Gottes (Mt 3, 13-17; Mk 1, 9-11; Lk 3, 21f). Das offenbarende und die Verheißung des Alten Bundes erfüllende Wort Gottes von Ps 2, 4 wird gegen den Urtext so verändert: „Dieses ist mein geliebtes Kind, ihm gehört meine Zuneigung“. Dabei ist schon zu bedenken: Die Gottessohnschaft Jesu, der vom Vater in Ewigkeit geboren und daher nach seinem Wesen Gott ist, unterscheidet sich von der Gotteskindschaft, die wir durch die Taufe auf den Namen des Dreieinigen Gottes als Annahme zum Kind Gottes (adoptione Röm 8, 15f; Gal 4, 1 ff) empfangen. Dieselbe Aufhebung der Beziehung von Vater und Sohn durch die Ersetzung der Bezeichnungen aus dem Urtext findet sich auch Hebr 1, 1 ff.

Völlig unverständlich ist, dass dann auch die Gebetsanrede Jesu „abba“, die aus guten Gründen aramäisch überliefert und so auch in vielen Übersetzungen festgehalten wird, an entscheidenden Stellen in nach dem Textzusammenhang geradezu geschmackloser Weise pervertiert wird. So Mk 14, 36 beim Gebetsringen im Garten Gethsemane: „Gott, Ursprung, von dem ich herkomme, dir ist alles möglich…“
Röm 8, 15 wird die durch die Gabe des Geistes Jesu in der Taufe eröffnete Möglichkeit für die Christen, Gott anzureden, wie es der Sohn Gottes getan hat, bagatellisiert: „Du Ursprung allen Lebens, sei unser Schutz!“.
Nur Gal 4, 6 bleibt: „Abba! Vater“.
Völlig den Sinnzusammenhang von Wort und Logos mit Gen 1, 1 ff zerstörend werden die gewichtigen Worte des Johannesprologs völlig verzerrt:
1 Am Anfang war die Weisheit und die Weisheit war bei Gott und die Weisheit war wie Gott.
2 Diese war am Anfang bei Gott.
3 alles ist durch sie entstanden, und ohne sie ist nichts entstanden…
14 und die Weisheit wurde Materie und wohnte unter uns, und wir sahen ihren Glanz wie den eines einziggeborenen Kindes von Mutter und Vater voller Gnade und Wahrheit.
18 Niemand hat Gott je gesehen. Der Einziggeborene, der im Mutterschoß des Vaters ist, jener ist uns vorangegangen.“

Diese theologisch wie philologisch falsche Übersetzung kann man nur mit einem Gemälde von Rembrandt vergleichen, auf das irgendjemand seine politischen Parolen mit Sprühfarben geschmiert hat. Und vor allem: Die Weisheit ist nicht die zweite Person der Dreieinigkeit, sondern Eigenschaft und Gabe Gottes, aber auch nur so und dann eine Eigenschaft von Menschen, wenn sie denn erbeten und geschenkt wird (1 Kö 3).
Völlig entstellt wird auch das Wort Jesu vom Bekennen und Verleugnen: „Denn zu allen, die sich zu mir bekennen vor den Menschen, werde auch ich mich bekennen vor Gott, für mich Vater und Mutter im Himmel. Aber die mich verleugnen vor den Menschen, werde auch ich verleugnen vor Gott im Himmel“ (Mt 10, 32f). Noch schlimmer Mk 8, 38: „In dieser Generation, die den Bund mit Gott bricht, gibt es einige, die sich für mich und meine Worte schämen. Für die wird sich auch die himmlische Menschengestalt schämen, wenn sie im Strahlenglanz Gottes mit den heiligen Engeln kommt.“ Dies hat überhaupt nichts mehr mit dem Urtext zu tun, sondern das ist ein gesellschaftspolitisches Pamphlet, in dem die Grundlagen des Christusbekenntnisses aufgehoben sind.

Die Kirchenväter wie Irenäus von Lyon, Gregor von Nyssa (s.o.), Gregor von Nazianz, Augustin und alle ihnen folgenden rechten Lehrer der Kirche haben immer darauf hingewiesen, dass die Namen Gottes nicht einfach Eigenschaften sind, die aus menschlichen Vorstellungen auf Gott übertragen werden, sondern in ihnen offenbaren sich die wesenhaften Beziehungen (sce,seij – relationes) zwischen den trinitarischen Personen. In ihnen offenbart sich das Wesen (Homousie) der Dreieinigkeit Gottes. Grundlegend offenbart sich in der Beziehung Gott Vater – Gott Sohn die Gemeinschaft des Wesens als Gott und die Differenz der Personen in einem Ich-Du-Verhältnis, wie es sich gerade bei der Taufe Jesu und bei seinen Gebeten manifestiert.

Sowohl die Auseinandersetzung mit der Gnosis, z. B. bei Irenäus von Lyon wie auch die sog. christologischen und trinitarischen Streitigkeiten des 4. Jahrhunderts wurden durchweg dadurch ausgelöst, dass bestimmte theologische Lehren der Anbetung des dreieinigen Gottes im Gottesdienst der Gemeinde widersprachen. Es wurde also keineswegs eine Trinitätslehre oder Christologie entwickelt, sondern die Integrität des christlichen Gottesdienstes mit dem Lobpreis des Dreieinigen Gottes und der Taufe als realer Gemeinschaft mit Gott mussten verteidigt werden. Deshalb sind die christologisch-trinitarischen Abgrenzungen stets auch mit Taufe und Abendmahl verbunden. So ging es durchweg darum, diese Realität der Gemeinschaft mit dem Wesen Gottes festzuhalten. Gegenüber Arius wird dabei die falsche Auffassung vom Sohn Gottes energisch zurückgewiesen: „Auch wenn er als Gottbezeichnet wird (nämlich im Gottesdienst der Gemeinde), ist er doch nicht wahrhaftiger Gott“. Hier begegnet die Vorstellung von einer Übertragung von Gottesbezeichnungen, denen kein reales Sein entspricht. In gleicher Weise wird in der Confessio Augustana Art. I von der Einheit des Wesens und der Dreiheit der göttlichen Personen betont: „dass ein göttlich Wesen sei, welches genennt wird und wahrhaftiglich ist (quae appellatur et est) Gott, und seind doch drei Personen in demselben einigen gottlichen Wesen, gleich gewaltig, gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott heiliger Geist, alle drei ein gottlich Wesen…“

Wenn man sich vor Augen führt, wie mit diesen falschen Übersetzungen das unterschiedene Sein Gottes nicht nur aufgehoben, sondern durch weibliche Elemente aus der menschlichen Erfahrungswelt verändert und ersetzt wird, dann wir deutlich, dass damit der „magnus consensus“ mit der alten Kirche und der gesamten rechtgläubigen Christenheit, der in CA I ausdrücklich betont und sorgfältig nachgewiesen wird, durchweg willkürlich zerbrochen ist.

3. Der Heilige Geist.
Es ist immerhin bedenkenswert, dass die Wörter für „Geist“ im Hebräischen feminin, im Griechischen neutrisch und im Lateinischen wie auch im Deutschen und vielen anderen Sprachen maskulin sind. Unter dem Zwang der ideologischen Vorgaben heißt es aber nun meistens: „die Geistkraft“. Auch die Bezeichnung der Person wird anonym gefasst, und das wird verbunden mit der Behauptung: „In nachbiblischer Theologie wird die Geistkraft zu einer Person der göttlichen Dreifaltigkeit (Trinität)…“. Abgesehen davon, dass die altkirchlichen Konzile keineswegs neue Dogmen produzierten, sondern, wie gerade gezeigt, die Integrität des Glaubens in der Einheit des Geistes vor allem für den Gottesdienst festhielten und gegenüber Irrlehren abgrenzten (definierten), liegt auch hier wie bei manchem anderen einfach mangelnde Kenntnis der Schrift vor. Denn als Person und damit als Subjekt begegnet uns der Geist als „para,klhtoj“ Joh 14, 16) sowie Röm 8, 16; 26 f, wenn er für uns eintritt und uns vor Gott vertritt. An allen diesen Stellen wird jedoch dieser theologisch und grammatisch eindeutige Sachverhalt plattgewalzt mit „die Geistkraft“.

5 – Das Bilderverbot Ex 20, 4-6; Dtn 5, 8-10; 4, 9-20

Luther hat in seinen Katechismen das zweite Gebot biblischer Zählung keineswegs, wie selbst von Theologen gelegentlich behauptet wird, gestrichen. Er hat es vielmehr mit dem ersten Gebot zusammengefasst und die umfangreiche Sanktion mit Zorn und Gnade als „Beschluss“ des Dekalogs im Kleinen Katechismus und als Anhang zur Auslegung des ersten Gebots im Großen Katechismus eingefügt: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen…“ Der biblische Kommentar zum Bilderverbot in Dtn 4 schärft das ein: Gott begegnet seinem Volk im Wort, das gehört wird und geschrieben ist: „Seine Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da. Und er verkündete euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln (V. 12-13). Gott begegnet seinem Volk aber nicht im Bild von dem, was er geschaffen hat. Deshalb wird mit aller Strenge gewarnt: „So hütet euch nun wohl – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der Herr mit euch redete aus dem Feuer-, dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder Weib…“ (genau muss es auch hier wie Gen 1, 27 heißen: männlich und weiblich. (V. 15-16).

Wenn man nun vor Augen hat, in welcher Weise in dieser Ausgabe der Heiligen Schriften die Namen Gottes verändert und durch andere ersetzt worden sind, dann ist zunächst festzustellen, dass durchgehend Übertragungen aus dem Bereich von Gottes Schöpfung vorgenommen worden sind. Auf diese Weise schafft sich der Mensch einen Gott nach seinem eigenen Bildnis.

Nun wird immer wieder auf Texte hingewiesen, in denen weibliche Verhaltensweisen mit Gott verbunden werden wie z. B. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jes 66, 13) oder: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen“ (Jes 49, 15), oder: „Wie die Augen der Magd auf die Hände ihrer Frau, so sehen unsere Augen auf den Herrn…“ (Ps 123, 2). An allen diesen und ähnlichen Stellen geht es jedoch um Vergleiche oder Metaphern, nicht jedoch um Gleichsetzungen. Wenn dies nicht beachtet wird, kommt es unweigerlich zu einer Übertretung des Bilderverbots mit allen seinen Folgen.

Wenn durchgehend die Bezeichnungen Herr, Vater ersetzt werden, dann geschieht dies erklärtermaßen deshalb, weil man meint, auf diese Weise Unrecht wieder gut machen zu können. Begründet wird das in der feministischen Theologie immer mit negativen Erfahrungen in Ehe und Familie, die es ja durchaus geben mag. Doch dabei wird offenbar völlig übersehen, dass man vorhandene oder eingebildete soziale und politische Missstände nicht dadurch verändern kann, dass man andere Gottesbilder produziert. Vielmehr wird auf diese Weise genau die Grundlage aus dem Wort Gottes aufgehoben, von der aus, beginnend mit Gen 1, 27, gezeigt werden kann, was in unserem Leben dem Willen Gottes zuwider ist. Andernfalls setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes (Gen 3), auch in der Meinung, er könne alle Folgen des Sündenfalls in dieser Welt bekämpfen und beseitigen.

Allerdings muss man auch sehen, wie bei diesen Veränderungen und Ersetzungen in den Gottesnamen die Personalität des Dreieinigen Gottes aufgelöst wird in Begegnungen, Gefühle und Erfahrungen, wie es das Kennzeichen aller Gnosis ist. Gott wird entmachtet, indem er seiner Herrschaft beraubt wird, nach der er Schöpfer, Erhalter, Richter und Retter der Welt und aller Menschen ist, den wir als solchen „über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen“ sollen.

Die ausgewählten Beispiele für die dogmatische Beurteilung bilden nur einen kleinen Ausschnitt aus einem Gesamtbefund von theologischen und philologischen Fehlern. In den bisher vorliegenden Äußerungen zu der „
Bibel in gerechter Sprache“ zeigt sich, wie man sich darüber entweder empören oder lustig machen kann. Nach meiner Einsicht kommt es jedoch in erster Linie darauf an zu sehen, was an diesem Projekt symptomatisch ist für das, was bei uns in Theologie und Kirche weit verbreitet ist. Kirchenleitungen, die dieses Projekt unterstützt haben und weiterhin fördern, müssen sich vorwerfen lassen, dass sie damit die Kirche und den christlichen Glauben zerstören. Wie jedoch nichts ohne Gottes Willen geschieht, so sollte uns auch diese Bibelausgabe die Augen öffnen für das, was wir in der Lehre und daher weithin auch im Gottesdienst einfach verloren haben. Dies aber ist keineswegs eine Frage theologischer Richtungen und Schulen, sondern des theologischen Grundwissens. Die ernste Frage zur Prüfung von uns selbst ist, ob der Dreieinige Gott, den wir bekennen, anbeten und verkündigen, nur ein Gedankenprodukt von Theologen ist, oder ob er sich selbst in seinem Wort der Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments offenbart, zu uns spricht und an uns und dieser Welt handelt.

Professor Dr. Reinhard Slenczka, D.D.,
Erlangen. 9. 11. 2006

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Kampfbahn des Glaubens (E.Sauer)

Erich Sauer

In der Kampfbahn des Glaubens

– Ein Weckruf zu neuem Leben nach Hebräer 12 –

Zur Einführung

Gottes Volk hat Gottes Ruf vernommen. Nur dadurch ist es überhaupt »Volk Gottes« geworden. Denn »der Glaube kommt aus der Predigt« (Röm. 10, 17).
Damit hat Gottes Wunderwerk an Seiner Gemeinde begonnen. Wir können nicht hoch genug von den Erlösten des Herrn denken und reden. Sie sind Errettete und Versöhnte, Befreite und Gesegnete (Kol. 1, 14; Eph. 1, 3). Sie sind »Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte« (Kol. 3,12). Sie sind Gefäße Seiner Gnade, Söhne des großen Vaters, Königskinder und Himmelsbürger. Bei aller Unvollkommenheit und Schwachheit im einzelnen dürfen wir zuversichtlichen Glauben haben an das Werk des Heiligen Geistes in den Seinen.

Und doch!
Gottes Volk braucht ein neues Erwachen! Es ist eine erschütternde Tatsache, daß es, trotz des gewaltigen Redens Gottes im Weltgeschehen der letzten Jahrzehnte, zu keiner wirklich großen, weiter ausgedehnten, allgemeinen Erweckung gekommen ist. In keinem einzigen europäischen Lande!.  . . .

Wie aber soll denn Gott n o c h eindringlicher reden? Großmächte sind zerschlagen, Städte in Ruinenfelder verwandelt, Jahrhunderte alte, unersetzbare Kulturwerte vernichtet, Menschenleben millionenfach in den Tod gegeben. So erschütternd hat sich die Gottesferne der Sünder – unter dem Gerichtswalten des Höchsten – zu ihrem eigenen Unheil ausgewirkt!

Wie hätte doch da, mitten im satanisch aufgewühlten Geschichtsgetriebe, Gottes Volk Gottes Stimme erkennen müssen!  . . . 

Das darf nicht so bleiben! Gottes Volk muß erwachen! . . . Wir müssen es neu lernen, unser Christenleben als »Lauf« aufzufassen, als ein »Jagen« in der »Rennbahn des Glaubens« . . .

Möge der Herr das Zeugnis dieses Büchleins segnen!
Bibelschule Wiedenest, im Februar 1952, Erich Sauer

  • Leicht gekürzt von Horst Koch, Herborn, 2009 –

 

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel. »Lasset uns aufsehen auf Jesum!«
2. Kapitel. Christus – das Vorbild im Kampf.
3. Kapitel. Der Kampf, der uns verordnet ist.
4. Kapitel. Der Christ und das Leid.
5. Kapitel. Nicht müde werden!
6. Kapitel. Verschleuderte Werte.
7. Kapitel. Vom himmlischen Reichtum des neuen Bundes.

I. »Lasset uns aufsehen auf Jesus« Hebr 12,1.2

»Die größte Freude im Leben ist, Jesus Christus bekannt zu machen.« So las ich es als gewaltigen, eindrucksvollen Wandspruch in der großen Evangeliumshalle Moody’s in Chicago. Dies Wort des großen Evangelisten ist zugleich der Ausdruck des Lebensinhalts dieses besonderen Mannes Gottes. Gleichzeitig aber darf es auch das Motto des Dienstauftrags aller wahrhaft Erlösten sein. Wir alle leben »aus« Christus. Wir alle streben »zu« Christus hin. Wir alle wollen darum auch »in« Ihm und »für« Ihn da sein. Unser Leben hat nur soviel Wert, als Christus in ihm ist. Alles Beiwerk neben Jesus geht dahin.

Es hat, wenn es in den rechten Schranken gehalten wird, für das irdische Gefäß unseres Lebens seine nicht zu unterschätzende Gegenwartsbedeutung – und wir sind weit davon entfernt, einer erdflüchtigen, Gottes Schöpferherrlichkeit geringschätzenden, unnüchternen Schwarmgeisterei das Wort zu reden; aber bleibend ist für unsere e w i g e Existenz dennoch nur das, was schon heute in uns auf Christus gerichtet war, was f ü r Ihn gelebt und geliebt, i n Ihm getan und gelassen, m i t Ihm gelitten und erstritten war. Jesus, Jesus allein, ist d a s Leben unseres Lebens, die Ewigkeit unserer Zeit, der Wert, der niemals geraubt, zertrümmert oder entwertet werden kann. Darum hängt alles in unserem Leben von unserer praktischen Glaubensstellung zu Jesus Christus ab.

»Lasset uns aufsehen auf Jesus« ist die eigentliche Zentralbotschaft.

Drei neutestamentliche Schriften bilden hier – inmitten der Gesamtheit der 27 Bücher – ein besonderes Dreigestirn: das Johannesevangelium, der Kolosserbrief und der Hebräerbrief.

Im Johannesevangelium strahlt diese Christusherrlichkeit auf in der Schau von o b e n her. Er ist der Sohn, der vom »Himmel« in die Welt gekommen ist, Er, den der »Vater« »gesandt« hat. Also: Christusschau vom Himmelsurgrund her.
Im Kolosserbrief schauen wir Jesu Herrlichkeit gleichsam von i n n e n her, von Ihm Selber, dem lebendigen, wirksamen Weltheiland und Erlöser, die überragende Größe Seiner Person. Also: Christusschau vom H e i l s g e s c h i c h t s – Mittelpunkt her.
Der Hebräerbrief zeigt uns Jesu Herrlichkeit von »v o r h e r« her, von der Heilsvorbereitung in der alttestamentlichen Geschichte, und damit Ihn selbst als Den, der sogar die größten Offenbarungen Gottes nicht nur erfüllt, sondern vielfach übertrifft (bes. Hebr. 1-10).

Das »Hinschauen auf Jesus« muß sich bewähren in der Praxis des Alltags. Worum es geht, ist nicht »Christusbegeisterung«, sondern ein »vom Geist Christi Erfülltsein«, nicht bloße Bewunderung Seiner Größe, sondern, mitten in den Nöten und Bedrängnissen des Lebens, praktische Erfahrung Seiner Allgenugsamkeit. Nicht nur geistiges Schauen, sondern geistliches Tun; nicht nur Triumphgesang, sondern praktischer Sieg; nicht nur Anbetung, sondern Nachfolge. Es gehört eben beides unzertrennbar zusammen: der erhöhte Christus und Seine praktische Erlebbarkeit im niederen Talgrund unseres Heute und Hier.

Dasjenige Kapitel des Neuen Testaments, in dem diese Zusammengehörigkeit von Christusschau und Kampfbewährung in ganz besonderer Weise hervortritt, ist das zwölfte Kapitel des Hebräerbriefes. Wir wollen es fortlaufend unter folgenden Hauptgesichtspunkten betrachten:

Lasset uns aufsehen auf Jesus! Er ist unser Vorbild im Kampf. Vers 1-3.
Lasset uns aufsehen auf Jesus! So erreichen wir praktisch den Sieg. Vers 1-3.
Lasset uns aufsehen auf Jesus! So bewähren wir uns in allem Leid. Vers 4-11.
Lasset uns aufsehen auf Jesus! So vermeiden wir die Ermüdung. Vers 12-15.
Lasset uns aufsehen auf Jesus! So gelangen wir zur himmlischen Stadt. Vers 18-29.

Dabei aber ist dies Hinblicken, um das es sich hier handelt, zugleich ein Wegblicken von allem anderen. Es ist ein Wegblicken von dem nächsten »unwillkürlich« sich darbietenden Gegenstand auf ein »willkürlich«, das heißt, willentlich, mit Absicht ins Auge gefaßtes Ziel. Dadurch wird alle Zerstreutheit überwunden, die Blicke werden zu einer Richtung konzentriert, und das Herz wird, in zusammengefaßter Ausrichtung des ganzen, inneren Menschen auf Jesus Christus, erfaßt von Seiner Herrlichkeit, und es erlebt in wachstümlichem Maße die Tiefe und den Reichtum des Wortes: »Sie sahen niemand als Jesum allein.«

Alle Segnungen Gottes sind auf Steigerung angelegt. Jede Erfüllung ist immer zugleich eine Verheißung auf noch Größeres. Gott kommt niemals an das Ende Seiner Möglichkeiten (Joh. 1, 16; Eph. 2, 7). Darum steht das Herrlichste uns immer noch bevor. Alles ist a u s Herrlichkeit, i n Herrlichkeit und, seiner gottgewollten Zielstrebigkeit nach, »von Herrlichkeit zu Herrlichkeit hin« (vgl. 2. Kor. 3, 18).

Anders ist Welt und Sünde. Mit der Scheinfreude beginnt’s, mit der Enttäuschung endet’s. Alles ist Umdrehung von Leben und, wie schon das deutsche Wort »Leben« in seiner Umdrehung, rückwärts gelesen, sagt – »Nebel«. …

Vor Jahren besuchte ich die Presse-Ausstellung in Köln. In einem der großen Säle wurde an Hand zahlreicher Dokumente und Tabellen das Verhältnis zwischen Presse und Post veranschaulicht. Unvergeßlich bleibt mir die Verzierung an einer der Hauptwände. Sie stellte einen riesigen Adler dar. Von den Leistungen der deutschen Post war ja hier die Rede. Geradezu imponierend war der Eindruck dieses riesigen Adlers. Trat man aber näher heran und betrachtete ihn genauer, so entdeckte man, daß er aus lauter Briefmarken der Inflationszeit zusammengesetzt war. Tausende kleiner Inflationsbriefmarken! Ich sagte sofort zu meinem Begleiter: »Bei aller Wertschätzung des Irdischen: ist dies nicht zugleich ein Bild von den Werten dieser Welt allgemein? Sieht man sie von fern an – gleichsam auf den ersten Blick -, so erscheint alles großartig und eindrucksvoll. Betrachtet man sie aber aus der Nähe und genau, so entdeckt man: Es sind ja alles nur Inflationswerte! Große Zahlen und geringer Wert! Inflation nicht nur des Geldes, sondern auch Inflation des Wortes! Inflation der Begriffe! Inflation der Ideale! Inflation des Geistes!« Von fern wie ein Adler, in sich selbst Inflation!

Wie ist da Jesus Christus doch so ganz anders! Er gewinnt, je mehr man Ihn kennen lernt. Er bewährt Sich auch unter den schärfsten Erprobungen der Praxis. Er versagt nie. Darum wollen wir unser ganzes Sinnen und Streben auf Ihn richten. Er führt uns »von Glauben zu Glauben« (Röm. 1, 17), »von Kraft zu Kraft« (Ps. 84, 7), »von Klarheit zu Klarheit« (2. Kor. 3, 18). In Ihm steht ein unerschöpflicher Heilsbrunnen offen (Jes. 12, 3; Sach. 13, 1).

Darum: »Lasset uns aufsehen auf Jesum«!

II. Christus – das Vorbild im Kampf

Hebr 12,2-3: Lasset uns aufsehen auf Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande geringachtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken laßt.

Auf den rechten Blick kommt es an. Wer recht leben will, muß recht sehen können. Wer als Christ richtig leben will, muß auf Christus schauen. »Willst du enttäuscht sein, so schaue auf die Menschen. Willst du verzagt sein, so schaue auf dich selbst. Willst du ermutigt sein und Sieg haben, so schaue auf Christus!« Er, Jesus allein, ist die Kraftquelle für alle, die in der »Kampfbahn des Glaubens« laufen und an das Ziel ihrer Berufung gelangen wollen.

Großartig ist das Bild des Gekreuzigten, das der Schreiber des Hebräerbriefes in Kapitel 12 uns vor Augen stellt. Christus erduldete das Kreuz. Ohne dies Zentralereignis in der Geschichte der Offenbarung gäbe es kein Heil. Darum gehört die Botschaft von Ihm und Seinem Opfertod, in Verbindung mit dem Triumph Seiner Auferstehung, in den Mittelpunkt und Vordergrund jeder wirklich schriftgemäßen, heilskräftigen Evangeliumsbezeugung.

»Lasset uns aufsehen auf Jesum!« Er erduldete das Kreuz

1. als standhafter Held unbeirrbaren Siegeswillens.

Was äußerlich scheinbar Schwachheit war, war in Wahrheit innerlich Sieg. Wie leicht wäre es für Christus gewesen, vom Kreuze herabzusteigen und Sich Selbst zu befreien! Wie ohne weiteres hätte Er den Vater bitten können und Er hätte ihm »zwölf Legionen Engel« zur Verfügung gestellt (Matth. 26, 53)! Wir machen uns kaum eine Vorstellung von dem, was das bedeutet hätte. Als Gott in den Tagen Hiskias das durch die Assyrer hart bedrängte Jerusalem rettete, sandte Er einen Engel gegen die assyrische Heeresmacht, und dieser tötete in einer Nacht einhundertfünfundachtzig-tausend assyrische Soldaten und Offiziere (2. Kön. 19, 35)! Jesus aber erklärt, daß Ihm, wenn Er nur gewollt hätte, ganze Legionen von Engeln zur Vernichtung Seiner Feinde zur Verfügung gestanden hätten.

Wenn Christus nur gewollt hätte! Aber E r  h a t  n i c h t  gewollt! Er wußte ja, daß nur durch unbeirrbares Festhalten am Leidensweg das stellvertretende Sühnopfer dargebracht und die Erlösung für die Welt bewirkt werden konnte. Darum blieb Er im Leiden. Darum harrte Er aus, bis das Ziel erreicht war und Er in der Todesstunde von Golgatha den Siegesruf aussprechen konnte: »Es ist vollbracht!« (Joh. 19, 30.)

Ganz stark betont der Hebräerbrief diese Standhaftigkeit und Unbeirrbarkeit des Siegeswillens Jesu. In dreifacher Steigerung hebt er das geradezu Unerhörte dieser Situation von Golgatha hervor.

Er, der Herr des Universums, ließ Sich von staubgeborenen Kreaturen »Widerspruch« gefallen, ja, »großen« Widerspruch!
Er, der König der Ehren, ließ Sich »Verachtung« und »Schande« entgegenbringen und hat dann, mitten in diesem »Verachtetsein«, in wahrer, innerer Königshaltung, »die Verachtung verachtet«!

Er, der Vollkommene und Heilige, ließ Sich dies alles von »Sündern« gefallen! S ü n d e r haben Ihm dies alles angetan! Sünde aber ist die eigentliche Entehrung der Kreatur. Das aber heißt: Durch die Sünde Entehrte haben Ihn, den hochheiligen Ehrenkönig, entehrt, ja Ihn als Verbrecher durch Seine Hinrichtung als nicht mehr tragbar aus dem Verbande der Menschheit, wie sie es meinten, ausgestoßen.

Dies alles erdulden und doch nicht brauchen, – sich so scheinbar besiegen lassen und dennoch seinen Feinden unendlich überlegen sein, – aber eben nur um der Erreichung des hohen, idealen Zieles willen von allen äußeren, zu jeder Minute zur Verfügung stehenden Machtmitteln in freier Entscheidung keinen Gebrauch machen: Das ist allerdings zielbewußter Siegeswille in unbeugsamer Standhaftigkeit! Das ist heldenhafteste Seelenkraft unbeschreiblichster Größe. Wahrlich, Christus, der größte Dulder, war gerade in Seinem Dulden der allergrößte Held!

Er erduldete das Kreuz

2. als Heerführer und vollkommenste Ausgestaltung des Glaubens.

Christus ist der »Anfänger und Vollender des Glaubens«. Die Schrift spricht hier nicht lediglich von «unserm« Glauben, etwa nur in dem Sinne, daß Christus durch Seinen Opfertod, Seine Auferstehung und Sein Evangelium durch den Heiligen Geist der schöpferische Urgrund unseres persönlichen Glaubenslebens sei und darum uns auch bewahre, unseren Glauben »vollende« und die Seinen ans Ziel bringt; sondern sie spricht vom Glauben s c h l e c h t h i n. Der Gegenstand des Glaubens hat Selber geglaubt! Und so wie Er, als Bahnbrecher des Glaubens, durch eigenes Glauben den Seinen vorangegangen ist, so ist Er, gerade in diesem Seinem Glauben, die vollkommenste Ausgestaltung des Glaubens überhaupt gewesen. In Ihm, der wahrer Gottes- und Menschensohn war, ist der Glaube auf die Stufe höchster Vollendung erhoben worden. Jesus hat vollkommenen Glauben bewiesen. So ist Er alles in Einem: Urheber, Bahnbrecher und Vollender des Glaubens.

Am wunderbarsten zeigt sich dies in Seinem Siegesruf: »Es ist vollbracht.« Wenn dies Wort am Auferstehungsmorgen oder nach der Himmelfahrt des Herrn auf dem Thron der göttlichen Herrlichkeit gesprochen worden wäre, so hätte man dies – in aller Ehrfurcht sei es gesagt – vielleicht begreifen können. Aber Christus hat es auf G o l g a t h a ausgerufen! Also gerade in dem Augenblick, in dem alles auf Niederlage und Untergang eingestellt zu sein schien, als die Sonne sich verfinstert hatte, als Qualen Ihm Leib und Seele durchwühlten, als die Feinde höhnten und triumphierten, als der dunkle Augenblick des Todes immer näher herankam, d a rief er aus: »Es ist vollbracht!«

In der dunkelsten Stunde der Geschichte des ganzen Weltalls hat Er das strahlendste Siegeswort in der gesamten, irdischen und überirdischen Weltallgeschichte ausgerufen! Wahrlich, wenn Glaube, nach dem Zeugnis des Hebräerbriefes, eine »Verwirklichung« ist von dem, »was man hofft«, eine »Überzeugung« von Dingen, »die man nicht sieht« (Hebr.11,1), – dann ist hier Glaube betätigt worden in der vollkommensten Weise! So ist der Glaube hier zur absoluten Vollendung gebracht worden. Zugleich leuchtet die vollkommene Menschheit des »Fleisch gewordenen« Gottessohnes hervor (Joh. 1, 14).
Wir sind es gewohnt Seine ewige Gottessohnschaft, in den Mittelpunkt unseres geistlichen Denkens zu stellen. In der Tat: Jesus von Nazareth, der durch die Erde pilgerte und dann um unsertwillen an das Kreuz ging, war »G o t t geoffenbart im Fleisch« (1. Tim. 3, 16). Aber bei dem allen dürfen wir auch nicht vergessen, daß Er eben Gott geoffenbart war »im F l e i s c h«, das heißt, in wahrhaftigem, irdischem Menschenleben. Oder, wie es einer der Kirchenväter ausgedrückt hat: »Er blieb, was Er war. Er wurde, was wir sind.« Hier das Geheimnis lüften zu wollen, wäre törichter Vorwitz. Das Geheimnis Seiner Menschwerdung ist ewig unergründbar.

Die Wahrheit Seiner Menschheit müssen wir darum ebenso erkennen, wie die Wahrheit Seiner Gottheit. In Christus war ein Mensch auf dieser Erde, der vollkommen den Willen Gottes tat! In Ihm wurde offenbar, was Gott überhaupt gemeint hatte, als Er einst sprach: »Lasset uns Menschen machen in unserm Bilde, nach unserm Gleichnis« (1. Mose 1, 26). Christi Erdenleben ist die eigentliche, sittliche Auslegung des Sinnes aller Menschenschöpfung.

Wie anspornend und ermutigend zugleich, daß Er, als dieser vollkommene Mensch, uns Menschen den Beweis geliefert hat, daß es möglich ist, hier auf dieser Erde in durchaus menschlichen Verhältnissen ein wahres Glaubensleben zu führen und Gott vollkommen zu verherrlichen! Wie lebendig und wirksam wird gerade von hier aus auch Sein himmlisches Hohespriestertum! »Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleiden zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde« (Hebr. 4,15).
Die wahre Menschheit des Erlösers, und zwar gerade auch im Hinblick auf Sein »Glaubens«leben auf Erden, ist zugleich der Grund, warum der Verfasser des Hebräerbriefes an unserer Stelle Ihn nicht mit Seinem »Christus«titel einführt – und etwa sagt: »Lasset uns aufsehen auf Christus!« -, sondern Ihn mit Seinem menschlichen Personennamen »Jesus« nennt, ohne eine Hinzufügung des Wortes »Christus« oder Seines göttlichen Kyrios (= »Herrn«)-titels. Vielmehr sagt er ganz einfach und schlicht: »Lasset uns aufsehen auf J e s u m !« Dies ist genau so beabsichtigt und sinnvoll, wie auch sonst die beiden Namen »Jesus« und »Christus« im Neuen Testament in ihrer Anwendung sorgfältig unterschieden werden.

»Jesus« ist der Name, der dem Sohne Gottes bei Seiner Menschwerdung gegeben wurde (Matth. l, 21). Er ist darum in besonderer Weise mit der Zeit Seines Erdenlebens, Seiner wahren Menschheit und Seiner Erniedrigung verbunden. Es ist der Name; den Er auch mit anderen Menschen gemeinsam hat (z. B. Jesus Sirach Jesus Justus: Kol. 4, 11).

»Christus« ist Sein Messias- und Amtstitel, in dessen Vollinhalt Er erst später durch Seine Himmelfahrt und Verherrlichung eintrat. »Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, daß Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus g e m a c h t hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt« (Apg. 2, 36). Von hier aus wird auch klar, warum die Evangelien meistens von »Jesus« reden, während in den Briefen der »Christustitel« im Vordergrund steht. Denn die Evangelien handeln von der Zeit Seiner Niedrigkeit, während die Briefe von Ihm als dem Erhöhten und Verherrlichten zeugen. Nur wo in den Briefen die einstige Niedrigkeit des Menschgewordenen betont werden soll, steht allein der Name »Jesus« (2. Kor. 4, 10 wörtl.; Phil. 2, 10; 1. Thess. 4, 14; Hebr. 2, 9; 13, 12).

Er erduldete das Kreuz

3. als siegreicher Triumphator zielbewußter Hoffnung.

»Um der vor Ihm liegenden Freude willen« hat Er die Leiden auf Sich genommen. Was war diese Freude? Nicht die Logosherrlichkeit, die Er gehabt hatte als das ewige »Wort« (griech. logos) vor Seiner Menschwerdung, nicht die Freude an der Welt, die Ihm der Versucher gegeben hätte, wenn Er nur, statt den Kreuzesweg zu gehen, alle Herrlichkeit dieser Weltreiche aus seiner Hand angenommen hätte (Matth. 4, 8-10); auch nicht einfach nur die schlichte Freude an bloßer, irdischer Leidensfreiheit, die Ihm durch Umgehung des Kreuzes hätte zuteil werden können; sondern gemeint ist die z u k ü n f t i g e Freude, die Christus vor Augen stand: die vollbrachte Erlösung, die einst gewonnene Ekklesia, die Verherrlichung des Vaters, Seine persönliche Siegerstellung in der Herrlichkeit nach vollbrachtem Werk. Eben die Freude, die Er haben würde, wenn Er bis zum Ende standhaft durchhielt!

Durch nichts Gegenwärtiges ließ Er Sich von diesem Zukünftigen abbringen. Sein Leiden geschah in Vorfreude! Sein Glauben im Schmuck der Dornenkrone war zugleich zielgewisse Hoffnung auf die himmlische Königskrone.
Gott hat zu dieser Glaubenserwartung und Hoffnung des Gekreuzigten Sein Ja gesprochen. Darum sehen wir jetzt Jesum, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, gerade »um Seines Todesleidens willen« mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (Hebr. 2, 9).3) Darum hat Gott Ihn, der Sich einst erniedrigt hatte, »hoch erhöht« (Phil. 2, 9). Darum befindet Er Sich jetzt in der Herrlichkeit »mitten auf dem Thron«, als das »Lamm wie geschlachtet«, mit den Wundenmalen Seiner Liebe (Offb. 5, 6). Darum erklingt jetzt zu Seiner Ehre dort droben das «neue Lied«: »Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen – das Buch der Weltvollendungswege Gottes -; denn Du bist geschlachtet worden und hast für Gott erkauft durch Dein Blut aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation und hast sie unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen« (Offb. 5, 9; 10). Jesus als Lamm Gottes ist der durch die Herrlichkeit des Vaters hoch erhöhte und triumphierende Weltvollender.

Wenn Paulus von dieser »Erhöhung« des einst Erniedrigten spricht, so fühlt er geradezu die Unmöglichkeit, ein passendes Wort zu finden, das das Ausmaß d i e s e r Erhöhung und Verherrlichung entsprechend zum Ausdruck brächte. Wie so manchmal, so steht er auch hier vor der Tatsache, daß die sonst so reiche, griechische Sprache einfach nicht über ein vollwertiges Wort verfügt, um das zu besagen, was hier gesagt werden muß. Die menschliche Sprache besitzt eben deshalb hier kein Wort, weil die menschliche Erfahrung die hier auszudrückende Sache nicht hat. Darum erfindet Paulus nun ein n e u e s Wort und sagt: Gott hat Jesum nicht einfach »erhöht« oder »hoch erhöht«, sondern Er hat Ihn »ü b e r erhöht« (griech. h y p e r hypsosen). Das ist die Antwort Gottes auf die Standhaftigkeit, den Glauben, die Hoffnung des Gekreuzigten. So hat der Vater der Herrlichkeit Ihn, den Entherrlichten, zur Himmelsherrlichkeit »übererhoben«!
Aber alle diese Worte stehen in der Schrift um eines praktischen Zieles willen.

Christus erduldete das Kreuz

4. als Vorbild Seiner Nachfolger.

Der Sinn der biblischen Aufforderung »Lasset uns aufsehen auf Jesum!« ist, im Zusammenhang des Hebräerbriefes, der: In der Kampfbahn des Glaubens laßt uns, im Blick auf den Herrn, frohen Mut gewinnen, Ihm nachzueilen. Der Blick auf den Gekreuzigten gibt in allen Lagen neue Zuversicht. Auch das Leid wird durch das Kreuz in das rechte Licht gerückt. Um unsere eigenen Schwierigkeiten richtig einzuschätzen, müssen wir erwägen, was Jesus erduldet hat, gleichsam »berechnen und überschlagen«, welchen Widerspruch E r zu erdulden hatte.

Das ist der Ansporn, der sich aus dem Aufblick auf Jesus für uns ergibt. Wie Er standhaft war, wollen auch wir standhaft sein! Wie Er Glauben bewies, laßt auch uns im Glauben leben! Wie Er im Leiden hoffte und auf die Krone schaute, laßt auch uns unsern Blick fest auf das Ziel gerichtet halten!
Christus, der Gekreuzigte, ist nicht nur Retter, sondern auch Vorbild! Wir sollen Ihm nicht nur nachschauen, sondern Ihm nach f o l g e n, nicht nur betrachten, sondern beachten, nicht nur bewundern, sondern Ihm praktisch nach w a n d e r n !
Vergessen wir es nicht: Das Kreuz ist nicht nur Erlösung, sondern auch Bindung, nicht nur Befreiung, sondern auch Besitzergreifung, nicht nur »Vernichtung« der Sünden, sondern auch »Verpflichtung« des geretteten Sünders! Man kann nicht in Wahrheit an den Gekreuzigten glauben, ohne Seine Kreuzeserfahrung zum Grundsatz des eigenen Lebens und Verhaltens zu machen! »Denn hierzu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, auf daß er über Tote und Lebendige H e r r sei« (Röm. 14, 9). Absagen allem (Luk. 14,33), das Kreuz auf sich nehmen (Matth. 16,24), nur Ihm allein dienen (Luk. 16,13), sein Leben verlieren, um es auf ewig zu gewinnen (Joh. 12,25) – das ist die Gesinnung, die der Gekreuzigte von den Seinen verlangt! Nur so kommt es auch zugleich zu einer glückseligen Lebensgemeinschaft mit Ihm als dem Auferstandenen (Röm. 6,1-14).

Wo der Glaube an den Gekreuzigten wahrer Herzensbesitz geworden ist und im Mittelpunkt unseres Lebens steht, ist heilige Freude, himmlisches Wesen und ewige Herrlichkeit unser seliges Los. Das Kreuz ist nicht Untergangs-, sondern Lebenszeichen. Es steht, biblisch gesehen, in unauflösbarem Zusammenhang mit der Auferstehung. Darum ist Christi Tod zugleich der Tod unseres Todes und damit Leben und ewige Seligkeit. »Lasset uns aufsehen auf Jesum!« Im Kreuz ist unser Heil!

Um aber in dieser Weise dein Vorbild sein zu können, muß Jesus, der Gekreuzigte, erst dein Retter geworden sein. Ehe das Kreuz unsere Heiligung sein kann, müssen wir es als unsere Rechtfertigung erlebt haben. Ehe das »Neue« beginnt, muß das »Alte« grundsätzlich verschwinden.

Und wie wunderbar ist doch die Erlösungskraft des Gekreuzigten! Wie unzählbar waren unsere Sünden! Wie völlig unmöglich, mit eigenen Kräften unsere verfehlte Lebensentwicklung vor Gott je wieder gutzumachen! Darum, wenn du Ihn noch nicht persönlich als deinen Erretter angenommen hast, so zögere nicht länger, sondern tue es jetzt! Jesus will dir nichts nehmen. Er will dir ja nur geben! Du sollst nicht beraubt, sondern beschenkt werden. Der Glaube macht nicht arm, sondern reich.

III. Der Kampf, der uns verordnet ist

Hebr 12,1-3: Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, laßt uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,
und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande geringachtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken laßt.

Am Evangelium lebt alles. Seine Quelle ist Gott, der Lebendige. Sein Vermittler ist Christus, der Auferstandene. Seine Kraft ist der Geist Gottes, »der Geist, der lebendig macht«.
Darum ist Gottes Heil kein bloßes Gewordensein, sondern zugleich ein dauerndes Geschehen, kein nur einmaliges Geschenk, sondern ein dauernd sich steigerndes Schenken. Jede Gnade ist eine uns von Gott in Christus durch den Heiligen Geist gegebene Lebens b e w e g u n g. Da ist nichts »Statisches«, sondern ein »Dynamisches«, kein Stehen, sondern ein Schreiten, keine einseitige Rückwärtsschau, sondern ein zielstrebendes Vorwärtsschauen, eben alles ein lebendiges Handeln, alles geistliche Aktivität, alles Stromlinien geistgewirkter, gotterfüllter Himmelskräfte.
Gottes Gaben sind nicht wie ein Anker, der das Schiff unseres Lebens einfach festhält, sondern wie ein Segel, in das der Wind des Geistes Gottes mit Macht hineinwehen und damit das Schiff unseres Lebens, dem Ziel entgegen, vorwärtsbringen will.

I. Die »Verordnung« des Kampfes

Der Schreiber des Hebräerbriefes erklärt: Wir sollen mit Ausharren laufen den »vor uns liegenden« Wettlauf (Hebr. 12, 1). Das soll nicht nur heißen: den zeitlich oder gleichsam »geistig-räumlich« vor uns liegenden Wettlauf; sondern es ist vor allem dynamisch gemeint: den als unsere A u f g a b e uns »obliegenden« Wettlauf, oder, wie Luther es übersetzt: den Kampf, der uns »verordnet« ist.

Du kannst dein Christsein vom Wettläufer-sein einfach nicht mehr trennen! Gott hat »verordnet«, daß du »laufen« sollst! Du erlebst wahre Heiligung nur in einem geistgewirkten Angespanntsein und Ausgerichtetsein deines ganzen, inneren Menschen auf das ewige Ziel. Wer sich dem Kampf entziehen will, verzichtet von vornherein auf die Krone und den Siegeslohn.

Wir unterscheiden oft – und durchaus auch mit Recht – zwischen Stellung und Zustand eines Christen. Aber laßt uns das Wort »Stellung« auch einmal in einem anderen Sinne gebrauchen: nicht nur als Bild aus dem sozialen Leben (»Stellung« = Würde), sondern als Bild aus dem militärischen Leben: »Stellung« = Kampfstellung, Schlachtfront. In diesem Sinne müssen wir dann sagen: Christsein heißt »im Glauben Stellung beziehen« ! Der Feind bestreitet alles. Satan erklärt sich, bis zu seiner endgültigen Niederwerfung (Offb. 20, 10), niemals für besiegt. Er ist das wandelnde und handelnde, dämonisch-aktive »Nein« des Bösen gegen alles erlösende, bejahende Gnadenhandeln Gottes. Darum bleibt der Kampf für uns bestehen, bis wir zur Vollendung gelangt sind.

Das aber heißt: Nimm dein Christsein ernst! Rechne im Glauben mit den Siegeskräften deines Heilands. Aber übersieh auch die Wirklichkeit des Feindes nicht! Nimm alle von ihm ausgehenden, lähmenden Kräfte ernst! Sei straff angespannt! Lebe in heiliger Glaubensenergie! »Mit der Sünde ist kein Friede möglich.« Vergiß nicht, daß dein Christsein ein Rennen in einer Kampfbahn ist! Bedenke: »So jemand auch kämpft, wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht« (2. Tim. 2, 5 Luth.). Wiedergeburt ist nicht Endziel, sondern Start. Du mußt, wenn du das Vollziel erreichen willst, laufen !

Die Kampflage ist ernst. Dämonen umgeben uns. Finstere Mächte sperren uns den Weg. Feindesmacht um uns und in uns (Eph. 6, 12) ! Seien wir hart gegen uns selbst! Zähmen wir unseren Leib (1. Kor. 9, 27)! Beherrschen wir unsere Seele! Halten wir den Blick unseres Geistes auf Christum gespannt! Nur Kämpfer werden gekrönt! Nur Sieger werden verherrlicht. Nur »wer überwindet«, spricht Christus, »dem werde ich geben, mit mir auf meinem Throne zu sitzen« (Offb. 3, 21).

1. Wir sind Kämpfer,
weil im Hintergrund des ganzen Weltall-Verlaufs die gewaltigste Revolution steht, die je in der Geschichte des Universums vollzogen worden ist, der Kampf zwischen Satan und Gott, und weil dieser – nach dem Gesamtzeugnis der Schrift – gerade auf unserer Erde, also dem Wohnort unserer Menschheit, als seinem Zentralkampfplatz ausgefochten und zur Entscheidung gebracht wird. Dies ist der weltallumfassende, übergeschichtliche Hintergrund unserer Kampfsituation.
Und weiterhin:
2. Wir sind Kämpfer,
weil im Verlauf dieser gewaltigen Auseinandersetzung zwar auf Golgatha von Christus, dem Gottes und Menschensohn, der grundlegende Sieg errungen worden ist, seine geschichtliche Durchführung aber noch nicht allseitig und sofort bewirkt wurde. So steht unsere Jetztzeit noch in der Spannung zwischen Verborgenheit des Reiches Gottes und Offenkundigkeit der Herrschaft Satans. Dies ist der heils – geschichtliche, in Sonderheit unser gegenwärtiges Gemeindezeitalter bedingende Hintergrund unserer Kampfsituation.
Und schließlich:
3. Wir sind Kämpfer,
weil es überhaupt dem Gott-Menschheits-Charakter des Reiches Gottes entspricht, bei aller Vollwirksamkeit der Gnade, der Kreatur dennoch ihre Freiheit zu belassen. So hat der Berufene sich nicht nur in der Bekehrung grundsätzlich, sondern in seinem Heiligungsleben auch fortlaufend von Fall zu Fall praktisch zu entscheiden, welchem Herrn er nun dienen will. Dies ist der sich aus dem Wesen des Reiches Gottes ergebende, dynamisch – sittliche Hintergrund unserer Kampfsituation.
Aus diesen drei Hauptgründen ist uns der Kampf »verordnet«.

II. Die zur Erreichung des Zieles erforderliche Haltung im Kampf

Welche Haltung müssen wir nun einnehmen, wenn wir in diesem Kampf siegen wollen? Der Schreiber des Hebräerbriefes läßt an unserer Stelle vier Hauptgesichtspunkte erkennen.

1. Der Blick auf den Sieger
Wer Sieg haben will, muß auf Christum schauen. »Lasset uns aufsehen auf Jesum!« Sein Kampf auf Golgatha ist zugleich Vorbild für unseren Kampf. Sein Sieg ist zugleich Grundlage für unser Siegen. Das Besondere am Glaubenskampf ist, daß wir nicht eigentlich erst um den Sieg ringen, sondern daß wir ihn schon haben. Wir haben ihn in Christus, unserem Bahnbrecher und Triumphator. Darum kämpfen wir nicht erst z u m Siege hin, sondern in Wahrheit schon v o m Siege her.  . . .  . . .

Im Augenblick, wo wir von Christus wegschauen, ist alle Fülle praktisch gewichen. Die Überwinderkraft ist dahin. Dinge werden uns wichtig, die – im Licht der Ewigkeit gesehen – ganz unbedeutend sind. Dann bezaubert uns die Verführungsmacht der Sünde. Und wird dann unserem Eigenleben, unserer Ehre, unserem Besitztrieb, unserem Geltungswillen nicht, wie wir meinen, entsprechend Genüge getan, so fallen wir in Sünde, Verletztheit, Lieblosigkeit, Erdensinn, Sorgengeist. Wir haben den Maßstab verloren, weil wir nicht auf Christus geschaut haben. Wir haben den Schwerpunkt verlagert, der nun praktisch nicht mehr in Gott, sondern in uns selbst liegt. Wir haben uns verirrt, weil wir die Orientierung an Christus verloren haben.
Da kann dann nur eins helfen: Wieder hinschauen auf Christus! Buße und Beugung vor Ihm, und dann Ihn im Auge behalten! Das gibt Reinigung und Wiederherstellung und, von dieser Grundhaltung aus, Wachstum und freudige Heiligung.

Bei einem prunkhaften Herrscherbesuch, so wird berichtet, stand eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn in der vorderen Reihe der Menschenmenge, die die Straßen einer westeuropäischen Großstadt übersäten, um den Herrscher und sein Gefolge zu begrüßen. Endlich kam der Erwartete vorbei und mit ihm sein Hofstaat in glänzendem Gepränge. Alles ging verhältnismäßig schnell vor sich. Da mit einem Mal streckte die Mutter mit einem Ruck begeistert ihren Arm aus, wies ihren Jungen mit der Hand auf den gerade vorbeikommenden Herrscher hin und rief ihm eindringlich mit lauter Stimme zu: »Hinschauen und nie mehr vergessen!«
Wie machen wir es im Hinblick auf Christus, den König aller Könige? Laßt es uns wie eine Parole in unser Leben hinein-nehmen: »Hinschauen und nie mehr vergessen!« Lasset uns aufsehen auf Jesum! Er ist unser Heil und unser Helfer, unser Vorbild und unsere Kraft.

2. Der Blick auf die Kampfgenossen
Der Schreiber des Hebräerbriefes begründet seinen Zuspruch: »Laßt uns … in der Kampfbahn laufen« mit dem Hinweis auf die Glaubenshelden des Alten Testaments. »Deshalb« nun, »d a wir eine so große, uns umlagernde Wolke von Zeugen haben«, laßt uns laufen« Damit soll gesagt sein: Ihr Zeugen Jesu Christi in der neutestamentlichen Gemeindezeit, schaut hinein in die Geschichte der alttestamentlichen Vergangenheit! Bedenkt, was da schon erduldet, gelitten, gekämpft -, aber auch gesiegt worden ist! Es hat Glaubenshelden gegeben zu allen Zeiten. Ihr steht nicht allein! Ihr seid nicht die ersten, die um der Wahrheit willen zu dulden haben!

Das ist ja der eigentliche Sinn von Hebräer 11, diesem großartigen Kapitel über die »Siegesallee« des Glaubens. Was Hebräer 11 sein will, ist nichts Geringeres als ein über vier Jahrtausende umspannender Geschichts- und Erfahrungsbeweis, daß der Glaube eine Gotteskraft ist, und zwar eine Gotteskraft, die zu allen Zeiten, in allen Lagen, in den verschiedensten Ländern, bei Männern und Frauen, bei hoch und niedrig, in Krieg und Frieden, immer wieder die Bewährungsprobe bestanden hat.

Und wenn in Hebräer 11 eine so lange »Ahnengalerie des Glaubens« gezeigt wird, dann eben doch wohl deshalb, um damit den unwiderlegbaren Geschichtsbeweis zu liefern, daß wahrer Glaube sich nicht nur vorübergehend in kurzen Zeitabschnitten geistiger Hochfluten, etwa nur in Erweckungszeiten, als praktische Siegeskraft erweist, sondern zugleich auch in allen Lagen dazwischen, eben zu allen Zeiten und darum auch in deiner Zeit, deinem Leben, deiner Umwelt und deinen Bewährungsproben! Darum gibt es keine Entschuldigung, wenn du versagst. Der Blick auf die vielen Kampfgenossen bedeutet Ermutigung und Verpflichtung, Ansporn und Verantwortung. »Deshalb, da wir eine so große, uns umlagernde Wolke von Zeugen haben, . . laßt uns in der Kampfbahn laufen!«
Und wenn gesagt wird, daß diese Zahl der Glaubensmenschen uns geradezu »umlagert« (griech. perikeimenon), und wenn sie mit einer dichten »Wolke« verglichen wird, so soll damit auf die große Vielheit dieser Männer und Frauen hingewiesen werden, und genauso wie die Erinnerung an die langen Jahrhunderte eine Ermunterung unter dem Gesichtspunkt der Zeit war, so wollen es diese beiden Ausdrücke»umlagernd« und »Wolke« unter dem Gesichtspunkt der Zahl und des »geistigen Raumes« sein. Wo du nur hinschaust, siehst du Glaubenszeugen. Sie »umlagern« dich geradezu! Also Mut wird dir zugesprochen von allen Seiten her.

Der Ausdruck »Zeuge« will hierbei wohl kaum besagen, daß diese Gottesmänner von ihrer gegenwärtigen, überirdischen und außerirdischen Stellung heraus »Zuschauer« unseres heutigen Laufens und Ringens sind, gleichsam als solche, die von den »Tribünen« her unseren Kampf in der »Arena« beobachten – denn nirgends läßt die Schrift sonst ein bewußtes Teilnehmen und Mitwissen der Abgeschiedenen an dem Ergehen der noch hier kämpfenden Gemeinde erkennen -; sondern sie sollen damit wohl bezeichnet werden als Menschen, die zu ihrer Zeit »Zeugen« gewesen sind und die, wenn wir heute noch ihr Leben hinterher überblicken, auch uns jetzt noch durch ihr Beispiel »bezeugen« können, daß »Glaube im Einsatz« Gottes Siege erringt. Obwohl sie der Tod schon hinweggenommen hat, ist ihr Zeugnis doch nicht verstummt. Jene Glaubenshelden von gestern sind uns darum noch heute gegenwärtig. Sie »umringen« uns geradezu und werden uns zur Glaubensmahnung und Ermunterung.

Schließlich aber wird durch diesen ganzen Zusammenhang auch die hohe Würde wahren Einsatzes für Christus in das rechte, biblische Licht gerückt. Indem die Glaubenszeugen der Gegenwart zusammengestellt werden mit den Glaubenszeugen der Vergangenheit, werden die Bekenner von heute geadelt zu Schicksals- und Geistesgenossen der Propheten von damals. Sie werden eingereiht in die Armee der großen Gotteshelden, in die Schar der wahren Ehrenträger, zu denen der Höchste Sich bekennt (Hebr. 11, 16), der Menschen, die zwar durch Verachtung und Schmach hindurchzugehen hatten, die aber in Wahrheit der Erdboden nicht einmal wert war, zu tragen (Hebr. 11, 38)! Auch das ist wieder ein Grund, große Zuversicht zu haben, wenn allerdings auch – verglichen mit jenen – der Rahmen unseres persönlichen Lebens nur klein und unser eigenes Dienen und Zeugen, nach dem Maß der Führung Gottes, nur äußerst bescheiden sein mag und ist.

3. Der Blick auf den Feind.
Bei dem Ganzen ist die Bibel außerordentlich nüchtern. Niemals redet sie irgend einer Schwärmerei das Wort. Darum spricht sie auch ganz ehrlich von den hemmenden und feindlichen Gewalten, die dem Wettlauf des Glaubens entgegenstehen. Nirgends sagt die Schrift, wie man es so manchmal in Übergeistlichkeit sagt: »Du hast überhaupt nicht mehr gegen die Sünde zu kämpfen. Schau nur ganz allein auf Christus. Dann ist alles schon klar.« Nein, ganz im Gegenteil. Mit einer geradezu plastischen Anschaulichkeit und betonten Ausführlichkeit sagt sie: »Unser Kampf  i s t . . . wider die Fürstentümer, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern« (Eph. 6,12). Die Bibel richtet eben unseren Blick nach b e i d e n Seiten: auf den Sieger und auf den Feind, auf den Himmel und auf die Hölle, auf Christus, der uns alles schenkt, und auf Satan, der uns alles bestreitet.
So darf bei allem Glauben an Christus der Feind nicht verharmlost werden. Er ist eine düstere Wirklichkeit, die mit Gewalt in unser Leben eingreifen will. Ohne Frage: Der Feind ist groß! Aber, Gott sei Dank, Christus, der Sieger, ist größer!

Mit Recht sagt Luther vom »alt bösen Feind«:
»Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist.
Auf Erd’ ist nicht sein’s gleichen.« – Aber ebenso mit Recht triumphiert er:

»Es streit’t für uns der rechte Mann,
Den Gott hat Selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt: Jesus Christ,
Der Herr Zebaoth,
Und ist kein and’rer Gott.
Das Feld muß Er behalten!«

Diese Kampfsituation dauert an, bis die Vollendung erreicht ist. Denn das »Fleisch« ist ein Rebell. Es ist dem Gesetz Gottes »nicht untertan« (Röm. 8, 7). Es unterwirft sich nicht. Ja, es macht das Gesetz Gottes »kraftlos« und unwirksam (Röm. 8, 3). Es stirbt hienieden auch nicht. Auch kann es nicht geheiligt werden, sondern muß in ernstem Kampf, im Kampf des Glaubens, besiegt werden.

»Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch« (Gal. 5, 17). Hier steht Kraft gegen Kraft, Wille gegen Wille, Lust wider Lust! Und niemals erklärt sich dieser Empörer in seiner Rebellion gegen Gottes Willen hier auf Erden für besiegt. Er ist wie eine Spirale, die sofort, wenn der auf ihr ruhende Druck verschwindet, nach oben zurückschnellt. Er ist wie das Weib im Epha, die »Gesetzlosigkeit«, von der der Prophet Sacharja in seinen Nachtgesichten spricht, die im Augenblick, in dem das Bleigewicht von der Mündung des sie einsperrenden Hohlmaßes fortgenommen wird, sprungartig nach oben drängt und sich sichtbar macht und nur mit Gewalt in das Epha zurückgeworfen« werden kann (Sach. 5, 6-11). Er ist bei einem Gläubigen wie ein gefangener Revolutionär, der jeden Moment auf den Ausbruch aus seinem Gefängnis lauert und auch helle Augen hat, jede nur erdenkliche Gelegenheit für sich wahrzunehmen.

Darum widerstehe der Sünde von Anfang an. Spiele nicht mit der Sünde. Liebäugele nicht mit ihr. Versuchtwerden ist zwar noch keine Sünde – Gedanken an Böses sind noch nicht ohne weiteres gleich »böse Gedanken« -; aber dulden dürfen wir nicht, daß die Sünde in unserm Inneren Nester baut! Lerne» Nein« sagen gleich im Anfang, wenn die Sünde an dich herantritt. Nur so wirst du Sieg bekommen. Bedenke die Wahrheit des Wortes: «Säe einen Gedanken, und du erntest eine Tat. Säe eine Tat, und du erntest eine Gewohnheit. Säe eine Gewohnheit, und du erntest einen Charakter. Säe einen Charakter, und du erntest ein Geschick!«

Geistliche Gesinnung ist darum stets auf der Hut. Sie kennt die Gefahren. Sie wacht und betet. Sie weiß: Unser Weg ist kein Rosenweg, sondern eine Kampfbahn. Der Triumph ist nicht gegenwärtig, sondern zukünftig. Wir leben noch nicht in Immanuels Land, sondern in der Fremde. Wir sind Kämpfende und Ringende, Wachsende und Werdende, Wandernde und Eilende. Wir sind Menschen, die in eine heilige Bewegung, eben auf den »Weg«, gebracht worden sind (Apg. 9, 2). Wir sind auf der Pilgerreise nach dem himmlischen Jerusalem in »Christ’s Waffenrüstung«.

Drei feindliche Gewalten können uns im Glaubenswettlauf hemmen: Welt, Sünden und Bürden.

Die »Welt« mit ihrem Widerspruch,
die »Sünde« mit ihrer Bezauberungsmacht,
die »Bürden« mit ihrem lähmenden Druck.

Die Welt hat Christus gehaßt.
Ihr »Widerspruch« hat Ihn ans Kreuz gebracht. Von ihr haben die Nachfolger Christi darum ebenfalls Ablehnung zu erwarten. Tiefere Freundschaften mit Unbekehrten, frei eingegangene, eheliche Verbindungen zwischen Gläubig und Ungläubig, Begehrlichkeit nach irdischen Gütern, Streben nach Anerkennung und Ehrenstellung auf Kosten eines klaren Christusbekenntnisses – das alles mildert zwar den Gegensatz zwischen »Welt« und Gemeinde; aber es macht uns auch unmöglich, wirkliche »Läufer« zu sein. Am Schluß ist jedoch jeder Kompromißmacher in ernstem Maße ein Verlierer. Er erreicht nicht das volle Ziel. Er wird nicht gekrönt (2. Tim. 2, 5).

Die Sünde will uns »umstellen«.
Sie will uns umzingeln von allen Seiten. Sie hat in ihrer Kriegstaktik eine erstaunliche Geschicklichkeit. Der Hebräerbrief gebraucht in unserer Stelle ein äußerst eindrucksvolles Wort. Er nennt die Sünde »wohlrings-umstellend« (griech. eu-peri-statos). Das bedeutet zwar nicht, daß uns die Sünde »immer anklebt«, als ob sie schier unvermeidbar wäre; aber es besagt auch noch mehr als nur »leichtumstrickend«.
»Es ist, wie wenn ein Läufer in einem dichten Gedränge stände, so daß er sich erst freie Bahn machen muß, damit er laufen kann. So vertritt uns die Sünde den Weg von außen und von innen, und es bedarf eines durchaus männlichen, durchgreifenden Ernstes, soll unser Lauf nicht stille stehen« (Schlatter). Möglicherweise auch denkt der Verfasser bei diesem Ausdruck »fest-umschließend« an das Bild eines langen, schweren Gewandes, das den Wettläufer am raschen Lauf hindert und darum abgelegt werden muß. Auch dies würde ganz in den Vergleich seines Zusammenhangs hineinpassen. In jedem Fall ist der Sinn der:

Die Sünde will »fein umzingeln«.Dabei geht sie äußerst geschickt vor. Dies tut sie auf doppelte Weise:
Sie tritt auf als »gebender Freund«. Sie verspricht einen Gewinn oder zum mindesten die Verhinderung eines Verlustes, einen Genuß oder mindestens die Umgehung einer Schwierigkeit, einen Vorteil oder die Vermeidung einer Unannehmlichkeit. Dies tut sie als Sinnlichkeit, Machtwille, Gewinnsucht oder» Not«lüge. Dabei beweist sie eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit ihrer Taktik bis hin zur völligen Selbsttarnung, ja bis zur Leugnung der Existenz ihres eigenen Oberherrn, des Satan. Stets kleidet sich das Böse in das Gewand irgend eines »Nützlichen« oder »Guten«. Jede Lüge lebt von einem Kern Wahrheit, der in ihr steckt und von ihr mißbraucht wird.

Dazu kommt eine zweite Methode ihrer Taktik. Die Sünde wird stets vor der Tat die böse Tat zu verkleinern suchen. Hinterher aber vergrößert sie sie und zerbricht dem Menschen die Zuversicht und den Mut, daß er doch noch einmal frei und rein werden könne. »Meine Missetat ist zu groß, als daß sie mir vergeben werden könnte« (1. Mos. 4,13). So führt sie ihn zunächst auf die Bahn des Leichtsinns und gleich hinterher in die Schwermut. Das Endziel aber ist, daß er den Kampf überhaupt aufgeben und ihr in Weltsinn und Sklaverei dienen soll. So ist sie zuerst »Freund« und dann Tyrann, zuerst Blendwerk und dann Finsternis.

Aber, Gott sei gepriesen! Es gibt noch eine andere Macht, die dir ebenfalls von allen Seiten herannaht! Das ist Gott und Seine Retterkraft. Wohl ist es wahr: die Sünde steht angriffsbereit und äußerst geschickt von allen Seiten und an allen Ecken lauernd herum. Aber ebenso wahr ist es, was der Psalmist von seinem Heiland-Gott jubelnd bezeugt: »Du umgibst mich mit Rettungsjubel!« (Ps. 32, 1). In der Tat:
Er, der Herr, unser Gott, ist »um sein Volk her« (Ps. 125, 2). Sein Name ist ein festes Schloß (Spr. 18, 10). Seine Erlösten sind darin geborgen.

Der Herr, unser Gott, waltet über uns voller Liebe. »Wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, so breitete er seine Fittiche aus« (5. Mose 32, 11).
Der Herr, unser Gott, schützt uns von unten her, daß wir nicht fallen; denn »der Gott der Urzeit ist deine Wohnung, und unter dir sind ewige Arme« (5. Mose 33, 27). »Er trug ihn auf seinen Flügeln« (5. Mose 32, 11).
Der Herr, unser Gott, steht uns bei nach allen Seiten. »Ich habe Jehova stets vor mich gestellt. Weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken« (Ps. 16,8). »Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen« (Ps. 91, 7).
Der Herr, unser Gott, geht uns voran als unser Feldherr. »Der Durchbrecher zieht vor ihnen her, sie brechen durch und ziehen durch das Tor. . ., und ihr König zieht vor ihnen her und Jehova an ihrer Spitze« (Micha 2,13 vgl. 2. Mose 13, 21).
Der Herr, unser Gott, deckt uns von hinten her als unsere Nachhut. »Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heere Israels herzog und machte sich hinter sie; und die Wolkensäule machte sich auf von ihrem Angesicht und trat hinter sie und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels. . ., daß sie nicht zusammenkommen konnten« (2. Mose 14,19; 20).

Und schließlich:
Der Herr, unser Gott, wohnt als Gotteskraft in uns. »Wer mich liebt, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen« (Joh. 14,23). »Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit« (Kol. 1, 27).

So ist Christus der Herr nach allen Seiten hin unser Leben. Er ist »alles und in allem« (Kol. 3, 11), die Grundlage und das Ziel, der Anfänger und der Vollender. Darum dürfen wir stets siegesgewissen Mut haben, in der felsenfesten Gewißheit: »Wie Berge Jerusalem rings umgeben, so ist der Herr ringsum sein Volk, von nun an bis in Ewigkeit« (Ps. 125, 2). Damit aber hat die allseitig uns leicht umstellende Sünde in Christus, dem Immanuel, dem allseitig sich offenbarenden »Gott mit uns«, ihren Meister gefunden.

Im Buch des Propheten Sacharja lesen wir von einem eigenartigen Nachtgesicht des Propheten. Vier Hörner starren aus dem Erdboden hervor. Vier Schmiede (Werkleute) kommen heran, jeder offenbar mit einem schweren Hammer bewaffnet. Und dann hauen diese vier Schmiede mit ihren vier Hämmern diese vier Hörner zerschmetternd entzwei (Sach. 1, 18-21).
Der dolmetschende Engel erklärt dem Propheten den Sinn der Vision: Die vier Hörner stellen die Gewalten dar, die das Volk Gottes von allen vier Himmelsrichtungen her feindlich umgeben (- das Horn als Symbol der Kraft). Die vier Schmiede sind die göttlichen Kräfte, die der Herr zur Errettung Seines bedrängten, auserwählten Volkes einsetzt.

Beachten wir: Nicht drei göttliche Gegenwirkungen gegen vier Feindgewalten, sondern Vier gegen Vier! Keine Feindesmacht ist ausgelassen! Kein Gegner ist übersehen! Sie alle sollen zerschmettert werden. Der Triumph soll total sein!
Und ferner: Nicht vier Schreiber oder Schneider oder Kaufleute kommen heran, sondern vier Werkleute (Schmiede)! Das will sagen: Gottes Handeln gegen den Feind ist nicht kraftlos, sondern stark. Er ist Seinen Gegnern nicht etwa nur ebenbürtig, sondern weit überlegen! Darum kann die Stadt Gottes »fein lustig« bleiben (Ps. 46,5 Luth.). Denn das Ende ist ihr allseitiger Triumph. Die vier Hörner sind zerbrochen. Das Volk des Herrn ist gerettet.
Dies alles aber durch Gottes Kraft. E r hat alles vollbracht! »Die Rechte des Herrn behält den Sieg« (Ps. 118,15; 16).

Bedenke: Der Feind ist eine Großmacht, du selbst bist eine Ohnmacht; aber dein Gott ist die ewige Allmacht. Darum eile mit deiner Ohnmacht zu Seiner stets einsatzbereiten Allmacht, und der Sieg über die Großmacht der Sünde wird dein sein.

»Bürden« sind nicht das gleiche wie »Sünden«.
Aber auch Bürden sind Hindernisse im Wettlauf und müssen darum »abgelegt« werden.
Sorgen sind Bürden; den sie lähmen die geistliche Schwungkraft; sie sind unnütze Selbstbelastung und machen richtiges Laufen in der Kampfbahn unmöglich.
Gewisse Ansprüche sind Bürden und lähmen unseren Einsatz für Christus.
Falscher Anspruch auf Geld hindert den Missionseinsatz und die praktische Liebestätigkeit.
Falscher Anspruch auf Zeit fördert Selbstsucht und Bequemlichkeit, macht träge im Versammlungs-, besonders Gebetsstundenbesuch sowie im Besuchen von Kranken oder in Ausübung sonstiger Liebes- und Gemeindedienste.
Falscher Anspruch auf Ehre macht zeugnisschwach und feige und hindert uns, in freudigem Bekenntnis gern die Schmach Christi auf uns zu nehmen.
Zweifellos sind irdische Dinge eine Lebensnotwendigkeit; zweifellos sind Zeit sowie bürgerliche und persönliche Ehre von hohem Wert für unser menschliches Dasein und in keiner Weise grundsätzlich zu verneinen. Aber wahre, geistliche Gesinnung wird von Fall zu Fall die Grenze erkennen, wo Dinge, die an sich gut und erlaubt sind, durch gewisse Überbetonung zur «Bürde« werden. Das Entscheidende ist, daß unser Inneres von Christus »ergriffen« wird (Phil. 3,12), daß unser Herz »besetztes Gebiet« geworden ist, daß wir die rechte Gesinnung und Grundeinstellung haben. Dann bekommen wir auch für alle diese Unterscheidungen ein feines Gemerk, und wir bleiben frei und gebunden, lebensnah und einsatzbereit, natürlich und geistlich zugleich. Dann bekommt das Irdische sein Recht, das Himmlische aber sein Vorrecht. Es kommt eben immer darauf an, daß alles Zeitliche unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit geschaut wird.
Damit ist zugleich die vierte Blickrichtung genannt, die, nach Hebräer 12, der Wettläufer des Glaubens haben muß.

4. Der Blick auf das Ziel.
Nur wenn der Kämpfer in der Rennbahn ganz straff auf das Ziel ausgerichtet ist, hat er Aussicht auf Sieg. Darum sagt Paulus – und der Hebräerbrief bewegt sich ja stark gerade auch in paulinischen Gedankengängen -: »Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin nach dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu« (Phil. 3, 14).
Der Mensch wird nicht nur von seiner Vergangenheit (Abstammung, Erziehung) und Gegenwart (Umwelt und Arbeit) gebildet, sondern ganz stark auch von seiner Zukunft. »Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zielen.« Darum gehören auch im geistlichen Leben Hoffnung und Heiligung zusammen. »Jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie Er rein ist« (1. Joh. 3, 3).
Christus hat auf Golgatha gelitten mit dem Blick auf »die vor ihm liegende Freude« (Hebr. 12, 2). Bei Seinem Gang in das Dunkel des Todes schaute Er hindurch in den Lichtglanz des Triumphes.

Diese Haltung darf auch die unsere sein. Wenn du um des Zeugnisses willen Schmach auf dich nimmst, so freue dich auf den ewigen Ehrenkranz. »Ein jeder nun, der mich vor den Menschen bekennen wird, den werde auch ich bekennen vor meinem Vater, der in den Himmeln ist« (Matth. 10, 32). Wenn du um der Heiligung willen auf Sündengenuß verzichtest, so sei gewiß, daß du einst genießen wirst von dem verborgenen, himmlischen Manna (Offb. 2, 17).
Wenn du um der Ausbreitung des Evangeliums willen Opfer an Geld und Gut darbringst, so sei dir gesagt: Gott bleibt dir nichts schuldig. Jede solche Abbuchung vom irdischen Konto ist Gutschrift auf das himmlische Konto. »Nicht daß ich die Gabe suche, sondern ich suche die Frucht, die überströmend sei für e u r e Rechnung« (Phil. 4,17).
So umfaßt diese Zielausrichtung unseres Glaubenslaufes alle inneren und äußeren Lebensgebiete. Das Ziel ist es wert, daß wir uns voll einsetzen.

IV. Der Christ und das Leid.

Hebr 12, 4-11: Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden im Kampf gegen die Sünde und habt bereits den Trost vergessen, der zu euch redet wie zu seinen Kindern: »Mein Sohn, achte nicht gering die Erziehung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst.
Denn wen der Herr liebhat, den züchtigt er, und er schlägt jeden Sohn, den er annimmt.«
Es dient zu eurer Erziehung, wenn ihr dulden müßt. Wie mit seinen Kindern geht Gott mit euch um; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?
Seid ihr aber ohne Züchtigung, die doch alle erfahren haben, so seid ihr Ausgestoßene und nicht Kinder.
Wenn unsre leiblichen Väter uns gezüchtigt haben und wir sie doch geachtet haben, sollten wir uns dann nicht viel mehr unterordnen dem geistlichen Vater, damit wir leben?
Denn jene haben uns gezüchtigt für wenige Tage nach ihrem Gutdünken, dieser aber tut es zu unserm Besten, damit wir an seiner Heiligkeit Anteil erlangen.
Jede Züchtigung aber, wenn sie da ist, scheint uns nicht Freude, sondern Leid zu sein; danach aber bringt sie als Frucht denen, die dadurch geübt sind, Frieden und Gerechtigkeit.

Durchhalten! Sich in keinem Fall niederringen lassen! Nimmermehr rückwärtsbegehren, sondern zielbewußt vorwärts eilen! Mit der Frische des Anfangs ausharren bis ans Ziel!
Nur so erlangt der Läufer in der »Kampfbahn des Glaubens« den Siegespreis. Nur so wird er gekrönt. Das ist das Anliegen des Hebräerbriefes. Das ist die Botschaft von Hebräer 12.

Dies geschieht in unserem Kapitel in zwei großen Gedankenreihen. In diesem Sinne teilen wir es in zwei Hauptabschnitte ein:
1. Mahnung zur Ausdauer in Leiden und Kampf: Vers 1-11.
2. Unterstreichung dieser Mahnung durch eindringliche Erinnerung an die Verantwortlichkeit der neutestamentlichen Berufung: Vers 12-29.

Die Mahnung zur Ausdauer gibt der Schreiber durch einen dreifachen Hinweis.

Wahrer Glaube bewährt sich
– im Rückblick auf die Standhaftigkeit der alttestamentlichen Gotteszeugen: V. 1.
– im Aufblick auf Jesus, das Hauptvorbild des Ganzen: V. 2 und 3.
– im Hinblick auf den Segen des Leidens für den Leidenden selbst: V. 4-11.

Das Leid gilt es, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu sehen. Nur so wird man seinen hohen Wert erkennen. Es ist nichts überflüssiges oder gar Störendes und Hemmendes. »Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung« (V. 5).
Wir müssen eine Hochachtung haben auch vor den Dunkelheiten und Rätseln in unserem Leben. Denn in allem ist letzten Endes – Gott.
Wer das Leid in seinem Leben nicht gottgemäß beurteilt, fühlt sich durch Schwierigkeit und Not in seinem Laufen behindert. Das Leid wird für ihn Ballast. Es hält ihn auf in der Kampfbahn.

Darum muß der Läufer in der »Kampfbahn des Glaubens« den rechten Blick für den Sinn seiner Leiden bekommen. Nur dann sind sie für ihn nicht Hinderung, sondern Hilfe, nicht Aufenthalt, sondern Förderung. Dann werden die Beschwerungen seines Lebens ihm zu Erleichterungen seines Strebens. Das scheinbar Lähmende bewirkt neue Schwungkraft. Das scheinbar Zurückhaltende hilft zum Vorwärtseilen. Das »Nieder«drückende wird Anlaß zum »Auf«blick. »Lasset uns aufsehen auf Jesum!«
In geradezu erstaunlicher Fülle wird darum in Hebräer 12, im Anschluß an den Aufruf zum Wettlauf, in ganz wenigen Versen (V.5-11) der Segen des Leides geschildert.

Dies geschieht in zum mindesten siebenfältiger Weise:
– Wahrer Glaube sieht in Schwierigkeiten des Lebens Beweise der Vaterschaft Gottes: Hebr. 12, 5a; 6; 3; 8;
– betrachtet Nöte und Leidenswege als Führungen der Liebe Gottes: Hebr. 12, 6a;
– vertraut mitten im Leid auf die Irrtumsfreiheit und Fruchtbarkeit aller Entscheidungen der Weisheit Gottes: Hebr. 12,10a;
– rechnet im Gewirr des Geschehens mit der ordnenden Hand der alles überwaltenden Weltregierung Gottes: Hebr. 12,7a;
– stellt sich auch in unverstandenem Dunkel kritiklos unter das freie Regiment der königlichen Autorität Gottes: Hebr. 12, 9;
– betrachtet die Leiden als Notwendigkeit der Erziehung zur Umgestaltung unseres Lebens in das Wesen der Heiligkeit Gottes: Hebr. 12, 10;
– bewertet die Dunkelheiten des Lebens als Mittel in der Hand Gottes zur Erreichung der lichtvollen Endziele Gottes: Hebr. 12, 11b.

1. Wahrer Glaube sieht in Schwierigkeiten des Lebens Beweise der Vaterschaft Gottes. Leiden bezeugen uns unsere Sohnesstellung. »Gott handelt mit euch als mit Söhnen; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?« (V. 7.) Wo Zucht fehlt, fehlt auch die rechte Vaterschaft. Wenn schon unsere irdischen Väter, denen wir das leibliche Leben verdanken, uns unter ihre Zucht stellen mußten, wieviel mehr dann erst recht Gott, der »Vater der Geister«, dem wir unser geistiges und geistliches Leben verdanken?

Falsch ist darum die Klage: Wie kann Gott gerade uns, Seine Kinder, so leiden lassen? Nein, im Gegenteil, Gott läutert und erzieht uns, gerade weil wir Seine Söhne sind! Nicht »trotz«, sondern »wegen« Seiner Vaterschaft muß Er uns in Seine Zucht nehmen. Darum sind die Leiden Seiner Kinder kein Grund zur Enttäuschung, sondern zur Gewißheit und Dankbarkeit, daß Er, der große Gott, in Jesus Christus, Seinem Sohne, unser Vater geworden ist. Sie sind geradezu Beweise unseres Adels- und Kindschaftsstandes. Gott spricht zu euch »als zu Söhnen« (V. 5a). Er handelt mit euch »als mit Söhnen« (V. 7). Er geißelt jeden »Sohn« (V.6). »Sonst wäret ihr ja Bastarde und nicht Söhne!« (V: 8.) – Auch das hier in der Ursprache für «Züchtigung« und «züchtigen« gebrauchte Wort ist wurzelverwandt mit dem griechischen Wort für »Kind« (griech. paideuein von pais Kind, Knabe, Mädchen: Matth. 2, 16; Joh. 4, 51; Luk. 8, 51; 54), »jemand als Kind erziehen« und, wenn es nötig ist, auch als Kind strafen, »züchtigen«.
Und bei dem allen bedenke: Du bist nicht der einzige Sohn, der zuweilen dunkle Wege geführt wird. Gott stäupt »jeden« Sohn (V. 6). Dir geschieht also nichts Sonderliches. Auch das mag dir helfen, dein Leiden nicht überzubewerten! »Wisset, daß dieselben Leiden sich vollziehen an eurer Bruderschaft, die in der Welt ist« (1.Petr. 5, 9).

Das macht vorsichtig und zurückhaltend in der Einschätzung der eigenen Belastungen und kann ebenfalls eine Ermutigung sein: Wenn die anderen, durch des Herrn Kraft, in der Kampfbahn des Glaubens, mitten in Schwierigkeit und Leid durchhalten können, dann kann auch ich! Ich stehe nicht allein, sondern ich bin eingereiht in eine große Schar von Brüdern und Schwestern, die ähnlich geführt werden wie ich. Und ihr himmlischer Vater ist auch mein himmlischer Vater, und Er wird uns alle ans Ziel bringen.

2. Wahrer Glaube betrachtet Nöte und Leidenswege als Führungen der Liebe Gottes. »Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er, und er geißelt jeden Sohn, den er aufnimmt« (V. 6). Leiden beweisen, daß Gott an uns interessiert ist, daß Er an uns arbeitet, eben daß Er uns liebt. »Wie hat er die Leute so lieb! Alle seine Heiligen sind in deiner Hand; sie werden sich setzen zu deinen Füßen und werden lernen von deinen Worten« (5. Mose 33, 3).
Welch ein allgenugsames Beschäftigtsein des großen, allmächtigen Gottes mit unserem kleinen, winzigen Leben! Wie ist doch die ganze Liebe unseres Vaters im Himmel mitbeteiligt, uns Bewahrung, Heiligung und Segnung auf unserem Weg durch das Land der Zeit in das Land der Ewigkeit zu schenken!

Gottes H e r z »liebt« uns – Wir haben Gottes Erwählung.
Gottes H a n d »hält« uns – Wir haben Gottes Bewahrung.
Gottes M u n d »belehrt« uns – Wir haben Gottes Worte.
Zu Gottes F ü ß e n »ruhen« wir – Wir haben Gottes Frieden.
Darum darf das Kind des himmlischen Vaters auch im Leiden getrost sein. Es weiß: Von Seiner Liebe kann mich nichts scheiden (Röm. 8, 38). Ja, noch mehr: Alles – und gerade auch das Schwere – ist sogar ein B e w e i s Seiner Liebe! Sorgen sind darum im Widerspruch zu unserer Kindesstellung. In der Bergpredigt führt Jesus geradezu einen heilig energischen Feldzug wider den Sorgengeist.

Aus sieben Gründen soll der Christ die Sorge meiden.

1. Sorgen sind unnütz.
Du vermagst ja mit allem Sorgen der Wegstrecke deiner Lebenswanderung auch nicht eine einzige Elle hinzuzufügen. Deinen gleichsam tausend Kilometer langen Lebensweg kannst du auch nicht um 60 Zentimeter verlängern (Matth. 6,27).
2) Die Übersetzung «Größe« ist unklar, da sie auf den Gedanken führen könnte, als ob die K ö r p e r größe gemeint sei. Aber der Herr will ja gerade betonen, daß wir auch das Winzigste nicht vermögen. Die Hinzufügung einer Elle zur Körpergröße wäre aber etwas geradezu erstaunlich Großes. Auch wäre sie nicht gerade erwünschenswert, so daß sie wohl niemand durch Sorgen zu erreichen sucht. Es kann sich also nur um die Lebenslänge unter dem Bild einer langen Wegstrecke handeln. Im Vergleich zu dieser wäre eine Elle allerdings etwas verschwindend Kleines. Aber auch nicht einmal um Minuten können wir mit Sorgen unsere Lebensdauer verlängern.

2. Sorgen sind schädlich.
Sie sind überflüssige, törichte Selbstbelastung im Lauf. Denn auf diese Weise erlebst du deine Not z w e i mal:
– das erste Mal in der Phantasie (deiner Vorstellungswelt),
– das zweite Mal in der Wirklichkeit,
– das erste Mal in der Erwartung,
– das zweite Mal in der Erfahrung.
Aber einmal würde genügen! »Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe« (Matth. 6, 34). Darum sei doch kein »Schattenjäger«, sondern suche die Sonne mehr auf »Niemals bemühe die Bemühung, bevor die Bemühung dich bemüht.«

3. Sorgen sind unwürdig.
Die Lilien auf dem Felde, die Vögel des Himmels sorgen nicht und sind doch »versorgt«. Und bist du nicht mehr als sie? Passend und fein sind die Bilder des Herrn.
Nahrung und Kleidung sind die beiden Hauptgegenstände des Sorgengeistes. Auf die Nahrung beziehen sich die Vögel, das Bild aus der Tierwelt; auf die Kleidung beziehen sich die Lilien, das Bild aus der Pflanzenwelt.
Sorgengeist ist Verleugnung des Menschheitsadels. Schon als Mensch ist der Mensch mehr als Blume und Tier. Als Mensch ist er die Krone der Schöpfung und zum Königtum bestimmt.
Eines Tages, so wird berichtet, war König Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) bei der Regelung schwieriger Staatsangelegenheiten in großen Sorgen. Am Morgen nach einer durchwachten Nacht erklärte er Bismarck im Gespräch während einer Audienz den Grund seiner Erschöpfung und Schlaflosigkeit. Da aber hat Bismarck sich kraftvoll aufgerichtet, den König fest angeblickt und mit starker, markanter Betonung die Worte gesagt: »Majestät, ein König muß schlafen können!«
Alles Sorgen ist unköniglich. Der Sorgende vergißt den hohen Stand seiner Berufung, die Willigkeit und Macht des großen Gottes, die Allgenugsamkeit und Allweisheit der ewigen Liebe.

4. Sorgen sind unkindlich.
Als Kinder des himmlischen Vaters dürfen wir es dankbar und freudig glauben: »Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr dies alles bedürfet« (Matth. 6, 32). Sorgengeist eines Gotteskindes ist darum Nichtbeachtung seines himmlischen Adelsstandes. Es gehört zur Verwirklichung unserer Sohnesstellung, daß wir unserem Vater froh vertrauen.

5. Sorgen sind irdisch.
Sie richten das Fragen und Sinnen gar zu sehr auf die Dinge hier unten (Nahrung und Kleidung); der Sinn eines Gläubigen aber soll nach oben gerichtet sein.
»Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen« (Matth. 6, 33).

6. Sorgen sind götzendienerisch.
Sie beschäftigen sich zu stärk mit dem Haben oder Nichthaben irdischer Güter. Das aber ist Mammonsdienst. Mit Bewußtsein und Absicht läßt der heilige Text bei dem Wort »Mammon« das Geschlechtswort »dem« aus, behandelt es also wie einen Personennamen. »Mammon« ist gleichsam Götter- und Götzenname wie Apollo oder Diana. »Ihr aber könnt nicht zwei Göttern dienen: Gott Jehova und Götze Mammon!« (Matth. 6,24) 4)
4) In Matth. 6, 24 steht im Griechischen bei Mammon’ der Artikel »dem’ nicht.

7. Sorgen sind heidnisch.
»Nach solchem allem trachten die Heiden« (Matth. 6, 32). Sorgengeist ist ein Denken, das dem Wesen des Reiches Gottes widerspricht. Es erniedrigt den Erlösten in das Denken eines Unerlösten hinein. Er, der doch im Reich der Gnade lebt, verhält sich wie einer, der draußen steht. Er benimmt sich wie ein Heide. Aus allen diesen Gründen soll der Christ die Sorge meiden. Darum: »Alle eure Sorge werfet auf Ihn; denn Er sorgt für euch« (1. Petr. 5, 7).
»Ich will dich nicht verlassen noch versäumen« (Hebr. 13,5).

Wahrer Glaube vertraut mitten im Leid auf die Irrtumsfreiheit und Fruchtbarkeit aller Entscheidungen der Weisheit Gottes.
Irdische Väter können, bei allem Reichtum reifster Lebenserfahrungen, bei aller Liebe und Klugheit, in der Wahl ihrer Erziehungsmaßnahmen dennoch irren. Ihr Tun ist stets ein Handeln mit dem beschränkten Blick und der tastenden Hand eines Menschen. Das Höchste, was sie vermögen, ist, daß sie ihre Entscheidungen nach ihrem besten Wissen und Gewissen, also in edelstem Sinne »nach ihrem Gutdünken« treffen. Der himmlische Vater aber irrt nie. Seine Zucht steht über all dieser Mangelhaftigkeit. In der liebenden Behandlung Seiner Kinder vollzieht Er niemals einen Fehlgriff.

Alles ist zweckdienlich gewählt, genau passend auf das erstrebenswerte Ziel ausgerichtet, und dies Ziel ist das Höchste, nämlich Sein eigenes, heiliges Wesen.
Die Leiden sollen dazu mithelfen, daß wir Gott ähnlich werden. Darum kann der Glaube nicht nur in der Liebe, sondern nun auch in der Weisheit Gottes still ruhen. Mein Vater steht über allem! Mein Vater weiß!

»Weiß ich den Weg auch nicht, Du weißt ihn wohl.
Das macht die Seele still und friedevoll.
Ist’s doch umsonst, daß ich mich sorgend müh,
Daß ängstlich schlägt mein Herz, sei’s spät, sei’s früh.
Du weißt den Weg ja doch. Du weißt die Zeit.
Dein Plan ist fertig schon und liegt bereit.
Ich preise Dich für Deiner Liebe Macht.
Ich rühm’ die Gnade, die mir Heil gebracht.«
(Hedwig von Reedern.)

4. Wahrer Glaube rechnet im Gewirr des G e s c h e h e n s mit der ordnenden Hand der alles überwaltenden Weltregierung Gottes. Denn das steht doch im Hintergrund der ganzen Belehrung unserer Hebräerstelle, daß die Leiden der Erlösten einen tieferen Sinn haben als ihr äußerer »Schein« (Hebr. 12, 11), daß, bei allem Handeln der Feinde, eigentlich G o t t der »Handelnde« ist, daß, bei aller Zielsetzung zur Zerstörung von seiten der Christenverfolger, das eigentliche Ziel des Geschehens die Verklärung der Christusgläubigen ist.
»Was ihr erduldet, ist zur Erziehung« (V. 7a). »Gott h a n d e l t mit euch« (V. 7), und zwar »zum Nutzen« (V. 10). »Hernach« aber gibt das Leid – auch das Leid der Verfolgung, um das es sich in dem ursprünglichen Zusammenhang ja handelt – denen, die sich dadurch üben lassen, »die friedsame Frucht der Gerechtigkeit« (V. 11).
Das aber heißt: Gott überwaltet das Handeln sogar auch Seiner Feinde. Sie gedachten, es böse zu machen. Er aber wird alles zum Guten wenden (vgl. 1. Mose 50, 20). Er benutzt die Zielsetzung der Gottlosen zur Durchführung Seiner göttlichen Ziele. Er handelt in geheimnisvoller Selbstverhüllung, auch dem Glauben nur bis zu einem gewissen Grade erkennbar. Bei aller Vielheit des Geschehens verliert Er niemals den Überblick. Er ist nicht nur der Gott der Gesamtheit, sondern zugleich auch der Einzelseele. Im Großen vergißt Er nicht das Kleine, im Gesamtgeschehen nicht die persönliche Lebensgeschichte, im Ablauf der Jahrtausende nicht den Geschehnisinhalt der Sekunden.
In dem verwickelten, netzartig verflochtenen Ineinander aller Zeiten und Räume, aller Gestalten und Gestaltungen hält Er dennoch letzten Endes alle Fäden in Seiner Hand.
So kann der Glaube sogar Handlungen der Ungläubigen als ihm von G o t t zugesandt ansehen. Dies gibt eine ungemein starke Überlegenheit in allen Wechselfällen des Lebens.

»N i c h t  i h r habt mich hierher gesandt, sondern G o t t !« (1. Mose 45, 8), sagte Joseph zu seinen Brüdern, obwohl er doch wußte, was geschehen war, und obwohl er sich ihnen doch gerade soeben vorgestellt hatte mit den Worten: »Ich bin Joseph, euer Bruder, den i h r nach Ägypten verkauft habt« (V. 4). Und auch: »G o t t hatte im Sinne, es gut zu machen, auf daß ER täte, wie es an diesem Tage ist« (1.Mose 50, 20).

So nimmt der Glaube letzten Endes nichts aus der Hand der Menschen; sondern alles, auch das Schwere, allen Verlust, ja selbst das Unrecht, das er erdulden muß, nimmt er aus der Hand des liebenden, alles überwaltenden, großen Gottes.
»Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tue?« (Amos 3, 6).
Hier stehen wir vor einem gewaltigen Geheimnis der göttlichen Weltregierung, dessen Tatsachenwucht wir vertrauensvoll anzuerkennen haben, dessen Zusammenhänge wir aber im einzelnen verstandesmäßig nicht zu erkennen vermögen. Zugleich aber macht es uns außerordentlich froh, auf diese Weise zu wissen: »Alles, was an dich herantritt, muß erst an Gott vorbei.«
Darum redet auch die Schrift niemals von einer bloßen »Zulassung« Gottes. Gottes ewiger Reichsplan waltet über unserem Leben. Darum wissen wir auch, »daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind« (Röm. 8, 28).

Alles Irdische ist Dienstmittel des Himmlischen. Durch alles – auch durch das »Schlechteste« – soll das »Beste« erreicht werden: die Umgestaltung der Erlösten in Jesu Bild, daß sie» dem Bilde seines Sohnes gleichförmig« werden, »damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern« (Röm. 8, 29).
Ausdrücklich wird erklärt, daß dies nur bei denen eintritt, »die Gott lieben«. Denn »irdische Dinge muß man kennen, um sie lieben zu können; göttliche Dinge aber muß man lieben, um sie erkennen zu können« (Pascal).

Und nicht umsonst wird hinzugefügt, daß es die sind, »die nach Vorsatz berufen sind«. Damit soll gesagt sein: Eine ewige Planung waltet über unserem Leben. Unser kurzes Erdenleben liegt zwischen zwei Ewigkeiten: der vorzeitlichen Ewigkeit mit der göttlichen Erwählung und der nachweltlichen Ewigkeit mit der Vollendung und Verherrlichung.

Alle Umstände der Zeit sind eingebaut in die Planung der Ewigkeit. Wenn darum hienieden alle Geschehnisse und Verhältnisse zur Verwirklichung des göttlichen Heilszieles mitdienen, so ist dies kein jeweilig neu auftretender, gleichsam unvorhergesehener, glücklicher Umstand oder gar Zufall in der gerade vorliegenden Einzelsituation, sondern ist planmäßig von Gott in den ewigen Gnadenrat mit eingeschlossen.

So hat die Glaubensgewißheit, daß alles Zeitliche Glied einer Kette des Ewigen ist, einen heilsgeschichtlichen Felsenhintergrund, und das zuversichtliche Rechnen mit der alles überwaltenden Weltregierung Gottes läßt uns auch auf dunklen Wegstrecken feste Tritte tun.

5. Wahrer Glaube stellt sich auch in unverstandenem Dunkel kritiklos unter das freie Regiment der königlichen Autorität Gottes. Sollten wir uns denn nicht unter die Erziehungsmaßnahmen unseres himmlischen Vaters gehorsam, ohne Widerspruch und ohne inneres Aufbegehren, still, dankbar, beugen?
Sind denn nicht Seine Gedanken unendlich viel höher als unsere Gedanken? (Jes. 55, 8; 9) »Habe dein Geschick lieb, denn es ist der Weg Gottes mit deiner Seele!« Und wenn dich auch tausend Rätsel umringen und wenn alles auch noch so ausweglos und sinnwidrig erscheint: Gottes Bücher müssen rückwärts, vom Ende aus, gelesen werden, und vom einst erreichten Ziel aus werden auch alle Dunkelheiten des Weges strahlend hell. Bis zum Anbruch der Ewigkeit wohnt Gott im Dunkel. Je mehr sich der Priester in Stiftshütte und Tempel dem eigentlichen, sinnbildlichen Wohnsitz Jehovas, dem Gnadenthron mit Bundeslade, Versöhnungsdeckel und Schechina, näherte, desto dunkler wurde es um ihn.

Der »Vorhof« war unter freiem Himmel, vom Strahlenglanz der natürlichen Sonne hell beleuchtet.
Das »Heilige« hatte nur gedämpftes Licht – im allseitig umschlossenen Raum leuchtete lediglich der siebenarmige Leuchter.
Das »Allerheiligste« aber war ganz dunkel. »Jehova hat gesagt, daß er im Dunkel wohnen wollte« (1. Kön. 8,12; vgl. 2. Mose 20,21).
Der Sinn ist: Je näher der Mensch zu Gott kommt, desto mehr naht er sich dem großen Mysterium.
Gott ist der Ewige, der »ganz Andere«, der schlechthin Überlegene. Die absolute Unendlichkeit ruht in Ihm. Kein Menschenverstand kann Seine Gottestiefen ergründen. Hier können wir uns nur unserer Kleinheit bewußt werden, uns bescheiden und uns beugen. Hier müssen wir Ihn bewundern, schweigen und anbeten, »die Augen schließen und glauben blind«.
Gott »wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann« (1. Tim. 6, 16).
Davon sollte auch Seine irdische, symbolische Wohnstätte zeugen. Seine Unerschaubarkeit aber konnte, in Tempel-Bildersprache, nur durch das Fehlen jedes geschöpflichen Lichtes ausgedrückt werden, das heißt, das absolute Licht nur durch mystisch-symbolisches Dunkel.

In der ewigen Gottesstadt aber wird Sein Angesicht geschaut werden (Offb. 22, 4; Matth. 5, 8). Darum ist das himmlische Allerheiligste dann nicht mehr unerleuchtet und dunkel, sondern von strahlendem Lichtglanz erfüllt (Offb. 21, 10; 11; 23). »Der Herr, Gott, wird über ihnen leuchten« (Offb. 22,5). »Wir werden ihn sehen, wie er ist« (1. Joh. 3, 2). Dies wird seliges Erleben werden sowohl im Hinblick auf Gottes allgemeine Heilsratschlüsse als auch auf Seine persönlichen, oft so rätselhaften Sonderwege mit uns.
Vor allem wird eins offenbar: Gottes Handeln im Leid war immer nur Hilfe für unser geistliches Wachstum.

6. Wahrer Glaube betrachtet die Leiden als Notwendigkeiten der Erziehung zur Umgestaltung unseres Lebens in das Wesen der Heiligkeit Gottes. Gott züchtigt uns »zum Nutzen«, damit wir »seiner Heiligkeit teilhaftig werden« (Hebr. 12, 10). »Not ist auch Notwendigkeit, weil manches nur in Not gedeiht.« In allen Heimsuchungen »sucht« Er uns »heim«. Das heißt: Er »sucht« uns und bemüht Sich, daß wir, die ach so Flüchtigen, wieder innerlich »nachhause« finden sollen. Ins Haus des Vaters!
Denn gerade der Erde Leid dient mit zur Erlösung des Menschen. Gerade dadurch, daß sie ihm das nicht bieten kann, was er von ihr erwartet, löst sie ihn selber von seinen falschen Hoffnungen und nährt seine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese. So sollen seine Enttäuschungen am Irdischen den Menschen freizumachen helfen für das Verlangen nach dem Himmlischen, damit er am Ende das Bekenntnis ablegen kann: »Siehe, zum Heile ward mir bitteres Leid« (Jes. 38, 17).
Darum nun zum Schluß:

7. Wahrer Glaube bewertet die Dunkelheiten des Lebens als Wege zum ewigen Licht, als Mittel in der Hand Gottes zur Erreichung der ewigen Endziele Gottes. »Durch Druck empor!«
Gewiß, auch der Christ empfindet die Schwierigkeiten des Lebens als Nöte. Sie »dünken« uns betrübend zu sein. Und in keiner Weise beanstandet die Bibel, daß uns dies so »dünkt«. Dazu ist das Göttliche stets viel zu natürlich, als daß es unnatürliche Forderungen an das Menschliche stellen würde. Nirgends stellt die Bibel an den Christen das Ansinnen, daß er sich über seine Schwierigkeiten hinwegsetzen oder gar über sie hinwegfliegen solle und so tun, als ob Schwierigkeit für ihn nicht Schwierigkeit und Not nicht Not wäre! Dann wäre das Leid in seinem Leben ja auch sinnlos und überhaupt gar kein »Leid« mehr. Darum dann aber auch ohne jede Wirkung und Fruchtbarkeit!
Nein, wenn Gottes Schläge uns keine Schmerzen bringen würden, so wären sie uns ja auch keine Hilfe mehr gegen unsere Sünden. Aber gerade weil sie uns wehetun, können sie uns wohltun!

Auch von Hiob lesen wir, daß, ehe er, nach dem Eintreffen der Unglücksnachrichten, das bewundernswerte Wort sprach: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gepriesen« (Hiob 1,21), er vorher Äußerungen tiefsten Schmerzes und größter, innerer Not getan hatte: »Da stand Hiob auf und zerriß sein Gewand und schor sein Haupt und fiel auf die Erde nieder und betete« (Vers 20).

Ja, es könnte geschehen – und gewiß hat der himmlische Hohepriester dann auch dafür Mitleiden mit unserer Schwachheit (Hebr. 4,15) -, daß dieses »Dünken« und dieser »Schein« uns den inneren Blick vorübergehend trübt. Das Schmerzgefühl steht dem klaren Blick des Urteils zuweilen im Weg. Aber am Schluß wird der Glaubende es dennoch erleben: Gottes Wege mit den Seinen gleichen niemals einem Gang in eine finstere Höhle, in ein unterirdisches, lichtloses Labyrinth, das uns gleichsam verschlingt und in auswegloser Kerkerhaft auf immer gefangenhält; sondern sie gleichen dem Durchschreiten eines engen, manchmal vielleicht langen Tunnels, der zunächst zwar in Dunkelheit und Tiefe hineinführt; desto herrlicher aber erstrahlt am anderen Ausgang »hernach« die Sonne.

Von diesem »Hernach« gibt es Vorerfahrungen schon unterwegs. Leiden sind Aussaat für Friede und Gerechtigkeit. Wer im Leiden sich üben läßt, wird die »Frucht« dieser Aussaat empfangen. Viel Friede kehrt ein in sein Herz; wahre Gerechtigkeit erfüllt Stellung und Zustand. So erlangt er eine »Frucht«, die, was den Herzensstand betrifft, im »Frieden«, was den Lebensstand betrifft, in der »Gerechtigkeit« besteht.
Jede Bewährung im Leid bringt uns innerlich vorwärts. Nach jedem Sieg dienen uns Gottes Engel (vgl. Matth. 4, 11). Wachstum in der Heiligung ist zugleich Steigerung unserer Freude. An dem scheinbar wilden, leidigen »Baum« von Trübsal und Not wächst die friedsame »Frucht« der Gerechtigkeit, das heißt, eine liebliche, himmlische »Frucht«, deren Wesen »Gerechtigkeit« und deren Geschmack »Friede« ist.

»Licht nach dem Dunkel, Friede nach Streit,
Jubel nach Tränen, Wonne nach Leid,
Sonne nach Regen, Lust nach der Last,
Nach der Ermüdung selige Rast.«

Der Glaube glaubt darum wider allen Schein. Er weiß: Mitten in allem Nehmen ist Gott dennoch am Geben. Nur gibt Er eben auf Seine Weise, und diese ist oft ganz anders als die unserige. Darum erfüllt Er oft unsere Erwartungen, indem Er sie scheinbar enttäuscht. Er tut eben alles auf eine höhere, innere, weisere Art. Seine Gedanken sind immer höher als unsere Gedanken (Jes. 55, 9).

Maria weinte am offenen Grabe Jesu. Sie sah den Verlust. Nicht einmal der tote Leib ihres Meisters war mehr da. Und doch war gerade dies leere Grab der Beweis der Auferstehung, das Zeichen des Sieges, und hätte – r e c h t verstanden – Grund zu triumphierender Freude sein müssen! Und wie wurde dann hinterher ihre Trauer in Jubel umgewandelt! (Matth. 28, 8) »Maria – Rabbuni!« – Was liegt nicht alles in diesen Worten! (Joh. 20, 16.) Und wie wurde sie dann, als sie das leere Grab richtig verstanden hatte, zu einer Zeugin der Auferstehung, zu einer Künderin des gewaltigsten Triumphes des Lebens und der Siegesmacht Gottes! (Luk. 24, 10.)

So sieht der Erlöste immer z w e i Seiten: Natur und Glaube.
Die Natur sieht den Verlust, der Glaube den Gewinn.
Die Natur sieht den Tod, der Glaube das gesteigerte Leben.
Die Natur sieht das Grab, der Glaube die Auferstehung.
Die Natur sieht voll Wehmut zurück in den Schatz der Erinnerungen,
der Glaube schaut zugleich vorwärts in die Herrlichkeit hinein.

Dann aber ist das eigentliche »Hernach« da. Das Ziel ist erreicht, dem der Lauf in der Kampfbahn galt. Und bei der Preisverteilung wird der Wettkämpfer des Glaubens gerade für die Schwierigkeiten in seinem Lauf die Weisheit und Liebe des alles überwaltenden, göttlichen Kampfleiters ganz besonders preisen.  . . .

Dann bricht der Morgen an, dem kein Abend mehr folgt. Es erglänzt das himmlische Licht, wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft, und alles bleibt unverminderte und ewig vollste Tageshöhe.
Dann werden wir Ihn anbeten, der uns hier unten geführt hat. Seine Wege werden wir rühmen, Seine Weisheit bewundern, Seine Liebe und Treue in Ewigkeit genießen, und das Schauen Seines Angesichts wird eitel Jubel und Wonne sein.

V. Nicht müde werden!

Hebr 12,12-15: Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.
Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, und seht darauf, daß nicht jemand Gottes Gnade versäume; daß nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden; Christentum ist Ewigkeit in der Zeit. Mit Christi Erscheinen ist ein neues Reis in das dürre Erdreich der Menschenwelt eingepflanzt, und alle, die darin eingepfropft sind, sind des ewigen Lebens teilhaftig geworden. Christen kennen darum den Born ewiger Jugend. Im geistlichen Leben ist ein Altern unnormal. »Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert« (2. Kor. 4,16). »Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden« (Jes. 40,31).

Und doch! Die Hebräerchristen waren müde geworden. Nach reichgesegneten Anfängen war ihr Innenleben ermattet. Ihre Hände waren »erschlafft«, ihre Kniee »gelähmt«, der Versammlungsbesuch geringer geworden (Hebr. 10, 25). Ihr Glauben glich nicht mehr einem Laufen in einer Kampfbahn, sondern einem mühsam sich vorwärts schleppenden Kranken und Gelähmten. Statt vorwärts aufs Ziel, begann ihr Blick rückwärts zu schauen, statt auf die Wiederkunft Jesu auf die alttestamentliche Vorstufe, statt in die Herrlichkeiten des Geistes und der Erfüllung in die doch so schönen und eindrucksvollen, alttestamentlichen Gottesdienstformen. Die Herrlichkeit der Gnade war ihnen verdunkelt. Die Rückkehr zum Gesetz erschien begehrenswert. Die Gefahr der »Verhärtung« hatte eingesetzt (Hebr. 3, 13). Ja, es muß ihnen sogar gesagt werden: »Sehet zu, Brüder, daß nicht etwa in jemand von euch ein böses Herz des Unglaubens sei in dem Abfallen von dem lebendigen Gott!« (Hebr. 3, 12.)

Wie kann ihnen da geholfen werden?
Nur durch erneuten Anschluß an die Kraftquelle! Die überragende Herrlichkeit der neutestamentlichen Heilswirklichkeit muß ihnen neu aufgehen. Sie müssen es erkennen: Abkehr von der Gnade ist Selbstberaubung. Rückkehr zum Alten ist Absinken in die Tiefe. Hinwendung zum Vergangenen ist Verlust des Zukünftigen. Nur die Gnade führt zum Ziel! Nur der neutestamentliche Heilsstand verbürgt die verheißene, ewige Herrlichkeit. Darum ist das Anliegen des Hebräerbriefes ein durchaus »reformatorisches«. Zweifellos bringt er viel Lehre. Ja, er ist dasjenige Schreiben des Neuen Testaments, das uns am tiefsten hineinschauen läßt in die inneren Zusammenhänge von Vorbereitung und Erfüllung, Schatten und Wirklichkeit, alttestamentlichem Opferdienst und neutestamentlichem Priestertum Christi. Aber das eigentliche Hauptziel ist nicht Belehrung, sondern Erneuerung, nicht erkenntnismäßige Darstellung, sondern praktische Wiederherstellung, nicht erstmalige H i n führung zur vollen Heilserkenntnis, sondern Z u r ü c k führung zu dem, was die Leser zu Anfang ihres Christenstandes schon erkannt und erlebt hatten.

Hier soll also weniger zum Ergreifen des Heils als zum Festhalten aufgefordert werden. Hier wird nicht so sehr »geformt« als »zurückgeformt«, eben »reformiert«. Damit aber wird, innerhalb des Neuen Testaments, der Hebräerbrief zum Schwesterbrief des Galaterbriefes. Bei beiden ist das eigentliche Anliegen das gleiche. Sie beide sind die ausgesprochen »reformatorischen« Hauptsendschreiben des Neuen Testaments. Sowohl im Galaterbrief als auch im Hebräerbrief handelt es sich um Menschen, die in Gefahr standen, von der neutestamentlichen Heilshöhe sich hinabzuwenden zur alttestamentlichen Vorstufe.

Nur mit dem Unterschied, daß es sich bei den Galatern vornehmlich um Heidenchristen handelte, die unter falsche, judenchristliche Einflüsse geraten waren, im Hebräerbrief aber um gläubig gewordene Israeliten, vielleicht sogar Priester und Leviten (Apg. 6, 7).
Dies erforderte natürlich eine andersartige Form in der Darstellung der Gedankengänge.
»Gesetz und Gnade« ist das Thema beider.

Aber der Galaterbrief behandelt es unter hervorragender Bezugnahme auf die Moralgesetze, der Hebräerbrief vornehmlich der Zeremonialgesetze der mosaischen Haushaltung. Der Galaterbrief ist in seinem Kernstück mehr juristisch, der Hebräerbrief kultisch (Kultus = Gottesdienst).

Das heißt: Der Galaterbrief benutzt mehr Bilder aus dem R e c h t s leben – rechtliche Abänderungsmöglichkeit offiziell anerkannter Testamentsurkunden (Gal.3, 15-20), Rechtsformen des antiken Erziehungswesens (Gal.3, 23-29), Rechtsstellung von Sklaven und von Söhnen vor ihrer Mündigkeitserklärung (Gal. 4,1-7) -; der Hebräerbrief weist mehr hin auf die Vorbildersprache des alttestamentlichen G o t t e s d i e n s t lebens (Priestertum, Opfer, Stiftshütte, bes. Hebr. 5-10). Der Galaterbrief stellt uns mehr in die Gerichtshalle, der Hebräerbrief in den Tempel.
Aber das Thema ist dasselbe: das Verhältnis von Gesetz und Gnade, die größere Herrlichkeit der frei schenkenden Gnade und, daraus sich ergebend, die heilige Forderung und ernste Warnung: N i e m e h r z u r ü c k ! »Halte fest, was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme!« (Offb. 3, 1l.)

I. Lähmende Kräfte.

Wie war es dazu gekommen, daß die Hebräerchristen ihre anfängliche Glaubensfrische verloren hatten? Wie waren sie doch ursprünglich so glücklich! Wie hatten sie sich doch einst für Christus eingesetzt! Sich Seiner bedrängten Zeugen angenommen (10, 34)! Persönlich selber Schmähungen und Drangsale erduldet (10, 33), ja sogar ihr Hab und Gut sich um Jesu willen nehmen lassen und dabei nicht nur nicht gestöhnt, sondern sogar, als man ihnen wegen ihres christlichen Bekenntnisses ihr Besitztum wegnahm, sich – gefreut !
»Ihr habt den Raub eurer Güter mit F r e u d e n aufgenommen!« (10, 34.)
Und nun war mit einem Male alles so ganz anders! Statt Frische war »Erschlaffung«, statt rüstigen Vorwärtsschreitens »Lähmung« eingetreten, statt Vorwärtseilen in der Kampfbahn jetzt Stillstand, bei manchen sogar gefährlicher Rückgang (Hebr. 12, 12; 13)!
Hier hatte der Feind, unter Einschaltung lähmender Kräfte, sein Werk getan.

1. Die äußere Notlage hatte er benutzt, diese freudigen Gotteszeugen beiseitezusetzen. Indem dieser Christushaß sie wieder und immer wieder traf, indem die Welt ihnen Schmähung und Verachtung immer wieder entgegenbrachte, indem stets von neuem äußerer Verlust, soziale Benachteiligung, berufliche Zurücksetzung sie ihre rechtlose Lage empfinden ließen, war es dem Feind gelungen, sie mürbe zu machen. Nicht der erstmalige Verfolgungsstoß, wohl aber der anhaltende Verfolgungsdruck hatte ihm den gewünschten Erfolg gebracht.

Zum Alleräußersten war es allerdings noch nicht gekommen. Märtyrerblut war noch nicht geflossen. Dies gebraucht der Schreiber des Hebräerbriefes darum geradezu als Ermutigung. »Ihr habt noch nicht, wider die Sünde ankämpfend, bis aufs Blut widerstanden« (Hebr. 12, 4). Dies soll nicht etwa heißen: »Ihr habt es mit eurem Kampf gegen die Sünde i n euch noch nicht ernst genug genommen. Ihr habt noch nicht genug Glaubensenergie, Hingabe und Entschiedenheit in der Heiligung bewiesen«, sondern die Sünde ist als von a u ß e n andringende, verfolgende Feindgewalt, als objektive Macht des Bösen, als Feindschaft der Welt gedacht, und es will sagen: »Der Kampf hat sich noch nicht soweit zugespitzt, daß etliche von euch hätten den Tod erleiden müssen um des Bekenntnisses Christi willen.« Zum Blutvergießen war es noch nicht gekommen. Bei allem Schweren war das Allerschwerste doch noch nicht eingetreten.

Denkt aber daran, daß andere dies Allerschwerste doch zu erdulden gehabt haben! Gerade soeben, in Hebräer 11, war ja die Rede gewesen von solchen, die »gesteinigt« oder »zersägt« worden waren, die sich zu Tode hatten »foltern« oder durch das Schwert hinrichten lassen und die Befreiung nicht annahmen, die sie durch Preisgabe ihres Bekenntnisses sich leicht hätten erkaufen können (11, 35-37). Aber sie taten es nicht, »auf daß sie eine bessere Auferstehung erlangten« als solche irdische Befreiung, die allerdings gleichsam eine »Auferstehung« aus der Todesnot des Martyriums gewesen wäre! Wie sind doch da, bei aller Anerkennung des Ernstes eurer Lage, eure Leiden viel geringer! Auf keinen Fall dürft ihr eure Schwierigkeiten ü b e r schätzen!
Und müssen wir heute uns dies nicht noch in viel größerem Maße sagen lassen? Was sind denn unsere Zeugnisleiden, verglichen mit dem Einsatz so vieler Männer und Frauen aus der Heldengeschichte der Gemeinde vergangener Zeiten?

Oft habe ich auf meinen Reisen an solchen Stätten gestanden, wo Christen in früheren Zeiten um ihres Glaubens willen in den Tod gegangen sind. So in den unterirdischen Kasematten des schauerlichen Spilbergs in B r ü n n (Mähren). Oder in P r a g, wo vor dem alten Rathaus durch 27 eingepflasterte Kreuze noch heute die Erinnerung an das »Blutgericht von Prag« bald nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges festgehalten wird (1620) und die genaue Stelle des Schafotts, auf dem die 27 Führer der Protestanten enthauptet worden waren, ebenfalls durch kleine Pflastersteine gekennzeichnet ist, als großer Dornenkranz mit zwei langen, sich kreuzenden Richtschwertern. Oder in den Kerkerzellen des Bloody Tower an der Themse in L o n d o n, wo noch heute unter Glasplatten Bibelverse und Trostworte zu lesen sind, die von jenen Männern in den Zeiten ihrer Not in die Mauer eingeritzt worden waren.

Oder ich denke an den Marktplatz von F l o r e n z, wo der Galgen und Scheiterhaufen des großen, italienischen Vorreformators Savonarola gestanden hatte.
Oder schließlich an die Katakomben des alten R o m und die Arena des Colosseums, wo Hunderte von Glaubenszeugen aus der ersten Christenheit sich um Jesu willen von wilden Tieren zerreißen ließen.

Erst vor drei Jahren stand ich in spätabendlichem Dunkel auf dem Friedhof von Kilmarnock (Schottland) an den Gräbern von sieben Blutzeugen Jesu, die vor etwa 300 Jahren um ihres standhaften Festhaltens an ihrer biblisch-evangelischen Erkenntnis willen hingerichtet worden waren. Wir hatten vorher auf dem Marktplatz der Stadt eine Straßenversammlung gehabt, in der ich ebenfalls Gelegenheit hatte, ein Zeugnis abzulegen. Hochbedeutsam war mir die Stelle dieser Freiversammlung. Mit unserem Evangeliumswagen und Lautsprecher standen wir unmittelbar neben dem Platz, wo vor 300 Jahren ein »Covenanter« hingerichtet worden war, (John Lisbet, am 14. April 1688.) ein Mann, der den biblischen Glaubens»bund« (engl. covenant = Bund) nicht verleugnen wollte und darum zum Tode verurteilt worden war. Auch hier ist die genaue Stelle, wo der Galgen gestanden hatte, heute durch besondere Pflasterung kenntlich gemacht. Mit ihrem Blut hatten viele dieser heldenhaften, schottischen »Covenanters« den »Bund« unterschrieben, nie ihren Glauben an Christus und Sein Wort zu verleugnen. Und nun standen wir, unmittelbar neben jener selben Stelle, und verkündeten die selbe Botschaft, um deretwillen jener sein Leben gelassen hatte! Hinterher bin ich dann mit einem schottischen Freund auf den stillen Friedhof gegangen und habe, als die Sterne schon hervorgetreten waren, an den Gräbern von sieben anderen dieser Blutzeugen Christi gestanden. Ihre Grabstätten sind durch besondere Einfassungen mit Inschriften leicht auffindbar gemacht.
Wie klein und erbärmlich kommt man sich doch an solchen Stätten vor! Wie ergreift einen ein Empfinden von Bewunderung für diese Gotteskämpfer, in denen die Kraft Christi so mächtig gewesen ist! Das waren Männer und Frauen, denen Christus mehr war als ihr Leben.

Und wie sind wir selbst oft so zaghaft! Wie leicht neigen wir zu Kompromissen! Wie scheuen wir uns oft schon vor einer kleinen Zurücksetzung, ja manchmal schon vor einer spöttischen Bemerkung oder gar vor einem selbstsicheren, »überlegenen« Achselzucken oder Lächeln!

Der Herr aber will Kämpfer haben! Menschen, die sich für Seine Sache wirklich einsetzen! Menschen, die die Kosten wahren Christentums überschlagen haben und auch bereit sind, sie zu tragen. Wahrlich, auch wir haben – wie die Hebräerchristen – noch nicht bis aufs Blut widerstanden. Blutzoll ist von uns noch nicht gefordert worden. Darum wollen wir die Schwierigkeiten, die wir um Jesu willen auf uns nehmen, auf keinen Fall überschätzen! Darum wollen wir aber andererseits, wie immer alles kommen mag, in Bereitschaft stehen.
Der Grund, warum die Hebräerchristen ermatteten, war aber eigentlich nicht so sehr ihre äußere Notlage, sondern ihre innere Stellungnahme. Hierin hatten sie nachgelassen. Darin lag die eigentliche Wurzel der Gefahr ihres Versagens.

2. Inneres Nachlassen, Ermüdungserscheinungen. Ihr Gebetsleben war schwächer geworden, ihr Versammlungsbesuch geringer (Hebr. 10, 25), ihre gesamte, geistliche Energie schlaffer. So glichen sie einem Wanderer, der sich zwar auf den Weg gemacht hat aus der Stadt »Verderben«, um hinzugelangen zum himmlischen Jerusalem, der aber unterwegs müde und kraftlos geworden ist und sich nun jetzt nur noch mit »gelähmten Knien« vorwärtsschleppt (Hehr. 12,12).

Ihr Handeln und Streben glich nicht mehr einem Wettlauf. Sie waren in der Gefahr, den Kampf aufzugeben. Sie waren nicht mehr »Jagende«. Alte Dinge, die vor der Christussonne längst ihren Glanz verloren hatten, leuchteten ihnen wieder auf. Ihr ganzes Heiligungsleben war praktisch in Frage gestellt, damit aber auch die Erreichung des Vollziels ihrer himmlischen Berufung! Darum muß ihnen gesagt werden: »J a g e t nach der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn schauen wird« (Hebr. 12, 14). L a u f t in der Kampfbahn (V. 1)
Und wir? Wir wollen die Hebräerchristen nicht schelten! Ist nicht das Bild ihrer Lage gar zu oft wie eine Schilderung unseres eigenen Inneren? Wie steht es mit unserem Eifer? Wie oft besuchen wir die Versammlungen? Sind wir regelmäßige Gebetskämpfer in den Gebetsstunden unserer Gemeinden? Wenn nicht, so sind unsere Knie »erlahmt«! Sind wir in Frieden untereinander? Haben wir acht auf unsere Weggenossen? Sind wir ernstlich bestrebt, ihnen zu helfen und ein Segen zu sein?

Wenn nicht, so ist »Erschlaffung« bei uns eingetreten! Aller Streit unter Gläubigen ist Ermüdungserscheinung. Anstatt daß wir unsere Kräfte im Frontkampf einsetzen, gelingt es dem Feind, gewisse »Agenten« seiner dämonischen Heeresmacht, d. h. Inspirationen der Uneinigkeit, hinter unserer Front abzusetzen, und wertvolle Kräfte werden im »Partisanen«kampf, in der »Etappe«, in der »Gemeinde hinter der vordersten Kampflinie«, verbraucht.
Wie kann dies alles überwunden werden? Der Zustand eines »sieglosen Siechtums« kann doch nimmermehr Normalzustand eines Christen sein! Nur durch fortlaufende Reformation! Nur durch erneuten Blick auf Christus! Nur durch entschiedenere Hingabe und praktische Auslieferung unseres Lebens an unseren Herrn. »Lasset uns aufsehen auf Jesum!«

II. Neubelebung

»Richtet auf die erschlafften Hände und die erlahmten Knie!«
Vielleicht wirkt das Bild vom Renn- und Ringkampf vom Anfang des Kapitels noch mit. Man kann nicht »laufen« in der Kampfbahn des Glaubens nach dem vorgesteckten Ziel der Heiligung, wenn die Knie erschlafft und die Hände matt geworden sind. Denn zum »Ring«kampf gehören starke Hände und zum »Renn«kampf ausdauernde Knie.
Darum muß es zu einem mannhaften Wiederaufschwung in Gottes Kraft kommen. Der Blick auf Christus gibt neue Frische. Die »Müdigkeit« schwindet. Die» Erlahmung« wird überwunden. Dem vom Wege Abgeirrten und Verletzten wird »Heilung« zuteil (Hebr. 12, 12; 13). Neue Zuversicht erfüllt unsere Seele. Wir bekommen einen nüchternen Blick für die Bewertung unserer Schwierigkeiten. Wir nehmen sie wohl ernst; aber wir überschätzen sie nicht mehr. Überschätzung der Schwierigkeiten ist immer Ermüdungserscheinung. Damit aber gewinnen wir neuen Mut, und das Hinschauen auf den großen Immanuel, den »Gott mit uns«, der am Kreuz für uns gelitten und gesiegt hat, läßt es uns freudig erkennen und erleben: »Der Herr ist bei dir, ein starker Heiland« (Zeph. 3, 17). Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen und Freude den von Herzen Aufrichtigen« (Ps. 97, 11).

Der Blick auf Christus schafft Friedfertigkeit und Gemeinschaft.
Aller Streit zermürbt. Gegensätze zwischen den Erlösten machen das Glaubensleben müde. Sie nehmen die Schwungkraft fort, zerreiben die Seele in der Auseinandersetzung für ichsüchtige Scheinwerte und verzehren die geistliche Energie. Darum gehört zur Überwindung aller Lähmungserscheinungen der Zuruf: »Jaget dem Frieden nach mit allen« (Hebr. 12, 14).
Schwierigkeiten unter Gläubigen sind niemals unüberwindbar. Der Blick auf den Versöhner macht versöhnlich. »Es ist nicht Zeit, zu streiten, sondern zu lieben.« – »Lasset uns aufsehen auf Jesum!«

»Friede« wird hier mit »Heiligung« zusammengestellt. »Jaget nach dem Frieden mit allen und der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn schauen wird.« Denn das Trachten nach Frieden erstrebt Herstellung eines richtigen Verhältnisses zu den Menschen, das Jagen nach Heiligung die Herstellung eines solchen zu G o t t. Der Friede schafft Einigung und Gemeinschaft hier u n t e n; die Heiligung entsteht aus der Gemeinschaft mit dem Herrn, der d r o b e n ist. Beide sind unentbehrlich. Aber »weder der Friede noch die Heiligung lassen sich ohne Fleiß und Mühe gewinnen. Zu beiden führt nur ein ernstlicher Lauf.« – »Jaget!«
»Friede« aber im biblischen Vollsinn ist mehr als nur »Streitlosigkeit«. Friede ist Harmonie, innerer Zusammenklang, Abgestimmtsein auf einander, Herzensgemeinschaft, Liebe.
Die Gemeinde ist aus der Liebe geboren. Sie verdankt ihr Leben der Liebestat von Golgatha. Sie lebt v o n der Liebe und ist darum auch bestimmt, in der Liebe zu leben. Liebe aber ist Einssein, ein Streben nach Gemeinschaft, die höchste Form innerster Verbundenheit und herzlichster Einheit. Und wo diese Liebe nicht da ist, da wäre auch alles äußere Zusammensein irreführende Selbsttäuschung und wesenloser, toter Schein.

Wir glauben an die e i n e, heilige, allgemeine Gemeinde.
E i n s ist ihre Grundlage – das Opfer von Golgatha;
e i n s ist ihre Gotteskraft – die Innewohnung des Heiligen Geistes.
E i n s ist ihr Ziel – die Entrückung und Vollendung.
E i n e r ist ihr Herr – Jesus Christus, unser gemeinsamer Erlöser.

Darum müssen wir auch e i n s sein in der Gesinnung der Liebe und den Weg des Friedens zueinander finden. Darum müssen wir die Verbindung zueinander suchen, die Bruderhand einander geben und ernstlich bestrebt sein, einander aufzunehmen, gleichwie Christus uns aufgenommen hat.  . . .

Liebe ist auch keine bloße »Gruppenliebe«, wo man sich begeistert für ein Zusammengehen mit den anderen Kreisen der Gläubigen einsetzt und noch nicht einmal praktisch beweist, daß es einem an dem inneren Zusammengehen mit dem e i n z e l n e n Kinde Gottes gelegen ist. Liebe ist überhaupt nichts Schwärmerisches und bloß Gefühlsmäßiges, nichts Nebelhaftes und Unklares. Nein, Liebe ist W i l l e, ist tatkräftiges Handeln, ist zielbewußte Gotteskraft, ist Durchbruch der Welt Gottes in die irdische Welt. Liebe kennt ein Gesetz, nämlich den Willen des Höchsten. Wer darum von der Schrift abweicht, weicht, selbst wenn er die Einheit will – ohne daß er es weiß -, von der Liebe ab. Hier gilt es, sich wache Augen schenken zu lassen, um auf dem Wege zu bleiben und nicht abzuweichen weder zur Rechten noch zur Linken, wie Christus uns selbst gesagt hat: »Wachet und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallet.

Die Liebe kann alten Bruderstreit begraben. Sie kann vergessen, was dahinten liegt, und einen Neuanfang schaffen. Sie gibt dem Todeswesen der Zerspaltung in göttlicher Lebenskraft den Todesstoß. Die Liebe ist die Seele alles Friedens und aller Gemeinschaft unter den Gläubigen. Sie treibt sie zusammen; sie verbindet ihre Herzen, sie führt sie zu gemeinsamer Arbeit in der Heimat und auf dem Missionsfeld, zu gemeinschaftlichem Ringen um die Erreichung der großen Ziele Gottes.
Jeder deiner Mitmenschen gleicht einem Spiegel. Er strahlt dir das zurück, was du in ihn hineingestrahlt hast. Jede Unfreundlichkeit hinterläßt stets, wenn auch vielleicht nur für einen Augenblick, einen Schatten auf dem Antlitz des andern, und jeder Dienst der Liebe und Freundlichkeit wird einen Sonnenstrahl auf seinem Angesicht hervorbringen, und dieser Sonnenstrahl wird wieder in dein eigenes Herz zurückkehren.

»Durch Dienst zur Freude«, dies Wort des greisen Bodelschwingh möge auch uns in Herz, Willen und Seele eingeschrieben sein. In der Liebe und dem Dienen liegt etwas, was die Herzen einander näher bringt. Kalte Menschen werden sich überall kalt fühlen; warme Menschen werden es überall warm machen. Das Streben nach Frieden und Heiligung macht uns zugleich fähig, anderen Menschen zu dienen. Auch hier ist der Zusammenhang des biblischen Textes sehr tiefsinnig und klar: »Jaget nach dem Frieden mit allen und der Heiligung . . ., indem ihr darauf achtet, daß nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide« (Hebr. 12,14; 15).  . . .

Nirgends sagt die Bibel, daß der Wille des Menschen »gebrochen« werden müßte. Solche Redeweise klingt zwar sehr gottergeben und demütig und ist von solchen, die es so sagen, auch gewiß ehrlich gemeint. Aber in Wirklichkeit dient man mit solchen unbiblischen Ausdrucksformen niemand: weder den Gläubigen und erst recht nicht den Gegnern des christlichen Glaubens.

Was die Bibel meint, ist vielmehr dies: Nicht der »Wille« soll gebrochen werden, sondern der »Eigenwille«, nicht die Energie der Persönlichkeit, sondern ihr Aufruhr gegen Gott.
Was den Willen selbst aber betrifft, so soll er in Übereinstimmung gebracht werden mit dem Willen Gottes. Er soll, in der Kraft des Heiligen Geistes, durchaus »Wille« bleiben, aber eben d a s wollen, was Gott will. Und gerade in diesem Wollen des Wollens Gottes soll er ganz kraftvoll und stark werden. Ja, nur so wird er überhaupt erst richtig »Wille«.  . . .

Aber auch im Leben der Gesamtheit müssen alle Ermüdungserscheinungen überwunden werden. Es ist eine immer wieder zu machende Beobachtung in der Geschichte der Gemeinde Gottes, daß mit einem Generationswechsel fast stets auch eine geistliche Krise verbunden ist. Gar oft hat besonders die dritte Generation einer Glaubensbewegung innerlich versagt und wesentliche Geisteskräfte und Erkenntnisgüter preisgegeben, die den Vätern früherer Erweckungen heilig gewesen waren.
Schon in der alttestamentlichen Geschichte ist dies zu erkennen.
»Und das Volk diente dem Herrn alle Tage Josuas (erste Generation) und alle Tage der Ältesten, welche ihre Tage nach Josua verlängerten (zweite Generation), die das ganze, große Werk des Herrn gesehen hatten, das er für Israel getan hatte . . . Und auch das ganze, selbige Geschlecht wurde zu seinen Vätern versammelt. Und ein anderes Geschlecht kam nach ihnen auf (dritte Generation), das den Herrn nicht kannte . . . Und sie verließen den Herrn, den Gott ihrer Väter . . ., und dienten anderen Göttern« (Richt. 2, 7; 10; 12).

Wie überaus ernst! Wiegen wir uns nicht in falsche Sicherheit! Keine Glaubensbewegung, ob kirchlich oder freikirchlich, ob organisiert oder nicht organisiert, hat in sich die Garantie bleibender Jugendfrische. Wenn es je irgendwo wahr und nötig ist, so muß es sich gerade im geistlichen Leben jede junge Generation einer Ortsgemeinde oder Gemeindebewegung immer wieder neu sagen lassen: »Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!«

Aus einer Krise bei einem Generationswechsel heraus ist ja überhaupt der ganze Hebräerbrief hervorgewachsen. Er ist der Appell des Geistes Gottes an jene »zweite Generation«, das Bekenntnis der ersten Generation in Zeugnis und Leben stark festzuhalten. Denn »Krise« muß nicht unbedingt »Katastrophe« sein! Anfechtungen sind Gelegenheiten zum Sieg. Für neue Zeiten und neue Menschen ist die stets neu bleibende Kraft des nie alternden, ewig lebendigen und stets gegenwärtigen Christus vorhanden. Das ist auch zugleich der Sinn jenes bekannten Wortes des Hebräerbriefes: »Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit« (Hebr. 13,8).

Man muß dieses Wort in Verbindung mit Hebräer 12 und im Zusammenhang der wenigen, dazwischen liegenden Verse lesen. Gerade soeben war gesagt: »Gedenket eurer Führer, die das Wort Gottes zu euch geredet haben, und, den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmet ihren Glauben nach« (Vers 7).

Sofort hinterher steht dann dies leuchtende Wort von dem alle Zeiten durchwaltenden göttlichen Herrn. Das soll heißen: Menschen gehen dahin. Generationen sinken ins Grab. Auch die Führer der vorangegangenen Glaubensgeneration sind nicht mehr da. Aber Christus bleibt!

Er ist mitten im Kommen und Gehen der Geschlechter der Fels Seiner Gemeinde. Er ist erhaben über allen Wandel und Wechsel der Situationen und Personen. Er ist das Bindeglied zwischen den Geschlechtern, zwischen dem »Gestern« und dem »Heute« in der Geschichte Seines Volkes.

Damit ist gesagt: Bei allem Wandel im einzelnen geht in Christus doch der unwandelbare, gleiche Lebensinhalt der Gemeinde durch alle Jahrhunderte mit ihr mit. Durch das Sterben der Glaubensvorbilder (Hebr. 13,7; 17; 24) geht von dem eigentlichen Leben und Glaubensgrund des Volkes Gottes nicht das Geringste verloren. Wenn auch die Lehrer gehen, so bleibt doch die Lehre die gleiche. Oder, wie ich es auf dem Ehrengedenkstein John Wesley’s, dieses großen Gotteszeugen, des Gründers des englischen Methodismus, in der Westminster Abbey (London) las:
»Gott begräbt Seine Arbeiter; aber Seine Arbeit geht weiter.«

Vor Jahren besuchte ich in Stuttgart die Witwe des bekannten Schriftstellers Professor Bettex. Im Studierzimmer dieses mutigen Christusbekenners sah ich ein Bild, das Professor Bettex selber gemalt hatte. Es stellt einen Felsen dar inmitten einer wütigen Brandung. Mit ungeheurer Wucht brausen die Wogen an die Felswand heran; aber zerschlagen und zerschellt fluten sie wieder zurück.

In diesem Bild hat Friedrich Bettex, der durch seine glaubensverteidigenden, naturwissenschaftlich und biblisch tief gegründeten Werke Tausenden von Menschen zum Segen geworden ist, den eigentlichen Sinn und das Anliegen seiner Lebensaufgabe dargestellt:
Mitten in aller Zeit steht Christus da, als der Fels der Ewigkeit. Die Wogen des Zweifels und die Brandung des Gotteshasses rasen gegen Ihn an, aber die Wogen werden zerschlagen. Er, der Fels, jedoch bleibt!

Darum gibt Christus den Seinen auch den Sieg. Man wird Seine Diener in dieser Welt in die Gefängnisse werfen; man wird sie in glutheiße Wüsten oder eiskalte Steppen verbannen; sie werden »gesteinigt, zersägt, versucht« (Hebr. 11, 37); aber immer wieder werden sie die Erfahrung der Männer im feurigen Ofen machen:
Der Eine ist bei ihnen, der aus der Himmelswelt kommt, der sie, wenn zwar nicht immer äußerlich, so doch stets innerlich, hält und unversehrt zu bewahren imstande ist (Dan. 3, 20-27). »In diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat« (Röm. 8, 37).

Der Heimgang treuer Gottesknechte legt eine heilige Verpflichtung auf die, welche zurückbleiben. Unser Leben ist kurz. Unsere Tage schwinden dahin. Dies Irdische aber kann nicht das Eigentliche sein; das Wesenhafte muß woanders liegen, eben nicht in der Zeit, sondern in der Ewigkeit, nicht in dem Dahinschwindenden, sondern in dem Bleibenden, nicht in der Vergangenheit oder Gegenwart, sondern in der Zukunft.

Und dann wollen wir vorwärtsschreiten, nicht auf uns selbst vertrauend, aber doch zuversichtlich, nicht auf unsre Kraftlosigkeit blickend, sondern auf Christi Siegesmacht.

Als Abraham am Ende seines Lebens für seinen Sohn Isaak eine Braut werben lassen wollte und darum den Ältesten seiner Knechte zu seiner Verwandtschaft nach Mesopotamien sandte, fragte ihn dieser: »Vielleicht wird das Weib mir nicht in dieses Land (Kanaan) folgen wollen: soll ich dann deinen Sohn in das Land zurückbringen, aus welchem du weggezogen bist?« (1. Mos. 24, 5).
Da antwortete Abraham – und man spürt in der biblischen Berichterstattung geradezu die Energie seines Wollens und die Stärke des Mitschwingens seiner Gefühle und Empfindungen: »Hüte dich, daß du meinen Sohn nicht dorthin zurückbringst. Wenn das Weib dir nicht folgen will, so bist du dieses meines Eides ledig. Nur sollst du meinen Sohn nicht dorthin zurückbringen!« (1. Mose 24, 6;8.)
Nicht zurückbringen! Der Erzvater des Glaubens verlangt für die kommende Generation die praktische Anerkennung der Unwiderruflichkeit der patriarchalischen Berufung! In der zweiten oder dritten Generation darf das nicht rückgängig gemacht werden, was die erste Generation im Glauben errungen! Die Kinder müssen sich würdig erweisen der Glaubenshaltung und Hingabe ihrer geistlichen Väter. Die nachfolgenden Geschlechter sollen das Erbe ihrer Glaubensvorfahren in Treue verwalten.

Wir klagen manchmal, daß es dem Volk Gottes der Gegenwart an innerer Lebendigkeit gebricht. Wir erkennen, daß uns Erweckungsgeist fehlt, daß die beiden letzten Jahrzehnte des vorigen und das erste Jahrzehnt des jetzigen Jahrhunderts lebendiger gewesen sind, daß damals viel mehr Menschen aus dem Sündenschlaf erwachten als heute, daß Führer und Hirten im persönlichen und öffentlichen christlichen Leben da gewesen sind, wie wir sie heute in diesem Maß leider nicht festzustellen vermögen. Wir denken an die Zeiten eines Moody, Torrey, eines Baedecker, Georg Müller, v. Viebahn, Stockmayer und vieler anderer. Aber wir bleiben bei all unserm Klagen vielleicht selber die alten, immer mit der gleichen, zwar starken und ehrlichen, aber doch nicht genug lebenskräftigen Sehnsucht. Und wir w a r t e n, daß der Herr eine Erweckung senden möge. Und zuletzt kann es fast so aussehen, als sei G o t t die Ursache, daß es nicht recht vorwärts geht, eben weil Er unsere Gebete nicht erhört!

Und doch liegt die Sache ganz anders!
Nirgends in der Bibel wird uns gesagt, daß wir auf eine Erweckung warten sollen. Erweckungen müssen sein; aber die Kinder Gottes haben keine wartende Stellung zu ihnen einzunehmen. Nirgends verlegt die Heilige Schrift den Schwerpunkt der praktischen Heiligung und unseres Zeugnisses in die Zukunft, sei es eine ferne oder eine nahe. Vielmehr bringt sie uns einen gegenwärtigen Christus, einen Heiland, der heute und jetzt unser Leben befruchten und mit wirksamen Kräften erfüllen will. Denn wenn die Erweckung erst in einigen Jahren käme – gebe Gott, daß sie schneller kommt! – was sollten wir denn bis dahin in der Zwischenzeit machen? Nein, wir dürfen das »Heute« nicht vergessen. Die Vergangenheit existiert in unserer Erinnerung, die Zukunft in unserer Erwartung; was wir haben, ist das Jetzt. »Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.«

Die Sache des Königs aber ist eilend! Was wir heute tun können, laßt uns nicht auf den morgigen Tag verschieben. Wenn uns heute der Geist treibt, ein Zeugnis für den Herrn abzulegen, um eine Seele für Ihn zu gewinnen, dann wollen wir auch heute gehorchen; denn bis morgen wird der Feind gewiß schon tausend neue Gründe bereit haben, uns von dem Befolgen der göttlichen Stimme abzuhalten. Zum wahren Gottesdienst gehört ein Herz mit festem Willensentschluß, Gottes Werk heute durch uns treiben zu lassen. »Gehe hin, arbeite h e u t e in Meinem Weinberg« (Matth. 21, 28).

Dann gibt es auch neue Segnungen. Wenn du selbst erwacht bist, kannst du auch andere erwecken, und so können hier und da kleine Scharen von innerlich erwachten Christen entstehen, kleine Mittelpunkte, von denen das Licht weiter ausstrahlt. Und dazu sollst auch du gehören. Gerade dich will der Herr gebrauchen, auch wenn du vielleicht äußerlich nicht besonders hervortrittst, eben weil Gott dir einen Dienst in der Stille gegeben hat. Aber gewiß wirst du dich in der Ewigkeit noch einmal wundern, wieviel göttliche Wirkung auch von deinem Leben ausgegangen ist, wenn du nur, Christus hingegeben, erwacht und wach geblieben bist.

In der Lebensgeschichte Isaaks lesen wir:
»Und Isaak grub die Wasserbrunnen wieder auf, welche sie in den Tagen seines Vaters Abraham gegraben und welche die Philister nach dem Tode Abrahams verstopft hatten, und er benannte sie mit denselben Namen, womit sein Vater sie benannt hatte« (1. Mos. 26,18).
Das ist, in geistlichem Sinne, unsere Situation. Unsere Glaubensväter haben »Brunnen« gegraben und sie mit Namen benannt. Der Brunnen des Wortes Gottes, der Brunnen des Gebets, der Brunnen der Gemeinschaft der Gläubigen, der Brunnen frohen Zeugendienstes, der Brunnen der Mission – das waren Himmelsquellen, aus denen sie schöpften und die ihr persönliches Glaubensleben und das Leben ihrer Gemeinden erquickten und immer wieder frisch erhielten.
Dann aber ist die erste Generation abgerufen worden. Und die »Philister« sind gekommen – Sünde, Weltsinn, Bruderstreit, Trägheit, Uninteressiertheit an Gottes Wort und Werk, Feigheit im Zeugendienst, Mangel an Opfersinn und Missionsgeist -, und die «Wasserbrunnen« der Väter wurden verstopft. Dürre des Glaubenslebens, Gebetslosigkeit, Unfruchtbarkeit des Zeugnisses, Mattheit des Gemeindelebens, Verkrampfung in Traditionsgebundenheit, Verengung des Gesichtskreises sind nun weithin die Lage.
Was muß geschehen?
Wir müssen die Wasserbrunnen der Väter wieder aufgraben! Wir müssen wieder beten lernen, wie unsere Väter gebetet haben! Wieder Zeugnis ablegen, wie sie gezeugt haben! Wieder opfern für Bibelverbreitung und Mission, wie sie es einst taten! Die Brüder wieder lieben, so wie sie die Gemeinschaft der Heiligen gepflegt haben. Unser Platz im Gemeindesaal darf nicht leer sein. Unser Gemeinde- und Missionsbeitrag darf nicht fehlen. Unser Gebet muß regelmäßig und echt sein. Wir müssen wieder Zeugen für Christus und Seelengewinner werden.
Darum noch einmal: »Richtet auf! Macht gerade Bahn! Jaget!«

6. Kapitel. Verschleuderte Werte . . .

Hebr 12,16-17 Gebt darauf acht…, daß nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.
Ihr wißt ja, daß er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.
Hoch ist der Stand des neutestamentlichen Heils; tief ist unter Umständen der Absturz. Deshalb muß sich in einem gesunden Glaubensleben Freude mit Ernst verbinden, Dankbarkeit mit Verantwortlichkeit, Zuversicht mit heiliger Vorsicht. Daher auch die zahlreichen Warnungen im Hebräerbrief. Zu den ernstesten von ihnen gehört der Hinweis auf Esau.
»Achtet darauf…. daß nicht jemand … ein Ungöttlicher sei wie Esau, der für e i n e Speise sein Erstgeburtsrecht verkaufte; denn ihr wisset, daß er auch nachher, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde; denn er fand keinen Raum für die Buße (Sinnesänderung, Umstimmung, Rückgängigmachung), obwohl er sie (die Segenserteilung, die Umstimmung) mit Tränen eifrig suchte» (Hebr. 12,16; 17).
Esau war der »Erstgeborene« Isaaks. An seinen Vorrechten, seinem Verhalten und seinem Geschick gibt der Schreiber des Hebräerbriefes seinen Lesern einen Hinweis auf ihre Vorrechtstellung, ihre Verantwortlichkeit und ihre Gefahr. Im Vordergrund steht die Warnung. Aber ihre volle Kraft bekommt sie erst durch das Wissen um die hohe Stellung, in der Esau sich ursprünglich befunden hatte.
Was »Erstgeburtsrecht«, nach alttestamentlichem Gesetz, in sich schloß, war den ersten Lesern des Hebräerbriefes, als geborenen Israeliten, zweifellos bekannt. Im Neuen Testament wird es als Bild gebraucht, um die hohe Ehrenstellung der Gemeinde Christi, ja Christi selbst zum Ausdruck zu bringen.

Vor allem und in ganz einzigartiger Weise ist Christus der »Erstgeborene«. Diese Seine Herrlichkeit strahlt in der neutestamentlichen Offenbarung in dreifacher Weise auf. Er ist »der Erstgeborene aller Schöpfung« (Kol. 1, 15). Dies ist Seine Ehrenstellung schon von der Ve r g a n g e n h e i t her, die Er von vornherein hatte, als »Sohn« über aller Kreatur. Er ist »der Erstgeborene aus den Toten« (Kol. 1, 18; Offb. 1, 5). Dies ist Seine Ehrenstellung in der G e g e n w a r t, die Er besitzt als der »Auferstandene«, der den »Vorrang« hat, als das »Haupt« Seines Leibes in der Gemeinde. Er ist »der Erstgeborene unter vielen Brüdern« (Röm. 8, 29). Dies wird Seine Ehrenstellung sein in aller Z u k u n f t, wenn Er offenbar werden wird als der verherrlichte Erlöser inmitten Seiner verherrlichten Erlösten (vgl. auch Hebr. 1, 6).1)
Zugleich aber wird das Wort »Erstgeburt« gebraucht, um die besondere Gnadenstellung der Gemeinde zum Ausdruck zu bringen. So sagt derselbe Hebräerbrief, der vom »Erstgeburtsrecht« Esaus spricht und daraus Folgerungen für seine neutestamentlichen Leser zieht, nur wenige Sätze hinterher: »Ihr seid gekommen. . . zu der Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind« (Hebr. 12,23). Und der Jakobusbrief erklärt: »Nach seinem eigenen Willen hat er (Gott) uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, auf daß wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien« (Jak. 1, 18).

Beide Briefe waren zunächst an judenchristliche Leser gerichtet. Das Wort »Erstgeburtsrecht« muß darum vom Alten Testament her verstanden werden.
Hierbei liegt der Hauptnachdruck nicht so sehr auf der zeitlichen Reihenfolge, sondern der rangmäßigen Würde. Sonst könnte ja nicht davon gesprochen werden – was das Alte Testament aber dennoch tut -, daß ein schon Geborener an irgend einem Zeitpunkt seines Lebens zum Erstgeborenen »gemacht« wird. »Er wird mir zurufen: Mein Vater bist du, mein Gott, und der Fels meiner Rettung! So will auch ich ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten der Könige der Erde« (Ps. 89, 26-28). Und umgekehrt könnte nicht ein zeitlich als Erster Geborener unter Umständen seine Erstgeburt später noch v e r l i e r e n (vgl. aber Ruben: 1. Chron. 5, 1; 2 und Esau).

Das Wort »Erstgeburtsrecht« ist im Text des Hebräerbriefes ein Mehrzahlwort (griech. ta prototokia, plural neutr.) Damit ist zugleich ausgedrückt, daß sein Segensinhalt eine Mehrheit ist. Nach der Sozial- und Heilsgeschichtsordnung des Alten Testaments ist er eine Dreiheit: Herrschaftswürde, Dienst am Priestertum, doppelter Anteil am Erbbesitz.

I. Das israelitische Erstgeburtsrecht.

1. Herrschaftswürde. Der Erstgeborene war unter dem Vater der Vertreter der häuslichen Autorität. Er war der »Herr« über seine jüngeren Brüder (vgl. 1. Mos. 27, 37 So »gebot« Davids ältester Bruder seinem jüngeren Bruder David, zu einem Familienopfer nach Bethlehem zu gehen, was sogar Saul und dessen Sohn Jonathan als ausreichenden Grund anzusehen hatten, daß David, trotz der Erwartung des Königs, nicht an der königlichen Tafel erschien (1. Sam. 20, 27-29). Bei Tisch saßen die Söhne eines israelitischen Haushalts der geburtlichen Folge und Rangordnung gemäß, »der Erstgeborene nach seiner Erstgeburt, und der Jüngste nach seiner Jugend« (1. Mos. 43, 33. Vgl. auch 1. Mos. 48, 14; 17-19).

2. Dienst am Priestertum. Hier zeigt schon das soeben erwähnte Beispiel aus dem Leben Davids, daß der älteste Bruder, also der »Erstgeborene« in seiner Familie, die Ordnung des »Familienopfers« durchzuführen, also gleichsam als Hauspriester zu handeln hatte. Vor allem aber ist es der große, heilsgeschichtliche, alttestamentliche Gesamtzusammenhang, der Erstgeburtsrecht und Priestertum miteinander verbindet.

Nach Gottes Plan sollte Israel Gottes »Erstgeborener« sein unter den Völkern (2. Mos. 4, 22). Zugleich sollte Israel, als Gottes Eigentum aus allen Völkern, »ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation« sein (2. Mos. 19, 5; 6). Als Gegenwirkung Gottes gegen den Frevel des Pharao, der durch die Ausrottung Israels somit Gottes »erstgeborenen Sohn« vernichtet hätte, verfügte Gott die Vernichtung der ägyptischen Erstgeburt. »So spricht Jehova: Mein Sohn, mein erstgeborener, ist Israel, . . . und weigerst du dich, ihn ziehen zu lassen, so werde ich deinen Sohn, deinen erstgeborenen, töten« (2. Mos. 4, 22; 23).

Dafür aber, daß Gott dann die israelitische Erstgeburt im Passah verschonte, ordnete Er die besondere Weihung jeder jüdischen, männlichen Erstgeburt für Ihn an. Damit waren Gottesweihe und Erstgeburt grundsätzlich miteinander verbunden, und zur Erstgeburtsstellung gehörte Aussonderung zum Dienst für Jehova, also Priestertum. Nach der Anbetung des Goldenen Kalbes in der Wüste und als Lohn für die rückhaltlos entschiedene Stellungnahme des Stammes Levi auf der Seite Gottes (2. Mos. 32, 26-29) wurde diese besondere Gottesweihe der allgemeinen, israelitischen Erstgeburt auf die Angehörigen Levis übertragen und somit der Stamm Levi zum Priestertum berufen. »Mein ist alles Erstgeborene unter den Kindern Israel . . . An dem Tage, da ich alle Erstgeburt im Lande Ägypten schlug, habe ich sie mir geheiligt. Und ich habe die Leviten genommen a n s t a t t aller Erstgeborenen unter den Kindern Israel . . ., um den Dienst der Kinder Israel am Zelt der Zusammenkunft (der Stiftshütte) zu verrichten« (4.Mos. 8, 17-19; Kap. 3, 12; 44; 45). Dies ist der heilsgeschichtliche Zusammenhang und die geschichtliche Einzelentwicklung der Berufung des Stammes Levi zum Priestertum. Im Hintergrund seiner Erwählung steht die Erstgeburtsstellung Israels und die grundsätzliche Verbindung von Erstgeburt und priesterlicher Gottesweihe.
Das dritte Segensgut des Erstgeburtsrechts war

3. Doppelter Anteil am Erbbesitz. Nach der ausdrücklichen Anordnung des fünften Buches Mose hatte der israelitische Vater bei der Verteilung des Erbes – wie immer auch die familiären Verhältnisse im einzelnen seien – dem Erstgeborenen »z w e i Teile zu geben von allem, was in seinem Besitz gefunden wird; denn er ist der Erstling seiner Kraft, ihm gehört das Recht der Erstgeburt« (5. Mos. 21, 15-17). Das heißt z. B.: Wenn ein Vater vier Söhne hatte, so mußte der Gesamtbesitz in fünf Teile geteilt werden, und der Erstgeborene erhielt davon zwei, jeder nachfolgende Sohn einen.
Tiefeingreifende Entwicklungen in der Gesamtheilsgeschichte der Bibel hängen mit diesen drei Hauptanordnungen des israelitischen Erstgeburtsrechts zusammen.
Eigentlich hatte, unter den zwölf Stämmen Jakobs, R u b e n das Erstgeburtsrecht. Dennoch ist der Messias nicht »Löwe aus dem Stamme Ruben«. Denn Ruben war, wegen seiner schändlichen Sünde von 1. Mos. 35, 22, seines Erstgeburtsrechtes und Messiasrechtes entkleidet worden. »Er wird nicht nach der Erstgeburt verzeichnet« (1. Chron. 5, 1). Er soll »keinen Vorzug haben« (1. Mos. 49, 3; 4). Die dann folgenden Brüder Simeon und Levi waren aber auch ausgeschaltet (1. Mos. 49, 5-7), und zwar wegen ihrer Bluttat in Sichem (l. Mos. 34,25).
Daher wurde Rubens Erstgeburtsrecht folgendermaßen geteilt:
a) Den doppelten Anteil am äußeren Erbbesitz bekam Joseph in seinen zwei Söhnen Ephraim und Manasse, so daß jeder von diesen beiden ein ganzes Stammgebiet erhielt (1. Chron. 5, 1). Dies ist der Grund, warum diese zwei, die doch eigentlich nur Enkel Jakobs waren, genau so behandelt wurden, wie die unmittelbaren Söhne Jakobs, also die Brüder ihres Vaters. So wie Jakob es angeordnet hatte: »Ephraim und Manasse sollen mein sein wie Ruben und Simeon« (l.Mose 48, 5).

b) Den Dienst am Priestertum erhielt, wie oben dargelegt, L e v i. Hierbei wurde zugleich das über Levi wegen der Bluttat in Sichem (l. Mos. 34, 25) verhängte Zerstreuungsgericht, daß er kein geschlossenes Stammgebiet erhalten sollte (l. Mos. 49, 5-7), bei aller äußeren Aufrechterhaltung, in einen Segen umgewandelt. Seine Nachkommen erhielten – für jeden Israeliten erreichbar – 48 über das ganze Zwölfstämmeland verteilte Levitenstädte (4. Mos. 35,1-7; Josua 21,lff., bes. 41).
c) Die Herrschaftswürde bekam J u d a, der vierte Sohn Jakobs. »Juda hatte die Oberhand unter seinen Brüdern, und der Fürst kommt aus ihm« (l. Chron. 5, 2). So wurde Juda zum Königsstamm. Dies hat zugleich messianische Bedeutung. »Es wird das Szepter von Juda nicht entwendet werden noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis daß der Held komme, und demselben werden die Völker anhangen« (l. Mos. 49, 10). Durch dies alles ist der Messias nicht, wie es sonst zu erwarten gewesen wäre, »Löwe aus dem Stamme Ruben«, sondern »Löwe aus dem Stamme Juda« (Offb. 5, 5).
Zugleich aber erkennen wir in diesem Gesamtzusammenhang die hochbedeutsamen Auswirkungen des israelitischen Erstgeburtsrechts, wie sie die alttestamentliche Offenbarungsgeschichte in entscheidendsten Hauptlinienführungen mitgestalten, ja bis in das Neue Testament und das kommende Gottesreich hineinreichen, und zwar dies nicht nur territorial, politisch (politische Führung Israels durch den Stamm Juda.) und dynastisch (königliche Dynastie des Davidshauses aus Juda: Matth. 1, 2-7), sondern desgleichen auch kultisch (gottesdienstlich) und prophetisch, ja sogar messianisch.

II. Das Erstgeburtsrecht der Gemeinde. Die große Möglichkeit

Dies alles ist, vom Neuen Testament her gesehen, zugleich gottgegebene Vorbildersprache auf die geistlichen Heilsgüter der Gemeinde. Wenn die Gemeinde die »Versammlung der Erstgeborenen« ist, »die im Himmel angeschrieben sind« (Hebr. 12, 23)5), so ist, von dieser alttestamentlichen Schau her ein dreifacher Heilsbesitz zum Ausdruck gebracht: überragende Herrlichkeit himmlischer Segensfülle, geistliches Priestertum, gottgeadeltes Königtum. In allen diesen drei Hinsichten übertrifft aber die neutestamentliche Heilswirklichkeit ihr alttestamentliches Vorbild noch bei weitem. Alles ist umfassender, tiefer, geistlicher, himmlischer.

1. Die neutestamentliche Segensfülle.
Unausforschlich ist der Reichtum Christi, der der Gemeinde zuteil geworden ist (Eph. 3, 8-10). Ihre Stellung ist weit höher als die Stellung Israels als Nation. Die himmlischen Segnungen der Christusgemeinde überragen alle irdischen Segnungen des alttestamentlichen Bundesvolkes. Hier hat wirklich die »Gemeinde der Erstgeborenen« einen »doppelten Anteil« am Segensbesitz, ja noch unendlich weit m e h r als dies! Gewaltig überlegen ist der Neue Bund gegenüber dem Alten (Hebr. 8; 2. Kor. 3). Der Kleinste im Königreich der Himmel ist größer als der Größte in der Haushaltung des Gesetzes (Matth. 11, 11). Glückselig darum unsere Augen, daß sie sehen, und unsere Ohren, daß sie hören, was Propheten und Gerechten der alttestamentlichen Vorzeit nicht geschenkt worden war, zu vernehmen (Matth.13,16;17). »Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo!« (Eph. 1, 3).

So ist in Christus ein Heil erschienen, das alle vorangegangenen Gottesoffenbarungen sonnenhaft überstrahlt. In Ihm ist das volle Heil da. Der ganze Reichtum des Himmels ist aufgeschlossen. Als »Heiland« ist Christus mehr als der nur »Heilende«. Er ist mehr als der Arzt und Gesundmacher an Leib und Seele (vgl. Luk. 4,23), m e h r als der bloße Überwinder aller geistig-moralischen und seelisch-leiblichen Hemmungen im Einzelleben und in der Gesamtheit. »Als »Heiland« und »Retter« bringt Er nicht nur das Minus auf den Nullpunkt, hebt nicht nur das Negative auf, läßt nicht nur alle Krankheit verschwinden, sondern schenkt gleichzeitig etwas überwältigend Positives, einen millionenfach ü b e r den Nullpunkt hinausgehenden Reichtum (Eph. 1,18), einen überströmenden Lebensgenuß (Joh. 10, 10; 11), unausschöpfbare Glückseligkeit (Phil. 4, 4), Kraft zu siegreichem Leben (Röm. 8, 37), wahre Würde der Persönlichkeit (1. Petr. 2, 9; Eph. 4, 1), eben ewige Erfüllung echten Menschheitsadels«.

»Heil« im Sinne des Neuen Testaments ist darum der »unausforschliche Reichtum Christi« (Eph. 3, 8), »der Wirkungsbereich des auferstandenen Christus, die Summe Seiner Machtwirkungen hier unten« (Ralf Luther). Als »Heiland« ist Christus der »Heilbringer«, der Sieger über alle Mächte der Finsternis, die Sonne, von der alle Kräfte der Neubelebung ausstrahlen, der Erfüller wahren Menschheitsadels, der Bringer des Reiches Gottes, der Triumphator in Weltformat (Joh. 4, 42; 3, 16; 1. Joh. 4, 14!) – (Es genügt also nicht, bei der Erklärung des Titels »Heiland« nur die sprachliche Herkunft des Wortes soter von sozein »heilen, gesundmachen« zu berücksichtigen (vgl. Matth. 9, 21; 22; Mark. 5, 23; 6, 56). Die sprachliche Herkunft eines Wortes (die Etymologie) ist ja überhaupt nie schon entscheidend für den sinngemäßen Gebrauch und Begriffsumfang des betreffenden Wortes. Wo von Krankenheilungen im Neuen Testament die Rede ist, wird in der Regel ein ganz anderes Wort gebraucht (griech. therapeuein z. B. Matth. 4, 24; Mark. 3, 10, zusammen über 35 mal in den Evangelien).

So bezeugen wir denn mit Ernst Moritz Arndt, dem bekannten Dichter der Freiheitskriege:
»Ich weiß, an wen ich glaube,
Ich weiß, was fest besteht,
Wenn alles hier im Staube
Wie Rauch und Staub verweht …
Das ist das Licht der Höhe,
Mein Heiland Jesus Christ,
Der Fels, auf dem ich stehe,
Der unzerstörbar ist.«

2. Das neutestamentliche Priestertum.
Aber noch mehr. In der Schar dieser Himmelsmilliardäre des Glaubens ist jeder einzelne, nach Gottes Berufung, ein Priester des Höchsten. »Er (Christus) hat uns gemacht zu einem Königtume, zu Priestern seinem Gott und Vater« (Offb. 1, 6).

Was ist darin eingeschlossen?
Es gibt eine oberflächliche Art, vom allgemeinen Priestertum der Gemeinde zu sprechen, als ob eine Ortsgemeinde das allgemeine Priestertum schon dann habe, wenn sie keinen besonders beauftragten Diener am Wort hat. Wohin-gegen doch das Neue Testament an keiner einzigen Stelle erklärt, daß das allgemeine Priestertum in irgend einer Form gottesdienstlicher Gestaltung schon erfüllt sei!
Nein, eine Ortsgemeinde kann einen Prediger haben und doch zugleich das allgemeine Priestertum im Wesenhaften besitzen. Eine Ortsgemeinde kann allgemeine Redefreiheit haben und dennoch am allgemeinen Priestertum praktisch vorbeileben.
Der Ausdruck »allgemeines Priestertum« findet sich, in dieser seiner Zusammenstellung der beiden Worte »allgemein« und »Priestertum«, nicht in der Schrift. Er entstammt der Reformation. Die Bibel spricht vom »königlichen« Priestertum (1. Petr. 2, 9; 2. Mos. 19, 6) und vom »heiligen« Priestertum (1. Petr. 2, 5).
Im Gegensatz zu der katholischen Einrichtung eines besonderen Priesterstandes betonten die Reformatoren die geistliche und stellungsmäßige Gleichheit aller wahrhaft Christusgläubigen vor Gott und in der Gemeinde. Darum ist der Ausdruck »allgemeines Priestertum« – wenn, seiner Wortzusammenstellung nach, zwar auch nicht direkt in der Schrift enthalten -, so aber doch, seinem Inhalt und Sinn nach, durchaus schriftgemäß.
Nur muß man sich hüten, ihn rein negativ, das heißt, lediglich den Klerikalismus verneinend, oder vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Gottesdienstordnung und der Ausübung der Wortverkündigung, aufzufassen. Etwa als ob das »allgemeine Priestertum«, seinem Wesen nach, eben in der Verneinung eines besonderen Predigerdienstes und in der Bejahung einer unterschiedslosen Gleichberechtigung aller männlichen Gemeindeglieder im Hinblick auf Versammlungsdienst und Predigttätigkeit bestehe!

In Wahrheit sind im allgemeinen Priestertum, außer den gläubigen Männern, die gläubigen Frauen desgleichen miteingeschlossen. Allerdings jeder im Rahmen seiner Beauftragung.
Sie alle aber sollen Priesterseelen sein. Daß sich dabei auch gewisse praktische Folgerungen für die Gestaltung der Gemeindezusammenkünfte und die Ausübung des Dienstes am Wort ergeben, ist selbstverständlich. Aber der Schwerpunkt liegt viel tiefer.

Allgemeines Priestertum wie auch Geistesleitung sind, nach dem eindeutigen Zeugnis sämtlicher diesbezüglicher Stellen des Neuen Testaments (Röm. 8, 14; Gal. 5, 18; Joh. 16, 13), kein bloßes Vorrecht der Gemeindezusammenkünfte, sondern des gesamten Lebens der Gemeindeglieder von morgens bis abends, kein isolierter Sonderbezirk irgend eines Tageslaufs, sei es Sonntag oder Alltag – etwa zeitlich begrenzt auf Anfang und Ende der Anbetungs-, Bibel- und Gebetsstunden -, sondern den g e s a m t e n Menschen umfassend! In diesem Sinne ist das ganze, neutestamentliche Gottesvolk »ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation« (2. Mos. 19, 6; 1. Petr. 2, 5-9).

In der Gemeinde sollen sich dann, auf der Grundlage des allgemeinen Priestertums, die »geistlichen Gaben« entfalten (1. Kor. 12-14). Dies soll, je nach der Beauftragung des einzelnen, von Fall zu Fall unter der Leitung des Heiligen Geistes geschehen. Allgemeines Priestertum und charismatische Geistesleitung sind darum zu unterscheiden (griech. charisma = Gnadengabe). Das erstere umschließt, seinem Umfang nach, den größeren Kreis; das zweite ist in dem ersten enthalten, ist aber nur ein Teil des ersten. Jeder wahrhaft Erlöste ist zum allgemeinen Priestertum berufen. Aber nicht jeder neutestamentliche Priester Gottes ist Träger gottesdienstlicher Geistesgaben. Und auch die Träger gottesdienstlicher Geistesgaben sind nicht in jedem Fall und von vornherein mit der Ausübung der Wortverkündigung beauftragt, sondern alle stehen von Fall zu Fall neu unter der anordnenden Leitung des Heiligen Geistes (1. Kor. 12, 4ff.; 14, 26).
Hierbei beginnt die Leitung des Geistes nicht etwa erst beim Versammlungsanfang. Sie ist nicht magisch, sondern heilig-natürlich, nicht mechanisch, sondern individuell organisch, nicht zeitbeschränkt, sondern total.

Die Verbindung der Worte »Geist« (griech. pneuma) und »leiten« (griech. ago, hodegeo) findet sich nur dreimal im Neuen Testament und bezieht sich jedesmal auf das g e s a m t e Leben des Christen (Röm. 8, 14; Gal. 5, 18; Joh. 16, 13). Sie wird nirgends in ausschließlicher, nicht einmal vornehmlicher Beziehung auf die Grundsätze der Versammlungsgestaltung gebraucht. Daß hierbei jedes Zusammenkommen der Gemeinde stets neu vom Geist Gottes geleitet werden soll, ist selbstverständlich und in dem Totalitätscharakter der Geistesleitung mit eingeschlossen. Die gesamte, »innergemeindliche« und »außergemeindliche« Zeit eines Christen soll unter der Führung von oben und dem Zuspruch des Heiligen Geistes stehen. Daher ist es auch sehr wohl in Übereinstimmung mit dem biblischen Begriff von Geistesleitung, daß ein Verkündiger des Wortes schon v o r einer Versammlung oder einem Gottesdienst sich vom Herrn einen Auftrag – ein Bibelwort, ein Thema, ein Lied – schenken läßt und sich in der Stille unter Gebet und unter der Leitung des Geistes auf einen Dienst in der Gemeinde »vorbereitet«. Dabei muß er allerdings offen bleiben für weitere Leitung des Geistes.

Die Aufgabe des Priesters war eine fünffache: Opfern, Beten, Zeugen, Seelsorge, Segnen.

So darf der neutestamentliche Priesterdienst ein heiliger Opferdienst sein. Gewiß, das auf Golgatha dargebrachte Opfer des Lammes Gottes ist einmalig und kann nie wiederholt werden (Hebr. 10, 10-14). Aber die durch dies Opfer für Gott Erworbenen sollen selber nun in ihrem ganzen Leben ein heiliges Opfer sein. »Ich heilige (weihe) mich selbst für sie, auf daß auch sie Geheiligte (Geweihte) seien in Wahrheit« (Joh. 17,19).

In der Hingabe ihres Lebens: Röm. 12, 1; in dem Geheiligtsein ihrer Handlungen: 1. Petr. 2, 5; 9; in Hilfsbereitschaft und Liebestätigkeit: Hebr. 13, 16; in opferfreudigen Missionsgaben: Phil. 4,18; im Volleinsatz ihrer Persönlichkeit zur Ausbreitung des Evangeliums: Phil. 2, 17; 2. Tim. 4, 6; in geistgewirkten Gebeten: Offb. 8, 3; 4; PS. 141, 1; 2; in jubelnder Anbetung: Hebr. 13,15 – kurz, in dem Geweihtsein ihres ganzen Seins und Wirkens soll sich ihr priesterlicher Opferdienst heilig bewähren.

Pflicht der Gemeinde. Es ist nicht in unser Belieben gestellt, ob wir unsere Ortsgemeinde oder die Bestrebungen der Weltmission oder der Evangelisation »unterstützen« wollen oder nicht. Beitrag zum Werk des Herrn – bis hin zum Ausmaß des persönlichen Opfers – ist schlechthin unsere Schuldigkeit. Es ist B e f e h l des erhöhten Herrn (1. Kor. 9, 14) und darum für jeden Erlösten eine Frage des Gehorsams. Opfergaben für das Reich Gottes gehören darum in das Gebiet der Heiligung. Wir können bei uns selbst daran erkennen, inwieweit wir überhaupt den Herrschaftsanspruch Christi praktisch ernst nehmen.

Missionsopfer sind Ausdruck unserer Dankbarkeit für die empfangene Erlösung und den Dienst Christi und Seiner Gemeinde an unserer Seele. Christus erhebt Anspruch darauf, und aller Ungehorsam in dieser Hinsicht ist Geringschätzung Seiner Autorität, ja, Beraubung Gottes. Zweifellos dürfen Opfer »nicht aus Zwang oder Verdruß» dargebracht werden, sondern von einem jeden bereitwillig und gern, eben so, »wie es das Herz vorschreibt« (2. Kor. 9, 7). Aber unser Herz soll und darf Christus und Sein Werk dankbar und tief l i e b e n, und dann ergibt sich alles andere von selbst.

Sie sind Selbsteinzahlungen auf die Himmelsbank. Es ist »der Gewinn«, schreibt Paulus, »der für e u r e Rechnung erwächst«, der sich auf e u r e m Konto vermehrt (Phil. 4,17), der als »Guthaben« (Menge) auf euer (himmlisches) Konto gebucht wird. »Mein Gott wird euch nach seinem Reichtum alles, was ihr bedürft, durch Christus Jesus in herrlicher Fülle geben« (Phil. 4, 19, Menge, Albr.). Vgl. Gal. 6,6.) Aber noch höher ist diese Verpflichtung der Gemeinde zu bewerten. Sie trägt geradezu priesterlichen Charakter. Zuwendungen für Gemeinde und Mission sind Neutestamentliche Opfer und darum eine wesentliche Betätigung des »allgemeinen Priestertums«. Sie sind, wenn in rechter Gesinnung und darum dann auch in entsprechendem, äußeren Ausmaß dargebracht, »ein duftender Wohlgeruch, ein angenehmes O p f e r, Gott wohlgefällig« (Phil. 4, 18). Dies ist jedenfalls die Beschreibung, mit der Paulus die Missionsgabe der Philipper charakterisiert. An deiner Gebefreudigkeit für Reich Gottes und Weltmission kannst du es vor dir selbst erkennen, wie weit du dich überhaupt eigen-persönlich in das allgemeine Priestertum praktisch hineingestellt weißt. An der Stellung zum Geld waren im Alten Testament die wahren und die falschen Propheten zu erkennen (Micha 3,11; 4.Mose 22,16). Dies war das untrügliche Unterscheidungsmerkmal. An der Stellung zum Geld bewährt sich im Neuen Testament auch die Echtheit wahren allgemeinen Priestertums. – Und zuletzt: Zuwendungen für Gemeinde und Mission sind

V o r r e c h t  u n d  E h r u n g für die gebenden Mitarbeiter.
»Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn er zu Ende geht, man euch aufnehme in die ewigen Hütten« (Luk. 16,9). Wie wird es einst sein, wenn in der Ewigkeit die Zusammenhänge vieler Siege in Weltmission und Reichsgottesarbeit offenbar gemacht werden! Welche Freude und welche Ehre, wenn uns dann im ewigen Licht gezeigt wird, wie auch unser persönliches Missionsopfer vielleicht dazu beigetragen hat, eine Bibelverbreitung oder ein Missionsunternehmen zu ermöglichen, wodurch Seelen zu Christus geführt wurden! Welch beseligendes Glück, dann in Demut zu erkennen: Da haben andere gekämpft und gesiegt; aber i c h w a r – obwohl vielleicht Tausende von Kilometern davon örtlich entfernt – durch Gottes Gnade dennoch a u c h d a b e i ! Zu solchen Freuden und Ehren führt der praktische Opferdienst des neutestamentlichen, allgemeinen Priestertums.

Bei dem Ganzen aber bleibt im Priestertum der Gemeinde das Gebetsleben die eigentliche, innerste Mitte. Für den wahren, neutestamentlichen Priester ist Beten keine Pflicht, sondern gottgeschenktes Vorrecht. Dann werden auch die Sünden der Umgebung nicht Gelegenheiten zur Kritik, sondern Aufgaben liebender Fürbitte. Die Unheiligkeiten anderer werden heilig behandelt. Sie werden nicht ins »Lager«, sondern ins »Heiligtum« gebracht. Und vom stillen Gebetskämmerlein gehen Segensströme aus in Gemeinde und Haus, in Seelsorge und Mission (Eph. 6,18; 19; Röm. 15, 30-32), ja, in Obrigkeit und Völkerwelt (1. Tim. 2, 1; 2).

Das Gebet ist der »Transformator«, die »Umschaltestation«, die den Strom aus der himmlischen Kraftzentrale – Gott – in die einzelnen Haushaltungen und Betriebe unseres Lebens überleitet, ihn zu Licht- und Kraftzwecken gleichsam »umschaltet«, »umformt« und verteilt. Ohne Gebetsleben – kein Siegesleben! Ohne Leben i n Christus kein Wirken f ü r Ihn! Auch mitten im Andrang der täglichen Pflichten darf unsere Gebetsverbindung mit dem Herrn niemals abreißen.
»Beten« allein tut’s freilich auch noch nicht. Selbst bei Gläubigen gibt es ein ungläubiges »Beten«, ein formenhaftes, gedankenloses, zweifelndes Scheingebet. »Solcher Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfangen werde« (Jak. 1, 7). Nur das G l a u b e n s gebet kann uns helfen, das vertrauensvolle Erwarten, daß der Herr uns nach Seinem Rat und zu Seiner Zeit tatsächlich erhören wird.
Ein solches Beten ist dann priesterliche Reichsgottes a r b e i t. Es ist nicht eine Tätigkeit der Seele, die etwa lediglich zu der Arbeit h i n z u käme, sondern ein Teil der Arbeit des Priesters selber, ja die wichtigste Arbeit überhaupt! Nur der ist ein Reichsgottes a r b e i t e r, der ein Reichsgottes b e t e r ist. Denn »Gebet ist Arbeit« (Kol. 4, 12; 13). Nur d i e Ortsgemeinde ist geistlich stark, bei der die Gemeindegebetsstunde nicht ihre »schwache Seite« ist, bei der die gemeinsamen Gebetszusammenkünfte Missionsmitarbeitsstunden sind, »Mission« in dem doppelten Sinne von Evangeliumszeugnis draußen und Evangeliumszeugnis daheim. Die Entscheidungsschlacht unseres Lebens wird im Kämmerlein geschlagen. Wie unser Gebet, so ist unsere Arbeit. So ist unser Einfluß auf unsere Mitmenschen. So ist unsere Stellung zu allen Fragen des Lebens.

Zur Bitte und Fürbitte kommt noch die Danksagung und die Anbetung hinzu. Anbetung ist gar wohl von Danksagung zu unterscheiden. Diese geht aus von den G a b e n und einzelnen S e g n u n g e n, die Gott dem Geschöpf zuteil werden läßt, jene von der P e r s o n und dem allgemeinen W e s e n des Gebers selbst. Die Danksagung preist für alle T a t e n und E r w e i s e Seiner Herrlichkeit. Die Anbetung aber schaut hin auf das Innere dieser Herrlichkeit, auf die G ö t t l i c h k e i t  s e l b s t.

Wohl spricht auch sie von den großen Tatsachen des Heils und der Erlösung; aber bei ihr steht nicht, wie bei der Danksagung, der Nutzen und Segen im Vordergrund, den wir aus ihnen gewinnen, und für den wir Gott preisen, sondern sie erblickt in ihnen Kundgebungen und Offenbarungsweisen des inneren Wesens der Gottheit. Die Danksagung betont also besonders das herrliche E r g e b n i s der göttlichen Heilstaten für das erlöste Geschöpf; die Anbetung aber lobpreist ihren göttlichen Urgrund und Ursprung im Herzen des Schöpfers selbst.
In der Danksagung freut sich das Herz über das, was sein Heiland und Herr i h m p e r s ö n l i c h geworden ist; in der Anbetung jubelt die Seele über das, was der heilige Gott aller Liebe und Macht in Sich Selber ist.

Zum Priesterdienst gehört darum auch Zeugendienst. »Die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und das Gesetz s u c h t (!) man an seinem Munde« (Mal. 2, 7). Achten wir darauf: Man e r w a r t e t etwas von uns, weil wir Priester Gottes sind! Oft ist es der Welt völlig unbewußt. Ja, sie würde es sogar auf das energischste bestreiten, wenn man es ihr sagen wollte. Und doch ist es der Fall! Und doch sind gerade w i r ihr die Antwort auf ihre tiefsten und ungelösten Fragen schuldig. Denn wir sind die einzigen, die die Antwort h a b e n ! »Dieser Tag ist ein Tag guter Botschaft; schweigen wir aber . . ., so wird uns Schuld treffen« (2. Kön. 1, 9). »Wehe mir, wenn ich nicht . . . verkündige!« (1. Kor. 9, 16.) Neutestamentliches Priestertum und Evangeliumsbezeugung gehören zusammen. Darum will Paulus »priesterlich dienen am Evangelium Gottes, auf daß das Opfer der Nationen angenehm werde, geheiligt durch den Heiligen Geist« (Röm. 15,16).

Damit aber wird die Gemeinde, als neutestamentliches Priestertum, zugleich auch Prophet Christi. Sie ist Künder Seines Lebenswortes an die Welt. Sie ist Zeuge und Bekenner, also M i s s i o n s – gemeinde ihrem innersten Wesen nach. Nichtausführung des Missionsbefehls beruht darum auf Verkennung des allgemeinen Priestertums, ja des Wesens der Gemeinde überhaupt. Denn zum Wesen der Ekklesia gehört, daß sie W o r t gemeinde ist: Sie lebt durch das Wort, sie nährt sich vom Wort, sie wird gestärkt durch das Wort, sie richtet sich nach dem Wort, und so soll sie in gewissem Sinne nun auch selber «Wort« sein. Die Gemeinde des Herrn lebt v o n Mission – denn nur durch die Ausführung des Missionsauftrags ist das Evangelium zu uns gekommen -, und darum muß die Gemeinde auch praktisch leben f ü r die Mission . »So sind wir denn Gesandte für Christum. Christus »redet« durch uns, »als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi statt: Laßt euch versöhnen mit Gott!« (2. Kor. 5, 20.)

Immer wieder ist seit den Tagen der Reformation die Frage nach der Berechtigung und Möglichkeit der Missionsarbeit gestellt worden. Von vielen ist sie verneint, von den heldenmütigen Pionieren des Gotteszeugnisses in der Völkerwelt mit Wort und Tat bejaht worden. Männer wie Zinzendorf und Ziegenbalg und, im angelsächsischen Sprachgebiet, William Carey, Robert Morrison, David Livingstone, Hudson Taylor waren Bahnbrecher und Bannerträger der Missionsaufgabe der Gemeinde Gottes und bewiesen, daß sie nicht nur möglich, sondern geradezu nötig ist.
In der Tat, der Missionsbefehl Jesu Christi ist niemals zurückgezogen worden. Im Gegenteil, er ist unzertrennbar verbunden mit der Missionsverheißung: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende«.

Am 4. Dezember 1857 besuchte David Livingstone, der große Afrikaforscher und Missionspionier, die Universität Cambridge. Bei dieser Gelegenheit forderte er die christlichen Studenten auf, sich dem Werk des Herrn in Afrika zu weihen. Dabei sagte er unter anderem: »Ich für mein Teil habe nie aufgehört, mich zu freuen, daß mir Gott diesen Dienst anvertraut hat. Man spricht so viel von dem Opfer, das ich gebracht habe, indem ich Afrika mein Leben weihte. Aber kann man das überhaupt Opfer nennen, wenn wir ein klein wenig von dem an Gott zurückgeben, was wir Ihm schulden? Und unsere Schuld ist so groß, daß wir sie nie begleichen können. Ist das ein Opfer, was uns selbst am tiefsten befriedigt, was unsere besten Kräfte zur Entfaltung bringt und zu den größten Hoffnungen berechtigt? Hinweg mit diesem Wort! Hinweg mit solchen Gedanken! Es ist alles andere als ein Opfer! Nennt es lieber V o r r e c h t ! Angst, Krankheit, Leiden, Gefahr, das Aufgeben so vieler, uns scheinbar unentbehrlicher Bequemlichkeiten kann uns vielleicht einen Augenblick zurückschrecken und entmutigen, aber nur einen Augenblick. Es ist nichts im Vergleich mit der Herrlichkeit, die an uns und in uns soll offenbar werden. Ich habe niemals ein Opfer gebracht.

Solche Menschen braucht der Herr, Menschen, in deren Seele eine heilige Glut brennt, die nur e i n e Hauptaufgabe für ihr Dasein hienieden kennen, und das ist die Bezeugung und Verherrlichung der Person ihres Erlösers, die Verkündigung Seines Heilswerkes durch Wort und Wandel, die Ausbreitung Seiner Herrschaft in der Nähe und in der Ferne. Solche Menschen sind in Wahrheit Priester Gottes.

Als vor 160 Jahren, beim Beginn einer neuen Missionszeit, in einer Beratung über Indien ein Diener des Herrn sagte: »Wir sehen, es gibt eine Goldgrube in Indien, aber so tief wie der Mittelpunkt der Erde, und wer will es wagen, sie zu erforschen?«, da gab Carey, der spätere, große Bahnbrecher der Heidenmission, die geradezu klassische Antwort: »Ich will es, ich will hinuntersteigen; aber ihr dürft nicht vergessen, die Stricke gut zu halten.«

Darum, hinweg mit aller Trägheit! Hinweg mit aller kraftlosen, »frommen« Beschaulichkeit! Wir dürfen keine tatenlosen Zuschauer der Taten Gottes sein! Der Trieb zur Ausbreitung ist dem Evangelium in die Seele gelegt. Die Gelegenheiten zum Zeugnis und zum Einladen in die Versammlungen müssen wir geradezu s u c h e n ! »S u c h e, vom Grabesrand Seelen zu retten!«
Auch der Sohn Gottes kam auf die Erde, um zu »suchen«, was verloren ist. Suchst du? Oder hältst du die Verteidigungsstellung für ausreichend, um den Sieg zu erringen, und meinst, auf das andere verzichten zu dürfen?! Dann wäre es weit gefehlt mit deinem Christenleben und deiner praktischen Verwirklichung des »allgemeinen Priestertums«!

Zum Aufbau der Gemeinde gehört aber nicht nur Rettung, sondern auch Weiterführung der Seelen. Auch hier hat das neutestamentliche Priestertum, als Träger des göttlichen Wortes, darum seine Aufgabe. Der »Zeuge« wird «Erzieher«, der «Bote« wird «Berater«. Darum gehört Seelsorge zu den weiteren, besonderen Hauptaufgaben des neutestamentlichen, allgemeinen Priestertums.
Priesterliche Seelen sind Seelsorger in der Gemeinde. Sie haben einen Blick für die Not anderer. Sie haben sehende Augen. Sie betrachten ihre Umgebung nicht mit der Lupe scharfer Kritik, sondern mit dem Blick eines mitempfindenden Herzens. Sie sehen das Gute im Leben und Streben des anderen und benutzen es als Anknüpfungspunkt für ihre seelsorgerische Beratung. Im Heiligtum Gottes empfangen sie das Weisheitswort für die praktische Seelenführung. Wohl sehen auch sie die Unvollkommenheiten der anderen; aber sie haben – wie ihr himmlischer Hoherpriester – zugleich Mitleiden mit ihren Schwachheiten (Hebr. 4, 15). Zugleich bleiben sie sich, in geist-gewirkter Selbsterkenntnis, ihrer eigenen Unvollkommenheit bewußt.

Sie verallgemeinern nicht alles, sondern haben Verständnis für die jeweilige Sonderlage. Sie interessieren sich für den anderen. Sie haben Seele und Wärme. Das Wohl der Einzelseele liegt ihnen am Herzen. Sie haben ein Einfühlungsvermögen in deren persönliche, vielleicht anders gelagerte Wesensart. In Gesprächen reden sie nicht nur, sondern verstehen zugleich die hohe Kunst edlen Zuhörens. Sie lösen sich von ihrer eigenen Schau der Dinge, ihren ichbezogenen Ausdrucksformen, ihren selbstbefangenen Gesichtspunkten, ihren mitgebrachten Meinungen, ihren einseitigen Maßstäben. So gewinnen sie »Distanz« (Abstand) von sich selbst und überwinden damit zugleich die Distanz, die sie vom anderen trennte. So treten sie heraus aus ihrem eigenen Selbst und versetzen sich in den hinein, dem sie dienen wollen.

Auf diese Weise gelangt der wahre, priesterliche Seelsorger vom »Ich« zum »Du« und dadurch zugleich zum gemeinsamen »Wir«, und in dieser Gemeinsamkeit geht er – vom Standort des anderen aus und zusammen mit ihm – zu den jetzt beiden vom Herrn gewiesenen, nun gemeinschaftlich erstrebten, höheren Zielen. Hierbei bestimmt die Marschmöglichkeit des anderen das Tempo der Wanderung. Zur priesterlichen Seelsorge gehört ermahnender Zuspruch.

Es gibt ein vierfaches Ermahnen:
Das hartherzige Ermahnen. Dies ist die unbarmherzige Strafrede, die gefühllos, zuweilen geradezu roh dem anderen seine Verfehlungen vorhält, ihn erniedrigt und schlägt und ihn hochmütig und richterlich herunterdonnert und verdammt. Solche seelenlose Seelsorge erreicht meist nur eins: das Aufziehen einer Widerstandsfront im Herzen des anderen, einer Widerstandsfront, die in dieser Weise zunächst vorher noch gar nicht da gewesen war! Solche »Seelsorger« stehen vor verriegelten Türen. Sie haben sich die Herzenstüren selber verschlossen. Sie schaffen Verhärtung und Verstockung. Sie bewirken Verbitterung und Belastung. Sie sind nicht Priester, sondern Pharisäer. Sie sind S c h e i n – Seelsorger und in Wahrheit nur eine »Sorge« für die »Seelen«!

Wider solche entartete Seelsorge hat Jesus in der Bergpredigt gestritten: »Wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, – und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, ziehe am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!« (Matth. 7, 4; 5.) Das zweite ist:
Das gesetzliche Ermahnen. Es gebietet und befiehlt. Es ordnet einfach an. Es tritt mit dem kategorischen »Du sollst« auf. Es wendet sich an den »guten Willen«, das Ehrgefühl, die moralische Eigenkraft des Menschen. Das Ergebnis ist im besten Fall das Fassen guter Vorsätze, ein neuer, sittlicher Versuch, eine neue Zusammenraffung aller inneren Energien. Am Schluß aber, trotz allem, stets nur – N i e d e r l a g e ! Denn durch Gesetz kommt wohl »Erkenntnis«, nicht aber Überwindung der Sünde (Röm. 3, 20; 8, 3). Diese wird allein durch die Gnade bewirkt. Dennoch steht das gesetzliche Ermahnen auf einer ungleich höheren Stufe als das hartherzige, das in Wirklichkeit ja überhaupt gar kein »Ermahnen« gewesen war.

Das dritte ist:
Das vernünftige Ermahnen. Dies ist noch höher zu bewerten als das gesetzliche. Es ist auch fruchtbringender. Schon das gesetzliche Ermahnen ist nicht ganz zu verwerfen. Es bringt zwar nicht hindurch bis zum eigentlichen Ziel; aber es hat, wie in der Heilsgeschichte der Gesamtheit (Mose!), so auch im Erziehungsweg des einzelnen einen gottgeordneten Platz. Der Vater »befiehlt« seinem kleinen Sohn, auch wenn es oft gar nicht möglich ist, dem Kinde die Gründe dafür zu erklären. Es muß einfach gehorchen, nur weil es der Vater gesagt hat. Und es tut recht daran. Das vernünftige Ermahnen aber geht tiefer in die Innenwelt des zu Ermahnenden ein. Es erklärt, w a r u m das Geforderte befohlen wird. Es ordnet nicht nur an, sondern überzeugt. Es macht die Anordnung einleuchtend und verständlich. Der Angeredete wird höher bewertet, indem er nicht nur äußerlich gehorchen, sondern zugleich innerlich begreifen soll. Das hebt seine Persönlichkeit, macht ihn williger und freudiger, und sein Gehorsam kommt mehr aus dem Inneren heraus, ist organischer und edler. Zum eigentlichen Ziel aber führt erst das vierte:

Das schöpferische, geistliche Ermahnen. Dies schließt das Anordnen und Erklären in sich ein, übertrifft sie aber beide durch das Hinzukommen der Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Auf diese Weise kommt es zu Klärungen und Überführungen, zu Lösungen und Befreiungen, zu geistgewirkten »Herzensentschlüssen« und Willensentscheidungen (Apg. 11, 23), zu Reinigung und Wiedergutmachung, zu vermehrter Hingabe und Auslieferung des ganzen Menschen an den Herrn. Aus dem Schmerz über die Sünde wird, nach Buße und Beugung, zugleich neuer Mut gewonnen. Nicht nur Vergebung, sondern praktische Heiligung wird erreicht. Nicht nur neues Denken, sondern neues Handeln ist die Frucht. Und mit doppelter Zuversicht geht der somit wahrhaft seelsorgerisch Ermahnte seinen Weg freudig und ernst voran.

Darum ist schöpferisches Ermahnen immer zugleich ein Ermutigen. In der Sprache des Neuen Testaments ist »Ermahnung« und »Ermutigung« sogar ein und dasselbe Wort (griech. paraklesis von dem Zeitwort parakaleo). Wer nicht Mut machen kann, soll auch nicht ermahnen. »Ermahnung« ohne Ermutigung ist niederdrückende Kritik. Zum schöpferischen Ermahnen gehört der freudige Hinweis auf die neu machenden Kräfte des Heiligen Geistes. Nur in dieser Gesinnung – in der Liebe und mit dem »Herzen« Jesu Christi (Phil. 1, 8) – kann der neutestamentliche Priester Gottes fruchtbare Seelsorge treiben. Denn geisterfüllte Liebe ist die Seele aller Seelsorge.

Allgemeines Priestertum und biblische Ortsgemeinde. Ebenso wie der einzelne, soll auch die Ortsgemeinde das allgemeine Priestertum in diesem seinem tiefen und umfassenden Vollsinn praktisch betätigen. Auch hier müssen wir es lernen, wieder mehr biblisch zu denken und zu handeln. Eine Gemeinde, die nicht missionieren will, soll entweder Buße tun, oder sie wird eines Tages »demissionieren« müssen! Entweder eingesetzt werden oder abgesetzt werden! Das ist die Entscheidung, vor die der Herr jeden stellt. Entweder leuchten, oder der »Leuchter« der Ortsgemeinde wird von seiner Stelle gestoßen (Offb. 2, 5)! Die Rebe, die nicht Frucht bringt, wird »hinausgeworfen« (Joh. 15, 6).

Mission ist göttliches Muß. »Also . . . muß . . . in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen« (Luk. 24, 47). Es ist nicht in unser Belieben gestellt, ob wir der Welt die Botschaft vom Kreuz bringen wollen oder nicht. Der Befehl des erhöhten Christus steht dahinter! Mit Petrus erklärt er: »Es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden« (Apg. 4,20). Mit Paulus bekennt er: »Eine Notwendigkeit liegt mir auf« (1. Kor. 9, 16).

Als »Priestertum« hat die Gemeinde die Aufgabe, zu »verkünden«. »Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches P r i e s t e r t u m, eine heilige Nation . . ., d a m i t  i h r  die Tugenden dessen v e r k ü n d i g t, der euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht« (1. Petr.2, 9).

Biblische Ortsgemeinden sind keine Konservierungsstätten für christliche Heilswahrheit, sondern Stätten, in denen »gebaut« wird! Und ein jeder sehe zu, w i e er baut! (1. Kor. 3, 10) Es gilt, die Wahrheit nicht nur »festzuhalten«, sondern zugleich »hochzuhalten«, sie gleichsam als Kriegspanier und Siegesbanner der streitenden Zeugenschar voranzutragen! Neutestamentliches Priestertum und Prophetentum sind praktisch überhaupt nicht zu trennen.
Eine besondere Bedeutung haben hier die Gebetszusammenkünfte der Gläubigen. Gemeindegebetsstunde und Weltmission gehören zusammen. Wenn je irgendwo die innere Einheit der prophetisch-missionarischen Aufgabe der Gemeinde mit dem »allgemeinen Priestertum« zu Tage tritt, dann hier. In einer gesund stehenden Ortsgemeinde muß das priesterliche Gebet für die Mission einen breiten Raum einnehmen. (Röm. 15, 30).

Dies wird dann gleichzeitig zu einer Quelle der Belebung und des Segens für die Gemeinde selbst werden. In einer solchen Ausübung des »allgemeinen Priestertums« erlebt die Ortsgemeinde etwas von der Weltweite und Einheit der Gesamtgemeinde. Wenn in den Gebets- oder Gemeindestunden Briefe vom Missionsfeld vorgelesen oder sonstige Mitteilungen aus der Missionsarbeit öffentlich weitergegeben werden, werden die Gebetsstunden belebt. Die Gebete werden konkreter, die Bitten vielseitiger, und alles wird direkter, persönlicher, lebendiger.

Dann wird auch der Dienst in den Zusammenkünften in heiliger Freiheit und Geistesleitung geschehen können, in geistdurchdrungener Entfaltung der verschiedenen, vom Herrn selbst ausgeteilten Geistesgaben (1. Kor. 12, 4-11; 14, 26), und priesterliche Anbetung wird emporsteigen zum himmlischen Heiligtum aus der Mitte der am Tisch des Herrn versammelten, das priesterliche Opfer von Golgatha priesterlich lobpreisenden, feiernden Gemeinde.

3. Das Königtum der Gemeinde.

Mit dem Priestertum verbindet die Schrift das Königtum, mit dem himmlischen Tempel den himmlischen Thron (vgl. Jes. 6, 1-4!). So ist auch die Gemeinde nicht nur ein Priestervolk, sondern zugleich ein Königtum (Offb. 1, 6; 1. Petr. 2, 9), ja geradezu ein »Königreich von Priestern« (vgl. 2. Mose 19, 6). Diese gegenwärtige und zukünftige Herrschaftswürde gehört ebenfalls zu ihrem »Erstgeburtsrecht«. Als die »Versammlung der Erstgeborenen« wird die Gemeinde einst der »Regierungsstab« Christi, die »Herrschaftsaristokratie« im kommenden Reich Gottes sein. »Fürchte dich nicht, du kleine Herde; denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben« (Luk. 12,32). »Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden?« (1. Kor. 6, 2.) Ja, sogar über Engel werden die Erlösten einst richten. »Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron« (Offb. 3, 21). »Der Herr, Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Offb. 22, 5).

III. Die ernste Gefahr.

Nicht aber eigentlich, um die Herrlichkeiten der Gemeinde zu zeigen, spricht der Hebräerbrief vom Erstgeburtsrecht Esaus, sondern um zu w a r n e n ! Gerade auf dem Hintergrund solcher hohen Ehrenstellung ist praktisches Versagen doppelt verwerflich. Hier gilt es, die Gefahren zu sehen und sich entsprechend zu verhalten. Hier gilt es, die Kosten zu überschlagen, was Untreue bedeuten würde! Denn der Preis solcher Sünde wäre nichts Geringeres als Verlust des Vollbesitzes des Erstgeburtsrechts.

Zweifellos, Erstgeburtsrecht ist nicht dasselbe wie Kindschaft. Esau blieb Isaaks Sohn, auch nachdem er seine Erstgeburtsstellung verschleudert hatte. Er erhielt sogar, trotz allem, eine Art Neben-Segen (1. Mos. 27,38; 40b). »Durch Glauben segnete Isaak, in Bezug auf zukünftige Dinge, den Jakob und den Esau« (Hebr. 11, 20).
Aber ungemein groß war doch der Verlust. So kann es in geistlicher Hinsicht auch den neutestamentlichen »Erstgeborenen« ergehen. Wohl bleibt ihr Lebenszusammenhang mit dem himmlischen Vater bestehen – sie s i n d aus dem Tode ins Leben hinübergegangen (1. Joh. 3,14) -; aber sehr große Himmelsgüter stehen dennoch auf dem Spiel!

Reichtum, Priesterstellung, Herrschaftswürde sind die drei Heilsgüter des Erstgeburtsrechts. Aber: Man kann, trotz des Reichtums, in Armut leben. Kein »Überströmen« himmlischer Fülle ist zu bemerken. Kein innerer Reichtum bricht hervor. Kein Glück seligen Erlöstseins strahlt leuchtend auf. Bedrückt gehen Kinder der ewigen Freude umher und, anstatt ihre Wonne an Christus zu haben, schauen sie begehrlich zurück auf die Scheinfreuden und Scheingüter dieser Welt.
Man kann, trotz seiner Königsberufung, praktisch ein Knecht sein. Denn alle irdische Gesinnung ist Verleugnung des Himmelsadels (Kol. 3, 1-3). Alles Haschen nach Geld und Gut macht den »König« zum Bettler. Aller Sorgengeist ist unköniglich, alle Menschenfurcht unwürdig, alle Empfindlichkeit und Verletztheit kleingeistig und armselig. Überhaupt aller Sündendienst macht den berufenen Herrscher zum Sklaven, und die Sünde, die doch der Besiegte und Unterlegene ist, gebärdet sich als Regent und Tyrann. In Wahrheit aber soll der Christ der Überlegene sein.

Und wie ernst werden die Auswirkungen für die Ewigkeit sein! Bei aller persönlichen Errettung, wie groß der Verlust! Nach dem ausdrücklichen Wort Pauli, des Apostels der Gnade (!), wird der »Tag Christi« für die Gemeinde »in Feuer« geoffenbart werden. »Und das Feuer wird erproben, welcherlei das Werk eines jeden ist« (1. Kor. 3, 13). Da kann es dann geschehen, daß einem – unter Umständen d i r ! – das ganze Lebenswerk verbrennt, daß du zwar errettet wirst, doch nur wie ein Brand aus dem Feuer, das heißt, »wie einer, der bei einem Brande nur mit dem nackten Leben davonkommt« (1. Kor. 3, 15). Die »Kindschaft« ist zwar unverlierbar, nicht aber die Gesamtfülle des »Erstgeburtsrechts«!

IV. Der verhängnisvolle Irrtum

Welches aber war der verhängnisvolle Irrtum, den Esau beging und der uns als ein warnendes Beispiel vor Augen gestellt wird? Er verkaufte für e i n e Speise sein Erstgeburtsrecht! Man spürt geradezu seinen Worten die Unbeherrschtheit und Gier ab: »Laß mich doch essen von dem Roten, von dem Roten da!« Und ebenso seine materialistische Gesinnung und Ichbezogenheit: »Ich muß ja doch sterben! … Wozu mir da das Erstgeburtsrecht?« (1. Mos. 25,30-32, Elb.).

Esau lebte dem Leiblich-Sichtbaren und verschleuderte das Geistige, also allein Wahre. Esau »verachtete« Gottes Ehrengabe (1. Mos. 25, 34) und brachte sich damit selbst in Verachtung (1. Mos. 27, 37). So lebte er seinem Ich und verschleuderte damit die Berufung seiner Familie. So lebte er dem Augenblick und verschleuderte Werte der Ewigkeit! Durch dies alles bewies er, daß er ein gottloser, profaner Mensch war, ein säkularisierter Patriarchensohn, d. h. ein verweltlichter Nachkomme eines Trägers höchster Gottesverheißungen. Darum sagt Gott, der, kraft Seiner Überzeitlichkeit, von vornherein alles gesehen hatte, schon vor der Geburt der beiden Brüder: »Den Jakob habe ich geliebt, aber den Esau habe ich gehaßt« (Röm. 9,13). Das ist nicht feindseliger Haß, wohl aber Ablehnung und Verwerfung. Ohne jene seine Verschuldung wäre das Erstgeburtsrecht bei i h m geblieben, und alle seine heilsgeschichtlichen Folgeentwicklungen b i s  h i n  z u m M e s s i a s wären nicht über seinen Bruder Jakob gegangen, sondern über ihn, Esau, über s e i n e Nachkommen, also nicht über »Israel«!
Nun aber konnte er weinen und wehklagen und seinen Vater flehentlich um den Segen bitten (1. Mos. 27, 34): er konnte keine »Umstimmung« Isaaks erreichen. Für eine »Rückgängigmachung« der unter der Inspiration des Geistes Gottes von Isaak getroffenen Entscheidung war »kein Raum« mehr! Dies scheint der Sinn der Worte zu sein: Er fand keinen Raum für die »Umänderung«, obwohl er sie mit Tränen suchte. Das griech. Wort metanoia, das sonst in der Schrift »Buße« bedeutet, kann hier wohl kaum diesen Sinn haben. Denn wenn jemand die »Buße« mit Tränen sucht, steht er eigentlich schon i n der Buße, und man kann von einem solchen Menschen kaum sagen: Er fand keinen Raum für die Buße. Die eifrigen Tränen würden ja beweisen, daß er die Buße (Sinnesänderung) hat! Esau fand keinen Raum für die »Rückgängigmachung« der nun einmal zu Gunsten Jakobs bereits erfolgten Segenserteilung. Hiermit stimmt auch der alttestamentliche Bericht überein, der nirgends davon spricht, daß Esau unter heißen Tränen sich um eine innere Umwandlung bemüht hätte, der aber sehr wohl erkennen läßt, daß er tatsächlich nichts anderes begehrte als den noch dazu recht äußerlich verstandenen Segen (1. Mos. 23, 34; 38).
Und was hatte er dafür als Ersatz erhalten? – Ein Linsengericht!

So schlecht bezahlt die Sünde ihre Diener! Du aber, mein lieber Leser, lies die obigen Sätze noch einmal und frage dich, ob sie nicht unter Umständen ein Spiegelbild d e i n e s Verhaltens sind! Wenn vielleicht auch nicht immer, so aber möglicherweise doch erschütternd oft! Nimm darum die Warnung des Hebräerbriefes ernst! Es steht viel auf dem Spiel: Ewiger Gewinn oder unwiederbringlicher Verlust! »Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?« (Matth. 16, 26)

Was heißt »nach den Gesetzen des Kampfspieles kämpfen«? – Derjenige kämpft nicht nach den Regeln des Wettspieles, der sich durch irgend einen Kunstgriff einen l e i c h t e n Sieg zu verschaffen sucht – etwa versucht, an einer Kurve die vorgeschriebene Bahn abzukürzen -, der sich also die Sache bequemer machen will, als sie in Wirklichkeit ist. Dann mag er vielleicht in den irdischen Spielen sein Ziel wirklich früher erreichen als andere, aber der Kampfrichter wird sein Tun dennoch nicht anerkennen. So suchen sich auch heute viele, die wahre Christen sein wollen, den Kampf etwas leichter zu machen, als er in Wahrheit ist. Sie machen hier ein kleines Zugeständnis oder schließen dort einen kleinen Kompromiß. Sie wollen zwar auch ans Ziel gelangen, aber sie möchten sich den Preis doch etwas »billiger« machen. Lassen wir uns da nicht täuschen! Christus, der Herr, erwartet eine g a n z e Hingabe! Fort mit allen Versuchen, den schmalen Weg etwas breiter und gangbarer zu machen! Der Herr will unser ganzes Herz!

In Rom, im Mittelpunkt des verkehrsreichen Platzes Piazza del Popolo, sah ich einen großen, höchst eindrucksvollen, 30 Meter hohen, altägyptischen Obelisken. Er hatte ursprünglich im Circus Maximus gestanden, diesem riesigen, einst prachtvoll ausgebauten Sportstadion der römischen Kaiserzeit, dessen Anfänge bis in die Zeiten vor Gründung der römischen Republik zurückreichen (König Tarquinius Priscus, 500 v. Chr.). Von dort war er, jetzt vor 400 Jahren, durch Papst Sixtus V. an seine jetzige Stelle versetzt worden. Er gehört zu den ältesten Bauwerken, die Rom besitzt. Seine noch heute gut erkennbare, altägyptische Hieroglypheninschrift besagt, daß er errichtetet worden war in der Zeit des großen Pharao Ramses II. in der alten Sonnenstadt Heliopolis, – unweit des heutigen Kairo (ägypt. On, hebr. Beth-Schemesch, Jer. 43, 13!), in der Patriarchenzeit die Heimatstadt des Schwiegervaters Josephs, Potiphera, der dort Priester des Sonnengottes Ra war (1. Mos. 41, 45; 50; 46, 20) – also im 13. bzw. 12. vorchristlichen Jahrhundert, das heißt, ungefähr 200-300 Jahre vor David und Salomo. Im Jahre 10 v. Chr. hat ihn dann Kaiser Augustus von Ägypten nach Rom bringen lassen und ihn zu Ehren des Sonnengottes Apoll in dem gewaltigen Circus Maximus aufgestellt. Dort bildete er in der »Spina« (dem »Stachel«, der mit Standbildern geschmückten, mittleren Schranke) dieses ungeheuren Sportstadions gleichsam den Schwerpunkt und Brennpunkt der Kampfbahn.
Vom Palatin aus, dem Platz der altrömischen Kaiserpaläste – neben dem Forum, dem Marktplatz des alten Rom – überblickte ich, unweit der Ruinenstätte des Palastes von Kaiser Augustus stehend, die ausgedehnte Trümmerfläche dieses größten Sportstadions der Alten Welt. Nicht weniger als 200 000 Zuschauer konnten seine Sitzreihen fassen.
Dieser altägyptische Sonnen-Obelisk war der Punkt, der von allen Wagenkämpfern und Rennfahrern umfahren werden mußte. Eine Abkürzung der Kampfbahn war unmöglich. Jeder Kämpfer, ob Wagenlenker oder Läufer, mußte die volle Länge der Kampfbahn durcheilen. Kein einziger konnte sie sich abkürzen. Nicht einer konnte sich den Sieg durch Erleichterung bequemer machen. Jeder mußte den Volleinsatz wagen und die volle Aufgabe auf sich nehmen. Nur so hatte er Aussicht auf den Siegespreis!

Davon ist dieser altägyptische Obelisk für jeden, der seine Geschichte kennt, noch heute ein beredtes Zeugnis. Lassen wir es uns ganz unzweideutig sagen: Es gibt keinen Sieg ohne Einsatz, keinen Volltriumph ohne Aufgabe der Bequemlichkeit, kein wahres Ja zu Gott ohne praktisches Nein zu Ich, Sünde und Welt! Wenn du irgendeine Gebundenheit der Sünde hast oder irgend eine noch nicht geordnete Schuld der Vergangenheit, so räume diese Dinge in der Kraft des Herrn hinweg, auch wenn es dir schwer fällt! Dies alles kostet zwar gewiß Selbstverleugnung. Aber Selbst-verleugnung ist einfach unerläßlich (Matth. 16, 24).

»Keiner wird dereinst gekrönt,
Der im Kampf und Strauß,
In der Drangsal dieser Zeit,
Hält nicht standhaft aus.
Geist und Feuer brauchen wir,
Glut, die ewig brennt.
Drum betrübe nicht den Geist,
Wer den Herrn bekennt!«

V. Die Stunde der Entscheidung.
Zugleich sehen wir in Esau’s Erfahrung etwas von der Taktik der Sünde. Sie benutzt die »schwachen Stunden« im Leben eines Menschen, um ihn zu Fall zu bringen. Esau war »müde«, als er seine große Fehlentscheidung traf (1. Mos. 25, 29). »Laß mich doch essen von dem Roten, von dem Roten da; denn ich bin matt!« (Vers 30.) So kam es in seinem Leben zu jenem unseligen »Heute« (1. Mos. 25, 31).
Das ist überhaupt die durchgehende Methode der Sünde. Sie erkennt die schwachen Punkte und kritischen Augenblicke und ist jederzeit sprungbereit, sich auf ihr Opfer zu stürzen.
So hatte Kain seine »schwache Stunde«, als ihn der Neid packte und er zum Brudermörder wurde (1. Mos. 4, 5-8).

David hatte seine »schwache Stunde« und fiel tief in die Sünde, die dann viel Leid über ihn und das Haus Urias gebracht hat (2. Sam. 11, 2-5; 17; 26 ff.).
Petrus hatte seine »schwache Stunde«, als er seinen Meister am Lagerfeuer vor einer Magd verleugnete (Mark. 14, 66-72).

Ananias und Saphira hatten ihre »schwache Stunde«, als sie größeren Missionseinsatz heuchelten, als wie sie ihn in Wirklichkeit betätigt hatten, und wurden darum aus der Gemeinde und dem Leben ausgelöscht (Apg. 5, 1-10).
Aber gerade diese »schwachen Stunden« sind die Stunden der Entscheidung. Hier wird offenbar, was wir in Wirklichkeit eigentlich sind. Die Stärke einer Kette richtet sich nach dem schwächsten Glied. Eine Schlachtfront ist durchstoßen, wenn ihre dünnste Stelle bricht.
Darum sind Niederlagen in »schwachen Stunden« niemals durch die schwierigen oder plötzlichen Umstände zu entschuldigen. Was der Soldat wert ist, zeigt nicht der Parademarsch, sondern der Schlachtengang. Wir sind eben nur das, was wir in Schwierigkeiten sind. Die» schwachen Stunden« sind die Examina unseres Glaubenslebens. Die Umstände »stehen« nur »um – herum«. Sie sind immer nur Kampffeld, nicht aber entscheidender Kampffaktor in unseren Erprobungsstunden.

Die ersten Menschen sündigten im Paradiese. Sie fielen in einer Umgebung, die von vornherein alle Bedingungen für ein gottgemäßes Leben zu gewährleisten schien. Umgekehrt lesen wir von der Gemeinde in Pergamon: »Ich weiß, wo du wohnst, wo der Thron des Satans ist; und du hältst fest an meinem Namen und hast den Glauben an mich . . . nicht verleugnet . . .,wo der Satan wohnt« (Offb. 2, 13).
Achten wir auf dieses zweimalige: »Wo der Thron Satans ist« – »Wo der Satan wohnt«!
In Pergamon sprachen also alle Umstände w i d e r die Christen, und dennoch blieben sie treue Bekenner! Man kann im Paradiese sein Paradies verlieren, und man kann da, wo der Satan seinen Thron hat, den Namen Christi treu bekennen.
Niemals hängt der Zustand unserer I n n e n welt letzten Endes von unserer A u ß e n – und U m welt ab, sondern einzig und allein von unserem Verhältnis zur himmlischen Ü b e r welt und dort zum Thron Gottes und Dem, der auf dem Throne ist!
Das ist äußerst ernst im Hinblick auf alle Oberflächlichkeit, da es uns jede Möglichkeit zu leichter Selbstentschuldigung nimmt, als ob beim Sündigen die schwierigen Umstände und weniger wir selbst verantwortlich zu machen seien! Und zugleich ist es außerordentlich ermutigend, da wir nun wissen, daß nichts u m uns herum eine Allgewalt besitzt, uns aus dem rechten Verhältnis zu dem Herrn ü b e r uns herauszureißen.

»Ich bin überzeugt, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünfti-ges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgend ein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn« (Röm. 8, 38; 39).

Dasselbe gilt auch im Hinblick auf unseren Zeugendienst. Gar mancher entschuldigt seine Zeugnislosigkeit mit der Ungunst der Verhältnisse. Er schweigt, wo er reden sollte, oder er gibt es gar überhaupt auf, seiner Umgebung Christus zu bekennen, und er begründet dies mit dem Hinweis auf den »harten Boden«, der jede Fruchtbarkeit seines Bekenntnisses ja sowieso unmöglich mache. So werden gottgegebene, günstige Zeitpunkte verpaßt, und Zeugnisgelegenheiten werden zu »schwachen Stunden« voller Niederlage. Ja, gerade dann, wenn viele Widersacher gegen Gottes Werk anstürmen, sind oft in besonderem Maße, im Sinn der Schrift, »offene Türen« da. Sagt doch der Apostel, der große Pioniermissionar Christi: »Eine große und wirkungsvolle Tür ist mir aufgetan, und der Widersacher sind viele« (1. Kor. 16, 9). Offene Türen und Widersacher gehören also oftmals zusammen.
Von der Welt bekämpft, aber doch nicht besiegt, vom Unglauben verneint, und doch nicht widerlegt, von den Menschen in den Tod gegeben, und doch immer wieder lebensstark, also gleichsam »gestorben, begraben und stets wieder auferstanden!«

Vl. Das Erstgeburtsrecht und der himmlische Kampfpreis.

Der warnende Hinweis auf Esau und den Verlust seines Erstgeburtsrechts wird im Zusammenhang einer Botschaft gegeben, die mit der Forderung des Laufens in der Kampfbahn des Glaubens beginnt. »Lasset uns laufen den vor uns liegenden Wettlauf!« (Hebr. 12, 1.) Es ist eine Botschaft, die ein zielbewußtes Durchhalten im Rennen (V. 1), eine Überwindung aller Ermüdungserscheinungen (Vers 3-12), ein geistgewirktes, energievolles »Jagen« verlangt. »Richtet auf die erschlafften Hände und die erlahmten Knie!« (V. 12.) »Tut feste Tritte mit euren Füßen!« (V. 13.) »Jaget!« (V. 14.)

In diesem Zusammenhang nennt Gottes Wort große Gefahren, die ein Versagen im Kampf mit sich bringen würde. Man kann, statt in der Kampfbahn zu »laufen«, »straucheln wie ein Lahmer« (V. 13). Man kann, statt in der Fülle zu leben, »Mangel leiden an der Gnade« (V. 15). Man kann, statt ein Segen zu sein, eine »Giftpflanze« werden zur Verunreinigung vieler (V. 15). Und aufrüttelnd, ja in ihren Schlußworten geradezu erschütternd, klingt die ernste Ermahnung: »Jaget dem Frieden nach mit allen und der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen wird!« (V.14.) Der Kampfpreis wird eben nicht ohne weiteres gewährt, sondern setzt Glaubensenergie und Treue voraus. Der Kampfpreis aber ist – im Zusammenhang unseres Kapitels – der Vollgenuß des himmlischen Erstgeburtsrechts! Fünf Tatsachen sind es hier, die in ihrer gemeinsamen Zusammenschau das Wesen des Kampfpreises erkennen lassen.

Der Kampfpreis ist nichts Selbstverständliches, sondern muß ernstlich errungen werden! Wohl ist die Rechtfertigung ein Geschenk der freien Gnade; aber das Maß der Verherrlichung hängt von dem Einsatz im »Lauf« ab. Da kann es geschehen, daß ein Gläubiger »unbewährt« ist, daß ihn der Kampfrichter, »der Herr, der gerechte Richter« (2. Tim. 4, 8), bei der Kronenverteilung für »disqualifiziert« erklärt (1. Kor. 9, 27). Er erhält keinen Siegeskranz. »Auf daß ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verwerflich werde.« Das für »verwerflich« gebrauchte Wort der Ursprache (griech. adokimos) bezeichnet hier einen Wettkämpfer, der die Prüfung durch den Kampfrichter und Leiter des Wettkampfes nicht besteht und darum bei der Preisverteilung als Ausgeschlossener dasteht. Das ist außerordentlich ernst.

Zugleich aber ist zu sagen:

Der Kampfpreis ist nicht gleichbedeutend mit ewigem Leben, sondern hängt mit der Verherrlichung zusammen. Bei allem Ernst einer solchen Möglichkeit bedeutet dies aber nicht ein unter Umständen vom Herrn verfügtes Verlorengehen des unbewährten Wettläufers. Auch bei Esau blieb, trotz des Verlusts seines Erstgeburtsrechtes, sein Sohnesverhältnis bestehen. Wohl spricht die Schrift in ungemein ernsten Ausdrücken von »Schaden« und »Verlust« (1. Kor. 3,15), von »Verbrennung« des ganzen Lebenswerkes (V. 13), von »Beschämtwerden« vor Seinem Angesicht (1. Joh. 2, 28), so daß einer schließlich nur gerettet wird wie ein Brand aus dem Feuer (1. Kor. 3, 15b).

Aber sie bezeugt eben damit doch, daß er »errettet« wird. So verbindet sie beides: Gnade und Lohn, und stellt beide in ihrer Zusammengehörigkeit und ihrem zugleich harmonischen Gegensatz nebeneinander, wie die Pole einer Magnetnadel einen Gegensatz bilden und doch zugleich unzertrennbar zusammengehören:
Errettung und Verherrlichung,Wiedergeburt und Vollendung, Begnadigung und Krönung, Eintritt in die Kampfbahn und Preisverteilung am Schluß.
Durch dies alles aber soll beides erreicht werden: Freude und Ernst, Dankbarkeit und Verantwortlichkeit, Heilsgewißheit und Gottesfurcht. Denn nur in diesem polaren Gegensatz gibt es praktische, biblische Heiligung.

Der Kampfpreis ist nicht für jeden gleich groß, sondern wird je nach der Treue bemessen. Himmlische Segensfülle, priesterlicher Dienst, königliche Würde – das sind die drei Heilsgüter des Erstgeburtsrechts. Vollgenuß des Erstgeburtsrechts aber ist der Kampfpreis. Je treuer nun ein vom Herrn himmlisch Gesegneter seinen »Segensreichtum« verwaltet hat, je hingegebener ein Priester Gottes das allgemeine »Priestertum« auf Erden betätigt hat, je »königlicher« ein Kind des himmlischen Königs sich in seinem Erdenleben verhalten hat, je wahrer und echter also ein Glied der »Gemeinde der Erstgeborenen« sein Erstgeburtsrecht im Leben praktisch verwirklicht hat, desto reichlicher und umfassender wird ihm einst der Vollbesitz des himmlischen Erstgeburtsrechts zuteil.

Der Kampfpreis ist nicht für die »Fertigen«, sondern für die angespannt Eilenden. Zum Vollbesitz des »Kleinods« gelangt nicht ohne weiteres jedermann. Am allerwenigsten die, die sich dessen sicher fühlen! Nicht umsonst sagt der Herr: »Selig sind die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie, nur sie allein (!) – in der Ursprache ist das Wort . »sie« ganz stark herausgestellt, um die Ausschließlichkeit hervorzuheben – sollen satt werden« (Matth. 5, 6). Und Paulus erklärt: »Wisset ihr nicht, daß die, so in den Schranken laufen, die laufen alle; aber nur e i n e r erlangt das Kleinod?! Laufet nun also, daß ihr es ergreifet!« (1.Kor. 9,24.) »So jemand auch kämpft, wird er doch nicht gekrönt, er kämpfe denn recht!« (2. Tim. 2, 5.)
Bei diesem allen aber bleibt es ermutigende Wahrheit:

Der Kampfpreis wird nicht mit irdischen Mitteln erreicht, sondern mit den Kräften der Gnade gewonnen. Unser eigenes Tun ist ohnmächtig und nichts. Auch unser allerbestes Wollen und Streben bringt uns nicht ans Ziel. Dies vermag Christus allein. Darum schaut der Läufer in der Kampfbahn auf Ihn, von dem alle Kraft kommt. Jeder Sieg über die Sünde, jedes Wachstum in der Heiligung, jedes Vorwärtskommen im Lauf war durchaus ein Geschenk Seiner freien Gnade. Da ist keine einzige, menschliche Leistung. Nur wer aus den Gaben der Gnade lebt, wird am Ende das Vollziel erreichen können.

Was aber wird einst bei der Preisverteilung geschehen? – Vor Gott gilt nur Sein eigenes Werk. Er selbst aber hat alles geschenkt. Und nun schenkt Er uns dann noch die ewige Ehrenstellung dazu! Das heißt: Er beschenkt uns, die wir doch gar nichts geleistet und kein Heil verdient haben, am Ziel der Kampfbahn einfach noch dafür, daß wir uns haben beschenken l a s s en! Darum gehört Ihm aller Ruhm. Darum ist auch der Kampfpreis – der Vollgenuß des Erstgeburtsrechts -, bei aller Bedingtheit durch den Glaubenseinsatz des zu Krönenden, ein unverdientes Geschenk des frei gebenden Gottes. Er ist »Lohn« a u s »Gnade«.

Die »Krone der Gerechtigkeit« (2. Tim. 4, 8),
die »Krone des Lebens« (Offb. 2, 10),
die »Krone des Ruhmes« (1. Thess. 2, 19),
die »unvergängliche Krone« (1. Kor. 9, 25; 26),
die »Krone der Herrlichkeit« (1. Petr. 5, 3; 4)!

Wie verblaßt doch alles Irdische gegen die Herrlichkeit des Himmlischen! Wie sinkt es, im Vergleich zum Ewigen und Göttlichen, geradezu zur Bedeutungslosigkeit herab! In der Tat, nicht nur die Leiden, sondern auch die Herrlichkeiten dieser Welt sind nicht einmal wert, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll (Röm. 8, 18
Darum gilt es stets von neuem – mitten in der Kampfbahn des Glaubens: »Lasset uns aufsehen auf Jesum!«

7. Kapitel. Hinhören! Gott spricht!

Hebr 12, 18 – 29 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter und nicht zum Schall der Posaune und zum Ertönen der Worte, bei denen die Hörer baten, daß ihnen keine Worte mehr gesagt würden; denn sie konnten’s nicht ertragen, was da gesagt wurde: »Und auch wenn ein Tier den Berg anrührt, soll es gesteinigt werden.«
Und so schrecklich war die Erscheinung, daß Mose sprach: »Ich bin erschrocken und zittere.«
Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut.
Seht zu, daß ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden redete, wieviel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel redet.
Seine Stimme hat zu jener Zeit die Erde erschüttert, jetzt aber verheißt er und spricht: »Noch einmal will ich erschüttern nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel.«
Dieses »Noch einmal« aber zeigt an, daß das, was erschüttert werden kann, weil es geschaffen ist, verwandelt werden soll, damit allein das bleibe, was nicht erschüttert werden kann.
Darum, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen, laßt uns dankbar sein und so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.

Wenn Gott spricht, muß der Mensch hören! Jedesmal wenn Gottes Wort verkündet wird, sind wir die von Gott selbst Angeredeten. Dann steht unser kleines Ich unmittelbar vor Seinem großen, göttlichen Ich, und dann fällt jedes mal eine Entscheidung. Es ist die Entscheidung, ob wir hinhören oder vorbeihören wollen, Gott gehorchen oder Gott ignorieren, uns verhärten oder Seinen erlösenden Herrschaftsanspruch praktisch anerkennen.
Gewaltig ist die Einleitung des zweiten Teils des Buches des Propheten Jesaja, dieses glaubenskühnen »Evangelisten des Alten Bundes«.
»S t i m m e eines Rufenden!« (Jes. 40, 3.) »S t i m m e eines Sprechenden!« (Jes. 40, 3.) »Erhebe mit Macht deine Stimme!« (Jes. 40, 9.)
Sprich: »S i e h e, da, euer Gott!« (Jes. 40, 9.) »S i e h e, der Herr, Jehova, kommt!« (Jes. 40, 10). »S i e h e, sein Lohn ist bei ihm!« (Jes. 40, 10.)
Achten wir darauf: Dreimal: »Stimme, Stimme, Stimme!« Dreimal: »Siehe, siehe, siehe!«
Wie sechs gewaltige Fanfarenstöße klingen diese Worte an unser geistiges Ohr! Es gibt jetzt etwas zu hören!
Oder, wie es siebenmal in den Sendschreiben der Offenbarung gesagt wird: »Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!« (Offb. 2 und 3).
Wenn Gott spricht, muß der Mensch hören! Dann steht »Er Selbst« vor »dir selbst« und »du selbst« vor »Ihm Selbst«, und dann fällt jedesmal eine Entscheidung!

Dies ist zugleich die besondere Botschaft des Schlußabschnitts von Hebräer 12. »Sehet zu, daß ihr den nicht abweist, der da redet!« (Hebr. 12, 25.)
»Lasset uns aufsehen auf Jesus!« »Lasset uns h i n h ö r e n auf Jesus!«
Wie vier leuchtende Ausrufungszeichen stehen sie da, diesem neutestamentlichen Warnungswort Nachdruck verleihend. Geradezu unüberhörbar! Und zugleich schaut der heilige Text zurück in die alttestamentliche Vergangenheit und stellt fest: Wenn damals schon gehört werden mußte, wieviel mehr dann erst recht jetzt! Wenn damals schon die alttestamentlichen Heiligen, die doch erst in der heilsvorbereitenden Vorstufe lebten, zum Hinhören auf Gott und zum praktischen Glaubensgehorsam verpflichtet gewesen waren, wieviel mehr dann doch erst recht wir, die wir heute in der neutestamentlichen Erfüllungszeit leben!
Zuerst aber ist von dem Heilsreichtum die Rede, den die in dieser Weise vor Gott Verpflichteten besitzen.

I. Vom himmlischen Reichtum der Gemeinde Jesu.
Drei herrliche Tatsachen leuchten uns hier entgegen; und zwar in dauernd sich steigerndem Strahlenglanz.

1. Als Glaubende sind wir wahrhaft B e s i t z e n d e. Der Hebräerbrief sagt: »Ihr s e i d gekommen zum Berge Zion« (Hebr. 12, 22). Es i s t also schon etwas geschehen! Eine Gnadenstellung ist bereits eingenommen. Es ist der Standort am Fuß des himmlischen Gottesberges. Wenn auch die Gipfelbesteigung erst in der Verherrlichung kommt, so ist dieser Standort doch schon heute der uns in Gnaden geschenkte, mit der Ewigkeit fest verbundene Ausgangspunkt unserer zukünftigen »Erhöhung«. Und in diesem Sinn ist jeder Glaubende ein wahrhaft Besitzender.
Ja, mit Recht ist gesagt worden: Die Gläubigen sind »die e i n z i g besitzende Klasse in der Welt«. Denn alles Irdische ist uns ja nur geliehen. Das Höchste ist, daß wir es bis zum Abschluß unseres Erdenlaufs benutzen dürfen. Dann aber müssen wir es verlassen und gehen, was irdische »Besitztümer« betrifft, genau so leer aus dieser Welt heraus, wie wir leer i n diese Welt eingetreten sind.
Aber noch mehr: Auch w ä h r e n d der Zeitspanne, in der wir es gebrauchen dürfen, verbindet es sich niemals mit unserem innersten Wesen. Auch während der Nutznießungszeit stehen sich »Besitzer« und »Besitztum« als Subjekt und Objekt getrennt gegenüber. Kein irdisches Gut verbindet sich geistig organisch mit der Zentralsubstanz der menschlichen Persönlichkeit. Darum nennt Jesus alles Irdische geradezu das »Fremde« (Luk. 16,12). Erst das Ewige ist für den Gläubigen das »Seine«. Das Irdische aber bleibt stets ein »Anderes«, als wir selbst sind. Hier kommt es nie zu wahrem Einssein, sondern es bleibt stets bei einer Zweiheit.
Die himmlischen Güter aber gehen in unser Wesen ein. Darum haben wir nicht nur Licht »empfangen«, sondern »sind« Licht »geworden«. (Eph. 5, 8). Darum haben wir nicht nur Gerechtigkeit »erhalten«, sondern »sind« Gerechtigkeit »geworden« (2. Kor. 5, 21). Darum ist der himmlische Heilsbesitz uns in Christus durch den Heiligen Geist personhaft eingepflanzt, und als Glaubende sind wir wahrhaft Besitzende.

»Wir haben einen Felsen, der unbeweglich steht.
Wir haben eine Wahrheit, die niemals untergeht.
Wir haben Wehr und Waffen in jedem Kampf und Streit.
Wir haben eine Wolke von Gottes Herrlichkeit.
Wir haben hier die Fülle, seitdem der Heiland kam.
Wir haben dort ein Erbe, so reich und wundersam.
Wir haben Glück, das leuchtend und unbeschreiblich ist.
Wir haben alles, alles in Dir, Herr Jesu Christ.«

2. Als Besitzende haben wir schon heute die Güter der zukünftigen, himmlischen Welt. Der »Zionsberg« ist’s, zu dem wir gekommen s i n d, die »Stadt des lebendigen Gottes«, das »himmlische Jerusalem«, »Myriaden von Engeln«, die »Festversammlung« in der Ewigkeit (Hebr. 12, 22; 23). Also wir s i n d schon da angelangt, wo wir ewig sein w e r d e n! Das Zukünftige ist schon gegenwärtig. Wir sind schon mit Christus in die »himmlischen Örter« versetzt (Eph. 2, 6). Wir sind nicht nur mit Ihm gekreuzigt, mitbegraben, mitauferstanden (Röm. 6, 3-6), sondern wir haben durch den Heiligen Geist auch Seine Himmelfahrt schon miterlebt. Das »ewige Leben« gehört uns schon mitten in dieser Zeit (Joh. 3,16; 36; 5,24)!

Der Ausdruck »die himmlischen (Örter)« kommt nur im Epheserbrief vor und zwar dort fünfmal. Da – buchstäblich übersetzt – eigentlich nur dasteht: »in den himmlischen«, hat man dies, zum Beispiel in Eph. 1, 3, in verschiedener Weise zu ergänzen versucht, so vor allem durch »himmlische G ü t e r« oder» himmlisches W e s e n« : Gott hat uns gesegnet mit allerlei geistlichem Segen »in himmlischen G ü t e r n durch Christum« (Luth.) oder »im himmlischen R e i c h«. Aber das sonstige Vorkommen dieses Ausdrucks zeigt klar, daß er durchaus ö r t l i c h verstanden werden will. Denn im gleichen Epheserbrief sagt Paulus – und er gebraucht dabei genau dieselben Worte (griech. en tois epouraniois) -, daß Gott Christus in der Himmelfahrt gesetzt habe »zu seiner Rechten in den himmlischen«, was nur heißen kann: »in den himmlischen Ö r t e r n« (Eph. 1, 20), und in Kap. 2, 6 sagt er, daß Gott uns mit Christus habe »mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen«, was ebenfalls nur heißen kann: »in den himmlischen Örtern«.

In Kap. 3 spricht der Apostel von den »Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen«, die in der Gemeinde die Weisheit Gottes erkennen sollen (Vers 10), und in Kap. 6 von den »geistlichen Mächten der Bosheit in den himmlischen«, gegen die unser Kampf geht – alles Stellen, in denen der Ausdruck »in den himmlischen« sinngemäß nur ergänzt werden kann durch: »himmlische Örter, Gegenden, Sphären, Regionen«.

Der gewaltige Gedanke, der diesem allen zugrunde liegt, ist eben der: Der Christ ist durch die Wiedergeburt zu einem himmlischen Leben gezeugt. Sein Bürgertum ist im Himmel. Sein Lebensinhalt ist himmlisch bedingt. Sein Glück ist himmlischer Art. Sein Lebensziel ist der Himmel selbst (Phil. 3, 20). So wie Christus, der letzte Adam, »der Himmlische« ist, so sind auch wir, die Glieder Seines Leibes, der neuen Menschheit, »die Himmlischen« (1. Kor. 15,48).
Der Christ steht eben, solange er auf Erden lebt, in zwei Welten. Er gehört Himmel und Erde zugleich an. Darin besteht sein Adel. Darin besteht aber auch die Spannung seines Daseins. Er weiß: Christus, sein Heiland, ist der »Erhöhte« im Himmel (Phil. 2, 9; Eph. 4, 10) und doch zugleich der in ihm Wohnende auf Erden (Eph. 3, 17), und er selbst, der Erlöste, lebt noch hier unten auf Erden (Joh. 17, 11) und ist doch zugleich mit Christus versetzt in die himmlischen Örter (Eph. 2,6). Die Verbindung von beiden aber ist der Geist. Denn der Geist kam von oben herab, von dem »Christus über uns«, vom Himmel auf die Erde (Apg. 2, 33), und der Geist führt von unten empor, als der »Christus in uns«, von der Erde in den Himmel (Kol. 1, 27; 2. Kor. 3,17).

Erst von dieser Grundlage aus ist es auch möglich, eine himmlische Gesinnung praktisch zu betätigen. Solange der Gläubige seine himmlische Stellung in Christus noch nicht verstanden hat, wird er immer zwischen Weltlichkeit und Gesetzlichkeit schwanken. Denn entweder wird er überhaupt seine Beziehung zum Herrn und zur himmlischen Welt vernachlässigen und sich von den irdischen Dingen gefangen nehmen lassen und sinnen auf das, was u n t e n ist; oder aber er wird versuchen, in eigener Kraft krampfhaft das Himmlische festzuhalten, dies jedoch – weil ihm der Glaubensblick für die Stellung in Christus und die himmlischen Kraftquellen fehlt – in gesetzlicher, unfreier, freudloser Weise tun und folglich ebenfalls nicht zu einem Siegesleben gelangen. Nein, was wir brauchen, ist ein dankbares Anerkennen der uns in Christus geschenkten Gnade, ein lebendiges Erfassen unserer, von Gott gewirkten, himmlischen Stellung, ein mit Hingabe der Seele verbundenes Ergreifen der Gaben Gottes. Und von hier aus wird dann wahre, himmlische Gesinnung alle Gebiete des Lebens nach allen Richtungen hin durchdringen.

Darum danke für die empfangene Erlösung. Wenn die Sünde dich anficht, so flehe nicht erst nur um Sieg, sondern preise zugleich den Herrn, daß Er dich von der Sünde befreit h a t.
Als Josaphat gegen die Moabiter und Ammoniter zu Felde zog, bestellte er Sänger und Harfenspieler schon v o r Beginn der Schlacht, die den Herrn preisen sollten in heiligem Schmuck, und dann gab der Herr Seinem Volke den Sieg (2. Chron. 20,21; 22). So darf die Freude am Herrn auch unsere Stärke sein, und eine große Hilfe im Kampf gegen die Sünde ist es gewiß schon manchem gewesen, wenn er nach den Worten des Dichters gehandelt hat:

»Wenn mich die böse Lust anficht,
Dann dank ich Gott: ich brauch ja nicht!
Ich sprech’ zur Lust, zum Stolz, zum Geiz:
Dafür hing ja mein Herr am Kreuz!«

3. Innerhalb und von dieser zukünftigen, himmlischen Welt besitzen wir die zentralsten Regionen und Personen. Siebenfältig war die Schilderung des alttestamentlichen Sinaiberges. Jene israelitischen Hörer waren gekommen

zu dem Berge, der betastet werden konnte,
zu dem entzündeten Feuer,
dem Dunkel, der Finsternis,
dem Sturm, dem Posaunenschall,
der Stimme der Worte, deren Gebot sie nicht ertragen konnten (Hebräer 12, 18 – 21).

Siebenfältig beziehungsweise achtfältig ist nun die Schilderung der neutestamentlichen Heils- und Himmelshöhe. Ihr seid gekommen
zum Berge Zion, zur Stadt des lebendigen Gottes,
dem himmlischen Jerusalem,
zu Myriaden von Engeln,
der allgemeinen Versammlung,
zur Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind,
zu Gott, dem Richter aller,
zu den Geistern der vollendeten Gerechten, und ferner:
zu Jesu, dem Mittler eines neuen Bundes, zu dem Blute der Besprengung, das besser redet als Abel (Hebr. 12, 22-24).

Wenn hier Gott als »der R i c h t e r aller« bezeichnet wird, so soll damit nicht etwa irgend etwas Erschreckendes, die Freude angstvoll Erschütterndes ausgesprochen sein, als ob letzten Endes dann doch vielleicht alles noch ungewiß sei, falls Gott als der Richter uns eines Tages doch noch verstößt: Nein, es will sagen:
»Gerade das ist die große Gabe des Evangeliums, daß wir mit unserem Richter versöhnt sind und in Seinem Wohlgefallen stehen. Das große Gemeinwesen, in das wir eingebürgert sind, ist von Gerechtigkeit durchwaltet. Sein Haupt ist der Richter, der jedes Unrecht abstellt, allen, die unterdrückt waren, Recht. schafft und jedem seine Stellung und Gabe nach Seiner heiligen Rechtsordnung verleiht« (Schlatter).

Die »Gemeinde der Erstgeborenen«, die in den Himmeln angeschrieben sind, ist offenbar die in der Jetztzeit noch auf Erden lebende Generation der Gläubigen. »Ekklesia« (Gemeinde) bedeutet ja auch die diesseitige Gemeinschaftsgestalt der Erlösten. Dies beweist ferner der Beisatz, daß sie »in den Himmeln angeschrieben sind«. Damit ist »die unsichtbare, jenseitige Seite, der himmlische Adel der diesseitigen Gemeinde« bezeichnet. Sie »sind« eben noch nicht im Himmel, aber sie sind bereits »angeschrieben« im Himmel. Sie haben aus Gnaden ein Anrecht auf den Himmel. »Ihr Name, noch nicht ihre Person, ist im Himmel.« Aber sie haben im Himmel ihre Heimat, im Himmel ihr Bürgerrecht, im Himmel ihr Ziel (Phil. 3,20).

In diesem Sinne spricht auch Paulus von »Mitarbeitern« am Evangelium, von Zeitgenossen seines eigenen Lebens, also von Gliedern der Gemeinde Jesu, die noch auf E r d e n lebten, daß »ihre Namen im Buch des Lebens sind« (Phil. 4,3). Und so hatte auch Jesus zu den von Ihm ausgesandten Siebenzig gesagt, als diese in den Tagen Seines Erdenlebens in Seinem Auftrag Wunder getan hatten und dann voller Freude zu Ihm zurückgekehrt waren: »Darüber freuet euch nicht, daß euch die Geister untertan sind. Freuet euch aber, daß eure Namen in den Himmeln angeschrieben sind« (Luk. 10, 20).

Wahre Gläubige gehören in der Wirklichkeit des Wesens schon jetzt in die Reihen und Bezirke hinein, die Gottes und des Lammes Thron in der Mitte haben (Eph. 2,18; Phil. 3,20; Gal. 4,26). Obwohl sie jetzt auch noch auf Erden sind und in der hinfälligen Leibeshütte wohnen, so sind sie doch von dem Angesicht Gottes, von dem Genuß der Güter Seines Hauses und von der Gesellschaft aller derer, die um Ihn sind, viel weniger entfernt oder geschieden als das Volk des Alten Bundes, als es zu dem Berge, auf welchem die Herrlichkeit Gottes erschien, herzunahen konnte, ihn aber doch, unter Androhung der Todesstrafe, nicht einmal anrühren durfte. Das aber ist der herrliche Vorzug des Neuen Testaments, daß uns der Glaube wahren Zugang verschafft und uns schon heute den Zutritt zu Gottes Welt öffnet.

In Verbindung mit diesem Gottesvolk auf Erden werden »die Geister der vollendeten Gerechten« genannt (Hebr. 12,23). Es werden also die Vollendeten im Himmel mit der Gemeinde auf Erden zusammengefaßt und Gottes Volk »droben« und Gottes Volk »unten« als Einheit verbunden geschaut. Denn Gottes Reich verbindet sowohl Himmel und Erde als auch Vergangenheit und Gegenwart. Selbst der Tod kann den Zusammenhang des Reiches Gottes nicht sprengen. Seine »Räume« – Himmel und Erde -, seine »Zeiten« – Vergangenheit und Gegenwart – bilden einen einheitlichen, Aeonen zusammenschließenden Heilsorganismus von Ewigkeit und Zeit.

Von Gnade und Heil sprechen schließlich die letzten beiden Glieder unserer großen, goldenen Kette: Von Jesus, dem Mittler eines neuen Bundes, vom Blut der Besprengung, das besser redet als Abel. Damit endet diese Schilderung des himmlischen Gottesberges mit dem Blick auf das Sühnwerk des Welterlösers, und drei Berge stehen vor unserem geistigen Auge:

der flammende und donnernde Berg Sinai,
der strahlende Zionsberg des himmlischen Jerusalem und
der schlichte Hügel Golgatha.

Das aber ist das Wundersame an dem Heilsweg der Erlösung: Das Werk auf dem Hügel Golgatha hat die, so daran glauben – unter Ausschaltung aller Werke des Berges Sinai – in Verbindung gebracht mit dem Heil und der Herrlichkeit des himmlischen Zionsberges. »Der Weg zum Paradiese geht über Golgatha.«
So ist nun der ganze Reichtum des Himmels erschlossen: die höchsten, himmlischen Regionen, die höchsten, himmlischen Personen, die unerschöpflichen, himmlischen Gnaden- und Heilsquellen – dies alles ist uns durch das Blut Jesu zugänglich gemacht. Das »Blut der Besprengung, das besser redet als Abel«, eben das Blut des Erlösers, durch das Er, als unser Stellvertreter und Bürge, »Mittler eines neuen Bundes« geworden ist.

Der bekannte Evangeliumsverkündiger Ch. H. Spurgeon, der Jahrzehnte hindurch in seinem großen Tabernacle in London Sonntag für Sonntag vor Tausenden von Zuhörern die Heilsbotschaft bezeugt hat, war zweifellos einer der begabtesten Diener Gottes, der sowohl geistlich als auch geistig geradezu hervorragend hat wirken können. Was aber bezeugt er am Ende seines Lebens? Als er, nach einem überaus fruchtbaren und vielseitigen Leben, auf dem Sterbebett lag, da sagte er zu seinen Freunden, die ihn besuchten: »Meine Brüder, meine Theologie ist sehr einfach geworden. Sie besteht aus vier Worten: Jesus starb für mich!«

Das ist die Grundmelodie aller Dankeslieder aller Erlösten in der himmlischen Herrlichkeit. In den Jubelhymnen auf dem himmlischen Berge Zion wird das Leidenswerk auf dem Hügel Golgatha in alle Äonen der Ewigkeit hinein das Thema aller Lobpreisung und Gottesanbetung bleiben.
»Und ich hörte die Stimme vieler Engel um den Thron her und um die lebendigen Wesen und die Ältesten, und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende, die mit lauter Stimme sprachen: Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung!« (Offb. 5, 11; 12.)

Dies alles aber ist erst die e i n e Seite! Beachten wir, daß dieser ganze Abschnitt durch das kleine Wörtchen »Denn« eingeleitet wird. »Denn ihr seid nicht gekommen (zu dem alttestamentlichen Berge) . . ., sondern ihr seid gekommen (zum himmlischen Berge)« Hebr. 12,18-22.
Das Ganze ist also keine eigentlich selbständige, in sich geschlossene Gedankenkette, sondern es ist eine B e g r ü n d u n g und als solche einem anderen Hauptgedanken untergeordnet, dessen Richtigkeit durch dieses »Denn« nachgewiesen werden soll. Dieser Obergedanke aber ist, im klaren Zusammenhang des Gesamttextes, die Forderung praktischer Heiligung. »Richtet auf die erschlafften Hände und die gelähmten Knie … Jaget dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen wird . . . D e n n ihr seid nicht gekommen zum alttestamentlichen Gesetzesberg Sinai, sondern zum neutestamentlichen Heils- und Herrlichkeitsberg Zion!«
Damit aber ist das eigentliche Anliegen des Schlußabschnitts von Hebräer 12 vor unser Auge getreten. Mit dem Hinweis auf die Herrlichkeit des Gnadenstandes soll der Ernst der persönlichen Verantwortung unterstrichen werden. Gerade w e i l wir in Christus so reich geworden sind und der Kampfpreis so herrlich ist, sollen wir vollsten Einsatz beweisen.
»Lasset uns hinhören auf Jesus!«

II. Von der heiligen Verpflichtung der zur himmlischen Herrlichkeit Berufenen.

Auch hier erkennen wir ein Dreifaches:

1. Reichtum verpflichtet.
Gerade deshalb, weil wir so viel von Gott empfangen haben, wird von uns doppelte Hingabe und Heiligung erwartet. Im irdischen Leben kommen Schulden meistens aus Armut; im geistlichen aber muß gesagt werden: Aus unserem Reichtum kommen unsere »Schulden«! Paulus erklärt: »Ich bin ein Schuldner« (Röm. 1, 14). Er spricht dabei von seiner missionarischen Beauftragung; aber der Grundsatz gilt allgemein. Weil wir die Heilsbotschaft h a b e n, so sind wir »schuldig«, sie weiterzugeben. Weil wir die Segensfülle h a b e n, sind wir »schuldig«, in geistlicher Siegeskraft zu leben. Weil wir zu Königen g e w o r d e n s i n d, sind wir» schuldig«, nun auch königlich zu wandeln. Je höher die Gnade, desto ernster die Verantwortung. »Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel verlangt« (Luk. 12, 48).

Vier Gründe läßt der heilige Text für diese überaus ernste Forderung erkennen.

Hinhören! Gott spricht! Denn der neutestamentliche Heilsstand ist höher. Wenn schon die alttestamentlichen Heiligen gehorsam sein mußten, wie erst recht doch dann wir! Wenn damals schon aufgemerkt werden mußte auf die Stimme des Redenden, wie sollten dann doch wir noch viel mehr Hinhörende und Gehorchende sein! Darum: »Sehet zu, daß ihr den nicht abweiset, der da redet!« Jetzt, in der neutestamentlichen Heilszeit, muß hingehört und gehorcht werden, wie noch nie je zuvor in der ganzen Offenbarungsgeschichte gehorcht worden ist! Die neutestamentlichen Heiligen sollen an Hingabe und Weihe den Glaubensgehorsam aller vorangegangenen Glaubensgenerationen übertreffen. Dies ist der Sinn der Gegenüberstellung von Berg Sinai und himmlischem Zionsberg. Ihr sollt nach der Heiligung jagen; »denn« ihr seid nicht zum Berg des Gesetzes, sondern zum himmlischen Berg göttlicher Heilsherrlichkeit gekommen. Freiheit vom Gesetz macht nicht passiv, sondern umsomehr eifrig und heilig aktiv. Das Neue Testament macht eben mit der Tatsache, daß wir »unter« der Gnade sind, voll Ernst. Die Gnade steht »über« uns. Sie ist unsere Herrscherin geworden. Sie will »königlich« regieren (Röm. 5,21).

Hinhören! Gott spricht! Denn der Standort des Redenden ist höher! Damals sprach Gott von einer irdischen Bergeshöhe aus; jetzt aber spricht Er vom Himmel her, nämlich durch Christus, Seinen Sohn, als den zum himmlischen Gottesthron Erhöhten…

Das bedeutet zugleich eine Erhöhung unserer Verantwortlichkeit im Vergleich zu den alttestamentlichen Hörern. »Denn wenn jene nicht entgingen, die den abwiesen, der auf E r d e n die göttlichen Aussprüche gab: wieviel mehr wir nicht, wenn wir uns von dem abwenden, der von den H i m m e l n her redet!« (Hebr. 12, 25). Gott spricht in Christus durch den Heiligen Geist. Jedesmal, wenn Gottes Wort verkündet wird, »kommt« Christus durch Sein Wort und Seinen Heiligen Geist (Eph. 2, 17), und mitten im irdischen Versammlungssaal gilt es, Ihn selbst als den vom Himmel her zu uns Redenden zu hören! Nicht Menschenwort wird verkündet – auch nicht eigentlich glaubensvolle »Betrachtungen« über Gottes Wort -, sondern W o r t  G o t t e s  s e l b s t. Das ist der hohe Adel, zugleich aber auch die ernste Verantwortlichkeit jeder Wortverkündigung in der Gemeinde. »Wenn jemand redet, so rede er, als wenn es Aus-sprüche von Gott selbst wären!« (1. Petr. 4, 11.) Vgl. auch 1. Thess. 2, 13; 2. Chron. 18, 13; Apg. 10, 33.

Unsere mündliche Verkündigung wird dann nicht nur Reden »über« Gottes Wort, sondern Wort Gottes s e l b s t sein, wenn sie in sich trägt:
die Wahrheit der Botschaft Gottes,
die Liebe des Herzens Gottes,
den Takt der Weisheit Gottes,
die Leitung des Geistes Gottes,
die Vollmacht der Autorität Gottes und vor allem und in dem allen
die Gegenwart der Person Gottes in Christus durch den Heiligen Geist.

»In des Königs Wort ist Gewalt!« (Pred. 8, 4.) Aber in S e i n e m Wort allein! Nicht in den Worten Seiner Diener, und wenn diese auch noch so erfahren und geheiligt wären! Nicht gelehrte Vorträge und schöngeistig durchdachte Reden braucht die Welt – so wertvoll sie in sich sein mögen -, sondern lebendigen, vom Geiste Gottes geleiteten und getragenen Zeugendienst. »Gebt den Leuten Brot; denn Stroh wollen sie nicht, und Blumen essen sie auch nicht« (Prof. Warneck). »Gleichwie der Regen und der Schnee vom Himmel herabfällt und nicht dahin zurückkehrt, er habe denn die Erde getränkt und befruchtet und sie sprossen gemacht und dem Sämann Samen gegeben und Brot dem Essenden: also wird M e i n Wort sein, das aus M e i n e m Munde hervorgeht. Es wird nicht leer zu Mir zurückkehren, sondern es wird ausrichten, was Mir gefällt, und durchführen, wozu Ich es gesandt habe« (Jes. 55, 10; 11).

Und wie vielseitig und allumfassend ist überhaupt das Reden des großen Gottes!

Er spricht durch
die Zeichensprache der Natur (Röm. 1, 19; 20; Ps. 19,1-3);
die Tatensprache der Erfahrung, sowohl im Einzel- wie im Völkerleben;
die Herzenssprache des Gewissens (Ps. 32,3; 4; Röm. 2,14;15);
die Zeugensprache der Gläubigen (2. Kor. 5,20);
die Buchsprache der Bibel (2. Tim. 3,16);
die Heilssprache des Sohnes (Hebr. 1, 1; Eph. 2, 17);
und Er wird zu den Menschen einst reden durch die Rechtssprache des Gerichts (Ps. 2, 5).
»Lasset uns hinhören auf Jesus!«

Und weiterhin beweist der Schreiber des Hebräerbriefes die höhere, neutestamentliche Verantwortlichkeit durch den Vergleich des neutestamentlichen mit dem alttestamentlichen Gotteswort.

3. Hinhören! Gott spricht! Denn der Wirkungsumfang des vom Himmel her gesprochenen Wortes ist größer. In beiden Fällen sind Wirkungen auf Natur und allgemeine Schöpfung mit dem Gotteswort verbunden. Aber die Naturwirkungen des alttestamentlichen Sinai-Wortes beschränkten sich auf die E r d e – Feuer und Sturm, Dunkel und Finsternis, Erdbeben und Posaunenhall -; die Naturwirkungen des neutestamentlichen Gotteswortes aber werden einst bis in die H i m m e 1 hineinreichen. »Noch einmal werde ich nicht allein die Erde bewegen, sondern auch den Himmel« (Hebr. 12, 26).

Und schließlich:
4. Hinhören! Gott spricht! Denn der Wirkungsinhalt des vom Himmel her geredeten Gotteswortes ist gewaltiger. Am Sinai wurde die Erde nur »erschüttert« (V. 26), in der Endzeit aber werden Himmel und Erde durch Gottes Wort »verwandelt« werden (Hebr. 12, 27). »Verwandlung« aber geht tiefer und ist mehr als »Erschütterung«.

Darum noch einmal: Hinhören! Gott spricht! Menschen, die zu so hohen und himmlischen Zielen berufen sind, die ein so »unerschütterliches«, ewiges Reich empfangen sollen, die von einer so hocherhabenen Majestät selbst, vom Zentralquellpunkt des Universums, vom Thron Gottes als dem Mittelpunkt und Allerheiligsten der Ewigkeit her, durch das Wort und den Heiligen Geist angesprochen werden – solche Menschen müssen himmlisch gesinnt sein!
Sie sind, nach dem Willen des Herrn, wachende und wartende Christen, den Wanderstab in der Hand, die Lampen geschmückt und brennend, bereit, dem Bräutigam entgegen zu gehen. Sie sind Menschen, die in der Bereitschaft stehen (Luk. 12, 35), bei denen die »letzten Dinge« die e r s t e n sind, die auf den wiederkommenden Herrn warten, die »immer in der elften Stunde leben« (Sören Kierkegaard).

Gewiß, sie verrichten mit Sorgfalt ihre Pflichten hier auf Erden, doch ihr eigentliches Ziel ist der Himmel. Sie sind im Irdischen Vorbilder an Gewissenhaftigkeit und Treue; aber sie warten zugleich mit Frohlocken auf die Offenbarwerdung des Reiches Gottes. Sie wissen: »Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unsern Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit« (Phil.3,20;21). Darum: »Umgürtet die Lenden eurer Gesinnung, seid nüchtern und hoffet völlig auf die Gnade, die euch gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi!« (1. Petr. 1, 13.)

In diesem allen aber ist es nicht einfach in unser Belieben gestellt, ob wir in der Kampfbahn des Glaubens gehorchen wollen oder nicht. Nein, große und schwerwiegende Folgen sind damit verbunden.
Wir stehen hier vor einer unausweichlichen Entscheidung, ob wir himmelan steigen wollen oder absinken, gewinnen oder verlieren, festwerden oder wanken.
Denn das ist Grundgesetz alles geistlichen Lebens, daß es nur in der Verbindung mit der Quelle gedeiht. In uns selbst liegen keine Garantien. Die Gewähr aller Bewahrung und Vollendung liegt nur in Christus.

2. Reichtum garantiert nicht.

Du kannst im Segen begonnen haben und armselig weiterleben. Du kannst sonnige Siegeszeiten gehabt haben und heute in dunkler Niederlage stecken. Du kannst in der Freude des Christus gelebt haben und heute niedergedrückt und freudlos dahingehen. Das war ja der geschichtliche Hintergrund unserer ganzen Hebräerstelle. Nur aus diesem Grunde ist der ganze Hebräerbrief überhaupt geschrieben! Darum nimm dir diesen Gesamtzusammenhang auf das eindringlichste zu Herzen: Reichtum garantiert nicht. Du kannst einst Sein Wort gelesen und mit Freuden in dich aufgenommen haben, und heute ist es dir wie ein verschlossenes Buch. Du kannst einst eine »Zierde« des Evangeliums gewesen sein (Tit. 2, 10) und heute so wandeln, daß der Name des Herrn durch dich verlästert wird (vgl. Hes. 36, 22). Du kannst deine »erste Liebe« verlassen haben! (Offb. 2, 4.)

Erfahrungen der Vergangenheit sind keine Garantien für gleiche Segensfülle und Kraft in Gegenwart und Zukunft! Es ist niemals nur der »Christus gestern«, der dir hilft, sondern stets der »Christus heute«! Nicht einseitig rückwärts darf dein Blick gerichtet sein, sondern aufwärts und vorwärts! Deshalb, bei aller Heilsfülle, lebe in heiligem Ernst.
Diese beiden gehören zusammen: Heilsgewißheit und Gottesfurcht, Freude und Ernst. Freude ohne Ernst wäre Oberflächlichkeit; Ernst ohne Freude wäre Schwarzseherei. Heilsgewißheit ohne Gottesfurcht wird Pharisäertum; Gottesfurcht ohne Heilsgewißheit wird sklavische Angst. In Wahrheit aber ist jedes dieser beiden nur dann gottgemäß da, wenn auch das andere da ist. Entweder tragen wir beide in unserer Seele oder keines. Und das Maß des einen bedingt zugleich das Maß des anderen. Es ist eine erschütternde Tatsache, daß in weiten kirchlichen und freikirchlichen Gemeinden, Gemeinschafts- und Versammlungskreisen in hohem Maße die Ehrfurcht fehlt. Alltagsgerede umrahmt die Zusammenkünfte. Nur mit Mühe tritt Ruhe beim Beginn der Versammlungen ein. Innerlich unaufmerksam erklingen viele Gesänge.

Manchmal merkt der Singende kaum, daß sein Lied, in der Du-Anrede zu Gott, ein Gebet ist. Und nicht selten ist der Dienst am Wort in Gefahr, in ein ehrfurchtloses, vielleicht sogar selbstgefälliges Reden »über« Gottes Wort zu entarten, anstatt selber verantwortungsbewußte, geistgewirkte, heilige Gottesbotschaft zu sein. – »Es predigt.« – – Aber nicht: »Gott spricht!« Wie ernst!
Und gar oft kommen am Schluß die »Vögel des Himmels«, in Form oberflächlicher Begrüßungen und Gespräche, geschäftlicher Besprechungen, Unterhaltungen über Politik, Familienerlebnisse und Alltag, und reißen den Samen hinweg, soweit er in das Herz gesät war (Matth. 13, 4; 19). Wie kann da geholfen werden? Nur durch ein erneutes Hinhören auf Gott! Nur durch erneute Anerkennung der Autorität Seines erlösenden Befehlswortes! Nur durch von neuem vollzogene, bewußt gewollte Hingabe und Weihe an Ihn. Wahrlich, Reichtum garantiert nicht. A b e r C h r i s t u s bewahrt!
»Lasset uns aufsehen auf Jesum!« – Lasset uns hinhören auf Sein Wort!

3. Reichtum muß verwirklicht werden.

»D e s h a l b, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, laßt uns Gnade haben (oder: Dankbarkeit hegen), durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht« (Hebr. 12,28).
Christsein heißt nicht nur: Segnungen empfangen haben, sondern: »Im Empfangenen leben!« Dies geschieht praktisch durch dankbare Hingabe an den Herrn, der uns so reich begnadigt hat.
Das griechische Wort für »Gnade« heißt zugleich »Dank« (charis), und es gibt Stellen, in denen beide Übersetzungen einen guten Sinn haben. So auch hier. Die Grundbedeutung des Wortes ist »etwas, was erfreut« (charis, wurzelverwandt mit griech. chara, Freude; chairein, sich freuen), und da es für den Griechen kaum etwas gab, was ihm mehr Freude bereitete als Schönheit, bekam das Wort die Bedeutung »Anmut, Lieblichkeit«, so z. B. in Luk. 4, 22, Eph. 4, 29 (Luth.) . . .

Und gewaltig ist der Rahmen, in den der Geist Gottes diese Seine ganze Aufforderung hineingestellt hat. Er beginnt die Schilderung des neutestamentlichen Heilsreichtums mit Himmel und Herrlichkeit und schließt sie mit dem Hinweis auf, unter Umständen, allerernstestes Gericht.

G o t t e s G n a d e a m Anfang, Gottes Feuereifer am Schluß, und dazwischen der Aufruf: »Hinhören! Gott s p r i c h t !«
Die Worte »himmlisches Jerusalem« (Vers 22) und »verzehrendes Feuer« (Vers 29) rahmen diesen eindrucksvollen Befehl geradezu ein. »Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer«. Dies schreibt ein Mitarbeiter des Apostels Paulus (vgl. Hebr. 13, 23), also des Apostels der Gnade (!), an judenchristliche Gläubige der Gemeindezeit. In der Gemeinde aber ist, nach den wiederholten, ausdrücklichen, paulinischen Belehrungen, zwischen den Gläubigen aus Israel und den Gläubigen aus den Nationen kein heilsgrundsätzlicher Unterschied mehr (Eph. 2,13-22; 3,6; Apg. 28,28; vgl. Apg. 10, 47; 11, 12; 15, 9-11).

Brechen wir darum dem Schwert die Spitze nicht ab! Nehmen wir dies Gotteswort in seiner ganzen Wucht! Allerdings glauben wir nicht, daß es die Möglichkeit eines Verlorengehens wahrer Kinder Gottes aussagen will, wohl aber daß ungeahnte und ernsteste Folgen mit Untreue und Ungehorsam eines Gläubigen verbunden sind.

Darum fort mit aller fleischlich-religiösen Selbstsicherheit! Laßt uns niemals die Wahrheit von der ewigen Errettung der Wiedergeborenen zu einem Ruhekissen fleischlicher Gesinnung machen!
Wohl sind die, die an Christus im Sinne der Schrift glauben, aus dem Tode ins Leben hinübergegangen; aber was die Verherrlichung betrifft, so gilt der Satz: »Befleißiget euch umsomehr, eure Berufung und Erwählung festzumachen« (2. Petr.1,10). »Jaget nach der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn schauen wird« (Hebr. 12,14). »Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, daß er nicht falle« (1. Kor. 10, 12).
Was wir brauchen, ist die dauernde Haltung des Glaubens, das stets fortgesetzte Ja zu Christus, das stets praktisch erneuerte Nein zur Sünde, die lebendig praktische Gemeinschaft mit dem für uns gestorbenen und auferstandenen Erlöser. »H a l t e t euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christo Jesu« (Röm. 6, 11).
In Christus aber ist Heil. In Ihm ist Leben und Sieg. Sein Wort ist nicht nur Befehl, sondern zugleich schöpferische Kraftquelle. Es ist Gebot und Geschenk, Verordnung und Verheißung, Sendung und Ausrüstung.

Ihn, diesen Erlöser, der Menschheit zu verkünden, – das ist die Aufgabe der Botschaft des Neuen Bundes. Er selbst ist der eigentliche Inhalt von dem, was »Gott spricht« (2. Kor. 4, 5). Er ist der Sieger, die personhafte Wahrheit, der Heiland der Welt. Er erleuchtet die Seelen, die in der Finsternis schmachten. Er erfüllt ihre Sehnsucht, erquickt ihre Herzen, befreit sie von Sünden, macht sie heilig und rein. Durch Ihn finden sie zurück zum verlorenen Paradiese. Ihre Vergangenheit ist geordnet, ihre Gegenwart erleuchtet, ihre Zukunft gesichert. Darum spricht Gott: »Siehe, das ist mein Knecht … an welchem meine Seele Wohlgefallen hat . . . Ich, der Herr, habe dich gerufen in Gerechtigkeit . . . und habe dich zum Bund unter das Volk gegeben, z u m  L i c h t  d e r Heiden« (Jes. 42, 1; 6).
Und in der neutestamentlichen Zeit spricht der Vater bei der Verklärung des Menschgewordenen auf dem heiligen Berge: »Dies ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe« (Matth. 17,5). »Den sollt ihr hören!«

»Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude;
A und O, Anfang und Ende steht da.
Gottheit und Menschheit vereinen sich beide;
Schöpfer, wie kommst Du uns Menschen so nah!
Himmel und Erde, erzählet’s den Heiden:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freuden!«

Den Text des Buches IN DER KAMPFBAHN DES GLAUBENS habe ich geringfügig gekürzt und die Hervorhebungen im Text vorgenommen. Horst Koch, Herborn, im Januar 2009

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